Volkswirtschaftslehre: Lehrbuch der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik [6. Aufl.] 978-3-409-60216-7;978-3-663-12932-5

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Volkswirtschaftslehre: Lehrbuch der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik [6. Aufl.]
 978-3-409-60216-7;978-3-663-12932-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages 1-21
Front Matter ....Pages 23-26
Volkswirtschaft (Dieter Dahl)....Pages 27-31
Volkswirtschaftstheorie (Dieter Dahl)....Pages 32-76
Volkswirtschaftspolitik (Dieter Dahl)....Pages 77-85
Front Matter ....Pages 87-90
Der Produktionsbegriff (Dieter Dahl)....Pages 91-93
Die Produktionsfaktoren (Dieter Dahl)....Pages 94-122
Die Kombination der Produktionsfaktoren in der industriellen Produktion (Dieter Dahl)....Pages 123-127
Produktion und Unternehmungsformen (Dieter Dahl)....Pages 128-131
Front Matter ....Pages 133-139
Begriff und Arten des Wertes (Dieter Dahl)....Pages 139-140
Der Grenznutzen (Dieter Dahl)....Pages 141-143
Optimaler (nutzenmaximierender) Verbrauchsplan (Dieter Dahl)....Pages 144-149
Die Nachfrageseite (Dieter Dahl)....Pages 150-166
Die Angebotsseite (Dieter Dahl)....Pages 167-177
Angebot und Nachfrage (Dieter Dahl)....Pages 178-181
Preispolitik und Marktform (Dieter Dahl)....Pages 182-211
Staatliche Preispolitik (Dieter Dahl)....Pages 212-217
Front Matter ....Pages 221-224
Die Grundrente (Dieter Dahl)....Pages 225-236
Der Lohn (Dieter Dahl)....Pages 237-252
Der Zins (Dieter Dahl)....Pages 253-257
Das Unternehmereinkommen (Dieter Dahl)....Pages 258-259
Front Matter ....Pages 261-263
Einführung (Dieter Dahl)....Pages 264-265
Formen der Darstellung gesamtwirtschaftlicher Beziehungen (Dieter Dahl)....Pages 267-296
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Deutschen Bundesbank (Dieter Dahl)....Pages 297-305
Kontensystem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes (Dieter Dahl)....Pages 306-311
Front Matter ....Pages 313-316
Geldtheorie I: Binnenwert des Geldes (Dieter Dahl)....Pages 317-345
Geldtheorie II: Außenwert des Geldes — Währung und Zahlungsbilanz (Dieter Dahl)....Pages 346-371
Geldpolitik (Dieter Dahl)....Pages 372-402
Front Matter ....Pages 405-412
Konjunkturtheorien (Dieter Dahl)....Pages 413-424
Den Konjunkturverlauf und das Wachstum bestimmende Daten (Dieter Dahl)....Pages 425-482
Konjunktur- und Wachstumsforschung (Dieter Dahl)....Pages 483-513
Konjunkturpolitik und Einkommensverteilung (Dieter Dahl)....Pages 514-529
Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik (Dieter Dahl)....Pages 530-562
Konjunkturpolitik in der Diskussion (Dieter Dahl)....Pages 563-580
Front Matter ....Pages 583-585
Internationale Leistungsbewegungen (Dieter Dahl)....Pages 586-628
Die internationale Bewegung der Produktionsfaktoren (Dieter Dahl)....Pages 629-637
Monetäre Außenwirtschaftsbeziehungen (Dieter Dahl)....Pages 638-644
Back Matter ....Pages 645-N1

Citation preview

Dahl

volkswirtschaftslehre

Professor Dr. Dieter Dahl

V olkswirtschaftslehre Lehrbuch der Volkswirtschaftstheorie und V olkswirtschaftspolitik

6., iiberarbeitete Auflage

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

OP-Kurztitelaufnalune der Deulschen Bibliothek

Dahl, Dietcr: Volkswirtschaftslehre: Lehrbuch d. Volkswirtschaftstheorie u. Volkswirtschaftspolilik I Dieter Dahl. - 6., iiberarb. Aull Wiesbaden: Gabler, 1988

1. Auflage 2. Auflage 3. Auflage 4. Auflage 5. Auflage 6. Auflage

1973 1975 1977 1980 1983 1989

ISBN 978-3-409-60216-7

ISBN 978-3-663-12932-5 (eBook)

DOI 10.1007/978-3-663-12932-5

© Springer Fachmedien Wiesbaden 1989 Urspriinglich erschienen bei Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr . Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1989. Lektorat: Ulrike M. Vetter Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne ZustÎmmung des Verlags unzulăssig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfălti­ gungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: SATZPUNKT Ewert, Braunschweig

Vorwort Das vorliegende Lehrbuch ist vor aHem ftir Studenten der Wirtschaftsakademien und Fachhochschulen gedacht; aber auch dem Universitatsstudenten, der eine praxisnahe Einftihrung sucht, mag es ntitzlich sein. Das auf Wirklichkeitsnlihe ausgerichtete Studium verlangt nach einer besonderen Darstellung: Einerseits sollen moderne ProblemsteHungen der Theorie angesprochen sein, andererseits wird besonderer Wert gelegt auf die Verbindung von Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik. Damit sich der Leser an gesamt~konomische Gr~Benordnungen gew~hnt, sprechen wir beispielsweise nicht nur von Vollbeschaftigung, sondern nennen die Zahlen der Erwerbstatigen und Arbeitslosen in der Bundesrepublik oder stellen neben die verschiedenen Sozialproduktsbegriffe die gegenwartigen Zahlen. Wir diskutieren nieht nur den Geldrnengenbegriff und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, wir weisen auf die Zahlen und auf die Quellen hin, so daB der Leser z.B. aus den Monatsberiehten der Bundesbank spatere Verlinderungen feststellen kann. Auch die jtingsten Jahresgutachten mit ihren Empfehlungen fiir die Wirtschaftspolitik, ihre Hinweise auf das zweekmliBige Verhalten der Trager der Wirtsehaftspolitik, seien es Staat, Gewerksehaften oder Untemehmerverbande, werden in die systematische Darstellung einbezogen. Des Denkimpulses wegen bringen wir manehes Problem in Fragefonn, so daB der Leser sieh selbst Gedanken machen kann, bevor er die Losung liest. Zur Repetition ist auBerdem jeweils am Ende der acht Buchteile eine Reihe von Fragen angeschlossen, die aus der vorangegangenen Darbietung heraus ohne wei teres gelost werden konnen. In einpragsamer Kurzform sind jedem Buehteil die darin neu verwendeten Begriffe in alphabetiseher Ordnung dargestellt, sie sind auBerdem tiber das Register am SehluB des Buehes auffindbar. DIETER DAHL

Inhaltsverzeichnis Seite Erster Teil Volkswirtschaft, Volkswirtschaftstheorie lind Volkswirtschaftspolitik

Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

25

A. Volkswirtschaft

27 27 28

I. Wesen der Volkswirtschaft ll. Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft B. Volkswirtschaftstheorie

I. Gegenstand und Aufgaben der Volkswirtschaft ll. Dogmenhistorischer Exkurs 1. Wirtschaftsbild der Liberalen

32 32

35

2. Die Kritiker des Liberalismus a) die Historische Schule b) Der Sozialismus

36 38 39 40

III. Idealtypische Wirtschaftsordnungen

45

1. Die zentralgeleitete Wirtschaft 2. Die Verkehrswirtschaft

46 48

IV. Marktwirtschaft als Grundkonzeption

50

V. Soziale Marktwirtschaft - eine Riickbesinnung 1. Wirtschaftssubjekt - Trager der Initiative: Zielorientierung

2. Verhaltnis: Mensch und Gesellschaft 3. Funktion des Eigentums, insbesondere an Produktionsmitteln 4. Ziele der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik VI. Wirtschaftliche Grundbegriffe 1. Bediirfnisse

a) Einteilung der Bediirfnisse b) Befriedigung der Bediirfnisse

51 53 53 56 56 65 66 66

67

I nhaltsverzeichnis

8

2. Gilter 3. Wirtschaftliche Entscheidungen a) Bestimmung der Verhaltensweise b) Einteilung der Entscheidungen c) Zusammenfassung C. Volkswirtschaftspolitik

69 71 71 74 75 77

I. Einteilung der Wirtschaftspolitik a) Praktische Wirtschaftspolitik - theoretische Wirtschaftspolitik b) Gesamtwirtschaftspolitik - besondere Wirtschaftspolitik II. Die wirtschaftspolitischen Ziele

77 77 78 79

1. Hauptziele a) Vollbeschaftigung b) Preisstabilitat - Geldwertstabilitat c) Wirtschaftswachstum d) AuBenwirtschaftliches Gleichgewicht

79 79 80 80 81

2. Vorgelagerte Ziele a) Marktgleichgewicht b) "Verteilungsgerechtigkeit"

81 81 82

3. Der Zielkonflikt

83

Fragen und Aufgaben

86

Zweiter Teil Der wirtschaftliche Produktionsproze6 Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

89

A. Der Produktionsbegriff

91

B. Die Produktionsfaktoren

94

I. Die Arbeit 1. 2. 3. 4.

Begriff der Arbeit Arten der Arbeit Die LeistungsHihigkeit Die Arbeitsteilung a) Stufen der Arbeitsteilung b) Vorteile der Arbeitsteilung c) Nachteile der Arbeitsteilung

94

95 95

96 99 99

99 100

Inhaltsverzeichnis 5. Der volkswirtschaftliche Beschiiftigungsgrad II. Der Boden

103 104

1. Der Boden in landwirtschaftlicher und gewerblicher Hinsicht 2. Die Boden-Ertrags-Gesetze 3. Standortprobleme und Standortwahl a) Standortfaktoren b) Gesamtwirtschaftliche Standort- und Strukturprobleme III. Das Kapital

1. Kapitalbildung und Lebensstandard 2. 3. 4. 5. 6.

9

Kapitalbildung durch Sparen Kapitalbildung durch selbstfinanzierte Investition Kreditare Kapitalbildung Finanzwirtschaftliche Kapitalbildung Naturalwirtschaftliche Kapitalbildung

104 104

115 115 117 118 118 118 121 121 122 122

c. Die Kombination der Produktionsfaktoren in der industriellen Produktion

123

I. Maschine und Arbeit: Freisetzung oder Kompensation?

123

II. Ertragsgesetze, das Gesetz der Massenproduktion und optirnale Produktionsfaktorenkombination D. Produktion und Unternehmungsformen I. Die Personenuntemehmung

125 128 128

II. Die Genossenschaft

129

III. Die Kapitalgesellschaft

129

Fragen und Aufgaben

132

Dritter Teil Wert- ond Preistheorie Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

135

A. Begriffe ond Arten des Wertes

139

B. Der Grenznutzen

141

I. Das 1. Gossensche Gesetz (Sattigungsgesetz) II. Das 2. Gossensche Gesetz (GenuBausgleichsgesetz)

141 142

I nhaltsverzeichnis

10

C.Optimaler (nutzenmaximierender) Verbrauchsplan

144

D. Die Nachfrageseite

150

I. Die individuelle Nachfragefunktion

150

II. Substitutions- und Einkommenseffekt

152

III. Das inferiore Gut

153

IV. Giffen-Fall und Engel-Schwabesches Gesetz

154

V. Die Ermittlung der Gesamtnachfrage

155

VI. Die Veriinderung der Gesamtnachfrage

156

VII. Die Elastizitat der Nachfrage

158

1. Preiselastizitat 2. Kreuzpreiselastizitat 3. Einkommenselastizitat

E. Die Angebotsseite I. Stiickkosten und Grenzkosten

158 165 165 167 167

II. Verlauf der Gesamtkostenkurve Kg

170

III. Graphische Bestimmung der kritischen Kosten-, Erlos- und Gewinnsituationen

171

IV. Algebraische Bestimmung der kritischen Kosten-, Erlos- und Gewinnsituationen bei konstantem Preis

174

V. Entstehung der Individualangebotskurve - Gewinnmaximierung bei variablen Preisen VI. Die Ermittlung der Gesamtangebotskurve

175 176

F. Angebot ond Nachfrage

178

I. Gleichgewichtspreis

178

II. Die Preisfunktionen

178

III. Oszillatorische Preisbewegung

180

IV. Kaufer- und Verkaufermarkt

180

V. Produzentenrente und Konsumentenrente

G.Preispolitik ond Marktform I. Modell der atomistischen, vollkommenen Konkurrenz

181 182 183

II. Preisbildung bei atomistischer Konkurrenz

185

TIL Das Angebotsmonopol (Modell)

186

Inhaltsverzeichnis IV. Schwierigkeiten und Mllglichkeiten beim Angebotsmonopol, gezeigt am praktischen Beispiel V. Preisbildung bei unvollstandiger Konkurrenz

1. Das homogene Dyopol 2. Das homogene Oligopol

11 193 197 198 201

VI. Preisbildung bei unvollkommener Konkurrenz

204

1. Voraussetzungen der unvollkommenen Konkurrenz 2. Folgen der unvollkommenen Konkurrenz 3. Monopolistische Konkurrenz a) Die doppelt geknickte Nachfragekurve b) Die Tangentenl()sung

205 205 208 208 208

4. Heterogenes Oligopol

209

a) Der Preisfilhrer b) Die einfach geknickte Preis-Absatz-Funktion H. Staatliche Preispolitik

209 210 212

I. Finanzwirtschaftspolitische Auswirkungen auf den Preis

1. EinfluB der Kostensteuern 2. EinfluB der Gewinnsteuern 3. Beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen der Steuerpolitik II. AuBerhalb der Finanzpolitik liegende Moglichkeiten der staatlichen Preispolitik

1. Preissenkung und/oder bessere Marktversorgung als Ziel 2. Preiserhohung als Ziel Fragen und Aufgaben

213 213 213 214 214 214 216 217

Vierter Teil Die Faktorpreisbildung Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

223

A. Die Grundrente

225

I. Landwirtschaftliche Grundrente II. Bodenrente bei nicht landwirtschaftlich genutzten BOden

225 230

III. Grundrente und Grundstilckspreis

232

IV. EinfluB des Staates auf Bodenpreis und Bodenrente

233

12

Inhaltsverzeichnis

237 241 244 244

B. Der Lohn

I. Die Lohnhohe

II. Arbeitsnachfragekurve TIL Lohnunterschiede 1. Internationale Lohnunterschiede 2. Nationale Lohnunterschiede IV. Lohnhohe und Arbeitsangebot 1. Langfristige Betrachtung 2. Kurzfristige Betrachtung

V. Gewerkschaftliche Lohnpolitik C.DerZins

I. Zinsbegriff

II. Zinsursachen ill. Zinshohe

1. Allgemeine Wirkungen der Zinshohe 2. Allokationsfunktion des Zinses und sozialer Nutzen

244

246 249 249 250 251 253 253 253 255 255 256

D. Das Unternehmereinkommen

258

Fragen und Aufgaben

260 Fiinfter Teil Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Obersicht

263

A. Einfiihrung

264

I. Gegenstand volkswirtschaftstheoretischer Betrachtung

II. Inhalt und Aufgabe der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 1. Forschung 2. Unternehmungspolitik 3. Volkswirtschaftspolitik B. Formen der Darstellung gesamtwirtschaftlicher Beziehungen

I. Graphische Kreislaufdarstellung

II. Kontendarstellung

264 264

265 265 266 267 269 269

Inhaltsverzeichnis

13

1. Konto "Vennogensrechnung" (Bilanz)

270

2. Konto "Vennogensveranderungen"

271

3. Konto "Unternehmungen"

276

4. Konto "Private Haushalte"

278

5. Konto "Staat"

279

6. Konto "Ausland"

280

III. Algebraische Darstellung 1. Die Grundgleichungen ffir eine geschlossene Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivillit 2. Gleichungen ffir eine offene Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivillit a) Die Verteilungsrechnung b) Die Verwendungsrechnung c) Die Finanzierungsrechnung

282

IV. Matrix als Darstellungsfonn (Input-Output-Tabelle)

287

1. 2. 3. 4.

Matrizeninhalt, Input-, Output-Koeffizient und Strukturmatrix Die Output-Berechnung auf Grund des Endverbrauchs (final demand) Die Bedeutung der Input-Output-Tabelle Aufbau der in der Praxis verwendeten Input-Output-Tabelle

C. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Deutschen Bundesbank I. Berechnung zur Vennogensbildung

1. Inlands- und Sozialprodukt zu jeweiligen Preisen 2. Sozialprodukt zu konstanten Preisen II. Finanzierungsrechnung

282 284 284 286 286 287 290 292 294 297 297 297 301 302

D. Kontensystem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes I. Die Sektoren II. Die Kontengruppen

306 306 307

Fragen und Aufgaben

311 Sechster Teil Geldtheorie und Geldpolitik

Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

315

I nhaltsverzeichnis

14

A. Geldtheorie I: Binnenwert des Geldes

317

I. Begriff und Funktion des Geldes

318

II. Die wirksame Geldmenge

318

1lI. Warentheorie des Geldes und Quantitatstheorie

320

IV. Umlaufgeschwindigkeit (Umschlagshaufigkeit) des Geldes

322

V. GeldschOpfung VI. Die psychologischen Theorien des Geldwertes 1. Die sozialpsychologische Theorie des Geldes 2. Die Grenznutzentheorie des Geldes

323 327 327 328

VII. Einkommenstheorie des Geldes

329

VIlI. Kaufkraftberechnung

331

1. Preisindex fiir die Lebenshaltung (Lebenshaltungspreisindex) 2. Problematik des Warenkorbs IX. Der Wahrungswertverlust (Inflation) 1. Staatliche Politik als Inflationsursache 2. AuBenbeziehung als Inflationsursache 3. Schleichende Inflation und Hyperinflation a) Schleichende Inflation b) Hyperinflation X. Geld- und Giitermarkt im IS-LM-Modell B. Geldtheorie II: Au8enwert des Geldes - Wahrung und Zahlungsbilanz I. Goldparitat, Goldpunkte und Goldautomatismus

331 332 334 339 339 342 342 342 343 346 346

II. Kaufkraftparitaten

348

III. Internationales wirtschaftliches Gleichgewicht

353

1. Flexible und feste Wechselkurse a) Flexible Wechselkurse b) Feste Wechselkurse 2. Die Weltwahrungsordnung a) Die Weltwahrungsordnung bis 1973 b) Anderungen des Weltwahrungssystems c) Europaisches Wahrungssystem 3. Die Zahlungsbilanz a) Die Handelsbilanz b) Die Dienstleistungsbilanz c) Die Ubertragungen d) Die Bilanz des langfristigen Kapitalverkehrs

353 353 354 354 354 356 358 361 363 366 366 367

Inhaltsverzeichnis

e) Die "Grundbilanz" f) Die Bilanz des kurzfristigen Kapitaiverkehrs g) Die Devisenbilanz h) Zusammenhang zwischen der Zahlungsbilanz und ihren Teilbilanzen C. Geldpolitik

15

369 369 369 371 372

I. Staatliche Politik und Geldwert

1. Offentliche Ausgaben - offentliche Leistungen 2. Offentliche Einnahmen a) Offentliche Erwerbseinkiinfte b) Gebiihren und Beitrage c) Steuem d) Anleihenpolitik 3. Staatlicher EinfluB auf die Zahlungsbilanz a) Staatlicher EinfluB zur Beseitigung eines Zahlungsbilanziiberschusses b) Staatlicher EinfluB zur Beseitigung eines Zahlungsbilanzdefizits c) Zahlungsbilanzausgleich durch Abwertung bzw. Aufwertung d) Zahlungsbilanzausgleich durch flexiblen Wechselkurs oder Brandbreitenanderung II. Geldpolitik der Bundesbank

372 373 377 377 378 378 383 384 385 387 388 388 389

1. Aufgaben und Funktion der Bundesbank 2. Refinanzierungspolitik: Diskont- und Lombardpolitik a) Diskontsatzpolitik b) Quantitative und qualitative Diskontpolitik: Rediskontpolitik c) Lombardpolitik 3. Offenmarktpolitik 4. Mindestreservepolitik 5. Liquiditatspolitik iiber den Devisenmarkt 6. Neuorientierung der Geldpolitik: Das Geldmengenziel Fragen und Aufgaben

389 391 391 394 395 395 398 400 401 403

Siebenter Teil Konjunkturtheorie und Konjunkturpolitik Wirtschaftsbegriffc in kurzlcxikalischcr Ubcrsicht

407

A. Konjunkturtheorien

412

I. ,,Exogene" Konjunkturtheorien

414

Inhaltsverzeichnis

16

II. "Endogene" Konjunkturtheorien

414

1. Unterkonsumtions- und Uberproduktionstheorien 2. Disproportionalitatstheorien ITI. Monetare Konjunkturtheorien

414 418 422

IV. Psychologische Konjunkturtheorien

423

B. Den Konjunkturverlauf und das Wachs tum bestimmende Daten I. Privater Verbrauch 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einkommenabhangiger und -unabhangiger Verbrauch Die durchschnittliche und die marginale Konsumquote Die lineare Konsumfunktion Veranderung der marginalen Konsumquote Verbraucherverhalten bei sinkenden Einkommen Das langfristige Verbraucherverhalten Verfiigbares Einkommen, Verbrauch und Ersparnis der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland seit 1960 8. Veranderungen der Verbrauchsstruktur der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland

II. Investionen

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Investitionsbegriffe Anlagenexpansion durch Reinvestition Grenzleistungsfahigkeit der Investition Investitionen und Volkseinkommen Investieren und Sparen Multiplikator a) Geometrische Darstellung des Multiplikators b) Tabellarische Darstellung des Multiplikators c) Algebraische Darstellung des Multiplikators d) Bedeutung und Probleme des Multiplikators e) Ex-post-Berechnung des Multiplikators 7. Autonome und induzierte Investitionen 8. Akzelerator a) Tabellarische Darstellung des Akzelerators b) Algebraische Darstellung des Akzelerators c) Einige kritische Bemerkungen zum Akzelerator d) Lagerinvestitionen und Akzelerator 9. Multiplikator-Akzelerator-Mechanismus als Klarung des Konjunkturverlaufs

425 425 425 428 429 431 431 434 436 444 447

447 448 449 454 456 460 460 462 463 465 467 467 468 468 471 472 473 474

I nhaltsverzeichnis III. Beschaftigung 1. 2. 3. 4.

Beschaftigungsgrad als Konjunkturindikator Deflatorische und inflatorische Lucke Beschaftigungsniveau und Preisniveau Beschaftigungsgrad und LohnhOhe

c. Konjunktur- und Wachstumsforschung I. Branchenbeobachtung 1. Aufgaben der Branchenbeobachtung 2. Der Ifo-Konjunkturtest und der Ifo-Investitionstest als Beispiele fUr die Branchenbeobachtung

17 475 475 476 478 480 483 483 484 485

ll. Konjunktur- und Wachstumsdiagnose und -prognose 1. Begriffe 2. Statistische Zeitreihen als Instrument der Diagnose und Prognose 3. Gesamtindikator als Mittel der Konjunkturdiagnose a) Berechnung des Gesamtindikators b) Einwande gegen den Gesamtindikator

486 486 486 482 493 495

III. Konjunkturbefragungen bei Untemehmem in der Europaischen Gemeinschaft

497

1. Quantitative Konjunkturindikatoren a) Entwicklung von Auftragseingang, Produktion und Umsatz b) Weitere quantitative EG-Indikatoren 2. Qualitative Konjunkturindikatoren a) Inhalt der qualitativen Konjunktururnfrage b) Der "Indikator fiir das Vertrauen der Industrie" c) Der EG-Konjunktur-Friihindikator: Indikator der wirtschaftlichen Einschatzung d) Kapazitatsauslastungen und Verkaufspreiserwartungen e) Investition - Kapazitatsauslastung - Beschaftigungsgrad f) Rendite - Erweiterungsinvestitionen - Beschaftigungsgrad IV. Der Index des Verbrauchervertrauens als Konjunkturindikator D. Konjunkturpolitik und Einkommensverteilung I. Die Lohnquote als VerteilungsmaBstab

497 498 500 501 501 503 505 507 508 509 511 514 514

ll. Kurz- und langfristige Verteilungsanderung

520

III. Stabilitatskonforme Verteilung

521

IV. Verteilungsanderung irn konjunkturpolitischen Zusammenhang

523

V. Indexlohn - Hilfe fUr die Konjunkturpolitik?

525

18

Inhaltsverzeichnis

E. Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik

I. Arbeitsmarktentwicklung II. Ursachen der Arbeitslosigkeit 1. ReallOhne, die den Gleichgewichtslohn iibersteigen - modellmaBige Betrachtung 2. Dem Markt nieht entsprechende Lohnstruktur 3. Lohnstiickkosten und Arbeitsproduktivitat - untersehiedliche Entwieklung 4. Verteilungspolitik: Politik des Lohnquotenanstiegs 5. Reallohn und Kapitalrentabilitat - auseinanderdriftende Entwicklung 6. Steigende Kapitalintensitat - sinkende Kapitalproduktivitat 7. Inflationsrate - ein problematiseher MaBstab fUr LohnerhOhungen 8. Arbeitsmarktrigiditat 9. Lohnnebenkosten - iiberproportionaler Anstieg

TIl. Strategien der EG-Kommission ffir ein beseMftigungswirksames Waehstum 1. Das Basisszenario 2. Szenario "expansive Fiskalpolitik" 3. Szenario ,,kooperative Waehstumsstrategie"

IV. Arbeitszeitverkiirzung und Flexibilisierung der Arbeit als beseMftigungswirksames Mittel Arbeitszeitentwicklung in der Vergangenheit Arbeitszeitverkiirzung: sichere und unsiehere Erwartungen Beurteilungskriterien zur Arbeitszeitverkiirzung Kontroverser Umgang mit der gewonnenen Zeitsouveranitat Kosten und Ertrage der Arbeitszeitverkiirzung Flexibilitat der Arbeit - ein beseMftigungs- und waehstumswirksames Mittel 7. Flexibilisierung der Arbeit verlangt allseitige Akzeptanz

1. 2. 3. 4. 5. 6.

