Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus [Reprint 2010 ed.] 9783110894325, 9783110110760

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Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus [Reprint 2010 ed.]
 9783110894325, 9783110110760

Table of contents :
Geleitwort von Gerhard Jungfer
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Teil I: Ein Überblick über Geschichte und Vorgeschichte freier Advokatur und des Strafprozesses in Deutschland bis 1933
Der freie Advokat
Das deutsche Elend
Befreiung und Befreiung von der Befreiung
Der öffentliche Prozeß
Ansätze zur Selbstorganisation
Vier Säulen freier Advokatur
Strafprozeß und freie Advokatur
Rechtsanwaltsordnung und Reichsstrafprozeßordnung
Vom Dienst am Recht zum Organ der Rechtspflege
Beistand des Beschuldigten oder Beistand des Gerichts?
Verteidigerausschluß
Rechtsanwalt Hans Litten und der Felseneck-Prozeß
Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß
Notverordnungen
Autoritäres Strafrecht
Die Anwaltschaft und der starke Staat
Die „Judenfrage“
Anmerkungen
Teil II: Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939
Kapitel 1: Die „Gleichschaltung“
Vom DAV zur Reichsrechtsanwaltskammer
Das Vertretungsverbot
Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte
Die gesetzliche Regelung
Deutsch das Recht und deutsch die Männer
Der Ausschluß der „kommunistischen“ Anwälte
Der Fall W.
Proskriptionslisten
Gürtner contra Freisler
Verteidigung im Auftrag der Roten Hilfe
Auswirkungen auf die Verteidigung
Wir wollen nicht ein Stand minderer Zuverlässigkeit sein
Die „Totengräber des Standes“
Anmerkungen
Kapitel 2: Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes
I. Der EGH beim Reichsgericht
II. Der EGH bei der Reichsrechtsanwaltskammer
Sonderrecht für jüdische Anwälte
Die Inpflichtnahme auf die nationalsozialistische „Bewegung“
„Freiheit“ der Verteidigung
Die Fügsamkeit des EGH
Anmerkungen
Kapitel 3: Topographie des Halbdunkels. Zum Wirken des politischen Strafverteidigers
Beispiel 1: Siegburger Volkshausprozeß
Beispiel 2: Alfons Sack und der Reichstagsbrandprozeß
Beispiel 3: Kleiner Volksvereinsprozeß und ein Urteil des EGH
Beispiel 4: Das Verfahren gegen Ernst Thälmann
Exkurs: Sozialdemokratische Verteidiger
Beispiel 5: Der Fall Gerhard Neumann u. a.
Widerruf von Geständnissen
Rücksichten besonderer Art
Freundschaftliche Kontakte
Die Lücken und die Tücken des Apparates. Ein Résumée
Anmerkungen
Kapitel 4: Verteidiger und Gestapo
Eine „Denkschrift“
Der „Doppelstaat“
Schutzhaft und Recht
Urteilskorrekturen
Der Rückzug der Gerichte
Der Ausschluß der Anwälte
Der Konflikt
Die weitere Entwicklung
Die zweite Runde
Hintertüren. Auswirkungen auf den Strafprozeß
Rechtsanwälte in Schutzhaft
Sieben Beispiele
Erfolglose Intervention des RMJ
Ein letzter Vorstoß
Anmerkungen
Kapitel 5: „Fremdvölkische“ als Verfahrensbeteiligte
Jüdische Anwälte
Exkurs: Der Fall Fliess
Der Ausschluß der Juden aus der Anwaltschaft
Die rechtliche Vertretung, insbesondere Verteidigung von Juden
Polen
Das Schicksal der polnischen Rechtsanwälte
Verteidigung von Polen durch deutsche Anwälte
Anmerkungen
Kapitel 6: Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß von 1933 bis 1935
Eingriffe in die Gerichtsverfassung
Exkurs: Sondergerichte und Volksgerichtshof
Der Volksgerichtshof
Verteidigung vor dem Volksgerichtshof
Anmerkungen
Kapitel 7: Der Verteidiger in der Literatur bis 1935
Anmerkungen
Kapitel 8: Vorarbeiten zu einer Strafprozeßreform 1935–1939
Materielle Gerechtigkeit
Geist statt Form
Zweiteilung des Verfahrens
Der Fortgang der Reformarbeiten
Der Entwurf einer StVO von 1939
Anmerkungen
Kapitel 9: Zur Lage der Anwaltschaft nach 1933 und zur Reichsrechtsanwaltsordnung von 1936
Anmerkungen
Kapitel 10: Das Bild des Verteidigers seit 1935
Alfons Sack: Der Verteidiger und der neue Staat
Lotar Kühne: Der Verteidiger ohne fremdrechtliches Gewand
Weitere Literatur über den Verteidiger
Notwendige Verteidigung
Der Verteidiger in der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur
Der Verteidiger in den Vorstellungen des RMJ
Die Beratungen durch die Große Strafprozeßkommission
Der Bericht
Die zweite Lesung
Anmerkungen
Teil III: Strafverteidigung seit Kriegsbeginn
Kapitel 1: Reformen im Schatten des Krieges
Die Reformen der StPO
Der Staatsanwalt
Der (Berufs-)Richter
Der Beschuldigte
Lenkung der Rechtspflege
Kriminalitätsbekämpfung durch die Polizei
Die Vielfalt der Sanktionsgewalten
Auswirkungen auf die Strafverteidigung
Die Macht der Maßnahme
Anmerkungen
Kapitel 2: Der Konflikt
Das Schwarze Korps und die Anwaltschaft
Die SS und der Verteidiger
Der Fall Gröpke
Das Urteil des Ehrengerichts Celle
Nachklang
Hintergründe
Reform der RRAO
Der Konflikt Schwarzes Korps – RRAK
Die „VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO“ vom 26. 4. 41
Die Auswirkungen der VO
Der Fall des Rechtsanwaltes M.
Dreckaufwirbler und Kloakentiere
Kritik an den Verteidigern
Andere „Meldungen aus dem Reich“
Weitere Kritik und ein „ernstes Wort an meine Berufskameraden“
Das Schicksal des NSRB
Eingriffe in die anwaltliche Selbstverwaltung
Der Fortgang der Reform
VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO
Reaktionen aus der Anwaltschaft
Die Rechtsprechung der Dienststrafgerichte in Anwaltsangelegenheiten
Anmerkungen
Kapitel 3: Die Verweigerung
Das Geschäft mit der Verteidigung
Der Rechtsanwaltsbrief
Anmerkungen
Teil IV: Am Ende
Kapitel 1: Angst, Opportunismus und Verrat des Verteidigers
Anmerkungen
Kapitel 2: Vom Alltag des Ausnahmezustands
Verteidigung vor dem Volksgerichtshof
Die Verteidigung vor Sondergerichten
Das Ende
Anmerkungen
Schluß
Namensregister

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Stefan König Vom Dienst am Recht Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus

Vom Dienst am Recht Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus

von

Stefan König

W G DE

1987 Walter de Gruyter · Berlin · New York

Stefan König Rechtsanwalt in Berlin

CIP-Kur^tttelaufnahme der Deutschen Bibliothek

König, Stefan: Vom Dienst am Recht : Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus / von Stefan König. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1987. ISBN 3-11-011076-8

© Copyright 1987 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Vorbereitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Druck: Ratzlow-Druck, Berlin 36 Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin 10

Geleitwort Strafverteidigung geht über die bloße Anwendung der Rechtsregeln hinaus: „Ihre Beherrschung versteht sich für den guten Verteidiger von selbst. Aber er weiß, daß sich damit allein keine größere Verteidigung führen läßt" (Reiwald, Die Gesellschaft und ihre Verbrecher, Zürich, 1948, Seite 193). Nicht zu vermitteln allein durch das Lernen der Rechtsregeln, lebt sie besonders aus der Kraft ihrer Vorbilder. Die Verfolgung einer so großen Zahl beispielhafter Verteidiger 1933 bedeutete bereits mit der Beseitigung dieser Vorbilder den Anschlag auf die Verteidigung. Was nach diesem „Fanal der Entschlossenheit und Machtvollkommenheit der Nationalsozialisten" (König, S. 45) als Realität der Verteidigung blieb, war bisher kaum im Zusammenhang, nur in Einzelheiten hier und dort sichtbar. 1. Die vorliegende Arbeit durchbricht mit der Beschreibung von Strafverteidigung im Nationalsozialismus einen Vorhang der Geschichtslosigkeit, der ihre Erforschung lange Zeit unmöglich machte, durch den Schrecken über die Geschehnisse bei den einen, den Wunsch sich zu tarnen, bei den anderen. Sie gibt damit den heutigen Strafverteidigern die Möglichkeit, sich mit der eigenen Geschichte und Identität auseinanderzusetzen, ein Geschichtsbewußtsein zu entwickeln. Es zeigt sich, daß Selbstkritik des Standes notwendig ist, betrachtet man die so einfach und widerstandslos vollzogene institutionelle Gleichschaltung der Anwaltschaft und die Hinnahme der politischen und rassischen Säuberungsmaßnahmen oder die zum Zerrbild gewordene „Verteidigung" durch manche Anwälte, beispielsweise vor dem Volksgerichtshof. Es zeigt sich aber auch, daß die Institution als solche jedenfalls weniger vereinnahmt war als viele andere und daß es in ihr bis zuletzt vorbildhaftes Verteidigerverhalten gab. Dieses doppelte Bewußtsein braucht zu ihrer Vitalität die Strafverteidigung: das geschichtliche Bewußtsein von den Gefahren, aber auch von den Möglichkeiten des Berufes. 2. Dabei gelangt der Autor zu einer Feststellung, die die heutige Diskussion beflügeln dürfte: Die Arbeit bereichert die Erörterung der Frage, ob der Verteidiger ein „Organ der Rechtspflege" ist, um die geschichtliche Erkenntnis, die Strafverteidigung habe deshalb in der Zeit der schrankenlosen Diktatur immer noch eine gewisse Distanz zum Machtapparat des Dritten Reiches bewahren können, weil der Strafverteidiger eben Interessenvertreter geblieben sei. Es „hat gerade ihre Verbundenheit mit dem Interesse ihrer Mandanten die Strafverteidiger im Nationalsozialismus davor bewahrt, ihren Beruf zum Betätigungsfeld für angewandte Staatsräson verkommen zu lassen. Als eine Konsequenz der geschichtlichen Erfahrung sollte

VI

Geleitwort

dies im Bewußtsein bleiben. Die Tätigkeit des Anwalts, auch des Verteidigers, sollte allein dem Interesse dessen gelten, den er vertritt" (S. 256). 3. Die Arbeit wählt eine Kombination zwischen der wissenschaftlichen Darstellung der Quellen, der Rechtsregeln, der Rechtsprechung mit der Darstellung der Rechtsrealität durch Archivierung, Nachlaßsicherung, Dokumentation mittels detektivischer Recherche nach geschriebenen und berichteten Informationen. Sie ist damit eine Quelle und ein Nachschlagewerk z. T. bisher nicht veröffentlichter, vom Autor recherchierter und gesammelter Tatsachen und Dokumente. Beispielhaft sei verwiesen auf die Fälle W. (S. 46 ff); Sack (S. 74 ff); Ludwig (S. 83 f); Fliess (S. 115 ff); Gröpke (S. 199 ff), dargestellt jeweils mit Material aus Privatbesitz. Immer wieder wird die Frage nach den handelnden Personen gestellt, nach der „realen Gestalt anwaltlichen Wirkens auf dem Gebiet der Strafverteidigung" (S. 73), wie etwa durch die fünf Beispiele in Teil II., Kapitel 3 (S. 73 ff). Die Methode des Autors, mit der Darlegung der Rechtsregeln zu beginnen und dann fortzufahren als Rechercheur mit der Ermittlung der Realität der Strafverteidigung, schließlich als Archivar in der Bestandssicherung des Erforschten und Gesammelten, gibt seiner Arbeit nicht nur Aussagekraft, sondern verleiht ihr große Spannung. Auch diese Qualität der Arbeit lenkt den Blick in die Gegenwart: 4. Es erwies sich, daß Unterlagen von Anwaltskammern und Ehrengerichten kaum erhalten geblieben sind. Der Autor führt dies sicherlich zutreffend auf Kriegsund Nachkriegseinwirkungen zurück. Damit ist allerdings die Frage nicht beantwortet, was denn überhaupt archiviert worden war. Stellt man die Frage heute, so ergibt sich, daß zu keiner Zeit seit der Existenz der Rechtsanwaltskammern ein systematisches, historisch ausgerichtetes Archivwesen existierte. Es bleibt den einzelnen Kammern, den einzelnen Geschäftsführern überlassen, ob sie und wie sie die Nachlässe ihrer Mitglieder sichern. Es existiert(e) keine Archivsatzung. Die vorliegende Arbeit vermittelt, mit wie großen Mühen es verbunden, wie großer persönlicher Einsatz notwendig ist, um die Berufsgeschichte auch nur einiger zu ihrer Zeit hervorgetretener Anwälte zu recherchieren. Die Archive, wären sie erhalten geblieben, hätten dem Autor für seine Fragestellungen voraussichtlich nur teilweise helfen können; sie bestehen außer aus Generalakten nur noch aus Personalakten, in die nur äußere Sachverhalte aufgenommen sind und allenfalls einmal ein Konfliktfall der Verteidigung, wenn er ehrengerichtlicher Erörterung zugeführt wurde. Die schriftlichen Nachlässe der Verteidiger, ihre Generalakten, ihre Prozeßakten werden in die Archive der Rechtsanwaltskammern nicht übernommen. Ein Beispiel: Als Rechtsanwalt Dr. Kurt Wergin am 17. Januar 1973 starb, war niemand da, der seine Generalakten (jedenfalls der Nachkriegszeit, die früheren waren durch Kriegseinwirkungen zum größten Teil verlorengegangen) in das Archiv der Rechtsanwaltskammer Berlin übernahm. Inzwischen sind sie verschollen. Das geschah bei einem Mann, der nicht nur lange Jahre Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin, sondern bereits seit 1929 Mitglied ihres Vorstandes war, bis er „aus diesem Amt bei der Auflösung und Umbildung des Vorstandes zu Beginn des Jahres 1933 „entfernt"" wurde (K.-H.Quack, Berliner Anwaltsblatt

Geleitwort

VII

1973, 1), der Verteidiger von Bonboeffer vor dem Reichskriegsgericht war (i. ü. siehe König, S. 248 f)! Die vorliegende Arbeit stellt daher auch eine Mahnung an die Verantwortlichen der Rechtsanwaltskammer dar, eine Archivsatzung zu beschließen und dafür zu sorgen, daß der schriftliche Nachlaß bedeutender Anwältinnen und Anwälte einer zentralen Archivierung zugeführt wird. Stefan König hat für die Anwaltschaft, besonders für die Strafverteidiger, ein wichtiges Buch geschrieben. Berlin, den 6. März 1987

Gerhard Jungfer Rechtsanwalt

Inhaltsverzeichnis Geleitwort von Gerhard Jungfer Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

Seite V XI XIII

Einleitung

l

Teil I: Ein Überblick über Geschichte und Vorgeschichte freier Advokatur und des Strafprozesses in Deutschland bis 1933

5

Der freie Advokat Das deutsche Elend Befreiung und Befreiung von der Befreiung Der öffentliche Prozeß Ansätze zur Selbstorganisation Vier Säulen freier Advokatur Strafprozeß und freie Advokatur Rechtsanwaltsordnung und Reichsstrafprozeßordnung Vom Dienst am Recht zum Organ der Rechtspflege Beistand des Beschuldigten oder Beistand des Gerichts? Verteidigerausschluß Rechtsanwalt Hans Litten und der Felseneck-Prozeß Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß Notverordnungen Autoritäres Strafrecht Die Anwaltschaft und der starke Staat Die „Judenfrage" Anmerkungen

7 8 9 10 11 11 12 13 13 14 16 18 21 23 24 24 26 27

Teil II: Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939

33

Kapitel 1: Die „Gleichschaltung" Vom DAV zur Reichsrechtsanwaltskammer Das Vertretungsverbot Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte Die gesetzliche Regelung Deutsch das Recht und deutsch die Männer Der Ausschluß der „kommunistischen" Anwälte Der Fall W. Proskriptionslisten

35 40 41 42 43 43 46 46 49

Inhaltsverzeichnis Gürtner contra Freisler Verteidigung im Auftrag der Roten Hilfe Auswirkungen auf die Verteidigung Wir wollen nicht ein Stand minderer Zuverlässigkeit sein Die „Totengräber des Standes" Anmerkungen

50 52 53 54 55 56

Kapitel 2: Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes I. Der EGH beim Reichsgericht II. Der EGH bei der Reichsrechtsanwaltskammer Sonderrecht für jüdische Anwälte Die Inpflichtnahme auf die nationalsozialistische „Bewegung" „Freiheit" der Verteidigung Die Fügsamkeit des EGH Anmerkungen

59 59 60 62 64 66 68 71

Kapitel 3: Topographie des Halbdunkels. Zum Wirken des politischen Strafverteidigers Beispiel 1: Siegburger Volkshausprozeß Beispiel 2: Alfons Sack und der Reichstagsbrandprozeß Beispiel 3: Kleiner Volksvereinsprozeß und ein Urteil des EGH Beispiel 4: Das Verfahren gegen Ernst Thälmann Exkurs: Sozialdemokratische Verteidiger Beispiel 5: Der Fall Gerhard Neumann u. a Widerruf von Geständnissen Rücksichten besonderer Art Freundschaftliche Kontakte Die Lücken und die Tücken des Apparates. Ein Resümee Anmerkungen

73 73 74 77 79 85 87 88 90 90 91 92

Kapitel 4: Verteidiger und Gestapo Eine „Denkschrift" Der „Doppelstaat" Schutzhaft und Recht Urteils korrekturen Der Rückzug der Gerichte Der Ausschluß der Anwälte Der Konflikt Die weitere Entwicklung Die zweite Runde Hintertüren. Auswirkungen auf den Strafprozeß Rechtsanwälte in Schutzhaft Sieben Beispiele Erfolglose Intervention des RMJ Ein letzter Vorstoß Anmerkungen

96 96 97 98 99 99 100 100 103 104 106 106 107 108 109 110

Kapitel 5: „Fremdvölkische" als Verfahrensbeteiligte Jüdische Anwälte Exkurs: Der Fall Fliess Der Ausschluß der Juden aus der Anwaltschaft

113 114 115 117

Inhaltsverzeichnis Die rechtliche Vertretung, insbesondere Verteidigung von Juden Polen Das Schicksal der polnischen Rechtsanwälte Verteidigung von Polen durch deutsche Anwälte Anmerkungen Kapitel 6: Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß von 1933 bis 1935 Eingriffe in die Gerichtsverfassung Exkurs: Sondergerichte und Volksgerichtshof Der Volksgerichtshof Verteidigung vor dem Volksgerichtshof Anmerkungen

XI 119 120 120 121 125 . . 129 130 133 137 138 140

Kapitel 7: Der Verteidiger in der Literatur bis 1935 Anmerkungen

145 147

Kapitel 8: Vorarbeiten zu einer Strafprozeßreform 1935-1939 Materielle Gerechtigkeit Geist statt Form Zweiteilung des Verfahrens Der Fortgang der Reformarbeiten Der Entwurf einer StVO von 1939 Anmerkungen

148 149 149 151 152 153 155

Kapitel 9: Zur Lage der Anwaltschaft nach 1933 und zur Reichsrechtsanwaltsordnung von 1936 158 Anmerkungen 160 Kapitel 10: Das Bild des Verteidigers seit 1935 161 Alfons Sack: Der Verteidiger und der neue Staat 161 Lotar Kühne: Der Verteidiger ohne fremdrechtliches Gewand 164 Weitere Literatur über den Verteidiger 165 Notwendige Verteidigung 166 Der Verteidiger in der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur . . 167 Der Verteidiger in den Vorstellungen des RMJ 168 Die Beratungen durch die Große Strafprozeßkommission 170 Der Bericht 174 Die zweite Lesung 175 Anmerkungen 176

Teil III: Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

179

Kapitel 1: Reformen im Schatten des Krieges Die Reformen der StPO Der Staatsanwalt Der (Berufs-)Richter Der Beschuldigte Lenkung der Rechtspflege Kriminalitätsbekämpfung durch die Polizei Die Vielfalt der Sanktionsgewalten

181 181 182 183 183 184 190 192

XII

Inhaltsverzeichnis Auswirkungen auf die Strafverteidigung Die Macht der Maßnahme Anmerkungen

192 194 195

Kapitel 2: Der Konflikt Das Schwarze Korps und die Anwaltschaft Die SS und der Verteidiger Der Fall Gröpke Das Urteil des Ehrengerichts Gelle Nachklang Hintergründe Reform der RRAO Der Konflikt Schwarzes Korps — RRAK Die „VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO" vom 26. 4. 41 . . . . Die Auswirkungen der VO Der Fall des Rechtsanwaltes M Dreckaufwirbler und Kloakentiere Kritik an den Verteidigern Andere „Meldungen aus dem Reich" Weitere Kritik und ein „ernstes Wort an meine Berufskameraden" Das Schicksal des NSRB Eingriffe in die anwaltliche Selbstverwaltung Der Fortgang der Reform VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO Reaktionen aus der Anwaltschaft Die Rechtsprechung der Dienststrafgerichte in Anwaltsangelegenheiten . . Anmerkungen

198 198 198 199 201 202 203 203 207 210 210 211 213 214 215 216 217 218 221 222 223 224 225

Kapitel 3: Die Verweigerung Das Geschäft mit der Verteidigung Der Rechtsanwaltsbrief Anmerkungen

229 232 235 236

Teil IV: Am Ende

239

Kapitel 1: Angst, Opportunismus und Verrat des Verteidigers Anmerkungen

241 244

Kapitel 2: Vom Alltag des Ausnahmezustands Verteidigung vor dem Volksgerichtshof Die Verteidigung vor Sondergerichten Das Ende Anmerkungen

246 246 250 252 252

Schluß Namensregister

255 257

Abkürzungsverzeichnis AcP AGO AnwBl ArbGerG ASD AV Az BA BBG BdF BNSDJ DAV DBG DJ DJZ DNVP DR DRiZ DStR DStrSen DVO EGH EGVG G GerS Gestapa GG GStA HOLG HV IfZ IML/ZPA IMT JbAkDR JMB1 JW KStVO KZ LA LArbGer LG

Archiv für civilistische Praxis Allgemeine Gerichtsordnung von 1793 Anwaltsblatt Arbeitsgerichtsgesetz Archiv für soziale Demokratie Allgemeinverfügung Aktenzeichen Bundesarchiv Berufsbeamtengesetz Bund der Frontsoldaten Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen Deutscher Anwaltsverein Deutsches Beamtengesetz Deutsche Justiz Deutsche Juristenzeitung Deutschnationale Volkspartei Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsches Strafrecht Dienststrafsenat Durchführungsverordnung Ehrengerichtshof Entwurf eines Gerichtsverfassungsgesetzes Gesetz Gerichtssaal Geheimes Staatspolizeiamt Generalgouvernement Geheimes Staatsarchiv Hanseatisches Oberlandesgericht Hauptverhandlung Institut für Zeitgeschichte Institut für Marxismus-Leninismus/Zentrales Parteiarchiv der SED Internationaler Militärgerichtshof Jahrbuch der Akademie für deutsches Recht Justizministerialblatt Juristische Wochenschrift Kriegsstrafverfahrensordnung Konzentrationslager Landesarchiv Landesarbeitsgericht Landgericht

XIV LJV MaR MdRRAK NotVO NSRB NSV OPG ORA PGS PJ PrALR PrJM RAK RAO RFSS RHD RMI RMJ RuPrJM RPrMI RRAmt RRAO RSHA RV RVerwBl SK SOPADE StA Stapo StVO VU WO Z ZAkDR ZStA ZVO

Abkürzungsverzeichnis Landes Justiz Verwaltung Meldungen aus dem Reich Mitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer Notverordnung Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberstes Parteigericht Oberreichsanwalt Preußische Gesetzessammlung Preußische Justiz Preußisches Allgemeines Landrecht Preußischer Justizminister/Preußisches Justizministerium Rechtsanwaltskammer Rechtsanwaltsordnung Reichsführer SS Rote Hilfe Deutschland Reichsinnenminister/Reichsinnenministerium Reichsjustizminiter/Reichsjustizministerium Reichs- und Preußischer Justizminister Reichs- und Preußischer Minister des Innern Reichsrechtsamt Reichsrechtsanwaltsordnung Reichssicherheitshauptamt Rundverfügung Reichsverwaltungsblatt Schwarzes Korps Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Exilorganisation) Staatsanwalt Staatspolizei Strafverfahrensordnung Voruntersuchung Vereinfachungsverordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht Zentrales Staatsarchiv der DDR Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, der Sondergerichte und sonstige verfahrensrechtliche Vorschriften, kurz: Zuständigkeitsverordnung

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XVI

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XVII

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BZ am Mittag Deutsche Allgemeine Zeitung Jüdische Rundschau

XXIII

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Stürmer Tagesspiegel Vossische Zeitung Welt am Abend

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Akten des Reichsjustizminiteriums R 22/253 R 22/256 R 22/257 R 22/259 R 22/260 R 22/261 R 22/262 R 22/263 R 22/266 R 22/267 R 22/270 R 22/1039 R 22/1041

R 43 II

R 58

Akten der Reichskanzlei R 43 II 1534 R 43 II 1534 c

R R R R R

22/1049 22/1050 22/1057 22/1079 22/1467

R 22/3379 R R R R R R

22/4003 22/4158 22/4258 22/4275 22/4694 22/4700

R 43 II 1535 R 43 II 1536 c

Akten des Reichssicherheitshauptamtc^ R 58/173 R 58/507 R 58/175 R 58/711 R 58/183

Ns 16

Akten des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes NS16 vol. 111 P 135 Akten des Preußischen Justizministeriums P 135/20155 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesit^ (GStA) Rep. 84 a Akten des Preußischen Justizministeriums Rep. Rep. Rep. Rep.

84 a 84 a 84 a 84 a

35 75 76 77

Rep. 84 a 106 Rep. 84 ä 8090 Rep. 84 a 20324 Rep. 84 a 20363

XXIV Rep. 90 P

Literaturverzeichnis Akten der Preußischen Geheimen Staatspolizei Rep. 90 P Nr. 66 Heft l Rep. 90 P Nr. 66 Heft 4

Hanseatisches Oberlandesgericht

Akten betreffend die Rechtspflege im Allgemeinen, die Justizverwaltung im Allgemeinen, die Zusammenkünfte der Vorstände der Justizbehörden zu gemeinsamen Besprechungen sowie die Angelegenheiten der Rechtsanwaltschaft 30011 b4 3131E1G/1/ 31311 a/l/ 31701 31311 a/2/ 31701 c 5/6 3131 E f/3 37121 3131 Elf/5/ Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) NG Nürnberg Government, Dokumente aus dem Juristenprozeß vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 1947 NG 399 NG 555 NG 400 NG 594 NG403 NG664 NG 404 NG 675 NG 469 NG 697 NG 485 NG 798 NG489 NG842 NG492 NG901 NG494 NG945 NG512 ^ * NG 532 NG535 NG536

PS

MA

NG2335

Pariser Sammlung. Von Oberst Storey in Paris zusammengestellte Dokumente, die im Juristenprozeß Verwendung fanden PS 651 PS 672 Mikrofilme von Akten der Dienststellen von SS und Polizei MA 441/1

Ms

Bestandsgruppe Manuskripte Ms 97 Protokolle der mündlichen Verhandlung vor dem IMT, zitiert nach dem Datum der Verhandlung Institut für Marxismus—Leninismus, Zentrales Parteiarchiv der SED Materialien, betreffend das Verfahren gegen Ernst Thälmann NL3/53 St 65/119 NL 1/6/3/375 Landesarchiv Berlin (LA Berlin) Rep. 20 Akten des Polizeipräsidenten in Berlin Rep. 20 Acc. 1968 Nr. 7760

(IML\ZPA)

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XXV

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Einleitung Daß der Beruf des Rechtsanwalts kein Gewerbe sei, sondern „Dienst am Recht", verkündete 1936 die „Reichsrechtsanwaltsordnung". Die Formel hat Geschichte. Mit ihr traten die Anwälte im 19. Jahrhundert an die Seite des Bürgertums, das gegen die als willkürlich empfundenen Gesetze der herrschenden Aristokratie sein besseres „Recht" einklagte. Dieses Spannungsverhältnis von Recht und Gesetz griffen die nationalsozialistischen Machthaber auf, um es auf den Kopf zu stellen. Sie wünschten den Juristen, der nicht am Buchstaben kleben solle, sondern dem „Recht" zum Siege verhelfe. Und als „gerecht" galt, „was dem Volke frommt"1, das hieß: das Interesse des nationalsozialistischen Staates. Ihm sollte sich auch der Anwalt unterwerfen, und der heutige Betrachter ist nicht selten geneigt, im Anwalt während der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft allein jenen „Diener am Recht" zu sehen. Er übersieht, daß diese Phrase auch zu damaliger Zeit kaum mehr als eine Phrase war. Wer nach der Rolle der Anwälte im Nationalsozialismus fragt, kann daher darin keine Antwort finden. Damit beginnen erst die Fragen. Diese Untersuchung, die ihnen nachgehen will, konzentriert sich auf die Bereiche, in denen der Anwalt in Gegensatz zum Staat tritt. Das ist besonders auf dem Gebiet der Strafverteidigung der Fall, auch auf dem des Verwaltungsrechts, insbesondere des Polizeirechts, das sich im „Dritten Reich" zu einer Art Sonderstrafrecht entwickelte. Es scheint daher legitim, auch hier von einer „Verteidiger"Tätigkeit zu sprechen. Die Spuren, die die Tätigkeit der Strafverteidiger im Nationalsozialismus hinterließ, sind rar. Anwälte schreiben keine Urteile oder Anklageschriften, ihre Plädoyers werden nicht protokolliert, meist in freier Rede gehalten, so daß Niederschriften selten überliefert sind. Untersuchungen, die sich mit der Rechtsprechung nationalsozialistischer (Straf-)Gerichte befassen, lassen den Einfluß, den Verteidiger in Schriftsätzen und Anträgen darauf nahmen, überwiegend außer Acht. Eine Ausnahme bilden die Untersuchungen von Edmund Zar^yc/ki2, die jedoch in deutscher Sprache bislang nicht vorliegen. Zar^yckis Befunde sind für den deutschen Strafverteidiger wenig günstig. Diese Situation reflektiert auch eine Schwäche der rechtshistorischen Forschung, die es — jedenfalls soweit sie sich mit den Jahrhunderten nach Erfindung der Buchdruckerkunst beschäftigt — gewohnt ist, sich auf publizierte Rechtsprechung und Literatur oder Gesetzgebungsmaterialien zu konzentrieren. Das ist ein Grund dafür, weshalb eine Geschichtsschreibung über die Anwaltschaft, die wesentlich enger mit der Sozialgeschichte verbunden ist als die des Justizapparates, über die beiden „Klassiker" von Weissler^1 und Ostler* hinaus wenig entwickelt ist. Ein weiteres Problem stellt sich dort, wo versucht wird, die Rolle der Strafverteidiger im Nationalsozialismus zu erforschen. Sie ist wesentlich ambivalenter als die

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Einleitung

der übrigen „Organe der Rechtspflege" und daher schwieriger festzulegen. Zum einen hat der Verteidiger selbst am Rechtsverlust dessen teil, für den er auftritt. Auch er erscheint daher als Opfer. Zugleich aber wird er, dem die offizielle Doktrin untersagte, Partei für den Verfolgten zu ergreifen, zum Komplizen der Macht, erscheint gerade er als Verräter. Wo zwischen diesen beiden Polen anwaltlichen Wirkens die Tätigkeit „der Strafverteidiger" im „Dritten Reich" angesiedelt war, wie einzelne von ihnen sich in die Richtung des einen oder anderen Extrems bewegten, läßt sich aus einer Fülle von verstreuten Materials nur bruchstückhaft rekonstruieren. Dabei waren Rechtsprechung und Literatur zur Stellung des Strafverteidigers aus der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft ebenso zu berücksichtigen, wie die damals erschienenen Arbeiten zum Strafprozeß und zur Gerichtsverfassung. Wiederzugeben waren auch die einschlägigen Gesetze, Verordnungen und Allgemeinverfügungen der zuständigen Ministerien. An veröffentlichter Literatur war auch die auszuwerten, die sich nach 1945 mit der Rolle der Justiz und der Anwaltschaft im Nationalsozialismus beschäftigte. Daneben wurden unveröffentlichte Quellen ausgewertet: Akten und Unterlagen verschiedener Justizverwaltungsstellen (Ministerien und Gerichte), anderer Bürokratien (Reichskanzlei, Preußische Geheime Staatspolizei, RSHA) sowie von Organisationen, die aus dem Exil heraus Widerstandsarbeit in Deutschland organisierten (Sopade, KPD), daneben Material aus privaten Nachlässen. Unterlagen von An waits kammern und Ehrengerichten sind leider kaum erhalten, entweder durch Kriegs- oder durch Nachkriegseinwirkung vernichtet. Manche wurden an unbekannten Ort verbracht. Eine Ausnahme macht die RAK München, deren Akten Heinrich* ausgewertet hat. Daß auch die Akten der RAK Danzig erhalten sind und in polnischen Archiven eingesehen werden können, erfuhr ich erst, als das Manuskript bereits abgeschlossen war6. Interviews mit Zeitzeugen, die im Laufe der Untersuchung entstanden, fanden in die Darstellung nur in stark reduziertem Umfang direkten Eingang in Form von Gesprächszitaten oder der inhaltlichen Wiedergabe mitgeteilter Erinnerungen. Damit soll nicht die Bedeutung dieses Forschungsmittels herabgesetzt werden. Häufig führten die Gespräche dazu, neue Aspekte der Untersuchung zu eröffnen, die dann anhand weiteren Quellenmaterials vertieft werden konnten. Im Interesse einer möglichst genauen Rekonstruktion des Gegenstandes wurde jedoch auf die Wiedergabe von Mitteilungen verzichtet, deren Inhalt anhand überlieferter Unterlagen präziser dargestellt werden konnte. Andererseits erschien es mir an einigen Stellen notwendig, — sei es aus Gründen größerer Anschaulichkeit der Darstellung, sei es, um Lücken in der schriftlichen Überlieferung zu schließen — Gesprächszitate wörtlich oder inhaltlich wiederzugeben, deren Richtigkeit nicht anhand von Dokumenten nachgeprüft werden konnte. Zur Erforschung der historischen Wahrheit schien es mir legitim, auch auf solche „Beweismittel" zurückzugreifen. Unbehagen mag bisweilen der Umstand auslösen, daß sich die Untersuchung an einigen Stellen auf Dokumente stützt, die nicht aus öffentlichen Archiven stammen und daher nicht jedermann zur Nachprüfung zugänglich sind. Dieses Manko ist u. a. der verworrenen Rechtslage auf dem Gebiete des Archivwesens geschuldet. Dort existieren zahlreiche Einzelvorschrif-

Anmerkungen

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ten, die den Zugang zu zeithistorisch bedeutsamen Materialien verschließen. Andere Unterlagen werden von den zuständigen Behörden nicht freigegeben, da vielfach Unklarheit über die Handhabung daten- und persönlichkeitsschutzrechtlicher Grundsätze besteht, eine Unsicherheit, die häufig zulasten der Benutzer „gelöst" wird7. Der Historiker ist daher gezwungen, sich das Vorenthaltene aus privaten Quellen zu besorgen. An einigen Stellen war es erforderlich, zum Verständnis des Gegenstandes über dessen engere Grenzen hinauszugreifen. So wurden Geschichte und Vorgeschichte der freien Advokatur und des bürgerlichen Strafprozesses bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme nachgezeichnet. Neben der Entwicklung von Standesrecht und Standesverfassung interessierten die Reformen von Strafprozeß und Gerichtsverfassung sowie Pläne zu ihrer weiteren Umgestaltung, die nur teilweise realisiert wurden. Besondere Aufmerksamkeit galt der Entwicklung des Polizeiapparates, der die traditionellen Kompetenzen der Strafjustiz weitgehend usurpierte und eine eigene „Kriminalitäts"bekämpfung jenseits justizieller Kontrolle etablierte. In diesem Zusammenhang waren auch die theoretischen Grundlagen sowie weitere faktische Auswirkungen des Sonderrechtsgedankens — etwa in der Behandlung „Fremdvölkischer" — zu erörtern. Untersucht wurden auch die übrigen Verschiebungen im Verhältnis von Justiz und Verwaltung und ihre Konsequenzen für den Strafverteidiger. Wer sich mit Justiz und Verwaltung im Nationalsozialismus beschäftigt, gerät (was ja naheliegt) leicht in Versuchung, sich auf die unmenschliche Perfektion und den reibungslosen Ablauf des Herrschaftsapparates zu konzentrieren, der, beispiellos in der Geschichte von Staaten, einen fatal verführerischen Reiz auf den Betrachter ausübt. Wo nach den Subjekten gefragt ist, die dem Ablauf dieser Maschinerie gelegentlich quergerieten, besteht dagegen die Gefahr einer Verklärung, die da, wo das Menschliche sich regt, gleich die Widerstandstat wittert. Damit ist ein Problem benannt, das sich jeder Alltagsforschung stellt, die sich mit der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft beschäftigt. Und diese Arbeit versucht die Umrisse des Alltags des Strafverteidigers im Nationalsozialismus nachzuzeichnen, die Grenzen, die ihm gesetzt waren und die Handlungsmöglichkeiten, die ihm blieben. Gefragt ist damit auch nach der Moral der Beteiligten, deren Entscheidung es — sehr weitgehend, wie zu zeigen sein wird — überlassen blieb, ob sie sich den Erwartungen der Machthaber fügten oder ihnen entgegentraten. Von Helden ist nicht zu reden, doch läßt sich der Gegenstand nicht auflösen in einer Rekonstruktion der Strukturen der Macht. Anmerkungen 1. 2. 3. 4.

Freister, DJ 36, 1630 Zar^yckj, 1976 und 1981 Weissler, 1905 Ostler, 1971; in diesem Zusammenhang ist auch die umfangreiche Darstellung Heinrichs über die Geschichte der RAK München zu nennen; Heinrich, 1979 5. Heinrich, 1979 6. Mitteilung von Prof. Dr. Edmund Zar^ycki, Bydgoszcz/Polen 7. Vgl. König, Archivar 1985, 193 ff

Teil I: Ein Überblick über Geschichte und Vorgeschichte freier Advokatur und des Strafprozesses in Deutschland bis 1933

Diese Darstellung widmet sich einem Abschnitt in der Geschichte der Strafverteidigung, in dem ihre Rolle verknüpft war mit dem Niedergang der Straf] ustiz zu einem häufig willfährigen Instrument in den Händen der damaligen Machthaber. Damit ging eine Einschränkung des Rechtes des Beschuldigten einher, sich bei seiner Verteidigung des Beistandes durch einen Anwalt seines Vertrauens zu bedienen. Eine Verteidigung, die sich den Interessen des Beschuldigten verpflichtet sieht, nicht denen anderer, etwa eines Staates, ist nicht denkbar ohne die Existenz einer unabhängigen Anwaltschaft. So hat eine Darstellung der Geschichte der anwaltlichen Strafverteidigung im Nationalsozialismus, die sich bemüht, auch deren Vorgeschichte erklärend zu berücksichtigen, zwei Entwicklungslinien zu verfolgen, die sich in ihr berühren: Die Genesis des Strafprozesses und die Historic des anwaltlichen Standesrechts. Der folgende Überblick wird zeigen, daß beider Schicksal häufig eng verbunden war. Die freie Advokatur, das moderne Idealbild einer unabhängigen Anwaltschaft, unabhängig von staatlicher, insbesondere gerichtlicher Überwachung, frei von Zulassungsbeschränkungen, ist in Deutschland eine Errungenschaft bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen. Sie faßten im Gefolge der Französischen Revolution hierzulande zu Beginn des 19. Jahrhunderts Fuß und erstreckten sich, u.a. wegen der bekannten Probleme des deutschen Bürgertums mit der Revolution, über das ganze Jahrhundert, ohne je recht zu sich selbst zu finden. Die Rechtsanwaltsordnung von 1879 schuf in Deutschland die Voraussetzungen eines unabhängigen Anwaltsstandes, dem die Reichsstrafprozeßordnung vom gleichen Jahr als Strafverteidiger die Gleichberechtigung mit dem Staatsanwalt versagte. Sie schrieb einen (Un-)Geist fest, der Lis^t1 zu dem Ausspruch veranlaßte, „daß unsere Gesetzgebung und mehr noch unsere Praxis das ihrige tun, allen feiner organisierten Naturen die Tätigkeit als Verteidiger zu verleiden." Daher soll die Aufmerksamkeit des Betrachters, bevor sie sich dem Zentrum ihres Interesses, der Zeit des Nationalsozialismus zuwendet, zunächst auf jene Epoche gelenkt werden, der wir das moderne Selbstverständnis vom Rechtsanwalt als Strafverteidiger verdanken.

Der freie Advokat Der freie Advokat ist das forensische Pendant zum citoyen. Wie dieser, der emanzipierte Bürger der französischen Republik, aus dem vom absoluten Herrscher regierten Raum in den Bereich der Gesetzmäßigkeiten herausschreitet, von allen geregelt und für alle gültig, so verläßt der freie Anwalt als Verteidiger im Strafprozeß das Zwielicht des geheimen und (in Deutschland) schriftlichen Inquisitionsverfahrens und tritt auf die Bühne des öffentlichen und mündlichen Verfahrens, wo er unter den Augen der Bürger für die richtige und gerechte Anwendung

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der allgemeinen Gesetze im Interesse des Einzelnen gegen die Repräsentanten des Ganzen, den Richter und den Staatsanwalt ficht. Diesen Idealtypus meinte Carre, der 1826 schrieb: „Si le juge sur son tribunal me parah revetu de la majeste royale, distribuant la justice au peuple,l'advocat dans ses functions me semble a son tour le depute de ce peuple entier, reclamant cette justice pour un de ses membres. Qu'est-ce que le juge? la voix du souverain. Qu'est-ce que l'avocat? la voix de la nation."2

Der Richter bleibt im Ruch des Königlichen, der Anwalt ist der Held. Allerdings besonders in seiner eigenen Vorstellung. Die französischen Revolutionäre schafften nämlich die „früher sogenannten Advokaten", deren Unabhängigkeit lange vor der Revolution begründet wurde, sogleich ab, ein Umstand, der übrigens auf die Initiative der Advokaten selbst zurückging, die es nicht hinnehmen wollten, nach Aufhebung des Anwaltszwanges und der Einführung zahlreicher kleiner Gerichte an Stelle der vornehmen Gerichtshöfe, Individuen vor Gericht gegenüberzutreten, die sie ihres Umgangs nicht für würdig erachteten3. Das deutsche Elend Ihre deutschen Kollegen konnten sich solche Nobilität nicht leisten. Sie befanden sich in abhängiger Stellung und gerieten — zunächst besonders im Strafverfahren — in den Ruch berufsmäßiger Querulanten, die die Prozesse verschleppten, das Recht verdrehten, von Rabulisten4. Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bewirkte dies die Entwicklung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, der, je mehr er unter den Einfluß des absolutistischen (Polizei)-staates geriet, seine — den Inquisiten schützende — Förmlichkeit verlor, während zugleich die Macht des Inquirenten wuchs5. Im Vertreter des Inquisiten, der Objekt, nicht Subjekt des Verfahrens war, erblickte man eine überflüssige Erscheinung. Da es dem Richter, der die objektive Wahrheit zu erforschen hatte, oblag, dabei von den (relativen) Interessen der Beteiligten zu abstrahieren, konnte ihm ein parteilicher Interessenvertreter nur hinderlich sein6. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts bürgerte sich auch in Deutschland die aus dem kanonischen Recht stammende Unterscheidung von Advokaten und Prokuratoren ein7. Die Advokaten durften lediglich außerhalb des Prozesses tätig werden, etwa durch Abfassen der Schriftsätze, während den Prokuratoren das Auftreten vor Gericht — mit Ausnahme des den Advokaten reservierten Plädoyers — vorbehalten blieb8. In Preußen war die Advokatur — wie anderswo auch — bis ins 17. Jahrhundert frei, die Prokuratur dagegen geschlossen und monopolisiert. Ab der genannten Zeit wurden jedoch auch für die Advokaten Zulassungsbeschränkungen eingeführt. König Friedrich Wilhelm I. reduzierte in einer sogenannten „fürchterlichen Musterung"9 die Zahl der zugelassenen Advokaten und Prokuratoren auf nicht einmal die Hälfte. Er zwang ihnen auch äußerlich die Insignien der Schande auf, indem er sie verpflichtete, schwarze Mäntel (bzw. Röcke) zu tragen, „damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten könne"10. Diese anwaltsfeindliche Tendenz kulminierte in der preußischen Kabinetts-Order

Befreiung und Befreiung von der Befreiung

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vom 17.4. 1780, die die Prokuratoren durch „Assistenzräte", die Advokaten durch sog. „Justizkommissare" ersetzte11. Erstere, die nunmehr allein befugt waren, vor Gericht aufzutreten, waren Beamte, standen in staatlichem Sold. Sie hatten die Aufgabe, das Gericht bei der Ermittlung der „objektiven Wahrheit" zu unterstützen, ohne dabei irgendein parteiliches Interesse zu berücksichtigen. Es nimmt daher nicht wunder, daß sie bei den streitenden Parteien unbeliebt waren, so daß das Experiment, das auf eine Initiative von Carmer zurückging, bereits 1793 aufgegeben wurde. In die AGO von 1793 wurden die Assistenzräte nicht übernommen. „Die Gewalt der Natur behauptete ihr Recht über alle menschliche Weisheit", kommentierte Feuerbach später diese Entwicklung, obwohl selbst ein leidenschaftlicher Verfechter der freien Advokatur 12 . Lediglich die Justizkommissare existierten weiter. Auch sie waren abhängig vom Justizministerium, das sie ernannte und dessen Disziplinargewalt sie unterstanden. Bezahlt wurden sie von den Parteien nach einer Gebührenordnung13.

Befreiung und Befreiung von der Befreiung Über die französisch besetzten Rheinlande drang zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Geist liberaler Institutionen auf deutschen Boden. Der französische Strafprozeß kannte unabhängige Gerichte, deren Rechtsprechung in schweren Fällen von Laien mitbestimmt wurde (Schwurgerichte). Die Anklage vertrat ein Staatsanwalt, das Verfahren war öffentlich und mündlich, die — mittlerweile wieder regenerierten — Anwälte in Kammern organisiert, die bei jedem Gericht gebildet wurden. Dieses „barreau" war berufen, seine Mitglieder zu vertreten, die Disziplin über sie auszuüben und dazu mit Strafgewalt über sie ausgestattet14. Dem Gericht blieb Disziplinargewalt für die Vergehen reserviert, die Anwälte in der vor ihm stattfindenden mündlichen Verhandlung oder in Schriftsätzen, die an es gerichtet waren, begingen. Dann kamen die sog. „Befreiungskriege", jener „Witz, den", wie Goethe bemerkte, „die Weltgeschichte auch noch brauchte". Sie brachten den Deutschen die Freiheit von französischer Besatzung und von einem großen Teil von deren demokratischen Errungenschaften, im übrigen die Herrschaft der Aristokratie wieder. Die Befreiung Deutschlands von fremder und eigener Herrschaft blieb auf halbem Wege stecken. In Rheinpreußen, Rheinhessen und Rheinbayern blieb jedoch das französische Prozeßrecht erhalten. Mit ihm bestand dort die freie Advokatur weitgehend fort15. In den politischen Kämpfen der folgenden Jahrzehnte erlangte das französische Prozeßsystem und die Einrichtung freier Advokatur eminente politische Bedeutung. Die Hauptakteure des „Hambacher Festes" von 1832, auf dem zum ersten Mal eine nationale Einigung der liberalen Bewegung versucht wurde, sprach das Landauer Geschworenengericht unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit frei16. Die Freigesprochenen wurden im Anschluß wegen geringerer Delikte (überwiegend Beleidigung) vor unteren Gerichten angeklagt, die mit abhängigen (Einzel-) Richtern besetzt waren. Diese Verfahren endeten mit mehrjährigen Haftstrafen17.

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Der öffentliche Prozeß Ihre politischen Ziele suchte die frühliberale Bewegung, zu schwach und regional zersplittert, um nach französischem Vorbild eine revolutionäre Umwälzung zu wagen (Versuche wurden im Anschluß an das Hambacher Fest unternommen, endeten jedoch im Fiasko des gescheiterten Frankfurter Wachensturms), durch Reformen zu verwirklichen, zu deren Durchsetzung sie öffentliche Auseinandersetzungen initiierte. Ihr wichtigstes politisches Instrument war die unabhängige Presse. Zu deren Schutz bildete sich im Februar 1832 die erste nationale parteiähnliche Organisation des Liberalismus in Deutschland, der „Preß- und Vaterlandsverein". Politische Zeitungen entstanden, unter ihnen hervorragend Wirths „Deutsche Tribüne"18. In dieser Epoche entwickelte sich jener Begriff von der „Öffentlichkeit", die als stets gegenwärtige Wächterin über die politischen Vorgänge ein konstitutives Element modernen Demokratieverständnisses geworden ist. Ihre Präsenz im Strafverfahren gewährleistete der öffentliche und mündliche Prozeß, der zugleich dazu diente, das Bewußtsein der Bürger im Hinblick auf Ursachen und Wirkungen von Übereinstimmung und Abweichung der psychischen und gesellschaftlichen Phänomene mit oder von dem System allgemeiner Gesetzmäßigkeit zu schulen. Er wurde, wie Femrbach™ darlegte, der „Hörsaal" des Bürgers, in dem ihm „die Natur selbst in merkwürdigen Erfahrungen ihre Lehren zu vernehmen gab ... Die Beschaffenheit der ... Triebfedern, welche unter gegebenen Umständen, durch das Zusammenwirken entfernter und naher Veranlassungen, den Willen zu verbrecherischen Entschlüssen in Bewegung setzen ..."'9

Redeberechtigter, zugleich rechtskundiger Repräsentant jener assemblee generale einzelner Bürger, der Öffentlichkeit, im Verfahren war der Anwalt. Er fühlte sich um so mehr berufen, die Interessen der rechtsuchenden Bürger gegen den Staat zu verfechten, als er wegen der schlechten Behandlung, die ihm deutsche Staaten jahrhundertelang angedeihen ließen, ohnehin zu oppositioneller Haltung neigte. Sein Stand wurde — nicht nur von sich selbst — mit dem Lorbeer hoher Ideale bekränzt, galt geradezu als Garant einer „grundsätzlichen Verbesserung unserer Prozeßeinrichtungen". „Der Stand der Advokaten ist es, der überall als Ratgeber der Hülfsbedürftigen, als Vertreter der Bedrängten, als Controle der Richter, als ewig wachender Beschützer aller Unterdrückten, als Dolmetscher der ergangenen Urtheile, als Gesetzesklärer erscheint."20

So trat das Wunschbild vom freien Advokaten gleichberechtigt neben die wichtigsten politischen Forderungen der Zeit: „Unter dem Schutz der Öffentlichkeit bricht das Talent sich bald Bahn, und die Mittelmäßigkeit, die im Halbdunkel des Geheimnisses täuschen kann, muß zurückbleiben. Die durch Preßfreiheit verstärkte Kraft der öffentlichen Meinung ist es, die bald auf den talentvollen ausgezeichneten Advokaten die öffentliche Stimme lenkt und ihn mit dem allgemeinen Vertrauen beehrt."21

Es ist danach kein Zufall, daß sich unter den führenden Liberalen viele (z. T. ehemalige) Anwälte befanden:

Vier Säulen freier Advokatur

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Von Wirth, dem Herausgeber der Deutschen Tribüne, war bereits die Rede. Er praktizierte ab 1821 als Advokat in Bayreuth, bis er nach München, später Homburg (Pfalz; heute Saar) übersiedelte22. Schüler und Savoye, beide Anwälte in Rheinbayern gehörten zu den politischen Köpfen; Schüler war Vorstandsmitglied des „Preß- und Vaterlandsvereins"23. Hecker, zunächst Liberaler, später Sozialdemokrat, war 1848 Anführer der Aufständischen in Baden und seit 1838 Obergerichtsadvokat in Mannheim24. Aus Mannheim kamen auch die Advokaten von Struve und Loren^ Brentano (zugleich Prokurator)25. Nach der Revolution von 1848 gelangten in vier Staaten Rechtsanwälte in Ministerpositionen. Von Wydembruck wurde in Weimar auf den Schultern der Menge vors Schloß getragen. Neunzig Rechtsanwälte gehörten der Paulskirchenversammlung an26.

Ansätze zur Selbstorganisation Entsprechend wurden die Vereinigungen und Versammlungen der Anwälte von den Regierungen mißtrauisch beobachtet. Die ersten Advokatenvereine bildeten sich zur Zeit der Insurrektionen, die in einigen deutschen Staaten dem Vorbild der französischen Julirevolution von 1830 zu folgen versuchten; freilich ohne nachhaltigen Erfolg: in Darmstadt entstand ein Advokatenverein 1831, in Kassel 1833, in Baden 1831 und in Hannover ebenfalls 183l27. Den ersten nationalen Anwaltstag, 1844 nach Mainz einberufen, versuchte die preußische Regierung zu verhindern, indem sie — unter Berufung auf ein „Edikt wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen, welche der allgemeinen Sicherheit nachteilig werden können" — den preußischen Justizkommissaren die Teilnahme untersagte. Die Versammlung wurde zuletzt verboten; dennoch reisten viele Anwälte an, wohnten demonstrativ einer Schwurgerichtsverhandlung nach französischem Prozeßrecht — wie es in Mainz galt — bei und traten in einer Erklärung für die Einführung des öffentlichen, mündlichen Verfahrens ein. Auch der Versuch, im folgenden Jahr einen nationalen Anwaltstag zu organisieren, gelang erst nach mehrmaligem Wechsel des Tagungsortes28.

Vier Säulen freier Advokatur Die Bewegung der Anwälte bildete Forderungen heraus, die sich im wesentlichen auf vier konstitutive Elemente der freien Advokatur reduzieren lassen. — Entlassung aus der Beamtenstellung — Bildung von Advokatenkammern, die allein die Disziplinargewalt über ihre Mitglieder ausüben. — Zulassung freier Honorarvereinbarung; Erlaß einer mit ausreichenden Sätzen versehenen Taxordnung zur Berechnung der von der Gegenseite zu ersetzenden Kosten und zur subsidiären Geltung bei fehlender oder streitiger Honorarvereinbarung. — Freigebung der Advokatur; Aufhebung des numerus clausus und damit des Einflusses der Regierungen auf die Zulassung; Einführung eines Zulassungsan-

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Spruchs für jeden, der die gesetzlichen Voraussetzungen (insbesondere Rechtsgelehrtheit) erfüllt. Diese vier Säulen der freien Advokatur sollten in einer Anwaltsordnung verankert werden29.

Strafprozeß und freie Advokatur Die zweite Hälfte der 40er Jahre brachte zwar in einigen Staaten Reformen des Strafprozesses: In Preußen 1846 den Akkusationsprozeß mit Einrichtung einer Staatsanwaltschaft, Einführung des öffentlich-mündlichen Hauptverfahrens; 1849 des öffentlich-mündlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen30. Die Forderung nach freier Advokatur blieb indes unerfüllt, und der nun endlich aus dem Zwielicht des Inquisitionsprozesses heraustretende Verteidiger fand sich in einem Szenario wieder, das ein bayerischer Anwalt so beschrieb: „Mit welchem Herzklopfen traten wir damals aus der geheimen Aktenstube mit ihren Stößen nutzlos verschriebenen Papiers in den neu eingerichteten, zum ersten Male dem Volke zugängigen öffentlichen Gerichtssaal. Hoch oben auf ihren gepolsterten Sitzen die Richter in ihren funkelneuen glitzernden Uniformen, der Vorsitzende gleich dem olympischen Jupiter, der Staatsanwalt ebenso hoch zu Rosse, der Verteidiger aber in der entferntesten Ecke des Zimmers an einer Art von Katzentischchen, ohne Gelegenheit mit dem ihm oktroyierten schwarzen Fracke zu prunken, von den Göttern des Olymps unbeachtet, bei dem ersten mißliebigen Worte vom Vorsitzenden an- und abgeschnauzt."31

Gneist, der 1861 mit einer viel beachteten Schrift für die freie Advokatur eintrat, beklagte daher, daß die Segnungen der Strafprozeßreform nach französischem Vorbild mangels fähiger Strafverteidiger nur in beschränktem Maße zur Geltung kämen. Diesen Mißstand führt er auf die zu geringe Anzahl zugelassener Rechtsanwälte zurück, wofür die „monopolisierte Advokatur" verantwortlich sei32. Folgerichtig trat er für die Freigabe ein, eine Forderung, die allerdings unter den zugelassenen Anwälten selbst umstritten war, da sie die Konkurrenz der Nachrückenden fürchteten. „Diese eigenthümliche Erscheinung, daß jedes geschützte Gewerbe ,Überfüllung' behauptet, kehrte hier wieder."33 Besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überwogen die Befürworter von Zulassungsbeschränkungen. Erst nach 1850 setzten sich die Anhänger des Freigebungsgedankens durch34. Dagegen blieb der Widerstand staatlicherseits bestehen. Das hatte besonders politische Gründe, die aus dem weiter anhaltenden Mißtrauen gegen den Anwaltsstand als Sammelbecken oppositioneller Bestrebungen resultuerten. „Von jeher", schrieb die Preußische Gerichts^eitung 186l35, „hat eine Anhäufung unbeschäftigter Sachwalter für besonders gefährlich gegolten: in unseren Zeiten, wo politisches Parteiwesen und politische Gährung alle Sphären der bürgerlichen Gesellschaft durchdringt, möchte die Gefahr doppelt imminent sein."36

Gneist sah in der „Idee von der politischen Gefährlichkeit des Advokaten" ein „verbreitetes und zäh erhaltenes Vorurteil."37

Vom Dienst am Recht zum Organ der Rechtspflege

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Rechtsanwaltsordnung und Reichsstrafprozeßordnung Hiervon konnte sich der Reichsgesetzgeber erst 1878 befreien. Die Rechtsanwaltsordnung vom 1.7. dieses Jahres38, das sechste der sog. Reichsjustizgesetze, verwirklichte die Grundvoraussetzungen freier Advokatur: Freigabe der Advokatur (außer beim RG), d. h. Zulassungsanspruch unter bestimmten gesetzlich geregelten Voraussetzungen, Selbstverwaltung durch Anwaltskammern, eigene Disziplinargewalt (freilich in zweiter Instanz von dem — mehrfach mit Richtern besetzten — EGH am Reichsgericht ausgeübt). Das Gesetz hatte eine bewegte Entstehungsgeschichte. Zunächst sollten die Bestimmungen über die Anwaltschaft in das GVG aufgenommen werden. Das verhinderte ein nachhaltiger Widerstand des Bundesrates, der unter Bismarcks Einfluß darauf drängte, eine isolierte Anwaltsordnung zu verabschieden. Dahinter stand das Interesse, eine Vorschrift durchzusetzen, die gewesenen Beamten die Zulassung versagen sollte, denn für (politisch) disziplinierte Beamte ist die Rechtsanwaltschaft von jeher eine Zufluchtsstätte gewesen39. Heftig umstritten war auch die gesetzliche Regelung des Strafprozeßrechts in der StPO. Vorentwürfe hatten sich, wenn auch widersprüchlich in den einzelnen Bestimmungen, grundsätzlich zum Prinzip der Waffengleichheit der Parteien bekannt40. Dennoch nahm das Gesetz41 zuletzt eine „häßliche Bastardform" (Binding) an, wurde eine unbefriedigende und viel kritisierte Vermischung akkusatorischer und inquisitorischer Elemente. Es beließ den Richter in der Rolle des Inquirenten, der die Wahrheit von Amts wegen zu ermitteln hat. Zwar waren durch § 239 auch Elemente eines Parteiverfahrens aufgenommen worden, die Vorschrift erlangte jedoch nie große Bedeutung42, und der Verteidiger blieb gegenüber Staatsanwalt und Gericht in jener inferioren Stellung, in der er sich seit seiner Emanzipation vom Inquisitionsprozeß befand. Vom Dienst am Recht zum Organ der Rechtspflege Mit der politischen Emanzipation des Bürgertums hatte sich auch der Boden, auf welchem der Anwalt als Verteidiger focht, verändert. Jenes individuelle „Recht", Synonym einer Ordnung, die natürliche subjektive Menschenrechte in einem System allgemeiner, gleich gültiger Gesetzmäßigkeit gegen die Willkür der Partikulare einlöste, war mit dem historischen Sieg der Klasse, die es nun mit der Eroberung der Macht im (National)Staat durchgesetzt hatte, aus dem Lager der Opposition in das der Herrschenden übergewechselt. So verlor der Gegensatz zwischen der „voix du souverain", dem Richter, und der „voix du peuple", dem Anwalt, objektiv an politischer Spannung, während er in der Polemik von Seiten der Richterschaft, besonders des Deutschen Richterbundes, gegen die Anwaltschaft, „den geborenen Feind des Richterstandes", in den beteiligten Subjekten noch lange fortlebte43. Der „Dienst am Recht", aus dem der Anwaltsstand einst sein politisches Credo in der Auseinandersetzung mit der feudalen Obrigkeit entwickelte, wurde nun zum Treuschwur auf den Selbsterhaltungstrieb bürgerlicher Ordnung. In diesen begrifflichen Konturen übernahm das „Dritte Reich" das ehrwürdige Glaubensbe-

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kenntnis aus der Früh2eit anwaltlicher Emanzipation und machte daraus eine Art Idee fixe juristischer Festreden über die veränderte Rolle des Anwalts. Der „Dienst am Recht" verkam zuletzt zum Synonym für die angestrebte Unterwerfung des Anwalts unter das Herrschaftsinteresse des Nationalsozialismus. Zugleich tat sich — mit der Verlagerung der politischen Fronten — eine neue Polarität auf. Die erwachende Arbeiterbewegung, der es, je mehr ihr politischer Einfluß wuchs, gelang, ihre Forderungen in Rechtsnormen zu übersetzen, fand hierfür rechtsgelehrte Unterstützung in den Reihen der Anwaltschaft, aus der einige ihrer bedeutendsten Führer hervorgingen: Ferdinand Lassalle, Karl Liebknecht und Paul Let>i44. Bei ihrer Parteinahme in den sozialen Auseinandersetzungen versuchte die Justiz den Anwalt auf ihre Seite zu ziehen. Im Strafprozeß verschob sich daher bei der Wertung der Stellung des Verteidigers der Schwerpunkt von der Rolle eines Beistandes bzw. Vertreters des Beschuldigten zu der eines Beistandes des Gerichts. Beistand des Beschuldigten oder Beistand des Gerichts? Weissler beklagte 1906 den Verfall der „Reinheit der Berufsauffassung": „Zumal in Strafsachen erinnert man sich kaum noch des Satzes, daß der Anwalt im Dienste des Rechts arbeitet."45 Er fand seine Sorge dadurch bestätigt, daß selbst der große Lis^t46 für den Verteidiger das Recht rekupierte, gegen seine Überzeugung den einseitigen Parteistandpunkt zu vertreten, selbst im Falle, daß der Mandant unter vier Augen ein Geständnis ablegt, auf „nicht schuldig" zu plädieren. Die überwiegende Anzahl der juristischen Schriftsteller ordnete den Verteidiger dem Interessenkreis des Beschuldigten zu, als dessen Beistand sie den Verteidiger begriff, allein verpflichtet, den Mandanten bei der Wahrnehmung seiner Rechte und der Durchsetzung seiner Interessen zu unterstützen47. Eine Ansicht, die — zivilistisches Denken für den Strafprozeß adaptierend — im Verteidiger den Vertreter des Beschuldigten erblickte, blieb dagegen Mindermeinung. Ihr wurde entgegengehalten, daß etwa der Verteidiger den abwesenden Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht mit der Wirkung vertreten könne, daß dessen Anwesenheit entbehrlich werde. Auch die Rechte, die die StPO an verschiedenen Stellen nur dem Verteidiger, nicht aber dem Beschuldigten einräumt, schienen einer Vertreter-Position des Verteidigers zu widersprechen48. Eine weitere Auffassung war bemüht, autoritärem Denken in der Umschreibung der Rechtsstellung des Verteidigers Geltung zu verschaffen. Für sie bewegte sich der Verteidiger nicht nur in der Interessensphäre des Beschuldigten, sondern nahm auch staatliche Belange wahr, indem er für die öffentlichen Zwecke einer gerechten Strafrechtspflege tätig werden sollte mit dem Ziel, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen49. Diesen Ansatz machte sich auch der Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte zueigen, der im Rechtsanwalt ein „Organ der Rechtspflege" sah, zum ersten Mal in einer Entscheidung aus dem Jahr 189350. Die Fälle, in denen die Formel zum Einsatz gelangte, zeigen, daß sie zwar wohlklingend, jedoch von Anfang an nicht zur Aufwertung der Stellung des Rechtsanwalts sondern zu seiner Disziplinierung bestimmt war51. Andere Entscheidungen des EGH bezeichnen den Rechtsanwalt als „Glied der Rechtspflege"52 oder „Organ der Rechtsprechung, das dieselbe

Beistand des Beschuldigten oder Beistand des Gerichts?

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Verpflichtung zur Herbeiführung eines unparteiischen Richterspruchs hat, wie die sonst am Verfahren beteiligten Amtspersonen."53 Die Formel vom „Organ der Rechtspflege" wurde bald auch von der Literatur adaptiert, ähnliche Termini wurden in Anlehnung daran geprägt. Anhänger fand damit aber lediglich die verbale Hülse, das Etikett, während seine begriffliche Substanz unklar, beliebig austauschbar blieb54. Rudolf Dix, später Präsident des DAV, von dessen umstrittener Rolle bei der Auflösung des Vereins noch die Rede sein wird, unternahm 1907 den Versuch einer dogmatischen Ableitung der Organstellung55 und gelangte zu dem Ergebnis, daß der Verteidiger ein Staatsamt innehabe. Diese Stellung zwinge ihn, „überall da, wo der Wille des Angeklagten dem Verteidiger zumutet, etwas der Aufgabe der Strafrechtspflege, der Erforschung materieller Wahrheit hinderliches zu tun, diesen Willen zu ignorieren."56 Eine Mißachtung dieser Pflicht müsse eine Bestrafung nach §257 StGB nach sich ziehen57. Pointierter hat Dix seine Auffassung von der Stellung des Rechtsanwaltes im Strafverfahren im Jahr 1934 formulieren können, als er ihn als „unbeamteten Hoheitsfunktionär" bezeichnete58. Der gegensätzliche Standpunkt, vorgetragen von der Warte einer liberalen Rechtsauffassung, die den Verteidiger der Individualsphäre des Beschuldigten zuordnete, dem Richter als Repräsentanten des Ganzen notwendig, jedoch produktiv, entgegengesetzt, fand Vertreter in den Rechtsanwälten Max Aisberg und Sigbert Feucbtwanger^. Aisberg*® formulierte eine erkenntniskritische Ableitung der Aufgaben des Verteidigers, der „den hochgemuten, voreiligen Griff (des Richters) nach der Wahrheit (zu) hemmen" habe61. Er sah den Verteidiger in der Rolle eines Künders, bewegt von „einer Art übernatürlicher Erleuchtung."62 Eines Künders fremder Ideen, der, indem er seinem Klienten gegen das herrschende Recht („ein Machtphänomen") zum Siege, zugleich dem Ideenkreis, dem der Angeklagte entstammte, zum Recht verhelfe: „Der wertkritischen Läuterung des Rechts dient damit zugleich sein Wirken."63 Nicht unbedingt auf einem solchen Niveau der Reflektion mußte die Tätigkeit des Verteidigers nach Aisbergs Ansicht angesiedelt sein. Auch im Miterleben fremden Leids, das sich auf eigenartige Weise in einer Straftat artikulierte, und im Übertragen des Erlittenen auf andere, könne der Verteidiger die Erfüllung seiner Aufgabe, die letzte und höchste finden64. Die „tragische Grundstimmung", die aus dieser „Einfühlung in die Seele des Angeklagten" entstehe65, müsse der Verteidiger „als verfestigten Sinneseindruck ausströmen durch das Medium der rednerischen Formungskraft", „erlebniszeugend durch sein Miterleben"66. Das verpflichte den Verteidiger nicht zur Sympathie für den Täter, denn seine Sympathie gelte dem Recht. Doch auch da, wo das gesetzliche Recht die Tat des Klienten nicht decke, sei doch das Mitgefühl des Verteidigers in seinem Berufsethos verankert, das auch den Rechtsanspruch des schuldigen Individuums zu verwirklichen gebiete, dessen „Tat nicht nur als eine Verwirklichung des Unrechts, sondern auch als eine Fügung begriffen wird, die aus der Tiefe und Notwendigkeit des Einzelschicksals geboren wird."67 Diesem Verteidiger stehe der Richter gegenüber, dessen primäres Denken auf die Totalität des Rechts gerichtet sei. Beide „Organe der Rechtspflege" (Aisberg machte sich diesen Begriff

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hier zu eigen) befänden sich in einem wechselseitigen Lebensprozeß: „Zwei Welten wölbt ihr Geistesbau zu einer."68 Feucbtwanger*® schrieb: „Die Gloriole, die das Volk um das Haupt des Verteidigers windet, und die Feindseligkeit des Berufsrichters gegen ihn gehören zusammen. Er arbeitet da mit allen Mitteln, die der Kampf gegen eine starre und darum unsittliche Macht notwendig macht, also sittlich rechtfertigt, mit List, notfalls selbst Lüge, im Namen des besseren Rechts gegen das schlechtere, als bewußter Kryptosoziologe, wo andere Mittel versagen, als Organ der Gerechtigkeit. Individuelle Unmoral kann berufsethische Pflicht sein. Zweischneidige Waffen lasse der Stand sich nicht entwinden, sondern erziehe seine Genossen zu verantwortungsbewußter und gewissenhafter Führung gefährlicher Waffen."

Bemerkenswert ist an dieser Stelle noch Felix Halles Schrift „Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht?"70, die in mehreren Auflagen Verbreitung fand. Der Autor, aktiver Kommunist, formulierte darin Regeln und Ratschläge, wie sich der von der Klassenjustiz verfolgte Proletarier zu verteidigen habe. Dazu gehörte die Mahnung, in der Prozeßgestaltung nichts ohne Absprache mit dem Verteidiger zu tun. Ihm obliege die juristische Führung des politischen Angeklagten, der die Verhandlung als wichtigen Schauplatz klassenkämpferischer Auseinandersetzung nutze. Das Reichsgericht zögerte lange Zeit, die Lehre von der Organstellung des Verteidigers zu übernehmen. Es vertrat zunächst „scharf, überzeugend und mit wohltuender Wärme" (Oborniker71) die Ansicht, der Verteidiger sei zur Wahrheitsfindung nur zugunsten des Beschuldigten berechtigt und verpflichtet72, und folgte damit der in der Literatur herrschenden Meinung, die im Verteidiger allein den Interessenvertreter des Beschuldigten sah73, nicht nur nicht verpflichtet, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen, vielmehr sogar einer „schweren Pflichtverletzung" schuldig, wenn er „zur Überführung und Verurteilung seines Klienten beitragen wolle"7* Das änderte sich im Jahr 1926. Nun fand die Formel vom „Organ der Rechtspflege" — und zwar, wie die Anwendungsfalle zeigen, als politischer Kampfbegriff zur Abwehr oppositioneller, insbesondere kommunistischer Verteidiger — Eingang in die Judikatur des höchsten Gerichts.

Verteidigerausschluß Die ersten, die davon betroffen waren, hießen Obuch und Horstmann, der erstere ein kommunistischer Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der Roten Hilfe Deutschlands, der zweite sein Sozius. Dem 4. Strafsenat, der die beiden Verteidiger in zwei Strafverfahren durch Beschlüsse vom 5.10., bestätigt am 2.11.26, und vom 8.10.26 ausschloß75, saß der vormalige Präsident des Staatsgerichtshofs vor76. Dieses Gericht, durch das sog. Republik Schutzgesetz eingerichtet und 1926 wieder aufgelöst, war das erste in der Geschichte des deutschen Strafprozesses nach der StPO, das einen Verteidiger ausschloß, und zwar den — kommunistischen — Rechtsanwalt Samter, Berlin, im sog. T/^/kz-Prozeß77.

Verteidigerausschluß

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Ihn ließ der Vorsitzende in Ausübung — bzw. wie manche meinten, in Anmaßung — sitzungspolizeilicher Gewalt von zwei Polizeibeamten aus dem Gerichtssaal entfernen78. Der Vorfall provozierte heftige Auseinandersetzungen in der juristischen Literatur79. Der Rechtsanwalt Graf von PesiaJo^a60 hielt bereits die Frage, ob der Vorsitzende des Staatsgerichtshofes zur gewaltsamen Entfernung des Verteidigers aus dem Sitzungssaal befugt gewesen sein könnte, für so abwegig, daß er sie mit der Gegenfrage beantwortete: „Darf das Gericht während des Plädoyers sich mit Kartenspielen vergnügen oder darf der Staatsanwalt die Wirkung seines Plädoyers durch Einlage eines selbstgesungenen Liedes erhöhen?"

Der vierte Strafsenat des RG wählte in seinem Beschluß vom 8.10. 26 eine andere Begründung als der Staatsgerichtshof. Er warf dem Rechtsanwalt Obuch vor, sich dem Verdacht der Begünstigung seines Mandanten ausgesetzt zu haben, so daß seine weitere Mitwirkung im Interesse der Erforschung der objektiven Wahrheit sich verbiete. Die Kritik an diesem Beschluß81 entzündete sich besonders daran, daß das RG hier eindeutig und entgegen seiner eigenen Begründung gegen das geltende Recht gehandelt hatte, das einen Verteidigerausschluß nicht vorsah. Aisberg kritisierte die tänzerische Leichtigkeit, mit der das Gericht nach nur oberflächlichen Ermittlungen dazu gelangt sei, seine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Seinen Argwohn weckte auch die „geradezu ideale Verklärung" der Stellung des Verteidigers, die das Gericht in Aisbergs Augen vornahm, indem es den Verteidiger — entgegen früherer Rechtsprechung — zum „gleichberechtigten Organ der Rechtspflege" erklärte. Der DAV regte eine Ergänzung der StPO um eine Vorschrift an, die den Ausschluß des Verteidigers dann und nur dann für zulässig erklären sollte, wenn gegen ihn die öffentliche Anklage (oder Privatklage) erhoben worden sei. Der 4. Strafsenat ging den einmal eingeschlagenen Weg weiter. Zwei weitere Beschlüsse, mit denen ein Verteidiger ausgeschlossen wurde, betrafen wieder einen kommunistischen, den Rechtsanwalt Samter, Berlin82. Erneut berief sich das Gericht auf die Organstellung des Verteidigers, aus der seine „Pflicht zur unbefangenen, objektiv juristischen Beurteilung der Sachlage" folge. Hierzu sah es Samter außerstande, da er in einem Fall als Zeuge im gleichen Verfahren vernommen worden, im anderen verdächtig gewesen sei, an der Straftat seines Mandanten beteiligt zu sein. Die Teilnahme bestand in den Augen des Gerichts darin, daß Verteidiger und Mandant kommunistische Funktionäre waren, daher an der Vorbereitung „desselben hochverräterischen Unternehmens" beteiligt, das, „wie gerichtsbekannt, von dem Funktionärskörper der KPD betrieben wird." Der Verdacht erschien selbst der Reichsanwaltschaft so konstruiert, daß sie es — trotz Anregung durch den Vorsitzenden — ablehnte, Antrag auf Nichtzulassung Samters als Verteidiger zu stellen83. Anklage wurde gegen ihn nie erhoben84. Das Gericht beanspruchte überdies für sich das Recht, „dafür zu sorgen, daß der Verteidigerposten richtig besetzt wird."85 Auch hierfür gab es — noch — keine gesetzliche Grundlage. Der Vorstand der Berliner Anwaltskammer sprach die Befürchtung aus, „daß besonders in politisch bewegten Zeiten gegen einen Verteidiger schon aus seinen Verteidigungsschriften und Verteidigungsreden der

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Verdacht der Begünstigung und damit die Ausschließung von der Verteidigung hergeleitet werden könnte."86 Das waren nicht die einzigen, die die Rechtsprechung des 4. Senates mit bösen Ahnungen erfüllte. Oborniker meinte, in Konsequenz des zweiten Beschlusses dürften künftig kommunistische Anwälte keine Kommunisten mehr verteidigen, da ja — nach der Rechtsprechung des RG87 — alle Kommunisten der Vorbereitung des Hochverrates verdächtig seien. Als ihre Verteidiger blieben dann nur noch Parteigegner. Bald sollten seine Befürchtungen wahr werden. Der „Geist der Bevormundung" (Ernst Wolff) gegenüber den Verteidigern griff nun nach höchstrichterlichem Vorbild auch auf die Untergerichte über. Das Amtsgericht Harzburg verurteilte den Rechtsanwalt Frank, der als Verteidiger in einem Plädoyer einen Polizeibeamten des voreiligen Knüppeleinsatzes bezichtigt hatte, wegen Verleumdung zu einem Monat Gefängnisstrafe. Der Polizeibeamte als Nebenkläger forderte „Todesstrafe, mindestens aber die Höchststrafe von zwei Jahren"88. Zum Vergleich: ein nationalsozialistischer Angeklagter, der den gegnerischen Anwalt geohrfeigt hatte, wurde vom Berufungsgericht freigesprochen89. Ein weiterer Verteidiger-Ausschluß ereignete sich vor einem Berliner Schwurgericht im sog. Fe/senefk-Piozeß (August 1932). Das Verfahren verdient — auch wegen des ausgeschlossenen Anwalts — besondere Aufmerksamkeit.

Rechtsanwalt Hans Litten und der Felseneck-Prozeß Eine Ausnahmeerscheinung unter den Strafverteidigern vor den Gerichten der Weimarer Republik war der Rechtsanwalt Hans Litten. Geboren am 19. Juni 1903 war er noch nicht achtundzwanzigjährig, als es ihm am S.Mai 1931 als Nebenklägervertreter im sog. „Eden-Palast-Prozeß" gelang, den Zeugen Hitler durch geschicktes Befragen so weit in die Enge zu treiben, daß dieser zuletzt gezwungen war, seine Verfassungstreue zu beschwören90. Sein Zusammenstoß mit Litten blieb Hitler so schmerzhaft im Gedächtnis, daß er sich später, als der Anwalt im Konzentrationslager gefangen gehalten wurde, gegen alle Vorstöße selbst prominenter Nationalsozialisten — unter ihnen auch Freislers — Littens Entlassung zu erwirken, beharrlich verschloß91. In der Nacht vom 4. zum S.Februar 1938 erhängte sich Litten im KZ Dachau. Ein fünfjähriges Martyrium fand damit sein tragisches Ende. Litten, der selbst ein distanziertes Verhältnis zur KPD hatte (Olden schilderte ihn als „franziskanischen Menschen"92), trat in vielen Prozessen als Verteidiger im Auftrag der Roten Hilfe Deutschland auf. Bekannt wurde er auch durch seine recht unkonventionelle Art, eigene Ermittlungen anzustellen. So trat er auf öffentlichen Versammlungen auf und vernahm Zeugen vor der Menge93. Sein Mißtrauen gegenüber der Voreingenommenheit von Staatsanwaltschaft und Polizei, die Sympathien für die nationalsozialistische Bewegung, die er bei den Ermittlungsbehörden vermutete, veranlaßten ihn oft, selbst Beweismaterial herbeizuschaffen — und zwar noch während der Hauptverhandlung. Das wurde in Moabit nicht gerne gesehen. Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen Justiz und Verteidigern —

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insbesondere kommunistischer Angeklagter —, die sich in den genannten reichsgerichtlichen Entscheidungen anbahnte, ergriff auch das Klima im Berliner Kriminalgericht. Als Litten Anfang 1932 im „Felseneck-Prozeß" verteidigte, kam es zum Eklat. Angeklagt waren fünf Nationalsozialisten und neunzehn Bewohner der Laubenkolonie Felseneck, einer Arbeitersiedlung, in der Kommunisten und Sozialdemokraten wohnten. Am 18. Januar 1932 kam es in der Siedlung zu einer Schießerei und zu einem Handgemenge zwischen den Bewohnern und einem Trupp von 150 SAMännern, in deren Verlauf ein SA-Mann und ein Kolonist getötet wurden. Das Verfahren, das diesen Vorfall zum Gegenstand hatte, lieferte ein eindrucksvolles Beispiel für die politische und justizielle Kultur am Vorabend der „Machtergreifung"94. Für die Untersuchung ist besonders der Ausschluß des Rechtsanwaltes Liften, seine Begleitumstände und sein Nachspiel von Bedeutung. Gegen Litfens Tätigkeit hatte die nationalsozialistische Presse heftig polemisiert. Wiederholt forderte der „Angriff: „Legt dem Anarchisten endlich das unsaubere Handwerk!"95 Am 8.6.32 trat das Blatt unter der Überschrift „Dem Anarchisten Litten wird das Handwerk gelegt" mit der Ankündigung an die Öffentlichkeit: „Wir wollen heute schon darauf hinweisen, daß wir in den nächsten Tagen eine wirkliche Sensation veröffentlichen werden, die auch dem .Felseneck-Prozeß' eine ganz andere Wendung geben muß."

So geschah es am 15.8.32. Das Schwurgericht unter Vorsitz des LG-Direktors Bode schloß den Rechtsanwalt Litten für die weitere Verhandlung als Verteidiger und Vertreter der Nebenklage aus. In seiner Begründung ließ das Gericht die vom RG entwickelten Grundsätze weit hinter sich und gab unverhohlen zu verstehen, daß hier ein Verteidiger habe aus dem Verfahren eliminiert werden müssen, der wegen der beharrlichen Ausübung seiner prozessualen Rechte und dem politischen Charakter seiner Verteidiger dem Gericht hinderlich wurde. In der sechzehnseitigen Begründung des Beschlusses hieß es, Litten diene „nicht mehr als verantwortungsbewußtes Organ der Rechtspflege der Verteidigung, sondern zielt darauf ab, dem Gericht die Wahrheitsfindung zu erschweren."96 Er habe „eine hemmungslose parteipolitische Propaganda im Prozeß entfaltet", habe „die Zeit des Gerichts mit Fragen aufgehalten, die der Aufklärung des Sachverhalts nicht dienlich" seien, zahlreiche Anträge „nur aus politischem Sensationsbedürfnis" gestellt und „unter den Angeklagten eine verhetzende Tätigkeit ausgeübt". Litten, dem der Zutritt zum Verhandlungssaal versagt wurde, reagierte mit einer Strafanzeige gegen Bode und Kollegen97. Seine Beschwerde gegen den Beschluß des Schwurgerichts hatte Erfolg. Zwar hielt das KG einen Verteidigerausschluß grundsätzlich für zulässig, meinte aber, das Schwurgericht habe nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den Fortgang der Verhandlung zu sichern98. Nach dieser Entscheidung erklärten der Vorsitzende und der Berichterstatter des Schwurgerichts, die Angeklagten hätten nunmehr Anlaß, sie für befangen zu halten99. Die übrigen richterlichen Mitglieder ordneten das Ausscheiden der beiden an. Der Felseneck-Prozeß war nach 4'/2monatiger Verhandlung geplatzt. Die Beschwerde von sieben Verteidigern blieb erfolglos. Sie warfen dem Gericht vor, lediglich einen Vorwand gesucht zu haben, den Beschluß des KG zu umgehen und Litten am weiteren Auftreten zu hindern.

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Ihr Vorwurf erwies sich als berechtigt. Denn das Gericht mit dem neuen Vorsitzenden, LG-Direktor Böhmert, schloß Litten sogleich wieder aus100. Anders als sein Vorgänger hielt es sich in der Begründung seines Beschlusses eng an die Judikatur des RG und warf Litten vor, sich der Begünstigung seiner Mandanten verdächtig gemacht zu haben. Einer der nationalsozialistischen Angeklagten hatte behauptet, Litten habe ihm Vorteile in Aussicht gestellt, wenn er eine bestimmte Person als Todesschütze des Kolonisten benenne. Litten räumte zwar ein, jenen Mitangeklagten befragt zu haben, da dieser ihm Informationen in Aussicht gestellt habe, bestritt aber jeden Versuch der Beeinflussung. Mit dieser Einlassung hielt das Gericht den Vorwurf des Mitangeklagten für „nicht widerlegt". Das genügte ihm, um den Verteidiger auszuschließen, zumal dieser obendrein das Verfahren in einem Artikel unberechtigt kritisiert habe und wegen des Zusammentreffens mit dem Mitangeklagten nun als Zeuge benötigt werde. In seiner Beschwerdeentscheidung ging das Kammergericht noch weiter. Es hielt sich nicht lange bei der Frage auf, ob Litten nun der versuchten Begünstigung verdächtig gelten könne oder nicht. Eine unzulässige Störung der gerichtlichen Wahrheitsfindung und damit einen Grund zum Verteidigerausschluß sah es bereits darin, daß Litten während des Prozeßstadiums der Hauptverhandlung eigene Ermittlungen angestellt hatte. Wörtlich führte es aus: „Dem Verteidiger ist es ... während dieses Prozeßstadiums (der Hauptverhandlung, S. K.) verwehrt, ohne Wissen und Willen des Gerichts mit den als Zeugen benannten Personen und ebenso mit anderen als den von ihm verteidigten Angeklagten in Verbindung zu treten und die Anklagevorgänge zu besprechen."101

Die Entscheidung verursachte in der Berliner Anwaltschaft einige Unruhe. Eine Kammerversammlung wurde einberufen und „außerordentlich stark besucht"102 Ernst Wolff, der Vorsitzende des Kammervorstandes, hielt eine Ansprache, in der er erklärte, es rühre „an den Wurzeln unseres Standes, wenn die Gerichte den Versuch machten, die Freiheit des Verteidigerstandes und damit der Anwaltschaft überhaupt anzutasten." „... Es ist schlechthin unerträglich, dass das Gericht, welches doch die Wahrheit erst ermitteln soll, für sich das Recht in Anspruch nimmt, den Verteidiger mit dieser Begründung, womöglich schon vor Beginn der Hauptverhandlung auszuschließen. Gegen diesen Geist der Bevormundung müssen wir uns mit allem Nachdruck zur Wehr setzen. Die These des Kammergerichts, dass nach Beginn der Hauptverhandlung Ermittlungen weder von dem Verteidiger noch von dem Staatsanwalt angestrengt werden dürfen, steht mit der ganzen Kriminalgeschichte in Widerspruch. Zahlreiche berühmte Kriminalprozesse sind nur deshalb zu einem gerechten Ende gekommen, weil der Verteidiger noch während der Hauptverhandlung, Ermittlungen angestellt hat."103 Die Versammlung bekannte sich „... zu dem von jeher von der Anwaltschaft in Anspruch genommenen, vom Ehrengericht gebilligten und für eine ordnungsgemäße Durchführung der Verteidigung unerläßlichen Recht, daß der Verteidiger auch während der Hauptverhandlung in Beratung der ihm anvertrauten Interessen die zur Verteidigung erforderlichen Beweismittel herbeischaffe und die dazu nötigen Ermittlungen anstelle."104

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Der Vorstand der Kammer wurde beauftragt, eine Ergänzung der StPO anzuregen, wonach ein Verteidigerausschluß nur dann zulässig sein sollte, wenn das Hauptverfahren gegen den Verteidiger eröffnet sei105. Die Anwaltskammer Berlin ging damit — wohl unter dem Eindruck des offenkundig mißbräuchlichen Ausschlusses von Litten — weiter als der DAV, der die Erhebung der öffentlichen Klage genügen lassen wollte106. Das Verhalten der Berliner Justiz im „Felseneck-Prozeß" zeigt, welche Bereitschaft dort bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung bestand, sich (politisch) mißliebiger Verteidiger zu entledigen. Zwar trat dem die Berliner Anwaltschaft mit starken Worten entgegen. Diese Erklärungen können aber nur oberflächlich darüber hinwegtäuschen, daß die politische Polarisierung in der Justiz auch die Anwaltschaft erfaßt hatte und — neben anderen Faktoren wie dem immer erbitterter werdenden Konkurrenzkampf — eine schleichende Entsolidarisierung bewirkte. Heine führte darüber in der Zeitschrift „Justiz"107 Klage, wo er u. a. die Ausbreitung des Denunziantentums unter den Kollegen angriff. Anzeichen dieser Entwicklung, die wenig später im Ausschluß zahlreicher jüdischer und „kommunistischer" Anwälte kulminierte, finden sich bereits im Felseneck-Prozeß. Dort hatten sich in der Hauptverhandlung vom 25. 8. 32 neun Verteidiger mit Rechtsanwalt Litten solidarisiert, unter ihnen drei Anwälte, die nationalsozialistische Angeklagte verteidigten. Einer von ihnen, der Rechtsanwalt Plettenberg, war selbst Mitglied der NSDAP. Andere billigten das Verhalten des Gerichts, u. a. der Rechtsanwalt Reinhard Neubert, Verteidiger eines SA-Mannes108. Er arbeitete zusammen mit der Rechtsabteilung der NSDAP darauf hin, Rechtsanwalt Plettenberg das Mandat zweier von ihm verteidigter Nationalsozialisten abzunehmen. Es begann ein Tauziehen um die beiden Angeklagten, die an einem Tag Erklärungen unterschrieben, in denen sie Plettenberg ihres ungebrochenen Vertrauens versicherten, um sie am nächsten als abgenötigt zu verwerfen. Sieger blieb Rechtsanwalt Neubert109, der spätere Präsident der Reichsrechtsanwaltskammer.

Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß Die StPO blieb in den ersten 35 Jahren ihres Bestehens nahezu unverändert110. Auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung gab es einschneidende Neuerungen durch die Einführung von Sondergerichten111. Das Republikschutzgesetz vom 21.8.22 errichtete einen „Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik"112. Er wurde am 31.3. 1926 wieder aufgelöst113. Den Verteidiger betraf die Streichung des alten § 180 GVG, der gegen ihn eine Ordnungsstrafe in Geld zuließ114. Die Zeit der Stetigkeit auf dem Gebiet des Strafprozeßrechts ging im Dezember 1923 zu Ende. Die VO „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet" vom 17.12. 1923115 überwies den Strafkammern eine Anzahl von Delikten zur Aburteilung in einem beschleunigten Verfahren, das dem der späteren Sondergerichte glich116: Keine Voruntersuchung, kein Eröffnungsbeschluß, kein Zwischenverfahren. Stark verkürzte Einlassungsfrist (24 Stunden). Kein Beweisrecht, kein Rechtsmittel. Die VO hatte nicht lange Bestand. Sie wurde am 13.1.24 außer Kraft gesetzt117.

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Aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 8.12.23118 wurde am 4.1.24 eine weitere VO („VO über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege", sog. EmmingerVO, benannt nach dem damaligen RMJ) erlassen. Drucker, der Präsident des DAV, bemerkte: „Gegen die ethischen Grundlagen des Strafprozesses haben mit der Dezember-VO (gemeint war die VO vom 17.12.23, S. K.) Kräfte sich aufgebäumt, die nach wiederholter Betätigung streben. Die Episode droht Epoche zu werden. Die VO war die Vorfrucht der VO vom 4.1.24, gezeugt vom gleichen Geiste wie sie."119

Die Zurückdrängung des Laieneinflusses auf die Strafrechtspflege, die bereits die VO vom 17.12. 23 eingeleitet hatte, wurde durch die Emminger-VO fortgesetzt120. Das Schwurgericht wurde faktisch in ein großes Schöffengericht verwandelt, behielt aber seinen Namen bei121. Delikte, die zuvor in die Zuständigkeit der Strafkammer fielen, wurden — ebenso wie einige Schwurgerichtsachen — in die Zuständigkeit der Amtsgerichte „hinuntergeworfen"122. Für den Beschuldigten und seinen Verteidiger wirkte sich dies besonders nachteilig aus, da für die Amtsgerichte das Beweisrecht des § 244 Abs. 2 StPO galt, der die Beweisaufnahme in das Ermessen des Gerichts stellte. Ausnahmslos war die Verteidigung nur noch dann notwendig, wenn der Angeschuldigte — also nicht im Vorverfahren! — taub oder stumm war. Ansonsten nur, wenn in einer vor dem Schöffengericht zu verhandelnden Sache eine Tat den Gegenstand der Untersuchung bildete, die nicht nur wegen Rückfalls ein Verbrechen war, und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter es beantragten123. Demgegenüber wuchs das Gewicht der Staatsanwaltschaft, die u. a. weitgehend über die gerichtliche Zuständigkeit bestimmte. Die Emminger-VQ war mit der „schweren finanziellen Not" des Reichs124 begründet worden. Als wieder das nötige Geld vorhanden war, in den Jahren der Prosperität, da setzte auch eine, freilich kurze, Liberalisierungsperiode im Prozeßrecht ein. 1925 wurde das Beweisrecht wieder zugunsten des Beschuldigten verändert. Freies Ermessen sollte das Gericht nur noch bei Übertretungen und in Privatklagesachen haben125. Ein Jahr später wurde das Recht der Untersuchungshaft novelliert. Das G vom 27.12. 1926126, auch „lex Höfle" genannt, verpflichtete das Gericht, den Fortbestand der Haftgründe von Zeit zu Zeit von Amts wegen nachzuprüfen127. Der Verhaftete erhielt ein Recht auf mündliche Verhandlung über den Haftbefehl und war darüber auch zu belehren128. Die festen Haftfristen im Ermittlungsverfahren wurden dagegen beseitigt129. Das führte dazu — so von Hippe/130 —, daß die Reform das Gegenteil dessen bewirkte, das sie beabsichtigte: Die U-Haft wurde allgemein länger. Außerdem brachte das Gesetz geringfügige Erleichterungen für den Verteidiger im Verkehr mit dem inhaftierten Beschuldigten »31. Im Beweisrecht bestimmte der reformierte § 245 Abs. l zwar, daß präsente Beweismittel auch dann zu verwerten seien, wenn sie erst im Lauf der Hauptverhandlung herbeigeschafft wurden. Die dadurch erzielte Verbesserung wurde jedoch durch den neugeschaffenen §245 Abs. 4 relativiert, der die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozeßverschleppung zuließ.

Notverordnungen

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Mit der Wirtschaftskrise kam der autoritäre roll-back im Strafprozeß. Er reagierte auf die Verschärfung der politischen und sozialen Auseinandersetzungen, die die wachsende Verelendung kleinbürgerlicher und proletarischer Schichten provozierte132. Notverordnungen Es folgten einige Verordnungen des Reichspräsidenten aufgrund Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung, die tiefgreifende Eingriffe in das Gefüge des Strafprozesses vornahmen. Zunächst wurde durch VO vom 23.3. 193l133 der Anwendungsbereich des Schnellverfahrens nach §212 StPO ausgedehnt. Am 6.10.31 wurde die Reichsregierung ermächtigt, Sondergerichte für Delikte einzurichten, deren nähere Bestimmung ebenso wie die des zu beachtenden Verfahrens, der Regierung überlassen blieb134. Kurz nach Erlaß der VO meldete sich der Preußische Richterverein zu Wort und unterbreitete Vorschläge zur Neugestaltung des Strafverfahrens135, die weitere Kosteneinsparungen ermöglichen sollten. Er verlangte u. a. eine Einschränkung des Umfangs der Beweisaufnahme, sofern eine zweite Tatsacheninstanz zu Gebote stehe. Ein Beweisantrag sollte auch abgelehnt werden können, „wenn nach einstimmiger Auffassung des Gerichts das Ergebnis des beantragten Beweises für die Entscheidung ohne Bedeutung sein würde." Ferner forderte er eine Einschränkung der Rechtsmittel und die Übertragung von Offizialverteidigungen auf (beamtete, der richterlichen Disziplinargewalt unterworfene) Assessoren, „mindestens in einfachen Sachen", mithin eine Renaissance der friderizianischen Assistenzräte. An den Preußischen Richterverein schloß sich die Vereinigung preußischer Staatsanwälte an136. Sie ging sogar noch weiter: Laienrichter sollten ausgeschaltet oder wenigstens ihr Einfluß eingeschränkt werden, die Rechtsmittel begrenzt: wahlweise Berufung oder Revision. Das Haftprüfungsverfahren sei zu beseitigen oder zu vereinfachen, das Verbot der „reformatio in peius" aufzuheben. Kostensparend wirken sollte auch die Befugnis des Vorsitzenden, „der Presse während der Dauer oder eines Teiles der Hauptverhandlung ein Berichterstattung darüber zu untersagen." Gegen diese „Ersparnisvorschläge" wandte sich sehr entschieden der Vorstand des DAV137. Hirschberg nannte die Denkschriften eine „Speisekarte für reaktionäre Feinschmecker in der Strafjustiz."138 Jene Gourmets kamen schon bald, jedenfalls weitgehend auf ihre Kosten. Die Regierung Papen erließ am 14.6.32 eine weitere Notverordnung139 „über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und der Verwaltung". Hirschberg140 sprach von der „weitaus einschneidendsten raktionären Verschlechterung der Strafrechtspflege, die die deutsche Republik seit ihrem Bestehen erlebt hat". Sie brachte die vom Preußischen Richterverein und der Vereinigung Preußischer Staatsanwälte geforderte Einschränkung der Rechtsmittel. Gegen Urteile des Amtsgerichts und des Schöffengerichts waren Berufung oder Revision nur noch wahlweise zulässig. Das Haftprüfungsverfahren konnte künftig bei Verzicht des Angeklagten unterbleiben. Der gravierendste Eingriff erfolgte auf dem Gebiet des Beweisrechts: Im

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Verfahren vor dem Amtsgericht, dem Schöffengericht und dem Landgericht in Berufungsinstanz wurde die Beweiserhebung in das freie Ermessen des Gerichts gestellt. Es war dabei weder an Anträge, Verzichte, noch an frühere Beschlüsse gebunden141. Autoritäres Strafrecht Im selben Jahr 1932 erschien eine Schrift, mit der zwei junge Privatdozenten den Grundstein für ihre spätere Karriere als nationalsozialistische Straf(prozeß)rechtswissenschaftler legten. Sie trug den Titel „ Liberales oder autoritäres Strafrecht". Die Autoren hießen: Georg Dahm aus Heidelberg und Friedrich S chaff stein aus Göttingen142. Hierin war alles zusammengefaßt, was an Anregungen und Argumenten von erzkonservativer Seite in den vorangegangenen Jahren vorgebracht worden, bislang aber noch unerfüllt geblieben war: Die Einschränkung der „gefährlichen Laienrechtspflege", der Schutz der Staatsorgane gegen „unberechtigte Kritik und Hetze"; nur noch die „anständige Presse" sollte zur Berichterstattung über die Verhandlungen zugelassen sein. Auch gegen die Unabhängigkeit der Gerichte hegten die Autoren ein Mißtrauen. Sie wollten sie für eine „gewisse Übergangszeit, in der der Richter sich auf das neue Strafrecht umzustellen hätte", einer „gewissen Bindung" unterworfen sehen. Dahm und Schaffstein leisteten noch mehr. Zum ersten Mal brachten sie das Sammelsurium, den „wunderlichen Salat"143, einzelner Korrekturvorschläge in ein zusammenhängendes Programm ein, das zur Grundlage jener „autoritären" Schule wurde, die die Reformen auf dem Gebiet des Straf(prozeß)rechts in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft bestimmte. Das erklärte Vorbild war der „italienische Faschismus"144, ihr Ziel: die Macht des Staates, seine Würde durch drastische Strafen „aller Welt sichtbar vor Augen zu führen"145. Die Anwaltschaft und der starke Staat Den Versuchen, die in den letzten Jahren Weimars unternommen wurden, die Verteidigung für die Zwecke der Justiz dienstbar zu machen, war die Anwaltschaft konsequent entgegengetreten. Den Hebel, die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und damit die Freiheit der Verteidigung aus den Angeln zu haben, setzten die Nationalsozialisten daher an einem anderen Punkt an, dort, wo sich von Anbeginn eine Schwachstelle der freien Advokatur befand: an der Frage der Zulassungsbeschränkungen, des „numerus clausus". Dies war unter den Anwälten von jeher ein Streitpunkt gewesen. Rasch wuchs die Zahl der Anwälte seit der Freigabe der Advokatur: Am 1.1. 1880 gab es im gesamten Deutschen Reich 4091 Anwälte, also einen pro 11.057 Einwohnern. 1913 war die Zahl der Anwälte auf 12.297 angewachsen, so daß auf einen nur noch 5.280 Einwohner kamen146 — Dennoch sprach sich der XX. Deutsche Anwaltstag in Wür^burg 1911147 beinahe mit 3/4-Mehrheit für die Beibehaltung der Zulassungsfreiheit aus. Als sich im 1. Weltkrieg die Einkommen der Anwälte — wie aller übrigen Berufe — bedrohlich verringerten, wurde der Ruf nach dem n. c. und der

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Einführung von Wartezeiten für neu Zuzulassende laut. Wieder fand sich jedoch in der Anwaltschaft keine Mehrheit für solche Maßnahmen148. Erneut kam die Einführung von Zulassungsbeschränkungen zu Beginn der 20er Jahre in die Diskussion, verschwand aber mit der Prosperitätsphase wieder von der Bühne der Auseinandersetzungen, um gegen Ende der zwanziger Jahre ein come-back zu erleben, als die Konkurrenz unter den Anwälten härter, ihr Betätigungsfeld kleiner wurde149. Das Verhältnis Anwalt — Einwohner sank von 5.229 Einwohnern pro Anwalt im Jahr 1919 auf 4.134 im Jahr 1928150. 1929 sollen es nach Angaben von Fiedler nur noch 3.920 Einwohner je Anwalt gewesen sein151. Entsprechend sank das Durchschnittseinkommen. Tbalbeim^2 rechnete anhand der Umsatzsteuerstatistik von 1927 vor, daß bereits ein Zehntel der Rechtsanwälte das Existenzminimum nicht mehr erreichten, während 40 bis 45% hinter dem Einkommen eines LG-Rates (einschließlich Pensionsansprüchen) zurückblieben. Bei dem „Existenzminimum", das Thalheim zugrundelegte, handelte es sich allerdings um ein qualifiziertes, „das aufgrund der Vorbildung und der Anforderungen des Berufs sowie im Hinblick auf die notwendige Sicherung im Alter erforderlich erscheint." Dennoch spricht Ost/erlSi angesichts der Berechnungen von Tbalheim von einer „unvorstellbaren Not des Standes", dessen Durchschnittsumsatz immerhin laut Umsatzsteuerstatistik bei 24.297 RM lag154. Selbst nach Abzug der Spitzeneinkommen blieb ein Durchschnittsumsatz von 17.629 RM jährlich, dem etwa ein Reineinkommen von 10.577 RM entsprach. 30% der Anwälte kamen nach Thalheim?, Schätzung nicht über ein Einkommen von 6000 RM. Vermutlich war es eher die Angst vor sozialer Deklassierung eines Berufsstandes, der bis in die Mitte der zwanziger Jahre die Spitzenverdiener unter den Angehörigen der freien Berufe gestellt hatte, geschürt durch düstere Zukunftsvisionen etwa von Schweer1^, der für das Jahr 1940 23.139 Anwälte (gegenüber 17.373 im Jahr 1930) voraussagte, die die Anwaltschaft erneut mit dem Gedanken an Zulassungsrestriktionen sympathisieren ließ156. Am 4.12. 32 sprach sich die Abgeordneten Versammlung des DAV schließlich mit großer Mehrheit für die Einführung des n. c. aus. In der Hoffnung, der autoritäre Staat der Präsidialkabinette würde sich ihrer annehmen, begaben sich Dix und Wolff als Abgeordnete der Anwaltschaft zum Reichsjustizminister und ersuchten ihn, per NotVO eine vorübergehende Zulassungssperre für die Dauer von 3 Jahren mit anschließendem numerus clausus einzuführen157. Diese Haltung des DAV provozierte Kritik weit über die Kreise von Justiz und Anwaltschaft hinaus. Die nationalsozialistische Fraktion im Preußischen Landtag bezeichnete die beabsichtigten Maßnahmen als eines „freien Berufes unwürdig". Sie führte weiter aus: „die Entschließung stellt also den vom gesamtvölkischen Standpunkt zu verwerfenden Versuch dar, die Not der Gegenwart auf die kommende Generation abzuwälzen, während die Not der Anwaltschaft durch Tüchtigkeit in der Leistung, Zuverlässigkeit und Beschränkung des Anwaltsberufes auf deutsche Volksgenossen unter Ausschluß rassefremder Elemente gelindert werden muß."158 In Ossief^kys „Weltbühne" befaßte sich Rudolf Scilicet mit dem „Numerus Clausus".159 Symptomatisch schien ihm die Begründung der Forderung durch die anwaltlichen Standesfunktionäre für die „unaufrichtige Zeit." Sie hatten, so Scilicet,

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vorgebracht, die Sorge um den Bestand der Rechtsordnung, die eines sittlich gefestigten Anwaltsstandes bedürfe, gebiete Vorkehrungen gegen weitere Überfüllung, da sich Fälle von Unterschlagung und Veruntreuung unter den gegebenen Umständen häuften. Scilicet sah darin lediglich eine „schwammige, unaufrichtige" Verbrämung nackter ökonomischer Interessenpolitik mit dem Ziel, liebgewonnene Privilegien zu verteidigen. Solches Argumentieren entspreche „dem geistig unordentlichen Aufbau der Anwaltschaft, die nicht länger ein unklares Gemisch von freiem Beruf und .Organ der Rechtspflege' bleiben kann ... Man braucht Anwälte, aber nicht .Organe der Rechtspflege', nicht die staubigen Juristen, die man dort oft findet, nicht Leute mit Standesideologien aus der Ehrenkäsigkeit des alten Offizierskorps. Man braucht freie, unabhängige ... : mutige Anwälte, die nicht ihre Gemeinsamkeit mit dem beamteten Juristentum betonen, sondern ihre Gegensätzlichkeit zu ihm."160

Die Nationalsozialisten fanden im März 1933 eine Anwaltschaft vor, die sich in einer tiefen ökonomischen und sozialen Krise befand, geängstigt von der Vision gesellschaftlichen Abstiegs, gebeutelt von einer autoritären Justiz, von einer Richter- und Staatsanwaltschaft, die ihr Wirken im Strafprozeß mißtrauisch und mißfällig beobachtete — sensibel geworden aber gegenüber den Angriffen auf ihre Stellung im Strafverfahren. Ihr Ziel, die Verteidigung — zunächst besonders in politischen Prozessen — zu schwächen, um sich der Jusitz als schlagkräftigem Instrument zur Bekämpfung des politischen Gegners zu versichern, verfolgten die neuen Machthaber daher zunächst damit, daß sie an alte Animositäten in der Anwaltschaft anknüpften, die durch die aktuelle Notlage neue Virulenz gewonnen hatten. Ihre Aktionen richteten sich zuerst gegen die jüdischen Anwälte. Die „Judenfrage" Bereits im 19. Jahrhundert hatte der — im Verhältnis zu anderen juristischen Berufen — relativ hohe Anteil von Menschen jüdischer Herkunft in der Anwaltschaft Neid und Anstoß unter den übrigen Angehörigen des Standes erregt. Selbst Weissler, der Chronist der Anwaltschaft, äußerte sich besorgt über die „Überflutung" durch das „jüdische Element", welche zwar der Rechtsanwaltschaft den großen im gebildeten Judentume vorhandenen Grundstock von Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit, aber auch die Summe jüdischer Erbfehler zuführte, die, im Richteramte völlig unschädlich, in der Rechtsanwaltschaft verderblich werden können." i« Antisemitische Haltung war gewiß keine Besonderheit der Anwaltschaft. Unter den Anwälten gewann sie aber zusätzliche Brisanz dadurch, daß man im zunehmenden Gedränge nach solchen suchte, die über Bord gehen sollten. Und das nicht erst in den 30er Jahren. Schon 1922 schrieb Feucbtwanger, ein jüdischer Rechtsanwalt: Die Überfüllung der Anwaltschaft „ist ein Stück der deutschen Judenfrage"162. Dennn sie rühre vom „Junker- und Kastengeist" der preußischen Bürokratie her, die — gefolgt von allen übrigen Bundesstaaten —, die Juden zurückgedrängt habe. So seien sie in die Anwaltschaft geströmt, weil die sie — dank Zulassungsfreiheit — nicht

Anmerkungen

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habe abweisen können. Feucbtwanger hat, was später kam, bereits 1922 vorausgesehen, wohl weil es damals schon voraussehbar war: „Hätte sie (die Anwaltschaft) den numerus clausus mit persönlicher Auswahl unter den Kandidaten gehabt — sicher hätte er sich in der praktischen Anwendung gegenüber den Juden zu einer Prozentnorm entwickelt. Cavete\"163

Anmerkungen 1. 2. 3. 4.

