Volksgesetzgebung in Deutschland: Der wissenschaftliche Umgang mit plebiszitärer Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesebene in Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland (1919–2002) [1 ed.] 9783428515189, 9783428115181

Christopher Schwieger stellt eine erste umfassende Forschungsgeschichte über den wissenschaftlichen Umgang mit einer unm

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Volksgesetzgebung in Deutschland: Der wissenschaftliche Umgang mit plebiszitärer Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesebene in Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland (1919–2002) [1 ed.]
 9783428515189, 9783428115181

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 71

Volksgesetzgebung in Deutschland Der wissenschaftliche Umgang mit plebiszitärer Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesebene in Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland (1919 – 2002) Von Christopher Schwieger

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPHER SCHWIEGER

Volksgesetzgebung in Deutschland

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t, Michael Ronellenf itsch sämtlich in Tübingen

Band 71

Volksgesetzgebung in Deutschland Der wissenschaftliche Umgang mit plebiszitärer Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesebene in Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland (1919 – 2002)

Von Christopher Schwieger

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-11518-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2003 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertationsschrift angenommen. Sie hat ihren Ursprung in einer Diskussion über den Sinn oder Unsinn von Volksgesetzgebung in Deutschland zwischen Herrn Prof. Dr. Andreas Wirsching und mir auf einer Exkursion der Mitarbeiter des Tübinger Seminars für Zeitgeschichte im Sommer 1997. Unterbrochen von Magisterprüfungen, juristischen Staatsexamina und Referendariat begann mit diesem durchaus kontroversen Gespräch eine gedankliche Auseinandersetzung mit einem fesselnden und immer wieder aktuellen Thema, die schließlich zur Fertigstellung dieses Buches am Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht von Herrn Prof. Dr. Jan Schröder führte. Meinen beiden wichtigsten Lehrern gilt mein besonderer Dank. Herrn Prof. Dr. Wirsching für die Möglichkeit, in dessen Tübinger Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Lehrstuhl mitzuarbeiten und eine mich bis heute prägende Herangehensweise an die Geschichtswissenschaft zu erlernen. Herrn Prof. Dr. Schröder, meinem Doktorvater, für das erworbene rechtshistorische Wissen sowie die Möglichkeit, eine kleine Brücke in Gestalt dieser Schrift von der historischen Seite der Rechtswissenschaft auf die juristische Seite der Geschichtswissenschaft zu schlagen. Ohne sein Vertrauen in mich, die mir von ihm gebotenen Möglichkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Institut und seinen wertvollen Rat wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum, der sowohl mein Zweitkorrektor war, als auch mir die Möglichkeit der Veröffentlichung in dieser unter anderem von ihm herausgegeben Reihe gegeben hat. Nicht vergessen werden sollen darüber hinaus die vielen Freunde, unter ihnen vor allem Christoph Haiss, Bettina Hoffmann, Tilo Kurtz, Matthias Peppel und Judith Hafner, meine Tübinger Kollegen und vor allem meine Eltern Elna und Michael Schwieger. Sie alle haben in Form von wertvollen Ratschlägen, Aufmunterungen, umfangreichen Korrekturhilfen oder auch einfach durch ihre Bereitschaft, sich meine Ideen oder Fragen auch ein drittes Mal anzuhören, einen großen Anteil an dieser Arbeit. Hamburg, im Oktober 2004

Christopher Schwieger

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

1. Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

2. Methodik und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Kapitel I Die Einführung der Volksgesetzgebung auf Reichsebene durch die Weimarer Reichsverfassung, ihre normative Ausgestaltung sowie praktische Relevanz – Grundlage wissenschaftlicher Auseinandersetzungen bis heute

25

A. Die Entstehung der Weimarer Volksgesetzgebung 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

1. Der Volksentscheid als bloße Sanktion des „pouvoir constituant“ im Konflikt der „pouvoirs constitués“ bei Hugo Preuß und Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

2. Die Volksgesetzgebung auf Reichsebene in privaten Verfassungsentwürfen . . . . .

30

3. Der Ruf nach einer weitergehenden Volksgesetzgebung als zusätzlicher „Grundpfeiler der Verfassung“ im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung . . . .

34

4. Die Positionen der in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zur Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

5. Die Volksgesetzgebung in der Weimarer Reichsverfassung – Ergebnis mangelnden Vertrauens in den Parlamentarismus, aber auch Ausdruck echten Demokratiebedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

6. Das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 und die Reichsstimmordnung als Ausführungsbestimmungen zur Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . .

43

B. Die Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933 im Überblick

48

1. Antrag des Reichsbundes für Siedlung und Pacht zur Durchführung einer Bodenreform 1922 und 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

2. Volksbegehren und Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung ehemaliger Landesherrscher 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

8

Inhaltsverzeichnis 3. Die Anträge von Sparerbund und Reichsarbeitsgemeinschaft zur Aufwertung 1926 / 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

4. Das Volksbegehren der KPD gegen den Bau von Panzerkreuzern und anderen Kriegsschiffen 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

5. Volksbegehren und Volksentscheid für ein „Freiheitsgesetz“ und gegen den Young-Plan 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

6. Der Antrag der SPD zur Rücknahme sozial- und wirtschaftspolitischer Notverordnungen der Reichsregierung 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

Kapitel II Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Volksbegehren und Volksentscheid in der Weimarer Republik durch die Staatsrechtswissenschaft – Volksgesetzgebung nach Art. 73 – 76 WRV als geltendes Verfassungsrecht

68

A. Die verschiedenen Volksgesetzgebungsverfahren der Art. 73 – 76 WRV im juristisch-dogmatischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

1. Der Volksentscheid nach Art. 73 I WRV – Waffe des Reichspräsidenten im Konflikt mit dem Reichstag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

a) Verfahren und praktische Relevanz in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . .

71

b) Die systematisch-dogmatische Einordnung des präsidialen Anordnungsrechtes nach Art. 73 I WRV sowie des Volksentscheids allgemein durch die Weimarer Staatsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

c) Das Problem der Gegenzeichnungspflicht im juristischen Diskurs – Art. 73 I WRV als stumpfe Waffe des Reichspräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

2. Der Volksentscheid als letzte Instanz im Konflikt zwischen Reichstag und Reichsrat nach Art. 74 III WRV, Art. 76 II WRV sowie nach Art. 85 IV, V WRV

78

a) Verfahren und praktische Relevanz der Art. 74, Art. 85 IV, V und des Art. 76 II WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

b) Das Volksgesetzgebungsverfahren beim Einspruch des Reichsrates gegen einfache, nicht verfassungsändernde Gesetze nach Art. 74 I-III WRV im juristischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

aa) Ursprung, allgemeine dogmatisch-systematische Einordnung sowie die Bewertung der Praktikabilität in der Staatsrechtswissenschaft . . . . . . . . .

82

bb) Der Streit um die „nochmalige Beschlussfassung“ des Reichstages nach Art. 74 III S. 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

c) Der Sonderfall des Volksentscheids über den Haushaltsplan und das Recht des Reichsrates aus Art. 85 IV, V WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

Inhaltsverzeichnis

9

aa) Das Zustimmungsrecht nach Art. 85 IV, V WRV – Ursprung und dogmatische Abgrenzung zum direkten Einspruchsrecht des Reichstages nach Art. 74 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

bb) Der Streit um die Folgen „reichsratlicher“ Untätigkeit und die Einschätzung der praktischen Bedeutung des Art. 85 IV, V WRV . . . . . . . . .

89

d) Die Volksentscheidung nach Art. 76 II WRV bei Konflikten zwischen Reichstag und Reichsrat über verfassungsändernde Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . .

91

aa) Ursprung und Rechtsnatur des Art. 76 II WRV – Waffe des Föderalismus gegen den Unitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

bb) Die Auseinandersetzung in der Staatsrechtswissenschaft um das Einspruchsquorum im Reichsrat nach Art. 76 II WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

3. Der Volksentscheid nach Art. 72 und Art. 73 II WRV durch das Veto einer Reichstagsminderheit und eine Referendumsinitiative aus dem Volk . . . . . . . . . . .

94

a) Verfahren und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

b) Ursprung und Rechtsnatur im juristischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

c) Die Auseinandersetzungen um „Ein Drittel des Reichstages“, die Entscheidungsfrist des Reichspräsidenten in Art. 72 S. 1 WRV sowie die allgemeine Beurteilung dieses Volksgesetzgebungsverfahrens in der Staatsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

4. Die alleinige Gesetzgebung des Volkes nach Art. 73 III WRV durch Volksbegehren und Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Verfahren und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Die Rechtsnatur des Volksbegehrens – Sonderform eines Petitionsrechts oder eigenständiges Gesetzgebungsinitiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Die Zulassung des Volksbegehrens durch den Reichsminister des Inneren . . 109 aa) Die Forderung nach einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Reichsinnenministers im Zulassungsverfahren zum Volksbegehren . . . . 109 bb) Die Kritik an der fehlenden Entscheidungsfrist des Reichsinnenministers im Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Der Streit um den „ausgearbeiteten Gesetzentwurf“ nach Art. 73 III S. 2 WRV als spezifische Zulassungsvoraussetzung für das Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Das Eintragungsverfahren beim Volksbegehren – Die Wahrung des Wahlgeheimnisses nach Art. 125 WRV und strittige Eintragungsformalien . . . . . . 117 e) Das Gesetzesprojekt vor dem Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Die Möglichkeiten des Reichstages im Zwischenverfahren nach Art. 73 III S. 3 WRV und der Streit um § 3 I VEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Die Theorie von der Gefahr einer kollusiven Zusammenarbeit von Reichstag, Reichsrat und Reichspräsident in der Staatsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

10

Inhaltsverzeichnis f) Der Volksentscheid und die Kompetenz des Wahlprüfungsgerichts bei der Ergebnisfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5. Art. 75, Art. 73 IV, Art. 76 I S. 4 WRV und sonstige verfassungsrechtliche Hürden und Schranken der Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Art. 75 WRV und die Frage des positiven oder negativen Reichstagsbeschlusses – Die Vormacht des Parlamentarismus und die Möglichkeit des Abstimmungsboykotts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Verfahren, praktische Relevanz und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . 127 bb) Der Streit um die richtige Auslegung des Art. 75 WRV – Die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Reichstagsbeschluss angesichts der Taktik des Abstimmungsboykotts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Der Streit um die Auslegung des Haushaltsvorbehalts nach Art. 73 IV WRV 133 aa) Verfahren, Rechtsnatur und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Der Streit um eine enge oder weite Auslegung des Art. 73 IV WRV – Das „Abdrosselungsgesetz“ und die Position der Reichsregierung als Auslöser staatsrechtlicher Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Die Zulässigkeit von Verfassungsänderungen durch Volksentscheid und die Beteiligungshürde des Art. 76 I S. 4 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Verfahren, Bewertung der Praktikabilität in der Staatsrechtswissenschaft und die praktische Relevanz des Art. 76 I S. 4 WRV . . . . . . . . . . . . 143 bb) Die verfassungsrechtliche Grundsatzdebatte um die Existenz einer verfassungsgebenden Gewalt, einen unantastbaren Kernbereich der Verfassung sowie die Zulässigkeit von Verfassungsdurchbrechungen und ihre Auswirkungen auf die Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 d) Weitere Schranken der Volksgesetzgebung in der Staatsrechtswissenschaft – Das formelle oder materielle Gesetz als Gegenstand der Volksgesetzgebung 150 6. Konkurrenzprobleme der Volksgesetzgebung im juristisch-dogmatischen Diskurs – Volksentscheid und Reichstagsbeschluss sowie das Aufeinandertreffen verschiedener Volksgesetzgebungsinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Die Konkurrenz von Volksentscheid und Reichstagsbeschluss – Kann der Reichstag ein per Volksentscheid beschlossenes Gesetz legislativ ändern oder wieder aufheben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Das Aufeinandertreffen mehrerer Initiativen zum Volksentscheid . . . . . . . . . . 156

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Die Herangehensweise, historische Herleitung, erste Bewertungen sowie die Frage der praktischen Relevanz der Volksgesetzgebung im staatsrechtspolitischen Diskurs der frühen Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis

11

a) Erste methodische Ansätze der Weimarer Staatsrechtswissenschaft in der wissenschaftlichen Annäherung an die Volksgesetzgebung – Der Blick über die Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die historische Herleitung der Volksgesetzgebung aus altgermanischen Verfassungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Die Begrüßung oder Ablehnung der Volksgesetzgebung als neuem Verfassungselement durch die Staatsrechtswissenschaft nach 1919 sowie die Frage nach der praktischen Relevanz – Der Volksentscheid als „demokratischer Zierrat“ der Verfassung ohne echte Funktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Die Entwicklung der staatsrechtlichen Beurteilung vor dem Hintergrund erster praktischer Erfahrungen – Volksgesetzgebung als fehlerhaftes aber dennoch zukunftsträchtiges Verfassungselement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Vom Radikalismus über die Demagogie zum politischen Missbrauch – Staatsrechtliche Bewertungen der Weimarer Volksgesetzgebungspraxis . . . . 170 b) Die rechtspolitischen Rückschlüsse von der Verfassungswirklichkeit auf die Verfassungstheorie – Die Volksgesetzgebung als in ihrer Ausgestaltung fehlerhaftes aber dennoch zukunftsträchtiges Verfassungselement . . . . . . . . . . 171 3. Carl Tannert und „Die Fehlgestalt des Volksentscheids“ – Analyse und Reformvorschlag zu den Art. 73 ff. WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4. Carl Schmitt und die Volksgesetzgebung sowie ihre rechtspolitische Bedeutung in den wissenschaftlichen Verfassungsreformvorschlägen zur Weimarer Verfassungskrise 1930 – 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Carl Schmitt und die Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Der Volksentscheid als Weg aus der Verfassungskrise? Volksgesetzgebung in den staatsrechtlichen Reichsreformvorschlägen 1930 – 1933 . . . . . . . . . . . . . 187 5. Der Blick von außen – Die Weimarer Volksgesetzgebung aus der Perspektive französischer Staatsrechtler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Kapitel III Von der Weimarer Volksgesetzgebung zur Volksabstimmung im „Führerstaat“ – Hintergrund wissenschaftlicher Auseinandersetzungen 1933 – 1945

202

A. Die Entstehung des „Gesetzes über Volksabstimmung“ vom 14. Juli 1933 sowie seiner Ausführungsbestimmungen und der Unterschied zur Weimarer Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Die Entstehung des Volksabstimmungsgesetzes vom 14. Juli 1933 . . . . . . . . . . . . . 204 2. Das nationalsozialistische Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 – Volksbeteiligung auf Anordnung von oben statt Volksbegehren und Beteiligungsquoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

12

Inhaltsverzeichnis 3. Individuelle Durchführungsverordnungen statt allgemeiner gesetzlicher Regelung – Die Ausführungsbestimmungen zu den Volksabstimmungen im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

B. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Die Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund am 12. November 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Die Volksabstimmung über die Zusammenführung des Amtes von Reichspräsident und Reichskanzler in der Person Adolf Hitlers am 19. August 1934 . . . . . . 220 3. Die Volksabstimmung über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ am 10. April 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Kapitel IV Die Volksabstimmung im Führerstaat – Der wissenschaftliche Umgang mit dem Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 durch die Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich

230

A. Das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 im juristisch-dogmatischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Die Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV angesichts des neuen „Gesetzes über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in Bezug auf die „beabsichtigte Maßnahme“ gemäß § 1 VAbstG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Die Verkündung und Ausfertigung beschlossener Maßnahmen oder Gesetze durch die Reichsregierung – § 3 VAbstG und die Vereinbarkeit von Volkssouveränität und Führerprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Der rechtsdogmatische Umgang mit dem Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 – Ein Beispiel juristischer Argumentation im Sinne des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 B. Die rechtspolitische Funktion der Volksabstimmung in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft: Die „demokratische“ Legitimierung des „germanischen“ Führerstaates durch Akklamation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Die wahrhaft „germanische“ Volksabstimmung statt der „fehlerhaften“ Weimarer Volksgesetzgebung – Eine historische Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Das Volksabstimmungsgesetz im sich entwickelnden Führerstaat – Vom zentralen Staatsgrundgesetz zur unverbindlichen Grundlage politischer Akklamation in einer Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Inhaltsverzeichnis

13

3. Führer und Volksabstimmung als Säulen einer neuen „germanischen Demokratie“ bei Wolfgang Endriss – Beispiel eines nationalsozialistischen Staatsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4. Die rechtspolitische Bewertung der konkreten Volksabstimmungsverfahren im Dritten Reich vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik . . . 266 Kapitel V Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung auf Bundesebene in der Bundesrepublik Deutschland – Hintergründe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nach 1945

270

A. Die Entscheidung gegen eine Einführung bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide ins Grundgesetz 1948 / 49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Die Volksgesetzgebung in den Vorentwürfen der Parteien, des Deutschen Büros für Friedensfragen sowie im „Bayerischen Entwurf eines Grundgesetzes“ . . . . . . 273 2. Die endgültige Ablehnung der Volksgesetzgebung auf der Herrenchiemseekonferenz und im Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 B. Die Entscheidung der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages (1971 – 1976) gegen eine Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 C. Die Entscheidung der Gemeinsamen Verfassungskommission (1991 – 1994) gegen Volksbegehren und Volksentscheid in einer gesamtdeutschen Verfassung . . . . . . . . . . . 289 1. Die Volksgesetzgebung in wichtigen Verfassungsentwürfen und verfassungspolitischen Empfehlungen 1989 / 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Die erneute Entscheidung gegen eine Einführung der Volksgesetzgebung ins Grundgesetz in der Gemeinsamen Verfassungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Die 6. Kommissionssitzung am 14. Mai 1992 – Erste deutliche Anzeichen für eine Entscheidung gegen Volksentscheid und Volksbegehren . . . . . . . . . . . 296 b) Die Sachverständigenanhörung am 17. Juni 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Die endgültige Entscheidung in der 17. Kommissionssitzung und die ablehnende Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission . . . . . . . . . . . . . 305 3. Die Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat – Das Scheitern der Volksgesetzgebung auch, aber nicht nur wegen „schlechter Weimarer Erfahrungen“ . . . . . . . . 306

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Inhaltsverzeichnis Kapitel VI Der Streit um die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren – Ausdruck der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland

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A. Die „schlechte Weimarer Erfahrung“ mit Volksbegehren und Volksentscheid in der Forschung der frühen Bundesrepublik – Bildung einer bis heute „herrschenden Meinung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher – „schlechte Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung als Bestandteil von Demokratietheorie und Verfassungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Ernst Fraenkel (1958) – Volksgesetzgebung als Gefahr für den Parteienstaat

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b) Karl Dietrich Bracher – Weimars Untergang als Argument für ein rein repräsentatives Verfassungsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Schlechte Erfahrungen mit Volksgesetzgebung in der Weimarer Verfassungswirklichkeit – Ursprünge und weitere Faktoren der Meinungsbildung in der frühen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Die Volksentscheide „Fürstenenteignung“ und „Young-Plan“ als Grundlagen der „Weimarer Erfahrung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 b) Karl J. Newman (1965) – Der Volksentscheid gegen den Young-Plan und die „plebiszitär-revolutionäre Flut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 c) Die nationalsozialistischen Plebiszite und die Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Die „schlechte Weimarer Erfahrung“ in der bundesrepublikanischen Staatsrechtswissenschaft und ihre Funktion für die Auslegung des Art. 20 II S. 2 GG 335 4. Die sich bis Ende der 60er Jahre herausbildende „herrschende Meinung“ von „schlechten Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid . . . 339 5. Fortführung und Bestätigung bewährter Deutungen bis in die Gegenwart . . . . . . . 341 B. Von der Relativierung der herrschenden Meinung bis zur „guten Weimarer Erfahrung“ – Revisionistische Tendenzen in der bundesrepublikanischen Wissenschaft seit Ende der 60er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 1. Reinhard Schiffers (1971), Ulrich Schüren (1978) und die „ambivalente Wirkung“ von Volksentscheid und Volksbegehren in der Weimarer Republik – Wegbereiter einer differenzierteren Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Das Ende der „Plebisphobie“ der Nachkriegszeit – Die Neubewertung bisheriger Darstellungen und Sichtweisen in Teilen der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 3. Otmar Jung und die These einer Gleichwertigkeit oder sogar Überlegenheit plebiszitärer Problemlösungsverfahren in der Weimarer Republik seit den 80er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

Inhaltsverzeichnis

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4. Die Frage nach einer einheitlichen Gegenposition zur herrschenden Meinung in der Gegenwart und die Konsequenz der historischen Neubewertung für die Auslegung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 5. Die Kontroverse Jung contra Meineke (1992 – 1996) – Bisheriger Höhepunkt der wissenschaftlichen Diskussion vor dem Hintergrund der Gemeinsamen Verfassungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

Abkürzungsverzeichnis AfS AöR APuZ BAK BArch Ber. BRD BRDrS BTDrS BVerfGE CDU C.G.T. CSU DBfF DDP DDR DJZ DNVP DÖV DP DPD DRAnzPrStAnz DRZ DSU DVBl. DVP FAZ FN FU Gestapo GG GOBT GSTAM GVK HA HdBdStR.

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Abkürzungsverzeichnis HdbStaatsR. h. M. HSTAM HZ JfP Jhg. JöR JR JW JZ KJVD KPD LZR MWI m. w. N. NJW NL NSDAP NVDrS o.J. o.N. PL PR PrLt. RG RGBl. RGZ RRDrS RStO RTDrS RtO RuPrVwBl. RV RWahlG SA SBZ SD SED Sitz. SPD SS StatDR 2 Schwieger

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18 StGH SZ USPD VA VAbstG VEG / VGG VJfZ VK VVDStRL WRV ZfP ZfPol ZöR ZRP

Abkürzungsverzeichnis Staatsgerichtshof Süddeutsche Zeitung Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands Verfassungsausschuss der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung Gesetz über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 Gesetz über den Volksentscheid vom 29. Juni 1921 Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Verfassungskonvent Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Politikwissenschaft Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung 1. Aufgabenstellung In der Bundesrepublik Deutschland wird seit 1949 immer wieder eine größere Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung gefordert als es die Wahlen zum Bundestag und den Länder- und Gemeindeparlamenten gewährleisten. Meistens ist dies gleichbedeutend mit dem Ruf nach mehr unmittelbarer „Volksgesetzgebung“, einer Möglichkeit der Stimmberechtigten, selbst über einen konkreten Gesetzentwurf zu entscheiden – selber Gesetzgeber zu sein. Auf Kommunal- und Länderebene hat diese gesellschaftspolitische Diskussion in den letzten 50 Jahren fast überall dort zur Einführung von Bestimmungen zu Volksbegehren und Volksentscheiden geführt,1 wo sie nicht schon in den Länderverfassungen und Gemeindeordnungen der Nachkriegszeit existierten.2 Auf Bundesebene gibt es bis heute keine Volksgesetzgebung, auch wenn eine Vielzahl von Organisationen und einige Parteien teilweise seit Jahrzehnten gerade hier ihre Einführung verlangen.3 Erst vor kurzem, am 7. Juni 2002, erreichte dieses politische Ringen mit der Ablehnung einer Grundgesetzänderung zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid im Bundestag einen neuen Höhepunkt.4 Begleitet wird die in ihrer Intensität immer wieder auf- und abflauende politische Auseinandersetzung für oder gegen eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene durch eine Vielzahl an wissenschaftlichen Stellungnahmen aus der Geschichts-, Politik- und Rechtswissenschaft. Sie ordnen sich in eine forschungsgeschichtliche 1 Auf kommunaler Ebene spricht man hierbei in der Regel von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. 2 Vgl. Otmar Jung, Abschluss und Bilanz der jüngsten plebiszitären Entwicklung in Deutschland auf Landesebene, in: JöR n.F. 48 (1998), S. 39 – 87. 3 Exemplarisch seien hier die Organisationen „Mehr Demokratie e.V.“, die Bürgerinitiative „Omnibus für Direkte Demokratie“ sowie die Parteien SPD und Die Grünen / Bündnis 90 genannt. Vgl. hierzu: SPD Wahlprogramm, in: Vorwärts vom April 1998, Nr. 4; Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.), Bundesweiter Volksentscheid (Sonderausgabe der Zeitschrift für direkte Demokratie), Herbst 1999. 4 Grundlage der Bundestagsentscheidung, in der mit 348 „Ja“ und 199 „Nein“ Stimmen eine nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt wurde, war ein Gesetzentwurf, der ein dreistufiges Verfahren aus Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vorsah. Vgl. Beschluss des SPD-Parteivorstandes vom 19. März 2001: „Ausbau der Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene“; „Koalition plant bundesweite Volksabstimmungen“, in: SZ vom 15. 3. 2002, Nr. 63 (S. 6); „Regierung will Volksentscheid zulassen“, in: FAZ vom 15. 3. 2002, Nr. 63 (S. 4); „Union verhindert bundesweite Volksabstimmungen“, in: SZ vom 8 / 9. 6. 2002, Nr. 127.

2*

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Einleitung

Entwicklung ein, die bereits 1919 mit der Einführung der ersten reichsweiten Volksgesetzgebung in Deutschland durch die Weimarer Reichsverfassung begann. Nach 1933 setzte sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk unter veränderten Vorzeichen fort. Aus Volksentscheiden und Volksbegehren in der ansonsten parlamentarischen Weimarer Demokratie wurden – nach nunmehr herrschendem nationalsozialistischem Verständnis – Volksabstimmungen in einem „völkischen Führerstaat“. Grundlage war das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 änderten sich dann die Rahmenbedingungen erneut. Aus einer Diktatur wurde wieder eine Demokratie, die allerdings, wie ausgeführt, bis heute keine bundesweite Volksgesetzgebung kennt. Der vormals wissenschaftliche Umgang mit konkret existierenden und angewandten gesetzlichen Bestimmungen wich einer vor allem rückwärtsgewandten Betrachtung. Ihr Gegenstand sind die Darstellung und Bewertung der Erfahrungen mit dieser Form direkter Demokratie in der Weimarer Republik und zum Teil auch dem „Dritten Reich“. Diese wissenschaftliche Gesamtentwicklung und die für sie wichtigsten historischen Begleitumstände sind die Gegenstände dieser Arbeit. Sie versucht im Sinne einer gleichsam um einen historischen Rahmen ergänzten, interdisziplinären Forschungsgeschichte detailliert den wissenschaftlichen Umgang mit einer konkreten, unmittelbaren, gesamtstaatlichen Gesetzgebung durch das Volk in Deutschland von 1919 bis heute darzustellen. Gegenstand ist damit die Forschung zum wohl zentralen Element direkter Demokratie, nicht aber die Forschung zur „Direkten Demokratie“ als solcher. Der wissenschaftliche Umgang mit einer plebiszitären Direktwahl des Staatsoberhauptes, einem „Verfassungsreferendum“5 oder dem „Territorialplebiszit“ 6, wird nur ausnahmsweise berücksichtigt. Dies betrifft die Fälle, dass sich die Grenzen dieser anderen Formen direkter Demokratie zur unmittelbaren Abstimmung des Volkes über ein einfaches oder auch in einzelnen Regelungen verfassungsänderndes Reichs- bzw. Bundesgesetz historisch oder wissenschaftsgeschichtlich als fließend darstellen. Anknüpfungspunkt der Arbeit sind, der Forschung folgend, die konkreten Formen von Volksgesetzgebung, die es seit 1919 in Deutschland gab oder zumindest die sich aus ihnen nach 1949 für die Frage einer neuen bundesweiten Volksgesetzgebung ergebenden Folgerungen, nicht also jede abstrakt-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit basisdemokratischen Theorien an und für sich. Die Beschränkung auf die Reichs- bzw. Bundesebene ergibt sich daraus, dass die For5 Gemeint ist damit die grundlegende Entscheidung eines Volkes über die Verabschiedung einer Verfassung (vgl. bspw. Art. 146 GG), nicht jedoch eine Entscheidung über ein im Detail verfassungsänderndes Gesetz. Gesprochen wird in diesem Zusammenhang oft auch von einem „Gründungsplebiszit“. 6 Verstanden wird hierunter der Sonderfall einer plebiszitären Entscheidung über die eigene Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bundes- oder Reichsland, selbst wenn diese sich verfahrensrechtlich (vgl. Art. 29 I, II, V GG) als „Volksbefragung“ oder als „Volksentscheid“ zu einem Bundesgesetz darstellt.

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schung selbst bis 1945 weitgehend die Länderebene außer Acht ließ und sich auch von 1949 bis heute mehrheitlich der bundesstaatlichen Ebene widmet. Die Arbeit ist insofern interdisziplinär, als sie sowohl die Staatsrechts- bzw. Rechtswissenschaft, die sich bis 1945 exklusiv mit der Volksgesetzgebung auseinander setzte, als auch ab 1949 die Geschichts- und Politikwissenschaft mit einbezieht. Der Schwerpunkt liegt, wiederum forschungsgeschichtlich bedingt, auf den Disziplinen der Rechts- und Geschichtswissenschaft.

2. Methodik und Begriffe Um der engen inneren Verknüpfung von wissenschaftlicher Entwicklung und dazugehörigem zeitgeschichtlichem Hintergrund gerecht zu werden, sind der Weimarer Republik, dem „Drittem Reich“ und der Bundesrepublik Deutschland in dieser Arbeit jeweils sowohl ein rein historiographisches als auch ein forschungsgeschichtliches Kapitel gewidmet. Ersteres befasst sich in einer einführenden Weise mit der Entstehungsgeschichte und praktischen Umsetzung oder aber auch der grundsätzlichen Ablehnung gesetzlicher Regelungen zu einer gesamtstaatlichen Volksgesetzgebung in der jeweiligen Phase der deutschen Geschichte. Letzteres beinhaltet die dazugehörige forschungsgeschichtliche Entwicklung. Der Verfasser ist sich hierbei der methodischen Problematik bewusst, zuerst historische Sachverhalte darzustellen, um sich danach auf einen erhöhten Betrachterstandpunkt über die Forschung zu denselben historischen Vorgängen zu begeben. Um der Gefahr zu begegnen, mit der eigenen Darstellung historischer Wirklichkeit eine angestrebte wissenschaftliche Distanz im Umgang mit der Forschung zu verlieren, beschränken sich die historiographischen Kapitel auf Überblicke. Sie beinhalten möglichst nur unumstrittene Fakten oder aber stellen für das Verständnis wichtige umstrittene Tatsachen auch als solche dar. Insgesamt soll diese Arbeit nicht nur die großen forschungsgeschichtlichen Linien, sondern auch die vielen kleinen wissenschaftlichen Diskurse zur Volksgesetzgebung darstellen. Um dies in systematisch verständlicher Form zu erreichen, wird für die Zeit von 1919 bis 1945, in der sich ausschließlich Rechtswissenschaftler mit einer unmittelbaren Gesetzgebung des Volkes auf Reichsebene beschäftigten, methodisch zwischen einer konkret anwendungsorientiert „rechtsdogmatischen“ und einer übergeordnet „rechtspolitischen“ wissenschaftlichen Auseinandersetzung unterschieden. Die Tatsache, dass eine dogmatische und eine rechtspolitische Betrachtung einer Regelung oder eines Rechtsinstituts in der Wissenschaft im Einzelfall ineinander übergehen können, wird hierbei berücksichtigt. Die Darstellung der wissenschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik von 1948 / 49 bis 2002 folgt dagegen in erster Linie chronologisch den forschungsgeschichtlichen Linien. Hier gesellten sich die Geschichts- und Politikwissenschaft in prägender Weise zur Rechtswissenschaft hinzu, und die Art des wissenschaftlichen Diskurses änderte sich. In seinem Mittelpunkt steht in zweierlei Weise die sogenannte „Weimarer

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Einleitung

Erfahrung“. Einmal handelt es sich hierbei um die historische Bewertung konkreter Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren und darauf aufbauend um eine allgemeine Lehre über die Funktionsfähigkeit eines Verfassungsgefüges, das Volksgesetzgebung und Parlamentarismus vereint. Beibehalten wird jedoch auch für diese Zeit die aus der Rechtswissenschaft stammende Unterscheidung zwischen einer wissenschaftlichen „herrschenden Meinung“ und einer sogenannten „Mindermeinung“. Auf die jeweilige Systematik der Darstellung wird zu Beginn jedes Kapitels noch einmal detaillierter eingegangen. Die Begrifflichkeiten im Umgang mit „Volksgesetzgebung“ sind im Laufe der wissenschaftlichen Entwicklung von 1919 bis 2002 nicht einheitlich. So wird teilweise schon der Begriff der Volksgesetzgebung selbst enger gefasst, als es diese Arbeit tut. Sie umfasse, so bspw. Carl Schmitt, nicht jede Möglichkeit des Volkes, unmittelbar über einen unter Umständen auch im Detail verfassungsändernden Gesetzentwurf abzustimmen.7 Volksgesetzgebung sei vielmehr nur ein unmittelbar vom Volk selber ausgelöstes Verfahren zu einem Volksentscheid.8 Auch die Terminologien des „Volksbegehrens“ für eine Gesetzesinitiative aus dem Volk heraus und des „Volksentscheids“ für die endgültige Abstimmung der Stimmberechtigten über einen Gesetzentwurf werden nicht in allen Beiträgen einheitlich verwendet.9 In älteren wie jüngeren wissenschaftlichen Stellungnahmen finden sich auch die Bezeichnungen „Referendum“, „Gesetzesplebiszit“, „Plebiszit“, „Volksabstimmung“, „Volksbefragung“, „Volksinitiative“ „Referendumsinitiative“ oder plebiszitäres „Veto“.10 Teilweise werden sie synonym verwendet, teilweise in einer bewussten inhaltlichen Abgrenzung zueinander. Letzteres oft vor dem Hintergrund, dass sich zwischen 1919 und 2002 der Gesetzgeber selbst für verschiedene Arten von Volksgesetzgebung unterschiedlicher Bezeichnungen bediente.11 Die im Laufe der inzwischen über achtzigjährigen wissenschaftlichen Entwicklung auftauchen7 Dies, wie oben ausgeführt, in Abgrenzung zur „plebiszitären Wahl“, dem „Territorialplebiszit“ und dem „Verfassungsreferendum“. 8 Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Heft 2), Berlin 1927, S. 10 – 11; Gerd Günter Hansen, Probleme der Volksgesetzgebung nach Reichsrecht (Art. 73 Abs. 3 RV), Diss. jur., Göttingen 1930, S. 1. 9 Vgl. die Begriffe „Volksabstimmung“ und „Plebiszit“ in: Carl Creifelds, Rechtswörterbuch (14. Aufl.), München 1997, S. 965, 1445. 10 So bspw. Willy Berthold (ders., Zweck der Volksabstimmung, ihre rechtliche und politische Lösung in der deutschen Reichsverfassung, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 77 [1922 / 1923], S. 52 – 73, 54 f.), der unter dem Oberbegriff „Volksabstimmung“ das „Volksbegehren“, die „Initiative“, den „Volksentscheid“, das „Referendum“ und das „Veto“ zusammenfasste. Walter Brück (ders., Der Volksentscheid in der Reichsverfassung, Diss. jur., Marburg 1925 [Auszug], S. 1) sah dagegen sowohl das Referendum als auch die Initiative als Unterarten des Volksentscheids an. Vgl. auch: Georg Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, Reichsgesetz über den Volksentscheid nebst Reichsabstimmungsordnung (1. Aufl.), Berlin 1922, (Einleitung) S. 1. 11 So wurde insbesondere aus dem „Volksentscheid“ nach 1933 die „Volksabstimmung“.

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den Veränderungen und auch Unschärfen in den Begrifflichkeiten sind insgesamt jedoch nicht so schwerwiegend, als dass das Verständnis darunter litte. Der Verfasser hat in seiner Darstellung der wissenschaftlichen Diskurse die jeweils von den beteiligten Wissenschaftlern verwendeten Bezeichnungen – gegebenenfalls kommentiert – übernommen, um diesen nicht nachträglich von ihnen nicht gewählte Terminologien aufzuoktroyieren. Auf die für die wissenschaftliche Entwicklung nach 1948 / 49 wichtige Begrifflichkeit der „Weimarer Erfahrung“ wird im Zusammenhang mit der Forschungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland noch einmal gesondert eingegangen. 3. Forschungsstand Eine Forschungsgeschichte zu gesamtstaatlicher Volksgesetzgebung in Deutschland, die zudem noch die wichtigsten historischen Begleitumstände mit erfasst, existiert bisher nicht.12 Es sind jedoch einige Beiträge zu nennen, die sich von 1919 bis 2002, bezogen auf einzelne Phasen der deutschen Geschichte, mit Teilbereichen der wissenschaftlichen Entwicklung zu einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk auf Reichs- bzw. Bundesebene beschäftigt haben. Für den staatsrechtswissenschaftlich-dogmatischen Umgang innerhalb der Weimarer Republik ist insbesondere die Monographie „La consultation directe du peuple, en dehors de l’élection, d’après la constitution de Weimar“ von Constantin Angelecso-Monteoru von 1933 zu nennen.13 Es handelt sich hierbei zwar in erster Linie um eine rechtswissenschaftliche Stellungnahme zu in der Weimarer Republik aktuellen Streitfragen zur Volksgesetzgebung aus französischer Perspektive; gleichzeitig gibt diese letzte vor der „Machtergreifung“ entstandene, umfangreiche Arbeit aber eine Vielzahl wissenschaftlicher Diskurse mit all den in ihnen in Deutschland vertretenen Positionen wieder. Ein weiterer Autor, der sich in einem kleinen Abschnitt seines Buches „Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem“ von 1971 mit dem rechtspolitischen Umgang der Weimarer Staatsrechtswissenschaft mit einer Volksgesetzgebung auf Reichsebene auseinandergesetzt hat, ist der Bonner Historiker Reinhard Schiffers.14 Dem staatsrechtswissenschaftlichen Umgang mit den nationalsozialistischen Volksabstimmungen auf der Grundlage des Volksabstimmungsgesetzes vom 14. Juli 1933 hat nur der Berliner Historiker und Politologe Otmar Jung einen klei12 Hiervon zu unterscheiden sind Darstellungen zur allgemeinen äußeren Geschichte der Volksgesetzgebung selbst. Auf hier bestehende vor allem staatsrechtliche Beiträge wird im Verlauf der Arbeit an der Stelle verwiesen, an der diese Beiträge forschungsgeschichtlich Einfluss nahmen. 13 Constantin Angelecso-Monteoru, La consultation directe du peuple, en dehors de l’élection, d’après la constitution de Weimar“, Paris 1933. 14 Reinhard Schiffers, Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, Düsseldorf 1971, S. 262 – 291.