V. Umfrage in der EG zur Arbeitszeitverkiirzung 1. Umfrage bei den Arbeitnehmem 2. Umfrage bei den Untemehmem 3. SehluBfolgerung

530 530 530 531 532 534 534 535 536 538 539 540 541 541 543 543 551 551 552 552 554 554 556 557

558 558 561 561

Inhaltsverzeichnis

19

F. Konjunkturpolitik in der Diskussion

563

I. Traditionelle Konjunkturpolitik

563

1. Uberwindung von Depression und Rezession 2. VerHingerung des Aufschwungs und Abflachung der Hochkonjunktur II. Probleme der Vergangenheit

563 566 566

III. Monetaristen kontra Fiskalisten 1. Die Fiskalisten 2. Die Monetaristen 3. Gegeniiberstellung fiskalistischer und monetaristischer Vorstellungen und Forderungen

568 568 570

571

IV. Der konjunkturneutrale Staatshaushalt: eine potentialorientierte Ko~unkhUpOlitik

572

1. Das Konzept des Sachverstandigenrates 2. Beispielhafte Berechnung der konjunkturellen Effekte des Staatshaus haltes 1986 3. Zusammenfassung

573

V. "Dynamischer Wettbewerb: Leitbild und Motor" (SVR)

576 577 578 580

Fragen und Aufgaben

Achter Teil

Au8enwirtschaftstheorie und Au8enwirtschaftspolitik Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

585

A. Internationale Leistungsbewegungen

586

I. AuBenwirtschaftliche Begriffe

II. Ursache des intemationalen Handels

III. Theoretische Grundlagen des AuBenhandels 1. 2. 3. 4.

Die einfache Grundidee: Ricardo-Modell Spezialisierung der konstanten Kosten Spezialisierung bei steigenden Kosten ModellmaBige Einbeziehung des Geldes

IV. Exportforderung

1. Schaffung von auBenwirtschaftlichen Beziehungen durch den Staat a) Einrichtung von Informationsstellen fUr AuBenhandelsfragen b) Beeinflussung von Auslandsmarkten

587 590

592 592 592 596 598 599 599 600 600

I nhaltsverzeichnis

20

2. Ubernahme von Ausfuhrrisiken: Exportversicherung 3. Vergabe von Exportkrediten 4. Gewahrung von Exportsubventionen 5. Das Dumping V. ImportfOrderung

600

601 602

604 605

1. Importforderung zur Erreichung binnenwirtschaftspolitischer Ziele Errichtung von Freihafen Errichtung von Einfuhr- und Vorratsstellen Abbau von Einfuhrhemmnissen Forderung des Dienstleistungsimports VI. Exporterschwerungen 1. Exportzoll 2. Exportkontingent 3. Exportgenehmigung 4. Exportpreisbestimmung 5. Exportverbot

606 606 606 607 607 608

VI. Importerschwerungen

611

2. 3. 4. 5.

1. Importzoll a) Zollarten b) Argumente pro und kontra Zoll c) Zollwirkungen d) Praferenzzoll e) Meistbegiinstigung t) Zollunionen und Freihandelszonen g) GAIT 2. Importverbot und Importkontingentierung 3. Staatliches Importmonopol, Importschleusensystem und Importsteuer 4. Importbehindemde Werbung und administrativer Protektionismus 5. Wirkungen des Protektionismus

B. Die internationale Bewegung der Produktionsfaktoren I. Intemationale Bewegung von Arbeit

1. Ursache der Wanderung 2. Einwanderung a) Forderung b) Beschrankung 3. Auswanderung a) Forderung b) Beschrankung

608

608 610 610 611 612 612 613 617 619 620 621 622 622 626 626 627 629 631 631 632 632 633 634 634 634

Inhaltsverzeichnis

n.

Internationale Kapitalbewegungen

634

1. Forderung des Kapitalverkehrs 2. Erschwerung des Kapitalverkehrs

635 637

C. MoneHire Aufienwirtschaftsbeziehungen I. Der auBenwirtschaftliche Zahlungsmechanismus

n.

21

Zahlungsbilanz und Wechselkursveranderungen

638 638

639

Fragen und Aufgaben

645

Namenregister

647

Sachregister

649

Erster Teil

V olkswirtschaft, V olkswirtschaftstheorie nod Volkswirtschaftspolitik

Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht

25

Wirtschaftsbegriffe in kurzlexikalischer Ubersicht Abstraktion

= logisches Verfahren, durch Weglassung von Merkmalen vom anschaulich Gegebenen zur Allgemeinvorstellung und von einem gegebenen Begriff zu einem allgemeineren aufzusteigen

Analyse

= Zerlegung eines Zusammengesetzten in seine Bestandteile

Antinomie

=

Widerstreit zweier entgegengesetzter Slitze, von denen keiner als unwahr widerlegt werden kann

Bedarf

=

kaufkrliftige Nachfrage

Bediirfnis

=

Gefiihl eines Mangels mit dem Streben, diesen zu beseitigen

Deduktion

= Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen

Finalitat

=

Forschungsmethode

= Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis

Funktion

=

Gesetz

= (in Anlehnung an die Naturwissenschaften) ausnahmslose Regel fiir den Ablauf des Geschehens

Grenznutzen

= Nutzen, den die letzte Teilmenge eines Vorrates stiftet

Gut

= Mittel der Bediirfnisbefriedigung

Idealtyp

= gedankliches Modell, das sich an der konkreten Wirklichkeit orientiert, aber bestimmte Merkmale iiberspitzt hervorhebt (= pointiert hervorhebende Abstraktion) (vgl. ReaJtyp)

Finalzusammenhang = zweckvolle Wirksamkeit Mittel-Zweck-Beziehung

=

Abhlingigkeitsverhliltnis zwischen GroBen derart, daB die Verlinderung der einen GroBe eine bestimmte Anderung der anderen zur Folge hat; mathematische Formulierung y = f (x)

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VolkswirtschaJt, VolkswirtschaJtslehre und VolkswirtschaftsfJolitik

Induktion

=

Hinfiihrung vom Einzelnen zum Allgemeinen

Interdependenz

=

gegenseitige Abhangigkeit, Wirkungszusammen hang

Kausalitat

=

Kausalzusammenhang Ursachlichkeit

Komplex

=

Zusammenfassung zu einem einheitlichen Ganzen

MakroOkonomik

=

Analyse der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhange (z.B. Volkseinkommen, wirtschaftliches Gleichgewicht)

marktkonform

=

den Preismechanismus und die Selbststeuerung des Marktes nicht aufhebend

MikroOkonomik

=

Analyse der Einzelwirtschaft und ihrer Beziehung zu anderen Einzelwirtschaften

Realtyp

=

Abbild einer konkreten Wirklichkeit (vgl. Idealtyp)

System

= =

Zusammenstellung ein nach einem einheitlichen Prinzip geordnetes Ganzes

Wirtschaften

=

Beschaffen von Giltem und Haushalten mit den Gtitem

wirtschaftliches Prinzip

=

Grundsatz, mit gegebenem Aufwand einen ml)glichst groBen Nutzen zu erzielen (Maximumprinzip)

=

Grundsatz, ein gegebenes Ziel mit moglichst geringem Aufwand zu erreichen (Minimumprinzip)

=

A. V olkswirtschaft I. Wesen der Volkswirtschaft Seit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger und zu Beginn der dreiBiger Jahre unseres Jahrhunderts ist die Vorstellung von der person lichen Abhangigkeit vom wirtschaftlichen Geschehen tief in das BewuBtsein der Menschen gedrungen. Nieht, daB es etwa im vergangenen Jahrhundert nieht auch wirtschaftliche Krisen mit ihren flir Arbeitnehmer, Untemehmer und Verbraucher nachteiligen Folgen gegeben hatte; auch wurde die personliche Abhangigkeit von wirtschaftlichen Geschehnissen, von wirtschaftlichen Gegebenbeiten, den "Daten" und ihren Verlinderungen empfunden; aber die Menschen nahmen in ihrer Mehrzahl - wie noch zu zeigen sein wird - diese Abhangigkeit als Schieksal, als unvermeidlich hin. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, als beispielsweise in Deutschland in der entstehenden Demokratie das Volk und seine gewahlten Vertreter sich Gedanken fiber die Uberwindung der Krise, die Beeinflussung der wirtschaftlichen Geschehnisse machten, da wurde flir die breite Masse des Volkes die Volkswirtschaft zum Diskussionsthema. Gerade darin aber, daB die Volkswirtschaft und die Vorgange in der Volkswirtschaft das Interesse manches Laien finden, haben wir die Ursache so mancher MiBverstfuldnisse zu sehen. Wahrend der Laie die Begriffe der Physik und der Mathematik nieht in den Mund nimmt, sieh zu Problemen der theoretischen Physik nieht auBert, werden volkswirtschaftliche Begriffe von jedem anders gebraucht. Denken wir nur an das Wort Kapital- in der Vorstellung des Buchhalters auf der rechten Bilanzseite zu finden - oder das Wort Kapitalist, das im Munde eines Kommunisten geradezu zu einem Schimpfwort wird, und wenn vom kapitalstarken Untemehmer die Rede ist, ist wieder etwas anderes gemeint, das offenbar mehr dem Vermogen, also der linken Bilanzseite, zu entsprechen scheint. Aber nieht nur das Fachwort der Nationalokonomie wird in der Alltagssprache mit mancherlei Inhalt verwendet, auch zur Theorie der Volkswirtschaft und zur Politik, also zu Fragen der Veranderung volkswirtschaftlieher Daten, wird von jedem Stellung genommen. Was haben wir nun aber unter dem W e sen d e r V 0 I k s w i r t s c h aft zu verstehen? Einerseits stellt sieh uns die Volkswirtschaft dar als eine Sum m e von E i n z e 1 w i r t s c h aft e n, von Betriebs- und Hauswirtschaften innerhalb eines Staatsgebietes. Wir untersuchen hier die Verhaltensweise der Wirtschaftssubjekte beispielsweise am Markt im Hinblick auf den Preis, ergriinden, weshalb ein Unternehmer bei einem bestimmten Preis eine bestimmte Menge anbietet, weshalb ein Konsument bei einem bestimmten Marktpreis eine bestimmte Menge eines Gutes nachfragt.

28

Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik Diese Betrachtung. in deren Mittelpunkt die wirtschaftliche Einzelzelle steht. ist eine m i k r 0 - 0 k 0 nom i s c h e, auch dann. wenn wir generalisieren und nicht von dem einzelnen Konsumenten und seiner Nachfrage. sondern von der Nachfrage und dem Angebot sprechen und damit zu einer Verdinglichung der wirtschaftlichen Theorie kommen.

Neben der rnikro-okonornischen steht die rn a k r 0 - 0 k 0 n 0 rn i s c h e Untersuchung.

Gegenstand der makro-okonomischen Betrachtung sind die globalen Groj3en. jene Groj3en. die sich auf die Gesamtwirtschaft oder auf groj3ere Teilbereiche beziehen. Untersuchen wir beispielsweise den Wachstumsprozej3 in der Volkswirtschaft. die Veriinderungen des Volkseinkommens oder die Verteilung des Volkseinkommens auf Arbeitnehmer und Unternehmer. ist unsere Untersuchung makro-okonomisch. Gegenstand der rnakro-okonornischen Betrachtung ist auch die Untersuchung von Nachfrageverschiebungen, hervorgerufen durch EinkornrnensvergroBerungen, auf den einzelnen Konsurngiitermarkten. Beide Betrachtungen stehen nebeneinander und verrnogen sich nicht zu ersetzen. Die rnakro-okonornische Feststellung beispielsweise, daB das Volkseinkornrnen urn 6 % zugenornrnen hat, gibt keine Auskunft dariiber, welche Bevolkerungsgruppe an der Einkornrnenssteigerung teilhat, und erst die rnikro-okonornische Untersuchung mBt eine Prognose dariiber zu, auf welche Weise die Gruppe der Einkornrnensbezieher, die durch die EinkornrnensvergroBerung begiinstigt wurde, iiber das Mehr an Einkornrnen verfiigen wird. Fiir Verhaltensprognosen konnen Ergebnisse rnakro-okonornischer Art allein zu Fehlschliissen fiihren. Wird beispielsweise die Textilindustrie eines Landes von zwei Konzernen beherrscht, von denen der Cherniefaser produzierende und verarbeitende 10 Millionen Gewinn rnachte, wahrend der Schaf- und Baurnwolle verarbeitende Konzem 10 Millionen Verlust rnachte, fiihrt sicherlich die letzte (rnikro-okonornische) Betrachtung zu einern anderen Ergebnis als die rnakro-okonornische, durch die nur festgestellt werden kann, daB der Gewinn der Textilbranche insgesamt gleich Null ist.

So stellt sich uns die Volkswirtschaft einerseits als eine Summe von Einzelwirtschaften in ihren verkehrswirtschaftlichen Verknilpfungen und andererseits als ein eigenstiindiges Ganzes. als soziales Gebilde dar. das eigenen Gesetzmiij3igkeiten folgt. einer besonderen Untersuchung bedarf und nicht einfach als Summation von Einzelwirtschaften betrachtet werden darf.

II . Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft Uber die unterschiedliche Betrachtung ist irn vorangegangenen Kapitel bereits gesprochen worden. Da wir uns in dieser Darstellung besonders an den angehenden Betriebs-

Volkswirtschaft

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wirt wenden, sei hier die Frage gestellt, welche Probleme speziell der Betriebswirt zu lasen hat und wann der "Volkswirt im Betriebswirt" in Aktion tritt. Vor unseren Augen entstehe ein Produktionsbetrieb. Den Betriebswirt interessieren zunachst und stets aufs neue folgende Fragen:

1. Was und wieviel, 2. fUr wen und 3. wie solI produziert werden? GewiB scheint sich die erste Frage, namlich, was produziert werden solI, zunachst aus dem rein Betrieblichen zu ergeben: Eine Betriebserfindung solI ausgewertet werden, oder ein Waschmittelproduzent stellt eben Waschmittel her, eine Fahrradfabrik Fahrrader. Es scheint, das Produkt stehe auBer Frage, sei vielmehr etwas Gegebenes. HOchstens daB die Menge, die GraBe der Produktion noch in Frage steht Und dennoch darf der Betriebswirt den Blick nicht nur in den Betrieb, in den technischen Produktionsablauf richten. Um die Frage nach dem Was zu beantworten, miissen wir aus dem Betrieb hinausblicken, nach drauBen, auf den Markt. Die Marktsituation wird die Antwort geben, ob ein bestimmtes Produkt hergestellt werden solI. Es muB nicht unbedingt ein Bedtirfnis vorliegen, das es zu befriedigen gilt; eine "neue Ware", die auf Grund einer Erfindung produziert werden solI, ist dem Verbraucher noch nicht bekannt, also laBt sich nicht ohne weiteres eine Versorgungslticke feststellen. RegelmaBig wird aber das Bedtirfnis im weiteren Sinne bereits in einem bestimmten Umfang befriedigt. Aus dieser Befriedigung muB die Aufnahrnebereitschaft des Marktes abgeleitet werden. Beispiel: Bevor ich als Konsument eine Sofortbildkamera oder einen elektronischen Schreibautomaten tiberhaupt kenne, kann ich ein entsprechend konkretes Bedtirfuis nicht anmelden. Dennoch besteht das allgemeine Bedtirfnis zu photografieren bzw. Briefe zu schreiben. Daneben bestand auch gewiB der Wunsch, das Ergebnis des Photografierens schneller zu sehen bzw. beim Maschinenschreiben Textteile zu speichern und beliebig zu montieren. Diese Wtinsche waren wohl auch der Antrieb flir die gemachte Erfindung. Bevor wir aber zu produzieren beginnen, ist die Frage zu stellen, wieviel der Konsument flir die angenehmere Lasung seines Photografier- bzw. Schreibproblems auszugeben willens ist Das wiederum hiingt ab von den Einkommensverhliltnissen des Konsumenten. Ein Vergleich mit anderen Konsumgewohnheiten und Moglichkeiten kann hier weiterhelfen: Je hOher der Lebensstandard in einer Volkswirtschaft ist, je leichter es den Konsumenten flillt, z.B. Fernseher, Videorecorder, Wasch- und Btigelautomaten zu erwerben, urn so aufgeschlossener werden sie auch neuen, flir sie interessanten Produkten gegentiber sein. Somit konnen die Kenntnisse tiber Umsatzentwicklungen bei anderen Produkten hilfreich flir unsere Prognose sein. In unterentwickelten Landern lassen sich manche Produkte nicht absetzen, und wtirden noch so groBe Summen fUr die Werbung ausgegeben.

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

Wir sehen. nieht der Betrieb - als isolierte Einzelwirtsehaft - entseheidet tiber das "Was", sondem der betreffende Markt in der Volkswirtsehaft Bevor aber der Volkswirt als Marktforseher auf den Markt hinaustritt, muB ihm der mit der Produktion befaBte Betriebswirt, der sich mit unserer Frage 3, dem Wie, zu befassen hat, Preisaltemativen mit auf den Weg geben: Die meisten Produkte lassen sieh auf untersehiedliehe Weise, d.h. mit untersehiedliehen Hilfsmitteln, mit hohen oder mit niedrigem Kapitaleinsatz, produzieren. Die Frage des Wie, also der Produktionsweise, ist sowohl in der Annahme geringen Absatzes als aueh fUr den Fall groBer Naehfrage zu priifen. J e naeh dem Produktionsumfang wird sieh die Kalkulation und damit der Preis untersehiedlieh gestalten. Mit diesen unterschiedliehen Preisen ausgestattet, wird nun auf dem Markt die Antwort darauf, fUr wen produziert werden solI, gesueht. Der Marktforscher wird die potentiellen Kaufersehiehten zu erfassen suehen. SolI eine kleine Gruppe Hochverdienender mit hohen Anspriichen, also eine Konsumentengruppe, die hohe Preise zu zahlen bereit ist, oder solI eine groBere mittelstandisehe Kaufersehicht angesprochen werden? Die Antwort auf die Frage naeh dem Ftir-wen beantwortet gleichzeitig das Wieviel und das Wie. Das Ergebnis kann lauten: Produktion auf geringer Kapitalbasis mit geringem Produktionsvolumen zu hohem Preis fUr eine kleine Kaufergruppe mit hohem Einkommen und hohen Anspriiehen, oder die Antwort mag sein: Die Produktion lohnt sieh nur auf breiter Kapitalbasis mit hoher Automation mit groBen Ausbringungsmengen zu gtinstigen Preisen fUr eine breite Kauferschicht. Wer fUr einen Betrieb Entseheidungen zu treffen hat, dem mtissen beide Blickrichtungen, diejenige in den Betrieb hinein und diejenige tiber die Betriebsmauer hinweg auf die Markte, vertraut sein. Spezifisch betriebswirtschaftlich ist folgende Frage: Wie solI produziert werden? mit den Unterfragen: Welche Masehinen sind anzusehaffen? Welche Arbeitnehmer sind als Mitarbeiter geeignet? Welche Lohne diirfen fUr den Arbeitnehmer gezahlt werden? Welcher Arbeitnehmer wird an welcher Stelle des Betriebs zweekmaBig eingesetzt? Wie groB muB die Lagerhaltung fUr Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sein? Wie gestaltet sich die Eigen- und Fremdfinanzierung? Welche Absatzwege sind fUr das produzierte Gut geeignet? Die volkswirtschaftliche Beurteilung gab die Antwort auf die Fragen: Zeigt der Markt ein entspreehendes Bediirfnis? Lassen sieh (weitere) Bediirfnisse wecken?

Volkswirlschafl

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In welchem Umfang ist das Gut bei der lGiuferschicht absetzbar? Welche Produktionsmaschinen bietet der Maschinenmarkt? Welche Arbeitnehmer kannen zu welch en Lahnen eingestellt werden (Arbeitsmarktprobleme)? Welche Finanzierung bietet der Geld- und Kapitalmarkt? Welche Absatzchancen bietet die Zukunft mit Riicksicht auf die Konjunkturlage, den wachsenden oder abnehmenden Wohlstand, die wachsende oder abnehmende Kaufbereitschaft im 10- und Ausland?

Unsere Betrachlung zeigt die Interdependenz betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Situationsbeurteilung und macht auch anschaulich, welche Probleme sich mit volkswirtschaftlichen Kenntnissen lOsen lassen. Die Vermittlung dieser Kenntnis ist das Anliegen dieses Buches.

B. Volkswirtschaftstheorie I. Gegenstand und Aufgabe der Volkswirtschaftstheorie

Die Voraussetzungen fiir eine wissenschaftliche Disziplin sind

1. Erkenntnisobjekt, 2. Forschungsmethode, 3. Systematik. Zu 1: Erkenntnisobjekt Erkenntnisobjekt der Volkswirtschaftstheorie ist das Wirtschaften.

Wirtscha/ten heiJ3t Beschaffen von Giltern und Haushalten mit den Giitern (Carell). Beim Wirtscha/ten unterscheiden wir zwei Prinzipien, das Maximumprinzip und das Minimumprinzip. a) Maximumprinzip Das Wirtschaften solI sich so vollziehen, daB mit gegebenem Aufwand ein moglichst groGer Nutzen erreicht werden kann. Beispiel: Vorhandene Arbeitskriifte und Maschinen sollen so kombiniert und eingesetzt werden, daB die Ausbringung moglichst groB ist.

b) Minimumprinzip Es solI so gewirtschaftet werden, daB ein gegebenes Ziel mit moglichst geringem Aufwand erreicht wird. Beispiel: Ein Automat mit gewtinschter Ausbringung, eine Brucke mit bestimmter Belastbarkeit ist mit moglichst geringem Aufwand zu erstellen.

Volkswirtschaftstheorie

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Zu 2: Forschungsmethode

Urn zu einer Systernatik der Erkenntnisse zu kornrnen, hedarf es der Forschungsrnethode, d.h. des Wegs zur wissenschaftlichen Erkenntnis. Wir unterscheiden zwei Grundrnethoden: Induktion und Deduktion. a) Induktion

Der Betrachter geht aus von einem EinzelJall und versucht iiber die Erkliirung des Finalzusammenhangs (Mittel-Zweck) oder des Kausalzusammenhangs (Ursache-Wirkung) zur Erkenntnis von Gesetzmiij3igkeiten und zu einem Gesamterkennen zu gelangen. 1. Beispiel: Infolge einer bestimmten erlebten Senkung des Diskontsatzes durch die Bundesbank (Mittel) nahm die Bereitschaft, Wechsel zu akzeptieren und Zielgeschafte zu tatigen, zu, und die Wirtschaft erhielt dadurch einen Auftrieb (Zweck). Durch dieses Erlebnis und das Begreifen des Zusammenhangs ergibt sich rur den Betrachter das Gesamterkennen: Diskontsenkung fiihrt zum Wirtschaftsaufschwung. 2. Beispiel: Auf Grund augenblicklicher gewerkschaftlicher Verhandlungsstiirke erreichen die Arbeitnehmer eine Lohnerhohung, die uber dem Produktivitatsfortschritt liegt (Annahme). Die Unternehmer sehen sich durch die Kostensteigerung (Ursache) veranlaBt, die Preise steigen zu lassen (Wirkung). Wir erhalten das Gesamterkennen: Lohnsteigerung (uber den Produktivitatsfortschritt hinaus) ruhrt zu Preissteigerungen. Dem Leser leuchtet ein, daB wir urn so sicherer mit dieser Methode zu einem gesicherten Gesamterkennen kommen, das auch geeignet ist, Prognosen aufzustellen, je mehr EinzelfalIe wir untersuchen und je haufiger wir zum gleichen Ergebnis kommen. Aber wir mussen den typischen Fall vom Zufall scheiden, so, wie es der Volksmund tut, wenn er zu dem Ergebnis kommt, daB "eine Schwalbe noch keinen Sommer macht". Unser 2. Beispiel erinnert auch den Laien an das haufig gezeichnete Bild von der Lohn-Preis-Spirale, das uns deutlich macht, daB es uns bei der Betrachtung einer ganzen Kette von Reaktionen (Lohnerhohung - PreiserhOhung - LohnerhOhung) schwerfallt, der Kette erstes Glied, die Ursache, zu finden; oft sind es wechselseitige Beziehungen, die sich gegenseitig bewirken.

b) Deduktion

Die Deduktion geht vom Allgemeinen aus und leitet aus ihm den EinzelJall abo Die Aussage, zu der wir durch deduktives Vorgehen kommen, besitzt deshalb stets Giiltigkeit, weil die Aussage als Vorgegebenes, als Priimisse in der Allgemeinerkenntnis bereits enthalten ist. Beispiel: Wenn es eine Allgemeinerkenntnis ist, daB stets dann, wenn die Bundesbank den Diskontsatz senkt, die Wirtschaft einen Auftrieb erhalt, dann mussen wir denknotwendig fUr eine

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik bestimmte Diskontsatzsenkung in einem bestimmten Zeitpunkt einen wirtschaftlichen Aufschwung vorhersagen.

Nach heute herrschender Meinung sollen beide Methoden einander erganzen. Der Wirtschaftstheorie wie auch der Wirtschaftspolitik kommt es auf die Aussage iiber den Einzelfall an, so daB wir schlieBlich deduktiv vorgehen; die Deduktion aber kommt zu ihrer Ausgangsvorstellung, zu ihrer AIlgemeinerkenntnis erst durch die Untersuchung vieler Einzelfalle, und diese Untersuchung ist Gegenstand der Induktion.