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Lis^t, Reform des Strafverfahrens, S. 54 Carre, Bd. I, 391 Weissler, S. 397 Zum schlechten Ruf der Verteidiger vgl. insbesondere Hemcbel, S. 36. Auch Mittermaier, Anleitung zur Verteidigungskunst, S. 43 f, verweist auf Vorurteile gegen eine formelle Verteidigung. Döhring, S. 113, meint, die gegen den Anwaltsberuf gerichtete Meinung habe sich um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vom Strafverteidiger auf den Zivilanwalt verlagert Ausführlich Eberhard Schmidt, S. 194 ff, insbesondere die §§185, 197 und 201, auch unter Verweis auf Zacbariae Vgl. etwa Henschel, S.36f Döbring, S. 119 ff Zu den regionalen Besonderheiten in einzelnen deutschen Staaten, Huff mann, S. 14 f Weissler, S. 296 So die Motivation des Herrschers laut Hintue, zit. n. Weitster, S. 310; der Robenzwang wurde jedenfalls als Schande empfunden, und die Anwälte sträubten sich lange Zeit dagegen; dazu auch Weissler, aaO Beulke, S. 29 ff, der den Wortlaut zitiert Feuerbach, Betrachtungen, S. 390 Beulke, S. 31; Zur Stellung der Anwälte in den übrigen deutschen Staaten — auch dort befanden sie sich in abhängiger Stellung — Huff mann, Freie Advokatur, S. 15 mwN Huff mann, Freie Advokatur, S. 16 Huffman», Freie Advokatur, S. 16 Über das Verfahren im einzelnen s. die Darstellung eines der Angeklagten, J. G. A. Wirth, Landau 1839, der sich, selbst ein ehemaliger Rechtsanwalt, als Verteidiger bewußt keinen Advokaten gewählt hatte, da ihm das Verteidigungskonzept der beteiligten Rechtsanwälte mißfiel. Er vertraute auf die Macht der freien Rede, für deren Meister er sich selbst hielt; s. auch: Haasis, S. 174 ff; Doll, S. 67 ff Haasis, S. 179; Doll, S.73f Vgl. etwa Weber, S. 18f; Kosyyk, S. 72 ff; zum Preß- und Vaterlandsverein, ders., S. 75 ff Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen, VIII f Mittermaier, AcP 15, 138f Mittermaier, aaO, S. 147 Ant^, S. 78 Ant%, S. 77; Baumann, S. 97 ff Weissler, S. 463 und 483 ff Weissler, S. 487 f u n d 488 ff Weissler, S. 471 ff, dort weitere Anwaltsbiographien Huff mann, Freie Advokatur, S. 35 ff Zu allem Huff mann, Freie Advokatur, S. 119 ff Huf/mann, Freie Advokatur, S. 24

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30. Dazu E. Schmidt, S. 330 ff, auch über die — vergleichbar verlaufende — Entwicklung in anderen Ländern 31. Weissler, S. 523 32. Gmist, S. 64 ff 33. Gneist, S. 24 34. Huff mann, Freie Advokatur, S. 80 ff 35. Preußische Gerichtszeitung 1861, S. 117 36. Zit. n. Gneist, S. 85; vgl. auch Ramdobr, 1801, S. 25 ff, der schreibt: „Bei allen Volksunruhen, bei allen Staatsumwälzungen erscheinen in der Geschichte die Advokaten teils als Anstifter, teils als eifrige Beförderer." 37. Gneist aaO 38. RGB1. I, S. 177 ff 39. Weitster, S. 588 40. I.E. Müller, S.64ff 41. StPO vom 01. 02. 1877; RGB1 I, S. 253 ff 42. Vgl. Graf ^u Dohna, S. 166, Anm. 64; „Die ältesten Verteidiger entsinnen sich nicht, es (daß sie angewandt wurde, S. K.) je erlebt zu haben." 43. Dazu eingehend Ostler, S. 129 ff 44. Vgl. Reifner, KJ 84, S. 384 45. Weissler, S. 164 46. Lis#, Recht 1901, S. 69 47. Knapp, S. 31, m.N. und S. 33 48. Knapp, aaO, S. 31, m.N., und S.32f 49. Knapp, S. 32 m.N. und S. 34 50. EGH I, S. 140 ff 51. Knapp, S. 37 und 40 52. EGH XVI S. 420 ff 53. EGH XIV, S. 145 ff (148) 54. Im Einzelnen Knapp, S. 40 ff m.N. 55. Dix, Die rechtliche Stellung des Verteidigers zum Angeklagten, Diss. Leipzig 1907 56. Dix, S. 13 57. Dix, S. 31 58. Dix, DJZ 34, Sp.243ff 59. Zu seiner Person: Heinrich, S. 162 60. Aisberg, Philosophie der Verteidigung 61. Aisberg, S. 11 62. Aisberg, S. 12 63. Aisberg, S. 16 64. Aisberg, S. 19 65. Aisberg, S. 20 66. Aisberg, S. 24 67. Aisberg, S. 31 68. Aisberg, S. 33 69. S. Feuchtwanger, Die Freien Berufe, S. 408 f 70. Halle, Wie verteidigt sich der Proletarier ...? 71. Oborniker, Justiz Bd. IV, 299 ff 72. Vgl. etwa RGSt 17, S. 315 73. Deutlich Lisitf DJZ 1901, Sp. 179: „Seine (des Verteidigers) Überzeugung ist gleichgültig. Er hat die Interessen des Beschuldigten wahrzunehmen." 74. Löwe-Rosenberg, 13. Aufl., Vorbem. zum 11. Abschnitt, 8d und 9

Anmerkungen

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75. Vgl. dazu die Eingabe des DAV an den RMJ vom 22.11. 1926, AnwBl 1927, S.58f, in der die Beschlüsse kritisiert werden; Beschluß vom 2.11.26 in JW 26, S. 2746 mit abl. Anmerkung von Aisberg 76. Das ergibt sich aus der Eingabe des DAV, vgl. Anm. 65 77. Vgl. Brandt, S. 93 ff 78. Der Vorfall ist dokumentiert bei Brandt, S. 93 ff 79. Brandt, S. 100 sprach von „berechtigter Empörung" in der „gesamten Juristen weit"; ein Recht des Vorsitzenden, den Verteidiger in Ausübung sitzungspolizeilicher Gewalt aus dem Verhandlungssaal entfernen zu lassen, befürworten Kern, JW 25, S. 900f und Baumbach, DJZ 25, S. 466 ff. Dem widersprachen Drucker, JW 25, S. 901; Bendix JW 25, S. 901 ff und Graf Pestalo^a JW 25, S. 909 80. Graf Pestalo^a, JW 25, S. 909 81. Von Aisberg in JW 26, S. 2756 f, Heine in der Vossischen Zeitung vom 25.11.26 und 20.1.27 sowie dem Vorstand des DAV in AnwBl. 1927, S. 58 ff 82. Beschlüsse vom 22. 5. 1928 und vom 5. Juni 1928, wiedergegeben in einer Eingabe des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berlin an den RMJ, abgedruckt in JW 29, 568 f 83. Das ergibt sich aus der Eingabe des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berlin, JW 29, S. 568 84. Eyck in der Vossischen Zeitung vom 21.10. 32 85. Dazu ablehnend Eyck in der Vossischen Zeitung vom 18.7. 1928 und vom 21.10.32; Oborniker, Justiz IV, S. 299 ff — zustimmend Ebermayer, DJZ 27, S. 134 und Baver, DRiZ28, S. 470 ff 86. Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin in JW 29, S. 568 ff 87. Vgl. hierzu die Übersicht von Oborniker, Justiz III S. 279 ff 88. Bauer-Mengelberg, Justiz VIII, S. 141 ff 89. Olden im Berliner Tageblatt vom 29.11. 32 90. Vgl. etwa C. von Brück, S. 14 ff 91. Vgl. Irmgard Litten, S. 62 ff (71) 92. Olden bei I. Litten, S. 17, vgl. auch Fürst, S. 204 ff (206) 93. Z. B. während des Eden-Palast-Prozesses im Türkischen Zelt in der Berliner Straße, Brück, S. 12 und LA Berlin Rep. 58/2050 94. Verfahrensakten — 22 Bände — sind erhalten im Landesarchiv Berlin, Rep. 58/399 95. „Angriff" vom 3.6. und 7.6.32 96. LA Berlin, Rep. 58/399, Bd. XI, Bl. 130 R, Zusammenfassung des - nicht erhaltenen — Beschlusses in einem Beschluß vom 3.9.32 97. LA Berlin Rep. 58/1285 98. Wiedergegeben nach der Zusammenfassung von Olden im Berliner Tageblatt vom 29.11.32 99. LA Berlin, Rep. 58/399, Bd. XI, Bl. 132 ff 100. Beschluß vom 15.10.32, LA Berlin, aaO, B1.235ff 101. Beschluß vom 28.10.32, LA Berlin, aaO Bd. XIII, Bl. 204 ff (210) 102. Welt am Abend vom 23.11.32 103. Berliner Tageblatt vom 29.11.32; im Berliner Anwaltsblatt 1933, S. 13, erschien die Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des KG. Er hob hervor, mit dem kritisierten Beschluß seien keineswegs Ermittlungen des Verteidigers im Stadium der Hauptverhandlung schlechthin für unzulässig erklärt worden. Der Zusammenhang der Entscheidung ergebe vielmehr zweifelsfrei, daß lediglich Ermittlungen der Art, wie Litten sie angestellt habe, als unstatthaft betrachtet würden. 104. Märkische Volkszeitung vom 23.11.32 105. JW 29, S. 568 ff; so auch Eyck in Vossische Zeitung vom 24.10.32

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1U6. S. oben S. l "t"; die „\\elt am Abend" vom 23. 11. 32 kritisierte den Beschluß dennoch als „allzu sanft und opportunistisch" 107. Heine, Justiz Bd. VIII, S. 216 108. LA Berlin, aaO, Bd. XI, Bl. 136 ff 109. Zum gesamten Vorgang LA Berlin, aaO, Bd. XIII, B1.220ff 110. Zu den einzelnen Korrekturen und den kriegsbedingten Änderungen vgl. Müller, S. 67 111. Durch VO vom 29.3. 1921, RGB1.1, S. 371; VO vom 02.10.1923, RGB1. I, S. 929 und VO vom 13.11. 1923, RGB1., S. 1089 112. RGB1. I, S. 585; §§12 und 13 113. RGB1. I, S. 190 114. RGB1. I, 1921, S. 229 ff 115. RGB1. I, S. 1231 116. Vgl. Drucker, JW 24, S. 241 117. RGB1. I, S. 29 118. RGB1. I, S. 1179 119. JW24, S. 242 120. Zahlen finden sich bei Müller, S. 69 f 121. Von Hippe/, S. 54 122. Von Hippel, aaO 123. Drucker, S. 245 124. Von Hippel, S. 53 125. G. vom 22.12. 1925, RGB1. I, S. 475 126. RGB1. I, S. 529 127. §§114 bis 115 d, 124 Abs. 4, 126, 131 Abs. 4 StPO 128. §§114 bis 115 d, 124 Abs. 4, 126, 131 Abs. 4 StPO 129. §§114d, 115c, 115d StPO 130. Von Hippel, S. 56 131. §148 Abs. 3 StPO — statt einer Beaufsichtigung durch eine „Gerichtsperson" war künftig nur die durch einen „beauftragten oder ersuchten Richter" zulässig 132. Zu den publizistischen Auseinandersetzungen: Kühn, Vertrauenskrise 133. RGB1. I, S. 79 134. RGB1. I, S. 538 ff (565); 6. Teil, Kap. II 135. JW32, S. 916 136. JW32, S.917f 137. JW32, S. 918 ff 138. Justiz VIII, S. 130 139. RGB1. I, S. 285 ff 140. Justiz Bd. VIII, S. 125 ff 141. Zu den durch NotVO gebildeten Sondergerichten s.u. S. 211 ff 142. D ahm l Schaffstein, Liberales oder autoritäres Strafrecht, Hamburg 1933 143. Rosenfeld, Justiz III, S. 225 ff, über Baumbach „Bankerott der Strafjustiz", DJZ 28, Sp.38ff 144. DahmlSchaffstein, S. 40 145. S. dazu Marx, Justiz Bd. VIII, S. 239 146. Weitere Zahlen bei Ostler, S. 60 147. Ostler, S. 65 ff 148. Ostler, S. 125 f 149. Ostler, S. 164 f u n d 198f 150. JW 28, S. 2765 und JW 29, S. 394 151. Fiedler, Der Rechtsanwalt im Dritten Reich, zit. nach Ostler, S. 207, Anm. 2 152. JW31, S. 3497 ff

Anmerkungen 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160.

161. 162. 163.

31

So Ostler, S. 207 Thalbeim, JW 31, S. 3497 AnwBl. 1931, S. 272 Ostler, S.214f Ostler, S. 216 Preußischer Landtag, 4. Wahlperiode, I.Tagung 1932/33, Antrag Nr. 1625 vom 18.01. 1933 Scilicet, Weltbühne 33, S. 202 ff Scilicet aaO; zum nc-Beschluß auch die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 7.12.32 sowie Reinhold Aris und Eyck in der Vossischen Zeitung vom 8.12.32. Letzterer, der auf dem Anwaltstag gegen den nc gesprochen hatte, war allerdings bemüht, in seinem Artikel die Gründe, die zu dem Beschluß geführt hatten, verständlich zu machen. Er sah sie besonders in der „Verletzung der anwaltlichen Interessen durch die Gesetzgebung der letzten Jahre", die unter den Anwälten eine „Stimmung der Verzweiflung" heraufbeschworen habe Weisskr, S. 603 Feuehtwemger, S. 165 Feucbtwangtr, S. 166

Teil II: Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939

Kapitel 1: Die „Gleichschaltung* Die „Judenfrage" wurde — und zwar bereits vor 1933 — zum Dreh- und Angelpunkt der nationalsozialistischen Politik gegen die anwaltlichen Organisationen und Institutionen. Hier ließ sich — ebenso naheliegend wie wirkungsvoll — der Hebel ansetzen, das Gebäude freier Advokatur zum Einsturz zu bringen. So begann die „Gleichschaltung" der Anwaltschaft mit der Austreibung der Juden, die auch in den Kammervorständen und im Präsidium des DAV eine gewichtige Rolle spielten. Neben dem Antisemitismus mobilisierten die Nationalsozialisten antikommunistische Tendenzen, um die Anwaltschaft ihren Interessen gemäß zu reorganisieren. Die Verteidigung derer, die aus politischen oder rassischen Gründen von den neuen Machthabern verfolgt wurden, wurde hierdurch empfindlich geschwächt. Schon 1932 war es zu einer scharfen Kontroverse zwischen dem NSDAPMdPrL Kube auf der einen Seite und Ernst Wolff (Vorsitzender der Vereinigung deutscher Anwaltskammervorstände) sowie Dix (Präsident des DAV) auf der anderen gekommen. Den Hinweis eines SPD-Abgeordneten im Preußischen Landtag auf Freislers zahlreiche Straf- und Ehrengerichtsverfahren hatte Kube mit den Worten beantwortet, in den Anwaltskammern befänden sich „derartig viele Judenjungen der hemmungslosesten Art, daß wir diesen Burschen nach keiner Richtung hin das Recht einräumen, über einen von uns zu Gericht zu sitzen." Wolff und Dix reagierten mit empörten Presseerklärungen. Dix bedauerte die „menschliche und politische Kulturlosigkeit, die in solchen antisemitischen Ausfällen gegen meine jüdischen Kollegen liegt."1 Das Verhältnis der NSDAP zur Anwaltschaft galt daher als gespannt, ein Umstand, der sich auch in den abfälligen Äußerungen führender Nationalsozialisten über den Anwaltsberuf offenbarte. Goring etwa nannte die Advokaten „schwatzhaft" und „eigensüchtig"2. Es mag auch darin begründet gewesen sein, daß sich die anwaltlichen Organisationen — wie übrigens sämtliche Juristenorganisationen bis auf den republikanischen Richterbund3 — nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung" beeilten, den neuen Machthabern Respekt und Sympathie zu bezeugen. Euphorische Grußworte formulierte die Arbeitsgemeinschaft rheinisch-westfälischer Anwaltsvereine in einer Kundgebung vom 18.4.33. Sie stellte sich „mit Begeisterung hinter die Regierung der nationalen Revolution" und verwies voller Stolz darauf, aus ihren Reihen die Verteidiger Leo Schlageters gestellt zu haben4. Hamburger Rechtsanwälte begrüßten die nationale Regierung und gelobten „treue Mitarbeit an der Wiederaufrichtung des deutschen Volkes."5

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Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939

Etwas verhaltener blieb der Vorstand des DAV, der zwar ebenfalls die „Erstarkung nationalen Denkens und Wollens" befürwortete, zugleich aber betonte — wohl in Anspielung auf inzwischen stattgehabte Ausschreitungen gegen jüdische Anwälte in Breslau, die auch das DAV-Vorstandsmitglied Heilberg betroffen hatten — der Wiederaufbau des Staates könne sich „nur vollziehen auf der Grundlage des Rechtes und der Gerechtigkeit mit dem Ziel, alle im Volk vorhandenen Kräfte durch gerechte Behandlung für die gemeinsame Sache zu gewinnen."6 Auch solche verbalen Kniefälle konnten aber die „Gleichschaltung" der anwaltlichen Organisationen nicht aufhalten. Sie wurde schon kurz nach dem 5. März 33 eingeleitet, beginnend mit „spontanen" Aktionen gegen jüdische und „marxistische"7 Anwälte. Den Auftakt gab die Stadt Breslau. Am l I.März 1933 durchkämmten SA-Trupps die Sitzungssäle und Anwaltszimmer der Breslauer Gerichte und jagten jüdische Richter und Rechtsanwälte oder solche, die sie dafür hielten, auf die Straße hinaus. Zwei Rechtsanwälte wurden erheblich verletzt. Am 16. März teilte der OLG-Präsident — auf Drängen des Polizeipräsidenten — den Breslauer Rechtsanwälten mit, daß die Zahl der jüdischen Rechtsanwälte, die vor Gericht auftreten dürften, auf 17 im einzelnen zu benennde beschränkt werde. Alle anderen jüdischen Anwälte hätten sich von dem Gericht fernzuhalten. Im übrigen seien sie in ihrer Berufsausübung unbeschränkt8. Die Breslauer Aktionen wurden in der Folgezeit in anderen Städten nachgeahmt: In Köln, in Duisburg, Hannover und Frankfurt, auch in Berlin. Neben solcher organisierter Massen„erregung" traf einzelne prominente Anwälte individueller Terror. Einige wurden in Konzentrationslager verschleppt, unter ihnen Juden und „Kommunisten", andere ermordet9. Am 17. 3. 33 wurde in Breslau ein „christlich-nationaler Anwaltsverein" gegründet, dem sofort 100 Anwälte und Notare beitraten. Der Verein forderte „wegen vorwiegend undeutscher Anwalts kammern" in einem Telegramm an den Preußischen Justizminister eine „sofortige Zwischenlösung"10. Ihm folgte am 23. März der in Berlin gegründete „Bund nationaler Rechtsanwälte und Notare"11, dem sogleich 800 Mitglieder beitraten12. Sein Vorsitzender, Rechtsanwalt Frit^ Ludwig, später Verteidiger von Thälmann, forderte den Ausschluß jüdischer Juristen aus Anwaltschaft und Justizdienst. Eine Ausnahme wollte er lediglich für jüdische Frontsoldaten zulassen13. Durch solche Erklärungen wurde der Weg geebnet für die folgenden Maßnahmen der Justizverwaltung. In Preußen erging am 31.3.33 eine Rundverfügung an die leitenden Justizbeamten, in der es hieß: „Die Erregung über das anmaßende Auftreten amtierender jüdischer Rechtsanwälte ... hat Ausmaße erreicht, die dazu zwingen, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß besonders in der Zeit des berechtigten Abwehrkampfes des deutschen Volkes gegen die alljüdische Greuelpropaganda, das Volk zur Selbsthilfe schreitet. Das würde eine Gefahr für die Autorität der Rechtspflege darstellen. Besondere Erregung hat das anmaßende Auftreten jüdischer Anwälte hervorgerufen, ich ersuche deshalb, mit- den Anwaltskammern oder sonstigen geeigneten Stellen noch heute

Die „Gleichschaltung"

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zu vereinbaren, daß ab morgen früh, 10 Uhr nur noch bestimmte jüdische Anwälte und zwar in einer Verhältniszahl, die dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zur sonstigen Bevölkerung entspricht, auftreten. Mir scheint es selbstverständlich zu sein, daß die Beiordnung jüdischer Anwälte als Armenanwälte oder Bestellung von solchen als Pflichtverteidigern ... ab morgen 10Uhr nicht mehr erfolgt, da solche Maßnahmen ein Vergehen gegen die Boykottpflicht des deutschen Volkes enthalten. Den Gesamtrücktritt des Vorstandes der Anwaltskammern ersuche ich durch entsprechende Verhandlungen herbeizuführen. Mit der vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte ersuche ich einen Kommissar zu beauftragen, der nach Anhörung der nationalsozialistischen oder sonstigen nationalen Anwaltsorganisation zu bestellen ist. Ich hoffe, daß dadurch die unbedingt erforderliche Aufrechterhaltung der Autorität der Rechtspflege gesichert ist. Der Kommissar des Reichs, gez. Kerrl""

Die in der RV beschworene „Erregung des Volkes" wurde für das gesamte Reichsgebiet inszeniert. Am 28. März 1933 hatte die Leitung der NSDAP die Bildung von Aktionskomitees zur Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, auch jüdischer Anwälte am I.April 1933 angeordnet. In seiner RV nahm Kerrl die geplante Aufwallung des Volkszorns bereits vorweg. So ließen sich später die geplanten Maßnahmen auf das quasi plebiszitäre Verlangen der Volksmassen zurückführen. Die Boykottaktionen verfehlten ihre Wirkung nicht. Deutlicher als der Tag der „Machtergreifung" selbst, machte der l. April 33 der deutschen Öffentlichkeit den unbedingten Machtanspruch der Nationalsozialisten und ihre Fähigkeit deutlich, ihn auch durchzusetzen. Der später in Berlin tätige Strafverteidiger Paul Rouge, ehemals Mitglied des Republikanischen Richterbundes und in Königsberg mit einem jüdischen Anwalt assoziiert, hat in seinen Memoiren beschrieben, welche Mischung von Karrierismus und berechnender Feigheit an diesem Tag und den folgenden das Erscheinungsbild der Justiz beherrschte. Nach seiner Darstellung waren es nur wenige, die so viel Zivilcourage besaßen, das Selbstverständliche weiter zu pflegen, etwa sich den Anwalt ihrer Wahl zu nehmen15. Ähnlich ist das Bild, das Siegfried Neumann, ein jüdischer Rechtsanwalt, in seinen Erinnerungen an diese Zeit vermittelt16. An verschiedenen Orten weigerten sich Kammervorstände, dem Rücktrittsbefehl Folge zu leisten: Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Gelle unter Hinweis darauf, daß die RAO eine Mitwirkung der Justizverwaltung an der Bildung des Kammervorstandes nicht vorsehe. Er wies auch das Angebot des einzigen jüdischen Vorstandsmitgliedes, zurückzutreten, „mit Rücksicht auf die langjährige verdienstvolle Mitarbeit" zurück. Der OLG-Präsident enthob daraufhin durch Verfügung vom folgenden Tag den Vorstand von seinen Amtsgeschäften und setzte einen

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Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939

Kommissar ein17. Auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Hamm widersetzte sich dem Rücktrittsbefehl, leistete ihm jedoch auf Drängen des OLGPräsidenten Folge. Der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer Kiel teilte dem dortigen OLG-Präsidenten mit, der Vorstand beabsichtige nicht, zurückzutreten. Über den weiteren Verlauf der Ereignisse in Kiel ist mir nichts bekannt18. Kerrl beeilte sich, solchen oppositionellen Regungen zuvorzukommen, indem er bereits am 11.4. 33 zum nächsten Schlag ausholte. In einer RV dieses Datums an die OLG-Präsidenten verfügte er, den Kommissaren, die nun überall an der Spitze der Kammern standen, solle Anweisung erteilt werden, schnellstens Neuwahlen auszuschreiben. Als Zeitpunkt wurde für ganz Preußen einheitlich der 22.4.33, nachmittags drei Uhr vorgeschrieben. Die Tagesordnung umfaßte lediglich zwei Punkte: 1. Beschlußfassung nach § 54 RAO darüber, daß in Abweichung von der Geschäftsordnung die Neuwahlen zum Vorstand der Anwaltskammer ohne Aussprache in einem Wahlgang durch Zuruf mit absoluter Stimmenthaltung erfolgen. 2. Neuwahl der Mitglieder des Kammervorstandes. In der RV hieß es weiter, die Versammlungen sollten in öffentlicher Sitzung stattfinden, um das verlorengegangene Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen19. Ein Beispiel der danach stattfindenden Neuwahlen gibt der Rechenschaftsbericht des Kommissars aus Düsseldorf: Eingeladen war eine lange Liste von Vertretern des öffentlichen Lebens, darunter der OLG-Präsident, der Generalstaatsanwalt, der Präsident des Strafvollzugsamtes, die LG-Präsidenten, die AG-Direktoren, sämtliche Oberstaatsanwälte, der Präsident des Finanzamtes, der Postpräsident, der Polizeipräsident, der Landrat, Vertreter des BNSDJ, der Gauleitung und der Kreisleitung der NSDAP, der SS, der SA, des Stahlhelm (BdF) und der Deutschnationalen Volkspartei. „Außerdem hatte die SS Düsseldorf einen Saalschutz bestellt, ferner waren die SA durch eine Abordnung von 25 Mitgliedern, die SS mit ebenfalls 25 Mitgliedern und der Stahlhelm mit 15 Mitgliedern vertreten, alle drei Verbände ebenfalls durch Fahnenabordnungen. Vor Eröffnung der Sitzung durch den Kommissar zur vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der Anwaltskammer marschierten die Abordnungen der nationalen Verbände unter den Klängen einer im Vorsaale aufgestellten Musikkapelle in den Versammlungsraum ein und nahmen hinter dem Vorstandstisch und an den Seitenwänden Aufstellung. Der Saal war durch Hakenkreuzfahnen und durch Fahnen in schwarz-weiß-rot und schwarz-weiß geschmückt. Hinter dem Herrn Vorsitzenden war ein überlebensgroßes Bild des Herrn Reichskanzlers angebracht. Die Versammlung schloß mit dem Absingen des Deutschland- und Horst-Wessel-Liedes."20

In Hamm schaffte es die Kammerversammlung, die Wahl in ganzen 15 Minuten abzuwickeln. Unter den anwesenden Anwälten mochte die rechte

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Begeisterung nicht aufkommen. Wenige Anwesende stimmten gegen die Einheitsliste. Immerhin ist das im Bericht vermerkt21. In Berlin präsidierte in Parteiuniform der Rechtsanwalt Neubert, den der Präsident des KG am 31. 3. 33 nach dem Rücktritt des alten Kammervorstandes als Kommissar eingesetzt hatte22. Auch hier vollzog sich die Wahl, wie es in der Presse hieß, „in fast ausnahmslos durchaus neuen Formen". Neben 700 Anwälten versammelten sich 300 Menschen aus der „Bevölkerung". Einige Anwälte kamen im Gedränge nicht mehr in den Saal. Das „Wahl"verfahren provozierte Proteste, die sich in verschiedenen „sehr lebhaften" Zwischenrufen entluden. Wortmeldungen wurden nicht zugelassen23. In einem Schreiben an den Präsidenten der Preußischen Anwaltskammervorstände, Rechtsanwalt Neubert, konnte Kerrl voller Genugtuung feststellen, alle Anwaltskammervorstände seien mehrheitlich nationalsozialistisch. Nur ein Vorsitzender sei kein Nationalsozialist, dafür aber deutschnational; damit war man auch zufrieden. Er äußerte die Erwartung, daß die Preußischen Anwaltskammern nun den Stand säubern und reinhalten würden24. Mehr als es selbst dem Ministerium lieb war, haben sich die Kammervorstände später bemüht, diesen Wunsch zu erfüllen25. Es wurden Stimmen laut, die rieten, durch Änderung der RAO die neuen Kammervorstände zu legitimieren. Damit sollte eine Schädigung des Ansehens der „nationalen Regierung" vermieden werden, die dadurch hätte eintreten können, daß unabhängige Gerichte in Streitigkeiten nach §67 RAO die Einrede der mangelnden Rechtsbefugnis des Vorstandes gelten ließen26. Solchen Bedenken wurde im Gesetz vom 6.1. 3427 Rechnung getragen, das den gefundenen Zustand anerkannte und bis zum 31. 3.35 befristete. Aber das RMJ tat sich schwer, eine Neuregelung an die Stelle des Provisoriums zu setzen. Zunächst wurde ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der eine Ernennung der Kammervorstände alle vier Jahre durch den Reichs justizminister vorsah. Ein eklatanter Eingriff in die — allerdings bereits lädierte — „freie Advokatur", der auch von der Anwaltschaft so verstanden und von vielen abgelehnt wurde. Der Staatssekretär im RMJ, Scblegelberger, berief, um zu einer Einigung zu gelangen, Anfang 1935 einige Vertreter der Anwaltschaft und des BNSDJ zu einer Konferenz ins Ministerium. Die anwesenden Rechtsanwälte wiesen auf die „gedrückte Stimmung" unter den Anwälten hin. Sie beschworen das „Ende des freien Berufes". Sie wünschten „unter dem Ventilgesichtspunkt" eine Regelung, die den Kammermitgliedern doch wenigstens ein geringes Mitspracherecht einräumen sollte. Das einzige, worauf man sich zuletzt einigte, war, die Angelegenheit um ein halbes Jahr zu vertagen28. Die amtliche Begründung des „Zweiten Gesetzes über die Vorstände der Anwaltskammern", das die im Gesetz vom 6.1.34 gefundene Regelung bis zum 30. 9. 35 verlängerte, machte jedoch allen Interessierten klar, daß man sich keine falschen Hoffnungen machen durfte: „Eine Rückkehr zum alten System der Vorstandswahlen durch die Gesamtheit der Kammermitglieder kommt nicht in Frage."29 Ein „Drittes Gesetz über die Vorstände der Anwaltskammern" verlängerte die Frist bis zum 31. 3. 36. Erst die RRAO vom 21. 2. 36 brachte die erwartete Neuregelung. Aus den Kammervorsitzenden wurden die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern. Der Verlust ihrer unabhängigen Stellung stand im

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schlechten Verhältnis zum Glanz ihres neuen Titels: Sie wurden weisungsgebundene Ausführungsorgane des Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer. Die Kammern verloren ihre Rechtsfähigkeit. Sie durften ihre Präsidenten nur noch beraten. Ernannt wurden diese vom RMJ im Einvernehmen mit dem Reichsrechtsführer auf Vorschlag des Präsidenten der RRAK (§§ 54, 55 RRAO). Die Befürchtung, die der Vorsitzende der RAK Halle, Noack, (später Kommentator der RRAO) anläßlich jener Besprechung bei Schlegelberger im RMJ äußerte, es könne sich eine Kluft zwischen den „aufoktroyierten" Vorständlern und den Anwälten auftun, findet eine gewisse Bestätigung in einer Bemerkung des Rechtsanwalts Volkmann aus Düsseldorf in seiner Besprechung der Entscheidungen des Ehrengerichtshofes der RRAK aus dem Jahr 193530. Volkmann stellte fest, daß Verstöße gegen Anordnungen der Präsidenten der RAK „auffällig häufig" zu rügen gewesen seien, „so die Verweigerung der Auskunft (29, 96,136), ungehöriges Verhalten (29, 221), Nichtbeantworten von Anfragen (29, 220), unwahre (29, 51, 196), unvollständige (29, 57, 127) oder ungenaue (29, 83) Angaben gegenüber der Rechtsanwaltskammer." Der Verlust der politischen Autonomie des Anwaltsstandes war von denen, die ihm angehörten, ohne größeren Widerstand hingenommen worden. Einige Anwälte begrüßten die neue Entwicklung, manche wirkten nach Kräften mit, sie zu befördern. Für die Mehrzahl wird man aber sagen können, daß sie den Veränderungen eher reserviert gegenüberstand, ohne es doch des Risikos wert zu finden, in sie einzugreifen. Dieses Bild von der Anwaltschaft im Jahr der „Machtergreifung", 1933, entspricht dem von Güstrow^ gezeichneten und wurde mir auch von vielen Zeitzeugen, die ich befragen konnte, bestätigt. Die letzten freien Wahlen zum Vorstand der RAK Berlin im Januar 1933, an denen zum ersten Mal in Deutschland eine nationalsozialistische Liste teilnahm, erwiesen, daß die Anhängerschaft der Nationalsozialisten in der Anwaltschaft gering war. Kein nationalsozialistischer Kandidat gelangte in den Kammervorstand. Auch bei den Nachwahlen, die im folgenden Monat stattfanden, erhielten die nationalsozialistischen Kandidaten nur 26 bzw. 21 Stimmen32. Die vornehme Zurückhaltung der Mehrzahl ihrer Kollegen kam aber die teuer zu stehen, die in der Folgezeit Opfer der „Säuberungs"maßnahmen wurden, die die tätige Unterstützung der neuen Kammervorstände fanden. Bevor das Augenmerk hierauf gelenkt wird, sei aber ein Blick auf weitere wichtige organisatorische und institutionelle Veränderungen geworfen. Vom DAV zur Reichsrechtsanwaltskammer Das Schicksal der Anwaltskammern vor Augen forderte der Präsident des Deutschen An waits Vereins, Dix, die jüdischen Vorstandsmitglieder auf, zurückzutreten33. Ein erstaunlicher Wandel angesichts der Solidaritätsbekundungen, die er noch ein Jahr zuvor gegenüber seinen jüdischen Kollegen abgegeben hatte34. Dix begründete ihn in einem Schreiben an die Vorstandsmitglieder des DAV vom 7.4.33 mit dem „Interesse der Erhaltung der Selbständigkeit des DAV", die diesen Schritt „unbedingt notwendig" erscheinen lasse. Für ihn bedeute diese Entscheidung „ein Opfer meiner ganzen persönlichen Einstellung an die harte

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Notwendigkeit".35 Die Angesprochenen folgten der Aufforderung des Präsidenten. Der Restvorstand übte sein Amt geschäftsführend weiter aus. Rechtsanwalt Voss aus Berlin wurde vom BNSDJ als „Vertrauensmann" in den DAV entsandt, später zum „Beauftragten des Reichsjustizkommissars zur Überführung des DAV in den BNSDJ" aufgewertet. Am 18.5.33 beschloß die Mitgliederversammlung den korporativen Beitritt des DAV zum BNSDJ unter Beibehaltung seiner eigenen Rechtspersönlichkeit. Nachdem der Reichsrechtsführer Frank im September 1933 angeordnet hatte, sämtliche noch bestehenden juristischen Fachvereinigungen aufzulösen und in den BNSDJ zu überführen, löste sich am 27.12. der DAV unter Eingliederung in die Fachgruppe „Rechtsanwälte" im BNSDJ auf, deren Leiter Raeke bereits im September zum DAV-Präsidenten gewählt worden war. Die Liquidierung des Vereinsvermögens dauerte bis zum Juni 1936. Die Zeitschrift des DAV, die traditionsreiche „Juristische Wochenschrift", ging — nach verschiedenen Phasen der Fusion mit dem „Deutschen Recht" — im Mai 1939 endgültig in der Zeitschrift des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes auf36. Noch während sich im DAV die ehemals bedeutendste nationale Anwaltsorganisation, der zuletzt 15.000 Mitglieder angehörten, in der Auflösung befand, entstand eine neue, öffentlich-rechtlich organisierte: Die Reichsrechtsanwaltskammer. Vorarbeiten für eine solche Einrichtung waren bereits in der Weimarer Republik in Angriff genommen worden. Hieran waren der DAV und Vertreter der einzelnen Anwaltskammervorstände beteiligt. Ein Gesetzentwurf, den sie Ende der zwanziger Jahre erarbeiteten, wurde mit geringfügigen Änderungen durch VO vom 18. 3. 3337 als § 61a in die RAO eingefügt38. Zunächst war es eine ziemlich harmlose Angelegenheit: Die Reichsrechtsanwaltskammer wurde von Delegierten der einzelnen Kammervorstände gewählt. Sie sollte der Kooperation und Kommunikation der Anwaltskammern dienen, in deren Selbständigkeit nicht eingegriffen wurde. Das änderte sich bereits im März 1934, als die zweite Instanz der Ehrengerichtsbarkeit vom Ehrengericht beim Reichsgericht (mehrheitlich von Richtern besetzt) auf den neugeschaffenen Ehrengerichtshof (EGH) der RRAK überging (mehrheitlich von Anwälten besetzt). Daß die höchsten anwaltlichen Ehrengerichte mehrheitlich von Anwälten gebildet werden sollten, war eine alte Forderung der Anwaltschaft. Nach der Nazifizierung der Kammervorstände, die die RRAK und damit auch die Anwaltsvertreter im EGH wählten, ließ sich daher als Entgegenkommen gegenüber den Rechtsanwälten verkaufen, was doch in Wahrheit der Erneuerung des Standesrechts in nationalsozialistischem Sinne diente. Die Resultate blieben aber weit hinter den in den EGH gesetzten Erwartungen zurück39. Mit der RRAO von 1936 wurde die Reichsrechtsanwaltskammer zur alleinigen „Trägerin der anwaltlichen Selbstverwaltung"40. Die Anwaltskammern verloren ihre Rechtspersönlichkeit. Das Vertretungsverbot Die Überlegungen der Anwaltschaft, wie sich die bedrohlichen Verfallserscheinungen gegen Ende der Weimarer Republik disziplinarisch bewältigen ließen, hatten weitere Reformideen hervorgebracht. Darunter fand sich auch der Vorschlag, ein

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sog. Vertretungsverbot einzuführen. Es sollte über diejenigen Anwälte verhängt werden können, gegen die im ehrengerichtlichen Verfahren die öffentliche Klage erhoben worden war und deren Ausschluß aus der Anwaltschaft zu erwarten stand. Schon die Kommission, die den Entwurf der RAO vom 1.10. 1879 erarbeitete, hatte es erwogen, zuletzt aber verworfen41. Im Zuge der autoritären Bestrebungen zur Reform des Anwaltsrechts in der Endzeit von Weimar leitete das RMJ dem Reichsrat einen Gesetzesentwurf über die einstweilige Untersagung der Ausübung des An waits berufes zu42. Hierauf geht die Regelung zurück, die in der — bereits genannten — VO vom 18.3.33 geschaffen wurde. Legte sie das Instrument des Vertretungsverbots zunächst noch in die Hände der Ehrengerichte, so gab das G vom 7.4. 3343 der Justizverwaltung die Möglichkeit, mit Hilfe von Vertretungsverboten die Austreibung jüdischer und „kommunistischer" Anwälte zu beschleunigen. Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte Breslau hatte den Anfang gemacht. Die Aktionen, die dort zum Ausschluß der überwiegenden Zahl der jüdischen Rechtsanwälte geführt hatten44, fanden im übrigen Reichsgebiet wenig später ihre Nachfolger. Zunächst Köln: Am 3I.März, schon einen Tag vor dem von der NSDAP ausgerufenen Boykottag, wurde das Gerichtsgebäude am Reichensperger Platz gestürmt, jüdische Anwälte in Müllwagen durch die Stadt gefahren45. Überall in Deutschland wurde jüdischen Rechtsanwälten nach dem 1. April Hausverbot erteilt. Nur eine kleine Anzahl, die dem Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung entsprechen sollte, durfte weiterhin vor Gericht auftreten46. Da aber die aus den Gerichtsgebäuden verwiesenen Anwälte weiterhin zugelassen waren, obwohl man sie so behandelte, als sei ihnen die Zulassung bereits entzogen, wurde ein faktisches Berufsverbot durch ergänzende Maßnahmen durchgesetzt. In Preußen verfügte Kerrl in dem bereits zitierten Erlaß vom 31. März 33, es sei „selbstverständlich", daß Juden künftig nicht mehr als Armenanwälte beigeordnet oder zu Pflichtverteidigern bestellt werden sollten. Staatsaufträge seien ihnen nicht mehr zu erteilen. Anwaltliche Organisationen erklärten, es gelte fortan als standeswidrig, jüdische Rechtsanwälte zu vertreten; standesgemäß sei es dagegen, Versäumnisurteile zu beantragen, wenn jüdische Anwälte wegen des Hausverbots am Erscheinen verhindert seien. Im übrigen forderten sie dazu auf, Sozietäten zwischen jüdischen und „arischen" Rechtsanwälten aufzulösen, widrigenfalls betreffende christliche Kollegen wie Juden behandelt würden47. In Magedeburg wurde den jüdischen Anwälten, nachdem sie aus dem Verein Magdeburger Rechtsanwälte und Notare e.V. ausgeschlossen worden waren48, der Zutritt zum Anwaltszimmer versagt, das bis dahin allen Anwälten zur Verfügung stand. Am Eingang wurde ein Schild mit der Aufschrift angebracht: „Zimmer der deutschen Rechtsanwälte." Das Wort „deutschen" wurde in roter Farbe geschrieben. Auf einem anderen Schild hieß es: „Jüdische Rechtsanwälte Zimmer 150".

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Die betroffenen jüdischen Rechtsanwälte protestierten gegen diese Diskriminierung beim Präsidenten und beim OLG-Präsidenten von Naumburg. Beide erklärten, es handele sich um eine vereinsinterne Angelegenheit, auf die sie keinen Einfluß hätten. Auch eine Eingabe beim Reichsjustizministerium blieb ohne Erfolg. Der Motor dieser Aktionen, ein Rechtsanwalt Kublmey, ging so weit, nichtjüdischen Anwälten Vorhaltungen zu machen, wenn sie jüdischen im Gerichtsgebäude die Hand gaben49. Die gesetzliche Regelung Bald folgte ein Gesetz50. Nach § l Abs. l konnte die Zulassung von Rechtsanwälten, die „nichtarischer" Abstammung waren, zurückgenommen werden. Ausgenommen waren nach Absatz 2 diejenigen Rechtsanwälte, die bereits vor dem 1.8. 1914 zugelassen oder im Weltkrieg Frontkämpfer oder Väter oder Söhne von im Weltkrieg Gefallenen waren. Nach §2 verloren „nichtarische" Juristen den Zulassungsanspruch. Zwingend vorgeschrieben war in § 3 der Ausschluß von „Personen, die sich in kommunistischem Sinne betätigt haben." § 4 gab der Justizverwaltung das neugeschaffene Instrument des Vertretungsverbots in die Hand. Damit sollte die Zeit überbrückt werden, die man sich für die Entscheidung über die Zurücknahme der Zulassung lassen wollte. In Preußen wurde der Zustand, den der Erlaß vom 31.3.33 geschaffen hatte, bis zum 8. 5. 33 befristet. Bis dahin hatten die Präsidenten der OLGe die Rechtsanwälte zu ermitteln, denen Vertretungsverbot erteilt werden sollte51. Hierbei sollten sie die Vorstände der Anwaltskammern unterstützen52. Die jüdischen Anwälte, die für sich die Voraussetzungen des § l Abs. 2 des G vom 7.4. 33 „in Anspruch nahmen"53, hatten ihr Vorliegen selbst darzulegen54. Den Gerichten in Preußen wurde am 31.5.33 erneut in Erinnerung gebracht, daß die Wiederzulassung nichtarischer Rechtsanwälte „keineswegs" bedeute, daß sie nun wie ihre „arischen" Kollegen zu behandeln seien. In einer RV vom selben Tag erklärte der Preußische Justizminister, bei der Auswahl von Armenanwälten, Pflichtverteidigern etc. seien „selbstverständlich" nicht nur „die Interessen der im Einzelfall beteiligten sondern auch die berechtigten Auffassungen des deutschen Volkes" zu berücksichtigen55. In Hamburg und in Baden gab es ähnliche Erlasse. Gärtner — und mit ihm einige Länder — wünschte eine zurückhaltendere Übung. Hierfür berief sich der RMJ auf den Zwang zu außenpolitischer Rücksichtnahme und warnte besonders vor „unvorsichtigen Formulierungen"56. Deutsch das Recht und deutsch die Männer Gürtner, der Reichs justizminister, hatte allen Grund, die Überzeugunskraft außenpolitischer Notwendigkeiten zu bemühen. Denn die im G vom 7.4.33 gefundene Regelung stieß auf den lautstarken Protest derer, die geglaubt hatten, mit der vollständigen „Entjudung" der Anwaltschaft deren Krise bewältigen zu können. Sie fühlten sich nun um die Früchte ihres engagierten Wirkens geprellt. Etwa in

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Preußen waren von den 3396 „nichtarischen" Anwälten vor der Austreibung am 1.8.33 immer noch 2276 zugelassen. Das waren etwa 67%. In München waren es vorher 198, nachher 12757. Die Arbeitsgemeinschaft rheinisch-westfälischer Anwaltsvereine protestierte in ihrer „Kundgebung", von der bereits die Rede war und die sie an Hitler, an den Reichsjustizminister und andere gerichtet hatte, gegen die Rückkehr der jüdischen Rechtsanwälte. Sie verlangte „die sofortige Aufhebung dieses Gesetzes, das von der überwiegenden Masse des Volkes und der Richter mit der gleichen Leidenschaftlichkeit abgelehnt wird ... Deutsch das Recht und deutsch die Männer, die es anzuwenden haben." Zugleich forderte die Versammlung den Rücktritt von DAV-Präsident Dix, u. a. wegen „seiner Stellungnahme zur Judenfrage sowie deswegen, weil er bei der Antwort auf die bekannten Äußerungen des Abgeordneten Kube zu weit gegangen ist .. ."58 An anderen Orten schritten die „Empörten" zur Tat. Breslaus Vorbild fand viele Nachahmer: In Gelle und Frankfurt/Main gingen „erregte Volksmengen" am 10.5.33 — aufgebracht durch das „plötzliche Wiederauftreten jüdischer Rechtsanwälte" — daran, die Gerichtsgebäude zu säubern. In Hannover galt der organisierte Volkszorn einem Richter, der Israel hieß, aber kein Jude war59. Der LGPräsident von Hannover erließ daraufhin erneut ein Hausverbot gegen die jüdischen Anwälte, das bis zum 22.5. wirksam blieb. In Duisburg-Hamborn drang am 29.5. eine Menschenmenge in das LG ein und zwang die anwesenden jüdischen Anwälte zum Verlassen des Gerichtsgebäudes. Ebenfalls in Duisburg protestierte der BNSDJ, in dem nach seinen eigenen Angaben 80% der Richter und Staatsanwälte organisiert waren, gegen die Wiederzulassung jüdischer Rechtsanwälte. Die Vorfälle in Frankfurt wiederholten sich am 27.6. Da waren es aber bereits 500—600 Demonstranten, die das Gebäude des OLG stürmten. Die Demonstration wurde von der NSDAP organisiert und war der Polizei vorher bekannt, die aus „polizeipolitischen Gründen" ein Einschreiten ablehnte. Jüdische Rechtsanwälte wurden aus den Sitzungszimmern gezerrt, mißhandelt und abtransportiert60. Solche Aktionen erregten das Mißfallen der in den Ministerien etablierten Nationalsozialisten. Quer über die Nachricht von den Frankfurter Vorfällen vom 27. 6. schrieb Freister — offensichtlich wütend — in großem Schriftzug: „Nach mdl. Rücksprache ist Vorsorge getroffen, daß sich derartiges nicht wiederholt."61 Eine „Palastrevolution" der RAK Nürnberg wurde in Bayern auf Geheiß von Frank (damals noch Bayerischer Justizminister) durch den Münchener Kammervorsitzenden Mössmer niedergeschlagen62. Damit war die Lawine, einmal ins Rollen gekommen, nicht aufzuhalten. In den Ministerien häuften sich die Zuschriften von Rechtsanwälten, die eine konsequente Lösung der Judenfrage forderten, die verlangten, das „Judentum in Sache und Person völlig auszumerzen"63, die von einer „erregten" Stimmung unter ihren

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Mandanten wegen der Anwesenheit jüdischer Rechtsanwälte berichteten, Denkschriften und Gesetzes Vorschläge zur Lösung der Judenfrage einreichten und vieles mehr64. Durch vorsichtiges Taktieren versuchten die jüdischen Anwälte, ihre Position zu behaupten. Hachenburg räumte in einem Aufsatz in der JR vom 1.5. 3365 die „übermäßige Einwirkung der nichtarischen Juristen" auf das deutsche Rechtsleben ein und empfahl seinen jüdischen Kollegen Zurückhaltung, appellierte aber zugleich an die politische Vernunft seiner „arischen" Kollegen, die er darauf hinwies, daß die „freie Advokatur" durch die Maßnahmen gegen die jüdischen Anwälte empfindlichen Schaden nehme. Die Einführung eines „numerus clausus" für eine bestimmte Gruppe von Rechtsanwälten lasse befürchten, daß demnächst aus der Zulassung ein Hoheitsakt der Regierung werde. Er sollte Recht behalten, aber seine Warnung blieb ungehört. Mit der 2. DVO zum G vom 7.4.33 66 wollte das RMJ am 2.10.33 einen Schlußstrich unter die Auseinandersetzungen um die Austreibung der Juden aus der Anwaltschaft ziehen. Es hieß darin: „Die im Amt verbliebenen jüdischen Rechtsanwälte bleiben im vollen Genuß ihrer Berufsrechte und haben Anspruch auf die Achtung, die ihnen als Angehörigen ihrer Standesgemeinschaft zukommt."

Diese Erklärung, mag sie auch dem guten Willen des RMJ entsprochen haben, schien mehr für das Ohr des Auslands bestimmt als geeignet, den weiter andauernden Verdrängungsprozeß gegen die noch verbliebenen jüdischen Anwälte zu stoppen. Es oblag nun den Gerichten und Ehrengerichten, die Juden weiter aus dem Rechtsleben auszuschließen. Dem ist an anderer Stelle ein eigener Abschnitt gewidmet67. Den Maßnahmen gegen die jüdischen Anwälte fielen einige der bedeutendsten Strafverteidiger der Weimarer Republik zum Opfer. Aisberg war unter den Ausgeschlossenen68, Erich Frej, sein großer Rivale auf forensischem Parkett, Alfred Apfel, bekannt als Verteidiger angeklagter Kommunisten sowie als Rechtsanwalt von Ossiet^ky, Rudolf Olden, Strafverteidiger und Publizist, Paul Reiivald, Arthur Brandt^ und viele andere ihrer bedeutendsten Köpfe schieden aus der Anwaltschaft aus. Nicht nur dadurch wurde die Strafverteidigung durch den Ausschluß der Juden getroffen. Er war zugleich — blieben am Ende auch mehr zugelassen, als viele „Arier" gehofft hatten — ein Fanal der Entschlossenheit und Machtvollkommenheit der Nationalsozialisten und zeitigte auch damit Wirkungen, die weit über den konkreten Anlaß hinausgingen. Unmittelbare Konsequenzen für die Stellung des (politischen) Strafverteidigers hatte der Ausschluß derjenigen Anwälte, denen man — nach § 3 des G vom 7.4. 33 — vorwarf, „sich in kommunistischem Sinne betätigt" zu haben. Die Vorschrift diente nicht allein der „Säuberung" des Standes von denen, die in der Vergangenheit als Verteidiger kommunistischer Angeklagter hervorgetreten waren. Sie wirkte auch — und das mit verheerenden Folgen — in die Zukunft. Dem leistete eine völlig willkürliche Auslegung des Gesetzes Vorschub, die unter der Anwaltschaft große Unsicherheit stiftete, so daß die meisten es vorzogen, mit

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politisch verfolgten Mandanten nicht in eine freiwillige Verbindung zu treten. Wurden sie als Offizialverteidiger bestellt, gestalteten sie ihre Verteidigung entsprechend. Der Ausschluss der „kommunistischen" Anwälte Vieles wird am Schicksal eines Einzelnen deutlich. Bevor daher der Leser mit der rechtlichen und organisatorischen Abwicklung des Ausschlusses „kommunistischer" Verteidiger bekannt gemacht wird, soll der Fall des Rechtsanwaltes W.70 deutlich machen, wie wenig das Preußische und spätere Reichsjustizministerium bereit war, auf die Besonderheiten des Einzelfalles Rücksicht zu nehmen, wo es darum ging, unter den Anwälten ein Klima der Verunsicherung und Denunziation zu verbreiten. Der Fall W. Am 15.3.33 fand sich in einer nationalsozialistischen Regionalzeitung unter der Schlagzeile „Es wird ausgemistet" ein kurzer Artikel mit der Überschrift „KPDRechtsanwalt W. aus dem Justizgebäude verjagt". Darin wurde gemeldet: „Wie uns berichtet wird, ist der bekannte Funktionär der KPD, Rechtsanwalt Dr. W., am Freitag Vormittag von Volksgenossen, die darüber empört sind, daß dieser geistige Hilfsführer der Verbrecherorganisation KPD noch wagt, als .Rechtsanwalt' aufzutreten, aus dem Justizgebäude am R.-Platz verjagt worden. ,Heldenhaft' entzog sich dieses Leuchtchen am kommunistischen Himmel durch schleunigste Flucht mit .wehendem Talar' einer gehörigen Tracht Prügel."

Es folgte eine Reihe von Anschuldigungen, in denen behauptet wurde, W. sei bereits wegen zahlreicher Vergehen strafrechtlich und disziplinarisch verfolgt worden. Der Artikel endete: „Sogar wegen Sittlichkeitsverbrechen an einem 16jährigen Kinde schwebt das Strafverfahren gegen diese typische Blüte kommunistischer Internationale!"

Bereits drei Tage später mußte die Zeitung eine Gegendarstellung von Rechtsanwalt W. veröffentlichen, in der es hieß: „l. Unwahr ist, daß Rechtsanwalt Dr. W. von empörten Volksgenossen aus dem Justizgebäude verjagt wurde, vielmehr hat der Justizangestellte S. provozierend und ganz allein drohende Rufe ausgestoßen und sich sodann schleunigst davongemacht. Unter den Beobachtern des Vorfalls herrschte allgemein Entrüstung, aber nur über das Verhalten des betreffenden Justizsekretärs. Rechtsanwalt Dr. W. hatte nach dem Vorfall keine Veranlassung, sich zu entfernen, und hat sich nachher noch über eine Stunde im Gespräch mit seinen Kollegen dort aufgehalten."

W. bestritt, Funktionär der KPD gewesen zu sein. Er habe auch niemals „kommunistische Hetzreden" gehalten. Das Disziplinarverfahren gegen ihn bei der Anwaltskammer sei „als unbegründet zurückgewiesen" worden. Es hieß weiter „5. Unrichtig ist, daß Rechtsanwalt Dr. W. sich strafbarer Handlungen irgendwelcher Art hat zu schulden kommen lassen. Richtig ist, daß aus Anlaß von Zivilprozessen interessierte

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Personen Anzeigen und Privatklagen gegen in den Sachen amtlich tätige Personen, gegen Zeugen und auch gegen Dr. W. erstattet haben. Soweit diese Verfahren noch nicht durch Abweisung oder durch Einstellung erledigt sind, wird die Prüfung die vollkommene Haltlosigkeit der Anzeigen ergeben."

Die Erregung des Volkes entpuppte sich in der Folgezeit als schlecht inszeniertes Komplott einiger persönlicher Feinde W.s, die ihre Stunde gekommen sahen, den Gegner zu ruinieren. Es sollte ihnen gelingen. Am 8.4. wurde W. in Schutzhaft genommen. Er wendete sich in zwei Schreiben an den Präsidenten des OLG, unterstrich seine nationale Gesinnung, seine Herkunft aus christlicher Familie, distanzierte sich vom Marxismus, betonte jedoch, daß er ihm insoweit zustimme, als er die Verbesserung der Lebensbedingungen für die „ärmeren Volksschichten" fordere. Er beteuerte, seine Verteidigung niemals politisch geführt zu haben und schrieb weiter, „daß ich mich immer von meinen linksgerichteten Klienten genügend distanziert habe." Im Folgenden beleuchtete er die Hintergründe des Komplotts: Beteiligt waren seine geschiedene Ehefrau, ihr „angeblicher Verlobter" Seh. sowie zwei Männer, S. und K., die in Zivilprozessen unterlagen, in denen W. die Gegenseite vertrat. Dazu kam ein Rechtsanwalt Dr. Seh. Die geschiedene Ehefrau versuchte W. in Mißkredit zu bringen, um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zugesprochen zu erhalten, das W. innehatte. Am 28.4. wurde W. mit der Auflage, sich aus der Stadt zu entfernen, aus der Schutzhaft entlassen. Der Polizeipräsident teilte am 1.5. dem OLG-Präsidenten mit, W. sei in den letzten Jahren häufig als Anwalt der Roten Hilfe aufgetreten und habe dabei die der NSDAP angehörenden Zeugen scharf angegriffen. Er habe sich auch agitatorisch für die KPD betätigt. Am 5.5. erließ der preußische Justizminister ein Vertretungsverbot gegen W. Für W. verwendete sich der Regimentsbund, dem er aus seiner Zeit als Kriegsteilnehmer angehörte. Der Leiter des Rechtsamtes der NSDAP, ein „alter Kämpfer" und Rechtsanwalt, erklärte, W. habe niemals die Verteidigung im politischen Sinne geführt und sich auch keineswegs mit den politischen Ideen der Angeklagten solidarisch erklärt. In eine ähnliche Richtung zielten auch die Ausführungen von acht Richtern und (Ober-) Staatsanwälten, die sich, befragt, für W. aussprachen: Er habe „mäßigend" auf seine Mandanten eingewirkt, in einem Fall die Erklärung des Angeklagten mit den Worten unterbrochen: „Sie sind hier nicht in einer Kommunisten Versammlung." Ein Richter berichtete von einem Gespräch zwischen dem Kommunistenführer Bästlein und dessen Ehefrau, dem er beiwohnte. Bästlein habe gegenüber seiner Ehefrau über das mangelnde Engagement B^.s geklagt und um Vermittlung eines anderen Verteidigers gebeten. Selbst diese Leumundszeugnisse nützten W. nichts. Am 27. 6. 33 wurde seine Zulassung als Rechtsanwalt zurückgenommen. Eine Begründung findet sich in der Akte nicht. Vier Tage später trat W. der SA bei. Er versuchte, sich als Mann der Bewegung zu bewähren. In der Folgezeit unterstützten seine SA-Brigade und selbst die Kreisleitung der NSDAP sein Gesuch, wieder zugelassen zu werden.

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Der Führer der SA-Brigade schrieb am 6.11. 34, das gegen W. wegen kommunistischer Betätigung bei der Brigade eingeleitete Verfahren habe ergeben, daß „die Behauptungen über die angebliche kommunistische Betätigung von Denunzianten in lügenhafter Weise aufgestellt wurden, wo diese vor Fälschungen nicht zurückschreckten, um die Behörden zu täuschen." Er hob hervor, daß W. „seit langen Jahren alte Kämpfer ... vertreten hat. Von seinen alten nationalsozialistischen Klienten wird ihm das Zeugnis eines unbedingt national gesinnten und selbstlosen Menschen ausgestellt und Bürgschaft für ihn geleistet." K., einer der „Verschwörer" gegen W., gab am 5.7.35 gegenüber der Kreisleitung der NSDAP zu, daß seine Erklärung, W. sei Mitglied der KPD gewesen, unrichtig und ihm unter Androhung von Gewalt von Mitverschwörer Seh. und SA-Männern abgenötigt worden sei. In der Folgezeit räumte auch die örtliche Gestapo ein, daß die Beweise, die für eine kommunistische Betätigung W.s vorgelegen hatten, sich als nicht stichhaltig erwiesen. Die Gauleitung der NSDAP erhob keine Bedenken gegen W.s Wiederzulassung (Schreiben vom 15.7.33). Der Vorstand der Anwaltskammer schloß sich dem am 5.10. 35 an. Der OLG-Präsident berichtete dem Reichsjustizministerium am 16.10.35. Sein Bericht endete: „Ich habe keine Veranlassung, der abschließenden Stellungnahme der Gauleitung und des Vorstandes der Anwaltskammer zu widersprechen und schlage daher vor, den Zurücknahmebescheid vom 27.6. 33 und die Löschung in der Liste der Rechtsanwälte aufzuheben."

Nun meldeten sich zwei Kollegen zu Wort, die W. schwer belasteten. Die Vorwürfe des einen Anwaltes ließen sich durch die Aussage eines „alten Kämpfers" entkräften. Der andere dagegen blieb bei seiner Ansicht: „Sein (IF.s) Verrat an der nationalen Sache war damals so augenfällig und verriet eine derartige charakterliche Minderwertigkeit, daß ich überzeugt bin, daß seine Wandlung zum Nationalsozialismus nur eine konjunkturmäßige Umstellung ist."

In seinem Bericht vom 28. 2.36 an das RMJ lieferte der OLG-Präsident die Motive dieses Denunzianten für seine Auffassung mit: W. hatte „einmal die Kinder erster Ehe des Rechtsanwalts Pf. in einer Unterhaltsklage gegen ihren Vater vertreten". Der OLG-Präsident setzte sich erneut für W.B Wiederzulassung ein. Auch damit gab sich das RMJ nicht zufrieden. Es legte Rechnungen IF.s an die Rote Hilfe in Höhe von rund 11000,-RM vor, auf die nur 9500,-RM gezahlt worden seien. W. erklärte darauf, nur ein Teil des Geldes sei an ihn geflossen, den Großteil der Verteidigungen hätten junge Kollegen geführt, denen er habe helfen wollen. Sekretärin bestätigte das. Das Reichsjustizministerium verfügte am 30. 6.36 an W. „Ihren Gesuchen vom 27.11.34 und 19.5.36 um Aufhebung meines Erlasses vom 27.6.33 durch den Ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem Amtsgericht und dem Landgericht Köln zurückgenommen ist, kann ich nach eingehender Prüfung des Sachverhaltes nicht entsprechen, i. A. gez. Dr. Nadler"

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Proskriptionslisten W.s Beispiel ist kein Extremfall. Er war nicht der einzige, dem es nichts nutzte, seine alles andere als „kommunistische" Gesinnung zu beteuern. Der Begriff war so konturenlos, daß von Anfang an Unklarheit darüber bestand, welches Verhalten eines Anwaltes sich darunter fassen ließe, ein Zustand, der dem Denunziantentum allerorten die Schleusen öffnete. Hiervon wurden nicht nur — wie in li^s Fall — einzelne erfaßt, die hofften, auf diese Weise alte Rechnungen begleichen zu können. Die Vorstände verschiedener Anwaltskammern übten sich im Erstellen von Proskriptionslisten, in denen Kollegen aufgeführt wurden, denen man vorwarf, „sich in kommunistischem Sinne betätigt (zu) haben"71. Auf der „Liste derjenigen Rechtsanwälte, hinsichtlich derer Tatsachen bekannt sind, aus denen die Unterstützung kommunistischer oder staatsfeindlicher Bestrebungen geschlossen werden kann", die der Vorstand der RAK Berlin beim Preußischen Justizminister einreichte, fanden sich dreiunddreißig Namen, darunter auch der Name eines Anwaltes, der als „Vertrauensanwalt der Berliner Unterwelt" bezeichnet wurde. In seiner Charakteristik war von politischen Delikten nicht die Rede. Es hieß lediglich, er habe sich — durch kriminelle Verbindungen — „in volkszersetzendem Sinne betätigt". Schon hier waren die Grenzen zwischen politischer und „normaler" Kriminalität fließend. Im folgenden sind neun Beispiele herausgegriffen; die angegebenen „Beweismittel" sind gleichfalls zitiert: „Aisberg, Dr. Max, Berlin W 30, Nollendorfplatz l: (nicht-arisch) Verteidigung im Landesverratsprozeß Ossiet^ky Material: Zeitungsnachrichten Apfel, Dr. Alfred, Berlin W 8, Friedrichstr. 59/60: (nicht-arisch) a) war Verteidiger von Max Höl%, dieser beschwerte sich über ihn und entzog ihm die Vollmacht für das Wiederaufnahmeverfahren. Material: Akten des Kammervorstands: (folgt Aktenzeichen) b) Scharfes Eintreten für ein kommunistisches Verkehrslokal. Material: Akten des Kammervorstands (folgt Az.) c) Zufolge Nachricht der „Welt am Montag" vom 22. 9.1930 Verteidiger der Mörder von Horst Wessel. Barbasch, Dr. Ludwig, Berlin C2, Molkenmarkt 11: (nicht-arisch) Als Material liegt hier lediglich die Nachricht über seine im Februar 1933 erfolgte Verhaftung wegen politischer Betätigung vor, Aktenzeichen des Kammervorstandes ..., ferner aus dem Jahre 1925 Anzeige des Oberreichsanwalts an den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht über seine Tätigkeit für die Rote Hilfe. Material: Akten des Kammervorstands (folgt Az.) Benjamin, Hilde, Berlin N 20, Badstraße 40: (arisch, aber mit einem Juden verheiratet) Zahlung eines Honorars von 500,— RM durch die Rote Hilfe laut Feststellung des SSAbschnitts III der NSDAP vom 20. April 1933. Nach Zeitungsnachrichten Verteidiger der Mörder von Horst Wessel. Material: Abschrift des Schreibens des SS-Abschnittes vom 20.4.33 an den Vorstand der Anwaltskammer nebst Liste Hentfe/d, Dr. Josef, Berlin W 8, Französische Str. 13. (nicht-arisch) Zufolge Mitteilung des Oberreichsanwalts an den Generalstaatsanwalt vom 6. März 1925 ständiger Verteidiger im Auftrage der Roten Hilfe. Materia!: vgl. Anlage wie im Fall Barbasch\

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Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 Laserstein, Dr. Botho, Berlin NO 18, Landsberger Allee 55: (nicht-arisch) a) Mehrere Artikel in den kommunistischen Zeitungen „Berlin am Morgen" und „Welt am Abend". Material: Akten des Kammervorstands (folgt Az.) b) Reklame in der kommunistischen Zeitung „Welt am Abend" für das Buch des Rechtsanwalts Laserstein „Du und Dein Recht". Material: Akten des Vorstandes der AK. c) Herausgabe der Gerichtskorrespondenz „Justizkritik". Material: Akten des Kammervorstands (Az.) Litten, Hans Joachim, Berlin C2, Königstr. 20: (arisch) a) War zufolge zahlreicher Zeitungsnachrichten als Verteidiger kommunistischer Angeklagter im Felseneck-Vtoze.Q tätig. b) Seine Tätigkeit in der Strafsache gegen S tief und Genossen — E. I. K. 1/31 der Staatsanwaltschaft III. Material: Akten des Kammervorstandes (Az.) Rosenfeld, Dr. Kurt, Charlottenburg, Joachimsthaler Straße 41: (nicht-arisch) Verteidigung in der Landesverratssache gegen Ossiet^ky zufolge Zeitungsartikeln der B.Z. am Mittag vom 4. Mai 31. Material: bei Akten Rechtsanwalt Apfel. Brandt, Dr. Arthur, Berlin W 50, Tauentzienstr. 12a: Wahlverteidiger in dem bekannten Tscheka-Prozeß, Gebühren von der Roten Hilfe oder KPD. Material: Anlage"

Der Vorstand der Anwaltskammer Potsdam reichte Namen und Adressen zweier Anwälte ein, die vier Angehörige des sozialdemokratischen Reichsbanner verteidigt hatten, und forderte, „gegen die genannten Rechtsanwälte mit aller Strenge vorzugehen."72 Der Berliner Rechtsanwalt Z. stellte aus eigener Initiative Listen von Anwälten auf — unterteilt in Arier und Nichtarier —, die sich nach seiner Ansicht kommunistisch betätigt hatten, und sandte sie an den Preußischen Justizminister73. Eine Präzisierung des Begriffes „kommunistische Betätigung", die dem hätte entgegenwirken können, wurde vom RMJ versucht74, blieb aber selbst undeutlich. In § 2 der DVO hieß es: „Die Verteidigung oder Vertretung von Angehörigen der kommunistischen Partei ist nur dann als Betätigung im kommunistischen Sinne anzusehen, wenn dies nach den besonderen Verhältnissen, insbesondere der Häufigkeit derartiger Verteidigungen oder Vertretungen, der Art ihrer Führung oder den Umständen unter denen die Verteidigung oder Vertretung übernommen wurde, gerechtfertigt ist."

Selbst prominenten Vertretern der NS-Justiz erschienen solche Generalklauseln bedenklich. Rechtsanwalt Prof. Grimm, ein Vertrauter Hitlers, meldete in der DJZ75 Bedenken gegen die Konturenlosigkeit der Vorschrift an und warnte vor einer „ausdehnenden Auslegung". Grimm wies darauf hin, daß an den Anwalt geringere Anforderungen hinsichtlich seiner Staatsverbundenheit zu stellen seien als an Beamte. Gürtner contra Freister Er stellte sich mit dieser Äußerung auf die Seite einer gemäßigten Fraktion in der Justizbürokratie, der auch Gürtner angehörte. Zu den Wortführern der anderen

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gehörte Roland Freister, damals noch Staatssekretär im Preußischen Justizministerium, und der für Anwaltsfragen zuständige Rechtsanwalt Kunisch. Die verschiedenen Standpunkte werden an einem Briefwechsel deutlich, der zwischen Gärtner und dem preußischen Justizministerium — federführend war Freisler — im Juni 1933 geführt wurde76. Gürtner meinte, „an sich dürfte wohl der Umstand, daß ein Anwalt in Ausübung seines Berufes auch Interessen von Kommunisten wahrgenommen hat, die Annahme einer ,kommunistischen Betätigung' für sich allein noch nicht rechtfertigen können. Eine solche Betätigung scheint mir vielmehr erst dann vorzuliegen, wenn entweder die Art, in der die Verteidigung geführt wurde, zeigte, daß der Anwalt sich mit der politischen Auffassung seines Mandanten identifizierte oder wenn die Übernahme der Vertretung der Ausfluß eines gewissen Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnisses zur kommunistischen Partei war." Freisler dagegen stand „grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß in der freiwilligen Verteidigung von Kommunisten in politischen Prozessen eine Betätigung in kommunistischem Sinne zu sehen ist... Durch die in allen Teilen Deutschlands systematisch organisierte Rechtshilfe der ,Roten Hilfe' und durch die Tätigkeit der einzelnen kommunistischen Verteidiger wurde die kommunistische Bewegung, von dem subjektiven Wollen des einzelnen Anwalts ganz abgesehen, objektiv betrachtet gefördert ... Die Kommunisten wurden durch die Hoffnung auf Freispruch oder geringe Bestrafung in Folge rechtskundiger Verteidigung zu weiteren Straftaten ermutigt. Besonders schwerwiegend sehe ich jede Verbindung mit der Roten Hilfe an, die u. a. den Mördern Horst Wessels über die Grenze half." Noch deutlicher wurde Rechtsanwalt Kunisch in einem Schreiben an das Präsidium der preußischen Anwaltskammern vom 6. 7. 3377: „Die Verteidigung von Kommunisten bedeutet, zumal dann, wenn es sich um die Verteidigung eines Kommunisten in einer politischen Strafsache handelt, eine mittelbare Unterstützung der politischen Ziele der kommunistischen Partei; eine solche kann im Kampf gegen die staatsfeindlichen Elemente nicht geduldet werden. Da § 3 des G vom 7.4. 33 ohne zeitliche Beschränkung gilt, würde ich auch in Zukunft genötigt sein, in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt freiwillig die Verteidigung eines Kommunisten übernimmt, zu prüfen, ob die Art der Verteidigung als Betätigung im kommunistischen Sinne anzusehen ist und mich nötigt, die Zulassung des Rechtsanwaltes ... zurückzunehmen." Kunisch empfahl daher, Richtlinien für die freiwillige Übernahme der Verteidigung zu erlassen. In den „Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufes", die die RRAK am 2.7.34 erließ™, hieß es lediglich: „Der Anwalt des Rechts darf keine volks- und staatsfeindlichen Bestrebungen mittelbar oder unmittelbar fördern. Wird ein Anwalt in die Notwendigkeit versetzt, einen Schädling an Volk oder Staat zu vertreten, so muß er dabei jederzeit die Belange des deutschen Volkes beachten." (Richtlinien A 5) Daraus ergab sich, daß eine freiwillige Verteidigung von „Volksschädlingen" nicht erwünscht war. Der Anwalt sollte ein solches Mandat nur dann übernehmen, wenn er „in die Notwendigkeit versetzt" wurde. Selbst in diesem Fall hatte er seine Vertretung unter Beachtung des gemeinen Wohles zu gestalten.

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Verteidigung im Auftrag der Roten Hilfe Das einzige objektive Kriterium, auf das man sich zuletzt einigen konnte, war die Tätigkeit eines Anwaltes für die „Rote Hilfe Deutschland". Darin sollte ein gewichtiges Indiz für kommunistische Betätigung liegen. Den Justizministerien lag eine Liste von Anwälten der RHD vor, die durch die „Nachrichtensammelstelle des Reiches" bereits im Jahr 1931 zusammengestellt worden war79. Bei der Liste befand sich eine Gegenüberstellung der von der RHD im Jahr 1931 geleisteten Zahlungen an Anwälte mit deren Honorarrechnungen. Daraus ging hervor, daß in den meisten Fällen sich Zahlungen und Rechnungen nicht ausglichen, die offene Differenz wurde als Spende an die RHD verstanden. Wie untauglich dieser Vergleich zur Beurteilung der politischen Position des betr. Anwaltes jedoch war, ergab sich schon daraus, daß etwa die Rechnungen des Rechtsanwaltes Obuch aus Essen immer vollständig bezahlt wurden. Obuch war Leiter der RHD und MdL (KPD). Der Sachbearbeiter im Preußischen Justizministerium, der die Liste Rechtsanwalt Kunisch vorlegte, notierte in einem begleitenden Vermerk: „Soweit hier bekannt, hat die Rote Hilfe Deutschlands nicht ausschließlich kommunistische Anwälte beschäftigt; man hielt es manchmal für den Angeklagten für günstiger, auch nichtkommunistische Anwälte zu bestellen, die in der Zusammenstellung verzeichneten Anwälte können daher nicht restlos ohne weiteres als kommunistisch angesehen werden."80 Dieser Umstand hinderte das RMJ nicht, auch solche Rechtsanwälte aus der Anwaltschaft zu entfernen. Auch in dieser Hinsicht macht W.s Schicksal keine Ausnahme. Im Zusammenhang mit dem Wiederzulassungsgesuch eines Rechtsanwaltes, der nach § 3 G vom 7.4. 33 ausgeschlossen worden war, notierte viele Jahre später Schoetensack, Sachbearbeiter im RMJ, in einem handschriftlichen Marginal mit Datum vom 4.12. 1940: „Es steht fest, daß 75% (roher Schätzung) der wegen kommunistischer Betätigung entfernten Rechtsanwälte den Kommunisten nicht nahegestanden haben. Das war bekannt auch in dem Augenblick, als die Entfernung erfolgte. Von einigen stand fest, daß sie erbitterte Feinde der Kommunisten waren."81

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, daß die Zahl derer, die aufgrund des § 3 des G vom 7.4.33 aus der Anwaltschaft ausgeschlossen wurden, nahezu verschwindend gering war. Zahlen liegen mir für Hamburg und Preußen vor. In Hamburg wurden — bei insgesamt 885 zugelassenen Anwälten — bis zum 10.5.33 drei wegen kommunistischer Betätigung und 44 wegen ihrer Abstammung ausgeschlossen. Bis zum 11. 9. 36 betrug die Gesamtzahl der entfernten Anwälte 7382. In Preußen wurden — bei insgesamt 11814 zugelassenen Anwälten bis zum 11.5.33 118 wegen kommunistischer Betätigung ausgeschlossen83. In Prozentzahlen ausgedrückt sind das für Hamburg nicht einmal ein halbes, in Preußen nicht ganz ein Prozent. Es wird angesichts dessen verständlich, warum das RMJ in vielen Fällen wie mit W. verfuhr. Einige wenige Fälle, in denen der Ausschluß offensichtlich den

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„Falschen" traf, reichten aus, um unter den Anwälten den Eindruck zu verbreiten, es könne selbst ein dem Kommunismus fernstehender in den Ruch politischer Unzuverlässigkeit kommen, wenn er freiwillig das Mandat eines Kommunisten übernahm. Da man sich auch nicht sicher sein konnte, was staatlicherseits alles unter dem Begriff „Kommunismus" firmierte, waren die Auswirkungen auf die politische Verteidigung verheerend.

Auswirkungen auf die Verteidigung Verteidiger von Kommunisten bemühten sich in der Folgezeit, ihre Distanz zum Mandanten zu unterstreichen. In einem Verfahren gegen kommunistische Angeklagte im September 33 in Westfalen ließen die Verteidiger sogar durch die Presse verbreiten: „Wir sind gehalten, darauf aufmerksam zu machen, daß die Anwälte die Verteidigung nicht freiwillig übernommen haben. Nach den Regeln der geltenden StPO muß in einem Fall notwendiger Verteidigung jedem Angeklagten ein Verteidiger beigeordnet werden. Nachdem sich die vorgesehenen Verteidiger geweigert hatten, die Verteidigung zu übernehmen, war das Gericht gezwungen, sich darüber hinwegzusetzen und von sich aus die Offizialverteidiger zu bestimmen. Es blieb den Verteidigern nichts anderes übrig, als ihre Pflicht zu erfüllen."84 Ernst Fraenkel, der selbst bis 1938 als Verteidiger — z. T. im Auftrag der sozialdemokratischen Partei — in vielen politischen Prozessen tätig war, berichtete 193485 von Verteidigern, die sich nicht einmal die Mühe machten, ihre in der Haft isolierten Klienten aufzusuchen, die ihre Plädoyers in zwei Minuten absolvierten, von solchen gar, die eine Zuchthausstrafe für ihre Mandanten forderten, die dann das Gericht freisprach. Von solchen „Verteidigern" haben mir auch andere Anwälte berichtet, die in der damaligen Zeit verteidigten. Es waren nicht viele, aber ihre Zahl wuchs nach 1942. Ihr Auftreten erregte Freister s Unmut86. Selbst im einzigen „Rechtsanwaltsbrief, der erschien, wurde dieses Verhalten gerügt (1944)87. Im Juni 1934 führte das Präsidium der RRAK eine Umfrage bei den Vorsitzenden der politischen Strafsenate beim Kammergericht durch. Ermittelt werden sollte die Zahl der Wahlverteidigungen von Kommunisten durch „deutsche Anwälte". Das Ergebnis: Den Vorsitzenden der vier politischen Senate — des 3., 4., 5. und 6. — waren nur drei Fälle der Wahlverteidigung erinnerlich — beim 6. auch noch ein paar im Vorverfahren. In einem der drei Fälle war Freispruch auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgt. Ein anderer wurde vom Vorstand der RAK Berlin verfolgt. Über den dritten war nichts bekannt88. Fraenkelw schilderte auch die vergebliche Suche eines Angeklagten, der vor dem VGH angeklagt war, nach einem Wahlverteidiger. Unter dem „Damoklesschwert des Anwaltsgesetzes" so Fraenkel, war kein Anwalt mehr bereit, die Verteidigung eines politischen Angeklagten zu übernehmen, gleich ob Kommunist oder nicht, denn „welcher politische Sträfling ist in den Augen der Justizverwaltung kein Kommunist".

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Emigrantenorganisationen beklagten daher angesichts solcher Erscheinungen den Niedergang des „barreau allemand, enlise profondement dans le conformisme fasciste."90 Anlaß hierzu gaben ihnen aber auch andere Erscheinungen: Wir wollen nicht ein Stand minderer Zuverlässigkeit sein Die erste große Ausschlußwelle war noch nicht ausgelaufen, da wurden in der Anwaltschaft schon Proteste laut, die eine gründlichere Säuberung forderten. Besonders die aus der Beamtenschaft entfernten Sozialdemokraten waren Zielscheibe der „Empörung". Bereits am 29. 3. 33 — also noch im Verlauf der „Massenaktionen" — verfügte das Preußische Justizministerium an die OLG-Präsidenten, daß ihm sämtliche Zulassungsgesuche vorzulegen seien. Grund war, daß die Zulassung prominenter Sozialdemokraten — etwa des ehemaligen Polizeivizepräsidenten Weiss — zur Anwaltschaft bekannt geworden war91. Dennoch wechselten viel Sozialdemokraten weiterhin in die Anwaltschaft über. Ein Kieler Rechtsanwalt protestierte — unter Berufung auf die Not des Anwaltsstandes, welches Argument damals für vieles herhalten mußte92 — am 5. April gegen den „Zustrom von Kollegen, die alles andere als nationalsozialistisch gesonnen sind. Unser Stand ist mit Liberalen überreichlich gesegnet ... Im Hinblick auf unser Ziel, die Kammern in die Hand zu bekommen, zumindest an Einfluß in ihnen zu gewinnen, muß etwas gegen den Zustrom von wegen ihrer bisherigen Einstellung abgebauten Beamten getan werden."93 Viele ähnlich Eingestellte mußte daher das G vom 7. 4. 33 enttäuschen. Der Essener Anwaltsverein verwahrte sich in einem Schreiben an den Preußischen Justizminister vom 13. 5. 33 „ganz entschieden dagegen, als Berufsstand betrachtet zu werden, in den Elemente aufgenommen werden können, denen die Beamtenlaufbahn verschlossen ist. Als Organe der Rechtspflege fordern wir, daß uns nicht zugemutet wird, in unseren Kreisen Rechtsanwälte zu dulden, die nicht jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eingetreten sind. Wie wollen nicht ein Stand minderen Rechts und minderer Zuverlässigkeit sein."94 Er forderte, in das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft eine Bestimmung aufzunehmen, nach der Rechtsanwälten die Zulassung entzogen werden könne, die „nach ihrer politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten." Dem schloß sich am 2. Juni 1933 auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Hamm an. Freister konnte angesichts solcher Forderungen voller Zufriedenheit feststellen, dies sei „ein Zeichen der Gesundung des Anwaltsstandes". Er präsentierte Anfang Juni dem RMJ einen Gesetzesentwurf, wonach Zulassungsgesuche von Anwälten, die „Inhaber eines mit Pensionsberechtigung versehenen Amtes" gewesen waren, zurückgewiesen werden konnten95. Die gesetzliche Regelung vom 20.7.33% ging nicht so weit, sondern sah einen fakultativen Versagungsgrund nur in den Fällen vor, in denen der Antragsteller nach § 4 BBG — wegen erklärter politischer Unzuverlässigkeit — entlassen worden war.

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Zum Ärger der An waits kammervorstände und auch des Rechtsanwaltes Kunisch im PrJM gingen die Behörden in der Folgezeit dazu über, in vielen Fällen eine Entlassung nach § 4 nachträglich in eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nach §6 („zur Vereinfachung der Verwaltung") umzuändern97. Der OLG-Präsident von Düsseldorf berichtete von mehreren Fällen, in denen er entgegen ablehnender Stellungnahmen der Anwaltskammer Antragsteller, die nach § 6 entlassen worden waren, obwohl sie „bekannte Beamte der Systemzeit" waren, zulassen mußte. Er schloß sein Schreiben: „Der Vorstand der Anwaltskammer ist sich auch nicht im Unklaren darüber, daß nach der jetzigen Rechtslage die Zulassung erfolgen muß. Er legt aber Wert darauf, daß seine Stellungnahme gegen die Zulassung von Beamten, die auf Grund des BBGes aus dem Dienst entlassen worden sind, zur Rechtsanwaltschaft erneut dem Herrn Justizminister zur Kenntnis gebracht wird."98 Weniger kulant als sein Kollege in Düsseldorf war Hölscher, der Präsident des Kammergerichts, der sich den Standpunkt der Anwaltskammer Berlin zueigen machte und ehemalige Beamte nicht zuließ. Das RMJ hob zwar solche Verfügungen im Beschwerdewege wieder auf; es ließ sich aber Zeit dabei. Im Fall eines Berliner Rechtsanwaltes dauerte das Verfahren 9 Monate. Antragsteller, die so lange in Ungewißheit über ihre berufliche Zukunft gelassen wurden und die in vielen Fällen ohne jede Unterstützung dastanden, wahrten später als Anwälte entsprechend Zurückhaltung." Die „Totengräber des Standes" Mit dem Ausschluß von Anwälten wegen „kommunistischer Betätigung" war nicht nur eine kleine politische Minderheit gemeint. Hiermit wurde auf den Kernbereich der Verteidigung gezielt. Grimm sprach es offen aus, als er zum G vom 7.4. 33 bemerkte, es handele sich nicht um ein gewöhnliches Gesetz, vielmehr gehe es an die „tiefsten Tiefen unseres Rechtslebens" überhaupt heran."100 Dix mahnte eindringlich, gerade auf dem Gebiet der Verteidigung „straffe Standesdisziplin" zu wahren. Besonders in der politischen Verteidigung sah er eine „Gefahrenzone" für die Anwaltschaft: „Wenn hier die Anwaltschaft nicht versteht, daß der Begriff der Verteidigung ein anderer geworden ist, wird das Schicksal der Rechtsanwaltschaft als freier Beruf besiegelt sein." Er, der große cunctator, folge auch hier seiner im Ergebnis verhängnisvollen Taktik, die nackte Existenz des Standes um den Preis des Opfers seiner Substanzwerte zu retten. Er propagierte einen neuen „Begriff der Freiheit". Das hieß: „Eine verantwortungsvolle Freiheit, d. h. eine Freiheit, Handlungen zu tun und Worte zu sagen, die zum intellektuellen Selbstzwecke Gemeinschaftsgüter schädigen, gibt es nicht mehr. Ein Anwalt und Verteidiger, der diese Erkenntnis sich nicht zu eigen macht, wird der Totengräber seines Standes sein."101 Er forderte die Verteidiger auf, sich von allem, was im Handeln ihrer Klienten nach Rechtsbruch aussah, zu distanzieren. Mit welcher Sorge man (auch) außerhalb der Anwaltschaft diese Entwicklung verfolgte, zeigt eine „Randnote" in der Kölnischen Zeitung vom 19.3.34. Der Kommentator forderte von den staatlichen Instanzen, klarzustellen, daß sie „für

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die besonderen Aufgaben des Verteidigers Verständnis haben." Es würde sonst in politischen Sachen eine Verteidigung, „die diesen Namen verdient", nicht mehr geben. Es läßt sich daran ablesen, wie groß die Verunsicherung unter den Anwälten war. Die meisten enthielten sich ganz politischer Strafsachen. Becker™2, ein Staatsanwalt aus Halle/Saale, beklagte sich noch 1937 darüber, daß Rechtsanwälte, die zu Pflichtverteidigern von Staatsfeinden bestellt werden sollten, das Amt entweder ganz ablehnen oder zumindest äußerst ungern übernehmen würden. Dabei seien gerade Parteigenossen und Mitglieder des NSRB (vormals BNSDJ) aufgerufen, in politischen Strafsachen an der Findung der Wahrheit mitzuwirken. Er befürchtete, die Verteidigung könne andernfalls zum Monopol von Anwälten werden, die „der Bewegung fernerstehen". Von deren Wirken handelt ein anderer Abschnitt103. Zuvor soll die Rechtsprechung des Ehrengerichtshofs betrachtet werden der — seit März 1934 fest in den Händen der Neuen Anwaltschaft — die Aufgabe hatte, das anwaltliche Standesrecht im Sinne nationalsozialistischer Auffassungen fortzuentwickeln.

Anmerkungen 1. Die Auseinandersetzung ist dokumentiert in JW 32, S. 2203 f, Justiz Bd. VII, S. 475 ff und 481 f, sowie AnwBl 32 S. 225f; s. dort auch die Erwiderung Freislers auf Dix, S. 226 f 2. Zit. n. Majer, Fremdvölkische, S. 223 3. Der bereits im Frühjahr 1933 aufgelöst wurde: Ostler S. 235 4. GStA Rep. 84a 106, Bl. l f 5. Schreiben des Leiters der Gaurechtsstelle der NSDAP Hamburg an Heß vom 13.03.33, B A R 43 II 1534 6. 0//Är,S.230 7. In Anführungszeichen, weil längst nicht nur Marxisten betroffen waren 8. Göppinger, S. 21; zu den Einzelheiten, GStA Rep. 84a 35, Bl. 65 ff 9. Unter ihnen auch Hans Litten. Er wurde zusammen mit Alfred Apfel und Ludwig Barbasch nach dem 28. 2. 33 in Schutzhaft genommen. Für die drei Anwälte verwandte sich — in sehr zurückhaltener Form — der Vorstand der Anwaltskammer Berlin unter Vorsitz von Ernst Wolff, 135/20155 Bl. 89 ff; zum übrigen: Göppinger, S. 23, eine Liste, die unter anderem die Namen ermordeter Rechtsanwälte enthält, befindet sich im ASD, PV — Emigration, Mappe 182; zu dem Münchener Anwalt Strauch s. Lorant, S. 116f. 10. GStA Rep.84a35, B1.69 11. DRiZ 33, S. 121 ff 12. Aussage von Ludwig in seinem Entnazifizierungsverfahren, Kopie im Archiv des Verfassers 13. DRiZ, aaO 14. GStA Rep. 84a 35, Bl. 77 ff und Rep. 84a 75, Bl. 115 15. Range, S.149f 16. Neumann, S. 89 ff 17. Mundt, S. 43 ff 18. GStA Rep. 84a 35, Bl. 97 und Bl. 105 19. GStA aaO, Bl. 81 ff 20. GStA aaO

Anmerkungen 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

45. 46. 47.

48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56.

57. 58. 59. 60. 61.

57

GStA aaO, B1.187ff B A P 135/20155, B1.98ff DAZ vom 23.4. 33 und Mitteilung des Rechtsanwaltes Dr. Frit^ Hummel, Berlin Schreiben vom 19.05.33, GStA aaO, B1.133F Zur Entwicklung in den übrigen Ländern, Heinrich S. 107 ff; Ostler, S. 235 f Schreiben eines Rechtsanwaltes an den PrJM vom 26.04.33, GStA Rep. 84a 75, B1.397ff; vgl. auch EGH 27, S. 130 RGB1. I, S. 21 Das Protokoll der Besprechung und die amtliche Begründung des Gesetzes finden sich im BA R 22/259 BA aaO MdRRAK 36, S. 124 ff Güstrow, S. 12 f Tempo vom 7.1.33; B.Z. am Mittag vom 16.1. 33; Vossische Zeitung vom 12.2. 33 Ostler, S.230f S. o. S. 35. Ostler, aaO Ostler, S.236f RGB1. I, S. 169 Vgl. Vehrenberg, S. 48 f u n d GStA Rep. 84a 35, B1.27ff S. dazu unten, S. 203ff. Noack, Übersicht zu § 46 RRAO, Nr. 2 Lesse, JW 1901, S. 625 Hachenburg und Bing in DJZ 31, Sp. 1432; zu allem auch Vehrenberg, S. 50 f RGB1. I, S. 188 Bis auf jene wenige, die man „Schutzanwälte" nannte, GStA Rep. 84a 35; auch GStA Rep. 84a 75, Bl. 139 Klein, S. 133 ff Für Preußen: Erlaß vom 31. 03. 33, vgl. oben S. 36f. So der Düsseldorfer Christlich-Nationale Anwaltsverein nach einem Protesttelegramm von Rechtsanwalt Oppenheimer an den PrJM vom 3.04. 33, GStA Rep. 84a 75; vgl. — für Berlin — Göppinger, S. 36 Der sich fortan „Verein Deutscher Magdeburger Rechtsanwälte und Notare" nannte Zusammengestellt aus Unterlagen, die dem Verfasser freundlicherweise von Frau Dr. Edith Lilienfeld — Fliess, Ramat — Chen, Israel, zur Verfügung gestellt wurden G vom 7.4.33, RGB1.1 S. 188 §7 des Erlasses vom 25.04.33, JMB1. I, 127 f §§ l und 3 des Erlasses (vgl. auch Beschluß des KG vom 7.9.33; Mitteilungsblatt der Reichsfachgruppe Rechtsanwälte des BNSDJ 1933, S. 140) So der Wortlaut von § 2 Abs. l des Erlasses vom 25.04.33 Erlaß vom 25.04.33, aaO GStA Rep. 84a 8090, Bl. 54 Für Baden s. BA R 22/263; die Standpunkte Hamburgs, Gürtners und anderer Länder wurden auf einer Besprechung im RMJ im Juni 1933 erörtert. Ein Ergebnisprotokoll befindet sich im GStA Rep. 84a 8090, Bl. 55 f GStA Rep. 84a 76, Bl. 115; Heinrich, S. 180 GStA Rep. 84a 106, Bl. 1; vgl. auch GStA Rep. 84a 75. Dort finden sich weitere solcher Resolutionen GStA Rep. 84a 35, Bl. 331 ff, 403 ff und 513 ff GStA aaO, Bl. 599 ff und 647 GStA aaO, B1.689

58 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69.

70. 71.

72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103.

Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 Heinrich, S.116f GStA aaO, Bl. 629 GStA aaO JR 33, S. 607 ff RGB1.I, 699 S. u. S. 114ff. Er beging am 11.9.33 in Samaden/Schweiz Selbstmord, vgl. Göppinger, S. 131 und Hacbenburgs Nachruf in der DJZ 33, Sp. 1262 ff (1266 f) Zu Frey, s. dessen Autobiographie: Frey, Erich, Ich beantrage Freispruch, Berteismann Lesering 1960; zu Apfel, s. Handbuch I, S. 17; zu Olden, s. Handbuch I, S. 539; zu Reiwald, s. Reiwald, Paul, Die Gesellschaft und ihre Verbrecher, Frankfurt/Main 1973; zu Brandt, s. Brandt, Arthur, der Tscheka-Prozeß, Hamburg 1979 Die Kenntnis des Falles verdanke ich Rechtsanwalt Dr. W.s Witwe, die mir freundlicherweise Einsicht in die Personalakte des Verstorbenen gestattete So der Vorstand der RAK Berlin in einem Schreiben vom 11.05.33 an den PrJM, GStA Rep. 84a 20363, Bl. 243. In der Anlage zu dem Schreiben befindet sich die im folgenden zitierte Liste GStA aaO, Bl. 33 GStA aaO, Bl. 133f In der DVO vom 20.07.33, RGB1.1, S. 528 DJZ 33, Sp. 651 ff GStA Rep.84a 75, 299 ff GStA Rep. 84a 75, 649 f Dazu Neubert, JW 34, S. 1763 BA R 58/507 und GStA Rep. 84a 75, Bl. 649 f GStA aaO, Bl. 267 BA R 22/267 Leider ist letzteres Zahlenmaterial nicht aufgschlüsselt; Johe, S. 68 Wolffs telegraphisches Büro Nr. 1130 vom 12.05.33, BA R 43 II 1534 Westfälische Landeszeitung vom 20.09.33, Rückübersetzung aus dem Französischen nach einem Flugblatt aus dem IML/ZPA NL 3/53 In der „Sozialistischen Warte" unter dem Titel „In der Maschine der politischen Strafjustiz des Dritten Reiches", zit. n. Fraenkel, Reformismus und Pluralismus, S. 214 ff S. BA R 22/1079 Vgl. unten, S. 235 f. GStA Rep.84a 77, B1.199f Fraenkel aaO, Fn. 85 Aus der „Proclamation du Comite International de Liberation pour tous les antifascistes emprisonnes" vom 9. 5.34, IML/ZPA NL 3/53 GStA Rep. 84a 75, Bl. 109 Vgl. etwa EGH 28, 195 GStA aaO GStA aaO, Bl. 357 GStA aaO, Bl. 549 RGB1.I, S. 522 Konisch an den RMJ vom 1.8.34, Rep. 84a 77, B1.207ff GStA Rep.84a 76, B1.577ff Mitteilung des Berliner Rechtsanwaltes Dr. S. DJZ 33, Sp. 651 ff DJZ 34, Sp.243ff Becker, MdRRAK 37, S. 130 f S. u. S. 73ff.

Kapitel 2: Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes Der EGH beim Reichsgericht Zunächst blieb die anwaltliche Standesgerichtsbarkeit höchster Instanz in den Händen des EGH beim RG. Wohl schlugen auch dessen Senate in die Kerbe autoritären Denkens, indem etwa der II. verlautbarte: „Die zeitgemäßen Grundsätze der Säuberung erheischen auch standesrechtlich eine strenge Reinhaltung des Anwaltsstandes"1. Solche Sätze dienten aber eher einer Demonstration des guten Willens, während im übrigen überwiegend die Kontinuität der Spruchpraxis gewahrt blieb. Dennoch wird in den details mancher Entscheidung deutlich, daß sich der EGH am RG bemühte, politisch den Anschluß zu halten. Zur Bedeutung des G vom 7. April 1933 führte etwa der I. Senat aus, es handele sich um eine lediglich vorläufige Maßnahme, und eine Zurücknahme der Zulassung nach dieser Vorschrift müsse deshalb nicht zur Einstellung des ehrengerichtlichen Verfahrens führen2. Der II. Senat dagegen stand auf dem Standpunkt, die Zurücknahme der Zulassung nach dem G vom 7.4. habe „Sinn und Wirkung einer dauernden Ausmerzung des betroffenen Anwalts aus dem Stand" mit der Folge, daß ein anhängiges ehrengerichtliches Verfahren gegenstandslos werde3. Wo es dagegen um die Zulässigkeit rückwirkender Anwendung der erhöhten Strafandrohung nach der VO vom 18.3.33 (die in § 63 Nr. 3 RAO vorgesehene Höchststrafe von 1000 RM wurde auf 5000 RM erhöht) ging, zeigte sich der I. Senat zeitgemäßem Rechtsdenken aufgeschlossener als der II. Senat. Der I. Senat hielt eine Rückwirkung für zulässig4, der II. nicht5. Es ist bemerkenswert, daß die Senate des EGH nach dem Übergang der Ehrengerichtsbarkeit auf die RRAK im Juli 1934, obwohl sie nun mehrheitlich von Nationalsozialisten besetzt waren, eine rückwirkende Anwendung der VO vom 18. 3. 33 ablehnten6. Offen antisemitische Urteile, wie sie später der EGH der RRAK fällte, finden sich dagegen in der amtlichen Sammlung unter den reichsgerichtlichen Entscheidungen nicht. Lediglich ein Urteil des H. Senates hat antijüdische Tendenz7. Es erklärte den Verkauf einer Anwaltspraxis für standeswidrig. Das war zwar schon vor 1933 herrschende Meinung im Standesrecht. Es wurden aber Ausnahmen zugelassen. Jüdische Anwälte, die ihre Existenzgrundlage verloren, wenn sie aus der Anwaltschaft ausgeschlossen wurden, oder zumindest starkem wirtschaftlichem Druck ausgesetzt waren, wenn sie weiterhin zugelassen blieben, hätten eine Ausnahme mit gutem Recht beanspruchen können. Es wurde zunächst auch erwogen, jüdischen Anwälten den Praxisverkauf zu erleich-

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tern, wie aus einer Entscheidung des EGH bei der RRAK hervorgeht8. Dem schob der II. Senat in dem genannten Urteil einen Riegel vor, indem er aussprach, ein jüdischer Anwalt könne eine Ausnahme von dem Verbot des Praxisverkaufs nicht beanspruchen. Hervorzuheben ist noch eine Entscheidung des II. Senates vom 27. 9. 33. Darin trat das Gericht der Doktrin von der Rechtsstellung des Verteidigers als „Organ der Strafrechtspflege" entgegen, die „die Unterschiede außer Acht lasse, wie sie sich nach der deutschen StPO zwischen der Stellung des Richters, des Staatsanwaltes und des Verteidigers ergeben."9. Mit dieser Begründung mißbilligte der Senat das Handeln eines Verteidigers, der eine ihm zur Einsicht überlassene Akte unerlaubt an einen Sachverständigen weitergegeben hatte. Dem Achtungserweis gegenüber der neuen Staatsführung, zugleich aber auch dem Zurückdrängen des Einflusses der NSDAP auf die Rechtspflege, diente eine Entscheidung des II. Senates vom 28. Februar 193410. Ein Rechtsanwalt wurde mit einem Verweis bestraft, weil er (u. a.) einem Schuldner damit gedroht hatte, er werde Angehörige der NSDAP zum Einschreiten gegen ihn veranlassen. Darin sah das Gericht eine Herabsetzung des Ansehens der NSDAP, „in der sich der Staatsgedanke des neuen Deutschland vor allem verkörpert". Dennoch genügte die Judikatur des EGH beim RG den Ansprüchen der Wortführer der neuen Anwaltschaft nicht. Raekeu forderte im April 1934 eine durchgreifende Reinhaltung des Standes. Hierzu war das Gericht nach seiner Ansicht nicht imstande. Er verlangte, „daß auch im ehrengerichtlichen Verfahren die persönlichen Interessen und Entschuldigungsgründe des einzelnen zurückgestellt werden müssen hinter Standesinteressen, die in weitgehendem Maße zugleich Belange der im Staat verkörperten Volksgemeinschaft sind."

Der neu geschaffene Ehrengerichtshof bei der Reichsrechtsanwaltskammer war mehr als sein Vorgänger bemüht, solchen Forderungen Genüge zu tun. Der EGH bei der Reichsrechtsanwaltskammer Bereits einen Tag nach seiner konstituierenden Sitzung entschied der l. Senat des EGH bei der RRAK wie es Raeke gewünscht hatte: „Selbst wenn in der Person des Angeklagten Milderungsgründe obwalteten, würde er im Interesse des Anwaltsstandes, dessen Reinhaltung höher steht als das Einzelschicksal aus der Anwaltschaft ausgestoßen werden müssen."12 Der 3. Senat forderte hartes Durchgreifen in Hinblick auf die Notlage des Standes, die es verbiete, daß „einem Berufsgenossen ein Arbeitsplatz durch einen Rechtsanwalt entzogen werden darf, der des Standes nicht voll würdig ist. Gerade die Verantwortung für den Nachwuchs ... verbietet hier jede Milde."13

In einigen Entscheidungen versuchten die drei Senate, ihre Gesinnungstüchtigkeit unter Beweis zu stellen, indem sie der NSDAP Reverenz erwiesen. Viele sind es in den ersten Jahren nicht gewesen, und sie rührten auch nicht an die inneren Kreise anwaltlicher Tätigkeit. Vielmehr ging es darum, die vom neuen Staat geforderten Respektbekundungen durchzusetzen.

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Von wohl unfreiwilliger Komik war die Entscheidung des 2. Senates vom 12. März 193514. Ein Rechtsanwalt wurde darin wegen „abfälliger Äußerungen über den deutschen Gruß" mit einem Verweis bestraft. Er hatte im Anwaltszimmer eines Landgerichts kurz nach Beginn einer Gerichtsverhandlung in bezug auf den „deutschen Gruß" geäußert: „Ist das Gericht nun mit den Freiübungen fertig?" Bereits im Jahr 1932 hatte er vor Gericht zu einer nationalsozialistischen Zeitung bemerkt, sie sei ihm „nicht einmal als Abtrittspapier gut genug." Ein anderer Rechtsanwalt wurde mit einem Verweis und einer Geldstrafe in Höhe von 500 RM bestraft, da er einen am gleichen Ort als Notar tätigen Kollegen im Jahre 1930 wegen dessen Mitgliedschaft in der NSDAP beim Preußischen Justizministerium angezeigt hatte. Damals war es Beamten untersagt, der NSDAP anzugehören. Das Ehrengericht hatte auf Verweis und 5000 RM Geldstrafe erkannt15. Am 2.11.36 wurde ein Rechtsanwalt zur Strafe der Warnung verurteilt, der ein Ehrenwort gebrochen hatte, das durch Anrufung gemeinsamer Zugehörigkeit zur NSDAP beschworen worden war, ein Umstand der in den Augen des 2. Senates besonders schwer wog16. Unter diesen eher harmlosen Entscheidungen bildet die in EGH 28, 231 ff eine Ausnahme. Sie erging gegen den Rechtswanwalt Thormann aus Frankfurt am Main17. An anderer Stelle wird sie ausführlicher gewürdigt (unten S. 77ff). Nur soviel ist an dieser Stelle vorwegzunehmen: Der angeklagte Rechtsanwalt war — was aus der Entscheidung des EGH jedoch nicht hervorgeht — durch die Verteidigung eines prominenten katholischen Politikers in Mißkredit u. a. bei der Gestapo geraten. Daher bestand ein Interesse, ihn aus der Anwaltschaft zu entfernen. Das Ehrengericht konzentrierte sich jedoch auf Thormanns Privatleben. Er hatte im Jahr 1932 einen Briefwechsel mit dem im Ausland lebenden Pazifisten F. W. Förster unterhalten, der nun als „Vaterlandsverräter" galt. Insbesondere auf die „freiwillige außerberufliche Verbindung eines deutschen Anwaltes mit diesem im Ausland befindlichen und gegen Deutschland arbeitenden Landesverräter" stützte der EGH seine Entscheidung, deutete jedoch bereits an, daß auch eine „freiwillige berufliche" Verbindung „den größten Bedenken" begegnen müsse. Dem Problem, daß das Thormann vorgeworfene Verhalten sich in den Jahren 1931 und 32 zutrug, während es nun nach neuem Standesrecht beurteilt wurde, entledigte sich der EGH, indem er behauptete, auch im Jahr 1931 hätte „ein Mann, der sich so mit einem Landesverräter eingelassen hat, (nicht mehr) Organ der Rechtspflege sein (können)". Es galt18 der Grundsatz, daß auch hinsichtlich der standesrechtlichen Ansicht auf die zum Tatzeitpunkt geltende abzustellen war19. Als standeswidrig galt die Kritik an Partei und Staatsführung sowie an gerichtlichen Entscheidungen. Die Strafen, die der EGH aussprach, bleiben allerdings gering. Von Sonderfällen ist später zu reden. Ein Rechtsanwalt äußerte anläßlich einer Verteidigung in einem Heimtückeverfahren20: „Es ist wahr, und wir können es leider nicht bestreiten, daß wir die gegenwärtige Entwicklung der politischen Verhältnisse mit großer Sorge und

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mit großem Kummer, ja manchmal mit Empörung verfolgen." Ferner sprach er wiederholt von seinem „angeklagten Freunde" und bekannte sich, jedenfalls teilweise, zu dessen politischen Ansichten. Da nach Ansicht des EGH eine Kritik an den politischen Verhältnissen auch eine Kritik an der Regierung bedeutete, die von der NSDAP geleitet wurde, hielt das Gericht den Angeklagen für strafwürdig. Nur weil zum Tatzeitpunkt die Identität von NSDAP und Staat noch nicht festgestellt gewesen sei, führte das Verhalten des Angeklagten nicht zur Ausschließung. Der EGH verurteilte ihn zu einem Verweis und hob damit die Entscheidung des EG auf, das auf Verweis und 1000 RM Geldstrafe erkannt hatte. Weniger strafwürdig als ein Kritiker von Partei und Staat erschien dem 2. Senat ein Angeklagter, der in einer Hauptverhandlung als Verteidier geäußert hatte, „nach Meinung Spenglers sei der Nationalsozialismus die gradlinige Fortsetzung von Marxismus und Bolschewismus". Da dem betroffenen Anwalt nach Ansicht des Gerichts nicht nachzuweisen war, daß er „bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit nicht erwarten konnte, seine Zuhörer würden den von ihm gewollten Sinn seiner Äußerungen aus dem Zusammenhang richtig erkennen" (er hatte bekundet, durch seine Äußerung nicht den Nationalsozialismus anzugreifen beabsichtigt zu haben), sprach der EGH ihn frei21. Ein Rechtsanwalt, der in einem Telefongespräch mit einem Mandanten im März/April 1933 die Regierung als eine „Sauregierung" bzw. einen „Saustall" bezeichnet hatte, wurde vom 1. Senat mit einer Warnung bestraft22. Das milde Urteil wurde damit begründet, daß der Angeklagte bei seiner Äußerung die Schuldnerschutzbestimmungen im Auge gehabt habe. Die seien aber nicht von der „Regierung der nationalen Erhebung" erlassen worden. Lediglich die Gefahr eines Mißverständnisses, die der Angeklagte mit seiner Äußerung heraufbeschwor, gebot in den Augen des Senats eine Bestrafung.