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Einleitung

nen Teil seiner Untersuchung „Plebiszit und Diktatur: Die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten“ von 1995 gewidmet.15 Ausdrücklich nennenswerte Überblicke über die forschungsgeschichtliche Entwicklung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland zur „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren oder über die wissenschaftliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Volksabstimmungen nach 1948 / 49 sind dem Verfasser nicht bekannt.

15 Otmar Jung, Plebiszit und Diktatur: die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten, Tübingen 1995, S. 92 – 108.

Kapitel I

Die Einführung der Volksgesetzgebung auf Reichsebene durch die Weimarer Reichsverfassung, ihre normative Ausgestaltung sowie praktische Relevanz – Grundlage wissenschaftlicher Auseinandersetzungen bis heute Nur wer die Entstehungsgeschichte der Weimarer Volksgesetzgebung auf Reichsebene, die Vorstellungen, Erwartungen, aber auch Ängste in der verfassungsgebenden Nationalversammlung kennt und gleichzeitig einen zumindest groben Überblick über die praktischen Auswirkungen der Art. 73 – 76 WRV in der Verfassungswirklichkeit hat, kann die wissenschaftlichen Schwerpunkte, Theorien und Debatten in der Weimarer Republik nachvollziehen. Die Bedeutung dieses politisch-historischen Hintergrundes für die Entwicklung der Forschung geht aber noch über die Zeit der Weimarer Republik hinaus. Auch die wissenschaftlichen Einschätzungen und Bewertungen unmittelbarer politischer Willensbildung im Dritten Reich und vor allem natürlich die historische Aufarbeitung der „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid nach 1945 beruhen zum Teil oder ganz und gar auf der Verfassungswirklichkeit Weimars.1 Dieses Kapitel hat somit eine vorbereitende Funktion nicht nur für die Forschungsgeschichte bis 1933, sondern auch für die Darstellung der Wissenschaft im Dritten Reich und die der Bundesrepublik.

A. Die Entstehung der Weimarer Volksgesetzgebung 1919 Der erste Verfassungsentwurf Hugo Preuß’ vom 3. Januar 1919, Grundlage der Verhandlungen in der verfassungsgebenden Nationalversammlung, enthielt bereits das Institut eines Volksentscheids, sah seine Durchführung aber nur für den Fall eines Konflikts zwischen Reichstag und Reichsrat oder aber Reichstag und Reichspräsident vor und auch dann nur auf Initiative des Reichspräsidenten oder Reichstages.2 Der Volksentscheid beschränkte sich auf eine Schlichtungsfunktion im

1 Der Historiker Reinhard Schiffers (ders., „Weimarer Erfahrungen“: Orientierungshilfe für die Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz?, in: ZfP 6 [1996], S. 353) hat dies mit den Worten ausgedrückt: „Konsens besteht darüber, daß jeder Versuch, die „Weimarer Erfahrungen“ zu bewerten, auch die Ausgestaltung der sogenannten Volksrechte durch die Nationalversammlung einer qualifizierten Kritik unterziehen muß.“

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Kap. I: Einführung und Praxis der Volksgesetzgebung 1919 – 1933

Falle eines Konfliktes zwischen Staatsorganen. Erst im Verlauf der Arbeit der Verfassungsgebenden Nationalversammlung nahm die Volksgesetzgebung, wie sie sich später aus den Art. 73 ff. WRV ergab, ihre endgültige Gestalt an. Es entstand das differenzierte Nebeneinander von direkt oder indirekt durch Reichstag, Reichsrat oder Reichspräsident initiierten Volksentscheiden sowie dem Volksentscheid auf ein unmittelbar aus dem Volk kommenden Volksbegehren. Dieser Entstehungsprozess soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Neben den Vorstellungen von Hugo Preuss und Max Weber als wichtigsten geistigen Vätern der Verfassung (Unterabschnitt 1.), deren Arbeit von zahlreichen privaten Verfassungsentwürfen begleitet wurde (2.), stehen hierbei die Verhandlungen im (achten) Verfassungsausschuss3 der Verfassungsgebenden Nationalversammlung im Mittelpunkt der Betrachtung (3.). Zusätzlich ist es zweckdienlich, auch einen Blick auf die offiziellen Positionen der beteiligten Parteien zur Volksgesetzgebung zu werfen, aus denen die als „Verfassungsväter“ beteiligten Abgeordneten der Nationalversammlung kamen, und denen sie verpflichtet waren (4.). Zusammenfassend wird danach auf die staatsrechtlichen Vorstellungen, Hoffnungen und auch Befürchtungen für die Funktionsfähigkeit des zu konstruierenden demokratischen Systems eingegangen (5.). Eine Darstellung der Entstehung der Weimarer Volksgesetzgebung auf Reichsebene wäre unvollständig, ohne einen Blick auf die Ausführungsgesetze zu werfen. Deshalb ist ein letzter Abschnitt (6.) dem Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (VEG) sowie der Reichsstimmordnung gewidmet. 2 So § 60 II und § 67 II des Vorentwurfs von Hugo Preuß vom 3. 1. 1919 (vgl. Reichsanzeiger Nr. 15 vom 20. 1. 1919, 1. Beilage; Hugo Preuß, Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, S. 388), sowie Art. 26 III, 72 II des ersten offiziellen Entwurfs, abgedruckt in: NVDrS 1919, Nr. 59. In der Entstehungsgeschichte folgten dem überarbeiteten Vorentwurf von Hugo Preuß verschiedene amtliche Entwürfe und Beschlüsse nach: Der Entwurf der Reichsregierung nach den Beschlüssen des Staatenausschusses vom 21. 2. 1919, die in erster Lesung vom 5.3. bis 2. 6. 1919 und in zweiter Lesung vom 16.6. bis 18. 6. 1919 getroffenen Beschlüsse des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung, und die endgültige Fassung nach den Beschlüssen der Nationalversammlung (Plenum) in zweiter und dritter Lesung vom 2.7. bzw. 31. 7. 1919. Vgl. die sehr übersichtliche, synoptische Zusammenstellung, in: Godehard Josef Ebers, Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919. Die amtlichen Entwürfe, die Beschlüsse des Verfassungsausschusses und die endgültige Fassung in vergleichender Gegenüberstellung nebst der vorläufigen Reichsverfassung, Berlin 1919. 3 Grundlage sind hier: Protokolle des 8. Ausschusses der Verfassungsgebenden Nationalversammlung (zitiert im Folgenden „VA, Sitz., Datum, S.“) über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches, in: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 336, sowie Supplement 1 und Supplement 2 zu Bd. 336. Diese sind inhaltlich identisch mit: Berichte der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung 1919, Nr. 21, Bericht und Protokolle des Achten Ausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reichs, (Aktenstück Nr. 391 „Mündlicher Bericht des 8. Ausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches, Nr. 59 der Drucksachen), Berlin 1920. Vgl. außerdem: Eduard Heilfron (Hrsg.), Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, Protokolle der Verhandlungen der Nationalversammlung (NV), Bd. 9, Berlin o.J. (wohl 1920).

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1. Der Volksentscheid als bloße Sanktion des „pouvoir constituant“ im Konflikt der „pouvoirs constitués“ bei Hugo Preuß und Max Weber Am 14. November 1918 bestellte Reichspräsident Friedrich Ebert den linksliberalen Staatsrechtler Hugo Preuß zum Staatssekretär des Innern und beauftragte ihn mit der Ausarbeitung einer Verfassung.4 Nach Beratungen in kleinerem Kreise vom 9. – 12. Dezember 1918, in denen vor allem Max Weber entscheidenden Einfluss nahm,5 entwickelte Preuß einen ersten „privaten“ Verfassungsentwurf, der nicht veröffentlicht wurde. Erst eine überarbeitete Fassung dieses Vorentwurfs vom 3. Januar 1919 erschien als Regierungsentwurf im Reichsanzeiger und wurde als Büchlein, mit einer Denkschrift versehen, veröffentlicht.6 Er wurde im neugebildeten Staatenausschuss, dem Vorgänger des Reichsrates, diskutiert und weiter entwickelt. Am 21. Februar 1919 schließlich brachte Preuß, inzwischen Reichsminister des Innern, auf der Grundlage dieser Beratungen einen ersten amtlichen Verfassungsentwurf in die Nationalversammlung ein.7 Wie bereits dargestellt, war das Institut eines Volksentscheids nur für den Fall eines Konfliktes zwischen Reichsrat und Reichstag oder aber Reichstag und Reichspräsident vorgesehen. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Reichspräsidenten konnte der Reichstag auf diese Weise seine Absetzung erzwingen, mit einem für den Reichspräsidenten positiven Volksabstimmungsergebnis ungewollt aber auch dessen Wiederwahl herbeiführen (Art. 72 II 4 des Entwurfs der Reichsregierung vom 21. Februar 1919 nach den Beschlüssen des Staatenausschusses8). Im Konflikt zwischen Reichstag 4 Vgl. Reichsanzeiger Nr. 272 vom 16. 11. 1918. Zur Entstehungsgeschichte allgemein: Günther Gillessen, Hugo Preuß, Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Berlin 2000, S. 106; Willibalt Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung (2. Aufl.), München 1964; Ernst Rudolf Huber, Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914 – 1919, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, Stuttgart 1978, S. 1178 – 1204. 5 Vgl. Wolfgang J. Mommsen (ders., Max Weber und die deutsche Politik 1890 – 1920, Tübingen 1974, S. 380), der in diesem vorbereitenden Ausschuss die „Geburtskammer der Weimarer Reichsverfassung“ sieht. Ursprünglich hatte Preuß zu diesen Beratungen auch den bekannten Staatsrechtler Gerhard Anschütz eingeladen, der dann aber aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen konnte. 6 Vgl. Reichsanzeiger Nr. 15 vom 20. 1. 1919 (1. Beilage); Preuß, Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung, a. a. O. 7 Vgl. NVDrS 1919, Nr. 59; Zu den Entwurfsstadien vgl. auch: Walter Jellinek, Revolution und Reichsverfassung, in: JöR 9 (1920), S. 46 ff., sowie: Ebers, Die Verfassung des Deutschen Reiches, a. a. O. 8 Vgl. Art. 72 I, II des Entwurfs: „Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre, seine Wiederwahl ist zulässig. Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstags durch eine Volksabstimmung abgesetzt werden. Für den Beschluss des Reichstages gilt das gleiche wie für Verfassungsänderungen. Nach dem Beschluß ist der Reichspräsident an der Ausübung des Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als Neuwahl und hat die Auflösung des Reichstages zur Folge.“

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und Reichsrat sollte die Volksabstimmung dagegen über ein umstrittenes Gesetz entscheiden. Hatte der Reichsrat Einspruch gegen ein Gesetz erhoben, und war es weder zu einem Kompromiss, noch zu einer Zweidrittelmehrheit im Reichstag gekommen, so konnte der Reichspräsident, und nur er, nach Art. 26 III des Entwurfs einen Volksentscheid initiieren.9 Nachdem es den Einzelstaaten nicht gelungen war, bezüglich der Gesetzgebungskompetenzen eine Gleichstellung des Reichsrates mit dem Reichstag zu erreichen10, sollte zumindest das Volk als Schlichter zwischen diesen obersten Reichsorganen fungieren.11 Eine eigenes Initiativrecht des Volkes und damit eine weitergehende Gesetzgebungskompetenz des Volkes war nicht vorgesehen.12 Eine weitergehende unmittelbare Einflussnahme des Volkes hatte keinen Platz in den verfassungsrechtlichen Vorstellungen von Preuß13 und Weber14. Zwar waren 9 Im Fall einer Zweidrittelmehrheit des Reichstages gegen den Einspruch des Reichsrates konnte er dies auch tun, hatte aber auch die Möglichkeit, das Gesetz zu verkünden. Vgl. Art. 26 I, III des Entwurfs: „Gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze steht dem Reichsrat der Einspruch zu. [ . . . ] Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen Beratung vorgelegt. Kommt hierbei eine Übereinstimmung zwischen Reichstag und Reichsrat nicht zustande, so kann der Reichspräsident über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit eine Volksabstimmung herbeiführen, oder aber das Gesetz in der vom Reichstag beschlossenen Fassung verkünden, wenn es dort die für Verfassungsänderungen vorgesehene Mehrheit gefunden hat.“ 10 Vgl. Apelt, Weimarer Verfassung, S. 67 – 68; W. J. Mommsen, Max Weber, S. 395. Ursprünglich bestand sogar die Forderung nach einem Einheitsstaat, der ein Staatenhaus (den späteren Reichsrat) ganz überflüssig gemacht hätte. Den Einzelstaaten gelang es aber, nicht nur ihre Existenz, sondern sich auch weitgehende politische Rechte zu sichern. Die oben dargelegte Regelung war insofern dennoch ein Erfolg der Föderalisten. Vgl. hierzu: Sitzung in der Reichskanzlei am 14. 1. 1919, Beratung des Entwurfs der künftigen Reichsverfassung, in: Conze, Werner / Matthias, Erich (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten 1918 / 1919 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 2. Reihe Bd. 6 / II hg. v. Karl Dietrich Bracher), Düsseldorf 1969, S. 237, 238, 241. 11 Vgl. hierzu die Äußerungen des Zentrumsabgeordneten Beyerle im Verfassungsausschuss: VA 16. Sitz., 27. 3. 1919, S. 162: „Dieses Recht [gemeint war das Vetorecht des Reichstages und die Möglichkeit eines Referendums] stellt sich nach der Zurückdrängung der bundesstaatlichen Rechte dar als einziges Residuum der früheren Rechte des Bundesrates.“ 12 Preuß betonte diese eingeschränkte Funktion des Referendums: VA 17. Sitz., 28. 3. 1919, S. 166: „Im Regierungsentwurf ist konsequent das Prinzip durchgeführt, das Referendum nur da, aber überall da stattfinden zu lassen, wo ein Konflikt zwischen den obersten Reichsorganen zu entscheiden ist.“ 13 Vgl. Jasper Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’ für die Verfassung der deutschen Republik 1919 und ihre Durchsetzung im Verfassungswerk von Weimar, Frankfurt 1991, S. 114 – 8. 14 Weber veröffentlichte viele seiner politischen Vorstellungen in einer Artikelserie der Frankfurter Zeitung im November 1918 (vgl. Max Weber, Gesammelte Politische Schriften, Tübingen 1988, S. 448 ff.), die nach Wolfgang Mommsen (ders., Max Weber, S. 356 ff., 364, 399) einen Meilenstein auf dem Weg zur Weimarer Verfassung darstellen. In vielerlei Hinsicht, insbesondere in Bezug auf einen plebiszitären Reichspräsidenten, aber auch auf die

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beide Anhänger einer „wirklichen“ Volkssouveränität, weswegen sie eine „Volksgesetzgebung“ als demokratisches Mittel der politischen Willensbildung auch nicht grundsätzlich ablehnten. Die Säulen der Verfassung sollten aber ihrer Auffassung nach in erster Linie ein vom Volk gewähltes Parlament und ein vom Volk gewählter und damit vom Parlament unabhängiger Präsident sein.15 Nur so konnte für Preuß und Weber ein „echter“ Parlamentarismus aussehen, wie ihn bereits Robert Redslob vor ihnen propagiert hatte.16 Dass eine Absetzung des Präsidenten nur vom Volk allein bestimmt werden konnte, lag innerhalb dieses Demokratiemodells, auch dass bei einem durch Konflikte zwischen Reichstag und Reichsrat festgefahrenen Gesetzgebungsverfahren in letzter Instanz auf des Volkes Stimme zurückgegriffen werden sollte.17 Eine unmittelbare Gesetzgebung auf Initiative des Volkes selbst widersprach dagegen der Vorstellung von einer parlamentarischen Demokratie, in der das Parlament die Gesetze erlässt, die aber behütet und angeführt werden sollte von einem direkt gewählten Staatsoberhaupt. Das Volk als übergeordneter Souverän sollte als letzte Instanz der politischen Willensbildung hinter den pouvoirs constitués bleiben und kein echtes Staatsorgan sein. Es war insofern nur konsequent, dass Hugo Preuß in seiner „Denkschrift zum Entwurf des Allgemeinen Teils der Reichsverfassung“ vom 3. Januar 1919 neben den bereits dargestellten Möglichkeiten als dritte Anwendungsform des „Referendums“ den Volksentscheid über zukünftige Verfassungsänderungen propagierte.18 Hier war wieder der pouvoir constituant im Sinne der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes direkt, die Ebene oberhalb der normalen Gesetzgebung, betroffen. Integration von Volksentscheid und Volksbegehren, waren seine Vorschläge und Bedenken für Preuß wegweisend. Seine Staatskonzeption wurden später in den konkreten Verfassungsverhandlungen von verschiedenen Liberalen wie den DDP-Abgeordnete Koch-Weser, Ablaß oder Naumann vertreten und war insofern, obwohl er selbst nicht Mitglied des Verfassungsausschusses war, immer präsent. Vgl. außerdem: Schiffers, Elemente, S. 110. 15 Gillessen, Hugo Preuß, S. 110 – 112, 124 ff. 16 Redslob gilt diesbezüglich als Vordenker der Weberschen Staatskonzeption, wie sie auch Preuß vertrat. Vgl. Ernst Portner, Die Verfassungspolitik der Liberalen 1919, Bonn 1973, S. 136. Portner bezieht sich auf: Robert Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form, Tübingen 1918. 17 Hugo Preuß legte dies auch deutlich dar in seiner Denkschrift zum Entwurf des Allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. 1. 1919 (ders., Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung, S. 388 – 89): „Da sowohl der Reichspräsident wie das Parlament ihre politische Gewalt vom deutschen Volke ableiten, so muß die Entscheidung über sonst nicht auszugleichende politische Konflikte wiederum dem Volke zufallen. [ . . . ]. Wenn es sich jedoch um eine Meinungsverschiedenheit über ein einzelnes Gesetz handelt, ohne daß die Gesamtrichtung der Politik in Frage gestellt werden soll, so kann der Präsident eine Entscheidung des Volkes über die bestimmte Gesetzesfrage auch ohne Auflösung des Parlamentes dadurch herbeiführen, daß er die Gesetzesfrage der Volksabstimmung im Wege des Referendums unterbreitet.“ 18 Ebd., S. 390. Das dieser Vorschlag sich normativ noch nicht in seinem Entwurf niederschlug lag daran, dass Preuß es für zweckmäßiger hielt, „in Erwägung des gewaltigen Wandels aller Verhältnisse“ für eine Übergangsphase das Recht der Verfassungsänderung noch beim Parlament zu belassen (vgl. Art. 54 des ersten Entwurfs).

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Die Gründe für diese Zurückhaltung gegenüber einer weitergehenden Einbindung des Volkes in die Gesetzgebung waren bei Preuß wie auch Weber vor allem pragmatisch-politischer Natur. Preuß sah in seiner Denkschrift von 3. Januar 1919 insbesondere ein Initiativrecht des Volkes als für „großstaatliche Verhältnisse nicht zweckmäßig“ und organisatorisch problematisch an.19 Für Max Weber stellten zwar grundsätzlich sowohl Referendum als auch ein plebiszitär legitimierter Präsident alternativ potentielle Gegengewichte zum Parlamentarismus dar. Ihre politische Wirksamkeit sei jedoch sehr unterschiedlich. Zwar seien, so Weber, ein plebiszitärer Reichspräsident und Volksabstimmungen über Gesetze als Gegengewicht zum Parlamentarismus „formell ähnlich“; diese beiden plebiszitären Verfassungsinstitute wirkten aber „politisch gerade entgegengesetzt“. Während ein „Vertrauensmann des Volkes“ für Klarheit und Wirksamkeit stünde, sei die Volksabstimmung als ein „durchaus konservatives politisches Mittel“ nur „ein starkes Hemmnis schnellen Fortschreitens der Gesetzgebung“. Kompromisse seien nicht möglich.20 Weber entschied sich daher, und auch in Anlehnung an Bismarcksche und monarchistische Verfassungskonzeptionen sowie aus einer Abneigung gegen Parteien und Parlamentsherrschaft heraus, für einen direkt gewählten Reichspräsidenten.21 Im Ergebnis verwarfen sowohl Preuß als auch Weber den Volksentscheid zwar nicht völlig, reduzierten dessen Funktion aber auf eine dritte Instanz hinter Reichstag und Präsident und lehnten insbesondere ein Volksbegehren ab.22 2. Die Volksgesetzgebung auf Reichsebene in privaten Verfassungsentwürfen Dass die Vorstellungen von Max Weber und Hugo Preuß, ihre Zurückhaltung gegenüber weitergehenden Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes an der Gesetzgebung, den politisch-staatsrechtlichen Vorstellungen vieler Zeitgenossen entsprachen, zeigen die zahlreichen privaten Verfassungsentwürfe dieser Zeit. Insgesamt konnte der Verfasser dreizehn solcher Verfassungsvorschläge für eine deutsche Republik aus der Feder von Staatsrechtswissenschaftlern, Rechtsanwälten und Politikern einsehen, die zumeist vor dem preußschen Vorentwurf vom 3. Januar 1919 entstanden sind.23 Sie geben einen guten allgemeinen Eindruck von 1919 in Ebd.; Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’, S. 77. Max Weber, Deutschlands künftige Staatsform, in: Politische Schriften, S. 469, 474 – 5; vgl. auch ders., Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland in: ders., Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914 – 1918 (hg. v. Wolfgang J. Mommsen), Tübingen 1984, S. 543 – 545. 21 W. J. Mommsen, Max Weber, S. 356 ff., 390; Max Weber, Politik als Beruf in: Politische Schriften, S. 514 – 516. 22 Ebd. S. 475 – 476. 23 Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reichs, hg. vom Verein „Recht und Wirtschaft e.V.“, Berlin 1919 (Verfasser Erich Kaufmann, Heinrich Triepel u. a.); Johann Viktor Bredt, 19 20

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der politisch engagierten Gesellschaft herrschenden Einstellungen zur Volksgesetzgebung und auch über die diesbezüglichen Vorstellungen der Staatsrechtswissenschaft, soweit sie sich zu diesem Zeitpunkt mit der Verfassungsentstehung auseinander setzte.24 Die Entwürfe des Freikonservativen und späteren Justizministers unter Reichskanzler Brüning, Prof. Johann Viktor Bredt, des Leipziger Staatsrechtlers Prof. Erich Brandenburg sowie die von Heinrich Horst, A. Roth und Walther Schotte enthalten keine Bestimmungen, die eine weitergehende Beteiligung des Volkes über die Wahlen hinaus in Form von Volksentscheid oder Volksbegehren vorsahen.25 Während der bekennende Gegner des Parteienwesens Bredt26 wie auch Heinrich Horst27 und der Heidelberger Rechtsanwalt A. Roth dies nicht näher begründeten, hielt Schotte eine unmittelbare Gesetzgebung in einem großen Staat allgemein für „schlecht anwendbar“ und das gleiche und geheime Wahlrecht eines jeden für völlig ausreichend.28 Erich Brandenburgs Ablehnung ging in dieselbe Richtung, war jedoch grundsätzlicherer Natur: „Ein arbeitendes Volk braucht Männer an der Spitze, zu deren Einsicht und Charakter es Vertrauen hat; aber es muß Das Werk des Herrn Preuß oder Wie soll eine Verfassung nicht aussehen?, Berlin 1919; Entwurf für die Verfassung des neuen Deutschen Reiches, in: Die Deutsche Nation (Sonderheft), Berlin Dezember 1918; Walter Schotte, Der Weg zur Gesetzlichkeit. Die demokratischen Verfassungen der Welt im deutschen Wortlaut, Berlin 1919; Fritz Stier-Somlo, Die Verfassungsurkunde der Vereinigten Staaten von Deutschland, Ein Entwurf mit Begründung, Tübingen 1919; A. Roth, Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches, Mannheim 1919; Erich Brandenburg, Wie gestalten wir unsere künftige Verfassung, Leipzig 1919; Hermann Weck, Die neue Reichsverfassung, ein Vorschlag, Berlin 1919; Heinrich Horst, Entwurf zur Staatsverfassung der Deutschen Republik, Berlin 1919; Albrecht MendelsohnBartholdy, Der Volkswille, Grundzüge einer Verfassung, München 1919 (rezensiert von: Richard Thoma, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 47 (1920), S. 580 – 582); Curt Löwenstein / Fritz Stern, Entwurf einer deutschen Verfassung, Königsberg 1918; Karl Rathgen, Die künftige Verfassung des Deutschen Reiches (Flugschriften der Deutschen Demokratischen Partei Hamburg, Heft 1) Hamburg 1919; Karl Binding, Die staatsrechtliche Verwandlung des Deutschen Reiches, Leipzig 1919. Vgl. zum Thema auch die Ausführungen von: Angelescou, consultation directe, S. 52 – 61; Werner Hartwig, Volksbegehren und Volksentscheid im deutschen und österreichischen Staatsrecht, Berlin 1930, S. 10 – 13; Louis Faure, Les institutions de gouvernement direct en Allemagne depuis la guerre, Paris 1926, S. 7 – 13; Schiffers, Elemente, S. 97 – 114. Schiffers weist sogar 15 private Entwürfe nach. 24 Laut Christoph Gusy (ders., Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, 420 – 425, 422) erlebte die Staatsrechtswissenschaft „die Revolution und die Verfassung“ vor allem „zunächst als Erschütterung der eigenen Grundlagen“ und büßte die „normative Basis ihres juristischen Denkens“ ein. 25 In Bezug auf den Entwurf Roths ist anzumerken, dass er anders als die anderen Genannten eine Regelung über ein Territorialplebiszit enthält, dass jedoch, wie zu Beginn der Arbeit dargelegt, nicht Volksgesetzgebung im engeren Sinne ist. Vgl. Roth, Entwurf einer Verfassung, S. 25 (Art. 85 II, 87 II des Entwurfs). 26 Bredt, Das Werk des Herrn Preuß, S. 3, 6. 27 Horst, Entwurf zur Staatsverfassung, a. a. O. 28 Schotte, Der Weg zur Gesetzlichkeit, S. 98.

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diesen auch die Entscheidung überlassen, damit es nicht beständig in Unruhe erhalten und aus der Arbeit und dem Familienleben herausgeholt wird. Das System der unmittelbaren Volksregierung ist ein System des Mißtrauens und der Bevorzugung unverantwortlicher Maulhelden. Es führt, je mehr das ermüdete Volk in seiner regelmäßigen Abstimmungs- und Wählarbeit erlahmt, desto schneller und sicherer zur Herrschaft derjenigen, die immer an Platze sind, weil sie nichts anderes zu tun haben.“29 Ein System direkter Volksherrschaft, wie es Rousseau zuerst gefordert habe, sei, wenn überhaupt, nur in kleineren Staaten praktikabel.30 Die Verfassungsentwürfe bzw. Vorschläge Karl Bindings, Curt Löwensteins und Fritz Sterns, Erich Kaufmanns und Heinrich Triepels, Fritz Stier-Somlos, sowie die Karl Rathgens, Albrecht Mendelsohn-Bartholdys, der Entwurf der Herausgeber der „Deutschen Nation“31 und der des Berliner Rechtsanwaltes Hermann Weck, all diese und damit die Mehrheit der „privaten“ Beiträge enthalten nur vereinzelte Elemente unmittelbarer Gesetzgebung des Volkes. Ihre Einbindung erfolgte hierbei vor dem Hintergrund, dass diese Beiträge, wie fast alle privaten Entwürfe,32 eine Staatsstruktur vorsahen, die auf einer Volksvertretung33, einer Ländervertretung,34 und einem Staatsoberhaupt35 beruht. Diese drei Elemente, in unterschiedlichen Machtpositionen zueinander angeordnet, sind die Säulen der Verfassung, über denen das Volk als Souverän und Verfassungsgeber steht. Wie Preuß schlugen Erich Kaufmann und Heinrich Triepel, Karl Rathgen, Albert Mendelsohn-Bartholdy, Fritz Stier-Somlo, die Herausgeber der Zeitschrift „Deutsche Nation“ und Hermann Weck einen Volksentscheid im Fall einer Auseinandersetzung zwischen Ländervertretung und Volksvertretung oder aber Volksvertretung und Staatsoberhaupt vor.36 Ebenfalls mehrfach, so bei Heinrich Triepel und Erich Kaufmann, Fritz Stier-Somlo aber auch Curt Löwenstein und Fritz Stern sowie dem Hamburger Staatsrechtslehrer Prof. Karl Rathgen sollte eine Verfassungsänderung durch ein teils obligatorisches, teils, bei Uneinigkeit der Staatsorgane, fakultatives Referendum vom Volk beschlossen werden können.37 Die Rolle des Volkes als vor allem Brandenburg, Wie gestalten wir unsere künftige Verfassung, S. 17 – 18. Ebd., S. 16. 31 Nach Schiffers (ders., Elemente, S. 99) handelte es sich bei den Gründern der „Deutschen Nation“ um eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes um Kurt Riezler, Harry Graf Kessler sowie den bekannten Politiker Eugen Schiffer. 32 Also auch die, die gar keine Regelungen über einen Volksentscheid vorsahen. 33 In den Entwürfen auch Parlament, Reichstag, Volkshaus oder Nationalversammlung genannt. 34 In den Entwürfen auch als Länderrat oder Staatenhaus bezeichnet. 35 In den Entwürfen auch als Präsidenten, Reichsverweser, Bundespräsident oder Reichspräsident bezeichnet. 36 Entwurf, Recht und Wirtschaft e.V., Art. 130 (S. 31); Stier-Somlo, Verfassungsurkunde, § 6 III (S. 17); Entwurf, Die Deutsche Nation, Art. 30, 31 (S. 13); Rathgen, Die künftige Verfassung, S. 18; Mendelsohn-Bartholdy, Der Volkswille, S. 11; Weck, Die neue Reichsverfassung, § 34 (S. 41). Bei Weck übte der Reichskanzler gleichzeitig die Funktion des Reichspräsidenten aus. 29 30

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hinter den Staatsorganen stehende Macht wird sehr deutlich auch bei Hermann Weck, bei dem das Volk das exklusive Recht erhielt, unmittelbar das Parlament aufzulösen und auch den Reichskanzler bei Stimmengleichheit im Reichstag selber zu wählen oder nach einem Misstrauensvotum des Reichstags abzuberufen.38 Im Ergebnis erscheint der Volksentscheid in diesen Verfassungsentwürfen wie bei Hugo Preuß und Max Weber in erster Linie als ein Weg zur Konfliktlösung zwischen einzelnen Staatsorganen, ohne dass dem Volk selber wirklich die Stellung eines pouvoir constitué neben anderen eingeräumt wurde. Der staatsorganisatorische Rückgriff auf einen Volksentscheid erfolgte in den Fällen, in denen die Staatsorgane nicht mehr selber entscheiden können oder aber die Verfassung als Grundlage des Staatswesens betroffen ist. Keiner der dargestellten Entwürfe vereinte alle hier dargestellten Fälle eines Volksentscheides oder auch nur annähend ein so großes Instrumentarium der Volksgesetzgebung in sich, wie es später in die Weimarer Verfassung Eingang fand. Vor allem ein echtes Volksbegehren als ein eigenes Initiativrecht zu einem durch Volksentscheid beschlossenen einfachen Gesetz oder zumindest als volksinitiiertes Mittel gegen ein bereits beschlossenes Gesetz erschien den Autoren in der Regel als nicht nötig oder wurde von ihnen nicht gewollt. Nur die Entwürfe Albrecht Mendelsohn-Bartholdys und Karl Bindings sahen solche Beteiligungsformen vor.39 Letzterer äußerte sich hierbei folgendermaßen: „Zum Schlusse erhebt sich noch eine Prinzipienfrage. Haben beide Häuser einen Gesetzentwurf mit der notwendigen Majorität angenommen – soll das deutsche Volk ein Mittel erhalten, dessen Erwachsen in die Rechtskraft zu hindern, wenn es das Gesetz für unheilvoll erachten würde? [ . . . ] Mir will scheinen: dem so stark demokratischen Geist der neuen Verfassungsgründung würde allein die Bejahung der Frage entsprechen. In der Schweiz können heute 20 000 Stimmen die Volksabstimmung über ein solches Gesetz verlangen. 37 Vgl. Löwenstein / Stern, Entwurf einer Deutschen Verfassung, Art. 23, § 1 (S. 12, 24); Rathgen, Die künftige Verfassung, S. 19. Fritz Stier-Somlo (ders, Verfassungsurkunde, § 6 II und IV, S. 17,18) und der Entwurf des Vereins Recht und Wirtschaft e.V. (ebd., Art. 148, S. 36) forderten im Fall einer Verfassungsänderung sogar die Einrichtung eines Forderungsrechts des Volkes. Ausdrücklich gegen ein obligatorisches oder fakultatives Verfassungsreferendum wendete sich Karl Binding (ders., Die staatsrechtliche Verwandlung, S. 47 – 48). 38 Vgl. Weck, Die neue Reichsverfassung, §§ 29, 31 (S. 24, 25, 40). 39 Vgl. Mendelsohn-Bartholdy, Der Volkswille, S. 11: „Das deutsche Volk ist im Reich und in den einzelnen Staaten reif für das Recht der unmittelbaren Abstimmung über Gesetze. [ . . . ] Gesetze müssen ihm vorgelegt werden, [ . . . ] wenn eine in der Verfassung bestimmte Zahl von Bürgern die Volksabstimmung durch Namensunterschrift fordert“. Vgl. Binding, Die staatsrechtliche Verwandlung, S. 17 – 18. Ein Volksbegehren für ein einfaches Gesetz immerhin noch erwägend, dies aber im Ergebnis dann eher ablehnend, ist Karl Rathgen (vgl. ders., Die künftige Verfassung, S. 18). Nicht behandelt ist hier der vom Autor nicht aufgefundene Entwurf Gerhard Tischers, der sich laut Reinhard Schiffers so eng an die Bundesverfassung der Schweiz und die des Kantons Zürich einschließlich aller dort enthaltenen Regelungen zur Volksgesetzgebung anlehne, dass seine Vorschläge für Deutschland völlig unrealistisch gewesen wären (vgl. ders., Elemente, S. 100 unter Verweis auf: Gerhard Tischer, Grundzüge zum Entwurf einer Verfassung eines demokratischen Volksstaates nach dem Vorbilde der Verfassung der Schweiz und des Kantons Zürich unter Hinzufügung des Ausbaus einer sozialen Betriebsverfassung, Erlangen o.J. [GSTAM MA I / 1013]).

3 Schwieger

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Kap. I: Einführung und Praxis der Volksgesetzgebung 1919 – 1933 Wir müßten die Stimmenzahl natürlich viel höher ansetzen. Es kann sich aber sehr wohl ereignen, daß ein solch unheilvolles Gesetz durch eine Zufallsmajorität im Parlamente zur Annahme gelangt ist, oder eine gewissenlose Partei ihre momentane Machtstellung im Parlament in egoistischem Interesse mißbraucht hat: dagegen soll sich das deutsche Volk wehren können.“40

Es war das Misstrauen gegen den Parlamentarismus und gegen das Parteienwesen, das Karl Binding leitete, dasselbe Motiv, das auch Erich Kaufmann als entscheidend für die Einführung von Volksentscheiden im Entwurf des Vereins für Wirtschaft und Recht anführte.41 Es findet sich auch in den späteren Verhandlungen im Verfassungsausschuss der verfassungsgebenden Nationalversammlung wieder, auf die im Folgenden noch genauer einzugehen ist. Einen nachweisbar unmittelbaren Einfluss auf die Arbeit der verfassungsgebenden Nationalversammlung hatte von den privaten Verfassungsentwürfen nur der von Erich Kaufmann und Heinrich Triepel erarbeitete Entwurf des Vereins „Wirtschaft und Recht“.42 Viele der Entwürfe sind von den Verfassungsvätern aber sicher wahrgenommen worden oder haben sogar konkret ihre Vorstellungen beeinflusst.