Zu 3: Systematik Der dargestellten beiden Grundmethoden bedienen sich aIle Wissensehaften; die Erkenntnisse werden wie Mosaiksteinehen zusammengestellt, damit ein Gesamtbild, ein System entstehen kann, wobei wechselwirksam das System, ein naeh einem einheitliehen Prinzip geordnetes Ganzes, wiederum iiber die Wege, die Methoden entseheidet, derer sich die Forsehung bedient. Preiser definiert in "NationalOkonomie heute", Theorie sei ein System von Begriffen und Gesetzen. In der nationalOkonomischen Literatur taueht der Begriff des G e set z e s mit unterschiedliehem Inhalt auf; oft wird an regelmaBig wiederkehrende Erseheinungen gedacht, wie etwa das "Gesetz der waehsenden Staatsausgaben", was zum Ausdruek bringen solI, daB im Laufe der Zeit der Umfang der Staatsaufgaben und damit der Staatsausgaben standig gewaehsen ist. In der Tat schloB der Staatshaushaltsplan der Bundesrepublik nach dem Krieg Jahr fiir Jahr mit einem groBeren Ausgabenbetrag; doch erinnem uns eine Reihe solcher "Gesetze", wie etwa "Lohngesetze" des vergangenen Jahrhunderts, daB solche Gesetze k e i nee wig e G ii 1 t i g k e i t beanspruchen konnen. Preiser empfiehlt deshalb, statt von Gesetzen von "E n t w i e k 1 u n g s 1 i n i e n" oder vom "Grundsatz der Entwicklung" oder, wenn von Gesetzen, dann von "h i s tor i s e hen Gesetzen" zu spreehen.

Der Begriff des Gesetzes aber solltefreigehalten werden fur jene Gesetze, die eine au s n a h m s los e, von Zeitstromungen unabhiingige Regelfur den Ablauf des Geschehens darstellen, so etwa das Gesetz. daft unter der Bedingungfreien Wettbewerbs und konstanten Angebots bei steigender Nachfrage die Preise steigen. So wird das "Gesetz" im Sinne der Naturwissensehaften verstanden. Wir werden sehen, daB sich solche "funktionalen Zusammenhange - wie in der Physik - aueh in der Volkswirtsehaftstheorie mathematiseh formulieren lassen. Neben dieser Parallele zu den Naturwissensehaften sei beziiglieh der Methode jedoch auf Untersehiede hingewiesen: a) Der Volkswirt hat im Gegensatz zum Physiker oder Chemiker kein Laboratorium; wie sich eine Wahrungsreform auswirkt, wie sich die Mensehen verhalten werden, ob je eines der enttausehten Wirtsehaftssubjekte wieder sparen wird, das laBt sieh nieht im kleinen durch das Experiment feststeIlen.

Volkswirtschaftstheorie

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b) In den Naturwissenschaften spielt das "Gesetz der Verallgemeinerung" eine wesentliche Rolle, so auch in der Ingenieurwissenschaft und in der technischen Produktion. Zeigt der Versuchsmotor eines neuen Wagens unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte Dauerleistung, darf angenommen werden, daB der nach diesem Modell in Serie produzierte Wagen den gleichen Anforderungen entsprechen wird. In der volkswirtschaftlichen Theorie dagegen miissen wir uns hiiten vor dem "TrugschluB der Verallgemeinerung" . Beispiel: Unterbietet beispielsweise ein Untemehmer die Konkurrenz, kann sein Umsatz so sehr steigen, daB trotz niedriger Preise sein Gewinn steigt; senken aile Untemehmer einer Branche ihre Preise, verringem sich aile Gesarntgewinne.

Die Volkswirtschaft hat also die Aufgabe, das Verhalten der Einzelwirtschaften, ihre Beziehungen zueinander sowie die makro-okonomischen Phanomene (Erscheinungen)

1. zu beschreiben, 2. zu erkIaren, wobei wir uns iiben miissen, das Wesentliche yom Unwesentliehen zu trennen, 3. zu analysieren, wo wir es mit komplexen Phanomenen zu tun haben, die in ihrem Gesamtzusammenhang zunachst unbegreiflich sind, dann aber, durch die Abstraktion zum Modell geworden, begriffen werden konnen. Beispiel aus der Naturwissenschaft: Sie lassen auf der Suche nach dem Gesetz vom freien Fall einen Stein, ein Blatt Papier und eine Glinsefeder vom Balkan Threr Wohnung in den Garten fallen; die Gegenstande fallen ungleich schnell und werden vom Wind ungleich weit abgetrieben (komplexe Erscheinung). Welche Erkenntnisse sind rur das gesuchte Gesetz wesentlich, welche unwesentlich? Wovon mussen wir also abstrahieren?

Erst wenn wir zum Verstehen volkswirtschaftlieher Erscheinungen gekommen sind, konnen wir aus der Theorie heraus fUr die Volkswirtschaftspolitik Prognosen geben und Vorschlage fUr Veranderungen machen.

II. Dogmenhistorischer Exkurs Die volkswirtschaftlichen Phanomene sind gewachsen, im Zeitablauf entstanden; auch die Einstellungen der Wirtschaftssubjekte, aus denen sich ihre Handlungen bestimmen, sind geschiehtlieh bedingt Die Einstellungen der Arbeitnehmer und ihre Politik gegeniiber den Unternehmern beispielsweise sind oft traditionsgebunden und ergaben sieh aus Verh1i1tnissen der Vergangenheit, aber nieht nur aus dem Sein der Vergangenheit, aus der vergangenen Wirkliehkeit also, sondern auch aus den Ideen, den geistigen Stromungen, den Meinungen, den Lehrmeinungen (Dogmen) der Vergangenheit. Will man also das Heute verstehen, ist ein Blick in die Vergangenheit erforderlieh.

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VolkswirtschaJt, Volkswirtscha/tslehre und VolkswirtschaJtspolitik

1. WirtschaftsbiId der Liberalen Starke liberale, freiheitliche Stromungen sind in der Geschichte stets eine Antwort auf Unfreiheit. Dem Liberalismus des 18. und 19. lahrhunderts geht politisch der Absolutismus und wirtschaftlich der Merkantilismus (16. bis 18. lahrhundert) voran. Starke Konzentration staatlieher Gewalt und verschwenderische Prunkentfaltung zur Demonstration staatlicher Macht werden im Absolutismus zur Voraussetzung und gleiehzeitig zum Ziel der Wirtschaftspolitik. Ein System der Reglementierung durchzieht die Wirtschaft des Merkantilismus, ja das ganze soziale Leben. Alles ist dem Willen und dem Nutzen des Staates untergeordnet, und der Staat scheint identisch mit dem absoluten Herrscher - Ludwig XIV.: ,,L'Etat c'est moil" -; im okonomischen Bereich gilt das Interesse der Herrscher recht einseitig dem Gewerbe, dessen Steuern die Staatskassen fUllen helfen, und dem AuBenhandel, wobei man davon fiberzeugt ist, daB die AuBenhandelspolitik durch Einfuhrzolle einerseits und durch Ausfuhrsubventionen andererseits daffir zu sorgen habe, daB die Handelsbilanz sieh aktiv, d.h. mit einem ExportfiberschuB zeige. Merkwfirdigerweise zeigt die Geschiehte mannigfache Beispiele dafUr, daB dort, wo seitens der Obrigkeit gelenkt, geplant und die Freiheit eingeengt wird, man MiBstande und Unzulanglichkeiten nieht der aktiven Politik, der Planung zuschreibt, daB vielmehr die Auffassung entsteht, des MiBstands Ursache sei eher ein Zuwenig an staatlichem Eingriff. In seinem ,,New essays on trade" meint 1703 Francis Brewster: "Der Handel findet gewiB seine Wege, aber er kann den Untergang der Nation bedeuten, wenn er nicht reguliert wird." Immer groBere Anforderungen an den Geldbeutel der Untertanen und die MiBachtung ihrer natfirlichen Rechte lassen den Ruf nach Freiheit erschallen.

Der w i r t s c h a J t I i c h eLi b era lis m u s lehnt die staatliche Bevormundung ab; die Liberalen sind keine Anarchisten, sie verneinen nicht den Staat, doch wird der Staat zuruckgedrangt in eine SchutzJunktion. Sp6ttisch gebrauchte der Sozialist Lassalle das Bild yom ,,Nachtwachterstaat", urn anzudeuten, daB die Wirtschaftssubjekte am Tage yom Staate unbehelligt ihren Geschaften nachgehen, nachts aber yom Staat beschiitzt ruhig schlafen wollen. Das Wort des Marquis d' Argenson: "Laissez faire, laissez passer, Ie monde va de lui-meme" ("LaBt machen, laBt gehen, die Welt geht von selbst") werden zum Glaubensbekenntnis des Wirtschaftsliberalismus, dessen groBer Vertreter, der schottische Philosoph und NationalOkonom Adam Smith (1723 - 1790), den Wirtschaftsmechanismus in seinem Werk "Wealth of Nations" aufzeigt und damit zu beweisen versucht, daB ohne staatliche Einwirkung die Wirtschaft nicht nur zu existieren verrnag, sondem dem einzelnen sowie der Gesamtheit aller einzelnen und damit der Gemeinschaft hOchster Nutzen entsteht.

Volkswirtschaftstheorie

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Weitere bedeutende Vertreter des okonomischen Liberalismus sind: Thomas Robert Malthus

1766 - 1834

David Ricardo

1772 - 1823

Nassau William Senior

1790 - 1864

John Stuart Mill

1806 - 1873

Elliot Cairnes

1823 - 1875

Jean Baptiste Say

1767 - 1832

Karl Heinrich Rau

1792 - 1870

Friedrich von Hermann

1795 - 1868

Johann Heinrich von Thunen

1783 - 1850

Die Lehre des Wirtschaftsliberalismus ist eine Lehre des Eigennutzes, die Lehre vom Egoismus in der Wirtschaft. Aber das Ergebnis ist nicht verwerflich. Indem das einzelne Wirtschaftssubjekt, beispiels weise ein Unternehmer, in der egoistischen Absicht, einen moglichst graBen Gewinn zu erzielen, den Markt nach Versorgungslucken durchstObert und dann das produziert, was in zu geringer Menge - im Vergleich zur Nachfrage - angeboten wird, erzielt er einen hOheren Gewinn, als wenn er irgendein anderes Gut, das weniger stark nachgefragt wird, produziert. Sein Gewinn nimmt Zll, doch hat er nicht alleiri den Nutzen: Die Konsumenten erleben eine bessere Marktversorgung, so wird der unternehmerische Egoismus zu ihrem Vorteil. Doch gleich mit der besseren Marktversorgung zeigt sich auch schon, daB die Baume nicht in den Himmel wachsen; je groBer namlich das Angebot unseres Unternehmers - und auch der anderen, die ebenfalls auf diesem Markt ihr Gluck versuchen - wird, urn so mehr paBt sich das Angebot der Nachfrage an, und urn so mehr sinken die Preise und die Gewinne. Da die Wirtschaftssubjekte nun ohne Lenkung von auBen und ohne voneinander zu wissen, Versorgungslticken ftillend produzieren, kann es sein, daB in der nachsten Wirtschaftsperiode das Angebot groBer ist als die Nachfrage und daB die Preise sogar unter die Kosten sinken. Dies ist umso leichter moglich, je niedriger das Angebot bislang war; denn je hoher die Preise vorher waren, desto starker wirkt dieser Sachverhalt als Magnet. Pech fUr jenen Unternehmer, der die Chance zu spat gewahrte, und bei Produktionsaufnahme feststellen muB, daB andere bereits vor ihm auf dem Markt sind. Ein UnterKosten-Preis wird einen Teil der Unternehmer davon abhalten, zu produzieren, so daB sich das Angebot reduziert und die Preise wieder steigen konnen. So wird der Preis durch Uber- oder Unterangebot eine Weile urn die Gleichgewichtssituation schwanken, bis sich schlieBlich Nachfrage und Angebot bei einer Preissituation einspielen, die aIle Marktteilnehmer befriedigt: Die Produzenten erhalten ihre Kosten und einen angemessenen Gewinn, und die Konsumenten zahlen einen Preis, der ihrer Nutzenvorstellung entspricht.

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VolkswirtschaJt. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik Die Theorie des Liberalismus, wir sprechen auch von der Theorie der k I ass i s c hen Nat ion a 10k 0 nom i e, zeichnet sich aus durch ihre Einfacheit. Sie ist eine Gleichgewichts-, eine Harmonielehre.

Nicht, daB man gelegentliche Ungleichgewichte iiberslihe, die hervorgerufen werden durch MiBernten, durch neue Fertigungsverfahren oder durch den Konsumwandel, aber am Ende steht immer die Ausgeglichenheit, die Harmonie. 1m Mittelpunkt dieser Theorie sehen wir das stets rational handelnde Wirtschaftssubjekt, den Hom 0 0 e con 0 m i c u s; er tritt auf als Unternehmer, der nach Gewinnmaximierung strebt, als der nach hOchstem Lohn strebende Arbeiter oder als der nach hOchstem Nutzen strebende Konsument Ihre gegensatzlichem Bestrebungen lassen den Ausgleich entstehen. Die okonomische Wirklichkeit des vergangenen liberalen Jahrhunderts zeigt sich jedoch wenig harmonisch. Kapitalkraftige Unternehmer setzen Maschinen ein, vergroBern die Produktion, sichern sich am Markt eine Monopolstellung und vermogen so, den Konsumenten den Preis zu diktieren. Industrielle UmwaIzung verandert die Produktionsmethoden. Wo friiher Handarbeit geleistet wurde, verdrangt nun die Maschine den Arbeiter, die Folgen sind wirtschaftliche Krisen und gewaltige Arbeitslosigkeit Auf dem Lande laBt die Bauernbefreiung die Menschen frei werden - frei yom Schutz des bodenbesitzenden Adels; ohne Vermogen, sich selbstandig zu machen, werden sie in die Stadte getrieben und vergroBern die Arbeitslosigkeit. Das Bild des nach Lohnmaximierung strebenden Arbeiters, der sich schlieBlich mit dem Unternehmer harmonisch einigt, entbehrt der Wirklichkeit; statt dessen sehen wir entrechtete Arbeitermassen, die trotz 16stiindiger Arbeit kaum satt zu essen haben, deren Frauen und Kinder sich auch im ArbeitsprozeB anzubieten gezwungen sind. Das moralisch Fragwiirdigste aber sehen wir darin, daB die yom liberalen Gedanken angetanen Arbeitgeber ihr Handeln, weil angeblich zur Harmonie fUhrend, fUr durchaus richtig und geradezu naturgegeben halten. Der Arbeitgeber, der die Arbeiter ausniitzt, und die Maschine, die die Arbeitswilligen freisetzt, werden so zu den erklarten Feinden der Arbeitermassen.

2. Die Kritiker des Liberalismus Der okonomische Liberalismus hatte versagt, die Harmonie war Theorie geblieben. Die Kritik kam von zwei Seiten, einmal von den Sozialisten, die, angesprochen yom Schicksal der Arbeiter, eine Veranderung ihrer Arbeitsbedingungen fordern, teils nach praktischer Hilfe durch den Staat fiir die ausgebeuteten Arbeiter suchen, teils rein theoretisch nach neuen Formen der mitmenschlichen Beziehungen suchen, durch die der Arbeiter zum wiirdigen Mitglied einer klassenlosen Gesellschaft wird. Aber auch von ganz anderer Seite erfahrt der Liberalismus Kritik, namlich von Vertretern der Wissenschaft, die, aus "biirgerlichem" Lager stammend, die Ursachen des Versagens in der klassischen Theorie sehen. Diese Kritik wird in Deutschland am eindrucksvollsten von den Vertretern der His tor i s c hen S c h u I e vorgetragen.

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Volkswirtschaftstheorie

a) Die Historische Schule Die Vertreter der Historischen Schule

die Vorlaufer Adam Muller Friedrich List

1779 - 1829 1789 - 1846

die altere Historische Schule Wilhelm Roscher Bruno Hildebrand Karl Knies

1817 - 1894 1812 - 1878 1821-1898

die jungere Historische Schule Gustav Schmoller Karl Bucher

1838 -1917 1847 -1930

erhalten ihre Namen aus ihrer Auffassung, daj3 die Nationalokonomie nicht - wie die Klassiker meinten - cine fur aile Zeiten und Volker gultige Theorie sei. sondern daj3. entsprechend den historischen Gegebenheiten sich das BUd der Wirtschaft andere. Um dies zu beweisen. bemuhen sich die Vertreter dieser "Schule" um die Darstellung der okonomischen Entwicklung in der Geschichte. Ihre besondere Kritik richtet sich verstandlicherweise gegen die rein deduktive Methode der Klassiker. An ihre Stelle setzen sie die I n d u k t ion. Am Anfang ihrer Untersuchungen steht die Betrachtung unzahliger Einzelfalle aus vergangenen lahrhunderten und aus dem 19. lahrhundert; denn Aufgabe der Volkswirtschaftslehre sei es, darzutun, "wie eine gegebene Nation unter ihren Verhaltnissen ihre okonomischen Zustande behaupten und verbessern kann" (List). In ihren Darstellungen erscheint die Volkwirtschaftslehre mal als g esc h i c h t I i c h e Wissenschaft mit der Geschiehte als Forschungsobjekt (Knies), mal erhalt die Volkswirtschaftslehre als Teil des gesellschaftliehen Lebens einen stark s 0 z i 0 log i s c hen Einschlag (Schmoller). AnlaBlich der Einzeluntersuchungen kommen die Vertreter der Historischen Schule zur Ablehnung der klassischen Modellfigur des Homo oeconomicus; die Wirtschaftssubjekte lieBen sieh durchaus nieht nur yom Egoismus leiten. Recht, Sitte und Moral, politische Organisation und Gewohnheiten ihrer Zeit bestimmen die Handlungsweise der Individuen von auBen, und nieht nur der Eigennutz, auch Eitelkeit, Ruhmsucht, Tuchtigkeitsdrang, Pflichtgefiihl, Mitleid und Nachstenliebe seien Motive, Triebkrafte, die auch die okonomischen Handlungen bestimmen.

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

Das Verdienst der Historischen Schule ist es, 1. konkrete historische Beitdige in vielen Einzeluntersuchungen geliefert, 2. die abstrakte Theorie der Klassiker konkretisiert, 3. die theoretischen Erkenntnisse ihrer Zeit revidiert zu haben.

Dariiber hinaus haben AnMnger der Historischen Schule bei der Griindung des Vereins ffir Socialpolitik (1872) mitgewirkt und die Sozialpolitik der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beeinfluBt. b) Der Sozialismus Der Sozialismus zeigt mancherlei Pragungen, und seine Richtungen sind durchaus nieht einheitlich. Der u top i s c h e Sozialismus tibt Kritik an der bestehenden Sozialordnung und ergeht sich in der Beschreibung des Idealzustandes eines in der Phantasie geborenen Staates. Als das Urbild solcher utopischen Staatsgemalde gilt Platons "Staat". Der s 0z i a Ire for mat 0 r i s c h e Sozialismus macht gegenwartsbezogene Vorschlage zur Beseitigung sozialer und okonomischer MiBstande. Der reI i g i 0 s e Sozialismus versucht, die soziale Wirklichkeit in Einklang mit den Anschauungen und Forderungen des Christentums zu bringen, wahrend der e t his c he Sozialismus ohne direkte Ankntipfung an das Christentum eine Sozialordnung fordert, die im Einklang mit sittlicher Verpflichtung steht. Wir wollen uns naher mit dem w iss ens c h aft I i c hen Sozialismus befassen, der sieh der okonomischen Begriffe der klassischen NationalOkonomie bedient. Der geistige Vater ist Karl Mar x (1818 - 1883). Urn hinter die Entstehungsgrtinde des nach ihm benannten Marxismus zu kommen, bedienen wir uns der von Marx entwiekelten Methode des "historischen Materialismus", einer Methode zur Erkliirung des Geschichtsablaufs. die davon ausgeht. dajJ das wirtschaftliche und geselischaftliche Sein. d.h. die materiellen Verhiiltnisse. in denen die Menschen leben. ihr BewujJtsein. ihr Denken bestimmt.

Die materielle Situation nennt Marx den mat e r i e II en U n t e r b a u, tiber den sich der g e i s t i g e 0 b e r b a u erhebt. Interpretieren wir Marx beispielhaft an der Entstehung der "Weber" von Gerhart Hauptmann. Hauptmanns Schauspiel "Die Weber" kann, ja muB entstehen als geistiger Oberbau, als Idee, da der Unterbau, die materielle Situation dieser erbarmlich lebenden und ausgebeuteten Klasse der Weber, nach Darstellung und Anklage verlangt. Allgemein: Mit Hilfe dieser materialistischen Geschichtsauffassung konnen zwar keine Fragen individual-psychologischer Art, also warum beispielsweise ein bestimmter Ktinstler zu einer bestimmten Zeit ein Kunstwerk schafft, erklart werden, wohl aber, warum eine Kunstrichtung, z.B. der Naturalismus, in einer bestimmten Periode zum Durchbruch kommt oder weshalb in der Wissenschaft eine bestimmte Denkrichtung akzeptiert wird. Das Versagen des Liberalismus mit seinem Harmoniegedanken, der dem Elend, in dem die Arbeitermassen lebten, zu spotten schien, eine Not nie dagewesenen AusmaBes, heraufbeschworen durch den Frtihkapitalismus mit seinem verelendeten Proletariat, geben

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Volkswirtschajt. Volkswirtschajtslehre und Volkswirtschajtspolitik

zur Verringerung der Arbeitslosigkeit fiihren sollen, finden wir heute in einer Reihe von Uindem, besonders in Asien und Osteuropa. Aber auch dort, wo wir den Staat nicht bereit finden, sich mit der Geburtenkontrolle zu befassen, finden wir staatliche Eingriffe in die Bevolkerungsentwicklung, indem Ein- oder/und Auswanderungsbestimmungen erlassen werden. Wahrend die Losungsversuche tiber die BevOlkerungspolitik, abgesehen von Ein- und Auswanderungsbestimmungen, auf die Beschaftigung nur langfristig einwirken konnen, kennt die modeme Wirtschaftspolitik auch Mittel, urn kurzfristiger, z.B. konjunktureller oder struktureller Arbeitslosigkeit zu begegnen, beispielsweise indem der Staat in Zeiten der Unterbeschaftigung durch offentliche AufWlge die Nachfrage nach Arbeitskraften wachsen laBt.

b) Preisniveaustabilitat - Geldwertstabilitat Der Geldwert gibt an, weIehe Menge an Gtitem mit einer Geldeinheit erworben werden kann. Bei steigendem Preisniveau sinkt der Geldwert: Geldwert = 1lPreisniveau. Dem Geldwert droht nicht schon Gefahr, wenn irgendweIehe Preise steigen; Preise anderer Gtiter konnen fallen. Auch saisonale Preisanstiege verlangen nicht nach wirtschaftspolitischen MaBnahmen, soIehe Preise konnen wieder sinken. Zur Aktivitat ist die Wirtschaftspolitik erst aufgerufen, wenn das Preisniveau steigt. Anhaltende Preisniveauanstiege ftihren zur Forderungen nach Lohnerhohungen, steigenden Lohn- und anderen Kosten, sie reduzieren die Wachstumschancen und ftihren zu ungerechten und damit unerwtinschten Einkommens- und Vermogensverteilung. Benachteiligt sind soIehe Gruppen, die nicht in der Lage sind, ihre Einkommen der Inflationsrate anzupassen, sowie soIehe, deren Geldvermogen (Sparer, Inhaber festverzinslicher Papiere) mit zunehmender Inflationsrate schrumpfen. Gewinner sind soIehe Gruppen, deren Einkommen mit der Inflationsrate ohne time lag steigen oder deren Einkommen schneller steigen als die Inflationsrate und soIehe Gruppen, deren Schulden im Werte sinken und mit inflatorischem Geld leichter rUckzahlbar sind, wahrend die Vermogenswerte, die mit dem Kredit erworben wurden, im Wert steigen.

c) Wirtschaftswachstum Dieses langfristig und stets aufs neue erstrebte Ziel beinhaltet eine entsprechend dem jeweiligen Stand der Technik erreichbare optimale Gtiterversorgung. Nimmt die in der Volkswirtschaft erstellte Gtitermenge, das Sozialprodukt, zu, wachst gleichermaBen das Einkommen, da der Gegenwert eines jeden zusatzlich auf dem Markt ahgesetzten Gutes auf der Angebotsseite zum Einkommenszuwachs wird. Die OEEC, die Organisation fUr europaische wirtschaftliche Zusammenarbeit, plante fUr die Jahre 1951 bis 1956 eine 25 %ige Steigerung des realen Sozialprodukts, erwartete also eine 5 %ige durchschnittliche reale Zuwachsrate pro Jahr. Die sie ahlosende Organisation fUr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) setzte fUr die Dekade von 1960 his 1970 eine 50 %ige Steigerung zum Ziel. Von 1981 his 1985 stieg das reale Sozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich nur noch urn 1,3 Prozent (1982 urn -1 Prozent!). 1986 betrug der reale Zuwachs 2,4 Prozent. Das Wachsen des Sozialprodukts laBt sich durch Mohilisierung der Produktionsfaktoren erreichen, durch VergroBerung der Investitionen, durch Einsatz aller verftigbaren Ar-