Sonderrecht für jüdische Anwälte

War der EGH in der oben zitierten Entscheidung EGH 29, 75 sichtlich bemüht, im subjektiven Bereich Gründe zu finden, den Angeklagten freizusprechen, der immerhin in öffentlicher Hauptverhandlung den Nationalsozialismus mit dem Erzübel des Bolschewismus gleichgesetzt hatte, so kostete eine „staatsfeindliche Äußerung", deren Inhalt nicht genannt wurde, einen jüdischen Anwalt die Zulassung, obwohl sie in einem Gespräch mit einem Gerichtsbeamten fiel23. In den Gründen heißt es, der Angeklagte sei wegen der Rücksicht(l), die er als Nichtarier erfahren habe, zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen. Für Juden galt ein besonderes Standesrecht. Ihnen gegenüber pflog der EGH nicht jene Zurückhaltung, die er sich in politischen Entscheidungen, wie gezeigt, zunächst auferlegte. Nationalsozialistisches Rassedenken schlug in der Rechtsprechung des EGH bei der RRAK voll zu Buche. Welchen Makel die falsche Rassezugehörigkeit in den Augen des 2. Senates darstellte, wird an einer Entscheidung vom 14. Juni 1935 deutlich:

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Ein Angeklagter wurde mit dem Ausschluß bestraft, weil er einen Kollegen dadurch „boshaft geschädigt" hatte, daß er ihm „nichtarische Abstammung" nachsagte24. Wegen „2ersetzender Kritik an Vorgängen des staatlichen Lebens" wurde ein jüdischer Anwalt vom 2. Senat am 20. Januar 1936 ausgeschlossen25. Das mißbilligte Verhalten des betroffenen Rechtsanwaltes lag in dessen wiederholten scharfzüngigen Anspielungen auf Äußerungen Hitlers und Görings sowie in seinen spöttischen Bemerkungen über den germanischen Heldenmenschen. U. a. hatte er einen Kollegen, der zur Weitschweifigkeit in seinen Ausführungen vor Gericht neigte, als „homerischen Sänger" tituliert. Der Begriff stammte aus Görings Munde. Der hatte in einer Rundfunkrede geäußert, in einer „gesunden" Rechtsordnung bedürfe der Volksgenosse nicht der Sicherung durch die „Schwatzhaftigkeit" eines Anwaltes vor Gericht. Nicht deren „homerische Gesänge", sondern das Recht müsse obsiegen. In der spöttischen Zitierweise des Angeklagten erblickte das Gericht, dem offenbar selbst das Gefühl für die ans Peinliche grenzende Komik solcher Äußerungen nicht fehlte, eine zersetzende „Kritik an den bestehenden Verhältnissen", wie sie der Rasse des Angeklagten eigen sei. Wer seine jüdische Abstammung zu verbergen versuchte, mußte mit dem Ausschluß rechnen26. Die Entschlossenheit der Ehrengerichte, den jüdischen Einfluß auf die Anwaltschaft auszutilgen, richtete sich auch gegen diejenigen nicht jüdischen Anwälte, die die erforderliche Distanz zu den Fremdrassigen nicht wahrten, beruflich wie privat. Richtlinien der Anwaltskammern verboten die Fortführung von Sozietäten mit jüdischen Rechtsanwälten, einen „arischen" Anwalt, der hiergegen verstieß, bestrafte ein Ehrengericht mit dem Ausschluß. Der 3. Senat des EGH27 erkannte auf einen Verweis und 3000 RM Geldstrafe. Ein Rechtsanwalt, der sich im Juni 1935 mit einer Jüdin verheiratet hatte, wurde aus der Anwaltschaft ausgeschlossen28. Der Ehrengerichtshof konzedierte ihm zwar „sittlich einwandfreie Beweggründe". Höher wog aber nach seiner Ansicht die „ihm als deutschblütigem Anwalt obliegende Pflicht, im Sinne der NSDAP an den großen Aufgaben des Volkes mitzuarbeiten." Dabei spielte es keine Rolle, daß die Eheschließung im Juni 1935 noch nicht — wie später — gegen ein gesetzliches Verbot verstieß. Nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze führte bereits das Unterhalten freundschaftlicher Beziehungen zu einer Jüdin, das einen Anwalt nach Ansicht des 3. Senates dem Verdacht der Rassenschande aussetzte, zu einem Verweis und 3000 RM Geldstrafe, da es nach Ansicht des Gerichtes „Pflicht des deutschen Rechtswahrers (war), sich Juden gegenüber die erforderliche Zurückhaltung aufzuerlegen."29 Einen Rechtsanwalt, der zum Schutz seines jüdischen Mandanten gegen das Vorgehen deutscher Stellen ein ausländisches Konsulat anrief, bestrafte der 2. Senat im Januar 1939 mit dem Ausschluß30. Das Gericht hatte die „Überzeugung gewonnen, daß er sich niemals dazu durchringen wird, gegenüber Juden die gebotene Zurückhaltung zu üben und die ihm in dieser Hinsicht obliegenden Berufspflichten ernst zu nehmen." Die gebotene Distanz wurde in den Augen

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des 1. Senates bereits dadurch überschritten, daß ein Verteidiger seinen jüdischen Mandanten, der „wegen 30 Vergehen gegen § 175 StGB als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu 10 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Sicherungsverwahrung verurteilt worden war", in Briefen mit „Sehr geehrter Herr Doktor" anredete, die er mit „Hochachtungsvoll" abschloß31. Dagegen widersprach das Gericht der Auffassung des erstinstanzlichen Ehrengerichtes, das bereits die Übernahme der Verteidigung als standeswidrig betrachtet hatte. Die beiden letztgenannten Entscheidungen fielen in die Zeit nach dem endgültigen Ausschluß der Juden aus der Anwaltschaft im November 193832. Seither war deutschen Anwälten die Vertretung, insbesondere Verteidigung jüdischer Mandanten nur noch in besonderen Fällen mit ausdrücklicher Genehmigung der RRAK gestattet. Das Urteil des EGH vom 23.1. 1939 nahm für sich in Anspruch, Grundsätze für eine künftig (noch) zulässige Verteidigung von Juden zu formulieren33. Die gleiche Zurückhaltung, wie sie gegenüber Juden gefordert wurde, hatte ein Rechtsanwalt übrigens auch gegenüber Homosexuellen zu wahren. Wegen seines Umganges in homosexuellen Kreisen wurde ein Angeklagter aus der Anwaltschaft ausgeschlossen34. Schon die Beschäftigung eines jüdischen früheren Referendares bedeutete in den Augen des 2. Senates eine Standesverfehlung. Der Angeklagte habe sich damit, so das Gericht, „in einer Zeit, in der viele Volksgenossen ohne Arbeit waren", „bewußt mit der Einstellung des gesamten deutschen Volkes in Widerspruch gesetzt." Die gleiche Entscheidung35 zeigt, daß der Ehrengerichtshof nach den ersten zurückhaltenderen Jahren auf Kritik an der Regierung mit empfindlichen Strafen reagierte. Der Angeklagte hatte geäußert, es sei ihm recht, wenn er bestraft und eingesperrt würde, „damit das Volk einmal sehe, welches Lumpenpack heute an der Regierung sei." Bereits durch diese Äußerung, „eine unerhörte Beschimpfung der gesamten Regierung" (Hervorhebung im Original!), erblickte das Gericht eine derart „gröbliche" Verletzung der Standespflichten, daß der Angeklagte schon allein deshalb aus der Anwaltschaft auszuschließen gewesen wäre36. Die Inpflichtnahme auf die nationalsozialistische „Bewegung"

Die Tendenz, die sich im eben zitierten Urteil abzeichnete, verstärkte in den folgenden Jahren die Inpflichtnahme der Anwälte nicht nur auf die nationalsozialistische Partei sondern auf die gesamte Bewegung. Ein Verteidiger wurde am 31. Januar 1938 vom I.Senat mit einem Verweis bestraft, weil er sich „Verständnislosigkeit dem Winterhilfswerk gegenüber" hatte zuschulden kommen lassen. Sie erblickte das Gericht darin, daß er eine Bäckersfrau, die bei einer Lebensmittelsammlung dieser Organisation ein Paket mit Hühnerfutter gespendet hatte und daraufhin wegen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz angeklagt worden war, mit den Worten „einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul" verteidigt hatte. Hiermit hatte sich der

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Angeklagte in den Augen des I.Senates an einem „Symbol der Deutschen Volksgemeinschaft" vergangen, dem Winterhilfswerk, welches die „Verbundenheit der besser gestellten Volksgenossen mit den schlechter gestellten" bezeuge. Es sei seine Pflicht als Rechtswahrer gewesen, in der Hauptverhandlung unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen, daß er das Handeln der Bäckersfrau nicht billige37. Mit wachsendem Nachdruck bestand der EGH auch auf den äußeren Respektsbekundungen von Anwälten gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung: auf dem „deutschen Gruß". Wurde noch im Jahr 1935 die spöttische Äußerung eines Anwaltes über jene neue Art von „Freiübungen des Gerichts" (s. o.) mit einem Verweis bestraft, so genügte dem I.Senat in seinem Urteil vom I.November 1937 bereits das absichtliche Unterlassen des „deutschen Grußes" durch einen Rechtsanwalt, um ihn mit der gleichen Strafe zu belegen38. Solche Urteile dienten dem — allerdings ziemlich erfolglosen — Bemühen der Anwaltskammern, jenen nationalsozialistischen Krawattenzwang durchzusetzen39. Im Jahr 1939 verkündete der I.Senat des EGH in zwei Entscheidungen vom selben Tag40: „Die Unterstützung der deutschen Staatsführung bei ihren großen weltpolitischen Entscheidungen ist Standespflicht eines jeden deutschen Anwalts. Aus dieser Standespflicht folgt die Verpflichtung zur entsprechenden Stimmabgabe bei einer Volksabstimmung." (Leitsatz) Mit dem ersten Urteil schloß der EGH einen Anwalt aus, der der Reichtagswahl vom März 1936 ferngeblieben war. Die Entscheidung enthält nicht nur Hymnen auf die Verdienste des Führers und die „Begeisterung" des deutschen Volkes für seine Politik. Sie äußert sich auch ausführlich zur Rechtsstellung des Anwaltes in „staatsrechtlicher Hinsicht". Durch den nach § 19 RRAO zu leistenden Eid auf den Führer sei der Rechtsanwalt — gleich ob er ihn bereits abgelegt habe oder (als älterer Anwalt) nicht — in ein unmittelbares Treueverhältnis zum Staatsoberhaupt gestellt. Daher sei von ihm zu erwarten, daß er sich bei Entscheidungen der Staatsführung von „weltpolitischer Bedeutung ... als getreuer Gefolgsmann hinter den Führer stellt". Das Verhalten des Angeklagten dagegen sei geeignet gewesen, „Zweifel an der Geschlossenheit der deutschen Anwaltschaft und ihrem Einsatzwillen für Führer und Staat entstehen zu lassen". Daß das Gericht in seinem Verfahren die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis verletzte, hielt es selbst für unbeachtlich, denn ein jeder habe von der „Freiheit innerhalb der ihm durch die Stellung und Beruf gezogenen Grenzen und unter Beachtung der ihm obliegenden Pflichten Gebrauch zu machen." Danach war es auch gerechtfertigt, in der zweiten Entscheidung (Vertretungsverbot) dem Angeklagten vorzuwerfen, daß er bei der Volksabstimmung (vom 10. April 1938 über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich) mit „Nein" votiert hatte, „und zwar auch dann, wenn eine aufreizende Form seiner Abstimmung nicht festgestellt werden kann."41 Da die Abstimmung ein „gewaltiges Bekenntnis" zur Wiedervereinigung und die „Kundgabe des damit übereinstimmenden Willens des gesamten Volkes" sein sollte, habe auch

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der Angeklagte ein solches „freudiges Bekenntnis zum Großdeutschen Volksreich" ablegen müssen. Seine Nein-Stimme sei dagegen als „Ablehnung der Schaffung des Großdeutschen Reiches" zu werten. „Freiheit" der Verteidigung

So sehr sich die Ehrengerichte auch mühten, durch Entscheidungen wie die zuletzt genannte nationalsozialistische „Gefolgschaftstreue" zu bekunden, taten sie sich doch schwer mit Eingriffen in den anwaltlichen Tätigkeitsbereich, besonders in den der Verteidigung, der die Aufmerksamkeit von Parteistellen und Polizei am stärksten auf sich zog. Noch in Thormanns Fall zog es der erkennende Senat vor, Ausschlußgründe im Privatleben des Angeklagten zu suchen, ohne sich aber über die Gestaltung seiner Verteidigung auszulassen, die der Anlaß für den Ausschluß gewesen war. Erst im Jahr 1936 erging eine Entscheidung des I.Senates42, die dem Anwalt eine Verpflichtung auferlegte, zu prüfen, „ob die Durchführung des ihm angetragenen Auftrages mit den Belangen der Volksgemeinschaft vereinbar ist. Diese Belange gehen denen des einzelnen Auftraggebers vor, und der Rechtsanwalt muß daher gegebenenfalls die Übernahme eines einzelnen Auftrages ablehnen."43 Der Angeklagte wurde mit einem Verweis und 5000 RM Geldstrafe bestraft, weil er eine polnische Jüdin vertreten hatte, die wegen Kuppelei ausgewiesen wurde. Hinzu kam, daß er in einem anderen Fall einen „Ernsten Bibelforscher" in mißfälliger Weise verteidigt hatte. Die polnische Jüdin war ausgewiesen worden, obwohl das sie belastende Material nicht ausreichte, sie nach § 180 StGB wegen Kuppelei zu verurteilen. Ihrem Anwalt wurde vorgeworfen, die Interessen seiner Auftraggeberin „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln" verfolgt zu haben, insbesondere „von allen nur denkbaren Rechtsmitteln Gebrauch gemacht" zu haben. Im übrigen habe er sich mehrmals an das polnische Konsulat gewandt, „dem der Angeklagte sogar in unwürdiger Weise den von seiner Auftraggeberin ausgesprochenen Verdacht weitergegeben hatte, sie würde nur ihrer jüdischen Religion (oder Rasse) wegen zu Unrecht verfolgt", sowie im Gnadenweg den Reichsstatthalter bemüht. Sein Engagement wurde dem Angeklagten auch im zweiten Fall besonders im Hinblick auf Kontakte zu Stellen vorgeworfen, die Verbindungen zum Ausland unterhielten. Er hatte der Zweigstelle der „Ernsten Bibelforscher" in Magdeburg eine kritische Darstellung des Verhaltens „der mit der Verhängung und Ausführung der Schutzhaft betrauten Behörden"44 übermittelt. Man kann sich denken, was die Darstellung enthielt. Da es sich bei der (verbotenen) Vereinigung um eine international organisierte handelte, war damit zu rechnen, daß der Bericht des Angeklagten ins Ausland gelangen würde. „Er wußte also, daß er die deutsche Regierung und deutsche Behörden durch seine Berichte bloßstellen konnte." Diese Entscheidung ist die erste der in der amtlichen Sammlung enthaltenen, mit der ein Rechtsanwalt explizit für ein Handeln mit dem Ausschluß bestraft wurde, das nach liberaler Auffassung von den Aufgaben eines Anwaltes ein geradezu vorbildliches Engagement für seine Klientin darstellte. Bei dem Urteil

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des 1. Senates fiel sicher ins Gewicht, daß der Angeklagte in beiden Fällen an einen empfindlichen Nerv des nationalsozialistischen Staates gerührt hatte, nämlich an seine peinliche Sorge um internationale Reputation. Kontaktaufnahme mit ausländischen Stellen mit dem Ziel, sie zur Unterstützung der Interessen von Mandanten zu gewinnen, führte in einigen Fällen zur ehrengerichtlichen Verfolgung und Bestrafung der betroffenen Rechtsanwälte45. Nur eine der angeführten Entscheidungen erkannte jedoch auf Ausschluß aus der Anwaltschaft46, dies allerdings in Hinblick darauf, daß der betroffene Anwalt einen Juden vertreten hatte. Hatten die Senate des EGH bereits in verschiedenen Entscheidungen einzelne Äußerungen von Verteidigern in ihren Plädoyers verurteilt47, so gab das Verhalten eines Anwaltes in einem Verfahren gegen katholische Geistliche dem 3. Senat Anlaß, sich grundsätzlich „über die Grenzen der Freiheit der Verteidigung" zu äußern48. Der Sachverhalt verdient ausführlichere Behandlung, denn an ihm wird auch deutlich, wie offensiv sich manche Anwälte in Verfahren verhielten, die der Bekämpfung des politischen Katholizismus galten. Angeklagt waren zwei Rechtsanwälte (A und B). Beide waren Mitunterzeichner einer Eingabe an die Staatsanwaltschaft, die außer ihnen noch 93 weitere Personen, überwiegend Sympathisanten des „Zentrums seligen Angedenkens" (so der EGH in Anlehnung an den „Völkischen Beobachter"), unterzeichnet hatten und die der öffentlichen Stimmungsmache gegen drei katholische Geistliche entgegentreten wollte. Jene drei Priester hatten sich über eine polizeiliche Verfügung hinweggesetzt, die das Abhalten religiöser Versammlungen befristet verbot, da in der betreffenden Stadt angeblich Fälle spinaler Kinderlähmung aufgetreten waren. Das Verbot wurde von den Katholiken am Ort als Machtprobe der Nationalsozialisten verstanden, so daß sie — nun erst recht — zu Hunderten in die Gottesdienste strömten. Die Geistlichen wurden daraufhin wegen Vergehens gegen §327 StGB angeklagt. Parallel erschien ein anonymer Artikel im städtischen Tagblatt (verfaßt von dessen Schriftleiter und dem Leiter des Polizeiamtes), in dem es hieß, das „unverantwortliche Verhalten der betreffenden Geistlichen" habe in der Bevölkerung große Erregung ausgelöst, und weiter: „es wird strengste Bestrafung ... gefordert." Dagegen richtete sich die erwähnte Eingabe an die Staatsanwaltschaft. Am Tage der Hauptverhandlung erschien im „Völkischen Beobachter" unter der Überschrift „Streiflichter am Rande des politischen Katholizismus" ein Artikel, in dem erneut angeprangert wurde, die angeklagten Geistlichen hätten als „Prediger der Nächstenliebe freventlich Leben und Gesundheit ihrer Mitmenschen aufs Spiel gesetzt." Die Eingabe der 95 stelle dagegen einen „durchaus plumpen Versuch, das Gericht zu beeinflussen" dar. Daß nichts anderes mit diesem Artikel bezweckt war, dementierte der Autor ausdrücklich, da, wie er im Hinblick auf das erwartete Urteil ausführte, „ein nationalsozialistischer Richter weiß, welche Sühne ein Sabotageakt erheischt." In seinem Plädoyer richtete A, der alle drei Geistliche verteidigte, wütende Angriffe gegen den „Artikelschmierer". Er bezweifelte, daß überhaupt spinale

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Kinderlähmung aufgetreten sei und legte den Geschäftsleuten der Stadt nahe, den Staat auf Schadensersatz zu verklagen. Die Sitzung wurde daraufhin vom Vorsitzenden „wegen unsachlicher Angriffe gegen die Presse und die Polizei (unterbrochen), bis der Verteidiger sich seiner Rechte und Pflichten bewußt geworden" sei (so die Worte des Vorsitzenden). Die drei Geistlichen wurden schließlich zu Geldstrafen verurteilt. Der 3. Senat des EGH bewertete die Eingabe, die von den beiden Angeklagten A und B unterzeichnet worden war, als politische Demonstration. Er hielt es für ausgeschlossen, daß sie als „alte und erfahrene Rechtsanwälte" geglaubt haben könnten, so ließen sich Staatsanwaltschaft oder Gericht beeinflussen. Bei A trat in den Augen des Senates sein Verhalten als Verteidiger erschwerend hinzu. Die Freiheit der Verteidigung, „eine der grundlegenden Voraussetzungen des Anwaltsberufes", so das Gericht, sei nicht gleichzusetzen mit „völliger Zügellosigkeit". Die sah es dann ausbrechen, wenn die Grenzen, die der Verfahrensgegenstand zog, überschritten würden. A.s Grenzüberschreitung erblickte der 3. Senat in seinen politischen Äußerungen — in einem erklärtermaßen politischen Prozeß —, besonders in seiner Anregung an die Geschäftswelt, Schadensersatzansprüche gegen den Staat zu erheben. „Es macht fast den Eindruck, als ob hier eine demagogische Absicht mitgespielt hätte." Der Senat enthielt sich jedoch in Hinblick auf die „langjährige einwandfreie anwaltschaftliche Tätigkeit" des A einer solchen Feststellung. Das erstinstanzliche Urteil, das A und B mit einer Warnung bestraft hatte und das von beiden mit der Berufung angefochten wurde, erhöhte der EGH im Fall des A auf einen Verweis (das Verbot der reformatio in peius wurde 1935 durch Reform des § 331 StPO aufgehoben, der über § 94 RRAO auch für das ehrengerichtliche Verfahren galt). Die Fügsamkeit des EGH Die Unterlagen des Ehrengerichtshofs der Reichsrechtsanwaltskammer sind mit allen übrigen Akten dieser Institution am Ende des Krieges untergegangen. Es existieren lediglich Abschriften seiner Entscheidungen im Bestand des Zentralen Staatsarchivs der DDR in Potsdam. Hintergründe und Begleitumstände seiner Rechtsprechung sind daher nur lückenhaft zu rekonstruieren. Dennoch erlauben einige Entscheidungen Rückschlüsse auf den Einfluß politischer Stellen auf das höchste Standesgericht. Es handelt sich um Fälle, die aus unterschiedlichen Gründen weitergehendes publizistisches Interesse vor oder nach 1945 fanden. Damit liegen einige Mosaiksteine vor, aus denen sich ein Bild der politischen Fügsamkeit des Ehrengerichtshofs gewinnen läßt. Bei einer Darstellung der Rolle der anwaltlichen Institutionen im Nationalsozialismus kann hierauf nicht verzichtet werden. Mit welcher fadenscheinigen Begründung der EGH seinen Beitrag zum Ausschluß des Rechtsanwaltes Thormann aus der Anwaltschaft leistete, wurde bereits angedeutet und wird an anderer Stelle vertieft werden49. Nach Vorwänden mußte auch gesucht werden, um den ehemaligen Präsidenten des DAV, Martin Drucker, ehrengerichtlich zu belangen. Ihn betraf die Entscheidung des l. Sena-

Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes

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tes in EGH 29, 139, mit der der EGH allerdings ein auf Ausschluß lautendes Urteil des Ehrengerichts der Sächsischen Anwaltskammer in einen Verweis und 1000RM Geldstrafe abwandelte50. Ein heftiger Konflikt zwischen der Berliner Rechtsanwaltskammer, vertreten durch ihren Präsidenten Neubert, und dem antisemitischen Hetzblatt „Stürmer" ging der Entscheidung des 1. Senates vom 23.1.3951 voraus. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand zunächst der Berliner Rechtsanwalt Kikath. An ihn hatte sich der Würzburger Weinhändler Obermayer gewendet, der wegen 30 Vergehen gegen § 175 StGB als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu 10 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Das Urteil war das Resultat der Verfolgung eines Juden, den sich ein bayerischer Gestapo-Beamter, Gerum mit Namen, zum Opfer seines Vernichtungsdrangs ausersehen hatte52. Der Vernichtungswille des Gestapo-Kommissars, der die publizistische Unterstützung des „Stürmer" fand, strahlte auch auf die aus, die sich des im KZ mißhandelten annahmen. Das war zunächst der jüdische Anwalt Rosenthal, der wegen seiner Tätigkeit für Obermayer selbst für kurze Zeit in Gestapo-Haft kam. Als Obermayer nach seiner Verurteilung in Revision ging und sich einen Verteidiger suchte, der sie für ihn vertreten sollte, wandte er sich zunächst an einen Berliner Anwalt, der ihm als Kunde seines Weinhandels in Erinnerung war: Rechtsanwalt Kikath. Der lehnte ab, weil er sich als Zivilanwalt der Aufgabe nicht gewachsen fühlte. Obermayer schrieb nun an einen Anwalt aus Leipzig, Hans Kirchberger. Dieser erklärte sich bereit, ihn zu vertreten. Das Verhalten beider Anwälte versetzte den „Stürmer" in höchste Erregung. An Kirchberger wurde kritisiert, daß er sich erdreistete, die Vertretung eines Juden, der zu 10 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war, zu übernehmen. Kikath fand die scharfe Mißbilligung des Blattes schon allein deswegen, weil er Obermayer in seiner ablehnenden Antwort mit „Sehr geehrter Herr Doktor" angeredet und sein Schreiben mit „Ihr sehr ergebener Kikath" geschlossen hatte53. Am Ende des Artikels hieß es „Sorgen wir ... dafür, daß alle unsauberen Elemente verschwinden, die sich heute noch in der Maske des Biedermannes auf den Gerichten herumtreiben." Kikath ging im Privatklageverfahren gegen den Stürmer wegen Beleidigung vor; ohne Erfolg. Den Beschluß des AG Berlin (802 Bs 728/37, gez. AG-Rat Piening} ließ die Zeitung an den Berliner Litfaßsäulen anschlagen und druckte ihn auch im Wortlaut in ihrer Ausgabe vom November 193754 ab, da sie darin einen „Beweis dafür (sah), daß auch auf dem Gebiete der Rechtsprechung das deutsche Erwachen beginnt." In dem Beschluß hieß es, Kikaths Interesse, sich gegen die „Kritik" des Stürmer, zu wehren, müsse hinter dessen „großer Aufgabe der Aufklärung des Volkes" im „notwendigen Kampf gegen das Judentum" zurücktreten. Die Rechtsanwaltskammer Berlin war damit nicht einverstanden. Für ihren Präsidenten, Rechtsanwalt Neubert, dem Leser noch als engagierter Betreiber

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des Ausschlusses jüdischer und „kommunistischer" Anwälte in Erinnerung, war hier eine Grenze des Eingriffs in anwaltliche Rechte überschritten, die er nicht kampflos preisgeben wollte. Der Vorstand der RAK Berlin veröffentlichte eine Gegenerklärung55, in der Kikath — freilich etwas halbherzig — gegen die Angriffe des Stürmer in Schutz genommen wurde. Er habe nicht gewußt, daß Obermayer Jude und daß er wegen „zahlreicher sittlicher Verfehlungen" verurteilt worden war. Das Schreiben des Obermayer habe nicht erkennen lassen, daß er sich in Haft befand. Der Vorwurf einer Standespflichtsverletzung könne gegen Kikatb nicht erhoben werden. Die Erklärung der RAK Berlin veröffentlichte der Stürmer in seiner Ausgabe Nr. 4/38 (Januar 1938) und kommentierte sie mit heftigen Vorwürfen. Die Kammer begehe, da die Entscheidung im Privatklageverfahren gegen den Stürmer noch nicht rechtskräftig sei, den Versuch einer Beeinflussung des Gerichts. Hier appellierte das Blatt an die Aufsichtsbefugnis des Justizministeriums und fragte demonstrativ, ob es etwa die Veröffentlichung dulde. Der Stürmer disqualifizierte die von der Kammer zugunsten Kikaths vorgebrachten Argumente als Schutzbehauptungen — „Das glaubt doch die Rechtsanwaltskammer Berlin selbst nicht" — und nutzte obendrein die Gelegenheit, die in seinen Augen zu nachlässige Haltung der Kammer gegenüber den jüdischen Anwälten anzuprangern. In Berlin gebe es noch immer gemeinsame Anwaltszimmer für Juden und „Arier", in den „Gerichtshäusern" arbeiteten jüdische und nichtjüdische Anwälte noch „sehr einträchtig" zusammen. Sie müßten dieselben Roben benützen. Auch sei es Brauch, daß jüdische und nichtjüdische Anwälte auf Gerichten zusammen Schach spielten, „daß sie sich also an einen Tisch setzen und daß sie durch gemeinsames Spiel ihre besondere Verbundenheit kundtun." (Hervorhebung im Original) Hiervon ließ sich die Kammer nicht beeindrucken. Sie wies auf ihrer Sitzung vom 15.2.38 die Vorwürfe des Stürmer zurück und billigte ausdrücklich die Maßnahmen ihres Präsidenten56. Daß Neubert und der EGH zuletzt doch zu Konzessionen an den Stürmer bereit waren, zeigt die Entscheidung des 1. Senates, dem Neubert selbst präsidierte57. Der Sachverhalt erweist, daß von ihr ein Verteidiger betroffen war, der Obermayer im Revisionsverfahren vertrat. Es handelte sich dabei nicht um den bereits erwähnten Rechtsanwalt Kirchberger, sondern um seinen Kollegen Gerhard Meissner aus Dresden58. Zwar bestand das Gericht darauf, daß dem Anwalt allein aus der Übernahme der Verteidigung kein Vorwurf gemacht werden könne, hob dann aber auf die gleichen Umstände ab, die dem „Stürmer" Anlaß zu seinen Angriffen auf Kikath gaben: Die Anrede mit „Sehr geehrter Herr Doktor", der Gruß „Hochachtungsvoll". (Die Entscheidung, auf die erkannt wurde, wird — eigenartigerweise — nicht mitgeteilt.)59 Daß solches Entgegenkommen des EGH in der Folgezeit noch zunahm, beweist eine letzte Entscheidung, der Beschluß des I.Senates vom 23.1.3960. Betroffen war der Göttinger Rechtsanwalt und Notar Wallbaum, der in der Volksabstimmung vom 10.4. 38 mit „Nein" gestimmt hatte. Durch Verfügung des RMJ 61 wurde ihm

Anmerkungen

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das Notariat entzogen. Das zuständige Ehrengericht der RAK Gelle verweigerte dagegen die Verhängung eines Vertretungsverbots und sprach ihn auch in der Hauptsache frei. Der Gauleiter verlangte daraufhin vom Vorsitzenden des EG, ihm mitzuteilen, wer für die Freisprechung gestimmt habe. Die Auskunft wurde ihm trotz energischem Drängen verweigert52. Der I.Senat hatte ein Vertretungsverbot verhängt, weil nach seiner Ansicht zu erwarten war, daß auf Ausschließung erkannt werde. Eine Entscheidung des EGH in der Hauptsache ist nicht publiziert. Solches Wohlverhalten des höchsten anwaltlichen Ehrengerichts konnte dennoch nicht verhindern, daß seine Rechtsprechung bei der Spitze von Partei und RMJ auf wachsendes Mißfallen stieß. Nach einigen Zwischenetappen ging die Ehrengerichtsbarkeit 1943 auf die Dienststrafgerichte über. Davon ist an anderer Stelle zu reden.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5.

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

EGH 27, S. 84 EGH 27, S. 83 EGH 27, S. 96; S. 135; S. 144 EGH 28, S. 120 EGH 28, S. 85; Die Frage der Zulässigkeit rückwirkender Anwendung einer erhöhten Strafandrohung hatte das RG zum ersten Mal im Reichstagsbrandprozeß bejaht. Da diese Entscheidung einem elementaren rechtsstaatlichen Grundsatz verletzte, war sie auf heftige Kritik gestoßen EGH 29, S.43f; S. 140 EGH 27, S. 153 EGH 28, S. 176 EGH 27, S. 140 EGH 28, S. 41 Raeke, JW34, S.793f EGH 28, S. 143, U vom 3.7.34 EGH 28, S. 194, U vom 16.10.34 EGH 29, S. 61; die Entscheidung betraf den ehemaligen Justiz- und Kultusminister des Freistaates Sachsen-Altenburg (1918—1922), Karl Mehnert, vgl. ZStA 30.05/3064 EGH 29, S. 45 ff, U vom 18.2.35 EGH 30, S.210f 3. Senat, U vom 19.12.34; EGH 28, S. 231 ff Vgl. F.GH 29, S. 140 Zu den weiteren Einzelheiten des Falles Thormann s. u. S. 77 f EGH 28, S. 197, 1. Senat, U vom 20.10.34 EGH 29, S. 75, 2. Senat, U vom 8.4.35 EGH 29, S. 136, 1. Senat, U. vom 30.9.35 EGH 29, S. 88, 1. Senat, U vom 6.5.34 EGH 29, S. 112 EGH 30, S. 40 EGH 31, S. 59, 3. Senat, U vom 23.3.37; EGH 31, S. 122, I.Senat, U vom 29.9.37 EGH 29, 196, U vom 13.11.35 EGH 30, 64, 2. Senat, U vom 11.2. 36 EGH 31, S. 61, U vom 24.4.37

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30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

EGH 32, S. 161 EGH 32, S. 158 ff, 1. Senat, U vom 23.10.39 Durch 5. VO zum ReichsbürgerG vom 27.9.38 RGB1.1, 1403 EGH 32, S. 158, Anm. l EGH 32, S. 156 ff, 3. Senat, U vom 17.1.39 EGH 30, S. 219, U vom 30.11.36, Ausschluß EGH 30, S. 221 EGH 32, S. 10 EGH 31, S. 148 Die RRAK drohte 1937 (MdRRAK 37, S. 99) gar damit, ein Rechtsanwalt, der den Gruß verweigere, setze sich dem Verdacht aus, „dem nationalsozialistischen Staat ablehnend gegenüber zu stehen." Noch zwei Jahre später (MdRRAK 39, S. 193) publizierte die R AK Dresden in den MdRRAK die „Bitte", den „deutschen Gruß" künftig zu entbieten EGH 33, S. 8 ff, U vom 23.1.39 EGH 33, S. 12 ff, 1. Senat, Beschluß vom 23.1.39 EGH 30, S. 106, U vom 13.4.36 AaO, S. 107 AaO, S. 108 EGH 29, S. 139 ff; 32, S. 161 f; S. 162 ff; auch bei der Entscheidung EGH 29, S. 171 ff spielte der Umstand eine Rolle, daß eine Anklageschrift ins Ausland geschafft werden sollte EGH 32, S. 161 f, 2. Senat, U vom 30.1.39 EGH 28, S. 197: staatsfeindliche Äußerungen; EGH 29, S. 75 ff: unangemessene politische Äußerungen; EGH 32, S. 10: Verständnislosigkeit gegenüber dem Winterhilfswerk EGH 32, S. 30 ff, U vom 21.2.38 Die Entscheidung betraf die Rechtsanwälte Camill Hepp und Dr. Albert Sauer, beide aus Ravensburg:; vgl. ZStA 30.05/3586 S. u. S. 77 ff Vgl. Grubel in FS Drucker, S. Xf, sowie ZStA 30.05/3181 EGH 32, S. 158 Sein Schicksal, auch das seines jüdischen Anwalts Rosenthal, ist ausführlich dargestellt bei Fröhlich, S. 76 ff „Stürmer" 5/37, Januar 1937 „Stürmer" 48/37 Allerdings — zunächst — nur in der begrenzten Öffentlichkeit der MdRRAK 37 Nr. 12 vom 1.12.37 MdRRAK 38, S. 26 EGH 32, S. IV Vgl. ZStA 30.05/3722 Meissner wurde zu einem Verweis sowie 200 RM Geldstrafe verurteilt EGH 33, S. 12 ff Gez. Schlegelberger, IfZ NG 1901 Mmdt, S.54f

40. 41. 42. 43. 44. 45.

46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.

53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62.

Kapitel 3: Topographie des Halbdunkels. Zum Wirken des politischen Strafverteidigers Die Darstellung konzentrierte sich bislang darauf, den Wandel in den politischen, rechtlichen und institutionellen Bedingungen der Verteidigertätigkeit in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft nachzuzeichnen. Die reale Gestalt anwaltlichen Wirkens auf dem Gebiet der Strafverteidigung, nach der hier gefragt ist, läßt sich damit jedoch nur unvollkommen erfassen. Dem Leser sei daher im folgenden anhand von fünf Beispielen ein Bild der formellen und informellen Spielräume vermittelt, die dem Verteidiger offen blieben. Ob er sie nutzte, konnte von Zufällen abhängen. Zumeist war es eine Frage seines persönlichen Mutes, seiner menschlichen und politischen Integrität. Die Bedingungen der Verteidigung, auch und gerade der politischen, waren vielschichtig und widersprüchlich. Schon früh fanden Anwälte den Weg in jenes Halbdunkel, das sich anderen erst mit zunehmendem sichtbarem Verfall des nationalsozialistischen Staates — wenn überhaupt — erschloß. Güstrows „tödlicher Alltag", den er hauptsächlich für die letzten Kriegsjahre beschreibt, hat für einige Verteidiger schon 1933 begonnen. Gefahrvoll war das Gebiet, auf dem sie sich bewegten, jedoch eher für ihre Mandanten. Denn selbst eine offene Konfrontation mit den neuen Machthabern konnten mutig auftretende Anwälte nahezu unbeschadet überstehen, weniger couragierte bekamen die Rache der Nationalsozialisten zu spüren. Auch an jenem „Netz" des „Verschwiegenen, Halblauten, Ungesagten"1 wurde schon in den ersten Jahren des Dritten Reiches gewoben, von Anwälten, die verbotenen Parteien angehörten, von ganz unpolitischen, aber auch von solchen, die schon vor 1933 nationalsozialistischen Organisationen beigetreten waren. Beispiel 1: Siegburger Volkshausprozeß2 In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 1933 zog in Siegburg bei Bonn ein Trupp SS-Männer vor das „Volkshaus", das Parteilokal der Sozialdemokraten. Das Gebäude war mit einer Wache besetzt, da man Übergriffe durch die SS befürchtete. Es kam zu einer Schießerei. Ein SS-Mann wurde durch Kopfschuß getötet. Gegen die sechzehn Angehörigen der SPD-Wache wurde Anklage erhoben, die ihnen vorwarf, sich gemeinschaftlichen Totschlags sowie der Beteiligung an einem Angriffstrafbar gemacht zu haben (§§ 212, 227 I, 47, 43 StGB). Die Hauptverhandlung fand im Juni 1933 statt. Die Verteidiger versuchten, den Nachweis zu erbringen, daß die Schießerei von dem SS-Trupp ausgegangen war. Ihre Beweisführung mußte sie notwendig in Konfrontation zur SS bringen. Bewaffnete SS-Angehörige

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besetzten den Verhandlungssaal. Rechtsanwalt Grüne, Offizialverteidiger eines Angeklagten, — die übrigen fünfzehn wurden von Alex Dietrich, dem „bekannten Linksverteidiger"3 aus Köln, vertreten — protestierte und lehnte es ab, unter Pistolen zu plädieren. Das Schwurgericht beschloß Vertagung auf unbestimmte Zeit, da es sich in seiner Entscheidung nicht frei fühle. Die „Preußische Justiz"4 reagierte verschnupft. Sie rügte neben anderem „das Mißtrauen gegenüber den anwesenden SS-Leuten ..., das von gänzlichem Unverständnis der bekannten Disziplin der nationalsozialistischen Kampftruppe zeugt." Der Vorsitzende des Gerichts wurde ausgetauscht, sechs Angeklagte zu Zuchthausstrafen von 8 bis 12 Jahren verurteilt, die übrigen zehn freigesprochen. Sie blieben aber in Schutzhaft5. Die Revision hatte keinen Erfolg. Während des Verfahrens waren die Verteidiger mehrfach von Ausbrüchen des Volkszornes heimgesucht worden. Beim Verlassen des Gerichts nach der Vertagung wurden ihnen Prügel für den Fall angedroht, daß sie sich wieder blicken ließen. Vor dem Büro des Rechtsanwaltes Grüne kam es zu „Tumulten"6. Ernster zu nehmen war die Polemik der NS-Presse, die eine Abbildung der Verteidiger mit der Bildunterschrift „Verächtliche SPD-Typen" veröffentlichte7. Rechtsanwalt Grüne beantragte allen Anfeindungen zum Trotz die Wiederaufnahme des Verfahrens. Inzwischen hatten ihn alle Verurteilten mit ihrer Vertretung beauftragt8. Grüne bezichtigte die SS-Männer des Meineids und wies nach, daß Schußspuren an der Front des „Volkshauses", die von Schüssen der SS stammten, beseitigt, auf der anderen Straßenseite dagegen mit Meißelschlägen fingiert worden waren. Die SS-angehörigen Zeugen wurden daraufhin im März 1935 wegen Meineids verurteilt. Die erneute Verhandlung im Fall der Angehörigen der SPDWache endete mit dem Freispruch der Angeklagten. Sie wurden auch tatsächlich freigelassen9. Die Angriffe des Rechtsanwaltes Grüne gegen die SS setzten ihn zwar heftiger Kritik und persönlicher Bedrohung aus. Seine Hartnäckigkeit verschaffte ihm aber zuletzt selbst den Respekt seiner Gegner. Seine Verteidigung konnte sich ausschließlich auf tatsächlicher Ebene bewegen. Über politische Inhalte wurde im „Volkshausprozeß" nicht gestritten. Und die Angeklagten waren keine Kommunisten sondern Sozialdemokraten. Deren Verteidigern wurde — wie noch an anderer Stelle vertieft wird — größere Freiheiten gewährt als denen kommunistischer Angeklagter. Es fand sich freiwillig kaum ein Anwalt mehr bereit, die Verteidigung eines kommunistischen Angeklagten zu übernehmen. Viele waren daher überrascht, als Alfons Sack, ein prominenter Verteidiger von Nationalsozialisten, die Wahlverteidigung von Ernst Torgier, dem einstigen Vorsitzenden der KPD-Fraktion im Reichstag, übernahm, der im Reichstagsbrandprozeß angeklagt war. Beispiel 2: Alfons Sack und der Reichstags-Brandprozess Der Rechtsanwalt Sack tat sich in der Zeit der Weimarer Republik als Verteidiger deutschnationaler und nationalsozialistischer Angeklagter hervor. Seine anwaltliche Karriere begann er im Büro des Justiziars der DNVP. Bekannt wurde er als Verteidiger im sog. Ulmer Reichswehrprozeß und in den Fememordprozessen.

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Auch im „Potempa"-Prozeß trat er auf. Er gehörte damals zu denen, die das Institut der sog. „Staatsnotwehr" entwickelten. Damit korrespondierte die Konzeption der sog. „nationalen Verteidigung". Wie die in den Fememordprozessen Angeklagten für sich in Anspruch nahmen, durch ihre Tat(en) dem Staat zu Hilfe geeilt zu sein, der sich nicht helfen konnte, weil er sich nicht helfen durfte, sollte ihre Verteidigung nicht allein ihrem eigenen Interesse sondern auch — und das vor allem — dem Wohl des Staates dienen10. Als nach dem Brand des Reichstages am 27.2.33 außer dem direkt am Tatort gefaßten Marinas van der Lubbe auch Ernst Torg/er, ehemals Vorsitzender der kommunistischen Reichstagsfraktion, sowie Georgi Dimitroff, Simeonoff Popoff und Wassil Taneff, drei bulgarische Kommunisten, verhaftet wurden, erlaubte es Sack seine — zumindest zur damaligen Zeit — unangefochtene politische Reputation, freiwillig die Verteidigung Torglers zu übernehmen. Der zunächst zum Verteidiger bestellte Rechtsanwalt Huber hatte es vorgezogen, seine Entpflichtung zu beantragen11. Torglers Gattin war gezwungen, zahlreiche Anwälte mit der Bitte anzugehen, die Vertretung ihres Mannes zu übernehmen. Die meisten lehnten ab oder erhoben astronomische Honorarforderungen12. Erst Sack erklärte sich bereit, Torgier für 3000 RM zu verteidigen13. Sack war der einzige Wahlverteidiger im Reichstagsbrandprozeß, der das Verfahren bis zum Ende durchstand14. Vom Schicksal Werner Willes, der sich zunächst bereit erklärte, Torgier zu verteidigen, dann kurze Zeit Dimitroff vertrat, ist an anderer Stelle zu reden15. Auländische Verteidiger, die von den Angeklagten benannt wurden, ließ das RG nicht zu. Die KPD forderte Torgier am 20.9.33 auf, sich „im ersten günstigen Moment in voller Gerichtsöffentlichkeit mit entsprechender Erklärung von ihm (Sack) zu trennen", da er ein „Schurke und Agent Hitlers" sei16. Während der Hauptverhandlung kam es wiederholt zu Zusammenstößen zwischen Sack und Dimitroff\ der noch in seiner Schlußrede erklärte: „Ich möchte Torgler nicht beleidigen, nachdem er von seinem Verteidiger genügend beleidigt wurde, muß aber sagen: Ich ziehe es vor, von dem RG unschuldig zum Tode verurteilt zu werden, als ein freisprechendes Urteil dank einer solchen Verteidigung zu erhalten, die Sack zugunsten Torglers vertrat."17

Torgier dagegen sprach seinem Verteidiger wärmsten Dank aus18. Die Haltung der Partei kann nachvollziehen, wer das umfangreiche Werk19 liest, in dem Sack sich über den Prozeß verbreitet hat. Er ließ es nach seinen Anweisungen von Mitarbeitern schreiben. Von seiner Hand stammen angeblich nur drei Seiten20. Grimm verfaßte eine Einleitung. Das Werk diente — entsprechend der Verteidigungsstrategie Sacks im Reichstagsbrandprozeß21 — der Propagierung der „Rechtsstaatlichkeit" des neuen Staates. Sack nahm die Regierung besonders gegen die im Ausland erhobenen Vorwürfe — namentlich des „Braunbuchs"22, das Mün^enberg herausgegeben hatte, und der Londoner Untersuchungskommission23 in Schutz, die den Nationalsozialisten vorwarfen, den Reichstag selbst in Brand gesetzt zu haben, um einen Vorwand zu gewinnen, die Reichsverfassung außer Kraft zu

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setzen. Der Prozeß diene — so die Kritiker — dazu, von der Verantwortung der Nationalsozialisten abzulenken und sie den Kommunisten anzulasten. Das Konzept von der „nationalen Verteidigung" ließ sich in Sacks Ausführungen über die Verteidigung im Neuen Staat bruchlos in das zeigemäße Verständnis vom Strafprozeß überführen, in dem die verschiedenen Organe der Rechtspflege zur Findung der Wahrheit und damit zum Wohl des Staates und der Volksgemeinschaft kollaborieren sollten. Sack nutzte die Gelegenheit, sich im Reichstagsbrandprozeß zum Künder einer neuen Idee von der Verteidigung aufzuschwingen. Das ist er auch später geblieben24. Zugleich formulierte er vor der Öffentlichkeit die Bedingungen, unter denen nach neuer Auffassung künftig die Wahlverteidigung von „politisch Andersgesinnten" zulässig sein sollte. Dem Verteidiger sollte die freiwillige Übernahme des Mandates eines Kommunisten nur dann erlaubt sein, wenn er für sich selbst nach bestem Wissen und Gewissen die Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten gewonnen habe25. Seine erhöhte Stellung als „gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege", die ihn verpflichtete, die Belange des Staates zu beachten26, sollte es dem Verteidiger verbieten, den politischen Standpunkt seines Mandanten zu verteidigen. Sack lehnte es in seinem Plädoyer ausdrücklich ab, „zum politischen Teil der Beweisaufnahme, soweit die Person des Angeklagten Torgier nicht betroffen wurde, irgendwie geartete Anträge zu stellen27". Er ging noch einen Schritt weiter. Es sei „Aufgabe und Pflicht des Verteidigers, gerade in politischen Prozessen" zu verhindern, daß Angeklagte ihre politischen Positionen offensiv verfochten28. Hinter der „Wolke nationalsozialistischer Dithyramben" (W. Wagner), mit der Sack die Belange der Volksgemeinschaft beschwor, wurde aber auch seine Kritik an den Gerichten laut. Von ihnen verlangte er „noch viel mehr als bisher", der Verteidigung „keinerlei Schwierigkeiten durch formelle Erwägungen zu bereiten"29. Seine Verteidigung rührte noch an anderen Stellen an wunde Punkte des autoritären Justizverständnisses. Er war der einzige, der die rückwirkende Geltung der VO vom 24.2. 33 in Zweifel zog30. Seine Mission für den deutschen Rechtsstaat ließ ihn Verbindungen mit ausländischen Stellen, insbesondere den Mitgliedern der Londoner Untersuchungskommission aufnehmen. Deren Vorsitzender, der schwedische Rechtsanwalt Branting, lud Sack als einzigen Verteidiger zur Sitzung der Kommission ein31. Zwar nutzte Sack diese Kontakte später dazu, um sich als umso kompetenter darzustellen, wenn es darum ging, die Haltlosigkeit der Vorwürfe der Kommission und deren parteiisches Interesse zu „entlarven". Er rekuperierte aber damit vor aller Öffentlichkeit für die Verteidigung ein Betätigungsfeld, das ihr nach dem Willen der Machthaber verschlossen bleiben sollte. Denn die auf internationale Reputation bedachten Machthaber waren auf dem Gebiet von Auslandskontakten äußerst sensibel. Das zeigt etwa das Schicksal von Thälmanns Verteidiger Roetter32. Soweit Sack Regeln für die (Unterlassung der) Verteidigung auf politischer Ebene aufstellte und dem Verteidiger die Rolle eines Zensors abverlangte, formulierte er überprüfbare Maßstäbe, deren Einhaltung die Gerichte und Ehrengerichte in der Folgezeit durchzusetzen bemüht waren33. Obwohl Sack für die nationalsozialistische Propaganda eine nicht unbedeutende Rolle spielte, läßt sich sein Wirken nicht allein solchen Interessen subsumieren.

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Dies erhellt schon der Umstand, daß der Vertrieb seines Buches im Jahre 1934 vom Propagandaministerium untersagt wurde. Auch war das Vertrauen der Staatsführung in seine Person nicht ungetrübt. Sie ließ Sack durch einen V-Mann der Gestapo bespitzeln, der als Referendar in sein Büro geschleust wurde34. Sack gehörte nicht zu den engagierten Parteianwälten vom Schlage eines Reinhard Neubert. Jüdischen Kollegen gegenüber verhielt er sich solidarisch35, gab noch nach dem 7. April 33 Mandate an sie ab. Weckte Sacks Wirken auch das Mißtrauen der Geheimen Staatspolizei, so ist doch die Behauptung, wegen seiner Verteidigung Torglers sei er in Schutzhaft genommen worden36, eine Legende. Zwar wurde Sack im Zusammenhang mit den Maßnahmen vom 30. 6. 34 verhaftet. Auf unterer Ebene der politischen Polizei sah man den Grund hierfür auch in seiner Tätigkeit im Reichstagsbrandprozeß. Der wahre Anlaß war dies jedoch nicht. Vielmehr hatte Sack als Justiziar der SAAbteilung des Gruppenführers Ernst firmiert, der zu den Köpfen der „Verschwörung" gerechnet wurde. Insbesondere hatte die Gestapo vermutet, Sack habe einige Vermögensgegenstände von Ernst treuhänderisch verwahrt, u. a. die luxuriöse Limousine, in der sich Sack chauffieren ließ. Die Vorwürfe erwiesen sich als gegenstandslos. Er wurde nach kurzer Zeit entlassen37. Sacks Verhältnis zum Nationalsozialismus war im Grunde unpolitisch. An politischen Fragen fehlte ihm jedes Interesse, seine Mitarbeiter hielten ihn hier für völlig „instinktlos". Sack war vor allem an öffentlicher Reputation, am Ruhm interessiert. Meisterhaft beherrschte er die Kunst, sich öffentlich zu inszenieren, sei es im Gerichtssaal oder außerhalb38. Privat verkehrte er in den Kreisen jener Berliner Gesellschaft, die mit der nationalsozialistischen Machtergreifung nach oben gespült worden war. Zu entfernten Verhandlungsorten reiste er mit seinem Privatflugzeug, das er selbst steuerte. Seine Mitarbeiter zogen es vor, mit Wagen oder Zug nachzukommen. Sack kam bei einem Bombenangriff 1944 in Brandenburg um. Dort hielt er sich anläßlich einer Verhandlung des Volksgerichtshofs auf, vor dem er zuletzt nicht mehr als Verteidiger sondern als Vertreter der Anklage auftrat39. Beispiel 3: Kleiner Volksvereinsprozeß und ein Urteil des EGH Der kleine Volksvereinsprozeß wurde vor dem LG München-Gladbach im Dezember 1933 — also etwa zeitgleich mit dem Reichstagsbrandprozeß — verhandelt40. Hauptangeklagter war Dessauer, ein führender Vertreter der katholischen Arbeiterbewegung. Ihm wurde vorgeworfen, zu strafbarer Untreue angestiftet zu haben. Die Anklage behauptete, er habe — im Zusammenwirken mit zwei Mitangeklagten — Geschäftsanteile einer Druckerei im Jahre 1928 weit unter Preis erworben. Die Anteile gehörten einem Verlag, dessen Eigentümer der „Volksverein" war, eine ehemals mitgliederstarke Organisation des sozialreformerischen Katholizismus41. Schwerpunkt des Verfahrens bildete aber die Auseinandersetzung um die politische Persönlichkeit Dessauers, mit dessen Desavouierung der politische Katholizismus und die pazifistische Bewegung getroffen werden sollte. Er

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hatte persönliche Beziehungen zu einem ehemaligen Direktor der Firma Krupp unterhalten. Dieser Mann hieß Mühion. Er war 1915 bei Krupp ausgeschieden und in die Schweiz emigriert. Dort publizierte er 1918 eine Schrift, in der er — aus seiner Kenntnis der deutschen Rüstungsindustrie schöpfend — dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn vorwarf, den I.Weltkrieg angezettelt zu haben. Nach 1918 brachte Dessauer Mühion in Verbindung mit führenden deutschen Politikern.42 Der eigens aus Berlin in das Verfahren vor dem LG München-Gladbach entsandte Sonderstaatsanwalt Bork nahm diese Verbindung Dessauers zum Anlaß, die Widerlegung der sog. „Kriegsschuldlüge" zum Prozeßgegenstand zu machen43, um Dessauer und mit ihm den politischen Katholizismus zu „Vaterlandsverrätern" zu stempeln. Als sich dieser Prozeßverlauf abzeichnete, legte einer der Verteidiger, Rechtsanwalt Eberhard, angeblich auf Drängen des Polizeipräsidenten von München-Gladbach , sein Mandat mit der Begründung nieder, er habe nicht voraussehen können, daß so viele politische Fragen erörtert würden44. Erst nachdem der Zeuge Krupp von Bohlen und Halbach Gelegenheit gehabt hatte, als berufener Zeitgenosse die „Kriegsschuldlüge" zu „widerlegen", nachdem auch Dessauer sich von Pazifismus und Separatismus — hier in Gestalt F. W. Försters (nota bene, er spielte später eine wichtige Rolle) — distanziert, mit Unterstützung der Verteidigung seine „arische" Abstammung beteuert, seine soldatische Gesinnung hervorgehoben hatte und auch der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben worden war, kehrte Eberhard in das Verfahren zurück. Sein Anlaß war Sacks Plädoyer im Reichstagsbrandprozeß. Zuvor hatte Eberhard sich allerdings von Hess bescheinigen lassen, daß gegen die Fortführung der Verteidigung keine Bedenken bestünden45. Aus der SS wurde Eberhard trotzdem ausgeschlossen46. Dessauer wurde freigesprochen. Den Zorn der Gestapo und auch Freisten erregte jedoch nicht dieser Ausspruch des Urteils, sondern seine Begründung. Das Gericht hatte nämlich Dessauer eine untadelige vaterländische Gesinnung konzediert. Damit glaubte es auch die Beziehungen Dessauers zu Mühion „entschuldigen" zu können. Die Gestapo empfand das als einen „Faustschlag gegen die Bewegung"47. In einem Aufsatz in der DJ schrieb Freisler: „Ein Gericht, das so verfährt, setzt sich dem Vorwurf der Volksfremdheit aus. Das Volk kennt keinen reuigen Landesverräter. Und: Das deutsche Volk kennt keine Entschuldigung für die Pflege der Bekanntschaft mit einem Landesverräter."48. Das Gericht forderte daraufhin die erste Ausfertigung seiner Urteilsgründe zurück und erklärte die Begründung gegenüber dem Verteidiger Dessauers für ungültig. In der überarbeiteten Fassung hieß es dann, es sei „unfaßbar, daß ein Politiker von der Bedeutung eines Dessauer mit einem Mann wie Mühion freundschaftlichen und geschäftlichen Verkehr unterhalten hat und sogar darüber hinaus ihn in die Geheimnisse der Regierungspolitik eingeführt" habe49. Gericht und Verteidigung hatten es zugelassen, daß aus dem Verfahren ein publikumswirksames Tribunal wider die Verbreiter der „Kriegsschuldlüge" wurde. Dessauers Verteidiger, JR Schreiber, der den vorübergehend in Schutzhaft genomme-

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nen Rechtsanwalt Klefiscb ersetzte, stellte das in seinem Plädoyer ausdrücklich als Verdienst des Sonderstaatsanwalts heraus50. Einem der Verteidiger, dem Rechtsanwalt Thormann aus Frankfurt/Main, wurde dieses Entgegenkommen jedoch schlecht vergolten. Thormann wurde am Tag der Urteilsverkündung in Schutzhaft genommen51. Nunmehr sah die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit ihre Stunde gekommen zu beweisen, daß sie es mit den nationalsozialistischen Ehrauffassungen genauer nahm als die ordentlichen Gerichte. Der Anwalt wurde bestraft für eine Tat, die bei seinem Mandanten zu keiner Verurteilung geführt hatte. Am 14. 7. 34 verurteilte das EG der RAK Frankfurt Thormann zum Ausschluß aus der Anwaltschaft. Das Urteil wurde vom EGH bestätigt52. Der Sachverhalt — hier wiedergegeben nach dem Urteil des EGH — weist auffallige Parallelen zu den Vorwürfen gegen Dessauers Person auf. Thormann hatte im Jahr 1931 mit einem bekannten Pazifisten korrespondiert, jenem F. W. Förster, von dem Dessauer sich distanziert hatte53. Auch Förster galt nach 1933 als „Vaterlandsverräter". Der EGH hielt Thormann wegen seiner — außerberuflichen — Verbindung mit Förster, bei der er den notwendigen „scharfen und klaren Trennungsstrich" nicht gezogen habe, für „untragbar". Thormanns Verhaftung direkt im Anschluß an die Freisprechung seines Mandanten zeigt, daß man an seiner Entfernung aus der Anwaltschaft wegen seiner Verteidigung im „Kleinen Volksvereinsprozeß" interessiert war. Davon ist in den Gründen der Entscheidung jdoch nicht die Rede. Das oberste Ehrengericht vermied es, einen Anwalt erklärtermaßen wegen seiner mißfälligen Gestaltung der Verteidigung zu maßregeln. Es eilte gleich einen Schritt weiter in das Privatleben des Anwaltes und machte deutlich, daß jede freiwillige Verbindung mit einem politisch Verfemten zum Ausschluß aus der Anwaltschaft führen müsse, sofern dabei die Grenzen der „beruflichen Tätigkeit" überschritten würden. In Konsequenz dieser Entscheidung hatte der Anwalt bei seiner Berufsausübung jede Regung persönlicher Nähe zum Mandanten zu unterdrücken. Das Organ der Rechtspflege war — beruflich und privat — verpflichtet, Distanz zu all denen zu wahren, die der Staat, dessen Justiz es zu dienen hatte, zu seinen Gegnern erklärte. Wo die Grenzen im Einzelfall lagen, wurde durch eine Entscheidung wie diese noch Ungewisser. Sack konnte selbst einen prominenten Kommunisten freiwillig verteidigen, ohne daß es für ihn nachteilige Folgen hatte. Thormanns Tätigkeit für Dessauer (mit dem ihn übrigens ein langjähriges Vertrauensverhältnis verband) war Grund genug, nach Anlässen zu suchen, ihn aus der Anwaltschaft auszuschließen. Der folgende Fall macht besonders anschaulich, daß verschiedene Verteidiger sich verschiedenen Maßstäben unterwerfen mußten. An ihm wird auch deutlich, welche Wege Verteidiger gingen, die bereit waren, weiterhin im Interesse ihrer Mandanten zu handeln: Beispiel 4: Das Verfahren gegen Ernst Thälmann Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD und Mitglied des Reichstages, wurde am 3. März 33 in seinem Berliner Versteck in der Lützowstraße von der Preußischen

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Polizei verhaftet. Erst am 23. Mai 1933 wurde er in U-Haft überführt. Noch vom Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße aus hatte er sich um Verteidiger bemüht. Ernst Hegewisch aus Hamburg und Kurt Rosenfeld, Berlin, waren die Anwälte, die er als Vertreter benannte54. Beide waren in der Weimarer Zeit für die Rote Hilfe tätig, Rosenfeld ein prominenter Verteidiger von Kommunisten gewesen. Aber Hegewisch mußte mit Rücksicht auf seine persönliche Situation Zurückhaltung üben. Nach anfänglichen Bemühungen beider Anwälte um die Freigabe von Tbälmanns beschlagnahmtem Vermögen und die beschleunigte Aufnahme der Voruntersuchung setzte ihr Ausschluß aus der Anwaltschaft nach dem G vom 7.4.33 ihrem Einsatz ein Ende55. Thälmanns Frau Rosa suchte nach Ersatz. Sie mußte lange suchen. Nahezu 200 Anwälte wiesen sie ab. Schließlich erklärte sich der Hamburger Anwalt Erich Wandschneider, Mitglied der NSDAP und zuvor Offizialverteidiger des Hamburger Kommunistenführers Fietje Scbufy, bereit56. Seiner Frau teilte Thälmann mit, er habe an die „Verteidigung große Ansprüche zu stellen" und: „Ich wünsche einen tüchtigen Anwalt aus Berlin"57. Als weiterer Verteidiger fand sich, und das muß erstaunen, ein jüdischer Rechtsanwalt, Friedrich Roedelheimer bzw. Roetter^. Thälmann schrieb über ihn: „... (ich) hatte eine kurze Besprechung mit Dr. Roetter im Beisein des Untersuchungsrichters. Roetter hat auf mich einen guten Eindruck gemacht. Er ist klug und kann was. Er ist Marineoffizier gewesen und besitzt das Eiserne Kreuz l. Klasse. Er war deutschnational gesinnt und hat in seiner früheren Praxis niemals Kommunisten verteidigt ... Er ist sehr empfindsam; nach einer mündlichen Zusage von mir, daß er mein Vertrauen besitzt, ist er vorläufig beruhigt."59

Als Jude selbst ein potentielles Opfer nationalsozialistischer Verfolgung war er mehr als andere dazu bereit, der KPD Hilfe zu leisten, die besonders an der geheimgehaltenen Anklageschrift interessiert war. Gegen die Zusage, ihm bei der Ausreise behilflich zu sein und ihn nach seiner Ankunft im Ausland beim Aufbau einer Existenz finanziell zu unterstützen, schmuggelte Roetter eine Abschrift der Anklage sowie verschiedener Urteile des 4. Strafsenates des RG, u. a. im Reichstagsbrandprozeß, ins Ausland, die ein anderer Verteidiger, Frit% Ludwig ihm beschafft hatte. Im Büro eines dritten Anwalts, Helmut Kül^60, war sie gefertigt worden61. Schon vorher hatte Roetter Kontakte zu ausländischen Anwälten, Mitgliedern des 7/&ä//»tf»«-Komitees, geknüpft. Vergleichbares hatte Sack getan. Roetters Besuch in Paris bei einem Anwalt, der für das Thäimann-Komitee tätig war, nahm die Gestapo zum Anlaß, Roetter sowie seine Mitarbeiter von Wolfing und Hammer in Schutzhaft zu nehmen62. Seine Büroräume wurden durchsucht. Es liegt nahe, was man suchte: Hinweise auf den Verbleib der Anklageschrift63. Kurz nach seiner Verhaftung wurde ein ehrengerichtliches Verfahren gegen Roetter eingeleitet. Seine Frau mußte nun ähnliche Erfahrungen machen wie zuvor Rosa Thälmann; bei ihrer Suche nach einem Verteidiger stieß sie überall auf warme Anteilnahme. Aber keiner war bereit, Roetter zu verteidigen. „Many colleagues frankly gave as motive anxiety over their own fate, and these were not bad men."64 Schließlich erklärte sich ein junger Anwalt bereit, der als überzeugter Parteigänger der Nationalsozialisten in einigen Prozessen, wie Roetter schreibt, unversehrt

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(„unscathed") geblieben war. Erst später erfuhr Roetter, daß sein Verteidiger sich vor der Verhandlung gegenüber dem Gericht von seinem Mandanten distanziert hatte: „He asked the court, to advise him whether to give up the defence at the last moment or, in order not to leave me in the lurch, to go on with it without saying anything to me about his 'scruples' or this interview. Otherwise he feared to deprive me of my 'equanimity'. The latter alternative was chosen. Having without my knowledge excused himself from all responsibility my lawyer carried through his task to the foregone conclusion of complete failure. He took care not to infringe upon the National Socialist thesis that the lawyer who puts his client's case identifies himself with him. There may have been a slight doubt of the truth of this thesis in the mind of my 'defender'. At any rate it would explain his later refusal to take the fee agreed upon."65

Das Ehrengericht war mit fünf „true National Socialists" besetzt. „The proper chairman, unfortunately, could not conduct the sitting as he also was in the Gestapo Cellar at the time. It irritated me, beyond measure that behind the heads of the judges a huge clock was visible which bore upon its dial a head of Hitler at least twice the natural size. The lawyer, who was acting as reporting judge, was one whom I had reproached only a few weeks before for unprofessional behaviour because he had tried to induce a client of mine to agree to divorce her husband in return for 1000 marks. I was suffering from such a head ache that I could not follow the proceedings, and felt wholly unfit to do so. The court refused a medical examination."66

Der Ankläger warf Roetter besonders vor, daß er freiwillig die Verteidigung eines Kommunisten übernommen habe. Damit sei er — ungeachtet seiner bisherigen Unbescholtenheit — nicht mehr würdig, die Robe eines Anwalts zu tragen. Roetter wurde aus der Anwaltschaft ausgeschlossen. Einzelheiten über die Urteilsbegründung werden nicht mitgeteilt. Es bleibt unklar, welche Rolle die Anklageschrift gegen Thälmann spielte. Ein Urteil eines Ehrengerichts, das einen Rechtsanwalt wegen der freiwilligen Übernahme der Verteidigung eines Kommunisten ausgeschlossen hätte, ist nirgends publiziert. Roetter betont allerdings, daß der Ankläger seine Auffassungen von den anwaltlichen Standespflichten in der dargestellten Offenheit nur deshalb aussprach, weil die Öffentlichkeit ausgeschlossen war67. Roetter wurde wieder in Schutzhaft überführt und weiter verhört. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wurde er im Frühsommer 1935 entlassen68. Wenig später floh er über die Tschechoslowakei nach Frankreich. Er reiste fortan durch die Hauptstädte Europas und setzte die Verteidigung Tbälmanns durch öffentliche Auftritte sowie die (Mit)herausgabe der Zeitschrift „Einheit für Hilfe und Verteidigung" fort. Über die Bedingungen politischer Verteidigung im „Dritten Reich" erklärte er 1936 in Paris: „Wer freiwillig, nur aus Gründen des Gewissens und gemäß seiner Pflicht als Rechtsanwalt die Verteidigung eines politisch Verfemten in einer Strafsache übernimmt, wird Tag und Nacht in allem seinen Tun von der Gestapo überwacht. Jedes Telefongespräch wird abgelauscht, die Post wird kontrolliert, die eigenen Büroangestellten werden heimlich zum Spionieren angehalten, jede Verbindung mit dem Ausland wird für unzulässig erklärt, sie darf nur mit Wissen und unter Kontrolle des Gestapo stattfinden. Der Verteidiger soll nach amtlicher Auffassung nur etwa erforderlichen formellen Beistand leisten. Das heißt,

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Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 er darf beispielsweise nicht wagen, die Qualität des staatsanwaltlichen Zeugenmaterials nachzuprüfen. Nur wer das alles persönlich erlebt hat, vermag zu ermessen, wie tief Deutschlands Justiz gesunken ist. Und es liegt klar auf der Hand, daß ich Thälmanns Forderungen, ich möge als sein Anwalt gegen alle Verteidigungsbeschränkungen auftreten, nicht erfüllen konnte, daß ich vielmehr als Thälmanns Verteidiger selbst mit der Nazijustiz in Konflikt kommen mußte und so meine Verteidigung nicht durchführen konnte."69

Neben Roetter und nach seiner Verhaftung an seiner Statt wurden zwei weitere Rechtsanwälte tätig: Frit% Ludwig (Mitglied der NSDAP seit 1930) und Helmut Kül%, gleichfalls Mitglied „faschistischer Organisationen" mit „guten Beziehungen zum faschistischen Justizapparat"70. Nach Mitteilung des Kuriers der KPD, Werner Traut^sch, versorgte die Partei mit Informationen über Prozesse gegen Antifaschisten und über die Arbeit an der Anklageschrift gegen Thälmann. Er schirmte auch eine Zeitlang die Tätigkeit des Kuriers ab71. Ludwig schmuggelte Kassiber aus dem Gefängnis und gab sie an Kül^ weiter, der bis 1936 in Verbindung mit „Adam", „Auge", „Herbert" und „Edwin" (= Traut^sch}, den Mittelsmännern der KPD), stand. Nach 1936 blieb Wandschneider die Kontaktperson für die Kuriere72. Über das Zusammenwirken beider Verteidiger schrieb Kül^ später73: „Dr. L·, war der offizielle Strafverteidiger Thälmanns, der Sprecherlaubnis hatte und den Justizbehörden gegenüber allein in die Erscheinung trat. Ich war der Verbindungsmann zwischen Thälmann einerseits und dem Zentralkomitee sowie dem internationalen Ausschuß zur Verteidigung Thälmanns andererseits. Die Verbindung zwischen Thälmann und dem Zentralkomitee sowie dem internationalen Verteidigungsausschuß geschah dergestalt, daß mir Dr. L. zur Entnahme von Abschriften alle erforderlichen Akten und Unterlagen überließ und darüber hinaus regelmäßig Bericht erstattete, nachdem er mit Th. in der Untersuchungshaft eine Besprechung gehabt hatte. Den Inhalt der mir auf diese Weise zugänglich gemachten Schriftstücke und Besprechungen gab ich dann regelmäßig an die mir namhaft gemachten Verbindungsleute weiter, mit denen ich von Fall zu Fall Treffs an verschiedenen Orten Berlins vereinbarte. Umgekehrt kamen auf diesem Wege auch Nachrichten des Zentralkomitees und des internationalen Verteidigungsausschusses in die Untersuchungshaft. Im einzelnen wurde auf dem bezeichneten Wege zunächst die Anklageschrift gegen Thälmann in Abschrift ins Ausland gebracht. Weiterhin wurde auf dem bezeichneten Wege Thälmann auch davon unterrichtet, daß ein Befreiungsversuch aus dem Untersuchungsgefängnis Moabit beabsichtigt war und wurde für diesen Befreiungsversuch mit bestimmten Anweisungen versehen. Der Versuch kam im übrigen nicht zur Durchführung, weil einige der beteiligten Justizwachtmeister vorzeitig verhaftet wurden und weil sich der Versuch auch sonst als undurchführbar erwies. Im übrigen wurde Thälmann auf dem bezeichneten Wege laufend über die fortgesetzte Arbeit der Partei unterrichtet. Er ließ erkennen, daß ihn dies in seinem Widerstande und in seiner Zuversicht auf endliche Befreiung erheblich gefestigt habe. Ich füge noch hinzu, daß ich mit Vertretern des Zentralkomitees auf deren Wunsch auch einmal heimlich in der Nähe von Prag zusammenkam, um dort wiederum über den Stand der Sache auf Grund der Mitteilungen des Rechtsanwalts Dr. Ludwig zu berichten, und dann auf demselben Wege Mitteilungen an Thälmann zurückgehen ließ. Hiervon war Dr. L. von mir genau unterrichtet." Rosa Tbälmann sagte über Ludwigs Rolle im Jahr 1947 aus74:

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„Nach seiner (Thälmanns) Verhaftung hatte sich in Paris zu seiner Rettung das ,ThälmannKomitee' gebildet, das mich bei der Verteidigerwahl beriet und mir auch die für die Verteidigung notwendigen Mittel zur Verfügung stellte. Das Tbälmann-Y^omitce. hatte die Verteidigung zunächst dem jüdischen Rechtsanwalt Roetter angetragen, der aber die beim Volksgerichtshof erforderliche Zulassung nicht erhielt und überdies im Zusammenhang mit der Verteidigungsübernahme verhaftet wurde. Rechtsanwalt Roetter empfahl dann, Rechtsanwalt Ludwig mit der Verteidigung meines Mannes zu beauftragen. Rechtsanwalt Ludwig war zwar Mitglied der NSDAP, stand aber auf Grund seiner Verteidigung zahlreicher politisch Verfolgter in dem Ruf, sich selbstlos und aufopferungsvoll für seine Mandanten einzusetzen und bei dem Kampfe um ihr Recht auch seine eigene politische Gefährdung in Kauf zu nehmen. Diesen Ruf hat Ludwig auch bei der Verteidigung meines Mannes in jeder Weise gerechtfertigt. Als ich ihn bat, die Verteidigung zu übernehmen, erklärte er sich ohne Zögern dazu bereit. Das hat mich deswegen besonders angenehm berührt, weil ich vorher ganze Stöße von Absagebriefen von anderen Anwälten erhalten hatte, die ich um die Übernahme der Verteidigung gebeten hatte. Keiner wollte sich durch die Verteidigung meines Mannes exponieren und politisch gefährden. Sogleich bei der Übernahme der Verteidigung lehnte Ludwig mit dem Bemerken, die Verteidigung sei für ihn keine Geldsache, sondern eine Herzenssache, das ihm angebotene hohe Honorar ab und empfahl, ihn zum Offizialverteidiger bestellen zu lassen, als der er bei dem Volksgerichtshof eine bedeutend stärkere Stellung habe als ein bezahlter Wahlverteidiger. Nachdem er auf meinen Antrag neben dem Hamburger Rechtsanwalt Wandschneider zum Offizialverteidiger bestellt war, setzte er sich ganz für die Vorbereitung der Verteidigung ein. Er fertigte Abschriften der aus vielen Bänden bestehenden Gerichtsakten, besuchte meinen Mann mehrmals wöchentlich im Untersuchungsgefängnis zur Informationsaufnahme, versuchte in zahlreichen Eingaben, ihm Hafterleichterungen zu verschaffen und tat alles für ihn, was in seinen Kräften stand. Dabei hielt er sich keineswegs an die Grenzen dessen, was ihm als Verteidiger erlaubt war. Obwohl die Strafsache meines Mannes bei Gericht als „Geheime Reichssache" geführt wurde, überließ er dem Rechtsanwalt Roetter, der aus Deutschland floh, die Anklageschrift, die Urteile aus dem Reichstagsbrandprozeß und aus zahlreichen anderen Vorprozessen gegen kommunistische Funktionäre sowie das sonstige Material zur Abschriftentnahme, um dadurch die Zusammenarbeit mit dem Thäimann-Komitee zu ermöglichen, und konferierte häufig mit ausländischen Juristen und Gesinnungsfreunden meines Mannes über den Prozeß. Den größten Dienst hat er aber meinem Manne und mir dadurch erwiesen, daß er kurz vor der Überführung meines Mannes von der Untersuchungshaft in die Schutzhaft die gesamten persönlichen Aufzeichnungen, die mein Mann in seiner langjährigen Untersuchungshaft gemacht hatte, aus dem Gefängnis herausbrachte und vor der Gestapo bis zum Zusammenbruch des Nazisystems versteckt hielt. Diese Aufzeichnungen, die für mich und die Parteifreunde meines Mannes von unschätzbarem Werte sind, sind auf diese Weise der Nachwelt erhalten geblieben. Zu meinem Manne stand Ludwig in einem absoluten Vertrauensverhältnis. Mein Mann hat sich ihm in jeder Weise politisch und menschlich offenbaren können, ohne jemals in seinem Vertrauen enttäuscht zu werden. Besonders dankbar hat es mein Mann empfunden, daß Ludwig ihn nicht nur zum Zwecke der Vorbereitung der Verteidigung, sondern auch später, als es bereits feststand, daß die Sache nicht zur Hauptverhandlung kommen würde, weiterhin regelmäßig besucht und ihm dadurch die Haft wesentlich erleichtert hat. Seine herzliche Einstellung bewies Ludwig auch dadurch, daß er meinem Mann zusätzliche Nahrungsmittel, Rauchwaren, Pfeifen, Bücher und dergl. auf eigene Kosten verbotswidrig in das Untersuchungsgefängnis brachte."

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Walter Ulbricht erklärte": „Allein durch die Hilfe des Rechtsanwalts Dr. Frit% Ludwig in seiner Eigenschaft als Offizialverteidiger (konnte) eine direkte Verbindung zwischen unserem inhaftierten Genossen Ernst Thälmann und der illegalen Parteiführung hergestellt werden. Herr Dr. Ludwig hat ferner jahrelang immer wieder interne Aufzeichnungen, Briefe, Kassiber aller Art durch illegale Kuriere den führenden Mitgliedern der KPD im Ausland zur Verfügung gestellt. Dieses Material diente in hervorragender Weise den im Ausland bestehenden Befreiungskomitees für Ernst Thälmann."

In seinem Moskauer Exil arbeitete Felix Halle an der Konzeption der Verteidigung. Von dem „Marx-Engels-Institut beim ZK der KPDSU (B)", an dem Halle tätig war, wurde auch Wandschneider mit Material für die Verteidigung versorgt. Ludwig erhielt Unterlagen von der Berliner Botschaft der UdSSR76. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) hatte Anfang 1935 eine Sonderkommission berufen, die Bela Kun leitete. Sie erarbeitete 1935 im Juni „Richtlinien zur politischen und juristischen Verteidigung des Genossen Thälmann" (Leider ist dieses Dokument nicht veröffentlicht. Möglicherweise enthält es aufschlußreiche Informationen über das Verhältnis der KP zur Verteidigung unter den Bedingungen des „Dritten Reiches"77). Anhand dieser Richtlinien entwickelte Halle das Konzept eines Plädoyers für Thälmann™. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung der Anklageschrift gegen Thälmann in Paris wurde er Anfang November 1935 von der Justiz an die Gestapo übergeben. Die Frage der „justizmäßigen Erledigung" seines Falles79, über die von Anfang an Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Ministerien bestanden hatten, war damit entschieden. Das Verfahren gegen Thälmann wurde zwar nie eingestellt. Er erhielt vom Volksgerichtshof (II. Senat; Brunner, Weiss, Dr. Zieger) durch Beschluß vom 1.11.35 Haftverschonung, blieb aber — und zwar als Schutzhäftling der Gestapo unterstellt — im Gefängnis Moabit80. Ein für damalige Verhältnisse noch ungewöhnlicher Vorgang, der aber zeigt, wie weit die Kooperation von Polizei und Justiz schon zu dieser Zeit gediehen war. Am 18. August 1944 wurde Thälmann auf persönlichen Befehl Himmlers im KZ Buchenwald ermordet81. Von allen politischen Strafverfahren im Dritten Reich ist das gegen Ernst Thälmann hinsichtlich der Rolle, die die Verteidiger spielten, am besten dokumentiert. Die Darstellung konnte zudem auf bisher unveröffentlichtes Material zurückgreifen. Dennoch ist es schwierig, hieraus Schlüsse auf die Situation der Strafverteidiger zu ziehen. Das gilt besonders für das unglückliche Schicksal von Friedrich Roetter. Es ist nicht bekannt, auf welche Gründe sein Ausschluß aus der Anwaltschaft durch das EG der RAK Berlin gestützt wurde. Die freiwillige Übernahme der Verteidigung Thälmanns — wie Roetter behauptete — kann es nicht allein gewesen sein. Dann hätte auch Wandschneider ehrengerichtlich verfolgt werden müssen. Er hat jedoch nie Schwierigkeiten bekommen82. Es liegt nahe, daß Roetter von der Gestapo verhaftet wurde, weil er verdächtigt wurde, an der Weitergabe der

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Anklageschrift mitgewirkt zu haben. In der Kette der beteiligten Verteidiger war er als „Nichtarier" das schwächste Glied. Roetters Schicksal darf jedoch nicht zu der Fehleinschätzung verleiten, daß jüdische Verteidiger in politischen Strafsachen nicht oder nur unter größter Zurückhaltung auftreten durften. Das zeigt das Beispiel eines jüdischen Rechtsanwaltes, der der SPD bis zu ihrem Verbot angehört hatte und in dieser Zeit auch publizistisch (etwa als Chronist in der „Justiz") hervorgetreten war. Gemeint ist Ernst Fraenkel. Exkurs: Sozialdemokratische Verteidiger Fraenkel ist nicht nur in vielen Fällen für seine Parteigenossen vor Gericht aufgetreten. Er hielt auch ständigen Kontakt zum Prager Exilvorstand der SOPADE, dem er über die Prozesse und die Situation Inhaftierter berichtete. Auf seine publizistische Tätigkeit wurde schon hingewiesen. Das war der Gestapo nicht unbekannt. In einer dort geführten Kartei politischer Verteidiger83 findet sich auch Fraenkels Name. Es heißt über ihn „Vertritt vor Gericht vorwiegend SPD-Angehörige und erhält Entschädigung von Prag. Soll nach einer V-Meldung Greuelnachrichten verbreitet haben. Beweise liegen nicht vor."

Weiter wird auf Fraenkels Tätigkeit im Bund jüdischer Frontsoldaten hingewiesen. Seine Aktivität erregte nicht nur die Aufmerksamkeit der Gestapo, sie rief auch eifrige Neuerer wie den Kammergerichtspräsidenten Hölscher auf den Plan. Dieser nahm Fraenkels Auftritt in einer Militärverratssache zum Anlaß, bei der Reichsregierung mit Schreiben vom l. 2. 34 anzuregen, das Auftreten nichtarischer Verteidiger in politischen Strafsachen gesetzlich zu verbieten. Das sollte nicht nur aus dem Grunde der Staatssicherheit geboten sein. „Es ist auch mit den führenden Gedanken des NS-Staates ganz unvereinbar, daß ein nichtarischer Verteidiger den Offizieren des Reichswehrministeriums und den Beamten des Geheimen Staatspolizeiamtes, die in diesen Prozessen als Zeugen oder Sachverständige gehört werden, als Organ der deutschen Rechtspflege gegenübertritt und Fragen an sie richtet."84

Die Initiative des KG-Präsidenten hat Fraenkels Tätigkeit nicht beendet. In seiner Akte der Gestapo finden sich noch aus den Jahren 1935 und 1936 Vermerke. Unter dem 5.1. 35 und 30.10. 35 ist notiert, daß Fraenkel („Deckname Flughafen") im Auftrag der SPD-Führung recherchierte, in welchem Umfang es der Gestapo gelungen war, in die Kreise illegal tätiger Sozialdemokraten einzudringen. Sein Name taucht auch in einem Vermerk mit dem Betreff „Verbindung Berliner Rechtsanwälte zur Sopade, Prag" auf85. Erst im Jahr 1938 mußte er seine Verteidigertätigkeit aufgeben, als die Juden endgültig aus der Anwaltschaft verdrängt wurden. Fraenkel war nicht der einzige, der als Verteidiger sozialdemokratischer Angeklagter die Beachtung der Gestapo fand. In den erhaltenen Akten der Gestapo findet sich eine Liste von 13 Namen, die zusammengestellt wurde, als es darum ging, Verteidiger in anstehenden Gerichtsverfahren gegen SPD-Angehörige zu finden86.

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Ihr lag also wahrscheinlich eine Anfrage der Justizbehörde zugrunde. Die Liste enthält u. a. die Namen von Heinrich Reinefeld, der Gebrüder Werner und Gerhard Wille, von Frit% Ludwig, dem Verteidiger Thälmanns, und des Rechtsanwaltes von Carlowit^ aus Dresden. Besonders die Gebrüder Wille, Heinrich Reinefeld und von Carlowit^ sind in der folgenden Zeit als Verteidiger von Sozialdemokraten in Erscheinung getreten. Zu diesem engeren Kreis, für den sich die Gestapo interessierte, zählte auch der Berliner Rechtsanwalt Wildeklau. In einer Aktennotiz unter dem Betreff „Verbindung Berliner Rechtsanwälte zur SOPADE, Prag" vom 4. Juli 193687 heißt es: „Im März 1936 fand in Luxemburg eine Besprechung illegaler SPD-Funktionäre statt, in der über eine Neuorganisation der illegalen SPD-Berlin verhandelt wurde. Der Berliner Verbindungsmann der Berliner SPD wurde aufgefordert, mit den Rechtsanwälten Gebr. Wille zwecks Neuorganisation in Berlin Fühlung zu nehmen. Ferner soll durch Vermittlung der Gebr. Wille an die Angehörigen von Lowack und Andere, Markwit^, Löffler und Riede/ Unterstützung gezahlt werden. Die Gebr. Wille werden von Crummenerl und Vogel als „Genossen" bezeichnet, die besonderes Vertrauen der SOPADE genießen. Sie haben auch mit Unterstützung der Rechtsanwälte Fränkel, Reinefeld und Wildeklau die Verteidigung in den letzten Prozessen durchgeführt und laufend Berichte nach Prag übermittelt." Werner Wille war auch von Dimitroff als Verteidiger gewählt worden, konnte das Mandat aber nur von April bis Juli 1933 wahrnehmen88. Auf Grund einer Denunziation der Aktivitäten von Dimitroffs Schwester Magdalena Baramowa zur Finanzierung W. Willes bei der Gestapo in Dresden übermittelte der Staatsanwaltschaftsrat im Geheimen Staatspolizeiamt, H. Mittelbach, am 13. Juni dem GestapoKommissar Htisig die Mitteilung: „Zwecks evtl. Auswertung. Rechtsanwalt Wille wird auffällig oft in kommunistischen Angelegenheiten tätig. Ist er dort bekannt?"89 Aufgrund solcher Informationen wurde gegen W. Wille und seinen Bruder Gerhard 1937 eine geheime Untersuchung durch die Gestapo eingeleitet. Sie führte im November 1938 zum Entzug ihrer Zulassung als Offizialverteidiger vor den politischen Strafsenaten des Kammergerichts und dem Volksgerichtshof. Werner Wille wurde vom Ehrengericht der Anwaltskammer Berlin verwarnt. Nach einem Treffen mit Mitgliedern des Prager Exil-Vorstandes in Treplitz, bei dem u. a. Strafverfahren gegen frühere Mitglieder der SPD erörtert wurden, erschien die Gestapo am 28.11.38 im Büro der Brüder, um W. Wille zu verhaften90. Er floh. An seiner Statt wurde sein Bruder Gerhard festgenommen, nach einigen Wochen jedoch wieder entlassen. Ein Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat gegen Gerhard Wille wurde am 8.8.39 eingestellt. Über seine weitere anwaltliche Tätigkeit ist mir nichts bekannt. Reinefelds Spur verliert sich in der Wehrmacht91. Der Fall eines sächsischen Sozialdemokraten liefert Anknüpfungspunkte, einige Besonderheiten der Verteidigungstaktik vor den Strafgerichten des „Dritten Reichs" beispielhaft nachzuzeichnen.

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Beispiel 5: Der Fall Gerhard Neumann u. a. Neumann***·, ein Sozialdemokrat aus Zittau, wurde im September 1934 wegen illegaler Tätigkeit für die SPD verhaftet. Nach dem Ermittlungsergebnis der Polizei sollte er ein wichtiger Mittelsmann der SPD sein, der ständige Kontakte zu illegalen Parteipolitikern und Exilpolitikern unterhalte. Dieses Ergebnis wurde u. a. auf ein „Geständnis" gestützt, das Neumann nach schweren Mißhandlungen durch die Gestapo unterschrieben hatte. Zu Beginn der folgenden gerichtlichen Voruntersuchung eröffnete der Untersuchungsrichter Neumann, er könne sich glücklich schätzen, daß sein Verfahren vor dem VGH stattfinde. Denn der ermittle gründlich und verurteile „nur aufgrund von Beweisen, nicht von Indizien". Ein Freispruch sei daher möglich. Von dem OLG-Breslau (das zuständig gewesen wäre) würde er „bestimmt" eine Zuchthausstrafe erhalten. Nach 22 Monaten Untersuchungshaft begann am 22. 7.36 die Hauptverhandlung vor dem 2. Senat des VGH. Den Vorsitz führte Engert. Über seine Verteidigung schrieb Neumann: „Mein Verteidiger, Rechtsanwalt Schneider-Berlin, ein ehemaliger Stahlhelmer, bemühte sich sehr. Er sagte vor der Verhandlung in einem Gespräch: ,Ich hatte zwar die Absicht, in Urlaub zu gehen und meine Kollegen zu bitten, Sie zu vertreten, ich will mich der Sache aber doch selbst annehmen. Sie interessiert mich. Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie so unschuldig sind, wie Sie sich stellen. Wenn Sie aber stark bleiben und auch in der HV nicht umfallen, dann will ich versuchen, für Sie zu tun, was möglich ist. Dann wird es uns auch gelingen, Sie frei zu bekommen. Hauptsache ist, daß Sie nicht umkippen.' Ich versprach das, erklärte nochmals, daß ich unschuldig sei, worauf er nur vielsagend ,Na, na, lassen wir das' antwortete.93"

In der Hauptverhandlung brachen die belastenden Zeugen unter den hartnäckigen Fragen Engerts zusammen. Neumann verteidigte sich mit der Behauptung, seine Kontakte zu sozialdemokratischen Funktionären seien lediglich privater und geschäftlicher Natur gewesen. Zur Unterschrift unter das „Geständnis" sei er durch Mißhandlungen genötigt worden. Die Gestapo-Beamten, die ihn verhört hatten, wurden geladen. „Sie gaben die Mißhandlungen halb zu, meinten aber, daß es nicht so schlimm gewesen sei, wie ich es dargestellt habe. Sie hätten wohl Gummiknüppel gehandhabt, aber direkte Mißhandlungen ..."

Belastungszeugen, die als Sozialdemokraten bereits in anderen Verfahren verurteilt worden waren, behaupteten, ihre Aussagen seien gleichfalls durch Folterung erpreßt worden. Sie nannten die Namen von 14 Beamten. Einen Tag später erschienen die, vom Gericht telegrafisch herbeigerufen, als Zeugen in der Verhandlung. Von Engert nach den Mißhandlungen befragt, legten sie ein Schreiben des zuständigen Regierungsrats vor, aus dem hervorging, daß ihnen eine Aussagegenehmigung nicht erteilt werde. „Mein Verteidiger sprang auf, legte Verwahrung dagegen ein, daß ein Regierungsrat gegenüber dem höchsten deutschen Gericht ein solches Verhalten zu zeigen wage. Der Senatspräsident zuckte die Achseln; dagegen sei nichts zu machen."94

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Der Oberreichsanwalt beantragte 12 Jahre Zuchthaus, Ehrverlust, Stellung unter Polizeiaufsicht. Der Verteidiger: Freispruch, da die „Beweisaufnahme völlig zusammengebrochen sei". Neumann wurde freigesprochen. Engert führte in der mündlichen Begründung aus, Neumann habe mangels Beweises freigesprochen werden müssen, „da die wenigen Indizien nicht ausreichten, mich wenigstens zu der Mindeststrafe von drei Monaten zu verurteilen"95. Das ging deutlich an die Adresse der Gestapo96. Nach erneuter Überführung Neumanns in Schutzhaft wurde er fünf Tage später freigelassen. Seinen Freispruch hatte Neumann vor allem dem Konkurrenzverhältnis zwischen der alten Strafgewalt in Gestalt der Justiz, die dieses Monopol weiterhin für sich beanspruchte, und der Polizei zu verdanken, die sich zur Verbrechensbekämpfung für kompetenter hielt97. Wich auch die Justiz vor dem Expansionsdrang ihres Konkurrenten ständig zurück, so fanden doch dessen „flexible" Ermittlungsmethoden häufig ihre Mißbilligung. Widerruf von Geständnissen Nicht selten widerriefen Angeklagte und Zeugen — wie im Fall Neumann — in der Hauptverhandlung ihre vor der Gestapo abgelegten „Geständnisse" mit der Begründung, sie seien hierzu gezwungen worden. Verteidiger gaben Protesterklärungen in öffentlicher Verhandlung ab98. Es kam zu hitzigen Wortgefechten zwischen Verteidiger und Gericht99. Die Verhörbeamten wurden als Zeugen geladen, beriefen sich jedoch zumeist auf die fehlende Aussagegenehmigung, ein Umstand, den die Verteidiger durch Appelle an die verletzte Selbstherrlichkeit des Gerichtes auszunutzen wußten. Später leisteten die Gestapo-Beamten der Ladung als Zeugen gar nicht erst Folge. Ihre Renitenz führte allerdings häufig dazu, daß sich die brüskierten Gerichte weigerten, Aussagen zu verwerten, bei denen sich nicht ausschließen ließ, daß sie durch Mißhandlungen erlangt worden waren. Bereits 1934 beklagte sich die Gestapo über die Vorgehensweise von Verteidigern, die ihren Mandanten rieten, Geständnisse zu widerrufen. „Wie bereits vor einiger Zeit vertraulich in Erfahrung gebracht wurde, soll von einem Rechtsanwalt, der in den meisten SPD-Verhandlungen als Verteidiger auftritt, den Klienten eingeimpft worden sein, vor Gericht alles zu widerrufen und sich als .Märtyrer' zu bezeichnen und zu behaupten, daß die polizeilichen Vernehmungen nur unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen erpreßt wurden. Daß ihnen im allgemeinen Glauben geschenkt wird, beweist auch der Prozeß gegen Markvit^ und Gen. vom 17.2.34 ..."10°

Hamburger Gerichte sahen die von den Angeklagten vor der Polizei abgelegten Geständnisse als unbeachtlich an, da sie ihnen erzwungen erschienen. Angeklagte hatten vorgebracht, sie seien in Polizeihaft gefesselt worden. Der Leiter der Gestapo-Leitstelle, SS-Oberführer Streckenbach, sah sich daher veranlaßt, Rothenberger, dem OLG-Präsidenten, mitzuteilen, daß Häftlinge künftig nicht mehr gefesselt würden101. Der Darstellung eines Prozeßbeobachters, der dem Prager Exilvorstand der SOPADE berichtete102, läßt sich entnehmen, daß das Verhalten von Gerichten in

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Fällen, da Angeklagte Geständnisse widerriefen, nach einiger Zeit eine gewisse Berechenbarkeit gewann. Daraus ließen sich für die Verteidigung Verhaltensregeln ableiten: Er berichtet, daß die große Mehrzahl der Richter „die Prügeleien" ablehne. Nur einige seien der Ansicht, daß „irgendwas" getan werden müsse, um die Wahrheit zu ermitteln. Es heißt weiter: „Fast immer werden, wenn der Angeklagte oder Zeuge von Mißhandlungen in der Voruntersuchung Mitteilung macht, diese Angaben zu Protokoll genommen und zur weiteren Ermittlung an die StA weitergegeben. ... Die Einwendungen von Angeklagten werden auch oft berücksichtigt, aber man muß dabei folgendes bemerken: Sie werden nur berücksichtigt, wenn sie in glaubhafter Form vorgetragen werden und der Angeklagte dabei nicht zu sehr auf sein Recht pocht, also die Mitteilung nur vorbringt, um seine eigenen früheren Aussagen zu entkräften, und nicht im Ton des Vorwurfs gegen die Polizei. Überhaupt sind die Richter gegen die Prügeleinwände der Polizei, die fast immer vorgebracht werden, schon abgebrüht, und oft halte sie einem Angeklagten vor: wir wollen Ihnen glauben, soweit Sie den Einwand erheben, durch Mißhandlungen zu falschen Geständnissen über Ihre eigene Schuld gezwungen worden zu sein. Aber wir verstehen nicht, daß Sie durch Mißhandlungen gezwungen werden konnten, andere zu belasten. In solchen Fällen stellt das Gericht mit Nachdruck fest, daß es gegen die Prügelmethoden in der Voruntersuchung ist (ein deutscher Beamter prügelt nicht), daß aber die vom Angeklagten vorgebrachten Mißhandlungen den Wert der in der VU abgegebenen Protokolle nicht aufheben können." Wie wirkungsvoll der Hinweis auf das Zustandekommen eines „Geständnisses" war, hing allerdings auch von der Integrität des Gerichtes ab, dem er zu Gehör gebracht wurde. Was Neumanns Untersuchungsrichter für das OLG Breslau sagte, galt nämlich auch für die politischen Strafsenate anderer OLGe. Sie wurden bevorzugt mit Richtern besetzt, die nicht der NSDAP angehörten und daher häufig glaubten, ihre Zuverlässigkeit durch besonders drastische Urteile beweisen zu müssen, eine Beobachtung, die ehemalige politische Angeklagte oft mitteilen. Unter den Berichten des bereits zitierten Prozeßbeobachters der SOPADE103 findet sich eine Charakteristik des Berliner Senatspräsidenten Derberg. Darin wird ein Fall berichtet, in dem Gestapo-Beamte, die über Mißhandlungen eines Angeklagten befragt werden sollten, erklärten, sie hätten keine Aussagegenehmigung. Der Staatsanwalt beantragt, das Gericht solle eine Erweiterung der Aussagegenehmigung erwirken. Das Gericht weist den Antrag als unerheblich zurück, StA und Verteidiger beantragen Freispruch, da das Geständnis nicht verwertet werden könne. Trotzdem wird der Angeklagte zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Noch in einer Kritik an einem Urteil des HOLG vom 30.3.38 wies Best, führender Gestapo-Funktionär, daraufhin, beim Widerruf von Geständnissen handele es sich um eine „wohlbekannte Methode der illegalen Staatsfeinde."104

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Bormann führte 1942 in einer Zusammenstellung von Rechtsanwälten, die der Partei aufgefallen waren, auch den Rechtsanwalt Retsert aus Augsburg an, von dem er schrieb: „Es ist auffallend, daß gerade die von Rechtsanwalt R. vertretenen Angeklagten frühere Geständnisse in der HV widerrufen."105 In einem von Bormann zitierten Fall hatte der Vorsitzende des SG München den Widerruf des Geständnisses daher auf die Tätigkeit des Verteidigers zurückgeführt und als unglaubhaft gewürdigt. Trotz solcher Proteste höchster Parteistellen kam es weiterhin zu Konfrontationen zwischen Verteidigung und Gestapo im Gerichtssaal. Thierack wandte sich noch im Mai 1944 in einer RV an die RRAK und die höheren Reichsjustizbehörden vom Mai 1944 gegen „die Art, mit der sich Strafverteidiger mit widerrufenen polizeilichen Geständnissen auseinandersetzen", die gegen ihre ..Pflicht zur Achtung vor der Staatsgewalt" verstoße. Er kritisierte, daß manche Verteidiger, „verallgemeinernde Angriffe gegen Polizeibeamte und ihre Verhörmethoden" führten«*. Rücksichten besonderer Art Die Existenz jener grauen „Justiz" in Gestalt der Gestapo zwang die Verteidiger zu Rücksichten besonderer Art. In Fällen von politischem Interesse — das waren nicht nur politische Strafsachen im herkömmlichen Sinne, auch „gewöhnliche" Kriminalität, Rassenschandefälle, Sittlichkeitsdelikte u. a. — war es häufig sinnvoll, selbst wenn ein Freispruch möglich oder geboten war, auf eine (geringe) Freiheitsstrafe hinzuwirken. Der Mandant sollte so vor der Rückführung ins Konzentrationslager bewahrt werden und stimmte daher solchem für heutige Begriffe zweifelhaften Taktieren meistens zu. Entsprechend verzichteten Verteidiger auf Haftprüfungsanträge, um zu verhindern, daß ihre Mandanten in Schutzhaft genommen wurden, wozu sie die Justizbehörden zunächst bereitstellten107. Aus Konkurrenz und Nebeneinander von Justiz und Polizei ergaben sich teilweise groteske Konstellationen. Unter der Decke geheimer Übereinkünfte zwischen verschiedenen Prozeßbeteiligten konnten auf diese Weise manche Verfolgte vor dem Zugriff der Gestapo gerettet werden. Ein Beispiel hierfür findet sich im Bericht eines Frankfurter Rechtsanwaltes, der bis 1939 als Verteidiger vor dem dortigen SG tätig war (unten S. 137). Dabei ist freilich zu bedenken, daß ein solches Kalkül nicht für alle Tätergruppen Erfolg versprach. Eine Auswertung von Akten der Gestapo Düsseldorf, die Angermund106 vorgenommen hat, ergab, daß bereits 1936 Delinquenten, die der Gestapo politisch besonders gefährlich erschienen, auch dann sofort nach der Hauptverhandlung ins KZ überführt wurden, wenn sie zu Haftstrafen von mehreren Monaten verurteilt worden waren. Als besonders gefährlich galten die, die schon vor 1933 in der KPD organisiert waren. Freundschaftliche Kontakte Neumanns bagatellisierende Ausflüchte, seine Kontakte zu bekannten sozialdemokratischen Kurieren seien lediglich privater oder geschäftlicher Natur gewesen,

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akzeptierte das Gericht. Ähnliche Ausflüchte vorzubringen, gehörte zum gängigen Repertoire der Verteidigung in Prozessen gegen sozialdemokratische Angeklagte, die sich anders als kommunistische Verfolgte hüteten, ihre profession de foi vor Gericht zu verfechten. In einem Bericht der Gestapo vom 23.7.34 wurde hierüber Klage geführt: „Da die SPD und deren Nebenorganisationen äußerst vorsichtig die Maulwurfsarbeit verrichten, ist es sehr schwer, sie bei der Festnahme zu überführen. Bei den Gerichtsverhandlungen wird dann die Angelegenheit als harmlos und als freundschaftliche Bindungen bezeichnet und von den Verteidigern als Gegenbeweis das kommunistische Draufgängertum erörtert, das wohl in vollem Umfang als staatsfeindlich angesehen werden muß, dagegen die SPD mit ihren freundschaftlichen Bindungen niemals staatsgefährdend werden kann." Der Bericht endet: „Zusammenfassend ist zu bemerken, daß nach Ansicht des Unterzeichneten jeder Prozeß gegen die SPD damit enden wird, daß die Beteiligten, wenn sie nicht ganz freigesprochen werden, nur mit kurzen Gefängnisstrafen bedacht und nach ihrer Entlassung mit neuem Mut den illegalen Apparat weiter unterstützen werden."109

Die Lücken und die Tücken des Apparates. Ein Resume Der Paukenschlag des Anwaltsgesetzes vom 7. 4. 33 hatte einen Nachhall weit in die folgenden Jahre hinein. Die meisten Rechtsanwälte sahen in Prozessen mit politischem Einschlag eine Gefahrenzone und zogen es vor, sich von ihr fernzuhalten. Risikobehaftet war das Handeln der Verteidiger besonders dann, wenn es an neuralgische Punkte nationalsozialistischer Politik rührte. Besonders empfindlich war das Gebiet der Außenpolitik. Die Ehrengerichte scheuten sich, Anwälte offen wegen ihres Verhaltens als Verteidiger zu disziplinieren. Bisweilen suchten sie nach Vorwänden außerhalb der anwaltlichen Tätigkeit, wo es darum ging, einen Verteidiger wegen seiner mißfälligen Berufsausübung zu maßregeln. Aus der Organstellung des Anwaltes wurden weitreichende Konsequenzen gezogen. Jede persönliche oder politische — selbst außerberufliche — Nähe zum Mandanten wurde als schwere Standesverfehlung betrachtet. Ein verschärftes Standesrecht galt für jüdische Anwälte. Das spannungsreiche Verhältnis der alten und neuen Gewalten, die nach 1933 das Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung besetzten, insbesondere die Konkurrenz zwischen Justiz (insbesondere Gerichten) und Polizei (Gestapo), ließ sich für die Verteidigung nutzen. Rechtsanwälten, deren Parteirang ihnen eine gewisse Sicherheit gegen die tätige Mißgunst der Gestapo und der Ehrengerichte gewährte, blieb ein weiteres Betätigungsfeld. Unter ihnen gab es solche, die ihren Einfluß sogar dazu zur Verfügung stellten, kommunistischen Angeklagten die Verbindung zur KP zu vermitteln. Solche illegalen Kontakte zwischen verbotenen Organisationen und ihren angeklagten Mitgliedern hielten auch die Verteidiger von Sozialdemokraten aufrecht. Selbst ein jüdischer Anwalt wie Ernst Fraenkel konnte so jahrelang — unter den Augen der Gestapo — praktizieren. Das Nebeneinander justizieller und polizeilicher „Strafverfolgung zwang die Verteidiger andererseits zu Rücksichtnahmen besonderer Art. Bisweilen mußten sie auf eine Bestrafung ihres Mandanten hinarbeiten, wo ein Freispruch oder eine

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geringere Strafe möglich, vielleicht vom juristischen Standpunkt geboten gewesen wäre. Das Wirkungsfeld der Verteidiger, durch so vielschichtige Bedingungen gekennzeichnet, gibt einen Einblick in das komplizierte Machtgefüge des nationalsozialistischen Staates, in dem verschiedene „Strömungen" der „Bewegung" und des alten Herrschaftsapparates konkurrierten. Geschickte Verteidiger wußten sich die Besonderheiten dieses Geflechts zunutze zu machen. Zur Theorie dieses Innenlebens des Wals ein kurzer Überblick am Anfang des nächsten Kapitels.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Castro», S. 14 Walterscheid, S. 33 ff Schon, S. 688 PJ, S. 381 Walterscheid, S. 41 Sehern, S. 667 Sehern, S. 668 Walterscheid, aaO; über die Gründe ist mir ebenso wie über das Schicksal des Rechtsanwalts Dietrich nichts bekannt Walterscheid, S. 42 Sack, 1934, S. 87 ff Stojanoff, S. 273 So ein Rechtsanwalt Habicht, der laut Stojanoff, S. 274, ein Honorar von 62000RM verlangte; vgl. auch Braunbuch II, S. 83 ff (85 f) Stojanoff, aaO; 1t Braunbuch II holte sich Sack das Einverständnis der Reichsregierung zur Übernahme der Verteidigung ein; Braunbuch II, S. 86 Dimitroff, Anm.3 zu Dok. 181 unter Verweis auf IML/ZPA St 65/60 S.133f Dimitroff, Dok. 335, Schreiben der KPD an Torgler; vgl. auch Dok. 358, wo es in einem Aufruf der „Roten Fahne" heißt, Sack sei ein „führender Stahlhelmmann, der sich als Verteidiger in verschiedenen Fememordprozessen hervorgetan hat. Es ist klar, daß dieser von Goring bestimmte .Verteidiger' nichts anderes ist, als ein Adjudant der faschistischen Henker." Stojanoff, S. 280 Dimitroff nach Stojanoff, S. 279 Sack, der Reichtagsbrandprozeß, 1934 Mitteilung seines ehemaligen Sozius, Rechtsanwalt Dr. Diener Vgl. zu Sacks Plädoyer Stojanoff, S. 278 f. Braunbuch über Reichstagsbrand unf Hitlerterror, 1933, und Braunbuch II, Dimitroff contra Göring. Enthüllungen über die wahren Brandstifter Vgl. Stojanoff, S. 176 und S. 151 ff In seinen Schriften „Der Strafverteidiger und der neue Staat", 1935, und — zusammen mit Heermann — „Der Strafverteidiger", 1944. Die Einleitung schrieb Freisler Sack, S. 102 Sack, S. 101 Sack, S: 323

Anmerkungen 28. 29. 30. 31. 32. 33.

34. 35.

36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55.

56. 57. 58. 59. 60.