3. Der Ruf nach einer weitergehenden Volksgesetzgebung als zusätzlichem „Grundpfeiler der Verfassung“ im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung Die von Hugo Preuß und Max Weber vorgeschlagene Rolle von Volksentscheiden im neuen Verfassungsgefüge wurde erst im Rahmen der Ausschussverhandlungen über die Bestimmungen des Art. 26 III (1. Entwurf) am 28. März 1919 in Frage gestellt. Es war der DNVP-Abgeordnete Schultz, der als erster eine weitergehende „Volksgesetzgebung“ forderte: „In Art. 26 kommt zum ersten Male die Frage des Referendums zur Sprache. Es wird zu erwägen sein, ob das Referendum nicht eine umfassendere Stellung erhalten soll. [ . . . ]. Inwieweit die Volksabstimmung sich bewährt hat, kann dahinstehen. Es scheint mir nicht zweifelhaft, daß wir einer Radikalisierung unserer Gesetzgebung entgegensehen. Ich halte es für erforderlich, dem nach Möglichkeit vorzubeugen. Als ein Mittel hierfür betrachte ich die Volksabstimmung.“43 40 Binding, Die staatsrechtliche Verwandlung, S. 17 – 18. Reinhard Schiffers (ders., Elemente, S. 104) sieht hier neben einem „Misstrauen gegen selbständige Schritte der Stimmberechtigten“ möglicherweise auch bloße Unkenntnis des „ausländischen verfassungsrechtlichen Kontextes“ als Ursache für die Zurückhaltung der Autoren an. 41 Erich Kaufmann, Grundfragen der künftigen Verfassung, Berlin 1919, S. 21. Die Schrift entstand laut eigenen Angaben (ebd., S. 1) im Zusammenhang mit dem vom Autor und Heinrich Triepel miterarbeiteten Verfassungsentwurf. 42 So Hartwig, Volkbegehren, S. 12. 43 VA 17. Sitz., 28. 3. 1919, S. 165.

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Er plädierte deshalb für eine direkte Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung auf Initiative eines Drittels des Reichstages, des Reichspräsidenten, oder einer Million Wahlberechtigter. Es war also ein nationalkonservativer Ausschussabgeordneter, der als erster umfassende Regelungen für einen Volksentscheid und ein Volksbegehren forderte. Offen bleibt, ob Schultz mit der von ihm befürchteten „Radikalisierung der Gesetzgebung“ seine Skepsis gegenüber dem Reichstag als einzigem Rechtsetzungsorgan, die Ablehnung eines reinen Parlamentarismus, oder aber eher seine Sorge vor einer linken bis linksliberalen Dominanz im Parlament artikulierte. Er ging aber anscheinend von einer „konservativen“ Wirkung von Volksentscheiden aus. Fast in unmittelbarem Anschluss44 an Schultz äußerte Hugo Preuß Bedenken gegen eine direkte Volksgesetzgebung, wobei er die Argumente vorbrachte, die bereits in seiner Denkschrift vom 3. Januar 1919 angeklungen waren45, und die er auch später im Laufe der Verhandlungen noch mehrmals wiederholten sollte. Er plädierte dafür, es bei der in Art. 26 III (1. Entwurf) niedergelegten Volksbeteiligung zu belassen, da „die Einrichtung, die in den Kantonen der Schweiz und einigen Einzelstaaten Nordamerikas eingeführt ist, sich auf ein Volk von 70 Millionen nicht ohne weiteres anwenden“ ließe: „Es würde eine außerordentlich große Agitation mit riesigen Kosten dazu gehören“.46

Preuß betonte hierbei, dass es allein Praktikabilitätsgründe seien, die ihn gegen weitreichende Plebiszitregelungen opponieren ließen: „[ . . . ] und es liegt mir auch fern, etwa prinzipielle Gegengründe gegen den Gedanken des Referendums anzuführen, auch nicht dagegen, ihm eventuell eine weitere Ausdehnung zu geben, als der Verfassungsentwurf vorgesehen hat. Die Gründe, die [ . . . ] entgegenstehen, sind also nicht prinzipieller Art, sondern sind Fragen der praktischen Politik und der Zweckmäßigkeit im Hinblick auf die Verhältnisse des Deutschen Reichs.“47

Wie wenig Wirkung seine Worte fanden, zeigte sich am 9. und 11. April 1919 in der für Volksentscheid und -begehren entscheidenden 26. und 28. Sitzung des Verfassungsausschusses. Grundlage der Verhandlungen waren zwei Anträge aus den Reihen der SPD und DDP.48 Insbesondere die Sozialdemokraten machten sich hierbei für die Volksgesetzgebung stark.49 Getragen von einem Wunsch nach mög44 Unmittelbar nach ihm forderte zunächst der USPD-Abgeordnete Cohn in einer kurzen Stellungnahme ebenfalls eine ausführlichere Behandlung des Themas. Vgl. ebd., S. 166, sowie mit anderer Deutung: Schiffers, Elemente, S. 113. 45 Vgl. Kap. I A. 1. 46 VA 17. Sitz., 28. 3. 1919, S. 166. 47 VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 308. 48 Vgl. Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 336, Supplement 1, Nr. 169 (DDP „angeführt“ vom Abgeordneten Koch) und Nr. 182 (Ausführungen des SPD-Abgeordneten Keil). 49 Die Aussage Reinhard Schiffers (ders., Elemente, S. 130), dass es alleine der „Mehrheitssozialdemokratie vorbehalten“ geblieben sei, für einen Ausbau des Referendums einzutreten, muss aber trotz maßgeblicher Beteiligung relativiert werden. Ähnlich auch: Sigrid

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lichst unmittelbarer Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung wurde von Ausschussmitgliedern wie dem SPD-Abgeordneten Wilhelm Keil, der sich inhaltlich auf eine Studie des Liberalen Julius Curtius stützte,50 oder dem DDPMitglied Erich Koch, eine Volksgesetzgebung in verschiedenen Variationen gefordert. Die Volksabstimmung sei ein „Mittel, die Stetigkeit der demokratischen Entwicklung zu sichern“. Das Volk werde sich so als „Schöpfer seines eigenen Rechts erkennen“.51 Ohne Berücksichtigung der Frage, ob nicht ein Durcheinander von Gesetzgebungskompetenzen drohen könnte, wurde die Volksabstimmung von Koch als neuer „Grundpfeiler der Verfassung“ neben Reichspräsident, Reichstag und Reichsrat propagiert: „[ . . . ] je mehr Säulen für den demokratischen Aufbau des Staates geschaffen werden, um so sicherer [wird] der Volkswille festgestellt [ . . . ] es ist viel besser, daß das Volk einmal dazu kommt, sich über sachliche Fragen zu entscheiden als über personelle Fragen. Wir glauben, daß [ . . . ] dann auch der politische Sinn des Volkes sich daran aufrichten wird. [ . . . ] Es ist erzieherische Arbeit, die dadurch geleistet wird.“52

Dass durch Volksentscheid und Volksbegehren die Gesetzgebungskompetenzen des Parlamentes einer Konkurrenz ausgesetzt wurden, die dessen Funktionalität und auch seinen Status im Verfassungsgefüge direkt gefährden könnte, wurde nicht als Problem gesehen. Als Gefahren wurden von den Antragstellern eine mögliche Radikalisierung der Politik, Hemmung von notwendigem unpopulärem Fortschritt, häufige Abstimmungen und hohe Kosten erkannt. Diese wurden jedoch entweder als gering oder aber angesichts des Demokratiegewinns als vertretbar angesehen.53 Als Absicherung sollte ein nicht zu einfach zu erreichendes Quorum beim Volksbegehren sowie die Ausklammerung von Haushalts- und anderen Finanzgesetzen aus der betroffenen Gesetzesmaterie genügen. Neben wiederum Hugo Preuß war es nur der DNVP-Abgeordnete Clemens von Delbrück, ein ehemaliger Staatsminister aus Thüringen, der neben der Gefahr, „daß zu oft Unruhe in das Volk gebracht“ werde, auch das Problem eines destabilisierenden Nebeneinanders von Gesetzgebungskompetenzen fürchtete. Er sah es zudem für die Abgeordneten „angesichts der dauernden Agitation“ als unmöglich an, „im Reichstag ihre Pflicht zu Vestring, Die Mehrheitssozialdemokratie und die Entstehung der Reichsverfassung von Weimar 1918 / 1919, Münster 1987, S. 165. 50 Vgl. Schiffers, Elemente, S. 40, 131 unter Bezugnahme auf: Julius Curtius, Über die Einführung von Volksinitiative und Volksreferendum in die neuen Verfassungen der deutschen Staaten. Untersuchungen aufgrund des Regierungsentwurfs zur badischen Verfassung, Heidelberg 1919. 51 Vgl., VA 26. Sitz., 9. 4. 1919, S. 294 f. (Abg. Keil). 52 VA 28. Sitz., 28. 4. 1919, S. 307. 53 Vgl., VA 26. Sitz., 9. 4. 1919 (Abg. Keil), S. 294, 295; VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 307 (Abg. Koch): „Es darf nicht gesagt werden, daß nun eine solche Volksabstimmung unter allen Umständen radikal wirkt. Es wird im Gegenteil sehr häufig der Fall sein, daß das Volk dasjenige, was die Rufer im Streit im Parlament als sehr wichtig fordern, nicht [ . . . ] mitmachen will, so daß eine Volksabstimmung unter Umständen den wirklichen Willen des Volkes feststellen kann“.

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tun und sich gleichzeitig mit ihren Wählern zu verständigen.“54 Hugo Preuß selbst verstärkte im Laufe der Ausschussdiskussionen die Argumentation gegen eine, seiner Meinung nach, unnötige Verkomplizierung der Reichsgesetzgebung, die die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gefährden könne.55 Er fand sich zwar widerstrebend mit der Ausdehnung der Referendumsbestimmungen auf eine Volksinitiative ab, sah aber ein zu niedriges Quorum für das Volksbegehren als „halsbrecherisch“ an.56 Er betonte zudem als einziger die Gefahr eines Missbrauchs, einer Instrumentalisierung zur Demagogie, indem er zu bedenken gab, dass „vielleicht unter Umständen das Referendum eine schärfere Waffe in der Hand großer wirtschaftlicher Interessen sein kann, die sich eventuell leisten können, diese Spesen in die Sache hineinzustecken, als im Interesse der breiten Volksmassen.“57 Seine Bedenken, die er später noch einmal in der Schrift „Deutschlands Staatsumwälzung“ artikulierte,58 fanden wie in der vorangehenden Sitzung des 28. März bei den Parteien wenig Widerhall und im Ausschuss keine große Berücksichtigung. Grundlage der Diskussion und später auch der Abstimmung im Plenum der Nationalversammlung blieben unverändert die Anträge der DDP und SPD. Die SPD forderte hierbei die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden für ganze Gesetze und Teile von Gesetzen, sowie neben der Volksgesetzgebung die Möglichkeit einer Auflösung des Reichstages durch Volksentscheid und ein obligatorisches Verfassungsreferendum, in dem jede Verfassungsänderung einer Zustimmung von zwei Drittel der Stimmberechtigten bedurfte. Von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen sein sollten nur das Haushaltsgesetz und Besoldungsgesetze. Das Initiativrecht sollte alleine bei den Stimmberechtigten liegen. Es war weder eine Beteiligung des Reichspräsidenten noch des Reichstages oder der Reichsregierung vorgesehen.59 Der Antrag der DDP sah dagegen weder die Möglichkeit einer Parlamentsauflösung durch Plebiszit, noch ein obligatorisches Verfassungsreferendum vor. Auch blieben hier die bereits im ersten amtlichen Entwurf enthaltenen Initiativrechte des Reichspräsidenten erhalten. Zu ihnen trat ein Initiativrecht des Volkes alleine und im Zusammenwirken mit Teilen des Reichstages. Insgesamt enthielt der Antrag der DDP weitgehend die später von der Nationalversammlung verabschiedeten Bestimmungen. Nur die Beteiligungsquoren der Art. 75 und 76 I 3 WRV wurden erst in der dritten Lesung des Plenums hinzugefügt.60 54 Der Abgeordnete von Delbrück war, wie der Abgeordnete Schultz aus Bromberg, von dem ja der erste Anstoß für eine Einführung der Volksgesetzgebung gekommen war, Mitglied der DNVP. Vgl.: VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 309 – 310. 55 VA 39. Sitz., 6. 6. 1919, S. 489 (Preuß). 56 VA 28. Sitz., 11.4. 1919, S. 309 (Preuß). 57 Ebd. 58 Hugo Preuß, Deutschlands Staatsumwälzung, Berlin 1919, S. 14. Hier bemühte sich Preuß im Anschluss an seine Bedenken, den neuen Verfassungsregelungen zum Volksentscheid und Volksbegehren auch Positives abzugewinnen, was ihm aber sichtlich schwer fiel. 59 Schiffers, Elemente, S. 131.

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4. Die Positionen der in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zur Volksgesetzgebung Während im Verfassungsausschuss über Parteigrenzen hinweg diskutiert wurde, gab es auch offizielle Stellungnahmen der Parteien zu Volksentscheid und Volksbegehren, selbst von denen, die keinen eigenen inhaltlichen Antrag in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung stellten. Die Haltung der SPD erläuterte der Abgeordnete Keil am 9. April 1919 im Verfassungsausschuss, worauf bereits eingegangen wurde. Ihr Interesse an einer möglichst weitgehenden direkten Beteiligung des Volkes erklärt sich zum Teil historisch. Bereits im Eisenacher Programm von 1869 war die Einführung direkter Gesetzgebung postuliert und sowohl 1875 in Gotha, als auch 1891 in Erfurt, wiederholt worden.61 Es handelte sich hierbei jedoch eher um eine allgemeine politische Forderung als um ein Element einer konkreten verfassungspolitischen Strukturvorstellung. Ein Verfassungskonzept schien in einer rein sozialistischen Theorie unnötig, deren Ziel zunächst einmal der Untergang des bestehenden Obrigkeitsstaates war. Sein Ende wurde mit dem Anfang des sozialistischen Zukunftsstaates gleichgesetzt. Sowohl Parlament als auch direkte Volksgesetzgebung hatten insofern nur die Funktion, politisch diesen Zukunftsstaat durchzusetzen.62 Erst sehr spät, angestoßen vor allem durch Karl Kautskys Schrift „Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie“ von 1892, begann innerhalb der SPD eine Diskussion über Verfassungsstrukturen und eine programmatische Hinwendung zum Repräsentationsprinzip.63 Diese verstärkte sich noch nach der Abspaltung der USPD 1917, vor allem aber bei der Arbeit an der Weimarer Verfassung,64 änderte aber nichts daran, dass die SPD unmittelbarer Gesetzgebung durch das Volk weiterhin positiv gegenüber stand. Neben dieser historisch entstandenen 60 VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 307; Simon Katzenstein, Verfassungsrechtliche Streitfragen zum Volksentscheid, in: Die Justiz 1 (1925 / 26), S. 592 – 597. Auch diese letzten Änderungsanträge, die anders als doch einige andere im Plenum erfolgreich waren, stammten von der DDP und der SPD, eingebracht durch die Abgeordneten Waldstein, Koch-Weser (beide DDP) und Keil (SPD). Vgl. Schiffers, Elemente, S. 115 mit weiteren Verweisen. 61 Vgl. Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869, Nr. III 2; Gothaer Programm der sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland, Nr. II 2; Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1891, Nr. 2: alle abgedruckt in: Wilhelm Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, München 1960, S. 312, 313 – 314, 351. 62 Vestring, Mehrheitssozialdemokratie, S. 10, 11. 63 Karl Kautskys, Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie, Stuttgart 1893. Vgl. auch: Wolfgang Mantl, Eine frühe Weichenstellung zwischen Parlamentarismus und direkter Demokratie, Die Auseinandersetzung Kautskys mit Rittinghausen im Jahre 1893, in: Manfred Funke / Hans Adolf Jakobsen / Hans Helmuth Knütter / HansPeter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur, Düsseldorf 1987, S. 534 – 553. Mantl bezieht sich neben dieser Schrift noch auf: Karl Kautsky, Das Erfurter Programm. In seinem grundsätzlichen Theil erläutert, Stuttgart 1892. 64 Vestring, Mehrheitssozialdemokratie, S. 12 – 13, 154.

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Grundhaltung war es ein gewisses Unbehagen angesichts des starken Reichspräsidenten, das die SPD in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung leitete. Auch um diesen zu schwächen, forderte sie die Volksgesetzgebung.65 Weitgehende diesbezügliche Regelungen waren zudem politisch hilfreich, um eine Integration der Räte als basisdemokratisches Element in die Verfassung, wie es nicht nur die USPD, sondern auch viele sozialdemokratische Arbeiter selber wünschten, zu verhindern.66 Genau diese rätedemokratische Frage war für die Haltung der USPD in Bezug auf die Volksgesetzgebung ausschlaggebend. Da eine innere Hinwendung zum Parlamentarismus und zum Repräsentationsprinzip bei ihr weit weniger existierte als bei der SPD,67 trat sie grundsätzlich vehement für möglichst direktdemokratische Beteiligungsformen ein.68 Sie hielt sich aber dennoch lange mit einer Stellungnahme zur Volksgesetzgebung zurück, weil sie die Auswirkungen von Volksbegehren und Volksentscheiden auf die Stellung der Räte nicht abschätzen konnte. Erst als immer deutlicher wurde, dass diese für die USPD prioritäre Forderung nicht erfüllt werden würde, sprachen sich die unabhängigen Sozialdemokraten stärker für eine weitgehende Volksgesetzgebung aus, in der sie einen potentiellen Ersatz sahen.69 Das Zentrum nahm zur Einführung der Volksgesetzgebung nicht Stellung,70 wohl aber die DDP und DVP. Das Verhältnis dieser bürgerlich-liberalen Parteien zur Volksgesetzgebung war geprägt durch eine in ihnen weitverbreitete grundsätzliche Haltung dem Parlamentarismus und einer reinen Parteienherrschaft gegenüber. Bei vielen links- bis nationalliberalen Politikern herrschte die Vorstellung, dass mit jeder Stärkung der Parteien eine Schwächung der Volksherrschaft einher65 Dass die SPD die Einführung einer weitreichenden Volksgesetzgebung erst im Verfassungsausschuss so aktiv forderte, lag im übrigen auch daran, dass die Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) sich vorher, unter anderem auch wegen fehlender Fachleute in den eigenen Reihen, wenig mit dem Verfassungsentwurf beschäftigt hatte. Deswegen hatte sie bis dahin dem Liberalismus weitgehend das Feld überlassen. Vgl. hierzu und allgemein zum Einfluss der politischen Linken auf die Verfassungsentstehung: Heinrich Potthoff, Das Weimarer Verfassungswerk und die deutsche Linke, in: Archiv für Sozialgeschichte 12 (1972), S. 433 – 486, 454. 66 Vestring, Mehrheitssozialdemokratie, S. 163 – 166; Reinhard Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, in: Eberhard Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972, S. 218 – 241, 223; Schiffers, Elemente, S. 131. Schiffers sieht der bei der MSPD ein „radikaldemokratisches Ziel“. Die Sozialdemokraten hätten „das Prinzip der Volkssouveränität bis an die Grenze“ verwirklichen wollen, ab der „die Repräsentation im Parlament nicht mehr zu umgehen ist“. 67 Die Abspaltung von der (M)SPD war bereits vor dem Würzburger Parteitag 1917 vollzogen worden, auf dem diese programmatische Neuausrichtung der Sozialdemokratie erfolgte. Vgl. Vestring, Mehrheitssozialdemokratie, S. 12 – 13. 68 Schiffers, Elemente, S. 136 – 137. 69 Abgeordneter Cohn, Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 327 (49. Sitz., 7. 7. 1919), S. 1356 – 1357. 70 Schiffers, Elemente, S. 135.

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ginge, die Regierung daher möglichst „überparteilich“ sein müsse. Diese im Ergebnis noch sehr obrigkeitsstaatlich geprägten Vorstellungen hatten bereits zur Einrichtung des starken Reichspräsidentenamtes als Gegengewicht zum Parlament geführt.71 Aus dieser Grundhaltung heraus war auch ein weiteres Gegengewicht zur Parteienherrschaft grundsätzlich mehrheitlich willkommen. Unterschiedliche Auffassungen herrschten nur über die Integration eines Volksbegehren und eine Beteiligung des ganzen oder auch nur eines Teils des Reichstages. Die linksliberale DDP trat für sehr weitgehende Regelungen mit einem Initiativrecht in Form eines Volksbegehrens ein; ihr Antrag war neben dem der SPD bereits im Verfassungsausschuss diskutiert worden und für die bürgerlichen Parteien wichtigste Gesprächsgrundlage. In der Nationalversammlung wiederholte ihr Abgeordneter Koch die bereits im Verfassungsausschuss dargelegten Argumente.72 Für die DVP nahm deren Abgeordneter Rudolph Karl Heinze Stellung. Er billigte im Sinne Weberscher Verfassungskonzeption vor allem eine Befugnis des Reichspräsidenten, bei Divergenzen zwischen Reichstag und Reichsrat einen Volksentscheid einzuberufen, lehnte aber die DDP-Vorschläge nach sowohl einer reinen Volksinitiative als auch einer Initiative durch ein Drittel des Reichstages in Verbindung mit einem Zwanzigstel der Stimmberechtigten ab. Die DVP befürchtete einen zu großen Einfluss von Minderheiten, sei es direkt, oder durch politischen Druck auf ein Drittel des Reichstages.73 Reinhard Schiffers hat für die beiden liberalen Parteien drei sich überlagernde Vorstellungen, er nennt sie „Irrlehren“, herausgearbeitet, die neben oder aufgrund der oben dargestellten allgemeinen obrigkeitsstaatlichen Verhaftung für die Integration der Volksgesetzgebung ausschlaggebend gewesen seien. Zum einen hätte die Auffassung geherrscht, dass sich ein reiner Parlamentarismus mit 71 Der Historiker Ernst Portner (ders., Verfassungspolitik, S. 117 – 120) hat diese Vorstellung damit begründet, dass die Menschen und Parteien noch nicht „reif genug für den Parlamentarismus“ gewesen seien, der „Sprung vom ‘Scheinkonstitutionalismus’ des Kaiserreichs zu einem scharf ausgeprägten demokratischen Parlamentarismus“ zu groß gewesen sei. Da eine Zeit des Übergangs in Form einer parlamentarischen Monarchie nur von den Oktoberreformen bis zum 9. November 1919 angedauert habe, sei das Denken noch obrigkeitsstaatlich geprägt gewesen. Er führt als Beleg unter anderem auch ein Monatsheft der DVP „Die Deutsche Nation“ (Demokratie und Verantwortung, in: Die Deutsche Nation, 7. Heft, Juli 1919 S. 4) an, in dem einem „Ekel vor diesem Parlamentarismus“ Ausdruck verliehen wird. Vgl. auch die Stellungnahme des liberalen Abgeordneten Heinze in: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 328 (70. Sitz., 30. 7. 1919), S. 2011. 72 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 327 (47. Sitz., 5. 7. 1919), S. 1345; ebd., (49. Sitzung, 7. 7. 1919), S. 1355 – 1356 (Abg. Koch). Dass die Haltung der DDP nicht völlig einheitlich war, zeigt der bereits behandelte Verfassungsentwurf des Hamburger Staatsrechtlers Karl Rathgen im Namen der Hamburger DDP, der sich zwar ganz im Sinne der dargestellten Grundhaltung für einen direkt gewählten Reichspräsidenten als Gegengewicht zum Parlamentarismus und zum Parteienwesen aussprach, dem Volksbegehren aber eher skeptisch gegenüberstand. Vgl. Ratghen, Die künftige Verfassung, S. 4, 13, 15 – 19. 73 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 327 (49. Sitz., 7. 7. 1919), S. 1352 – 1353 (Abg. Heinze).

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der Demokratie als „wahrer Volksherrschaft“ nicht vereinbaren ließe. Er führe zudem zu einer verhängnisvollen Verdrängung der Gewaltenteilung allgemein und bedrohe drittens die Möglichkeit des Hauptes der Exekutive, das Parlament aufzulösen. Letzteres aber wurde als wichtiger Notanker für Krisenzeiten angesehen. Für all diese Fälle habe sich ein Volksentscheid und auch das Volksbegehren als Korrektiv angeboten.74 Die Haltung der ebenfalls bürgerlichen, aber nationalkonservativ und vielfach noch monarchistisch geprägten DNVP zur Volksgesetzgebung war sehr gespalten. Grundsätzlich trat auch sie aus einer obrigkeitsstaatlichen Grundhaltung für starke Gegengewichte dem Parlament gegenüber ein. In Bezug auf die Volksgesetzgebung führt dies hier zu drei verschiedenen Strömungen. Eine schloss sich der Haltung der DVP an, befürwortete also nur den vom Reichspräsidenten eingeleiteten Volksentscheid. Eine andere, die aufgrund von Erfahrungen in anderen Ländern von einer konservativen Wirkung der Volksgesetzgebung ausging, bejahte auch die Volksinitiative. Ein ähnliches Argument hatte ja bereits der DNVP-Abgeordnete Schultz im Verfassungsausschuss geäußert. Eine dritte Strömung um den Abgeordneten von Delbrück brachte schließlich einen eigenen Antrag ein, der dem der DDP bis auf die reine Volksinitiative, die entschieden abgelehnt wurde, entsprach.75 Allen drei Gruppierungen ging es, und darin bestand ein wichtiger Unterschied zu den liberalen Parteien, nicht nur darum, den Reichspräsidenten zu stärken oder ein weiteres Gegengewicht zum Parlamentarismus zu schaffen. Sie hofften auf eine konservative Wirkung der Volksgesetzgebung, um vielleicht sogar langfristig das Rad der Geschichte zurückzudrehen.76 5. Die Volksgesetzgebung in der Weimarer Reichsverfassung – Ergebnis mangelnden Vertrauens in den Parlamentarismus, aber auch Ausdruck echten Demokratiebedürfnisses Der Antrag der DDP im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung wurde zunächst als Art. 64a77 in den Entwurf aufgenommen, der inhaltlich weitgehend dem späteren Art. 73 WRV entsprach.78 Die von Preuß angeführten Bedenken wurSchiffers, Elemente, S. 151. Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 327 (49. Sitz, 7. 7. 1919), S. 1353, 1358 – 1359 (Abg. v. Delbrück). 76 Ebd. (Abg. v. Delbrück); Schiffers, Elemente, S. 136, 151. 77 Vgl. Beschlüsse des achten Ausschusses zum vierten Abschnitt des Entwurfs der Reichsverfassung in: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 336, Supplement 2. 78 Eine Synopse vom endgültigen Entwurf der Verfassung des achten Ausschusses sowie des Entwurfs, wie er dann von der Nationalversammlung angenommen wurde, findet sich in: NVDrS 1919, Nr. 656. Ebenfalls dort sind die zahlreichen Abänderungsanträge im Plenum zu den Bestimmungen der Volksgesetzgebung aufgeführt. Vgl. ebd., Nr. 419, 422, 437, 463, 709, 732, 734, 738. 74 75

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den ignoriert. Eine dem Parlamentarismus gegenüber kritische Haltung, die sich vor allem in der Forderung nach starken Gegengewichten im Sinne einer „Balance of Powers“ äußerte, ließ viele liberale Politiker für eine Einführung der Volksgesetzgebung stimmen. Teile der DNVP taten es aus echtem Antiparlamentarismus heraus in der Hoffnung auf eine erleichterte Totalrevision der politischen Strukturen. Bei den Sozialdemokraten war es dagegen unter anderem die Sorge vor einem zu starken Reichspräsidenten und einem zu schwachen Parlament. Diese Motive, die eine Sorge vor einem zu starken oder zu schwachen Reichstag vereint, waren Grund für die Verankerung der Volksgesetzgebung in der neuen Verfassung.79 Dazu trat ein großes „Demokratiebedürfnis“ und politischer Idealismus und Optimismus bei SPD und DDP. Man glaubte an eine Akzeptanz der neuen demokratischen Institution und nicht an die Gefahr eines Missbrauchs. Der erst in bundesrepublikanischer Zeit geprägte Begriff der auch nach innen „wehrhaften Demokratie“ war noch unbekannt. Sie wäre vielen wohl auch als „undemokratisch“ erschienen.80 Es ist bezeichnend, dass Hugo Preuß in seinem Bemühen, den Erfolg eines Volksbegehrens an strenge Bedingungen zu knüpfen, die Ausschussmitglieder bat, hierbei „nicht die Empfindung von reaktionären oder konterrevolutionären Tendenzen zu haben“.81 Theodor Heuss hat diesen Glauben der Weimarer Verfassungsväter an eine möglichst offene Demokratie 1948 im Parlamentarischen Rat einen „grandiosen Irrtum“ genannt.82 Eine Rolle für die ganz verschiedenen Vorstellungen der Verfassungsväter haben auch fehlende Erfahrungen mit dem Gesetzgebungsinstitut und fehlendes Wissen über die Erfahrungen damit in anderen Ländern gespielt. Deutlich wird dies an Äußerungen des SPD-Abgeordneten Max Quarck im Verfassungsausschuss: „Die Einrichtung der Volksabstimmung ist etwas ganz Neues für uns und es ist Aussicht vorhanden, dass eine weitere Annäherung in den einzelnen strittigen Punkten zu erreichen sein wird, wenn wir erst einige praktische Erfahrungen gesammelt haben.“

Er forderte für den Verfassungsausschuss „die sachverständigen Äußerungen ausländischer Politiker [ . . . ] über die [ . . . ] ausländischen Einrichtungen“.83 Weitere 79 Vgl. auch: Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’, S. 168 – 171. Dieser stellt besonders auf die Frage nach Stärkung oder Schwächung der Exekutive ab. 80 Vgl. VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 312. Das Ausschussmitglied Max Quarck (SPD) äußerte sich zum Volksentscheid dahingehend, dass „die Gefahren von Unruhen und fortgesetzten Reibungen“ nicht mehr bestünden, da in Zukunft keine „so großen Widersprüche zwischen Obrigkeitsverfassung und Volkswille“ [wie in der Monarchie] existierten. 81 VA 39. Sitz., 6. 6. 1919, S. 489. 82 Vgl. Theodor Heuss, in: Der Deutsche Bundestag (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, Bd. 9, Plenum (PL), München 1996, 3. Sitz., 9. 9. 1948, S. 104: „Nun ist unstreitig die Weimarer Verfassung das Opfer eines grandiosen Irrtums geworden. Sie glaubte nämlich, wie junge Demokratien ihrer Natur nach optimistisch sein zu müssen, an die Fairneß der Deutschen.“ 83 VA 28. Sitz.,11. 4. 1919, S. 312. Das mangelnde Wissen spiegelte sich auch in der Diskussion der SPD-Fraktion über das Abstimmungsverhalten zur Volksgesetzgebung wieder. Im Ergebnis erhielten alle Abgeordneten die Möglichkeit, „ihre Haltung nach dem Ver-

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Faktoren, die einer intensiveren Auseinandersetzung im Weg standen, waren vielleicht auch die große Eile der Verhandlungen und eine fehlende öffentliche Anteilnahme an der Arbeit des Verfassungsausschusses.84

6. Das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 und die Reichsstimmordnung als Ausführungsbestimmungen zur Volksgesetzgebung Nachdem die Volksgesetzgebung in Gestalt der Art. 73 – 76 Eingang in die am 11. August 1919 von Friedrich Ebert ausgefertigte und verkündete Reichsverfassung gefunden hatte, forderten die konservativen Fraktionen des Reichstags bereits Anfang 1920 die Reichsregierung auf, einen Entwurf des nach Art. 73 V WRV85 vorgesehenen Ausführungsgesetzes vorzulegen.86 Am 8. März 1920 kam die Reichsregierung diesem Wunsch nach und brachte einen Entwurf zu einem „Gesetz über den Volksentscheid“ in den Reichsrat ein, der auch der Öffentlichkeit präsentiert wurde.87 Dieser erste Gesetzentwurf, der die Ausführungsbestimmungen zur Volksgesetzgebung, wie auch zum Territorialplebiszit nach Art. 18 WRV88, und zur Absetzung des Reichspräsidenten durch Volksabstimmung nach Art. 43 II WRV89 beinhaltete, fand in den Wirren des Kapp-Putsches, der zur Schließung der lauf der Debatten“ einzurichten. Vgl. Fraktionssitzung vom 8. 4. 1919 in: Heinrich Potthoff, Die SPD-Fraktion in der Nationalversammlung 1919 – 1920, (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Dritte Reihe Bd. 7, hg. v. Karl Dietrich Bracher u. a.), Düsseldorf 1986, S. 71 – 72. 84 Schiffers, Elemente, S. 108 – 110. Der Historiker Erich Eyck (ders., Geschichte der Weimarer Republik, Bd. 1, Zürich 1954, S. 95) nennt 40 Sitzungen für die 181 Artikel. Die Öffentlichkeit beschäftigte sich zu dieser Zeit vor allem mit den beginnenden Friedensverhandlungen in Paris / Versaille. 85 Art. 73 V WRV: „Das Verfahren beim Volksentscheid und beim Volksbegehren regelt ein Reichsgesetz.“ 86 So René Brunet, La Constitution Allemande du 11 Aout 1919, Paris 1921, S. 57. 87 Vgl. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), S. 4; Reichsanzeiger Nr. 69 vom 1. 4. 1920 (2. Beilage). 88 Art. 18 I, IV WRV: „Die Gliederung des Reiches in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderung des Gebietes von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reiches erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz [ . . . ]. Der Wille der Bevölkerung ist durch Abstimmung festzustellen. Die Reichsregierung ordnet die Abstimmung an, wenn ein Drittel der zum Reichstag wahlberechtigten Einwohner des abzutrennenden Gebietes es verlangt.“ 89 Art. 43 I, II WRV: „Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig. Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstages durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluß des Reichstages erfordert Zweidrittelmehrheit. Durch den Beschluß ist der Reichspräsident an der ferneren Ausübung des Amtes verhindert.

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Nationalversammlung am 21. Mai 1920 führte, keine weitere legislative Bearbeitung. Am 29. September 1920 brachte die Reichsregierung, nachdem durch das zwischenzeitlich am 27. April 1920 verabschiedete Reichstagswahlgesetz eine Überarbeitung des ersten Entwurfs notwendig geworden war,90 einen neuen Gesetzentwurf in den Reichsrat ein.91 Auch dieses „Gesetz über den Volksentscheid“ enthielt nicht nur Ausführungsbestimmungen zur Volksgesetzgebung nach Art. 73 – 76 WRV, sondern insbesondere auch wiederum zum Plebiszit nach Art. 18 WRV. Diese Tatsache führte zu erheblichen Verzögerungen in den Beratungen des Reichsrates, verursacht von der Regierung Preußens. Sie sah in den Ausführungsbestimmungen zum Territorialplebiszit eine Gefahr für die eigene politische Strategie angesichts der vom Versailler Friedensvertrag vorgeschriebenen, noch ausstehenden Volksabstimmungen in Oberschlesien, für die das Land noch eigene Abstimmungsreglements erlassen musste.92 In einer „gemeinsamen Chefbesprechung“ der preußischen Regierung beim Reichskanzler am 23. November 1920 gelang es Preußen, die Reichsregierung dafür zu gewinnen, dass zunächst jegliche Bestimmung zu Art 18 WRV aus dem Gesetzentwurf entfernt, und, wenn möglich, eine Verabschiedung des Gesetzes bis nach der zweiten Abstimmung in Oberschlesien ausgesetzt werden sollte.93 Auch in den Reichsratsausschüssen konnte Preußen sich mit dieser Zielsetzung durchsetzen. Auf der Grundlage eines württembergischen Kompromissvorschlages wurde beschlossen, alle Ausführungsbestimmungen zu Art. 18 WRV aus dem Entwurf zu streichen und diese später in einem Spezialgesetz zu regeln.94 Dass die Wünsche Preußens befriedigt worden waren, bedeutete jedoch noch nicht das Ende der Verzögerungen im Reichsrat. Nach Preußen war es Bayern, das deutliche Bedenken und Änderungswünsche anmeldete, die im Ergebnis aber zu keinem Erfolg führten.95 So konnte sich das Land nicht mit dem Wunsch durchsetzten, dass, wie in Bayern, auch auf Reichsebene das Parlament über die Zulassung zu einem Volksbegehren und über die Rechtsfolgen Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl und hat die Auflösung des Reichstags zur Folge.“ 90 Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 121; Schiffers, Elemente, S. 196. 91 Vgl. zur allg. Chronologie: Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), S. 4 – 10. 92 Vgl. Schiffers, Elemente, S. 196 – 197. 93 Vgl. ebd. unter dortiger Bezugnahme auf: Gemeinsame Chefbesprechung mit der preußischen Regierung beim Reichskanzler vom 23. November 1920, Anlage zu RK 11542 (Bundesarchiv Koblenz, Akten betreffend Volksentscheid, Februar 1920 – 31. 1. 1933, 43 I / 1888). 94 Ebd. unter dortiger Bezugnahme auf: Schreiben Nr. 5743 des Badischen Bevollmächtigten zum Reichsrat vom 12. 12. 1920 den Volksentscheid betreffend an das Staatsministerium in Karlsruhe (Badisches Generallandesarchiv in Karlsruhe 233 / 25 694 S. 2). 95 Vgl. hierzu Anträge und Bemerkungen Bayerns zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Volksentscheid. Reichsratsausschüsse VIII, V und VII, 27. 10. 1920, S. 3 ff. (Badisches Generallandesarchiv in Karlsruhe 233 / 25694).