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Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

nahme (1. Prttmisse) aus, daB stets ein gewisser Tell der Arbeitswilligen nieht in den ProduktionsprozeB eingegliedert ist. Diese permanente Unterbeschaftigung, das Vorhandensein einer "industriellen Reservearmee" (Engels), ist fiir den Kapitalismus typisch. Aus der bestehenden allgemeinen und fiir jeden tatigen Arbeiter drohenden Arbeitslosigkeit folgt seine Rechtlosigkeit; sein Lohn wird vom Untemehmer bestimmt und wird nie tiber dem Existenzminimum (2. Pramisse) liegen, da bei Oberschreitung dieses Minimums sieh gleieh jene Arbeitslosen anbieten, die zum Existenzminimum eingestellt werden mOchten. Infolge der Konkurrenz am Markt der kapitalistischen Wirtschaft ist der Unternehmer gezwungen, nur in Rohe des Existenzminimums zu zahlen, da er sonst nieht mehr wettbewerbsHihig ware, und durch Ausscheiden aus dem Wettbewerb seinen Arbeitem sogar den Arbeitsplatz rauben, ihnen also einen schlechten Dienst erweisen wiirde. Das Elend entsteht also nieht allein durch die Untemehmer, vielmehr liegt es im System des Kapitalismus begriindet. Inwiefern nach Marx' Ansicht dieses System den Keirn der Selbstzerst6rung in sieh tragt, zeige die folgende Darstellung des "t end e n z i e 11 e n Fall s d e r Pro f i trat e". Nimmt man an, daB der Tauschwert eines Arbeitstages, das heiBt die Arbeitszeit, die notwendig ist, wertmaBig das Existenzminimum eines Arbeiters zu erzeugen, 5 Stunden betragt, andererseits der Arbeiter aber 8 Stunden arbeitet, so wiirde der Arbeiter 3 Stunden zugunsten des Unternehmers arbeiten. Marx nennt den Wert, der hier in drei Stunden geschaffen wird, Mehrwert (m). Der Arbeiter wird also vom Untemehmer ausgebeutet Der Grad der Ausbeutung, von ihm Rate des Mehrwerts genannt, betragt dann m _ 3 -; - 5

60%

Nun ist aber an der Produktion nieht nur die Arbeitskraft (v) beteiligt, sondem auch das Kapital (c), das der Unternehmer in Form von Maschinen einsetzt. Wir verandem die obige Gleichung durch Einfiihrung des konstanten Kapitals; wenn c = 1, dann ergibt sich m c+v

3 1+5

50%

Daraus geht hervor: Je groBer c, desto niedriger die Profitrate; bei c =2

m c+v

3 2+5

43%

Da die Konkurrenz in der kapitalistischen Wirtschaft die Untemehmer zu irnmer sllirkerem Einsatz von Maschinen, also von konstantem Kapital zwingt, und ihnen andererseits der Maschineneinsatz durch ihre hohen Gewinne erm6glicht wird, wird bei gleiehem Ausbeutungsgrad die Profitrate immer kleiner: "tendenzieller Fall der Profitrate". Die Folge dieser Profitentwicklung aber ist, daB die Untemehmer unter dies em Gesetz unterschiedlieh leiden. Je mehr Kapital sie namlich haben und je mehr Menschen sie mit

VolkswirtschaJtstheorie

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dem Kapital beschliftigen, urn so groBer ist trotz sinkenden Gewinnsatzes der Gewinn in Geldeinheiten, wlihrend die kleinen Untemehmer, die nur weniger Arbeiter ausbeuten konnen, schlieBlich so geringe Gewinne haben, daB sie am Markt nicht mehr mithalten konnen; ihren Marktanteil iibemehmen die GroBen, die darnit noch groBer werden, die Macht konzentriert sich (K 0 n zen t rat ion s the 0 r i e). Indem sie oft auch die Produktionsstlitten der in Konkurs geratenen Kleinen iibemehmen, erweitem und hliufen die GroBen ihr Kapital (A k k u m u I a t ion s the 0 r i e). Da aber die iibrigbleibenden GroBuntemehmungen nicht gleich groB sind, geht der Konkurrenzkampf unter ihnen nach gleichem Ablauf zuungunsten der kleineren unter ihnen aus. SchlieBlich bleiben nur noch sehr wenige, aber sehr starke Untemehmer iiberhaupt iibrig. Der Mittelstand ist nun verarmt und wird als besitzlos in die Masse des Proletariats aufgenommen, die damit immer groBer wird. Wenn den im ProduktionsprozeB verbleibenden Arbeitem es auch nicht absolut schlechter geht, da sie sich das Existenzminimum sichem konnen, so geht es ihnen doch relativ, d.h. im Vergleich zu den verbleibenden Untemehmem, immer schlechter (V ere Ie ndun g s the 0 r i e).

4. Akt: Nachdem infolge des Sinkens der Profitrate die Untemehmerzahl immer geringer wurde, die Machtkonzentration und Eigentumsakkumulation der iibriggebliebenen Untemehmer wuchs und nachdem bei den Arbeitem die Verelendung immer stlirker wurde, vollzieht sich im 4. Akt der e rIo sen de Urns chI a g. Nun ist die Zeit der Rev 0 I uti 0 n gekommen: Die Proletariermassen enteignen die wenigen Kapitalisten, wenn notig, mit Gewalt und fiihren deren Kapital in Volkseigentum iiber.

5. Akt: Das neue k 0 m m un i s tis c he Par a die s "auf hoherer Ebene", mit volliger Gleichheit der Menschen, ohne jede Bindung, weder famililir noch staatlich. Es gibt keine Religion, da Opium fiir das Volk, d.h., der Mensch braucht im Paradies auf Erden kein Paradies hinter den Stemen. Wir haben eine vollig strukturlose, nur durch Verstlindnis und Liebe regierte Gesellschaft. - Marx glaubt, daB diese vollkommene Stufe auch die Rechtsordnung iiberfliissig mache, denn Verbrechen entstehen nur aufgrund von inneren Widerspriichen einer Epoche. Mit der Aufhebung der Widerspriiche gebe es auch keine Verbrechen mehr; es gebe keinen Diebstahl mehr, da ja jedem jedes gehore und die Giiterfiille die vollkommene Erfiillung jeglicher Bediirfnisse garantiere. Der Staat, so meinen Marx und noch Lenin, werde funktionslos absterben.

Kritik zu Marx' Theorie Wir haben uns etwas eingehender mit der Theorie des Marxismus beschaftigt, als es diesem Exkurs vielleicht zukommt. Aber wir wissen urn die weltweite Bedeutung des Marxismus, weshalb dieser Betrachtung einiger Raum gewidmet wurde. Dennoch reicht das Gesagte kaum aus, urn an dem Gesamtwerk Marx' tiefgehende Kritik zu iiben.

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

Machen wir darum nur einige Feststellungen, die - sagen wir es offen - wir aus der Siehl des 20. Iahrhunderts leicht machen kOnnen. 1. Zum Gesetz der fallenden Profitrate: Stellt man die Pramisse in Zweifel, daB es in der kapitalistischen Wirtschaft stets Unterbeschaftigung, stets eine Reservearmee gibt, entziehen wir dem gesamten Gebaude der Marxschen Theorie das Fundament. Bei VollbeschMtigung illimlich darf durchaus angenommen werden, daB die Arbeiter einen hOheren Lohn, als es dem Existenzminimum entspricht, erhalten konnen. Ein tiber dem Existenzminimum liegender Lohn ware im iibrigen - allerdings auBerhalb des Modells des Liberalismus - fUr den Fall denkbar, daB die Untemehmer zu einer bestimmten Lohnhohe etwa durch staatlichen EinfluB gezwungen waren, so daB nicht die KonkurrenzverhaItnisse den Lohn driicken konnen. Deshalb muB die Arbeitslosigkeit nicht groBer werden, da sich das Mehr an Lohn auf dem Markt als Nachfrage zeigt.

2. Die Entwicklungslehre baut auf der Lehre Hegels auf und geht davon aus, daB in einer widerspruchsvollen Phase die Widerspriiche sieh so verstarken, daB es notwendig zu einem Umschlag kommen muB. Die zweite Phase aber findet, weil aus der Gegensatzlichkeit geboren und ebenfalls nieht ohne Widerspriiche, schlieBlich ebenso Ablehnung und mtindet in die letzte (bei Hegel dritte) Stufe. In dieser Endstufe aber sind alle Widerspriiche, die der ersten wie der zweiten Phase, iiberwunden. - Es ist die Frage, ob es der Natur des Menschen und seinem Geiste entsprechen kann, daB wir je zu einer so vollig widerspruchslosen Zeit gelangen; doch ist dies mehr eine philosophische Frage. 3. Akkumulation und Konzentration: Aus unserem Iahrhundert zuriickblickend, erkennen wir, daB weder die Akkumulation der Vennogen noch die Konzentration des Kapitals und der Macht in dem AusmaB eingetreten ist, wie Marx meinte, es vorauszusehen. Bei technischer Konzentration der Betriebe ist - namentlich durch die Aktiengesellschaft - sogar umgekehrt eine gewisse Kapitalstreuung moglich geworden, wahrend die Leistungsfunktionen immer mehr von den Kapitalbesitzem zu den Managem tibergegangen sind. 4. Die Polarisierung der Gesellschaft urn Kapitalisten und Proletarier und die ZerstOrung der Mittelklassen ist ebenfalls nieht in dem AusmaB und in der Fonn erfolgt, wie Marx prophezeit hat. Seit 1900 etwa hat eine riickHiufige Bewegung zur Kraftigung der selbstiindigen Mittelschiehten eingesetzt. Durch die Technisierung des Privathaushalts erstarkte das Handwerk. Der Kleinhandel erstarkte durch Genossenschaftsbildung oder erhielt durch die Konkurrenz der Markenartikelproduzenten neue Bedeutung. AuBerdem aber ist jener "neue Mittelstand" der Angestellten entstanden, den Marx freilich dem Proletariat zurechnen wUrde, der aber in Lebenszuschnitt und Selbsteinschatzung eben falls kleinbUrgerlieh ist Wir diirfen bei un serer Kritik nieht vergessen, daB die Lehre Marx' aus der Theorie des Liberalismus heraus, d.h. aus einer Theorie, die den Staat nieht als Lenkungsorgan einbezieht, entstanden ist. DaB die fUr uns kaum vorstellbaren sozialen Zustiinde spater durch staatliehe Sozialgesetzgebung gelindert wurden und manch andere Veranderungen infolge aktiver staatlieher Wirtschaftspolitik erzielt wurden, ist im Marxschen Kalkiil nieht einbezogen. Ohne Zweifel aber kommt Karl Marx das Verdienst zu, auf die MiBstande seiner Zeit und auf die von ihm erwarteten Folgen aufmerksam gemacht zu haben, und

Volkswirtschaftstheorie

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wir wissen nicht, wie lange die Arbeiterklasse auf die Unterstiitzung durch die Wirtschaftspolitik batte warten miissen, wenn nicht Marx die Menschen aufgeriittelt hatte.

TIl. IdeaJtypische Wirtschaftsordnungen Zentraigeieitete Wirtschaft und Verkehrswirtschaft Antinomie ist der Widerstreit zweier entgegengesetzter Satze, von denen keiner als unwahr widerlegt werden kann. Walter Eucken spricht in seinem Buch "Die Grundlagen der NationalOkonomie" von der "g roB e nAn tin 0 m i e", die in der Volkswirtschaft herrsche, und meint die beiden Methoden, die zur Durchdringung volkswirtschaftlicher Sachverhalte fUhren solIe, deren eine sich mit dem i n d i v i due II - his tor i s c hen Problem befaBt, wie wir es von den Arbeiten der Vertreter der Historischen Schule kennen, und deren andere sich deduktiv mit demall gem e i n - the 0 ret i s c hen, d.h. fUr aIle Zeiten giiltigen Problem auseinandersetzt. Eucken verneint, daB die historische Betrachtungsweise okonomischer Sacherverhalte geeignet sei, die Probleme zu verstehen. "Das Wirken eines Staatsmannes, der Ablauf von Kriegen, diplomatischen Verhandlungen und innerpolitischen Reformen sind der verstehenden Anschauung des Historikers zuganglich. Er erlebt sie selbst mit, oder er hart AuBerungen von Augenzeugen, oder er Iiest Quellen und vermag hieraus ein Bild der Vorgange und Zusammenhange zu gewinnen. Die wirtschaftIiche Wirklichkeit ist jedoch auf diese Weise nicht erkennbar. Auch wenn es sich urn die Wirklichkeit handelt, die der Nationalokonom selbst miterlebt." Ein Beispiel solI die Ansicht Euckens erhellen: Wie wirkt die EinfUhrung einer neuen Spinnmaschine auf die Lage der Arbeiter? Der Historiker mag beobachten, daB die Einfiihrung der Maschine zur Entlassung einer bestimmten Zahl von Arbeitern fiihrte, oder daB durch den Maschineneinsatz der Produktionsumfang vergroBert wurde. "Sobald wir aber die wesentliche Frage stellen, warum die entlassenen Arbeiter wieder eingesteIlt wurden, ob im Zusammenhang mit der Einfiihrung der neuen Spinnmaschine oder ob infolge der Wirksamkeit einer anderen Potenz, etwa einer guten Ernte, so versagt die unmittelbare Anschauung ... " Urn zur Klarung okonomischer Probleme zu kommen, zeigt Eucken einen Ausweg: "Wir miissen versuchen, den komplizierten Sachverhalt in verschiedene Bestandteile zu zerlegen, also zu analysieren. So konnen wir uns vieIleicht gedankliche Modelle schaffen und konnen den Versuch machen, im Rahmen solcher Modelle durch Variation einer Potenz die Zusammenbange zu finden, die wir suchen, die uns aber die unmittelbare Anschauung nicht zeigt." Die groBe Antinomie, die Gefahr, einerseits sich im Gestriipp der Wirklichkeit zu verlieren, andererseits sich durch lebensferne Modelle von der Wirklichkeit zu entfernen, gilt es zu iiberwinden.

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Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

Die Uberwindung der Antinomie vollzieht sich nach Eucken so, daB wir zunachst an die konkrete Wirklichkeit herangehen; das (Muster-)Bild, das sich uns bietet, ist ein Rea 1typus.

Indem wir nun gedanklich gewisse Eigenarten - durch Fortlassen des Zujiilligen besonders hervorheben (= up 0 i n tie r t hervorhebende A b s t r a k t ion gedanklicher Modelle erhalten wir den Ide a I t y pus. lt

),

Die Ordnungsformen, in denen sich das wirtschaftliche Leben der Volker vollzieht, etwa die Wirtschaftsordnung Englands im vergangenen Jahrhundert, die Wirtschaftsordnung Deutschlands in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, die Wirtschaftsordnung der Sowjetunion heute, das sind keine "reinen" Ordnungsformen; verschiedenste Tatbestande sind miteinander verschmolzen. Dennoch lassen sich gewisse Tatbestande aus der Verschmelzung lOsen, indem man sie pointierend hervorheb1. Auf diese Weise erhalten wir Idealtypen. Die Idealtypen erklaren den Aufbau der einzelnen, konkreten Wirtschaftsordnung und dariiber hinaus den alltaglichen Ablauf des Wirtschaftsprozesses innerhalb der Wirtschaftsordnung. Die idealtypische Betrachtung ist wertneutral. "Der Idealtypus bietet kein Vollkommenheitsideal. Er ist kein ethischer Begriff." Bei der Untersuchung der in Wirklichkeit gegebenen Wirtschaftsordnungen kommen wir zu einer Zweiteilung: in jene, die sich gedanklich herausheben lassen zum Idealtyp der freien V e r k e h r s-(Markt-)W i r t s c haft, und jene, in denen die staatliche Planung das Typische ist: der Idealtypus der Zen t r a 1 v e r w a 1 tun g s w i r t s c h aft. Das Gemeinsame beider Idealtypen ist der Plan. Nach einem Plan verhalten sich Handwerker, Grundbesitzer, Hausfrauen - in fruheren Epochen sowie heute -, geplant wird im Haushalt der Familie, der Gemeinde, in den GroBbetrieben der Industrie, in der Staatswirtschaft der Sowjetunion. Und der Unterschied? In der "zentralgeleiteten Wirtschaft" erfolgt der Ablauf des gesamten wirtschaftlichen Alltags eines Gemeinwesens aufgrund eines Planes einer Zentralstelle. In der Verkehrswirtschaft finden wir mehrere oder meistens viele Einzelwirtschaften, von denen jede Wirtschaftsplane aufstellt und durchfiihrt.

1. Die zentralgeleitete Wirtschaft Sie findet sich in zwei Formen: Die "einfache zentralgeleitete Wirtschaft" oder "Eigenwirtschaft" und die "Zentralverwaltungswirtschaft". Wahrend die "einfache zentralgeleitete Wirtschaft" - sie hat im wesentlichen nur historische Bedeutung - eine Wirtschaftsordnung von einer GroBe zeigte, die yom Planenden iiberblickt wurde, verlangt die "Zentralverwaltungswirtschaft", die Wirtschaftsordnung eines groBen Gemeinwesens, einen Verwaltungsapparat zur Erstellung und Durchfiihrung eines Gesamtplanes. Lassen wir die einfache Form auBer acht, und befassen wir uns mit der volkswirtschaftstheoretisch wichtigen Form der Zen t r a 1 v e r w a 1 tun g s w i r t s c h aft. Eucken nennt drei Varian ten:

Volkswirtschaftstheorie

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Die "total zentralgeleitete Wirtschaft"

In der "total zentralgeleiteten Wirtschaft" findet iiberhaupt kein Tausch statt. Der zentrale Plan enthiilt den Einsatz der produktiven Krafte sowie die Verteilung der Produkte. den Konsum. Ais Beispiel kOnnen Familienwirtschaften der Vergangenheit und Gegenwart oder durchgeplante gesamtwirtschaftliche Teilbereiche. etwa die Wohnungszwangswirtschaft der Nachkriegszeit, genannt werden. "Die zentrale Leitung ist so radikal durchgefiihrt, daB es den einzelnen verboten ist, zugewiesene Konsumgiiter gegen andere Konsumgiiter zu tauschen." Berufs- und Arbeitsplatzwahl sind ausgeschlossen. Geschichtliche Auspdigung finden wir in der Sklaverei und Leibeigenschaft in ihren verschiedensten Formen, auch geMren hierhin die BescM1nkung der Freiziigigkeit, der Berufswahl und die Bindung an eine bestimmte Arbeitsstelle, wie wir sie in vielen Uindem wahrend des Krieges, in Deutschland in der sog. Kriegsdienstverpflichtung, fanden. Die "zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumgutaustausch"

In der "zentralgeleiteten Wirtschaft mit freiem Konsumgutaustausch" wird ebenfalls seitens der zentralen Planungsstelle der Einsatz der produktiven Kriifte. der zeitliche Ablaufplan der Produktion und die Produktverteilung geplant.jedoch haben die Mitglieder dieser Gesellschaft die Moglichkeit. untereinander die Produkte zu tauschen. Als Beispiel sei die Kriegszeit genannt Der Staat plante die Konsumgiiterzuteilung iiber Punkt-, Karten- oder Bezugsscheinsystem, legte aber dem Tausch unter den Empfangem, mit dem Ziel, die Rationen dem jeweiligen Bediirfnis anzupassen, nichts in den Weg. Der Unterschied zur erstgenannten Form ist insofern bedeutsam, als in etwa der "Monism us" einem gewissen "Pluralism us" der Plane gewichen ist; es bilden sich in Grenzen realisierbare Wunschvorstellungen und - mit dem Tausch - gewisse "Tauschwerte". ,,1st dieser Tausch von Konsumgiitem nicht nur ein gelegentlicher, sondem ein dauemder, so bilden sich Markte und Preise unter Gebrauch eines allgemein giiltigen Tauschmittels, des Geldes." Da in der Zentralstelle ein Kontakt zu den Konsumgutbeziehem nicht besteht, lassen sich - im Vergleich zu den Bediirfnissen - partielIe Uber- oder Unterproduktionen nicht vermeiden; durch den Tausch kOnnen die Nachteile gelindert werden. Die "zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Konsumwahl"

Die "zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Konsumwahl" zeigt in der Planung der Produktionsseite zunachst keinen Unterschied zu den ersten beiden Varianten. Die Arbeiter erhalten aber hier keine Guter direkt zugeteilt. die sie zu nehmen haben. gunstigstenfalls zu tauschen in der Lage sind. sondern sie erhalten Geld und kOnnen damit die Guter kaufen. die sie wunschen. Sie konsumieren also nach eigenem (Konsum-)Plan.

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Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

Der Staat leann auf mancherlei Weise auf den Konsum einwirken, z.B. durch Propaganda ffir gewisse Giiter, durch Substitution von Rohstoffen: Die Konsumenten fragen Anziige nach, erhalten aber nicht soIehe aus Wolle, sondern Zellwolle. SchlieBlich leann der Staat der Nachfrage mit entsprechender Preispolitik begegnen: Er aktiviert die Nachfrage durch Preissenkung bzw. dammt sie ein durch Preissteigerung. Der Preispolitik sind jedoch z.B. bei lebenswichtigen Giitern Grenzen gesetzt, der Milchpreis, der Preis ffir Brennstoffe lassen sich nicht beliebig erhOhen. Diese Variante kann schon zu einer Form der Verkehrswirtschaft werden, wenn die zentrale Planstelle den Umfang der Nachfrage als Index der Bedfirfnisse der Bevolkerung verwendet und den Gesamtplan nach den Einzelplanen der Konsumenten ersteIlt: Steigt die Nachfrage nach Schuhen, wird die Nachfragesteigerung von der Zentrale registriert und die Produktion entsprechend erweitert. Hier sind die Grenzen der zentralgeleiteten Wirtschaft schon iiberschritten: "Eine Monopolverwaltung, die aIle Markte beherrscht, versucht, die Nachfrager nach dem Prinzip ,bestrnoglicher Versorgung' zu beliefern".

2. Die Verkehrswirtschaft Euckens"Verkehrswirtschaft" ist nicht mit der Wirtschaftsweise des Liberalismus des 19. lahrhunderts gleichzusetzen; denn selbst im "Kapitalismus" dieses lahrhunderts waren Elemente zentralgeleiteter Wirtschaft enthalten. Den Idealtypus Verkehrswirtschaft gewinnen wir durch pointiert hervorhebende Abstraktion.

"In der Verkehrswirtschaft sind aile Spuren zentralgeleiteter Wirtschaft restlos ausgetilgt." Sie besteht einerseits aus einer Vielzahl von Betrieben, in denen sich durch Kombination von Arbeitsleistungen und sachlichen Produktionsmitteln die Produktion von Giltern vollzieht, die verkauft werden, und andererseits aus einer Vielzahl von Haushalten, in denen (im Modell) nicht produziert, sondern nur konsumiert wird, "wobei aus den Haushalten zugleich ein Angebot von Arbeitsleistungen oder Sparsummen erfolgt, aus denen sich Einkommen ergibt" . Wahrend der Plan der zentralgeleiteten Wirtschaft "vollsmndig" ist, d.h. der WirtschaftsprozeB des Gemeinwesens von Anfang bis zum Ende durch Plan und Befehl der einen Stelle ausgerichtet wird, stellen die vielen verkehrswirtschaftlichen Plane nur Teilplanen dar, wobei jeder, der einen Plan erstellt, sich der Abhangigkeit den anderen Teilplanen gegeniiber bewuBt ist. leder, der sich am WirtschaftsprozeB beteiligt, bietet Geld oder Giiter an und fragt nach Giitern oder Geld; das Sich-Treffen von Angebot und Nachfrage vollzieht sich auf Markten, wobei in Geschichte und Gegenwart (Realtypen) sich zeigt, daB die Art der Abhangigkeit der einzelnen Wirtschaftseinheiten bestimmt wird durch ihre Machtposition im Vergleich zu derjenigen der anderen Einzelwirtschaften. Die eine Einzelwirtschaft (Betrieb oder Haushalt) muB sich anpassen, die andere vermag die Marktvorgange entscheidend zu bestimmen, wobei sich die Machtposition im Zeitablauf verandern kann. In Zeiten der Arbeitslosigkeit bieten die Haushalte ihre Arbeitskraft an, ohne auf die Lohnhohe EinfluB nehmen zu konnen, in Zeiten der Uberbeschaftigung sind

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VolkswirtschaJtstheorie Gegeniiberstellung der idealtypischen Wirtschaftsordnungen Verkehrswirtschaft

Zentra Igeleitete Wirtschaft

viele Wirtschaftssubjekte

nur ein Wirtschaftssubjekt

viele Wirtschaftspliine

nur ein Wirtschaftsplan

viele Plantriiger

nur ein Plantriiger (die ubrigen Personen = Wirtschaftsobjekte) Zweiteilung

I Einfache zentralgeleitete Wirtschaft historische Bedeutung vgl. Sippen- und Stammeswirtschaft

1

Zentralverwaltungswirtschaft komplizierter Plan verlangt Planbehi:irde

Zentra Iverwa Itu ngsw irtscha ft Kein unmittelbarer EinfluB (Zwang) des Staates

Unterordnung des einzelnen unter die staatliche Ordnung Planinhalt: Arbeitsplatzzuweisung Leistungshi:ihe (Norm) Produktionsumfang Produktionsverteilung

nur Ordnungsnormen (Gesetze, Verordnungen) = Spielregeln Individualprinzip

Sozialprinzip

Privateigentum

Gemeineigentum

Vertragsfreiheit z.B. Arbeitsvertrag

Befehl

Koordinator = Markt

Koordinator = Plan

(Preise zeigen Versorgungslucken)

Aufgabe der Planbehi:irde:

Regulator = Preis

Erfassung von 1. Giitern 2. Produktionsmitteln 3. Bedarf

Preismechanismus

Planmechanismus

z.B. Arbeitsverhiiltnis

Darstellung 1

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

die Betriebe, die Arbeitskrafte nachfragen, in der schwacheren Position. Aus den unterschiedlichen Machtpositionen ergeben sich unterschiedliche "Marktformen", die noch Gegenstand eingehender Untersuchung sein werden. Die Verkehrswirtschaft bedarf der Rechnungsskala. Die Geschichte zeigt unterschiedliche Standardgiiter, die als Rechnungseinheit dienten; heute ist es im allgemeinen das Geld, das dem Betriebsleiter die nachgefragte Arbeit, die eingesetzte Maschine und das angebotene Produkt rechenhaft werden laBL

IV. Marktwirtschaft als Grundkonzeption Der Wohlstand, zu dem die Bundesrepublik nach dem vergangenen Krieg gelangt ist, wird der Bejahung marktwirtschaftlicher Prinzipien zugeschrieben. Die durch die Wirtschaftpolitik dem Untemehmer ermoglichte Vermogensbildung lieB ihn, zweifellos angestachelt durch untemehmerischen Egoismus, Arbeitsplatze schaffen, Produktionsstatten vergroBem, immer groBere Produktmengen auf den Markt bringen. ,,Egoisten sind aIle, der Schlimmste aber ist jener, welcher nicht glaubt, es zu sein, weil es an MaB ihm gebricht" (Hebbel). So steht in den westlichen Landem der "gesunde" Egoismus ( besser: Eigeninteresse) in durchaus nicht schlechtem Ruf. Der Ego ism u s erscheint als Ursache des Fortschritts; indem der Untemehmer seine Gewinne zu erhohen trachtet, sucht er nach neuen Fertigungsmetboden, sucht standig nach geeigneten kostensparenden Rohstoffen, versucht, durch Massenproduktion die Kosten und - urn wettbewerbsfahig zu sein - die Preise zu senken. 1st ffir eine solche Massenproduktion der einheimische Markt nicht geniigend aufnahmebereit, sucht er nach neuen Absatzgebieten im Ausland und schafft damit ffir den Import die Voraussetzung. Mit dem Wohlstand der Untemehmer steigt der Wohlstand der Arbeitnehmer, mit der groBeren Produktion die bessere Marktversorgung ffir den Konsumenten; Wohlstand aber heiBt Moglichkeit zur E i g e n tum s b i I dun g.