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Sack, S. 102 Sack, aaO Sack, S. 284 ff Sack, S. 114 S. 124 ff Ein sozialdemokratischer Prozeßbeobachter berichtete von einem Prozeß gegen 52 SPD-Mitglieder in Dresden, die wegen Verletzung des § 4 der VO vom 24.2.33 angeklagt waren: In seiner Verteidigungsrede habe einer der Anwälte darauf hingewiesen, daß die VO lediglich gegen kommunistische Organisationen gerichtet sei, nicht aber gegen „Sozialdemokraten, die für die Verfassung und Demokratie eingetreten seien, und deshalb der ganze Prozeß jeder Rechtsgrundlage entbehre. Dieser junge Assessor wurde sofort unterbrochen ... Der Verhandlungsleiter sagte, daß diese Argumente hier keinen Platz finden dürften und daß das ein Rückfall in das novemberliche Denken sei, daß dies von dem jungen Assessor nur entschuldigt werden könne wegen seiner Jugendlichkeit und der mangelnden Erfahrung in der Verteidigung." ASD, PV — Emigration, Mappe 106 Mitteilung seines ehemaligen Sozius Mitteilung des Rechtsanwaltes Dr. Wilk, Berlin - Forest Hills, N.Y., USA, der 1933 wegen „nichtarischer" Abstammung aus der Anwaltschaft ausgeschlossen wurde sowie von Sacks ehemaligem Sozius Vgl. etwa Kiaulehn, S. 510 Mitteilung seines ehemaligen Sozius Mitteilung seines ehemaligen Sozius Mitteilung seines ehemaligen Sozius Die Darstellung folgt Bayer, Kleiner Volksvereinsprozeß Bayer, S. 8 Bayer, S. 13 f Bayer, S. 14 Bayer, S. 14 Schreiben vom 13.12.33; Bayer, S. 23 Bayer, S. 22 Bayer, S. 19 Freister, DJ 34, 303 Bayer, S. 21 Bayer, S. 16 Bayer, S. 22 EGH 28, S. 231 ff Bayer, S. 14 Gertrud Meyer, S. 237 Thälmann — Biographie, S. 665 f.; Hegewiscb, einer der meistbeschäftigten Verteidiger der RHD während der Zeit der Weimarer Republik wurde am 24.4.33 aus der Anwaltschaft ausgeschlossen. Staatsarchiv Hamburg, Personalakte Hegewisch, A 1435; wegen seiner Tätigkeit für Thälmann soll er in ein KZ verbracht worden sein, Branting, zit. n. Stojanoff, S. 171; über Rosenfelds Schicksal liegen mir nähere Informationen nicht vor. Sein Name befand sich auf der „Proskriptionsliste" der RAK Berlin. Gertrud Meyer, S.242f Gertrud Meyer, S. 243 Handbuch, S. 609 Thälmann, Briefe, S. 91 Sohn des ehemaligen Reichsinnenministers Küfy. Helmut Kül% war nach 1945 Justizminister in Thüringen, später Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts

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61. Käl^ Rolle ergibt sich aus einem Schreiben von * / an den Landesvorstand der SED in Weimar vom 6.12.46. Eine Abschrift davon befindet sich bei den Unterlagen des Entnazifizierungsverfahrens gegen Frit^ Ludwig. Sie wurden mir von Herrn Rechtsanwalt Thomas Ludwig, München, freundlicherweise zugänglich gemacht. Kopien befinden sich im Archiv des Verfassers. Der Versuch Diraitroffs, die Anklageschrift im Reichstagsbrandprozeß über den Rechtsanwalt Werner Wille herauszuschmuggeln, scheiterte; Dimitroff, zit. n. Stojanoff, S. 134f 62. Roetter, S. 31 f.; Pariser Tageblatt vom 11.4.35 63. Die in EGH 29, S. 171 ff veröffentlichte Entscheidung betraf einen Rechtsanwalt, der eine Bürogemeinschaft mit Roetter unterhielt. Vgl. ZStA 30.05/3278. Zwar ist die veröffentlichte Entscheidung in den Beständen des ZStA nicht mehr vorhanden. Es existiert dort aber ein Beschluß des EGH zum gleichen Aktenzeichen, mit dem das Verfahren gegen Roetter eingestellt wird, weil dieser am 21.10. 35 seine Löschung aus der Anwaltsliste beantragt hatte und daraufhin am 29.10.35 gelöscht worden war. Die Gründe der veröffentlichten Entscheidung erweisen, daß der Grund für die Verfolgung Roetters darin lag, daß man ihn verdächtigte, die Anklageschrift gegen Thälmann illegal kopiert und ins Ausland geschafft zu haben. 64. Roetter, S. 33; in seiner Rede vor der Internationalen Juristenkonferenz in Paris Dezember 1936, hat er dennoch die „wärmste Sympathie", die ihm von seinen Berufskollegen zuteil geworden sei, hervorgehoben, IML/ZPA NL 3/53 65. Roetter, S. 33 66. Roetter, S.33f 67. Roetter, S. 34; vgl. aber Anm. 59 68. Roetter, S. 43 69. Meyer, S. 306 ff 70. Thälmann-Biographie, S. 681 71. Gertrud Meyer, S. 257 72. Gertrud Meyer aaO 73. In seinem Schreiben an den Landesvorstand der SED in Weimar, vgl. Anm. 57 74. Eidesstattliche Versicherung im Entnazifizierungsverfahren gegen F. Ludwig vom 7. 2.47, im Archiv des Verfassers 75. In einem Schreiben an die Entnazifizierungskommission Ludwigs, ohne Datum; Abschrift im Archiv d. Verf. 76. Thälmann-Biographie, S.696f 77. Mir wurde Einsicht nicht gestattet mit der Begründung, einer Publikation in der DDR solle nicht durch eine Veröffentlichung in der Bundesrepublik vorgegriffen werden. Das Dokument befindet sich im IML/ZPA 1/6/3/375 78. IML/ZPA aaO 79. So die Terminologie des Propagandaministeriums, Meyer, S. 249 80. Meyer, S. 247 ff 81. Meyer, S. 271 ff 82. Auskunft seines Sohnes, Rechtsanwalt Wandschneider, Hamburg 83. BA R 58/711 84. GStA Rep. 84a 8090 85. Alle BA R 58/711 86. BA aaO 87. BA aaO 88. Stojanoff, S. 215 89. IML/ZPA St 65/119, zit. n. Dimitroff, Dok. 181, Anm. 3; die Gestapo leitete die Notiz weiter an den Untersuchungsrichter beim RG

Anmerkungen

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90. In Willes Büro fanden auch Zusammenkünfte der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen" statt, Sandvoß, S. 41 91. Die Angaben über die Gebrüder Wille und Heinrich Reinefeld wurden zusammengestellt nach Unterlagen des Archivs des Informationszentrums Berlin, Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße — ohne Signatur — und Mitteilungen von Rainer Sandvoß 92. Die Darstellung folgt Neumanns Prozeßbericht, der sich im Archiv für soziale Demokratie, PV-Emigration, Mappe 130, befindet 93. Neumanns Bericht, S. VI, PV-Emigration aaO 94. Neumann, S. VIII 95. Neumann, S. XI 96. Ein dem heute geltenden §136 a StPO entsprechendes Verwertungsverbot enthielt die StPO zu dieser Zeit nicht 97. Zum Verhältnis beider Gewalten im „Doppelstaat" s. u. S. 97f 98. Deutschlandberichte 1936, S. 62 99. Vgl. Erklärung von Hans Nickinn, vom VGH zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, im Entnazifizierungsverfahren gegen F. Ludwig. „Wir waren in dem staatspolizeilichen Vorverfahren von Beamten des Geheimen Staatspolizeiamts zur Erpressung von Geständnissen so schwer mißhandelt worden, daß wir uns bei unserer Gegenüberstellung nicht wiedererkannten. Davon hatten wir Herrn Rechtsanwalt Ludwig bei der Information serteilung zur Vorbereitung unserer Verteidigung Kenntnis gegeben. Als ich in der Verhandlung meinen mitangeklagten Genossen Quade fragte, wie es zu seinem Geständnis, durch das wir alle verraten waren, gekommen sei, zögerte Quade, mit Rücksicht auf die anwesenden Gestapobeamten zu antworten. Daraufhin sprang Rechtsanwalt Ludwig auf und berichtete dem VGH von sich aus von den schweren Mißhandlungen, die wir hatten erleiden müssen, und gab seiner Empörung darüber in scharfer Weise Ausdruck. Er fügte auch hinzu, daß er sich bei den höchsten Staats- und Parteistellen über unsere Behandlung beschwert und einen Bericht sogar an Goring selbst gerichtet habe. Über diese Ausführungen war der sogenannte Volksrichter, SA-Gruppenführer Hess, so aufgebracht, daß er den Rechtsanwalt anschrie: ,Wer ist denn nun eigentlich hier angeklagt, diese Leute hier (er zeigte dabei auf uns) oder die Gestapo?' worauf Rechtsanwalt Ludwig dem Sinn nach erklärte, er sei nicht verantwortlich dafür, daß diese Feststellung getroffen werden müsse. Er fügte hinzu, daß er die Verteidigung niederlegen müsse, wenn das Gericht diese Gestapomethoden billige. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und erklärte anschließend, daß es bei der polizeilichen Untersuchung vorgekommene Mißhandlungen nicht billigen könne." 100. Schreiben von Rikowski, Berlin, vom 23.7.34, B A R 58/711 101. Johe, S. 140 102. Bericht vom 23.2.36, ASD PV - Emigration, Mappe 130 103. Bericht vom 21.7.37, ASD PV — Emigration - aaO 104. IfZ NG 1057 105. BA R 43 II 1536 c 106. BA R 22/262 107. Vgl. Mitteilung des OLG-Präsidenten von Hamm gelegentlich der erwähnten Besprechung im RMJ, Januar 1939, B A R 22/1467 108. Wiedergegeben nach einem noch unveröffentlichten Manuskript von Ralph Angermund, Bochum. Bei den ausgewerteten Akten handelt es sich um den Bestand Personalakten Gestapo Düsseldorf („Heimtücke"), H St A Düsseldorf RW 58 109. Bericht von Rikowski vom 23.7.34, BA R 58/711

Kapitel 4: Verteidiger und Gestapo Eine „Denkschrift": „Größte Beachtung verdient des weiteren auch die Frage, ob das ordentliche Gerichtsverfahren und die für die hochverräterischen Umtriebe der KPD angedrohten Strafen und Strafarten noch den heutigen Bedürfnissen entsprechen. Die Frage ist meiner Ansicht nach im wesentlichen zu verneinen. Hierbei ist davon auszugehen und grundsätzlich festzustellen, daß ein Rechtsstaat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, wenn die Staatsbelange, insbesondere die Staatssicherheit es erfordern, Ausnahmebestimmungen zu treffen und durchzuführen. Der Kommunismus ist im ständigen Kampf gegen den Bestand des Staates unmittelbar begriffen. Dementsprechend hat auch seine Abwehr sich nach den Grundsätzen eines wirklichen Kampfes um und für die Erhaltung des Staatsgefüges zu richten. Das bedeutet, daß das ordentliche Gerichtsverfahren auf die Abwehr des Kommunismus im allgemeinen keine Anwendung finden kann und darf. Vielmehr muß grundsätzlich verlangt werden, daß der staatliche Machtkampf gegen den Bolschewismus nach standgerichtlichen Überlegungen und Notwendigkeiten aufzubauen und durchzuführen ist. Allein hierdurch kann und wird auch erreicht werden, daß das trotz der Sonderbestimmungen in Hochverratssachen immer noch sehr schwerfällige Gerichtsverfahren schnell und damit schlagkräftig gestaltet wird. Im einzelnen schlage ich hierzu folgendes vor: Die große Anzahl der Mitläufer, worunter in erster Linie kassierte Mitglieder, Abnehmer illegaler Schriften und Gelegenheitsagitatoren fallen, belasten das Gerichtsverfahren zu sehr. Besonders dann, wenn es, wie erforderlich, gelingen sollte, sie in großen Umfange festzustellen und ihre illegale Tätigkeit aufzuklären. Auch sie sind eine nicht zu unterschätzende große Gefahr. Ohne Mitläufer ist die illegale Tätigkeit der KPD nicht denkbar und aus dem Kleinen kann, wie die Erfahrung schon vielmals gelehrt hat, gar schnell ein Großer werden. Ihre schnelle Bekämpfung ist schon wegen des abschreckenden Eindrucks auf die meist leicht beeinflußbare Menschengattung ihrer Art besonders geboten. Hierzu genügt ihre Verbringung und Erziehung in einem Konzentrationslager. Die Entscheidung hierüber ist einer neueinzurichtenden Dreierbehörde — bestehend aus einem Mitglied der Staatsanwaltschaft (vielleicht auch einem Richter), aus einem Mitglied der Stapo und aus einem Mitglied der Bewegung (Gaurechtsamtsleiter, Gaugerichtsvorsitzender oder dergl.) — am Sitze des oben erwähnten Oberstaatsanwalts zu übertragen. Diese Behörde entscheidet auf Grund mündlicher Verhandlung nach Anhörung des Beschuldigten und nach etwa erforderlicher Beweisaufnahme durch unanfechtbaren Beschluß. Sollte sich später herausstellen, daß der Täter über die angenommene Tätigkeit hinaus sich noch weiter betätigt hat, ist er alsbald zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen. Mindestdauer der Verbringung in ein Konzentrationslager: l Jahr; Höchstdauer: 5 Jahre. Das Beschlußverfahren ist möglichst einfach zu gestalten. Die Anklage kann mündlich in der Beschlußverhandlung erhoben werden. Eine Verhandlungsniederschrift ist anzufertigen. Die Beschlüsse sind kurz zu begründen unter Wiedergabe des tatsächlich Festgestell-

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ten unter Angaben des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Ob die Entscheidung mit Stimmenmehrheit oder nach dem Führergrundsatz zu treffen ist, lasse ich dahingestellt."1

Bei der (unveröffentlichten) „Denkschrift" handelt es sich nicht um Gedankenspiele eines Juristen aus dem Reichssicherheitshauptamt. Urheber war ein hoher deutscher Richter, der Oberlandesgerichtsrat Wolff aus Kassel, der seine Überlegungen am 8.10. 1935 beim Reichsjusti2ministerium einreichte. Der Text gelangte auch in die Hände des Gestapo-Justitiars Best, der dankbar auf solche juristische Schützenhilfe aus der Feder eines „hohen erfahrenen Richters selbst"2 zurückgriff, um gegenüber dem RMJ seine Argumentation — d. h. die der Gestapo — von deren Inhalt im folgenden die Rede sein wird, zu untermauern. Der zitierte Text gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich das Neben- und Miteinander von Polizei und Justiz aus juristischer Sicht in verfahrensrechtliche Modelle umsetzen und durch sie sanktionieren ließ.

Der „Doppelstaat" Ernst Fraenkel hat für dieses Verhältnis der beiden Machtbereiche in einer 1941 in den USA publizierten Analyse den Begriff vom „Doppelstaat" geprägt3. Er sah im nationalsozialistischen Staat zwei Elemente von Herrschaftsausübung am Wirken: einen „Normenstaat" und einen „Maßnahmenstaat": „Unter dem ,Maßnahmenstaat' verstehe ich das Herrschaftssystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt ist; unter ,Normenstaat' verstehe ich das Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet ist, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck gelangen."4 Der „Normenstaat", so Fraenkel, repräsentiere die „traditionellen Instanzen", während sich im „Maßnahmenstaat" die Organe der Diktatur etablierten5. Beide Gestalten desselben Staatswesens standen nach Fraenkels Ansicht in einem konkurrierenden SpannungsVerhältnis6. Der Normenstaat bleibe da aufrecht erhalten, wo dies die Ratio der Macht erfordere: Besonders dort, wo die kapitalistische Wirtschaft formell rationaler Regeln bedürfe als Garanten der Berechenbarkeit der Folgen ihrer Entscheidungen. Überall dort aber, wo die Justizförmlichkeit staatlichen Handelns der Machtentfaltung der Diktatur im Wege stehe, werde sie der unbedingten Zweckrationalität der Maßnahme untergeordnet. Fraenkels These, daß die Grenzen beider Bereiche vom Standpunkt des „Maßnahmenstaates" definiert würden, entsprach einer realistischen Einschätzung der Machtverhältnisse des Nationalsozialismus. Auch Otto Kirchheimer1 und Fran^ Neumann*, beide wie Fraenkel emigrierte Juristen aus dem Lager der Sozialdemokratie, gelangten in ihren Analysen dazu, das nationalsozialistische Staatsgefüge als eine Doppelherrschaft zu begreifen, widersprachen freilich Fraenkels Abgrenzung der Elemente dieser Doppelherrschaft. Nach den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung scheint Fraenkels Erklärungsmodell vom konkurrierenden Nebeneinander von Normen- und Maßnah-

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menstaat geeignet, die Bedingungen der Verteidigertätigkeit im Nationalsozialismus jedenfalls bis Kriegsbeginn begrifflich zu erfassen. Die Auseinandersetzung um die Zulassung von Anwälten zur rechtlichen Vertretung von „Schutzhäftlingen", von der im folgenden Abschnitt die Rede sein soll, zeigt nicht nur, wie sich das Verhältnis von Justiz und Polizei, von Normen- und Maßnahmenstaat, an der „Demarkationslinie" (Fraenket) beider Bereiche entwickelte, sie ist auch beispielhaft für das Verständnis der Rolle des Verteidigers im „Doppelstaat" und für die Einstellung der Gestapo zu seiner Tätigkeit. Schutzhaft und Recht Diese „Schutzhaft", die sich sehr schnell zu einem der wichtigsten Instrumente nationalsozialistischen Terrors entwickelte, hatte mit der im traditionellen Polizeirecht (etwa §15 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes) außer dem Namen wenig gemein. Regelmäßig bedeutete sie Einweisung in ein Konzentrationslager. Als Rechtsgrundlage wurde die VO vom 28.2.33 „zum Schutz von Volk und Staat"9 herangezogen. Mit ihr waren die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft gesetzt worden, darunter auch die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person, die Artikel 114 verbriefte. Die ausufernde Verhängung der Schutzhaft, für die sich zahlreiche Instanzen befugt glaubten, darunter Dienststellen der NSDAP, der SA und der SS, führte schließlich zu einer Intervention des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren (RPrMI), der sich am 12. bzw. 26.4.34 „zur Abstellung von Mißbräuchen" veranlaßt sah, die Verhängung der Schutzhaft in einem Erlaß zu regeln10. Darin wurde die Zuständigkeit zur Verhängung der Schutzhaft in Preußen ausschließlich in die Hände des Geheimen Staatspolizeiamtes, der Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, des Polizeipräsidenten in Berlin und der Stapo-Stellen gelegt. Die übrigen Länder sollten entsprechende Behörden bestimmen. Der Erlaß sah unter III. weiter vor, daß die Schutzhaft „gegen Rechtsanwälte wegen der Vertretung der Interessen ihrer Klienten" (Abs. 2 b) unzulässig sei, ebenso zur Ahndung „strafbarer oder zwar nicht strafbarer aber sonst verwerflicher Handlungen. Strafbare Handlungen sind durch die Gerichte abzuurteilen." Zur Dauer der Schutzhaft bestimmte Abschnitt V, daß der Schutzhäftling spätestens am 8. Tage nach seiner Festnahme zu entlassen sei, wenn nicht „bis zu diesem Zeitpunkt die oberste Landesbehörde den Schutzhaftbefehl ... ausdrücklich (Hervorhebung im Original) bestätigt hat." Alle drei Monate hatte eine Haftprüfung von Amts wegen durch die oberste Landesbehörde zu erfolgen. Dieser Vorstoß Fricks, dem sich am 5. 5.34 auch Goring als „Preußischer Ministerpräsident. Chef der Geheimen Staatspolizei" anschloß, war nicht viel mehr als ein zaghafter Versuch, der aber keine praktischen Wirkungen zeitigte. Von Anfang an arbeiteten Gestapo und SS daran, sich als selbständiger Machtapparat gegen jede Kontrolle oder sonstige Einflußnahme von außen abzuschotten. So mußte Gärtner am 24. 9. 35 Frick darauf hinweisen, daß „häufig Verhaftungen ... die nach den Richtlinien vom 12.4.34 unzulässig sind, in der Presse (!) bekanntgegeben worden (sind)"11.

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Urteilskorrekturen Die Verhaftung freigesprochener oder in ihren Augen zu niedrig verurteilter Personen durch die Gestapo wurde von den Gerichten als ungebührliche Urteilskritik aufgefaßt. Sie hielten sich zur Ahndung strafbarer Handlungen qua Tradition für kompetenter als die Polizei. Auf Übergriffe in ihren Zuständigkeitsbereich reagierten die Gerichte daher — zunächst — mit geharnischten Protesten. Noch 1939 beschwerte sich der VGHPräsident Thierack, der später als RMJ das besondere Vertrauen des RSHA genoß, darüber, daß ein vom II. Senat (Vorsitz: Enger7) wegen erwiesener Unschuld freigesprochener Angeklagter in Schutzhaft genommen worden war12. Das gleiche Beispiel zeigt auch, daß neben solchen Kompetenzenstreitereien auch eine gute Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei funktionierte. Jener Angeklagte war nämlich der Gestapo von der Reichsanwaltschaft übergeben worden13. Diese Kollaboration zwischen den beiden Gewalten wurde in Preußen bereits im Jahr 1933 per Erlaß geregelt. Danach waren die Justizbehörden angewiesen, aus Straf- oder Untersuchungshaft entlassene Landesverräter der zuständigen Stapo-Stelle „zur Verfügung zu stellen"14. Gärtner ordnete Entsprechendes für das gesamte Reichsgebiet — nach Übergang der Justizhoheit auf das Reich — am 5.3.35 an15. In seinem Erlaß kritisierte er das „mangelnde Verständnis" mancher Justizbehörden für die Erfordernisse wirksamer Bekämpfung von Hoch- und Landesverrätern. Der Staatsanwaltschaft war es nicht unwillkommen, in der polizeilichen Schutzhaft ein Instrument gegen die in den Händen zu halten, denen mit justiziellen Mitteln nicht beizukommen war. Anläßlich einer Besprechung im Reichsjustizministerium16 im Januar 1939, bei der das permanent kriselnde Verhältnis von Justiz und Polizei zwischen Gürtner und den Generalstaatsanwälten und OLG-Präsidenten erörtert wurde17, berichtete etwa der Generalstaatsanwalt von Graz von einem Fall, in dem die Gestapo von ihm um Schutzhaftmaßnahmen gebeten worden war, da ein „dreizehn Jahre alter Gangster (!) nicht verfolgt werden konnte". Der Rückzug der Gerichte Es gab auch in der Justiz schon bald keine Instanz mehr, an die sich die von Maßnahmen der Gestapo Betroffenen hätten wenden können. Bereits 1933 war die Frage der Überprüfbarkeit „staatspolitischer" Handlungen der Verwaltung, zu denen man auch die In-Schutzhaft-Nahme rechnete, umstritten. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß auch Neubert, später Präsident der Reichsrechtsanwaltskammer und damals bereits Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer Berlin, in der JW von 193318 gegen eine gerichtliche Überprüfung eintrat19. Die zuständigen Verwaltungsgerichte schlössen sich nach anfänglichem Zögern diesem Standpunkt an20. Den Schlußstrich unter die Auseinandersetzung zog der Preußische Gesetzgeber mit dem G vom 10.2. 3621, dessen § 7 „Verfügungen und Angelegenheiten der Gestapo"22 für unanfechtbar erklärte. Wenig später, am 17.6.36, wurde die Verselbständigung des Polizeiapparates auch organisatorisch vollendet. Himmler wurde Chef der gesamten deutschen Polizei23.

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Der Ausschluß der Anwälte Während die Gerichte Schritt für Schritt mehr Boden gegenüber Gestapo und SS preisgaben, versuchten Anwälte immer wieder, sich der in Schutzhaft Gekommenen anzunehmen und ihre Rechte zu verteidigen, obwohl sie — wie an anderer Stelle zu zeigen sein wird — selbst bisweilen zu Opfern staatspolizeilicher Maßnahmen wurden. Das Auftreten von Rechtsanwälten war der Gestapo von Anfang an lästig. Sie versuchte, es grundsätzlich zu verhindern, und wies Anwälte, die als Vertreter von Schutzhäftlingen auftraten — teilweise recht schroff — zurück. Im Oktober 1934 wandte sich daher der BNSDJ, Gau OLG Bezirk Hamm, mit einer Protestnote an den RMJ, in der er auf eine entsprechende Praxis der Staatspolizeistelle Münster verwies24. Diese begründete ihre Haltung mit sozialen Beweggründen, die es nicht zuließen, daß minderbemittelte Schutzhäftlinge schlechter gestellt sein sollten als wohlhabende, die sich einen Anwalt leisten könnten. Das RMJ leitete die Eingabe des BNSDJ an den für die Gestapo zuständigen RPrMI weiter. Der erklärte in seiner Antwort vom 17.1.35, auch er sei der Auffassung, daß ein Ausschluß von Rechtsanwälten nur insoweit zugelassen werden könne, als er ausdrücklich festgelegt sei. Der Schriftwechsel wurde wenig später in der JW veröffentlicht25. Es ist bereits bezeichnend, daß die Gestapo, eine — zum damaligen Zeitpunkt — dem RPrMi nachgeordnete Behörde von dieser Auffassung ihres obersten Dienstherrn überhaupt erst durch ihre Veröffentlichung in der JW Kenntnis erlangte. Das ergibt sich aus einem Schreiben von Best an den Preußischen Ministerpräsidenten vom 12. 8.3526. So nimmt es nicht wunder, daß die verlautbarte Auffassung des RPrMI nicht mehr Wirkung zeigte als der bereits erwähnte Erlaß zur Regelung der Schutzhaft: nämlich keine. Schon am 28.1.35 hatte der politische Polizeikommandeur in Preußen angeordnet27, daß es für die Schutzhaft „kein formelles Beschwerderecht, sohin auch keine Vertretung durch Rechtsanwälte gebe." Wenig später, am 11.4. 35, teilte Best den preußischen Staatspolizeistellen unter Berufung auf den Artikel von Lauer im RVerwBl 193328 seine Auffassung mit, „daß ein mit der Vertretung der Interessen eines Schutzhäftlings betrauter Rechtsanwalt lediglich die Rechte besitzt, die jeder andere Staatsbürger geltend machen kann, der für einen von der Schutzhaft betroffenen eintritt." In dem Erlaß hieß es weiter: „Es bestehen keine Bedenken, die Mitwirkung von Rechtsanwälten insoweit zuzulassen, als es sich um die Abfassung und Einreichung von schriftlichen Gesuchen für eine in Schutzhaft genommene Person handelt. Selbstverständlich ist eine Einsichtnahme in die Akten der politischen Polizei und überhaupt die Mitteilung politisch-polizeilicher Vorgänge an die Rechtsanwälte wie auch an andere Personen, die in Schutzhaftsachen vorstellig werden, unzulässig. Es kann daher auch die Erteilung von Sprecherlaubnis an Rechtsanwälte oder sonstige mit der Wahrnehmung der Interessen eines Schutzhäftlings beauftragte Personen nicht zugelassen werden, wenn dadurch der politisch-polizeiliche Zweck der Schutzhaft gefährdet wird."29

Der Konflikt Diese Haltung der Gestapo führte zu zahlreichen Protesten aus Anwaltskreisen. Der BNSDJ Gau Hamburg wandte sich am 30.4. 1935 an den RMJ und verlangte

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unter Hinweis auf die Zurückweisung eines Rechtsanwaltes durch den Lagerkommandanten eines Konzentrationslagers eine klärende Stellungnahme des RPrMI30. Auch der Stellvertreter des Reichs Juristenführers Frank, Raeke, schrieb unter dem 10. 5. 35 an Gürtner und bat ihn, „unverzüglich dahin zu wirken, daß gegen die von Ihnen in dem oben erwähnten Schreiben31 niedergelegte Auffassung auch von Seiten der Dienststellen der Geheimen Staatspolizei als die in einem Rechtsstaat allein mögliche Auffassung respektiert wird."

Vom selben Tag datiert auch ein Schreiben von Rudolf Dix an Gürtner, in dem Dix sinngemäß dafür eintrat, den im ordentlichen Strafverfahren geltenden Grundsätzen auch in Schutzhaft-Angelegenheiten Geltung zu verschaffen. Insbesondere forderte er, dem Verteidiger die Möglichkeit zu gewähren, mit seinem Mandanten in unmittelbaren Kontakt zu treten, sowie ihn über die Einzelheiten des Ermittlungsergebnisses zu informieren. Die Praxis der Gestapo trug nach seiner Ansicht Züge eines „geheimen inquisitorischen Verfahrens". Neubert, selbst einer der theoretischen Wegbereiter der nun bekämpften Haltung der Gestapo, reichte dem RMJ in kurzem Abstand (am 20. und 22. 5., sowie am 3. 6. 35) drei Eingaben ein, in denen er unter Bezugnahme auf die Schreiben verschiedener Rechtsanwälte, denen ein Auftreten für Schutzhäftlinge untersagt worden war, darum bat „bei dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern darauf hinzuwirken, daß der von ihm seinerzeit ausgesprochene Grundsatz auch von den ihm unterstellten Behörden beachtet wird und den Rechtsanwälten bei der Verteidigung von Schutzhaft-Gefangenen keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden."32

Mit der Frage befaßte sich auch die Preußische Ministerratssitzung am 27. 6. 35. Gürtner faßte das Ergebnis der Beratungen über die hier interessierenden Fragen in einem Vermerk vom 1.7.35 zusammen. Danach war („jedenfalls für Preußen") unzulässig: „a) Schutzhaft auf Zeit b) Schutzhaft anstelle strafrechtlicher Verurteilung c) jegliche Verhinderung der Vertretung in Schutzhaftsachen durch Rechtsanwälte."

Später wurde noch handschriftlich ergänzt: ,,d) Schutzhaft gegen Beamte ohne Zustimmung der vorgesetzten Dienststelle."33

Diese Lesart der erzielten Übereinkunft wurde von der Gestapo jedoch nicht geteilt. Das ergibt sich aus Unterlagen, die dort zur Vorbereitung einer Ministerratssitzung vom 11.10.35 zusammengestellt wurden, welche sich erneut mit dem Thema beschäftigen sollte, jedoch verschoben wurde und schließlich in Abwesenheit von Himmler stattfand. In den Unterlagen der Gestapo34 heißt es, der Herr „Staatssekretär" (am Rand handschriftlich notiert: „das scheint mir die Handschrift von Heydrich zu sein") habe vermerkt, „daß die vom RMJ übermittelte Formulierung nie so präzise festgelegt worden sei." Weiter ist von einem Vorschlag des RMJ die Rede, ähnlich der beim Volksgerichtshof geltenden Regel eine Liste von besonders zuverlässigen Anwälten zusammenzustellen, die zur Vertretung von Schutzhäftlingen zugelassen werden sollten.

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In einem sechsseitigen Schreiben vom 12.8.35 an den Preußischen Ministerpräsidenten35 nahm Best aus der Sicht der Gestapo erstmals grundsätzlich zur Frage der Zulassung von Rechtsanwälten Stellung. Dabei lagen ihm offenbar die beim RMJ eingegangenen Eingaben vor, von denen oben die Rede war. Bests Schreiben ist bezeichnend für die Einstellung der Vertreter des „Maßnahmenstaates" zur Anwaltschaft. Er beklagte sich zunächst darüber, daß Rechtsanwälte immer häufiger nicht in „sachlicher und angemessener Form" für Schutzhäftlinge aufgetreten seien, „sondern auch Angriffe auf die politische Polizei nicht gescheut haben". Für unsachlich und unangemessen hielt es Best zum Beispiel, wenn Anwälte verlangten, „daß ihnen Rücksprache mit den Gefangenen gestattet oder Akteneinsicht gewährt werde. Ein solches Verlangen hat keinerlei Stütze im Gesetz und muß außerdem aus staatspolitischen Gründen schärfstens zurückgewiesen werden". Seine Ansicht über den Anwaltsstand brachte er an anderer Stelle zum Ausdruck, wo es hieß: „Vom staatspolizeilichen Standpunkt ist es geradezu unmöglich, auch nur in Erwägung zu ziehen, daß die Geheime Staatspolizei allgemein Angehörigen des in seiner politischen Zusammensetzung noch recht uneinheitlichen Rechtsanwaltsstandes — zum Beispiel jüdischen Rechtsanwälten — über die Gründe ihrer Maßnahmen Rechenschaft schuldig wäre."

Hinter der Kritik der Anwälte machte er gewinnsüchtige Motive aus: „Bezeichnend ist das Schreiben des Rechtsanwaltes . vom 10. Mai 1935, in dem nicht die Sorge um Recht und Gerechtigkeit, sondern ganz eindeutig die Forderung zum Ausdruck kommt, durch die Möglichkeit der Mitwirkung in Schutzhaftsachen den Rechtsanwälten ein gutbezahltes Arbeitsgebiet zu eröffnen.

Dix dagegen verstehe es, seinen „unmöglichen Forderungen" einen „Anschein von Wissenschaftlichkeit" zu geben. Im folgenden machte Best deutlich, worauf es ihm bei der Auseinandersetzung um die Anwaltsfrage besonders ankam. Es ging darum, die Grenzen des „Normenstaates", dessen Regeln die Anwälte im Interesse des einzelnen Mandanten Geltung zu verschaffen suchten, unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, also zugunsten des „Maßnahmenstaates" zu verschieben: „Die Frage der Zulassung von Rechtsanwälten in Schutzhaftsachen ist vom Standpunkt der Staatsführung aus weniger eine Frage des formellen Rechts oder der Rechtspflege als vielmehr eine Frage der Zweckmäßigkeit gegenüber skrupellosen Todfeinden des Staates und eine Frage des Vertrauens zu den Organen der von der Staatsführung mit der Abwehr gegnerischer Angriffe betrauten Geheimen Staatspolizei."

Für die Interessen der Gestapo, so meinte Best, finde er bei den Angehörigen der Schutzhäftlinge größeres Verständnis als bei den Rechtsanwälten, die sich bisweilen „unglaublicher Geschäftsmethoden bedienten oder in ihrem Verhalten geradezu staatsfeindlich auftraten." Best versäumte es nicht, am Ende seiner Ausführungen wieder auf das Argument zurückzugreifen, daß es sich aus fürsorglichen Erwägungen zugunsten minderbemittelter Schutzhäftlinge verbiete, vermögenden eine Vertretung durch Anwälte zu gestatten. Bests offenkundige Feindschaft gegenüber den Anwälten — die schon an anderer Stelle zum Ausdruck kam — rührte daher, daß er in ihnen die Verfechter eines

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überholten Rechtsformalismus sah, die versuchten, das staatsnotwendige Handeln zu boykottieren, indem sie subjektive Rechte Einzelner ins Feld führten, die nach Ansicht der Gestapo von den „Todfeinden des Staates" verwirkt waren. Es ging bei der Auseinandersetzung um die Zulassung von Rechtsanwälten zur Vertretung von Schutzhäftlingen keineswegs nur um ein berufsständisches Problem. Hieran entschied sich, wieweit die Regeln des „Normenstaates" noch Geltung beanspruchen konnten. Diese grundsätzliche Bedeutung des Konfliktes erklärt das nachhaltige Interesse, mit dem die beteiligten Parteien sich seiner annahmen. Best hat das in einer internen Stellungnahme vom 22. 10. 3530 zur Vorbereitung der Ministerratssitzung deutlich zum Ausdruck gebracht: „Auf keinen Fall darf zugegeben werden, daß die Anwendung der Schutzhaft irgendwie in justizähnliche Formen der Entscheidung und der Nachprüfung übergeleitet wird. Die Anerkennung einer Verpflichtung zur Zulassung von Rechtsanwälten in Schutzhaftsachen und die daraus folgende Anerkennung bestimmter Rechte dieser Rechtsanwälte wäre der erste Schritt hierzu. Die Verfahrensformen der Justiz sind für den Kampf gegen die Staatsfeinde unter den gegenwärtigen Verhältnissen schlechthin unzulänglich."

Die weitere Entwicklung Angesichts des unaufhörlichen Bemühens polizeilicher Instanzen, seit 1936 unter Himmlers Führung vereint, ihren Machtbereich in die traditionellen Zuständigkeiten der Justiz hinein auszuweiten und sich zugleich immer weiter ihrer Kontrolle zu begeben, können kaum Zweifel daran bestehen, daß man bei der Gestapo zu keiner Zeit daran dachte, von dem zitierten Standpunkt abzurücken. Die Versuche, die von Seiten des RMJ, des BNSDJ und der RRAK in den folgenden Jahren unternommen wurden, in der streitigen Frage zu einem Kompromiß zu gelangen, wurden von der Gestapo zwar noch höflich beantwortet, man signalisierte dort sogar zeitweise die Bereitschaft zu einem gewissen Entgegenkommen. Ein ernsthafter Wille zum Einlenken hat jedoch, wie der Gang der Entwicklung zeigt, nie bestanden. Am 22. 8. 35 wandte sich Raeke erneut mit einem achtseitigen Schreiben an den RMJ 37, um, veranlaßt von „ernster Besorgnis um den Bestand der Rechtssicherheit in Deutschland", auf eine Entscheidung des Konflikts zu drängen. Er griff tief in die Saiten nationalsozialistischer Rechtslyrik, meinte, die Verweigerung eines rechtlichen Beistandes für die von „außerordentlichen Rechtsmaßnahmen Erfaßten", die trotzdem „immer noch Volksgenossen oder Schutzbefohlene" blieben, stehe „im Widerspruch zum natürlichen Rechtsempfinden der Nordischen Völker". Zugleich wies er darauf hin, daß „diejenigen europäischen Völker, die wie das deutsche ihrer Rasse nach überwiegend nordisch zusammengesetzt sind — insbesondere die Engländer — die Rechtsentwicklung in Deutschland gerade auf diesem Gebiet mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgen". Im innen- und außenpolitischen Interesse müsse daher, um den Anschein einer in Deutschland herrschenden Rechtlosigkeit zu vermeiden, der „einem autoritären Staate besonders peinliche" Widerspruch zwischen den Auffassungen von RMJ und RPrMI einerseits und Gestapo andererseits unverzüglich — notfalls durch einen Machtspruch des Führers — behoben werden.

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Am 24. 9. 35 forderte daher Gärtner den RPrMI auf, endlich Klarheit über die Zulässigkeit von Schutzhaft und das dabei zu beobachtende Verfahren zu schaffen. Ein — allerdings wesentlich kürzeres — Schreiben, das die gleiche Aufforderung enthielt, ging an den Preußischen Ministerpräsidenten — Chef der Geheimen Staatspolizei. Das alles zeitigte keinerlei Wirkung. Anläßlich einer telefonischen Nachfrage von Ministerialdirektor Crohne bei Best teilte dieser dem Vertreter des Reichs Justizministeriums lediglich seinen Standpunkt mit, der im oben wiedergegebenen Schreiben vom 12. 8. 35 an den PrMinPräs. niedergelegt war. Er hob laut Vermerk von Crohne vom 6.11.35 besonders das wirtschaftliche Interesse der Anwälte an ihrer Zulassung in Schutzhaftangelegenheiten hervor38. Vom gleichen Tag datiert ein Schreiben Himmlers an den RMJ, in dem der „stellvertretende Chef und Inspekteur" der Gestapo — ohne Anrede und Gruß — lakonisch mitteilte, der Führer habe die Hinzuziehung von Rechtsanwälten in Schutzhaftangelegenheit verboten und Himmler beauftragt, dem RMJ seine Entscheidung zur Kenntnis zu bringen39.

Die zweite Runde Gärtner gab sich damit nicht zufrieden. Er zögerte zunächst seine Bekanntgabe an die beteiligten Stellen hinaus40 und wandte sich schließlich am 23.12. 35 direkt an Himmler^. Darin meldete er vorsichtig Bedenken an der Entscheidung Hitlers an, von der er befürchtete, sie könne „im Ausland stimmungsmäßig in unerwünschter Weise verwertet werden." Zugleich schlug er vor, für Schutzhaftangelegenheiten eine der beim Volksgerichtshof geltenden ähnliche Regelung zu treffen. Himmler antwortete am 6. l. 36 mit einem so erstaunlich freundlichen Schreiben42, daß schon dessen Form den Verdacht nahelegt, er habe damit seine wirklichen Absichten vertuschen wollen. Das ergibt sich jedenfalls aus dem Inhalt. Es heißt darin: „Ich sehe in der von Ihnen angedeuteten Lösung, Herausgabe einer Liste von Rechtsanwälten, die für Schutzhäftlinge zugelassen sind, eine absolute Möglichkeit der Behandlung dieser Frage."

Wie sich aber aus den Unterlagen der Gestapo ergibt, war ihr dieser Vorschlag bereits seit der Ministerratssitzung vom 27. 6. 35, auf der er schon einmal zur Diskussion stand, bekannt43. Best mußte ihn also bei seinen Überlegungen miterwogen haben, die ihn — wie oben dargelegt — dazu führten, das Auftreten von Rechtsanwälten in Schutzhaftangelegenheiten „unbedingt abzulehnen". Ebenso war er Himmler bekannt, als er Hitlers Entscheidung in dieser Frage erwirkte. Die unverhoffte Freundlichkeit Himmlers erklärte sich wohl eher daraus, daß er daran interessiert war, „daß die Zusammenarbeit zwischen Justiz und SS, die das Jahr 1935 so schön angebahnt hat, im Jahre 1936 weitere Fortschritte macht." An einer Gegnerschaft Gürtners konnte ihm zum damaligen Zeitpunkt, da er sich anschickte, die Führung der deutschen Polizei in seiner Hand zu vereinen, und ihren Wirkungsbereich in die Kriminalitätsbekämpfung auszuweiten, nicht gelegen sein44. Ob die in Himmlers Schreiben „in Aussicht genommene Zusammenkunft" mit Gärtner, dem Himmler vorher offenbar aus dem Wege ging45, tatsächlich zustande

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kam, ist den Unterlagen des RMJ nicht zu entnehmen. Die anvisierte Regelung wurde jedenfalls nie realisiert. Zwar forderte Schlegelberger am 31.1. 1938 die OLG-Präsidenten auf, besonders zuverlässige Rechtsanwälte aus ihrem Bezirk zu benennen, denen vom Reichsführer SS ein Auftreten in Schutzhaftangelegenheiten gestattet werden könnte. Vorausgesetzt wurde: „Die Zugehörigkeit zur NSDAP wird, soweit sie erst nach dem 30. Januar 1933 erworben worden ist, für sich allein das erforderliche Maß an Zuverlässigkeit in aller Regel noch nicht gewährleisten: andererseits wird diese Voraussetzung nicht schon deshalb zu verneinen sein, weil der Anwalt der Partei nicht angehört. In Betracht kommen nur Rechtsanwälte, deren Haltung keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß sie mit den politischen Bestrebungen des Staates und den weltanschaulichen Zielen der Bewegung voll übereinstimmen."

Gutachtlich sollten auch die Kammerpräsidenten gehört werden, nicht jedoch — wie wohl im Hinblick auf Parteistellen und BNSDJ betont wurde — „andere Stellen außehalb der Justizverwaltung"46. Dabei handelte es sich jedoch lediglich um eine einseitige Initiative des Justizministeriums, die Angelegenheit blieb weiter in der Schwebe, genauer: Das RSHA beharrte auf seiner ständigen Übung. Das geht aus einer Mitteilung des Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer47 aus dem Jahre 1941 hervor, in der es heißt: „Die Frage des Auftretens von Rechtsanwälten in Angelegenheiten der Gestapo ist bisher noch nicht abschließend geregelt worden. Aufgrund vielfacher Anfragen weise ich darauf hin, daß der Rechtsanwalt als Vertreter eines Beschuldigten in einem Verfahren bei der Gestapo zur Zeit nicht die Stellung eines Strafverteidigers hat und daß ein Anspruch des Rechtsanwaltes auf Zulassung als Vertreter des Beschuldigten nicht zuerkannt wird."

Interessant ist die Wahl der Begriffe dieser Erklärung, die von einem „Beschuldigten in einem Verfahren bei der Gestapo" spricht, deutliches Zeichen dafür, daß man sich auch bei der RRAK mit der Existenz einer staatspolizeilichen Sonder„Justiz" abgefunden hatte. Das Problem blieb eine Art „Evergreen" unter den anwaltlichen Klagen. Geändert hat sich darauf nichts. Der Generalstaatsanwalt von Jena (Wurmstich) berichtete in einem Schreiben vom 25.1. 1944 an den NSRB darüber, Rechtsanwälte hätten ihm mitgeteilt, daß sie von der Gestapo vorgeladen und darauf hingewiesen worden seien, daß es in Strafsachen die von der Stapo bearbeitet werden, keine Verteidigung gebe48. In dem Protokoll der Präsidentenbesprechung beim Hanseatischen OLG vom 14.12. 1944 heißt es in der Wiedergabe eines Berichtes des Chefpräsidenten über eine Tagung der Fachgruppe „Rechtsanwälte" im NSRB Gau Hamburg: „Eine nie versiegende Quelle der Klage aus den Kreisen der Anwaltschaft biete die Schutzhaft. Hier könne nur eine unmittelbare Verhandlung zwischen dem RMJ und dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD eine Änderung der Verhältnisse herbeiführen. Schutzhäftlingen werde grundsätzlich eine Sprecherlaubnis für ihren Verteidiger verweigert; dieser erhalte auch keine Akteneinsicht."49

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Hintertüren. Auswirkungen auf den Strafprozeß Die vom staatspolizeilichen „Vertretungsverbot" betroffenen Anwälte versuchten sich zu ihrem Mandanten dadurch Zugang zu verschaffen, daß sie seine Vertretung in anderen Rechtsangelegenheiten, etwa Notariatsakten oder straf- oder ehrengerichtlichen Verfahren übernahmen. Auf diese Weise konnten sie sich wenigstens Gewißheit darüber verschaffen, ob der von ihnen Vertretene überhaupt noch am Leben und welcher sein Gesundheitszustand war. Auch dieser Verkehr mit dem Mandanten unterlag jedoch Beschränkungen „aus Gründen der Lagerdisziplin". So griff die Gestapo in strafprozessuale Rechte von Beschuldigten ein, indem sie sich auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens weigerte, sie in Untersuchungshaft zu überführen, während sie zugleich einen Besuch ihres Verteidigers nur unter polizeilicher Aufsicht gestattete. Ein solcher Fall ist in den Unterlagen des RMJ dokumentiert50. Er zeigt, daß damit auch die in der StPO noch immer garantierten Verteidigungsrechte zur Disposition der Gestapo gerieten, und zwar selbst in unpolitischen Fällen (im zitierten Fall ging es um ein Vergehen nach den §§ 132 und 185 — Amtsanmaßung und Beleidigung — des StGB). Die Staatspolizeistellen begründeten ihre Maßnahmen damit, die Überführung in ein Konzentrationslager sei erforderlich, „um einer Verdunkelung vorzubeugen, die durch das Dazwischentreten von Rechtsanwälten, wie es im Fall einer Festsetzung im U-Haft Gefängnis zu befürchten ist, hervorgerufen würde."51 Um ihrem Mandanten wenigstens die formellen strafprozessualen Rechte zu erhalten, wirkten daher die Verteidiger vielfach auf Erlaß bzw. Aufrechterhaltung von Haftbefehlen hin52. Ebenso wie sich die Polizei seit 1937 anschickte, die staatspolizeilichen Methoden der Kriminalitätsbekämpfung auch auf „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher", später auf „Asoziale" und „Arbeitsscheue"53 auszudehnen, versuchte sie auch mehr und mehr, die Tätigkeit von Rechtsanwälten in den gewöhnlichen Polizeiangelegenheiten zu verhindern. In den letzten Jahren des Nationalsozialismus war die Zurückweisung zur allgemein üblichen Praxis der zahlreichen Sonderbehörden geworden, die die Entwicklung des nationalsozialistischen Staates hervorbrachte. Damit wird sich ein anderer Abschnitt eingehender befassen.54 Rechtsanwälte in Schutzhaft Die schlechte Meinung, die man bei der Geheimen Staatspolizei über Rechtsanwälte hegte, schlug sich nicht allein darin nieder, daß man ihnen ein Auftreten in Angelegenheiten der Schutzhaft untersagte. Sie betätigte sich auch in Eingriffen in die konkrete anwaltliche Tätigkeit, durch Verhaftung von Rechtsanwälten, die sich durch ihre Berufsausübung unbeliebt gemacht hatten. Zwar hatte der Erlaß des RMI vom 12. bzw. 26. April 34 Schutzhaft gegen Rechtsanwälte „wegen der Vertretung von Interessen ihrer Klienten" für unzulässig erklärt (unter III. 2b), jedoch unter der Einschränkung, daß die Inhaftierung nicht zugleich „zum eigenen Schütze des Häftlings" erfolgte oder deshalb, weil er „durch sein Verhalten, insbesondere durch staatsfeindliche Betätigung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet" (III. l a) und b)). Hierunter ließ sich das anstößige Verhalten eines Rechtsanwaltes im Zweifel immer subsumieren.

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Dennoch sind die Fälle, in denen die Gestapo so weit ging, Rechtsanwälte wegen ihrer Berufsausübung zu verhaften, rar gewesen. In manchen Fällen, etwa dem des Rechtsanwaltes Sack, waren die Gründe einer Verhaftung außerhalb der anwaltlichen Tätigkeit in vermuteten politischen Verbindungen gelegen, während erst die Legendenbildung sie in seiner Verteidigertätigkeit behauptete. Zumeist waren es untere Dienststellen, die sich in der Hitze ihres Verfolgungseifers nicht nur an dessen Gegenstand sondern auch noch an seinem Rechtsvertreter vergriffen. Solche Maßnahmen wurden meist von höheren Instanzen wieder aufgehoben. Freilich war das nicht immer so. Sieben Beispiele Bereits erwähnt wurde der Fall des Rechtsanwaltes Roetter, der Thälmann vertreten hatte. Bekannter sind die Fälle der Rechtsanwälte Piinder und Wedelt, beide aus Berlin. Sie vertraten die Witwe Klauseners, des Führers der „Katholischen Aktion", der am 30. 6. 34 im Auftrage Heydrichs ermordet wurde. Frau Klausener verlangte vom Staat Rentenzahlungen für sich und ihren minderjährigen Sohn. Sie stützte ihren Anspruch auf die Behauptung, ihr verstorbener Mann sei von der SS ermordet worden. Die offizielle Version lautete, er habe Selbstmord begangen. Kurz nach Klageerhebung wurden die beiden Rechtsanwälte am 16.4. 35 verhaftet. Dank der Intervention verschiedener Reichsminister (Frick, Blomberg; von Neurath und von Krosigk) sowie der schwedischen Regierung wurden sie einen Monat später wieder freigelassen55. Drei weitere Fälle finden sich in einer im RMJ angefertigten Zusammenstellung, die für die Verhandlungen mit der Gestapo sowie dem RMI angefertigt worden waren56. Es handelt sich um die Rechtsanwälte Surholt, (Berlin), Giese (Dresden) und Swoboda (München). Surholt, Sozius von Tbälmans Verteidiger JFrit% Ludwig57, wurde Schutzhaft angedroht wegen seines nicht näher bezeichneten Verhaltens bei der Vertretung einiger Schutzhäftlinge. Über Giese heißt es: „Gestapo Dresden will G. in Schutzhaft nehmen, weil er in einem Brief an den Ehemann einer in Schutzhaft genommenen Bibelforscherin die Dauer der Haft scharf kritisiert hat." In beiden Fällen hatte die Gestapo an der Art der anwaltlichen Tätigkeit in Schutzhaftfällen Anstoß genommen. Im dritten Fall genügte bereits der Umstand, daß der Rechtsanwalt Swoboda „für einen Schutzhäftling die anwaltliche Tätigkeit übernommen habe, ohne ihn auf deren Zwecklosigkeit aufmerksam zu machen, obwohl ihm bekannt sei, daß es ein Rechtsmittel in Schutzhaftsachen nicht gebe", um ihn zu inhaftieren58. Das war eine Tat der bayerischen politischen Polizei, anderswo ist man nicht so weit gegangen. Ein weiterer Fall — diesmal handelte es sich um einen Strafverteidiger, der wegen seiner Ausführungen im Plädoyer verhaftet wurde — ist in den Unterlagen der preußischen Gestapo erhalten59. Der Kieler Rechtsanwalt Werner Springe hatte laut Mitteilung der Gestapo (gez. Heydrich} an das RMJ vom 25. 5. 35 als Verteidiger eines Kommunisten vor dem Schwurgericht Altona vorgetragen, die Angeklagten seien „alle Kinder", was sie getan hätten, sei „Jungskram", abschreckende Urteile seien „heute nicht am

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Platze". Es sei „genug des grausamen Spiels". Besonders werden ihm die letzten Sätze des Plädoyers verübelt worden sein, das bei den Zuhörern, nach dem Bericht der Gestapo überwiegend Kommunisten, „großen Beifall" fand, beim gesamten Schwurgericht dagegen „allergrößte Empörung" auslöste: „Die Kriminalbeamten prüfen nicht so nach wie die altgewiegten Verteidiger. Sie sind dem kritischen Verstand der Verteidiger nicht gewachsen." Erfolglose Intervention des RMJ Den Verhaftungen von Rechtsanwälten durch die Gestapo versuchte das RMJ entgegenzutreten. Wenigstens wollte es sie von seiner vorherigen Zustimmung abhängig machen, um eine gewisse Kontrolle darüber zu gewinnen60. Hierzu war indes die Gestapo nicht bereit. Aus einem Vermerk von KG-Rat Wittland vom 12. 9. 35 über ein Telefongespräch mit dem Kriminalrat Futb vom Gestapa geht hervor, daß sich die Geheime Staatspolizei gegen entsprechende Wünsche des RMJ sperrte. Der Vertreter des Gestapa wies zwar darauf hin, es bestehe „schon jetzt allgemein die Anordnung ..., vor der Inschutzhaftnahme von Rechtsanwälten dem RMJ Mitteilung zu machen". Praktisch war sie aber bedeutungslos, da — wie Futb erklärte — in vielen Fällen sofortiges Zugreifen erforderlich sei. Einwänden Wittlands, der ihm anhand einer Reihe von Einzelfällen nachzuweisen versuchte, daß eine telefonische Anfrage in jedem Fall möglich gewesen sei, hielt Futb entgegen, „daß die Rechtsanwälte in Schutzhaftsachen häufig recht anmaßend auträten und Rechte für sich in Anspruch nähmen, die ihnen vielleicht nach der StPO in einem Strafverfahren, nicht aber gegenüber der Polizei zuständen; auch sei zu beobachten, daß die Rechtsanwälte häufig ungewöhnlich hohe Honorare für die Vertretung von Schutzhäftlingen verlangten und erhielten."61

Best faßte den Standpunkt seiner Behörde in einem Schreiben vom 25.9.35 zusammen62. Darin bot er nur noch an, dem RMJ „von der Anordnung von Schutzhaftmaßnahmen gegen Organe der Rechtspflege Kenntnis zu geben". Die sollte allein von seiner Zustimmung abhängig sein, nicht aber von der des Justizministeriums. In Fällen, in deren Rechtsanwälte „in Schriftsätzen Ausführungen bringen, die als Anlaß zu Schutzhaftmaßnahmen angesehen werden könnten", sei die Verhängung von Schutzhaft nach Abs. III Ziff. 2 b des Erlasses vom 12./ 26. 4. 34 ohnehin nicht zulässig. Letzteres Zugeständnis, von dem man auch im RMJ wußte, daß es lediglich ein verbales war, konnte dort nicht darüber hinwegtäuschen, daß Bests Vorstellungen den eigenen Wünschen widersprachen und faktisch eine Verdrängung des RMJ bedeuteten. Immerhin hielt man es für „bemerkenswert", daß in Bests Schreiben die Gültigkeit des Erlasses vom 12./26.4.34 anerkannt worden sei63. Eine bezeichnende Notiz, die erhellt, daß man im RMJ bereits von einer Verselbständigung der Gestapo gegenüber ihrer vorgesetzten Behörde ausging. Dennoch versuchte das RMJ, nun das RMI zu gewinnen, um seine Forderungen durchzusetzen. Denn nach Bests Schreiben kam eine „Fortsetzung des Schriftwechsels mit dem Preußischen Geheimen Staatspolizeiamt ... für das RMJ nicht in

Verteidiger und Gestapo

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Frage". Beim RMI sollte erwirkt werden, einen Erlaß, der die Schutzhaftmaßnahmen gegenüber Beamten regelte (nur mit Zustimmung der vorgesetzten Dienstbehörde) und den Vorstellungen des RM J entsprach, auch auf Rechtsanwälte auszudehnen64. Ein letzter Vorstoß Der weitere Fortgang der Verhandlungen — wenn es überhaupt einen gab —, ist in den erhaltenen Unterlagen des RMJ nicht dokumentiert. Ohnehin ist es kaum wahrscheinlich, daß die stetig an Macht gewinnende Gestapo Veranlassung gehabt hätte, in diesem Punkt Zugeständnisse an die Justizverwaltung zu machen. Das ist um so unwahrscheinlicher, als sich die SS ab etwa 1939 mit heftigen Angriffen in der Zeitschrift „Das schwarze Korps" gegen die Anwaltschaft wandte, zunächst einzelne Anwälte, zuletzt den gesamten Stand attackierend. Dieser Entwicklung wird an anderer Stelle nachgegangen65. Hier verdient lediglich noch die Ergänzung der RRAO nähere Erwähnung, die im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen SS auf der einen Seite und RMJ und RRAK auf der anderen durch §4 der VO von 26.4.4l 66 zu §22 RRAO erfolgte. Darin wurde das RMJ ermächtigt, Anwälten, die „durch Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten staatswichtige Belange gefährdeten, „zeitweilig oder andauernd" die Berufsausübung zu untersagen. Kurz nach Erlaß dieser VO, am 29.7. 1941, wandte sich der kommissarische RMJ Scblegelberger an Himmler, um eine Änderung der Schutzhaftpraxis gegenüber Rechtsanwälten herbeizuführen. Aus dem Schreiben geht hervor, daß die SS in der Zwischenzeit ihre zunächst vom RMJ bekämpfte Praxis nicht geändert hatte. Nun fand sie auch die nachträgliche Billigung Scblegelberger s. In dem Brief hieß es einleitend: „In den vergangenen Jahren sind verschiedentlich Rechtsanwälte u. a. wegen der Art ihrer Berufsausübung in Schutzhaft genommen worden. Ich verkenne nicht, daß die zugrunde liegenden Sachverhalte vom Standpunkt Ihres Geschäftsbereiches eine sofort wirksame Verhinderung weiterer Berufsausübung geboten erscheinen lassen konnten. Ich möchte deshalb annehmen, daß Sie die Inschutzhaftnahme auch aus dem Grunde verfugt haben, weil im Rahmen der staatlichen Ehrengerichtsbarkeit, der die Rechtsanwälte sowohl in ihrem Beruf als auch in ihrem außerberuflichen Verhalten unterstehen, bei der Förmlichkeit des Verfahrens die notwendigen Maßnahmen nicht mit der erwünschten Beschleunigung getroffen werden konnten."67

Der Ton, den der Autor dieser Zeilen gegenüber dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei anschlug, war bereits ein anderer, unterwürfiger geworden. Von der ursprünglichen Kontroverse keine Spur mehr, lediglich ein Bekunden der Bereitschaft, künftig rascher von Seiten der Justizverwaltung zuzugreifen: „Ich werde die Bestimmung in allen Fällen selbst mit der gebotenen Schärfe anwenden."

Weiter wurde um rasche Benachrichtigung gebeten, wenn der Polizei Fälle „staatsabträglichen" Verhaltens von Rechtsanwälten bekannt würden. Das Schreiben endete mit den Worten

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„Dabei nehme ich an, daß nach dieser gesetzlichen Neuregelung im allgemeinen kein staatspolitisches Bedürfnis mehr besteht, einen Rechtsanwalt wegen Gefährdung staatswichtiger Belange, insbesondere, soweit die Gefährdung in der Art seiner Berufsausübung liegt, zur vorläufigen Verhinderung weiterer Berufsausübung in Schutzhaft zu nehmen. Für eine Mitteilung Ihrer Auffassung wäre ich dankbar"

Die Antwort ließ lange auf sich warten. Es bedurfte mehrerer Anfragen des RMJ, um endlich eine Stellungnahme des RSHA zu erlangen. Sie kam am 22. 8. 194268, über ein Jahr also nach dem zitierten Schreiben. Beigefügt war ein Rundschreiben vom gleichen Tag, das zum Abdruck im Befehlsblatt bestimmt war. Darin wurde unter 2. bestimmt, daß vor der Festnahme u. a. von Rechtsanwälten die Zustimmung des RSHA einzuholen sei. Das war der alte Zustand. Die zuständigen Stellen der Justiz waren nach erfolgter Festnahme zu benachrichtigen. Neu war lediglich die Regelung in folgendem Absatz: Im Hinblick auf die dem RMJ durch den § 4 der VO ... vom 24. 6.41 gegebene Möglichkeit, einem Rechtsanwalt die Berufsausübung zu untersagen, ist von der Festnahme eines Rechtsanwaltes dann abzusehen, wenn sie lediglich zu dem Zweck erfolgen soll, ihn an einer weiteren Berufsausübung zu hindern. In diesem Fall ist dem RSHA ... beschleunigt zu berichten, damit von hier aus die sofortige Untersagung der Berufsausübung durch den RMJ erwirkt werden kann. Bei Gefahr im Verzüge kann sofortige Festnahme erfolgen. Über Auswirkungen und Praxis der VO vom 26.4.41 ist an anderer Stelle in anderem Zusammenhang weiter zu sprechen. Die Einstellung der SS zur Anwaltschaft hat sich in der Folgezeit jedenfalls eher weiter verschlechtert. Eine Veröffentlichung im „Schwarzen Korps" von 194269, spricht für sich. Dort heißt es über die Rechtsanwälte: „Erst wenn man sie einfängt und bei nützlicher Beschäftigung darüber belehrt, was Zeit und Arbeit gilt und was dem deutschen Volke frommt, werden sie — vielleicht — Vernunft annehmen."

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

GStA Rep.90 P Nr. 66 Heft 4, B1.259ff Best, GStA aaO, Bl. 248 Fraenkel, Der Doppelstaat, 1941/1974 Fraenkel, S. 21 Fraenkel, aaO Fraenkel, S. 75 Kirchheimer, Die Rechtsordnung des Nationalsozialismus, 1941/1972 Neumann, Behemoth, 1944/1974 RGBI. I, 83 RMI I 3311 A 28.2.17.4.; hier zitiert nach Unterlagen des Polizeireviers Berlin-Steglitz, LA Berlin, Rep.20 Acc. 1968 Nr. 7760. In der DJ 34 ist der Erlaß nicht abgedruckt, lediglich der Erlaß des Preußischen Ministerpräsidenten vom 11./16.3.34, der mit dem hier zitierten außer Kraft gesetzt wurde 11. Schreiben des RMJ an den RMI vom 24. 9. 35, BA R 22/1467

Anmerkungen 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

50. 51.

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R 22/1467; Schreiben vom 21.1.39 Schreiben des RFSS vom 21.2.39, BA aaO RV des PrJM vom 20.12. 33, BA R 22/1467 BA R 22/1079 S. dazu/oA«, S. 158 ff und 165 Gesprächsprotokolle der Besprechung vom 23. und 24.1.39 in BA R 22/1467 JW 33, S. 2426 f Wie er im Ergebnis auch Boehr, JW 33, 2499 f; Lauer RVerwBl 35, 168 ff (171); für eine richterliche Überprüfung Lüdtke J W 33, 2499 f Richtungweisend die Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 2, 5. 35, RVerwBl. 35, 577 f; zur Vorgeschichte dieser Entscheidung Fraenkel, Doppelstaat, S. 52 ff, der auch einen Überblick über die Rechtsprechung der übrigen (Zivil- und Straf-)Gerichte gibt PCS 36, S. 28 Nr. 6 Später korrigiert in: „Verfügungen in Angelegenheiten der Gestapo" Führererlaß vom 17.6.36, RGB1.1, 487 Schreiben vom 10.10.34, BA R 22/1467 JW 35, S. 759 GStA Rep. 90 P Nr. 66 Heft 4, Bl. 233 II l A/M zit. n. einem Schreiben des BNSDJ, gez. Raeke, an Gärtner vom 10. 5. 35, BA R 22/1467 RVerwBl. 35, 168 ff GStA aaO, Bl. 236 Dieses sowie das folgende Schreiben: BA R 22/1467 Gemeint ist das in JW 35, S. 759 publizierte Quelle für alle Schreiben: BA R 22/1467 BA R 22/1467 GStA Rep. 90 P Nr. 66 Heft 4 GStA aaO, Bl. 233 ff GStA aaO, Bl. 248 BA R 22/1467 Alle Vorgänge BA aaO Abgedruckt bei Reitter, S. 204, und Bros^at bei Buchheim, Bd. 2, S. 46; vgl. BA aaO Schreiben an das Preußische Staatsministerium vom 14.11.35, BA aaO BA aaO BA aaO S.o.: vorbereitender Schriftsatz zur Ministerratssitzung vom 11.10.35, GStA aaO (Fn. 23) Dazu ausführlich Bros^at, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1958, S. 394 ff Vgl. Schreiben von Gürtner an Himmler vom 23.12.35, B A aaO IfZ PS 651 MdRRAK 41, S. 102 BA NS 16/vol. 111 Archiv des Hanseatischen Oberlandesgerichts, HOLG 3131 E l f 2 1; zur Weigerung der Kriminalpolizei, Rechtsanwälte als Vertreter von Vorbeugehäftlingen zuzulassen (1940), vgl. Terhorst, S. 159 BA R 22/1079 Schreiben von Korn an den Vizepräsidenten des HOLG, Gaugruppenwalter, Richter und Staatsanwälte im NSRB Hamburg, vom 10. 8.38,/o/k, S. 158. In den von Korn kritisierten Fällen ging es um nach §175 StGB bzw. wegen Devisenvergehen Beschuldigte

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52. Vgl. auch Protokoll der Chefpräsidentenbesprechung im RMJ am 24. l. 39; Schneider (Hamm) führte dabei aus, manche Rechtsanwälte unterließen Haftbeschwerden, weil Schutzhaft drohe, BA R 22/1467. Das gleiche wurde mir von einigen ehemaligen Strafverteidigern, die ich zu ihrer Tätigkeit während der NS-Zeit befragte, mitgeteilt 53. Vgl. etwa Terhorst, S. 143, und Bros^at (1953), S. 395 54. S. u. S. 192ff 55. Der „Erlebnisbericht Werner Pünders", der auch Mitglied des Vorstandes der RAK Berlin war, ist abgedruckt in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1971, S. 420 ff 56. BA R 22/1467 57. Zu seiner (Surholts) Rolle in der Affare Griit^ner — Fraenkel in den letzten Jahren der Weimarer Republik: GStA Rep. 84a 20324 58. Handschriftlicher Entwurf Krit^ingers für ein Schreiben an den RMI vom 4. l. 35, BA R 22/1467 59. GStA Rep. 90P Nr. 66, Heft l, B1.55f 60. Vermerk vom 5. 7.35, BA R 22/1467 61. BA aaO 62. BA aaO 63. Handschriftlicher Vermerk vom Oktober 1935, BA aaO 64. Vermerk vom 28.11.35, BA aaO 65. S. u. S. 198ff 66. RGB1.1, 333 ff (334) 67. BA R 22/260 68. BA aaO 69. „Schwarzes Korps" 1942, Folge 25

Kapitel 5: „Fremdvölkische" als Verfahrensbeteiligte Fraenkels Begriff vom „Doppelstaat" ist hilfreich, wo es darauf ankommt, das Verhältnis von Justiz und Polizei im Nationalsozialismus zu erfassen. Die juristische Konzeption, die diesem Phänomen zugrundelag, oder besser: die darauf reagierte, nämlich die Aufgabe der rechtlichen Fiktion von der Gleichheit der Rechtssubjekte und der Allgemeingültigkeit der Rechtsnormen zugunsten eines Systems von Sonderrechten, wirkte sich auch innerhalb des normenstaatlichen Bereiches aus. Die rechtstheoretische Folie für diese Entwicklung lieferte der sog. Volksgemeinschaftsgedanke, ein zentraler Terminus in der nationalsozialistischen Vorstellungswelt vom Recht. Nicht jeder „Mensch schlechthin" sollte Träger von Rechten sein, sondern nur, soweit er „Glied einer sich im Recht ihre Lebensform gebenden Gemeinschaft, der Volksgemeinschaft"1 war. Nur als in der Gemeinschaft lebender, als „Volksgenosse", sollte der Mensch auch „Rechtsgenosse" sein, und: „Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist."2 Mit dieser Definition war aber nur eine Grundvoraussetzung der Rechtssubjektivität von nationalsozialistischen Gnaden umschrieben. Politisch haben Carl Schmitt, Ernst Huber und Ulrich Scheuner den Begriff gefaßt3. Nach ihrer Auffassung umschloß die Volksgemeinschaft nicht alle biologisch „artgleichen" Menschen, sondern unter ihnen nur diejenigen, die auch die „seelische Eigenart" des Deutschen, seine „innere Haltung und Gesinnung" teilten4. Für Werner Best gehörten hierzu nur die „positiv aufbauenden Kräfte des Volkes"5. An die Stelle der alten abstrakten Rechtsgleichheit trat nun ein abgestuftes System verschiedener „Gliedstellungen"6 innerhalb dieser Volksgemeinschaft. Differenziert wurde aber auch unter denen, die außerhalb ihrer standen. Sie sollten, jedenfalls zunächst, nicht etwa als völlig rechtlos gelten. Vielmehr genossen sie eine „beschränkte Rechtsfähigkeit" in dem Grade, wie sie ihnen von der Volksgemeinschaft zugestanden wurde7. „Sie wird gewährt, solange der Volksgast sich den im Gastgebervolk bestehenden Ordnungen fügt, seine Sitten und Gebräuche achtet und sich gegen das Lebensinteresse dieses Volkes in keiner Weise vergeht."8 Es wurde schon gezeigt, daß die Gerichte es der Polizei überließen, darüber zu befinden, wieviel Rechtsfähigkeit denen erhalten blieb, die nur aus politischen Gründen zu Gästen dieses Volkes wurden. Für die sog. Fremdrassigen, zunächst also Juden und Zigeuner, nach 1939 auch Polen, entwickelten Gerichte, Justizverwaltung und Anwaltsorganisationen selbst ein System von Rechtsverweigerungen, das die diskriminierenden Gesetze und VOen ergänzte. Für die Betrachtung der Geschichte anwaltlicher Strafverteidigung im NS ist dieses Sonderrechtssystem in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:

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— zum einen war die Stellung eines „nichtarischen" Anwaltes bzw. — wie es später hieß — „Konsulenten" oder „Advokaten" im Verfahren wesentlich schlechter als die seiner „arischen" Kollegen, — für den „arischen" Verteidiger eines „Fremdrassigen" wurden zum anderen aus der Organstellung weitreichende Konsequenzen gezogen. Er war nicht allein zu deutlicher Grenzziehung zwischen sich und dem Mandanten verpflichtet. Zuletzt sollte ihm eine Verteidigung überhaupt nur noch dann erlaubt sein, wenn dies im Interesse des Reiches geboten war. Diese Entwicklung erhellt, daß der Ausbau der Organstellung zuletzt mit dem Rechtsverlust des Beschuldigten einherging. Jüdische Anwälte Die DVO des Reichsjustizministers vom 2.10. 339 hatte den im Amt verbliebenen jüdischen Rechtsanwälten versichert, ihnen stünden ihre Berufsrechte und ihr Achtungsanspruch als Angehörige des Anwaltsstandes in vollem Umfang zu. Schon an anderer Stelle wurde geargwöhnt, daß diese DVO eher der Pflege deutschen Ansehens im Ausland zu dienen bestimmt war. Ihrem Geiste widersprach bereits eine AV des RuPrJM vom 14.12. 3410 betreffend die Auswahl von Armenanwälten. Darin wurde zwar der Grundsatz aufgestellt, daß bei der Bestellung des Armenanwaltes vom Wunsch der Partei auszugehen sei. Wo diese jedoch keinen äußere, sollte der Regel gefolgt werden, „daß eine arische Partei die Beiordnung eines arischen Anwalts erwartet." Freilich waren — trotz aller Boykottaufrufe — die Fälle häufig, in denen arische Parteien von jüdischen Anwälten vertreten werden wollten und daher solche als Armenanwälte beigeordnet erhielten. Dies erregte den Zorn jener Anwälte, die es ohnehin nicht gerne sahen, daß Juden überhaupt noch als Anwälte tätig sein durften. Sie wünschten, daß weiter nach den Grundsätzen verfahren werde, die etwa der PrJM in seinem schon erwähnten Erlaß vom 31. 3. 33n aufgestellt hatte, wonach die „berechtigten Auffassungen des deutschen Volkes" bei der Auswahl von Armenanwälten etc. zu berücksichtigen seien. Das hieß: jüdische Anwälte durften solche Mandate nicht erhalten. Schon am 26. 5. 33 hatte sich Rechtsanwalt Z., der Gauobmann des BNSDJ Groß-Berlin, an die Präsidenten der Berliner Gerichte gewandt, um sich darüber zu beschweren, daß von einigen Vorsitzenden wieder deutschen Parteien jüdische Anwälte als Offizial-Verteidiger, Armenanwälte oder Testamentsvollstrecker beigeordnet worden seien. Er meinte, dieses Verhalten sei als „bewußte Demonstration und Sabotage gegen die Maßnahmen der nationalen Regierung zur Wiederherstellung einer deutschen Rechtspflege anzusehen und bietet den untrüglichen Beweis dafür, daß der so handelnde Richter nicht rückhaltlos für den nationalen Staat i. S.d. §4 des Ges zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums eintritt. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen wird anstelle der Entlassung aus dem Amte nach §4 die Versetzung in ein anderes Amt von geringerem Rang nach § 5 in Frage kommen." Zugleich forderte er alle Mitglieder des BNSDJ auf, ihnen bekannt werdende Fälle „zwecks Einleitung des Entlassungsverfahrens zu melden."12

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Z.s Aufruf, der bedrohlicher klingt als er offenbar wirkte13, führte aber nicht dazu, daß die Berliner Gerichte ihre Praxis unverzüglich den Wünschen des BNSDJ anpaßten. Zwar gab es einige, die ihm folgten, und im Januar 1935 war es bereits die große Mehrheit der Kammern und Senate beim Landgericht und beim Kammergericht. Es blieben aber noch immer einige Abtrünnige14. Das gleiche uneinheitliche Bild bot sich in anderen Bezirken15. Die nationalsozialistischen Funktionäre der Anwaltschaft drängten daher weiter auf eine Übung, die ihrem Wunsch nach vollständiger Ausschaltung der jüdischen Kollegen entgegenkam. In Berlin brachte ein leitendes Mitglied des dortigen BSNDJ16 einen Anschlag im Anwaltszimmer an, in dem er seine „Berufsgenossen" aufforderte, ihm Fälle mitzuteilen, in denen Gerichte nichtarische Rechtsanwälte zu Prozeßvertretern für arische Parteien bestellt hätten. Gärtner verlangte die Entfernung des Anschlags, da „das hier den Anwälten nahegelegte Verfahren sachlich auf eine Überwachung des Gerichts hinausläuft, und damit dessen Ansehen sowie das für eine gesunde Rechtspflege unerläßliche Vertrauensverhältnis zwischen Gerichten und Anwaltschaft gefährdet." Wie wenig sogar eine Intervention des RMJ selbst geeignet war, den Säuberungsdrang der neuen Anwaltsfunktionäre zu bremsen, zeigt die Erwiderung des Anwalts, der nun Gürtner vorwarf, er verkenne das „Grundsätzliche nationalsozialistischer Politik"17. Auch andernorts wurde von Parteistellen18, Anwaltskammern19, Verwaltungsstellen20 die Forderung erhoben, von einer Beiordnung jüdischer Anwälte in jedem Fall abzusehen. Immer mehr Gerichte schlössen sich dem an21. Als Pflichtverteidiger wurden jüdische Anwälte nicht mehr beigeordnet22. Reichsjuristenführer Frank erklärte, deutsche Gesetze könnten durch jüdische Rechtsanwälte „niemals richtig angewendet werden."23 Dieser Entwicklung beugte sich im Dezember 1935 auch der RMJ. Er verfügte — unter Berufung auf die l. VO zum ReichsbürgerG vom 14.11.3524, die Juden das Bekleiden öffentlicher Ämter untersagte — die Gerichte hätten „bei Ausübung ihres Ermessens zu beachten, daß es nicht im Sinne dieser Regelungen liegen würde, Juden als Armenanwälte, Pflichtverteidiger etc. zu bestellen oder mit der Wahrnehmung ähnlicher Aufgaben zu betrauen."25 Durch eine ähnliche Entwicklung im Bereich anderer Gerichtsbarkeiten wurde ein Übriges getan, jüdischen Anwälten — entgegen der zitierten Erklärung Gärtners, sie seien wie ihre „arischen" Kollegen zu behandeln — die Existenzgrundlage zu schmälern, in vielen Fällen ganz zu entziehen.

Exkurs: Der Fall Fliess Wie es einem jüdischen Rechtsanwalt ergehen konnte, der selbst in die Mühlen nationalsozialistischer Strafjustiz geriet, zeigt das Schicksal des Rechtsanwaltes Fliess aus Magdeburg. Ernst Fliess, seit 1906 als Rechtsanwalt, seit 1920 als Notar in Magdeburg tätig, war ein Herr von beinahe sechzig Jahren, als er im Mai 1935 in einer Verband-

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lung vor dem Arbeitsgericht Magdeburg dem Rechtsanwalt Kuhlmey begegnete, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Anwaltskammer, Gauobmann des BNSDJ. Kuhlmey stellte zu Beginn der Verhandlung den Antrag, den Rechtsanwalt Fliess als Parteivertreter nicht zuzulassen. Es entspann sich darauf eine Auseinandersetzung, deren wörtlicher Verlauf in der Folgezeit die Magdeburger Justiz beschäftigen sollte. Der Rechtsanwalt Fliess wandte sich nämlich wenig später mit einer Beschwerde an die Anwaltskammer, in der er behauptete, der Rechtsanwalt Kuhlmey habe erklärt, er verhandele lieber mit einem Neger als mit einem Juden. Dabei stieß er sich besonders daran, daß Kuhlmey die „Neger" über die Juden stellte. Die Beschwerde wurde zurückgewiesen. Anstelle der Anwaltskammer nahm sich nun die Staatsanwaltschaft der Angelegenheit an. Ihre Ermittlungen richteten sich jedoch nicht gegen den Rechtsanwalt Kuhlmey sondern gegen den Rechtsanwalt Fliess. Gegen ihn wurde Anklage wegen wissentlich falscher Anschuldigung und Verleumdung des Rechtsanwaltes Kuhlmey erhoben. Die Hauptverhandlung fand vor der 5. Großen Strafkammer des LG Magdeburg statt. Dort behauptete Rechtsanwalt Kuhlmey als Zeuge, er könne unmöglich gesagt haben, daß er lieber mit einem Neger als mit einem Juden verhandele, denn es liege ihm fern, die Rasse der Neger zu beleidigen. Seine Äußerung löste Heiterkeit am Richtertisch und unter den anwesenden Zuhörern aus. Weiter erklärte er, seine damaligen Ausführungen seien lediglich grundsätzlicher Natur gewesen. Der Rechtsanwalt Fliess wurde zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten Gefängnis verurteilt. In seiner Begründung sprach das Gericht davon, Fliess habe in seiner Beschwerde bei der Anwaltskammer bewußt wahrheitswidrig den Eindruck einer ihm von Kuhlmey zugefügten Beleidigung hervorrufen wollen, indem er dessen Äußerung nicht nur falsch wiedergegeben, sondern sie aus ihrem Zusammenhang gerissen und ihr durch Unterdrückung der wesentlichen Begleitumstände eine andere Bedeutung gegeben hätte, als sie in Wahrheit gehabt habe. Strafverschärfend wertete es das Gericht, daß Fliess aus offensichtlicher politischer Gehässigkeit gegen einen Berufsgenossen in hervorragender Stellung in dieser Weise vorgegangen sei. Der Rechtsanwalt Fliess legte gegen das Urteil Revision ein. In einem Brief an seine Angehörigen, die Deutschland bereits verlassen hatten, schrieb er am 16. Januar 1936: „Die Sache ist nur halb so schlimm, und ich hoffe doch noch gerechtfertigt aus der Sache hervorzugehen und mit der Revision beim Reichsgericht Erfolg zu haben. Die Verhandlung vor dem Reichsgericht wird, wie ich annehme, Ende März oder im Laufe des April stattfinden. Meine Praxis baue ich nun schnell ab. Ich war, wie ich Euch schon in den letzten Monaten wiederholt schrieb, mit der Liquidation beschäftigt, weil ich die Bürokosten nicht mehr erschwingen konnte. Der oben geschilderte Vorfall zwingt mich nun, den Abbau noch zu beschleunigen."

Eine Entscheidung des Reichsgerichts im Fall Fliess ist nicht mehr ergangen. Am 29. Januar 1936 beging der Rechtsanwalt Fliess Selbstmord. In einer Mitteilung der Magdeburger Justizpressestelle hieß es:

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„Der Fall hat inzwischen seinen Abschluß dadurch gefunden, daß Fliess am 29. Januar Selbstmord verübt hat. Ob er den Selbstmord aus Bestürzung über den Ausgang des Strafverfahrens oder aus Furcht vor der Strafvollstreckung verübt hat, ist nicht geklärt."26

Der Ausschluß der Juden aus der Anwaltschaft Es dauerte verhältnismäßig lange, bis jüdischen Anwälten die Berufsausübung offiziell ausschließlich und endgültig untersagt wurde, wie es die anwaltlichen Standesfunktionäre immer wieder verlangten27. Nach der 5. VO zum ReichsbürgerG vom 27. 9. 3828 mußte sämtlichen noch in der Anwaltschaft verbliebenen Juden die Zulassung bis zum 1.12. 38 entzogen werden. Die Namen der Ausscheidenden füllten in den Mitteilungen der RRAK mehrere Seiten29. Die Zahl der zugelassenen Anwälte wurde auf einen Schlag um 16% reduziert30. Zur rechtlichen Vertretung von Juden wurden sog. Konsulenten zugelassen, allerdings gegen den Wunsch der RRAK, die einen ersatzlosen Ausschluß jüdischer Anwälte verlangte. Jüdische Mandanten sollten durch deutsche Rechtsanwälte vertreten werden31. In seinem Grußwort „Zum neuen Jahr" 1939 erklärte Neubert: „Durch das Ausscheiden der jüdischen Rechtsanwälte ist die Anwaltschaft endlich vom artfremden Einfluß ganz befreit und damit für die Erfüllung ihrer Aufgaben im nationalsozialistischen Staat bereit gemacht."32 Dem sollte nach Rechtsanwalt Werner Homanns Ansicht33 nun durch Verleihung des Hoheitszeichens sichtbar Ausdruck verliehen werden.

Die Anzahl der Konsulenten bemaß sich nach dem Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung im jeweiligen OLG-Bezirk, für den sie zugelassen wurden. In erster Linie sollten ehemalige Frontkämpfer berücksichtigt werden, die schwerkriegsbeschädigt waren. Der Präsident des HOLG erachtete dabei die Beteiligung an der „Niederwerfung kommunistischer Aufstände" dem Einsatz an der Front gleich34. Für ihre Tätigkeit konnten die Kosulenten zwar Gebühren nach den für Rechtsanwälte geltenden Bestimmungen liquidieren35. Davon verblieb ihnen jedoch nur ein geringer Teil36. Der Rest war an eine sog. Ausgleichsstelle abzuführen37, die für die Versorgung der augeschiedenen Anwälte, soweit sie Frontkämpfer gewesen waren, aufkommen sollte38. In ihrer Berufsausübung wurden die Konsulenten auch in anderer Hinsicht diskriminiert und behindert. Eine Robe durften sie nicht tragen. Schriftsätze waren neben der Unterschrift mit einer „Juden-Nummer" zu zeichnen. Die Gestapo beobachtete ihre Tätigkeit39. Dennoch gelang es einigen, durch engagiertes Auftreten selbst unter den widrigsten Umständen sich nicht nur den Respekt der (Straf-)justiz zu verschaffen, sondern deren Unmut durch ihre bisweilen erfolgreiche und öffentlichkeitswirksame Tätigkeit40 so sehr zu provozieren, daß sie nach Möglichkeiten suchte, jüdischen Konsulenten das Auftreten wenigstens in politischen Strafsachen zu untersagen. Bei der Vertretung und Verteidigung jüdischer Mandanten genossen die Konsulenten nämlich grunsätzlich die gleichen Rechte wie ein Anwalt. Insbesondere konnten sie nach §§11, 12 der 5. VO als Wahlverteidiger auftreten und zu Pflichtverteidigern bestellt werden. Das Gericht konnte zwar prüfen — wie bei jedem

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Anwalt —, ob bei dem Konsulenten eine Bestellung zum Offizialverteidiger wegen des Gegenstandes des Verfahrens oder aus anderen Gründen untunlich sei41. Eine Zurückweisung der gewählten Konsulenten war jedoch nicht zulässig. Freister regte daher bereits im Januar 1939 an, jüdische Konsulenten von der Verteidigung in Hoch- und Landesverratssachen sowie in Verfahren nach §§ 139 und 143a StGB auszuschließen42. Ihm folgte Neubert, der dem RMJ vorschlug, den Gerichten die Befugnis einzuräumen, Konsulenten in bestimmten Fällen als Verteidiger zurückzuweisen. Ihr Auftreten widerspreche „häufig den Interessen des Staates und der Rechtspflege und dem nationalsozialistischen Empfinden". Neubert dachte an Verfahren wegen Rassenschande, in Steuer- und Devisensachen, in Heimtücke- und in „allen Geheimsachen"43. Bereits drei Tage später schloß sich ihm Hölscher, der Präsident des Kammergerichts, mit inhaltlich nahezu identischer Begründung an. Für ihn schien die Zeit gekommen, einen alten Wunsch44 verwirklicht zu sehen. Er berief sich auf Berichte des Vizepräsidenten des LG Berlin sowie mehrerer „bewährter und erfahrener Vorsitzender von Strafkammern und des SG Berlin", die „allseitig" die Auffassung vertreten hätten, daß „die Ausschließung jüdischer Konsulenten aus der Strafrechtspflege anzustreben sei". Es sei als Mißstand empfunden worden, wenn etwa das Gericht in einem Rassenschandeverfahren über die Frage, ob der Angeklagte Jude i. S. d. 1. VO zum ReichsbürgerG sei, „Ausführungen der jüdischen Konsulenten entgegenzunehmen genötigt" sei. Auch das „aufdringliche" Befragen der deutschblütigen Zeugin nach ihren früheren geschlechtlichen Beziehungen und anderen privaten Angelegenheiten erregte Anstoß bei den Richtern. Ebenso Ausführungen zum Strafmaß, „die deutschem Volksempfinden und dem Grundgedanken des Gesetzes zum Schütze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre zuwiderliefen". Auch in Verfahren, in denen dem Verteidiger seine Akteneinsicht Einblick in geheimhaltungsbedürftige Vorgänge böte, sei das Auftreten von Konsulenten untragbar. Für den Fall, daß der gewünschte allgemeine Ausschluß der Juden aus der Strafrechtspflege nicht angezeigt sein sollte, schlug Hölscher vor, durch eine gesetzliche Bestimmung in allen Strafsachen gegen Juden die Wahl der Verteidiger nach dem Vorbild des VGH von der — widerruflichen — Genehmigung des Vorsitzenden abhängig zu machen. Der RMJ nahm diese Anregung auf, entschied sich aber gegen die Einführung einer besonderen Genehmigung der Verteidigung durch einen Konsulenten. Er ordnete statt dessen an45, daß der Vorsitzende zur Zurückweisung des Konsulenten befugt sei, „wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Gegenstand des Verfahrens geboten erscheint."46 Creifelds sah einen solchen Fall etwa dann eintreten, wenn in Verfahren wegen Meinungs- oder Sittlichkeitsdelikten „eine der deutschen Rechtsauffassung entsprechende Würdigung des Sachverhalts, der Rechtsfragen und der Strafzumessungsgründe von dem Konsulenten wegen seiner Rassezugehörigkeit in aller Regel nicht erwartet werden" könne.47 Eine Zurückweisung des Konsulenten als Verteidiger war auch während der Hauptverhandlung möglich48. Das Problem erledigte sich zuletzt durch die 13. VO zum ReichsbürgerG vom 1. Juli 194349. Sie überließ die Strafverfolgung von Juden ganz der Polizei. Eines Konsulenten als Strafverteidiger bedurfte es da nicht mehr.

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Die rechtliche Vertretung, insbesondere Verteidigung von Juden Besondere Regeln für die Vertretung, insbesondere die Verteidigung von Juden, wurde von den anwaltlichen Ehrengerichten sowie der NSDAP und ihren Unterorganisationen formuliert. Ein allgemeines Verbot für Parteimitglieder, jüdische Mandanten zu vertreten, ordnete der Stellvertreter des Führers am 16. 8. 34 an, sein Stabsleiter erneut am 8.10. 34 und der Reichsrechtsführer am 8.11. 3450. Den Funktionären des NSRB und der „Deutschen Rechtsfront" wurde durch die „Juden-VO" vom 2. 9.3551 bei Vermeidung ehrengerichtlicher Bestrafung verboten, Juden — d. h. „Personen, die weniger als 75% arisches Blut haben" —, zu vertreten. Von einer Ausweitung dieses Verbots wollte man zunächst absehen, um der deutschen Anwaltschaft die begehrten jüdischen Aufträge nicht zu entziehen52. Einfache Mitglieder des NSRB und der Deutschen Rechtsfront sollten sich allerdings „größte Zurückhaltung" in ihrem persönlichen und beruflichen Verhalten gegenüber Juden auferlegen. Obwohl die Juden-VO ihrem Wortlaut nach auf die Vertretung von Juden im Parteiprozeß gegen Deutsche beschränkt war, sollte sie auch für die Verteidigung gelten53. Der Beitrag, den die anwaltlichen Ehrengerichte zu dieser Entwicklung leisteten, wurde bereits an anderer Stelle gewürdigt. Die Frist, bis zu deren Ablauf am 30.11. 1938 die letzten jüdischen Anwälte ihre Zulassung verlieren sollten, war noch nicht abgelaufen, da ergriff der RM J bereits die Initiative, mit dem Ziel, die rechtliche Betreuung von Juden durch die verbliebenen „arischen" Anwälte generell auszuschließen54. Er schlug vor, die bereits bestehenden Anordnungen zu ergänzen und ein Verbot der Vertretung jüdischer Mandanten für alle Rechtsanwälte auszusprechen. Ausnahmen sollten in den Fällen gelten, „in denen auch bei Juden im öffentlichen Interesse oder im Interesse Dritter die Tätigkeit eines deutschen Rechtswahrers geboten erscheint." Für die Verteidigung dachte der Autor des Schreibens besonders an die Fälle, die vor dem VGH verhandelt wurden. Der Anregung des RMJ folgte am 19.12.38 zunächst Hess, der nun für alle Angehörigen der NSDAP, ihrer Gliederungen und der ihr angeschlossenen Verbände — u. a. des NSRB — das grundsätzliche Verbot aussprach, Judenmandate zu übernehmen. Davon sollten im Bereich der Strafverteidigung jedoch dann Ausnahmen zulässig sein, wenn ein Rechtsanwalt „vom Gericht im Interesse des Reichs mit einer Verteidigung vor dem VGH oder vor den Sondergerichten in Heimtückesachen beauftragt" werde55. Das Reichsrechtsamt der NSDAP erließ hierzu Ausführungsbestimmungen am 2.1. 193956. Der Präsident des RRAK erklärte die vom Stellvertreter des Führers erlassenen Bestimmungen allen Rechtsanwälten für verbindlich, da es „künftig nur noch eine Art von Rechtsanwälten (gibt), die in gleicher Weise dem Führer in Treue verbunden sind."57 Eine Äußerung des Präsidenten des 4. Strafsenates des KG zeigt, daß die nachgezeichnete Entwicklung auch in Richterkreisen mit Zustimmung verfolgt wurde: Er vertrat die Ansicht, die Vorschriften über die notwendige Verteidigung seien nach der Anordnung von Hess für Juden außer Kraft gesetzt58 und meinte, „es

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bedeutet für den Juden einen mehr als ausreichenden Schutz, daß er überhaupt vor einem deutschen Gericht stehen darf. Es würde m. E. genügen, ihn nach Begehung einer strafbaren Handlung der Unterstützung durch die Verwaltungs(Polizei-) Behörde auszuliefern, die dann nach den Grundsätzen der Sicherung der Volksgemeinschaft mit diesem Juden zu verfahren hätte."59 Polen Das sonderrechtliche Instrumentarium, das auf dem Gebiet anwaltlicher Vertretung von und durch Juden entwickelt worden war, wurde nach Eroberung und Besetzung von Polen auch auf die dort lebende Bevölkerung angewandt, die, sofern sie nicht zu den sog. Volksdeutschen zählte, ebenfalls als „rassisch minderwertig" galt. Zu differenzieren ist nach der Entwicklung in den sog. „eingegliederten Ostgebieten"60 sowie im „Generalgouvernement"61 (GG). Das Schicksal der polnischen Rechtsanwälte In den eingegliederten Ostgebieten verloren polnische Anwälte jüdischer Abstammung ausnahmslos ihre Zulassung, wurden interniert, zu Zwangsarbeit verpflichtet62. Die übrigen, nicht jüdischen wurden, sofern man sie nicht ins GG deportierte, einem strengen Zulassungsverfahren und politischer Kontrolle unterworfen. Diejenigen, die diese Auslese überstanden, erlangten jedoch lediglich eine konsulentenähnliche Stellung und hatten den Titel des „Advokaten" zu führen63. Als positives Zeichen der erwünschten Loyalität wurde in einem Fall vermerkt, daß ein polnischer Advokat es nicht versucht hatte, „die Interessen der Polen gegen deutsche Anordnungen wahrzunehmen"64. Zar^ycki^ gibt die Ergebnisse einer Untersuchung des Wojewodschaftsrates der Anwälte von Bydgos^c^ (ehemals Bromberg} aus dem Jahr 1960 wieder. Danach wurden von den 212 polnischen Anwälten, die am 1.9.39 in Bromberg zugelassen waren, 38 ins Konzentrationslager verschleppt, wo die Mehrzahl von ihnen verstarb, 22 nach der deutschen Invasion erschossen, andere umgesiedelt. Einige kamen in den Kriegs wirren um. Ein polnischer Rechtsanwalt, der eine vor dem SG angeklagte Polin — „faktisch", wie Zar^ycki66 schreibt, — verteidigte, dabei mehrere schriftliche Beweisanträge stellte, wurde wenig später verhaftet und in ein Konzentrationslager abtransportiert. In der Regel wurde polnischen Anwälten ein Auftreten vor den Sondergerichten nicht gestattet.67 Einige Ausnahmefälle ereigneten sich in Tborn66, wo der Sondergerichtsvorsitzende bisweilen polnische Anwälte zuließ. Dies führte zu einer Intervention des SD, der in seinen „Meldungen aus dem Reich" vom 5.4.194069 die „Empörung" eines deutschen Rechtsanwaltes aus Bromberg über das „Ansinnen" eines polnischen Kollegen kolportierte, der ihn gebeten hatte, gemeinsam mit ihm eine Verteidigung in einer Mordsache zu führen. Im Generalgouvernement galt die Zulassung der polnischen Anwälte zunächst als erloschen. Von den deutschen Dienststellen neu zugelassen wurde nur ein geringer Teil derer, die darum nachsuchten. In Warschau etwa wurden von 1400 Bewerbern 682 abgewiesen70. Auch hier war politische Unbedenklichkeit Zulassungsvoraus-

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Setzung, an deren Vorliegen man strenge Maßstäbe anlegte, da sich „in den Kreisen der polnischen Advokaten ... die schärfsten Gegner des Deutschtums befinden."71 Jüdische Anwälte wurden nicht wieder zugelassen72. Polnische Anwälte, die sich mit ihren jüdischen Kollegen solidarisierten und auf die Rechtswidrigkeit ihres Ausschlusses hinwiesen, wurden in einigen Fällen verhaftet und ins Polizeigefängnis oder ins KZ gebracht73. Verteidigung von Polen durch deutsche Anwälte Über die Tätigkeit deutscher Anwälte als Verteidiger angeklagter Polen in den eingegliederten Ostgebieten liegen detaillierte Informationen dank der Untersuchung von Zar^ycki1* vor. Er hat die Akten des Sondergerichts Bromberg u. a. daraufhin untersucht, in welcher Weise die Verteidiger Einfluß auf den Ausgang der Verfahren nahmen75. Bei Zarsyckis Arbeit handelt es sich um die einzige unter denen, die bislang über die Tätigkeit nationalsozialistischer Sondergerichte vorliegen, die sich nicht lediglich mit den ergangenen Urteilen sondern mit der Rolle sämtlicher verfahrensbeteiligter „Organe der Rechtspflege" befaßt. Ein pflichtgemäßes Engagement deutscher Verteidiger für ihre polnischen Mandanten stellte Zar^ycki nur in den Fällen fest, in denen die Anwälte als Wahlverteidiger auftraten. Sie stellten Beweisanträge, besuchten ihre Mandanten in der Haft und wagten es auch in solchen Fällen, in denen der Anklagevertreter hohe Freiheits- oder die Todesstrafe^) gefordert hatte, Freispruch zu beantragen76. Freilich kam es selten vor, daß ein Pole sich einen Wahlverteidiger nahm, ein Umstand, der, wie Zar^ycki11 meint, daher rührte, daß die Familien der Inhaftierten zumeist über deren Verbleib nicht orientiert waren. Zar^ycki76 berichtet allerdings auch von einem Fall, in dem der deutsche Rechtsanwalt Wittkowski als Wahlverteidiger eines Polen sich dem Antrag des Staatsanwaltes, der die Todesstrafe forderte, anschloß. In einigen Fällen geprägt von rassistisch gefärbter Feindseligkeit gegenüber den polnischen Angeklagten war dagegen das Verhalten deutscher Anwälte, die als Offizialverteidiger tätig wurden. In keinem Fall machten sie sich die Mühe, ihre Mandanten in der Haft aufzusuchen. Auch da, wo sich aus den Verfahrensakten ergab, daß Tatzeugen nicht gehört worden waren, versäumten sie es, weitere Ermittlungen zu veranlassen oder Beweisanträge in der Hauptverhandlung zu stellen. Sie beantragten auch nicht die Aufhebung von Haftbefehlen, obwohl den Beschuldigten ihr Recht auf mündliche Verhandlung über den Haftbefehl verwehrt wurde. Dagegen protestierte lediglich ein Staatsanwalt79. Die deutschen Rechtsanwälte Hübschmann, Hildebrandt, Wittkowski und Semrau, die häufig als Offizialverteidiger tätig wurden, sprachen, so Zar^ycki, während der Hauptverhandlung kein Wort mit den Angeklagten. Polen, die nach 1945 zu ihren Erfahrungen als Angeklagte vor deutschen Sondergerichten befragt wurden, berichteten, sie hätten nicht bemerkt, daß ein Verteidiger für sie im Saal anwesend gewesen sei80. Der Praxis der Gerichte, Aussagen deutscher Zeugen nicht ins Polnische zu übersetzen und den Angeklagten ein Frage- und Erklärungsrecht zu verwehren, traten diese Verteidiger nicht nur nicht entgegen, sie unterließen es auch, von sich aus Fragen an die Zeugen zu stellen. Sie ließen es ebenso geschehen, daß Angeklagten, die auf Mißhandlungen zur Erzwingung von Geständnissen hinweisen wollten, das

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Wort verboten wurde81. So kann es nicht erstaunen, daß ein ehemaliger Angeklagter nach 1945 das Spektakel als eine „Parodie einer Verteidigung" bezeichnete82. Die durch die PolenstrafrechtspflegeVO83 verbindlich gewordene Übung, polnische Zeugen nicht zu vereidigen, um ihre Glaubwürdigkeit herabzumindern, beförderten die deutschen Verteidiger schon vorher, indem sie — ebenso wie die Staatsanwälte — regelmäßig auf die Vereidigung von Polen verzichteten84. Sie stellten keine Befangenheitsanträge, obwohl die erklärte Voreingenommenheit des Sondergerichts dazu allen Anlaß gegeben hätte85. Sie paßten sich auch der Schnelligkeit der Verhandlung in der Kürze ihrer Plädoyers an. Beantragte der StA die Todesstrafe, so begnügten sich die Verteidiger häufig mit einem Antrag auf „gerechte Bestrafung" und zwar auch in solchen Fällen, wo das vom Anklagevertreter angenommene Delikt keine andere Strafe als die Todesstrafe zuließ. Der Rechtsanwalt Hildebrandt beantragte sogar in einem Fall explizit die Verurteilung eines von ihm „verteidigten" Angeklagten wegen Mordes. Selbst in solchen Fällen, in denen sich dem Aktenstudium zufolge erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten ergaben, wurde von den genannten Offizialverteidigern Freispruch nicht beantragt86. Daß es auch andere gab, beweist, daß ihr Verhalten keineswegs äußerem Zwang folgte. So fiel der Bromberger Rechtsanwalt Hoeppe in einigen Fällen durch sein engagiertes Auftreten als Offizialverteidiger auf. In einem Fall forderte er sogar Freispruch, wo der Staatsanwalt die Todesstrafe beantragt hatte. Ausnahmen von der geschilderten Regel bildeten auch drei Rechtsanwälte aus Thorn — Kohnert, Walter und Suhre — die allerdings vor dem Bromberger SG nur selten auftraten87. Als „unmenschlich" charakterisiert Zarsycki** das Verhalten vieler Offizialverteidiger von polnischen Jugendlichen. Nie sei es vorgekommen, daß ein solcher Anwalt in Fällen, in denen der Vertreter der Anklage die Todesstrafe für 14—16jährige Jungen oder Mädchen beantragte, die Anwendung von Jugendstrafrecht und damit eine mildere Bestrafung gefordert hätte. Vielmehr hätten auch in solchen Fällen die Schlußanträge der Verteidiger lediglich auf „gerechte Bestrafung" gelautet. Daß solches Verhalten der Verteidiger nicht etwa einem passiven, phlegmatischen Naturell geschuldet war, zeigt das Beispiel des Rechtsanwaltes Pascbotta89, der sich für angeklagte Mitglieder des deutschen „Selbstschutzes" vehement engagierte und dabei so weit ging, sich beim OLG Dan^ig über den Vorsitzenden des SG und den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu beschweren, weil sie kein Verständnis für die Mordtaten der Selbstschutzmitglieder an der polnischen Bevölkerung aufgebracht hätten. In seiner Beschwerde forderte Pascbotta die Ersetzung des Vorsitzenden und des Staatsanwaltes, deren Tätigkeit, wie er vortrug, zu schweren Schäden für das Deutschtum führen werde. Derselbe Rechtsanwalt Paschotta als Offizialverteidiger dreier Polen — unter ihnen zwei Jugendliche — begnügte sich, nachdem der StA die Todesstrafe für alle beantragt hatte, mit einem Antrag auf „gerechte Bestrafung".90 Das engagierte Auftreten deutscher Rechtsanwälte als Wahlverteidiger für Polen führte zu Beschwerden der Gerichte. So wandte sich der Präsident des LG Grauden^ an den OLG-Präsidenten von Dan^ig, um über den Rechtsanwalt Schmidt Klage zu führen, der ihm durch sein entschiedenes Eintreten für polnische Angeklagte

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wiederholt — sogar in politischen Strafsachen — unangenehm aufgefallen war91. Auf der Ebene der Parteiführung und des RMJ kamen seit dem Sommer des Jahres 1940 Bestrebungen in Gang, das Auftreten deutscher Anwälte als Wahlverteidiger von Polen in den „eingegliederten Ostgebieten" generell zu unterbinden. Bei diesem Bemühen spielte auch die Befürchtung eine Rolle, mit der Tätigkeit der Wahlverteidiger könnte eine unerwünschte Solidarisierung von Deutschen und Polen einhergehen. Noch im Juni 1940 sprach sich Neubert^2·, der Präsident der RRAK, in einem Schreiben an das RRAmt dafür aus, deutschen Anwälten die Verteidigung von Polen zu gestatten. Er sah in dem Problem eine „weniger rechtliche als politische Frage". Solange der Gesetzgeber Polen als Rechtssubjekte anerkenne, sei ihre anwaltliche Vertretung statthaft und geboten, sofern nur dafür Sorge getragen werde, daß nicht einzelne deutsche Rechtsanwälte „zu polnischen Landesbewohnern durch eine Häufung von Vertretungsaufträgen in ein zu enges Vertrauensverhältnis treten." Was Neubert noch 1933 angesichts der Aufgaben der politischen Polizei befürwortet hatte, das erschien ihm nun, im Jahr 1940, als das Sonderrecht längst zur Regel geworden war, „nicht länger erträglich", daß sich nämlich „in einem Teil des Deutschen Reiches Gebiete erhalten, in denen die Verwaltung gleichsam reichsrechtsfrei schaltet, weil in einem solchen Zustand nicht nur Gefahren für Charakter und Zucht der Beteiligten, sondern auch für den Rechts- und Ordnungssinn des ganzen deutschen Volkes liegen." Neuberts Ansicht wollte der RMJ durch eine RV an die zuständigen Behörden Geltung verschaffen93, die jedoch nach Intervention von Hess zurückgehalten wurde94. Das RRAmt versuchte durch einen Kompromiß zu helfen, indem es die Vertretung von Polen vor den Gerichten in den eingegliederten Ostgebieten dann für zulässig erklärte, wenn es sich um Polen nicht jüdischer Abkunft handelte; für jüdische Polen sollten die im übrigen Reichsgebiet geltenden Regeln für die Vertretung von Juden gelten. Dieser Standpunkt des RRAmtes wurde in den MdRRAK 40,85 publiziert. Hierauf erfolgte ein Dementi von Bormann^. Bereits am 23.12.1940 beantwortete der Präsident der RRAK die Anfrage eines Berliner Rechtsanwaltes, ob er als Wahlverteidiger für Polen in Hoch- und Landesverratssachen auftreten dürfe damit, daß die freiwillige Übernahme der Verteidigung von Polen „nicht erwünscht" sei96. Abschließend geklärt wurde das Problem mit Einführung der PolenstrafrechtspflegeVO vom 4.12.41, die für Polen in den „eingegliederten Ostgebieten" galt97. Verfahrensrechtlich erweiterte sie die Befugnisse des Staatsanwaltes. Er entschied weitgehend über das zuständige Gericht, durfte allein Rechtsmittel einlegen, welches Recht dem angeklagten Polen oder Juden genommen war. Der durfte auch keine Befangenheitsanträge stellen. Verhaftung und vorläufige Festnahme waren stets zulässig, sofern dringender Tatverdacht vorlag. Im Vorverfahren hatte der Staatsanwalt alle Zwangsmittel. Das deutsche Strafverfahrensrecht war nur noch die Grundlage, auf der Gericht und StA das Verfahren nach freiem Ermessen gestalteten. Zugleich sah die PolenstrafrechtspflegeVO die Einrichtung von Standgerichten im eigentlichen Sinn vor. Neuberts Frage, ob Polen als „Rechtsgenossen" zu behandeln seien, war damit beantwortet: sie waren es nicht mehr. Der Präsident der RRAK ordnete daher an,

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daß deutsche Rechtsanwälte keine Wahlverteidigungen mehr übernehmen dürften, da dies dem Sinn der PolenstrafrechtspflegeVO widerspreche98. Von Bedeutung waren für diese Entscheidung, wie es im RMJ hieß, auch fürsorgliche Erwägungen gegenüber den Anwälten, die „vor Konflikten geschützt werden sollten, die sich bei freier Wahl durch die Polen und einer sich hierbei leicht ergebenden wiederholten Betreuung desselben Anwalts namentlich auch für diesen ergeben könnten."99 Hinter dieser Sorge standen Fälle, in denen deutsche Anwälte in den Verdacht der Zusammenarbeit mit polnischen Widerstandskreisen geraten waren. Solche wurden auch noch nach der Anordnung des Präsidenten der RRAK vom 21.5.42 bekannt, die offenbar nicht immer befolgt wurde. Der Präsident des OLG Königsberg, Draeger, beschwerte sich am 21.12.42 bei Neubert über einen Berliner Rechtsanwalt, der 19 polnische Widerstandskämpfer in einem Hochverratsprozeß verteidigte100 — und zwar, wie aus einem Schreiben Draegers an den RMJ vom 23.1.43101 hervorgeht, mit Genehmigung des Vorsitzenden des Strafsenates, der auch der Präsident der RRAK beigepflichtet hatte. In den Augen des OLG-Präsidenten war dies ein empörender Vorgang, der zu „unmöglichen Zuständen" führe in einem Augenblick, da das deutsche Volk seinen „schwersten Existenzkampf ausfechte. Er hielt es grundsätzlich für „unmöglich, daß ein deutscher Rechtswahrer für einen Polen auf milde Strafe plädiert, während der andere deutsche Rechtswahrer über denselben Sachverhalt ein strenges Urteil fällt ... Der Pole muß die starke Hand des Deutschen fühlen ...", nicht nur zu Kriegszeiten, da schon zum gegebenen Zeitpunkt feststehe, daß „die Deutschen im Verhältnis zu den Polen die Herren bleiben werden." Auch die ökonomischen Folgen, die das Verbot, Wahlverteidigungen von Polen zu führen, für manche deutschen Anwälte mit sich brachte, ließ Draeger nicht als Gegenargument gelten. Möge dies auch zur Schließung von Anwaltsbüros in einigen kleinen Orten führen, so habe dies die deutschsprachige Bevölkerung doch hinzunehmen, zumal ein Anwalt ohnehin unter den gegebenen Bedingungen entbehrlich sei. „Gerade, wenn ein Anwalt fehlt, wird das Volk unmittelbar den Weg zum Richter finden und das Vertrauen zu ihm eher erwerben." Der Fall jenes Berliner Verteidigers, der dem OLG-Präsidenten Anlaß zu seinen Reflektionen über die Daseinsberechtigung von Rechtsanwälten gab, war kein Einzelfall. Dies ergibt sich daraus, daß Neubert an das Verbot der Wahlverteidigung von Polen wegen „zahlreicher Verstöße" im September 1942102 erinnern mußte. Am 31.12.42 teilte er mit, daß es auch für polnische Schutzhäftlinge gelte103. Für notwendig hielt das RMJ die Verteidigung eines Polen, der der PolenstrafrechtspflegeVO unterlag, durch einen deutschen Offizialverteidiger nur noch dann, wenn „es ganz besondere Gründe zur Wahrung der deutschen Belange rechtfertigen."104 Die sah es lediglich dann berührt, wenn deutsche ökonomische Interessen auf den Spiel standen, nämlich in den Fällen, in denen „wegen der strafrechtlich verfolgten Handlung des Polen die Inanspruchnahme eines Deutschen, eines deutschen Unternehmens oder einer deutschen Versicherungsgesellschaft zu erwarten ist, dessen tatsächlicher Sachverhalt besonders schwierig ist und zu seiner Aufklärung die Mitwirkung eines Rechtsanwalts sachdienlich erscheinen Über die Verteidigung von Polen durch deutsche Rechtsanwälte im Generalgouvernement liegen Untersuchungen von der Genauigkeit der zitierten Zaryckis leider

Anmerkungen

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nicht vor. Majer kommt vorsichtig zu dem Ergebnis, daß die deutschen Gerichte im GG verglichen mit denen in den eingegliederten Ostgebieten verhältnismäßig zurückhaltend urteilten106. Ähnlich ist der Eindruck, den Nollauwl in seinen Erinnerungen an seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Krakau vermittelt. Anders als in den eingegliederten Ostgebieten wurde im GG, für das die PolenstrafrechtspflegeVO nicht galt, die Wahlverteidigung von Polen nie förmlich untersagt. Dennoch waren Anwälte, die nach dem Verbot in den eingegliederten Ostgebieten freiwillig die Verteidigung von Polen im GG übernahmen, Vorwürfen und Anfeindungen ausgesetzt108. Der Geist der PolenstrafrechtspflegeVO, wonach Polen nicht Rechtsgenossen der Deutschen waren, verbot es nach Ansicht des RMJ allerdings auch, die Wahlverteidigung von Polen aus dem GG, die vor dem VGH angeklagt waren, zu gestatten109. Für die Pflichtverteidigung von Polen vor SGen im GG galt ohnehin die „aufgelockerte" Regelung des § 6 der VO über die Sondergerichte im GG vom 15.11. 39, wonach dem Beschuldigten ein Verteidiger nur zu bestellen war, „soweit dies tunlich" erschien110. Zu berücksichtigen ist jedoch der Umstand, daß die Sondergerichte für Widerstandshandlungen gegen die Besatzungsgewalt lediglich subsidiäre Zuständigkeit im Verhältnis zu den Standgerichten von SS und Polizei besaßen. Diese hatten nach § 11 Abs. 2 der sog. GewalttatenVO solche Verfahren an die SGe abzugeben, die wegen des Umfangs oder Schwierigkeit der Beweisaufnahme nicht zur Aburteilung im standgerichtlichen Verfahren taugten111. Die Entscheidung hierüber stand im Ermessen des Standgerichts112. Die sog. Standgerichte der Sicherheitspolizei arbeiteten in Abwesenheit der Angeklagten geheim, ohne einen Verteidiger zuzulassen. Bisweilen kam es vor, daß nicht nur der Angeklagte, sondern auch das Sondergericht, vor dem er — in Unkenntnis des standgerichtlichen Verfahrens — ebenfalls angeklagt wurde, nicht wußten, daß bereits ein Todesurteil vom Standgericht gesprochen worden war113. Anmerkungen 1. Larenz, S. 241 ff 2. Larens^, aaO 3. Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933; Ernst Huber; Vom Sinn der Verfassung, 1935; Ulrich Scheuner, Die nationale Revolution, Archiv für Öffentliches Recht, Neue Folge, Bd. 24 (1934), S. 166 ff und S. 261 ff 4. Scheuner aaO, S. 273; ders., Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 99 (1939), S. 245 ff (275 f) 5. Best, JbAkDR 37, 132 ff 6. Laren^, aaO 7. Laren%, aaO 8. Ernst Wolf, Archiv für Rechtsphilosophie, Bd. 28, 1934/35, S. 348 ff, 360 f 9. RGB1.I, 699 10. DJ 34, S. 1572 11. S. oben S. 36f 12. GStA Rep. 84a 6334, Bl. 184; vgl. auch Berliner Tageblatt Nr. 268 vom 10.6.33. Die Zeitung kommentierte ihre Meldung mit den Worten: „Nachdem durch das

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13. 14. 15. 16.

17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

24.

Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 Anwaltsgesetz die Arierfrage genau geregelt ist, scheint uns die Eingabe des NSJuristenbundes, Gau Berlin, überflüssig zu sein; sie ist nur geeignet, Unruhe in die Reihen der Richterschaft zu tragen und dadurch den Aufbau der Rechtspflege zu beeinträchtigen." Vgl. Berliner Tageblatt, aaO Schreiben des Rechtsanwalts K., Berlin, vom 23.1.35, BAR 22/263, an das RMJ Schreiben des Rechtsanwalts K. aaO Rechtsanwalt Hercher, später stellvertretender Präsident der R AK Berlin (vgl. MdRRAK 39, S. 33), Vorsitzender des 1. Senates des EGH (MdRRAK 41,5) und zum Justizrat ernannt Der Vorgang ergibt sich aus einer Stellungnahme Hercher s vom 26. 2. 35, BAR 22/263 Etwa durch das Rechtsamt der NSDAP, Gau Westfalen-Süd, vom 7.5.35 betr. die Beiordnungspraxis des OLG Hamm, BA aaO Vorstand der R AK Köln vom 7.3.35 an den OLG-Präsidenten von Köln betr. die dortige Beiordnungspraxis, BA aaO RMJ, Abteilung Baden-Württemberg vom 30. 3. 35, BA aaO KG vom 25.1.35, JW35, 1039; OLG Frankfurt/Main, JW34, 1509; OLG Hamm vom 23. 3.35, JW 35, 1446; OLG Naumburg vom 5.7.35, JW 35, 2216 f LG Berlin, 7. Große Strafkammer, Beschluß vom 20.6.35, JW35, 2393 DR 35, S. 471; gegen eine Beiordnung jüdischer Anwälte sprach sich Noack in JW35, S. 679 aus; vgl. auch seine gleichlautende Auffassung in seinem Kommentar zur RRAO, Anm. 6 zu § 41 RGB1.I, 1333

25. AV des RMJ vom 19.12.35, DJ35, 1858 26. Zusammengestellt nach Unterlagen des Verstorbenen, die mir Frau Dr. Edith LilienfeldFliess freundlicherweise zur Verfügung stellte, sowie Artikel aus dem Pariser Tageblatt, 4. Jahrg., Nr. 766, der Jüdischen Rundschau, Berlin, vom 14. 2. 36, sowie dem „Neuen Tagebuch" vom 22.2.36; die Zeitungsmeldungen sprachen davon, Rechtsanwalt Fliess habe sich im Magdeburger Gerichtsgebäude erschossen. In Wahrheit vergiftete er sich in seiner Wohnung 27. Zuletzt im April 1938, vgl. Schreiben von Schlegelberger an die Reichskanzlei vom 12.4.38, der mitteilte, die Anwaltschaft wünsche eine Entfernung der bisher in ihren Stellungen belassenen jüdischen Anwälte, BAR 43II1535 28. RGB1.I, S. 1403; Durchführungsbestimmungen in JW38, S. 2797 ff 29. MdRRAK 38, S. 218 ff 30. Majer, Fremdvölkische, S. 231 f 31. Vermerk über ein Gespräch Schlegelbergers mit Vertretern der Anwaltschaft am 5.4. 38, BA R 22/253; so auch Creifelds, Einführung zur 5. VO zum ReichsbürgerG vom 27. 9. 38 "32. MdRRAK 39, S. l 33. MdRRAK 39, S. 83 34. Dennoch wog in seinen Augen der militante Antikommunismus politische Bedenken gegen einen Antragsteller nicht auf, während er einen Schwerkriegsbeschädigten ehemaligen Frontsoldaten zuließ, obwohl dieser „in politischer Hinsicht mehrfach bekannt geworden (war), unter anderem wegen Beleidigung des Reichsministers Dr. Göbbels", Mitteilung von Inspektor Gotische, Gestapo, an den OLG-Präsidenten von Hamburg vom 25.11.38, HOLG 3712/1 35. § 14 Abs. l der 5. VO 36. § 14 Abs. 2 5. VO; die Berechnung ergab sich aus der AV vom 13.10. 38, DJ 38, S. 1665, II. l. 37. §14 Abs. 3 5.VO 38. § 5 5. VO; ein Anspruch auf Unterstützung nach dieser Vorschrift bestand freilich nicht

Anmerkungen 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58.

59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82.

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Vgl. U. Beer (Berkowitz) S. 69 ff Vgl. U. Beer, S. 72 ff Vgl. Greifelds, Einführung zur DVO Vermerk von Vogels vom 16.1.39, BAR 22/1079 Schreiben an RMJ vom 24.9. 39, BA R 22/253 S. o. S. 85f In der DVO vom 12. Juni 1940, RGB1.I, S. 872 § l der DVO Creifelds, Anm. 3 zu § l DVO §3 DVO RGB1.I, S. 372 Kalter, S. 32 Zit. n. Noack, RRAO, S.290f Vgl. Nr. 3 der „Juden-VO" Kalter, S. 33 Schnellbrief vom 25.11.38 an den Stellvertreter des Führers, den Präsidenten der RRAK u. a., BA R 22/1079 MdRRAK 39, S. 2 MdRRAK, aaO MdRRAK, aaO Nach einem Schreiben des Generalstaatsanwalts beim KG an den RMJ vom 13.1.1939, BAR 22/1079 BA aaO Geschaffen durch Führererlaß vom 8.10. 39, RGB1.1, 2042 Zu dessen Einrichtung und Bedeutung als „Muster der zukünftigen Kolonien" vgl. Majer, Fremdvölkische, S. 459 ff Majer, Fremdvölkische, S. 306 f Majer, Fremdvölkische, S. 407 Bericht des LG-Präsidenten von Graudenz an den OLG-Präsidenten von Danzig vom 23.12. 1940, BAR 22/259 Zarycki, 1976, S. 158 und S. 159 Fn. 13 Zarycki aaO Zarycki, S. 157. Aufweicher Rechtsgrundlage das geschah, wird nicht mitgeteilt. Offenbar galten insoweit auch die für die Konsulenten entwickelten Grundsätze Zarycki, S. 158 IfZ MA 441/1 751187 Majer, Fremdvölkische, S. 545 Bericht der Abteilung Justiz im Distrikt Warschau, März 1940, zit. n. Majer aaO, Anm. 10 Majer, Fremdvölkische, aaO Majer, Fremdvölkische, S. 546 Zarycki, 1976 Seine Untersuchung beschränkt sich allerdings auf die Verfahren, die sich mit den Ereignissen in Bromberg 1939 befassen Zarycki (1976), S. 168 Zarycki (1976), S. 156 Zarycki (1976), S. 162 Zarycki (1976), S. 156 ff Zarycki (1976), S. 159 Zarycki (1976), aaO Zarycki (1976), aaO

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83. RGB1.I, 1941, S. 759 84. Zar^ycki (1976), S. 160 85. Dazu näher Zar^ycki (1976), S. 161 und in seiner (deutschsprachigen) Zusammenfassung, S. 209 86. Zarsycki (1976), S. 162 ff 87. Zar^ycki (1976), S. 165 88. Zar^cki (1976), S. 166 89. Zanycki (1976), S. 167 f und 167, Fn.37 90. Zar^ycki (1976), S. 168 Fn.39 91. Zar^ycki (1976), S. 169 92. Schreiben an das RRAmt vom 5.6.1940, BAR 22/266 93. Entwurf vom 17. 7.1940, B A aaO 94. Vermerk vom 24. 7.1940, B A aaO 95. Schreiben an den RMJ vom 12.2.41, BAR 22/267 96. BAR 22/267 97. RGB1.I, 1941, 759 98. MdRRAK 42, S. 39 99. Vermerk vom 25.4. 44, BA R 22/270 100. BAR 22/257; vgl. auch IfZ PS 672 101. IfZ PS 672 102. MdRRAK 42, S. 52 103. MdRRAK 42, S. 66. Darauf mag sich auch Güstrows Erinnerung (Güstrow, S. 210) beziehen, der von einer Anordnung des RMJ berichtet, wonach deutsche Rechtsanwälte zur Vertretung ausländischer Staatsangehöriger sowie Fremdvölkischer nur mit besonderer Genehmigung befugt sein sollten. 104. RV vom 21.5.42, BAR 22/257 105. RV vom 3.8.42, hier zit. n. HOLG 3170 - l c5/6 106. Majer, Fremdvölkische, S. 880 ff 107. Nollau, S. 62 108. Nollau, S. 73 109. Vermerk vom 25.4. 44, BA R 22/270 110. Zit. n. Majer, Fremdvölkische, S. 873 111. Majer, Fremdvölkische, aaO 112. Majer, Fremdvölkische, S. 873 f 113. Nollau, S.46f

Kapitel 6: Reformen von Gerichtsverfassung und Strafprozeß von 1933 bis 1935 Die „nationalsozialistische Revolution", auch von Juristen oft und inbrünstig beschworen, ging mit dem Strafverfahren zunächst zurückhaltend um. Der „Kampf um die Seele des Richters", den Hugo Marx1 gegen Ende der Weimarer Republik ausbrechen sah, wurde mit Behutsamkeit geführt. Die Reformer standen der Richterschaft mit respektvoller Skepsis gegenüber. Marx' Einschätzung, das Richtertum habe sich, besonders in den unteren Instanzen, „als in starkem Maße volksverbunden erwiesen", wurde auch von der konservativen Seite — wenn auch unter entgegengesetzter politischer Wertung — geteilt. Dahm und Schaffstein warnten daher davor, die Richtermacht zu festigen. Für eine Übergangszeit, „in der sich der Richter auf das neue Strafrecht umzustellen hätte", empfahlen sie eine Einengung des richterlichen Ermessens. Denn die staatlichen Organe der Strafrechtspflege seien „den staatlichen Notwendigkeiten nicht in vollem Umfange Rechnung zu tragen geneigt"2. Die gleiche Auffassung vertrat Henkel noch im Jahr 19353. Man sieht daran, wie spröde sich Richter und Staatsanwälte gegenüber den Versuchen ihrer politischen Läuterung erwiesen. Bei näherem Hinsehen gereicht ihnen dieser Umstand freilich nicht unbedingt zum Kompliment. Denn das Entgegenkommen, das die Justiz besonders dort zeigte, wo es darum ging, das nationalsozialistische Rassedenken zu sanktionieren, läßt sich danach nicht als etwa verständliche Reaktion auf „totalitären" Zwang oder gar „Terror" exculpieren. Der neue Staat scheute die abrupte Konfrontation mit seiner Justiz. Das galt freilich nicht für diejenigen Richter und Staatsanwälte, auf die das Gesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" Anwendung fand, also für die jüdischen und diejenigen, die „nicht die Gewähr dafür boten, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten."4 Diejenigen jüdischen Richter, die zunächst im Amt blieben, wurden durch Umverteilung der Geschäfte aus der Strafrechtspflege entfernt 5 . Das G vom 7. 4. 336 erklärte die laufende Wahlperiode der Schöffen und Geschworenen zum 30. Juni 1933 für beendet. Parallel ordnete — in Hamburg — Justizsenator Rothenberger am 13.4. 33 an, ab sofort „von der Einberufung jüdischer und marxistischer Schöffen, Geschworenen und Handelsrichter ... abzusehen."7 Der Einfluß der NSDAP auf die Auswahl der Laienrichter wurde mit dem G vom 13.12.34 festgeschrieben8. Um ihrer politischen Gegener habhaft werden zu können, bedurften die Machthaber zunächst keiner weiteren tiefgreifenden Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz. Ihren Interessen genügte die fortschreitende Ausweitung polizeilicher Kompetenzen, besonders zur Verhängung sog. Schutzhaft jenseits oder neben

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justizieller Kriminalitätsbekämpfung. Für politische Strafsachen wurde überdies eine gesonderte Gerichtsbarkeit geschaffen: der Volksgerichtshof, zuständig vor allem für Hoch- und Landesverratssachen, und die Sondergerichte, zunächst mit bescheidenen Kompetenzen (zu diesen Gerichtstypen siehe die gesonderten Abschnitte, unten S. 133ff).

Eingriffe in die Gerichtsverfassung Am traditionellen Justizkörper wurden allerdings einige Veränderungen personeller und organisatorischer Art vorgenommen. Sie betrafen die Besetzung der politischen Schlüsselpositionen und die Einflußnahme auf die Gerichtsverfassung. Die Gerichtspräsidenten wurden, wo sich nicht bereits willfährige vorfanden, durch zuverlässige ersetzt. Das mußten nicht unbedingt Mitglieder der NSDAP sein, wie etwa das Beispiel des Hamburger OLG-Präsidenten Engel, vormals Mitglied der DVP, zeigt9. Die politischen Strafsenate der Oberlandesgerichte wurden sogar bevorzugt mit Senatspräsidenten ausgestattet, die nicht der nationalsozialistischen Partei angehörten und daher besonderen Eifer an den Tag legten, wo es galt, politische Gefolgschaftstreue unter Beweis zu stellen. Über Eingriffe in die Präsidialverfassung der Gerichte sicherte sich die Justizverwaltung wachsenden Einfluß auf die Verteilung der Geschäfte. Zunächst wurden die Präsidien verkleinert, wodurch die Bedeutung des Präsidenten zunahm10. Für bestimmte Gerichte, besonders die unteren, erlangte der Präsident des Landgerichts mit der VO vom 20.3.35n die alleinige Befugnis, den Geschäftsverteilungsplan aufzustellen. Zugleich nahm der Einfluß des Reichsjustizministeriums zu, in dem die Justizverwaltung nach ihrer „Verreichlichung"12 zentralisiert war. Im November 1937 ging die Befugnis, den Richter und seinen Aufgabenkreis zu bestimmen, nach Abschaffung der Präsidien ganz auf das Reichsjustizministerium über13. Fälle, in denen Richter zwangsweise von ihren Aufgaben entbunden wurden, sind nur in geringer Zahl überliefert. Die institutionelle Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit zeitigte wenig praktische Folgen. Daneben wurden auf der Ebene inhaltlicher Beeinflussung — sieht man von der Schulungsarbeit des NSRB ab, der Thierack 1942 ihr völliges Versagen attestierte14 — zaghafte Versuche unternommen, der „Seele des Richters" näher zu kommen. Sie führten jedoch nicht weit. Der Präsident des OLG Jena und, ihm folgend, der Präsident des Hanseatischen OLG unternahmen es im Jahr 1935, nationalsozialistischen Geist durch den Erlaß sog. Anregungen zur Rechtspflege in der Justiz zu verbreiten.15 Eine Ausweitung auf die Rechtsanwälte war geplant. Offenbar ist dieser Versuch am Desinteresse seiner Zielgruppen (Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte) gescheitert. Jedenfalls finden sich in den Akten der Hamburger Justizverwaltung keine weiteren Spuren. Erst die sog. Lenkungsmaßnahmen des Jahres 1942 (Vor- und Nachschau; Richter- und Rechtsanwaltsbriefe) griffen diesen Gedanken wieder auf (dazu unten S. 184ff).

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Hatte sich die Justizverwaltung über die Geschäftsverteilung einen gewissen äußeren Einfluß auf die Rechtsprechung reserviert, so blieb die Unabhängigkeit des Richters in seiner Entscheidung doch unangetastet. Seine Stellung im Prozeß wurde durch die Reformen des Strafverfahrensrechts bis 1935 wesentlich gefestigt. Die Erweiterung der Richtermacht war das wichtigste Anliegen der ersten Phase der Strafprozeßreform — ich will sie hier die „autoritäre" Phase nennen —, die die Novelle vom 28. Juni 1935 abschloß. Danach rückte der Staatsanwalt in den Mittelpunkt des Interesses. Der Eifer der Reformer betätigte sich zunächst vornehmlich auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts. Zwar wurde auch zur Reform des Strafverfahrensrechts bereits im Herbst 1933 eine ministerielle Kommission eingesetzt16. Korrekturen an der StPO hatten jedoch vorerst keine Eile. Hier galt Gerlands11 Diktum, es könne „kein Vernünftiger leugnen, daß auch der autoritäre Staat mit unserem herrschenden Strafprozeß entsprechend arbeiten kann." Denn dieser habe den — nun bekämpften — Individualgedanken „nur mit großer Zurückhaltung durchgeführt." Die ersten Veränderungen brachten die Einführung des Sicherungsverfahrens18 und die Beseitigung des Haftprüfungsverfahrens 19 . Zugleich wurden die Fälle notwendiger Verteidigung auf diejenigen erweitert, in denen die neu geschaffene Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt, die Sicherungsverwahrung oder Entmannung oder auch die Untersagung der Berufsausübung zu erwarten war20. Erst die Novelle vom 28. Juni 193521 versuchte eine umfassendere Reform des Strafprozesses. Sie ergänzte das Gesetz „zur Änderung des Strafgesetzbuchs" vom selben Tag22 auf prozessualem Gebiet. Schon die bloße Tatsache ihrer Existenz bedeutete ein Zugeständnis an die konservative Richterschaft. Die seit 1933 angekündigte grundlegende Reform des Strafverfahrens konnte und sollte mit der Novelle nicht gemeint sein. Daß sie dennoch verabschiedet wurde, zeigt das Gewicht des Widerstands konservativer Kreise in der Justiz gegen eine radikale Umwälzung. Lehmann2* verteidigte den gefundenen Kompromiß mit dem Erfordernis, daß sich der Aufbau des Rechts „organisch ..., nicht durch plötzlichen und radikalen Bruch mit allem, was bisher gewesen ist", vollziehen müsse. Offenbar war die Justizverwaltung bemüht, das Mißtrauen der Richter gegenüber dem „neuen Staat" auszuräumen. So bewirkte die Novelle besonders einen Ausbau der Machtposition des Richters im Hauptverfahren. Das Urteil konnte — wie auch die Anklage — auf die analoge Anwendung der geltenden Strafnormen gestützt werden24. „Zur Vermeidung ungerechter Freisprüche" sollte auch die Einführung der Wahlfeststellung taugen25. Das Reichsgericht wurde bei der Entscheidung über eine Rechtsfrage von der Bindung an früher ergangene Urteile befreit26. Um die richterliche Rechtsfortbildung auf dem Gebiet analoger Anwendung geltender Strafgesetze voranzutreiben, räumte die Novelle dem Staatsanwalt — nicht aber dem Beschuldigten — das Recht ein, neben der Berufung auch noch Revision einzulegen. Das Beweisrecht geriet unter den inquisitorischen Grundsatz, daß das Gericht „von Amts wegen alles zu tun (hat), was zur Erforschung der Wahrheit notwendig ist"27. Damit war allerdings nur ausgesprochen, was den deutschen Strafprozeß seit Bestehen der StPO als oberster Grundsatz beherrscht hatte, den man zuvor

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aus §155 Abs. 2 StPO ableitete. Daneben wurde die durch NotVO vom 14.6.32 geschaffene Regelung in die StPO aufgenommen, wonach in allen Verfahren, für die zwei Tatsacheninstanzen zur Verfügung standen, die Beweiserhebung im freien Ermessen des Gerichts stand28. § 245 Abs. 2 StPO führte für die Gerichte, die einzige Tatsacheninstanz waren, in abschließender Aufzählung die Gründe an, nach denen sie einen Beweisantrag ablehnen durften: Wenn seine Erhebung unzulässig oder wegen Offenkundigkeit überflüssig war, wenn die zu beweisende Tatsache bedeutungslos oder bereits erwiesen war, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder wenn es unerreichbar war, der Antrag lediglich zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt wurde oder wenn eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden sollte, so behandelt werden konnte, als wäre die behauptete Tatsache wahr. Auch das war lediglich eine Gesetz gewordene Zusammenfassung der Judikatur des Reichsgerichts in Strafsachen29. Wie es von selten der preußischen Richter und Staatsanwälte bereits 1932 gefordert worden war (in ihren oben erwähnten „Denkschriften"), fiel nun das Verbot der reformatio in peius. Damit war es dem Richter erlaubt, vom vorinstanzlichen Urteil auch dann zu Lasten des Angeklagten abzuweichen, wenn nur er oder die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel eingelegt hatten. Das gleiche galt für das Wiederaufnahmeverfahren30. Ein weiterer Haftgrund wurde eingeführt31. Der Beschuldigte sollte auch dann in Untersuchungshaft genommen werden dürfen, wenn die Besorgnis bestand, daß er die Freiheit zur Begehung weiterer strafbarer Handlungen mißbrauchen werde. Bemerkenswert ist Lehmanns Begründung dieser Vorschrift. Er sieht sie in der Kontinuität der Entwicklung, die die Sicherungsverwahrung hervorbrachte, und bemerkt weiter: „Die Anlehnung des Gesetzes an die Gedanken, die zur Einrichtung der Schutzhaft geführt haben, ist deutlich erkennbar."32 Neben diesem Machtzuwachs des Richters, nahm sich der des Staatsanwaltes eher bescheiden aus. Zwar beförderten einige „auflockernde" Regelungen — Einführung der Analogie, Wahlfeststellung — auch seine Bewegungsfreiheit. In dem Abschnitt des Strafverfahrens, zu dessen Herrn ihn die spätere Diskussion ausersah, im Vorverfahren, blieben die Zwangsmittel jedoch in der Hand des Richters. Die Zweiteilung des künftigen Strafverfahrens zeichnete sich aber bereits in der Abschaffung der notwendigen Voruntersuchung ab. An verborgener Stelle brachte deren Neuregelung überdies eine für das Bild vom unabhängigen Richter unerhörte Neuerung: Beantragte der Staatsanwalt die Voruntersuchung, so mußte der Richter sie durchführen. Damit trat zum ersten Mal in der Geschichte der StPO ein Richter in Erscheinung, der der Justizverwaltung bei einer bestimmten richterlichen Handlung Gehorsam schuldete. Niethammer sprach 1940, zu einer Zeit, als in der Rechtslehre die positive Haltung zu den Reformen der ersten Jahre einer distanzierten Skepsis wich, vom „großen Ernst dieses Vorganges", der die Entscheidung über den Antrag „des Staatsanwaltes zum Verwaltungsgeschäft" gemacht habe33. Mit dieser Vorschrift war ein Zeichen für die weitere Entwicklung gesetzt, über das der richterzentrierte Charakter der Novelle nur vorübergehend hinwegtäuschen konnte. Dem Richter entstand ein Rivale, der sich in den folgenden Jahren anschickte, ihn zu überflügeln.

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Mit der Novelle war die autoritäre Phase der Strafprozeßreform beendet. Besonders wird dies daran augenfällig, daß der Programmpunkt „autoritäre Justiz" unter den vier Grundsätzen, die die Reformkommission im RMJ aufgestellt hatte, 1935 gestrichen wurde. In den Akten des Reichsjustizministeriums findet sich dieser Begriff in den folgenden Jahren nicht mehr. Auch die Literatur mied ihn fortan34. Exkurs: Sondergerichte und Volksgerichtshof Auf dem Gebiet politischer Strafjustiz wurden erste Korrekturen bereits am 28. 2. 33 — Beseitigung der notwendigen Voruntersuchung im Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats35 — und am 18.3.33 — Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses in solchen Verfahren — vorgenommen36. Sondergerichte hatte vor der „Machtergreifung" zuletzt die NotVO vom 9.8.32 37 eingeführt und in ihrer Verfahrensordnung obligatorische Voruntersuchung und Eröffnungsbeschluß beseitigt. Diese Sondergerichte, von vielen Seiten heftig bekämpft, wurden nach vier Monaten wieder aufgelöst38. Die Kritik hatte etwa vorgebracht: „Die Sondergerichte verhängen wegen verschiedenster Vergehen teilweise schwerste Zuchthausstrafen. Es kommt hinzu, daß, wenn Strafverfahren vor die Sondergerichte gebracht werden, was im wesentlichen fast der Willkür der zuständigen Staatsanwaltschaft anheimgestellt ist, dem Angeklagten jeder zweite Rechtszug, in dem der Sachverhalt, der der Anklage zugrunde gelegt ist, nachgeprüft werden könnte, genommen ist. Trotzdem pflegen die Sondergerichte häufig Verteidiger nicht von Amts wegen zu bestellen, während in alle Schwurgerichtssachen nach dem Gesetz Verteidiger bestellt werden müssen. Bei der außerordentlichen Höhe der von den Sondergerichten verhängten Strafe, und bei der Unmöglichkeit, den festgestellten Tatbestand in einem weiteren Rechtszug nachzuprüfen, bedeutet das eine Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten, die das Gefühl beim Angeklagten, daß er sich in einem ordentlichen Rechtsverfahren befindet, zu beeinträchtigen oder sogar auszuschalten geeignet ist."

So hieß es in einem „Urantrag" der Fraktion der NSDAP im Preußischen Landtag vom 21.10. 1932, unterzeichnet u.a. von Roland Freister.'*'* Die hier vertretene Auffassung hat die Führer dieser Partei gehindert, kurz nachdem sie die Macht erlangt hatten, selbst Sondergerichte einzurichten40, gegen deren Urteile der Angeklagte keine Rechtsmittel einlegen konnte, und es zuletzt völlig ins Ermessen des Staatsanwaltes zu stellen, welche Sachen vor ihnen verhandelt wurden41. Immerhin war die Verteidigung — wie es die NSDAP im zweiten, oben nicht zitierten Teil ihres Antrages gefordert hatte — vor den nationalsozialistischen Sondergerichten bis 1940 stets notwendig42. Eine Regelung, die unter nationalsozialistischen Juristen umstritten war: Rothenberger, damals noch Justizsenator in Hamburg, regte bereits am 11. 4. 33 beim RMJ an, die Bestellung eines Pflichtverteidigers im sondergerichtlichen Verfahren dem Ermessen des Vorsitzenden anheimzustellen. Die gefundene Lösung belaste die Staatskasse zu sehr43. Andere begrüßten sie als notwendigen Ausgleich für die Nachteile, die der Angeklagte durch die besonderen Verfahrensvorschriften erlitt, die vor dem Sondergericht galten und die der Beschleunigung des Verfahrens dienen sollten. Hier waren — wie es bereits in Verfahren wegen Hoch- und Landesverrat eingeführt worden war — Voruntersuchung und Eröffnungsbeschluß beseitigt44. Letzterer

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war durch die Anordnung der HV ersetzt, die der Vorsitzende verfügte. Hatte er Bedenken, entschied das Gericht. Mit dieser Möglichkeit war freilich nicht ein Weg gegeben, den beseitigten Eröffnungsbeschluß de facto wieder einzuführen. Denn der Beschluß des Gerichts durfte vom Vorsitzenden nur in eng begrenzten Fällen herbeigeführt werden45. Die Ladungsfrist betrug drei Tage und konnte bis auf 24 Stunden verkürzt werden46. Seit 193947 mußte das Sondergericht sofort zur „Aburteilung" schreiten, „wenn der Täter auf frischer Tat betroffen ist oder sonst seine Schuld offen zutage liegt." Die Erhebung von Beweisen blieb dem Ermessen des Gerichts überlassen. Es konnte Beweisanträge ablehnen, wenn sie ihm für die Aufklärung der Sache nicht erforderlich erschienen48. Die Ablehnung eines Richters war zulässig, nicht aber die seines Vertreters49. Gegen Entscheidungen des Sondergerichts war ein Rechtsmittel nicht zulässig50. Allerdings war die Wiederaufnahme erleichtert51, ihre Voraussetzungen jedoch sehr unklar umschrieben. Sie sollte zugunsten des Verurteilten auch dann stattfinden können, „wenn Umstände vorliegen, die es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren nachzuprüfen." Über Wiederaufnahmeanträge entschied die Strafkammer am Sitz des Sondergerichtes. War einer erfolgreich, kam die Sache zur erneuten Verhandlung vor eine Strafkammer des LG. Als die Zahl erfolgreicher Wiederaufnahmen seit Kriegsbeginn stark anstieg52, plante man, die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag dem Gericht zu übertragen, das in der Sache entschieden hatte. Dieses Vorhaben wurde jedoch nur in Ansätzen verwirklicht53. Die Kompetenzen der Sondergerichte waren zunächst bescheiden. Sie wurden zwar kontinuierlich erweitert54, ihre Tätigkeit beschränkte sich jedoch bis Kriegsbeginn faktisch auf die Verfolgung sog. „Heimtücke"-Vergehen55, kritische oder bloß abfällige Äußerungen über den nationalsozialistischen Staat bzw. die Partei und deren Funktionäre. Nach einer Auswertung von Akten des Sondergerichtes München56 lag das Strafmaß dort bis 1939 zumeist im Bereich von 1 — 6 Monaten. Strafen von über 12 Monaten waren verhältnismäßig selten. Die Todesstrafe wurde nicht verhängt, obwohl die Strafgewalt des SG sie nach dem G zur Abwehr politischer Gewalttaten vom 4.10.33 auch umfaßte. Die VO vom 20.11. 193857 ermächtigte die Anklagebehörde dazu, Verbrechen, die zur Zuständigkeit des Schwurgerichts oder eines Gerichtes niederer Ordnung gehörten, vor den Sondergerichten anzuklagen, wenn die sofortige Aburteilung nach ihrer Meinung in Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat oder auf die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung geboten schien. Damit war der erste Schritt getan, die Sondergerichte funktional in die Arbeit der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit einzugliedern. Die Entwicklung setzte die VereinfachungsVO vom 1.9. 3958 fort, die in § 19 die Ermächtigung der Staatsanwaltschaft, vor dem Sondergericht Anklage zu erheben, auch auf Vergehen ausdehnte. Voraussetzung sollte nur noch sein, daß die Anklagebehörde „der Auffassung ist, daß durch die Tat die öffentliche Ordnung und Sicherheit besonders schwer gefährdet wurde." Der Staatsanwalt konnte damit sehr weitgehend über die Verteidungsmöglichkeiten des Angeklagten verfügen, da er durch die Wahl des Gerichtes darüber entschied, ob dem Angeklagten ein Rechtsmittel zu Gebote stand und ausreichend Zeit, sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Bei der

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drastischen Verkürzung der Ladungsfristen vor dem Sondergericht — zuletzt bis auf Null — hatte er dafür wenig Gelegenheit. Die Entwicklung wurde in der juristischen Literatur mit großer Skepsis aufgenommen. Zum einen weckte der erhebliche Machtzuwachs des Staatsanwaltes Bedenken, der seit §19 der WO allein über die Zuständigkeit des Richters entscheiden konnte59. Zum ändern schien es mit dem Gebot der Gerechtigkeit unvereinbar, daß wegen der gleichen Straftat ein Täter vor dem ordentlichen Gericht mit seinen verfahrensrechtlichen Privilegien und ein anderer vor dem Sondergericht angeklagt werden konnte60. Von der Möglichkeit, sich der Sondergerichte zu bedienen, wo immer es opportun erschien, die sich die Justizverwaltung durch ihre VOen geschaffen hatte, machte sie in der folgenden Zeit großzügigen Gebrauch, so daß die Sondergerichte zuletzt zu den wichtigsten Gerichten in der Strafjustiz anvancierten. Hatten sie vor Kriegsbeginn nur einen geringen Teil der anfallenden Strafsachen behandelt61, so stieg ihr Anteil in den Kriegsjahren beträchtlich62. Zugleich ging die Zahl der Freisprüche im Verhältnis zu den Verurteilungen erheblich zurück63. Der Präsident des Hamburger LG, Korn, stellte im Juli 1943 fest: „Das Volk fürchtet das Sondergericht ... Das Volk fürchtet auch die hohen Strafen des Sondergerichts, die häufig einer scharfen Kritik unterzogen werden, aus der Unkenntnis der Staatsnotwendigkeit ... Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Sondergerichte in der Anschauung des Volkes ihre Vorzugsstellung behauptet haben."64

Besondere Bedeutung erlangten die Sondergerichte wegen der Verfahrensbeschleunigung, die ihre Prozeßordnung erlaubte. Von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, drängte das RMJ die Richter besonders seit Kriegsbeginn. Freister erinnerte in einer RV vom 21.2. 194065 an den standgerichtlichen Charakter als Wesensmerkmal der Sondergerichte und wies in der Folgezeit die Generalstaatsanwälte an, immer weitere Delikte vor dem Sondergericht anzuklagen66. Am 12. Januar 1942 verfügte das RMJ 67 , zwischen Anklageerhebung am Sondergericht und Hauptverhandlung dürften keinesfalls mehr als 14 Tage verstreichen. Bereits diese Verfügung führte dazu, daß eine einigermaßen ordnungsgemäße Vorbereitung der Verteidigung nahezu unmöglich wurde, weil in vielen Fällen nicht einmal mehr eine Akteneinsicht durch den Verteidiger erfolgen konnte. Terminverschiebungen lehnten die Vorsitzenden ab68. Nach einer Verfügung vom 16. 6.42 sollten nach Luftangriffen Plünderer, die von der Polizei ergriffen und an die StA „ausgeliefert" worden seien, „wenn Tat und Schuld aufgeklärt sind, am selben Tag angeklagt werden und ... am selben Tag das Urteil des Sondergerichts ergehen".69 Letztlich führte diese Beschleunigung dazu, daß Anklageschriften gar nicht mehr zugestellt wurden, sondern der Staatsanwalt Anklage mündlich in der Hauptverhandlung erhob70. Die Zahlen, die oben wiedergegeben wurden71, zeigen, welche Bedeutung die Sondergerichte für die forensische Tätigkeit der Verteidiger in den Kriegsjahren gewannen, zumal in den vor ihnen verhandelten Verfahren — bis 1940 — die Verteidigung stets notwendig war. Gerade die Verfahrensordnung des Sondergerichts, die Große Freiheit der Berufsrichter, brachte den Typus des fanatischen Vorsitzenden hervor, der sich — nicht nur — gegenüber dem Verteidiger als wütender Autokrat gebärdete, wie es

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von den drei im Nürnberger Juristenprozeß angeklagten ehemaligen Sondergerichts-Vorsitzenden überliefert ist: — von Cuborst (Sondergericht Stuttgart), der gegenüber seinen Beisitzern den Standpunkt vertrat, ein fähiges Gericht bedürfe keines Verteidigers, da es selbst in der Lage sei, auch entlastende Momente zu berücksichtigen72. — von Rothaug (Sondergericht Nürnberg), der meinte, es handele sich bei der Verteidigung um eine überflüssige Erscheinung73, Beweisanträge „grundsätzlich" ablehnte74, die Ausführungen des Verteidigers unterbrach und ihn mit Strafanzeigen überzog75. — oder von Oeschey (Nachfolger Rothaugs in Nürnberg), der Verteidiger in der Hauptverhandlung beschimpfte76 und — wenn der Verteidiger nach solcher Brüskierung den Sitzungssaal verließ — auch ohne Verteidigung weiterverhandelte. Die Sondergerichte waren häufig Schauplätze heftiger Zusammenstöße zwischen Gericht und Verteidigung und zogen auch wegen politisch unerwünschter Äußerungen der Verteidiger die Aufmerksamkeit von Justiz- und Parteistellen, besonders des SD, auf sich. Von selten der Justizverwaltung wurde bereits im August 1936 gefordert, die beim Volksgerichtshof geltende Regelung, wonach das Auftreten des Verteidigers in jedem Verfahren von der Zustimmung des Vorsitzenden abhängig war, auch auf die Sondergerichte zu übertragen77. Diese Anregung nahm der SD auf und forderte das gleiche im Anschluß an kritische Äußerungen über „Entgleisungen" von Strafverteidigern vor dem Sondergericht in seinen „Meldungen aus dem Reich" vom 12. 2. 194078 und vom 23. 7. 194279. Eingeführt wurde eine solche Regelung nie. Die Große Freiheit des Gerichts brachte es mit sich, daß Verhandlungsklima und Härte der Urteile bei den Sondergerichten — jedenfalls bis Kriegsbeginn — stark differierten. In Bayern war zur NS-Zeit die Ansicht verbreitet, das Sondergericht München sei „milder" als das in Nürnberg80. Daß die Münchener Urteile verhältnismäßig mäßig waren, ergibt sich aus der oben zitierten Darstellung von Hüttenberger. Damit scheint München aber nicht die Regel gewesen zu sein. Denn in einer Anfrage des Reichsrechtsamtes der NSDAP bei den Gaurechtsämtern vom 8.6. 193781 hieß es, die Urteile der Sondergerichte würden „wegen ihrer allzu großen Schärfe und Strenge von dem Volke nicht verstanden. Wiederholt haben Gauleiter und stellvertretender Gauleiter dem Reichsleiter des Reichsrechtsamtes und dem Unterzeichneten gegenüber ihren Unwillen über die oft unverständlich harte Rechtsprechung der Sondergerichte Ausdruck gegeben."82 In Frankfurt am Main entwickelte sich — auch dies eine Konsequenz der Großen Freiheit — zwischen Verteidigern, Sondergerichts-Vorsitzendem und einem medizinischen Gutachter eine Zusammenarbeit, die einige angeklagte Antifaschisten vor der Gestapo-Haft bewahrte. Zum Abschluß dieses Abschnittes ein Auszug aus dem Protokoll eines Gesprächs mit einem Frankfurter Rechtsanwalt. Es zeigt, daß Geschick und Fortune es dem Verteidiger immerhin ermöglichen konnten, die Kehrseite der Machtstellung, die die autoritäre Justiz dem Gericht einräumte,

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nämlich ihre Unberechenbarkeit, zum Vorteil des Mandanten zu wenden. Das macht die Sache freilich nicht besser: „Bei den Sondergerichten war es bei uns so, daß wir bis zum Kriegsanfang Vorsitzende von den Sondergerichten hatten, die in einer geradezu vorbildlichen Weise versucht haben, das Schlimmste abzuwenden. Das ging soweit, daß man einverständlich einen Mann, der sich in irgendeiner Weise gegen den — ich darf es einmal zitieren — „den Führer und seine herrliche Bewegung" — vergangen hatten, mit Hilfe eines ebenso antifaschistisch gesinnten Medizinalrats für den § 51 Abs. 2 präparierte und die Sondergerichte dann unter Anwendung des § 51 Abs. 2 relativ milde Strafen verhängten. War das eine mehr oder weniger abgesprochene Sache? Ja. Das war nicht mehr oder weniger, das war abgesprochen. Die Sondergerichtsvorsitzenden wußten ja genau, wer in dieser Hinsicht absolut zuverlässig war, mit wem man da also offen reden konnte. Und das ist deswegen besonders bemerkenswert, weil die Herren LG-Direktoren, die an unseren Sondergerichten bis zum Kriegsanfang tätig waren, alle Leute waren, die politisch in der damaligen politischen Palette in der Mitte oder rechts von der Mitte standen. Es waren also keineswegs Sozialdemokraten oder Leute, die erkennbar politisch links standen. Im Gegenteil, es waren gerade — was ja politisch besonders aufschlußreich war — entweder rechtsliberal oder konservativ eingestellte Richter. . . . Wenn ich einen solchen Mann vor dem Sondergericht zu vertreten hatte, dann hat man sich mit dem Medizinalrat in Verbindung gesetzt und dann hat der gefragt: ist das ein anständiger Kerl oder ist das ein Nazi und danach wurde das Gutachten gemacht. Bewußt um dem Mann zu helfen. Und das ist auch häufig passiert? Das passierte in Dutzenden und Aberdutzenden von Fällen. Und da die Gestapo im Lauf der Jahre die Praxis eingeführt hatte, nach Verfahrenseinstellung oder Freisprüchen die Leute, die in der Haft waren, nicht etwa freizulassen, sondern zu verhaften, hat man in bewußter — wenn Sie so wollen — Rechtsbeugung mit den Richtern ausgemacht, daß z. B. ein Bibelforscher oder ein Adventist oder ein Wehrdienstverweigerer symbolisch mit drei Monaten bestraft worden ist, damit er dann nach den drei Monaten auch auf freien Fuß kam und nicht von der Gestapo an der Tür abgeholt wurde. Denn die standen bei jeder Sondergericht-Sitzung mit dem braunen „Rücküberführungsschein" vor der Tür. Und wenn jemand freigesprochen wurde und die Haft wurde aufgehoben, der wollte also freudestrahlend sich mit seiner Familie wiedervereinigen, dann haben die gesagt: „Nix gibts. Nacherziehung. KZ!"83

Der Volksgerichtshof Ein weiteres Sondergericht, ein besonderes, das die nationalsozialistische Justiz schuf und 1936 zum ordentlichen Gericht erklärte, war der Volksgerichtshof84, eingerichtet durch G vom 24.4.3485 und zuständig — neben anderem — für Hoch- und Landesverratsachen, die bis 1934 vor dem Reichsgericht verhandelt wurden. Standen die Sondergerichte in einer Tradition autoritärer Justiz, die sich bis in die Anfangsjahre der Weimarer Republik zurückverfolgen läßt, so brachte der Volksgerichthof eine neue Qualität in das Strafverfahren86. Hier konnten die Senate mehrheitlich mit Laien besetzt werden; es durften drei gegenüber minde-

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stens zwei Berufsrichtern sein, zu denen allerdings der Vorsitzende zählte87. Besonders Freister favorisierte den Volksgerichtshof bei seinen Überlegungen zur Neugestaltung der Strafjustiz. Er schlug vor, das Gericht zum Reichsstrafgericht auszubauen und damit dem RG sämtliche Strafsachen zu entziehen88. Auch für die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit im Bereich der Schwerstkriminalität wünschte Freister Gerichte, die überwiegend mit Laien besetzt sein sollten, als sichtbarer Ausdruck der Verwurzelung der Strafrechtspflege im Volke. Für die Entscheidung sollte allerdings das Führerprinzip gelten. Das hieß nach Freisler. der Vorsitzende durfte nicht überstimmt werden.89 Auch die Berufung der Mitglieder war für die Sondergerichte und den VGH unterschiedlich geregelt. Die Richter am Sondergericht wurden vom Präsidium des Landgerichts in dessen Bezirk es seinen Sitz hatte, bestimmt. Ihre Auswahl war daher ein justizinterner Vorgang90. Die Mitglieder des VGH wurden dagegen vom Reichskanzler selbst auf Vorschlag des RMJ — und zwar lediglich für fünf Jahre — ernannt91. Während aber die späteren Reformen des Strafverfahrens und der Gerichtsverfassung, insbesondere seit Kriegsbeginn, den Strafprozeß mehr und mehr dem Vorbild der Sondergerichte anglichen, blieb der Volksgerichtshof eine Ausnahmeerscheinung. Auch bei ihm wurde zuletzt das zahlenmäßige Übergewicht der Berufsrichter über die Laien hergestellt92.

Verteidigung vor dem Volksgerichtshof Bei der Beseitigung von obligatorischer Voruntersuchung und Eröffnungsbeschluß in Hoch- und Landesverratssachen blieb es auch nach deren Übergang in die Zuständigkeit des VGH, der beide prozessuale Einrichtungen nicht kannte93. Eine Novität war die Regelung, die für die Verteidigung gefunden wurde. Die Wahl des Verteidigers bedurfte der Zustimmung des Vorsitzenden, die noch in der HV zurückgenommen werden konnte94. Auch diese Bestimmung sollte bereits vor Gründung des VGH in Verfahren gegen mutmaßliche Hoch- und Landesverräter eingeführt werden. Im Preußischen Justizministerium kursierte der Entwurf einer RV, die es den Gerichten in solchen Verfahren aufgeben bzw. gestatten sollte, Verteidiger zurückzuweisen, deren Auftreten mit dem Wohl des Reiches nicht vereinbar sei95. Hier blieb es jedoch beim Entwurf. Die für den VGH eingeführte Regelung trägt die Handschrift Freislers. Er wollte sie auch im Bereich der ehemaligen Schwurgerichte, die nach seiner Vorstellung in „Blutbanngerichte" umbenannt werden sollten, eingeführt wissen, um eine Handhabe gegen „gewissenlose Verteidiger" zu besitzen, die die von Freister entwickelte Dramaturgie des Verfahrens durch unsachliche Äußerungen stören könnten96. Obwohl — wie dargelegt — verschiedentlich die Ausweitung der Bestimmung zumindest auf die Sondergerichte gefordert wurde, blieb sie als Ausnahmeerscheinung dem Volksgerichtshof vorbehalten.

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Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Genehmigung der Wahl des Verteidigers wurden Anfragen an die Rechtsanwaltskammer gerichtet. Hierzu wurde ein Formular verwendet mit dem Inhalt: „Zwecks Entscheidung gem. § 3 des Art. IV des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 bitte ich um baldgefl. Äußerung über die Persönlichkeit und Berufsauffassung des vorgenannten Rechtsanwalts sowie über seine politische Einstellung."97 Nachdem es von Seiten der Partei zu Beanstantungen dieser Praxis gekommen war, da man politische Stellen bei der Entscheidung nicht genügend berücksichtigt glaubte98, ordnete Freisler, zu diesem Zeitpunkt noch Staatssekretär im Reichsjustizministerium, am 22. November 1937 eine Korrektur des Textes an, dessen Schluß fortan lautete: „... bitte ich um Äußerung darüber, ob dem Rechtsanwalt nach seiner Persönlichkeit und seiner Berufsauffassung eine Verteidigung in den zur Zuständigkeit des Volksgerichtshofs gehörenden Sachen anvertraut werden kann."99 Fälle, in denen die Wahl des Verteidigers nicht genehmigt wurde, hat es gegeben100. In dem Verfahren gegen die Attentäter des 20. 7.44 sowie ihre Unterstützer und Sympathisanten wurden Wahlverteidiger grundsätzlich nicht zugelassen101. Die Offizialverteidiger wurden einer Liste entnommen, die beim VGH geführt wurde. Ihre Zusammenstellung ging auf Empfehlungen der Anwaltskammern zurück. Ein Antrag des betroffenen Rechtsanwalts war nicht erforderlich, Mitgliedschaft in der NSDAP keine Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste102. Die Liste enthielt drei Kategorien von Verteidigern103: Eine große Gruppe ohne näher bezeichnete politische Qualitäten (Liste A)104 sowie eine kleine Gruppe Advokaten, Liste B, die für Verhandlungen in Fällen vorgesehen waren, „in denen besondere politische Zuverlässigkeit des Verteidigers erforderlich ist." Sie waren in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erst enthielt fünf „Rechtsanwälte, welche sich nur für diese Sonderfalle zur Übernahme von Verteidigungen bereit erklärt haben, denen im übrigen die Übertragung von Offizialverteidigungen vor dem VGH nicht erwünscht ist. Sie sind daher auf der allgemeinen Liste A nicht verzeichnet." Unter ihnen war der Präsident der RRAK, Justizrat Neubert. Die zweite Gruppe umfaßte ebenfalls fünf Rechtsanwälte, die auch auf der Liste A geführt wurden und „für besonders vertrauliche Fälle in Betracht kamen, unter ihnen Rechtsanwalt Hereher, der Verteidiger von Elias. Für die Verteidiger am VGH galten besondere Geheimhaltungsvorschriften, die ihnen, sofern sie sich ihnen unterwarfen, eigene Ermittlungen nahezu unmöglich machten. Für Landesverratssachen wurde im Oktober 1936 ein Merkblatt herausgegeben, das den Verteidigern bei ihrer Bestellung zum Pflichtverteidiger bzw. bei ihrer Zulassung als Wahlverteidiger ausgehändigt wurde. Im Oktober 1938 wurde es überarbeitet und durch ein weiteres ergänzt, das für Verteidiger in Hochverratssachen bestimmt war105. In der zuletzt geltenden Fassung106 untersagte das Merkblatt für Verteidiger in Hochverratssachen dem Anwalt die Fertigung von Abschriften der Anklageschrift. Er mußte sie nach Schluß der Hauptverhandlung zurückge-

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ben. Alle eigenen Aufzeichnungen, die den wesentlichen Inhalt der Strafsache betrafen, hatte er zu vernichten. Kontakte mit anderen Personen als dem Angeklagten selbst durfte der Verteidiger nur mit Einverständnis des Vorsitzenden des Gerichts bzw. — im Vorverfahren — der Reichsanwaltschaft aufnehmen. Strenger noch waren die Bestimmungen in Landesverratssachen107. Schriftstücke, die dem Verteidiger in solchen Verfahren zugingen, hatte er möglichst in einem Panzerschrank aufzubewahren. Kontaktaufnahme mit anderen Personen als dem Angeklagten selbst war lediglich unter den in Hochverratssachen gelten Bedingungen erlaubt. Mit Ausländern war sie gänzlich untersagt. Die heute verbreitete Vorstellung vom Verteidiger in der NS-Justiz ist geprägt von den Auftritten verschiedener Anwälte in Verfahren gegen die Attentäter vom 20.7.44 sowie ihre Unterstützer und Sympathisanten. Das Urteil vom „katastrophalen Verfall der forensischen Advokatur", vom „schmählichen Versagen der Verteidiger"108 mögen einige dieser Verteidiger verdienen, die sich in ihren Plädoyers bemühten, noch die Anklage zu übertreffen. Von ihnen wird an anderer Stelle zu reden sein109. Es würde aber ein falsches Bild von der Verteidigung vor dem VGH entstehen, wollte man ihr Verhalten als beispielhaft ansehen. Wie die Darstellung der Verteidigung vor den Gerichten der NS-Justiz nach den verschiedenen Stufen der Entwicklung zu differenzieren hat, so gilt dies in besonderem Maße für die Geschichte der Verteidigung vor dem Volksgerichtshof. Das Verhältnis der Vorsitzenden der Senate dieses Gerichts zu den Verteidigern, wie es sich in den bekannten Ausfällen des Präsidenten Freister oder in den weniger bekannten des Vizepräsidenten Engert in den letzten Kriegsjahren offenbarte, war ein anderes als in den ersten Jahren, da der VGH bestand. In der Vorkriegszeit waren Kontroversen zwischen Verteidigung und Gericht(svorsitzendem) seltene Ausnahmeerscheinungen, die — wenn sie sich ereigneten — von den betroffenen Verteidigern offensiv geführt werden konnten. So erwirkte Rechtsanwalt Ludwig 1937 in einer Vehandlung gegen einen jüdischen Kommunisten, die von Engert geführt wurde, seine Entpflichtung, indem er erklärte, er sei „nicht in der Lage, in einem Prozeß dieser politischen Bedeutung als Marionette mitzuwirken." Anschließend entfernte ihn Thierack, der damalige Präsident des VGH, auf Ludwigs eigenen Wunsch aus der Liste der Offizialverteidiger110. Noch in den ersten Kriegsjahren kam es vor, daß die Beschwerde eines Anwaltes über eine Unterbrechung seines Plädoyers und seine Zurechtweisung durch Engert den Vizepräsidenten zwangen, sich vor dem RMJ zu rechtfertigen111. Später, als sich die Rechtsprechung des VGH, insbesondere nach Übergang der sog. „Defaitisten"Verfahren112 in seine Zuständigkeit, drastisch verschärfte, waren solche Erklärungen nicht mehr erforderlich.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4.

Justiz, Bd. VIII, S. 239 ff (248) D ahm\S chaff stein, S. 52 Henkel, Z 54, S. 44 G vom 7.4.33, RGB1.I, S. 175

Anmerkungen

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5. Für Hamburg: Johe, S. 65 6. RGB1.I, S. 188 7. Jobe, S. 67 8. RGB1.I, S. 1233 9. Jobe, S. 68 10. G vom 4.7.33, RGB1.I, S. 451 11. RGB1.I, S. 403 12. Abgeschlossen am 1.4.35, vgl. Johe, S. 73 ff 13. G vom 24.11.37, RGB1.1, S. 1286; zu den Einzelheiten vgl. A. Wagner, S. 208; Kern ZAkDR 39, S. 47; Koch, S. 56 14. Thierack, DR 42, S. 1473f 15. Protokoll einer Sitzung des Präsidiums des HOLG vom 12.4.35, Archiv der LJV HH, LJV VI Be Vol. l und Protokoll der Präsidiumssitzung vom 28. 5. 35, OLG 3000 l b/4 16. Koch, S. 172 17. DRIZ 33, S. 233 18. Durch AusführungsG zum GewohnheitsverbrecherG vom 24.11.33 RGB1.1, S. 1000 ff 19. Durch G vom 24.4.34, RGB1.1, S. 341 20. Art. 2 Ziff. 11 des AusführungsG zum GewohnheitsverbrecherG 21. RGB1.I, S. 844 22. AaO, S. 839 23. Als Ministerialrat im RMJ an der Ausarbeitung des Entwurfes beteiligt; DJ 35, S. 1005 24. Art. l Nr. l zu §§ 170a, 267 StPO 25. Art. l Nr. lb zu §267b StPO, dem verfahrensrechtlichen Pendant zum §2b StGB 26. Art. 2 27. Art. l Nr. 3 zu §244 Abs. l StPO 28. Art. l Nr. 3 zu §245 Abs. l StPO 29. Lehmann, aaO, S. 1002 30. Art. l Nr. 4c zu §373 Abs. 2 StPO 31. Art. 5 zu §112 Abs. l StPO 32. Lehmann, S. 1005 33. Niethammer in Löwe-Hellweg-Rosenberg, 2. Nachtrag zur 19. Aufl., Einleitung Nr. 4, S. 18, §5 34. Koch, S. 106 35. § 10 der VO vom 28.2. 33, RGB1.1, S. 85 36. Art. 3 der VO vom 18.3.33, RGB1.I, 131 37. RGB1.I, S. 404 38. Durch VO vom 19.12.32, RGB1.I, S. 550 39. Preußischer Landtag, 4. Wahlperiode, I.Tagung, Drucksache Nr. 1157 40. Durch VO vom 21.3.33, RGB1.1, 136 ff, deren verfahrensrechtliche Bestimmungen in entscheidenden Punkten mit denen der VO vom 09. 8. 32 nahezu vollständig übereinstimmten 41. WO vom 1.9.39, RGB1.I, 1658 42. Niethammer, aaO, S. 305, Anm. l zu §22 der ZVO §10 der VO vom 21.3.33, im folgenden SGVO. Die Fraktion der NSDAP hatte auch gefordert, bei der Bestellung des Verteidigers müsse dem Wunsch des Angeklagten gefolgt werden. Ein solches Recht wurde unter den Vorschlägen zur nationalsozialistischen Verfahrensreform nach 1933 nie vorgesehen 43. Schreiben an den RMJ vom 11.4.33, IfZ NG 515 44. Voruntersuchungen sollen — obwohl sie der Wortlaut von § 11 SGVO ausdrücklich untersagte — dennoch bisweilen durchgeführt worden sein, Hüttenberger, S. 440 für das SG München

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45. Vgl. Niethammer, aaO, Anm. l zu § 22 der ZuständigkeitsVO. Nur offensichtliche Fehler der Anklage durften danach dem Vorsitzenden Anlaß geben, von einer Anordnung der Hauptverhandlung abzusehen 46. §12 Abs. 4 SGVO 47. Durch §5 der VolksschädlingsVO vom 5.9.39, RGB1.I, S. 1679 48. §13 SGVO 49. §8 SGVO 50. §16 Abs. l SGVO 51. §16 Abs. l SGVO 52. Johe, S. 102 53. Vgl. einerseits Jobe, S. 102 f, andererseits Art. 6 Nr. 3 der 3. WO vom 29. 5.43, RGB1.1, S. 342 54. Zur Erweiterung der Zuständigkeit der SGe, Niethammer, aaO, S. 299 55. Vergehen gegen das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen" vom 20.12. 34, RGB1.1, S. 1269 56. Hüttenberger (in Broszat u.a., 1981), S.435ff (449) 57. RGB1.I, 1632 58. RGB1.I, 1658 59. So Niethammer, Anm. 3 zu § 19 WO 60. Niethammer, Vorbem. zu Art. II der ZVO; ebenso Henkel, Deutsches Strafverfahren, S. 98, Anm. 5 61. In Hamburg: 16% aller ergangenen Urteile in der Zeit von 1936 bis W); Jobe, S. 92 62. In Hamburg auf 73% im Jahr 1943; für spätere Jahre liegen mir Zahlen nicht vor: Johe, aaO 63. Johe, aaO, Anm. 92 64. Johe, S. 107 65. Johe, S. 97 66. Johe, S. 98 67. Johe, aaO 68. Schreiben des stellvertretenden Präsidenten der RAK Dresden vom 13.3.44 an Klemm, RMJ, BA R 22/4258 69. Zit. n. Jobe, S.98f IQ. Johe, S. 100 71. Vgl. Fn. 61 f 72. Eidesstattliche Erklärung von OLG-Rat Hermann A^esdorfer, Beisitzer von Cuhorst, IfZ NG 495 73. Eidesstattliche Erklärung von Hans Groben, Beisitzer von Rothaug, IfZ NG 532 74. Rechtsanwalt Kroher, Aussage vor dem IMT am 22.05.47, im IfZ 75. Kroher, aaO 76. „Politische Brunnenvergifter", eidesstattliche Erklärung des LG-Rates a.D. Hein^ Hoffmann betr. Rechtsanwalt Müller III, Nürnberg, IfZ NG 1002 77. Oberstaatsanwalt beim SG HH an Generalstaatsanwalt HH vom 5. 8.36, OLG 300 E la/Ia 78. IFZ M A 441/1 804-806 79. BA R 58/173 80. Hüttenberger, S. 439 und Helmut Beer, S. 19 ff 81. Zit. n. Johe, S. 94 82. Johe, aaO 83. Mitteilung des Rechtsanwaltes Dr. Haag, Frankfurt/Main 84. Einen Vorläufer hatte er in den Bayerischen „Volksgerichten", die — in gleicher Besetzung wie der VGH: Zwei Berufs- und drei Laienrichter — zum ersten Mal 1919

Anmerkungen

85. 86.

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99.

100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111.

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von der sozialdemokratischen Regierung Eisner eingerichtet wurden; vgl. — auch zur weiteren Entwicklung und zur Verfahrensordnung dieser Gerichte — Felix Halle, Die Deutschen Sondergerichte, S. 3 ff RGB1.I, S. 341 Und mit einiger Berechtigung läßt sich von ihm als dem Prototyp eines nationalsozialistischen Strafgerichts sprechen, der sich freilich in Konkurrenz zu den Sondergerichten nicht durchsetzte Art. III § l Abs. 2 des G vom 24.4.34 Freister, ZAkDR 35, S. 90 ff Freister, DJZ 35, Sp. 586 ff und 649 ff (649) §4 Abs. 3 SGVO Art. III §2 des G vom 24.4.34 durch VO vom 13.12.44, RGB1.I, S. 339 Art. IV §§4 und 5 des G vom 24.4.34 Art. IV §3 GStA Rep. 84a 8090, Bl. 61 f Preis/er, DJZ 35, Sp. 655 Zit. n. Jahnt^-Kähne, S. 99 Vgl. Jahnt^-Kähne, S. 98, die auch eienn Bericht des Präsidenten des Volksgerichtshofes an den Reichsminister der Justiz vom 26. 10. 1937 (RJM I p- 5 563. 619) zitieren. Zit. n. Jahnt^-Kähne, S. 99. Ob das beanstandete Verfahren ebenfalls geändert wurde, wird von den Autoren nicht explizit mitgeteilt. Der Zusammenhang ihrer Darstellung legt jedoch den Schluß nahe, daß es bei dem ursprünglich gewählten Verfahren ohne Beteiligung politischer Stellen geblieben ist. Etwa die Wahl Roetters durch Thälmann; vgl. auch Wergins Aussage vor dem IMT am 3.6.47, im IfZ Vgl. etwa Güstrotv, S. 222 Eidesstattliche Erklärung von Rechtsanwalt Boden, IfZ NG 400 sowie von Rechtsanwalt Weimann, IfZ NG 555 So jedenfalls das einzige mir zugängliche Exemplar, LA Berlin, Rep. 68 Acc. 3209/72 Im mir vorliegenden Exemplar 89 Anwälte W. Wagner, S.35f Juni 1944, dokumentiert bei W. Wagner, S.871f W. Wagner, aaO (Fn. 103) W. Wagner, S. 33 S. u. S. 239ff Eidesstattliche Erklärung von Rechtsanwalt Ludwig, IfZ NG 2335 Mit seiner Erklärung, in der er die Berechtigung der Vorwürfe bestritt, hatte es allerdings sein Bewenden. Der Vorfall ereignete sich im März 1941, BA R 22/1079. Von einem Zusammenstoß zwischen Engert und dem Rechtsanwalt Dr. Frans^ Wallau in der Hauptverhandlung am 18. Dezember 1939 berichten Jahnt^-Kähne, S. 101. Der Verteidiger hatte die Freisprechung seines Mandanten beantragt, da er der Auffassung war, die diesem vorgeworfene Tat sei nicht über das Vorbereitungsstadium hinausgediehen. Der Angeklagte wurde zum Tode verurteilt. Engert wandte sich mit Schreiben vom 5. Januar 1940 an Neubert, um ihm von dem Auftreten des Rechtsanwalts Dr. Wallau zu berichten, wobei er unter Berufung auf die Kanzlei des Führers und die Meinung seines Senats ausführte, „daß ein Rechtsanwalt, der derartig seine Verteidigerpflichten verkennt, seines Berufes sich als unwürdig erwiesen hat." Das daraufhin gegen die Auffassung der Anwaltskammer durchgeführte Ehrengerichtsverfahren endete mit der Freisprechung Dr. Wallaus

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112. Gemeint sind Verfahren, die Fälle von „Wehrkraftzersetzung" gem. §5 Abs. l Nr. l und Nr. 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (RGB1.1 1939, S. 1457 ff) zum Gegenstand hatten. Diese Delikte waren durch „Verordnung zur Ergänzung und Änderung der Zuständigkeitsverordnung vom 29. Januar 1943" (RGB1.1, S. 76) in die Zuständigkeit des Volksgerichtshofs gekommen

Kapitel 7: Der Verteidiger in der Literatur bis 1935

Das autoritäre Denken, das die Diskussion jedenfalls bis 1935 bestimmte, rückte die staatlichen Organe des Strafverfahrens in den Mittelpunkt des Interesses. Über den Verteidiger verloren die meisten Autoren wenig Worte. Und das, was sie zu sagen hatten, war ihm wenig günstig. Gerland etwa bemerkte in seinen Ausführungen über den „Strafprozeß im autoritären Staat"1, eine Verstärkung der Rechte und Möglichkeiten des Verteidigers, wie sie die Anhänger des Parteiverfahrens forderten, sei „mit den eigentlichen Gedanken des autoritären Staates unvereinbar"2. Zwar sprach niemand offen aus, daß die Rechte der Verteidigung zu reduzieren seien. Es wurde aber zum beliebten Entree von Ausführungen, die sich der Rechtsstellung des Verteidigers widmeten, auf die allgemeine Verbreitung einer solchen Ansicht hinzuweisen — um sich sogleich von ihr zu distanzieren3. Daß Überlegungen, die in eine solche Richtung gingen, tatsächlich ernsthaft angestellt wurden, ergibt sich aus den Akten des Reichsjustizministeriums. Unter den Fragen, die die amtliche Strafprozeßkommission ab 1933 unter dem Programmpunkt „autoritäre Justiz' erörterte, findet sich unter 7.) die: „Einschränkung der Rechte des Angeklagten und der Verteidigung?"4 Der Verunsicherung unter den Anwälten versuchte Reichsjustizminister Gärtner entgegenzutreten, indem er anläßlich einer Arbeitstagung der Akademie für deutsches Recht im Jahr 19335 erklärte, der neue Staat sei nicht so schwach, daß er „überhaupt irgendein Bedenken" daran haben dürfe, jedem „Verbrecher" einen Verteidiger zuzugestehen. Das Bild des Verteidigers, der dem „Verbrecher" zugestanden bleiben sollte, war freilich ein anderes geworden, als es liberale Zeiten geformt hatten. Ihre Umschreibung der „neuen" Aufgaben der Verteidigung entrierten die Autoren regelmäßig mit einer captatio benevolentiae, indem sie eine durchgreifende, „rücksichtslose"6 Strafrechtspflege forderten, die allerdings „notwendigerweise"7 ein Gegengewicht in Gestalt des Verteidigers erfordere8. Gerade der leidenschaftliche Ankläger des „autoritären und totalen Staates" (Klefisch) bedürfe — aus psychologischen Gründen — eines Widerparts, der zur Wahrheitsfindung die dem Angeklagten günstigen Argumente herbeischaffe. An ihr hatte der Verteidiger im „Gleichklang der Verfahrenskräfte" mitzuwirken. So wollte ihn Gürtner^ als „Diener des Rechts" begreifen, der Vorentwurf zur StVO sprach im (später gestrichenen) § 8 vom Verteidiger als „Organ der Rechtspflege", der dazu berufen sei, „den Richter bei der Findung der Wahrheit und eines gerechten Urteils zu unterstützen."10 Zwar wurden noch vereinzelt Stimmen laut, die eine Parteistellung des Verteidigers befürworteten und entsprechend den Verteidiger nur in einseitiger Weise zur

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Interessenvertretung des Angeklagten verpflichtet sehen wollten11. Sie blieben aber vereinzelt. In der Folgezeit verstummten sie ganz. Die starke Betonung der quasi-hoheitlichen Seite der Verteidigertätigkeit brachte grundsätzlich neue Positionen freilich nicht hervor. Sie verhalf lediglich all den Ansichten zum (End-)Sieg, die bereits vor 1933 — teilweise allerdings damals schon herrschend — die öffentlich-rechtliche Seite des Verteidigerberufes hervorgekehrt hatten. So wurde etwa einhellig eine Wahrheitspflicht des Verteidigers angenommen12. Eine eigene Ermittlungstätigkeit des Verteidigers im Vorverfahren wurde „schroff verworfen"13. Eine konsequente Durchführung der Wahrheitsverpflichtung hätte jedoch im schlimmsten Fall den Verteidiger zum Denunzianten des Mandanten machen müssen. An einer solchen Aushöhlung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Angeklagtem konnte dem „neuen" Staat nicht gelegen sein, wollte er nicht völlig auf die Mitwirkung eines Verteidigers verzichten. Der Streit entbrannte daher an den Konflikten, die sich dort ergaben, wo Wahrheitspflicht einerseits, Treue- und Verschwiegenheitspflicht andererseits sich überschnitten. Häufig erörtert, bisweilen14 zum „Kernproblem der Stellung des Verteidigers im NS-Staate" stilisiert wurde die Frage: wie verhält sich der Verteidiger, wenn sein Mandant ihm gegenüber ein Geständnis ablegt, sich aber weigert, es in der Hauptverhandlung zu wiederholen? Noack trat dafür ein, aus dem „nationalsozialistischen Standpunkt" weitreichende Folgerungen zu ziehen15. Er unterschied zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger. Ersterer sollte im Fall, daß der Angeklagte ein dem Verteidiger gegenüber abgelegtes Geständnis nicht in der Hauptverhandlung wiederholte, sofort die Verteidigung niederlegen. Daß hieraus vom Gericht nachteilige Schlüsse zulasten des Angeklagten gezogen, insofern die Schweigepflicht des Verteidigers (mittelbar) verletzt werden könnte, hatte der Mandant dann eben selbst zu verantworten. Der Pflichtverteidiger sollte in einem solchen Fall seine Entlassung beantragen. Daß die Notwendigkeit, dies zu begründen, ihn in Konflikt mit seiner Verschwiegenheitspflicht bringen könnte, wollte Noack durch gesetzliche Regelung ausräumen. Sie sollte entweder bestimmen, daß der Verteidiger auf seinen Antrag von der Schweigepflicht entbunden werden könne, oder dem Gericht die Befugnis einräumen, den Verteidiger nach seiner Erklärung, daß er das Mandat niederlege oder um seine Entlassung bitte, nach den Gründen zu befragen. Hierauf sollte er „pflichtgemäß" Auskunft geben müssen. Schütte™ schlug ebenfalls eine Novellierung der StPO in diesem Punkte vor. Er wollte eine Verpflichtung des Verteidigers eingeführt sehen, wonach dieser ein Geständnis seines Mandanten sofort zu protokollieren und der Staatsanwaltschaft weiterzuleiten habe. Eine Mandatsniederlegung verlangten Spahlinger11 und Klefisch™, der in Schützes Auffassung jedoch eine Aufforderung zum Parteiverrat erblickte. Gegen solche Überlegungen, ohnehin eher theoretischer Natur19, wendete sich v. d, Golt^20. Er hielt den Verfechtern einer Niederlegungspflicht das Interesse der Rechtspflege entgegen, das verletzt werde, wenn der Mandant sich dann eben einen neuen Anwalt suche, den er nunmehr von vornherein belüge. Auch Anraths hielt den Verteidiger für berechtigt, die Verteidigung fortzuführen21. Grube22 wollte dem Verteidiger gar das Recht absprechen, im erörterten Konfliktfall das Mandat niederzulegen, da er eine

Anmerkungen

147

Verletzung der Schweigepflicht befürchtete. Er befürwortete ein Recht des Verteidigers, auch im Fall der Kenntnis der Schuld des Angeklagten auf Freispruch zu plädieren23.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Gerland, DRiZ 33, S. 233 Gerland, aaO, S. 234 So etwa bei von der Gol%, DStR 35, S. 257 und Kleßscb, JW35, S. 3350 BA R 22/1041 Fol. 4 zit. n. Koch, S. 102 Gärtner, JbAkDR 33/34, S. 155 ff (163) Von der Golt^, DJZ34, Sp. 181 Von der Go!t%, aaO In diesem Sinne auch Dix, DJZ34, Sp. 245; Klefiscb, aaO, S. 3351 Gürtner, aaO Zit. n. Koch, S. 126 Besonders Anraths, S. 14 ff; gegen Organstellung (unter Berufung auf Aisberg) auch Grube (1914), S. 5 H. M. bereits vor 1933, vgl. Haferland, S. 50, Anm.46 mwN; ablehnend Frank (1926/ §257 VI.); nunmehr vertreten von: Klefisch, S. 3352; Spablinger, JW34, S. 1317ff; von der Golt^, DStR35, S.269 u.a. Von der Golt^, S. 273; ihm folgend Peters, Z 56, S. 55; und Spahlinger, S. 1317 ff Etwa von von der Golt^, DJZ34, Sp. 182 Noack, JW34, S. 1030 Schütte, JW34, S. 1029 Spahlinger, aaO, (Fn. 13) Klefisch, aaO, JW35, S. 3353 Vgl von der Golt^, aaO, Sp. 181 f Von der Golt^, aaO, Sp. 182f Anraths, S. 8 Grube, S. 36 Grube, S. 34

Kapitel 8: Vorarbeiten zu einer Strafprozeßreform 1935 bis 1939 In den Folgejahren — bis 1939 — erschien eine nahezu unüberschaubare Fülle von Aufsätzen und Monographien, die sich mit der Neugestaltung des Strafverfahrens befaßten. Verschiedene Kommissionen im Reichsjustizministerium erarbeiteten Entwürfe für eine Strafverfahrensordnung. Das meiste blieb Papier. Für diese Darstellung ist ein Überblick über die Reformdiskussion dennoch von Interesse, kann er doch einen Eindruck dessen vermitteln, welches Bild vom Verteidiger und seinem Umfeld den nationalsozialistischen Vorstellungen vom Strafprozeß eigen war. Insbesondere ist es aber erforderlich, auf diesem Gebiet Dichtung und Wirklichkeit zu trennen, um nicht aus einem Sammelsurium einzelner Zitate eine Beschreibung des nationalsozialistischen Strafprozesses zu komponieren, die über die historische Realität wenig aussagt1. Auf einer Tagung von Strafprozeßrechtslehrern Ende 1934 verkündete Siegert die profession de foi der neuen, der nationalsozialistischen Schule: „Wir wollen keinen autoritären, lediglich vom Machtstaatsgedanken erfüllten Strafprozeß, in dem lediglich die Rechtsnormen zu Lasten des Angeklagten verschärft werden, aber genauso formalistisch und Selbstzweck bleiben wie die Normen der individualistischen Zeit. Vielmehr gehört %um nationalsozialistischen S traf recht nur ein nationalsozialistischer Strafprozeß. Wir müssen den Rechtsgang in Strafsachen ganz hineinstellen in das Gefüge der nationalsozialistischen Weltanschauung. Nicht Einzelgerechtigkeit, nicht Rechtssicherheit des Einzelnen, sind die obersten Zwecke des Prozesses. Dieser hat vielmehr die Aufgabe, in bestmöglicher Weise den höchsten Zwecken des Volkes und des Staates, also dem lebendigen Organismus des durch Blut und Boden, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengeschweißten Volkes %u dienen."2

Siegerts Worte machen deutlich, worauf die Reform hinauslaufen sollte: Den Strafprozeß wollte man zu einer ganz dem Diktat technischer ratio unterworfenen „Arbeitsordnung"3, die ablief wie eine „präzise Maschine"4, umgestalten. Zu diesem Zweck galt es nicht nur, den dem Prozeß innewohnenden Formalismus aufzulösen, sondern auch die allgemeine Gültigkeit seiner Normen im Hinblick auf die Zugehörigkeit des jeweiligen Adressaten zum „lebendigen Organismus des durch Blut und Boden etc. zusammengeschweißten Volkes" zu relativieren. Solchen Ansprüchen konnte der im RMJ erarbeitete Vorentwurf einer Strafverfahrensordnung (StVO), gegen den sich Siegerts Polemik sichtlich wendete, nicht genügen. Die leitenden Ministerialen — bis auf Freisler Beamte, die bereits vor 1933 im Justizdienst tätig waren — hatten vier Grundsätze für das Programm der Reform aufgestellt, deren Hierarchie noch von dem Geist der NotVOen geprägt war: — Schnelle Justiz

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— Gerechte Justiz — Autoritäre Justiz — Volksverbundene Justiz5. In der Folgezeit rückte der Grundsatz der „gerechten Justiz" an die Spitze der Programmsätze, in einem anderen Sinne freilich als es die konservativen Schöpfer des ursprünglichen Programmes gemeint hatten: im Sinne der Verwirklichung „materieller Gerechtigkeit" durch das Strafverfahren. Materielle Gerechtigkeit Die Formel von der „materiellen Gerechtigkeit" war einer der Schlüsselbegriffe nationalsozialistischen Strafrechts. Im Strafverfahrensrecht wurde unter der Forderung ihrer Verwirklichung der Kampf gegen den „liberalistischen Formalismus" geführt. Ziel war die „Auflockerung" des Verfahrens. Gelockert werden sollte die Rechtskraft. Die Rechtsmittel wollte man beschränken, wahlweise Berufung oder Revision, bei gleichzeitiger Erweiterung der Befugnisse der „Rechtsrüge" (vormals Revisions-)Gerichts6. Die Abschaffung des Verbots der reformatio in peius hatte bereits die Novelle von 1935 gebracht. Carl Scbmitt1 forderte die Abschaffung der Unschuldsvermutung als Folge eines „auf Gerechtigung hinzielenden" Strafverfahrens8. Noch einen Schritt weiter ging Siegert, der meinte, „man könnte auch einmal „in dubio contra reum" sagen9. Finkew vertrat die Ansicht, dem Ansehen der Rechtspflege und damit des Staates werde durch eine ungerechte Verurteilung weniger Abbruch getan als durch eine Vielzahl ungerechtfertigter Freisprüche. Um der „materiellen Gerechtigkeit" gegen den „liberalistischen" Formalismus zum Siege zu verhelfen, wurde die Befreiung des Richters aus der laokoonischen Verstrickung in die „Zwirnsfaden des Beweisantragsrechts" (Siegerf) gefordert, dessen Ausgestaltung — ohnehin undeutschen Geistes verdächtig — nun als verlorene Domäne jüdischen Raffinements galt11. Siegert wollte den Parteien lediglich das Recht einräumen, „Anregungen" für die Beweisaufnahme zu geben12, stieß mit dieser Forderung aber auf Widerspruch13. Formlosigkeit, schrieb dennoch Freister, sei ein Zeichen einer „verfallenden Zeit"14. Damit meinte er allerdings nicht die innere Förmlichkeit des Verfahrens, sondern seinen äußerlichen Prunk, seine „Formenschönheit". Vor dem Vorsitzenden des — zu schaffenden — „Blutbanngerichtes" sollte ein Richtschwert liegen, Schöffen in nicht zu geringer Zahl sollten ihm beigegeben werden, auch das eher aus optischen Gründen, denn der Vorsitzende als „Führer" sollte nicht überstimmt werden dürfen. Ähnliche Amtstracht, Amtsketten oder symbolische Kennzeichen wünschte Freister zur Unterstreichung der „Einheit von Volk und Staat". Überhaupt dachte er an eine dramaturgische Belebung der Hauptverhandlung15. Man weiß, was daraus wurde. Geist statt Form Den Verlust der inneren Förmlichkeit des Verfahrens sollte ersetzen der Zugewinn an Geist, d.h. „Geist des Volkes"16. Als Verwirklichung „materieller Gerechtig-

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Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939

keit" wurde daher die (Wieder)Herstellung der „Volksgemeinschaft" betrachtet, ein Gedanke, den besonders engagiert Freister verfocht17. Vom staatsrechtlichen Standpunkt propagierte Höhn16 die Transformation des Strafprozesses von einem Verfahren zur Anwendung von Normen in eine Art „Reinigungsverfahren" zur Wiederherstellung der „gestörten Gemeinschaftsordnung". Mit dem „Gemeinschaftsgedanken" ließ sich auch gegen das („liberalistische") Parteiverfahren Front machen, das schon vom Wort her an vergangene Zeiten, an den demokratischen Parteienstaat erinnerte, dessen prozessuales Pendant es ja auch tatsächlich ist19. „Dem Sonnenuntergang des Parteienstaates wird, glaube ich (Extier20), die Dämmerung des Parteiprozesses folgen." Für den Parteiprozeß sprachen sich in der Literatur lediglich zwei Rechtsanwälte, Klefisch21 und Anraths22, sowie Mayer23 aus. An die Stelle des Überwundenen sollte die Gleichordnung der Verfahrenskräfte treten, das harmonische Zusammenwirken der Prozeßbeteiligten — einschließlich des Beschuldigten und seines Verteidigers — „im gemeinsamen Ringen um die Wahrheit" 2t. Während die Verfechter des Parteiverfahrens eine Stärkung der Verteidigerstellung als Gegengewicht zur Macht von Gericht und Staatsanwalt forderten, waren die, die solches forderten, weit enfernt davon, dem gleichgeordneten Beschuldigten und seinem Verteidiger auch die Gleichberechtigung mit dem Ankläger zuzubilligen. Die Forderung von „Waffengleichheit" gehörte in ihren Augen gleichfalls zur Konkursmasse der liberalen Prozeßtheorie25. Die Stellung des Beschuldigten im Verfahren sollte sich vom Prozeßsubjekt zum Untersuchungsobjekt verändern26. Folgerichtig ließ sich von einer Rückkehr zum Inquisitionsprozeß sprechen, wenn auch der Begriff — wie Exner schrieb27 — aus psychologischen Gründen gemieden wurde. Die neue Auffassung vom Strafverfahren, es sei „seinem Wesen nach Kampf'28, mußte auf den ersten Blick jedoch in Widerspruch zu einer Verfahrenskonzeption treten, in der nach dem Willen ihrer Schöpfer alle an einem Strang zogen. Peters versuchte dies auszuräumen, indem er zwischen einem „Streit", der das Parteiverfahren kennzeichnete, und dem „KampP' differenzierte, der gleichberechtigte Partner nicht voraussetzte und sich vielmehr „mit voller Wucht" gegen den „Verbrecher" richte29. Er trat damit auch einer von Henkel und Dahm vertretenen Ansicht entgegen, die — mit unterschiedlicher Begründung — auch den Beschuldigten mit den übrigen Verfahrensbeteiligten „gleichordnen" wollten. Nach HenJke/30 sollte der Täter — „ein Glied der Volksgemeinschaft, das im Aufsichnehmen der Strafe sich selbst entsühnt und damit seine Zugehörigkeit zum Ganzen wiederherstellt" — an der Seite des Staates gegen seine eigene Tat fechten. In der Strafe sah er demzufolge eine „Ehrung des Verbrechers". Angesichts solcher Konstrunktionen mußte selbst Schmidt-Leichner^ gestehen: „So etwas verstehe ich nicht."32 Dahm wollte die Verfahrensbeteiligten einschließlich des Angeklagten nicht als Vertreter verschiedenartiger Interessen auffassen, vielmehr „als Sachwalter der Gemeinschaft"33. Als Angehörigem der Volksgemeinschaft sollte dem Beschuldigten ein Achtungsanspruch gebühren, der es verbot, ihn als Untersuchungsobjekt zu behandeln. Ähnlich leitete Stock aus der Tatsache, daß der Beschuldigte „in der Regel" Volksgenosse sei, dessen Recht ab, „als Vernünftiger geehrt" zu werden34.

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Mochte auch diese Lesart nationalsozialistischer Prozeßtheorie — im Gegensatz zu der stärker von autoritärem Denken geprägten Auffassung des Beschuldigten als Untersuchungsobjekt — auf den ersten Blick einer Verschlechterung seiner Rechtsstellung im Verfahren entgegentreten, so waren doch die Konsequenzen, die sich aus ihrem Ansatz ergaben, wesentlich einschneidender. So leitete Stock aus seiner Idee vom gemeinschaftlichen Ringen um die Wahrheit eine Wahrheitspflicht für den Beschuldigten ab35. In die gleiche Richtung zielte auch Siegerts Vorschlag, an ein prozessuales Fehlverhalten des Beschuldigten Sanktionen zu knüpfen und es bei der Strafzumessung zu berücksichtigen36. Ein seiner Wahrheitspflicht entsprechendes „Recht zur Wahrheitsermittlung um jeden Preis"37 sollte der Beschuldigte dagegen nicht besitzen. Hier wogen die Interessen des Staates schwerer. Der Gemeinschaftsgedanke ließ sich im Strafverfahrensrecht für polizeiliche Interessen nutzbar machen. Soweit nämlich prozessuale Rechte aus der Eigenschaft des Beschuldigten als „Volksgenosse" abgeleitet wurden, ließen sich folgerichtig all denen verweigern, denen diese Qualität nicht zugestanden wurde. Offen hat Carl Schmitt diese Konsequenz ausgesprochen38. Er wollte die prozessualen Rechte nur denjenigen Beschuldigten gewähren, die als Volksgenossen „anerkannt" waren. Er sagte nicht, von wem. Für den Rest besäße die Polizei genügend Machtmittel. Zweiteilung des Verfahrens Dem Reformziel, gegenseitige „Hemmnisse" der Verfahrensbeteiligten — auch das ein Ausdruck liberalistischen Mißtrauens in den Staat — abzubauen, entsprach die Forderung einer klaren Zweiteilung des Verfahrens: der Staatsanwalt sollte Herr des — inquisitorisch ausgestalteten — Vorverfahrens werden, der Richter das Hauptverfahren regieren. Dabei lief die Tendenz der Reform seit 1935 besonders auf eine Stärkung der Stellung des Staatsanwaltes hinaus. Im Vorverfahren sollten dem Staatsanwalt sämtliche Zwangsmittel in die Hand gegeben werden: Durchsuchung, Haussuchung, Beschlagnahme, Verhaftung sollte er selbständig anordnen39. Zwangsmaßnahmen gegen Zeugen ergreifen dürfen40. Tötve wollte ihm sogar die Befugnis verleihen, in Fällen notwendiger Verteidigung den Verteidiger zu bestellen41. Richterlichen Einfluß im Vorverfahren wünschte man vollständig zu eliminieren: Das Klageerzwingungsverfahren sollte ebenso wie die gerichtliche Voruntersuchung verschwinden42. Lediglich bei der Haftprüfung befürworteten manche eine Kontrolle durch den Richter43. Der Machtzuwachs des Richters in seiner Stellung als Herr des Hauptverfahrens sollte dagegen in den Vorstellungen der meisten Reformer bescheidener ausfallen. Schon der von vielen geforderte Wegfall des Zwischen verfahrene44 mußte den Einfluß der Staatsanwaltschaft auf das Hauptverfahren vergrößern. Dagegen blieben Stimmen, die etwa ein Beweisantragsrecht des Staatsanwaltes beseitigen und ihm lediglich ein Recht, Anregungen zu geben, zubilligen45, die auf einen bestimmten Strafantrag des Staatsanwaltes verzichten46, die Zustimmung des Staatsanwaltes zur Einstellung des Verfahrens oder das Erfordernis der Nachtragsanklage zur Ausdehnung des Verhandlungsstoffes abschaffen wollten47, vereinzelt. So reduzierte sich der Wunsch, den Einfluß des

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Staatsanwaltes im Hauptverfahren zugunsten des Richters einzudämmen, bald auf inhaltslose Phrasen wie die von der „Reservestellung" des Staatsanwaltes in der Hauptverhandlung48, zu einem bloß rhetorischen Korrelat zur Forderung, seine Stellung im Vorverfahren aufzuwerten49. Was dem Richter an vermehrtem Einfluß zugestanden wurde, ging somit überwiegend auf Kosten des Angeklagten und dessen Verteidigers. In diesen Zusammenhang gehört der Vorschlag, das Recht des Beschuldigten, selbst Zeugen und Sachverständige laden zu können50, wie überhaupt die Bevorzugung der präsenten Beweismittel51 zu beseitigen. Peters erwog die Einführung einer zwei bis drei Wochen währenden Kontaktsperre und dachte auch an die Möglichkeit, eine mehrfache Verteidigung zu untersagen, wenn sich einer der Beschuldigten in Haft befinde 52. Die Beweiserhebung sollte vollständig ins freie Ermessen des Gerichts gestellt werden53, eine Forderung, die allerdings bisweilen auf Widerspruch stieß oder Modifikationen erfuhr 54 . Heftig umstritten war der Gedanke, das Führerprinzip auf die Gerichtsverfassung zu übertragen. Zeitweilig (1935/36) wurde diese Frage „zum Kardinalproblem der Erneuerung des Strafverfahrensrechts aufgeblasen"55. Seine Durchsetzung scheiterte jedoch an den zahlreichen Gegenstimmen aus der Justiz56. Der Fortgang der Reformarbeiten Der Vorentwurf, den die justizamtliche Strafprozeßkommission im Februar 1936 vorlegte57, trug — verglichen mit den ursprünglichen Programmsätzen, die oben dargestellt wurden — deutliche Spuren der Diskussion, die in den vorigen Abschnitten skizziert wurde. Das erste Buch formulierte zwölf Grundsätze, an deren Spitze der Satz stand: „§ l Aufgabe der Strafrechtspflege ist es, das Verbrechen zu bekämpfen, die Rechts- und Friedensordnung des Volkes zu schützen und so dem Gemeinwohl zu dienen."

Die Inpflichtnahme des Strafverfahrens für das gemeine Wohl fand so ihre gesetzliche Niederschrift: Als weitere Verfahrensgrundsätze folgten: §2 Gerechte Strafrechtspflege, § 3 Schnelle Strafrechtspflege, § 4 Volksverbundene Strafrechtspflege58. Im Einzelnen bemühte sich der Vorentwurf, die geforderte Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der am Verfahren beteiligten staatlichen Organe durchzuführen. Folgerichtig reduzierte er die richterliche Voruntersuchung auf wenige Ausnahmefälle (in erster Linie politische Prozesse). Das Zwischenverfahren sollte gestrichen werden. Der Staatsanwalt erhielt im Vorverfahren alle Zwangsmittel, lediglich bei der Verhängung eines Haftbefehls sollte — jedoch erst nach zwei Wochen — eine Anrufung des Richters zulässig sein. Das Führerprinzip wurde weitgehend auf die Gestaltung der Hauptverhandlung angewandt. Im übrigen wurde die Hauptverhandlung weitgehend „aufgelockert" (Einschränkung der Unmittelbarkeit, der notwendigen Verteidigung, Beseitigung förmlicher Bindungen des Gerichts an die Zustimmung des Angeklagten, Beweiserhe-

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bung nach freiem Ermessen), die Befugnisse des „Urteilsrüge"-Gerichts in besonderen Fällen erweitert59. Der Vorentwurf stieß auf heftige Kritik bei der „wissenschaftlichen Abteilung des NSRB", dessen Stellungnahme maßgeblich von Carl Schmitt beeinflußt wurde und der besonders den Mangel an „neuen Gestaltungsgrundsätzen" rügte, im Entwurf lediglich ein oberflächlich verändertes herkömmliches Strafverfahren erblickte. Er unterstellte den Reformern, „die Macht des nationalsozialistischen Reiches für spätliberale Erneuerungswünsche" zu mißbrauchen60. Die „Denkschrift" des NSRB bemühte sich daher „positive Vorschläge zum Aufbau des nationalsozialistischen Strafverfahrensrechts" zu unterbreiten61. Eine beim RG eingesetzte Kommission wandte sich gegen die Erweiterung der Machtbefugnisse des Staatsanwaltes nach Anberaumung der Hauptverhandlung, besonders aber gegen das Führerprinzip in der Hauptverhandlung62. 1936 setzte Gürtner eine Große Strafprozeßkommission ein, die das Reformwerk zum Abschluß bringen sollte. Bis Ende 1937 erarbeitete sie die Entwürfe erster Lesung zur StVO und zu einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung. Über den Inhalt des StVO-Entwurfes informierte ein im Sommer 1938 publizierter „Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission". Der Gesetzes Wortlaut wurde allerdings verschwiegen. Der Bericht enthielt lediglich Einzeldarstellungen von Mitgliedern der Kommission zu den verschiedenen Abschnitten des Entwurfes. Das Werk wurde allgemein als zurückhaltend gewertet53. Auch politische Beobachter aus der Emigration64 sprachen von einem Kompromiß „zwischen der Richtung des noch in alter Zucht aufgewachsenen und immer noch etwas verschämten Reichs Justizministers Gürtner und seines Staatssekretärs Dr. Freister^ eines früheren Strafverteidigers, einerseits und der scharfmacherischen Richtung der waschechten Nazi vom Schlage der meisten Mitglieder der Akademie für deutsches Recht und ihres Vorsitzenden, des ehrgeizigen Reichsministers Dr. Frank an der Stirn."65

Zugleich hoben sie jedoch die Beschuldigten-feindliche Konzeption des Entwurfes hervor, der den Staatsanwalt zum „schier allmächtigen Götzen" erhebe66. Bereits im Frühjahr 1938 hatte die Große Strafprozeßkommission mit der zweiten Lesung des Entwurfes begonnen, die Mitte 1939 abgeschlossen war. Der endgültige Entwurf lag am 1. Mai 1939 vor67. Er ist nie veröffentlicht worden. Der Entwurf einer StVO von 1939 Die amtliche Begründung des Entwurfs proklamierte zwar eingangs die grundlegende Durchdringung sämtlicher Einzelheiten mit nationalsozialistischem Gedankengut, eine vollständige Neugestaltung der „Arbeitsordnung der Strafrechtspflege". Tatsächlich beschränkte sich der Entwurf — wie bereits die Vorentwürfe — jedoch auf — allerdings einschneidende — Modifikationen des Bestehenden68. Oberste Zielsetzung war dabei die vielbeschworene „Verwirklichung wahrer Gerechtigkeit", zugleich ein Gebot des Volksgemeinschaftsgedankens69. Dieses Ziel wollte der Entwurf erreichen durch Vereinfachung, Beschleunigung und Auflockerung des Verfahrens, wobei besonderes Gewicht auf letzteren Aspekt gelegt wurde. Gelockert werden sollte das Geflecht wechselseitiger Bindungen und Kontrolle

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der am Verfahren beteiligten Organe. Damit ließ sich besonders ein beträchtlicher Machtzuwachs der Staatsanwaltschaft begründen. Sie konnte nach der Regelung des Entwurfes über die sachliche und instanzielle Zuständigkeit in weitem Umfang verfügen70. Vorverfahren und Hauptverfahren wurden deutlicher voneinander geschieden71. Der Staatsanwalt erhielt die Zwangsmittel gegen Zeugen und Beschuldigte im Vorverfahren übertragen72. Er entschied, ob der Verteidiger im Vorverfahren Akteneinsicht erhielt73. Dem „Vorsitzer" (so die Bezeichnung des Entwurfs für den Vorsitzenden) blieb nach Abschaffung des Eröffnungsverfahrens das Recht, über die Anberaumung der Hauptverhandlung zu entscheiden74. Hatte er Bedenken, sollte das Gericht durch Beschluß entscheiden75. Im Hauptverfahren wurden die Bindungen des Gerichts an Zustimmungen des Angeklagten im wesentlichen beseitigt76. Die Erweiterung der Anklage, die Anwendung eines anderen Strafgesetzes wurde erleichtert77. Im Beweisrecht wurde auf eine Aufzählung der Gründe, die zu einer Ablehnung von Beweisänträgen berechtigten, verzichtet. Es hieß lediglich, das Gericht habe von Amts wegen alles zur Wahrheitserforschung Notwendige zu tun. Über Beweisanträge hatte der „Vorsitzer" durch Beschluß zu entscheiden78. Die „Auflockerung" sollte auch die Einschränkung der Unmittelbarkeit durch die erweiterte Zulassung der Verlesung von Schriftstücken befördern79. Der Beschleunigung des Verfahrens diente — soweit sie sich nicht bereits als Nebeneffekt der „Auflockerung" verkaufen ließ — die Einräumung der Befugnis für alle Gerichte, die Ladungsfrist bis auf 24 Stunden abzukürzen, „wenn die Erforschung der Wahrheit nicht darunter leidet"80. Sonst sollte sie beim Amtsrichter 3 Tage, im übrigen l Woche nicht unterschreiten81. Von einer „Vereinfachung" war im übrigen nicht viel zu spüren, im Gegenteil: Der Entwurf schuf ein kompliziertes Geflecht instanzieller Zuständigkeiten. Insgesamt sah er sechs erstinstanzliche Gerichte vor. Die Strafgewalt des Amtsrichters wurde auf Haft, Gefängnis und Festungshaft bis zu fünf Jahren, Zuchthaus bis zu zwei Jahren sowie sichernde Maßregeln mit Ausnahme von Sicherungsverwahrung, Entmannung und Berufsverbot auf Lebenszeit82 erhöht, die Schöffenbeteiligung auf die Schöffenkammer83 beschränkt. Sondergerichte wurden durch die Strafkammern beim Landgericht ersetzt (3 Berufsrichter)84. Angesichts der — nicht minder komplizierten — Regelung der Rechtsmittel, die die Urteile der Strafkammern für grundsätzlich unanfechtbar erklärte, war dieser „Verlust" indes leicht zu verschmerzen, denn die Verfahrensregeln der StVO glichen in vieler Hinsicht denen, die für die SGe geschaffen worden waren. Die These ihres Modellcharakters „für die nationalsozialistische Rechtserneuerung"85 findet insoweit ihre Bestätigung. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung im Rechtsmittelverfahren blieb die reformatio in peius zulässig86. Daß die Rechtsmittel in der Regelung der StVO eine deutliche Beschränkung erfuhren, sollte aufgewogen werden durch eine Erweiterung der außerordentlichen Rechtsbehelfe. Die damit intendierte Durchbrechung der Rechtskraft war zugleich — wie bereits ausgeführt — ein Gebot „materieller Gerechtigkeit". So wurden die Voraussetzungen zur Wiederaufnahme „erheblich gelockert"87. Zugleich fanden sich im Entwurf erstmals Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch88.

Anmerkungen

155

Der Entwurf einer StVO ist nie Gesetz geworden. Niethammer, selbst an den Beratungen beteiligt, gab 1940 im 2. Nachtrag zum Löwe-Rosenbergpchen StPOKommentar einen Überblick über die Grundgedanken, den er an einigen Stellen mit vorsichtiger Kritik verband. Diese richtete sich besonders gegen den Zuwachs der Macht der Justizverwaltung, den die Reform bringen sollte. Diesen „Sieg des Willens zur Verwaltung über den Glauben an den Vorzug richterlicher Wirksamkeit in der Strafrechtspflege" dürfe man, so warnte er, „nicht gleichgültig hinnehmen", empfahl jedoch, zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten. Zufrieden äußerte er sich dagegen über die Regelung des Beweisrechts im Entwurf, die nach seiner Ansicht die Fehlentwicklung der Vorjahre, die die Beweiserhebung dem freien Ermessen des Gerichts anheimstellte, wieder rückgängig machte89. Sehr schnell verschwand der Entwurf in den Schubladen des RMJ. Er wurde nicht, wie es bei Gesetzgebungsvorhaben selbstverständlich gewesen wäre, den übrigen Reichsministerien zur Stellungnahme mitgeteilt90. Der Entwurf diente bei den Einzelkorrekturen, die in den folgenden Jahren an der StPO vorgenommen wurden, als eine Art Katalog des Möglichen.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

So aber etwa Ingo Müller, S. 75 ff Siegert, Z 54, S. 16; Hervorhebungen im Original Freister, Der Volksrichter, S. 8 Frank, zit. n. Kirchheimer, Rechtsordnung, S. 130 Koch, S. 97 ff Peters, Z 56, S. 64; weitergehend Schaffstein, DR 35, S. 522; Siegert DR 35, S. 533; Freisler, DStR 35, S. 243 Autor der Stellungnahme der wissenschaftlichen Abteilung des NSRB, dort S. 108 f; vgl. Koch, S. 64 ff Stellungnahme S. 108 Siegert, Z 54, S. 14 ff; Schmidt-Leichner, DStR 37, S. 247 ff wollte anstelle von „in dubio pro reo" „in dubio pro re publica" setzen Finke, S. 65 Siegert, Z 54, S. 31 Siegert, aaO Peters, Z 56, S. 51 f, trat unter Berufung auf den BNSDJ, Gau Köln-Aachen für die Beibehaltung der Regelung der Novelle von 1935 ein; dagegen auch Exner, Z 54, S. 9 Freisler, DJZ 35, Sp. 652 Einzelheiten aaO Siegert, aaO, S. 17 Nachweise bei Koch, S. 28, Anm. 3 Höhn, DR 35, S. 268 Vgl. dazu Ingo Müller, S. 211 ff Exner, Z 54, S. l ff Klefisch, JW 35, S. 3350 f Anraths, S. l ff Mayer, GerS 104, S. 302 ff Stock, S. 11 Für viele etwa Siegert, Z 54, S. 19

156 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.

33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42.

43.

44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66.

Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 Vgl. Peters, Z 56, S. 38 unter Verweis auf Freister, DStR, S. 233; Siegert, Z 54, S. 23 Exner, Z 54, S. l ff Peters, aaO, S. 36 Peters, aaO, S. 37 f Henkel, DStR 35, S. 143f Schmidt-Leichner, DStR 37, S. 250 Kritisch auch Peters, aaO, S. 37; Henkel meinte in seinem 1943 erschienenen „Deutschen Strafverfahren", S. 153, Anm. 18, unter Hinweis auf seine und Dahms Schriften, das Schrifttum sei „gelegentlich gewissen Übertreibungen verfallen" Dahm, DStR 35, S. 261 Stock, S. 13 Stock, S. 13 ff Siegert, Z 54, S. 24 Siegert, aaO Stellungnahme, S. 109 Dahm, DStR 35, S. 257; Exner, Z 54, S. 7; Freister, DStR 35, S. 244; Henkel, DR 35, S. 277; Peters, Z 56, S. 40; SfbäferOStR 35, S. 250; Siegert, Z 54, S. 28 Exner, aaO; Schäfer, aaO Towe, DR 36, S.437f Henkel, Z 56, S. 240; Siegert, Z 54, S. 21; Freister, DStR 35, S. 245; zum Klageerzwingungsverfahren — zur Voruntersuchung: Dahm, aaO; Exner, aaO; Henkel, Z 54, S. 37 f; Noack, DR 34, S. 357 u. a. Dahm, DStR 35, S. 264 Anm. 11; Schäfer, aaO; dagegen Freister, DStR 35, S. 244; Siegert wollte „vielleicht" die Möglichkeit einer „einmaligen Beschwerde" beim Gericht einräumen, sofern die Haft länger als 6 Monate dauere, Z 54, S. 28 Exner, Z 54, S. 12; Siegert, Z 54, S. 25 u. a. Siegert, Z 54, S. 31 Exner, Z 54, S. 10 — jedoch mit Einschränkungen Nachweise bei Koch, S. 116, Anm. 3 und 4 Dazu Koch, S. 118 Koch, S. 119 Gefordert von Schäfer, DStR 35, S. 247 Schäfer, aaO Peters, Z 56, S.54f So Siegert, Z 54, S. 30 f; Henkel, Z 54, S. 35 ff Übersicht bei Koch, S. 120, Anm. 2 Koch, S. 91 Übersicht bei Koch, S. 91 ff Koch, S. 172 Zu den übrigen Grundsätzen vgl. Koch, S. 109, Anm. l Einzelheiten bei Koch, S. 172 ff In seiner — insoweit unveröffentlichten — Stellungnahme zum Entwurf einer Strafverfahrensordnung, zit. n. Koch, S. 187 Denkschrift, S. 5f; Henkel konterte mit dem Vorwurf, die Ansichten des NSRB liefen auf ein Parteiverfahren in „modernem" Gewand hinaus; zit. n. I. Müller, S. 84 Koch, S. 179 ff mit wörtlicher Wiedergabe des Beratungsergebnisses zur Frage des Führerprinzips Übersicht bei Koch, S. 205 und 207 f Deutschlandberichte 1938, S. 891 ff (908) Deutschland berichte, aaO Deutschlandberichte, S. 909

Anmerkungen 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88.

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Koch, S. 234 Koch, S. 222 Amtliche Begründung, allgemeine Einleitung, S. 4, zit. n. Koch, S. 223, Anm. l Koch, S. 223 unter Verweis auf die amtliche Begründung vor § 98 ff StVO; S. 226 Koch, S. 215 Koch, S. 229, Anm. 2 § 146 StVO-Entwurf, zit. n. dem im BA unter R 22/1039, Bd. 6 archivierten Exemplar §§ 34 f StVO-Entwurf §35 StVO-Entwurf Koch, S. 223 Koch, aaO §65 StVO-Entwurf §§67 ff StVO-Entwurf §42 Abs. 2 StVO-Entwurf §42 Abs. l StVO-Entwurf §98 StVO-Entwurf §99 StVO-Entwurf Koch, S. 226; § 101 StVO-Entwurf /. Müller, S. 85 Amtliche Begründung, allgemeine Einleitung, S. 6, zit. n. Koch, S. 230, Anm. l Amtliche Begründung vor §354 StVO-Entwurf, zit. n. Koch, S. 224 f u n d 225, Anm. l §§ 370 ff und 373 ff StVO-Entwurf; zu diesen Rechtsbehelfen, die nur von der Anklagebehörde eingelegt werden konnten, s. u. S. 182 89. Niethammer in Löwe-Hellweg-Rosenberg, 2. Nachtrag zur 19. Aufl., Einleitung §3 Nr. l und 2 90. Koch, S. 34 f, dort auch zur weiteren Entwicklung

Kapitel 9: Zur Lage der Anwaltschaft nach 1933 und zur Reichsrechtsanwaltsordnung von 1936 Bevor sich die Darstellung dem Schrifttum zuwendet, das sich in der Reformliteratur seit 1935 mit der Stellung des Verteidigers befaßte, ist ein Blick auf die Fortentwicklung des Anwaltsstandes seit seiner institutionellen „Gleichschaltung" zu werfen. Keineswegs hatte er damit sein politisches Gewicht als einflußreiche Interessengruppe verloren. Das wird schon an der erfolgreichen Verdrängungspolitik der anwaltlichen Organisationen gegenüber den Rechtsbeiständen deutlich, die — bis auf einen geringen Rest — sukzessive aus dem Rechtsleben ausgeschaltet wurden. Diese Entwicklung schloß das sog. Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz vom 13.12. 35J ab. Den aus rassischen und/oder politischen Gründen ausgeschlossenen Anwälten wurde damit eine Fortführung juristischer Berufsausübung vollends unmöglich gemacht. Es gelang den Anwälten auch, die Reform des lange bekämpften § 11 ArbGerG zu erzwingen, der ihnen das Auftreten vor dem Arbeitsgericht l. Instanz untersagt und den Anwaltszwang vor dem LArbGer durchbrochen hatte. Das G zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.342 öffnete nun die erste Instanz für die Anwaltschaft und sicherte ihr das alleinige Auftrittsrecht vor den Landesarbeitsgerichten und dem Reichsarbeitsgericht. Die prekäre Einkommenslage hielt jedoch an3. Weiterhin wurde daher die Forderung eines vorübergehenden Zulassungsstops bei nachfolgender Einführung des n. c. erhoben. Dem hatte sich die NSDAP noch 1933 verschlossen, da sie darin einen „vom gesamtvölkischen Standpunkt zu verwerfenden Versuch (erblickte) ..., die Not der Gegenwart auf die kommende Generation abzuwälzen."4 Sie hatte stattdessen eine „Beschränkung des Anwaltsberufes auf deutsche Volksgenossen unter Ausschluß rassefremder Elemente" gefordert. Dennoch lief die Einführung des anwaltlichen Probe- und Anwärterdienstes durch §§2—14 der Reichsrechtsanwaltsordnung vom 21.2. 365 faktisch auf eine vierjährige Zulassungssperre hinaus, da der nunmehr zu absolvierende Probedienst ein Jahr 6 , die Anwärterdienstzeit regelmäßig drei Jahre 7 währte. Die Einführung dieser zusätzlichen Ausbildungseinschnitte erlaubte auch eine verfeinerte „Auslese", also Kontrolle, des anwaltlichen Nachwuchses, da über den Eintritt des Kandidaten in jede neue Phase seines Berufsweges der RMJ zu entscheiden hatte8. Der Kommentar von Noack setzte bei der Übernahme in den Probedienst auch noch die Mitwirkung des NSRB und der RRAK voraus9, die im Gesetz nicht vorgesehen war. Während der Probezeit unterstand der Kandidat der Aufsicht des OLG-Präsidenten. Der RMJ konnte die Übernahme widerrufen10, für den Anwaltsassessor war die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit11 zuständig.

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Der Forderung nach Einführung eines numerus clausus korrespondierte die Beseitigung des Zulassungsanspruchs in der RRAO. Während nach §2 der RAO der- oder diejenige, die die Befähigung zum Richteramt erlangt hatte, zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden mußte, wenn nicht einer der in §§ 5 und 6 normierten Versagungsgründe eingriff, hieß es nun in § 15 der RRAO nur noch: „Der Rechtsanwalt wird bei einem bestimmten Gericht zugelassen. Bei einem Gericht sollen nicht mehr Rechtsanwälte zugelassen werden, als einer geordneten Rechtspflege dienlich ist."

Die Zulassung wurde dadurch ins Ermessen des RMJ gestellt, das einvernehmlich mit dem „Reichsführer des NSRB" zu entscheiden hatte12. Eine (ehrengerichtliche Überprüfung der Entscheidung war nicht mehr möglich. Damit war ein Zustand geschaffen, der sich wesentlich nachteiliger als ein möglicher n. c. auswirkte, mit dem wenigstens überprüfbare Voraussetzungen zur Zulassung geschaffen worden wären. So wurde auch hier eine Forderung, die der wirtschaftlichen Gesundung der Anwaltschaft dienen sollte, der verfeinerten (politischen) Kontrolle des Standes dienstbar gemacht. Andere Passagen der RRAO, die zwar keinerlei konkreten Regelungsgehalt beinhalteten, jedoch in den Ohren einer von Verelendungsängsten gepeinigten Anwaltschaft wohl klingen mußten, sprachen davon, daß die Reichsregierung es als ihre „ernste Pflicht" betrachte, die Rechtsanwaltschaft zu erhalten und den „jedes Bedürfnis übersteigenden Zustrom zur Anwaltschaft" zurückzudrängen13, oder erklärten den Rechtsanwalt zum „berufenen, unabhängigen Vertreter und Berater in allen Rechtsangelegenheiten."14 Solche Gemeinplätze mochten — neben den vorher dargestellten Neuerungen — manche darüber hinwegtrösten, daß die Reform durch die RRAO an die Grundpfeiler der freien Advokatur rührte. Sie schaffte nicht nur den Zulassungsanspruch ab, sondern demontierte auch die anwaltliche Selbstverwaltung. Fortan wurde der Präsident der RRAK — auf Vorschlag ihres Präsidiums — vom RMJ im Einvernehmen mit dem Reichsführer des NSRB für fünf Jahre berufen15. Die Aufsicht über die RRAK übte der RMJ aus16. Offen blieb, um welche Art der Aufsicht es sich handeln sollte17. Die Kammern büßten ihre Rechtsfähigkeit ein. Ihre „Präsidenten" wurden Organe der RRAK. Auf Vorschlag des Präsidenten der RRAK berief sie der RMJ — einvernehmlich mit dem Reichsrechtsführer — auf fünf Jahre18. In ihrer Amtsführung waren sie an Weisungen des Präsidenten der RRAK gebunden. Den Kammern selbst blieb nur eine beratende Tätigkeit19. Die Mitglieder der Ehrengerichte wurden von den Kammerpräsidenten aus den Reihen der Rechtsanwaltskammern bestimmt20. Die Bemühungen der nationalsozialistischen Standespolitiker in Partei, BNSDJ/ NSRB und Justizverwaltung, der Not der Anwälte abzuhelfen und die Erfolge, die sie dabei — zumindest durch Erlaß einiger anwaltsfreundlicher Gesetze und VOen — erzielten, ließ viele Rechtsanwälte bald die Anfeindungen und die rüde Behandlung vergessen, denen sie zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft ausgesetzt waren. Das Selbstbewußtsein des Standes regenerierte sich spürbar, ein Umstand, der sich auch in den anwaltlichen Forderungen zur Reform des Strafverfahrens niederschlug. Dort wollte man nun den Lohn für die politische

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Gleichschaltung und die Demontage der „freien Advokatur" sehen und verlangte eine Verbesserung der Rechtsstellung des Verteidigers, da Grund zum Mißtrauen gegen ihn nicht mehr bestehe. In ökonomischer Hinsicht blieben die erhofften Erfolge der durchgeführten Reformen aus: Zwar nahm die Zahl der 2ugelassenen Anwälte von 19 500 im Jahr 1933 auf 16319 am 1.1.1940 ab, wobei die Neuzulassungen von 1364 im Jahr 1934 auf 30 nach Erlaß der RRAO zurückgingen (bei 400 Anwaltsassessoren) um bis 1938 wieder auf 396 anzusteigen. Da jedoch gleichzeitig auch die Prozeßtätigkeit stark zurückging, blieb die wirtschaftliche Gesundung aus. Der Rechenschaftsbericht der RRAK21 konnte lediglich einen geringfügigen Rückgang der niedrigen Einkommen bei relativer Steigerung der höheren melden. Es blieben jedoch noch immer 46,3% der Rechtsanwälte unter 6000,— RM p. a. Noch im Juli 1940 sprach der Sicherheitsdienst in seinen „Meldungen aus dem Reich"22 von einer schweren Notlage der Anwaltschaft, deren Situation sich auch weiterhin verschlechtere. Der Verlust seiner Unabhängigkeit wurde dem Anwaltsstand schlecht vergolten. Es mag auch das Bewußtsein dessen dazu beigetragen haben, daß sich die Anwaltschaft dem nationalsozialistischen Staat seit etwa 1940 zunehmend verweigerte.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

18. 19. 20. 21. 22.