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eines Volksentscheids entscheiden sollte.96 Auch die Warnung Bayerns, dass bei den geplanten Regelungen durch einen Abstimmungsboykott jede Erfolgsaussicht eines Volksentscheids wie auch allgemein die Wahlgrundsätze aufgehoben werden könnten, wurde nicht gehört bzw. blieb folgenlos.97 Bayern, dass damit ein zentrales, erst später in seiner Bedeutung erkanntes Problem der Volksgesetzgebung auf Reichsebene ansprach, berief sich hierbei auf Erfahrungen im ersten Gemeindereferendum in München vom 12. Dezember 1920.98 Die Verzögerungen im Reichsrat führten zu Unmut im Reichstag. Am 10. März 1921 beantragte die SPD-Fraktion im Reichstag einen Beschluss, der die Reichsregierung zur Vorlage des Gesetzentwurfs aufforderte.99 Dieser wurde daraufhin, dem politischen Druck folgend, am 12. April 1921, ohne die den Art. 18 WRV betreffenden Ausführungsbestimmungen,100 dem Reichstag vorgelegt.101 Dieser wiederum überwies den Gesetzentwurf in der 1. Beratung am 31. Mai 1921 ohne weitere Aussprache an den Rechtsausschuss.102 Im Rechtsausschuss des Reichstages wurde der Gesetzentwurf unter der Leitung des Abgeordneten Spahn in zwei Lesungen beraten, die von Georg Kaisenberg, dem späteren Reichsbeauftragten für die Volksgesetzgebung, als „gründlich und leidenschaftslos“ beschrieben wurden.103 Neben ihm saß mit dem späteren Reichsminister Julius Curtius als Berichterstatter ein weiterer ausgewiesener Fachmann der Volksgesetzgebung im Rechtsausschuss. Er hatte insbesondere in Baden erheblichen Einfluss auf die Integration der Volksgesetzgebung in die Landesverfassung genommen.104 Gegenstand der Ausschussberatungen waren vor allem technische Verfahrensfragen und die gemeinsame Zielsetzung, die Wahrung des Ebd. Vgl. Schreiben Nr. 502 b 1. des Bayerischen Staatsministeriums betreffend Reichsgesetz über den Volksentscheid an das Reichsministeriums des Innern, München, 17. 1. 1921 (Badisches Generallandesarchiv in Karlsruhe 233 / 25694); Schreiben Nr. I A des Reichsministers des Innern an das Staatsministerium des Innern in München (Badisches Generallandesarchiv in Karlsruhe 233 / 25694), zitiert wie die zwei vorangehenden FN nach: Schiffers, Elemente, S. 196, 199, 200. 98 Das Gemeindereferendum vom 12. 12. 1920 hatte einen Antrag auf Neuwahl des Stadtrats von München zum Gegenstand, mit dem gleichzeitig der alte mehrheitlich sozialdemokratische Stadtrat abgelöst werden sollte. Das Referendum scheiterte trotz hoher Beteiligung, da die SPD die Parole einer strikten Stimmenthaltung ausgegeben hatte, die ein Scheitern an den Beteiligungsbestimmungen zur Folge hatte. 99 RTDrS 1921, Nr. 1633 (Antrag Müller-Franken und Genossen). 100 Das Ausführungsgesetz zu Art. 18 wurde erst am 13. 6. 1922 in den Reichstag eingebracht und am 4. 7. 1922 verabschiedet. Vgl. RGBl. I 1922, Nr. 49, (S. 545 – 547) sowie allgemein: Hugo Preuss, Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922. 101 RTDrS 1921, Nr. 1832 (Entwurf eines Gesetzes über den Volksentscheid). 102 Vgl. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl), S. 9; Verhandlungen des Reichstags 1921, Stenographische Berichte, Bd. 349 (108. Sitz.), S. 3707. 103 Vgl. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), S. 9. 104 Vgl. Ausführungen Schiffers, in: Angelesco, consultation directe, S. 122; Schiffers, Elemente, S. 42 – 51; Verhandlungen des Reichstages 1920 / 21, Anlage zu den stenographischen Berichten Band. 367, Nr. 2234, S. 1909 – 1924. 96 97

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Abstimmungsgeheimnisses in jedem Fall zu gewährleisten.105 Von politischer Zielrichtung war allein der Versuch der DDP, die Zulassungsvoraussetzungen für ein Volksbegehren noch einmal zu erschweren und statt der vorgesehenen 5000 Unterschriften die von 100.000 Stimmberechtigten zu fordern. Dieser Vorschlag setzte sich jedoch nicht durch.106 Die zweite und dritte Beratung des Reichstages über das Gesetzes fand am 22. Juni 1921 statt. Letzte Änderungsanträge, die neben dem nochmaligen Versuch, das Zulassungsverfahren zu erschweren, vor allem organisatorische Bestimmungen des Abstimmungsverlaufs im Volksentscheid betrafen, wurden im Plenum abgelehnt.107 Das Gesetz über den Volksentscheid (VEG) wurde mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen, vom Reichspräsidenten am 27. Juni 1921 ausgefertigt und am 8. Juli 1921 im Reichsgesetzblatt verkündet.108 Insgesamt ist das Gesetz über den Volksentscheid trotz vielfältiger Reformierungsforderungen, die immer wieder in Politik und Wissenschaft erhoben worden sind,109 nur einmal geändert worden. Nachdem das erste Volksbegehren, das im Folgenden Abschnitt B noch genauer darzustellende Siedlungsbegehren des Reichsbundes für Siedlung und Pacht, 1922 zugelassen, vom Reichsbund aber nicht weiterverfolgt wurde, ergänzte der Reichstag das VEG um die Möglichkeit der Regierung, ein zugelassenes aber nicht weiterverfolgtes Volksgesetzgebungsverfahren einzustellen und dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen.110 Ebd. Ebd., S. 1916; Verhandlungen des Reichstags 1920 / 21, Stenographische Berichte, Bd. 350, (120. Sitzung), S. 4060, 4061; RTDrS 1920 / 21, Nr. 2234; Bericht des 22. Ausschusses über den Entwurf eines Gesetzes über den Volksentscheid, in: RTDrS 1920 / 21, Nr. 2234; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), S. 9. 107 So versuchte der DDP-Abgeordnete Brodauf nochmals vergeblich ein Zulassungsquorum zum Volksbegehren durchzusetzen (Verhandlungen des Reichstags 1921, Stenographische Berichte, Bd. 350 (120. Sitzung), S. 4059 – 4061 und der Abgeordnete Schmidt forderte, dass die Stimmzettel nicht in, sondern vor dem Abstimmungsraum bereit gehalten werden (RTDrS 1921, Nr. 2261 und 2270). 108 Vgl. RGBl. I 1921, Nr. 68. 109 So versuchten einige Reichstagsabgeordnete am 26. 6. 1926 im Zusammenhang mit gescheiterten Anträgen für ein Volksbegehren zur Aufwertung vergeblich, ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Reichsinnenministers einzuführen. (Vgl. RTDrS 1926, Nr. 2472; Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte [Sitzung vom 2. 7. 1926], S. 7829, 7830; Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, JöR Bd. 17, 1929, S. 1 – 141, 135, 136; Kap. II A. 4. c) aa). Sehr umstritten auch in der Öffentlichkeit und ebenfalls vergeblich war der Versuch der Reichsregierung 1926, die Finanzklausel des Art. 73 IV WRV durch eine durch Gesetz festgelegte „Auslegung“ einzuschränken (vgl. diesbezügliche Gesetzesentwürfe Georg Kaisenbergs in: BArch, R 1501 / 125127, Bl. 4 – 8, 19 – 21; Kap. II A. 5. b) bb). Der Plan der SPD 1932 das VEG dahingehend zu ändern, dass dem Reichsinnenminister eine Frist zur Entscheidung über den Zulassungsantrag auferlegt werde, um Verzögerungen zu verhindern, erreichte erst gar nicht das Stadium eines Gesetzentwurfs. Vgl. Vorwärts vom 18. 11. 1932, Nr. 554, B. 264. 110 Vgl. Art. III des zweiten Gesetzes zur Änderung des Reichswahlgesetzes vom 31. 12. 1923 (RGBl. I 1924, S. 1), der einen Änderungsgesetzentwurf der Reichsregierung 105 106

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Am 1. Dezember 1921 erließ die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats gemäß § 45 des Gesetzes über den Volksentscheid vom 26. Juni 1921 (VEG) die Reichsabstimmungsordnung.111 Sie stellte die zweite wichtige Ausführungsregelung zur Weimarer Volksgesetzgebung dar. Neben dem VEG, dass den Gesamtverfahrensablauf der verschiedenen Wege der Volksgesetzgebung nach den Art. 73 – 76 WRV festlegte, bestimmte die Reichsabstimmungsordnung das konkrete Abstimmungsverfahren beim Volksentscheid. Dies umfasste die Feststellung, Prüfung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse wie auch die genauen Umstände der Eintragungen zum Volksbegehren und im Zulassungsverfahren.112 Im Gegensatz zum VEG erfuhr die Reichsstimmordnung eine Vielzahl von Novellierungen und Ergänzungen, von denen vor allem die Aufhebung der gesamten Verordnung und der Erlass einer neuen „Verordnung über Reichswahlen und -abstimmungen“ (Reichsstimmordnung) vom 13. März 1924 zu nennen ist. In ihr wurden die Verfahrensregeln zur Abstimmung im Rahmen der Volksgesetzgebung sowie auch die Ausführungsverordnungen zur Abstimmung bei Reichspräsidentenwahlen, Reichstagswahlen und zu Territorialplebisziten nach Art. 18 WRV zusammengefasst.113 Der Vollständigkeit halber ist noch die Verordnung der Reichsregierung über die Kosten eines Volksbegehrens vom 14. Februar 1924 als Ausführungsregelung zu nennen, die jedoch ohne Anwendung blieb. Sie gab der Reichsregierung nach § 1 die Möglichkeit, den Antragstellern eines Volkbegehrens nach Art. 73 III WRV einen Teil der Kosten aufzuerlegen, wenn der Gesetzentwurf im Reichstag oder im Volksentscheid keinen Erfolg hatte (§ 4). Offizielle Begründung für diese Verordnung war die allgemein herrschende Finanznot, wirklicher Hintergrund aber wohl auch die Sorge vor einer Flut sinn- oder von vorneherein aussichtsloser Volksbegehren in der politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeit um 1924. Die Verordnung stieß deshalb auch auf Widerstand aus den Ländern, weswegen die Reichsregierung sie bis zum 1. Oktober 1924 befristen musste.114

vom 12. 10. 1923 (RTDrS. 1923, Nr. 6272) umsetzte. Er fügte einen neuen § 32 II ein, der den Fall regelte, dass ein zugelassenes Volksbegehren von den Initiierenden nicht weiterverfolgt wurde. 111 RGBl. I 1921, Nr. 113. 112 Vgl. auch: Georg Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens und des Volksentscheids in Reich und Ländern, in: Anschütz, Gerhard / Thoma, Richard (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 204 – 220, 204. 113 Vgl. Verordnung über Reichswahlen und –abstimmungen (Reichsstimmordnung) vom 14. 3. 1924 (RGBl. I 1924, Nr. 20), in der durch § 168 neben der Reichsstimmordnung von 1921 auch die Verordnung über die Wahl des Reichspräsidenten vom 25. 10. 1920, die Reichswahlordnung in der Fassung vom 21. 12. 1920 und die Verordnung zur Ausführung des Art. 18 der Reichsverfassung vom 29. 12. 1922 abgelöst wurden. Diese neue Reichsstimmordnung erfuhr weitere vier Veränderungen, die jedoch in keinem Fall substanzieller Art waren. (Vgl. Änderungsverordnungen zur Reichsstimmordnung vom 17. 3. 1925 [RGBl. I 1925, Nr. 9], 14. 5. 1926 [RGBl. I 1926, Nr. 27], 5. 12. 1929 [RGBl. I 1929, Nr. 42], 24. 7. 1930 [RGBl. I 1930, Nr. 32].

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B. Die Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933 im Überblick Insgesamt hat es in der Weimarer Republik auf Reichsebene acht Volksgesetzgebungsverfahren gegeben, die über eine bloße politische Ankündigung hinausgingen.115 Sie alle gründeten sich auf Art. 73 III WRV, zielten also auf eine Volksgesetzgebung durch ein Volksbegehren aus der Bevölkerung und einen darauf folgenden Volksentscheid ab. Diese Verfahren werden im Folgenden überblicksartig dargestellt.116 1. Die Anträge des Reichsbundes für Siedlung und Pacht zur Durchführung einer Bodenreform 1922 und 1923 Um mehr Menschen die Möglichkeit einer eigenen landwirtschaftlichen Existenzgrundlage zu geben, hatte die Reichsregierung 1919 ein Reichssiedlungsgesetz117 erlassen, das die Siedlungstätigkeit innerhalb des Deutschen Reiches för114 Vgl. RGBl. I 1924, Nr. 12, sowie die Ausführungen Schiffers, in: ders., Elemente, S. 205 – 6. 115 Gemeint sind damit Verfahren, die einen konkreten Zulassungsantrag beim Reichsministerium des Innern mit sich brachten. Ohne verfahrensrechtliche Folgen und damit rein politischer Natur blieben: – Ein Vorschlag des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes 1919, ein Volksbegehren über die „Judeneinwanderung in Deutschland“ zu beantragen. – Überlegungen der SPD 1924, den Dawes Plan zum Gegenstand eines Volksentscheids zu machen. – Diskussionen in der DNVP und DVP 1927, die Flaggefrage zum Volksentscheid zu stellen. – Der Plan des Ordens der Jungdeutschen, auf plebiszitärem Wege durch eine Verfassungsänderung eine längere Amtszeit des Reichspräsidenten zu erreichen. Der Plan Jakob Staigers aus Pfullingen für ein von ihm allein geplantes „Volksbegehren über die Herabsetzung der hohen Einkommen, Doppelverdienste, Pensionen und Gehälter“. Der engagierte Schwabe hatte eigens eine mehrseitige Broschüre (Vgl. BArch 1501 / 125127, Bl. 236) gefertigt, in der er die gesetzliche Begrenzung aller Einkommen auf 500 Reichmark, Abschöpfung aller überschüssigen Summen und die Verwendung derselben zur Linderung der wirtschaftlichen Not und Ankurbelung der Wirtschaft forderte. Sein schriftliches Gesuch um logistische und finanzielle Unterstützung an den Reichsminister des Innern vom 14. 9. 1931 (Vgl. BArch 1501 / 125127, Bl. 235) wurde jedoch mit Schreiben vom 19. 9. 1931 enttäuscht (Vgl. BArch 1501 / 125127, Bl. 235, Rückseite). Es sei nicht Aufgabe des Ministeriums „Auskünfte in Rechtsfragen zu erteilen“, wurde ihm beschieden. Vgl. hierzu und zu weiteren diesbezüglichen Vorstößen: Schiffers, Elemente, S. 211 – 236; Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 97. 116 Eine Dokumentation der Abstimmungsergebnisse der wichtigsten Volksgesetzgebungsverfahren 1926, 1928 und 1929 sowie eine kurze Darstellung der dazugehörigen Gesetzentwürfe findet sich in: Jürgen Falter / Thomas Lindenberger / Siegfried Schumann, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, Materialien zum Wahlverhalten 1919 – 1933, München 1986, S. 47 – 48, 80. 117 RGBl. I 1919, Nr. 155; Hans Ponfick / Fritz Wenzel, Das Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 1919 nebst den Ausführungsbestimmungen auf Grund amtlichen Materials

B. Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933

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dern sollte. Es führte eine lange Tradition der „Binnenkolonisation“ fort, die insbesondere in Ostdeutschland seit den Besiedlungen durch den Deutschorden ab dem 12. Jahrhundert existierte. Konkret handelte es sich um ein Rahmengesetz, das die Beschaffung von Siedlungsland zu einem übergeordneten Ziel erklärte. Das Land für neue Siedlungsstellen oder auch zur Vergrößerung existierender, aber aufgrund ihrer Größe nicht lebensfähiger Höfe, sollte durch Auflösung von Staatsdomänen, Kultivierung von Moor und Ödland und durch (Teil)-Enteignungen großer Güter gewonnen werden. Während die Siedlungsaktivitäten des Mittelalters und auch teilweise bis 1900 noch mit dem Ziel einer „deutschen“ Durchdringung menschenleerer oder noch nicht „deutschsprachiger“ Gegenden im Osten des Reichs stattgefunden hatten, hatte das Reichssiedlungsgesetz eine weit darüber hinausgehende Zielsetzung. Es handelte es sich um eine Form der Strukturentwicklung, ein potentielles Mittel gegen die Arbeitslosigkeit und den Versuch, neben einer Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, die kleinbäuerliche Landbevölkerung gegen die Macht der Großgrundbesitzer zu stärken. Letzteres stand auch im Zusammenhang mit der Revolution von 1918.118 Eine weitgehende, grundlegende Landreform wurde durch das von großen Hoffnungen begleitete Reichssiedlungsgesetz jedoch nicht durchgeführt.119 Dem Reichsbund für Siedlung und Pacht, in dem vor allem Kleinbauern organisiert waren, genügten die erlassenen Bestimmungen deshalb nicht.120 Er legte einen Gesetzentwurf zur Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes vor, der im Ergebnis auf eine weitreichendere Bodenreform hinauslief. Nach § 1 dieses Gesetzentwurfs sollten einheitlich für das ganze Deutsche Reich auf Grund der jeweiligen Bodenqualität Landeinheiten von 50 bis 200 Morgen festgesetzt werden. Alles, was eine bestimmte „Ackernahrung“ überstieg, sollte nach § 2 vom jeweiligen Eigentümer kostenlos an den Staat abgetreten werden, der dieses Land wiederum bei Bedarf nach § 3 landlosen oder landarmen (3. Aufl.), Berlin 1930. Das Reichssiedlungsgesetz änderte eine bereits kurz vor der Revolution 1918 ausgearbeitete „Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichem Siedlungsland“ vom 29. 1. 1919 (RGBl. I 1919, Nr. 22). 118 Vgl. Emil Lang, Das Werk der ländlichen Siedlung in Deutschland und seine Bedeutung für unsere Zeit, Königsberg 1935, S. 5 – 7. Lang behandelt jedoch die Intention einer nachrevolutionären Umverteilung des Bodens nicht. Er spricht von 48.942 neugegründeten Hofstellen zwischen 1919 und 1931. Weitere Statistik bei: Ponfick / Wenzel, Reichssiedlungsgesetz, S. 20 – 25. 119 Vgl. Wilhelm Freiherr von Gayl, Verzicht auf Enteignung für Siedlungszwecke, in: Archiv für innere Kolonisation 17 (1925), S. 59 – 61, 60; Hermann Geldreich, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Reichssiedlungsgesetzes mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen Verhältnisse, Diss. jur., Tübingen 1923, S. 47, 52. 120 Vgl. den auch in der Neuen Preußischen Kreuzzeitung vom 3. Juli 1923 erschienenen Artikel „Das Volksbegehren zur Beschaffung von Siedlungsland“ des Berliner Professors Dr. M. Sering, abgedruckt in: Archiv für innere Kolonisation 15 (1923), S. 241 – 244, 241 – 242. Er stellte das Begehren des Reichsbundes in die Nähe bolschewistischer Agrargesetzgebung und lehnte trotz „einer begreiflichen Enttäuschung über die verhältnismäßig geringe Mehrung der Siedlungstätigkeit durch das mit großen Hoffnungen begrüßte Reichssiedlungsgesetz“ eine weitergehende Enteignung ab. 4 Schwieger

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Familien in Erbpacht geben sollte. Die Pacht sollte 5% des Grundstückswertes betragen (§ 4).121 Der Gesetzentwurf wurde vom Reichsminister des Innern am 28. Dezember 1922 zugelassen, die Eintragungsfrist wurde auf die Zeit vom 15. bis 28. Februar 1923 festgesetzt.122 Bekämpft wurde das Begehren nicht nur von den Großgrundbesitzern, sondern, für den Reichsbund vielleicht überraschend, auch von den organisierten Landarbeitern, die bei einer Aufteilung der großen Güter um ihren Arbeitsplatz fürchteten.123 Im Ergebnis verschickte der Reichsbund für Siedlung und Pacht keine Eintragungslisten an die Gemeinden und verfolgte das Begehren, auch nachdem die Eintragungsfrist auf die Zeit vom 18. April bis 1. Mai verschoben worden war, zu erst einmal nicht weiter.124 Da die Reichsregierung selber keine rechtliche Handhabe hatte, das Verfahren von ihrer Seite aus zu beenden, was als Gesetzeslücke empfunden wurde,125 endete das Verfahren ohne formalen verwaltungsrechtlichen Abschluss. Ein Jahr später, 1923, nahm der Reichsbund einen neuen Anlauf und reichte wiederum einen Gesetzentwurf zur Änderung des Reichssiedlungsgesetzes beim Reichsministerium des Inneren zur Zulassung zum Volksbegehren ein. Dieser entsprach fast völlig dem Entwurf vom Vorjahr,126 enthielt jedoch weitergehend einen § 7, der die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe im Reich zugunsten einer „Notgemeinschaft für Kriegsbeschädigte“ vorsah. Die nähere Verwendung der Leistungen war in § 8 geregelt. In dieser Bestimmung sah das Reichsministerium des Innern eine Regelung im Sinne eines Abgabengesetzes und lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Gesetzentwurf verstoße gegen den Finanzvorbehalt des Art. 73 IV WRV.127 Weitere plebiszitäre Vorstöße des Reichsbundes für Siedlung und Pacht fanden nicht statt.

121 Vgl. Darstellung bei: Hartwig, Volksbegehren, S. 111, sowie vor allem: Georg Kaisenberg, Die Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, in: ZöR 6 (1927), S. 169 – 191. Dem Verfasser dieser Arbeit gelang es nicht, den genauen Wortlaut des Antrages zu finden. 122 Vgl. Reichsanzeiger Nr. 6 vom 8. 1. 1923. 123 Schiffers, Elemente, S. 224. 124 Hartwig, Volksbegehren, S. 111; Reichsanzeiger Nr. 18 vom 18. 1. 1923. 125 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel I A Nr. 6 zur Revision des VEG. 126 Vgl. Sering, Volksbegehren, S. 241. Er berichtete aber nur von einer Erbpacht von 3% für neue Siedler. 127 Vgl. Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170: „Deshalb sah die Reichsregierung in dem Volksbegehren ein Abgabengesetz. Öffentliche Abgaben sind für die Reichsregierung Geldleistungen, die der Staat oder andere öffentlichrechtliche Verbände den Bürgern zur Förderung öffentlicher Zwecke einseitig auferlegt. Unerheblich für den Begriff der Steuer ist ihr finanzpolitisches Motiv, ob die Abgabe zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs erhoben oder ob damit sozialpolitische Zwecke verbunden werden. Wenn in einem Gesetzentwurf Abgabenvorschriften mit Vorschriften anderer Art verbunden werden, so muß er als Abgabengesetz im Sinne des Art. 73 IV WRV erachtet werden.“

B. Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933

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2. Volksbegehren und Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung ehemaliger Landesherrscher 1926 Die Revolution von 1918 hatte neben dem Ende des Kaisertums auch zum Sturz aller in den Ländern herrschenden Fürsten- und Königshäuser geführt. Nicht abschließend geregelt worden war meistens jedoch die Frage, was mit dem „Domanium“ der einzelnen Herrscherhäuser geschehen sollte. Es handelte sich hierbei um die zahlreichen Schlösser und vor allem Ländereien, aus denen sich die einzelnen adligen Höfe unterhalten hatten. In einigen Ländern hatte es eine echte Unterscheidung von privatem Land des jeweiligen Herrschers und Land als Eigentum des Staates oftmals gar nicht gegeben. Die Revolution hatte in vielen Ländern vor konsequenten Enteignungen Halt gemacht oder revolutionäre Enteignungsentscheidungen wurden 1919 nicht umgesetzt.128 In den meisten Fällen versuchten die provisorischen und später auch ordentlichen Länderregierungen der Weimarer Republik stattdessen, das Problem durch vertragliche Vereinbarungen mit den ehemaligen Herrschern zu lösen, in denen eine Trennung von Privateigentum und staatlichem Eigentum oder aber eine Abfindung festgelegt werden sollte. Dies gelang nur teilweise. In vielen Fällen kam es, verschärft durch die Inflation, zu Streit. Ehemalige Fürsten stellten für die Landesregierungen politisch nicht akzeptable Forderungen oder aber widerriefen bereits abgeschlossene Verträge.129 Vielfach verlangten sie auch eine Aufwertung bereits erhaltener, durch die Inflation vernichteter Geldzahlungen. Die Fürsten hatten damit vor den zumeist noch mit Richtern aus der Kaiserzeit besetzten Gerichten oft Erfolg,130 was in großen Teilen der Bevölkerung zu Protest und Empörung führte. Schließlich warteten viele weniger begüterte Menschen immer noch vergeblich auf eine Aufwertung ihrer durch die Inflation verlorenen Ersparnisse oder auch auf die von vielen erhoffte große Bodenreform. Im Herbst 1925 erwog daher die Reichstagsfraktion der SPD erstmals, per Volksentscheid eine ihrer Auffassung nach gerechte reichsgesetzliche Lösung dieser Probleme herbeizuführen, die Wirkung für die Länder haben sollte. Vorhergehende parlamentarische Bemühungen waren auf erheblichen Widerstand der konservativen Parteien gestoßen. Gedacht wurde in der SPD an eine Enteignung gegen kleinere Entschädigungen. Jegliche Entschädigungen lehnte die KPD ab. Sie forderte in ei128 Ulrich Schüren, Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, Düsseldorf 1978, S. 21 – 24. 129 So in Preußen, wo die Regierung dem Herrscherhaus so weit entgegenkam, dass das Parlament Widerstand leistete. Vgl. Otmar Jung, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, Die Fälle „Aufwertung“, „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzerverbot“ und „Youngplan“, Frankfurt / M. 1989, S. 50 – 51. 130 So hob beispielsweise das Reichsgericht die 1919 gesetzlich beschlossene Enteignung des Herzog von Gotha wieder auf. § 1 dieses Gesetzes des Gothaer Arbeiter- und Soldatenrates hatte gelautet: „Das Gothaische Hausfideikommiß, das Lichtenberger Fideikommiß, das Ernst-Albert-Fideikommiß, die Schmalkaldener Forsten und das Hausallod des ehemaligen Herzoglichen Hauses werden vorbehaltlich der Rechte anderer Staaten beschlagnahmt und in das Eigentum des Staates überführt“. Vgl. RGZ 111, 123 – 134.

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Kap. I: Einführung und Praxis der Volksgesetzgebung 1919 – 1933

nem offenen Brief vom 2. Dezember 1925131 eine entschädigungslose Enteignung der ehemaligen Fürstenhäuser und trat in eine Zusammenarbeit mit dem „Reichsausschuß zur Durchführung des Volksentscheids für entschädigungslose Enteignung der Fürsten“ ein. Dieser hatte sich unabhängig von den großen Parteien und Gewerkschaften aus liberalen und linken Gruppierungen gebildet.132 Der gemeinsam am 25. Januar 1926 beim Reichsminister des Innern gestellte Zulassungsantrag auf ein Volksbegehren für eine entschädigungslose Enteignung der ehemaligen Herrscherhäuser durchkreuzte noch anhaltende Versuche der SPD für eine parlamentarische Lösung133 und kam einem sozialdemokratischen Zulassungsantrag für ein Volksbegehren zuvor.134 Da zwei Volksbegehren keine politischen Chancen eingeräumt wurden, beschloss die SPD nach anfänglichem Zögern, sich an dem Volksbegehren zu beteiligen. Der Zulassungsantrag wurde positiv beschieden, das Volksbegehren mit Verordnung vom 26. Februar 1926 durch das Reichsministerium des Innern für den 4. – 17. März desselben Jahres zugelassen. Der Gesetzentwurf hatte folgenden Wortlaut:135

Abgedruckt in: Rote Fahne vom 4. 12. 1925, Nr. 280. Jung, Direkte Demokratie, S. 53. 133 Vgl. Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170 – 171 unter Verweis auf Gesetzesentwürfe der SPD-Abgeordneten Koch-Weser, Stöcker, Neubauer und Genossen (RTDrS 1924, Nr. 1539, 1572). 134 Vgl. Schiffers, Elemente, S. 212. 135 Reichsanzeiger vom 26. 2. 1926, Nr. 39. 131 132

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Im Volksbegehren wurde der Gesetzentwurf bei ca. 39,5 Millionen Stimmberechtigten von 12,5 Millionen Menschen unterstützt und war damit erfolgreich. Der Volksentscheid wurde auf den 20. Juni 1926 festgelegt. Die großangelegte Werbung für oder gegen eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten, die bereits vor dem Volksbegehren in einer Stimmung großer politischer Erregung in ganz Deutschland betrieben wurde,136 nahm noch einmal erheblich zu.137 Der Forderung von SPD, KPD und anderen linken wie liberalen Gruppierungen nach einer Enteignung traten nicht nur Fürsten selbst, die DNVP, DVP und Deutschvölkische Freiheitspartei, sondern auch Kirchen und in einem als „Privatbrief“ bezeichneten Aufruf der nach Friedrich Eberts Tod gewählte Reichspräsident Paul von Hindenburg entgegen. Hindenburg schrieb unter anderem zu dem Begehren der Antragssteller: „Ich sehe in ihm [ . . . ] einen sehr bedenklichen Verstoß gegen das Gefüge des Rechtsstaats, dessen tiefstes Fundament die Achtung vor dem Gesetz und dem gesetzlich anerkannten Eigentum ist. Es verstößt gegen die Grundlagen der Moral und des Rechts. Würde dieses Volksbegehren Annahme finden, so würde einer der Grundpfeiler, auf dem der Rechtsstaat beruht, beseitigt und ein Weg eröffnet, der auf abschüssiger Bahn haltlos bergab führt, wenn es der Zufälligkeit einer, vielleicht noch dazu leidenschaftlich erregten Volksabstimmung gestattet sein soll, verfassungsmäßig gewährleistetes Eigentum zu entziehen oder zu verneinen.“138

Neben Appellen wie diesem, kam es auf dem Land, wo der höhere und niedere Adel oder auch dem Adel nahe stehende Großgrundbesitzer oft die einzigen Arbeitgeber waren, vielfach zur Ausübung von gesellschaftlichem Druck, den Gesetzentwurf abzulehnen. Eine Kontrollmöglichkeit ergab sich dabei daraus, dass die Gegner der Fürstenenteignung einen Abstimmungsboykott propagierten, um durch die Regelung des Art. 75 WRV einen Erfolg des Verfahrens zu verhindern. Dieser bestimmte, dass ein Volksentscheid einen „Beschluss des Reichstages“ nur dann „außer Kraft“ setzen konnte, wenn sich „die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt“. Im Reichstag hatte der durch das Volksbegehren 136 Vgl. Karl Holl / Adolf Wild (Hrsg.), Ein Demokrat kommentiert Weimar, Die Berichte Hellmut von Gerlachs an die Carnegie-Friedensstiftung inNew York 1922 – 1930, Bremen 1973, S. 160; Hartwig, Volksbegehren, S. 114. 137 Vgl. Rededisposition zur Fürstenabfindung, hg. vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin ca. 1926 (Bibliothek Bundesarchiv Berlin); „Auf zum Volksbegehren!“ Aufruf des Parteivorstandes der SPD vom 3. März 1926, abgedruckt in: Heinz Karl, Die Deutsche Arbeiterklasse im Kampf um die Enteignung der Fürsten (1925 / 26), Berlin 1957, S. 82 – 83; „Heraus zum Volksbegehren !“, Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 27. Februar 1926, abgedruckt in: ebd., S. 78 – 79; Werbeschrift der SPD: „Für Volksbegehren – Für Volksentscheid – Für das Volk – Gegen die Fürsten, hg. von der SPD, Berlin 1926. 138 „Privatbrief“ Hindenburgs an den ehemaligen königlich preußischen Innenminister Wilhelm von Loebell vom 22. 5. 1926, von diesem mit Einverständnis veröffentlicht in: Der Deutsche Spiegel, 3. Jhg., Sonderheft vom 7. Juni 1926; wiedergegeben auch in: Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 173 – 174.

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eingebrachte Gesetzentwurf zur Fürstenenteignung keine Mehrheit gefunden,139 was man in der Reichsregierung als Anwendungsfall eben jenes Art. 75 WRV ansah.140 Wer zur Abstimmung ging, war damit für die Gegner als Befürworter des Vorhabens erkennbar.141 Faktisch wurde es durch die Nichtteilnahme der Gegner für einen Erfolg des Gesetzes notwendig, dass über 50% der Stimmberechtigten, also fast 20 Millionen Menschen, dem Vorhaben zustimmen mussten. Der Volksentscheid am 20. Juni 1926 ergab bei einer Beteiligung von 15 592 508 Menschen 14 447 891 Ja-Stimmen. 585 027 Menschen gingen trotz des propagierten Abstimmungsboykotts zur Abstimmung, um dort mit Nein zu stimmen. 559 590 Stimmen waren ungültig.142 Der Volksentscheid war damit angesichts von insgesamt 39,5 Mio. Stimmberechtigten gescheitert.143 Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern und ehemaligen Herrscherhäusern gingen teilweise noch bis in die Zeit des Dritten Reiches weiter.144

3. Die Anträge von Sparerbund und Reichsarbeitsgemeinschaft zur Aufwertung 1926 / 27 Nach Kriegsende 1918 wurde die Wirtschaft in Deutschland nach einer langen Phase der Kriegsbewirtschaftung durch die einsetzende Demobilisierung und die sozialen wie politischen Verwerfungen nochmals aufs äußerste belastet. Zu viel Geld war im Umlauf. Die Tatsache, dass Deutschland den Weltkrieg zu einem erheblichen Teil durch Staatsanleihen145 finanziert hatte, verstärkte den Inflationsdruck auf die Reichsmark. Endgültig brach die Inflation bei der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen im Frühjahr 1923 aus, der das Deutsche Reich militärisch nicht begegnen konnte. Die Reichsregierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno reagierte auf die Besetzung stattdessen mit der Einstellung aller Reparationszahlungen und mit dem Aufruf zu passivem Widerstand. Die Arbeiter wurden aufgefordert, nicht zur Arbeit zu gehen, Beamte waren angewiesen, keine Anordnungen der Besatzer zu befolgen, Eisenbahner, keine Lieferungen von Kohle oder anderen Gütern mehr abzufertigen. Um den passiven Widerstand durchzuhalten, musste das deutsche Reich die notleidende und arbeitslose

Hartwig, Volksbegehren, S. 113 – 114. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. II A. 5. a) bb). 141 Vgl. Jung, Direkte Demokratie, S. 57 – 58 (mit statistischen Belegen). 142 Vgl. Statistik in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1991, Nr. 187 (S. 218). 143 Vgl. allgemein: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170 – 2; Schiffers, Elemente, S. 212 – 216; Jung, Direkte Demokratie, S. 49 – 65. 144 Dies insbesondere in Mecklenburg. Preußen und das Haus Hohenzollern schlossen im Herbst 1926 eine Vereinbarung. 145 Insgesamt handelte es sich um Kriegsschuldanleihen in Höhe von 60 Mrd. Reichsmark. 139 140

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Bevölkerung mit Geld und Lebensmitteln versorgen, während gleichzeitig die Produkte aus dem Ruhrgebiet für das Reich ersetzt werden mussten. Dies überstieg die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit bei weitem. Bereits im Januar 1923 betrug der Wert eines Dollars 1800 Mark, um trotz zahlreicher Stabilisierungsversuche bis zum Herbst des Jahres auf 4,2 Billionen Mark zu steigen.146 Hauptleittragende dieser „Großen Inflation“, die nach dem Rücktritt Cunos erst durch die Einführung der „Rentenmark“ ab Oktober 1923 unter Reichskanzler Stresemann beendet werden konnte, waren vor allem die Gläubiger langfristiger Verbindlichkeiten, von Hypotheken, Wirtschaftsobligationen, kommunalen Wertpapieren und der Kriegsanleihen. Die Schuldner dagegen, darunter vor allem der Staat und die Wirtschaft, konnten sich von ihren Schulden durch Zahlungen mit wertlosem Papiergeld befreien.147 Nach Einführung der Rentenmark bildeten sich zahlreiche Interessenvertretungen der Inflationsgeschädigten, darunter mit fast einer Million Mitgliedern der Hypothekengläubiger- und Sparerschutzverband für das Deutsche Reich, kurz „Sparerbund“ genannt.148 Aus Gründen der Gerechtigkeit und später auch juristisch gestärkt durch eine sich ändernde Rechtsprechung des Reichsgerichts, das in einer Grundsatzentscheidung149 mit dem schuldnerfreundlichen Grundsatz „Goldmark = Papiermark“ brach,150 riefen sie nach einer nachträglichen „Aufwertung“ ihrer durch wertloses Inflationsgeld abgegoltenen Rechte. Dies war gleichbedeutend mit einer Forderung nach einer gesetzlich geregelten Nachschusspflicht der ehemaligen Schuldner auf erloschene Schulden in neuer Reichsmark. Den Infla146 Vgl. Karl Dietrich Erdmann, Der erste Weltkrieg, Die Weimarer Republik, in: Herbert Grundmann (Hrsg.), Gebhardt, Handbuch der Deutschen Geschichte, (Bd. 4 Die Zeit der Weltkriege, 1. Teilband, 89. Aufl.), Stuttgart 1959 / 1973, S. 240. Ein Stützungsversuch der Reichsbank scheiterte. Sie griff vergeblich auf eigene Goldreserven in Höhe von 50 Millionen Dollar zurück. 147 Erdmann, Weltkrieg, Weimarer Republik, S. 244 – 245. 148 Werner Fritsch, Sparerbund für das Deutsche Reich, in: Fricke, Dieter, u. a. Lexikon zu Parteiengeschichte, Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789 – 1945), Bd. 4, Köln 1986, S. 137 – 144. 149 Vgl. RGZ 107, S. 78 – 92, 88 vom 28. November 1928: „Nach dem Eintritte des Verfalls der Papiermark entstand nunmehr ein Widerstreit zwischen diesen Währungsvorschriften [Papiermark = Goldmark] einerseits, auf der anderen Seite denjenigen sonstigen Gesetzesbestimmungen, die verhüten wollen, daß der Schuldner in der Lage sei, sich seiner Verbindlichkeiten in einer Weise zu entledigen, die mit den Anforderungen von Treu und Glauben und mit der Verkehrssitte nicht vereinbar ist, also namentlich mit der das Rechtsleben beherrschenden Vorschrift des § 242 BGB. Bei diesem Widerstreit muß die letztere Vorschrift den Vorrang haben und müssen die Währungsvorschriften zurücktreten, weil [ . . . ] bei ihrem Erlaß die Möglichkeit eines derartigen Währungsverfalls, infolge dessen die aus den Währungsbestimmungen sich ergebenden Folgerungen mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr vereinbar sind, nicht in Betracht gezogen waren, ein starres Festhalten an ihnen für diesen Fall also nicht vorgesehen war.“ 150 Vgl. allgemein zur Problematik: Richard Scholz, Analyse der Entstehungsbedingungen der reichsgerichtlichen Aufwertungsrechtssprechung, (Rechtshistorische Reihe, Bd. 246), Frankfurt / M. 2001.