So wird die Bildung von Privateigentum und dessen Schutz zum erkliirten Grundsatz der Marktwirtschaft. Okonomisch stellt das Eigentum das ausschlieBliche Recht einer Person dar, ein Wirtschaftsgut zu kontrollieren, es frei einzusetzen. Dazu bedarf es des ungehinderten Abschlusses von Vertragen.

Die Ve r t rag sfr e i h e i t ist ein anderer Grundsatz der Marktwirtschaft. Bei der Vertragsentstehung darf der Staat grundsatzlich nicht eingreifen, bei der Vertragserfilllung jedoch stellt er auf Anrufen seine (gerichtliche) Hilfe zur Verfiigung.

Streben mehrere Wirtschaftssubjekte nach dem gleichen Ziel, sprechen wir von Wet t b ewe r b. einem weiteren Grundsatz der Marktwirtschaft; er wird mit seiner ausgleichenden undfortschrittbringenden Kraft zum Leitprinzip der Marktwirtschaft.

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Der Wirkungsbereich des Wettbewerbs ist groBer, als man es auf den ersten Blick hin vermutet. Wir kennen den a) Wettbewerb g lei c her G iit e r. Wer Autos verkauft, weiB, daB er mit anderen AutoMndlern zu konkurrieren hat (horizontaler Wettbewerb, Qualitatskonkurrenz). b) Wettbewerb zwischen Substituten (E r sat z g ii t ern). Wer Wolltextilien produziert, weiB, daB er mit Produzenten von Chemiefasertextilien in Wettbewerb steht. Andere Beispiele sind Kohle - Heizol, Schallplatte - Tonband (S ubstitutionswettbewerb). c)Wettbewerbzwischen ungleichen Giitern. Wer als Vertreter ffir eine Bausparkasse wirbt, erlebt es, daB vor ihm der Vertreter einer Autofirma bereits einen Kaufvertrag auf Ratenbasis abgeschlossen hat und damit das gegenwartige und zukiinftige Einkommen des Interessenten bereits blokkiert hat. Das Gemeinsame, nach dem beide Vertreter strebten, war ein Teil yom Einkommen des Wirtschaftssubjekts. Der Einkommensbezieher aber kann sein Einkommen nur einmal ausgeben; wer beispielsweise hohe Aufwendungen fUr eine Mietwohnung hat, vermag bei geringem Einkommen nur wenig Mittel ffir Mobel auszugeben. Wir erleben so zwischen den verschiedensten Wirtschaftszweigen eine starke Interdependenz, derer sich derjenige, der seinen Teilplan fUr den Betrieb oder ffir seinen Haushalt aufstellt, bewuBt sein muB.

V. Soziale Marktwirtschaft - eine Riickbesinnung In der Formulierung "s 0 z i a I e Marktwirtschaft" (Begriff: Alfred Miiller-Armack) kommt die Kritik der Neoliberalen gegeniiber jener Laissez-faire-Vorstellung der Liberalisten des 18. und 19. lahrhunderts zum Ausdruck. Die neue Wirtschaftsordnung, die von der Idee des Neoliberalismus befruchtet wurde und unter dem personlichen Einsatz von Ludwig Erhard, Wilhelm Ropke, Walter Eucken, F. A. Hayek, Franz Bohm, O. Veit, W. Hoffmann, L. Miksch, Alexander Riistow, v. Nell-Breuning u.a. entstand, ist der Staat nicht zum ,,Nachtwachter" (vgl. S. 36) reduziert. Von ihm wird aktive Wirtschaftspolitik stets dann gefordert, wenn der freie Markt und damit der Konsument in Gefahr ist.

Die soziale Marktwirtschaft fordert eine aktive PoUtik zur Erhaltung und Stiirkung des Wettbewerbs bei gleichzeitiger Ablehung eines ilbermiifiigen Interventionismus. Es ging aber nicht nur darum, staatliche Funktionen in der Wirtschaft zu bejahen und andererseits die staatliche Aktivitat zu begrenzen. Wesentlich war die Suche nach einem neuen Wirtschaftsstil. Ais es nach dem 2. Weltkrieg urn Wiederaufbau, aber auch urn eine Neuordnung der Wirtschaft ging, erfolgte die Orientierung auf der Grundlage des Grundgesetzes, dessen

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Prfulmbel mit Bedacht die Worte enthalt: ,,1m BewuBtsein seiner Verantwortung vor Gott". Das Ergebnis, die "Soziale Marktwirtschaft", war ein okumenisches Werk, ein Werk evangelischer und katholischer Christen. Wissenschaftlich betrachtet, war diese neue Wirtschaftsordnung eine Symbiose aus Ordoliberalismus und Christlieher Soziallehre. Ffir manchen verstiindlicher stellte sie einen Dritten Weg dar zwischen dem Liberalismus und dem Sozialismus. Doch sollte man sich daran erinnem, daB die Vater der Sozialen Marktwirtschaft die neue Wirtschaftsordnung an den Grundsatzen des christliehen Wertesystems orientiert haben. 1m folgenden wollen wir die Soziale Marktwirtschaft aus ursprunglicher, aus christlieher Sicht betrachten.

Der Dritte Weg zwischen Liberalismus und Sozialismus Sehen wir ab von Theorien und Modellen, die in ihrer Idealitat ffir manchen etwas Faszinierendes an sieh haben, und betrachten wir die Wirklichkeit, so sehen wir, daB die Erscheinungsformen beider Theorien, die des Liberalismus wie die des Sozialismus, gescheitert sind. Aus christlicher Sieht gibt es dafiir eine plausible Erklarung: die MiBachtung des gottlichen Gebotes. Der reale Liberalismus iiberlaBt den einzelnen bindungslos seinen vom Eigennutzen bestimmten Aktivitaten. Der Egoismus des einzelnen fiihrt zur Obervorteilung bis zur Ausbeutung des Mitmenschen. 1m real existierenden Sozialismus beklagen die Verantwortlichen Passivitat, mangelnden Einsatz des einzelnen, quantitativ wie qualitativ mangelhafte Planerfiillung und eben falls Egoismus, mangelndes Verantwortungsgefiihl und Korruption. Soviel steht fest: Der Christ kann kein Marxist sein, also einer Ideologie zuneigen, welche den autonomen, sich vom SchOpfer emanzipierenden Menschen lehrt und "Religion als Opium des Volkes" begreift. Der Christ kann andererseits jenen Liberalismus nicht bejahen, in dem das Individuum egoistisch und rucksichtslos dem eigenen Vorteil nachstrebt - in der Vorstellung, daB dadurch automatisch gesellschaftliche Harmonie entsteht.

Beurteilungskriterien fUr Wirtschaftsordnungen Eine Wirtschaftsordnung ist danach zu beurteilen,

1. wer Wirtschaftssubjekt, d.h. Trager der Initiative ist, 2. wie das Verhaltnis des einzelnen zur Gemeinschaft gestaltet wird, 3. welche Funktion das Eigentum, insbesondere an Produktionsmitteln, hat, 4. welche Ziele der Wirtschaft gesetzt sind.

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1. Wirtscbaftssubjekt - Trager der Initiative: Zielorientierung Der Mensch erfahrt aus christlicher Sieht seine Sonderstellung in seiner Gottebenbildlichkeit, als Herr der Erde, Statthalter Gottes in der Welt, Gottes Partner, berufen zur Gemeinschaft mit Gott. 1) Der so berufene Mensch ist Mittelpunkt aller Dinge, "das VolIkommenste in der gesamten Natur", wie es schon Thomas von Aquin ausgedrtickt hat. Nach christliehem Verstandnis ist das Wesen des Menschen gepragt durch seine Personalitat: Der Mensch ist Person. Das heiBt: - Der Mensch ist frei in seinen Entscheidungen. Wenn er auch beeinfluBt werden kann durch physische, psychische, materielle und soziale Faktoren, so ist er doch nicht Produkt der Gesellschaft und der materiellen Produktionsverhaltnisse, wie Marx meint. Der Mensch ist nieht in diesem Sinne determiniert. Daraus folgt: - Der Mensch handelt in Verantwortung. Prof. Anton Rauscher: "Ein Unternehmer kann sich genausowenig auf 'die Gesetze der Marktwirtschaft' berufen, wenn er seine Mitarbeiter ungerecht behandelt, wie die Arbeitnehmer auf die Gewerkschaften, urn einen 'Dienst nach Vorschrift' zu rechtfertigen. Es gibt keinen 'blinden Gehorsam'. Auch lliBt sich die Verantwortung nicht sozialisieren, etwa in dem Sinne, daB viele tiber eine Angelegenheit mitentscheiden, aber keiner die Folgen zu tragen bereit ist. "2)

Aus christlicher Sicht hat der Jreiheitliche,filr sein Handeln verantwortliche Mensch Prioritiit vor der GesellschaJt.

2. Verhaltnis: Mensch und Gesellschaft "Die Beziehung zu Gott und die Partnerschaft des Menschen mit Gott spiegelt sich im partnerschaftlichen Wesen des Menschen". 3) Der Mensch ist kein Einzelwesen, sondern "aus seiner innersten Natur ein gesellschaftliches Wesen; ohne die Beziehung zu den anderen kaon er weder leben noch seine Anlagen zur Entfaltung bringen".4) So wie sieh der Mensch in der Ehe als Lebensgemeinschaft entfaltet, ist auch die Wirtschaft, sind Betrieb und Unternehmung Orte der Entfaltung menschlicher Personalitat.

Die menschliche Gesellschaft istJur den Menschen da, und nicht umgekehrt. 5) Doch stellen Gemeinschaft und Gesellschaft kein loses Nebeneinander von Individuen dar, sondern eine personale Verbundenheit in Werten und Zielen.6) Aus dieser Verbundenheit ergibt sieh die Unterordnung des einzelnen unter eine geistig sittliche Ordnung.

1) Katholischer Erwachsenenkatechismus, 1985, S. 116. 2) Anton Rauscher, Personalitiit Subsidiaritlit, 1975, S. 10. 3) Katholischer Erwachsenenkatechismus, 1985, S. 117. 4) Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", Nr. 12. 5) "Divini Redemptoris"; Marmy, Nr. 194. 6) Anton Rauscher, a.a.O. Ziffer 8, S. 17.

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Das heiBt: Weder darf die Gesellschaft von einzelnen ausgebeutet werden, wie dies im sozialrechtlichen Bereich beobachtet werden kann, noch darf sich der einzelne aus der Verantwortung ffir die Gemeinschaft stehlen, wie dies Driickeberger und Aussteiger tun, wenn sie gesellschaftliche Vorteile wahmehmen, aber mit eigener Leistung abseits stehen. Aber auch die Machtanhliufung einzelner zulasten Schwacherer in der Gesellschaft verstOBt gegen den Grundsatz der Verwirklichung geistig-sittlieher Werte.

Das Gemeinwohl hat insoweit Vorrang vor dem Einzelwohl. als ersteres in den kulturellen und sozialen Strukturen die Voraussetzung schafftfilT die gemeinsame Wertverwirklichung. Die personale Verbundenheit und die Ausrichtung auf eine gemeinsame Wertverwirklichung erfordert nieht den Einheitsmenschen. 1m Gegenteil: Der Schopfer hat jedem Menschen seine Einmaligkeit gegeben, und es sind unsere unterschiedlichen Anlagen und Talente, die wir einbringen. Der Versuch der Vereinheitlichung ist eine MiBachtung des gottlichen Willens und muB zu Nivellierung und zur Lahmung fUhren. Wir mussen uns bewuBt machen, daB nicht die Gesellschaft die Ziele verwirklieht, sondem die in ihr aktiven Menschen. Der Mensch ist zu schnell bereit, von sich und seiner Passivitat ab- und hinzulenken auf die Unzulanglichkeit der Gesellschaft und des Staates.

Solidaritatsprinzip Die geforderte Aktivitat des einzelnen orientiert sieh nieht allein an seinen eigenen Zielen, sie orientiert sich am Bediirfnis seines Nachsten und der Gemeinschaft. Verlangt wird Solidaritat Das heiBt: ffir den Nachsten einstehen, fUr ihn verantwortlieh sein. Solidaritat ist, wie Rauscher sagt, kein Gesinnungsappell, sondern "Seinsprinzip, das unmittelbar aus der sozialen Wesenslage des Menschen hervorgeht.. .. Der VerstoB gegen die Solidaritat ist ein VerstoB gegen die menschliche Natur, gegen das eigene Personsein".I)

Su bsidiaritatsp rinzip Personsein und Solidaritat verlangen einen Freiraum, in dem der Mensch Entscheidungen treffen, Verantwortung tragen und in dem er gestalten kann. Die Gestaltung des Freiraums erfolgt nach dem Subsidiaritatsprinzip, einem Freiheitsprinzip, das dem christlichen Menschenbild entspricht. Das Subsidiaritatsprinzip wurde 1931 aus der Vorerfahrung mit dem Totalitarismus geboren.2)

= Kompetenzanerkennungsprinzip = (Lothar Roos) naturrechtlich abgeleitetes Prinzip der katholischen Soziallehre, nach dem kleinere Gemeinschaften (z.B. Farnilien) von den groBeren Sozialgebilden (z.B. Staat, Verbande) unterstutzt und erganzt, aber nicht ersetzt werden sol/en. Subsidiaritatsprinzip

I) Anton Rauscher, a.a.O., Ziffer 8, S. 25. 2) Gustav Grundlach, Artikel in: Soziallexikon und: Quadragesimo anno, 1931.

VolkswirtschaJtstheorie Das Subsidiaritatsprinzip verlangt den Vorrang der personlichen und der famiWiren vor der gesellschaftlichen Leistungsfahigkeit, den Vorrang privater Organisationen vor der BUrokratie. Es ist ein antitotalitares und dezentralistisches Prinzip. Es fordert die Uberpriifung der jeweils kleineren Einheit: Was diese leistet, solI in ihre Verantwortung gestellt werden. Die nachst groBere Einheit solI erst aktiv werden, wenn es gilt, die vorgeordnete Einheit zu unterstiitzen. Das Subsidiaritatsprinzip steht gegen den Allmachtsanspruch von Staat und Verblinden. 1m politischen und wirtschaftlichen Bereich umfaBt das Subsidiaritatsprinzip die Prinzipien der Selbstverantwortung, der Selbstverwaltung und der SelbstJinanzierung, es starkt und verlangt die Pri-

vatinitiative. Zusammenfassung: I. Wirtschaftssubjekt ist der Mensch in seiner Gottebenbildlichkeit. Der Mensch ist frei in seinen Entscheidungen. Wer frei ist, tragt Verantwortung. Der freie verantwortliche Mensch hat Prioritat vor der Gesellschaft. 2. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen: Er bedarf zur Entfaltung seiner Personalitat der Gemeinschaft. Die Gesellschaft ist fUr den Menschen da. Die Entfaltung einer jeden Person ist spannungsfrei nebeneinander nur in Ausrich tung auf eine gemeinsame geistig sittliche Ordnung moglich. Die geistig sittliche Ordnung hat Priori tat vor dem Einzelinteresse. Daraus folgt: Unterordnung des einzelnen unter die geistig sittliche Ordnung. 3. Jeder Mensch ist einmalig. 4. Der Mensch ist zur Aktivitat aufgerufen. Die Aktivitat orientiert sich nieht nur an seinen eigenen Zielen, sie orientiert sieh auch am Bedtirfnis seiner Nachsten und der Gemeinschaft. = Solidaritiitsprinzip

5. ProblemlOsungen erfolgen in der Kompetenzfolge: der einzelne vor der kleinen, die kleinere vor der groBeren Gemeinschaft: Das jeweils groBere Sozialgebilde wird erst aktiv, wenn das jeweils kleinere auBerstande ist, Probleme oder Aufgaben zu IOsen

=Subsidiaritiitsprinzip

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik 3. Funktion des Eigentums, insbesondere an Produktionsmitteln

Das Eigentum hat die Funktion der eigenverantwortlichen Daseinsgestaltung. 1965 formulierte das II. Vatikanische Konzil 1) das Eigentum "als eine Art VerHingerung der menschlichen Freiheit", weiter heiSt es, Eigentum spome an zur Ubemahme von Aufgaben und Verantwortung. Nach christlicher Auffassung besteht ein natiirliches Recht auf Eigentum, und zwar sowohl an Konsum- als auch an Produktionsgiitem. In einer der Enzykliken Johannes XXIII. heiSt es 1963 2): "Sowohl die Erfahrung wie die geschichtliche Wirklichkeit bestatigen es: wo das politische Regime dem einzelnen das Privateigentum auch an Produktionsmitteln nicht gestattet, dort wird auch die Ausiibung der menschlichen Freiheit in wesentlichen Dingen eingeschrankt oder ganz aufgehoben". Das Privateigentum schiitzt "in wirksamer Weise die Wiirde der menschlichen Person und erleichtert die Ausiibung der beruflichen Verantwortung in allen Lebensbereichen".3) Es erscheint mir a1s Rilckschritt, daB heute bestimmte gewerkschaftliche Kriifte die christlichsozia1e Forderung nach Vermogensbi1dung in Arbeitnehmerhand, die auch von Gewerkschaftsfilhrem wie Georg Leber initiiert und getragen wurde, nicht mehr unterstiltzen.

Aus dem Neuen Testament entnehmen wir zusammenfassend: - Eigentum ist eine Leihgabe Gottes, aber kein letzter Wert, - Eigentum dient der mensch lichen Freiheit, - Eigentum verpfIichtet, wie es auch der Art. 14 (2) GG fordert. In der Eigentumsdenkschrift der EKD (1962) heiSt es: ,,Niemand besitzt Giiter und Gaben, die er nur durch seine eigene Leistung und nicht in erster Linie durch gottliche und menschliche Hi1fe empfangen hat. Darum ist jedermann nach seiner Leistungsfahigkeit vor Gott verpflichtet, dem Gemeinwoh1 zu dienen. Die wirtschaftliche Oberlegenheit solcher Menschen, die ein hOheres Einkommen und Eigentumsrechte an Produktionsrnitte1n haben, 1egt diesen auch groBere soziale Verpflichtungen auf'.

4. Ziele der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik Gewinnmaximierung gilt als Ziel des Wirtschaftens. Die Wirtschaftswissenschaft hat sich daran gewohnt, Sachverhalte verdinglicht darzustellen. Wir sprechen von dem Produktionsfaktor Arbeit, dem Angebot, der Nachfrage, dem Geldwert. Fiir Wirtschaftspsychologen, die seit Jahren darauf hinweisen, daS fiir ein erfolgreiches Management ein

1) .. Gaudium et spes", Nr. 71. 2) ,.Mater et Magistra", 1963, Nr. 109. 3) ,.Mater et Magistra", 1963, Nr. 112.

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Umdenken in Richtung einer Personalisierung erforderlich sei, miissen die Gedanken Leo XIII. modem erscheinen, fiir den vor fast 100 Jahren die Wiederentdeckung des Menschen Sinn und Ziel allen Wirtschaftens war. Auch Wilhelm Ropke, einer der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, will das Untemehmungsziel nieht auf das Gewinnstreben reduziert sehen; sinngemaB: Nur bei Verantwortung fiir das Ganze und Hingabe und Opfersinn fiir das Ganze bleibt uns die Freiheit erhalten. Unter den Zielen des "magischen Vierecks" (vgl. S. 83) der Wirtschaftspolitik und neben diesen sind aus ehristlieher Sieht 3 Ziele von besonderer Bedeutung: - Wettbewerb, - Vollbesehaftigung, - Verteilungsgerechtigkeit. Wettbewerb Aus dem Freiheitsprinzip folgt das Prinzip des Wettbewerbs, wobei vom Wettbewerb u.a. erwartet wird: - die Bestimmung von Leistung und Gegenleistung, - Anspom fiir Leistungssteigerung: sinkende Kosten, sinkende Preise - steigende Qualimt, - Preisanderungen sind MaBstab fiir Knappheitsanderungen, - Preise haben Lenkungsfunktion hinsichtlieh des Einsatzes der Produktionsfaktoren, - optimale Marktversorgung. 1m Gegensatz zur liberalen Wirtsehaftsauffassung ist Wettbewerb aus ehristlicher Sieht nieht die alIeinige Grundregel, nieht alleiniges regulatives Prinzip der Wirtsehaft. Der Blick auf reales Wirtschaftsgesehehen zeigt, daB Steuerungen erforderlieh sind, urn MiBbrauch der Wettbewerbsfreiheit zu vermeiden: Allgemeine Anerkennung findet das Recht des Staates, dort einzugreifen, wo die Vertragsfreiheit zur Aufhebung von Wettbewerb und Entstehung von Marktmacht, zu Monopol- und Kartellbildung fiihrt. Aueh MiBbrauch im anderen Extrem ist zu vermeiden: dort, wo durch unlauteren Wettbewerb die Vemichtung des Wettbewerbs droht. Neben der Bejahung aktiver Wirtschaftspolitik zur Vermeidung von Wettbewerb einengender Marktmacht und exzessivem Wettbewerb fordert die christliche Soziallehre - eine "Hinordnung auf iibergeordnete Ziele. Der Wettbewerb wird in Beziehung gesetzt zu einer ausreiehenden, 'wahrem' menschlichen Fortsehritt dienenden Versorgung alIer mit materiellen Giitern und Diensten" 1) - ein BewuBtsein von "wertechten" Giitem. 2)

1) Josef Oelinger, Grundlagen der Wirtschaftsordnung, 1976, S. 18. 2) Josef Oelinger, a.a.O., S. 21.

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Denn weder ist alles, was als Fortschriu angepriesen wird, echter Fortschritt, noch dienen alle Gilter, die am Markt einen Preis erzielen, einer echten Befriedigung materieller Bediirfnisse. Wer argumentiert, daB sich - mindestens Hingerfristig - keine Gtiter absetzen lassen, die nieht der Bediirfnisbefriedigung dienen, tibersieht u.a., daB die Werbung Aussagen macht, die mangels Transparenz auf den Wahrheitsgehalt yom Verbraucher nicht priifbar sind. Hier ist der Untemehmer zur Verantwortung aufgerufen. Es sollte nicht die Aufgabe der Wirtschaft sein, irgendwelche Gtiter zu produzieren, sondem die Gtiterproduktion in den Dienst des Menschen zu stellen, "und zwar am ganzen Menschen im Hinbliek auf seine materiellen Bedtirfnisse, aber ebenso auf das, was er flir sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiOses Leben benotigt".I) Bezogen auf das Ergebnis allen Produzierens sagt die absolute GroBe und die prozentua-

Ie A.nderung des Sozialprodukts weniger aus tiber die ,,Lebensqualitat" im christliehen Sinne als seine Zusammensetzung und Verteilung. Vollbeschaftigung Befassen wir uns mit dem Begriff ,,Arbeit" aus biblischer Sieht. Der Schopfungsbericht beruft den Menschen dazu, sich die Welt "untertan zu machen" (1. Mose 1,28) und das Geschaffene zu "bebauen und zu bewahren" (1. Mose 2,15). Damit ist die Arbeit begriindet, aber auch ausgerichtet, namlich zur "Ausgestaltung, nieht zur Ausnutzung der Welt".2) Aus gottlichem Auftrag und aus der Anlage des Menschen zur mitmenschlichen Partnerschaft folgt, daB Arbeit ein auf Gott gerichtetes soziales Geschehen ist Der evangelische Erwachsenenkatechismus definiert Arbeit als das selbstandige, freie Umgehen mit dem Geschaffenen, worin Mensch und Mitmensch ihre Gemeinschaft mit Gott bestatigen.3) Der arbeitende Mensch entwickelt im Verbund mit dem Mitmenschen seine Personlichkeit. Damit wird Arbeit zu einem Lebensinhalt und erhalt eine besondere Funktion. Die Arbeit der vorindustriellen Zeit war hart, der Arbeitstag lang. Der Tatige aber nahm das Ergebnis seines Schaffens wahr; er erkannte, daB die Leistung dem Besteller diente, sein Handeln war zielgeriehtet, sinnvoll. Das fertige Produkt mag den Tatigen mit Stolz erftillt haben. In der Industriegesellschaft entstehen hinsiehtlich der Sinnhaftigkeit der Arbeit Probleme: Die Arbeitsteilung Hillt die Produktivitat und damit den Wohlstand zunehmen, ftihrt andererseits ftir den Arbeitnehmer zur Intransparenz: der Sinn der Arbeit ist oft nicht mehr erkennbar; daB die eigene Leistung dem Mitmenschen dient, kann nieht mehr wahrgenommen werden. Die geforderte Leistung wird nur noch angesiehts der Notwendigkeit der Einkommensquelle erbracht Fiir den der Einkommenseffekt geringere Bedeutung hat, z.B. fiir manche auf Kosten der Eltem lebende junge Menschen, ist die Leistungsverweigerung eine bequeme, aber doch auch verstandliehe Antwort auf ProduktionsverhaItnisse (Akkord-, FlieBbandarbeit), welche den Raum fiir menschliches Gestalten, fiir Kreativimt einengen und - bezogen auf den eigentlichen Sinn der Arbeit - diese, wie Marx es ausgedrtickt hat, entfremden. "Die christlieh-sozial 1) ..Gaudium et spes", Nr. 64. 2) Evangelischer Erwachsenenkatechismus. 1982. S. 693. 3) Dito, S. 693.