RGB1. I, S. 1478, vgl. hierzu Hättenberger, Interessenvertretung, S. 429 ff (431 ff) RGB1.I, S. 45 Vgl. Noack, Hilfe für die Anwaltschaft?! Preußischer Landtag, 4.Wahlperiode, I.Tagung 1932/33, Nr. 1625, Urantrag der NSDAP-Fraktion RGB1.1, S. 107 ff § 5 RRAO; Möglichkeit der Verkürzung § 10 RRAO §§4 und 9 RRAO Noack, Anm. 6 zu § 4 RRAO § 4 Abs. 2 und 7 RRAO §11 Abs. 2 RRAO §16 RRAO Einleitung zur RRAO §1 RRAO §50 RRAO §46 Abs. 3 RRAO Noack, Anm. 4 zu §46 RRAO, ging von einer „Staatsaufsicht" aus. Der RMJ sollte befugt sein, „Entschließungen oder Anordnungen, die das geltende Recht verletzten oder den Zielen der Staatsführung zuwiderlaufen, aufzuheben und zu verlangen, daß Maßnahmen, die aufgrund solcher Entscheidungen oder Anordnungen getroffen sind, rückgängig gemacht werden." (so §80 der ReichsärzteO). Das sollte das Recht zur Ersatzvornahme einschließen §55 RRAO §54 Abs. 2 RRAO §71 Abs. l RRAO In MdRRAK 38, S. 134 ff: „Fünf Jahre RRAK" Vom 25.7.1940, BAR 58/152

Kapitel 10: Das Bild des Verteidigers seit 1935 Zwei Monographien, die sich um eine fundierte Neubestimmung der Rechtsstellung des Verteidigers bemühten, erschienen in den Jahren 1935 und 1937. Alfons Sack: Der Verteidiger und der neue Staat Als erster meldete sich Alfons Sack1, der nationalsozialistische „Starverteidiger", zu Wort, unterstützt von seinem Referendar Erich Schmidt-Leichner2. Auf den ersten Blick ist sein Werk ein Streifzug durch die Phraseologie völkischen Rechtsdenkens. Das Recht, „Vaterhaus der Gesetze", machte Sack im Halbdunkel des Seelenlebens der Volksgemeinschaft aus, konturenlos, ein „Urbegriff' und daher unbegreiflich, der „nur empfunden und gefühlt"3 werden könne. „Recht", so Sack unter Berufung auf Rosenberg und Frank, „ist, was arische Menschen für Recht empfinden, Unrecht, was sie verwerfen"4. Euphorisch begrüßte er die Hinwendung des Strafverfahrensrechts zur Idee „materieller Gerechtigkeit", die Überwindung des Formalismus, die Umwandlung des Erfolgsstrafrechts in ein „Gefahrdungs- und Willensstrafrecht", die die „Verteidigungslinie des Staates gegen asoziale Elemente" vorverlegte. Bei aller Begeisterung mahnte er freilich, das „stets erforderliche Minimum von Formalismus ... als Ausdruck unseres Ordnungsdenkens"5 nicht zu unterschreiten. Von einem Hinweis auf die Schwerpunkte der verfahrensrechtlichen Diskussion — die Stellung von Staatsanwalt und Richter im künftigen Strafprozeß — gelangte er zu der (rhetorischen) Frage: „Ist der Strafverteidiger im künftigen Recht nicht eine überflüssige Erscheinung?"6 Die Antwort kam auch hier aus völkischer Gemütstiefe: „Nach dem Rechtsbewußtsein unseres Volkes, das den nie versiegenden Quell für den Aufbau und Inhalt unseres Rechts darstellt, ist ein Strafverfahren ohne die Möglichkeit eines Verteidigers für den Angeklagten nicht möglich, — daher kein Recht — daher Unrecht."7 Eine tour d'horizon durch die Geschichte des Strafverfahrens führte Sack zu dem Ergebnis, daß alle historischen Rechtsordnungen einen Verteidiger vorsahen und daß er besonders nach germanischem und deutschem Recht „stark in seinem Rechte"8 war. Inquisitorische Elemente erschienen ihm als fremdrechtliche Importe. Vor dem Hintergrund dieser historischen Befunde forderte er, „dem Verteidiger in Zukunft die Gleichberechtigung im Verhältnis zu den übrigen zur Rechtsfindung bestimmten Prozeßbeteiligten" zu sichern9. Eine damals nicht selbstverständliche Forderung, in der auch Erinnerungen an liberale Postulate von „Waffengleichheit" anklangen. Den Angeklagten wollte Sack weiterhin als Prozeßsubjekt begrei-

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fen. Auch dies, wie gezeigt wurde, ein Widerspruch zur damals herrschenden Prozeßtheorie. Zur Begründung seiner Auffassung bediente sich Sack bekannter Argumentationsmuster. Wortreich beschwor er die Entschlossenheit des Staates zu rücksichtsloser Strafverfolgung („hart, streng, aber gerecht")10: „Strafrecht ist Kampfrecht"11. Zugleich aber treffe die Volksgemeinschaft die Verpflichtung zur Sorge um jedes ihrer Mitglieder, zu denen auch der Angeklagte rechne. Der verschärfte Nachdruck der Strafverfolgung zwinge daher dazu, einen erhobenen Anklagevorwurf auf das „allergewissenhafteste" nachzuprüfen. Dazu sei das Gericht aber nur mit Hilfe des Angeklagten und also des Verteidigers imstande. Denn allein der Verteidiger sei im Prozeß Vertrauensmann des Angeklagten. Er kenne den Angeklagten „auch als Menschen". Der Einsatz des Verteidigers gelte dabei in erster Linie der „Reinerhaltung der Gemeinschaft", nicht etwa der Verteidigung einer Partei. Vielmehr sei er der Verteidiger des Rechts, zur Mitarbeit an dessen Findung berufen. Nur wenn er dieser Aufgabe gerecht werde, könne der Staat nicht auf ihn verzichten. Sack wandte sich jedoch gegen die von verschiedenen Autoren aus dieser Stellung des Verteidigers gezogene Konsequenz, ihn (folgerichtig) zu verbeamten12. Solche Ideen zeugten, so Sack, von einem unbegründeten Mißtrauen gegenüber dem Anwalt. Nach der durchgeführten Säuberung der Anwaltschaft bestehe dazu kein Anlaß mehr. Sack betonte die hohe Verantwortung des Richters, seinen neuen Aufgaben gerecht zu werden. Als Richtschnur könne ihm allein die Beobachtung des Volksbewußtseins dienen. Hier sah Sack auch für den Verteidiger ein neues Aufgabenfeld, eine Mittlerrolle zwischen Gericht und Volksgemeinschaft. Dem Richter diene er als „Gehilfe" bei der Wahrheitsfindung, ohne doch dabei je ein zweiter Ankläger werden zu dürfen. Im Gegensatz zum eher konservativen Richter sei der Anwalt Vorkämpfer der Rechtserneuerung: „Während der Richter", so Sack in seiner Vorliebe für soldatische Metaphern, „in der Kampffront seiner verantwortungsvollen Aufgabe nach verbleiben muß, steht dem Verteidiger die Möglichkeit offen, sich als Freiwilliger für den Stoßtrupp zu melden. Gerade durch diese Aufgabenverteilung zwischen Richter und Verteidiger wird ihre Kameradschaft gefestigt."13 Der Volksgemeinschaft gegenüber habe er als „Verteidiger des Gerichts und seines Urteils aufzutreten". Er sei das „unersetzliche Organ, das dafür zu sorgen hat, daß keine Kluft zwischen Richter und Volk entsteht."14 Daß die Achtung vor den hohen Aufgaben des Verteidigers keineswegs Gemeingut war, erhellt der Umstand, daß Sack die Referenz des „stellvertretenden Leiters" des Berliner Kriminalgerichts zitieren mußte, der in einer Tageszeitung geäußert hatte, die Verteidiger täten „sachlich ihre Pflicht und arbeiten mit am großen und erhabenen Werk der Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit."15 Im Verhältnis zum Staatsanwalt forderte Sack für den Verteidiger „Waffengleichheit", auch dies eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Ansicht. Sack schränkte den Begriff zwar gleich wieder ein. Der Staatsanwalt werde — wie zu allen Zeiten — weiterhin die schärferen Waffen führen als der Angeklagte. Der aber müsse Prozeßsubjekt bleiben. Dies sei der eigentliche Gehalt der Forderung von „Waffengleichheit"".

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So wenig wie die Gerichte schienen freilich die Staatsanwälte die neuen „Kameraden" als willkommene Mitstreiter begrüßen zu wollen. Auch hier mußte Sack. nachhelfen: „Jeder muß ... die Mitarbeit des anderen unterstützen, jeder muß aber auch diese Mitarbeit auf das herzlichste willkommen heißen und begrüßen und darf sich nicht beschwert oder gar .unangenehm berührt' fühlen."17 Die Forderung eines „starken Verteidigers" leitete Sack aus einem gewandelten Rechtsstaatsbegriff ab. Im Gegensatz zum liberalen Staatsbegriff, der den Rechtsstaat von seiner politischen Form getrennt und abstrakt dem Gewaltstaat gegenübergestellt habe, strebe der neue Staat nach der Einheit der überwundenen Gegensätze. Im Verfahren könne es daher einen Verteidiger als Kontrollorgan einer vom Staat getrennten Gesellschaft nicht mehr geben. Vielmehr seien alle Prozeßbeteiligte Delegierte des Staates, „staatseigene Kontrollorgane als Wächter des Rechts gegenüber der Gemeinschaft"18. „Kameraden!" Ganz im Stil seiner von soldatischen Vorstellungen19 geprägten Begriffswelt wollte Sack Richter, Staatsanwalt und Verteidiger als „Kameraden einer Rechtsfront" verstanden wissen. „Worte allein verbürgen einen wirklichen Erfolg nicht. Hier müssen Taten im Vordergrund stehen ..., hier muß praktische Lebens- und Berufskameradschaft unterhalten werden." — Der Gerichtssaal als Offizierskasino. Für den heutigen Leser, an klarer Tatbestandlichkeit geschult und interessiert, überschreiten Sacks nebulöse Beschwörungen der Gefühlstiefe völkischen Rechtsempfindens, seine militärische Phraseologie nicht selten die Grenzen des Erträglichen. Von der rhetorischen Eleganz und der gedanklichen Schärfe, die Aisbergs „Philosophie der Verteidigung"20 auszeichnete, ist bei Sack nichts mehr übrig geblieben. Es fällt schwer offenzulegen, was an seinen Ausführungen rhetorischer Ornat ist, unter dessen üppigen Wucherungen sich in einigen konkreten Einzelfragen für damalige Verhältnisse Verteidiger- und beschuldigtenfreundliche Positionen verbergen. So ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Sack Überlegungen, den Verteidiger zu verbeamten, verwarf. Für den Beschuldigten forderte er, seine Stellung als Prozeßsubjekt weiterhin anzuerkennen. Dem Verteidiger wollte er ein Akteneinsichtsrecht bereits im Vorverfahren eingeräumt sehen21. Zu der vielerörterten Frage, wie sich der Verteidiger gegenüber einem Mandanten zu verhalten habe, der sich weigerte, ein vor ihm abgelegtes Geständnis in der Hauptverhandlung zu wiederholen, vertrat Sack die Auffassung, die gemeinschaftsgebundene Stellung des Verteidigers gestatte es ihm, seine Verteidigung fortzuführen22. Freilich dürfe der Anwalt, auch wenn sein Mandant nach der Beweiserhebung nicht als überführt gelten könne, dann nicht auf Freispruch plädieren — so wie es etwa Lis^t gebilligt hatte23. Vielmehr habe er sich neutral zu verhalten, allenfalls das Beweisergebnis zusammenzufassen und zu würdigen, um dann zu schließen: „Angesichts dieser Sachlage möchte ich davon absehen, bestimmte Anträge zu stellen, ich überlasse die Beurteilung dem Gericht."24 Während hinter den „Wolken nationalsozialistischer Dithyramben" (It7. Wagner) in Sacks Ausführungen doch das Bemühen durchscheint, die Institution eines unabhängigen Verteidigers zu bewahren25, machte sich zwei Jahre später der

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Assessor Dr. Lotar Kühne26 daran, aus nationalsozialistischer Weltanschauung herzuleiten, daß eine freie Advokatur dem deutschen Wesen fremd und daher abzuschaffen sei. Lotar Kühne: Der Verteidiger ohne fremdrechtliches Gewand Kühnes Werk trat an, Sacks historische Darstellung zu widerlegen. Dabei hatte Kühne besonders Sacks Verteidiger-, besser: anwaltsfreundliches Geschichtsbild im Visier. Deutlich beeinflußt von Carl Schnitts Denken in „konkreten Ordnungen" gab der Autor eine idealisierte Darstellung der germanischen Gesellschaftsordnung, ihrer Organisation in Sippen verbänden, die tiefempfundener Gemeinschaftsgeist zusammenschweißte. Der, so Kühne, prägte auch ihren „Rechtsgang". Vorläufer des Verteidigers machte er im Eideshelfer aus, meist ein Verwandter des Beschuldigten, der durch den „totalen Einsatz" seiner „ganzen Persönlichkeit" für den Bedrängten „in die Bresche sprang". Dagegen setzte der Autor den Advokaten, ein Produkt fremdrechtlichen, römisch-kanonischen Einflusses, den erst die Verkomplizierung des Prozesses, die Zerstörung „artgemäßen" Denkens hervorgebracht habe — ausgestattet mit niedrigen Charakterzügen27. „Von der vornehmen Art des deutschrechtlichen Fürsprechers schien bei ihnen nicht mehr viel übrig geblieben zu sein."28 Daß Friedrich des Großen Experiment, beamtete Anwälte einzuführen, mißlang, rührte nach Kühnes Ansicht nur daher, daß die „Assistenzräte" in einer Kontrollfunktion gegenüber dem Gericht — dies wiederum Ausgeburt liberalistischen Denkens — belassen blieben29. Im bürgerlichen Zeitalter angelangt wurde Kühnes Darstellung zur antisemitischen Polemik. Die „individualistisch-liberale Denkweise", die den Verteidiger zum „bewußt einseitigen Parteivertreter" verkehrt habe, sei vom Judentum für seine „Minierarbeit" ausgenutzt worden. Diesem Ideenkreis rechnete Kühne die Forderung nach einer „Kontrollfunktion der Anwaltschaft" ebenso wie die nach „Freiheit der Advokatur" zu. Die Parteistellung des Verteidigers nach der StPO sei zur herrschenden Auffassung von der Rolle des Verteidigers geworden, besonders von „jüdischen Literaten", den „Meistern und Lehrmeistern der Lüge" unter charakterloser Ausnutzung ihrer „verstandesmäßigen Fähigkeiten" in einseitiger Richtung fortentwickelt. Zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Stellung des Verteidigers im nationalsozialistischen Strafverfahren machte Kühne den „Treue"-Gedanken. Treue als Ausdruck gemeinschaftlicher Verbundenheit, Treue als „Mark der Ehre"30 mußte für ihn der beherrschende Gedanke des künftigen Strafrechts sein. Verbrechen, so Kühne, sei Verletzung der Treupflicht, treubrüchige, asoziale Elemente seien aus der Gemeinschaft auszuscheiden. Der Verteidiger stehe, „wenn er überhaupt noch eine Berechtigung haben soll", im Dienst der Volksgemeinschaft. Sacks Gegenüberstellungen (in seinen Kapitelüberschriften) von Verteidiger und Angeklagtem, Verteidiger und Gericht, Verteidiger und Staatsanwalt „sind also falsch"31. Die Neuausrichtung müsse total sein. Die Rechte der einzelnen Mitglieder der Volksgemeinschaft, deren Schutz dem Verteidiger anvertraut sei, konnten nach Ansicht des Autors nicht um ihrer selbst willen, sondern nur im Verhältnis zur „Volksgemeinschaft" Geltung beanspruchen

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(„als Auswirkungen der Volksgemeinschaft auf die Einzelstandschaft"). Dementsprechend sei es vordringliche Aufgabe des Verteidigers, die „Lebensnotwendigkeiten" zu verwirklichen32. Das gestatte es ihm zwar, sich für den unschuldigen Angeklagten rücksichtslos einzusetzen, ebenso rücksichtslos habe er aber die „Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft" gegen den Schuldigen zu vertreten. An anderer Stelle hieß es: „Er (der nationalsozialistische Verteidiger) darf nur verteidigen, was gut, er soll bekämpfen, was schlecht und abträglich ist, und er muß den der Bestrafung zuführen, der die Gemeinschaft schädigt, ihren sozialen Frieden stört und dadurch sein Volk zu gefährden wagt."33 Das vielerörterte „Kernproblem", wie sich der Verteidiger angesichts eines vertraulichen Geständnisses des Mandanten zu verhalten habe, war für Kühne daher eine „hinfällige Fragestellung"34. Die verschiedenen Auffassungen, die in der Literatur dazu vertreten wurden, verwarf er samt und sonders35. Der Verteidiger müsse offenbaren, daß ihm gegenüber ein Geständnis abgelegt wurde36. Denn nur dadurch diene er der Wahrheit. Richtschnur standesgemäßer Berufsausübung, „absoluter Maßstab", konnte nach Kühne nur die nationalsozialistische Weltanschauung sein. Die zu konkretisieren, fiel ihm allerdings schwer. So betete er immer wieder die Allgemeinplätze nationalsozialistischen Rechtsdenkens herunter, das an die Stelle des „Paragraphendenkens" den Dienst an der Volksgemeinschaft setze. Das Nähere käme „aus dem Herzen"37. Ein kurzer Exkurs in die Parteigerichtsbarkeit38 deutete an — ohne daß es ausgesprochen wurde —, in welche Richtung die Überlegungen des Autors führten, die einen juristisch geschulten Verteidiger entbehrlich erscheinen ließen. Die Gerichte der Partei, Vorbilder für die des „neuen Reichs", bedienten sich der Hilfe der politischen Leiter und der SA-Führer, die die Persönlichkeit des Angeklagten begutachteten, eher eine Art Gerichtshilfe als eine Verteidigung, kein Beruf auch, sondern ein Handeln „aus Berufung". Unter der Überschrift „Vorschlag" resümierte der Verfasser seine Gedanken und schlug vor, den Verteidiger zu verbeamten, um ihn mit der Staatsanwaltschaft gleichzustellen. Das in diesem Zusammenhang immer wieder eingewandte Scheitern des friderizianischen Experimentes mit den „Assistenzräten" ließ Kühne als Gegenargument nicht gelten. Der Versuch mißlang nach seiner Ansicht nur, weil das Strafverfahren der damaligen Zeit bereits von liberalem Geist beherrscht gewesen sei. Nur eine „totale Änderung des Systems", die völlige Ausschaltung der Privatinteressen, könne zum Erfolg führen. Unter denen, die sich im Zusammenhang mit der Diskussion über eine nationalsozialistische Strafverfahrensreform Gedanken über die Rolle des Verteidigers machten, blieb Kühne ein Außenseiter. Sicher sind seine Ansichten im Sinne einer Ideologie, die das Recht in den Dienst der „Volksgemeinschaft" stellen wollte, nur folgerichtig, während andere — etwa Sack — ihr neualtdeutsches Vokabular dazu benutzten, Bestehendes mit dem Weihrauch des völkisch Gesunden zu umgeben. Weitere Literatur über den Verteidiger Die verschiedenen Aufsätze zum Thema „Verteidigung", die in den Jahren 1935 bis 1939 erschienen, lassen eine gewisse Konsolidierung des Instituts der Verteidigung

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erkennen. So erklärte Freister^, ein Grund zum Mißtrauen in die „deutsche Anwaltschaft" sei nach den durchgeführten Maßnahmen gegen die jüdischen Anwälte und der Neuordnung der Ehrengerichtsbarkeit nicht mehr vorhanden40. Entsprechend sei die Rechtsstellung des Verteidigers zu verbessern. Er verwarf die im Vorentwurf zur StVO enthaltene Vorschrift über den Verteidiger41, wonach dieser verpflichtet sein sollte, den Richter beider Wahrheitsfindung zu unterstützen. Vielmehr sei das Schwergewicht auf die Aufgabe des Verteidigers als „Fürsprech des Beschuldigten" zu legen. Nur in dieser Richtung habe er seine Funktion als Organ der Strafrechtspflege auszuüben. In diesem Sinne forderte Freister eine Erweiterung des Akteneinsichtsrechts42, ein Recht auf unüberwachten Verkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten in der Untersuchungshaft43. Eigene Ermittlungen, insbesondere ein Recht darauf, selbst Zeugen zu vernehmen, müßten ihm zugestanden werden44. Der Verteidigerausschluß sei gesetzlich zu regeln45. Dem „Vorsitzer" dürfe lediglich das Recht eingeräumt werden, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Verhandlungsordnung zu treffen. Anschließend habe jedoch ein Gremium, etwa zusammengesetzt aus dem Gerichtspräsidenten, einem weiteren Richter und dem Anwaltskammerpräsidenten, zu entscheiden. Der Verteidiger dürfe nicht das Gefühl haben, der Willkür des Vorsitzers ausgeliefert zu sein46. Für mehr „Bewegungsfreiheit" des Verteidigers trat auch Pritsche*1 ein. Friedrich leitete aus der „erhöhten Verantwortung" des Verteidigers die Forderung ab, ihn zu verbeamten48, eine Ansicht, die in den Beratungen des Entwurfes zur StVO jedoch keinen Anklang fand49.

Notwendige Verteidigung

Während sich der „Gemeinschaftsgedanke" in der Diskussion über die Neuregelung der Verteidigung überwiegend in Allgemeinplätzen verlor, schlugen sich seine beschuldigtenfeindlichen Implikationen besonders auf dem Gebiet der notwendigen Verteidigung in konkreten Reformforderungen nieder. Der präjudizielle Charakter des neuen Strafverfahrens, das erklärtermaßen den Grundsatz „in dubio pro reo" in ein „in dubio pro re publica" reformieren wollte, mochte dem Beschuldigten nur das gewähren, „was der Lage eines Volksgenossen zukommt, der sich wegen des Vorwurfes einer Verletzung der Volksgemeinschaft vor Gericht zu verantworten hat.50" Eine Abwägung zwischen dem individuellen Schutzbedürfnis des Beschuldigten und den Belangen der Gemeinschaft hatte in diesem Zusammenhang keinen Raum. Allein die „Erhaltung der Volksgemeinschaft" war zu gewährleisten51. Der NSRB schlug vor, auf eine notwendige Verteidigung ganz zu verzichten52. Voraussetzung einer Verteidigerbestellung durfte in den Augen anderer, die über sie nachdachten, nicht mehr, wie es der noch geltende § 140 Abs. 3 StPO vorsah, die Verbrechensqualität des dem Beschuldigten vorgeworfenen Deliktes sein. Denn diese Vorschrift leitete aus der Schwere der Verfehlung ja prozessuale Privilegien ab. Ebenso hatte das in diesem Zusammenhang bestehende Antragsrecht des Beschuldigten zu entfallen, da ihm nicht zuzutrauen sei, daß er bei seinen Überlegungen, ob er vom Antragsrecht Gebrauch machen sollte oder nicht, auf

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Belange der Strafrechtspflege Rücksicht nehmen und sich lediglich einen „Beistand zur Gerechtigkeitspflege" suchen werde53. Nur Gemeinschaftsbelange sollten eine Beibehaltung der gesetzlichen Notwendigkeit der Verteidigung vor dem VGH, dem OLG im ersten Rechtszug, dem Schwurgericht und dem großen Jugendgericht (letzteres nur von Strauss gefordert) rechtfertigen. Denn hier würden Straftaten abgeurteilt, an deren gründlicher Aufklärung der Volksgemeinschaft ebenso wie dem Beschuldigten besonders gelegen sein müsse. Überdies schien die Notwendigkeit der Verteidigung aus dramaturgischen Erwägungen geboten. Die „notwendige Feierlichkeit der Verhandlungsgestaltung"54 bedurfte eines Verteidigers als Dekor. Erhalten bleiben sollte die Notwendigkeit der Verteidigung dann, wenn der Beschuldigte taub oder stumm oder flüchtig war. Strauss wollte noch den Fall ergänzen, daß der Beschuldigte der Gerichtssprache nicht mächtig55 sei. Darüber hinaus aber, so stellte er ausdrücklich fest, bestehe kein Anlaß, den Katalog absoluter Notwendigkeiten zu erweitern, „insbesondere auch nicht in den Richtungen früherer Reformversuche"56. Soweit eine Verteidigerbestellung aus Gründen des Einzelfalls für notwendig zu erachten sei, sollte die Entscheidung grundsätzlich dem Ermessen des Gerichts überlassen bleiben. Dessen Bindung an eine SollVorschrift unter Aufzählung bestimmter Regelfälle, wie es früher erwogen wurde, lehnten die Reformer — am entschiedensten hinsichtlich der Mittellosigkeit des Beschuldigten — ab57. Zeitlich sollte die Bestellung des Verteidigers bereits im Vorverfahren möglich sein, wo Töwe sie in die Hände der Staatsanwaltschaft legen wollte58. Im Falle nachträglicher Bestellung sollten Unterbrechung und Aussetzung der Verhandlung — anders als im noch geltenden § 145 II StPO — ins richterliche Ermessen gestellt werden. Eine weniger „formalistische" Ausgestaltung des § 338 Nr. 5 StPO sollte auch das Anwesenheitsgebot des notwendigen Verteidigers lockern59. Die Forderung, den Pflichtverteidiger zu verbeamten, fand so wenig Anklang wie die nach einer Unterscheidung zwischen seinen Rechten und Pflichten und denen des gewählten60.

Der Verteidiger in der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur Von der wortreich geführten literarischen Diskussion über die „grundlegend veränderte" Stellung des Verteidigers als „Diener am Recht" zeigte sich die Rechtsprechung wenig beeindruckt. Das Reichsgericht befaßte sich lediglich in zwei Entscheidungen mit dem vielerörterten Problem der Kollision von Wahrheitspflicht auf der einen und Treue- und Verschwiegenheitspflicht auf der anderen Seite61. Die erste der beiden Entscheidungen62 betraf die Tragweite der Wahrheitspflicht eines Rechtsbeistandes im Zivilrechtsstreit. Sie ist daher hier nicht von näherem Interesse. RGSt 70, 391, hatte dagegen über das Verhalten eines Verteidigers zu befinden, der der Begünstigung seines Mandanten gemäß §257 StGB angeklagt war. Der 5. Senat vertrat die Ansicht, die Verschwiegenheitspflicht gehe grundsätzlich dem „Dienst am Recht" vor. Der Verteidiger sei daher verpflichtet, alles, was er im Rahmen seiner Berufsausübung erfahre, geheimzuhalten, sofern

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dies im Interesse seines Mandanten geboten scheine. Ebenso verbiete es die Treuepflicht des Anwaltes gegenüber seinem Mandanten, diesen zu denunzieren. Noack, der das Urteil kommentierte, mochte sich den Ausführungen des Gerichts — ohne sie explizit zu kritisieren — nur insoweit anschließen, als es im Handeln des angeklagten Rechtsanwaltes auch eine Selbstbegünstigung erblickte. Im übrigen trat er für eine ehrengerichtliche Bestrafung ein, da der Verteidiger beabsichtigt habe, seinen Mandanten vor Strafe zu schützen, obwohl er von dessen Schuld überzeugt gewesen sei. Er hätte sein Mandat statt dessen niederlegen müssen. Eine ehrengerichtliche Entscheidung in diesem Fall ist in der amtlichen Sammlung nicht enthalten. Auch der Kommentar von Löwe-Rosenberg63 schenkte den erschienenen Abhandlungen über die Stellung des Verteidigers nur mäßiges Interesse. Die meisten hielt er nicht einmal für erwähnenswert, der Rest gab ihm „keinen Anlaß, das zu ändern oder zu ergänzen, was im Hauptwerk (gemeint ist die 19. Auflage von 1933, deren Ausführungen zur Verteidigung — 11. Abschnitt — noch von liberalem Gedankengut beeinflußt sind) über die Stellung des Verteidigers und über die Grenzen des Verteidigungsrechts bemerkt ist." Von größerer Bedeutung waren zwei Entscheidungen des OPG aus dem Jahr 193764. Das Gericht hob das Recht jedes deutschen Anwaltes hervor, einen „Deutschen" vor Gericht zu vertreten65. Aus der nach „Übernahme der Macht durch den Führer" eingetretenen „grundlegenden Änderung" der Rechtsstellung des Anwaltes, nunmehr wie die übrigen (amtlichen) Verfahrensbeteiligten verpflichtet, dem „Recht zu Siege" zu verhelfen, leitete das Gericht seine Befugnis ab, auch als Parteigenosse politische Gegner der Bewegung (hier Katholiken) zu verteidigen. Die Urteilsbegründung führte als ein Argument auch die — bereits an anderer Stelle geäußerte66 — Besorgnis an, eine Verteidigung von Staatsfeinden durch Gesinnungsgenossen könne größeren Schaden stiften als die durch „nationalsozialistische Rechts wahrer". Deutlich ist die Betonung, daß das Recht, zu verteidigen und also auch das Recht, einen Verteidiger hinzuzuziehen nur für „Deutsche" gelten solle. Diesen Gesichtspunkt hob Friedrich hervor, der in der JW von 193867 schrieb: „Ist der Verbrecher ein Arier, also Blut von unserem Blute, so muß der Verteidiger auch in den verlorensten Fällen bei Feststellung der Beweggründe der Tat auf die menschliche Seite stoßen, die zugunsten des Angeklagten dem Gericht vorgetragen werden muß."

Der Verteidiger in den Vorstellungen des RMJ Daß das Mißtrauen gegen die Verteidigung bei den politisch Verantwortlichen entgegen den zahlreichen anderslautenden Erklärungen anhielt und man über eine gesetzliche Handhabe gegen mißliebige Verteidiger nachdachte, ergibt sich aus einem „Entwurf eines Gesetzes über die Verteidigung in Strafsachen" vom Februar 1936, der sich in den Unterlagen des RMJ findet68. Beabsichtigt war die Einführung eines §139 a in die StPO. Abs. l übernahm die Regelung des Art. IV §3 des gesetzes vom 24. April 193469, betreffend die Verteidigung vor dem Volksgerichtshof in die StPO. (Sie machte die Wahl des

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Verteidigers in Hoch- und Landesverratssachen von der Genehmigung des Vorsitzenden abhängig.) Es hieß weiter: „(2) In anderen Sachen kann ein Verteidiger zurückgewiesen werden, wenn die Führung der Verteidigung durch ihn nach der besonderen Lage der einzelnen Sache wichtigen allgemeinen Interessen des Staates zuwiderlaufen würde. (3) Die Zahl der Verteidiger, die in der Hauptverhandlung für einen Angeklagten auftreten, kann beschränkt werden. (4) Die nach diesen Vorschriften notwendigen Entscheidungen trifft der Vorsitzende."

§ 145 StPO (Bestellung eines anderen Verteidigers) sollte entsprechend in Absatz l einen neuen zweiten Satz erhalten: „Dasselbe gilt, wenn der Vorsitzende nach §139 a die Genehmigung zur Wahl eines Verteidigers in der Hauptverhandlung zurückzieht oder in der Hauptverhandlung einen Verteidiger zurückweist."

Leider geht aus den erhaltenen Akten des RMJ weder hervor, welche konkreten Beweggründe die Ministerialen bewogen, vor der geplanten Gesamtreform eine Korrektur am Recht der Verteidigung in Angriff zu nehmen, noch welches weitere Schicksal dem Entwurf beschieden war. Die vorgeschlagenen Regelungen wurden später in den Vorentwurf der StVO übernommen. Die amtliche Begründung (Entwurf) 70 hierzu gibt gewisse Aufschlüsse über die Motive der beabsichtigten Neuregelung. § 130 Abs. l 71 übernahm die Regelung des Art. 4 § 3 des Gesetzes vom 24.4.34. Abs. 2 normierte die Befugnis des „Vorsitzers", die Zahl der Verteidiger eines Angeklagten zu beschränken. Damit sollte, getreu den „neuen Auffassungen über die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren", dem Beschuldigten die Möglichkeit genommen werden, Verteidiger hinzuzuziehen, die sich lediglich aus „eigennützigen Beweggründen oder aus Opposition gegen die staatliche Ordnung zu bestimmten Prozessen drängten" und in der Hauptverhandlung den „ruhigen und zielbewußten Gang der Sitzung" („zielbewußt" später gestrichen!) störten. Zwar sollten solche „fragwürdigen Vertreter des Anwaltsstandes" inzwischen als ausgeschaltet gelten. Der Vorschlag einer solchen Vorschrift deutet aber eher darauf hin, daß man noch immer mit ihnen rechnete. Die Befugnis des Gerichtes (nicht des Vorsitzenden, wie es noch der Entwurf von 1936 vorsah) zur Entziehung der Verteidigung regelte §138 des Vorentwurfes72. Voraussetzung sollte — noch undeutlicher als im Entwurf von 1936 — sein, daß der Verteidiger die bei der Führung der Verteidigung zu beachtenden Pflichten „gröblich" verletzte. Hiermit wollte man verhindern, „daß nicht wie früher (später korrigiert in: „daß jemals wieder") einige verantwortungslose Verteidiger das Ansehen des ganzen Standes gefährden." Bei der Regelung der notwendigen Verteidigung in den §§131fF3 folgte der Vorentwurf weitgehend den in der Reformliteratur unterbreiteten Vorschlägen. Dem kam entgegen, daß die Unterscheidung zwischen Übertretungen, Vergehen und Verbrechen vom Entwurf des StGB aufgegeben wurde. Die Notwendigkeit der Verteidigung konnte daher von der Verbrechensqualität und dem Antrag des Beschuldigten abgekoppelt werden.

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Die Bestellung des Verteidigers im Vorverfahren sollte aber weiterhin — anders als es etwa von Töwe gefordert worden war — durch den „Vorsitzer", nicht durch den Staatsanwalt vorgenommen werden. Diese Abweichung von einem Grundgedanken der Reform, der Herrschaft des Staatsanwalts über das Vorverfahren, hielt der Vorentwurf für erforderlich, „um das Vertrauen des Beschuldigten zu dem bestellten Verteidiger nicht zu gefährden."74 An weiteren Einzelheiten des Vorentwurfes, die den Verteidiger betrafen, sei hier lediglich nochmals der bereits im Wortlaut wiedergegebene § 8 erwähnt, der die Pflicht des Verteidigers, an der Findung der Wahrheit mitzuwirken, an die Spitze seiner Aufgaben stellte.

Die Beratungen durch die große Strafprozeßkommission Die Beratungen des Entwurfes durch die Große Strafprozeßkommission, deren Protokolle erhalten sind75, spiegeln die ganze Widersprüchlichkeit und Konfusion der Diskussion um die „Neubestimmung" der Stellung des Verteidigers unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Wo es um das Neue ging, das so neu ja auch nicht war, nämlich die Einbindung des Verteidigers in die „Volksgemeinschaft", wurde die Auseinandersetzung bald zu einem ermüdenden Streit um Worte, der zuletzt darauf hinauslief, daß man sich die „bekenntnishaften" (Graf GleispacK) Vorschriften (z.B. §8 des Vorentwurfes, später verändert in §123a StVO) lieber ganz ersparte. Bei den Einzelvorschriften (Bestellung des notwendigen Verteidigers, Akteneinsicht, Verkehr mit dem Beschuldigten) ging es überwiegend darum, das nach Wegfall des Eröffnungsbeschlusses aus der Balance geratene „Gleichgewicht" des Verfahrens wiederherzustellen. Alle Vorschläge, die der Vorentwurf zur Einführung von Disziplinierungsvorschriften — besonders für politische Verteidiger — unterbreitet hatte, wurden gestrichen. Einschneidend waren lediglich die Korrekturen am Recht der notwendigen Verteidigung. Von einer „Neubestimmung" konnte jedoch am Ende keine Rede sein. Da es sich bei den Beratungsprotokollen um bisher unveröffentlichtes Material handelt, lohnt es sich, den Gang der Verhandlungen nachzuzeichnen. Am Anfang der Beratungen erster Lesung über das Thema „Verteidiger"76 stand die Diskussion über den § 8 des Vorentwurfes. Besonders Freister stieß sich am Wortlaut der Vorschrift, die die Organstellung des Verteidigers in den Vordergrund rückte. Freister wollte dagegen das Schwergewicht auf die „Sachwalter"-Funktion des Verteidigers legen, die sich allerdings im Rahmen seiner Organstellung zu bewegen habe. Eine umgekehrte Gewichtung hielt er für „lebensfremd". Gürtner wollte den Paragraphen zunächst unverändert lassen. Erst als sich die Kommission in einer späteren Sitzung mit den 12 Grundsätzen des Vorentwurfes befaßte und alle strich77, fiel auch §8 weg, um jedoch an anderer Stelle als §123 a wieder aufzutauchen 78. Spuren liberalistischen Denkens wollte man auch an anderer Stelle tilgen. In § 128 Abs. l des Entwurfes, der dem § 137 Abs. l StPO entsprach („Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers

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bedienen."), fiel das Wort „Beistand" weg, weil es Assoziationen mit einseitiger Interessenvertretung hervorrief, die doch als überwunden gelten sollte. Heftig umstritten waren die Vorschriften, die sich mit der Entziehung der Verteidigungsbefugnis befaßten79, §§130 Abs. l, 137 und 138 des Vorentwurfes sowie §§128, 129 EGVG. §130 Abs. l hatte - wie ausgeführt - den Wortlaut des Art. 4 § 3 des Gesetzes vom 24. 4. 34 in die StVO übernehmen wollen. Danach war es dem Vorsitzenden der genannten Gerichte jederzeit möglich, die erforderliche Genehmigung für die Verteidigung zurückzunehmen. Besonders Freister hatte daran Bedenken, da er — wie auch beim § 138 — befürchtete, hierdurch könnte der Vorsitzende Machtmittel gegenüber dem Verteidiger gewinnen, die diesen bei Konflikten zwischen beiden der Willkür des Vorsitzenden ausliefern würden. Freister plädierte daher dafür, in Fällen, in denen die Rücknahme der Genehmigung erwogen würde, die Entscheidung einem Gremium zu übertragen, das sich aus dem Anwaltskammerpräsidenten, einem Anwalt und einem Richter zusammensetzen sollte. Neubert schlug vor, die Vorschrift in der Weise zu ergänzen, daß eine Zurücknahme nur „aus wichtigem Grund" möglich sein dürfe, ein Vorschlag, der sich — so nichtssagend er war — zuletzt durchsetzte. Bei Absatz 2, der dem „Vorsitzer" die Möglichkeit einräumen sollte, die Anzahl der vom Beschuldigten gewählten Verteidiger zu beschränken, befürchtete Kohlrausch, eine solche Vorschrift könne als „unfreundlicher Akt gegenüber der Anwaltschaft gedeutet werden". Freister meinte, durch die Regelung könne das Gleichgewicht zwischen Anklage und Verteidigung gestört werden. Man entschied sich für die Streichung. Die gesetzliche Regelung des Verteidigerausschlusses in § 138 befürwortete Töwe, da ihm die von der Rechtsprechung im Tscheka- und im Felsneck-VrozeR entwickelte Lösung zu „umstritten und zweifelhaft" erschien. Sein Vorschlag stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. Besonders Neubert warnte vor dem deklaratorischen Gehalt einer solchen Vorschrift, die ein Eingeständnis dessen bedeuten würde, daß man auch für die Zukunft mit dem Auftreten von kommunistischen Verteidigern, die mit allen möglich Mitteln das Verfahren sabotieren wollen", rechne. Er bat daher „dringend" um Streichung des § 138. Für die Beibehaltung einer gesetzlichen Ausschlußregelung sprach sich Freister aus, der darin eine „magna charta" des Verteidigers erblickte. Eine klare Vorschrift, die auch das von ihm favorisierte Gremium (in diesem Fall zusammengesetzt aus dem Vorstand des Gerichts, einem Vertreter der Anwaltskammer und einem Richter) vorsehe, gäbe dem Verteidiger größere Sicherheit im Auftreten. Aus ihrer Praxis steuerten Thierack als VGHPräsident und Crohne, ehemals Vorsitzender Richter einer Strafkammer, Beispiele bei, die ihnen die Beibehaltung der Vorschrift im Entwurf erforderlich erscheinen ließen. Thierack berichtete u. a. von einem Fall, da ein ehemals dem Zentrum nahestehender Anwalt einen Zentrumspolitiker vor dem VGH verteidigen wollte. Er habe daher „aus seinem Amt abberufen" werden müssen. Gärtners Hinweis, hierfür genüge bereits die Vorschrift des §130 Abs. l, veranlaßte Crohne, darauf zu verweisen, in Heimtücke-Sachen vor dem SG sei es „gelegentlich zu bewußter Sabotage des Verfahrens gekommen, insbesondere durch politisch höchst bedenkliche Beweisanträge".

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Da sich eine deutliche Mehrheit der Kommissionsmitglieder gegen den §138 aussprach (zuletzt auch Freister, da niemand sich für das von ihm erwünschte Gremium erwärmte), beschloß Gärtner schließlich, ihn aus dem Entwurf zu streichen. Einhellig waren die Anwesenden der Auffassung, daß die sitzungspolizeiliche Ordnungs- und Zwangsgewalt des Vorsitzenden nach den §§ 128 Abs. 2 und 129 EGVG, auf den Verteidiger nicht angewendet werden dürfe. Sie empfahlen daher eine Neufassung dieser Vorschrift, die dies eindeutig klarstellen sollte. Gestrichen werden sollte nach überwiegender Ansicht — dagegen aber Freister — auch §137, der den Ausschluß des Verteidigers vorsah, der zugleich Zeuge war. Die Lösung des Problems sollte weiterhin der Rechtsprechung überlassen bleiben. Zuletzt einigte man sich dennoch darauf, diesen Fall als einzigen gesetzlich geregelten Ausschließungsgrund in den Entwurf aufzunehmen80. Der Wegfall des Zwischenverfahrens zwang dazu, die Zeitpunkte, an die das noch geltende Strafverfahrensrecht die Gewährung bzw. Beschränkung wichtiger Verteidigungsrechte (Bestellung des Offizialverteidigers, uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht, Recht auf unüberwachten Verkehr mit dem Mandanten) knüpfte, neu zu bestimmen. Nach § 140 Abs. 4 StPO war in den Fällen, in denen ein Verteidiger von Amts wegen zu bestellen war, die Bestellung vorzunehmen, sobald der Angeschuldigte zur Erklärung über die Anklageschrift (nach §201 StPO) aufgefordert worden war. War eine solche Aufforderung nicht vorgesehen, trat an ihre Stelle die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses. Der Vorentwurf hatte die Mitteilung der Anklageschrift als entscheidenden Zeitpunkt vorgesehen. Nach Wegfall des Eröffnungsbeschlusses hätte das bedeutet, daß dem Angeklagten die Möglichkeit genommen worden wäre, durch einen Verteidiger auf die Anberaumung der Hauptverhandlung einzuwirken. Kohlrauscb forderte daher, der Verteidiger müsse spätestens nach „Abschluß der Ermittlungen" bestellt werden. Ihm wäre dann das Ermittlungsergebnis mitzuteilen, und er müsse Gelegenheit erhalten, noch vor Erhebung der Anklage Stellung zu nehmen und gegebenfalls Beweisanträge zu stellen. Towe hatte dagegen Bedenken, da er meinte, der Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen sei schwer festzulegen. Gürtner schlug daher vor, einen bereits erwogenen, jedoch in den Beratungen wieder verworfenen Gedanken wiederzubeleben: nämlich an das Ende des Vorverfahrens vor Anklageerhebung eine obligatorische Schlußvernehmung des Beschuldigten zu setzen. Der allerdings sollte auf sie verzichten können. Entscheidender Zeitpunkt, bis zu dem spätestens der notwendige Verteidiger zu bestellen war, sollte jedoch der „Abschluß der Ermittlungen" bleiben81. Der schriftliche oder mündliche Verkehr des inhaftierten Beschuldigten mit dem Verteidiger war nach § 148 Abs. l der StPO grundsätzlich zulässig, konnte jedoch nach den Absätzen 2 und 3 Beschränkungen unterworfen werden, solange nicht das Hauptverfahren eröffnet war: Schriftliche Mitteilungen durfte der Richter zurückweisen, wenn ihm Einsicht nicht gestattet wurde, Unterredungen

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zwischen Verteidiger und Beschuldigtem konnten richterlicher Kontrolle unterzogen werden, wenn nicht der Haftbefehl nur mit Fluchtgefahr begründet war. Der Vorentwurf hatte diese Regelung in etwa übernommen, jedoch an wesentlichen Punkten auf die Gedanken der Reform zugeschnitten: Aufsichtsberechtigt sollte, getreu dem Grundsatz, ihm die Herrschaft über das Vorverfahren zu übertragen, der Staatsanwalt sein (bei der Unterredung zwischen Verteidiger und Beschuldigtem auch „ein anderer Justizbeamter"). Die Überwachungsbefugnis aus § 148 Abs. 3 StPO wurde auf sämtliche Haftgründe erweitert. Zeitpunkt ihres Wegfalls: Erhebung der Anklage82. In der Beratung83 herrschte Übereinstimmung darüber, daß eine Überwachung des Verteidigers durch „andere Justizbeamte" untragbar sei. Ob eine Beschränkung des Verkehrs auch im Falle, daß der Haftbefehl nur wegen Fluchtverdachts ergangen war, zulässig sein sollte, war umstritten. Man einigte sich jedoch zuletzt auf eine Beibehaltung der in 148 Abs. 3 StPO getroffenen Regelung, wobei allerdings die Überwachungsbefugnis in den Händen des Staatsanwaltes liegen sollte. Eine völlige Aufhebung aller Überwachungsmaßnahmen befürwortete lediglich Freister. Er meinte, das Vertrauen zu den „heutigen Verteidigern" lasse eine solche Regelung nicht zu, wollte aber an ihrer Stelle eine Geheimhaltungspflicht nach Vorbild der beim VGH bestehenden Übung einführen. Sein Vorschlag fand jedoch, außer bei Neuberi, der sich ihm unter bestimmten Vorbehalten anschloß, keinen Anklang. Als Zeitpunkt des Wegfalls der Beschränkungen wurde schließlich auch hier der Abschluß der Ermittlungen vorgesehen. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers regelte § 147 der StPO. Es wurde dem Verteidiger erst nach Abschluß der Voruntersuchung resp. nach Einreichung der Anklageschrift, begrenzt auf die dem Gericht vorliegenden Akten beim Gericht gewährt (Abs. 1). Soweit der Untersuchungszweck nicht gefährdet wurde, konnte Einsicht in die gerichtlichen Untersuchungsakten bereits während der gerichtlichen Voruntersuchung gestattet werden (Abs. 2). Ein Recht, Akten im Ermittlungsverfahren einzusehen, sah das Gesetz nicht vor. Nach der starken Einschränkung der gerichtlichen Voruntersuchung im Vorentwurf, sollte dem Verteidiger ein Einsichtsrecht nunmehr auch im Vorverfahren gewährt werden, freilich unter der Maßgabe, daß es sich nur auf die dem Gericht vorzulegenden Akten erstreckte. Ferner sollte Akteneinsicht nur dann gestattet werden, wenn der Verfahrenszweck nicht gefährdet werde. Hierüber sollte der Staatsanwalt befinden. Als für den Wegfall der Beschränkungen maßgeblichen Zeitpunkt sah der Vorentwurf konsequenterweise Erhebung der Anklage vor.84 In der Beratung85 trat Freister — entsprechend seiner bereits zu § 139 des Entwurfes geäußerten Ansicht — wieder dafür ein, jede Beschränkung des anwaltlichen Einsichtsrechts aufzuheben, statt dessen eine Geheimhaltungspflicht für den Verteidiger einzuführen. Ihm folgte hier auch Gärtner. Allgemeine Zustimmung fand indes der Einwand von Gleispach, die §§139 und 140 stünden in so engem sachlichem Zusammenhang, daß sich eine unterschiedliche Regelung verbiete. Als

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Zeitpunkt, an dem die Beschränkungen wegfallen sollten, wurde entsprechend §139 der Abschluß der Ermittlungen festgesetzt. Erwähnenswert ist zuletzt noch Freislers Wunsch, in den Entwurf eine Bestimmung aufzunehmen, wonach es dem Verteidiger verboten sein sollte, selbständig Zeugen zu vernehmen86. Der Vorschlag stieß allgemein auf Ablehnung, da hierdurch, wie etwa Thierarck formulierte, die Rechte der Verteidigung zu sehr eingeengt würden. In seinen im DStR 37 wenig später veröffentlichten Ausführungen „Zur Stellung des Verteidigers im neuen Strafverfahren"87 rückte Freisler selbst davon ab. Der Bericht Das Beratungsergebnis faßte der 1938 erschienene „Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission" zusammen, den Gärtner unter dem Titel „Das kommende deutsche Strafverfahren" herausgab. Mit dem Thema „Der Verteidiger" beschäftigte sich darin Neubert^. Seine Ausführungen sind geprägt vom Eindruck des Konflikts mit dem „Stürmer", den er als Präsident der Berliner Anwaltskammer kurz vor dem Erscheinen des Berichts ausfechten mußte89. Er trat nachdrücklich einer Identifizierung des Verteidigers mit dem Mandanten entgegen. Ausführlich zitierte er aus dem Urteil des OPG90 sowie den Richtlinien der RRAK, um die Organstellung des Verteidigers hervorzuheben. Mehrfach betonte er die Aufgabe des nationalsozialistischen Staates, „den Rechtsdiener, der sich der undankbaren Aufgabe der Verteidigung unterzieht, vor unberechtigten Angriffen dort zu schützen, wo es Stimmen der Öffentlichkeit noch an dem nötigen Verständnis für diese Pflicht fehlt."'i Erneut am Ende seiner Ausführungen: „Der Verteidiger übt seine Aufgabe als Dienst an der Gemeinschaft aus und muß bei der pflichtgemäßen Ausübung seines Dienstes sicher gehen und Schutz finden. Mit der Anerkennung, die seine Aufgabe im Vorspruch zur RRAO durch den Gesetzgeber gefunden hat, sollte dieser Schutz des Staates selbstverständlich sein. Es wird noch zu prüfen sein, ob dieser Gedanke in der Einleitung der StVO nicht noch besonderer Erwähnung bedarf."92

Die zweite Lesung Neuberts gesteigertes Interesse, den öffentlichen Charakter der Verteidigertätigkeit gesetzlich hervorgehoben zu wissen, spiegeln auch die Beratungen zweiter Lesung93. Hatte der Präsident der RRAK in den Beratungen erster Lesung eher eine zurückhaltende Rolle gespielt, so übernahm er in der 2. Lesung den Part des l. Berichterstatters und versuchte mit großem Engagement, auf die Diskussion einzuwirken. Die mit § 8 des Vorentwurfes gestrichene Umschreibung der allgemeinen Aufgaben des Verteidigers war von den Sachberarbeitern in neuer Formulierung als §123 a den Vorschriften über die Verteidigung (jetzt §§124 ff) vorangestellt worden. Dort hieß es:

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„Der Verteidiger nimmt die berechtigten Belange des Beschuldigten wahr. Er unterstützt den Richter bei der Findung der Wahrheit und eines gerechten Urteilsspruchs."

Damit war die in der ersten Lesung (besonders von Freister) 94 geforderte Umverteilung der Gewichte zugunsten der Beistandsstellung des Verteidigers erfolgt. Die Diskussion, die sich über die Vorschrift nun in der Kommission entspann, war es auch vordergründig nur ein — bisweilen hitziger — Streit um Worte, zeigt doch, daß dort, wo es um eine — sei es bloß deklaratorische — „Neubestimmung" der Stellung des Verteidigers ging, noch immer völlige Konfusion über das herrschte, was im künftigen Recht von ihm zu erwarten sei. Neubert stieß sich besonders an dem Verb „wahrnehmen". Es erinnerte ihn zu sehr an eine Stellvertretung. Er wünschte eine deutliche Hervorhebung des öffentlichen Charakters der Tätigkeit des Verteidigers, der deutlich, „in eindrucksvoller" Weise" vom Angeklagten abzuheben sei, um der bei „einem Teil der Presse" sehr beliebten Identifizierung des Verteidigers mit dem Angeklagten entgegentreten zu können. Als Satz l schlug er daher vor: „Der Verteidiger schützt den Angeklagten vor Rechtsnachteilen." Dem hielt Freisler entgegen, man müsse nun mal anerkennen, daß ein Verteidiger schon aus wirtschaftlichen Gründen nach den Wünschen seines Auftraggebers verfahren müsse. Eine Mitwirkung des Verteidigers an der Wahrheitsfindung wollte er nur solange für zulässig erachten, wie es mit seinem Auftreten als Verteidiger vereinbar sei. Dabm wollte schreiben: „Der Verteidiger steht dem Angeklagten zur Seite", und als Satz zwei: „Dabei unterstützt er den Richter und den Staatsanwalt bei der Findung des Rechts." Dem schloß sich auch Niethammer an, während Laut^ Dahms erster Satz zu „farblos" erschien, der zweite „völlig untragbar", da kein Beschuldigter verstehen werde, daß sein Verteidiger die Aufgabe haben sollte, seinen Gegner, den Staatsanwalt, zu unterstützen. Dabm konterte: wenn sein Vorschlag „farblos" sein sollte, dann sei es der Vorschlag der Sachbearbeiter erst recht, denn der besage „doch inhaltlich gar nichts". Von Vacano und Töwe versuchten dem Streit zu entkommen, indem sie meinten, die Vorschrift solle ganz gestrichen werden, eine Idee, für die sich auch Gürtner erwärmte, während Lehmann lediglich stöhnte: „Ich finde, daß die Vorschrift immer inhaltsloser wird." Neubert dagegen insistierte darauf, sie beizubehalten, da — wie er immer wieder betonte —, „unter Hinweis auf sie alle Angriffe der Öffentlichkeit, die den Angeklagten mit dem Verteidiger identifizieren, zurückgewiesen werden könnten, weil man jetzt mehr das Funktionelle an der Verteidigerstellung sehen würde." Auch Laut^ und Graf Gleispach bestanden auf ihrer Aufnahme, letzterer, weil er meinte, das „Bekenntnishafte" liege schließlich in der Art der Gesetzgebung des neuen Staates. Gürtner brach schließlich die Diskussion mit einem Formulierungsvorschlag ab, der lautete: „Der Verteidiger steht dem Beschuldigten zur Seite. Er wirkt mit bei der Findung des Rechts."95

Damit war die Kontroverse aber nicht beigelegt. Neubert unternahm einen weiteren Vorstoß bei § 136, der mit „Vollmacht" überschrieben war. Er wollte diesen Begriff vermeiden, da er meinte, einen Bevollmächtigten könne man sich nur weisungsgebunden vorstellen, was gerade durch die Neuregelung vermieden werden sollte. Niethammer und von Vacano hielten ihm Begebenheiten aus ihrer prakti-

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sehen Erfahrung entgegen, in denen Verteidiger aufgetreten seien, die sich völlig unabhängig vom Willen des Angeklagten selbst zum Verteidiger „bestellt" hätten. Gegen solchen Mißbrauch sei Vorsorge zu treffen. Ähnlich waren auch Freislers Bedenken. Neubert lenkte demgegenüber ein, wenigstens eine „Anregung" des Mandanten müsse natürlich vorliegen. Mit solchen feinsinnigen Differenzierungen konnten die übrigen nicht viel anfangen. Gärtner sprach es deutlich aus: „Eine andere Art als die Wahl durch den Beschuldigten oder als die Bestellung durch das Gericht kann es nicht geben." Man einigte sich zuletzt darauf, dem Paragraphen die Überschrift „Befugnis zur Verteidigung" zu geben. Sein Wortlaut: „Wer in einem Strafverfahren als Verteidiger tätig wird, hat auf Verlangen nachzuweisen, daß er als Verteidiger gewählt oder bestellt ist."96 An weiteren Neuerungen, die hier interessieren, brachte die Diskussion lediglich eine Korrektur des § 131 (Zurücknahme der Bestellung, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger wählt, ehemals § 143 RStPO97) in eine Kann-Vorschrift, die die Bestellung eines „Ersatzverteidigers" ermöglichen sollte.

Anmerkungen 1. In Sack, Der Strafverteidiger und der neue Staat 2. Im Vorwort dankt Sack „Herrn Dr. Erich Schmidt-Leichner für seine wertvolle und aufopfernde Mitarbeit", Sack, S. 3. Daß Schmidt-Leichner Referendar in Sacks Büro war, erfuhr ich von Sacks ehemaligem Sozius, Rechtsanwalt Dr. Diener 3. Sack (1935), S. 77 4. Sack (1935), S. 9 5. Sack (1935), S. 16 6. Sack (1935), S. 19 7. Sack (1935), S. 23 8. Sack (1935), S. 50 9. Sack (1935), aaO 10. Sack (1935), S. 53 11. Sack (1935), aaO 12. Sack (1935), S. 54, Anm. 5 13. Sack (1935), S. 82 14. Sack (1935), S. 83 15. Berliner Nachtausgabe vom 30.3.35, zit. n. Sack (1935), S. 84 16. Sack (1935), S. 106 17. Sack (1935), S. 96 18. Sack (1935), S. 103 19. Ähnlich: Dix, DJZ 34, Sp.243ff 20. Vgl. oben S. 15f 21. Sack (1935), S. 111 22. Sack (1935), S. 115 23. Lis%t, DJZ 1901, Sp. 179 ff, den Sack hier zitiert 24. Sack (1935), S. 128 25. Becker, MdRRAK 37, S. 130 f, sprach von einer „temperamentvollen Verteidigungsschrift für den Strafverteidiger" 26. Kühne, Der Verteidiger ohne fremdrechtliches Gewand, 1937

Anmerkungen 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.

62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.

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Kühne, S. 24 Kühne, S. 32 ÄÄ?, S. 34 Kähne, S. 56 AÄi, S. 50 Kühne, S. 58 Kähne, S. 75 AjäW, S. 53 Kühne, S. 65 ff Kühne, S. 70 Kähne, S. 62 AT»*»*, S.75f Freister, DStR 37, S. 113 ff Auch Schult^, DR 35, S.280f § 8, s. o., S. 145 Freister, S. 118 Freister, S. 119 ff Freister, S. 121 f Freister, S. 123 f /=·««/«·, S. 124 Pritsche, DR 39, S. 1118 ff Friedrich, JW 38, S. 1300 ff; dagegen Prahl, JW 38, S. 1705 ff Neubert, Bericht, S. 255 ff Tome, DR 36, S. 438 V Strauß, GerS 108, S. 250 Denkschrift, S.39f So tatsächlich Strauß, aaO, S. 251 Strauß, S. 252; so auch Töve, aaO, S. 438 VI Strauß, S. 253 Strauß, S. 254 Strauß, S. 256 f; Tove, aaO Auch Greffin, S. 82 »/, S. 261 und Töwe, S. 439 VIII Ablehnend Strauß, S. 260 f und Tove, S. 439 VII RGSt 70, S. 82 = JW 36, S. 658 mit Anmerkung von Neubert und RG 70, S. 391 = JW 37, S. 758 mit Anmerkung von Noack JW 36, S. 658 Niethammer im 2. Nachtrag zur 19. Auflage, I.Buch, 11. Abschnitt, Vorbem. JW 37, S. 3213 f JW 37, S. 3214 Becker, MdRRAK 37, S.130f Friedrich, JW 38, S. 1302 BA R 22/1079 RGB1. I, S. 341 BA R 22/1057 Amtliche Begründung (Entwurf) S. 29 ff Amtliche Begründung (Entwurf) S. 36 f Amtliche Begründung (Entwurf) S. 27 ff Amtliche Begründung (Entwurf) S. 32 BA R 22/1049 18. Sitzung vom 12.3.37, 19. Sitzung vom 13.4.37, 20. Sitzung vom 15.3.37

178 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97.

Anwälte als Strafverteidiger 1933 bis 1939 Am 1.9.37 in Zinnowitz, vgl. Koch S. 111 Zu dessen Schicksal vgl. die Ausführungen zu den Beratungen 2. Lesung, s. o. S. 174f. Protokoll der 18. Sitzung, S. 14 ff, Protokoll der 20. Sitzung, S. l ff Dort später § 144 Vgl. auch Neubert, Bericht S. 262; Protokoll der 20. Sitzung, S. 10 Amtliche Begründung (Entwurf) zu §139 StVO, S.39f Protokoll der 20. Sitzung, S. 6-11 Amtliche Begründung (Entwurf) zu § 140, S. 41 f Protokoll der 20. Sitzung, S. 11 ff Protokoll der 20. Sitzung, S. 17 f Freister DStR 37, S. 113 ff (121 f) Neubert, Bericht, S. 255 ff S. o. S. 69f S. o. S. 168 Neubert, S. 258 Neubert, S. 264 Protokoll der 56. Sitzung, 2. Lesung, vom 12. Mai 1938, S. l ff, BA R 22/1050 Vgl. auch Freister, DStR 37, S. 117 ff So § 134 des Entwurfes von 1939, BA R 22/1039 §147 des Entwurfes von 1939 Protokoll der 56. Sitzung, S. 19, im Entwurf von 1939 §142 S. 2

Teil III: Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

Kapitel 1: Reformen im Schatten des Krieges Mit dem Entwurf der StVO blieb der Versuch, den Strafprozeß im Sinne des nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedankens zu funktionalisieren, auf halbem Wege stecken. Das Interesse des RMJ, die Strafjustiz gegenüber der Polizei konkurrenzfähig zu erhalten, ließ sich so nicht verwirklichen. Erst der Ausbruch des Weltkrieges lieferte den Reformern ein Szenario, das es ihnen gestattete, vor der Kulisse des Ausnahmezustandes, der noch stets dafür gut gewesen ist, den Mangel an politischer Überzeugungskraft aufzuwiegen, einschneidende Änderungen am Strafprozeß vorzunehmen, die zwar den Grundgedanken des Entwurfes folgten, ihn in einzelnen Punkten jedoch weit hinter sich ließen. Daneben erlebte die behördliche — nicht nur die polizeiliche — Sanktionsgewalt eine nie gekannte Ausweitung. Um den Einfluß der Staatsführung auch auf die Rechtsprechung der Gerichte auszudehnen, deren Unabhängigkeit von den Reformen des Strafprozesses nicht angetastet wurde, schuf das RMJ eine Reihe von Mitteln der Einflußnahme, deren praktische Auswirkungen indes umstritten blieben. Diese Entwicklung verlief uneinheitlich, zum Teil unterbrochen durch den Führungswechsel im Reichs Justizministerium. Ihre Auswirkungen mußten die Voraussetzungen der Verteidigertätigkeit nachhaltig verändern und wirkten sich auch auf das Verhältnis der Anwälte zum Staat aus, das zunehmend gespannt wurde. Ein Verständnis der Entwicklung der Strafverteidigung während des Krieges setzt daher nähere Kenntnis ihrer Rahmenbedingungen voraus, deren Veränderungen das folgende Kapitel nachzeichnet. Die Reformen der StPO Als durchgängige Tendenz der Reform der StPO, die seit 1939 in zahlreichen Einzelgesetzen und -Verordnungen durchgeführt wurde, läßt sich — wie auch vom Entwurf beabsichtigt — eine nachhaltige Steigerung des Einflusses der Justizverwaltung auf das Strafverfahren feststellen. Zugleich gewann das Berufsrichtertum durch den Ausschluß der Laien an Gewicht. Eine erhebliche Erweiterung der Strafgewalt des Einzelrichters sowie eine weitere „Auflockerung" des Verfahrens — besonders im Beweisrecht —, materiellrechtlich eine drastische Erhöhung der Strafandrohung selbst für einfache Delikte sowie die Verwendung generalklauselartiger Tatbestände beließen dem Strafrichter jedoch eine Stellung von mächtigem, zuletzt verhängnisvollem Einfluß. Alle diese Korrekturen gingen zu Lasten des Beschuldigten und seiner Verteidigung.

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Der Staatsanwalt Schon an anderer Stelle — bei der Behandlung der Sondergerichtsbarkeit1 — wurde dargelegt, daß der Einfluß des Staatsanwaltes auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch die verschiedenen Reformverordnungen wuchs. Die beschriebene Entwicklung setzte die ZuständigkeitsVO (ZVO) vom 21.2.19402 fort. Sie verlieh dem Staatsanwalt auch das Recht, zwischen Amtsrichter und Strafkammer zu wählen. Die Einführung außerordentlicher Rechtsbehelfe, die allein dem Staatsanwalt zustanden, erhöhten zudem seinen Einfluß auf den Bestand der richterlichen Erkenntnis. Das G vom 16.9. 393 führte den „außerordentlichen Einspruch" (§3) in die StPO ein, der nur dem Oberreichsanwalt beim RG bzw. beim VGH zur Verfügung stand. Ihn hatte — allerdings unter wesentlich engeren Voraussetzungen — auch der StPO-Entwurf vorgesehen4. Nunmehr konnten damit sämtliche rechtskräftigen Urteile und rechtskräftigen verfahrensabschließenden Beschlüsse angefochten werden, sofern nur der ORA wegen „schwerwiegender Bedenken" gegen die Richtigkeit des Urteils eine neue Entscheidung und Verhandlung in der Sache für notwendig hielt. Das Gesetz sah eine Jahresfrist zur Einlegung des außerordentlichen Einspruchs vor. Weitere Formerfordernisse wurden nicht gestellt. Zur Entscheidung waren „Besondere Senate" beim RG bzw. beim VGH berufen, deren Zusammensetzung der Führer auf Vorschlag des RMJ bestimmte. Mit der ZVO vom 21.2.40 trat neben den „außerordentlichen Einspruch" ein weiterer zusätzlicher „Rechtsbehelf" für die Anklagebehörde, die „Nichtigkeitsbeschwerde". Auch diese Ergänzung der StPO folgte dem Vorbild des Entwurfes, schuf jedoch — verglichen mit dem ursprünglich vorgesehenen — erleichterte Voraussetzungen für ihre Zulässigkeit. Gegen Urteile des Amtsrichters, der Strafkammer und des Sondergerichtes konnte sie der ORA beim RG binnen eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft erheben, wenn ihm das Urteil wegen eines Fehlers bei der Rechtsanwendung ungerecht erschien (Art. V). In Ausführung des Führererlasses vom 21. 3.42 „über die Vereinfachung der Rechtspflege"5, der u. a. (in Art. IV) die Anpassung der Rechtsbehelfe an die Kriegsverhältnisse verlangte, wurde der Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde durch die 2. VereinfachungsVO vom 13. 8.426 erneut ausgedehnt, während Berufung und Beschwerde des Angeklagten von einer besonderen Zulassung abhängig gemacht wurden (Art. 7). Dieselbe Verordnung beseitigte den Eröffnungsbeschluß in allen Strafverfahren. An seine Stelle trat die Anordnung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden. Hatte er Bedenken, mußte er die Entscheidung des Gerichts herbeiführen. Es konnte die Anordnung — außer bei Unzuständigkeit — nur ablehnen, „wenn nach seiner Überzeugung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen mit Sicherheit zu erwarten ist, daß der Angeschuldigte nicht verurteilt wird."7 Der Staatsanwalt konnte nunmehr auch ohne Zustimmung die Anklage in der Hauptverhandlung auf weitere Straftaten erstrecken8. Endlich gab ihm die 4. WO vom 13.12.449 die Zwangsmittel im Vorverfahren — einschließlich des Rechts, den Beschuldigten in Haft zu nehmen.

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Der (Berufs-)Richter Verschoben sich auf diese Weise die Gewichte im Strafverfahren deutlich zugunsten der Anklagebehörde, so wurde der Verlust an Einfluß, den der Richter erlitt, wenigstens zu einem gewissen Grad durch die radikale „Auflockerung" der Tatbestände und die Erhöhung der Strafandrohungen im materiellen Strafrecht aufgewogen. Die Reformen des Strafrechts schufen einige Vorschriften, die als Sanktionen nebeneinander hohe zeitige Freiheitsstrafen oder die Todesstrafe androhten. Deren Anwendungsbereich wurde bis 1944 auf 46 Deükte ausgedehnt10. Als ein Beispiel sei §2 der VolksschädlingsVO vom 5. 9.39n zitiert, der bestimmte: „Wer unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum begeht, wird mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft."

Die l.VVO vom 1.9. 3912 schloß die Laien von der Rechtsprechung aus (mit Ausnahme des VGH). Sie stellte die Beweisaufnahme ins freie Ermessen des Gerichts. Die Strafgewalt des Amtsrichters wurde in zwei Etappen durch die ZVO und die 2. WO bis zur Verhängung einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren erweitert. Nach der 2. WO konnte der Amtsrichter, wenn nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten zu erwarten war, ohne Staatsanwalt, ohne Angeklagten und ohne Protokollführer „verhandeln"13. Schon die l. WO hatte seine Urteile allein durch Berufung für anfechtbar erklärt14, die zur Strafkammer führte. Deren Entscheidung war abschließend15. Berufung und Beschwerde des Angeklagten wurden seit der 2. WO von der Zulassung durch den Vorsitzenden des Rechtsmittelgerichts abhängig16 gemacht. Auch die Revision wurde seit der 4. WO vom 13.12.44 zulassungsbedürftig. Seitdem hatte über die Zulässigkeit dieser Rechtsmittel das Gericht zu entscheiden, das die angefochtene Entscheidung erlassen hatte17. Die Ladungsfristen wurden zunächst durch die ZVO im — in seinem Anwendungsbereich stark erweiterten — Schnellverfahren, zuletzt durch die 4. WO allgemein auf 24 Stunden verkürzt. Der Beschuldigte Von der Rechtsstellung des Beschuldigten resp. des Angeklagten, die die alte StPO geformt hatte, war danach nicht mehr viel übrig geblieben. Ihre weitere Erosion beförderten — nach dem Vorbild des Entwurfes — die Beseitigung des Kreuzverhörs und die Aufhebung des Rechts des Angeklagten, Zeugen unmittelbar zu laden18. Die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung wurden in zwei Etappen modifiziert, bis sie 1944 völlig beseitigt wurde. Zunächst hatte § 20 der l. WO die notwendige Verteidigung von der Verbrechensqualität des dem Beschuldigten vorgeworfenen Deliktes und von seinem Antrag abgekoppelt, wie es die Reformdiskussion verlangt hatte und auch der Entwurf vorsah. Weiterhin blieb nach § 21 aber die nicht näher umschriebene

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„Schwere der Tat" Voraussetzung der Verteidigerbestellung. Diesen Zustand bewahrte § 32 Abs. 2 der ZVO. Abs. l dieser Vorschrift ergänzte die Voraussetzungen einer Verteidigerbestellung, die § 20 der l. WO in Anlehnung an § 140 StPO aufgestellt hatte um drei weitere, die sich an der zu erwartenden Strafe19 sowie am Tatvorwurf20 orientierten, und näherte sie damit dem Vorschlag des Entwurfes21 an. Eine „eigenartige" (Niethammer) Neuerung enthielt die Ziff. 3. Danach mußte die Bestellung erfolgen, wenn eine Zuchthausstrafe drohte und die Staatsanwaltschaft die Bestellung des Verteidigers beantragte. Zum ersten Mal wurde dem Staatsanwalt darin — völlig systemwidrig — bestimmender Einfluß auf den Gang der Hauptverhandlung und auf die Entscheidung in der Sache gegeben22. Nach der 4. WO fanden die Vorschriften über die notwendige Verteidigung keine Anwendung mehr23. Voraussetzung der Verteidigerbestellung war fortan eine schwierige Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen ließ, oder Gründe in der Persönlichkeit des Beschuldigten, der sich nicht selbst verteidigen könne. Die „Schwere der Tat" war damit, wie es die Reformer gewünscht hatten, als Voraussetzung der Verteidigerbestellung weggefallen.

Lenkung der Rechtspflege Maßnahmen organisatorischer Art bewirkten zudem einen tiefgreifenden Wandel im inneren Gefüge der Strafjustiz, der nachhaltige Auswirkungen auf die forensische Tätigkeit des Strafverteidigers hatte. Gemeint sind die sogenannten Lenkungsmaßnahmen. Bereits 1935 waren die OLG-Präsidenten und die Generalstaatsanwälte verpflichtet worden, regelmäßig über die Lage in ihren Bezirken zu berichten. Seit Kriegsbeginn hatten die Oberlandesgerichte täglich Mitteilung an das Ministerium zu machen24. Auch die Berichtspflicht der Staatsanwälte wurde „wesentlich verschärft"25. Die Berichte wurden in den verschiedenen Abteilungen des RMJ gesammelt und ausgewertet. Die Ergebnisse gingen in die Rundverfügungen ein, die — gleichfalls seit Mitte 1935 — vom RMJ an die Staatsanwaltschaft ergingen. Sie enthielten Richtlinien für den Umgang mit bestimmten Tätergruppen — etwa Anhängern des politischen Katholizismus oder der Bibelforscher. Diese Richtlinien wurden auch den Gerichten zur Kenntnis gebracht26. Ein Zwang, sie zu befolgen, bestand freilich für die Richter nicht, und es kam auch tatsächlich häufig zu milderen Strafen, als die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Dieses Mißverhältnis zwischen Antrag des Staatsanwaltes und gerichtlicher Strafzumessung war wiederholt Gegenstand literarischer Erörterung. Der Erste Staatsanwalt Dr. Brinkmann aus Halle sah in der „keineswegs seltenen Abweichung der vom Staatsanwalt beantragten von der erkannten Strafe" eine Einbuße an Ansehen des Staates und eine Erschütterung des Vertrauens zu einem gerechten Strafausspruch27. Von anwaltlicher Seite wurde ihm der — naheliegende — Einwand entgegengehalten, seine Auffassung lasse völlig außer Acht, daß der Angeklagte und sein Verteidiger, der „juristisch geschulte Rechtsanwalt", zur Frage der Strafzumessung gelegentlich ja auch etwas beizutragen hätten28. Die Rechtsanwaltschaft dürfe „in

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ihrer dem Gesetz entsprechenden Verteidigeraufgabe und in ihrer Mitwirkung bei Findung eines gerechten Urteils nicht beeinträchtigt oder unterbewertet werden!"29 Trotz solcher Einwände von Strafverteidigern beschäftigte das Problem die Justizverwaltung weiter. Rothenberger, der Präsident des Hanseatischen OLG, forderte am 30.11. 1938 die ihm unterstellen LG-Präsidenten zur Äußerung zu der Frage auf, wie sich die Differenz zwischen Strafantrag des Staatsanwaltes und Erkenntnis des Gerichtes beheben ließe, da sie „in gewisser Weise unerwünscht und dem Ansehen der Justiz in der Bevölkerung jedenfalls nicht dienlich" sei. Die LG-Präsidenten teilten zwar seine Auffassung, sahen aber keine Möglichkeit zur Abhilfe». Ein halbes Jahr später, am 27. Mai 1939, erging eine RV des RMJ, gezeichnet von Freister, die Richtern und Staatsanwälten aufgab, in Fällen von besonderer Bedeutung eine Verständigung über das Strafmaß vor der Entscheidung herbeizuführen. Die „Fühlungnahme" sollte besonders dazu dienen, „die gerechte Härte unserer Strafrechtspflege sicherzustellen."31 Die Konsequenzen, die die Staatsanwaltschaften sogleich daraus zogen, lassen sich dem Protokoll einer Besprechung der Oberstaatsanwälte im Kammergerichtsbezirk vom 2.11. 1939 entnehmen, das Schimmler*1 zitiert. Dort hieß es, ein „Auseinanderfallen zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft im Antrag und im Urteil" sei „unbedingt" zu vermeiden, eine Besprechung mit dem Vorsitzenden „weitestgehend" durchzuführen. Die „Fühlungnahme" wurde in der Folgezeit mit derartiger Schamlosigkeit — insbesondere bei den Sondergerichten — betrieben, daß selbst Gefolgsmänner des nationalsozialistischen Staates wie der Berliner Kammergerichtspräsident Hölscher empört reagierten. Er schilderte in seinem Lagebericht vom 3.1.42 mehrere Vorfälle, die er z. T. selbst beobachtet hatte33. In einem Fall hätten sich Staatsanwalt und Gericht vor dem Beginn der Verhandlung im Beratungszimmer so lautstark unterhalten, daß es im Sitzungssaal — besonders vom Angeklagten — zu hören gewesen sei. Nach ihrem Gespräch seien Anklagevertreter und Richter für alle im Saal Anwesenden sichtbar durch dieselbe Tür aus dem Beratungszimmer eingetreten. Bei anderer Gelegenheit hätte ein Staatsanwalt einem Sondergerichtsvorsitzenden vor Sitzungsbeginn mitgeteilt, daß er vom RMJ angewiesen sei, die Todesstrafe in zwei Fällen zu beantragen34. Der Vorsitzende habe diese Mitteilung so verstanden, als erwarte man von ihm zwei Todesurteile. Wiederholt, so der KG-Präsident, seien auch nach Beginn der Verhandlung, insbesondere nach Abschluß der Beweisaufnahme und vor den Plädoyers „Fühlungnahmen" im Beratungszimmer vorgekommen. Das Gaurechtsamt habe sich an das Reichsrechtsamt der NSDAP gewandt, um gegen diese Praxis zu protestieren, die besonders unter den Anwälten „außerordentliches Befremden" ausgelöst habe. Nach Ansicht des Gaurechtsamts, dessen Schreiben im Lagebericht wörtlich wiedergegeben wurde, war das Plädoyer „praktisch zur Formsache" geworden, da Staatsanwalt und Gericht sich schon vorher über die Strafe einig geworden seien. Es forderte daher, zu der „Fühlungnahme", wenn man sie schon für erforderlich halte, auch den Verteidiger hinzuzuziehen. Verteidiger, die sahen, daß sich Gericht und Staatsanwalt ins Beratungszimmer zur „Fühlungnahme" zurückzogen und selbst daran teilnehmen wollten, wurden jedoch zurückgewiesen35.

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Der Präsident des Kammergerichts wandte sich in seinem Bericht keineswegs grundsätzlich gegen die Absprachen zwischen Staatsanwalt und Gericht. Am Ende seiner Ausführungen wünschte er lediglich eine diskretere Durchführung, möglichst bereits am Tage vor der Hauptverhandlung. Freister machte sich solche Anregungen zu eigen, als er in einer RV an die Staatsanwaltschaften vom 5.10.4236 seine Anordnung aus dem Jahr 1939 in Erinnerung rief. Er verlangte, die Beratungen seien grundsätzlich vor der Hauptverhandlung zu führen. Wo dies in Ausnahmefällen nicht zu gewährleisten sei, forderte er zu besonderer „Zurückhaltung und Unauffälligkeit" auf. Trotz solcher Mahnungen höchster Stellen hielten es viele Richter und Staatsanwälte weiterhin nicht für angebracht, ihre Intimitäten vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Anläßlich einer Direktorenbesprechung im Juni 194337 im Hanseatischen OLG rügte dessen Präsident Schmidt-Egk, „daß die Fühlungnahme der Gerichte mit der Staatsanwaltschaft in Strafverhandlungen so offensichtlich betrieben werde, daß bei dem Anwalt und insbesondere aber auch bei dem Publikum der Eindruck entstünde, daß das Urteil des Gerichts schon vor dem Plädoyer des Staatsanwalts und des Verteidigers festgelegt sei. Für die Verteidiger entstünden dadurch sehr große Unannehmlichkeiten, weil nach außen hin es gänzlich gleichgültig sei, was sie in ihrem Plädoyer vortrügen".

Die Anwesenden hielten zwar solche Kritik für unberechtigt, einigten sich jedoch zuletzt darauf, eine Empfehlung auszusprechen, daß der Staatsanwalt künftig nicht in das Richterzimmer gehen solle; „in wichtigen Fällen wird es zweckmäßig sein, eine Besprechung im Zimmer des Staatsanwalts, das meist abgelegen ist, herbeizuführen." 38 Der Hamburger Rechtsanwalt Hallier beschwerte sich am 21.9.43 bei der RAK Hamburg über die Fühlungnahmen, die dem Verteidiger die Überzeugung geben würden, „daß das Gericht bei seinen Ausführungen, auch wenn sie sehr ausführlich und rechtlich gut begründet sind, nicht mehr voll zuhört bzw. sich dadurch nicht beeinflussen läßt." Auch ihn veranlaßte offenbar besonders die Sorge um die Reputation seines Berufes zum Protest, da er empfahl, die Fühlungnahme in einer Form durchzuführen, in der der Angeklagte sie nicht bemerke. Die RAK gab das Schreiben39 an das OLG weiter, wo es der Chefpräsident auf der Präsidentenbesprechung vom 23.10. 43 zum Anlaß nahm, erneut darum zu bitten, „bei dieser an sich notwendigen Abstimmung so vorzugehen, daß sie im Gerichtssaal nicht bemerkt würde"40. Es nimmt nicht Wunder, daß immer mehr Rechtsanwälte unter diesen Bedingungen die Bereitschaft verloren, als Strafverteidiger vor Gericht aufzutreten. Andere Gründe für diese Abneigung, von denen später die Rede sein wird, traten hinzu und erfüllten die Justizverwaltung mit wachsender Sorge, zumal die Strafverteidigung dadurch zunehmend zu einer Spezialität „unzuverlässiger" Anwälte wurde, da, wie es der Generalstaatsanwalt von Jena (Wurmstich} in einem Schreiben an den RMJ vom 25.1. 194441 ausdrückte, „gerade die tüchtigsten und zuverlässigsten Rechtsanwälte es immer mehr ablehnen, Verteidigungen zu übernehmen, während die Strafrechtspraxis gerade solcher Rechtsanwälte, gegen die Bedenken bestehen, immer größer wird."

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Unter den — achtzehn — Gründen, die der Generalstaatsanwalt als Ergebnis einer Umfrage unter den Rechtsanwälten seines Bezirks hierfür aufzählte, findet sich u. a. das Mißfallen der Anwälte darüber, „daß manche Richter sofort nach dem letzten Wort des Angeklagten das Urteil verkünden. Manche Rechtsanwälte wollen beobachtet haben, daß die Urteilsformel schon vor Beginn der Hauptverhandlung niedergeschrieben war oder während der Ausführungen des Verteidigers niedergeschrieben wurde." Weiter hieß es: „Die schwersten Bedenken werden gegen die Lenkung der Strafrechtspflege vorgebracht. Die meisten Rechtsanwälte glauben, das Urteil sei schon vor der Hauptverhandlung zwischen Staatsanwalt und Gericht vereinbart, diese gingen nach den Weisungen der vorgesetzten Dienststellen mit gebundener Marschroute in die Hauptverhandlung, jedes Verteidigervorbringen sei zwecklos, vom Strafantrag des Staatsanwaltes könne doch nichts herunterverteidigt werden." Da infolgedessen das Bild einer nach außen hin intakten Strafrechtspflege in der Bevölkerung Schaden zu nehmen drohte, war die Justizverwaltung bemüht, das Verhältnis zwischen Gerichten und Anwaltschaft nicht unnötig zu belasten. Sie hielt daher die Richter an, durch ihr Verhalten in der Hauptverhandlung nicht den Anschein in der Öffentlichkeit zu erwecken, sie betrachteten den Verteidiger als ein in der Sache entbehrliches Beiwerk des Prozesses. Anläßlich der Präsidentenbesprechung vom 14.12. 1944 im Hanseatischen OLG berichtete der Chefpräsident von einer Tagung der Fachgruppe „Rechtsanwälte" im NSRB Gau Hamburg42. Dort war von Anwälten darüber geklagt worden, „daß oftmals während des Plädoyers der Vorsitzer bereits das Urteil niederschreibe." Im Interesse des Ansehens der Anwälte beim Mandanten und beim Publikum bat der Chefpräsident, solches künftig zu unterlassen. Er meinte weiter, „es müsse Wert darauf gelegt werden, daß das gute Einvernehmen zwischen Gericht und Anwaltschaft in Hamburg erhalten und gefördert werde. Wenn — im Einzelfall — das Gericht und der Staatsanwalt vor dem Antrage des Anklagevertreters Fühlung zu nehmen wünschten, so möge dies derart geschehen, daß die Verteidigung, die Angeklagten und die Zuhörerschaft nicht den Eindruck erhielten, als ob das Urteil ohne Mitwirkung der Verteidigung im voraus ausgehandelt werde." Neben die „Fühlungnahme" zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft trat im Jahr 1942 — noch unter Schlegelberger, der seit Gärtners Tod am 29.1.41 das RMJ kommissarisch leitete — die sog. „Vor- und Nachschau". Es handelte sich um eine Erfindung Rothenbergers^. Er verfügte am 7. Mai 1942 für den hanseatischen Oberlandesgerichtsbezirk die Durchführung regelmäßiger Besprechungen, an denen die Senatspräsidenten des HOLG bzw. die Präsidenten der Amtsgerichte, der beiden Landgerichte, ein Vertreter des Generalstaatsanwaltes sowie die beiden leitenden Oberstaatsanwälte teilnehmen sollten. Bei diesen Zusammenkünften waren die wichtigsten Urteile in Straf- und Zivilsachen der vergangenen Woche vorzutragen (Nachschau) und die in der folgenden entscheidungsreifen Sachen zu erörtern (Vorschau). Die Staatsanwälte sollten ihre Meinung zu den verschiedenen Fällen mitteilen und die beabsichtigten Strafanträge ankündigen. Neben diesen „Präsi-

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dentenbesprechungen" war wöchentlich ein Treffen der Vorsitzenden der verschiedenen Kammern des Sondergerichts vorgesehen, an dem auch die dort tätigen Staatsanwälte teilzunehmen hatten. Die erste „Vor- und Nachschau" fand am 16. Mai 1942 statt. Nach Rothenbergers Wechsel ins RMJ im August 1942 wurde die „Vor- und Nachschau" durch vertrauliche Rundverfügung vom 13.10.421*4 im gesamten Reichsgebiet eingeführt. Die der Verfügung beigefügte Begründung hob hervor, daß eine Gängelung der Richter nicht beabsichtigt sei. Ihnen solle lediglich eine Hilfestellung gegeben werden. Sehr sensibel reagierte die Justizverwaltung auf die Reaktionen von Anwälten, denen die neue Übung trotz aller getroffenen Geheimhaltungsmaßnahmen nicht lange verborgen blieb. Auf der Sondergerichtsbesprechung vom 4.7.42 in Hamburg 45 wurde über einen Rechtsanwalt berichtet, der in einem Schriftsatz geäußert habe, sein Mandant wäre freigesprochen worden, wenn seine Sache nicht vor dem SG angeklagt worden und nicht für den Hauptangeklagten die Todesstrafe vorgesehen gewesen wäre. Ein anderer Anwalt hatte einem Oberstaatsanwalt gegenüber geäußert, „es habe ja keinen Zweck mehr, an das Sondergericht zu gehen, die Urteile würden ja schon in der Vorschau festgelegt." Rotbenberger ließ daraufhin letzteren Anwalt „vorladen" und bat, ihm „gründlich die Meinung zu sagen". Da offenbar dennoch weiter Klagen von Rechtsanwälten laut wurden, sah er sich bereits wenige Tage später, am 13. Juli 1942, veranlaßt, in einem wesentlich moderater gehaltenen Schreiben an den Präsidenten der An waits kammer46 hervorzuheben, Zweck der Zusammenkünfte sei es ausschließlich, „sich über allgemeine Rechtsfragen und die grundsätzliche Behandlung von gleichgelagerten Fällen auszusprechen." Eine Anzahl von Beispielen, die/o/&e47 aus den erhaltenen Protokollen der Besprechungen im Hanseatischen Oberlandesgerichtsbezirk gibt, erweist jedoch, daß die Erörterungen sich häufig auf Einzelfälle konzentrierten und dazu Entscheidungsvorschläge hervorbrachten. Die wurden freilich nicht immer befolgt. Die Proteste von Rechtsanwälten rangen dem RMJ zuletzt ein geringfügiges Entgegenkommen ab, indem es zuließ, daß die Kammerpräsidenten an den Lenkungsgesprächen teilnahmen, sofern „anwaltliche Belange" zur Diskussion standen48. Ihre Ausgrenzung wurde damit aber lediglich festgeschrieben. Denn die Vor- und Nachbereitung des Urteils wurde dadurch zu einer Angelegenheit erklärt, die den Verteidiger nichts anging. Der mußte sich fragen, was er im Strafverfahren dann überhaupt noch zu suchen hatte. Die Maßnahmen zur Steuerung der Rechtspflege — besonders die verschärfte Berichtspflicht — wurden in Justizkreisen nach einem Bericht des Sicherheitsdienstes (SD) vom 3.9.4249 überwiegend ablehnend aufgenommen — und zwar sowohl von konservativen als auch von „politisch aufgeschlossenen" Richtern. Von ersteren, weil sie einen „völligen Bruch mit der bis dahin herrschenden Auffassung von der richterlichen Unabhängigkeit" darstellen, von letzteren, weil sie am Kern des Problems, der mangelnden „einheitlichen politischen weltanschaulichen Ausrichtung der Richter" vorbeigingen. Statt dessen führten sie dazu, daß manche sich von ihrer Verantwortung für das Urteil entbunden fühlten, wenn sie

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dem Antrag des Staatsanwaltes folgten, „um sich unter Berufung auf die Auffassung des Ministeriums allen sich möglicherweise aus einem Fehlurteil ergebenden Unannehmlichkeiten entziehen zu können." Die vom Ministerium erteilten Weisungen seien im übrigen uneinheitlich und nicht selten inhaltlich verfehlt. Einzelne OLG-Präsidenten hätten die Inhalte, die ihnen auf Tagungen im RMJ zur Lenkung der Rechtsprechung vermittelt worden seien, in ihren Bezirken nur innerlich distanziert wiedergegeben. Dadurch sei die Unsicherheit vieler Richter erhöht worden. Der SD kam daher zu dem Ergebnis, „daß die sogenannte Steuerung der Strafrechtspflege den mit ihr angestrebten Erfolg nur in sehr beschränktem Maße gehabt hat." Er rügte besonders den damit betriebenen, völlig unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand. Darüber hinaus habe die Berichtspflicht die „Entschlußkraft und Verantwortungsfreude der Richter gelähmt". Wesentlich günstiger war unter den Richtern und Staatsanwälten die Aufnahme der sog. Richterbriefe, die unter der neuen Justizführung — Tbierack war am 20. 8.42 zum neuen RMJ ernannt worden; sein Staatssekretär wurde Rothenberger, während Freister Thierack als Präsident des VGH ablöste und Schlegelberger in den Ruhestand geschickt wurde — erstmals am 1.10.42 erschienen50. Hierüber berichtete der Sicherheitsdienst (SD) in seinen „Meldungen aus dem Reich" vom 13.5. 194351. Besonders begrüßt wurde danach die „taktvolle Form", und daß „hier niemals Weisungen im Einzelfall gegeben, sondern lediglich die große Linie aufgezeigt werde." Nur wenige Richter fühlten sich bevormundet oder gegängelt. Besonders „angenehm überrascht" habe die moderate Tendenz der Richterbriefe, die nicht nur — wie zunächst befürchtet — für eine Strafverschärfung eingetreten seien, sondern „gelegentlich auch größere Milde" befürwortet hätten. Durch die bürokratischen Lenkungsmaßnahmen der „früheren Leitung" sei dagegen „kaum je eine schnelle und klare Stellungnahme zu bestimmten Fragen" zu erhalten gewesen, zumal auch die OLG-Präsidenten die empfangenen Weisungen nur „gelegentlich und unvollständig" an die unteren Instanzen der Gerichte weitergegeben hätten. Auch in der Justiz hatte der Schwung, mit dem Richter und Staatsanwälte miteinander in Fühlung traten, bereits 1941 (also noch unter Schlegelberger) zu Gegenmaßnahmen, Mahnungen zur Zurückhaltung geführt. In Berlin wurde anläßlich einer Besprechung der Oberstaatsanwälte am 2. April 1941 gefordert, die „Fühlungnahme" nur noch auf „wichtige Fälle" zu erstrecken52. Noch am 20.1.44 wurde die Neigung mancher Staatsanwälte kritisiert, sich allzu bereitwillig den Weisungen vorgesetzter Stellen zu unterwerfen „und ihre Meinung aufzugeben." Dagegen müsse vom Sachbearbeiter „erwartet und verlangt werden, daß er stets seine eigene Meinung vertritt. Für den Behördenleiter ist es von Interesse, diejenigen Punkte kennenzulernen, die etwa gegen die von ihm beabsichtigten Entscheidungen anzuführen sind."53 Dies erhellt, daß die Formel „Totaler Krieg — totale Lenkung", die von Kritikern der NS-Justiz geprägt wurde 54 , die Situation der Justiz in den späteren Kriegsjahren nur unvollkommen charakterisiert. Sie akzeptiert das Wunschdenken der autoritären Kräfte im RMJ, das sich in der Wirklichkeit der Gerichte nicht einlösen ließ. Der gestandene Nationalsozialist Thierack rückte von seiner Len-

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kungspraxis ab, die unter seinem konservativen Vorgänger Scblegelberger eingeführt worden war. Die Richterbriefe legen dadurch auch Zeugnis dafür ab, daß die grausame Härte, mit der die Strafjustiz auf ihre Opfer einschlug, nicht das Resultat administrativen Zwanges oder nazistischen „Terrors" war, als das sie nach 1945 gerne entschuldigt wurde. Die Unabhängigkeit des Richters blieb auch unter nationalsozialistischer Herrschaft erhalten. Damit ist auch gesagt, daß der Verteidiger nicht auf verlorenem Posten gegen eine Strafjustiz focht, deren Urteile allein von ihm unerreichbaren Mächten bestimmt wurden. Ihm blieb ein nicht unwesentlicher Einfluß auf die gerichtliche Entscheidung. Neben diese justizimmanente Tendenz, die zu einer Ausweitung des administrativen Einflusses auf die gerichtliche Entscheidung führte, trat die fortschreitende Usurpation justizieller Kompetenzen durch (andere) Bürokratien. Den eindrucksvollsten Kompetenzzuwachs auf Kosten der Justiz erfuhr die Polizei. Von den Anfängen dieser Entwicklung war bereits die Rede. Sie betraf zunächst die Bekämpfung politischer Gegner des NS-Staates. Gezeigt wurde auch, daß die zuständigen polizeilichen Instanzen die Hinzuziehung von Rechtsanwälten nicht gestatteten. Mit der weiteren Ausweitung polizeilicher Zuständigkeiten auf dem Gebiet der „Kriminalitätsbekämpfung" verloren daher immer mehr Menschen den Schutz durch einen Verteidiger. Schließlich gingen auch die zahlreichen Sonderbehörden, die der nationalsozialistische Staat hervorbrachte, dazu über, sich das Vorbild der Polizei zu eigen zu machen. Wegen dieser Vorreiterrolle der Polizeiverwaltung soll hier zunächst deren Entwicklung in groben Zügen nachgezeichnet werden. Kriminalitätsbekämpfung durch die Polizei Der rechtlichen Verselbständigung der Gestapo, die das G vom 10.2. 36 abschloß (s. o.), folgte im selben Jahr der Zusammenschluß von SS und Polizei unter Führung Himmlers, fortan tituliert als „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei"55, der damit zum mächtigsten Mann auf dem Gebiet der deutschen Innenpolitik avancierte. Schon ein halbes Jahr später, im März 1937, begannen die ersten großangelegten Aktionen der Polizei im gesamten Reichsgebiet gegen „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher oder gemeingefährliche Sittlichkeitsverbrecher". Dabei wurden 2000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt56. Diese Übung wurde wenig später auf alle die ausgedehnt, die als „Arbeitsscheue"57 oder „Asoziale"58 galten. Im September 1939 wurde die Praxis der „Sonderbehandlungen" eingeführt. Hinter der neutralen Fassade dieses Begriffes verbarg sich schlicht die Ermordnung von Menschen, die, so Heydrich^, versuchten, „die Geschlossenheit und den Kampfeswillen des Deutschen Volkes zu zersetzen." Dazu zählten etwa: „Sabotageversuche, Aufwiegelung oder Zersetzung von Heeresangehörigen oder eines größeren Personenkreises, Hamsterei in großen Mengen, aktive kommunistische oder marxistische Betätigung usw."60 Von den sog. „Urteilskorrekturen" durch die Gestapo war bereits an anderer Stelle die Rede. Die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Geheimer Staatspolizei, die dieser Praxis zugrunde lag, wurde sukzessive ausgebaut, so daß die Gestapo zuletzt von jedem Verfahren gegen

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„Staatsfeinde" Kenntnis erlangte, wozu nicht nur „Hoch- und Landesverräter", sondern auch generell „Zuchthäusler", Bibelforscher und wegen Rassenschande verurteilte Personen zählten61. Ab 1940 war die Polizei von Goring ermächtigt, die „Lebensführung" polnischer Arbeiter im Reichsgebiet zwecks deren „Niederhaltung" zu überwachen, eine Befugnis, die später auf andere „Fremdvölkische" ausgedehnt wurde und auch als Vorlage für die Juden-VOen diente. Nach einer „Vereinbarung" zwischen Thierack und Himmler (an deren Zustandekommen allerdings Zweifel angemeldet werden)62 vom 18. 9. 42 ging die Kompetenz zur Strafverfolgung hinsichtlich Juden, Polen, Zigeunern, Russen und Ukrainern auf den RFSS über. Überdies kamen die Beteiligten überein, daß „asoziale Elemente" an den RFSS — anteilsmäßig an Kriminalpolizei und Gestapo — zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert werden sollten. Hierzu zählten u. a. Sicherungsverwahrte und „Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des RMJ"63. Der Justiz sollten „Ostarbeiter" nur noch dann überlassen werden, wenn es die Polizei wünschte. Dabei kamen insbesondere die Fälle in Betracht, „in denen aus stimmungspolitischen Gründen eine gerichtliche Aburteilung wünschenswert erscheint und durch vorherige Fühlungnahme sichergestellt ist, daß das Gericht die Todesstrafe verhängen wird."64 Die 13. VO zum ReichsbürgerG vom 1.7.43 überließ die Strafverfolgung von Juden ebenfalls der Polizei65. Nach einer Übersicht, die im RMJ anläßlich einer Tagung der OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte am l O./11.12. 43 zusammengestellt wurde, blieb daher in der Zuständigkeit der Justiz nur noch die „mittlere Kriminalität von Deutschen" sowie die als „Mittelstufe" bezeichnete schwere Einzelkriminalität der „Fremdvölkischen"66. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß diese — wie Kern61 es nannte — „Verengung des Aufgabenkreises der Justiz durch Entlastung von schwierigen politischen Entscheidungen" auch das Arbeitsfeld der Strafverteidiger erheblich eingrenzte. Seit Kriegsbeginn war es auch nicht mehr allein die Gestapo, die sich weigerte, Rechtsanwälte als Vertreter derer zuzulassen, die von ihren Maßnahmen betroffen waren. Auch andere Polizeistellen schlössen sich dieser Übung an. Die Kriminalpolizei etwa ließ eine anwaltliche Vertretung von Vorbeugungshäftlingen nicht zu68. Der Protest der RRAK gegen die Haltung der Polizei blieb wirkungslos. Neubert wandte sich mit einem Schreiben vom 4. 5. 194269 an den RMJ, um auf die polizeiliche Praxis hinzuweisen, Rechtsanwälten grundsätzlich die Einsicht in Ermittlungsakten zu verweigern. Angesichts des Umstands, daß „in den letzten Jahren das Tätigkeitsgebiet der Polizei ganz außerordentlich erweitert worden ist, so daß die Polizei in viel weiterem Umfange als früher in die Lage versetzt ist, Maßnahmen zu treffen, die für den betroffenen Volksgenossen von außerordentlicher Tragweite sind", forderte er eine grundsätzliche Klärung der Angelegenheit und schlug vor, sie nach dem Vorbild der strafprozessualen Regelung herbeizuführen. Der RMJ gab auch am 31. 8.42 Neuberts Wunsch — allerdings stark relativiert — an den RFSS weiter und bat darum, „aus Gründen der Zweckmäßigkeit anzuordnen, daß Rechtsanwälten Einsicht in polizeiliche Akten zu gewähren ist, soweit nicht im Einzelfall polizeiliche Bedenken entgegenstehen, und daß bei Beurteilung der Ausnahmen großzügiger als bisher zu verfahren ist."70 Die Ant-

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wort, die der RFSS hierauf am 15.1.42 (auch dieses Schreiben ohne Anrede und Gruß) erteilen ließ, stellte lediglich fest, daß man an eine Änderung der praktizierten Übung nicht denke. Denn die polizeilichen Dienststellen gäben „an Hand der Polizeiakten bereitwilligst jede Auskunft über die für die Beurteilung der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen vorliegenden Tatbestandmerkmale und über die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen." Die Einsicht in polizeiliche Akten führe dagegen „nach den gemachten Erfahrungen" nur zu Mißbräuchen. Er mochte sich „zu meinem Bedauern daher zu der von Ihnen erbetenen Regelung nicht ... entschließen"71. Die Vielfalt der Sanktionsgewalten Die ständische Gliederung der Gesellschaft im nationalsozialistischen Deutschland unterwarf die Angehörigen der einzelnen Berufsgruppen Mächten, deren Einfluß mit dem der freiwilligen Zusammenschlüsse aus der Zeit vor 1933 (Gewerkschaften, Unternehmer- und Bauernverbände etc.) nicht vergleichbar war. Nunmehr handelte es sich um Zwangsverbände, deren für den Betroffenen zum Teil folgenschwere Entscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle entzogen wurden72. Gleichzeitig wurde das „rasch, billig und geräuschlos arbeitende"73 Ordnungsstrafrecht der (allgemeinen) Verwaltung stetig erweitert. Es gab den Behörden das Recht, Geldstrafen, z. T. in unbegrenzter Höhe, Betriebsschließungen und Berufsverbote durch Strafbescheide zu verhängen. Die mit solchen weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Preisbehörden74 wurden auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts zur wichtigsten Institution und drängten die justizielle Strafverfolgung in den Hintergrund75. Die Anrufung eines Gerichts gegen die von ihnen verhängten Sanktionen war ausgeschlossen76. Eine besondere Rolle spielten die SS- und Polizeigerichte sowie die Kriegsgerichte, zuständig für die Angehörigen der Reichswehr. Sie verfügten über eine Strafgewalt, die bis zur Verhängung der Todesstrafe reichte. Ihre Verfahrensordnungen, in denen das „Auflockerungs"prinzip noch wesentlich weiter getrieben wurde 77 als im ordentlichen Strafprozeß, dienten den Vordenkern der Rechtserneuerung als ein Experimentierfeld. Sorgenvoll notierte Eberhard Schmidt im Jahr 1942, in einer Zeit, als die juristische Wissenschaft bereits auf Distanz zu der Entwicklung des Prozeßrechts ging, die sie selbst vorbereitet hatte78, man könne die KStVO „gewissermaßen (als) ein Probestück sehen, in dem eine ganze Reihe der tragenden Gedanken der allgemeinen Strafverfahrensreform in letzte Konsequenzen entwickelt worden sind. Die Entwicklungsspirale aber hat damit wieder eine Drehung in die Zone der Ermessensfreiheit und des formentbundenen Zweckmäßigkeitsdenkens vollzogen." Auswirkungen auf die Strafverteidigung Die Arbeit der Strafverteidiger verlagerte sich damit in beträchtlichem Umfang aus dem Strafprozeß heraus in administrative Bereiche. Gleichzeitig wuchs — mit der Ausweitung der justizfreien Räume, in denen die Behörden nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnten — die Selbstherrlichkeit der Verwaltung

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und damit ihre Unlust, Rechtsanwälten eine Vertretung derer zu ermöglichen, die von behördlichen Sanktionen betroffen waren. Die von der Gestapo eingeführte Übung, mit der Zurückdrängung justizieller Kontrolle jegliche Rechtsförmlichkeit und damit ein Auftreten von Rechtsanwälten auszuschließen, ergriff damit auch von den übrigen Behörden Besitz. Erste Anzeichen einer solchen Entwicklung hatten die „Reichsfachgruppe Rechtsanwälte im BNSDJ" schon auf einer Tagung Ende März 1935 beschäftigt. In seinem Einleitungsreferat, dessen erster Teil in der JW abgedruckt wurde79, beklagte Raeke, der Stellvertreter des Reichsjuristenführers, den „schweren Stand", den die Anwaltschaft gegenüber den sich aus dem ständischen Aufbau ergebenden „dynamischen Kräften habe"80. Dieser Teil des Referates wurde nicht veröffentlicht, wohl auch deshalb, weil Raeke „recht kräftige Ausdrücke"81 fand. Er sprach von den Anwälten als „Stiefelputzern des Reichsnährstandes" und von „chinesischen Zuständen". Um solchen Protesten von sehen der Rechtsanwaltschaft zu begegnen, wurde der RRAO vom 21.2.1936 der Vorspruch vorangestellt, der Rechtsanwalt sei der „berufene, unabhängige Vertreter und Berater in allen Rechtsangelegenheiten". Noacks Kommentar hierzu82 hob ausdrücklich hervor, „daß der Rechtsanwalt grundsätzlich vor jeder Behörde des Deutschen Reichs aufzutreten berechtigt ist, es sei denn, daß eine SpezialVorschrift eine Ausnahme zur bejahenden Generalklausel schafft". Diese Verlautbarungen hatten jedoch — wenn überhaupt — dann allenfalls einen propagandistischen Effekt, indem sie bei manchen Anwälten die Hoffnung weckten, ihr Arbeitsgebiet ließe sich unter Berufung hierauf behaupten oder gar erweitern. Die Behörden aber zeigten sich davon nicht beeindruckt. Weiter wirkten die „dynamischen Kräfte" auf ein Zurückdrängen der Anwälte hin. Im August 1940 reagierte der Präsident der RRAK auf mehrfache Proteste von Rechtsanwälten, denen die Preisbildungsstellen in Ordnungsstrafverfahren Akteneinsicht verweigert hatten, mit dem Hinweis auf einen Erlaß des „Reichskommissars für die Preisbildung" aus dem Jahr 1939. Darin war ein Akteneinsichtsrecht für Rechtsanwälte vorgesehen worden83. Die Behörden legten den Erlaß jedoch so aus, daß Rechtsanwälten grundsätzlich die Einsicht zu verweigern sei84. Welche Folgen das für die betroffenen Anwälte hatte, erläuterte der Berliner Rechtsanwalt Gryimek auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Strafrechtspflege am 26.11.41: „Nicht einmal die genaueren Gründe, die die Preisstellen zu ihrem Vorgehen veranlaßt haben, lassen sich mitunter feststellen ... Es ergibt sich dann eine ähnliche Situation wie im Ermittlungsverfahren bei den Strafbehörden bei Erhebung der Anklage: Der Verteidiger muß durch Rücksprachen mit den Sachbearbeitern versuchen, etwas herauszubekommen, ist auf deren Freundlichkeit angewiesen ... Das ist schon im Strafverfahren sehr unangenehm und nicht zweckmäßig. Dort wird es aber wenigstens im letzten Stadium des Prozesses dadurch korrigiert, daß wenigstens dann voll Akteneinsicht gegeben ist. Bei den Preisstellen wird aber nicht einmal im entscheidenden Stadium diese Akteneinsicht gewährt. Die Waffen sind doch sowieso für beide Teile sehr ungleich, da der Einzelne bei weitem nicht die Möglichkeit hat, wie die Reichsbehörde und der riesige Apparat der Polizei. Wenn der Einzelne nicht einmal genau weiß, wogegen er sich zu verteidigen hat, so wird eine solche Verteidigung fast unmöglich."85

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In einem Schreiben an den RMJ vom 10. 7.42s6 sprach Neubert, der Präsident der RRAK davon, „daß die Polizei- und Verwaltungsstellen in vielen Fällen den Rechtsanwälten jede Akteneinsicht verweigern". Davon ging offenbar auch RMJ Thierack in einem Schreiben an den Chef der Reichskanzlei, Lammers, vom 17.11.42 aus, wo es heißt, „daß heute schon in vielen Verfahren vor Verwaltungsbehörden, z. B. im Unterwerfungsverfahren vor den Finanzbehörden oder bei der Aburteilung durch die Polizei oder im Ordnungsstrafverfahren vor den Wirtschaftsämtern die Rechtsanwälte nicht mehr zugelassen werden"87. Diese Haltung der Behörden ließ das Klima zwischen Anwaltschaft und Verwaltung zunehmend angespannt werden, so daß der Präsident der RRAK versuchte, auf die Angehörigen seines Standes mäßigend einzuwirken, wohl in der Hoffnung, besseres Benehmen werde zu großzügigerer Duldung der Anwälte führen. In einer Mitteilung aus dem Jahre 1941 hieß es: „Wo eine Auseinandersetzung mit behördlichen Maßnahmen erforderlich ist, wird sich in aller Regel eine Form finden lassen, die eine sachgemäße Vertretung des Mandanten ohne Beeinträchtigung des Staates und seiner Vollzugsorgane zuläßt."88

An anderer Stelle hieß es im Hinblick auf das Auftreten vor Gericht: „Bei der Erörterung behördlicher Maßnahmen ist ... darauf Bedacht zu nehmen, daß die Autorität des Staates nicht herabgesetzt wird und behördliche Maßnahmen nicht einer unsachlichen Kritik unterzogen werden."89

Trotz solcher Appelle häuften sich die Fälle, in denen Rechtsanwälte von Behörden zurückgewiesen wurden, so sehr, daß das RMJ zuletzt die Bereitschaft verlor, sich für die anwaltlichen Interessen einzusetzen. Das ergibt sich aus einem Schreiben des RMJ an den „Herrn Präsidenten der RRAK" vom 19.2.43. Darin heißt es: „Ich habe mich bisher in allen Fällen einer unzulässigen Beeinträchtigung der Berufsausübung der Rechtsanwälte, die Sie bei mir zur Sprache gebracht haben, bei den jeweils zuständigen Obersten Reichsbehörden eingesetzt. Nach der Entwicklung der Geschäftslage und der weiteren erheblichen Verschärfung der Personallage in allen Zweigen der Verwaltung trage ich aber Bedenken, weiterhin für die fernere Dauer des Krieges in Einzelfallen bei den beteiligten Reichsministerien Vorstellungen zu erheben."90

Die Macht der Maßnahme Die in diesem Kapitel beschriebene Veränderung im tradierten Gefüge der Strafjustiz begann auch die juristische Wissenschaft mit Skepsis zu erfüllen. Die Entwicklung nahm in ihren Augen eine Richtung, die tendenziell die Existenzberechtigung der Strafgerichtsbarkeit bedrohte. Diese Sorge erfüllte Georg Dahm, der sich in einem Aufsatz aus dem Jahr 194l91 mit der Stellung des Richters in der Strafjustiz beschäftigte. Er konstatierte eine Angleichung des justiziellen an das Verwaltungsverfahren, „teils durch die Einschaltung anderer Behörden und Stellen in die Verbrechensbekämpfung, die mit der Rechtspflege in Konkurrenz treten, teils durch einen Wandel im inneren Aufbau der Strafrechtspflege, der den Abstand von Justiz und Verwaltung vermindert"92. Diese Entwicklung der Strafgerichtsbarkeit zu „einer Art Verwaltungsgerichtsbarkeit" sah er auch durch die fortschrei-

Anmerkungen

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tende Entformalisierung des Strafverfahrensrechts befördert93. Sollte am Ende die Strafe nichts anderes sein als eine Maßnahme praktischer Verbrechensbekämpfung, so entfiele die „innere Notwendigkeit", die Gerichte mit dieser Aufgabe zu betrauen94. Die fortschreitende Durchdringung des „Normenstaates" von der Zweckrationalität der Maßnahme machte somit die Grenzziehung zwischen beiden Bereichen zunehmend obsolet. Lange bevor sich dieser Prozeß in den Poltereien Hitlers gegen die Justiz entlud, waren daher die Weichen für eine Entwicklung gestellt, die am Ende wahrscheinlich den Anwaltsberuf in seiner tradierten Gestalt als Vertreter subjektiver Individualrechte beseitigt hätte, und zwar wesentlich wirkungsvoller als alle Phrasen vom „Dienst am Recht" oder vom „Sachwalter der Gemeinschaft". Sie mußte bereits in ihren Anfängen zu einer Konfrontation zwischen den Verfechtern dieser Entwicklung in Polizei und Justiz und der Anwaltschaft führen. Die Zeichen hierfür mehrten sich seit 1938.