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tionsopfern gegenüber stand die Reichsregierung unter Wilhelm Marx, der Gustav Stresemann im November 1923 als Reichskanzler nachfolgte. Sie lehnte eine weitreichende Aufwertung aus finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen ab und verordnete in der 3. Steuerverordnung vom 14. Februar 1924 eine 15-prozentige Aufwertung privater Verbindlichkeiten. Öffentliche Schulden und Kriegsanleihen blieben ausgeschlossen, was insbesondere von der rechtskonservativen DNVP im Reichstag abgelehnt wurde. Sie stellte sich nach den Reichstagsauflösungen im Mai und Dezember 1924 als Anwalt der Inflationsgeschädigten dar und konnte damit ihren Stimmenanteil von 15,1 % auf 20,5 % steigern.151 Möglich wurde der Stimmengewinn aus dem Lager der Inflationsgeschädigten konkret auch dadurch, dass der Führer des Sparerbundes Dr. Georg Best auf einem sicheren Listenplatz der DNVP in den Reichstag gelangte.152 Nach der Wahl trat die erstarkte DNVP unter dem parteilosen Reichskanzler Hans Luther in die Regierung ein. Die Forderung nach einer wirklich weitgehenden Aufwertung ließ sie bald fallen, auch wenn Dr. Best im Namen der DNVP noch erfolglos einen Gesetzentwurf in den Reichstag einbringen durfte, der anders als die Steuernotverordnung, eine individuelle Aufwertung je nach Leistungskraft bis zu 100 % vorsah.153 Im Ergebnis einigte sich die Parteiführung der DNVP mit den anderen Regierungsparteien auf eine Aufwertung privater Schulden um grundsätzlich 25 % sowie von 2,5 % bei Kriegsanleihen.154 Der Kompromiss wurde in den sogenannten Aufwertungsgesetzen vom 16. Juli 1925 beschlossen.155 Georg Best verließ daraufhin sowohl die DNVPFraktion als später auch die Partei. Er und die Interessenverbände der Inflationsgeschädigten wollten sich mit diesem Ergebnis nicht abfinden. Sowohl der Sparerbund als auch die „Reichs-Arbeitsgemeinschaft der Aufwertungs-, Geschädigtenund Mieterorganisationen“ als Dachverband einer Vielzahl kleinerer Gruppen, begannen, Konzepte für ein Volksbegehren zu erarbeiten.156 Trotz intensiver Verhandlungen gelang es den beiden Interessenverbänden nicht, sich auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu einigen. Während der Sparerbund den Interessen der Wirtschaft und des Staates durch einen flexibel handhabbaren Aufwertungsfaktor von 50 % entgegenkommen wollte, bestand die Reichs-Arbeitsgemeinschaft auf einer Aufwertung aller Hypotheken von 100 % und wollte einen Teil der Summen einer noch zu gründenden sozialen und kulturellen Institution zum Wohle der Allgemeinheit zukommen lassen.157 Am 27. April 1926 reichte zunächst der Sparerbund seinen Gesetzentwurf „Sparerbund-Dr. Best“ beim Reichsministerium des Innern zur Zulassung zum Volksbegehren ein. In 74 ausführlichen Paragraphen zu Vgl. Jung, Direkte Demokratie, S. 17 – 19. Best war vormals Präsident des Oberlandesgerichts Darmstadt gewesen. 153 RTDrS. 1925, Nr. 632. Vgl. auch: Jung, Direkte Demokratie, S. 19 – 20. 154 Die konkreten Berechnungen waren komplizierterer Natur. 155 RGBl. I 1925, Nr. 31; vgl. allgemein zur Aufwertungsgesetzgebung: Scholz, Aufwertungsrechtssprechung, S. 119 – 139. 156 Schiffers, Elemente, S. 224 – 226. 157 Jung, Direkte Demokratie, S. 22 – 23. 151 152

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den verschiedenen Formen inflationsbedingt entwerteter Rechte wie öffentlichen Markanleihen (Artikel I), privaten Hypotheken, Forderungen, Grundschulden, Rentenschulden, Schiffs- und Bahnpfandrechten (Artikel II) etc., wurden verschiedenste Umwertungen festgelegt. Grundlage war eine Geldwerttabelle (Artikel III), die den Wertverlust zu jedem 10. eines Monats ab Januar 1919 bis zur Einführung der Rentenmark dokumentierte. Art. I des Gesetzentwurfes hatte folgende Gestalt:158

158 Vgl. den Wortlaut des gesamten Gesetzentwurfes, der sich über mehr als 15 Seiten erstreckt, in: HSTAM MWI 500 Bd. 1 (vorangehend: Anschreiben des Reichsministers des Innern an alle Landesregierungen, das Reichsbankdirektorium, den Deutschen Landwirtschaftsrat und den Deutschen Industrie- und Handelstag vom 29.April 1926).

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Die Reichsregierung begegnete dem ihrer Meinung nach für die Wirtschaft wie auch die Staatsfinanzen gefährlichen Begehren mit einem Gesetzentwurf, nach dem auch solche Gesetze unter den Finanzvorbehalt des Art. 73 IV fallen sollten, „die die Folgen der Geldentwertung für vor dem 14. Februar begründete Rechtsverhältnisse regeln“. Die Verfassung sollte gleichsam zum besseren Verständnis gesetzlich „ausgelegt“ werden, was in der Öffentlichkeit jedoch als versteckte Verfassungsänderung wahrgenommen wurde.159 Dieser in der Öffentlichkeit bald „Abdrosselungsgesetz“ genannte Gesetzentwurf, auf dessen Grundlage die Reichsregierung dem Entwurf „Sparerbund-Dr. Best“ die Zulassung zum Volksbegehren verweigern wollte, fand jedoch keine für eine von der Regierung gewünschte verfassungsändernde Mehrheit ausreichende Unterstützung im Reichstag. Er wurde von der Reichsregierung am 24. Juni 1926 zurückgezogen.160 Sie lehnte aber dennoch mit Bescheid vom 18. August 1926 den Zulassungsantrag ab, nun aber unter direkter Berufung auf die bestehende Fassung des Art. 73 IV WRV. Zur Begründung führte sie eine ihrer Auffassung nach grundsätzlich mögliche weite Auslegung der Norm und konkret eine durch das Begehren entstehende mittelbare Gefährdung des gesamten Staatshaushaltes an.161 Der Sparerbund hatte gegen die Ablehnung keine rechtliche Handhabe, da es kein Rechtsmittel gegen die Ablehnung durch den Reichsminister des Innern gab.162 Er versuchte später, unter Einbindung der meisten Interessenverbände der Inflationsgeschädigten, seine Interessen mit der Gründung einer Partei durchzusetzen. Dieses Vorhaben blieb mittelfristig jedoch erfolglos.163 Die Reichs-Arbeitsgemeinschaft der Aufwertungs-, Geschädigten- und Mieterorganisationen reichte ihren Zulassungsantrag für ein Volksbegehren am 28. Februar 1927 ein. Er begann folgendermaßen:164

Hartwig, Volksbegehren, S. 116. Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte, Bd. 390 (217. Sitzung, 25. 6. 1926), S. 7584; Jung, Direkte Demokratie, S. 30. 161 Zur Gesamtproblematik noch ausführlicher unter Kap. II A. 5. b) bb). Vgl. auch die zeitgenössische Darstellung aus Regierungssicht bei: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 169 – 191. 162 Die Bemühungen Dr. Bests zur Einführung eines solchen Rechtsmittels führte zu keinem Erfolg. Es gelang ihm zwar mit Unterstützung der Nationalsozialistischen Freiheitspartei, am 26. 6. 1926 einen Gesetzentwurf in den Reichstag einzubringen, der das Gesetz über den Staatsgerichthof vom 9. 7. 1921 ändern sollte (Vgl. RTDrS. 1926, Nr. 2472). Es sollte damit eine Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes zu rechtlichen Auseinandersetzungen über Art. 73 IV RV ermöglicht werden. Der Entwurf wurde jedoch, nachdem er am 2. 7. 1926 im Reichstag beraten und danach an den Rechtsausschuss weitergeleitet worden war (Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte, Bd. 39 [223. Sitzung, 2. 7. 1926], S. 7828 ff.), ohne ausdrückliche Ablehnung fallengelassen. Zu der Forderung nach einem Rechtsmittel ausführlicher noch in Kap. II A. 4. c) aa). 163 Jung, Direkte Demokratie, S. 32 – 34. 164 Vgl. Denkschrift der Reichs-Arbeitsgemeinschaft der Aufwertungs-, Geschädigtenund Mieter-Organisationen zu dem am 28. Februar 1927 dem Herrn Reichsminister des 159 160

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Die Reichsregierung wies auch diesen Zulassungsantrag unter Berufung auf den Finanzvorbehalt des Art. 73 IV WRV ab, wobei jedoch eine andere Begründung gegeben wurde. Der Reichsminister des Innern Walter von Keudell berief sich nicht, wie beim Sparerbund, unter Zugrundelegung einer weiten Auslegung auf eine mittelbare Gefährdung des Staatshaushaltes, sondern deutete die Bestimmungen zur Verwendung eines Teils des Zinsertrages für soziale Zwecke als Einführung einer Abgabenregelung. Er erklärte den Antrag damit zu einem Abgabengesetz, das nach Art. 73 IV WRV in der Volksgesetzgebung unzulässig war. Innern überreichten Antrag auf Zulassung des Gesetzentwurfes zur Wiederherstellung des Volksvermögens zum Volksbegehren, Berlin 1927.

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Eine dritte Initiative des „Verbandes der durch Inflationskäufe Geschädigten“ blieb im Planungsstadium stecken.165 Weitere Versuche der Inflationsopfer, eine Aufwertung im Wege der Volksgesetzgebung zu erreichen, gab es in der Weimarer Republik nicht.

4. Das Volksbegehren der KPD gegen den Bau von Panzerkreuzern und anderen Kriegsschiffen 1928 Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg hatte das Deutsche Reich einen Großteil seiner Kriegsflotte abgeben müssen. Gleichzeitig war es Deutschland durch den Versailler Vertrag für die Folgezeit verboten, Kriegsschiffe über eine bestimmte Größe hinaus zu bauen.166 Die „Reichsmarine“ konnte deshalb nur in bescheidenem Maße mit einem Wiederaufbau beginnen. Im Jahr 1927 stand sie vor der Frage, wie eine Reihe veralteter Linienschiffe ersetzt werden sollte. Um einerseits die durch den Versailler Vertrag gesetzten Beschränkungen einzuhalten, gleichzeitig aber ein Höchstmaß an Kampfkraft zu erhalten, forderte sie den Bau sogenannter Panzerkreuzer; hochmoderner, schwerbewaffneter, aber dennoch kleiner und schneller Schiffe. Die Reichsregierung unter Reichskanzler Wilhelm Marx befürwortete das Rüstungsprojekt, nach dem über sechs bis zehn Jahre für jährlich 40 Millionen Reichsmark je vier Panzerkreuzer auf Kiel gelegt werden sollten.167 Sie stellte im Herbst 1927 eine erste Rate von 9,3 Millionen Reichsmark für den „Panzerkreuzer A“ in den Haushaltsplan für 1928 ein. Widerstand gegen den Marineschiffbau kam von den linken Parteien SPD und KPD. Er beruhte auf grundlegenden pazifistischen Motiven sowie auf der Tatsache, dass einerseits aufgerüstet, gleichzeitig aber notwendige Sozialleistungen gestrichen wurden, darunter auch 5 Millionen Reichsmark für Schulkinderspeisungen. Ab Februar 1928 hatte die Regierung Marx keine eigene Mehrheit im Reichstag mehr. Es kam zu Neuwahlen am 20. Mai desselben Jahres, aus denen vor allem die SPD, die für „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ warb, mit fast 30% als Siegerin hervorging. Ein wichtiger Streitpunkt in den sich anschließenden Koalitionsverhandlungen war der Haushaltsbeschluss zum Bau des ersten Panzerkreuzers, den insbesondere die DVP aufrechterhalten wollte. Der neue sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller gab nach. Die eigene Partei wie auch die Öffentlichkeit wurde nur Schiffers, Elemente, S. 225. Vgl. Carl Dreeßen, Die deutsche Flottenrüstung in der Zeit nach dem Vertrag von Versailles bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges und ihre Darstellung und Behandlung im Nürnberger Prozeß von 1945 / 46, Diss. phil„ Hannover 1999, S. 52 ff. mit Verweis auf die Art. 181 – 197 des Versailler Vertrages. Vgl. auch Hans Jürgen Witthöft, Lexikon zur deutschen Marinegeschichte, Bd. 2, Herford 1978, S. 28. Konkret betrug die maximale Größe eines deutschen Kriegschiffneubaus 10.000 „Washington Standard Tons“. 167 Otmar Jung, Rüstungsstopp durch Volksentscheid? Der Fall „Panzerkreuzer“ 1928, in: Jost Dülffer (Hrg.), Parlamentarische und öffentliche Kontrolle von Rüstung in Deutschland: 1700 – 1970, Düsseldorf 1992, S. 151 – 173, 152; Jung, Direkte Demokratie, S. 67. 165 166

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unzureichend über die Gründe dieser politischen Kehrtwende informiert. Auch der taktische Versuch Müllers, sich zur Wahrung des eigenen Gesichts im Kabinett in dieser Frage von den Koalitionspartnern der DVP, DDP und Zentrum überstimmen zu lassen, schlug fehl. Während der 3. Kongress der sozialistischen Arbeiter-Internationalen in Brüssel mit deutscher Teilnahme eine vollständige Abrüstung propagierte, stimmten gleichzeitig am 10. August 1928 in Deutschland die SPD-Minister und ein sozialdemokratischer Reichskanzler Müller im Kabinett für die noch von der Vorgängerregierung in den Haushalt eingestellte erste Rate von 9,5 Millionen Reichsmark und damit den Bau des „Panzerkreuzers A“.168 Es kam zu Protesten in der SPD gegen die eigenen Regierungsmitglieder. Partei- wie Fraktionsvorstand bedauerten öffentlich das Abstimmungsverhalten der eigenen Minister und des Reichskanzlers und beschlossen, dass vor einer Kabinettsentscheidung über die 2. Rate eine Entscheidung der Reichstagsfraktion herbeigeführt werden müsse. Im Reichstag mussten die Regierungsmitglieder später mit der eigenen Fraktion gegen die eigene Kabinettsentscheidung und für einen SPD-Antrag auf Einstellung des Panzerkreuzerbaus stimmen, der aber im Reichstag keine Mehrheit fand.169 Bereits vor der Entscheidung der neuen Regierung für den Bau des Panzerkreuzers hatte die KPD-Reichstagsfraktion die Reichsregierung zur Vorlage eines Ergänzungsetats aufgefordert, in dem die von der Vorgängerregierung in den Haushalt eingestellten Mittel von 9,5 Millionen Reichsmark statt für den Panzerkreuzer für Schulspeisungen verwendet werden sollten. Dieser Antrag wurde jedoch vor der parlamentarischen Sommerpause 1928 nicht mehr bearbeitet. Am 16. August beschloss das Zentralkomitee der KPD, ein Volksgesetzgebungsverfahren gegen den Panzerkreuzerbau einzuleiten. Kurze Zeit später veröffentlichte die kommunistische Reichstagsfraktion ihren weit über die Frage des Panzerkreuzerbaus hinausgehenden Gesetzentwurf, nachdem der Bau von „Panzerschiffen und Kreuzern jeder Art“ in der Zukunft verboten sein sollte.170 Sie lud alle interessierten Gruppierungen zur Teilnahme am Volksgesetzgebungsverfahren ein. Zwei Tage nach der Gründung eines „Vorbereitenden Komitees zur Durchführung und Unterstützung des Volksbegehrens gegen den Panzerkreuzerbau“ am 27. August 1928 und noch bevor dieses Gremium zum ersten Mal getagt hatte, stellten KPD, Rotfrontkämpferbund und der Kommunistische Jugendverband Deutschland (KJVD) den Zulassungsantrag beim Reichsminister des Innern.171 Das Volksbegehren wurde am 17. September 1928 vom Reichsminister des Innern Carl Severing zugelassen, die Eintragungsfrist auf die Zeit zwischen den 3. und 16. Oktober festgelegt. Die Verordnung wie der begehrte Gesetzentwurf hatten folgenden Wortlaut:172 Ebd. mit weiteren Verweisen. Die SPD-Reichstagsfraktion reichte am 31. 19. 1928 einen diesbezüglichen Antrag im Reichstag ein, der jedoch nur von der KPD unterstützt wurden. Vgl. ebd., S. 90. 170 Vgl. allgemeine Darstellung bei: Carl Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff A und die Reichsverfassung, in: AöR Bd. 55 (1929), S. 416 – 443. 171 Jung, Direkte Demokratie, S. 74 – 75. 168 169

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Anders als 1926, als sich am Ende auch die SPD dem Volksgesetzgebungsverfahren für eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten angeschlossen hatte, kam es diesmal nicht zu einem Zusammengehen linker Gruppierungen und Parteien für das Volksbegehren. Der „Reichsauschuss für Volksentscheid gegen Panzerkreuzerbau“, der aus dem „Vorbereitenden Komitee zur Durchführung und Unterstützung des Volksbegehrens gegen den Panzerkreuzerbau“ hervorging, war durch die KPD dominiert.173 Die SPD, die in dem Volksbegehren vor allem einen Angriff gegen sich selbst sah, lehnte das Volksbegehren durch ihren Parteivorstand ab.174 Sie rief ihre Unterorganisationen und Anhänger auf, das Begehr nicht zu unterstützen, was diese auch befolgten. Gleichzeitig kündigte das Parteivorstandsmitglied Otto Wels am 7. Oktober, also während der Eintragungsfrist, auf einem Bezirksparteitag den bereits oben behandelten Antrag der Reichstagsfraktion gegen den Bau des Panzerkreuzers an. Auch die DDP und das Zentrum setzten sich nicht für das Volksbegehren ein. Die Werbung für das Volksbegehren wurde fast Reichsanzeiger vom 17. 9. 1928, Nr. 217 Jung, Direkte Demokratie, S. 78 – 82. 174 Ebd. Vgl. Volksbegehren? Ein kommunistisches Demagogenstück! (Material für Betriebsvertrauensleute) hg. von der SPD, Berlin 1928 (BArch-Lichtenhagen). 172 173

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völlig von der KPD und ihren Unterorganisationen betrieben.175 Im Volksbegehren trugen sich von 41 340 691 Stimmberechtigten 1 216 968 und damit nur 2,94 % ein.176 Das für einen Erfolg nach Art. 73 III WRV notwendige Zehntel der Stimmberechtigten wurde nicht erreicht. Das Volksgesetzgebungsverfahren war damit beendet.177 5. Volksbegehren und Volksentscheid für ein „Freiheitsgesetz“ und gegen den Young Plan 1929 Ein Thema, das die Gemüter in der Weimarer Politik und Öffentlichkeit immer wieder heftig erhitzte, war die Frage nach der Schuld Deutschlands am Ausbruch des ersten Weltkriegs. Besonders engagiert stritt hierbei der größte und aktivste nationalkonservative Wehrverband der Weimarer Republik, der „Stahlhelm“,178 gegen die sogenannte „Kriegsschuldlüge“. Erstmals plante er 1925 ein Volksbegehren, dass sich konkret gegen Art. 231 des Versailler Vertrages richtete.179 Gab doch diese Bestimmung dem Deutschen Reich die Hauptschuld am ersten Weltkrieg und war Grundlage für die umstrittenen Reparationsverpflichtungen dem Ausland gegenüber. Nachdem das Bemühungen um politische Unterstützung bei den rechten Parteien im Reichstag keinen Erfolg zeigte, endete dieser erste Vorstoß des Stahlhelm jedoch bereits im Planungsstadium. Auch ein zweiter Anlauf des Wehrverbandes im Jahr 1927 stieß weder bei der DNVP unter ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Hugenberg,180 noch bei der NSDAP Adolf Hitlers in der vorgeschlagenen Form auf Zustimmung.181 Gleichwohl fiel die grundsätzliche Idee eines Volksbegehrens gegen den Versailler Vertrag diesmal auf fruchtbareren Boden. Hugenberg griff den Gedanken auf und brachte nach und nach den Stahlhelm von dem eigenen Zulassungsantrag ab. Er plädierte stattdessen erfolgreich für ein Jung, Direkte Demokratie, S. 85. Ebd., S. 86 – 8; vgl. Statistik in: Huber, Dokumente, Bd. 4, Nr. 187, S. 218. 177 Konkret bedeutete dies, dass der Gesetzentwurf nicht einmal mehr dem Reichstag vorgelegt wurde. Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 117. 178 Der Stahlhelm entwickelte sich nach 1925 mehr und mehr zu einer offen antirepublikanischen Organisation, hielt aber dennoch immer Kontakt zu Reichspräsident Hindenburg. Vgl. Volker R. Berghahn, Der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten 1918 – 1935, Düsseldorf 1966, S. 103 ff., 122 – 131. 179 Jung, Direkte Demokratie, S. 110, Schiffers, Elemente, S. 230. 180 Hugenberg hatte den Parteivorsitz erst im Herbst 1928 übernommen. Sein Führungsstil und die konsequente, mit einer Radikalisierung einhergehende Ausrichtung der Partei nach rechts, führte im Zusammenhang mit dem Volksgesetzgebungsverfahren zur Spaltung der DNVP. Vgl. Elisabeth Friedenthal, Volksbegehren und Volksentscheid über den Young-Plan und die Deutschnationale Sezession, Diss. phil., Tübingen 1957, S. 186. 181 Das Volksbegehren gegen die Kriegsschuldlüge war hierbei nur ein Projekt des Stahlhelms. Er plante im Herbst 1928 auch noch ein im Ergebnis nicht weitergeführtes Projekt einer plebiszitären Verfassungsreform für eine reine Präsidialdemokratie. Vgl. Jung, Direkte Demokratie, S. 110. 175 176

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gemeinsames Volksbegehren, das sich vor allem gegen den Young-Plan richten sollte und damit auch nationalsozialistischen Forderungen entgegenkam.182 Der Young-Plan, der zu diesem Zeitpunkt in Den Haag verhandelt wurde, stellte die Grundlage für zukünftige deutsche Reparationszahlungen dar. Er war in der Nachfolge der Pariser und Londoner Konferenzen von 1921, 1922, und des DawesPlans von 1924, die konkrete Konsequenz der deutschen Kriegsschuld von 1914.183 Ergebnis der Hugenbergschen Bemühungen war der „Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren“, in dem sich DNVP, Stahlhelm, Reichslandbund, NSDAP und weitere antirepublikanische Gruppierungen als die „Nationale Opposition“ zusammenfanden.184 Am 28. September 1929 beantragte er die Zulassung zu einem Volksbegehren für ein „Gesetz gegen die Versklavung des deutschen Volkes“, das auch die Bezeichnung „Freiheitsgesetz“ erhielt. Der Entwurf verlangte von der Reichsregierung in § 1 den Widerruf des Art. 231 des Versailler Vertrag (Kriegsschuld Deutschlands) und nach § 2 und § 3 die unverzügliche Wiederherstellung der deutschen Staatsgewalt in allen besetzten Gebiete sowie die Ablehnung jeglicher weiterer Reparationspflichten. Letztere Bestimmung zielte auf den Young-Plan ab und wurde dadurch unterstrichen, dass ein Verstoß gegen § 3 I des „Freiheitsgesetzes“ durch „Reichskanzler, Reichsminister und deren Bevollmächtigte“ strafrechtlich verfolgt werden sollte185 (siehe dem Wortlaut des gesamten Gesetzentwurfes auf S. 65).186 Bereits am 30. September 1929 ließ der Reichsminister des Innern Carl Severing den Antrag zum Volksbegehren zu und bestimmte als Eintragungsfrist die Zeit vom 16. bis 29. Oktober.187 Es setzte eine von den Zeitungen des Pressemagnaten Hugenbergs und den im Reichsausschuss beteiligten Massenorganisationen ausgelöste massive Werbekampagne ein. Besonders aktiv zeigte sich die NSDAP. Teilweise erschienen fast täglich Schriften eines eigens gegründeten Pressedienstes „Volksbegehren“ bzw. später „Volksentscheid“, um das Volk für das „Freiheitsgesetz“ zu gewinnen.188 Der großangelegten, unter anderem auch vom ReichstagsEbd. Der Dawes-Plan von 1924 hatte noch vorgesehen, dass Deutschland bis 1928 jährlich 5,4 Mrd. Reichsmark, danach dann jährlich 2,5 Mrd. zahlen sollte. Eine Gesamtlaufzeit war nicht festgelegt worden. Nach dem Plan des Präsidenten der Sachverständigenkonferenz in Paris, Owen D. Young, sollte Deutschland nunmehr unter erleichterten Zahlungsmodalitäten in 59 Jahren insgesamt 34,5 Mrd. Goldmark zahlen. Vgl. dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Karten und chronologischer Abriss, Bd. 2, Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, Bielefeld 1986, S. 135. 184 Vgl. Jung, Direkte Demokratie, S. 110. 185 Vgl. Schiffers, Elemente, S. 231. Konkret wurde auf die Strafvorschrift des § 92 StGB verwiesen, der landesverräterische Untreue unter Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahre stellte. 186 Vgl. Zulassungsverordnung abgedruckt in: Reichsanzeiger Nr. 229 vom 1. 10. 1929. 187 Ebd. 188 Jung, Direkte Demokratie, S. 117. Vgl. exemplarisch: „Warum wir den Pariser Plan ablehnen? Warum Volksbegehren und Volksentscheid?“ hg. vom Verlag des Reichsausschusses für das Deutsche Volksbegehren, Berlin 1929 (BArchiv Berlin-Lichtenhagen). 182 183

B. Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933

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präsidenten Hjalmar Schacht189 unterstützten Kampagne gegen die „Kriegsschuldlüge“ und den „Tributplan“ stellten sich in erster Linie die Regierungen des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) im Reich und des Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) in Preußen mit zahlreichen Aufrufen, Flugschriften, Rundfunkreden entgegen.190 In ministeriellen Erlassen wurde den Beamten ein Engagement für und eine Teilnahme am Volksbegehren unter Androhung von Disziplinarstrafen untersagt.191 Der Staat stellte sich offen auf die Seite der Gegner eines Volksbegehrens. Dennoch stimmten 4 135 300 von 41 278 897 und damit 10,02 % der Stimmberechtigten im Volksbegehren mit „Ja“. Die Zustimmungshürde des Art. 73 III 189 Schiffers, Elemente, S. 232.Vgl. auch: Hjalmar Schacht, Das Ende der Reparationen, Oldenburg 1931. Gegen dessen Darstellung wendete sich noch einige Jahre später der Reichswirtschaftsminister Dr. Julius Curtius und warf Schacht eine unberechtigte Parteinahme für Hugenberg und Hitler vor. Vgl. ders., Der Young-Plan, Entstellung und Wahrheit, Stuttgart 1950. 190 Jung, Direkte Demokratie, S. 116 – 18. Er nennt die Zahl von 10 Millionen Flugblättern der Regierung und erhebliche Haushaltsmittel. Die übrigen demokratischen Parteien beteiligten sich nur wenig an der Gegenpropaganda zum Volksbegehren. 191 Vgl. die sich daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten in Kap. II A. 4. b).

5 Schwieger

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Kap. I: Einführung und Praxis der Volksgesetzgebung 1919 – 1933

WRV im Volksbegehren war erfolgreich überwunden.192 Severing übersandte den Gesetzentwurf am 25. November 1929 an den Reichstag und fügte gleichzeitig ein im Ergebnis folgenloses Gutachten bei, das die Verfassungsmäßigkeit des begehrten Gesetzes in Frage stellte.193 Der Reichstag lehnte den Gesetzentwurf nach Beratungen am 29. und 30. November gegen die Stimmen der DNVP, NSDAP und Christlichnationalen Bauernpartei ab.194 Der Volksentscheid wurde auf den 22. Dezember 1929 festgelegt. Wie bei dem Volksbegehren gingen ihm eine heftige Kampagne und Gegenkampagne voran. Diesmal waren es neben den bereits genannten Regierungen vor allem die sozialdemokratischen Parteiorganisationen, die zum Abstimmungsboykott aufriefen, um das Volksgesetzgebungsverfahren an Art. 75 WRV scheitern zu lassen.195 Im Volksentscheid stimmten von 42 323 473 Stimmberechtigten 5 838 868 mit „Ja“ und nur 338 195 mit „Nein“. 131 493 Stimmen waren ungültig.196 Es hatten sich weniger als die Hälfte der Stimmberechtigen an der Abstimmung beteiligt; der Volksentscheid war an Art. 75 WRV gescheitert. Die von den Anhängern des Begehrens vertretene juristische Argumentation, dass der Volksentscheid trotz der mangelnden Beteiligung erfolgreich gewesen sei, weil Art. 75 WRV nur einen positiven, nicht aber einen ablehnenden Gesetzesbeschluss des Reichstags meine, blieb folgenlos.197

6. Der Antrag der SPD zur Rücknahme sozial- und wirtschaftspolitischer Notverordnungen der Reichsregierung 1932 Im Jahr 1932 erreichte die durch den New Yorker Börsencrash im Oktober 1929 auch in Deutschland ausgelöste Wirtschaftskrise ihren arbeitsmarktpolitischen Höhepunkt. Konkret bedeutete dies im Januar 1932 eine Zahl von 6,042 Millionen Arbeitslosen.198 Der im Mai auf Heinrich Brüning folgende Reichskanzler Franz von Papen versuchte vor diesem Hintergrund mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Notverordnungen vom 14. Juni sowie vom 4. und 5. September 1932, die staatlichen Sozialausgaben zu kürzen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.199 Die „Verordnung zur Vermehrung von Arbeitsplätzen“ vom 4. September erlaubte es hierbei beispielsweise den Arbeitgebern, bei Neueinstellungen von Arbeitnehmern die Löhne um 12,5 %, in Einzelfällen sogar um 20 % zu kürzen, wenn damit Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 118. RTDrS. 1929, Nr. 1429. 194 Hartwig, Volksbegehren, S. 118 – 19. 195 Jung, Direkte Demokratie, S. 124. 196 Hartwig, Volksbegehren, S. 119; Huber, Dokumente, Bd. 4, Nr. 187, S. 218 (mit leicht abweichenden Zahlen). 197 Vgl. weitergehende Ausführungen in Kap. II A. 5. a) bb). 198 dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 2, S. 184; Hagen Schulze, Weimar, Deutschland 1917 – 1933 (4. Aufl., 1. Aufl. 1982), Berlin 1994, S. 42 – 46. 199 Vgl. RGBl. I 1932, Nr. 35; RGBl. I 1932, Nr. 57; RGBl. I 1932, Nr. 58. 192 193

B. Volksgesetzgebungsverfahren auf Reichsebene von 1919 bis 1933

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eine Erhöhung der Gesamtbelegschaft um 25 % einherging. Eine Änderung der Tarifverträge war hierzu nicht nötig, wenn der zuständige Schlichter seine Zustimmung gab.200 Die SPD empfand die Maßnahmen der Regierung von Papen als einen „Generalangriff der Reaktion auf die Lebenshaltung der werktätigen Schichten“, dies insbesondere auch deshalb, da gleichzeitig Steuererleichterungen für andere gesellschaftliche Bereiche vorgesehen waren.201 Da auf parlamentarischem Wege ein Widerstand gegen das auf Art. 48 WRV und der Macht des Reichspräsidenten ruhende Präsidialkabinett von Papens nicht möglich erschien, reichte sie bereits am 12. September 1932 einen Zulassungsantrag zu einem Volksbegehren zur Aufhebung des sozialpolitischen Teils der Notverordnung vom 4. September ein.202 Die Regierung behandelte den Zulassungsantrag trotz mehrfacher Anfragen und Proteste der SPD – Reichstagsfraktion für längere Zeit nicht und begründete die Verzögerungen mit rechtlichen Fragen.203 Dies führte dazu, dass die SPD am 7. Dezember 1932 eine Änderung des Gesetzes über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 zur Einführung von Entscheidungsfristen forderte, weil sie im Verhalten der Reichsregierung eine Verzögerungstaktik vermutete.204 Bevor diese Forderung konkreter verhandelt wurde, hob die Regierung am 17. Dezember 1932 den umstrittenen Teil der Notverordnung vom 4. September auf. Sowohl eine Weiterverfolgung des Volksgesetzgebungsverfahrens wie auch eine Änderung des Gesetzes über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 erschienen nicht mehr als dringend nötig und wurden auch vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung im Januar 1933 fallengelassen.205

Vgl. auch: Schiffers, Elemente, S. 218. Vgl. Vorwärts vom 18. 11. 1932, Nr. 544 (Abendausgabe). Enthalten auch in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 247). Konkret forderte die SPD im Reichstag in einem sozialpolitischen Antrag umfassend: „Die Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie der Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden vom 14. Juni 1932 [ . . . ] die Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 [ . . . ] und die Verordnung der Reichsregierung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932 [ . . . ] sind außer Kraft zu setzen.“ 202 Ebd. Dem Verfasser gelang es nicht, den genauen Wortlaut des Antrages für ein Volksbegehren zu finden. 203 Vgl. Vorwärts vom 6. 10. 1932, Nr. 468 B. 226. 204 Ebd. Nähere Ausführungen in Kap. II B. 4. c) bb). 205 Vgl. Schiffers, Elemente, S. 218 – 219 (mit weiteren Verweisen). 200 201

5*

Kapitel II

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Volksbegehren und Volksentscheid in der Weimarer Republik durch die Staatsrechtswissenschaft – Volksgesetzgebung nach Art. 73 – 76 WRV als geltendes Verfassungsrecht Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung in der Weimarer Republik ist allein eine staatsrechtliche gewesen, bei der die Rechtswissenschaft weitgehend Neuland betrat. Sicher auch aus dem Grunde, dass es weder im Kaiserreich, noch in den verschiedenen deutschen Staaten davor, ein vergleichbares Verfassungsinstitut gegeben hatte, existierten auf wissenschaftlicher Ebene insgesamt nur wenige Arbeiten zur Volksgesetzgebung als einem konkreten Instrument politischer Willensbildung für Deutschland.1 Zu nennen sind hier „Die direkte Gesetzgebung durch das Volk“ von Moritz von Rittinghausen von 1877,2 Karl Kautskys Buch „Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie“ von 1893,3 sowie eingeschränkt der Aufsatz „Der Weltgang des Referendums. Ursprung, Untergang und Wiedergeburt der germanischen Volksfreiheit“ des in Frankfurt lebenden Schweizers Theodor Curti von 1912.4 Während 1 Zwar hatten sich bereits vor 1918 Staatsrechtler wie beispielsweise Georg Jellinek mit Referendum, Plebiszit und Volksinitiative auseinandergesetzt, dies jedoch nur in einer abstrakt-theoretischen Art und Weise. Auf eine konkrete Umsetzung in Deutschland wurde angesichts der immer noch vor allem monarchischen politisch-gesellschaftlichen Strukturen nicht eingegangen. Vgl. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (2 Aufl.), Berlin 1905, S. 710 – 714; ders., Verfassungsänderung und Verfassungswandlung. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung, Berlin 1906, S. 73. 2 Vgl. Moritz von Rittinghausen, Die direkte Gesetzgebung durch das Volk (4. Aufl.), Köln 1877 (5. Aufl., Zürich 1893). Die früheste vom Verfasser nachgewiesene Ausgabe der Schrift von Rittinghausen war: ders, La législation directe par le peuple et ses adversaires, Brüssel / Leipzig 1852. Reinhard Schiffers (ders., Elemente, S. 19) weist allererdings sogar auf eine Ausgabe von 1850 hin. Rittinghausen (1840 – 1890), aus katholischer Familie stammend, war 1848 Mitglied des Frankfurter Vorparlaments, arbeitete mit Marx und Engels in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ und war später für die SPD Mitglied des deutschen Reichstages, die ihn aber 1884 wegen Bruchs der Parteidisziplin aus der eigenen Fraktion ausschloss. 3 Karl Kautsky, Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie, Stuttgart 1893. 4 Theodor Curti, Der Weltgang des Referendums. Ursprung, Untergang und Wiedergeburt der germanischen Volksfreiheit, in: AöR Bd. 28 (1912), S. 1 – 44. Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle noch ein Buch Karl Löwensteins (ders., Volk und Parlament nach der Staatstheorie der Französischen Nationalversammlung von 1789, Studien zur Dogmen-

Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

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Rittinghausen in dogmatisch kompromissloser Weise eine alleine auf Volksgesetzgebung beruhende deutsche Demokratie für möglich hielt und forderte, sah Kautsky eine solche in Deutschland als undurchführbar an.5 Beide Schriften stammten aus der Feder von Nichtjuristen und Sozialdemokraten, und vor allem Kautskys Arbeit hatte einen starken innerparteilichen Bezug, wie bereits in Kapitel I bezüglich der Haltung der SPD in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919 dargestellt wurde.6 Dies mögen die Gründe dafür sein, dass sie keinen Rückhalt in der Rechtswissenschaft fanden. Theodor Curti behandelte in seiner Schrift noch weniger als Kautsky oder Rittinghausen die rechtlichen oder praktischen Möglichkeiten einer Volksgesetzgebung, sondern untersuchte allgemein ihre historische Entwicklung in der Welt. An seine historische Sicht knüpften viele staatsrechtswissenschaftliche Beiträge herleitend-rechtshistorisch an, worauf in einem späteren Abschnitt noch genauer eingegangen werden wird. Trotzdem, oder aber gerade weil es ein neues unbearbeitetes Betätigungsfeld mit praktischer Relevanz für die Verfassungswirklichkeit der jungen deutschen Demokratie war, widmete die deutsche Staatsrechtswissenschaft dem neuen Verfassungselement von Beginn an in einer Vielzahl von Beiträgen große Aufmerksamkeit. Der Verfasser konnte die Existenz von über 33 Dissertationen aus der Weimarer Zeit zum Thema nachweisen,7 und von ihnen noch siebenundzwanzig auffinden und einsehen.8 Hinzu gesellen sich ausführliche Kommentierungen der Art. 73 bis 76 WRV, Ausführungen in Lehrbüchern, eine Vielzahl von Beiträgen in Fachzeitschriften aber auch wissenschaftliche Beiträge in der Tagespresse. Der wissenschaftliche Umgang mit dem Thema lässt sich hierbei in zwei übergeordnete Bereiche einteilen, die auch diesem Kapitel seine Struktur geben. geschichte der unmittelbaren Volksgesetzgebung, München 1922), genannt werden. Es erschien zwar erst 1922, beruht jedoch auf einem bereits vor 1918 abgeschlossenen Manuskript. Es bezieht sich in erster Linie auf Frankreich und die USA, behandelt aber gleichzeitig in sehr umfassender Weise grundsätzliche Fragen zur Volksgesetzgebung mit konkreten praktischen Bezügen. 5 Rittinghausen, direkte Gesetzgebung, S. 218 – 244; Kautsky, Volksgesetzgebung und Sozialdemokratie, S. 220. 6 Vgl. Kap. I A. 4. Sein Buch und sein Wirken waren wegweisend für den Weg der SPD hin zu einer parlamentarisch-demokratischen Partei und Verfechterin eines repräsentativen Verfassungssystems. 7 Reinhard Schiffers (ders., Elemente, S. 262) spricht sogar von nahezu 40 Dissertationen zum Thema. 8 Einige Dissertationen sind mit der Zeit verloren gegangen, bzw. konnten vom Verfasser nicht mehr ausfindig gemacht werden. So insbesondere: Hansludwig Simonis, Volksbegehren und Volksentscheid nach der Reichsverfassung und der mecklenburg-schwerinischen Verfassung, Diss. jur., Rostock 1923; Fritz Nestler, Volksentscheid und Volksbegehren im Reich und in den Ländern, Diss. jur. Leipzig 1927; Bonifatius Nolte, Der Volksentscheid in seiner historischen Entwicklung, Diss. jur., Würzburg 1921; Walter Schauinsland, Der Gedanke der unmittelbaren Demokratie (Volksversammlung und Volksabstimmung) in Vergangenheit und Gegenwart, eine staatsrechtliche Abhandlung unter Berücksichtigung des ethnologisch-soziologischen Ursprungs und der politischen Wirkungen, Diss. Würzburg 1922.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Zum einen handelt es sich um den Bereich der rechtsdogmatisch, rechtssystematischen Einordnung und Beurteilung des neuen Verfassungselements in Bezug auf die Gesamtstruktur der Weimarer Reichsverfassung hinsichtlich einer konkreten Anwendung der Art. 73 bis Art. 76 WRV. Auf diesem, das tägliche juristische Brot der Rechtsanwendung betreffenden Gebiet, bildeten sich in vielerlei kleineren und größeren Auseinandersetzungen wissenschaftliche Positionen heraus, die sich mitunter zur herrschenden wie auch zur sogenannten Mindermeinung verfestigten. Diesen „Meinungsstreitigkeiten“ widmet sich Abschnitt A dieses Kapitels. Es wird in ihm der Versuch gemacht, alle relevanten wissenschaftlichen Streitfragen und die für sie vertretenen Lösungen zu erfassen und in einer verständlichen Struktur darzustellen. Deutlich werden damit zum einen grundsätzliche Rechtsanwendungsfragen bei der Integration von Volksentscheid und Volksbegehren in ein ansonsten repräsentativ-parlamentarisches Verfassungssystem – Fragen, die sich unter Umständen bei einer Wiedereinführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene erneut stellen werden. Zum anderen werden im Umgang mit der Volksgesetzgebung exemplarisch die Auswirkungen der spezifischen staatsrechtlichen „Weimarer Verhältnisse“ in Methodik und Dogmatik deutlich. Der zweite Bereich, dem der Abschnitt B diesen Kapitels gewidmet ist, betrifft den rechtspolitischen Umgang der Staatsrechtswissenschaft mit Volksentscheid und Volksbegehren. Mit „rechtspolitisch“ ist hierbei in Abgrenzung zu konkreten dogmatisch-systematischen Anwendungsfragen eine allgemeinere, übergeordnete Sichtweise auf das neue Verfassungsinstitut gemeint. Zu Beginn der Weimarer Republik nahmen Staatsrechtler zu vermeintlichem Sinn oder Unsinn wie auch zur Herkunft des neuen Verfassungsinstruments Stellung. Sie zeigten sich einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk hoffnungsvoll oder auch ablehnend gegenüber. Im Zusammenhang mit den konkret eingeleiteten und durchgeführten Volksgesetzgebungsverfahren ab 1922 waren dann weitere Bewertungen, vor allem aber Reformvorschläge Thema in der Literatur. Gegen Ende der Weimarer Republik tauchte schließlich die Frage nach der Rolle der Volksgesetzgebung in der Krise der Weimarer Demokratie auf, die Staatsrechtler bzw. Juristen beschäftigte. Der Abschnitt B bildet die Brücke zu den Darstellungen und Bewertungen der Weimarer Volksgesetzgebung nach 1933, vor allem aber nach 1945, als sich die Politologie, insbesondere aber die Geschichtswissenschaft im wissenschaftlichen Umgang mit Weimarer Volksentscheid und Volksbegehren zur Staatsrechtswissenschaft hinzugesellten.

A. Die verschiedenen Volksgesetzgebungsverfahren der Art. 73 – 76 WRV im juristisch-dogmatischen Diskurs In der Weimarer Staatsrechtswissenschaft orientierte sich die dogmatisch-systematische Auseinandersetzung mit den Art. 73 – 76 WRV an den verschiedenen Möglichkeiten, zu einem Volksentscheid zu gelangen. Dieser Struktur folgend wer-

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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den auch hier die verschiedenen „Volksgesetzgebungsverfahren“ nacheinander behandelt (Unterabschnitte 1. – 4.). Jede Initiativmöglichkeit wird dabei zum besseren Verständnis von der jeweils wichtigsten Verfassungsnorm, einer Darstellung des Verfahrensablaufs mit dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen, sowie eines Überblicks über die praktische Relevanz eingeleitet. Ein enger Bezug besteht hier zu den Abschnitten über die Entstehung der Ausführungsbestimmungen sowie die praktischen Versuche der Volksgesetzgebung von 1919 bis 1933 in Kapitel I. Nach dieser „Einleitung“ werden die in der Staatsrechtswissenschaft vorherrschenden oder auch streitigen, dogmatisch-systematischen Einordnungen in Bezug auf Herkunft9 und Rechtsnatur, die Bewertungen zur Praktikabilität und weitere wissenschaftlichen Streitfragen mit den dazu vertretenen Meinungen und Argumenten dargestellt. Der jeweilige Aufbau orientiert sich an den verschiedenen Verfahrensstrukturen, den Schwerpunkten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, oder an einer für das Verständnis geeigneten Form der Streitdarstellung. Im Anschluss an die Aufarbeitung des wissenschaftlichen Umgangs mit den verschiedenen Initiativwegen zu einem Volksentscheid wird auf die staatsrechtlichen Problemfelder eingegangen, die sich auf alle oder mehrere Varianten der Volksgesetzgebung erstreckten (Unterabschnitte 5. – 6.). Es handelt sich hierbei zum einen um sogenannte „Hürden“ und „Schranken“ für Volksbegehren und Volksentscheid-Einschränkungen, wie sie sich aus der Weimarer Reichsverfassung oder einem übergeordneten Verfassungsverständnis ergaben. Zum anderen stritt man sich um Fragen der Kollision von verschiedenen Initiativen zu einem Volksentscheid oder auch eines Volksentscheids mit einem Reichstagsbeschluss über denselben Gegenstand.

1. Der Volksentscheid nach Art. 73 I WRV – Waffe des Reichspräsidenten im Konflikt mit dem Reichstag? Im Konflikt zwischen Reichspräsident und Reichstag räumte Art. 73 I WRV dem Präsidenten die Möglichkeit ein, sich unmittelbar an das Volk zu wenden. Art. 73 Abs. 1 WRV: „Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es bestimmt.“

a) Verfahren und praktische Relevanz in der Weimarer Republik Die Ausführungsbestimmungen zu dieser Möglichkeit des Reichspräsidenten, gegen den Gesetzesbeschluss des Reichstages unmittelbar das Volk anzurufen, er9 Ausführungen zur Herkunft erfolgen nur dort, wo sie für die Auseinandersetzungen selber und ihre Darstellung relevant sind.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

gaben sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 VEG, den §§ 4 – 25 VEG,10 sowie aus der Reichsstimmordnung (RStO). Entstehung und Regelungsmaterie von VEG und RStO wurden bereits in Kap. I A. 6. dargestellt und waren in Bezug auf Art. 73 I WRV in ihrer Anwendung unstreitig.11 Die Entscheidung des Reichspräsidenten für die Durchführung eines Volksentscheides bedurfte einer präsidialen Anordnung i. S. d. Art. 50 WRV12 innerhalb eines Monats nach Reichstagsbeschluss. Gegenstand des Volksentscheids war nach einhelliger Meinung immer der Gesetzentwurf als ganzer, nicht nur einzelne Bestimmungen.13 Nach § 4 VEG bestimmte die Reichsregierung den Abstimmungstag, den Gegenstand des Volkentscheids sowie den Aufdruck des Stimmzettels im Reichsanzeiger. Abstimmungstag sollte nach § 5 VEG ein Sonntag oder ein öffentlicher Ruhetag sein. Im weiteren Verlauf glich der Ablauf des Volksentscheids dem einer Reichswahl. Stimmberechtigt war, wer am Abstimmungstage Reichsangehöriger und mindestens zwanzig Jahre alt war. Die Vorschriften über Ausschluss von Wahlrecht und Behinderung am Wahlrecht galten entsprechend. Die Stimmberechtigung wurde hierbei anhand von Stimmkarteien und Stimmscheinen überprüft. Die Abstimmung selber erfolgte nach Stimmbezirken, in denen Abstimmungsvorsteher bestimmt und Abstimmungsvorstände gebildet wurden.14 Die Abstimmungszeit dauerte im Sommer von acht Uhr morgens bis siebzehn Uhr nachmittags und im Winter von neun Uhr bis achtzehn Uhr nachmittags. Beantwortet werden sollte im Volksentscheid nach Art. 73 I WRV immer die Frage, ob der vom Reichstag beschlossene Entwurf Gesetz werden solle oder nicht. War die Abstimmung beendet, wurden die Ergebnisse von den Stimmbezirken (§ 20 VEG) in den Reichswahlausschuss weitergeleitet, der das Ergebnis feststellte. Darauf folgte eine Überprüfung durch das Wahlprüfungsgericht (§ 22 VEG, §§ 152, 153 RStO). Das Gesamtabstimmungsergebnis wurde dann vom Reichswahlleiter im Reichsanzeiger veröffentlicht.15 Einen Volksentscheid nach Art. 73 I WRV hat es in der Weimarer Republik nicht gegeben.

10 Sie galten für jeden Volksentscheid, unabhängig von welchem Staatsorgan die Initiative ausging. 11 Vgl. zu den folgenden verfahrensrechtlichen Ausführungen: August Finger, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches der Verfassung vom 11. August 1919, Stuttgart 1923, S. 378 ff.; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehren, S. 213 – 215. 12 Art. 50 WRV: „Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiet der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister. Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen.“ 13 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 39; Heinrich Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, in: AöR Bd. 39 (1920), S. 456 – 546, 502. 14 §§ 6 – 8, § 3 2 – 22, 34 bis 41 RStO. 15 §§ 132 – 142 RStO.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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b) Die systematisch-dogmatische Einordnung des präsidialen Anordnungsrechts nach Art. 73 I WRV sowie des Volksentscheids allgemein durch die Weimarer Staatsrechtswissenschaft Von der Rechtsnatur her sah die Staatsrechtswissenschaft im Anordnungsrecht des Reichspräsidenten ein suspensives oder auch devolutives Veto, mit dem dieser nach einem Gesetzesbeschluss des Parlamentes die Gesetzeskraft hinauszögern und nachträglich die übergeordnete Instanz des Volkes entscheiden lassen könne.16 Die Legitimität eines Vetorechts des Präsidenten nach Art. 73 I WRV ergab sich dabei für Autoren wie Hans Venator, Helmuth Sticherling, Christian Wolter, Erich Martens und viele andere aus der unmittelbaren Volkswahl des Reichspräsidenten, vor allem aber aus seiner Funktion im Weimarer Verfassungsgefüge.17 Er sei der „Vertrauensmann des Volkes, der das Parlament zu kontrollieren habe, der Hüter der Volksrechte“,18 der „Obmann des Volkes“,19 der „dem Reichstag als plebiszitäres Kontrollorgan ebenbürtig zur Seite stehen“ solle.20 Erheblich mitbeeinflusst wurde diese Darstellung der präsidialen Rechte aus Art. 73 I WRV durch die allgemeine dogmatische Einordnung des Volksentscheids. Während die Anordnung zur Durchführung eines Volksentscheids zwar von eigentlich allen Autoren von Beginn an als Teil des Gesetzgebungsverfahrens empfunden wurde,21 wie auch die ganze Volksgesetzgebung meist systematisch im Zusammenhang mit der Gesetzgebung behandelt wurde, galt dies dogmatisch nicht uneingeschränkt für den Volksentscheid selbst. Viele Autoren wie Heinrich Triepel, Gerhard Anschütz, Hans Löwisch, Otto Cromme, Erich Martens oder Hans Venator 16 Vgl. bspw. Max Fetzer, Das Referendum im deutschen Staatsrecht, Diss. jur., Tübingen 1922, S. 55; Angelesco, consultation directe, S. 164; Johann Victor Bredt, Der Geist der Deutschen Reichsverfassung, Berlin 1924, S. 143. 17 Hans Venator, Volksentscheid und Volksbegehren im Reich und in den Ländern, in: AöR Bd. 43 (1922), S. 40 – 102, S. 48 – 49; Helmuth Sticherling, Die direkte Volksgesetzgebung und deren Institutionen, Referendum und Initiative, dargestellt in ihrer geschichtlichen Entwicklung, in der Staatslehre und in den neueren Staatsverfassungen unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Reichsverfasssung vom 11. 8. 1919, Diss. jur., Frankfurt / M. 1921, S. 58; Erich Martens, Volksbegehren und Volksentscheid nach der Reichsverfassung unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Verfassungsverhältnisse, Diss. jur., Würzburg 1924, S. 60; Christian Wolter, Der Volksentscheid, Diss. jur., Köln 1920, S. 62. 18 Ebd. 19 Johann Stephan Contelly, Die direkte Volksgesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung. (Volksbegehren und Volksentscheid), Diss. jur., Frankfurt / M. 1920, S. 35. 20 Martens, Volksbegehren, S. 60. 21 Vgl. Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung in Lehre und Wirklichkeit, München 1924, S. 226, 225; Julius Hatschek, Das Reichsstaatsrecht, Berlin 1923, S. 344 – 5; Otto Meißner, Das neue Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, Berlin 1921, S. 120; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 501 ff.; Finger, Staatsrecht, S. 323 – 324; Fritz Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landestaatsrecht, Bd. I, Berlin / Leipzig 1924, S. 533.

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sahen im Volksentscheid ein besonderes „Recht zur Gesetzesverwerfung“, eine „Überprüfung des Reichstagsbeschlusses“ oder einen „Appell an die Massen der Wähler“, „um eine Parlamentsentscheidung anzufechten“.22 Der Volksentscheid erscheint bei ihnen als ein an die Gesetzgebung angehängtes, aber von ihr doch zu unterscheidendes „Rechtsmittel“ des Volkes. Erst im Laufe der Zeit verbreitete sich eine Deutung des Volksentscheids als schlicht eigenständiger Gesetzesbeschluss durch beispielsweise den Greifswalder Staatsrechtler Eduard Hubricht oder den Chef des Reichspräsidentenbüros Otto Meißner.23 Dass sich Teile der Staatsrechtswissenschaft lange mit der systematisch-dogmatischen Einordnung des Volksentscheids schwer taten, wird bspw. an einer Bemerkung des Münsteraner Staatsrechtslehrers Ottmar Bühler deutlich, der das Verfahren hin zu einem Volksentscheid noch 1929 als auf das Reichstagsgesetzgebungsverfahren „aufgepropft“ bezeichnete.24 Weitgehende Einigkeit bestand in der Staatsrechtswissenschaft, dass es sich bei Art. 73 I WRV von der Konzeption her um eine „Waffe“25 des Reichspräsidenten im Konflikt mit dem Reichstag handelte. Dem Reichspräsidenten sei auf diese Weise die Möglichkeit gegeben worden, sich in Konfliktsituationen mit der Hilfe des Volkes gegen den Reichstag durchzusetzen, ohne die Regierung entlassen oder 22 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 500; Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Mit Einleitungen und Erläuterungen, Berlin 1921, zu Art. 73 Nr. 3. (S. 132); Günther Löwisch, Volksentscheid und Volksbegehren und ihre Ausgestaltung in der neuen deutschen Reichsverfassung, Diss. jur., Jena 1922, S. 46; Otto Cromme, Die unmittelbare Volksgesetzgebung – Eine kritische Darstellungihrer geschichtlichen Entwicklung sowie ihrer Anwendung in der deutschen Reichsverfassung vom 11. August 1919, Diss. jur., Würzburg 1920, S. 47; Martens, Volksbegehren, S. 39; Venator, Volksentscheid, S. 71; Max Fetzer (ders., Referendum, S. 24) hat den Volksentscheid 1922 auch als rein politisches „Herrschaftsrecht“ des Einzelnen bezeichnet, das im Gegensatz zu den Freiheitsrechten stehe. 23 Vgl. Eduard Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, Greifswald 1921, S. 152 – 160; Meißner, Staatsrecht, S. 119. Noch 1926 und 1927 finden sich jedoch auch Autoren wie Rudolf Liepmann (ders., Um den Volksentscheid, in: ZöR 6 (1927), S. 609 – 617, 608) oder auch Lucas, (ders., Der Reichstagsbeschluß zwischen Volksbegehren und Volksentscheid, in: JR 2 (1926), Sp. 529 – 539, 530), die den Volksentscheid mehr als Schlichtungsspruch des Volkes denn als echte Sanktionierung eines Gesetzes ansehen. Deutlich wird dies auch bei der erst nach und nach erfolgenden Einbürgerung des Begriffes Volksgesetzgebung, der zu Beginn der Weimarer Republik fast nur in Dissertationen verwendet wurde. Vgl. bspw. Contelly, Volksgesetzgebung, a. a. O.; Cromme, Die unmittelbare Volksgesetzgebung, a. a. O.; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung a. a. O. Das der Begriff selbst 1927 noch nicht allgemein für alle Verfahren der Art. 73 – 76 WRV anerkannt war, zeigt die Tatsache, dass Carl Schmitt (vgl. ders., Volksentscheid und Volksbegehren, S. 14) ihn noch 1927 auf das Verfahren nach Art. 73 III WRV beschränken wollte. 24 Ottmar Bühler, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919 (3. Aufl.), Leipzig / Berlin 1929, S. 99. 25 So genannt von: Hartwig, Volksbegehren, S. 38; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 35; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 59.

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den Reichstag auflösen zu müssen.26 Der Volksentscheid erscheint als ein Mittel zur Konfliktlösung in einer Situation, in der das Nebeneinander von Reichspräsident, berufener Regierung und aktuellem Reichstag nur punktuell, nicht aber grundsätzlich gestört ist.

c) Das Problem der Gegenzeichnungspflicht im juristischen Diskurs – Art. 73 I WRV als stumpfe Waffe des Reichspräsidenten Von Beginn an überwog in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft die Ansicht, dass das Recht des Reichspräsidenten in der Praxis keine große Rolle spielen werde; eine Auffassung, die spätere Darstellungen zusätzlich dadurch bestätigt sahen, dass es tatsächlich keinen einzigen Volksentscheid nach Art. 73 I WRV gab.27 So wird nur in einer einzigen frühen Dissertation von 1919 die Auffassung vertreten, der Volksentscheid nach Art. 73 I WRV werde „der Normalfall sein“.28 Hintergrund der Einschätzung einer fehlenden Praktikabilität war die Tatsache, dass die Anordnung eines Volksentscheids durch den Reichspräsidenten, wie auch jede Verfügung nach Art. 50 WRV, zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder zuständigen Reichsminister bedurfte.29 Nach Auffassung von Hans Gmelin, Johann Victor Bredt, Richard Thoma, Walter Jellinek, Georg Kaisenberg oder Heinrich Triepel werde aber jeder Reichsminister oder Reichskanzler in einer Konfliktsituation zwischen Reichstag und Reichspräsident immer seine Unterschrift verweigern, weil er sich eher dem Reichstag zugehörig und verantwortlich fühle.30 Unterschriebe er, verlöre das Regierungsmitglied jeden Rückhalt 26 Vgl. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 503; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 28; Fetzer, Referendum, S. 55; Richard Thoma, Recht und Praxis des Referendums im Deutschen Reich und seinen Ländern, in: ZöR 7 (1928), S. 489 – 507, 494; Wolter, Volksentscheid, S. 63. 27 Vgl. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 503; Walter Jellinek, Die Weimarer Reichsverfassung verglichen mit der Verfassung Nordamerikas und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in: Gerhard Anschütz / Georg Jellinek (Hrsg.), Handbuch der Politik, Bd. 3, Berlin / Leipzig 1921, S. 10 – 16, 14; Hans Gmelin, Referendum, in: Gerhard Anschütz / Georg Jellinek (Hrsg.), Handbuch der Politik, Bd. 3, Berlin / Leipzig 1921, S. 71 – 77, 75; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), Einleitung S. 2; Yves Le Dantec, L’initiative populaire, le referendum et le plébiszite dans le Reich et les Pays allemands, Paris 1932, S. 80 – 83; Bredt, Geist, S. 143; Thoma, Recht und Praxis des Referendums, S. 494; Hartwig, Volksbegehren, S. 35 – 6; Hubrich, Verfassungsrecht, S. 158; Leo Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922, S. 431. Nur zu Beginn der Weimarer Republik gab es noch vereinzelt dahingehende Bewertungen, dass die Gegenzeichnungspflicht einen Volksentscheid nach Art. 73 I WRV zwar einschränke, dem Reichspräsidenten aber dieses Instrument nicht völlig aus den Händen nehme. Vgl. Venator (1922), Volksentscheid, S. 47 – 49; Wolter (1920), Volksentscheid, S. 63 – 67; Contelly (1920), Volksgesetzgebung, S. 38 – 39. 28 Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 57. 29 Vgl. Wortlaut in FN 12. Die Bestimmung war in die Verfassung aufgenommen worden, um die Organe enger miteinander zu verbinden und um das System zu stabilisieren. 30 Vgl. FN 27.

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im Reichstag, der ihm zudem nach Art. 54 WRV31 das Vertrauen entziehen und damit zum Rücktritt zwingen würde.32 Teilweise wurde mangels genauer Regelung der Gegenzeichnung in den Ausführungsbestimmungen zum Volksentscheid sogar vertreten, dass es nicht genüge, wenn nur der zuständige Minister gegenzeichne. Angesichts der Bedeutung eines Volksentscheids könne dies aufgrund seiner Richtlinienkompetenz nach Art. 56 WRV nur der Kanzler33 oder sogar nur das ganze Kabinett als Kollektivorgan tun,34 was die Chancen eines Volksentscheid nach Art. 73 I WRV weiter senke. Ein weiterer Grund dafür, dass es sich beim Anordnungsrecht des Reichspräsidenten um ein „stumpfes Schwert“, eine „dem Orakel des Macbeth vergleichbar unbrauchbar und ungenügende Waffe“ handele, dem Reichspräsidenten hier die „Flügel beschnitten“ seien,35 lag nach Auffassung vieler Rechtswissenschaftler in den politischen Risiken einer erfolgreichen Anordnung. Für den Fall, dass der Reichspräsident doch eine Gegenzeichnung im Streit mit dem Reichstag erhalten würde, ginge er das Risiko ein, dass der Volksentscheid, der gegen einen Beschluss des Reichstages gerichtet sei, an Art. 75 WRV scheitere, der eine Beteiligung der Mehrheit der Stimmberechtigten verlange. In diesem Fall, oder wenn er schlicht im Volksentscheid unterliege, sei sein Autoritäts- und Legitimationsverlust so groß, dass ihm nur der Rücktritt bleibe. Um dieser Gefahr von vorneherein zu entgehen, werde der Präsident, wenn er einen Konflikt mit dem Reichstag überhaupt wage, eher den Reichstag nach Art. 25 WRV auflösen. Im Fall der verweigerten Gegenzeichnung sei er dazu gezwungen, um sein Gesicht zu wahren.36 Der Staatsrechtler Johann Victor Bredt folgerte aus der Abhängigkeit des Reichspräsidenten von der das Parlament „repräsentierenden“ Regierung durch die Gegenzeichnungspflicht sogar, dass es sich bei Art. 73 I WRV eigentlich um ein Mittel des Reichstages oder zumindest der Regierung handele, durch den Reichspräsidenten einen Volksentscheid herbeizuführen, „wenn er [der Reichstag] die Verantwortung von sich abwälzen will oder diese einmalige Berufung an das Volk einer Auflösung vorzieht“.37 Auch für Hans Venator handelte es sich um eine Möglichkeit der Exe31 Art. 54 WRV: „Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.“ 32 Angelesco, consultation directe, S. 164 – 166; Fetzer, Referendum, S. 56; Hartwig, Volksbegehren, S. 36. 33 Ebd., S. 37; Fritz Poetzsch-Heffter, Handausgabe der Reichsverfassung vom 11.August 1919 (1. Aufl.), Berlin 1920, Nr. 6 zu Art. 73; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 503. 34 Löwisch, Volkentscheid, S. 53 – 56. 35 Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 431; Dantec, L’initiative populaire, S. 80 – 83; Hartwig, Volksbegehren, S. 36. 36 Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 183, 187, 188, 211; Martens, Volksbegehren, S. 61; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 431. Allerdings brauchte der Reichspräsident auch zur Auflösung des Reichstages eine Gegenzeichnung nach Art. 50 WRV. 37 Bredt, Geist, S. 255.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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kutive in Form der Regierung, den Reichspräsidenten zu instrumentalisieren.38 Für die meisten anderen Autoren blieb ein Volksentscheid nach Art. 73 I WRV nur auf wenige Sondersituationen beschränkt. Genannt wurden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierungskoalition, Zufallsmehrheiten, oder ein Einspruch des Reichsrates, den der Reichstag aufgrund endender Legislaturperiode nach Art. 74 III S. 4 WRV39 nicht mehr überstimmen konnte – Situationen, in denen ein Regierungsmitglied ein Interesse an einem Volksentscheid nach Art. 73 I WRV haben würde.40 Hintergrund der dargestellten Deutungen zu Art. 73 I WRV war eine Sicht auf das Weimarer Verfassungsgefüge, aus der der Reichspräsident eine schwache, der Reichstag dagegen eine sehr starke Position inne hat. Obwohl der Reichspräsident, wie auch das amerikanische und anders als das indirekt gewählte französische Staatsoberhaupt, durch die Direktwahl eine unmittelbare Legitimierung erfahre, so habe die Verfassungsgebende Nationalversammlung ihm dennoch keine wirkliche Macht verleihen wollen. Dies zeige sich auch im Zusammenhang mit Art. 73 I WRV.41 In sehr deutlicher Weise drückte dies Werner Hartwig in seiner Schrift „Volksbegehren und Volksentscheid im deutschen und österreichischen Staatsrecht“ aus: „Es handelt sich hier also um ein praktisch nicht hoch zu bewertendes Recht. Der Reichspräsident und mit ihm das Volk ist der Allmacht des Parlaments gegenüber ohne wirksamen Schutz. Diese Ohnmacht entsprach dem Willen der Mehrheit der Nationalversammlung. Sie, die die monokratische Spitze des Reiches beseitigt hatte, war nicht gewillt, das Oberhaupt des neuen Staates mit ähnlichen Vollmachten auszustatten. Reiner und schrankenloser Parlamentarismus war ihr Ziel. Mußte man schon dem Volke einen Anteil an der Gesetzgebung zubilligen, mußte man deshalb schließlich auch dem Reichspräsidenten, dessen Wahl durch das Volk man nur wiederstrebend zugestand, einen Appell an das Volk ermöglichen, so wollte man aber doch dadurch nicht auf die nötigen Garantien verzichten, die die Stellung des Parlamentes wahren sollten.“42 Venator, Volksentscheid, S. 56. Nach Art. 74 III S. 4 WRV konnte der Reichstag einen Einspruch des Reichsrates gegen ein Gesetz mit einer 2 / 3-Mehrheit überstimmen und damit dem Gesetz doch noch zum Erfolg verhelfen. Erfolgte der Einspruch dagegen nach der letzten Reichstagssitzung vor Ende der Legislaturperiode, so war dies nicht mehr möglich. Genauso wenig war dann ein Volksentscheid nach Art. 74 III S. 2 WRV möglich. Auf ihn wird noch in einem gesonderten Abschnitt eingegangen werden. 40 Angelesco, consultation directe, S. 178; Hans Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Stuttgart 1929, S. 68; Hartwig, Volksbegehren, S. 38; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 503; Löwisch, Volksentscheid, S. 66 – 67. 41 Thoma, Recht und Praxis des Referendums, S. 494; Hartwig, Volksbegehren, S. 35; Bredt, Geist, S. 143; Leo Wittmayer, Kritische Vorbetrachtungen zur neuen Reichsverfassung, in: AöR Bd. 39 (1920), S. 385 – 436. 42 Hartwig, Volksbegehren, S. 36 – 37. Bezug nimmt er hierbei auf Versuche in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, für den Reichspräsidenten eine stärkere Position unter anderem durch Entbindung von der Gegenzeichnungspflicht zu erreichen. Vgl. auch Hans Gmelin, Referendum, S. 74. 38 39

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Expliziten Widerspruch fand die dargestellte herrschende Meinung zu Art. 73 I WRV in der Staatsrechtswissenschaft nur bei dem Franzosen Constantin Angelesco-Monteoru, der 1933 zu einer weitergehenden Praktikabilität des Anordnungsrechts des Reichspräsidenten kam. Man dürfe diese Möglichkeit und die Rechte, die Regierung zu entlassen oder, nach Art. 25 WRV den Reichstag aufzulösen, nicht in ein Verhältnis des „Entweder Oder“ setzen. Man müsse beide Instrumente im Zusammenhang des Miteinander sehen, forderte er.43 Das Problem einer verweigerten Gegenzeichnung durch Kanzler oder Minister könne der Reichspräsident außerdem dadurch überwinden, indem er die Regierung nach Art. 53 WRV44 entlasse und einen Kanzler ernenne, dessen Unterschrift er sich sicher sei. Der Reichstag werde in solch einem Fall immer das Ergebnis des dann stattfindenden Volksentscheids abwarten.45 Angelesco betonte zudem, auch wie kaum ein Autor vor ihm,46 die psychologische Wirkung des präsidialen Rechtes aus Art. 73 I WRV. Alleine seine Existenz mache dem Reichstag seine Pflicht deutlich, kein von der Öffentlichkeit nicht gewünschtes Gesetz zu beschließen und stelle bereits aus diesem Grunde ein wichtiges „obstacle à l’absolutisme parlamentaire“ dar.47 Dass Angelesco in seiner Bewertung zu einem anderen Ergebnis kam, als die Staatsrechtswissenschaft vor ihm, liegt wahrscheinlich an der Tatsache, dass sein Werk erst 1932 / 1933 entstand. Er kannte angesichts der Präsidialkabinette ab 1930 bereits die Machtposition, die der Reichspräsident in Zusammenarbeit mit einer von ihm abhängigen Reichsregierung auf der Grundlage des Art. 48 und Art. 25 WRV für sich in Anspruch nehmen konnte. Auch war die moralische Integrität des Reichspräsidenten im Gegensatz zu der des handlungsunfähigen Reichstages gerade in den letzten Jahren der Weimarer Republik ungleich höher.

2. Der Volksentscheid als letzte Instanz im Konflikt zwischen Reichstag und Reichsrat nach Art. 74 III WRV, Art. 76 II WRV sowie nach Art. 85 IV, V WRV Die Möglichkeit eines Volksentscheids bestand auch bei Konflikten zwischen Reichstag und Reichsrat in der Gesetzgebung. Das Verfahren beruhte hier in erster Linie auf Art. 74 WRV.