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orientierte Arbeitsethik steht dem Begriff der Leistung grundsatzlich positiv gegeniiber... Ohne Leistungswillen sind menschliche Entfaltung, Bildungsaufstieg und berufliche Tiichtigkeit undenkbar. Leistung schlechthin ist eine urspriinglich personale Grundkraft, zu innerst verbunden mit dem SelbstbewuBtsein und der Eigeninitiative jedes einzelnen und als soIche unverziehtbar" .1) SolI Arbeit erbracht, Leistung erwartet werden, miissen von den in der Wirtschaft Verantwortlichen die Probleme erkannt und geWst werden: Hwnanisierung der Arbeitswelt ist eine Aufgabe, eine andere ist aber das Begreifen, daB Wohlstand und eine immer kiirzer werdende Arbeitszeit ihren Preis haben. Der evangelische Katechismus: ,,Eine vollige Aufhebung des Entfremdungserlebnisses wird der Christ nieht erwarten diirfen. Von paradiesischen Urzustanden hat das Arbeitsleben auch in friiheren Zeiten nichts erkennen lassen ... Wie die Arbeitswelt getragen, gemeistert und mit Sinn erfiillt wird, hangt von vielen personlichen Faktoren und von vielen Dingen auBerhalb des Betriebes ab ... Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, ausschlieBlich durch Produktivitat Sinnerfiillung zu finden. Er soll auch durch das, was ihm personlich mitgegeben ist, in freier Verantwortung seinem Leben einen Sinn geben. Die Freizeit bietet ihm Moglichkeiten dazu .. ."2) Dem Auftrag, der Pflicht zu Arbeit und Leistung entspricht das Recht auf Arbeit, abgeleitet aus der Wiirde, die der menschliehen Person zukommt.3) Das Recht auf Arbeit ist kein subjektives, direkt einklagbares Recht, vielmehr eine Forderung an die Gesellschaft, ausreichende Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. 4) Nach dem Subsidiaritlltsprinzip sind in der modernen Gesellschaft die Tarifpartner in die Pflicht genommen. Der Arbeitskampf, wenngleich in der Realitat nieht immer vermeidbar, ist unchristlich. Die verantwortliehen Tarifpartner sollten nach Verstandigung trachten und miissen Lohne anstreben, welche die Beschiiftigung nieht behindern. Die Gewerkschaften tragen mit ihrer allseitigen gesellschaflichen Anerkennung vermehrte Verantwortung. Sie haben die "Aufgabe, ihrer aller Zusammenspiel zum wirtschaftlichen Aufstieg des Ganzen zu fOrdern und ihr BewuBtsein von ihrer Mitverantwortung fiir das Gemeinwohl zu vertiefen."5) Die verlangte Tarifautonomie legt den Tarifpartnern Verantwortung dafiir auf, daB dem Gemeinwohl nieht Schaden dadurch zugefiigt wird, daB iiberhOhte Lohne zu Kostenexplosion und Inflation oder zu Arbeitslosigkeit fiihren. Das Beschaftigungsrisiko darf nicht auf den Staat geschoben werden, denn dieser ist - subsidiar - nur gefordert, wenn die Tarifpartner aus eigener Kraft die anstehenden Probleme nieht losen konnen. Das kann z.B. der Fall sein bei Konjunkturschwankungen, deren SWrungen durch den Staat zu minimieren sind. 6) Auch mag der Staat den gesetzlichen Rahmen schaffen, urn die Arbeit zu schiitzen und die Tarifpartner zu unterstiitzten. 1) Edgar Nawroth, Humanisierung der Arbeitswelt - Wiirde, Ethik und Recht dermenschlichen Arbeit, 1977,

S.24. 2) Evangelischer Erwachsenenkatechismus, 1982, S. 701. 3) "Gaudium et spes", Nr. 26. 4) Josef Oelinger, a.a.O., S. 33. 5) "Octogesima adveniens" ,Nr. 14. 6) ,.Mater et Magistra", Nr. 54.

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1st Arbeitslosigkeit eingetreten, konnen das Begreifen der Ursaehen und die Analyse sinnvoll sein. Zum einen erhaIt man dadureh die Mogliehkeit, gezielt gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen, zum anderen, das Anwaehsen der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Einige Bemerkungen zur Arbeitslosigkeit: - 200.000 bis 300.000 Arbeitslose der Bundesrepublik Deutschland sind, auf dem Weg von einem zum anderen Arbeitsplatz, arbeitslos gemeldet. Hier besteht kein politischer Handlungsbedarf. - Ein Teil der Arbeitslosen, insbesondere Frauen, sueht eine Teilzeitbesehaftigung. Hier sind Unternehmungen aufgerufen, flexiblere Arbeitsplatzzeiten zu schaffen. - Etwa die Riilfte alIer Arbeitslosen hat keinen SehulabsehluB und/oder keine Berufsausbildung, wahrend andererseits Faeharbeitermangel herrseht. Gegen derartiges qualitatives Arbeitsmarktungleiehgewieht sind Berufsberatung, Bildungs- und UmsehulungsmaBnahmen einzusetzen. Neben den Bemiihungen der Arbeitsverwaltung Hillt sieh aueh denken, daB Unternehmungen Stellen mit Unausgebildeten besetzen, die dann hinsiehtlieh bestimmter Funktionen angelernt werden. Die ProbIeme des qualitativen Arbeitsmarktungleichgewichts lassen sieh, besonders hinsiehtlieh alterer Arbeitsloser, nieht mehr oder nieht leieht - aueh nieht mit Arbeitsbesehaffungsprogrammen oder Arbeitszeitverkiirzungen - IOsen. Zu lange - seit Jahren yom Saehverstandigenrat kritisiert - glaubten die Gewerksehaften dureh tarifliehe Sockelpolitik fUr ungelernte Arbeitnehmer der unteren Lohnstufen iiberproportionale Lohnanstiege durchsetzen zu sollen. Die sozial wohlgemeinte Politik riehtete sieh sehlieBlieh gegen den begiinstigten Personenkreis: Die zu teuer gewordene ungelernte Arbeit wurde substituiert, und der Ansporn zur eignen Ausbildung dureh Lohnnivellierung verringert. Manehe Fehlentwieklungen sind oft nieht korrigierbar und belasten die Zukunft. Mit den wenigen Aspekten ist das Problem der Arbeitslosigkeit nieht erfaBt Die Gesellsehaft ist aber aufgerufen, die Not der arbeitslosen Mensehen nieht zu iibersehen. Wenn Arbeit im ehristliehen Sinne ein Stiiek menschliehen Lebens ist, dann darf nieht vergessen werden, daB in unserer Gesellsehaft Arbeitslose daran gehindert werden, ihre Krafte und Fahigkeiten zu entfalten, daB diese Menschen in ihrem SelbstwertbewuBtsein verletzt sind, daB ohne Arbeit ihr Selbstvertrauen gestOrt wird, daB Arbeitslosigkeit zu Depressionen, zu sozialer Isolierung, zu Familienzusammenbriiehen, sehlieBlieh zur AushOhlung der Moral, auch der politischen, zu Radikalismus und zur Gefahrdung un serer Gesellsehaftsordnung fiihrt. Hier ist jeder zur Hilfe und zu mitmensehliehem Verstehen aufgerufen, aber auch zum Nichuniidewerden, naeh Wegen, aueh unkonventionellen, zu suehen, Betatigungsfelder fUr Arbeitslose zu finden und eine Isolierung der betroffenen Menschen zu verhindern. Verteilungsgerechtigkeit

Verteilungsgereehtigkeit hat zwei Inhalte: Gerechtigkeit bei der Einkommens- und bei der Verm6gensverteilung.

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1. Einkorrunensverteilung betrifft die Lohn-Gewinnrelation. Gerechte Einkommensverteilung setzt soziale Partnerschaft im christlichen Sinne voraus. Grundsatzlich gilt: "So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen".I) Die Verteilung des Produktionsergebnisses ist Aufgabe der am WirtschaftsprozeB beteiligten Menschen, nicht des Staates; das entspricht dem Subsidiaritatsprinzip, das im Begriff "Autonomie" der Sozialpartner enthalten ist. A. Rauscher weist zurecht auf die sprachliche Herkunft der Partnerschaft hin, die uns oft nicht mehr bewuBt ist: "Der Begriff 'Partner' geht auf das lateinische Pars, also Teil, zurUck. Wenn ich Teil sage, dann setzt dies bereits ein Ganzes voraus, von dem etwas Teil ist. .. Partner und Partnerschaft verweisen von vornherein darauf, ... , daB Arbeitgeber... und Arbeitnehmer... nicht gegeneinander und auch nicht nebeneinander her wirken, sondern daB sie Teile eines iibergreifenden Ganzen, Teile der Wirtschaftsgesellschaft sind".2)

Die Partner vertreten ihre 1nteressen im BewufJtsein darauJ. dafJ sie auJeinander angewiesen und dem Ganzen verpflichtet sind. Nicht einseitiges Obergewicht, sondern soziales Gleichgewicht ist anzustreben. Das Verstandnis fUr die Belange des Partners heiBt nicht, die eigenen Interessen zu kurz kommen zu lassen, aber: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Mt 7,12). Gemeinsam ist der Blick auf das Ganze, betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich, gerichtet. Vereinbarungen sind zu vermeiden, die zu lasten Dritter, der Arbeitslosen, der Konsumenten oder Sparer gehen, die den Staat oder die Bundesbank auf den Plan rufen, urn Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die geforderten Maximen haben durchaus nichts Verschwommenes. In den Jahren, in denen der Sachverstandigenrat Gewerkschaften und Unternehmerverbande partnerschaftliche, einsichtige und maBvolle Tarifabschliisse bescheinigen konnte, waren die Erfolge fiir beide Partner am groBten und dem volkswirtschaftlichen Ganzen war am besten gedient. Ohne gegenseitiges Vertrauen, Anerkennung der Leistung des anderen ware nach dem Kriege der Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen. Lohngerechtigkeit orientiert sich u.a. - an der Leistung, im Lohn wird Leistung anerkannt und gefordert, Leistung muB sich lohnen; - am Produktivitatswachstum. Obgleich auch dem Kapitaleinsatz zu verdanken, ist technischer Fortschritt, der Produktivitat hervorruft. nicht allein dem Kapitalgeber zuzuschreiben. Es ist die Gesellschaft, die den technischen Fortschritt hervorbringt. Die Orientierung am Produktivitatsfortschritt sollte eine gesamtwirtschaftliche sein. Schopfen iiberdurchschnittlich produktive Branchen ihre Produktivitat durch LohnerhOhung total ab, bleibt hier kein Raum fiir Preissenkungen. Das Bemiihen urn Lohngleichheit fUhrt dann in anderen Branchen zu LohnerhOhungen, die ihre Produktivitat iibersteigen, was dort zu Preissteigerungen und insgesamt zu Geldwertminderungen fiihrt und dem volkswirtschaftlichen Ganzen schadel. Andererseits sollten Differen1) Enzyklika ,,Rerum novarum", 1891, Nr. 15. 2) Anton Rauscher, Soziale Partnerschaft - unverzichtbar fiir eine freiheitliche Wirtschaftsordnung, 1986, in: Kirche und Gesellschaft, S. 8.

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zen zwischen Mherer Produktivitiit und niedrigerem Lohn von den Untemehmungen zu Preissenkungen, Investitionen oder zur Schaffung neuer Arbeitsplatze flihren und nicht nur zu Extraprofiten. Bibelstellen, die etwas fiber gute und schlechte Arbeitgeber und fiber gerechten und ungerechten Lohn aussagen, sind zahlreich. Die Bibel anerkennt das Eigentum, betrachtet den Reichtum als Gabe Gottes (5. Mose 8.18; 1. Chr. 29,12), aber die Bibel sieht auch die Gefahren, daB der Mensch im Reichtum sich fiberhebt, und den Herro, seinen Gott vergiBt (5. Mose 8.14). Gerade in kleineren und mittleren Untemehmungen, in denen Tarifvertrage eine weniger direkte Rolle bei der Lohnvereinbarung spielen, ist der Untemehmer als Christ gefordert, nach dem gerechten Lohn zu suchen. Wie oft werden Arbeitnehmer ausgenutzt, weil es dem Untemehmer schwer faIlt, selbst bei guter Geschaftslage, sich yom Erwirtschafteten fiber hahere Lohnzahlungen zu trennen. Daran mag auch gedacht sein bei Mt. 19,23, wo Jesus sagt, ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. Neben dem Bemfihen urn den gerechten Lohn kann der Investivlohn ffir die Lohnfindung hilfreich sein. Streit fiber die richtige Tariflohnhahe ergibt sich durch unterschiedliche Einschatzung kfinftigen Wachstums. Der Lohn ist stets zukunftsorientiert. 1st das Wachstum der Wirtschaft haher als von den Tarifpartnem erwartet, erweisen sich die LOhne aus Arbeitnehmersicht - als zu niedrig. 1st das tatsachliche Wachstum niedriger als erwartet, kannen zu hohe LOhne oft schwer verkraftet werden und fiben Druck auf wei teres Wachstum und den Beschliftigungsgrad aus. Der Investivlohn ermaglicht es den Partnem, wenigstens einen Teil der Lohnerhahung der zukiinftigen Entwicklung zu fiberlassen und maBvolle LOhne zu vereinbaren, die auch bei geringem Wachstum verkraftet werden kannen. Entwickelt sich das Wachstum gfinstig, woffir maBvolle Lahne eine gute Ausgangslage sind, entstehen Gewinne, an denen der Arbeitnehmer durch den Investivlohn beteiligt ist. 2. VermOgensverteilung. Die ungleiche Vermagensverteilung kann auch Ursache ungerechter Einkommensverteilung sein, weshalb marxistische Autoren in der Enteignung eine ProblemlOsung sehen. Das Christentum bejaht das Eigentum, wie wir sahen. Doch bleibt die gerechte Vermagensverteilung eine Aufgabe. Die Einffihrung des Investivlohnes kannte - wie gesagt - eine Hilfe sein.

Vorteile des Investivlohnes: - Durch den Investivlohn wird der Arbeitnehmer am Betriebsvermagen beteiligt. - Als Mitbeteiligter fallt es ibm leichter, die Kapital- und Zukunftsinteressen des Betriebes mit seinen Interessen zu verbinden. - Der Investivlohn ist Beteiligungskapital, das wachstumsorientiertes Einkommen schafft. - Durch Investivlohnvereinbarung erleichtert sich die Lohnfindung, was, wie wir sahen, von volkswirtschaftlicher Bedeutung ist. Die Verteilungspolitik der siebziger Jahre kehrt sozialpartnerschaftlichem Denken den Rficken und fallt zurUck in klassenkampferisches Denken des 19. Jahrhunderts. Von Verteilungskampf ist immer haufiger die Rede, und - typisch flir die Einseitigkeit des Den-

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kens - wird die Lohnquote zum MaBstab der Verteilung. Die Lohnquote ist der in Prozenten ausgedrtickte Anteil der Lohnempfanger am Volkseinkommen, das 100 % ausmacht. Lohnquote plus Gewinnquote sind 100 %. Ein Steigen der Lohnquote, also ein Sinken der Gewinnquote, wird als Erfolg der Politik angesehen, obgleich sich bald zeigt, daB eine einseitige Lohnquotenpolitik die Weichen so stellt, daB Wachstum tendenziell sinkt, und daB die Assoziation, wonach eine steigende Lohnquote zunehmenden Arbeitnehmerwohlstand oder steigenden Wohlstand der Nation bedeutet, deshalb fragwiirdig ist, da ein groBerer relativer Anteil an einem schrumpfenden Volkseinkommen ein absolutes Weniger sein kann.

Mitverantwortung, Mitbestimmung und Verteilungsgerechtigkeit Das christliche Bild vom Arbeitnehmer sieht ihn in seiner Personalitat, erwartet von ihm Mitverantwortung. Aus der Mitverantwortung folgt das Recht zur Mitbestimmung. Das Prinzip der Subsidiaritat meint des Arbeiters Mitbestimmungsrecht, das er mit anderen BetriebsangehOrigen ausuben kann: Es sollte das Mitbestimmungsrecht der Betriebsangehorigen nicht ohne Not auf Gewerkschaftsfunktionare, die dem Betrieb nicht angehoren, ubertragen werden. Mitbestimmung muB nicht paritatische Mitbestimmung heiBen, und betriebswirtschaftliche und produktionstechnische Sachfragen konnen nicht durch Sachunkundige gelOst werden. Dr. Rolf H. Kasteleiner, Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer: "Wenn wir die paritatische Mitbestimmung - aus guten Grunden - ablehnen, sollten wir andererseits einen glaubwurdigen Beweis dafiir liefem, daB wir mit ganzem Herzen aIle MaBnahmen unterstutzen, welche die Stellung des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb starken und das soziale Klima in unseren Betrieben mitmenschlicher machen."I) 1m Bereich der Realisierung des Mitbestimmungsrechts ist - insbesondere in kleineren und mittleren Betrieben - ein Umdenken auf Unternehmerseite erforderlich. Viele Untemehmer betrachten Forderungen nach Mitbestimmung mit groBer Skepsis. Weshalb? -

Mitbestimmung wird erlebt als Forderung im Klassenkampf und schafft nicht den Boden fur partnerschaftliches, sondem konfrontatives Handeln.

-

Mitbestimmung wird befiirwortet als Beschrankung der Eigentumsrechte.

-

Sorge hat der Untemehmer vor Mitbestimmung durch betriebsfremde Krafte, moglicherweise sogar gegen die Arbeitnehmerinteressen des Betriebes selbst.

-

Mitbestimmung wird losgelost von der Bereitschaft, Verantwortung zu ubemehmen. Solidaritat und Partnerschaft in den Betrieben aber ist ein christliches Gebot. Dies verlangt

- die Anerkennung der Wiirde der Mitarbeiter, -

das Sich-Offnen flir die Anliegen und Vorschlage der Mitarbeiter,

1) Rolf H. Kasteleiner. in: Vorwort zu: Plesser-Driiger. Das Untemehmen im Dienste des Menschen und der Gesellschaft. Beitrage rur Gesellschaftspolitik. Nr. 11.

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- die Bereitung geeigneter Wege und Moglichkeiten zur Schaffung betrieblicher Transparenz; Schaffung menschlicher Kontakte, - Informationen iiber betriebliche und untemehmerische Ziele, Mittel, Plane und Gelegenheit zur Stellungnahme durch die Belegschaft, - Teilhabe am Betriebsergebnis. Wiinschenswert ware - statt irreversibler LohnerhOhung nach MaBgabe vergangener Produktivitatssteigerung - eine Spaltung des Arbeitnehmereinkommens in Lohn und Teilhabe am Produktivitatsfortschritt mit der Moglichkeit der Beteiligung am Untemehmen (= Investivlohn), wodurch sich das Recht auf Mitbestimmung starken wiirde. Schlu6betrachtung Bei der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege gingen Menschen unterschiedlicher Lebensanschauung aufeinander zu. Die Ablehnung des Christen turns durch die nationalsozialistische Herrschaft lieB man chen dariiber nachdenken, wohin eine Nation ohne Gott und ohne Religion gelangt. Verantwortung in der Politik wurde nun vomehmlich solchen Politikem iibertragen, die iiberzeugte Christen waren. Christlich-soziale Auffassungen fanden sich auch in den Gewerkschaften. Den Klassenkampfparolen und dem Kollektivismus war eindeutige Absage erteilt worden, und manches andere Land beneidete uns urn unseren Arbeitsfrieden und urn un sere Arbeits- und Sozialpolitik, die urn gegenseitiges Verstehen und urn gegenseitiges Anerkennen bemiiht war. Der Wille, der Religion wieder ihren geachteten Platz in unserer Gesellschaft einzuraumen, wird im Grundgesetz und in den Landerverfassungen deutlich. Die SchOpfer der Sozialen Marktwirtschaft standen auf dem Boden des Christentums. In den meisten Untemehmungen, die nach dem Kriege entweder entstanden oder wieder aufgebaut wurden, wachst aber ein Managementgeist, der sich vor allem die wiedergewonnene eigene Freiheit und die des Marktes zunutze macht. Schnelles Reagieren auf einen gleichsam aus dem Nichts entstehenden und sich deshalb schnell andemden Markt ist gefragt: Die mutige kurzfristige Planung gehOrt zum Zeichen gekonnten Managements. Die nachfolgende Managementgeneration, die, der Not gehorchend, schnell, fleiBig, strebsam die Universitatsausbildung durchlaufen hatte, paBte sich rasch dem vorgefundenen hektischen Fiihrungsstil an. Sie formulierte bewuBt die Gewinnmaximierung als das maBgebliche Untemehmungsziel. Nicht selten blieb ein auf Mitmenschlichkeit, gar Partnerschaftlichkeit ausgerichteter Fiihrungsstil eine Unbekannte. Der Sozialaspekt des Modells der Sozialen Marktwirtschaft erlitt im Blick manch eines Untemehmers eine Verengung: Durch meine, des Untemehmers Anstrengung und Risikobereitschaft entstehen Arbeitsplatze, entsteht Arbeitsplatzsicherheit, sind Lohnsteigerungen moglich, und somit erhalt der Arbeitnehmer geradezu automatisch seinen Teil. Dariiber hinaus ist es Sache des Staates, gravierende Ungerechtigkeit durch Sozial- und Fiskalpolitik zu iiberwinden. Die Arbeitnehmer gewohnen sich einerseits an die dank zunehmender Arbeitsteilung und Produktivitat moglichen Einkommenssteigerungen, leiden andererseits unter dem vielfach anzutreffenden autoritaren Fiihrungsstil, dem Informationsmangel, einem Leben als Befehlsempfanger und unter der zunehmenden Arbeitsteilung. Betriebspsychologen, die innerbetriebliche Spannungsverhaltnisse entstchen schen, entwickeln Manage-

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mentmethoden, die den Fiihrungsstil andern sollen. Doch es dauert lange, bis in Unternehmungen A.nderungen zu spiiren sind. Management by Participation, Management by Motivation etc. werden mehr zu Schlagworten, als daB sie Gestalt annehmen. Dort, wo neue Fiihrungsstile versucht werden, begegnet man ihnen nieht selten mit Skepsis. Warum? Aus christlieher Sieht kein Wunder. Manch Managementseminar macht die Denlcfolge - verkiirzt - deutlich: Der Arbeitnehmer, der sieh angesprochen fiihlt, der in bescheidenem Umfang auch seine Meinung sagen darf, ist motivierter; er leistet mehr und hilft, das Ziel der Gewinnmaximierung zu erreichen. - Solange aber die Gewinnmaximierung einzige Prioritat bleibt, kommen Menschenwiirde und Nachstenliebe zu kurz: 1m 1. Brief des Paulus an die Korinther (1. Korinth. 13) heiBt es: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hatte der Liebe nicht, so ware ich ein tOnend Erz oder eine klingende Schelle."

Die AuJgabe eines christlichen Unternehmers ist es, "jedem Arbeitnehmer die Arbeit durch Teilnahme an Entscheidungen, Ubertragung von Verantwortung am Arbeitsplatz und durch kooperativen Fahrungsstil, durch Forderung von Kreativitiit und Initiative so sinnvoll wie m6glich zu gestalten; die Beziehung seiner Leistung zu den Zielen des Betriebes und der GeselischaJt immer wieder darzustellen und die LeistungsbereitschaJt aber das zur Existenz notige Verdienststreben hinaus zu motivieren." 1) Ein moderner Fiihrungsstil setzt die Vorbildfunktion des Unternehmers voraus, gemeint ist das wahrhaftige Vorbild, kein Mittel-zum-Zweck-Verhalten.

Der Staat soli in einer sozialen MarktwirtschaJt den Wettbewerb sichern, die Privatinitiative mobilisieren, den sozialen Fortschritt Jordern, den Mij3brauch der Vertragsfreiheit und des Privateigentums verhindern, wobei sie von den Steuerungsmitteln verlangt, daft sie "m ark t k 0 nJ 0 r m" (Ropke) sind, d.h., die Steuerungsmittel darJen den Preismechanismus und die Selbststeuerung des Marktes nicht aufheben.