Anmerkungen 1. S. o. S. 133 ff 2. RGB1.I, S. 405 3. RGB1.1, S. 1641 mit DVOen vom 17.9.39, RGB1.1, S. 1847 und vom 11.12. 39, RGB1.1, S. 2402 4. Vgl. o. S. 154 und Koch, S. 237 5. RGB1.1, S. 139 6. RGB1.1, S. 508, im folgenden 2. WO 7. Art. l Abs. l der 2. WO, §§ 202 Abs. 2, 203 StPO in der Fassung der VO über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses im Strafverfahren vom 13.8.42 8. Art. 9 § 7 der 2. WO 9. RGB1.1, S. 339 10. Bros^at, S. 397, Anm. 24 11. RGB1.I, S. 1679 12. RGB1.I, S. 1658 13. Vgl. A. Wagner, S.263f 14. §16 Abs. l l.WO 15. §16 Abs.2 l.WO 16. Art. 7 §1 2. WO 17. A. Wagner, S. 267 f 18. Durch Art. 9 §§ 4 Abs. l und l Abs. 3 der 2. WO 19. §32 Abs. l Nr. 2 und 3 ZVO 20. §32 Abs. l Nr. 4 ZVO: Totschlag oder Meineid 21. In §138 Abs. l StVO 22. Niethammer, Anm. 4 zu § 32 ZVO 23. §12 Abs. 2 Satz l, 4. WO 24. Johe, S. 130 25. MaR vom 3.9.42, BA R 58/175 26. Johe, S. 120 ff 27. DJ vom 30.10. 36 28. Kassler, Rechtsanwalt und Notar aus Halle in MdRRAK 37, S. 32 f 29. Kassler, S. 33

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30. Johe, S. 123 f 31. Johe, S. 186f 32. Sehimmler, S. 21 33. Brokat, Dok. Nr. 12, S. 423 ff 34. Ein ähnlicher Fall ist aus Hamburg überliefert. Ein Staatsanwalt hatte die telefonische Anweisung des RMJ erhalten, in einem bestimmten Fall die Todesstrafe zu beantragen und dies dem betroffenen Sondergerichtsvorsitzenden als verbindliche Weisung des Ministeriums mitgeteilt: Sondergerichtsbesprechung vom 12. 9.42, OLG HH 3131 E l f / 5, zit. n. einem noch unveröffentlichten Manuskript von R. Angermund, Bochum 35. Mitteilung von Rechtsanwalt Dr. F. Koch, Oldenburg, der vor dem SG Oldenburg verteidigte 36. Vgl. Sehimmler, S. 21 37. Johe, S. 189 38. Notiz des LG-Präsidenten vom 21.6.43, LG HH 411 39. Zit. TL. Johe, S. 188f 40. Notiz des LG-Präsidenten vom 23.10.43, LG 3131 Bd. l 41. B A N S 16 Vol. 111 42. Protokoll der Präsidenten-Besprechung vom 14.12.44, OLG 3131 E - If 2 /!/ 43. Der damit auf bereits früher unternommene Versuche zurückgriff, s. o. S. 130 44. Johe, S. 184 45. HOLG 3131 E - l f/3 46. HOLG 3131 -l a/2/ 47. Jobe, S. 182f 48. Referat von Schoetensack in Leitmeritz am 27.4.44, BA R 22/257 49. BA R 58/175 50. Dokumentiert bei Boberach, Richterbriefe 51. BA R 58/183; Boberach aaO, S. 455 ff 52. Sehimmler, S. 22 53. Zit. n. Sehimmler, S. 22 54. Johe, S. 172 55. Führererlaß vom 17.6.36, RGB1.I, S. 487 56. Terhorst, S. 109 ff, auch zu den ökonomischen Hintergründen 57. Durch die Gestapo, die am 21.4. 1938 im Rahmen einer Aktion zur Arbeitskräftebeschaffung gegen „Arbeitsscheue" mit Verhängung von Schutzhaft vorging; vgl. Terhorst, S. 114, Anm. 359, und S. 143 58. Durch die Kriminalpolizei in einer Sonderaktion vom 13.6.38 bis zum 18.6.38; Terhorst, S. 143; vgl. auch Bros^at (1953), S. 395. Zu den Rechtsgrundlagen und Praktiken kriminalpolizeilicher Überwachungs- und Vorbeugungsmaßnahmen seit dem Erlaß des RuPrMJ vom 14.12. 1937: Terhorst, S. 115ff 59. In einer RV an alle Stapo- und Stapoleitstellen etc. vom 20.9.39, zit. n. Bros^at, S. 405 60. Heydrich, aaO 61. Majer bei Reifnerl Sonnen, 1985, S. 140 62. Von Majer, aaO, S. 142 63. Vgl. Johe, S. 153; Terhorst, S. 168; Majer, aaO, S. 141 f 64. Erlasse des RSHA vom 30.6.43 und des RMJ vom 27. 8.43, zit. n. Majer, aaO 65. RGB1.1, S. 372 66. Majer, aaO, S. 143 67. Kern, Z 61, S. 404 ff (428) 68. Terhorst, S. 159, unter Verweis auf ein Schreiben des RKPA vom 25.5. 1940 an eine Kriminalpolizeistelle, BA R 22/1469 69. BA R 22/261

Anmerkungen

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70. , aaO 71. , aaO 72. I. E. Kirchheimer, Rechtsordnung, S. 116f 73. Kern, S. 408 74. Nach der VO über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Preisvorschriften vom 3. 6.39, RGB1.1, 999, geändert am 28. 8.41, RGB1.1, 539 75. So der Rechtsanwalt Mahnke auf der VI. Tagung der AG für Strafrechtspflege vom 26.11.41, Bericht, S. 50 76. Bericht, S. 51 f; auch Kern, S. 409 77. Für die SS- und Polizeigerichtsbarkeit neuerdings Rüpping, NStZ 83, S. 112 ff 78. E. Schmidt, Z 61, S. 430 ff (437) 79. Raeke, JW 35, S.978f 80. Vermerk in den Akten des RMJ über die Tagung vom 29. und 30.3.35, BA R 22/251 81. So der Vermerk, aaO 82. Noack, RRAO, S. 19 83. MdRRAK 40, S. 84 84. Vgl. Denkschrift der RAK Graz vom 18.6.42, BA R 22/260 85. Bericht der Tagung, S. 52 f 86. worin auf einen der in der Denkschrift behandelten Fälle Bezug genommen wird, B A aaO 87. BA R 43 II 1536c 88. Zit. n. der Niederschrift eines Diskussionsbeitrages von Sack auf der III. Tagung der AG für Strafrechtspflege vom 11.8.41, S. 55 89. MdRRAK 41, S. 66 90. BA R 22/261 91. Dabm, Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften, Bd. 101, S. 287 ff 92. Dabm, S. 295 93. Dahm, S. 305 94. Dahm, S. 296

Kapitel 2: Der Konflikt Das Schwarze Korps und die Anwaltschaft Mit zahlreichen publizistischen Ausfällen gegen Anwälte und ihre Organisationen hatte sich bis 1938 besonders der „Stürmer" hervorgetan1. Die publizistischen Kampagnen gegen die Anwaltschaft bekamen ein anderes Gewicht, als sich ihrer — etwa ab 1939 — das „Schwarte Korps" (SK), die Zeitschrift der SS, annahm. Hinter diesem Organ stand die mächtigste Institution der deutschen Innenpolitik, der „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei". Die Artikel, die sich im SK mit den Anwälten befaßten, waren daher nicht — wie die des „Stürmer" — lediglich blindwütige Auswüchse eines nationalsozialistischen Fanatismus'. Das „Schwarte Korps" folgte einer wohlbedachten Strategie und arbeitete auf eine grundlegende Veränderung der Stellung des Anwalts hin.

Die SS und der Verteidiger Von der Einstellung der SS zu der Tätigkeit des Anwaltes als Strafverteidiger war bereits an anderer Stelle die Rede. Dem Leser wird es daher noch in Erinnerung sein, daß die SS die Anwendung justizieller Verfahren auf „Todfeinde des Staates" ablehnte und ihnen deshalb auch anwaltlichen Beistand nicht zugestehen wollte. Folgerichtig verbot der RFSS den Mitgliedern seiner Organisation im Juli 19382, „Verteidigungen in Hoch- und Landesverratssachen oder in anderen Strafsachen, in denen gemeine Verbrechen gegen die nationalsozialistische Weltanschauung (z. B. Verbrechen gegen das keimende Leben und gegen § 175 StGB) Gegenstand der Aburteilung (!) sind, zu übernehmen." Ausgenommen waren lediglich die Fälle, in denen „der betreffende Rechtsanwalt nach sorgfaltigster und gewissenhaftester Prüfung der anstehenden Strafsache persönlich der Überzeugung ist, daß der von ihm zu vertretende Mandant unter allen Umständen unschuldig und daher zu Unrecht angeklagt ist." Diese Ausnahmeregelung sollte für „nichtarische" Beschuldigte allerdings nicht gelten. In Verfolg ihrer Politik, den Anwalt in die Interessen des nationalsozialistischen Staates einzubinden, wie es in diesem Befehl zum Ausdruck kam, versuchte die SS auch eine Änderung des Standesrechts nach der RRAO herbeizuführen. Das SK griff sich dabei zunächst gezielt einzelne Rechtsanwälte heraus, denen es nicht etwa vorwarf, in ihrer Berufsausübung das (positive, „formale") Recht verletzt zu haben, sondern vielmehr, daß sie es gar zu genau damit genommen und dabei das „Volksinteresse" nicht berücksichtigt hätten.

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So bezichtigte es einen Anwalt der „Wahrung jüdischer Interessen"3, weil er einem Inkassobüro eine Forderung eines auswanderungswilligen Juden zum Kauf anbot, der sich selbst nicht traute, sie noch geltend zu machen. Einem anderen warf es formaljuristische „Wortklauberei" vor4. Er hatte den Standpunkt vertreten, Seifen, die sein Mandant, ein Drogist, noch aus der Zeit des l. Weltkrieges aufbewahrt hatte, könnten bezugsscheinfrei verkauft werden, weil es sich nicht um Seife „friedensmäßiger Herstellung" im Sinne der VO zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes vom 27. 8. 39 handele. Ein dritter Anwalt vergriff sich nach Ansicht des SK — die auf völliger Entstellung des SachVerhaltes beruhte, wie später der Präsident der RRAK 5 nachwies — im Interesse seines Mandanten am Vermögen eines eingerückten Soldaten, weil er eine Forderung gegen dessen Ehefrau geltend machte6. Die Auseinandersetzung der Zeitschrift mit den Anwälten gewann eine neue, grundsätzliche Qualität mit dem Fall Gröpke, der später in der Diskussion über die „Krise der Anwaltschaft" eine geradezu sprichwörtliche Bedeutung erlangte. Der Fall Gröpke (Das Material, das meiner Darstellung zugrunde liegt, ist zum großen Teil bislang unveröffentlicht und, da es überwiegend aus Privatbesitz stammt, auch in öffentlichen Archiven nicht zugänglich. Ich zitiere daher auch längere Passagen.)

Der Rechtsanwalt und Notar Dr. Gröpke aus Hannover war ein nüchterner Jurist, der sich für politische Fragen nicht besonders interessierte, weder ein Antifaschist noch ein begeisterter Anhänger der Nationalsozialisten. Es wird kein Zufall gewesen sein, daß sich das „Schwarte Korps" gerade ihn herausgriff, um zu einem großen Rundumschlag gegen die „Paragraphen-Schuster" auszuholen. Denn in dem Rechtsanwalt Gröpke mußten sich viele seiner Kollegen wiedererkennen. Am 29. August 1940 erschien im „Schwarten Korps"1 ein ganzseitiger Artikel unter der Überschrift ,„Rechtswahrer' Gröpke kontra Deutschland". Nachdem der Leser darin eingangs gebeten worden war, „sich auf eine sichere Unterlage zu setzen", wurde er mit folgendem Sachverhalt bekannt gemacht: Rechtsanwalt Gröpke hatte eine Frau verteidigt, die wegen eines Vergehens gegen die „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des Deutschen Volkes"8 zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden war, da sie größere Mengen bezugsscheinpflichtiger Waren — Seife und Seifenpulver — ohne Bezugsschein erworben, also „gehamstert" hatte. In der Berufungsinstanz wurde das Verfahren eingestellt, da die Angeklagte unter eine inzwischen ergangene Amnestie fiel. Eine gerichtliche Einziehung der beschlagnahmten Waren unterblieb. Gröpke verlangte sie daher im Auftrag seiner Mandantin zurück. Inzwischen hatte jedoch die Geheime Staatspolizei das „Diebesgut" (Schwarzes Korps) beschlagnahmt und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) zur Verfügung gestellt. Gröpke forderte die Gestapo auf, die Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme zu nennen, insbesondere hinsichtlich derjenigen Gegenstände, die nicht bezugs-

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scheinpflichtig waren. Auch solche befanden sich nämlich unter den sichergestellten. Er verlangte die Herausgabe der Sachen oder den Ersatz ihres Wertes und kündigte an, der Gestapo seine Kosten aufzubürden. Im übrigen setzte er eine Frist, nach deren erfolglosem Ablauf er Vindikationsklage erheben werde. So geschah es dann auch. Ein für jeden Zivilanwalt alltäglicher Vorgang. Im SK hieß es dazu: „Die .Begründung' seiner Klage ist das erstaunlichste Dokument volksfeindlicher Rechtsmache, das uns je vor Augen kam, seine Frechheit ist nicht mehr zu qualifizieren."

Gröpke hatte vorgetragen: Wenn die Gestapo das Recht zur Beschlagnahme von Gegenständen für sich in Anspruch nehme, die seiner Mandantin gehörten, dann könne sie ihr ja demnächst auch ihr sonstiges Vermögen wegnehmen, „z. B. ihr Fahrrad, ihre Kleidung, ihr Sparguthaben". Das Deutsche Reich sei aber ein „Rechtsstaat, in welchem keine Willkür herrscht." „Mithin", so das SK, „hätte die Behörde, als sie das Gaunergut beschlagnahmte und dem rechtmäßigen Eigentümer, dem Volke, zuführte, nach Willkür gehandelt."

Ein ungeheuerlicher Vorwurf, den Gröpke aber allein auf die nicht bezugsscheinpflichtigen Gegenstände bezogen hatte — was der Artikel allerdings verschwieg. Insofern war Gröpkes Vorwurf berechtigt. Er wußte ja nicht, daß der RMI das gesamte „Hamstergut" zum „volksfeindlichen Vermögen"9 erklärt hatte, mit der Folge, daß die „Hamsterin" ihr Eigentum daran verlor. Das erfuhr er erst aus dem SK. Auch dies verschwieg die Zeitung. Nach ihrer Ansicht kam es darauf auch nicht an. Denn „das Hamstergut würde auch dann rechtmäßig dem Volk verfallen, wenn es hierfür noch keine einschlägigen Bestimmungen geben würde." Ungesagt blieb auch, daß sämtliche übrigen Stellen, an die sich Gröpke mit seinem Herausgabeverlangen gewandt hatte, bevor er erfuhr, daß die Gegenstände sich bei der Gestapo befanden, wie er davon ausgegangen waren, daß die sichergestellte Ware ihrer Eigentümerin ausgehändigt werden müsse. Die Staatsanwaltschaft hatte die Polizei sogar bereits aufgefordert, sie zurückzugeben, und diese kam der Verfügung nur deshalb nicht nach, weil sie nicht wußte, wo die Seife geblieben war. Diese Einzelheiten verdienen Erwähnung nicht, weil es darum ginge, dem SK journalistische Unsauberkeiten zu unterstellen, wo es solcher Unterstellungen gar nicht mehr bedarf. Sie zeigen, daß sich die Zeitschrift der SS einen Fall herausgriff, in dem ein Rechtsanwalt in einer Weise gehandelt hatte, wie es selbst sämtliche übrigen beteiligten staatlichen Stellen — mit Ausnahme der Gestapo — für geradezu selbstverständlich hielten. Für so selbstverständlich jedenfalls, daß keiner auf die Idee kam, die Rechtmäßigkeit des anwaltlichen Begehrens in Zweifel zu ziehen. Das SK wollte keine Entgleisung eines Einzelnen brandmarken. Sein Kampf gegen das „Formalrecht" richtete sich gegen all diejenigen, die dem allgemeinen Gesetz nicht nur das Handeln des Individuums sondern auch die Maßnahme des Staates unterwerfen wollten. Daß das besonders die Anwälte waren, hat bereits die Auseinandersetzung um ihr Auftreten in den Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei und die dem folgende Entwicklung gezeigt. Am Ende des Artikels „,Rechtswahrer' Gröpke contra Deutschland" hieß es daher über die Rechtsanwälte:

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„Sie schlagen alles über den Leisten ihrer Paragraphen-Schusterei, alles — und also auch den Staat, denn sie kennen ja keine Ehrfurcht vor etwas Höherem."

Das Blatt forderte, solche Rechtswahrer aus dem Anwaltsberuf zu entfernen. Die grundsätzliche Bedeutung, die es dem Fall Gröpke beimaß, hob das Ende des Artikels hervor: „Man möge Dummköpfen keine Doktorentitel geben und man möge sie nicht als Rechtswahrer ... auf die Volksgemeinschaft loslassen ... Der Fall Gröpke ... ist ein Brocken, an dem sich auch die findigsten Verteidiger berufsmäßiger Paragraphenschusterei die Zähne ausbeißen werden. Sage uns, wie du zu Gröpke stehst, und wir werden dir sagen, wer du bist."

Das Urteil des Ehrengerichts Gelle Dieser Gretchenfrage hatte sich schon blad das Ehrengericht der RAK Gelle10 zu stellen. Es entschied über den Fall Gröpke am 7.12.1940, also wenig mehr als drei Monate nach dem Erscheinen des Artikels im SK. Dieses (iericht hatte bereits einschlägige Erfahrungen mit der Partei im Fall des Göttinger Notars \l"a///>a//w gesammelt (s. dazu oben S. 70f). Damals hatte es gegenüber dem Druck der Gauleitung Standfestigkeit bewiesen. Im Fall Gröpke schien der Umstand, daß nicht nur die Partei, sondern auch die mächtige Geheime Staatspolizei besonderen Anteil am Ausgang des Verfahrens nahm, das Ehrengericht zu größerem Entgegenkommen zu veranlassen. Gröpke wurde mit einem Verweis und 5000 RM Geldstrafe bestraft, der höchsten Strafe vor dem Ausschluß. Dem unmißverständlich geäußerten Wunsch des SK, Gröpke aus der Anwaltschaft zu eliminieren, folgte das Gericht dagegen nicht. Das ändert allerdings nichts daran, daß auch die gefundene Entscheidung ein Unrechtsurteil war. Gröpke entging dem Ausschluß nur, weil sich das Gericht davon überzeugen ließ, daß die anstößigen Passagen in seinem Schriftsatz nicht von ihm, sondern von seinem Bürovorsteher formuliert worden seien. Gröpke selbst, der seit Frühjahr 1940 zur Wehrmacht eingezogen war, habe sich — so das Urteil — nur noch wenig um seine Praxis kümmern können und daher die beanstandeten Formulierungen, bevor er unterschrieb, nur flüchtig überflogen, ohne sie recht zur Kenntnis zu nehmen. Auch diese Ausrede hätte aber den Verurteilten nicht vor der Untersagung der Berufsausübung bewahrt, wenn er nicht von sich aus erklärt hätte, „während des Krieges seine Praxis nicht weiter ausüben zu wollen, sondern daß er sich unmittelbar nach Abschluß des ehrengerichtlichen Verfahrens wieder der Wehrmacht zur Verfügung stellen wolle." (Wortlaut des Urteils) Im übrigen hielt ihm das Gericht zugute, daß — sogar noch während des Zivilprozesses um die herausverlangte Ware — die beteiligten staatlichen Stellen davon ausgegangen seien, der von ihm geltend gemachte Anspruch sei begründet. Den „eigentlichen und schwersten Verstoß" des Angeklagten gegen seine Berufspflichten erblickte das Gericht darin, daß er „durch Erhebung der Klage sich das Ziel setzte, einer Hamsterin das gehamsterte Gut wieder zu verschaffen, denn damit setzte er sich und das Ansehen, welches er als Organ der Rechtspflege genoß, für eine ungerechte Sache ein.

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Er diente nicht dem Recht, sondern dem Unrecht, während ihm die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes geboten, das Recht suchen zu helfen und dahin zu wirken, daß ein Recht gesprochen wird, welches Deutschem Rechtsbewußtsein und -empfinden entspricht. Diese Klage hätte daher vom Angeklagten nicht erhoben werden dürfen."

Vielmehr hätte er sich „bei der geringsten Überlegung" sagen müssen, daß es eine bessere Lösung der Angelegenheit als die Übergabe des „Hamstergutes" an die NSV nicht hätte geben können. „Insbesondere konnte der Angeklagte es der NSV von Herzen gönnen, daß sie in den Besitz des Hamstergutes und damit in die Lage kommen sollte, Bedürftigen mit dem Gute Wohltaten zu erweisen." Demgegenüber hielt das Gericht bereits die „Fragen nach den gesetzlichen Bestimmungen und Anordnungen, auf Grund deren die Beschlagnahme erfolgt sei", für „unpassend und standeswidrig". Ungewöhnlich für ein ehrengerichtliches Urteil — selbst zur damaligen Zeit — war seine demonstrative Verbeugung vor dem SK. Das Gericht führte aus, es könne sich das Verhalten des Angeklagten nur so erklären, „daß er unüberlegt, einsichtslos und ohne sich die Bedeutung seiner Maßnahmen klarzumachen auf dem von ihm eingeschlagenen Wege, den er nicht als falsch erkannt hatte, weitergegangen ist, bis sein Verhalten in der Öffentlichkeit die von dem Angeklagten heraufbeschworene berechtigte Kritik, wie sie in der Nummer 35 vom 29. 8.1940, S. 6, des Schwarzen Korps enthalten ist, auslöste."

Das Urteil gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich der nationalsozialistische Volksgemeinschaftsgedanke im anwaltlichen Standesrecht Geltung verschaffte. Von veröffentlichten Urteilen vergleichbarer Tendenz11 unterscheidet es sich dadurch, daß im Fall Gröpke ein geradezu alltägliches Verhalten eines Anwaltes, das das Mißfallen der Gestapo erregt hatte, sich aber im Rahmen des formalrechtlich vertretbaren bewegte, ehrengerichtlich geahndet wurde. Angesichts dieser herausgehobenen Bedeutung der Entscheidung muß es erstaunen, daß sie — soweit mir bekannt ist — nirgends veröffentlicht wurde, weder vor noch nach 1945. Einer möglichen Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei wurde seitens der Wehrmacht dadurch vorgebeugt, daß Gröpke vom Leutnant zum einfachen Soldaten degradiert wurde. Er übte, nachdem ihn vorübergehend ein Assessor vertreten hatte, auch — in bescheidenem Umfang — seine anwaltliche Tätigkeit wieder aus. Gegen das Urteil des Ehrengerichts legte der Generalstaatsanwalt in Gelle Berufung ein mit dem Ziel, Gröpkes Ausschluß aus der Anwaltschaft herbeizuführen. Über Kontakte zum RMJ gelang es Gröpke jedoch, die Zurücknahme der Berufung zu erreichen. Auch die Partei hatte offenbar kein nachhaltiges Interesse an seiner Bestrafung. Das Ehrengericht des NSRB verurteilte ihn im Jahr 1942 zur mildesten Strafe, zu einem Verweis. Nachklang Der „Fall Gröpke" beschäftigte das Ehrengericht der neu gebildeten RAK Gelle erneut im Jahr 1947. Gröpke begehrte nunmehr seinen Freispruch unter Aufhebung des Urteils vom 7.12.1940. Diesem Antrag ist die Kammer nicht gefolgt.

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Ihr Ehrengericht räumte zwar in einem Beschluß vom 14. Juni 1947 ein, daß die „erheblichen Anfeindungen" von Partei und SK, denen Gröpke ausgesetzt war, „auf die Richter des Ehrengerichts nicht ohne Eindruck geblieben (sind) und ... ersichtlich ihr Urteil in erheblichem Maße zuungunsten des Angeklagten beeinflußt (haben)." Es reduzierte die Strafe jedoch lediglich auf einen Verweis und 500 RM Geldstrafe. In seiner Begründung lehnte es sich fast wörtlich an das Urteil vom 7.12.1940 an. In dem Beschluß hieß es12: „Der Angeklagte setzte sich damit zum Ziel, einer Hamsterin das gehamsterte Gut wieder zu verschaffen. Er setzte damit sich und das Ansehen, das er als Organ der Rechtspflege genoß, insoweit für eine ungerechte Sache ein."

Ein Vergleich mit dem oben zitierten „Original" zeigt, daß das Plagiat dem Vorbild wörtlich entsprach. Lediglich der letzte Halbsatz war um ein „insoweit" ergänzt. Weggefallen war allerdings der folgende Satz. Dabei hatte gerade er erhellt, welches Rechtsdenken in der Entscheidung fortwirkte: Die Vorstellung vom Anwalt als „Diener am Recht", der hilft, das Recht zu suchen, das „deutschem Rechtsbewußtsein und -empfinden entspricht"13. Lediglich die Etikette wurden ersetzt; der Inhalt blieb der gleiche. Hintergründe Mit dem besprochenen Artikel war die Beschäftigung des SK mit dem „Fall Gröpke" nicht beendet. Die Bedeutung des Artikels und die hinter ihm stehenden weitergehenden Absichten werden aber erst bei einer Betrachtung der Reformarbeiten deutlich, die im RMJ bereits kurz nach Kriegsbeginn an der RRAO in Angriff genommen wurden. Ihr Fortgang zeigt, welchen beträchtlichen Einfluß SS und Polizei auf die Gestaltung des anwaltlichen Standesrechts hatten. Reform der RRAO Die Gedanken, die man sich im RMJ über die Zukunft der Anwaltschaft machte, reflektieren den Stimmungsumschwung, der nach den Jahren der Konsolidierung eine spürbare Verschlechterung des Klimas im Verhältnis der Justiz zu den Anwälten seit Kriegsbeginn einleitete. Spektakuläre Fälle gibt es nicht zu berichten, wohl aber einige Anzeichen für eine wachsende Distanz der Rechtsanwälte — insbesondere der Strafverteidiger — zum nationalsozialistischen Staat. Einer der Ursachen dieser Entfremdung wurde bereits an anderer Stelle nachgegangen. Ich meine die Ausgrenzung des Verteidigers aus dem gerichtlichen und behördlichen Verfahren. Ersteres bedingt durch den beträchtlichen Machtzuwachs von Staatsanwaltschaft und Gericht sowie deren informelles Zusammenwirken, letzteres durch die zunehmende Selbstherrlichkeit der Bürokratien nach dem Vorbild der Geheimen Staatspolizei, auch dies ein Reflex ihrer wachsenden Machtfülle. Erwähnt wurden die Versuche der RRAK, die empörten Anwälte zur Zurückhaltung zu ermahnen. Schockierend wirkte auf viele die drastische Verschärfung der Rechtsprechung der Strafgerichte seit Beginn des Krieges. Verteidiger mußten es erleben, daß

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plötzlich für Delikte, die zuvor als Bagatellen galten und schlimmstenfalls mit geringen Freiheitsstrafen geahndet wurden, hohe Zuchthausstrafen oder gar die Todesstrafe verhängt wurde. Güstrow hat ein solches Erlebnis am Beispiel einer Verhandlung im Oktober 1939 beschrieben, an deren Ende zwei Angeklagte wegen Hühnerdiebstahls und Hehlerei verhältnismäßig geringwertiger Sachen zum Tode bzw. zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurden14. Auch Ronge erinnert sich, daß die Strafen mit Kriegsbeginn schlagartig „immer härter, immer barbarischer" wurden. Von einem Vorsitzenden mußte er sich belehren lassen: „Es soll sich ruhig an der Front und auch in den Schreibstuben herumsprechen, daß die Gerichte mit allen Mitteln die Kriegswirtschaft schützen. Ein 1918 wird sich nicht wiederholen." Ronge berichtet von Todesurteilen, die wegen geringfügiger Delikte gegen seine Mandanten verhängt und vollstreckt wurden15. Partei und Polizei interessierten sich verstärkt für das Auftreten der Verteidiger. Ein Frankfurter Rechtsanwalt schilderte mir folgende Begebenheit aus den ersten Kriegsmonaten: „Mir hat man mal in Kassel gesagt: Heute haben wir ihren Klienten verarztet. Der nächste, der drankommt, sind Sie. Das war nachts um drei auf dem Bahnsteig, als ich vom Hochverratssenat, wo ich verteidigt hatte, aus Kassel zurückgefahren bin. Das hat der Frankfurter „Politkommissar" — wenn ich mal so sagen darf — mir in aller Freundschaft auf dem Kasseler Bahnhof gesagt, und da wußte ich, wie weit die Dinge bereits gediehen waren."16

Der Sicherheitsdienst beschäftigte sich in seinen „Meldungen aus dem Reich" vom 12. 2.194017 zum ersten Mal mit dem Verhalten von Strafverteidigern, wobei er sich besonders für die interessierte, die am Sondergericht tätig waren. Er meinte, besonders Pflichtverteidiger zeigten sich „nicht immer den Anforderungen, die die Verteidigung eines politischen Deliktes stellt, gewachsen." „Entgleisungen" seien vorgekommen. Ein Anwalt habe die Ansicht vertreten, seinem Mandanten, der „in besonders gehässiger Weise Deutschland die Schuld am Krieg zugesprochen hatte", sei kein schwerer Vorwurf zu machen, da man über die Frage der Kriegsschuld ja geteilter Ansicht sein könne. Ein anderer Verteidiger habe einen „Feldpostmarder" unter Hinweis auf dessen Zugehörigkeit zu SA und NSDAP verteidigt. Die Bevölkerung habe dies als „geschmacklos" bezeichnet. Ein dritter erklärte in der Verhandlung, ein Todesurteil sei „leicht gefällt". Man habe ihn darauf hinweisen müssen, „daß ein Todesurteil nur nach reiflicher Überlegung und auch nur dann ausgesprochen werde, wenn es der Täter nach Person und Tat verdient habe." Die Kritik des SD fand auch die in seinen Augen mangelhafte Kenntnis eines Verteidigers von der Rechtsprechung zu „Rundfunkverbrechen". Vorgeschlagen wurde daher, die Befugnis eines Anwaltes zur Verteidigung vor dem Sondergericht an eine besondere Zulassung zu binden. Die Bereitschaft von Strafverteidigern, ihren Mandanten Hilfe jenseits des Erlaubten zu leisten, wuchs. Daß bereits 1937 ein Interesse bei manchen Gerichten daran bestand, den Anfängen einer solchen Entwicklung zu wehren, zeigt eine Entscheidung des LG Hamburg vom 17. 3. 3718.

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Das Gericht verurteilte einen Verteidiger wegen Begünstigung. Er hatte für seinen Mandanten, der in Untersuchungshaft saß, Briefe in die Haftanstalt geschmuggelt. Aber nicht erst an dieses Tun knüpfte das Gericht den Strafvorwurf. Nach seiner Ansicht hatte der Anwalt eine Rechtspflicht, sein Mandat bereits dann niederzulegen, wenn der Klient ihm „Schiebungen zu seinen Gunsten" überhaupt nur antrage. Schon im Unterlassen der Mandatsniederlegung sah das Gericht eine strafbare Beistandsleistung für den Mandanten. Diese weitreichende Auffassung von den Rechtspflichten des Anwaltes ging selbst Noack zu weit. Im Mai 1939 mußte die RAK Hamburg ihre Mitglieder erneut darauf hinweisen, „daß das Verbot, irgendwelche Schriftstücke von Untersuchungsgefangenen aus der Untersuchungshaft mitzunehmen, ohne daß sie der Zensur vorgelegen haben, auf das Genaueste zu befolgen ist ... Verstöße gegen das Verbot können zu den schwerwiegendsten Folgen für den Anwalt selbst, aber auch für die gesamte Anwaltschaft führen."19

Ähnliche Appelle, verbunden mit der Androhung unnachsichtiger ehrengerichtlicher Verfolgung derer, die ihnen zuwiderhandelten, fanden sich in der Folgezeit wiederholt in dem Mitteilungsblatt der RRAK 20 . Im RMJ sah man die Notwendigkeit, die abdriftende Anwaltschaft enger an den Staat zu binden. Das sollte eine Ergänzung des disziplinarischen Instrumentariums ermöglichen. Besonders waren die Ministerialen daran interessiert, ohne den Umweg über die Ehrengerichte Sanktionen verhängen zu können. Scblegelberger unternahm einen ersten Vorstoß, die Haltung Hitlers zu dem Problem zu sondieren, am 5. 3.194021. Aus Anlaß „mehrerer Einzelfälle ..., die nach dem bisher geltenden Recht nur mit Schwierigkeiten zu bereinigen waren", schlug er vor, §22 RRAO durch eine Vorschrift zu modifizieren, die dem §71 DBG nachgebildet war. Nach seinen Vorstellungen sollte künftig der „Führer und Reichskanzler" die Zulassung eines Rechtsanwaltes zurücknehmen können, „wenn der Rechtsanwalt nicht mehr die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für den nationalsozialistischen Staat eintreten wird." Dem Ausgeschlossenen sollte — nach freiem Ermessen der RRAK — ein Unterhaltsbeitrag gewährt werden. Der Vorschlag Schlegelbergers fand in der Reichskanzlei keine Sympathie. Ministerialdirektor Krit^inger22 befürchtete, eine ganze Reihe weiterer Berufsgruppen könne, dem Beispiel der Anwälte folgend, ähnliche Bestimmungen für sich verlangen. Wollte man eine „besondere politische Haltung" für die Freiberufler fordern, so würden diese Berufe „eine politische Umgestaltung erfahren, die ihr Wesen grundsätzlich beeinflußt." Praktisch, so meinte er, sei die geplante Regelung dazu angetan, das politische Denunziantenwesen unter den Kollegen zu schüren. Bedenken hatte er auch daran, daß dem ausscheidenden Anwalt, anders als dem Beamten, kein Versorgungsanspruch entstünde, besonders aber daran, daß die Entscheidung in die Hände des „Führers" (Hervorhebung im Original) gelegt werden sollte. Der könne nicht zur „Erledigung von Bagatellen" zur Verfügung stehen. Von einem Vortrag bei Hitler wurde daher abgesehen. Die ursprünglich beabsichtigte Regelung wurde daraufhin im RMJ geringfügig verändert. Nicht mehr der Führer selbst sollte nach dem neuen Entwurf die Zurücknahme der Entlassung verfügen, sondern der RMJ. Dem Ehrengerichtshof blieb die Feststellung des Sachverhalts überlassen. Lediglich bei Anwälten, die

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gleichzeitig Notare waren, sollte der Entziehung des Notariats ohne weiteres Verfahren die Zurücknahme der Zulassung folgen. Die Erinnerung an den Fall des Notars Wallbaum aus Göttingen drängt sich auf. Die überarbeitete Vorschrift war23 Bestandteil eines Entwurfes zu einer VO zur Ergänzung der RRAO, der 24 Paragraphen umfaßte. Ihn übersandte Freisler am 30. 5.1940 an die Reichskanzlei. Nach dem Entwurf24 sollte zur Anwaltschaft nur noch zugelassen werden dürfen, wer „Reichsbürger" ist und für sich und seinen Ehegatten den Anforderungen an die Reinheit des Blutes entspricht, die Voraussetzung für die Ernennung zum Beamten sind." Auch die Reinheit der Gesinnung sollte künftig bei der Zulassung der eines Beamten entsprechen25. An weiteren Einzelheiten, die der Entwurf vorsah, sind zu nennen: Die Streichung des anwaltlichen Probedienstes. Zugleich sollte die Anwärterzeit verkürzt oder ganz erlassen werden können26. Die Kammerpräsidenten sollten das Recht erhalten, Warnung, Verweis und Geldstrafe auf schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft zu verhängen, dabei aber an den Antrag bzw. die Zustimmung, von ihm abzuweichen, gebunden sein. Vor der Entscheidung waren der Beschuldigte und ein Ausschuß der Anwaltskammer zu hören, der ständig eingerichtet und mit mindestens drei Kammermitgliedern besetzt werden sollte27. Zugleich war geplant, die hoheitlichen Befugnisse der Ehrengerichte zu erweitern. Für sie sollten die §§177 bis 180, 181 Abs. l und 2 sowie 182 GVG über Maßregeln der Sitzungspolizei sinngemäß gelten. Auch ihre Beschränkung in der Verhängung von Zwangsmaßregeln und Strafen gegen Zeugen und Sachverständige (§§51, 70, 77 StPO) wollte der Entwurf beseitigen28. Er beabsichtigte überdies, Voraussetzungen und Folgen des vorläufigen Vertretungsverbots zu erweitern29. Die Verhängung der Untersuchungshaft über einen Anwalt sollte die Wirkung eines Vertretungsverbots haben. Bei einem Anwalt, der zugleich Notar war, sollte die Einleitung des Dienststrafverfahrens als Voraussetzung zur Verhängung eines Vertretungsverbots ausreichen30. Der Anwalt, der vom Verbot betroffen war, sollte auch keine mündliche oder schriftliche Beratung mehr durchführen dürfen31. Man wollte ihm auch das Recht nehmen, über die aus seiner Berufstätigkeit eingehenden Gelder, über Kostenforderungen und über fremde Gelder zu verfügen. Ein Vorschlagsrecht hinsichtlich des Vertreters war nicht mehr vorgesehen32. Im Entwurf waren erhebliche Eingriffe in die anwaltliche Selbstverwaltung, insbesondere ihre Standesgerichtsbarkeit vorgesehen. Er wollte auf ihre Beteiligung an der administrativen Zurücknahme der Zulassung jedoch nicht ganz verzichten. Daß man diesen Schrift nicht ging, zeigt, welches politische Gewicht den anwaltlichen Standesorganisatoren (noch) beigemessen wurde. Der Entwurf wurde nie als VO verabschiedet. Über ein Jahr, nachdem er die hier beschriebene Gestalt gewonnen hatte, am 24.6.41, erging eine — wesentlich verkürzte — Novelle der RRAO, Grund für diese Entwicklung waren, wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, der „Fall Gröpke" und die übrigen Versuche politischer Einflußnahme durch das „Schwarze Korps".

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Freister hatte den Entwurf im Mai 1940 an die Reichskanzlei übersandt, deren Billigung er im Juni 1940 fand. Dann erschien — am 29.8.1940 - im SK der Artikel „Rechtswahrer Gröpke kontra Deutschland". Zeitpunkt, Inhalt und Aufmachung des Artikels legen die Annahme nahe, daß die Zeitung damit versuchte, Einfluß auf das weitere Schicksal der Reform zu nehmen. Das ist ihr auch gelungen. Schon wenige Tage nach dem Erscheinen des Artikels fand einer erneute Erörterung des Entwurfes im RMJ statt, die zu seiner drastischen Kürzung führten. Von 24 Paragraphen blieben lediglich 8. Ein Vermerk des Sachbearbeiters im RMJ vom 4. 9.1940 macht die Verbindung zum Fall Gröpke deutlich33: „Ich habe in den Entwurf alle erörterten Punkte aufgenommen ... Auch mit Herrn Oberregierungsrat Enke (Stab Stellvertreter des Führers) habe ich unseren Plan fernmündlich kurz erörtert; ihm erschien im Hinblick auf den Fall Gröpke eine solche Novelle zur RRAO dringend geboten, zumal das heute lediglich zu Gebote stehende ehrengerichtliche Verfahren einmal zu umständlich wäre, zum anderen aber auch sein Ausgang nicht vorauszusehen sei." Erhalten blieben nur noch Vorschriften, die eine Veränderung des anwaltlichen Disziplinarrechts beinhalteten. Entscheidende Neuerung war dabei ein Passus, der lautete: „Gefährdet ein Rechtsanwalt durch Verletzung der ihm obliegenden Pflichten kriegswichtige Belange, so kann ihm durch den Reichsminister der Justiz zeitweilig, höchstens jedoch für die Dauer des Krieges, die Ausübung seines Berufes untersagt werden."34 Eine Beteiligung der Ehrengerichte hieran war nicht vorgesehen. Daneben blieb die Möglichkeit der Zurücknahme der Zulassung aus politischen Gründen und das dabei zu beobachtende Verfahren so erhalten, wie es der ursprüngliche Entwurf vorgesehen hatte35. Der Konflikt „Schwarzes Korps" — RRAK Die RRAK sah sich veranlaßt, Schritte zu unternehmen, die die ihr aus der publizistischen Tätigkeit der SS erwachsenden Gefahren zurückdrängen sollten. Kurz nach der Veröffentlichung des SK über Gröpke wurde ein Treffen zwischen dem damaligen Geschäftsführer der RRAK, Rechtsanwalt Hoja, und dem stellvertretenden „Hauptschriftleiter" des SK arrangiert36. Die RRAK versuchte auf diesem Wege, einen kontinuierlichen Austausch mit der Zeitschrift der SS einzuleiten, über den sie hoffte, Einfluß auf deren Veröffentlichungen über Rechtsanwälte zu gewinnen. Neubert verfaßte zu diesem Zweck einen Artikel, der sich mit den Aufgaben des Anwaltes befaßte. Das SK verweigerte jedoch den Abdruck. Das Manuskript des Artikels ist nicht erhalten. Ein Schreiben des „Hauptschriftleiters" des SK, D'Alquen, vom 21.10.1940 an den Präsidenten der RRAK, das das SK später ebenso wie Neuberts Antwort dem RMJ vorlegte, gibt aber Aufschluß über seinen Inhalt und über den Grund seiner Ablehnung durch die Zeitung. Es beleuchtet dadurch auch die Hintergründe des Konfliktes zwischen SK und RRAK37.

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Neubert hatte versucht, die Kritik, die das Schwarze Korps an seinem Berufsstand übte, zu relativieren. Die Fälle, die der Zeitung hierzu Anlaß gegeben hätten, so führte er aus, seien Einzelfälle, zurückzuführen auf individuelles Versagertum, das es in allen Berufssparten gebe. Diese Sichtweise stand natürlich in Widerspruch zu den Interessen des „Schwarzen Korps", auf eine grundlegende Reform des anwaltlichen Standesrechts hinzuwirken. Sie ließ, wie D'Alquen an Neubert schrieb, „eine Auffassung erkennen, die mir eine Zusammenarbeit auf dieser Basis fast unmmöglich erscheinen läßt."38 Er warf dem Präsidenten der RRAK vor, „um jeden Preis" den Rechtswahrer, „sei es wer es sei", decken zu wollen. Diese Haltung lege den Verdacht nahe, Neubert könne eine andere Auffassung von den Rechten und Pflichten der Rechtswahrer haben als das „Schwarze Korps", er meinte damit: eine unnationalsozialistische. Diesen Vorwurf wies Neubert in einer scharfen Replik vom 20.11. 1940 („Geheim"} zurück. Dem Hauptschriftleiter hielt er vor, Angehörige der SS-Polizei-Division hätten in einem ihm bekannt gewordenen Fall „in erheblichem Umfang" Schwarzschlachtungen (ein zur damaligen Zeit mit der Todesstrafe bedrohtes Delikt) vorgenommen, ohne daß das SK auf die Idee käme, darüber einen „vollseitigen Artikel" zu publizieren, indem „mit den sonst üblichen Arabesken die Übeltäter und ihr Kompanieführer namentlich" aufgeführt würden, so wie es bei den Anwälten geschehen war. Sollte die Zeitung ihre „maßlose Polemik" gegen den ganzen Berufsstand fortsetzen, im Glauben, in der RRAK einen Gegner zu haben, dessen Reaktion weniger zu fürchten sei als die von SS und Polizei, so werde er, „die bisher Ihrem Blatte erwiesene Achtung nicht aufrecht erhalten können." Im Hinblick auf den Fall des Rechtsanwaltes Trautwein („In Sachen Hasenfuß", SK vom 1.2. 1940) meinte er, das SK verschließe sich jeder Richtigstellung und mache es daher „fast unmöglich, die Wahrheit für Sie ans Licht zu bringen". Zu einer weiteren Auseinandersetzung mit der Zeitung war er nur unter der Voraussetzung bereit, daß sie ihre „den ganzen Berufsstand herabsetzende Polemik" einstelle und die „namentliche Anprangerung von Anwälten vor Abschluß der amtlichen Untersuchung" unterlasse. Tatsächlich änderte sich in der Folgezeit die publizistische Politik des Blattes in Hinblick auf die anwaltlichen Standesorganisationen. Der Grund hierfür waren allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht Neuberts Drohungen, sondern die Wendung, die die Reformarbeiten im RMJ durch die unscheinbare Neuerung in § 4 Abs. 2 des zweiten Entwurfes gebracht hatte. Hier entstand ein Instrument raschen und wirksamen Zugriffs auf unliebsame Anwälte. Der schwerfällige und politisch unzuverlässige Apparat der Ehrengerichtsbarkeit konnte ganz umgangen werden. Auf die Vorbereitung einer solchen Regelung lief die weitere Auseinandersetzung des SK mit dem „Fall Gröpke" ersichtlich hinaus. Er schlug dabei erstaunlich moderate Töne an. Unter dem Titel „Es gibt ja noch andere Berufe" widmete sich die Zeitung am 18.3.4l 39 erneut Gröpkes „Feldzug gegen das Deutsche Reich" (SK) und der ehrengerichtlichen Bestrafung, die er ihm eingebracht hatte. Das Urteil des EG Gelle hatte — wie dargelegt — nicht die Billigung der Justizverwaltung gefunden und entsprach auch nicht dem, was das „Schwarze Korps" unmißverständlich gefordert hatte. Dennoch mochte die Zeitung das Urteil nun „nicht schelten".

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Einer näheren Stellungnahme enthielt sie sich indes, da es ihr, wie sie betonte, um eine Bestrafung nicht ging. „Uns scheint, es ginge hier um andere Dinge." (Hervorhebung im Original) Das andere Ding war das Verhältnis des Anwalts zum Staat. Das „Schwarze Korps" verlangte eine bestimmte politische Qualifikation des Rechtsanwaltes: eine rückhaltlose Staatsbejahung: „Wie einer zum Staate steht, so steht er auch zum deutschen Recht. Man kann nicht zum Staat und seinen für Recht befundenen Maßnahmen nein sagen. Wer das Recht wahren will, muß auch den Geist wahren wollen, der den Staat erfüllt und in dem der Staat seine Gesetze schafft. Eine Trennung gibt es nicht, denn es gibt ja kein Recht „an sich", das unabhängig neben dem Staat bestünde. Ein Recht als Selbstzweck, ein Recht, das sich sogar gegen den Staat erheben könnte, ein solches Recht kannten nur die liberalistischen Paragraphenschuster, die jüdischen Advokaten der Demokratie, die sich den Staat so schwach wie möglich wünschten, weil sie ja dazu da waren, die Ellenbogenfreiheit der Ich-Menschen zu schützen."

An solchen Ausführungen wird der notwendige Zusammenhang deutlich, der zwischen der Tendenz des nationalsozialistischen Staates, das formale, subjektive Recht, das Recht, „das sich sogar gegen den Staat erheben könnte", aufzuheben, und der versuchten Reorganisation der Anwaltschaft bestand. Sie mußte die Grundvoraussetzungen anwaltlicher Tätigkeit verändern, wenn sie daraus einen „wirklichen Staatsdienst" machen wollte, und man mochte sie daher nicht länger den Anwälten selbst überlassen, deren Funktionäre sich bei aller bewiesenen nationalsozialistischen Gesinnungstreue hierzu nicht fähig erwiesen hatten. Das „Schwarze Korps" konzedierte Gröpke, frei von „staatsfeindlicher Gesinnung" oder „persönlicher Niedertracht" gehandelt zu haben und demonstrierte überhaupt größte Bereitschaft zum Verzeihen: „Der Mann aus dem Volke weiß, daß man Fehler begehen kann, er wird einem Gestrauchelten, der nicht gerade ein Verbrecher ist, immer auf die Beine helfen wollen. Nicht Strafe will er, sondern Schutz vor Rechtswahrern, die keine sind."

Wie Gröpke selbst wurde auch die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit aus der Kompetenz, über die hier entscheidenden politischen Fragen zu urteilen, gleichsam hinauskomplimentiert. Sie habe allein den „Ehrenstandpunkt" zu vertreten, und das sei auch geschehen. Die erforderlichen Konsequenzen aus Gröpkes mangelnder Tauglichkeit zum nationalsozialistischen Rechtswahrer sollten nun andere ziehen. Der NSRB schloß sich dem Standpunkt des SK an. In seinem Organ, dem „Deutschen Recht"40, meldete sich der Rechtsanwalt Helmut Seydel zu Wort. Er dankte dem SK, „das uns Rechtswahrern so oft Kummer gemacht hat", mit warmen Worten dafür, daß es anhand des Falles Gröpke „die Stellung des Rechtswahrers im heutigen Reich in einer so klaren und schönen Weise umschreibt". Auch er forderte vom „Rechtswahrer" besondere Klarheit über die „weltanschaulichen und politischen Grundvoraussetzungen von Staat und Recht". Ein Schreiben des NSRB (gez. Petersen) an den RMJ vom 29.10.40 macht deutlich, in welchen Forderungen an die Reform des Standesrechts solche Phrasen ihren Niederschlag fanden. Der Autor wünschte, die in § 4 Abs. 2 des überarbeiteten Entwurfes vorgeschlagene Regelung „nicht auf die Kriegszeit zu beschränken,

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sondern diese als Dauerregelung in die RRAO zu übernehmen", verlangte allerdings, den Reichsführer des NSRB und die Ehrengerichte daran zu beteiligen41. Im weiteren Verlauf der Reformarbeiten entschied man sich im RMJ, auf die ursprünglich in § 5 des Entwurfes vorgesehene Zurücknahme der Zulassung aus politischen Gründen und das dabei vorgesehene Verfahren ganz zu verzichten. Eine zeitweilige Untersagung der Berufsausübung sollte jedoch — wie es der zweite Entwurf vorsah — dann möglich sein, wenn ein Rechtsanwalt „kriegswichtige Belange" gefährdete. Über die Zeit des Krieges mochte man die Regelung nicht ausdehnen, da ein Verzicht auf die Beteiligung der Ehrengerichte nur als Provisorium vertretbar erschien42. Eine Intervention von Hess, dem Stellvertreter des Führers, führte schließlich dazu, daß dem Wunsch des NSRB (und der SS) Rechnung getragen wurde, aus der vorläufigen eine Dauerregelung zu machen.43

Die „VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO" vom 26.4.41 In der VO vom 24.6.4l 44 erhielt der RMJ daher das Recht, einem Rechtsanwalt „zeitweilig oder dauernd die Ausübung seines Berufes" zu untersagen, wenn er „durch Verletzung der ihm obliegenden Pflichten staatswichtige (Hervorhebung vom Verf.) Belange gefährdet". Eine Beteiligung der Ehrengerichte war nicht mehr vorgesehen45. Die Strafgewalt des Kammerpräsidenten wurde bis zur Verhängung einer Geldstrafe vom 500 RM (vorher 50 RM) ausgedehnt46. Die Bindung an Antrag bzw. Zustimmung des Staatsanwaltes blieb bestehen. Auf eine Umschreibung der rassischen und politischen Zulassungsvoraussetzungen (vorgesehen in § l des Entwurfes) wurde verzichtet. Die Beteiligung des NSRB am Zulassungsverfahren wurde in die Entscheidung über die Übernahme in den Anwärterdienst vorverlegt, die nach § l Abs. 2 der VO47 der RMJ künftig im Einvernehmen mit dem „Reichsführer des NSRB" zu treffen hatte. Zugleich blieb es — wie im Entwurf vorgesehen — beim Wegfall des Probedienstes. Der Anwärterdienst dauerte fortan regelmäßig ein Jahr, konnte aber weiter verkürzt oder auch verlängert werden. Es blieb im übrigen bei der Koppelung von Entziehung des Notariats und Zurücknahme der Zulassung als Rechtsanwalt48. Nach § 6 Abs. 2 der VO zu §95 RRAO hatte die Verhängung der Untersuchungshaft die Wirkungen eines Vertretungsverbots. Dessen Folgen wurden nicht verschärft.

Die Auswirkungen der VO § 4 der VO, das Kernstück der Reform, wurde von der Justizverwaltung zunächst nur zurückhaltend eingesetzt. Ein einziger Fall, in dem ihr Gebrauch erwogen, letztlich jedoch verworfen wurde, findet sich in den Unterlagen des RMJ 49 . Er erlaubt gewisse Rückschlüsse auf die Handhabung der Vorschrift durch das Ministerium.

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Der Fall des Rechtsanwaltes M. Am 24.1. 1941, also bereits vor Erlaß der VO vom 24.6.41, wandte sich der „Chef der Sicherheitspolizei und des SD" an den RMJ, um sich über das „merkwürdige und der Grundeinstellung eines nationalsozialistischen Rechtswahrers zuwiderlaufende Verteidigungsgebahren" eines Rechtsanwaltes aus D. zu beschweren. Er könne, so der Chef, „im Hinblick auf sein politisches Verhalten vor und nach der Machtübernahme nicht als rückhaltlos hinter dem nationalsozialistischen Staat stehend bezeichnet werden". Anlaß für dieses Urteil des SD hatten die Äußerungen des M. anläßlich zweier Verteidigungen vor dem SG in D. gegeben. Im ersten Fall hatte er in einem Heimtückeverfahren die Aussagen von Belastungszeugen als „aufgeplustertes Zeug" bezeichnet und dem Anklagevertreter Mangel an psychologischem Verständnis vorgeworfen. Im zweiten Fall qualifizierte er das Handeln eines wegen Verbrechens gegen die VO über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen angeklagten Mandanten als „relativ harmlose Dinge". M. war vor der Machtübernahme aktives Mitglied der SPD gewesen. Er selbst hatte sich als „religiöser Sozialist" bezeichnet und gehörte seit 1934 der Bekennenden Kirche an. Nach Ansicht des SD mangelte es M. noch immer an einer „unbedingt staatsbejahenden Gesinnung". Er, M., sei daher aus der Liste der Rechtsanwälte zu streichen. Der Präsident der RRAK beließ es dagegen dabei, M. wegen seiner „Verfehlungen" im zweiten Fall eine „ernste Mißbilligung" auszusprechen. Im ersten hielt er nicht einmal eine Rüge für erforderlich. Diese Haltung stieß auf den energischen Protest des NSDAP-Gauleiters50. Am 6. 5. 41 nahmen der OLG-Präsident und der Generalstaatsanwalt von D. zu dem Fall des Rechtsanwaltes M. Stellung. Sie schilderten ihn als einen Sozialisten, der der SPD beigetreten sei, um gegen deren „materialistische Auffassung der sozialen und sonstigen Verhältnisse zu Gunsten einer religiösen Betrachtungsweise zu kämpfen". Wegen seiner Verwicklung in ein Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat sei er im Jahr 1936 vorübergehend in „Polizeihaft" genommen worden. Der gegen ihn geäußerte Verdacht habe sich jedoch nicht erhärten lassen. Das vom SD kritisierte Verhalten M.s als Verteidiger vor dem SG wurde vom OLG-Präsident und Generalstaatsanwalt nach eingehender Erörterung der tatsächlichen Vorkommnisse gleichfalls so gewürdigt, daß es eine Zurücknahme der Zulassung nicht rechtfertige. Sie hielten auch die Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel, M. aus der Anwaltschaft auszuschließen, nicht für aussichtsreich, da der Präsident der RRAK sein Verhalten bereits standesrechtlich gewürdigt habe und dabei lediglich in einem Fall zum Ausspruch einer Mißbilligung gelangt sei. Im RMJ wurde daraufhin — nach Erlaß der VO vom 24. 6.41 — erwogen, M. die Verteidigung von „Rundfunkverbrechern" und in Heimtückeverfahren zu untersagen. Zuletzt wurden aber auch diese Überlegungen fallengelassen. In einem Schreiben vom 31.7.41 an den Chef der Sipo und des SD betonte das Ministerium, daß M. außer in den beiden genannten Fällen nie zu Beanstandungen seiner Verteidigertätigkeit Anlaß gegeben hätte. Es erörterte ausführlich

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die tatsächlichen Umstände der beiden Fälle, die dem SD Anlaß zur Klage gegeben hatten. Dabei schloß es sich weitgehend der Darstellung von OLGPräsident und Generalstaatsanwalt an, die den Vorwürfen des SD z. T. widersprochen, sie im übrigen stark relativiert hatten. In der Heimtückesache seien die belastenden Aussagen von den Zeugen in der Hauptverhandlung abgeschwächt oder widerrufen worden, so daß M.s Behauptung, es handele sich bei ihren Aussagen um „aufgeplustertes Zeug" zwar in der Form verfehlt gewesen sei, in der Sache könne dem Anwalt aber „unter diesen Umständen eine gewisse Berechtigung seiner Auffassung nicht abgesprochen werden." Im Fall des „Rundfunkverbrechers" habe M. versucht, seinem Mandanten in der Hauptverhandlung klarzumachen, daß er lediglich wegen §1 der VO vom 1.9.39, also wegen Abhörens ausländischer Sender nicht aber wegen Verbreitens ausländischer Sender nach §2 der VO (ein in besonders schweren Fällen mit der Todesstrafe bedrohtes Delikt) angeklagt sei, so daß er seine im Vergleich zu einem Verbrechen nach §2 „harmlose (oder: relativ harmlose)" Tat ruhig gestehen könne. Das Ministerium wertete daher die Äußerung M.s nicht als „Beschönigung der Straftat", sie sei „vielmehr in der besten Absicht und in Unterstützung der Bemühungen des Vorsitzenden gebraucht (worden), um den Angeklagten zu einer Wiederholung seines Geständnisses zu bewegen." Der RM J meinte daher, er könne „nicht die Feststellung treffen, daß Rechtsanwalt M. staatswichtige Belange ernstlich gefährdet habe." Der Umstand jedoch, daß „sein Verhalten zu schwerwiegenden Mißdeutungen Anlaß gegeben hat, und um ähnlichen Vorkommnissen für die Zukunft vorzubeugen" veranlaßte ihn, Rechtsanwalt M. anzudrohen, ihm nach § 4 der VO vom 24.6.41 die Verteidigung in politischen Strafsachen zu untersagen, „falls er erneut durch die Art der Führung einer Verteidigung, insbesondere in politischen Strafsachen begründeten Anlaß zu Beanstandungen geben sollte." Der Fall des Rechtsanwaltes zeigt, daß man im RMJ zu einer zurückhaltenden Anwendung der politischen Klausel der RRAO selbst gegenüber erklärten Gegnern des NS neigte. Es erstaunt allerdings, daß die zuständige RAK bei dem Verfahren nicht einmal angehört wurde. So konsequent das RMJ insofern in formaler Hinsicht mit der neuen Vorschrift, die im Entwurf ja noch die Ehrengerichte beteiligen wollte, bei der politischen Überwachung der Anwaltschaft verfuhr, so wenig befriedigten die Ergebnisse, die damit erzielt wurden. Die politische Krise der Anwaltschaft dauerte fort und spitzte sich sogar noch weiter zu. Als sich der (kommissarische) RMJ Scblegelberger am 10. Juli 1942 beschwerdeführend an den Präsidenten der RRAK wandte, um eine „gründliche Wandlung" des Standes zu fordern — übersandte er eine Abschrift seines Schreibens — dessen Inhalt an anderer Stelle zur Erörterung stehen wird — gleich an die „Höheren Reichsjustizbehörden" und bat darum, „über Fälle, die Anlaß zur Anwendung des § 4 der VO vom 24. 6.41 geben, mit größter Beschleunigung zu berichten und bei Ihren Vorschlägen zu berücksichtigen, daß diese Vorschrift nur bei nicht zu enger Auslegung ihren Zweck erfüllt und nicht selten auch

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kürzere , unmittelbar auf die Tat folgende Untersagungen der Berufsausübung günstige Wirkungen haben." =1

Daß auch diese Aufforderung zu großzügiger Auslegung — zu der das Ministerium ja, wie gezeigt, selbst nicht neigte, — keine ausreichende Wirkung zeitigte, ergibt sich aus einem Schreiben des Leiters der Parteikanzlei an den RMJ — inzwischen hieß er Thierack — vom 17.12. 194252. Bor mann äußerte darin seine Gedanken zur Neuordnung der Rechtsanwaltschaft. Eingangs erklärte er seine Unzufriedenheit mit den Folgen der Ergänzung der RRAO, zu der „der bekannte Fall des Rechtsanwaltes Gröpke in Hannover" seinerzeit veranlaßt habe. Diese „gesetzliche Regelung" habe jedoch infolge „ihrer zu engen Formulierung und der einengenden praktischen Handhabung" nicht die erwartete Wirkung hervorgerufen, nämlich die „Klagen über pflichtwidriges, den nationalsozialistischen Grundsätzen widersprechendes Verhalten einzelner Rechtsanwälte" zum Verstummen zu bringen oder wenigstens abnehmen zu lassen53. Das Gegenteil war der Fall. Dreckaufwirbler und Kloaktentiere Das SK griff sich weiterhin einzelne Rechtsanwälte heraus, deren Verhalten ihm Anlaß gab, seine Vorstellungen darüber auszubreiten, wie der „Krise der Anwaltschaft" zu begegnen sei. So schlug es etwa vor, einen großen Teil der Anwaltsbüros zu schließen, oder auch, die „Dreckaufwirbler und Kloakentiere" zu bestrafen: „Erst wenn man sie (die Rechtsanwälte) einfängt und bei nützlicher Beschäftigung darüber belehrt, was Zeit und Arbeit gilt und was dem deutschen Volke frommt, werden sie — vielleicht — Vernunft annehmen."54

Die RRAK versuchte, dem entgegenzutreten, indem sie in den Mitteilungen der RRAK Gegendarstellungen veröffentlichte55. Neubert protestierte auch beim RMJ gegen die Veröffentlichungen der Zeitung. Von dort wurden bereits unter Schlegelberger mehrfach Versuche unternommen, über die Parteikanzlei eine Einstellung der propagandistischen Angriffe des SK auf die Anwaltschaft zu erwirken 56 . Die Parteikanzlei zeigte hierfür zwar ein gewisses Verständnis und gab die Beschwerden auch an die Schriftleitung der Zeitschrift weiter. Das SK ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Nach dem Führungswechsel im RMJ wandte sich Neubert — wohl auch in der Hoffnung, in dem neuen RMJ einen durchsetzungsfähigeren Mitstreiter als in seinen Vorgängern gefunden zu haben — an Thierack. In einem Rundschreiben an die Präsidenten der Anwaltskammern teilte er sodann mit, Thierack habe ihm versichert, daß das SK angewiesen worden sei, „sich in Zukunft jeglicher Angriffe gegen Rechtsanwälte ... zu enthalten. Der Minister hat mir erklärt, ich könne mich darauf verlassen, daß in Zukunft solche Übergriffe unterbleiben würden." Die Angriffe des SK, so Neubert, hätten „die schärfste Mißbilligung aller Stellen, an die ich mich gewandt hatte, gefunden."57 Daraufhin protestierte die Parteikanzlei (Klemm) bei Thierack^. Der RMJ distanzierte sich nun von den Äußerungen, die Neubert ihm — wie er in einem Antwortschreiben an die Parteikanzlei erklärte — lediglich unterstellt habe. Er hob

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überdies hervor, es seien ihm „soviel Fälle bekanntgeworden, wo Rechtsanwälte entgegen nationalsozialistischer Auffassung sich in ihrem Beruf gezeigt haben, daß ich hierauf meine besondere Aufmerksamkeit richten mußte und auch gewisse Maßnahmen ergriffen habe." Ferner teilte er mit, Neubert vorgeladen und ihm seine Meinung „nicht vorenthalten" zu haben. Eine ähnliche Äußerung Neuberts sei daher nicht mehr zu befürchten59. Kritik an den Verteidigern Von anderer Stelle, weniger öffentlichkeitswirksam als durch das SK, jedoch nicht minder folgenschwer, wurde Kritik besonders an den Rechtsanwälten laut, die sich als Strafverteidiger betätigten. Vor allem an dem aus staatlicher Sicht neuralgischen Punkt der Verteidigung, wo sich das Vertrauen der Behörden zum Anwalt bewähren muß, in der Untersuchungshaft, beim unkontrollierten Besuchs- und Schriftverkehr des Anwaltes mit seinem Mandanten, mehrten sich die Klagen. In den MdRRAK von 194l60 mahnte der Präsident der RRAK auf Anregung des RMJ 61 in kurzem Abstand gleich zweimal seine „Berufsgenossen", die Standesrichtlinien für den „Verkehr mit dem Untersuchungsgefangenen" zu beachten. Verstöße würden grundsätzlich mit dem Ausschluß aus der Anwaltschaft bestraft. Der RMJ wies am 22. April 1942 die Generalstaatsanwälte an, „bei Verfehlungen dieser Art" in jedem Fall Anklage vor dem Ehrengericht zu erheben. Die Strafe werde in der Regel auf Ausschließung lauten62, in besonders schweren Fällen käme auch die „Verhängung eines Berufsverbotes auf Grund des §4 der VO vom 24.6.41" in Betracht. Anlaß dieser RV, die auch den OLG-Präsidenten zur Kenntnis gebracht wurde, war die Ansicht des Ministeriums, daß die Pflichtverstöße von Rechtsanwälten „im beruflichen Verkehr mit Untersuchungs- und Strafgefangenen in besorgniserregendem Maße zunehmen". Die RV wurde — allerdings ohne den Hinweis auf ihren Anlaß — auch den Lesern der MdRRAK zur Kenntnis gebracht63. Anderen Stellen gaben die Ausführungen von Verteidigern in Schriftsätzen, besonders aber in öffentlicher Hauptverhandlung vor Gericht Anlaß für Kritik. Sie warfen den Anwälten vor, ihr Auftreten habe schädliche Auswirkungen auf die Einstellung der Bevölkerung zur Strafrechtspflege. Der OLG-Präsident von Naumburg beklagte sich in seinem Lagebericht vom 4.7. 194264 über Verteidiger, die in „völlig eindeutigen Fällen", in denen von einer Verurteilung des Angeklagten auszugehen sei, Freispruch beantragten oder in anderen, „wo die gefährdeten Belange des Volksganzen gebieterisch eine empfindliche Freiheitsstrafe verlangen", auf eine milde Geldstrafe plädiert hatten. Dadurch werde die Kritik der Bevölkerung an in ihren Augen zu harten Strafen gefördert, die ohnehin zunehme. Er berichtete auch von einem Fall, wo ein Berliner Verteidiger, der mit einem Sachverständigen der Berliner Industrie- und Handelskammer angereist kam, durch „sehr geschickte und sachkundige Fragen und Einwendungen" die Anklage vor einem Sondergericht dieses Bezirks zu Fall gebracht habe. Der Vorsitzende des betroffenen Gerichts sah dadurch Zustände aus der „Systemzeit" heraufbeschworen, „wo weithin bekannte Verteidiger im ganzen Reich für zahlungsfähige Angeklagte zur Verfügung standen und wo diese Verteidiger dann auch aus der Zentrale

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Sachverständige von einem gewissen Ruf, die sie an der Hand hatten, mitbrachten." Der Präsident forderte daher „im wohlverstandenen Interesse der Anwaltschaft" die Abstellung solcher „Mängel". Im RMJ wurde sein Bericht, der offenbar auch die Stimmung in anderen OLGBezirken traf, zum Anlaß für einen Vorstoß bei der RRAK genommen. An sie wandte sich der „RM.d.J. M.d.F.d.G.b." (so das dienstliche Kürzel für „Den Reichsminister der Justiz. Mit der Führung der Geschäfte beauftragt" Schlegelberger) mit einem Schreiben vom 10. Juli 4265, also wenige Tage nach Erhalt des Naumburger Lageberichtes. Schlegelberger drückte sein „Bedauern" darüber aus, „daß in den letzten Jahren nicht wenige Rechtsanwälte schwere Verfehlungen begangen haben, die zum Teil wichtige staatliche Belange gefährden, in Einzelfällen sogar auf Zersetzung der Wehrkraft gerichtet sind." Auch im übrigen lasse die Haltung vieler Anwälte „die nötige Festigkeit vermissen". „Strafverteidiger verdrehen den Tatbestand und stellen mit unvertretbaren Rechtsausführungen Anträge, die eines nationalsozialistischen Rechtswahrers nicht würdig sind. Hierdurch verleiten sie besonders in kriegsbedingten Strafsachen rechtsunkundige Volksgenossen zu unbegründeter Kritik an strengen Strafurteilen, die entsprechend den Zielen der Staatsführung völkische Notwendigkeiten verwirklicht haben."

Er rügte auch das allein der „Rechthaberei" dienende Verhalten von Zivilanwälten, die sinnlose Prozesse nur aus Gebühreninteresse führten. Besonders ältere Anwälte neigten zu solchen Mißgriffen bei ihrer Berufsausübung, u. a. deshalb, weil sie „sich das nationalsozialistische Gedankengut nicht zu eigen machen können." Schlegelberger stellte drei Forderungen auf, deren Verwirklichung eine „gründliche Wandlung" herbeiführen sollte: 1. Die Rechtsprechung der Ehrengerichte sei zu verschärfen. 2. Die Rechtsanwaltschaft sei „nach den Zielen der Staatsführung auszurichten". Dabei sollten die Anwälte verstärkt dazu angehalten werden, den „Aufsichtsbehörden" davon Mitteilung zu machen, wenn ein „Standesgenosse" sich „Verfehlungen" oder irgendein Verhalten zuschulden kommen lasse, das seine Haltung „sonst bedenklich oder für den Staat schädlich erscheinen" lasse. 3. müsse die Einführung einer Altersgrenze ins Auge gefaßt werden. Das Schreiben an den Präsidenten der RRAK wurde auch den höheren Reichsjustizbehörden zur Kenntnis gebracht, an die zugleich die Aufforderung erging, häufiger und rascher über Fälle zu berichten, die Anlaß zur Anwendung des §4 der VO vom 24.6.41 geben könnten. Andere „Meldungen aus dem Reich" Der Kritik aus Kreisen der Justiz schlössen sich auch andere Stellen, von außerhalb, an. In seinen „Meldungen aus dem Reich" vom 23. Juli 1942 beschäftigte sich der SD66 erneut mit den „Auswirkungen der Plädoyers und des Auftretens einzelner Strafverteidiger". Der SD sah in einer „nicht unerheblichen Anzahl von Einzelfällen" die „Belange der Volksgemeinschaft" durch das Auftreten von Strafverteidigern „stark beeinträchtigt". Durch sie werde das Bemühen der Gerichte, „rücksichtslos durchzugreifen", in der Bevölkerung in Mißkredit gebracht. Bei der

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Verteidigung von Kriegswirtschaftsverbrechern würden Straftaten gern mit der augenblicklichen Versorgungslage entschuldigt, die dabei als geradezu katastrophal dargestellt werde. Vorgekommen sei es auch, daß Verteidiger für „Persönlichkeiten in hervorgehobener Stellung" besondere Rücksichten gefordert hätten. Auch bei der Verteidigung von Staatsfeinden seien untragbare Ausführungen registriert worden. Es sei vorgekommen, daß ein Verteidiger einen als Zeugen auftretenden HJ-Führer mit einem „angehenden bolschewistischen Kommissar" verglichen habe. Ein anderer habe seinen Mandanten, der in „heimtückischer Weise" den Endsieg angezweifelt hatte, damit verteidigt, daß er erklärte, die Frage nach Sieg oder Niederlage sei allein eine des patriotischen Glaubens: „Der eine glaubt's, der andere nicht." Anstoß erregten bei den Vertrauensleuten des SD auch Ausführungen von Verteidigern, die in ihren Plädoyers zuviel menschliches Mitgefühl mit Fremdrassigen oder mit Kriegsgefangenen anklingen ließen. Das Auftreten von Verteidigern in Wehrmachtsuniform, die sich auf diese Weise besondere Autorität gegenüber den Gerichten zu verschaffen suchten, wurde ebenfalls gerügt. Das ehrengerichtliche, allerdings auch das „verwaltungsmäßige" Verfahren gegen „pflichtvergessene Anwälte" werde, so der SD, „häufig zu weich gehandhabt". Er sah daher die Gefahr, daß pflichtbewußte Anwälte „in ihrer bisher sauberen Berufsausübung wankend würden", zumal sie sähen, daß die pflichtvergessenen Kollegen „noch dazu besser als sie selbst dabei verdienten." Erneut wurde daher gefordert, die Verteidigung von Staatsfeinden und Kriegswirtschaftsverbrechern vor dem SG von einer besonderen Zulassung abhängig zu machen. Weitere Kritik und „ein ernstes Wort an meine Berufskameraden" Der Rechtsprechung der Ehrengerichte galt auch die Kritik des hanseatischen OLG-Präsidenten, der in seinem Lagebericht vom 20.11. 1942 anläßlich eines Einzelfalles seine Ansicht mitteilte, „daß die Ehrengerichte zu einer sehr weitgehenden Berücksichtigung aller für die beschuldigten Rechtsanwälte anzuführenden Entschuldigungsgründe neigen und daß es daher sehr erwünscht wäre, wenn durch eine grundsätzliche Umgestaltung der Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwälte der Vorsitz der Ehrengerichte in die Hand von Richtern gelegt würde. Der Herr Generalstaatsanwalt in Hamburg teilt meine Auffassung."67 Dieser Lagebericht erreichte das RMJ zu einer Zeit, als dort die Stimmung, die Anwälte betreffend, einen (Siede)-Punkt erreicht hatte, der eine erneute Änderung der RRAO unabwendbar erscheinen ließ. Seit Juli 1942, dem Monat, in dem sich die Angriffe auf die Anwaltschaft, besonders auf die Strafverteidiger, häuften, hatte die RRAK versucht, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Am 13. Juli befaßte sich der Beirat der RRAK mit der Lage der Anwaltschaft. Als Vertreter des RMJ nahm Scboetensack teil68. Die Konsequenzen, die aus der Aussprache gezogen wurden, lassen sich einer Erklärung Neuberts („Ein ernstes Wort an meine Berufskameraden") entnehmen, die im August 1942 im DR 69 und einen Monat später in dem MdRRAK erschien70. In Anspielung auf das SK wandte sich der Präsident der RRAK darin zunächst gegen eine Kritik an der Anwaltschaft, die sich, „die Tatsachen entstellend und den Boden der Sachlichkeit verlassend" in „üblen Schimpfereien" ausgetobt habe.

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Er unterstrich die bedeutenden Verdienste der Anwaltschaft, mahnte jedoch angesichts „gelegentlicher Fehler", die — wie in anderen Berufen auch — vorgekommen seien, zu „äußerster Selbstdisziplin und Selbstkritik". Zur Konkretisierung seiner Vorstellungen äußerte er verschiedene Erwartungen; darunter die, daß Zurückhaltung im Ton beim Abfassen von Schriftsätzen, überhaupt bei der Prozeßtätigkeit zu üben sei. Von den Strafverteidigern verlangte er vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Gericht und Staatsanwaltschaft, „peinlichste" Beachtung der Vorschriften über den Verkehr mit Untersuchungsgefangenen. Aufgabe des Verteidigers sei es, an der Feststellung des „wahren und für die Beurteilung der Straftat erschöpfenden, aber auch ausreichenden Sachverhaltes mitzuarbeiten, die erhobenen Beweise ohne Verdrehung in der dem Angeklagten günstigsten Weise zu werten und bei rechtlichen Zweifelsfragen die dem Angeklagten günstigste, mit nationalsozialistischer Rechtsauffassung verträgliche Rechtsauslegung der Prüfung des Gerichts zu unterbreiten." Er wandte sich auch gegen ein „hemmungsloses Streben nach raschem Gewinn". Als Maßnahmen, die Abhilfe bringen sollten, kündigte er die Bildung von „fortbildenden Arbeitsgemeinschaften" an, deren Besuch er zur Standespflicht erklärte. Sie sollten gemeinsam mit dem NSRB durchgeführt werden. Zugleich habe er die Kammerpräsidenten und Ehrengerichte angewiesen, Pflichtverstöße nachdrücklich zu verfolgen. Solche Arbeitsgemeinschaften wurden auch speziell zur Schulung von Strafverteidigern eingerichtet. Ein Dresdner Rechtsanwalt berichtet in einem Schreiben an das RMJ vom 13.3.44 von solchen Arbeitsgemeinschaften, die mit großem Erfolg in Sachsen seit Winter 1942/43 durchgeführt worden seien.71 Eine „Arbeitsgemeinschaft für Strafrechtspflege" des NSRB Gau Berlin, der überwiegend Anwälte angehörten, leitete seit Juni 1941 der Rechtsanwalt Alfons Sack. Sie beschäftigte sich häufig mit Fragen aus der Praxis des Strafverteidigers.72 Neuberts Mahnungen konnten die Entwicklung nicht aufhalten. Im Oktober 1942, zwei Monate nach Thieracks Amtsantritt, begannen im RMJ die Arbeiten an einer erneuten Reform der RRAO, deren Grundlinien Rothenberger™ festlegte. Die Neuordnung beschränkte sich nicht auf die anwaltliche Standesverfassung. Sie ergriff auch die „Reichsfachgruppe Rechtsanwälte" im NSRB.

Das Schicksal des NSRB Im DR vom V.November 1942 setzte sich Thierack, der auch zum „Leiter des NSRB" ernannt worden war, kritisch mit der Arbeit des Bundes auseinander, der seine Aufgaben nicht in der Weise erfüllt habe, „wie mancher deutsche Rechtswahrer das bei der Größe der Organisation und ihrer finanziellen Lage wohl erwarten konnte"74. Dem NSRB sollte nach dem Willen seines neuen Leiters das Feld gesetzgeberischer und berufspolitischer Arbeit genommen werden, zumal, so Thierack, seine auf diesem Gebiet erzielten Ergebnisse „nicht der Art (waren), daß der Wegfall bedauert werden müßte." Der Organisation blieb lediglich die — bedeutungslose — Aufgabe der „Menschenführung" d. h. der politischen Schulung.

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„Das eine Organ der berufspolitischen Angelegenheiten aus den eigenen Reihen der Anwälte heraus, nämlich die Einrichtung des Reichsgruppenwalters Rechtsanwälte", wurde damit, wie Rechtsanwalt Droege aus Hamburg, der dieses Amt bekleidete, in einem Schreiben an Rotbenberger vom 16.11. 194275 bitter bemerkte, praktisch „ausgeschaltet". Dem anderen Organ, der Reichsrechtsanwaltskammer, sollte es wenig besser ergehen.

Eingriffe in die anwaltliche Selbstverwaltung Kernstück der Reform waren zwei schwerwiegende Eingriffe in die anwaltliche Selbstverwaltung: die Übertragung der Ehrengerichtsbarkeit auf richterliche Dienststrafgerichte sowie die Einführung eines Aufsichtsrechts der OLG-Präsidenten über die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern. In dem bereits zitierten Schreiben Droeges an Rotbenberger fand der Reichsgruppenwalter harte Worte der Kritik an der geplanten Neuordnung der Rechtsanwaltschaft. Er sprach von einer „capitis diminutio der deutschen Anwaltschaft", die diese wehrlos treffe, da sich einige ihrer „berufenen Wortführer" im Felde befänden. Die vorgesehenen Eingriffe seien geeignet, „bei vielen Anwälten, die ohnehin durch die vielen Angriffe der letzten Zeit geneigt sein mochten, an der Zukunft des Berufes irre zu werden, Gefühle der Bitterkeit und der Deklassierung hochkommen" zu lassen. Die geplante Regelung bedeute ein „scharfes Mißtrauensvotum gegen die bisherige Führung der Anwaltschaft". Er bat daher darum, die Neuordnung auf die Dauer des Krieges zu begrenzen. Ähnlich war Neuberts Standpunkt. Gegenüber den Bearbeitern des Entwurfs machte er geltend, die vielfach gerügte „nachgiebige Haltung" der Ehrengerichte gehe auf den Einfluß ihrer richterlichen Mitglieder zurück76. Bei einer Besprechung des Entwurfes im RMJ, an der außer Neubert und Droege noch vier weitere Anwälte sowie Rothenberger selbst teilnahmen77, drohten die beiden erstgenannten an, die Kammerpräsidenten würden ihre Ämter zur Verfügung stellen, wenn den Kammern die Ehrengerichtsbarkeit genommen werde. Dabei wurden sie jedoch von ihren „Kombattanten", wie es im Protokoll hieß, „im Stich gelassen". Die erklärten, daß die Übernahme der Ehrengerichtsbarkeit durch den Staat das einzig geeignete Mittel sei, um die Anwaltschaft zu erhalten. Man wollte daher grundsätzlich an der beabsichtigten Regelung festhalten. Als eine — eher kosmetische — Korrektur am Entwurf wünschten die anwesenden Vertreter der Anwaltschaft zuletzt, den Kammerpräsidenten das Recht zu belassen, Strafverfügungen zu erlassen, damit ihre „Autorität wenigstens in etwa nach außen hervortritt". Geplant war auch die Einführung einer Altersgrenze. Rechtsanwälte, die das 70. Lebensjahr vollendet hatten, verloren — so die ursprüngliche Intention des Entwurfs — die Zulassung. Später wurde daraus eine Kann-Vorschrift. Zunächst schien damit ein alter Wunsch der Anwaltschaft in Erfüllung zu gehen: der nach einer Altersversorgung. Es war unsprünglich die Einrichtung einer Pensionskasse vorgesehen, zu deren Finanzierung man die Armenrechtsgebühren heranziehen wollte78. Schon vor der Besprechung am 29.11.42 war dieser Plan fallengelassen worden. Die Einführung der Altersgrenze ließ sich damit nur noch als beschäfti-

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gungspolitische Maßnahme begründen, während sie in Wahrheit auch der politischen Disziplinierung dienen sollte. So gibt es die (unveröffentlichte) amtliche Begründung des Entwurfes in der Fassung vom 22.12.4279 unverhohlen zu. Es heißt dort, ein Ausscheiden älterer Rechtsanwälte sei erforderlich, da diese „nicht mehr die zu einer geordneten und volksnahen Ausübung des Berufes erforderliche körperliche und geistige Elastizität besitzen und auch weltanschaulich den Anforderungen der Gegenwart nicht voll entsprechen."

Noch während in seinem Hause die Arbeiten an der Reform der RRAO im Gange waren, wandte sich Thierack am 17.11.42 an Lammers, um ihm seine Auffassungen zur Krise der Anwaltschaft und den Möglichkeiten, sie zu bewältigen, darzulegen. Nur in seltenen Fällen sah der RMJ einen Rechtsanwalt befähigt, sich zu jeder „Höhe der Auffassung durchzuringen, die ihn als Gehilfen bei der Suche nach dem wahren Recht in Erscheinung treten lassen soll." Er war daher der Ansicht, durch die Neuordnung der Jusitz werde die Tätigkeit des Rechtsanwaltes zwar nicht entbehrlich, jedoch „weitgehend eingeschränkt werden können, ohne daß das Leben und die Gerechtigkeit Schaden erleiden." Er sprach sich daher für eine staatliche Dienstaufsicht aus und wollte der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft eine mehrjährige Tätigkeit des Anwärters als Rechtspfleger vorausgehen lassen, während derer sich seine Eignung zu erweisen habe80. In die Diskussion schaltete sich nun auch die Parteikanzlei ein. Bormann61 übersandte dem RMJ eine Zusammenstellung, die 22 Einzelfälle enthielt, in denen Strafverteidiger (nur in einem Fall handelte es sich um eine zivile (Scheidungs)angelegenheit) ein Verhalten gezeigt hatte, das in Bormanns Augen ein „Musterbeispiel" dafür bot, „wie ein Rechtsanwalt seinen Beruf nicht ausüben sollte." Den Kenner der Materie konnte die Fallsammlung allerdings nicht erschüttern, denn sie enthielt überwiegend Bekanntes: 13 der 22 Fälle waren bereits in den „Meldungen aus dem Reich" des SD vom 23. 7.42 enthalten. Die Meldungen gingen auch dem RMJ zu82. Mit einem Fall hatte sich das SK83 beschäftigt. Und bei den Übrigen wurde ein Verhalten gerügt, das im wesentlichen den „Entgleisungen" entsprach, die der SD aufgelistet hatte: Es handelte sich überwiegend um Verteidigungen von Kriegswirtschaftsverbrechern (5 Fälle) oder „Staatsfeinden" (Kommunisten, zwei Fälle). In zwei weiteren wurde die Versorgungslage auf „boshafte Weise kritisiert bzw. das Verbot des Umgangs mit Kriegsgefangenen als inhumane Maßnahme „reiner Staatsraison" diskreditiert. Bei der Verteidigung von Kriegswirtschaftsverbrechern hatten Verteidiger in zwei Fällen die schlechte Versorgungslage für die Verfehlungen ihrer Mandanten verantwortlich gemacht. Untragbare Äußerungen bei der Verteidigung von kommunistischen Angeklagten wurden zwei Rechtsanwälten aus Wien vorgeworfen. Einer hatte die Haltung seines Mandanten mit der der Nationalsozialisten unter der „Systemregierung" verglichen und ausgeführt, der Angeklagte habe sich so wenig wie diese als „Verräter" gefühlt. Er gab überdies zu bedenken, daß fünf Menschen von der Sorte seines Mandanten nachwüchsen, wenn man ihm den Kopf abschlüge. Der andere Wiener Anwalt verteidigte seinen Mandanten, „einen der höchsten kommunistischen Funktionäre" der

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KPÖ, damit, dieser habe die Aufforderung, politisch zu denken, „eben sehr ernst genommen und in Gedanken tiefer geschürft." Jener Anwalt erklärte überdies, er werfe seine „ganze Persönlichkeit als nationalsozialistischer Rechtswahrer für den Angeklagten in die Waagschale". Die gebotene Distanz zu seinen Mandanten ließ auch ein Münchner Anwalt vermissen, der vor dem SG Prag mehrere führende tschechische Wirtschaftsfunktionäre verteidigte. Er führte aus, sie hätten — indem sie die gesamte Verantwortung für die ihnen vorgeworfenen Taten allein auf sich nahmen — wie „echte deutsche Männer" gehandelt und verdienten daher „größte Achtung". Er verlas einen Aufsatz eines Angeklagten, den er mit den Worten kommentierte: „Ich meine beinah, ich höre unseren Führer reden." In drei weiteren Fällen wurden prozeßtaktische Ratschläge von Verteidigern gerügt. Zwei fielen auf durch ihren Rat, kein Geständnis abzulegen bzw. ein einmal abgelegtes zu widerrufen (besonders der Rechtsanwalt Dr. Franz Reisert aus Augsburg, später wegen seiner Verbindungen zu den Männern des 20. Juli vom VGH zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt). Ein dritter Anwalt hatte seinen Mandanten mit einer, wie Bormann schrieb, schriftlichen „Gebrauchsanweisung" versehen, wie er die Vollstreckung seiner Strafe möglichst bis zum Kriegsende — „in Erwartung einer dann erfolgenden Amnestie", so der Anwalt — hinausschieben könne. In einem begleitenden Schreiben hob Bormann hervor, „daß die Fälle, in denen das Auftreten von Rechtsanwälten sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen beanstandet werden muß, nicht unerheblich zugenommen habe." Es handele sich nicht mehr um Einzelerscheinungen. Der Mißstand sei vielmehr ein allgemeiner. Er beklagte weiter, „daß die Fälle, in denen der Anwalt dem Gericht objektiv mithilft, die Wahrheit zu erforschen, recht selten sind und nahezu wie Theorie klingen", wofür er besonders den Umstand verantwortlich machte, „daß die Mandate die Einkommensquelle des Rechtsanwaltes darstellen." Den Ehrengerichten der Anwaltskammern und des NSRB warf er vor, völlig versagt zu haben, und weiter: „Es ist bekannt, daß diese nur in den seltensten Fällen so reagierten, wie es eigentlich selbstverständlich hätte sein müssen, nämlich mit einem Ausschluß aus der Anwaltschaft". Er forderte daher eine „straffe, scharf durchgreifende und einheitlich gelenkte Ehrengerichtsbarkeit", daneben eine strengere Handhabung der sitzungspolizeilichen Befugnisse durch die Richter. In den seinem Schreiben beigefügten Fällen sei die erforderliche ehrengerichtliche Bestrafung versäumt worden. Bormann bat darum, dies nachzuholen. Die Beispielfälle, die Bormann als Illustration des alarmierenden Zustandes der Anwaltschaft, besonders der Strafverteidigung vorlegte, geben zu Zweifeln Anlaß, ob die Zahl anwaltlicher „Verfehlungen" tatsächlich in solch geradezu inflationärem Umfang zunahm, wie der Leiter der Parteikanzlei es unterstellte. Es müßte dann erstaunen, wieso er bei der Zusammenstellung seines Albums der Entgleisungen überwiegend auf Beispiele zurückgriff, die im RMJ aus dem Bericht des SD vom 23.7.4284 längst bekannt waren. Überdies fand sich unter den 22 Fällen seines Kataloges nur ein einziger aus dem Bereich des Zivilrechts. Ich habe auch versucht nachzuprüfen, ob Bormanns Aufforderung, versäumte ehrengerichtliche Bestrafung nachzuholen, befolgt wurde. Leider ist es mir nur in vier Fällen

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gelungen, Spuren der betroffenen Anwälte zu finden, so daß ihr Schicksal Verallgemeinerungen kaum erlaubt. Dennoch ist es bemerkenswert, daß nur einer von den vieren Verfolgungsmaßnahmen — und zwar durch die Gestapo — ausgesetzt war85. Für ihn hatte sich allerdings auch das „Schwarze Korps" interessiert. In den drei anderen Fällen zogen die Proteste der Parteikanzlei ehrengerichtliche oder andere Sanktionen nicht nach sich86. Es ist wichtig, dies zu erinnern, wenn hier von den Klagen über das „staatsabträgliche" Verhalten von Anwälten die Rede ist. Bereits die aufgezählten Beispielfälle zeigen, daß es sich überwiegend um recht harmlose Vorfälle handelte, wo der Unmut von Partei und Staat sich regte. Selbst deren Anzahl kann nicht übermäßig groß gewesen sein. Vor einer Legendenbildung muß daher gewarnt werden, die die Anwaltschaft im Nationalsozialismus zu einem Hort der Opposition stilisieren wollte, wie es vielleicht eine distanzlose Lektüre der Verordnungen und Korrespondenzen, die Anwälte betreffend, mitunter nahelegen mag. Eher liegt der Verdacht nahe, die Zornausbrüche im RMJ sollten als Fassade eine Politik kaschieren, in deren Vorstellung von der Rechtsordnung ein von staatlichem Einfluß unabhängiger Anwalt keinen Platz mehr hatte.

Der Fortgang der Reform Zwar war der Entwurf der VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO bereits am 22.12.42 an die obersten Reichsbehörden versandt worden, Tbierack mochte aber nach Bormanns Intervention den Abschluß des Verfahrens nicht abwarten, sondern erließ am 19.1. 1943 eine RV an die höheren Reichsjustizbehörden87, betreffend die „Neuordnung der Rechtsanwaltschaft". Wie Bormann es angeregt hatte, forderte Tbierack straffere Handhabung der Sitzungspolizei und eine wesentliche Verschärfung der Ehrengerichtsbarkeit. Den Gerichtsvorsitzenden legte er eine weite Auslegung des §176 GVG nahe. Eine Störung der Ordnung in der Sitzung i. S. dieser Vorschrift könnten auch „Darlegungen von Prozeßbeteiligten, die gegen oberste Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung verstoßen", darstellen. Nötigenfalls sei an eine Entfernung des Anwalts aus der Sitzung zu denken. Die Kritik des RMJ entzündete sich besonders an der Tätigkeit von Strafverteidigern, in deren Reihen er solche ausmachte, die die „Stellung eines Gehilfen des Rechtsbrechers bezögen". Fast immer handele es sich bei ihren Mandanten um „Staatsfeinde oder Volksschädlinge, sonstige die Kraft des Volkes zersetzende Elemente oder Verbrecher wider die Kriegswirtschaftsgesetze". Tbierack beklagte, daß die mit der RV vom 10.7. 1942 ergangene Aufforderung, Verstöße von Rechtsanwälten gegen ihre Berufspflichten — „insbesondere solche auf weltanschaulich-politischem Gebiet" — unverzüglich dem Generalstaatsanwalt mitzuteilen, zu wenig befolgt worden sei, „so daß ich auch über grobe Verstöße von Rechtsanwälten erst von dritter Seite unterrichtet worden bin." Gemeint waren wohl die Meldungen des SD und Bormanns Ergänzungen. Tbierack verlangte daher intensivere und beschleunigtere Unterrichtung, die bereits bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens erfolgen sollte.

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Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

Im ehrengerichtlichen Verfahren wies er die Staatsanwälte an, auch in Fällen, in denen der Sühnegedanke geringere Strafen vertretbar erscheinen lasse, den Ausschluß des Anwaltes zu beantragen, wenn es die „Reinhaltung der Anwaltschaft" erfordere. Er vertraue darauf, „daß es den Generalstaatsanwälten und dem Oberreichsanwalt beim Reichsgericht gelingt, die gebotene strenge Beurteilung gegenüber etwa abweichenden Auffassungen der Ehrengerichte durchzusetzen und diese Gerichte von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß die Anwaltschaft ihre Berufsangehörigen, die gefehlt haben, im Interesse der Stärkung der Dienstzucht strenger als bisher bestrafen und diejenigen aus ihren Reihen entfernen muß, die durch ihr Verhalten das Fortbestehen der Berufsstandes gefährdet haben."

Die VO zur Änderung und Ergänzung der RRAO Daß er dieses Vertrauen nicht mehr besaß, zeigte schon bald die Reform der RRAO, die durch VO vom 1.3.1943 erfolgte88. Sie übertrug — wie geplant — die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit auf die Dienststrafgerichte. Zuständig wurden die Dienststrafkammern bei den OLGen sowie der Dienststrafsenat beim Reichsgericht. Die Hälfte der Beisitzer sollten Rechtsanwälte sein, Vorsitzender immer ein Richter89. Sie hatten auch bereits anhängige Verfahren weiterzuführen90. Das Recht, Strafverfügungen zu verhängen, blieb den Kammerpräsidenten und dem Präsidenten der RRAK erhalten, so wie es von den Vertretern der Anwaltschaft gewünscht worden war91. Auf ihre Einwände wurde, zumindest verbal, auch an anderen Stellen Rücksicht genommen. So sollte die Ausübung der Ehrengerichtsbarkeit durch die Dienststrafgerichte auf die Dauer des Krieges beschränkt bleiben92. Zwar wurde den OLG-Präsidenten ein Aufsichtsrecht über die Präsidenten der Anwaltskammern eingeräumt, das auch die Befugnis einschloß, bei Gefahr im Verzüge einstweilige Verfügungen zu treffen93. Daneben wurde aber hervorgehoben, daß die Aufsichtsrechte des Präsidenten der RRAK unberührt blieben. In seiner Kommentierung der VO94 fand dieser, auf solche Weise des Erhaltes seiner Autorität versichert, hierzu die trostreichen Worte, damit werde „nur reichseinheitlich der Zustand festgelegt, der im Bereiche des PrALR (!) schon durch die Vorschrift des §611191 bestanden und niemals zu irgendwelchen Unzuträglichkeiten geführt hat." Die Einführung einer widerruflichen Zulassung zur Anwaltschaft, die auch nicht bei einem bestimmten Gericht erfolgen sollte95, entsprach dem Wunsch, die Eröffnung neuer Anwalts kanzleien zu verhindern, um den eingezogenen Anwälten die Rückkehr in ihren Beruf nicht zu erschweren. Von der ursprünglich geplanten Altersversorgung war, wie es sich bei den Vorbereitungen zu der VO abgezeichnet hatte, lediglich die Einführung einer Altersgrenze von 65 Jahren geblieben, nach deren Erreichen der RMJ einen Rechtsanwalt in den Ruhestand versetzen konnte. In sein Ermessen blieb es auch gestellt, ob er die RRAK verpflichten wollte, dem in den Ruhestand Versetzten oder seinen Hinterbliebenen eine Versorgung zu gewähren96. Die politischen Beweggründe, die — neben anderen — diese Regelung hervorgebracht hatten, verschwieg Hornig, einer der Autoren des Entwurfes, in seiner Erläuterung der VO in der DJ 194397. Statt dessen berief er sich auf die Überfüllung des Berufsstan-

Der Konflikt

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des, der habe abgeholfen werden müssen. Ein zu Kriegszeiten offensichtlich hergeholtes Argument. Weitere Einzelheiten, die Erwähnung verdienen, sind — die Verschärfung der Folgen des VertretungsVerbotes, die bereits 1940 geplant war. Dem betroffenen Anwalt sollte künftig jegliche anwaltliche Berufstätigkeit untersagt bleiben98 sowie — die Aufhebung der Verpflichtung des Präsidenten der RAK, vor Erteilung einer Rüge oder Mißbilligung nach § 57 RRAO einen Ausschuß der RAK zu hören.

Reaktionen aus der Anwaltschaft Die Bestürzung, die die VO bei vielen Rechtsanwälten auslöste, läßt sich den öffentlichen Stellungnahmen nur zwischenzeilig entnehmen. Immerhin ist es auffällig, daß sowohl Hornig, der zuständige Referent im RMJ, in seinen Erläuterungen in der DJ als auch Neubert im DR hervorhoben, daß eine Verbeamtung der Anwaltschaft nicht geplant sei. „Keinesfalls eine Verbeamtung!" rief Hornig aus", und Neubert verwies auf Thieracks und Rothenbergers übereinstimmende Äußerungen in der Beiratssitzung der RRAK vom 15.3.43, „daß sie eine starke Rechtsanwaltschaft auf freiberuflicher Grundlage für erforderlich halten"100. Neubert war im Einzelnen sichtlich bemüht, den Eindruck, den die getroffenen Regelungen bei vielen hinterließen, abzuschwächen. Zur Einführung der Altersgrenze führte er aus, die amtliche Begründung rechne mit „kaum mehr als 100 Versorgungsfällen im ganzen Reichsgebiet". (Nach einem Vermerk aus der Reichskanzlei101 vom 26.11.42 betrug die Zahl der Anwälte, die älter als 65 Jahre waren, 1400 — 1800.) Seine Tröstung über die Einführung des Aufsichtsrechts des OLG-Präsidenten über die Präsidenten der RAK wurde bereits erwähnt. Hinsichtlich der Übertragung der Ehrengerichtsbarkeit auf die Dienststrafgerichte wagte er lediglich „zu hoffen, daß nach Eintritt geregelter Friedensverhältnisse die bewährte anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit wieder in Gang gesetzt wird." Ein Bericht von unbekannter Hand über die „gegenwärtige Lage der Anwaltschaft" befindet sich bei den Unterlagen des Hanseatischen OLG102. Er war offenbar nicht zur Veröffentlichung bestimmt und gibt daher Befürchtungen und Kritik der Rechtsanwälte weniger geschönt wieder als Neuberts Kommentar. An seinem Ende heißt es: „Wohl überall hat die geplante Novelle zur RRAO die Anwälte in Unruhe und Bestürzung versetzt. Der Verlust der Selbstverwaltung wird geradezu als eine capitis diminutio empfunden. Man tröstet sich lediglich damit, daß es sich um eine vorübergehende Kriegsmaßnahme handelt, die im Hinblick auf die Notzeiten in soldatischem Gehorsam ertragen werden muß. Es bleibt jedoch die Sorge, daß mit der Unterstellung unter die Dienstaufsicht der Justiz eine schon mehr als bloß vorübergehende Lösung des Anwaltsproblems beabsichtigt sei. Unverkennbar liegt diese Maßnahme in der Richtung der von der neuen Justiz angestrebten starken Richterpersönlichkeit, welcher der Anwalt nur als Gehilfe beigegeben ist. Diese Ansicht trägt das Moment der Unterordnung bereits in sich."

224

Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

Die Rechtsprechung der Dienststrafgerichte in Anwaltsangelegenheiten In einer RV vom l. 4.43 gab der RMJ dem ORA und den Generalstaatsanwälten sowie den Präsidenten von RG und OLGen Richtlinien für die Ausübung der Dienststrafgerichtsbarkeit über die Rechtsanwälte, in der er das „wirksamste Mittel" zur „Wiederherstellung des Anwaltsstandes" erblickte103. Thierack forderte strenge Bestrafung, bei der „das Ziel der Erhaltung und Reinhaltung des Anwaltsstandes in den Vordergrund zu rücken" sei. Er bat die Präsidenten des RG sowie der OLGe, „bis die große Linie der anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit" gewonnen sei, den Vorsitz selbst zu übernehmen. Entsprechend sollten der ORA beim RG bzw. die Generalstaatsanwälte persönlich die Geschäfte des Vertreters der Einleitungs- oder obersten Dienstbehörde übernehmen. Ob diese Maßnahmen die erhofften Früchte trugen, läßt sich wegen der Quellenlage schwer nachvollziehen. Nur wenige Entscheidungen der Dienststrafgerichte sind noch veröffentlicht worden104. Einen Überblick über die Spruchpraxis des Dienststrafsenates beim RG gab Neubert im DR vom 17./24. 6.1944105. Eine Überprüfung seiner darin aufgestellten Behauptung, grundsätzliche Abweichungen von der Rechtsprechung des EGH seien „nicht hervorgetreten", wird dadurch erschwert, daß Neubert lediglich den Inhalt der wichtigsten Entscheidungen, nicht aber die Strafen, auf die sie erkannten, wiedergibt. Die Mehrzahl der vom Dienststrafsenat entschiedenen Fälle stammte aus dem Gebiet der Strafverteidigung. Die Pflichten des Verteidigers, die der DStrSen formulierte, sind deutlich von berufsrichterlicher Sichtweise geprägt und enthalten überwiegend weitreichende Folgerungen aus dem Gebot, daß der Anwalt das Gericht bei der Erforschung der Wahrheit zu unterstützen habe. Er müsse daher unrichtige Zeugenaussagen verhindern und, wenn ihm gestanden worden sei, auf ein Geständnis vor Gericht hinwirken106. Wie an anderer Stelle ausgeführt ist, hatte das „Geständnisproblem" die Diskussion über die gewandelte Stellung des Strafverteidigers im nationalsozialistischen Strafprozeß in der Mitte der 30er Jahre intensiv beschäftigt, ohne daß je eine ehrengerichtliche Entscheidung hierzu veröffentlicht worden wäre. Auch aus der Forderung, der Verteidiger habe Distanz zu seinem Mandanten zu wahren, zog der DStrSen weiterreichende Konsequenzen als der EGH in seinen bekannten Entscheidungen. Zwar hatte auch er dieses Postulat aufgestellt107. Der DStrSen aber verlangte nun besonders in politischen Strafsachen, daß sich der Verteidiger keinesfalls mit seinem Mandanten, dem „Täter", identifizieren oder ihn auch nur als wertvolle Persönlichkeit rühmen dürfe. Die Aufrechterhaltung der „Festigkeit der inneren Front" gebot es nach Ansicht des DStrSen nicht nur, daß der Verteidiger von aussichtslosen Gnadengesuchen abzusehen habe, damit der Tat die Strafe und deren Vollzug „auf dem Fuße folgen". Auch auf den Inhalt des Gnadengesuchs war besonders Bedacht zu nehmen, die Tat durfte nicht beschönigt werden, da es auch dem Rechtsanwalt obliege, „der Gerechtigkeit, dem wirklichen Recht, wie es sich nach gesundem Volksempfinden darstellt, zum Sieg zu verhelfen." Besondere Zurückhaltung wurde bei der Kritik von Urteilen gefordert108. Die dem Gericht gegenüber erforderliche Achtung gebot es nach der Auffassung des DStrSen nicht nur, „unsachliche Schärfen" zu unterlassen, sondern auch, keine „haltlosen Ablehnungsanträge" zu stellen.

Anmerkungen

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Das Verbot einer „anstößigen Häufung von Judenmandaten" entsprach der bereits vom EGH gezeigten antisemitischen Haltung. Soweit ein Vergleich der Spruchpraxis des DStrSen beim RG mit der des EGH ohne Kenntnis der jeweils verhängten Sanktionen möglich ist, fallt die stärkere Einbindung des Verteidigers in die staatlichen Interessen, in die der Justiz, ins Auge, Hier ging der Dienststrafsenat wesentlich weiter als der EGH. Neuberts Ansicht, im Grunde habe sich nichts geändert, scheint insofern eher aus seinem Bestreben verständlich, die Rechtsprechung des EGH jener Institution zu verteidigen, deren Präsident er war. So schienen die Dienststrafgerichte die in sie gesetzten Erwartungen , eine verschärfte Disziplinargerichtsbarkeit über die Anwälte zu praktizieren, durchaus zu erfüllen109. Dennoch blieben die daraus erhofften Wirkungen aus. Mit der Anwaltschaft war kein Staat mehr zu machen.

Anmerkungen 1. Vgl. auch bereits S. 69ff 2. Befehl des RFSS vom 25.7.38, Nr. 7/38, Ziff. 4, zit. n. einem Schreiben des OLGPräsidenten von Wien an den RMJ vom 28.12.39, BAR 22/955 3. „Einer kann's nicht lassen", SK Folge 3, 1939, S. 12 4. „Warnung an Wortklauber", SK Folge 42, 1939, S. 7 5. In den MdRRAK vom 15. 5.1940 6. SK Folge 6, 1940, vom 1.2.1940 7. SK Folge 35, 1940, S. 6 8. VO vom 27.8. 39, RGB1.1, S. 1498 9. Im Sinne des Gesetzes vom 14.7.33, RGB1.I, 479 10. Az E.V. 11/40 11. Etwa EGH30, S. 106 oder 32, S.30ff 12. Gleichfalls zum Az. E.V. 11/40 13. Die Einzelheiten der Darstellung beruhen auf Unterlagen, die mir von der Tochter des verstorbenen Rechtsanwaltes Gröpke, Frau Rechtsanwältin Tetzlaff-Gröpke, Hannover, freundlicherweise überlassen wurden 14. Güstrow, S. 16 ff (19) 15. Range, S.208f 16. Mitteilung des Rechtsanwaltes Dr. Paul Haag, Ffm 17. zit. n. Boberach, 1984, Band3, S. 751 f 18. JW38, 448 f, mit Anmerkung von Noack 19. MdRRAK 39, S. 100 20. MdRRAK 41, 50; 41, 83; 42, 39; auch 42, 50, „Ein ernstes Wort an meine Berufskameraden" 21. Der gesamte Vorgang in: BAR 43II1535 22. Vermerk vom 26.3.1940 23. Als §5 zu §22 RRAO 24. § l Abs. l zu § l RRAO 25. § l Abs. 2 zu § l RRAO 26. §2 zu §§2 bis 10, 14 RRAO 27. §16 zu §65 RRAO 28. §17 zu §§68, 90 RRAO

226

Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36.

§§18 und 19 zu §§95, 96 RRAO §18 zu §95 RRAO §19 zu §96 RRAO § 30 zu § 98 RRAO BAR 22/256 § 4 Abs. 2 S. l des Entwurfes neuer Fassung zu §§ 22 bis 24 RRAO § 3 des Entwurfes n. F. zu § 22 RRAO Der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr feststellbar, ein Hinweis auf die Unterredung findet sich in einem Schreiben des Hauptschriftleiters des SK, d'Alquen, an den Präsidenten der RRAK vom 21.10.1940, BAR 22/260 BA aaO BA aaO SK 1941, Folgell DR 40, S. 918 BAR 22/256 Rundschreiben des RMJ vom 6.3.41, BA aaO Vgl. Vermerk von Hornig vom 6. 5.41 sowie Schreiben von Klemm — Parteikanzlei — an den RMJ vom 8. 5.41, B A aaO RGB1.I, S.334f §4 zu §22 RRAO §5 zu §65 RRAO Nach § l Abs. 2 der VO zu §§2 bis 10, 14 und 16 RRAO §3 zu §§22 bis 24 RRAO BA R 22/259 Chef der Sipo und des SD an den RMJ vom 26.2.41, BAR22/259 BAR 22/260 BAR 43II1534 Zum weiteren Inhalt des Schreibens s. u. S. 219 ff SK 1942, Folge 25, S. 2, „Das muß aufhören" Etwa in den MdRRAK 1940, S. 45 betr. den Rechtsanwalt Trautwein, SK vom 1.2.1940 oder in den MdRRAK 41, S. 51 betr. den Rechtsanwalt von Schalburg, SK vom 17.4. 41 Vgl. etwa das Schreiben vom 27.6.42 an den Leiter der Parteikanzlei, mit Anlagen, BAR 22/261 BA R 22/260 Schreiben vom 15.1.43 anden RMJ, BAR 22/260 BA aaO MdRRAK 41, S. 50 und 81 BAR 22/259 Vgl. auch den Überblick von Staege über die Rechtsprechung des EGH der RRAK in DR 41, S.522f MdRRAK 42, 39 Auszug in BA R 22/260 BA R 22/260 BAR 58/173 Zit. n. einem Auszug aus dem Lagebericht vom 20.11.42, der sich in den Akten des HOLG Hamburg befindet, HOLG 1372 - la/1/ BAR 22/260 DR 42, S. 1090 MdRRAK 42, 49 f BAR 22/4158 Vgl. die veröffentlichten Protokolle der Arbeitsgemeinschaft

37. 38. 39. 40. 41. 42. 43.