Angelesco, consultation directe, S. 168 – 169, 180. Art. 53 WRV: „Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.“ 45 Angelesco, consultation directe, S. 168 – 169. 46 Vor ihm finden sich in dieselbe Richtung gehende Aussagen bei Hans Venator (ders., Volksentscheid, S. 48 – 49, 57) und Johann Stephan Contelly (ders., Volksgesetzgebung, S. 35 – 36, 38). Beide gelangten aber nicht zu dem Schluss, dass dies ausreiche, um die Problematik der Gegenzeichnungspflicht völlig auszugleichen. 47 Angelesco, consultation directe, S. 179. 43 44

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Art. 74 WRV: „Gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze steht dem Reichsrat der Einspruch zu. Der Einspruch muß innerhalb zweier Wochen nach der Schlussabstimmung im Reichstag bei der Reichsregierung eingebracht und spätestens binnen zwei weiterer Wochen mit Gründen versehen werden. Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen Beschlussfassung vorgelegt. Kommt hierbei keine Übereinstimmung zwischen Reichstag und Reichrat zustande, so kann der Reichspräsident binnen drei Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid anordnen. Macht der Reichspräsident von diesem Rechte keinen Gebrauch, so gilt das Gesetz als nicht zustande gekommen. Hat der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit entgegen dem Einspruch des Reichsrates beschlossen, so hat der Präsident das Gesetz binnen drei Monaten in der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen.“

Modifiziert bzw. erweitert wurde die Beteiligung des Reichsrates im Falle des Haushaltsplans, der nach Art. 85 II WRV ebenfalls als Gesetz erlassen wurde. Hier hatte der Reichsrat nicht nur ein Einspruchsrecht nach Art. 74 I WRV, das über den Reichspräsidenten zu einem Volksentscheid führen konnte. Zusätzlich wurden ihm in Art. 85 IV und V WRV weitere Rechte eingeräumt, die im Ergebnis auf einem zusätzlichen Weg zu einem, auch hier wieder durch den Reichspräsidenten angeordneten, Volksentscheid führen konnten. Art. 85 IV, V WRV: „Der Reichstag kann im Entwurfe des Haushaltsplans ohne Zustimmung des Reichsrates Ausgaben nicht erhöhen oder neu einsetzen. Die Zustimmung des Reichsrates kann gemäß den Vorschriften des Art. 74 ersetzt werden.“

Eine weitere Sonderregelung im Einspruchsverfahren galt im Fall verfassungsändernder Gesetze. Auch hier wurden die Rechte des Reichsrates, diesmal durch Art. 76 II WRV, erweitert. Art. 76 II WRV: „Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrates eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.“

a) Verfahren und praktische Relevanz der Art. 74, Art. 85 IV, V und des Art. 76 II WRV Nach Art. 74 I WRV konnte der Reichsrat innerhalb von zwei Wochen gegen jedes vom Reichstag beschlossene Gesetz Einspruch erheben, wenn er das Gesetz oder auch nur Teile des Gesetzes verhindern wollte.48 Fanden Reichstag und Reichsrat in auf den Einspruch folgenden Verhandlungen keinen Kompromiss, und

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überstimmte der Reichstag den Einspruch mit einer 2 / 3-Mehrheit, dann konnte der Reichspräsident innerhalb von drei Monaten einen Volksentscheid anordnen. An ihm mussten, sollte der Beschluss des Reichstages erfolgreich aufgehoben werden, nach Art. 75 WRV jedoch die Hälfte der Stimmberechtigten teilnehmen. Ordnete der Präsident keinen Volksentscheid an, dann musste er das Gesetz verkünden. Der Widerstand des Reichsrates war gebrochen. Gelang kein Kompromiss zwischen den Staatsorganen, und vermochte der Reichstag auch keine 2 / 3-Stimmenmehrheit für das Gesetz zu erreichen, so war das Gesetz gescheitert, wenn nicht wiederum der Reichspräsident innerhalb von drei Monaten einen Volksentscheid anordnete – diesmal, um dem Gesetz des Reichstages doch noch zum Erfolg zu verhelfen. Im Fall einer Anordnung eines Volksentscheids durch den Reichspräsidenten war, wie bei Art. 73 I WRV, eine Gegenzeichnung durch Reichskanzler oder Reichsminister nach Art. 50 WRV nötig. Unstreitig hatte der Reichsrat ein Einspruchsrecht auch gegen Beschlüsse des Reichstages, die einen durch Volksbegehren eingebrachten Gesetzentwurf annahmen.49 Der Reichsrat konnte seinen Einspruch jederzeit zurückziehen, was insbesondere für den Fall von Bedeutung war, dass sich Reichstag und Reichsrat im Verlauf des Einspruchsverfahrens einigten. Gegenstand des Volksentscheids war in dem Fall, dass sich der Einspruch auf das Gesetz als Ganzes bezog, auch das ganze Gesetz. Bei einem materiellen Einspruch nur gegen Teile oder einzelne Bestimmungen des Gesetzes, waren nur diese Bestimmungen „Gegenstand der Meinungsverschiedenheit“ nach Art. 74 III WRV und damit des Volksentscheids. Hatte der Reichsrat einen Alternativentwurf für das ganze Gesetz oder für einzelne Bestimmungen vorgelegt, so waren auch sie der unmittelbaren Volksentscheidung zu unterbreiten. Hierüber war sich die Staatsrechtswissenschaft trotz fehlender genauer Regelung in Verfassung und Ausführungsgesetzen einig.50 Die Ausführungsbestimmungen zu diesem soweit unstreitigen Verfahren beruhten auf § 1 I Nr. 4, den §§ 8 – 19, 21 und 22 – 25 VEG sowie den einschlägigen Vorschriften der Reichsstimmordnung und der Geschäftsordnungen von Reichstag und Reichsrat.51 Auf die Bestimmungen des VEG zum 48 Nach einhelliger Meinung musste der Reichrat seinen Einspruch formell immer gegen das ganze Gesetz richten. Ob er sich nur gegen einzelne Teile oder Bestimmungen oder das ganze Gesetz wendete, wurde erst im Volksentscheid über den „Gegenstand der Meinungsverschiedenheit“ nach Art. 74 III WRV relevant. Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 40; Triepel, Weg der Gesetzegebung, S. 515; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, Berlin 1920, zu Art. 74 III Nr. 8, S. 329. 49 Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 196 – 197 unter Verweis auf Triepel, PoetzschHeffter, Giese, Stier-Somlo, Bredt, Nawiasky, W. Jellinek, Kaisenberg u. a. 50 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 44; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, Reichsgesetz über den Volksentscheid (2. Aufl.), Berlin 1926, S. 19 zu § 3 Nr. 1, S. 31 zu § 18 Nr. 4; ders., Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 214; Angelesco, consultation directe, S. 214; Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 344. 51 Vgl. insbesondere § 36 I und § 52 RTGO vom 12. 12. 1922 zur Beratung von Gesetzentwürfen im Reichstag (abgedruckt in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848, Bonn 1986), sowie die Reichratsord-

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Volksentscheid ist bereits im Zusammenhang mit der Darstellung zum Verfahren nach Art. 73 I WRV eingegangen worden. Im Fall des Haushaltsplans trat neben das Einspruchsrecht ein gesondertes Zustimmungsrecht des Reichsrates aus Art. 85 V WRV. Der Reichsrat erhielt hier insofern eine größere Mitbestimmung, als zwar nicht der ganze Haushalt, immerhin aber darin enthaltene neue oder höhere Ausgaben nicht ohne seine Zustimmung beschlossen werden durften. Dieses erhöhte Gewicht wurde allerdings durch Abs. V des Art. 85 WRV gleich wieder eingeschränkt. Diese Bestimmung räumte auch hier dem Reichstag durch Verweis auf Art. 74 WRV die Möglichkeit ein, die fehlende Zustimmung durch ein Zweidrittelvotum zu ersetzen. Erweitert wurden die Einspruchsrechte des Reichsrates auch in dem Fall verfassungsändernder Gesetze. Art. 76 II WRV stärkte seine Position zusätzlich dadurch, dass der Reichspräsident in dem Fall, dass der Reichstag einen Einspruch gegen ein verfassungsänderndes Gesetz mit einer qualifizierten Mehrheit überstimmt hatte, dieses nicht verkünden durfte, wenn der Reichsrat innerhalb einer Frist von zwei Wochen einen Volksentscheid verlangte. In der Praxis hat der Reichsrat von 1920 bis 1928 insgesamt zwölf Mal Einspruch eingelegt, davon kein einziges Mal gegen ein verfassungsänderndes Gesetz. Viermal hat der Reichstag nachgegeben und nachgebessert, zweimal der Reichsrat seinen Einspruch zurückgezogen. Einmal haben Reichsrat und Reichstag einen Kompromiss gefunden. Dreimal endete die Legislaturperiode, bzw. wurde der Reichstag vor einem zweiten, gegen den Einspruch des Reichsrates gerichteten Beschluss, aufgelöst, womit das Gesetz jeweils scheiterte. 1922 und 1925 überstimmte der Reichstag den Einspruch der Länder mit einer 2 / 3 Mehrheit, dies in der Frage der gesetzlichen Neufestsetzung von Anwaltsgebühren (1922) sowie bei einer Änderung der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. Februar 1924 (1925). Im letzteren Fall wurde das Änderungsgesetz jedoch nicht verkündet.52 Kein einziges Mal ordnete der Reichspräsident nach einem Einspruch des Reichsrats einen Volksentscheid an. Auf Art. 85 IV, V WRV hat sich der Reichsrat von 1920 bis 1928 sieben Mal berufen und seine Zustimmung zu einzelnen Posten nach Art. 85 IV WRV verweigert. Kein Mal ist es zu einem Volksentscheid gekommen. Fünf Mal hat sich der Reichstag, zweimal der Reichsrat durchgesetzt.53 nung vom 20. 11. 1919 in der Fassung vom 28. 4. 1921. Vgl. auch: Finger, Staatsrecht, S. 294 ff. 52 Auf letzteren staatsrechtlich umstrittenen Fall wird im Folgenden Unterabschnitt [bb)] noch ausführlicher eingegangen. Vgl. hierzu: Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, JöR 13 (1925), S. 220 – 221; ders., Staatsleben (1929), S. 128 ff.; von Craushaar, Die Behandlung von Reichsratseinsprüchen im Reichstag und Geschäftsordnungsfragen, in: AöR Bd. 49 (1926), S. 372 – 400, 399. 53 Poetzsch-Heffter, Staatsleben (1925), S. 220 – 221; ders. Staatsleben (1929), S. 129 – 130; a.A.: Johannes Heckel, Budgetäre Ausgabeninitiative im Reichstag zugunsten 6 Schwieger

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b) Das Volksgesetzgebungsverfahren beim Einspruch des Reichsrates gegen einfache,54 nicht verfassungsändernde Gesetze nach Art. 74 I-III WRV im juristischen Diskurs aa) Ursprung, allgemeine dogmatisch-systematische Einordnung, sowie die Bewertung der Praktikabilität in der Staatsrechtswissenschaft Die Juristen, die sich mit dem Ursprung des Art. 74 WRV auseinander setzten, waren sich weitgehend darin einig, dass es sich bei dem Einspruchsrecht der Ländervertretung um den Rest der starken föderalen Macht des Bundesrates, dem Vorgänger des Reichsrates im Kaiserreich, handelte.55 Während vor 1919 kein Gesetz gegen dessen Willen hätte ergehen können, hätten die Länder diese starke Position im Kampf der Föderalisten mit den Unitaristen in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung zum Teil verloren.56 Gleichwohl wurde der Reichsrat weiterhin als wichtiger Faktor innerhalb der Gesetzgebung angesehen.57 Von der Rechtsnatur her wurde der Einspruch des Reichsrats, wie schon das reichspräsidiale Recht in Art. 73 I WRV, meist als ein suspensives oder auch „suspensiv erschwerendes“ Vetorecht angesehen.58 Die Schwierigkeit einer eindeutigen Bewertung ergab sich für viele Autoren dabei aus der erhöhten Hürde der Zweidrittelmehrheit, die der Reichstag erreichen musste, um den Einspruch des Reichsrates zu überwinden. Sie machte aus dem Einspruch mehr als nur ein aufschiebendes Rechtsmittel, wurde aus ihm im Fall einer gescheiterten Zweidritteleines Reichskulturfonds, in AöR Bd. 51 (1927), S. 420 – 489, 489. Heckel stellte fest, dass der Reichsrat drei Mal gewonnen, zwei Mal verloren, und zwei Mal einen Teilerfolg errungen habe; Craushaar, Behandlung von Reichsratseinsprüchen, S. 400. 54 Einfach heißt in diesem Zusammenhang auch, dass es sich nicht um den Haushaltsplan handelt. 55 Vgl. Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 69 ff.; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 84 – 5; Craushaar, Behandlung von Reichsratseinsprüchen, S. 374. Der Staatslehrer August Finger aus Halle bestritt dagegen in seinem Lehrbuch (ders., Staatsrecht, S. 288 f.), dass der Reichsrat historisch überhaupt der Nachfolger des Bundesrates sei. Letzterer sei oberstes Organ der Reichswillensbildung gewesen, der Reichrat stelle dagegen nur ein Organ zur Wahrung der Länderinteressen dar. Ein Einspruchrecht der Ländervertretung in der Gesetzgebung war bereits in § 4 des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt enthalten, wurde von Hugo Preuß in § 60 II des Vorentwurfs übernommen und im Regierungsentwurf in Art. 26 beibehalten. Vgl. Art. 26 III, 72 II des ersten offiziellen Entwurfs, in: NVDrS 1919, Nr. 59. 56 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 39, 40; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 52; Wolter, Volksentscheid, S. 71; Paul Mac Donald, Die staatsrechtliche Stellung des Reichsrates nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919 unter Berücksichtigung der Reformbestrebungen, Diss. jur., Jena 1932, 7 – 17. 57 Bühler, Reichsverfassung, S. 101; Hartwig, Volksbegehren, S. 39 – 40. 58 Vgl. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 516; Finger, Staatsrecht, S. 308; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 52; Fetzer, Referendum, S. 63; Hartwig, Volksbegehren, S. 40 ff.; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 86 – 88; Bredt, Geist, S. 91; Hubrich, Verfassungsrecht, S. 152 – 153.

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mehrheit oder mit dem Ende der Legislaturperiode vom Ergebnis her doch ein absolutes Veto.59 Gerhard Anschütz hat das Einspruchsrecht deshalb und aufgrund der Tatsache, dass am Ende das übergeordnete Volk als Souverän über die Meinungsverschiedenheit der beiden Staatsorgane endgültig zu entscheiden habe,60 ein vor allem devolutives Veto genannt.61 Auch hier finden sich also, wie bei Art. 73 I WRV, die Bewertungen „suspensiv“ und „devolutiv“. Verfahrensrechtlich wurde das Einspruchsverfahren von allen Staatsrechtlern zum Gesetzgebungsverfahren gezählt. Es erscheint als ein Sonderfall, eine Modifikation der Gesetzgebung, oder auch als dem Gesetzgebungsverfahren angeschlossen.62 Dass sich die Staatsrechtswissenschaft mit der dogmatischen Einordnung der Volksgesetzgebungsverfahren in die Gesetzgebung jedoch allgemein nicht leicht tat, wurde bereits bei den Ausführungen zum Recht des Reichspräsidenten nach Art. 73 I WRV aufgezeigt. Im Fall dieser Verfahrensvariante wird dies bei dem Greifswalder Staatsrechtslehrer Eduard Hubrich am deutlichsten, der in dem Einspruch ein „suspensives Veto“ sah, das der Reichsrat „dem ferneren Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens entgegenwirft, nicht zur Ausübung eines subjektiven Rechts, sondern einer organschaftlichen63 Funktion“: „Die Rechtsfigur, die wir bei dieser Gelegenheit kennenlernen, scheint zwar juristisch von außergewöhnlicher Art. Ein ,Vetorecht‘, gegenüber einem ,sanktionierten‘ Gesetz! Aber das demokratische Prinzip, wie es der neuen Reichsverfassung zu Grunde liegt, verlangte unbedingt die alleinige Ausstattung des Reichstages mit dem Sanktionsrecht der Reichsgesetze ohne Beteiligung des Reichsrates. So blieb für den Reichsrat nur der Gedanke einer suspensiven Beeinflussung des Sanktionsrechtes des Reichstags übrig.“64

Während sich hinsichtlich der Rechtsnatur und auch der verfahrensrechtlich-systematischen Einordnung ähnliche Bewertungen wie beim Recht des Reichsprä59 Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 86 – 88; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 517; Hartwig, Volksbegehren, S. 40 f. 60 So auch: Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 530. 61 Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Mit Einleitungen und Erläuterungen (14. Aufl.), Berlin 1933, S. 394: „Dieser Einspruch ist kein absolutes Veto, denn er bringt, allein und für sich, das angefochtene Gesetz nicht zum scheitern. Er ist aber doch auch kein bloß aufschiebendes (suspensives) Veto im überlieferten Sinne, denn der durch den Einspruch gehemmte Reichstagsbeschluss gewinnt nicht ohne weiteres dadurch Gesetzeskraft, dass er wiederholt wird; auch dann nicht, wenn dies mit verstärkter, nämlich Zweidrittelmehrheit geschieht. Vielmehr gelangt, wenn die Meinungsverschiedenheit zwischen Reichstag und Reichsrat auch bei wiederholter Beschlussfassung bestehen bleibt, die Entscheidung über das Schicksal des Gesetzes und andere Gewalten: an den Reichspräsidenten und das Volk. Die richtige Bezeichnung für den Einspruch ist daher: „devolutives Veto“. Ebenso: Schade, Vetorecht, S. 33 – 36. 62 Vgl. exemplarisch: Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 343 – 345; Meißner, Staatsrecht, S. 117 – 118; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 222 – 223. 63 Mit „organschaftlich“ meinte er die Aufgabe des Reichsrates, kollektiv die Interessen der Länder zu vertreten. 64 Hubrich, Verfassungsrecht, S. 153, 143.

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sidenten aus Art. 73 I WRV finden, so waren doch die Meinungen über die Praktikabilität des Einspruchs mit der potentiellen Folge eines Volksentscheids andere bzw. uneinheitlich. Hier waren es nur wenige Autoren wie Bredt, Hartwig oder Johannes Heckel, die die Bestimmungen für nicht praxisrelevant65 oder zumindest die Chance eines Volksentscheids aufgrund der Gegenzeichnungspflicht allgemein für gering hielten.66 In der überwiegenden Mehrheit der staatsrechtlichen Beiträge kam es zu differenzierenden Beurteilungen mit einer insgesamt aber anerkannten Praxisrelevanz des Einspruchs mit folgendem Volksentscheid nach Art. 74 I-III WRV. Die Bestimmungen spiegelten für viele den Willen der Verfassungsväter nach einer gegenseitigen Abhängigkeit der Staatsorgane bei gleichzeitig tendenzieller Vormacht des Reichstages wieder. Dies drücke sich auch in den jeweiligen Chancen für Reichsrat und Reichstag aus, im Konfliktfall durch den Reichspräsidenten das Volk anrufen zu lassen.67 So sei es für den Reichsrat dann schwierig bis unmöglich, den Reichspräsidenten im Konflikt mit dem Reichstag zu einem Volksentscheid zu bewegen, wenn der Reichstag nach aller Wahrscheinlichkeit in der Lage sei, den Einspruch mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Zum einen werde die Reichsregierung die Gegenzeichnung in diesem Fall immer verweigern, zum anderen sei auch der Reichspräsident eher ein Vertreter der Reichsinteressen und damit Anhänger der Reichstagsmeinung.68 Zu guter Letzt werde, wie es insbesondere Constantin Angelesco-Monteoru und Werner Hartwig gegen Ende der Weimarer Republik betonten, ein Volksentscheid gegen einen Beschluss des Reichstages, wie auch bei Art. 73 I WRV, durch die Hürde des Art. 75 WRV fast ausgeschlossen.69 Die Möglichkeit eines Volksentscheids war für die Mehrzahl der Staatsrechtler jedoch in dem Fall gegeben, dass der Reichstag es nicht vermöge, den Einspruch des Reichsrates zu überstimmen. Hier werde die Regierung eine Gegenzeichnung nicht verweigern, den Reichspräsidenten vielmehr zur Anordnung eines Volksentscheid zu bewegen versuchen, um das Gesetz vom Volk „retten“ zu lassen.70 65 Bredt (ders., Geist, S. 258) hielt Konflikte zwischen Reichsrat und Reichstag insgesamt für wenig wahrscheinlich: „Im Reichsrat sitzen Regierungsvertreter, welche in ihren Ländern parlamentarisch abhängig sind von denselben Parteien, welche auch im Reichstag vertreten sind; es ist daher allemal die sehr viel größere Wahrscheinlichkeit, daß der Reichsrat auf diese Weise zum Einlenken bestimmt wird.“ 66 Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 88 – 89; Heckel, Ausgabeninitiative, S. 454; Hartwig, Volksbegehren, S. 47. 67 Vgl. Venator, Volksentscheid, S. 58; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 223. 68 Martens, Volksbegehren, S. 64 – 65; Hartwig, Volksbegehren, S. 42 – 43; Fetzer, Referendum, S. 63; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 88 – 89, 93: „La supposition, qu’un gouvernement responsable, ayant besoin de la confiance de la majorité du Reichstag, s’expose à un vote de défiance immediate en ordonnant un referendum sur un texte de loi voté par les deux tiers du Reichstag, touche à la fantasie.“ 69 Angelesco, consultation directe, S. 213; Hartwig, Volksbegehren, S. 43. 70 Vgl. Löwisch, Volksentscheid, S. 59; Venator, Volksentscheid, S. 70; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 530; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 223.

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Insgesamt wurde die Regelung des Art. 74 WRV trotz dieser „Chancenungleichheit“ in den meisten Beiträgen deshalb als gelungen angesehen, da sowohl Reichsrat als auch Reichstag zu einer konstruktiven Zusammenarbeit angehalten würden. Der Reichstag werde angesichts der notwendigen Zweidrittelmehrheit und der zumindest potentiell drohenden Möglichkeit des Reichspräsidenten, einen Volksentscheid auch gegen den Reichstag anzuordnen, zur Kompromissbereitschaft bewegt. Gleichzeitig werde angesichts der aus der Gegenzeichnungspflicht resultierenden, strukturell stärkeren Position des Reichstages der Reichsrat ebenfalls zum Nachgeben motiviert.71 Betont wurde hierbei oft, so zum Beispiel in den Dissertationen von Max Fetzer und Erich Martens, die vor allem psychologische Wirkung des bestehenden Einspruchsrecht, als „Drohmittel“72, in einer „vorbeugenden Weise“73 die Kompromissbereitschaft von Reichrat und Reichstag zu fördern. Die stärkere Stellung des Reichstages in diesen Einschätzungen wurde dabei in der Staatsrechtswissenschaft weitgehend begrüßt. So sah zum Beispiel Eduard Hubrich eine „moralische Pflicht“ des Reichsrates, sich den Reichsinteressen unterzuordnen.74 Anders als bei Art. 73 I WRV, wo meist durch die Gegenzeichnungspflicht eine völlige Abhängigkeit des Reichspräsidenten vom Reichstag gesehen wurde, sahen viele Autoren den Reichspräsidenten als wirklich in der Lage, eine eigenständige Vermittlerrolle in dem Konflikt zwischen den anderen Staatsorganen einzunehmen. Insbesondere in der durchaus möglichen Situation, dass es dem Reichstag nicht gelinge, eine Zweidrittelmehrheit zustande zu bekommen, könne der Reichspräsident in eigenem Ermessen handeln und dem Reichsrat dadurch zur Hilfe eilen, indem er einen vom Reichstag gewünschten Volksentscheid nicht anordne und das Gesetz damit scheitern lasse.75

bb) Der Streit um die „nochmalige Beschlußfassung“ des Reichstages nach Art. 74 III S. 1 WRV Im Konfliktfall zwischen Reichstag und Reichsrat konnte der Reichstag, wie bereits dargestellt, einen Einspruch des Reichsrates nur mit einer Zweidrittelmehrheit in einer nach Art. 74 III S. 1 WRV „nochmaligen Beschlussfassung“ überstimmen. Dies hat er in zwei Fällen, nämlich 1922 bei einem Streit über die gesetzliche Anhebung von Anwaltsgebühren und auch 1925 bei der Novellierung der gesetzlichen 71 Vgl. bspw. Angelesco, consultation directe, S. 227 – 228: „En effet, la constitution de Weimar désirant, qu’on aboutisse à un accord, en cas de dissentiment entre le Reichstag et le Reichsrat, a elle-même prévu une procédure destinée à faciliter cet accord. [ . . . ] Enfin, les dispositions si sévères de l’article 75 de la Constitution de Weimar pourront parfois inciter à une sèrieuse réflexion le Reichsrat et le déterminer à se montrer moins intransigeant.“ 72 Martens, Volksbegehren, S. 71. 73 Fetzer, Referendum, S. 63. 74 Hubrich, Verfassungsrecht, S. 152 – 153. 75 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 42 – 43.

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Ausführungsbestimmungen zur Fürsorgepflichtverordnung getan. In beiden Fällen ordnete der Reichspräsident keinen Volksentscheid an, so dass er nach Art. 74 III S. 4 WRV eigentlich das Gesetz verkünden musste, was er aber nur 1922 tat, 1925 vor folgendem Hintergrund in Übereinstimmung mit dem Reichstag aber unterließ.76 Gegen das am 14. Juli 1925 vom Reichstag in dritter Lesung beschlossene Gesetz hatte der Reichsrat am 27. Juli Einspruch eingelegt. Die Länder machten geltend, dass durch diese Novellierung Grundsätze der allgemeinen Fürsorge preisgegeben würden, dass die Fassung des Gesetzes unklar sei, und dass die finanzielle Auswirkung eine für sie untragbare Last von mehreren 100 Millionen Mark mit sich bringe.77 Der Einspruch des Reichstages gelangte am 12. August 1925 in den Reichstag, der noch am selben Tag, dem letzten Tag vor seinen Ferien, mit Zweidrittelmehrheit beschloss, den früheren Beschluss aufrechtzuerhalten und damit den Einspruch des Reichsrates zurückwies. Der Reichsrat war nicht bereit, diesen Beschluss als Beschluss i. S. d. Art. 74 III S. 1 WRV anzuerkennen und fasste am 27. August folgende Entschließung: „Der Reichsrat legt entschiedene Verwahrung ein gegen das Verfahren des Reichstages bei Behandlung des Einspruchs des Reichsrates gegen das Gesetz zur Abänderung der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 [ . . . ]. Die überstürzte Anberaumung der Verhandlung über den Einspruch ist nicht wohl mit dem Sinn des Art. 74 RVerf. zu vereinbaren; sie schloß jede Möglichkeit eines Ausgleichs der Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichstag und Reichsrat aus und machte die Anwesenheit der zuständigen Vertreter der Länder sowie die sachliche Begründung des Einspruchs durch den Reichsrat unmöglich. Abgesehen davon vermag der Reichsrat die Beschlußfassung des Reichstages vom 12. August 1925 als eine ,nochmalige Beschlußfassung über das Gesetz‘ i.S. des Art. 74 Abs. 3 Satz 1 RVerf. nicht anzuerkennen. Der Verfassung wird nur durch eine der Geschäftsordnung des Reichstags entsprechende Beschlußfassung genügt; nach § 52 in Verbindung mit § 36 der Geschäftsordnung war aber eine dreimalige Beratung der Vorlage unumgänglich. [ . . . ]“78

Aus dem politischen Konflikt um ein Gesetz wurde somit eine juristische Auseinandersetzung um eine Verfahrensfrage, die staatsrechtswissenschaftlich zuerst von zwei Praktikern aufgegriffen wurde. Der Berliner Ministerialrat Poetzsch unterstützte mit seinem Beitrag „Ein Konflikt in der Gesetzgebung“ in der Deutschen Juristen Zeitung vom 15. Oktober 1925 die Auffassung des Reichrates. Das Verhalten des Reichstages habe dem Geist der Verfassung widersprochen, der auf einen Ausgleich der Staatsorgane abziele. Es sei deshalb in § 52 der Geschäftsordnung des Reichstages (RtO) niedergelegt worden, dass auch bei Beschlüssen, selbst 76 Fritz Poetzsch-Heffter, Ein Konflikt in der Gesetzgebung, in: DJZ 30 (1925), Sp. 1543 – 1546. 77 Vgl. ebd., Sp. 1544 mit Bezug auf die RTDrS 1925, Nr. 1467. 78 Vgl. Niederschriften der Vollsitzungen des Reichsrats vom 27. August 1925, § 556; § 36 I 1 RtO: „Beratung: Gesetzentwürfe, Haushaltsvorlagen und Staatsverträge werden in drei Beratungen, alle anderen Vorlagen in einer Beratung erledigt.“

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wenn diese keine neuen Gesetzesvorlagen enthielten, wie bei neuen Gesetzesvorlagen nach § 36 I 1 RtO drei Lesungen nötig seien. Zwischen den Lesungen könne dann eine Verständigung gesucht werden; gleichzeitig werde dem Reichstag Gelegenheit gegeben, die Einspruchsbegründung eingehend zu prüfen.79 Die gegenteilige Auffassung vertrat der Berliner Richter Anders in seinem Beitrag „Zur Beschlußfassung des Reichstags nach Art. 74 Abs. 3 RVerf.“ in der Deutschen Juristenzeitung vom 1. November 1925.80 Zwar gelte § 36 I S. 1 RtO, der eine dreimalige Lesung i.V.m. § 52 RtO auch für eine nochmalige Beschlussfassung vorsehe, im Fall des Art. 74 III S. 1 WRV. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift mache den Beschluss aber nicht unwirksam. Es handele sich bei den § 36 und § 52 RtO um bloße Ordnungsvorschriften, die keine wesentlichen Bestimmungen für das verfassungsmäßige Zustandekommen von Reichstagsbeschlüssen darstellten. In einem solchen Fall sei es allgemein anerkannt, dass ein Verstoß nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses führe. Weitergehend wendete Anders sich auch gegen das Argument Poetzsch’s, eine nur einmalige Beratung widerspreche dem Verfassungsziel eines Ausgleichs zwischen Reichstag und Reichsrat. Eine Verständigung sei zwar der Regelfall, es ergebe sich daraus aber kein rechtliches Erfordernis, eine solche herbeizuführen. Es genüge, wenn der Reichstag die Gründe des Einspruchs kenne, was im konkreten Fall auch vorgelegen habe. Der Reichstag könne deshalb eigentlich das Gesetz dem Reichspräsidenten zur Ausfertigung und Verkündigung übergeben.81 Die Auffassung des Richters Anders fand später außer bei dem sächsischen Legationsrat von Craushaar, der in seinem Beitrag „Die Behandlung von Reichsratseinsprüchen im Reichstag und Geschäftsordnungsfragen“82 von 1926 zu demselben Schluss kam, in der juristischen Literatur keine Unterstützung. Die Ansicht des Berliner Ministerialrats Poetzsch dagegen schon. Einen Verstoß gegen Art. 74 III S. 1 WRV sahen unter anderem auch Werner Hartwig, Heinrich Anschütz und Yves Le Dantec.83 Während Hartwig hierbei schlicht im Sinne der Argumentation Poetzsch’s auf den Wortlaut der §§ 36 I S. 1 und 52 RtO verwies,84 begründete Anschütz diese im Ergebnis dann herrschende Meinung anders: „Es ist nicht so, daß der Einspruch das stattgehabte Gesetzgebungsverfahren des Reichstages vernichtet, so daß nunmehr das Gesetz im Sinne des Art. 68 Abs. 2 von neuem zu ,beschließen‘, d. h. – nach näherer Vorschrift der Verf. und der GeschO des RT – inhaltlich festzustellen und zu sanktionieren wäre. Die Ausdrücke ,Beschlußfassung‘ und ,beschlos-

Poetzsch-Heffter, Konflikt der Gesetzgebung, Sp. 1545. Anders, Zur Beschlußfassung des Reichstages gemäß Art. 74 Abs. 3 RVerf., in: DJZ 30 (1925), Sp. 1647 – 1649. 81 Ebd. Sp. 1649. 82 Vgl. Craushaar, Behandlung von Reichsratseinsprüchen, S. 377. 83 Hartwig, Volksbegehren, S. 42; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 86 – 88. Letzterer sah dies eindeutig als h.M. an. 84 Hartwig Volksbegehren, S. 42. 79 80

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933 sen‘ im Abs. 3 sind nicht rückbezüglich auf das ,werden . . . beschlossen‘ im Art. 68 Abs. 2.“

Ein nach dem Einspruch an den Reichstag zurückkommendes Gesetz sei also kein neuer Gesetzentwurf. Da es aber die Reichsregierung sei, die das Gesetz dem Reichstag nochmals vorlege, handele sich um eine „Vorlage der Reichsregierung“ im Sinne des § 52 RtO, für die ebenfalls drei Lesungen erforderlich seien.85 Die verfassungspolitische Praxis erübrigte eine endgültige Entscheidung dieser wissenschaftlichen Streitfrage. Ohne damit die Notwendigkeit von drei Lesungen für die Zukunft uneingeschränkt anzuerkennen, folgten Reichstag und Reichspräsident der Forderung des Reichstags insofern, als schlicht eine Verkündung des Gesetzes 1925 unterblieb. c) Der Sonderfall des Volksentscheids über den Haushaltplan und das Recht des Reichsrates aus Art 85 IV, V WRV Wie bereits oben dargestellt, hatte der Reichsrat im Fall des Haushaltsgesetzes nicht nur die normalen Einspruchsrechte nach Art. 74 WRV, sondern zusätzlich das dargestellte Zustimmungsrecht nach Art. 85 IV, V WRV. Hier bestand über die Verweisung auf Art. 74 WRV ein (in der Praxis niemals beschrittener) Weg zu einem Volksentscheid. aa) Das Zustimmungsrecht nach Art. 85 IV, V WRV – Ursprung und dogmatische Abgrenzung zum direkten Einspruchsrecht des Reichstages nach Art. 74 WRV Das Zustimmungsrecht des Reichstages nach Art. 85 IV und V WRV war der Rest eines im ministeriellen Verfassungsentwurf vom 21. Februar 1919 noch enthaltenen weitergehenderen Zustimmungsrechts des Reichsrates zu bestimmten Ausgabenerhöhungen im jeweiligen Haushaltsgesetz.86 Dieses starke Mitspracherecht des Reichsrates wurde jedoch im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung vor allem durch den DDP-Abgeordneten Koch in Frage gestellt, woraufhin es zur endgültigen Ausformulierung des Art. 85 IV und V WRV kam. Ziel des Verfassungsausschusses war es hierbei nach einhelliger Meinung in der Staatsrechtswissenschaft gewesen, insbesondere in der unruhigen nachrevolutionären Zeit, die Erhöhung der Ausgaben möglichst zu erschweren, ohne aber dem Reichsrat eine zu starke Stellung einzuräumen.87 Gleichzeitig sollte damit dem Reichsrat neben dem Anschütz, Verfassung (14 Aufl.), zu Art. 74, Nr. 7 (S. 397 – 398). Vgl. Art. 82 IV des Entwurfs vom 21. 2. 1919: „Im Entwurf des Haushaltsplanes nicht vorgesehene Ausgaben oder Erhöhungen im Entwurfe vorgesehener Ausgaben, die vom Reichstag beschlossen worden sind, können vom Reichstag endgültig wieder abgesetzt werden.“ 85 86

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Einspruch gegen den Haushalt als ganzes ein Mittel für eine individuellere Gegenwehr gegen einzelne Haushaltspositionen in die Hand gegeben werden.88 Zur dogmatischen Unterscheidung des Zustimmungsrechts nach Art. 85 IV WRV vom normalen Einspruchsrecht des Reichstages haben nur wenige Autoren Stellung genommen. Der Jurist Paul Mac Donald hat 1932 die Rechte aus Art. 85 IV, V WRV eine im Unterschied zu Art. 74 III WRV nur „formell [ . . . ] erhöhte Macht“ des Reichstages genannt, eine dogmatische Bewertung, zu der auch Heinrich Triepel bereits 1920 gekommen war.89 Der formelle Unterschied zwischen dem Einspruchs- und Zustimmungsrecht bestehe dabei darin, dass die Zustimmung explizit erklärt werden müsse und nach Art. 85 IV nicht an die zweiwöchige Einspruchsfrist des Art. 74 II WRV gebunden sei. Andererseits müsse der Reichtag, um die fehlende Zustimmung zu ersetzen, eine Zweidrittelmehrheit nur für die beanstandeten Ausgabenposten, nicht aber für das ganze Gesetz aufbringen.90 Damit sei auch nur der konkrete Ausgabeposten im Haushalt und nicht das ganze Gesetz noch einmal Gegenstand einer Reichstagslesung.91

bb) Der Streit um die Folgen „reichsratlicher“ Untätigkeit und die Einschätzung der praktischen Bedeutung des Art. 85 IV, V WRV Problematisch und in der Staatsrechtswissenschaft streitig war die theoretische Situation, dass der Reichsrat seine Zustimmung nicht ausdrücklich verweigerte, sondern einfach gar nichts tat. Ein solches Verhalten wurde zwar von Autoren wie Johannes Heckel oder Heinrich Triepel grundsätzlich für unzulässig gehalten. Da aber über die Frage, in welcher Frist die Zustimmung denn erklärt werden musste, mangels positiver Regelung keine Einigkeit bestand, konnte ein solches Vorgehen des Reichsrates auch nicht ausgeschlossen werden.92 Insbesondere Paul-Ernst

87 Vgl. RRDrS 1919, Nr. 229; Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 326 (17. Sitz, 28. 2. 1919), S. 382; ebd., Bd. 327 (49. Sitz., 7. 7. 1919), S. 1365; ebd., Bd. 328 (70. Sitz., 39. 7. 1919), S. 2116 C; DrS des VA Nr. 88; Ernst-Paul Braun, Die Ausgabeninitiative des Parlamentes in ihrer Entwicklung und Geltung, in: AöR Bd. 45 (1924), S. 63 – 65. 88 Johannes Heckel hat hieraus gefolgert, dass der Reichsrat sich, wenn möglich, immer zuerst des Art. 85 IV WRV und erst danach des Einspruchs gegen den ganzen Haushalt bedienen dürfe. Vgl.: ders., Ausgabeninitiative, S. 458. 89 Mac Donald, staatsrechtliche Stellung des Reichsrates, S. 33 – 4; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 511. 90 Ebd.; Braun, Ausgabeninitiative, S. 66 – 67; Hartwig, Volksbegehren, S. 45; Anschütz, (14. Auflage), zu Art. 85, Nr. 9. 91 Angelesco, consultation directe, S. 232 – 233. 92 Vgl. Heckel, Ausgabeninitiative, S. 455 (der eine Frist von einem Monat annahm); Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 511. Die h.M. nahm an, dass es eine Frist für die Erklärung gar nicht gab oder diese erst durch den Beginn des neuen Rechnungsjahres gebildet wurde. Vgl. bspw. Friedrich Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919

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Braun ging dieser Frage in seinem Beitrag „Die Ausgabeinitiative des Parlaments in ihrer Entwicklung und Geltung“ von 1924 nach.93 Zwar sei die Zustimmung an keine Frist gebunden, es könne jedoch nicht sein, dass der Reichrat einen zweiten Beschluss des Reichstages nach Art. 85 V i.V.m. 74 III WRV alleine schon dadurch verhindern könne, dass er schlicht gar nichts tue; eine Auffassung, die auch von Fritz Poetzsch-Heffter vertreten wurde.94 Dadurch würde aus einer fehlenden Zustimmung, die der Reichstag im Normalfall mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen könne, ein absolutes Veto in bezug auf die betroffene Ausgabenerhöhung.95 Dies widerspräche der ratio legis; der Reichstag sei deshalb befugt, ein Schweigen als Ablehnung anzusehen und diese fehlende Zustimmung mit einer zweiten Beschlussfassung mit Zweidrittelmehrheit zu überstimmen.96 Diese Auffassung wurde auch von August Finger von der Universität Halle-Wittenberg geteilt, der jedoch für diesen Fall weitergehend annahm, dass dem Reichspräsident nach einem solchen zweiten Reichstagsbeschluss gar nichts anderes übrig bleibe, als einen Volksentscheid über die „beschlossene besondere Ersatzposition“ anzuordnen.97 Im Fall, dass die Zustimmung versagt, die fehlende Zustimmung nicht durch den Reichstag überstimmt, und der Reichspräsident keinen Volksentscheid anordnete, ging die Staatsrechtswissenschaft einhellig davon aus, dass der Haushalt ohne die Erhöhungen wirksam zustande gekommen sei und in Kraft treten könne.98 Hintergrund dieser Überlegungen war die Vorstellung, dass das Reich ansonsten Gefahr liefe, ohne Haushalt dazustehen. Insgesamt wurde das Zustimmungsrecht des Reichsrates nach Art. 85 IV WRV als praxisrelevant, die zumindest theoretischen Chancen eines Volksentscheids auf der Grundlage des Art. 85 V WRV in Verbindung mit Art. 74 III WRV jedoch, wie schon bei Art. 74 III WRV selbst, unterschiedlich eingeschätzt. Während Autoren wie Heckel, Finger, Giese, Zeimann oder Angelesco einen Volksentscheid durchaus als möglich ansahen,99 so hielten ihn andere wie Bredt, Le Dantec oder Werner (7. Aufl.), Berlin 1926, S. 251; Braun, Ausgabeninitiative, S. 67; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 395. 93 Braun, Ausgabeninitiative, a. a. O. 94 Ebd. S. 68; Fritz Poetzsch-Heffter, Handausgabe der Reichsverfassung vom 11. August 1919 (3. Aufl.), Berlin 1928, zu Art. 85 Nr. 7. 95 Braun, Ausgabeninitiative, S. 67 ff. 96 Ebd. 97 Finger, Staatsrecht, S. 407 f. So auch: Hartwig, Volksbegehren, S. 45. 98 Finger, Staatsrecht, S. 407 f.; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 85 Nr. 7; Heckel, Ausgabeninitiative, S. 456; Braun, Ausgabeninitiative, S. 70 f. 99 Johannes Heckel, Die Budgetverabschiedung, insbesondere die Rechte und Pflichten des Reichstages, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 401; Finger, Staatsrecht, S. 407 f.; Giese, Verfassung (7. Aufl.), S. 36; Zeimann, Der Reichsrat, Diss. jur., Frankfurt 1920, S. 36; Angelesco, consultation directe, S. 228 ff.