VI. Wirtschaftliche Grundbegriffe Urn MiBverstandnisse zu vermeiden, wollen wir uns iiber einige Begriffe klarwerden, andere werden wir im Laufe der Darstellung am Anfang der einzelnen Kapitel kurz erklaren. 1) Werner Drager, Hurnanisierung der Arbeit, in: Plesser-Driiger, Das Unternehmen im Dienste des Menschen und der Gesellschaft, (vgl. Ziffer 1 S. 63), S. 41.

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

1. Bediirfoisse Bedurfnis ist "das Gefuhl eines Mangels mit dem Streben. diesen zu beseitigen" (v. Hermann). Das Wesen un serer Bediirfnisse kann verdeutlicht werden, indem wir nach unterschiedlichen Gesichtspunkten die Bediirfnisse einteilen.

a) Eioteiluog der Bediirfoisse Eioteiluog oach der Drioglichkeit a) Nahrung b) Kleidung c) Obdach d) Bildung

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a) Existenzbediirfnisse b) Kulturbediirfnisse c) Luxusbediirfnisse

e) ..... Die Verbindungslinien sollen erkennen lassen, daB sich die einzelnen Bediirfnisse Nahrung, Kleidung usw. nieht nur unter einer der rechtsstehenden Bediirfnisgruppen einreihen lassen, vielmehr jeder der rechtsgenannten Gruppen zugeordnet werden kOnnen. Jede Zeit, jede Epoche hat ihren Stil; die Kleidung kann Ausdruck einer bestimmten Lebensauffassung sein; sieh dieser Lebenseinstellung entsprechend kleiden zu wollen, ist ein Kulturbediirfnis, besonders aufwendig und elegant gekleidet sein zu wollen kann als Luxusbediirfnis angesehen werden. Je wohlhabender die Menschen in einer Volkswirtschaft werden, urn so weniger wird ihnen bewuBt, daB das Bediirfnis, sieh zu kleiden, einst nur Existenzbediirfnis war. So werden wir denn auch von der Werbung entsprechend angesprochen. Wir werden nieht daran erinnert, daB wir im nachsten Winter ohne neuen Mantel werden erfrieren mussen, sondem daB es un serer gesellschaftlichen Stellung entspricht, einen der neuen Mode entsprechenden Mantel zu tragen. Dariiber hinaus wandeln sieh die Aspekte, unter denen wir eine Ware betrachten, und dieser Wandel wird ebenfalls forciert, indem die Werbung dartut, daB eine Ware, gestem noch Luxus, heute kein Luxus mehr sei, der modeme Mensch konne gar nicht mehr ohne sie auskommen; es wird uns suggeriert, die Ware befriedige ein Existenzbedurfnis. Die Sozialisten hatten einst unter Existenzbediirfnis tatsachlich jene Bediirfnisse gemeint, die bei nieht Nichtbefriedigung das ,,Bnde" bedeuteten, und so starben einst in den heute hochentwiekelten Volkswirtschaften Menschen vor Hunger. Meinten also die Sozialisten wirklich das Existenzminimum, tauchte spater der Begriff des psychischen Existenzminimums auf: der Mensch lebt nicht vom Brot aIlein.

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Einteilung nach der Wiederkehr a) Einmalige Bediirfnisse b) Wiederkehrende Bediirfnisse Oberdauerte bei unseren GroB- und UrgroBeltem manche Anschaffung, etwa die Wohnungseinrichtung, eine Generation und stellte somit ein einmaliges Bediirfnis dar, wahrend die tagliehe Nahrung ein wiederkehrendes Bediirfnis ist, fallt es uns heute schwerer, einmalige Bediirfnisse zu finden. Manche Produktionsweise wird heute darauf abgestellt, daB ein zunachst als einmalig erscheinendes Bediirfnis wiederkehrt, indem immer mehr Giiter mit einstigem Gebrauchscharakter zum Verbrauchsgut werden. "Ofter mal was Neues" suggeriert die Werbung heute - nieht nur bei Textilien. Bediirfnisse, die mit ihrer Befriedigung andere Bediirfnisse hervorrufen Erst nachdem das Wirtschaftssubjekt sieh zum Kauf eines Teppiehs, eines Pkw, einer Pfeife entschlossen hat, entsteht das Bediirfnis nach einem Staubsauger, nach Treibstoff bzw. nach Pfeifentabak. Das Kennen dieser Beziehung ist fUr die Hersteller jener Giiter wiehtig, die erst sekundar nachgefragt werden: Aus dem Umsatz oder erwarteten Umsatz des primar nachgefragten Gutes konnen Riickschliisse auf die GroBe der Nachfrage nach dem Sekundargut gezogen werden. Wer beispielsweise noch keinen Pkw besitzt, vermag die Frage leiehter zu beantworten, ob er in der nachsten Wirtschaftsperiode einen Pkw zu kaufen gedenkt, weniger dagegen, wieviel Benzin er voraussichtlich verfahren wird. Einteilung nach der Bezogenheit a) Individualbediirfnisse: Sie gehen aus yom einzelnen Wirtschaftssubjekt (Nahrung, Kleidung). b) Kollektivbediirfnisse: Sie entstehen im Zusammenleben der Menschen und mit der fortschreitenden Entwieklung, z.B. das Bediirfnis nach StraBen- und Schulhausbau, Krankenhausem, nach Schutz und Sieherheit durch das Gemeinwesen. 1m Geschichtsablauf laBt sieh ein Wandel von a) nach b) feststellen, wobei sich der Inhalt der Bediirfnisse wandeln kann. Die Beratung durch den Arzt ist zunachst ein individuelles Bediirfnis; indem aber die Industrie medizinische Apparaturen anbietet, die weder der Patient anschaffen noch der Arzt besitzen kann, entsteht das kollektive Bediirfnis der Anschaffung durch die Gemeinschaft und Installierung in einem Krankenhaus. Nur in weitestem Sinne ist das Bediirfnis das gleiche geblieben, namlich das Bediirfnis, gesund zu werden oder fUr den Krankheitsfall versorgt zu sein. b) Befriedigung der Bediirfnisse

Bediirfnisse konnen nicht mit Bedarf gleichgesetzt werden, "das Bediirfnis ist keine oko-

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

nomische, sondem eine psychologische Gr6Be, die lediglich neben anderen Faktoren bedarfsbestimmend wirkt und wirken kann. Wir wollen unter Bedarf vielmehr die am Markt tatsachlich auftretende Nachfrage verstehen." (Schafer).

Die Knappheit der duter und die Knappheit der Mittel zum Erwerb der Guter fuhrt dazu. dafJ unsere Bedurfnisse nur tei/weise befriedigt werden konnen. Das Wirtschaftssubjekt hat also die Bedurfnisse zu gewichten, um dadurch eine Auswahl treffen zu kannen. Die nachfolgende Tabelle von Carl Menger (1840-1921) zeigt uns die Bediirfnisarten I bis X, wobei das Bediirfnis I das wichtigste, deshalb mit der Intensitat 10 empfundene und das Bediirfnis X das am wenigsten wichtige und deshalb nur mit der Intensitat 1 empfundene isL

II

10 9 8

7 6 5 4 3

2

III

9 8 7 6 5 4 3

2 1 0

8

7 6 5 4 3

2 1 0

VI

IV

V

7 6

6

5

5

5

4 3 2 1 0

4 3 2

4 3 2

VII

VIII

4 3 2

3 2

IX

X

2 0 0

0 0

0

0

0 Darstellung 2 Erkentnnisse und Folgerungen aus der Tabelle:

1. Wir empfinden die verschiedenen Bediirfnisse unterschiedlich stark (Intensitat 1-10). 2. Beginnen wir mit der Befriedigung eines Bediirfnisses, nimmt die Intensitat ab, d.h., die erste Teilmenge Brat, die wir zu uns nehmen, das erste Paar Schuhe, das wir kaufen, haben einen gr6Beren Nutzen als die folgenden Teilmengen. 3. Je gr6Ber die Giitermenge ist, die uns zur Bediirfnisbefriedigung zur Verfiigung steht, desto geringer ist der Nutzen der letzten Teilmenge (= G r e n z nut zen), d.h., mit jeder weiteren Giitereinheit, mit der wir ein Bediirfnis befriedigen, sinkt der Grenznutzen (= "Gesetz des abnehmenden Grenznutzens" = "Erstes Gossensches Gesetz oder "G 0 sse n s c h e s Sat t i gun g s g e set z" nach Hermann Heinrich Gossen, 1810-1859). 4. Mit dem Zeitablauf nach einer Teilbefriedigung wachst das Bediirfnis wieder an, die

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Ausgangsgr6Be bei einer neuen Teilbefriedigung und der Nutzen der Teilbefriedigung sind aber umso kleiner, je rascher sich die Wiederholung des Genusses vollzieht. 5. Mit der Teilbefriedigung eines Mherrangigen Bedilrfnisses erhalten wir Nutzengleichheit mit der Anfangsintensitat eines niederrangigen Bedilrfnisses. 6. Ein Wirtschaftssubjekt handelt rational, wenn es seine Mittel zur Bedilrfnisbefriedigung so einsetzt, daB am Ende aile teilbefriedigten Bedilrfnisse bis zum gleichen Grenznutzen befriedigt sind (= G e nuB a u s g lei c h s g e set z, ,,zweites Gossensches Gesetz"). In der Tat sehen wir es als unvemilnftig (nicht rational) an, wenn ein Wirtschaftssubjekt ohne Wohnung, die der Bedilrfniskategorie II entsprechen m6ge, sein gesamtes Einkommen in der Emahrung (Bedilrfniskategorie I) anlegte, und dieses Bedilrfnis bis zur Intensitiit 0 befriedigte. R6pke veranschaulicht das erwartete Verhalten an einem Beispiel:

"Wir sehen den Vorgang in voller Deutlichkeit bei einem so trivialen AnlaB wie dem des Kofferpackens fijr eine Reise. Da wir nicht unsere ganze Habe mitnehmen konnen, uberlegen wir uns zunachst, welche Dinge wir am dringendsten brauchen (Auswahl), zugleich aber wagen wir ein Mehr an Hemden gegen ein Weniger an Schuhen, ein Mehr an Buchern gegen ein Weniger an Anztigen so gegeneinander ab, daB alles in einem vernunftigen Verhrutnis zueinander steht (Begrenzung). Es klingt ein wenig komisch, aber es ist tatsachlich so, daB der Koffer dann ideal gepackt ist, wenn das Niveau des Grenznutzens rur die Anzuge, Hemden, Socken, Taschentucher, Schuhe und BUcher gleich hoch und htiher als der Nutzen der zuruckgelassenen Gegenstande ist."

1m Zusammenhang mit der Wert- und Preislehre gehen wir auf die hier nur angeschnittenen Fragen noch ein.

2. Giiter Gilter sind Mittel der Bedilrfnisbefriedigung. Ublicherweise wird zwischen a) freien Giltem (Luft, Wasser) und b) knappen Giltem unterschieden. Diese Unterscheidung erscheint jedoch nicht das Wesentliche zu erfassen, da - das Wasser macht es deutlich - es von den Urn standen abhangt, ob wir ein Gut zu den freien oder den knappen Giltem zu zahlen haben. Okonomisch interessant sind nur die knappen Gilter. Vergleichen wir unsere Bedilrfnisse mit den zur Befriedigung bereitstehenden GUtem, so scheint es, daB die Bediirfnisse sich stets rascher vermehren, als Gilter produziert werden konnen. Die meisten Lander sind mit Giltem in immer groBerem Umfang versorgt, aber das h6here Produktionsniveau laBt einen stets wachsenden Lebensstandard entstehen, so daB die Gilter immer knapp bleiben werden; Gilter, die friihere Generationen gar nicht kannten, "brauchen" wir heute. Die uns interessierenden "w i r t s c h aft lie hen Gilt e r" milssen folgende E ig ens c h aft e n haben: - Niltzlichkeit und deshalb

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Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik - Knappheit, - Ubertragbarkeit

Zu den Giitem zahlen aueh die immateriellen Giiter: die Dienstleistungen. Wir spreehen deshalb kiinftig nieht von Giitem und Dienstleistungen, sondem sehen letztere in ersteren enthalten. Selbst ein Violinkonzert, gespielt von Yehudi Menuhin, ist knapp, niitztlieh und - sonst hatten wir niehts davon - iibertragbar. Das Talent, die Genialitat des Geigers hingegen ist zwar aueh "knapp und niitzlieh", jedoch nieht iibertragbar, kann somit nieht Gegenstand unserer okonomisehen Betraehtung werden. Einteilung der Giiter

1. Nach der Entfernung vom Konsum unterseheiden wir konsumreife Giiter oder Giiter 1. Ordnung, Giiter 2., 3. Ordnung, die sieh irn ProduktionsprozeB erst der Konsumreife nahern, und "Produktionsgiiter hoehster Ordnung" (Menger), das sind die urspriingliehen Produktionsfaktoren Boden und Arbeit, die erst in den ProduktionsprozeB eingesetzt werden, urn Kapital, beispielsweise Masehinen (= produzierte Produktionsmittel = abgeleitete Produktionsfaktoren), oder Konsumgiiter zu erzeugen. Ein und dasselbe Gut, z.B. der Koks, kann fiir den Konsumenten Konsumgut und fiir den Produzenten, z.B. das Stahlwerk, Produktionsmittel, also ein Gut haherer Ordnung, sein. 2. Nach der Lebensdauer: a) Anlagekapital, das mehrere Perioden iiberdauert, z.B. die Drehbank in der spanenden Fertigung. b) Zirkulierendes oder Umlaufkapital, das nur wenige, meist nur eine Periode iiberdauert, z.B. der abzudrehende Stahl. 3. Nach der Zahl der Verwendungsmoglichkeiten: a) Frei verwendbare Giiter, z.B. die Kohle, der Bleistift. b) Spezifisehe Wirtsehaftsgiiter, z.B. der Behandlungsstuhl eines Zahnarztes, die WalzstraBe irn Bleehwalzwerk. Diese Unterteilung kann gesamtwirtsehaftlieh wie aueh betriebswirtsehaftlieh von erheblieher Bedeutung sein. Je spezifiseher beispielsweise die Einriehtung einer Unternehmung ist, urn so haher kann Dank ihrer Spezialisierung die teehnisehe Produktion sein, desto groBer ist aber aueh ihre Markt- und Konjunkturabhangigkeit. Die Unterseheidung hat oft fiir das Kreditinstitut praktisehe Bedeutung, wenn ihm Giiter zur Sieherungsiibereignung angeboten werden. In Krisenzeiten oder beim Konkurs einer Untemehmung kann der Satz gelten: Je spezifiseher das Wirtschaftsgut, desto geringer der Beleihungswert bzw. der Versteigerungserlos. Die Zuordnung istjedoch nieht als absolut anzusehen, sie ist vielmehr relativ; im Vergleieh zur Drehbank ist eine elektri-

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sche Schreibmaschine ein fast allerorts verwendbares Wirtschaftsgut, im Vergleich zur Reiseschreibmaschine mag die Bfiroschreibmaschine als spezifischer angesehen werden. Ob Geld, Aktien, Goodwill oder eine Lizenz als Gliter zu betrachten sind, ist eine Frage des Standorts des Betrachters. Dem Untemehmer sind alle diese Dinge nlitzlich, knapp, libertragbar; sie sind also ffir ihn wirtschaftliehe Gliter, weshalb wir von individuellen Glitem sprechen. Der Nationalokonom, der die Addition aller in der Volkswirtschaft wahrend einer Wirtschaftsperiode produzierten Gliter (Sozialprodukt) vornimmt oder durch Addition das Volksvermogen ermitteIt, darf - urn Doppelzahlungen zu vermeiden - diese individuellen Gliter nicht als zu addierende Gliter einbeziehen.

3. Wirtschaftliche Entscheidungen 1m Zusammenhang mit un serer Darstellung der von den Klassikem benutzten Modellfigur des Homo oeconomieus, die stets, yom gleichen Motiv, dem Egoismus, geleitet, rational handelt, haben wir das Problem des Verhaltens der wirtschaftenden Menschen und ihrer Entscheidungen bereits angesprochen.

Die herkommliche Wirtschaftswissenschaft spricht von rationalem Handeln, wenn das Verhalten zweckhaft. verstehbar ist. Irrationales Handeln ist gefiihlsmaBiges, emotionales, nicht verstehbares Handeln. Die Psychologie, die sieh eben falls mit dem Verhalten der Menschen beschaftigt, akzeptiert diese Begriffsbestimmung nicht; es gabe, sagen die Psychologen, kein menschliehes Verhalten, das nicht irgendwie verstanden werden konne. Obgleieh in diesem Punkte sich NationalOkonomie und Psychologie mit dem gleichen Untersuchungsobjekt, namlich dem menschlichen Verhalten, beschaftigen, lebten sieh beide Wissenschaften auseinander, da seitens der Nationalokonomie befiirchtet wurde, daB die der Psychologie eigenen Individualuntersuchungen zu einer derartigen Komplexheit, zu einer solchen Vielfaltigkeit flihrten, daB man sieh im Dschungel der individuellen Vielgestaltigkeit verlieren wlirde. a) Bestimmung der Verhaltensweise 1m Mittelpunkt modemer nationalOkonomischer Verhaltensforschung steht einmal das I n d i v i d u u m und sein Verhalten, dann die Suche nach der Reg elm a Big k e i t des individuellen Verhaltens. Die Frage nach der RegelmaBigkeit fiihrt den Betrachter bereits zur G r u p p e, zur Gruppe der Arbeiter, der Untemehmer, der Konsumenten mit geringem oder hohem Einkommen usw. Wir erkennen, daB die GruppenzugehOrigkeit auch die Mot i v e der Wirtschaftssubjekte bestimmt. Langst wissen wir, daB es nieht die okonomische Erfolgsmaximierung allein ist, die die Handlungen motiviert. Murray nennt dariiber hinaus: Angriffslust, Autonomie, Distanzierungsstreben, Gesellung, Herrschaftsstreben, Hilfsbereitschaft, Leistungsstreben, Nachgiebigkeit, Rechthaberei, Schaustellung, Schutzsuche, Selbstemie-

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Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik

drigung, Sexualitat, Sinnesfreudigkeit, Spielfreude, Streben nach Anerkennung, Streben nach Ordnung sowie Vorsicht. Nach den Motiven sind die E ins tell u n g e n zu beach ten. Man hat sie als verallgemeinerte Beurteilungsgesichtspunkte bezeichnet, auf die es zuriickzufiihren ist, daB uns bestimmte Situationen gefallen oder miBfallen (Katona). AuBer den Motiven und Einstellungen sei noch der B e z u g s r a h men beriicksichtigt, der unsere Wahmehmungen und unser Verhalten ilber langere Zeit beeinfluBt 1. Beispiel: Ich here aIs leidenschaftlicher Alkoholgegner, daB der EinfuhrzoIl fUr aIkoholische Getriinke beachtlich angehoben werden soIl.

Da ich Freude daran finde, andere Menschen zu meiner Dberzeugung, hier zur Abstinenz, zu bekehren - das ist mein Mot i v im Verhalten zu anderen Menschen -, stimme ich dem Regierungsplan zu. Aus meiner E ins tell u n gals Abstinenzler, daB der GenuB von Alkohol schiidlich ist und der lctinftig hohe Preis die Menschen vom Konsum abhaIten konnte, bejahe ich die Aktion. Und nun zum B e z u g s r a h men: AuBerdem weiB ich ais politisch und finanzwirtschaftlich orientierter Mensch, daB der Staat in seinem stets einnehmenden Wesen die neuen, durch die Aktion erschlossenen Mittel gut gebrauchen kann, so daB ich auch deshalb die staatliche Einnahmequelle bejahe.

2. Beispiel: Ich trage mich mit dem Gedanken, ein Auto anzuschaffen. Mot i v: Ich spare Zeit bei der tiiglichen Fahrt ins Geschlift, kann sonntags mit der Familie ins Grone fahren. E ins tell u n g: Ich giaube, daB ein Auto ein Statussymbol ist, d.h., man muS schon wegen der anderen - Kollegen oder Nachbam - einen Wagen haben, weil man sonst weniger scheint, aIs man ist - oder sein mochte.

B e z u g s r a h men: Ich giaube, daB es im iibrigen gut ist, wenn das Geld unler die Leute kommt, d.h., wenn man viel konsumiert, damit arbeitssuchende Menschen beschliftigt werden und die Volkswirtschaft einen Auftrieb erhiilt.

Wir sehen, wie vielschichtig unsere Verhaltensweisen bestimmt sind. Die Psychologen sehen uns in einem Feld mit einer bestimmten Struktur, aus dem heraus wir als Konsumenten, als Untemehmer oder Politiker handeln ("p s y c hoi 0 g is c h e s Fe I d"). Was bestimmt nun die Struktur des psychologischen Feldes? Einmal die kulturelle Umwelt, wobei wir den Kulturbegriff hier recht weit fassen, wie das seit einigen Jahren in diesem Zusammenhang ilblich geworden zu sein scheint. Gewisse Gilter konnen in ihrer kulturellen Wertung s y m b 0 lis c h e Bedeutung - symbolische D e u tun g haben. Albert Lauterbach erzahlt von dem "italienischen Einwanderer in New York, der

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seine Spaghetti weiteriBt, nicht nur, weil sie ihm schmecken oder ein billiges Nahrungsmittel sind, sondem weil darin Neapel fiir ihn irgendwie weiterlebt. Sein Sohn, der hundertprozentiger Amerikaner sein will, wird vielleicht dieses Nahrungsmittel gerade aus diesem Grunde ablehnen, selbst wenn der Marktpreis noch so giinstig ist." Oder ein anderer Gesichtskreis: Die Konsumgewohnheiten sind bei den verschiedenen Volkem unterschiedlich, und dies oft aus ihrer Kultur, aus ibrer Tradition, aus ihrer Einstel1ung, aus ihrer Lebenseinstellung. Wir kennen Volker, bei denen die Giiter recht individuell bestimmt werden, besonders bei der Oberschicht, wahrend andere Volker, so die Amerikaner oder von ihnen beeinfluBte Volker, bewuBt den Klassenunterschied aufheben und ihren Verbrauch standardisieren. 1m Sich-Geben und Sich-Zeigen gleichen sich die Gesellschaftsschichten aneinander an: Die Hausangestellte geht als Dame gekleidet sonntags aus, der Arbeiter, in der Garderobe von seinem Chef nicht zu unterscheiden, fahrt mit seiner Familie im eigenen Wagen und mBt sich in einem Ausflugsrestaurant von Kellnern bedienen, wahrend sein Chef hemdsarmelig - der Gesundheit wegen - seinen Rasenmaher betlitigt oder im blauen Anton - des Hobbys wegen - seinen Wagen auseinandernimmt. Soweit die mehr soziologische Seite - und die wirtschaftliche? Die Standardisierung gestattet die Massenproduktion; wahrend mancher Konsument in den 20er und 30er Jahren beim Wort Massenproduktion - etwa der Bekleidungskonfektion - die Nase riimpfte, wird heute nicht ohne Stolz auf das infolge der Massenproduktion so betrachtlich gestiegene Sozialprodukt hingewiesen. Luxusgiiter von einst werden heute massenhaft produziert, und der Konsument beansprucht sie als Selbstverstandlichkeit. Hans Freyer: Unseres Zeitalters Gott ist der Lebensstandard, und die Produktion ist sein Prophet. Selbst wenn das Individuum unabhangig zu handeln glaubt, ist es doch haufig die G r u p p e, in der es lebt, die bestimmt, welche Giiter iiberhaupt, welche heute, welche spater erworben werden. Je nachdem, ob sich das Individuum im Mittelpunkt der Gruppe fiihlt oder nur am Rande steht, ist sein Handeln starker oder weniger stark beeinfluBt. Als Gruppe nehmen die Familie, die Berufsgruppe, der Verein, dem das Individuum angehort, ja selbst sein Yolk auf sein Handeln EinfluB. Es kann beispielsweise Familiengrundsatz sein, daB "man" nicht auf Raten kauft. Die GroBenklasse des Wagens, den man fahrt, die GroBe des Hauses, der Wohnung konnen von der Berufsgruppe mehr als vom individuellen Bedarf bestimmt sein, von dem die herkommliche Theorie ausgeht. Bei der Untersuchung des Konsums von teuren, langlebigen Wirtschaftsgiitem wird sich ein Unterschied zeigen zwischen dem Verhalten von landlichen, kleinstadtischen und groBsmdtischen Konsumenten. In der Kleinstadt kennen die Menschen einander und schatzen einander durchaus richtig ein; der GroBstadtmensch, so scheint es, braucht gewisse AuBerlichkeiten, die anderen helfen sollen, ibn zu bewerten, AuBerlichkeiten, die seine Stellung, seinen S ta tu s darstellen sollen, wir sprechen von S tat u s s y m b 0len. Selbst das Yolk kann als groBe Gruppe motivschaffend sein. 1m Hinblick auf das Zeichnen von Kriegsanleihen in den USA berichtet Katona, man hatte nicht der Zinsen wegen

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gezeichnet, d.h. gespart, sondem fiir den Bau von Flugzeugen, Panzem und Schiffen oder einfach, "damit die Boys da drauSen mit Munition versorgt werden konnen". Bei der Befragung der Wirtschaftssubjekte stellen wir fest, daB sich die gruppenbestimmten Vorstellungen so sehr mit dem isoliert individuellen Bediirfnis verschmelzen, daB letzteres praktisch allein gar nieht mehr deutlich ist

b) Einteilung der Entscheidungen 1m Hinblick auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte konnen wir mit Katona echte Entscheidungen und das habituelle Verhalten unterscheiden.