44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.

Anmerkungen 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85.

227

S. Vermerk, gez. Ltt^, vom 6.10.42, BAR 22/256 DR 42, S.473f BAR 22/256 Vermerk von Hornig vom 29.11.42, BAR 22/256 Protokoll vom 25.11.42, gez. Le%, BAR 22/256 § l des Entwurfes einer VO zur weiteren Ergänzung der RRAO, BA R 22/4700 BAR 22/4700 BAR 43II1536c Am 17.12.42; BAR 43II1534c Boberaeh, Meldungen aus dem Reich, S. XVII SK Folge 13 vom 26.3.42, S. 5 S. o. S. 215f Es handelte sich um den Rechtsanwalt Bremen aus Krefeld. Er war als Verteidiger häufiger in Gegensatz zu staatlichen und Parteistellen getreten. Der Bürgermeister der Stadt und der Präsident des örtlichen Landgerichts waren daher bemüht, seine Berufstätigkeit zu beenden. Anfang 1942 fanden sie einen Anlaß, für den sich auch das „Schwarze Korps" interessierte. Die Zeitschrift berichtete am 26. 3.42 über eine „kaum verbesserte Neuauflage des berühmten .Falles Gröpke' (SK42, Folge 13, S. 5)". Auch Bremen hatte polizeilich beschlagnahmte „Schieberware" (Kaffee) im Auftrag eines „Hamsterers" herausverlangt, ersatzweise Schadensersatz in Höhe des „vollen effektiven Schadens" gefordert, bei dessen Berechnung er den „wirklichen derzeitgen Wert", also den Schwarzmarktpreis, zugrundegelegt sehen wollte. Durch das Verhalten Bremens, der sich — so das SK — ein Geschäft daraus machte, „im trüben Fischteich der eigenen Erbärmlichkeit nach den .Rechten' von Schiebern und Kriegsverbrechern zu fischen", sah die Zeitschrift die „verantwortungsfreudige Arbeit der Polizei" gestört und forderte daher eine „einschneidende Operation". Kurz nach Erscheinen des Artikels erschien die Gestapo bei Bremen, um ihn zu verhaften. Er konnte sich jedoch, rechtzeitig gewarnt, dem durch Flucht nach Überlingen entziehen, wo er bis Kriegsende lebte, ohne daß die Polizei seiner habhaft wurde. Die Einzelheiten, soweit sie sich nicht aus dem Artikel im SK ergeben, beruhen auf der Mitteilung der Witwe des Anwaltes, Frau Elisabeth Bremen, Krefeld. 86. Bei den drei Anwälten handelte es sich um — den Rechtsanwalt Reisert (Augsburg), später wegen seiner Verbindung zu Kreisen des 20. Juli 44 vom VGH zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Wegen seiner anwaltlichen Tätigkeit wurde er nicht diszipliniert (Auskunft seines Sohnes, Rechtsanwalt Dr. Klaus Reisert, Augsburg); — den Rechtsanwalt Diesem (Stuttgart). Ihm hatten Bormann und der SD vorgeworfen, er habe bei der Verteidigung eines Kommunisten ausgeführt, „es könne ja vielleicht sein, daß der Kommunismus früher umstürzlerische Bestrebungen verfolgt habe, dem Angeklagten könne man das aber nicht nachweisen." Diesem erregte einige Zeit später das Mißfallen des Stuttgarter Sondergerichtsvorsitzenden Cuhorst, als er bei der Verteidigung eines über 60jährigen Postarbeiters, der in einigen Fällen Zigarettenpackungen aus Feldpostbriefen entwendet hatte, für die Anwendung des Mundraub-Paragraphen eintrat. Das hätte seinen Mandanten vor der Todesstrafe bewahrt, die der Vertreter der Anklage gefordert hatte und die Cuhorst auch verhängte. Der Präsident der Rechtsanwaltskammer Stuttgart forderte Diesem daraufhin — auch unter Hinweis auf seine von Bormann kritisierte Verteidigung — auf, „keine Verteidigungen vor dem Sondergericht mehr zu übernehmen und zu führen", da Diesems Verteidigungen „nicht immer, aber immer wieder das nötige politische Fingerspitzengefühl vermissen" ließen. Ebenso zurückhaltend wie diese Kritik waren die von der RAK Stuttgart ergriffenen Maßnahmen: von der Verhän-

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Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106.

gung ehrengerichtlicher Sanktionen wurde ebenso abgesehen wie von einer Meldung des Vorfalls an das RMJ (mit der Folge einer Einleitung eines Vertretungsverbotsverfahrens). Schon nach einer vierteljährigen Unterbrechung nahm Diesem seine Verteidigertätigkeit vor dem Sondergericht Stuttgart wieder auf. Vgl. Schreiben des Präsidenten der RAK Stuttgart an Rechtsanwalt Diesem vom 6.4.43. IfZ NG 945, sowie die Stellungnahme Diesem* (ohne Datum) hierzu, IfZ aaO; im Übrigen Diesems Aussage vor dem IMT im Juristenprozeß am 17.4.47, im IfZ; — den Rechtsanwalt Jench aus Bochum, dem Bormann vorwarf, mehrere Metzgermeister und deren Ehefrauen, die wegen Kriegswirtschaftsverbrechen angeklagt waren, mit dem Argument verteidigt zu haben, allein das undurchschaubare Gewirr von Vorschriften sowie die schlechte Versorgung der Bevölkerung habe die Angeklagten strafbar werden lassen. Kuchjerseh erlitt wegen seines Verhaltens keine Sanktionen. Zwar wegen seiner Tätigkeit verschiedentlich angefeindet, war er doch bis 1945 als Verteidiger — auch vor dem VGH — tätig (Mitteilung seines Sohnes, Rechtsanwalt Jersch, Bochum). Zit. n. HOLG 3170-1 RGB1.1, S. 123 §7 Abs. l der VO Ebenda §7 Abs. 2 der VO § 7 Abs. l der VO § 5 Abs. l der VO Im DR 43, S.593f § l der VO § 3 der VO DJ43, S. 261 ff § 8 der VO Gesperrt auch im Original DR 43, S. 593 BAR 43II1536c HOLG 3172 - l a / 1 / RV des RMJ vom 1.4.43, zitiert nach HOLG 3172 - l a / 1 / DR 45, S. 24 ff; die erhaltenen Verfahrensakten befinden sich im ZStA 30.15 DR 44, S.425f ZStA 30.15/507 Bemerkenswert an der — in vieler Hinsicht interessanten — Entscheidung ist der Umstand, daß von allen am Verfahren Beteiligten die Frage, ob der Verteidiger verpflichtet sei, der geständnisbereiten Mandantin keine gegenteiligen Ratschläge zu geben, wie selbstverständlich bejaht wird. Vgl. EGH 32,10, wo vom Verteidiger verlangt wird, unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen, daß er das Handeln seiner Klientin nicht billige, und EGH 32, 158 ff (vgl. oben S. 64 f). So bereits EGH 29, 28; Noack, S. 127. Ein Überblick, den Neubert über das Verhältnis der Entscheidungen des Dienststrafsenates zu denen der Vorinstanzen gibt, zeigt, daß die Dienststrafgerichte an den OLGen eher zu schärferer Rechtsprechung neigten als der Dienststrafsenat: „Von den 32 Urteilen enthalten 12 die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidungen, darunter 5 in Ausschlußsachen. In 11 Fällen trat eine Milderung ein, darunter 5mal in Fällen, in denen die erste Instanz auf Ausschließung erkannt hatte; in 9 Fällen wurde das Urteil verschärft, darunter 2mal im Gegensatz zur Vorinstanz auf Ausschließung erkannt. In zwei Fällen wurde über die Berechtigung der Rücknahme einer Zulassung entschieden." Neubert, aaO, S. 425

107.

108.

Kapitel 3: Die Verweigerung Die Gründe ihrer Verweigerung lassen sich, sind auch die Grenzen gewiß fließend, kaum dort ansiedeln, wo sie eine — im herkömmlichen Sinne — politische Betrachtungsweise suchen mag. Eher resultierten sie — jedenfalls zunächst — aus den Gewohnheiten freier Berufsausübung, die die Anwälte untauglich zu der vom Staat erwarteten Disziplin machte. Schon 1940 hatte der OLG-Präsident von Köln in diesem Sinne in seinem Lagebericht Klage über das Verhalten von Rechtsanwälten geführt, die im Zuge von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Justizdienst beschäftigt wurden: „Infolge ihrer ganz andersgearteten, der freien Gestaltung unterliegenden Arbeite- und Lebensweise fehlt den Rechtsanwälten zunächst die Fähigkeit, sich an die Dienststunden und an die gebundene, ununterbrochene Tätigkeit des Beamten zu gewöhnen. Das Verlassen des Dienstes zur Einnahme eines Frühstücks und des Mittagessens erschien als eine Selbstverständlichkeit, ebenso das ständige Spazierengehen durch das Gebäude, um hier und da mit Bekannten ein Plauderstündchen zu unterhalten. Es hat ganz energischer Schritte bedurft, um wenigstens die gröbsten Mißstände nach dieser Richtung hin zu beseitigen. Dabei mußte beobachtet werden, daß — zum mindesten bei den älteren Rechtsanwälten — auch der Wille zur Einfügung fehlt. Die Bemerkung eines Anwalts zu einem anderen Beamten auf meine schriftliche Zurechtweisung: ,Der hat mir gar nichts zu sagen', ist charakteristisch hierfür."1

Der Anforderung, sich zum Einsatz in den besetzten Gebieten zur Verfügung zu stellen, folgten — trotz anhaltend angespannter wirtschaftlicher Lage — nur wenige Anwälte2. Demgegenüber ist allerdings zu beachten, daß sich Ministerialdirektor Let^ vom RMJ in einem Schreiben an Dageforde (NSRB) vom 21.4.44 lobend über die als Staatsanwälte eingesetzten jungen Rechtsanwälte äußerte. Mit ihnen hatte man bessere Erfahrungen gemacht als mit den hierzu verwandten gleichaltrigen Richtern3. Als sich dann gegen Ende des Krieges die unmenschlichen Verurteilungen häuften, schlug diese Verweigerungshaltung des „Der hat mir gar nichts zu sagen" zunehmend in obstruktives Verhalten gegenüber der Justiz um. In seinen Erinnerungen beschreibt Güstrow diesen Prozeß: „Je deutlicher wurde, daß die Gewaltherrschaft sich brutal über das allgemeine Sittengesetz hinwegsetzte und immer offener dazu überging, die Justiz als ein politisches Werkzeug zur Domestizierung des Volkes zu mißbrauchen, um so entschlossener wurden zahlreiche Anwälte, sich der Wilkür — in Einzelfallen sogar mit ungesetzlichen Mitteln — zu widersetzen, um zu retten, was irgend zu retten war."4

Als Indikator dieser Entwicklung können wieder die Beschwerden dienen, die im Zusammenhang mit dem Verkehr der Strafverteidiger mit Untersuchungsgefange-

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Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

nen erhoben wurden. In einer RV vom 15.9.44 machte der RMJ die höheren Reichsjustizbehörden mit einem Merkblatt bekannt, das der Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin zusammen mit dem Generalstaatsanwalt beim Kamergericht herausgegeben hatte. Der RMJ verwies auf Erfahrungen, die dafür Anlaß gegeben hätten, darunter „1. Verteidiger haben Aktentaschen, Aktenpakete, Rollen, Bücher und dgl., die sie bei der Besprechung benötigten, von Untersuchungsgefangenen selbst öffnen lassen. Diese haben den Behältnissen unbemerkt Waffen, Ausbruchswerkzeuge, Kassiber und dgl., die von Dritten in die Behältnisse eingeschmuggelt waren, entnommen und von ihnen Gebrauch gemacht. Danach gefährdet es den Zweck der Untersuchungshaft, wenn der Verteidiger Behältnisse dieser Art öffnen oder durchsuchen läßt."5

Scheute sich auch der RMJ offenbar, in einem solchen offiziellen Schreiben zu unterstellen, daß Rechtsanwälte den Schmuggel von Waffen und Werkzeugen in das Untersuchungsgefängnis betrieben, so wird doch der damalige Leser so wenig wie der heutige geglaubt haben, ein Untersuchungsgefangener könne während des Gesprächs mit dem Anwalt, aus dessen Tasche unbemerkt Waffen oder Ausbruchswerkzeug entnehmen. Vom Schmuggel verbotener Gegenstände, etwa von Medikamenten, die eine Erkrankung vortäuschen halfen, berichtet auch Güstrotv in seinen Erinnerungen6. Andere Zeitzeugen wußten mir von ähnlichen Begebenheiten in den letzten Jahren des Krieges zu berichten. Die meisten Anwälte wählten nicht diesen Weg ins „Verschwiegene, Halblaute, Ungesagte" (Güstrow), sondern zogen sich aus der Strafjustiz ganz zurück, eine Entwicklung, die die Justizverwaltung mit Sorge erfüllte, zumal die Strafverteidigung damit zur Spezialität „unzuverlässiger" Anwälte wurde. Dieses Problem beschäftigte den Jenaer Generalstaatsanwalt Wurmstich. In seiner bereits erwähnten Umfrage vom 25.11.447 versuchte er, den Ursachen dieser Entwicklung auf den Grund zu gehen. Seine Untersuchung ergab, daß der Hauptgrund für den Exodus der Anwälte aus der Strafrechtspflege in ihrer wachsenden Entfremdung von Richtern und Staatsanwälten lag. Die Verteidiger fühlten sich übergangen und betrachteten ihre Tätigkeit als Nervenbelastung. Daneben spielte die Angst vor politischer Repression eine Rolle. Im Einzelnen listete Wurmstich 18 Gründe auf, darunter: Die befragten Anwälte hätten Alter und Gesundheitsschäden — „Verteidigungen sind ihnen zu aufregend, verlangen zu großen Kräfteverschleiß und bringen ihnen zu große seelische Belastung" (Nr. 1) —, Zeitmangel (Nr. 2) und zu geringe Gebühren (Nr. 3) eingewandt. Viele, so Wurmstich, fühlten sich zurückgesetzt, „weil sie das Hoheitszeichen an der Robe nicht tragen dürfen" (anders als Richter und Staatsanwälte) (Nr. 4). Andere wollten die Richterbriefe kennenlernen (Nr. 5) oder beschwerten sich darüber, daß Richter und Staatsanwälte sich als Vertreter einer starken Staatsgewalt betrachteten und auf die Rechtsanwälte herabsähen (Nr. 6). Schwerste Bedenken wurden gegen die Objektivität der Ermittlungsbeamten erhoben (Nr. 9), deren „gefärbte" Berichte die Gerichte zu leichtfertig als Urteilsgrundlage verwendeten. Klagen wurden auch über die schleppende Abfertigung bei Besuchen in der U-Haft und deren Überwachung laut (Nr. 10). Die Hauptbe-

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schwer liege in verspäteter und zu kurzer Akteneinsicht (Nr. 11). Die meisten Anwälte klagten über zu kurze Anberaumung der Termine (Nr. 12). Die Fristen betrugen zehn bis vierzehn Tage. Auch in der Hauptverhandlung fühlten sich die Verteidiger durch die ihnen widerfahrene Behandlung verletzt. Viele protestierten dagegen, wie mit ihren Beweisanträgen umgegangen werde, oder gegen die Mißachtung ihres Vorbringens, insbesondere ihres Schlußvortrags (Nr. 15 und 16). Die schwersten Bedenken betrafen, so der Generalstaatsanwalt, die Lenkung der Rechtsprechung. Viele Anwälte wollten daran beteiligt werden, was jedoch ausgeschlossen sei. An letzter Stelle kam Wurmstich auf „politische Gründe" zu sprechen (Nr. 18): „Die Rechtsanwälte gehen da nicht recht mit der Sprache heraus, weil sie politische Schwierigkeiten befürchteten. Mir sind streng vertrauliche Fälle genannt worden, in denen Verteidigern von der Partei Vorwürfe gemacht worden sind, oder andere, in denen sie zur Stapo geladen und darauf hingewiesen worden sind, daß es in Strafsachen, die von der Stapo bearbeitet werden, keine Verteidigung gebe. Ich weiß, daß Rechtsanwälte, bevor sie eine Verteidigung übernehmen, vorher bei der Kreisleitung anfragen, ob es auch genehm sei. Bei einzelnen Gliederungen der Partei, so bei der SS, sollen Bestimmungen darüber bestehen, welche Verteidigungen ihre Angehörigen übernehmen dürfen."

Dem Leser dieser Darstellung sind die meisten der vom Generalstaatsanwalt Wurmstich aufgezählten Behinderungen der Verteidigung bereits bekannt. Der „tödliche Alltag", der die nationalsozialistische Strafjustiz immer stärker beherrschte, je näher das „Dritte Reich" seinem Untergang rückte, tat ein Übriges dazu, daß die Zahl der bis zum Ende als Verteidiger tätigen Anwälte verschwindend gering wurde8. Noch 1944 versuchte der Reichsgeschäftsführer des NSRB, Schneidenbach'*, die bestehende Verunsicherung unter den Anwälten auf deren, wie er betonte, besonders dringliche Bitte durch Herausgabe von Richtlinien für die Verteidigung von „Staatsfeinden und Volksschädlingen" zu beheben. Sein Rat erschöpfte sich allerdings in den üblichen Gemeinplätzen, etwa daß der Verteidiger zu prüfen habe, „ob sein Tätigwerden der Erforschung und Feststellung der Wahrheit dient oder ob sein Mitwirken lediglich zur Erreichung persönlicher Vorteile des Beschuldigten mißbraucht werden soll." Zugleich wandte er sich gegen jene, die — etwa „wegen eines guten Honorars" — bemüht seien, „unter allen Umständen etwas für den Mandanten zu erreichen, den Tatbestand drehen und wenden und durch Schönfärberei die Schuld des Angeklagten zu mildern versuchen." Schneidenbach griff damit auch einen Gedanken auf, der die Justizführung, seit ihre Unzufriedenheit mit den Rechtsanwälten wuchs, beschäftigte. Daß nämlich alle unternommenen Schulungsanstrengungen, die die Anwaltschaft zum „Dienst am Recht" bekehren sollten, immer wieder an der banalen Tatsache scheiterten, daß der Verteidiger von seinem Mandanten nicht dafür bezahlt wird, daß er besonders eindrucksvoll für die Belange der Volksgemeinschaft eintritt, sondern für den Erfolg, den er für ihn erstreiten soll: Die niedrige Strafe, den Freispruch. In der Abhängigkeit des Anwaltes von seinem Auftraggeber, die insbesonders daherrühre, daß er von ihm honoriert werde, sah auch Preis/er, der Präsident des VGH, die Hauptursache für ein Verteidigerverhalten, das ihm mißfiel. So wurde gegen Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, als man — allen gegenteiligen

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Beteuerungen zum Trotz — die Verbeamtung des Anwaltes immer nachdrücklicher betrieb10, auch diese weitere Säule seiner Unabhängigkeit für den Strafverteidiger eingerissen: das Recht, Honorare frei zu vereinbaren. Der Streit über die Verteidigergebühren begann bereits vor Ausbruch des Krieges. Seine Anlässe sind nicht unbedingt geeignet, das Bild vom Strafverteidiger im Nationalsozialismus zu veredeln. Das Geschäft mit der Verteidigung Der Vorwurf, an seiner Freiheit sei ihm vor allem wegen des darin zu verdienenden Geldes gelegen, begleitet den Advokaten, seit er seine Unabhängigkeit fordert. Ebenso alt ist die Übung staatlicher Stellen, oppositionelle Bestrebungen in der Anwaltschaft mit der Kürzung der Gebühren für ihre Tätigkeit zu beantworten. So fand sich auch unter den vier Grundsatz-Forderungen der Anwälte im 19. Jahrhundert die nach der Zulassung freier Honorarvereinbarungen. Das Bild vom geldgierigen jüdischen Advokaten wurde von der nationalsozialistischen Propagandapresse vor und nach 1933 zur Polemik gegen die freie Advokatur eingesetzt11. Auch die Gestapo griff, wie gezeigt wurde, auf dieses Argument zurück, um die aus ganz anderen Gründen unerwünschte Beteiligung von Rechtsanwälten an staatspolizeilichen Verfahren zu unterbinden. Wo daher Klagen staatlicher Stellen über die allzu ungestüme Entfaltung advokatorischen Erwerbssinnes laut werden, ist stets nach deren Hintersinn zu forschen. Das kann freilich nicht heißen, daß jenes Phänomen nicht existiere. Während der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft hat es auch den Typ des Verteidigers gegeben, der aus seinen guten Verbindungen zum Herrschaftsapparat kräftig Kapital zu schlagen wußte. Hier ist etwa Rechtsanwalt Alfons Sack zu nennen, der z. B. für sein Eintreten für die Sache eines Tabakindustriellen bei Hermann Goring, mit dem ihn eine persönliche Bekanntschaft verband, die astronomische Summe von 100 000 RM liquidierte12. Gerade Anwälte, die über ein gutes Verhältnis zur NSDAP oder eine vorzeigbare Parteikarriere verfügten, ließen sich die Vertretung von Mandanten, die aus rassischen oder politischen Gründen verfolgt wurden, bisweilen fürstlich honorieren, was sie im übrigen nicht hinderte, ihr Handeln später als Taten des Widerstandes auszugeben13. Aber auch solche Verteidiger, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden, kassierten für ihre Verteidigertätigkeit mitunter Honorare, die das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Anwaltes überstiegen14. Die Gestaltung von Honorarvereinbarungen in Strafsachen beschäftigte die Anwaltskammern verstärkt seit etwa 1938 und gab Anlaß zu ehrengerichtlicher Ahndung15. Mit Kriegsbeginn und der Zunahme sog. Kriegswirtschaftsdelikte entstand überdies ein weites Feld anwaltlicher Betätigung, das dem Verteidiger eine recht zahlungskräftige Klientel zuführte16. Da offenbar einige den daraus entstehenden Verlockungen erlagen, beließ es der Präsident der RRAK zuletzt nicht mehr bei Mahnungen — wie er sie etwa in seinem bereits erwähnten „ernsten Wort an meine Berufskameraden" aussprach17, sondern machte es den Verteidigern im September 1942 (MdRRAK 42, S. 52) zur Pflicht, den Kammerpräsidenten zu

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jedem Monatsersten mitzuteilen, welche Honorarverembarungen sie getroffen hätten. Das gleiche sollte für Erhöhungen gelten18. Neuberts Anordnung brachte keine Verbesserung der Verhältnisse19. Auch die Einrichtung eines Honorarausschusses der RRAK, der die Aufgabe hatte, Fälle überhöhter Gebührenforderungen zu überprüfen, blieb erfolglos, nicht zuletzt, weil die von ihm an einzelne Rechtsanwälte ergangene Aufforderung, die Beträge zu senken, nicht befolgt wurde und auch mangels verbindlicher Festsetzungsbefugnis des Präsidenten der RRAK nicht befolgt werden mußte. Die entsprechenden Vollmachten, die Neubert sich erbat, erhielt er nicht20. Jener Honorarausschuß hatte in einer Zeitspanne von etwas mehr als einem Jahr rund 150 Fälle bearbeitet. Dazu kamen einige, die von den örtlichen Kammerpräsidenten geregelt wurden. Alles in allem keine überwältigende Statistik, die vom RMJ jedoch dahingehend interpretiert wurde, daß die „mißbräuchliche Vereinbarung überhöhter Verteidigerhonorare" ein, wie er meinte, „unerträgliches Maß angenommen" habe, das „nicht nur für die Rechtsanwaltschaft, sondern für die gesamte Justiz eine Gefahr bedeutet."21 Dem Entwurf einer VO zur Änderung der Gebührenordnung, den der RMJ am 27.7.43 an die beteiligten Ministerien versandte, stellte er eine Einleitung voran, in der es hieß: „Namentlich in jüngster Zeit sind einige Honorarvereinbarungen bekannt geworden, die wegen ihres starken Mißverhältnisses zur Bedeutung der Sache und Mühewaltung des Anwalts in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt haben. In besonderem Maße gilt dies von Honorarvereinbarungen einiger im politischen Leben stehender Rechtsanwälte, die ihre hervorragende Stellung offensichtlich zur Erlangung so hoher Entschädigungen ausgenutzt haben. Einem Teil der Rechtsanwälte fehlt augenscheinlich das Bewußtsein, daß eine derart rücksichtslose Hervorkehrung ihrer wirtschaftlichen Interessen mit der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege unvereinbar ist und dem Ansehen des gesamten Berufsstandes schadet."22

Der Entwurf — der in kaum veränderter Gestalt am 21.4.4423 verabschiedet wurde — sah vor, daß Honorarvereinbarungen in Strafsachen künftig ausgeschlossen sein sollten24. An ihre Stelle traten Rahmengebühren (wie sie die BRAGO in §§83 ff noch heute enthält, die allerdings auch Honorarvereinbarungen zuläßt): 80 bis 600 RM für die Verteidigung vor dem RG, VGH oder OLG im ersten Rechtszug und, wenn die Hauptverhandlung mehrere Tage dauern sollte, 80 bis 300 RM für den zweiten und jeden weiteren Verhandlungstag. Für eine Tätigkeit, die sich auf das Vorverfahren beschränkte, waren 40 bis 300 RM vorgesehen. Die Verteidigung vor dem SG und der Strafkammer sollte mit 50 bis 400 RM, dauerte sie mehrere Tage mit 50 bis 200 für den zweiten und jeden weiteren Verhandlungstag honoriert werden. Im Vorverfahren waren 25 bis 200 RM vorgesehen. Im Verfahren vor dem Amtsgericht betrugen die Sätze 40 bis 300 RM, bei mehrtägiger Haupt Verhandlung 40 bis 150RM für den zweiten und jeden weiteren Verhandlungstag. Im Vorverfahren waren Sätze von 20 bis 100RM vorgesehen25.

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In besonders gelagerten Fällen war auf Antrag die Festset2ung einer erhöhten Pauschvergütung durch den OLG-Präsidenten bzw. den Präsidenten von RG oder VGH vorgesehen26. Dieselben Gerichtspräsidenten waren auch befugt, in ihren Augen übersetzte Honorarforderungen zu reduzieren27. Vorher war der Kammerpräsident anzuhören. Gegen den Entwurf erhob Neubert massive Gegenvorstellungen. Zwar wandte er sich nicht gegen die Einführung von Rahmengebühren, wohl aber gegen deren vorgesehene Höhe. Hieraus sprach nach seiner Ansicht eine Mißachtung der Tätigkeit des Verteidigers. Seine Ausführungen zu diesem Punkt werfen ein Licht auf die Tätigkeit und das Selbstverständnis eines (systemtreuen) Strafverteidigers gegen Ende des „Dritten Reiches": Der Entwurf, so Neubert, „erweckt den Eindruck, daß das Maß von Verantwortung und persönlichem Einsatz des Strafverteidigers keineswegs richtig eingeschätzt und gewürdigt wird. Auf Art und Länge des Schlußvortrags, überhaupt auf seine sichtbare Tätigkeit in der Hauptverhandlung kommt es dabei vielfach weniger an als auf seine aufopferungsvolle und häufig gar nicht ungefährliche Tätigkeit bei der Vorbereitung. Erinnert sei nur an die zahllosen Wege, die ein Anwalt schon bei einem durchschnittlichen Strafverfahren, bei angenommener Untersuchungshaft des Mandanten zu diesem ins Untersuchungsgefängnis, wegen Akteneinsicht zur Staatsanwaltschaft und den Gerichten, später zu den Strafvollstreckungsbehörden, zu den Gnadeninstanzen usw. zu machen hat, gar nicht zu reden von den Schwierigkeiten, Ausfällen und sonstigen Unannehmlichkeiten, welche z. B. bei auswärtigen Verteidigungen entstehen. Dabei wird die Tätigkeit des Verteidigers in den seltensten Fällen von den amtlichen Stellen erleichtert. Die Abneigung staatlicher Organe gegen Nachprüfung und Kritik ihrer Handlungen ist verständlich, aber auf diesem Boden erwächst eine leider immer wieder feststellbare Geringschätzung, die dem „Fürsprecher" des Beschuldigten entgegengebracht wird. Und doch ist oft die persönliche letzte Hingabe eines verantwortungsbewußten Verteidigers entscheidend dafür, daß nicht ein wertvoller Volksgenosse von der einmal ins Rollen gekommenen Staatsmaschinerie erdrückt wird. Deshalb trägt auch der Verteidiger von allen am Verfahren beteiligten Rechtswahrern die stärkste menschliche und seelische Belastung."28

Hierfür verlangte er eine angemessene Vergütung, die die vorgeschlagenen Sätze nicht erbrächten. Üblich seien für Verteidigungen vor den Strafkammern und den Sondergerichten Sätze zwischen 200 und 2000 RM. Er wollte daher — neben den Rahmengebühren — freie (schriftliche) Honorarvereinbarungen zugelassen sehen. Überstiegen sie 300 RM, sollte eine Mitteilungspflicht gegenüber dem örtlichen Kammerpräsidenten bestehen, wie Neubert es ähnlich bereits im September 1942 angeordnet hatte. Die VO sollte dem Kammerpräsidenten — und nicht dem OLGPräsidenten —, wie es der Entwurf vorsah —, das Recht verleihen, überhöhte Honorare herabzusetzen. Neuberts Kritik trug die VO vom 21.4.44 lediglich dadurch Rechnung, daß sie die ursprünglich vorgesehenen Rahmengebührensätze im Spitzenbereich um etwa ein Viertel erhöhte. Dagegen blieb es bei dem Verbot freier Honorarvereinbarungen in Strafsachen und bei dem Recht des OLG-Präsidenten, Honorare herabzusetzen. Von den vier Säulen freier Advokatur, die die Bewegung der Anwälte im 19. Jahrhundert errichtet hatte, war damit für die Strafverteidigung — nach der politischen Liquidation der Anwaltskammern und der Beseitigung des Zulassungsanspruchs — die dritte eingerissen worden.

Die Verweigerung

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Der Rechtsanwaltsbrief Unter den Mitteln, die das Reichsjustizministerium einsetzte, um Einfluß auf die Rechtsanwaltschaft zu gewinnen, ist zuletzt noch der „Rechtsanwaltsbrief" zu nennen, der am I.Oktober 1944 erschien29. Redakteur war der Kammergerichtsrat Erich Schmidt-L·eichnery . Die Wirkungen, die der Rechtsanwaltsbrief entfaltete, waren gering. Die meisten seiner Adressaten machten sich nicht einmal die Mühe, ihn zu lesen. Bereits am l I.März 1943, gerade zehn Tage nach Erlaß der VO vom I.März 1943, machte der RMJ in einem Runderlaß die Präsidenten der oberen Gerichte sowie die Oberreichs- und Generalstaatsanwälte mit einem Aufruf bekannt, den er in den MdRRAK (die Fundstelle ist mir nicht bekannt) publiziert hatte. Darin rief er zur Zusammenarbeit der drei Organe der Rechtspflege auf und führte die „Krise der Rechtsanwaltschaft" darauf zurück, daß der Anwaltschaft die richtige Abwägung zwischen den Interessen des Einzelnen und den Belangen der „Volksgemeinschaft" nicht immer gelinge. Hier sollten Rechtsanwaltsbriefe künftig „Hilfe und Unterstützung" gewähren. Hervorgehoben wurde, daß die Briefe keine Weisungen enthielten. Aus den Kreisen der Anwaltschaft sollten — über die Kammern — Anregungen und Fragen mitgeteilt werden, deren Erörterung von allgemeinem Interesse sein könnte. Die gleiche Aufforderung erging an die Richter und Staatsanwälte31. Daraufhin passierte nicht viel. Kaum Material ging ein. Im RMJ erwog man daher, Richter und Staatsanwälte aufzufordern, kurze Berichte über Inhalt und Aufbau von Plädoyers zu fertigen32. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis endlich — im Oktober 1944 — ein „Rechtsanwaltsbrief' erschien, der erste und letzte. Auch dies ein Beleg dafür, daß der „Krise der Anwaltschaft" in den Verlautbarungen von Parteikanzlei und RMJ ein Ausmaß und eine Bedeutung beigemessen wurde, die sie real nicht hatte. Vergleicht man allerdings die Fülle von Zuschriften, die die Justizministerien 1933 — unaufgefordert — erreicht hatten, um Vorschläge zur Neuordnung der Anwaltschaft zu unterbreiten, mit diesem Schweigen auf die ausdrückliche Bitte des RMJ, ihn mit Material zu versorgen, so wird die Kluft augenfällig, die zwischen Justiz und Anwaltschaft entstanden war. Jedenfalls war es übertrieben, wenn es im Rechtsanwaltsbrief33 hieß, die mitgeteilten Einzelfälle seien „nur ein kleiner Ausschnitt aus dem umfangreichen Material", das eingegangen sei. Unter den 14 Exempeln befanden sich überdies zwei, die bereits in dem Bericht des SD von Juli 1942 (Nr. 5) sowie in Bormanns Aufstellung vom Dezember 1942 (Nr. 3) enthalten waren. Der Rechtsanwaltsbrief war ausschließlich an die Adresse der Strafverteidiger gerichtet. Die Zusammenstellung der Beispiele für ein verfehltes Verhalten des Verteidigers, mit der er nach einigen einleitenden Worten begann, entsprach in der Gewichtung in etwa den bereits bekannten Sammlungen. Ein großer Teil (insgesamt sechs) der vierzehn Beispielsfälle befaßte sich mit der Verteidigung von Personen, die wegen Kriegswirtschaftsvergehen angeklagt waren, während der — ursprünglich so wichtige — Bereich der Verteidigung von (politischen) Staatsfeinden nur gestreift wurde (Beispiel 1; dort ging es um die Versuche eines Anwalts, seinen bereits verurteilten Mandanten zu veranlassen, ihn den Familien von Gesin-

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Strafverteidigung seit Kriegsbeginn

nungsgenossen als Verteidiger weiterzuempfehlen). Die Kritik bezog sich überwiegend auf die Gestaltung des Plädoyers (in 7 Fällen). Gerügt wurden auch schriftliche Ausführungen in einer Berufungsbegründung (ein Fall), einem Gnadengesuch (ein Fall), einem Brief an den inhaftierten Mandanten (ein Fall) sowie in Schriftsätzen an das Gericht bzw. die gegnerische Partei im Privatklageverfahren (zwei Fälle). Zum ersten Mal wurde allerdings auch das prozeßtaktische Vorgehen von Verteidigern kritisiert (drei Fälle). Darunter war ein Fall, in dem drei Pflichtverteidiger in einer größeren Sondergerichtssache ihre Plädoyers in einer Zeit von insgesamt zehn Minuten absolviert hatten. An die Aufzählung der Beispielsfälle schloß sich eine umfangreiche „Stellungnahme des Reichsministers der Justiz" an. Sie enthielt eine kurze Darstellung der nationalsozialistischen Auffassung von der Stellung des Verteidigers, die dem Leser dieser Darstellung inzwischen hinlänglich bekannt'ist. Die Stellungnahme versuchte der wachsenden Abneigung der Anwälte gegen die Tätigkeit als Strafverteidiger entgegenzutreten, und widmete sich sodann einzelnen „Verfehlungen", die sich aus der Doppelstellung des Verteidigers — als Beistand des einzelnen Angeklagten und „Rechtswahrers der Gemeinschaft" — ergäben, etwa dem Stellen von Anträgen nur auf Wunsch des Mandanten, von denen der Verteidiger selbst wisse, daß sie überflüssig oder sonst deplaziert seien, dem Schmuggel von Kassibern oder Lebensmitteln in die Strafanstalt oder dem Abfassen überlanger Schriftsätze, deren Umfang „in augenfälligem Mißverhältnis zu dem wirklich erheblichen Inhalt" stünden. Ein großes Gewicht maß die „Stellungnahme" der Gestaltung des Schlußvortrages bei. Hier ging es ihr besonders darum, nachteiligen politischen Folgen von Verteidigervorbringen vorzubeugen, das, in öffentlicher Verhandlung geäußert, auch die anwesenden „Volksgenossen" erreichte. Besonders ausführlich widmete sie sich der erforderlichen „rechtspolitischen Beurteilung" des einzelnen Vorganges, die der Verteidiger vorzunehmen habe, die jedoch vielfach einen Mangel an Verständnis für die Belange der „Volksgemeinschaft" erkennen lasse. Der Rechtsanwaltsbrief schloß mit einer Besprechung der vierzehn Beispielfälle. Von näherem Interesse für die weitere Darstellung ist der vierzehnte Fall, in dem drei Anwälte in kürzester Zeit ihre Plädoyers absolviert hatten. Ihr Fall mag als Einführung in das letzte Kapitel der Geschichte der Strafverteidigung im Nationalsozialismus dienen, das zugleich das dunkelste ist. In ihm ist die Rede von jenen Anwälten, die es — aus Angst, Opportunismus oder gar aus Überzeugung — unterließen, selbst im Rahmen des Erlaubten für ihre Mandanten einzutreten, oder die — auch das hat es gegeben — bemüht waren, „den Staatsanwalt in seiner Anklage noch zu übertreffen34.

Anmerkungen 1. BA R 22/3379, die Mitteilung des Dokumentes verdanke ich R. Angermund, Ruhr-Universität, Bochum 2. Reifner, Richter und Anwälte, S. 75 3. BA R 22/262

Anmerkungen 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

11. 12. 13. 14.

15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

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Güstrotv, S. 14 HOLG3170 - I c 5 Castro», S.247F BANS 16/Vol. 111 So etwa die Einschätzung des ehemaligen Berliner Strafverteidigers Dietrich Castro» in einem Gespräch mit dem Verfasser DR 44, S. 327 Bezeichnend ist ein Aufsatz von Generalstaatsanwalt Hanssen, Gauwalter des NSRB Berlin, im DR vom 20./27. Mai 1944, S. 353 ff. Er erwägt zunächst — rein theoretisch —, daß es in Weiterführung der „Idee des totalen Staates" nur folgerichtig sei, wenn die Strafjustiz auch die Aufgaben übernähme, „die aus der früheren Tätigkeit des Verteidigers heute noch als berechtigt und deswegen allein fortbestehend anerkannt werden könnten" (aaO, S. 354). Unter einer „starken Anwaltschaft auf freiberuflicher Grundlage" dürfe nicht eine solche verstanden werden, die gegenüber dem Staat stark und unabhängig sei. Diese Qualitäten müsse sie vielmehr in erster Linie gegenüber dem Mandanten besitzen. Mit dieser Stellung des Anwalts vertrug es sich nach Hanssens Ansicht u. a. nicht, wenn Anwälte übermäßige Honorare annähmen, die sie in Abhängigkeit zum Mandanten brächten Hierzu jüngst Reißer, KJ 84, 383 ff Mitteilung von Sacks ehemaligem Sozius, Rechtsanwalt Diener Vgl. etwa den Fall des Rechtsanwalt Bodo Bernecke, s. den Bericht über dessen Entnazifizierungsverfahren im „Tagesspiegel" (Berlin) vom 24.11.46 Vgl. den Fall des Rechtsanwalts Klett, Stuttgart, nach der Darstellung des ehemaligen Stuttgarter OLG-Präsidenten Küstrow in seiner Vernehmung vor dem IMT in Nürnberg am 4.9.47. Klett verlangte für die Verteidigung eines „Schiebers", der zum Tode verurteilt wurde, 7000 RM. Vgl. die Mitteilung der R AK München in den MdRRAK 38, S. 30 Vgl. dazu den Lagebericht des GStA von Braunschweig vom 29.7.42 BAR 22/260 MdRRAK 42, S.SOf Eine verschärfte Regelung galt in München, MdRRAK 42, S. 72 Das ergibt sich aus einem Schreiben des RMJ an Lammers vom 31.8.43, BAR 43II1536 c Vgl. seine Stellungnahme zum Entwurf der VO vom 13.10.43, BAR 43II 1536c Schreiben an Lammers vom 31.8.43, BA, aaO (Fn. 19) BA aaO (Fn. 19) RGB1.I, S. 104 ff Art. 4 zu § 93 der GebO für Rechtsanwälte Art. l zu § 63 der GebO für Rechtsanwälte Art. l zu § 66 der GebO für Rechtsanwälte Art. 2 zu § 86b der GebO für Rechtsanwälte B A aaO (Fn. 19) Abgedruckt bei Boberach, Richterbriefe, S. 400 ff Vgl. BA R 22/4275 Boberach, Richterbriefe, S. 397 Boberach, aaO, S. 398, Anm. 2 Hier zit. n. Boberach, aaO, S. 417 So kritisierte selbst der „Rechtsanwaltsbrief' im Abschnitt „Stellungnahme des Reichsministers der Justiz" ein solches Verhalten; vgl. Boberach, aaO, S. 414

Teil IV: Am Ende

Kapitel 1: Angst, Opportunismus und Verrat des Verteidigers Der Fall der im Rechtsanwaltsbrief als 14. Beispiel angeführt wurde, hatte sich vor dem Sondergericht Bremen ereignet. Dem RMJ wurde er vom Präsidenten des Hanseatischen OLG mitgeteilt1. Dessen Stellungnahme ist geeignet, das Bild vom staatsüberdrüssigen Verteidiger zu relativieren. Der Präsident bemerkte, der Typ des Verteidigers, der sich in Strafsachen gegen „offenbar vaterlandsfeindliche Elemente" zu sehr für seinen Klienten einsetze und dabei über das erlaubte Maß hinausginge, sei „im Aussterben begriffen". In den Rechtsanwaltsbriefen sei aber auf das gegenteilige Phänomen hinzuweisen. Auf den Verteidiger, „der aus Sorge, er könne bei der Partei, bei hochgestellten Organisationen des Staates oder bei der Staatsanwaltschaft in Mißkredit kommen, nicht wagt, sich in der sachlich erforderlichen Weise für seine Klienten einzusetzen." Es war nun nicht problemlos, solches Verteidigerverhalten vom Standpunkt einer Doktrin zu kritisieren, die auch dem Verteidiger die Pflicht zum Dienst an der Volksgemeinschaft auferlegte. Interessant ist ein Vergleich des Wortlautes des Hamburger Schreibens mit der Wiedergabe im Rechtsanwaltsbrief. Im Original hatte es gelautet: „Es ist nun einmal die Aufgabe eines gewissenhaften Verteidigers, sich für seine Klienten ernsthaft einzusetzen."

Schmidt-Leichner, der Redakteur des Rechtsanwalts-Briefes, deutete den „Einsatz" für den Klienten in eine Pflichterfüllung gegenüber der Volksgemeinschaft um. Das Engagement des Anwaltes hatte nicht dem Angeklagten, sondern „der Sache" zu gehen: „Der Anwalt ist als Rechtswahrer, unabhängig davon, ob ihn der Staat oder der Angeklagte bestellt und honoriert, in jedem Falle in gleicher Weise verpflichtet, seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der Sache zu stellen. Auch von dem Pflichtverteidiger muß daher verlangt werden, daß er seine Pflichten der Gemeinschaft und dem Angeklagten gegenüber genau so eingehend und gewissenhaft erfüllt, wie er es in demselben Fall als Wahlverteidiger tun würde."2

Der Typ des Verteidigers, der den Diener vor Partei und Staat dem „Dienst an der Sache" vorzog, Bestrafung forderte, wo sein Mandant freizusprechen war und auch freigesprochen wurde, der selbst in Fällen, wo das Leben des Mandanten auf dem Spiel stand, sein Plädoyer in wenigen Sätzen herunterhaspelte, dessen Inhalt sich nicht selten darauf beschränkte, eine Entschuldigung für die Übernahme der Verteidigung vorzubringen, — er begleitete den Werdegang der NS-Justiz von Anbeginn und war besonders vor den Gerichten anzutreffen, die sich mit Straf-

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Am Ende

Sachen von politischer Bedeutung befaßten, also vor den Sondergerichten, dem Volksgerichtshof und den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte, in besonderer Konzentration vor den Gerichten der „eingegliederten Ostgebiete". Unter diesen Anwälten gab es solche, die ihren „Dienst am Recht" nicht in stiller Enthaltsamkeit erfüllt sahen, sondern sich — wie es selbst im Rechtsanwaltsbrief abschätzig hieß — bemühten, „den Staatsanwalt in seiner Anklage noch zu übertreffen". Ein Beispiel liefert der Berliner Rechtsanwalt Kun%. In einem Verfahren gegen führende Funktionäre der kommunistischen Widerstandsgruppe „Nationalkomitee Freies Deutschland", das im September 1944 vor dem VGH durchgeführt wurde, war er für den Angeklagten Jacob als Offizialverteidiger bestellt. Kun^ erklärte, der Angeklagte hätte nichts besseres als die Todesstrafe verdient3. Ähnlich war sein Verhalten als Wahlverteidiger Havemanns im Dezember 1943. Während sich seine Teilnahme an der Hauptverhandlung zunächst auf eine Frage zur Herkunft Havemanns beschränkt hatte, forderte er in seinem Plädoyer das „schwerste Urteil" für seinen Mandanten, da die „Schwere seiner Verfehlungen" keine andere Strafe rechtfertige. Havemann wurde zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch nicht vollstreckt4. Als Verteidiger des Generals von Hase, der zum Kreis der militärischen Verschwörer des 20. Juli 1944 zählte, führte Kun^ vor dem VGH aus: „Eine größere Schmach, eine größere Schande ist vor dem Volksgerichthof noch nicht verhandelt worden. Ich habe dem Angeklagten von Hase klar und deutlich auseinandergesetzt, daß meine Aufgabe nicht darin bestehen kann, irgendwelche Paragraphen zu finden oder subjektiv irgendeinen Tatbestand herauszusuchen, sondern darauf hinzuweisen, daß überall, in allen Ländern und bei allen Stämmen bis zu dem entferntesten Stamm der Kaffern in Afrika eine Grundregel besteht, nämlich die, daß wer sich an dem Staatsoberhaupt vergreift, des Todes ist."5

Verteidiger wurden auch dazu eingesetzt, ihren Part in wohlinszenierten politischen Schauprozessen mitzuspielen. So war es etwa in der (geplanten) Hauptverhandlung im Verfahren gegen Herscbel Gryns^pan vorgesehen6. Sie sollte der Entlarvung der „Verschwörung" des „Weltjudentums" gegen die „Friedenspolitik" des Deutschen Reiches dienen. Vorbereitet wurde sie von einem eigens eingerichteten „Regieausschuß", der die Aufgabe hatte, „den Prozeß im Hintergrund zu verfolgen und zu dirigieren."7 Ihm gehörten Vertreter des Auswärtigen Amtes, des VGH und des Propagandaministeriums an8. In der Prozeß Vorbereitung wurde auch die Rolle des Verteidigers mit einem besonders zuverlässigen Mann besetzt. Das Komitee nominierte den Rechtsanwalt Arno Weimann, Berlin, den Tbierack als Mann mit „besonderen Qualitäten" betrachtete9. Seine Qualitäten als „sicherer Exponent des NS-Regimes" (Heiber)w konnte Weimann auch bei anderer Gelegenheit, als Offizialverteidiger Goerdelers, unter Beweis stellen. Statt ihn zu verteidigen, klagte er ihn selbst an11. Auf Männer seines Schlages mag Freislers Verdikt gemünzt gewesen sein, der in einem Beitrag zum Rechtsanwaltsbrief12 auch über Verteidiger berichtete, die glaubten, sie müßten „staatsanwaltlicher als der Staatsanwalt sein", sie müßten „nachholzen, als habe der Staatsanwalt selbst noch nicht genug gesagt". Weiter hieß es wörtlich in Freislers Bericht:

Angst, Opportunismus und Verrat des Verteidigers

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„Solche Fälle sind nicht ganz selten vor dem Volksgerichtshof. Ein Fall ist sogar vorgekommen in dem ein bekannter Verteidiger, der eine Wahlverteidigung in einem Fall übernommen hatte, in dem auch nicht viel zu verteidigen war, zum Schluß — man hatte den Eindruck, um die Übernahme der Verteidigung zu entschuldigen — sagte, der Zweck seiner Verteidigung sei damit erreicht, daß er den Angeklagten veranlaßt habe, ihm einen Hintermann zu nennen. Deshalb habe er die Verteidigung überhaupt übernommen. Wohl jeder im Saal hat sich gefragt, ob er auch mit dieser Begründung sich das Honorar vom Angeklagten hat versprechen oder bezahlen lassen."

In der Gruppe der Verteidiger im 20. Juli-Komplex war Weimann keine Ausnahmeerscheinung. Es durften — auf Hitlers persönliche Anordnung — nur Offizialverteidiger tätig werden. Kaum ein einziger war unter ihnen, der es noch gewagt hätte, selbst mit harmlosen juristischen Argumenten einem Todesurteil für seinen Mandanten entgegenzutreten13. Im Gegenteil: einige waren sogar noch bemüht, in tönenden Suaden das Handeln ihrer Mandanten anzuprangern und diese selbst persönlich zu desavouieren. Zwei recht unterschiedliche Anwaltspersönlichkeiten traten sich bei der Verteidigung des angeklagten Rechtsanwaltes Joseph Wirmer gegenüber. Wirmer hielt Freister die berühmt gewordenen Worte entgegen: „Wenn ich hänge, habe nicht ich Angst, sondern Sie", und, als Freister entgegnete, er werde bald zur Hölle fahren: „Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie bald nachkommen, Herr Präsident"14. Wirmers Verteidiger dagegen war in seinem Plädoyer besonders darum bemüht, eine Entschuldigung für seine „geringe Aktivität in diesem Falle" zu finden. Er hob hervor, daß er zum Verteidiger lediglich bestellt worden sei. Sein Verhalten erklärte er damit, daß jedes andere eine „durch nichts zu rechtfertigende Schönfärberei", dargestellt hätte, die „würdelos wäre und auch der Pflicht und dem Amt des Anwalts, das ihm von der Volksgemeinschaft übertragen worden ist, zuwiderliefe." Er erging sich sodann in umfangreichen Ausführungen darüber, daß bei Würdigung sämtlicher juristischer Möglichkeiten für seinen Mandanten allein die Todesstrafe in Frage käme, die dieser auch selbst erwarte15. Der Verteidiger des im selben Verfahren angeklagten Leuschner bezeichnete seinen Mandanten als „Kleingeist", als „Bourgeois gewordenen Arbeitersekretär", der lediglich auf Posten aus gewesen sei. Die „Pest" der Verschwörung, so der Verteidiger, die „Eiterbeule" sei durch „das gütige Schicksal, das uns das Leben des Führers erhalten hat", zum Platzen gebracht worden. „Und wenn irgendwie etwas im deutschen Volk zum Heil werden kann, dann ist es das, daß auch zu Lasten der Angeklagten unter diesen Vorgängen, unter diesem Verbrechen, unter diesem unglückseligen Krachen der letzte Strich gezogen wird durch ein gerechtes Urteil."16 Solche Exzesse lassen sich aus einer wie immer gearteten Bedrohung der Verteidiger nicht erklären, auch nicht damit entschuldigen, daß man etwa annehmen könnte, was der Verteidiger in der Hauptverhandlung vorbrachte, sei ohnehin ohne Einfluß auf das Urteil geblieben. Einen anschaulichen Gegenbeweis liefert eines der eingangs erwähnten Beispiele, die der Präsident des HOLG als Beitrag zu den Rechtsanwaltsbriefen einreichte17. Ihm hatte ein Bericht aus Bremen vorgelegen.

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Am Ende

Darin wurde der Fall eines Mannes dargestellt, der vom Sondergericht Bremen in einer Plünderungssache nach § l der VolksschädlingsVO zum Tode verurteilt worden war. Wesentliche Urteilsgrundlage war ein Geständnis des Mannes. Bereits vor der Hauptverhandlung gab der Verteidiger dem Gericht zu verstehen, daß er selbst keine Möglichkeit sehe, an einem Todesurteil vorbeizukommen. Entsprechend war sein Verhalten in der Hauptverhandlung, das Plädoyer eine Formsache. Das Todesurteil wurde gesprochen. Nach der Verurteilung nahm sich die Staatsanwaltschaft des Falles erneut an. Sie vernahm die Ehefrau des Angeklagten, deren Aussage Zweifel an der Aneignungsabsicht aufkommen ließen. Nach Abschluß der Ermittlungen, die z. T. die Staatsanwaltschaft, z. T. das Sondergericht führten, nicht jedoch der Verteidiger, wurde die Sache erneut verhandelt und endete mit einer Verurteilung des Angeklagten wegen Unterschlagung zu einem Jahr Gefängnis. Der Präsident des LG Bremen hielt es für ausgeschlossen, eine Erklärung für ein solches Versagen eines Verteidigers in einer „gewissen Ängstlichkeit" zu suchen, „den Unwillen des Sondergerichts oder der Gestapo zu erregen". „Bei dem im allgemeinen ausgezeichneten Verhältnis zwischen den Gerichten und der bremischen Anwaltschaft wäre derartiges nicht zu besorgen." Daß das Verhältnis zwischen Gerichten, Polizei und Anwaltschaft in den letzten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ein durchaus getrübtes war, ist schon nachgewiesen worden, mag es auch in Bremen anders gewesen sein. Das konnte nicht überprüft werden. Die Äußerung des Bremer Landgerichtspräsidenten gibt jedoch Anlaß, das an anderer Stelle entstandene Bild einer Konfrontation zwischen Verteidigung und Justiz zu relativieren. Auch Freislers Bericht über „Entgleisungen und sonstige peinliche Fehler von Verteidigern" ist geeignet, die Vorstellung vom Verteidigeralltag zu entdramatisieren.

Anmerkungen 1. Schreiben des Präsidenten des HOLG Hamburg an den RMJ vom 9. Mai 1944 HOLG 3170 l c 5 2. Zit. n. Boberach, Richterbriefe, S. 420 f 3. Eidesstattliche Versicherung der Witwe des Mitangeklagten Saefkow, IfZ NG 536; vgl. auch W. Wagner, S. 179 ff 4. Eidesstattliche Versicherung von Robert Havemann, IfZ NG 399; vgl. auch W. Wagner, S.lolf

5. Buchheit, S. 235 6. Vgl. Heiber, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1958, S. 134 ff und Kaul, Herschel Grynszpan; Gryns^pan hatte am 7.11.38 den Gesandtschaftssekretär der Deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, erschossen. Der Vorfall diente in Deutschland als Anlaß zur Inszenierung der sog. Reichskristallnacht am 10.11.38 7. So der Staatssekretär im Auswärtigen Amt in einem Fernschreiben an den Reichsaußenminister vom 2.4.42, zit. n. Heiber, S. 155, Anm. 62 8. Heiber, S. 155 9. Heiber, S. 159; Kaul, S.160f

Anmerkungen

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10. Heiber, S. 159; ganz anders lautet das Urteil, zu dem Reuß, JR 64, S. 173, gelangt, der meint, „während der Zeit des Nationalsozialismus hat Dr. Weimann es verstanden, .integer vitae scelerisque purus' in vielen gewagten Prozessen (u. a. Verteidigung der Männer des 20. Juli wie Dr. Goerdelers und des Feldmarschalls von Witzleben vor dem Volksgerichtshof) in stillem segensreichem Wirken sich mit großem navigatorischen Geschick durch die Widrigkeiten und Gefahren des Regimes hindurchzusteuern, ohne sich zu einem sacrificium intellectus bereitzufinden." 11. Ritter, Goerdeler, S. 417 12. B A R 22/4700 13. Die Ausnahme: Gustav Schwär^ als Verteidiger des Angeklagten von Hagen; vgl. W. Wagner, S. 678, und Bucbheit, S. 219 ff 14. Vgl. Bucbheit, S. 253 15. Zit. n. der Abschrift eines Tondokuments aus dem Lautarchiv des Deutschen Rundfunks, IfZ Ms 97 16. Wie Fn. 15 17. Vgl. Fn.l

Kapitel 2: Vom Alltag des Ausnahmezustands Verteidigung vor dem Volksgerichtshof Preis/er1 äußerte sich zu diesem Thema im Jahr 1943 auf die Aufforderung des RMJ hin, Material für den Rechtsanwaltsbrief einzusenden. Wer diesen Bericht des gefürchteten Präsidenten des VGH liest, ist zunächst erstaunt. Die aufgelisteten „Entgleisungen" sind allenfalls harmlos zu nennen. Freisler hebt hervor, es handele sich um Einzelfälle aus einer Vielzahl nicht zu beanstandender Verteidigungen, politisch motiviert, „Ausdruck einer bewußt antinationalsozialistischen Gesinnung" seien sie nicht zu nennen. „Hauptgrund" sei vielmehr „die Problematik der Anwaltschaft, die daher rührt, daß der Verteidiger ein öffentliches Amt wahrnehmen soll, aber privat bezahlt wird." Aus dieser äußeren Abhängigkeit resultiere eine innere sowie ein Bedürfnis des Anwaltes, in der Gestaltung seiner Verteidigung um den Beifall des Angklagten und der Öffentlichkeit zu buhlen. Die Beispielfälle, die er für verfehltes Verteidigerverhalten aufzählte, könnten zu einem erheblichen Teil auch einer Umfrage unter bundesdeutschen Strafrichtern zum gleichen Thema entnommen sein. So rügte der Präsident des Volksgerichtshofs etwa, daß Verteidiger bisweilen Schriftsätze einreichten, deren Umfang „in offenkundigem Gegesatz zur Schmalheit ihres Inhalts" stehe, oder Schreiben des Angeklagten kommentarlos an das Gericht weiterleiteten, „um sich auf diese Art von deren Inhalt zu absentieren". Falsche oder einseitige Auslegung von Rechtsvorschriften oder eine verfehlte Würdigung des Beweisergebnisses zugunsten des Mandanten führte er ebenfalls auf das Bemühen des Verteidigers zurück, das Publikum und den Angeklagten zu beeindrucken. Auch das „Prunken mit fremder Autorität", besonders durch Präsentieren renommierter Leumundszeugen, verdanke dieser „Versuchung" sein Entstehen. Deplaziert schien ihm auch das „Spicken der Ausführungen des Verteidigers mit Kommentar- oder Präjudizzitaten". Aus der Feder eines Strafrichters unserer Tage könnte auch stammen, was Freisler an der „Saloppheit der Form" im Auftreten und der Diktion mancher Verteidiger bemängelte, mögen es auch heute andere Despektierlichkeiten sein, die Anstoß erregen, nicht der Umstand, daß ein Verteidiger, so Freisler, „nicht ,der Führer' sondern ,Adolf Hitler' gesagt hat." Daß der Präsident des Volksgerichtshofs sich zuletzt auch über das Verhalten von Verteidigern erregte, die bemüht waren, staatsanwaltlicher als der Staatsanwalt zu erscheinen, wurde bereits an anderer Stelle erörtert. Wer Rückschlüsse aus Freislers Bericht auf den Alltag der Verteidigung vor dem Volksgerichtshof ziehen will, der sich danach recht alltäglich ausmacht, wird jedoch berücksichtigen müssen, daß er zur Veröffentlichung in Anwaltskreisen bestimmt war. Daß „Entgleisungen und sonstige peinliche Fehler von Verteidi-

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gern" Freisten Unmut nachhaltiger erregten, als sein Bericht glauben macht, zeigt sein — erfolgloses — Bemühen im April 1943, das Dienstaufsichtsrecht über die (Pflicht-)Verteidiger am Volksgerichtshof übertragen zu erhalten2. Das Verhalten von Verteidigern vor dem Volksgerichtshof fand auch das Interesse des Propagandaministeriums, das im Oktober 1942 an Thierack mit dem Vorschlag herantrat, in Wien, wo man mit den Strafverteidigern besonders unzufrieden war, eine Art Sängerkrieg vor dem Volksgerichtshof zu veranstalten. Die zwei besten und einer der schlechtesten Verteidiger aus der Anwaltskammer Wien sollten in einer größeren Verhandlung gemeinsam als Verteidiger bestellt werden, alle „irgend abkömmlichen" übrigen Anwälte als Zuschauer in den Saal beordert, anschließend eine gemeinsame Aussprache durchgeführt werden3. Widersprüchlich sind die Darstellungen, die verschiedene Verteidiger von ihrer Tätigkeit vor dem VGH als Zeugen im Nürnberger Juristenprozeß gaben. Ich zitiere zunächst drei Beispiele: /. Rechtsanwältin Ingeburg Gent% über eine Verhandlung im Jahr 1941:

„Engert führte den Vorsitz. Er leitete die Verhandlung mit einer solchen Schärfe und persönlichen Gehässigkeit, wie ich sie als Verteidiger niemals sonst bei einem Richter erlebt habe. Er unterbrach die Angeklagten, beschimpfte sie unvermittelt im bayrischen Jargon mit groben Schimpfworten .... unterbrach auch die Verteidiger und unterband jede sachliche Erörterung des Anklagegenstandes. Einer meiner Mitverteidiger war der inzwischen verstorbene JR Hahn, ein alter angesehener konservativer Anwalt. Er war nach der Verhandlung außergewöhnlich erregt und sagte zu mir, es sei ihm in seiner 40jährigen Anwaltspraxis noch nicht vorgekommen, daß er als Verteidiger in dieser Weise herabwürdigend behandelt worden sei, während des Plädoyers unsachlich unterbrochen wurde, usw. ... (Ich) habe ... später keine Anträge mehr auf Zulassung als Verteidiger gestellt, weil ich mir nicht die Härte und Gewandtheit zutraute, die gegenüber solchen Verbrechern, wie es Engert war, einzig und allein am Platze war. In einem Bericht, den ich nach der Verhandlung meinen Angehörigen und Freunden von der Verhandlung gab, verglich ich Engert mit einer giftigen Kröte."4 2. Rechtsanwalt Hans Astfalk: „Die Verhandlungen vor Dr. Freister waren zum Schluß eine reine Farce, denn in letzter Zeit zogen sich der Staatsanwalt und das Gericht zu einer gemeinsamen Beratung zurück, damit der vom Staatsanwalt zu stellende Antrag nicht zu sehr von dem Urteil abweichen sollte. Erst dann stellte der Staatsanwalt seinen Antrag, der gewöhnlich Todesstrafe beantragte, auf die dann auch das Gericht erkannte. Ein Protest der Verteidiger gegen dieses ganz ungesetzliche Vorgehen war zwecklos. Ich selbst hatte mit Freister einen sehr heftigen Zusammenstoß ... Ich hatte in meinem Plädoyer einen Zeugen, der, wie sich später herausstellte, ein Spitzel war, scharf angegriffen, worauf mich Freister unterbrach und erklärte, es sei nicht angebracht, in einem Verfahren gegen Kommunisten in dieser Weise gegen belastende Zeugen vorzugehen. Zwei Tage darauf erhielt ich ein Schreiben von

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Am Ende

Freister persönlich, in dem er mir mitteilte, daß er die Art und Weise, wie ich meine Verteidigung geführt hatte, den anderen Senatspräsidenten mitgeteilt habe und aus meinem Verhalten die erforderlichen Konsequenzen ziehen würde, d. h. mich in der Liste der Verteidiger löschen würde. Tatsächlich wurden mir auch von dem Präsidenten des 6. Sen. sofort die Sachen entzogen, die bei diesem Senat anstanden. Der Vorfall selbst ist dann dadurch, daß im November 1943 der VGH total ausgebombt wurde, in Vergessenheit geraten."5 3. Rechtsanwalt Grünwald: „Frage: Hatten Sie als Anwalt die Freiheiten, die Sie normalerweise in einem ordentlichen Strafprozeß haben würden? Antwort: Das kann ich wohl sagen. Ich habe in zahlreichen Fällen Beweisanträge gestellt, die nicht zurückgewiesen wurden, die aber nicht berücksichtigt wurden, weil der Senat sie für unerheblich hielt. Frage: Hatten Sie in Ihrer Verhandlungsführung einschließlich Plädoyer die Freiheiten, die man im ordentlichen Prozeß hat? Antwort: Das war in einer Reihe von Fällen nicht der Fall. Wenn man mal irgendwie etwas sagte, was Herrn Freisler nicht günstig erschien, unterbrach er und fuhr einen ziemlich heftig an. Frage: Wie sehr hatten Sie als Verteidiger das Gefühl, sich persönlich bei Ihren Äußerungen bzw. Ihrer Tätigkeit als Verteidiger vorsehen zu müssen? Antwort: Das kann ich nicht sagen. Die Verhandlung mit Freisler war eine Nervenbelastung, so daß man nach Möglichkeit versuchte, derartige temperamentvolle Ausbrüche zu vermeiden ... Dem Angeklagten wurde freies Gehör gegeben, er hatte freies Wort. Daß Freisler ihm in die Parade fuhr, ist richtig. Daß sie sich beengt fühlten, will ich zugeben. Aber bei den anderen Senaten wurde ihnen freies Gehör gegeben."6 Die drei Beispiele zeigen, daß die Einschätzungen der beteiligten Anwälte in wichtigen Punkten voneinander abweichen. Während Rechtsanwalt Astfalk von einer „reinen Farce" spricht, die die Verhandlungen unter Freisler zuletzt dargestellt hätten, ist sein Kollege Grünwald der Ansicht, er habe als Anwalt die Freiheiten gehabt, die ihm in einem ordentlichen Strafverfahren normalerweise zustünden. Solche Differenzen in der Beurteilung des Verfahrens vor dem VGH können einen Grund darin haben, daß sie sich auf verschiedene Phasen in dessen Entwicklung bezogen. In den letzten Jahren war, nach Übergang der sog. DefaitistenVerfahren in die Zuständigkeit des Gerichtes7, von einer einigermaßen sachgerechten Verteidigung in vielen Fällen nicht mehr zu reden. Besonders schwerwiegend wirkte sich die drastische Verkürzung der Ladungsfristen aus. Es kam vor, daß ein Verteidiger von einem Tag auf den anderen geladen wurde. Der Berliner Rechtsanwalt Wergin* berichtete, so sei es in der Hälfte der Fälle gewesen, in denen er verteidigt habe (er war seit 1942 vor dem VGH tätig). Andere Verteidiger bestätigten diese Übung9. Die Auswirkungen dieser Praxis wurden allerdings von den Verteidigern später unterschiedlich eingeschätzt. Dabei fallt auf, daß die auf der Liste der Offizialvertei-

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diger geführten zu wesentlich günstigeren Wertungen gelangen als diejenigen, die nur als Wahlverteidiger auftraten. So urteilte Rechtsanwalt Weimann, von dem bereits die Rede war und dessen Name sich auch auf der Liste der Pflichtverteidiger findet, trotz allem sei ein geschickter und versierter Verteidiger in der Lage gewesen, die „Sache zu machen" 10. Im gleichen Sinne äußerte sich Rechtsanwalt Boden, von dem ein ehemaliger Angeklagter berichtete, sein Plädieren habe sich durch „erregende Kürze" ausgezeichnet11. Rechtsanwalt Wergin dagegen, der nach seinen Angaben nur als Wahlverteidiger auftrat und auch nicht auf der Liste geführt wurde, äußerte die Ansicht, durch die kurzfristige Zustellung der Anklageschrift sei eine ausreichende Vorbereitung „häufig unmöglich" gewesen12. Rechtsanwalt Behling, ebenfalls nicht auf der Liste verzeichnet, lehnte es ab, Pflichtverteidigungen zu übernehmen, da die Bestellung des Offizialverteidigers erst so spät erfolgt sei, daß „keine auch nur einigermaßen erfolgversprechende Verteidigungsmöglichkeit bestanden" habe13. Verschiedene Einschätzungen der Handhabung des Prozeßrechts äußerten Wahlund Pflichtverteidiger auch hinsichtlich des Verfahrens mit Beweisanträgen der Verteidigung. Während Rechtsanwalt Boden — auf der Liste der Pflichtverteidiger geführt — meinte, Beweisanträge hätten auch bei kurzer Terminsanberaumung gestellt werden können, und es sei ihnen — wenn sie irgendwie erheblich gewesen seien — auch stattgegeben worden, erklärte Rechtsanwalt Behling, nur als Wahlverteidiger tätig, Anträge der Verteidigung auf Ladung von Entlastungszeugen seien grundsätzlich abgelehnt und im allgemeinen nur die Belastungszeugen gehört worden. Das gleiche Bild bietet sich, wo die Verteidiger das Verhalten der Reichsanwaltschaft bei Anträgen auf Gewährung von Akteneinsicht oder Anfragen über den Verfahrensstand vor Anklageerhebung beschreiben. Die Rechtsanwälte Boden und Weimann lobten das gute Verhältnis der Anklagebehörde zur Verteidigung, während Rechtsanwalt Behling dem Oberreichsanwalt vorwarf, er habe dafür gesorgt, daß Verteidiger nach Möglichkeit keinerlei Akteneinsicht erhielten14. Von Zusammenstößen mit verschiedenen Senatspräsidenten, besonders mit Freister und Engert, wußten dagegen sowohl Pflicht- als auch Wahlverteidiger zu berichten. Ungeteilt war auch die Ansicht, daß eine politische Verteidigung, die die Beweggründe des Angeklagten für seine Tat, gar seine Rechtfertigung herauszustellen versucht hätte, wo nicht unmöglich, so doch für Angeklagten und Verteidiger gefährlich gewesen sei15. Davon abgesehen waren sämtliche Befragte der Auffassung, daß eine Verteidigung des Angeklagten, wie es etwa Wergin ausdrückte, „in nicht unbeträchtlichem Maße möglich war, ohne daß es etwa zur sofortigen Verhaftung des Verteidigers geführt hätte."16 Von Neubert geht die Legende, wegen der mißfälligen Gestaltung seiner Verteidigung des Generalmajors S tieff habe ihn Freisler als Pflichtverteidiger nur noch in einzelnen Fällen zulassen wollen, wenn Neubert es ausdrücklich wünschte17. Das ist kaum wahrscheinlich. Denn auf der Liste der Pflichtverteidiger gehörte Neubert ohnehin zum exclusiven Kreis derer, die lediglich in Verfahren von besonderer politischer Bedeutung und auch nur auf eigenen Wunsch tätig werden wollten18.

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Am Ende

Von den oben zitierten Verteidigern wußte nur einer, nach etwaigen Sanktionen wegen seiner Verteidigertätigkeit am VGH befragt, ein Erlebnis zu berichten: „Frage: Darf ich Sie fragen, Herr Boden, ob Ihnen Fälle bekannt sind, wo Verteidiger aufgrund ihrer Verteidigung vor dem VGH Schwierigkeiten gehabt haben? Antwort: Ich möchte meine persönliche Sache vorbringen. Ich wurde nach dem Kriege für etwa 10 Tage von den Russen in Vernehmungshaft genommen. Frage: Es interessiert mich, ob Sie währenddes NS-Regimes ... aufgrund Ihrer Verteidigung vor dem VGH Schwierigkeiten gehabt haben? Antwort: Nein. Aber ich kann persönlich folgendes sagen, daß mir einmal von einem Gestapobeamten gesagt wurde: solch einen Mann kann man doch nicht verteidigen."19

Das Beispiel spricht für sich. Die Verteidigung vor Sondergerichten Konnten die Verteidiger vor dem VGH noch in gewissem Umfang von der herausgehobenen Bedeutung des Gerichtes profitieren, so litten ihre Kollegen vor manchen Sondergerichten darunter, daß der dort nicht minder verbreitete Vernichtungswille sich mit der Selbstherrlichkeit von Provinzpotentaten auf dem Richterstuhl paarte. Extreme Beispiele für diese Species waren die bereits erwähnten Sondergerichtsvorsitzenden Cuhorst (Stuttgart) sowie Rotbaug und Oeschey (Nürnberg). Cuhorst sah im Verteidiger ein notwendiges Übel20 und vertrat den Standpunkt, ein fähiges Gericht bedürfe keines Verteidigers, da es selbst in der Lage sei, auch die den Angeklagten entlastenden Momente zu berücksichtigen. Cuborsts Selbstherrlichkeit bekam auch der Staatsanwalt zu spüren, dessen Ausführungen der Vorsitzende des SG Stuttgart unterbrach, wenn sie ihm zu langatmig erschienen. Zwar gab es auch bei ihm eine „Fühlungnahme" mit dem Anklagevertreter vor dessen Plädoyer. Sie dauerte aber regelmäßig nur kurz, da Cuhorst sich von niemanden „dreinreden" ließ, von der Staatsanwaltschaft nicht und auch nicht von seinen Beisitzern21. Vielmehr schrieb er dem Anklagevertreter vor, welchen Antrag er zu stellen habe22. Infolge seiner Ansicht, ein Verteidiger sei eine überflüssige Erscheinung, kam es vor, daß Cuhorst selbst in einer Sache (Ostern 1943), in der er ein Todesurteil verhängte, dem Verteidiger erst wenige Minuten vor der Verhandlung die Anklageschrift aushändigte23. Er unterbrach die Verteidiger „mit Vorliebe", wie ein Staatsanwalt später bekundete24. In einem Fall rief er einen Verteidiger vor der Verhandlung in sein Beratungszimmer, um ihm mitzuteilen, daß sich längere Ausführungen erübrigten, da er ohnehin die Todesstrafe aussprechen werde25. Um Akteneinsicht mußte der Verteidiger regelmäßig Kämpfe mit Cuhorst ausfechten26. Erhielt er sie, so zumeist viel zu kurz. Der Verteidiger sollte die Verhandlung möglichst wenig aufhalten. Einen Verteidiger, den Rechtsanwalt Diesem, wollte Cuhorst ehrengerichtlich verfolgen lassen, weil er gegen die Verhängung der Todesstrafe für einen Mandanten eintrat, dem Diebstähle von Feldpostbriefen vorgeworfen wurden27. Die Stuttgarter Verteidiger erwogen mehrfach, die Verteidigung im allgemeinen niederzulegen28.

Vom Alltag des Ausnahmezustands

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In Nürnberg, wo es einem Verteidiger auch passieren konnte, in aller Öffentlichkeit von SS-Männern wegen der Übernahme einer unerwünschten Verteidigung verprügelt zu werden29, vermittelten die Sondergerichtsvorsitzenden Oswald Rothaug und Oeschey, der ersteren 1943 nach dessen Weggang zur Reichsanwaltschaft ablöste, den Anwälten das Gefühl, sie würden lediglich als ein „notwendiges Übel"30 geduldet. Rothaug war nicht nur wegen der „unglaublichen Schärfe" seiner Urteile, sondern auch wegen seiner Verhandlungsführung gefürchtet31. Die Verteidiger wurden so eingeschüchtert, daß sie glaubten, er sehe es ungern, wenn sie versuchten, Zeugenaussagen zu erschüttern. Angeklagte, die er nicht zum Tode verurteilen konnte, mißhandelte er seelisch derart, daß sie am Ende der Sitzung psychisch zusammenbrachen32. Entlastende Beweisanträge der Verteidigung wurden „meistens als nicht notwendig zur Sache abgelehnt"33, Anträge, das Verfahren auszusetzen, um eine Aussagegenehmigung für Entlastungszeugen einzuholen, die der NSDAP angehörten, wurden auch dann verworfen34, wenn andere entlastende Beweismittel nicht vorlagen. Mit rechtlichen Ausführungen konnte der Verteidiger bei Rothaug „überhaupt nichts machen". Lediglich auf mildernde Umstände aus der Persönlichkeit des Täters ließ sich plädieren. Auch diesen Argumenten war Rothaug jedoch kaum zugänglich35. Verteidiger, die sich in den Zusammenstößen mit ihm durchzusetzen wußten, konnte er allerdings mit „einem gewissen Respekt", außerhalb der Verhandlung sogar geradezu „liebenswürdig" behandeln36. Zwar galt Rothaug als fanatischer Nationalsozialist, dessen Verhandlungen bisweilen Parteiveranstaltungen glichen37, auch er war jedoch Weisungen übergeordneter Stellen unzugänglich. Wie schon bei Cuhorst bemerkt, diente die „Fühlungnahme", zu der er den Staatsanwalt ins Beratungszimmer zitierte, lediglich dazu, dem Anklagevertreter klarzumachen, welchen Antrag er zu stellen habe38. Es kam sogar vor, daß Rothaug vor der Anordnung der Hauptverhandlung die Staatsanwaltschaft anschrieb, einen schweren Fall eines Deliktes anzuklagen, damit er die Todesstrafe verhängen könne. Das Schreiben wurde nicht zu den Gerichtsakten genommen, so daß die Verteidigung keine Kenntnis davon erlangte, die es ihr u. U. erlaubt hätte, Rothaug als befangen abzulehnen39. Von Oeschey hieß es, er sei in seiner Verhandlungsführung „oftmals noch ordinärer" als Rothaug gewesen40. Seine Voreingenommenheit ging so weit, daß er entlastende Beweisanträge nicht zuließ, wenn er angesichts der Vorstrafen eines Angeklagten der Meinung war, ein solcher Mensch sei ein Verbrecher und müsse mit dem Tode bestraft werden41. Die Verteidiger lebten in der Angst, ein falsches Wort in der Verhandlung könne sie selbst in Gefahr bringen42. Mit dem Rechtsanwalt Müller III hatte Oeschey eine heftige Kontroverse, die mit einem Disziplinarverfahren gegen den Anwalt endete. Er hatte einen Angeklagten in einem Heimtükkeverfahren verteidigt, dem vorgeworfen wurde, behauptet zu haben, die Stadtverwaltung lasse die Kruzifixe aus den Schulsälen entfernen. Müller beantragte daraufhin, einen Erlaß des bayerischen Kultusministers zu verlesen, der genau dies anordnete. Oeschey beschimpfte den Verteidiger als „politischen Brunnenvergifter". Dieser verließ daraufhin den Sitzungssaal, wo Oeschey ohne ihn weiterverhandelte. Verfolgt wurde danach der Verteidiger43. Oescbeys Zusammenstoß mit einem anderen Verteidiger, dem er bei anderer Gelegenheit die Verlesung eines Schriftstückes

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Am Ende

ausschlug — „das Wesentliche dabei war der nicht wiederzugebende Ton, der so ungefähr an die Allüren eines Revolutionstribunals erinnerte und von Oeschey auch so gewünscht war44 — führte dazu, daß er den Fall an den VGH verwies. Auch für Oeschey, der Gauhauptstellenleiter war45, galt, daß die Fühlungnahme mit dem Staatsanwalt eher dazu diente, den Anklagevertreter zu instruieren, als dessen „Weisungen" entgegenzunehmen. Es ist angesichts dieser Schilderungen erstaunlich, daß mir kein einziger Fall bekannt wurde, in dem ein Verteidiger auch nur den Versuch unternommen hätte, einen dieser Richter als befangen abzulehnen, was ja die Verfahrensordnung der Sondergerichte zuließ. Möglich ist aber, daß eine auf diesem Gebiet noch ausstehende Auswertung von Verfahrensakten auch solche Fälle zutage fördern wird46. Das Ende In den letzten Monaten nationalsozialistischer Herrschaft, als das Regime nur noch ums nackte Überleben rang, blieb von der Verteidigung nicht viel mehr als eine bloße Formalität. Nicht selten wurden, damit nur das Bild noch stimmte, Justizangestellte (in einem überlieferten Fall sogar ein Staatsanwalt), die gerade greifbar waren, kurzerhand zu Verteidigern bestellt47. Die VO vom 15.2.4548 schuf Standgerichte, allein mit der Funktion, einer Hinrichtung ein gewisses justizförmiges Verfahren vorzuschalten. Sie konnten daher nur auf Todesstrafe, Freispruch oder Überweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit erkennen. Ein Verteidiger konnte auch hier auftreten. Es ging aber auch ohne ihn. Das zeigt — als letztes Beispiel — der Fall des Grafen Aiotiteg/as49. Hier ging Oescheys Vernichtungswille (er saß dem Nürnberger Standgericht vor) so weit, daß er selbst ein Verfahren an sich zog, in dem die Akten bereits an den VGH abgesandt worden waren. Er beraumte kurzfristig Termin zur Hauptverhandlung an. Obwohl er wußte, daß Graf Monteglas einen Verteidiger beauftragt hatte, unterließ er es, diesen zu benachrichtigen. Der übertölpelte Angeklagte wurde zum Tode verurteilt. Als ihn sein Verteidiger am 9. April 1945 in der Haft aufsuchen wollte, wurde ihm mitgeteilt, daß sein Mandant bereits am 6. April hingerichtet worden war. Ein Verfahren vor dem VGH hätte ihm das Leben gerettet.

Anmerkungen 1. B A R 22/4700 2. Schreiben an Thierack vom 3.4.43, BA R 22/261 mit ablehnender Stellungnahme von Horning vom 15.4.43 3. BA R 22/4694; vgl. auch W. Wagner, S. 37 4. Eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwältin Ingeburg Gent^, IfZ NG 842 5. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Hans Astfalk, IfZ NG 594 6. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Grümvald, IfZ NG 535 7. Durch VO zur Änderung und Ergänzung der ZuständigkeitsVO vom 29.1.43, RGB1.1, S. 76

Anmerkungen

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8. In seiner Vernehmung durch das IMT im Nürnberger Juristenprozeß am 3.6.47; Wergin war nach 1945 langjähriger Präsident der RAK Berlin 9. Zeugenaussage Grünwalds vor dem IMT am 3.6.47; Aussage von Boden am 31.7.47 vor dem IMT sowie dessen eidesstattliche Versicherung, IfZ HG 400; eidesstattliche Versicherung Weimanns, IfZ, NG 555 10. Eidesstattliche Versicherung Weimanns, aaO 11. Eidesstattliche Versicherung von Gustav Dahrendorf, IfZ NG 798 12. Eidesstattliche Versicherung Wergins, IfZ NG 403 13. Eidesstattliche Versicherung Behlings, IfZ NG 1007 14. Behling, aaO 15. Weimann, aaO; Wergin, aaO 16. Im gleichen Sinn: eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwälte Boden, IfZ. NG 400; Grünwald, IfZ. NG 535; Weimann, IfZ. NG 555; Dix, IfZ NG 675; Behling, IfZ. NG 1007 17. Eidesstattliche Versicherung Bodens, IfZ. NG 400; Buchheit, S. 264 18. Vgl. LA Berlin, Rep. 68 Acc. 3209/72 19. Boden, aaO 20. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Schoeck, IfZ. NG 489 21. Eidesstattliche Versicherung seines ehemaligen Beisitzers, RiOLG Max Stüber, IfZ. NG 464 22. Stüber, aaO 23. S tüber, aaO 24. Eidesstattliche Versicherung von StA Willy Steinle, IfZ. NG 494 25. Eidesstattliche Versicherung von Eberhard Schwär^, IfZ. NG 485 26. Schoeck, aaO (Fn. 20) 27. Schoeck in seiner Vernehmung durch das IMT am 4. 9. 47; vgl. auch oben S. 227f, Anm. 86 28. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Bruno Krüger, IfZ. NG 492 29. So Rechtsanwalt Zilcher, der den ehemaligen Anführer des „Freikorps Franken", den in Ungnade verfallenen Nationalsozialisten Stegmann, vertreten hatte. Die Verteidigung wurde dann, weil sich angeblich in ganz Nürnberg kein Anwalt mehr dazu bereit fand, von Rechtsanwalt Ludwig, Berlin, geführt. Eidesstattliche Versicherung Ludwigs, IfZ. NG 2335 30. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Goeringer, IfZ NG 512 31. Goeringer, aaO 32. Goeringer, aaO 33. Rechtsanwalt Kroher in seiner Vernehmung durch das IMT am 22. 5.47 34. Ludwig, aaO (Fn. 29) 35. Goeringer, aaO (Fn. 30) 36. Rechtsanwalt Mayer in seiner Vernehmung durch das IMT am 23. 5.47 37. Goeringer, aaO (Fn. 30) 38. Goeringer, aaO und eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Escher, IfZ NG 697 39. Escher, aaO 40. Goeringer, aaO (Fn. 30) 41. Rechtsanwalt Kroher in seiner eidesstattlichen Versicherung, IfZ NG 664 42. Rechtsanwalt Escher, aaO (Fn. 38) und in seiner Aussage vor dem IMT am 22. 5. 47, dem allerdings ein konkreter Fall, in dem ein Anwalt verfolgt wurde, nicht bekannt war 43. Eidesstattliche Versicherung des LG-Rates a. D. Hoffmann, IfZ NG 1002 44. Eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltes Mayer, IfZ. NG 469 45. Hoffmann, aaO (Fn. 43) 46. Die einzige Untersuchung, die bislang auch solche Gesichtspunkte prüfte — Zarzycki 1976 —, kam, wie ausgeführt, zu dem Ergebnis, daß Befangenheitsanträge nicht gestellt wurden

254

Am Ende

47. Aus einem Bericht des SD über Auswirkungen des Bombenkrieges auf die Arbeit der Justiz im Sommer 1944, BA R 22/4003. Für den Hinweis danke ich Ralph Angermund, Universität Bochum 48. RGB1.1, S. 30 49. Fröhlich, S. 209 ff (222 ff)

Schluß Daß die Verteidigung „die jüngste Institution der Strafrechtspflege bedeute, ihre modernste und fortschrittlichste", hat Max Aisberg in seiner „Philosophie der Verteidigung ausgeführt. Der historische Exkurs, mit dem hier begonnen wurde, zeigte, daß die Strafverteidigung moderner Gestalt in Deutschland eine Errungenschaft bürgerlicher Emanzipation im 19. Jahrhundert gewesen ist. Im Sinne der Doktrin ihrer Vorkämpfer, des frühen Liberalismus also, trat der Anwalt als Repräsentant der Gesellschaft („voix de la nation") den Organen des Staates gegenüber. Die Eroberung der Macht im Staate durch das Bürgertum brachte dann die Freiheit der Advokatur. Im Strafprozeß blieben die Gewichte jedoch zugunsten des Staates verteilt. An die Stelle des alten Gegensatzes zwischen Bürgertum und Feudalaristokratie trat nun der zwischen einer bürgerlich gewordenen Obrigkeit und der neuen Opposition, der Arbeiterbewegung. Gerade im Bereich politischer Justiz wurde daher versucht, die Verteidigung den Interessen des Staates und seiner Justiz dienstbar zu machen. Das schon zur Zeit der Republik, einer Zeit kurzen, durchsichtigen Glanzes, an die Namen wie Aisberg, Apfel, Frey und Litten erinnern. Nun wurde auch von Seiten der Anwaltschaft der Anschluß an den starken Staat gesucht. Der Übergang zum autoritären Konzept der ersten Jahre nationalsozialistischer Herrschaft gelang danach weitgehend widerstandslos. Geradezu bereitwillig, bei einigen unter begeisterter Anteilnahme, in ihrer Majorität jedenfalls ohne nennenswerten Widerwillen fügte sich die Anwaltschaft in ihre institutionelle Gleichschaltung. Sie nahm es auch hin, daß den politischen und rassischen Säuberungsmaßnahmen einige ihrer bedeutendsten Mitglieder zum Opfer fielen, unter ihnen viele jener, die die fortschrittlichen Tendenzen im Anwaltsstand repräsentierten: Juden und angebliche Kommunisten. Der Gegensatz zwischen Individuum und Staat, wie er der Struktur des Strafprozesses innewohnt, blieb auch im Strafverfahren des Nationalsozialismus erhalten, ideologisch verbrämt durch die Phrase von der „Gleichordnung der Verfahrenskräfte", die auch den Verteidiger zum Dienst an der „Volksgemeinschaft" verpflichten wollte. Damit ging einher eine erhebliche Aufwertung der Stellung der Staatsanwaltschaft, deren Einfluß zuletzt auch über die Grauzonen der sogenannten Lenkungsmaßnahmen zunahm. Mit seiner Gleichschaltung ging der Stand jedoch nicht ganz im Apparat des Dritten Reichs auf und unter. Ihm blieb ein Freiraum erhalten, in dem sich politisch unabhängigere Geister noch Jahre nach der Machtübernahme dem Zugriff durch die Agenten des Maßnahmenstaates entziehen konnten. Wobei sie Erstaunliches leisteten. Selbst in den Zeiten nahezu schrankenlos gewordener innerer

256

Schluß

und äußerer Machtentfaltung des nationalsozialistischen Staates konnte sich der Anwaltsstand gegen die Versuche seiner Vereinnahmung behaupten, und auch in den Jahren von Verfall und Agonie des Systems wurde er nicht in solchem Maße zu dessen Handlanger wie es von anderen „Organen der Rechtspflege" berichtet wird. Im Gegenteil: Die „Krise der Anwaltschaft", deren Anfänge sich bis in die ausgehenden Dreißigerjahre zurückverfolgen lassen, spitzte sich — gerade im Hinblick auf Strafverteidiger — zu, und in den Augen der Machthaber wurde der Anwaltsstand zuletzt geradezu zu einem Hort staatsfeindlicher Betätigung, eine Überzeichnung, nicht frei von Hintergedanken. Diese Entwicklung reflektiert auch das — abgesehen von einer kurzen Übergangsphase — ungebrochene Gewicht der Anwaltschaft, deren Angehörigen der staatliche Gewaltapparat, verglichen mit seiner terroristischen Machtentfaltung gegenüber den weniger einflußreichen Gruppen, mit großer Vorsicht und Zurückhaltung gegenübertrat. Daß sich die Anwaltschaft im Nationalsozialismus gerade auf dem Gebiet der Strafverteidigung ein Stück oppositioneller Traditionen bewahrte, braucht dahinter nicht zurückzutreten. Ein wesentliches Stimulans dieser kühlen, innerlich distanzierten Haltung der Mehrzahl der Verteidiger zum nationalsozialistischen Staat war ihre finanzielle Unabhängigkeit, der Umstand, daß der Anwalt — abgesehen von den bekannten Ausnahmen, etwa der Offizialverteidigung — nicht vom Staat bezahlt wird, sondern von seinem Mandanten, und das nicht dafür, daß er ihn an den Staat verrät. Auch von den nationalsozialistischen Justizpolitikern wurde diese .natürliche' Grenze erkannt, die ihrem Bemühen, den Verteidiger zum „Dienst am Recht" zu erziehen, gesetzt war. Die Versuche, die sie am Ende unternahmen, dem — jedenfalls auf dem Gebiet der Strafverteidigung — zu steuern, blieben ebenso halbherzig wie erfolglos. Bei allem menschlichen Engagement, ohne das sie nicht denkbar wäre, ist Strafverteidigung auch eine Ware. Das ist eines ihrer bürgerlichen Erbteile und nicht das schlechteste, bei allem Gerede vom „geldgierigen Advokaten". Wo Leistungen für eine Gegenleistung erbracht werden, ist der Leistende in das Interesse des anderen eingebunden. Diese nüchterne (Rechts)Tatsache macht sich recht bescheiden aus neben den Beschwörungen vom „Dienst am Recht". Dennoch hat gerade ihre Verbundenheit mit dem Interesse ihrer Mandanten die Strafverteidiger im Nationalsozialismus davor bewahrt, ihren Beruf zum Betätigungsfeld für angewandte Staatsraison verkommen zu lassen. Als eine Konsequenz der geschichtlichen Erfahrung sollte dies im Bewußtsein bleiben. Die Tätigkeit des Anwaltes, auch des Verteidigers, sollte allein dem Interesse dessen gelten, den er vertritt. Wer ihn darüber hinaus auf die Verwirklichung des „Rechts" verpflichten, zum „Organ der Rechtspflege" erklären will, verkennt, in welchem Maße sich solche Termini den Interessen einer staatlichen Macht gefügig erwiesen, deren Entfaltung zuletzt die Tätigkeit des unabhängigen Anwalts nicht mehr duldet.

Namensregister d'Alquerw 207 f Aisberg, Max, Rechtsanwalt in Berlin 15 f, 17,45,49 Anraths, Kaspar, Rechtsanwalt in Düsseldorf 146, 150 Apfel, Alfred, Rechtsanwalt in Berlin 45, 49, 56 Anm. 5 Astfalk, Rechtsanwalt in Berlin 247 ff Bästlein 45 Barbasch, Ludwig, Rechtsanwalt in Berlin 49, 56 Anm. 9 Becker 56 Behling, Rechtsanwalt in Berlin 249 Benecke, Bodo, Rechtsanwalt in Berlin 237 Anm. 10 Benjamin, Hilde, Rechtsanwältin in Berlin 49 Best 90, 97, 100, 102 ff, 108, 113 Binding 13 Bismarck 13 Bode 19 Boden, Rechtsanwalt in Berlin 249 Böhmert 20 Bork 78 Bormann, Martin 90, 123, 219 ff, 235 Brandt, Arthur, Rechtsanwalt in Berlin 45,49 Branting, Rechtsanwalt in Stockholm 76 Bremer, Rechtsanwalt in Krefeld 227 Anm. 85 Brentano, Lorenz 11 Brinkmann 184 Carlowitz, von, Rechtsanwalt in Dresden 86 Carmer 9 Carre 8 Creifelds 118 Crohne 104, 171 Cuhorst 136, 227 Anm. 85 Dageförde 229 Dahm, Georg 24, 129, 150, 175, 194

Derberg 89 Dessauer 77 ff Diener, Rechtsanwalt in Berlin 92 Anm. 20, 93 Anm. 35 ff Diesem, Rechtsanwalt in Stuttgart 227 Anm. 86 Dietrich, Alex, Rechtsanwalt in Köln 74 Dimitroff, Georgi 75, 86 Dix, Rudolf, Rechtsanwalt in Berlin 15, 25, 35, 40 f, 44, 55, 101 f Draeger 124 Droege, Rechtsanwalt in Hamburg, Reichsgruppenwalter Rechtsanwälte im NSRB 218 Drucker, Martin, Rechtsanwalt in Leipzig 22, 68 Eberhard, Rechtsanwalt in München-Gladbach 78 Engel 130 Engert 87 f, 140, 143 Anm. 111, 247 Ernst 77 Exner 150 Eyck, Rechtsanwalt in Berlin 31 Anm. 160 Feuchtwanger, Sigbert, Rechtsanwalt in München 15 f, 26 Feuerbach, Paul Anselm Ritter von 9 f Finke 149 Fliess, Ernst, Rechtsanwalt in Magdeburg 115ff Förster, F. W. 61, 78 f Fraenkel, Ernst, Rechtsanwalt in Berlin 53, 85 f, 91, 97 f, 113 Frank, Hans, Reichsrechtsführer 41, 44, 153 Frank, Rechtsanwalt 18 Freister, Roland 18, 35, 44, 50, 53, 54, 78, 118, 133, 135, 138, 140, 149 f, 153, 166, 170 ff, 185f, 189, 206 f, 231, 242 f, 244, 246 ff Frey, Erich, Rechtsanwalt in Berlin 45

258 Friedrich Wilhelm L, König von Preußen 8 Friedrich 166, 168 Fritzsche 166 Futh 108 Gentz, Ingeburg, Rechtsanwältin in Berlin 247 Gerland 145 Giese, Rechtsanwalt in Dresden 107 Gleispach, Graf von 170, 173, 175 Gneist 12 Goerdeler 242 Goring 63, 98 Goethe, J. W. v. 9 Goltz, Graf von der, Rechtsanwalt in Berlin 146 Grimm, Friedrich, Rechtsanwalt in Essen 50, 55, 75 Gröpke, Rechtsanwalt in Hannover 199 ff, 206 f, 208 f, 213 Grube 146 Grüne, Rechtsanwalt in Siegburg 74 Grünwald, Rechtsanwalt in Berlin 248 Grynszpan, Herschel 242 Grzimek, Rechtsanwalt in Berlin 193 Gürtner, Reichsjustizminister 43, 50 f, 73, 98f, 101, 104, 115, 145, 153, 170ff Güstrow, Dietrich, Rechtsanwalt in Berlin 128 Anm. 103, 204, 229 f Hachenburg, Rechtsanwalt in Mannheim 45 Hahn, Rechtsanwalt in Berlin 247 Halle, Felix 16, 84 Hallier, Rechtsanwalt in Hamburg 186 Hammer, Rechtsanwalt in Berlin 80 Hanssen 237 Anm. 10 Hase, von 242 Havemann, Robert 243 Hecker 11 Hegewisch, Ernst, Rechtsanwalt in Hamburg 80, 93 Anm. 55 Heiberg, Rechtsanwalt in Breslau 36 Heine, Wolfgang 21 Henkel, Heinrich 129, 150, 156 Anm. 32 u. Anm. 61 Hercher, Rechtsanwalt in Berlin 139 Herzfeld, Josef 49 Hess, Rudolf 78,119,123,210 Heydrich 101, 107, 190 Hildebrandt, Rechtsanwalt in Bromberg 121

Namensregister Himmler, Heinrich 84, 99, 101, 103 f, 109, 190 f Hippel, von 22 Hirschberg, Max, Rechtsanwalt in München 23 Hitler 18, 44, 63 Höhn 150 Hölscher 55,85,118,185 Hoeppe, Rechtsanwalt in Bromberg 122 Hoja, Rechtsanwalt in Berlin 207 Homann, Werner, Rechtsanwalt 117 Hornig 222 f Horstmann 16 Huber, Rechtsanwalt in Berlin 75 Huber, Ernst 113 Hübschmann, Rechtsanwalt in Bromberg 121 Israel, Richter in Hannover

44

Jacob 242 Jersch, Rechtsanwalt in Bochum Anm. 86

228

Kern, Eduard 191 Kerrl 37 ff, 42 Kikath, Rechtsanwalt in Berlin 69 f Kirchberger, Rechtsanwalt in Leipzig 69 f Kirchheimer, Otto 97 Klefisch, Rechtsanwalt in Köln 79, 145 f, 150 Klemm 213 Klett, Rechtsanwalt in Stuttgart 237 Anm. 14 Kohlrausch 171 f Kohnert, Rechtsanwalt in Thorn 122 Korn 135 Kritzinger 205 Krupp von Bohlen und Halbach 78 Kube 35, 44 Kühne, Lotar 164 ff Külz, Helmut, Rechtsanwalt in Berlin 80 ff, 93 Anm. 60 f Küstrow 237 Kuhlmey, Rechtsanwalt in Magdeburg 43, 116 Kunisch, Rechtsanwalt in Berlin 51, 55 Kunz, Rechtsanwalt in Berlin 242 Lammers 194, 219 Laserstein, Botho, Rechtsanwalt in Berlin 50 Lassalle, Ferdinand 14

Namenregister Lautz 175 Lehmann 131, 177 Letz 229 Levi, Paul 14 Liebknecht, Karl 14 Liszt, Franz von 7, 14, 163 Litten, Hans, Rechtsanwalt in Berlin 18 ff, 50, 56 Anm. 9 van der Lubbe, Marinus 75 Ludwig, Fritz, Rechtsanwalt in Berlin 36, 80, 82 ff, 95 Anm. 99, 140 Markwitz 86, 88 Marx, Hugo 129 Mehnert, Karl, Rechtsanwalt 71 Anm. 14 Meissner, Gerhard, Rechtsanwalt in Berlin 70 Mössmer, Rechtsanwalt in München 44 Mühion 78 Münzenberg 75 Neubert, Reinhard, Rechtsanwalt in Berlin, Präsident der Reichsrechtsanwaltskammer 21, 39, 69 f, 77, 99, 101, 117f, 123f, 139, 143, 171 ff, 191, 193, 207f, 213 f, 216 ff, 223 f, 233 f Neumann, Franz 97 Neumann, Siegfried 37 Neumann, Sozialdemokrat aus Zittau 87 Niethammer 132, 155, 175 f, 184 Noack, Rechtsanwalt in Halle 40, 146, 160 Anm. 17, 168, 193, 205 Obermayer 69 f Oborniker, Rechtsanwalt in Berlin 16, 18 Obuch, Rechtsanwalt 16, 52 Oeschey 136 Olden, Rudolf, Rechtsanwalt in Berlin, Publizist 18, 45 Papen 23 Paschotta, Rechtsanwalt in Bromberg 122 Pestalozza, Graf von 17 Peters, Karl 150, 152 Piening 69 Plettenberg, Rechtsanwalt in Berlin 21 Popoff, Simeonoff 75 Pünder, Rechtsanwalt in Berlin 107, 112 Anm. 55 Raeke, Leiter der Fachgruppe Rechtsanwälte im BNSDJ/NSRB 41, 60, 101, 103, 193

259 Reinefeld, Heinrich, Rechtsanwalt in Berlin 86 Reisert, Franz, Rechtsanwalt in Augsburg 220, 227 Anm. 86 Reiwald, Paul, Rechtsanwalt in Berlin 45 Roetter, Friedrich, Rechtsanwalt in Berlin 76, 80 ff, 94 Anm. 63 f, 107 Ronge, Paul, Rechtsanwalt in Berlin 37, 204 Rosenfeld, Karl, Rechtsanwalt in Berlin 50, 93 Anm. 55 Rothaug 136 Rothenberger 88, 129, 133, 185, 187 f, 218, 223 Sack, Alfons, Rechtsanwalt in Berlin 74 ff, 78, 92 Anm. 16, 107, 161 ff, 217, 232 Samter, Rechtsanwalt in Berlin 16 f Savoye ll Schaffstein, Friedrich 24, 129 Schalburg, von, Rechtsanwalt 226 Anm. 55 Scheuner, Ulrich 113 Schlageter, Leo 35 Schlegelberger 39 f, 105, 109, 187, 189 f, 205, 212 f, 215 Schmidt, Rechtsanwalt in Graudenz 122 f Schmidt, Eberhard 192 Schmidt-Egk 186 Schmidt-Leichner 150, 161, 174, 235, 241 Schmitt, Carl 113, 149, 151, 153 Schneidenbach 231 Schneider, Rechtsanwalt in Berlin 87 f Schoetensack 52, 216 Schreiber, Justizrat, Rechtsanwalt in Köln 78 Schüler 11 Schütze 146 Schwarz, Gustav, Rechtsanwalt in Berlin 245 Anm. 13 Scilicet, Rudolf 25 Siegert, Karl 148f, 150, 156 Anm. 43 Semrau, Rechtsanwalt in Bromberg 121 Seydel, Helmut, Rechtsanwalt in Berlin 209 Spahlinger 146 Springe, Werner, Rechtsanwalt in Kiel 107 Stock 150f Strauss 167 Streckenbach 88 Struve, von 11

260

Namensregister

Suhre, Rechtsanwalt in Thorn 122 Surholt, Rechtsanwalt in Berlin 107, 112 Anm. 57 Swoboda, Rechtsanwalt in München 107 Taneff, Wassil 75 Thälmann, Ernst 36, 76, 79 ff, 107 Thälmann, Rosa 80, 82 f Thierack 99, 130, 171, 174, 189f, 194, 213,217, 219,221, 223 f, 242 Thormann, Rechtsanwalt in Frankfurt 61, 66, 68, 79 Töwe 167, 170 ff Torgier, Ernst 74 ff Trautwein, Rechtsanwalt 208 Trautzsch, Werner 82 Ulbricht, Walter

84

Vacano, von 175f Volkmann, Rechtsanwalt in Düsseldorf 40 Voss, Rechtsanwalt in Berlin 41 Wallau, Franz, Rechtsanwalt in Berlin 143 Anm. 111 Wallbaum, Rechtsanwalt in Göttingen 70 f, 201,206 Walter, Rechtsanwalt in Thorn 122

Wandschneider, Erich, Rechtsanwalt in Hamburg 80, 82, 84 Wedeil, Rechtsanwalt in Berlin 107 Weimann, Arno, Rechtsanwalt in Berlin 242, 245 Anm. 10, 249 Weiss 54 Weissler 14, 26 Wergin, Rechtsanwalt in Berlin 248 f Wildeklau, Rechtsanwalt in Berlin 86 Wilk, Gerhard, Rechtsanwalt in Berlin 93 Wille, Gerhard, Rechtsanwalt in Berlin 86 Wille, Werner, Rechtsanwalt in Berlin 75, 86, 94 Anm. 61, 95 Anm. 90 Wirmer, Rechtsanwalt in Berlin 243 Wirth, Johann Georg August l Of, 27 Anm. 16 Wittkowski, Rechtsanwalt in Bromberg 121 Wittland 108 Wolff, Ernst 18, 20, 25, 35, 56 Anm. 9 Wolff, Ernst, Rechtsanwalt in Berlin 18, 20, 25, 35, 56 Anm. 9 Wolfing, von, Rechtsanwalt in Berlin 80 Wurmstich 105, 186, 230 Wydembruck, von 11

Walter de Gruyter Berlin-New York Werner Sarstedt/Rainer Hamm

Die Revision in Strafsachen 5., neubearbeitete Auflage. Oktav. XL, 420 Seiten. 1983. Gebunden DM 110,21 Jahre nach den Erscheinen der von Werner Sarstedt verfaßten Vorauf läge hat er in Zusammenarbeit mit Rainer Hamm das Werk auf den neuesten Stand der Gesetzgebung, Rechtsprechung und des Schrifttums gebracht. Dabei sind die sprachliche Lebendigkeit und das vielgerühmte literarische Niveau erhalten geblieben, die in der Vergangenheit seine Beliebtheit begründeten und das große Interesse der Fachwelt an der Neuauflage wachhielten. Die wissenschaftlich systematische Darstellung des gesamten strafprozessualen Revisionsrechts richtet sich in erster Linie - aber keineswegs ausschließlich - an den Praktiker des Strafverfahrens. Der Leser erfährt, warum gerade in diesem Zweig der Gerichtsbarkeit die durch die Revisionsinstanz garantierte Einhaltung der Verfahrensvorschriften einen wesentlichen Bestandteil justizieller Gerechtigkeit ausmacht und daß deshalb hier sehr viel mehr als in anderen Verfahren schon die Tatsacheninstanz von dem ständigen „Blick auf die Revision" beherrscht wird. Der Erfolg einer Revision hängt weitgehend von der Kenntnis der für diesen Rechtszug geltenden besonderen Regeln bei Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern ab. Aber das Buch zeigt auch, daß das Revisionsrecht nicht nur aus den §§ 333 bis 358 StPO besteht. Anknüpfend an typische Revisionsrügen behandeln die Verfasser annähernd das gesamte Recht des Hauptverfahrens vor dem Tatrichter, des Beweisrechts, der einschlägigen gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen und nicht zuletzt auch wichtiger Teile des materiellen Strafrechts.

Auch wer in der Vermeidung von Verfahrensfehlern und im Niederschreiben überzeugender Urteilsgründe mehr sieht als nur eine formelle Absicherung des tatrichterlichen Urteils gegen die Aufhebung durch das Revisionsgericht, wird das Buch als unentbehrliches Hilfsmittel für seine praktische Arbeit schätzen lernen. Für den wissenschaftlich tätigen Strafjuristen und den Studierenden enthält es wertvolle Hinweise für die Verwendung und Auslegung von Revisionsurteilen und das heißt für die Arbeit mit höchstrichterlicher Rechtsprechung, die auch im Straf recht trotz der hier bestehenden strengen Anbindung an das Gesetzesrecht immer mehr eigenständige Bedeutung erlangt. Das wird beispielsweise in den Kapiteln über die Revisibilität der „Denkund Erfahrungsgesetze" und über die Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die Begründung der Strafzumessung deutlich. „Das Werk in seiner vorliegenden Gestalt stellt sich würdig in die Reihe der hervorragendsten Leistungen der deutschen Strafprozeßwissenschaft: es fördert nicht nur deren Erkenntnisse, sondern sollte auch der Revision in Strafsachen ihre Unbeliebtheit nehmen: wer seinen Sarstedt gelesen und verarbeitet hat, sollte damit keine unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr haben . . . " (Hermann Blei in GoltdArch. 1963, 222 zur Vorauflage)

Preisanderung vorbehalten

Walter de Gruyter Berlin-New York Günter Spendel

Rechtsbeugung durch Rechtsprechung Sechs strafrechtliche Studien Oktav. XII, 140 Seiten. 1984. Ganzleinen. DM 74-

Das Werk vereinigt sechs Studien, in denen der Verfasser sich engagiert mit der bedauerlichen Tatsache auseinandersetzt, daß auch der Richter, der berufene Hüter des Rechts, zuweilen seine hohe Aufgabe verkennt und verkehrt, daß er das Recht beugt, wo er scheinbar Recht spricht. Der Verfasser, selbst früher Richter, untersucht kritisch und konstruktiv zugleich, ebenso um begriffliche Klärung wie um anschauliche Darstellung bemüht, erschütternde Fälle und erregende Fragen zum richterlichen Standesdelikt der Rechtsbeugung, so z. B.ein Todesurteil wegen „Rassenschande" oder das „Standgerichtsverfahren" gegen Admiral Canaris, General Oster, Pastor Bonhoeffer und andere Gegner des NS-Regimes und die unzureichende Aburteilung dieser Justizverbrechen in der Nachkriegsjudikatur. Das Buch liefert damit gleichzeitig, 50 Jahre nach Beginn eines Unrechtsregimes ohnegleichen, einen Beitrag zur Justizkritik. Inhalt: Justizkrise und Justizkritik. Zur Problematik der Rechtsbeugung. Ein Fall vorweggenommenen Gesetzesunrechts. Justizmord durch Rechtsbeugung. Ein Todesurteil wegen „Rassenschande". Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Richters. Die Vorsatzform bei der Rechtsbeugung. Richter und Rechtsbeugung. Justiz und NS-Verbrechen. Die „Standgerichtsverfahren" gegen Admiral Canaris u. a. in der Nachkriegsrechtsprechung. Preisänderung vorbehalten