Echte Entscheidungen Hier steht der Mensch vor einer neuen Situation mit einem neuen Problem, das es zu losen gilt; es kann sieh urn die Verfulderung des psychologischen Feldes handeln, das dem Menschen eine Entscheidung abverlangt. Beispiel: Die Baupreise sind so hoch, daB an den Bau des ursprunglich geplanten Hauses nicht zu denken ist. Das Wirtschaftssubjekt trifft die Entscheidung, eine Eigentumswohnung zu kaufen. obgleich es bislang von dem Ersatzwert nicht ilberzeugt war und auBerdem die Eigentumswohnung seinem Ideal und seinen ursprilnglichen Wunschvorstellungen nicht entspricht.

Mag sein, daB die Werbung von Bauuntemehmen, das Beispiel anderer der gleichen Gruppe oder die Forderaktion des Staates meinungsandemd gewirkt haben. Derartige echte Entscheidungen treffen wir nieht taglich.

Das habituelle Verhalten Das habituelle Verhalten, d.h. iibliches alltagliches Verhalten, das sich standig wiederholt, ist starres Verhalten, Routine. Echte Entscheidungen konnen habituelles Verhalten nach sieh ziehen oder durch Wiederholung zu habituellem Verhalten werden. 1. Beispiel: Der erste AbschluB eines Bausparvertrages ist eine echte Entscheidung, das Motiv mag die Moglichkeit des spliteren Bauens sein, oder die Bausparprlimie war nur das Motiv. Oberweise ich anschlieBend monatlich auf das Bausparkonto, liegt habituelles Verhalten vor.

2. Beispiel: Ein Autokauf ist eine echte Entscheidung; jedes 2. Jahr einen neuen Wagen zu kaufen, damit der Kaufer des alten die nun anfa1lenden Reparaturkosten tragt, wird zum habituellen Verhalten. AuBerdem ist die echte Entscheidung von habituellem Verhalten begleitet: 1st der Autokauf eine echte Entscheidung, ist das Benzintanken habituelles Verhalten.

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Fiir die Frage der RationaliUit ist dabei interessant, daB das habituelle Verhalten oft so starr und ungepriift wird, daB man es im okonomischen Sinne nicht mehr rational nennen kann. Ein amerikanischer Wirtschaftsbericht aus dem Jahre 1943 berichtet, daB aus alter Gewohnheit noch im Jahre 1942 bis Januar 1943 Einzelhandler fiir Bekleidung, Schuhe und Mobel SaisonschluBverkaufe zu herabgesetzten Preisen durchfiihrten, als die Giiterbeschaffung bereits problematisch war. Die Unterscheidung zwischen echten Entscheidungen und habituellem Verhalten hat unter anderem fiir Prognosen fiir wirtschaftliche Teilbereiche ausgesprochen praktische Bedeutung. Beispiel: Wer einen Ratensparvertrag, einen Lebensversicherungsvertrag, einen Ratenkaufvertrag, einen Mietvertrag usw. abgeschlossen hat und nun laufend Zahlungen leistet (habituelles Verhalten), wer als Unternehrnen einst fixe Belastungen hat entstehen lassen, pflegt im FaIle einer Einkommensverminderung zunachst die gewohnten Zahlungen weiterhin zu leisten. Neuanschaffungen, Neueinstellungen von Arbeitern, Neuaufnalune von Krediten, Produktionserweiterungen dagegen verlangen echte Entscheidungen und werden im Konjunkturruckgang hinausgezogert. Daraus folgt, daB solche Unternehrnungen konjunkturabhangiger sind, die Gilter produzieren, denen gegenilber wir uns mit echten Entscheidungen verhalten. So ist die Konjunkturempfindlichkeit der Pkw-Produzenten weit groBer als die der Lebensmittelproduzenten. Hinter der Werbung der Pkw-Produzenten, den Pkw zu leasen statt zu kaufen, steht u.a. das Bemilhen, aus einer echten Entscheidung habituelles Verhalten werden zu lassen. Filr den Produzenten verringert sich die Konjunkturabhangigkeit besonders bei jener Leasingform, welche die jiihrliche Obernalune eines neuen Wagens vorsieht. Dem AbschluB des Leasingvertrages (echte Entscheidung) folgen monatliche Zahlungen (habituelles Verhalten), aber auch die konjunkturunabhangige Obernalune eines neuen Wagens, z.B. in der Rezession.

c) Zusamrnenfassung (1) Die wirtschaftenden Menschen gleichen einander in ihrem Verhalten nicht so, daB wir von e i n e r Modellfigur ausgehen konnen.

(2) Auch der wirtschaftende Mensch ist in seinen Handlungen nicht nur von e i n e m Mot iv, dem Erfolgsmotiv, bestimmt, vielmehr getrieben durch manche Motive, die sich gegenseitig iiberlagern, versUirken oder abschwachen konnen. (3) Die Motive werden bestimmt von den Gruppen, in denen der Mensch lebt oder zu denen der Mensch Beziehungen hat. Mal iiberwiegen bei seinen Vorstellungen die IchVorstellungen, mal ist sein Handeln bewuBt gruppenbestimmt, wir sprechen von WirSituationen, yom Wir-Verhalten ("wir Kaufleute", "wir Bauern", "wir Deutschen"). (4) Ein Wirtschaftssubjekt, das nach dem wirtschaftlichen Prinzip verfahrt, handelt rational. Die angestrebten Ziele werden von der Gesellschaft mitbestimmt und unterliegen einem Wandel; somit verandert sich auch der MaBstab, nach dem wir eine bestimmte Handlungsweise als rational oder nicht rational beurteilen. Je preis- und einkommensabhiingiger ein Verhalten ist, desto eher kann man davon ausgehen, daB rationales Verhal-

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ten vorliegt. Impulsverhalten ist nieht rationales, aber doch verstehbares Verhalten, es kann sieh auch auf eine rationale Vorentscheidung grunden. (5) Die Theorie ist starker als bisher zu unterstiitzen und zu modifIzieren, wirklichkeitsnIDler zu machen durch die empirische Forschung, die sich auch bei uns in Deutschland mehr der Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie bedienen soUte. Aus dem Homo oeconomicus muB in unseren Betrachtungen der Homo sociologicus, um mit dem Buchtitel von Ralf Dahrendorf zu sprechen, werden: Die Marktforschung lasse sieh befruchten von der Sozialforschung!

c. Volkswirtschaftspolitik Die Wirtschaftspolitik freiheitlicher Wirtschaftsordnungen steht im Spannungsfeld zwischen zwei Prinzipien: dem Freiheits(Individual)prinzip und dem Kol/ektivprinzip. Es gilt, in der Wirtschaftspolitik nach Mitteln, nach Instrumenten zu suchen, die in der Wirtschaft bestimmte, gewtinschte Veranderungen herbeiftihren. Veranderungen sind aber meist nicht von allen Wirtschaftssubjekten gleichermaBen gewtinscht. Nicht aile haben gleichen Nutzen an ihnen, auch sind nicht aIle gleichermaBen durch sie belastet. Selbst ein so allgemein anerkanntes Ziel wie das der Geldstabilitat hat beispielsweise fUr manchen Kreditnehmer keine besondere Attraktion, kann er doch seine Schulden im FaIle der Inflation leichter zurilckzahlen als bei stabiler Wahrung. Das Interesse des Staates und der Bundesbank gilt in der Regel der Gesamtheit: Arbeit fUr aile, Einkommen fUr aIle, W ohnungen fUr aIle; gemeint sind aber oft die wirtschaftlich Schwachen, denen geholfen werden solI. Hat der Staat fUr seine Politik Aufwendungen zu machen, liegt es nahe, daB er sich bei der Mittelbeschaffung an denjenigen halt, der tiber die Mittel verftigt. Besteuert er die groBen Einkommen, urn der Gesamtheit zu ntitzen (Kollektivprinzip), so soIlen sich aIle Trager der Wirtschaftspolitik, Staat, Bundesbank und auch die Gewerkschaften, darilber einig sein, daB das Wohlergehen der gesamten Volkswirtschaft schlieBlich von den einzelnen abhangt, besonders von denjenigen, die als Untemehmer fortschrittssuchend und risikobereit willens sind, ihre Arbeitskraft und ihr Vermogen einzusetzen. Ein soIeher Einsatz kann aber nur erwartet werden, wenn dem einzelnen nicht nur das Risiko aufgebUrdet wird, sondem ihm auch die Chance des angemessenen Gewinns bleibt. Wird dem Untemehmer der erwirtschaftete Gewinn weggesteuert, erlahmt seine Dynamik, und der gesamten Wirtschaft ist ein schlechter Dienst erwiesen. So hat der Wirtschaftspolitiker stets abzuwagen zwischen dem Einzelinteresse (Individualprinzip) und dem Gesamtinteresse.

I. Einteilung der Wirtschaftspolitik a) Praktische Wirtschaftspolitik - theoretische Wirtschaftspolitik Die p r a k tis c heW i rt sc h aft s p 0 Ii t i k, wie sie in den einzelnen Landem in der Wirklichkeit betrieben wird, ist wohl auch von wissenschaftlichen Erkenntnissen beraten, aber geleitet von bestimmten WertvorsteIlungen, wie sie uns aus den Programmen

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der politischen Parteien bekannt sind. Hier dominieren durch entsprechende Wertungen ganz bestimmte Ziele, die die praktische Wirtschaftspolitik zu erreichen trachtet. Die the 0 ret i s c heW i rt s c h aft s pol i t i kist die wissenschaftliche Lehre von der Wirtschaftspolitik. Sie sttitzt sieh systematisch auf die Erkenntnisse der Volkswirtschaftstheorie und stellt die Ergebnisse von Handlungsaltemativen dar. 1m angelslichsischen Schrifttum pragte sich die Bezeichnung "applied economics". Zu beach ten ist aber, daB die theoretische Wirtschaftspolitik ein System von Aussagen anstrebt, die "rein informatorischen Charakters (sind), d.h. ein System von Erkenntnissen, (die) kein Werturteil en thaI ten" dtirfen (H. Albert). Die theoretische Wirtschaftspolitik bringt den informatorischen Gehalt der ,,reinen" Volkswirtschaftstheorie lediglich in einer fUr praktische Zwecke geeigneten Formulierung. Sie informiert "tiber die moglichen Mittel fUr bestimmte Ziele und tiber ihre Nebenwirkungen, fordert aber nieht dazu auf, bestimmte Ziele bzw. Mittel zu billigen oder zu miBbilligen, zu wahlen oder zu verwerfen" (H. Albert).

b) Gesamtwirtschaftspolitik - besondere Wirtschaftspolitik Die G e sam t w i r t s c h aft s pol i t i k befaBt sich mit den Zielen und MaBnahmen, welche die gesamte Wirtschaft bertihren, z.B.: Vollbeschaftigung, Preisstabilitat, Wirtschaftswachstum und optimale Giiterversorgung, Verteilung. Die b e son de r e Wi r t s c h aft s pol i t i k befaBt sieh mit besonderen Wirtschaftsbereichen, z.B.: Landwirtschaft, Gewerbe, Verkehr, Wohnungswirtschaft, AuBenwirtschaft. Beide, die Gesamtwirtschaftspolitik wie die besondere Wirtschaftspolitik, finden wir als praktische oder als theoretische Wirtschaftspolitik, je nachdem, ob wertfrei die Moglichkeiten aus der Theorie dargeboten werden, oder ob der Politiker sich von gewissen zu erreichenden, programmierten "Haupt"zielen von vomherein lei ten Hillt. Gegen die Einteilung in Gesamtwirtschaftspolitik und besondere Wirtschaftspolitik konnte man einwenden, daB der Blick auf das Ganze auch den Teil umfaBt. Sehen wir den Unterschied so, als wenn wir, vor einer Landkarte stehend, aus einem bestimmten

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Abstand die Gesamtgestalt betrachten und dann, naher herantretend, Planquadrat fUr Planquadrat untersuchten. Beispiel: Werden pll>tzlich aIle Zollschranken abgebaut und fluten Industrie- und Agrarprodukte Uber die Grenzen ins Land, erkennen wir gesamtwirtschaftlich das Fallen der Preise, sehen das Bemilhen der Unternehmer, ihre Kosten zu senken, bei hohen Lhnen arbeitssparende und darnit kostensparende Maschinen einzusetzen. Gesamtwirtschaftspolitisch erscheint uns die Wirkilllg positiv. Erst der Blick auf das ,,Planquadrat" Landwirtschaft laBt erkennen, daB auch hier die Preise gesunken sind, daB aber die im Vergleich zur Industrie fehlende Kapitalkraft und die fehlende Kreditwilrdigkeit in der Landwirtschaft nicht zur RationaIisiefilllg filhren konnen, so daB der Staat bei grundsatzlich positiver Einstellung zur LiberaIisiefilllg des Handels entweder die landwirtschaftlichen Erzeugnisse bei der Zollaufhebung ausklammern oder der Landwirtschaft mit Kredithilfen zur Rationalisierung helfen muB (= besondere Wirtschaftspolitik, hier Agrarpolitik).

1m folgenden wollen wir uns jeweils zunachst mit der Theorie und dann mit der Politik auseinandersetzen, wobei uns im wesentlichen aber nur der gesamtwirtschaftliche Teil der Wirtschaftspolitik beschaftigen solI.

ll. Die wirtschaftspolitischen Ziele 1. HauptzieJe Der Bundestag hat im "Gesetz zur Forderung der Stabilitat und des Wachstums der Wirtschaft" yom 8. Juni 1967 die Hauptziele der Wirtschaftspolitik genannt: ,,§ 1 Bund und Lander haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen MaBnahmen die Erfordemisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die MaBnahmen sind so zu treffen, daB sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilitat des Preisniveaus, zu einem hohen Beschaftigungsstand und auBenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenemWirtschaftswachstum beitragen." a) Vollbeschaftigung

Marx' und Engels' Ansicht tiber das Beschaftigungsproblem im Kapitalismus haben wir schon erwahnt, auch die Klassiker zu Zeiten Marx' erkannten die Unterbeschaftigung als Problem, tibrigens auch als Bevolkerungsproblem, weshalb die Vorschlage zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit sich auf die Eindammung der Bevolkerungsvermehrung bezogen. Langfristig, meinte z.B. Malthus, sei dem Problem beizukommen, indem man die jungen Menschen anhalte, moglichst spat zu heiraten, damit dadurch die Kinderzahl und somit die Arbeiterzahl zurtickgehe. Modeme Vorstellungen zur Geburtenkontrolle, die

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zur Verringerung der Arbeitslosigkeit fiihren sollen, finden wir heute in einer Reihe von Uindem, besonders in Asien und Osteuropa. Aber auch dort, wo wir den Staat nicht bereit finden, sich mit der Geburtenkontrolle zu befassen, finden wir staatliche Eingriffe in die Bevolkerungsentwicklung, indem Ein- oder/und Auswanderungsbestimmungen erlassen werden. Wahrend die Losungsversuche iiber die Bevolkerungspolitik, abgesehen von Ein- und Auswanderungsbestimmungen, auf die Beschaftigung nur langfristig einwirken konnen, kennt die modeme Wirtschaftspolitik auch Mittel, urn kurzfristiger, z.B. konjunktureller oder struktureller Arbeitslosigkeit zu begegnen, beispielsweise indem der Staat in Zeiten der Unterbeschaftigung durch offentliehe Auftrage die Nachfrage nach Arbeitskraften wachsen laBt.

b) Preisniveaustabilitat - Geldwertstabilitat Der Geldwert gibt an, welehe Menge an Giitem mit einer Geldeinheit erworben werden kann. Bei steigendem Preisniveau sinkt der Geldwert: Geldwert = l/preisniveau. Dem Geldwert droht nicht schon Gefahr, wenn irgendwelehe Preise steigen; Preise anderer Giiter konnen fallen. Auch saisonale Preisanstiege verlangen nieht nach wirtschaftspolitischen MaBnahmen, solehe Preise konnen wieder sinken. Zur Aktivitat ist die Wirtschaftspolitik erst aufgerufen, wenn das Preisniveau steigt. Anhaltende Preisniveauanstiege fiihren zur Forderungen nach Lohnerhohungen, steigenden Lohn- und anderen Kosten, sie reduzieren die Wachstumschancen und fiihren zu ungerechten und dam it unerwiinschten Einkommens- und Vermogensverteilung. Benachteiligt sind solehe Gruppen, die nieht in der Lage sind, ihre Einkommen der Inflationsrate anzupassen, sowie sole he, deren Geldvermogen (Sparer, Inhaber festverzinslicher Papiere) mit zunehmender Inflationsrate schrumpfen. Gewinner sind solche Gruppen, deren Einkommen mit der Inflationsrate ohne time lag steigen oder deren Einkommen schneller steigen als die Inflationsrate und solehe Gruppen, deren Schulden im Werte sinken und mit inflatorischem Geld leichter rUckzahlbar sind, wahrend die Vermogenswerte, die mit dem Kredit erworben wurden, im Wert steigen.

c) Wirtschaftswachstum Dieses langfristig und stets aufs neue erstrebte Ziel beinhaltet eine entsprechend dem jeweiligen Stand der Technik erreiehbare optimale Giiterversorgung. Nimmt die in der Volkswirtschaft erstellte Giitermenge, das Sozialprodukt, zu, wachst gleiehermaBen das Einkommen, da der Gegenwert eines jeden zusatzlieh auf dem Markt abgesetzten Gutes auf der Angebotsseite zum Einkommenszuwachs wird. Die OEEC, die Organisation ffir europaische wirtschaftliehe Zusammenarbeit, plante ffir die Jahre 1951 bis 1956 eine 25 %ige Steigerung des realen Sozialprodukts, erwartete also eine 5 %ige durchschnittliehe reale Zuwachsrate pro Jahr. Die sie ablosende Organisation ffir wirtschaftliehe Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) setzte ffir die Dekade von 1960 bis 1970 eine 50 %ige S teigerung zum Ziel. Von 1981 bis 1985 stieg das reale Sozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland durchschnittlieh nur noch urn 1,3 Prozent (1982 urn -1 Prozent!). 1986 betrug der reale Zuwachs 2,4 Prozent. Das Wachsen des Sozialprodukts laBt sich durch Mobilisierung der Produktionsfaktoren erreichen, durch VergroBerung der Investitionen, durch Einsatz aller verfiigbaren Ar-

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beitskrafte. Der Staat kann den ProzeB dadurch unterstiitzen, daB er untemehmerische Aktivitiiten, Investitionen und Einsatz von Arbeitskraften, durch geeignetes Steuer- und Arbeitsrecht lohnend macht. Aufgabe der Gewerkschaften ist es, das Wachstum nicht durch iiberhohte LOhne zu gefahrden. Vergleicht man die Ziele Vollbeschaftigung und Wachstum miteinander, konnte man meinen, daB es sich in der wirtschaftspolitischen Wirklichkeit um ein und dasselbe Ziel handelt: Sind wirtschaftspolitische MaBnahmen geeignet, den Beschaftigungsgrad zu erhOhen, muB doch mit dem Einsatz zusatzlicher Arbeitskrafte das Sozialprodukt wachsen. Wir sehen diese beiden Ziele getrennt, da einerseits ein steigender Beschaftigungsgrad nicht auf jeden Fall auch wachsendes Sozialprodukt bedeuten muB. Andererseits kann Wachsum bei gleichbleibender Beschaftigtenzahl erreicht werden, beispielsweise dadurch, daB die vorhandenen Arbeitskrafte mit produktiveren Maschinen arbeiten oder aus weniger produktiven Branchen abgezogen und produktiveren Wirtschaftszweigen zugeleitet werden. Es ist auch Wachstum bei sinkendem Beschaftigungsgrad moglich. d) Au6enwirtschaftliches Gleichgewicht

Die wachsende Bedeutung der auBenwirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik wird einem deutlich, wenn man bedenkt, daB beispielsweise 1986 von einem in der deutschen Volkswirtschaft produzierten Giitervolumen im Werte von 1 949,0 Mrd. DM (Bruttosozialprodukt) fiir 666,5 Mrd. DM Waren und Dienstleistungen exportiert und filr 562,4 Mrd. DM Waren und Dienstleistungen importiert wurden. Es gibt noch weitere auBenwirtschaftliche Beziehungen, mit denen wir uns spater zu befassen haben. Jedoch allein die Betrachtung des AuBenhandels erklart die Forderung nach einem Gleichgewicht der auBenwirtschaftlichen Beziehungen: Ein im Vergleich zum Import zu groBer Export verringert auf dem Inlandsmarkt das Giiterangebot, verschlechtert also die Marktversorgung und kann zu Preissteigerungen filhren.

2. Vorgelagerte Ziele

Oft kann aber der Staat sich nicht unmittelbar und ausschlieBlich diesen genannten Hauptzielen zuwenden. Auf dem Wege zur Erreichung dieser Hauptziele sind andere z.T. vorgelagerte Ziele zunachst anzustreben, wobei dann in der praktischen Wirtschaftspolitik diese Ziele zu erk!arten Hauptzielen werden kOnnen. a) Marktgleichgewicht

Die Wirtschaftspolitik geht im allgemeinen yom Bestehen eines Marktes mit vollstandigem Wettbewerb aus. Finden wir einen vollstiindigen Wettbewerb nicht vor, wird es zum erklarten Ziel der Wirtschaftspolitik, das Marktgleichgewicht herzustellen. AIle jene Krafte in der Wirtschaft, die den Markt nicht funktionieren lassen wollen, z.B. die Unternehmer, die sich zu Kartellen zusammenschlieBen, urn fiir "ihren" Markt den Wettbewerb auszuschalten, oder die Monopolisten, miissen mit dem Widerstand, u.U. der Kampfansage seitens der Wirtschaftspolitik rechnen.

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Voraussetzung fUr das Funktionieren des Marktes ist seine Transparenz. Die Wirtschaftspolitik wird sich bemilhen, filr aIle Marktbeteiligten die Markte transparent zu machen, indem sie z. B. auf dem Arb e its mar k t durch staatliche und kommunale Arbeitsvermittlung Arbeitnehmem ArbeitspHitze nachweist und Arbeitgebem arbeitssuchende Krafte namhaft macht. Der Staat kann dariiber hinaus bei der Uberwindung von Schwierigkeiten, der sog. Friktionen, eingreifen, indem er Arbeitskrafte bei notwendigen Umschulungen untersttitzt oder bei der Umsiedlung zum neuen Arbeitsplatz hilft. Auf dem Gel d- un d K a pit a I mar k t informiert der Staat tiber Moglichkeiten der Geldanlage, schafft Gesetze, Z. B. tiber Investmentgesellschaften oder das Sparpramiengesetz, urn dem Anleger zinsgtinstige Anlagen oder - wie beim Investmentzertifikat Beteiligung am Wirtschaftsaufschwung und Wirtschaftswachstum zu geben und Kreditnehmem die Moglichkeit der Mittelaufnahme zu schaffen. Auf dem G ti t e r mar k t kann der Staat durch Schaffung von Testinstituten den Gtitermarkt durchsichtiger, die angebotenen Gilter vergleichbarer machen; denn je mannigfaltiger das Angebot ist, desto schwerer kann sich der Konsument auf dem Markt noch zurechtfinden. Nicht immer ist ein hoher Preis Qualitatsgarantie. Dariiber hinaus bedarf der Verbraucher bei mane hen Waren, wie Arzneimitteln, Lebensmitteln u.a., des unmittelbaren Schutzes, da hier der Konsument ilberfordert ware, wenn er die Ware auf ZweckmaBigkeit oder gar GesundheitsschMlichkeit priifen mtiBte; ob eine das Puddingpulver verschOnemde Farbe giftig, ein Hormonpraparat schMlich ist, vermag er nicht zu beurteilen. Die FUrsorge fUr den Konsumenten kann dabei so weit gehen, daB der Staat durch Steuem (bei Alkohol und Tabak) oder durch Subventionen (bei Milch) die Konsumwtinsche der Verbraucher lenkt.

b) "Verteilungsgerechtigkeit" Man kann der Ansicht sein, daB es eine gerechte Verteilung des Sozialproduktes kaum geben wird, daB es das wichtigste ist, daB viel zur Verteilung da ist, d.h., daB das Sozialprodukt infolge kluger Wachstumspolitik jedes Jahr groBer wird. Dennoch gilt gerade hier das eingangs ilber Individual- und Kollektivprinzip Gesagte. Es gilt, nach Mitteln zu suchen, durch die das Sozialprodukt so verteilt wird, daB - je nach dem Programm der praktischen Wirtschaftspolitik - die Einkommensunterschiede geringer werden. Eine Verringerung der Einkommensunterschiede ist beispielsweise erreichbar durch die Progression der Einkommensteuer. Spezielle Ziele der Verteilungspolitik konnen auch sein, daB es den Lohnempfltngem oder den Rentnem oder den Bauem oder den Bergarbeitem usw. bessergeht. Un sere Aufgabe - die Aufgabe der theoretischen Wirtschaftspolitik - wird es sein, aufzuzeigen, welche Verteilungsveranderungen eintreten, wenn man dieses oder jenes Mittel einsetzt. Es mag Sache des Lesers sein, daraus das eine oder andere Mittel der Wirtschaftspolitik zu wtinschen.

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Volkswirtsc haftspolitik 3. Zielkonflikt

Kommen wir noch einmal zurUck auf die eingangs genannten Hauptziele der Wirtschaftspolitik: Preisniveaustabilitat, hoher Beschaftigungsgrad, auBenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges, angemessenes Wirtschaftswachstum. Wir haben sie in dem folgenden Schaubild im magischen Viereck dargestellt. Aktive Wachstumspolitik gefiihrdet den Geldwert

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