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Hartwig für eher unwahrscheinlich. Als Gründe hierfür wurde zum einen Art. 75 WRV angeführt, der einen Erfolg für den Reichsrat und den Reichspräsidenten im Volksentscheid von vorneherein unwahrscheinlich mache oder aber auch einfach die grundsätzliche Überlegung, dass sich Reichsrat und Reichstag im Normalfall immer einigen würden.100

d) Die Volksentscheidung nach Art. 76 II WRV bei Konflikten zwischen Reichstag und Reichsrat über verfassungsändernde Gesetze Wie bereits oben einführend dargestellt, war die Position des Reichsrates in dem Fall, dass er gegen ein vom Reichstag beschlossene verfassungsänderndes Gesetz vorgehen wollte, durch Art. 76 II WRV deutlich stärker als bei einfachen Gesetze oder im Fall von Ausgabenerhöhungen im Haushalt. Zwar konnte der Reichstag auch diesen Einspruch zunächst mit einer 2 / 3 Mehrheit überstimmen; der Reichspräsident hatte danach aber nicht, wie im Normalfall des Art. 74 III WRV, die Wahl zwischen der Verkündung des Gesetzes oder der Anordnung eines Volksentscheids. Hier musste er einen Volksentscheid anordnen, wenn der Reichsrat es innerhalb einer Frist von zwei Wochen verlangte.101 Das Recht des Reichsrates bestand hierbei nicht nur bei formellen Verfassungsänderungen, die also den Text der Weimarer Reichsverfassung änderten, sondern auch bei den in der Weimarer Republik mehrheitlich als zulässig anerkannten rein materiellen Verfassungsänderungen / Verfassungsdurchbrechungen, die den Verfassungstext selber unberührt ließen.102

aa) Ursprung und Rechtsnatur des Art. 76 II WRV – Waffe des Föderalismus gegen den Unitarismus Ziel der Verfassungsväter bei der Schaffung des Art. 76 II WRV war es nach einhelliger Ansicht in der Staatsrechtswissenschaft gewesen, dem Reichsrat ein Mittel in die Hand zu geben, um unitarischen Bestrebungen im Reichstag wirksam entgegentreten zu können. Paul Mac Donald hat dies in seiner Dissertation mit den Worten ausgedrückt, dass das „Recht des Reichsrates, einen Volksentscheid zu verlangen, als eine Macht“ anzusehen sei, „die dem Reichsrat aus seiner staatsrechtlichen Stellung als Reichsorgan zur Vertretung der Länder bei der Gesetzgebung 100 Bredt, Geist, S. 258 – 259; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 93 – 94; Hartwig, Volksbegehren, S. 46 – 47. Hartwig nahm sogar an, dass der Reichspräsident einen Haushalt mit allen Erhöhungen verkünden könne, auch wenn der Reichstag in der zweiten Beschlussfassung keine 2 / 3 Mehrheit zustande brächte. 101 Vgl. Art. 76 II WRV zitiert zu Beginn des übergeordneten Abschnitts Kap. II A. 2. 102 Vgl. Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 76, Nr. 2 (S. 401); Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 76 Nr. 2c. Auf die Frage der Verfassungsdurchbrechungen durch Volksgesetzgebung oder aber verfassungsimmanente Schranken wird noch ausführlich unter 5. b), cc) eingegangen.

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als ultima ratio“ erwachse.103 Aufgrund der in dieser Situation einhellig angenommenen unbedingten Pflicht des Reichspräsidenten zur Anordnung eines Volksentscheids, wie auch der Verpflichtung der Regierung, diese i. S. d. Art. 50 WRV gegenzuzeichnen, wurde Art. 76 II WRV als das stärkste Recht des Reichsrates überhaupt angesehen.104 Zur Rechtsnatur finden sich wenige Äußerungen in der Forschung. Dies lag sicher an der engen Verbundenheit zwischen dem Recht des Reichsrates aus Art. 76 II WRV und dem allgemeinen Einspruchsrecht aus Art. 74 III WRV, dessen dogmatische Einordnung ja bereits beschrieben wurde. Dass aber dennoch ein zumindest gradueller Unterschied zum Einspruch gegen ein „einfaches“ Gesetz, der vom Reichstag alleine überwunden werden konnte, gesehen wurde, wird besonders bei Werner Hartwig deutlich: „Andererseits ging es aber auch nicht an, dem Reichsrat ein absolutes Veto einzuräumen. Deshalb wurde die Anrufung des Volkes, [ . . . ], als ausreichender Schutz angesehen und gewährt. Das obligatorische Referendum ist also zugunsten dieser Regelung auch für Verfassungsänderungen abgelehnt.“105

Das Recht des Reichsrats nach Art. 76 II WRV wurde also zumindest als einem absoluten Veto bedeutend näher eingeordnet.

bb) Die Auseinandersetzung in der Staatsrechtswissenschaft um das Einspruchsquorum im Reichsrat nach Art. 76 II WRV Umstritten in der Staatsrechtswissenschaft war die Frage, mit welchen Mehrheiten der Reichsrat seinen Einspruch gegen ein verfassungsänderndes Gesetz sowie die Forderung nach einem Volksentscheid nach Art. 76 II WRV beschließen musste. Die herrschende Meinung, vertreten unter anderem von Anschütz, Triepel, Giese, Walter Jellinek, Stier-Somlo und Otto Kollreutter vertrat die Auffassung, dass sowohl der Einspruch als auch die Forderung nach einem Volksentscheid mit einer Stimmenzahl im Reichsrat beschlossen werden konnte, die nur ein Drittel überschreiten musste.106 Konkret bedeutete dies bei einer Gesamtstimmenzahl von 66 Mac Donald, Staatsrechtliche Stellung des Reichsrates, S. 33. Die Gegenzeichnung durch die Reichsregierung wurde hier anders als in den anderen Fällen, in denen der Reichspräsident einen Volksentscheid anordnen wollte, als eher Formsache angesehen. Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 47, 49. 105 Ebd., S. 48, 49. 106 Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 76 Nr. 5c, d; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 545; Giese, Verfassung (3. Aufl.), zu Art. 76 Nr. 14; Jellinek, Walter, Das verfassungsändernde Gesetz, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 182 – 189, 184; Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 667; Otto Koellreutter, Rezension von: Hugo Preuß, Art. 18 der Reichsverfassung, seine Entstehung und Bedeutung, 1922, in: AöR, Bd. 43 (1922), S. 361 – 363, 362. Laut Anschütz wurde im Verfassungsausschuss konkret darüber nachgedacht, folgenden Satz in 103 104

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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ein Votum von 23 Stimmen.107 Begründet wurde dies zum einen mit einem Umkehrschluss aus Art. 76 I S. 3 WRV, der für einen Beschluss des Reichsrates für eine Verfassungsänderung eine 2 / 3-Mehrheit vorschrieb.108 Wenn diese nicht erreicht werde, stelle der Beschluss des Reichsrates automatisch eine Ablehnung der Verfassungsänderung dar, woraus sich auch für einen expliziten Einspruch ein notwendige Quorum von nur einem Drittel ergebe. Die Forderung nach einem Volksentscheid als dem Einspruch folgendes zweites Rechtsmittel könne dann keinen anderen Voraussetzungen unterliegen. Die andere Begründung für die herrschende Meinung war ein Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Art. 74, bzw. 76 II WRV. In den Ausschussverhandlungen habe man zunächst ein für einen Einspruch des Reichsrates notwendiges Quorum von einem Drittel explizit in den Text aufnehmen wollen. Dies sei erst im weiteren Verlauf der Verhandlungen unterlassen worden, nicht jedoch, weil man seine Meinung geändert habe, sondern weil man es für überflüssig gehalten habe. Der herrschenden Meinung widersprachen die Staatsrechtler Fritz Poetzsch-Heffter, Leo Wittmayer und interessanterweise auch der geistige Vater der Verfassung selbst Hugo Preuss. Letztere forderten ein Quorum von 2 / 3 oder, wie Poetzsch-Heffter, zumindest eine einfache Mehrheit im Reichsrat für den Einspruch und für die Forderung nach einem Volksentscheid. Begründet wurde dies in einer „authentischen Interpretation“ mit dem Wortlaut der Verfassung, der bei Verfassungsänderungen grundsätzlich immer ein 2 / 3 Quorum fordere, sowie mit einer grundsätzlichen Kritik an der dogmatischen Herleitung aus einem Umkehrschluss aus Art. 76 I S. 3 WRV.109 Die Debatte ist bis 1933 eine rein theoretische geblieben, da der Reichsrat niemals gegen ein verfassungsänderndes Gesetz Einspruch erhoben, oder sogar einen Volksentscheid nach Art. 76 II WRV gefordert hat. Dies, obwohl es sieben Mal zu formellen Verfassungsänderungen sowie einiger, in der Weimarer Republik im Gegensatz zur Bundesrepublik zulässiger, rein materieller Verfassungsänderungen kam.110 Angelesco hat den Grund hierfür in der Hürde des Art. 75 WRV gesehen, den ein Volksentscheid auch gegen einen verfassungsändernden Beschluss des den Verfassungstext mit aufzunehmen: „Zum Einspruch gegen ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz genügt die ein Drittel übersteigende Zahl der abgegebenen Stimmen“. Vgl hierzu auch Angelesco (ders., consultation directe, S. 249), der sich dabei konkret auf die Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27. März 1919 bezog. 107 Preußen mit seinen Stimmen im Reichsrat war damit alleine in der Lage, eine Verfassungsänderung zu verhindern. Vgl. Mac Donald, staatsrechtliche Stellung des Reichsrates, S. 31. 108 Art. 76 I S. 3 WRV: „Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.“ 109 Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, zu Art. 76 Nr. 4,7; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 398 ff.; Koellreutter, Hugo Preuss, Artikel 18, S. 362. 110 Gemeint sind mit nur materiellen Verfassungsänderungen verfassungsändernde Gesetze, die den Text der WRV unberührt ließen. Solche nach heutigem Verständnis Verfassungsdurchbrechungen waren nach damals h.M. möglich, solange die Voraussetzungen für verfassungsändernde Gesetze durch den Gesetzgeber gewahrt wurden.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Reichstages hätte nehmen müssen. Das politische Risiko für den Reichsrates, im Volksentscheid zu scheitern, sei so groß gewesen, dass er deshalb nie von Art. 76 II WRV Gebrauch gemacht hätte.111

3. Der Volksentscheid nach Art. 72 und Art. 73 II WRV durch das Veto einer Reichstagsminderheit und eine Referendumsinitiative aus dem Volk Auch für Konflikte innerhalb des Reichstages sah Art. 72 i.V.m. Art. 73 II WRV unter Beteiligung des Volkes einen Weg zu einem Volksentscheid vor.

Art. 72 WRV „Die Verkündung eines Reichsgesetzes ist um zwei Monate auszusetzen, wenn es ein Drittel des Reichstages verlangt. Gesetze, die der Reichstag und der Reichsrat für dringlich erklären, kann der Reichspräsident ungeachtet dieses Verlangens verkünden.“

Art. 73 II „Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem Drittel des Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterbreiten, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.“

a) Verfahren und praktische Relevanz Nach Art. 72 S. 1 WRV konnte ein Drittel des Reichstages erreichen, dass ein ihr unerwünschtes, aber von der Mehrheit des Reichstages bereits beschlossenes Gesetz zwei Monate vom Reichspräsidenten nicht verkündet werden durfte. Die Verkündung wurde durch den Aussetzungsbeschluss befristet suspendiert. In dieser Zeit musste nach Art. 73 II WRV eine Referendumsinitiative initiiert und durchgeführt werden. Das diesbezügliche Eintragungsverfahren wurde durch die §§ 26 – 43 VEG bestimmt. Nach § 28 VEG112 musste die Referendumsinitiative

111 Angelesco, consultation directe, S. 254: „Avant de clore ce paragraphe, remarquons que si à la demande du Reichsrat, le suffrage universel était consulté sur une révision constitutionelle, le texte adopté par le Reichstag ne serait infirmé que si la majorité des électeurs allemands participait au scrutin et si la majorité des voix valablement exprimées se prononcait contre ce texte. C’ést ce qui resulte de l’application de l’article 75 de la Constitution du Reich. L’abstention des partisans du Reichstag rend probable, dans la plupart des cas, l’échec du Reichsrat. Cette Assemblé n’a donc généralement aucun intérét à faire appel au peuple.“

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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innerhalb zweier Wochen nach dem Aussetzungsbeschluss beim Reichsinnenministerium beantragt sein. Vom zuständigen Reichsminister des Inneren zugelassen werden konnte ein solcher Antrag nach § 27 I VEG nur dann, wenn er von mindestens 5000 Stimmberechtigten unterschrieben wurde. Von der Beibringung der Unterschriften konnte nach § 27 II VEG abgesehen werden, wenn der Vorstand einer „Vereinigung“ den Antrag gestellt hatte, und glaubhaft machen konnte, dass ihn hunderttausend eigene, stimmberechtigte Mitglieder unterstützten. Wurden die Voraussetzungen einer Referendumsinitiative gemäß § 30 VEG vom Reichsinnenminister als gegeben angesehen,113 hatte dieser den Antrag nach § 31 VEG in der zugelassenen Form im Reichsanzeiger zu veröffentlichen und dabei den Beginn und das Ende der Eintragungsfrist festzusetzen. Die Frist sollte hierbei frühestens zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Zulassung beginnen und „in der Regel“ vierzehn Tage umfassen.114 Ein Antrag konnte nach der Zulassung nicht mehr geändert, aber gemäß § 32 I VEG bis zum Ablauf der Eintragungsfrist jederzeit zurückgenommen werden. Die Eintragung selber erfolgte dann bei den Gemeindebehörden, die auch für die Organisation zuständig waren. Die Eintragungsergebnisse wurden in der Weise ermittelt, dass zunächst für die Stimmkreise, als welche die Reichstagswahlkreise galten, die Ergebnisse von den örtlichen Abstimmungsausschüssen unter dem Vorsitz des Abstimmungsleiter festgestellt wurden. Die Ergebnisse wurden dann von den kommunalen Behörden an den Reichswahlleiter weitergeleitet,115 der sie nach § 141 RStO zusammenfasste. Das amtliche Gesamtergebnis der Referendumsinitiative stellte schließlich der Reichswahlausschuss nach § 141 III RStO fest. Gelang es den Initiatoren der Referendumsinitiative, zwanzig Prozent der Stimmberechtigten für ihre Sache zu mobilisieren, so kam es zu einem Volksentscheid, dessen Gegenstand das von der Reichstagsmehrheit beschlossene Gesetz, nicht etwa auch ein von der Minderheit gemachter Gegenentwurf war.116 Das Verfahren für den Volksentscheid im Rahmen dieser Initiative beruhte auf den §§ 8 – 22 VEG in Verbindung mit der Reichsstimmordnung. Auf diese Bestimmungen, die bei jedem Volksentscheid nach den Art. 72 – 76 WRV Anwendung fanden, wurde bereits im Abschnitt über Art. 73 I WRV detaillierter eingegangen. 112 Vgl. § 28: „Der Volksentscheid über ein Gesetz, dessen Verkündung ausgesetzt ist, muß innerhalb zweier Wochen nach dem Tage beantragt sein, an dem im Reichstag die Aussetzung verlangt worden ist.“ Der Wortlaut ist insofern etwas irreführend, da der Eindruck entsteht, die Referendumsinitiative müsse innerhalb zwei Wochen mit 20 % der Stimmberechtigten einen Volksentscheid fordern. 113 Gegen die Entscheidung des Reichsinnenministers gab es kein Rechtsmittel. Vgl. hierzu A. 4. c) aa) in diesem Kapitel. 114 Vgl. § 31 II VEG. 115 Vgl. §§ 16 – 43 VEG. 116 Dies war die einhellige Meinung in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft zu jeder Zeit. Vgl. Finger, Staatsrecht, S. 375; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 531.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Ein Volksentscheid über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen war nach Art. 73 IV WRV, § 1 II VEG117 von vorneherein ausgeschlossen. Wenn sich eine Reichstagsmehrheit im Zusammenspiel mit Reichsrat und Reichspräsident des Korrektivs des Art. 72 S. 2 WRV bedienten, das heißt, das Gesetz für dringlich erklärten, war ein Volksentscheid nach Art. 73 II WRV ebenfalls ausgeschlossen.118 Zu einem Volksentscheid nach Art. 73 II WRV ist es in der Weimarer Republik nicht gekommen. Die Aussetzung eines beschlossenen Gesetzes durch eine Reichstagsminderheit von mehr als einem Drittel nach Art. 72 WRV erfolgte dagegen zum ersten Mal119 am 16. Juli 1925 beim Zustandekommen des Aufwertungsgesetzes zur Besserstellung der Inflationsopfer. Sowohl Reichstagsmehrheit als auch der Reichsrat erklärten das Gesetz jedoch für dringlich, eine Entscheidung, dem sich der Reichspräsident noch am selben Tag anschloss.120 Er verkündete das Gesetz. Auch in Bezug auf ein am 26. Februar 1926 beschlossenes Gesetz zur Vereinfachung des Militärstrafrechts verlangte sogar eine Reichstagsmehrheit am 18. März 1926 die Aussetzung, die daraufhin vom Reichspräsidenten am 27. März angeordnet wurde. Zu einem Volksentscheid kam es jedoch auch hier nicht. Stattdessen wurde das Gesetz in veränderter Form neu beschlossen und dann auch vom Reichspräsidenten verkündet.121

b) Ursprung und Rechtsnatur im juristischen Diskurs Der Hintergrund der Regelung in Art. 72 und 73 II WRV war nach übereinstimmender Meinung in der Literatur in erster Linie ein von den Verfassungsvätern gewünschter Minderheitenschutz bei Auseinandersetzungen innerhalb des Reichstages, die mit Hilfe des Reichstagspräsident sowie des Volkes als übergeordneten Instanzen gelöst werden sollten.122 Betont wurde auch, dass durch die Aussetzung Zeit für einen Kompromiss innerhalb des Reichstages gefunden werden könne.123 Der Staatsrechtler Werner Hartwig hat dies in folgender Weise ausgedrückt: 117 § 2 VEG: „Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen findet ein Volksentscheid nach Nr. 2 und 3 nicht statt (Art. 73 IV WRV)“. 118 Vgl. Anschütz, Verfassung, 14. Aufl., zu Art. 72 Nr. 3. 119 Vorher hatte es bereits in der Reichstagssitzung vom 29. August 1924 einen Antrag der KPD gegeben, die Verkündung der Gesetze zum Dawesplan auszusetzen, der jedoch nicht einmal von einem Drittel der Anwesenden unterstützt worden war. Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1924, Stenographische Berichte, Bd. 382, S. 3207. 120 Vgl. Anschütz, Verfassung, 14. Aufl., zu Art. 72 Nr. 4a mit Bezug auf eine amtliche Mitteilung des Reichspräsidenten an die Tagespresse vom 16. Juli 1925. 121 Ebd., zu Art. 72 Nr. 4b. 122 Vgl. bspw. Anschütz, Verfassung, 14. Aufl., zu Art. 72 Nr. 1; Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 529; Conrad Bornhak, Grundriß des Deutschen Staatsrechts (7. Aufl.), Leipzig 1926, S. 141 – 142; Martens, Volksbegehren, S. 49; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 63; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 40.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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„Sinn der Vorschrift ist es, einmal der überstimmten Minorität den Appell an das Volk zu ermöglichen, zum anderen dem Reichspräsidenten die Anordnung eines Volksentscheids nahe zu legen, oder aber auch der Mehrheit des Reichstages Gelegenheit zu einer Änderung des Gesetzes zu geben, wenn sie sieht, dass sie sich im Widerstreit zur Volksmeinung befindet und das Volk voraussichtlich den Beschluss aufheben wird.“124

Über die grundsätzliche Rechtsnatur des Aussetzungsbeschlusses wie auch des Volksentscheids nach einer Referendumsinitiative nach Art. 73 II WRV finden sich bis auf die Bezeichnung als „Veto“ oder einer Betonung des suspendierenden Charakter des Aussetzungsbeschlusses keine Stellungnahmen.125 Ähnlich verhält es sich auch bei der verfahrensrechtlichen Einordnung von Art. 72 und 73 II WRV. Der Göttinger Staatsrechtslehrer Julius Hatschek sprach von einem Streitfall im Beschlussstadium des Gesetzgebungsverfahrens.126 Friedrich Giese, Professor an der Universität Frankfurt, betonte insbesondere, dass die Referendumsinitiative sich von dem Volksbegehren dadurch unterscheide, dass sie eben im Gesetzgebungsverfahren „die Aufhebung eines Gesetzesbeschlusses des Reichstages und nicht die Herbeiführung eines zu fassenden Gesetzesbeschluss“ erstrebe.127 c) Die Auseinandersetzungen um „Ein Drittel des Reichstages“, die Entscheidungsfrist des Reichspräsidenten in Art. 72 S. 1 WRV sowie die allgemeine Beurteilung dieses Volksgesetzgebungsverfahrens in der Staatsrechtswissenschaft Insgesamt haben das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 72, 73 II WRV in der Literatur keine größeren wissenschaftlichen Debatten begleitet, wie überhaupt seine Darstellung nur wenig Raum einnimmt. Umstritten war in Bezug auf den Aussetzungsbeschluss durch „ein Drittel des Reichstages“ nach Art. 72 S. 1 WRV, ob damit ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder gemeint war, oder ob es für einen Aussetzungsbeschluss genügte, wenn ein Drittel der anwesendem Mitglieder für ihn stimmte. Für eine starke Meinung in der Literatur, vertreten unter anderem von Gerhard Anschütz und Friedrich Giese, war damit, aus einer systematischen Interpretation ohne tiefergehende Begründung heraus, ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder gemeint.128 Dass bereits ein Drittel der anwesenden Mitglieder genüge, vertrat dagegen neben Heinrich Triepel und Vgl. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, Berlin 1920, zu Art. 72 Nr. 8. Hartwig, Volksbegehren, S. 31. 125 Vgl. ebd., S. 31 m. w. N.; Angelesco, consultation directe, S. 255, 263 – 264. 126 Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 343. 127 Friedrich Giese, Deutsches Staatsrecht, Allgemeines Reichs- und Landes-Staatsrecht, Berlin 1930, S. 171. 128 Anschütz, Verfassung (Berlin 192114. Aufl.), zu Art. 72 Nr. 2; Giese, Deutsches Staatsrecht, S. 170; Hartwig, Volksbegehren, S. 31. 123 124

7 Schwieger

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Georg Kaisenberg,129 vor allem Fritz Poetzsch-Heffter in seinem Beitrag „Die Auslegung des Art. 72 der Reichsverfassung“ vom 1. September 1925.130 Für ihn bedeutete „Reichstag“ die „beschließende Versammlung der Anwesenden“ als ein in allen Verfassungsnormen einheitlicher „Sprachgebrauch“.131 Dieser einheitliche Sprachgebrauch müsse dazu führen, dass mit „ein Drittel des Reichstages“, wie in anderen Verfassungsnormen auch, in Art. 72 S. 1 WRV immer ein Drittel der Anwesenden gemeint sei. Hätten die Verfassungsväter etwas anderes gewollt, dann wäre es für sie ein leichtes gewesen, eine andere Formulierung, wie zum Beispiel „ein Drittel der Reichstagsmitglieder“ zu verwenden, was man aber eben nicht getan habe. Zum gleichen Ergebnis führe auch eine Parallelwertung aus der Auslegung des Art. 32 WRV132, der bestimme, dass zu einem Beschlusse des Reichstags eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich sei. Damit sei unstreitig die Mehrheit der Anwesenden und nicht der gesetzlichen Mitglieder gemeint, was Rückschlüsse auch auf die Auslegung des Art. 72 S. 1 WRV zulasse.133 Dass diese Meinung in der Literatur bisher keinen unbestrittenen Rückhalt gefunden habe, erklärte Poetzsch-Heffter damit, dass „die Gegenwart nicht mehr so volksentscheidsfreundlich sei, wie es die verfassungsgebende Nationalversammlung“ gewesen sei.134 In der Praxis setzte sich seine Auffassung durch. Etwas mehr als drei Monate nach Erscheinen seines Artikels in der Deutschen Juristenzeitung schloss sich der Rechtsausschuss des Reichstages in der Sitzung vom 15. Dezember 1925 der von ihm geforderten Auslegung mehrheitlich an.135 Uneinigkeit bestand auch in der Frage, welche Zeit der Reichspräsident nach Ablauf der zwei Monate136 gemäß Art. 72 S. 1 WRV zur eigenen Entscheidungsfindung über Verkündung oder Volksentscheid nach Art. 73 I WRV zur Verfügung hatte, wenn es nicht zu einer Referendumsinitiative gekommen oder diese gescheitert war. Gerhard Anschütz vertrat hierbei, wie auch Heinrich Triepel, Werner Hartwig und Georg Kaisenberg, die Auffassung, dass der Reichspräsident in dieser 129 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 504; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (2. Aufl.), S. 15. 130 Fritz Poetzsch-Heffter, Die Auslegung des Art. 72 der Reichsverfassung, in: DJZ 30 (1925), Sp. 1323 – 1325. 131 Ebd., Sp. 1324. 132 Art. 32 WRV: „Zu einem Beschlusse des Reichstags ist einfache Stimmenmehrheit erforderlich, sofern die Verfassung kein anderes Stimmenverhältnis vorschreibt. Für die vom Reichstag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.“ 133 Poetzsch-Heffter, Auslegung, Sp. 1324. 134 Ebd., Sp. 1325. 135 Vgl. Anschütz, Verfassung (Berlin 192114. Aufl.), zu Art. 72 Nr. 2; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (Berlin 19203. Aufl.), zu Art. 72 Nr. 4 mit Verweis auf die Niederschrift der 39. Sitzung des (13.) Rechtsausschusses. 136 Die Zweimonatsfrist begann nach einhelliger Meinung mit dem Tag des vom Reichstag gefassten Beschlusses, nicht etwa mit dem Tage des Aussetzungsbeschlusses zu laufen an. Vgl. Anschütz, Verfassung, zu Art. 72 Nr. 1; Kaisenberg, Volksbegehren und Volksentscheid, 2. Aufl., S. 16.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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Situation zusätzlich noch die Einmonatsfrist des Art. 70 WRV137 als Entscheidungszeit, insgesamt also einen Zeitraum von drei Monaten, zur Verfügung hatte.138 Begründet wurde dies damit, dass die dem Präsidenten nach Art. 70 WRV grundsätzlich gewährte Einmonatsfrist in dieser Situation auch um zwei Monate ausgesetzt, also nicht aufgehoben worden sei. Der Frankfurter Staatsrechtslehrer Friedrich Giese vertrat dagegen ohne nähere Begründung die Auffassung, dass nach Ablauf der Zweimonatsfrist bei unterbliebener oder gescheiterter Referendumsinitiative „sofort die Verkündung“ erfolgen „dürfe und müsse“.139 Das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 72, Art. 73 II WRV wurde überwiegend als grundsätzlich sinnvoll und praxisrelevant angesehen. Diese Einschätzung änderte sich auch in der späteren Weimarer Republik nicht, obwohl es kein einziges Mal auf diesem Wege zu einem Volksentscheid kam.140 Gleichzeitig wurde das Verfahren oftmals aber als nicht allzu leicht durchführbar angesehen. Als großes Problem wurde bspw. von Victor Bredt und Constantin Angelesco die ihrer Meinung nach sehr kurz bemessene Frist von zwei Monaten angesehen, in der die Referendumsinitiative initiiert, vorbereitet und erfolgreich durchgeführt worden sein musste, um einen Volksentscheid zu erzwingen.141 Werner Hartwig sah durch die Möglichkeit der Reichstagsmehrheit, im Zusammenspiel mit Reichsrat und Reichspräsident eine Referendumsinitiative zu verhindern, den ganzen Minderheitsschutz geschwächt, wenn nicht sogar in Frage gestellt.142 Christian Wolter erklärte in seiner Dissertation von 1920 das ganze Verfahren für „kompliziert“. Die Möglichkeit einer Dringlichkeitserklärung habe zudem „womöglich“ eine „schädliche Wirkung“ für die Stabilität des demokratischen Systems.143 Eine Praktikabilität erhielt das Volksgesetzgebungsverfahren durch Referendumsinitiative bei einigen Autoren dadurch, dass sie ihm eine über einen reinen Minderheitenschutz hinausgehende Rolle bei Konflikten im Reichstag zusprachen. Der Wittenberger Staatslehrer August Finger sah in dem Verfahren vor allem auch eine Möglichkeit des Volkes, in einer freien Entscheidung darüber zu befinden, ob es sich in den Streit innerhalb des Reichstages einschalten werde oder nicht.144 Hier wurde das 137 Art. 70 WRV: „Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichs-Gesetzblatt zu verkünden.“ 138 Vgl. Anschütz, Verfassung (Berlin 192114. Aufl.), zu Art. 72 Nr. 1; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 504, FN 62; Hartwig, Volksbegehren, S. 33; Georg Kaisenberg, Volksbegehren und Volksentscheid (2. Aufl.), S. 16. 139 Giese, Die Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 72 Nr. 3. 140 Vgl. bspw. Angelesco, consultation directe, S. 255, 263 – 264; Hartwig, Volksbegehren, S. 32. Viele Autoren hielten sich aber, wie gesagt, insgesamt nur kurz mit dem Verfahren nach Art. 72 S. 1, 73 II WRV auf und gaben gar kein Urteil über dessen Praktikabilität ab. 141 Bredt, Geist, S. 256; Angelesco (ders., consultation directe, S. 274, 271, 293) sieht auch hier die Hürde des Art. 75 WRV als zentrales Problem an. 142 Hartwig, Volksbegehren, S. 32 – 35. 143 Wolter, Volksentscheid, S. 77. 144 Finger, Staatsrecht, S. 375.

7*

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Volk genauso zum aktiven Part wie die Reichstagsminderheit, eine Deutung, die in der Dissertation von Christian Wolter noch weitergedacht wurde. Für ihn stellte das Verfahren ein Instrument des Volkes dar, durch Ausübung von Druck auf ein Drittel des Reichstages einen Volksentscheid herbeizuführen: „Die Sache wird sich schließlich so gestalten, daß in vielen Fällen das Drittel des Reichstages von der hinter ihr stehenden Wählerschaft geradezu gezwungen wird, ein Referendum herbeizuführen.“145

Der einflussreiche Heidelberger Staatsrechtslehrer Richard Thoma sah die Bedeutung der Aussetzung mit folgender Referendumsinitiative dagegen insbesondere in den Fällen als wichtig an, in denen der Reichstag durch die Hintertür mit einer einfachen Mehrheit die Verfassung ändern wollte. Dies war theoretisch möglich, da es nach der damals auf Laband zurückgehenden herrschenden Lehre Sache des Reichstages selbst und nicht etwa des Staatsgerichtshofes war, darüber zu urteilen, ob ein Gesetz einen verfassungsändernden Charakter hatte oder nicht. Der Reichstag konnte also theoretisch ein verfassungsänderndes Gesetz einfach für nicht verfassungsändernd erklären und dann mit einfacher Mehrheit beschließen: „Die große Bedeutung dieses Minderheitsrechtes liegt darin, dass es die Minderheit schützt, wenn es streitig wird, ob ein Gesetz eine Abweichung von der Verfassungsurkunde in sich schließe. Es ist eine Waffe der Minderheit gegen etwaige Versuche der Mehrheit, ein verfassungsänderndes Gesetz durch einfache Mehrheit zu beschließen.“146

4. Die alleinige Gesetzgebung des Volkes nach Art. 73 III WRV durch Volksbegehren und Volksentscheid Die Volksgesetzgebung aufgrund eines Volksbegehrens nach Art. 73 III WRV in Verbindung mit den einschlägigen Normen des VEG und der Reichsstimmordnung bildete das in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft am fundiertesten bearbeitete und auch umstrittenste Volksgesetzgebungsverfahren. Der Grund hierfür liegt darin, dass es nur auf diesem Wege mit dem Ziel, ein Gesetz zu beschließen, zu konkreten Volksbegehren und Volksentscheiden kam. Die entscheidende Verfassungsbestimmung war hierbei Art. 73 III WRV.

Art. 73 III WRV „Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzesentwurf stellt. Dem Volksentscheid muß ein ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zu Grunde liegen. Er ist von der Reichsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet 145 146

Wolter, Volksentscheid, S. 78. Thoma, Recht und Praxis des Referendums, S. 493. Vgl. Kap. II A. 5. c) bb).

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nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist.“

Um die zu diesem Weg der Volksgesetzgebung existierenden wissenschaftlichen Debatten einschließlich ihrer oftmals besonderen politischen Hintergründe in einer verständlichen Struktur darzustellen, folgt dieser Abschnitt folgendem Aufbau: Nach einer allgemeinen (z.T. auf bereits gemachte Ausführungen verweisenden) Einleitung zum Gesamtverfahren [a)] werden die Auseinandersetzungen um die Rechtsnatur des Volksbegehrens dargestellt [b)]. Dann folgt die forschungsgeschichtliche Darstellung der einzelnen Verfahrensschritte dieses Volksgesetzgebungsverfahrens. Diese sind: Die Zulassung zum Volksbegehren [c)]; die Eintragung beim Volksbegehren [d)]; das Gesetzesprojekt vor dem Reichstag [e)] und der Volksentscheid sowie die Ergebnisprüfung durch das Wahlprüfungsgericht [f)]. Jeder der Unterabschnitte c – f wird eingeleitet durch zusätzliche, detailliertere Verfahrensangaben.

a) Verfahren und praktische Relevanz Das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III ist besonders durch das unmittelbar eigene Initiativrecht des Volkes in Form eines Volksbegehrens charakterisiert, das dem Volksentscheid voranging. Das Verfahren zum Volksbegehren wurde vor allem durch § 1 I Nr. 3, § 3 II, die §§ 26 – 42 und § 43 II VEG geregelt, womit sich eine weitgehende verfahrenstechnische Gleichbehandlung zur Referendumsinitiative ergab. Grundsätzlich wird deshalb auf die in Kap. II A. 3. erfolgte Darstellung verwiesen. Unterschiede zur Referendumsinitiative lagen vor allem darin, dass sich für einen Erfolg nach Art. 73 III VEG kein Zwanzigstel, sondern ein Zehntel der Stimmberechtigten eintragen musste, und dem Zulassungsantrag nach § 1 I Nr. 3 VEG ein „ausgearbeiteter Gesetzentwurf“ zu Grunde liegen musste. Auch gab es, der Natur des Verfahrens folgend, keine zweiwöchige Antragsfrist wie für die Referendumsinitiative in § 28 VEG. Bevor es nach einem erfolgreichen Volksbegehren zu einem Volksentscheid kam, war zudem ein Zwischenverfahren vorgesehen, in dem die Reichsregierung nach Art. 73 III S. 2 WRV bzw. § 43 VEG verpflichtet war, den begehrten Gesetzesentwurf zusammen mit einer eigenen Stellungnahme dem Reichstag zuzuleiten, um diesem die Möglichkeit zu geben, das Gesetz anzunehmen. Geschah dies, wurde ein Volksentscheid überflüssig. Der Reichstag hatte in diesem Zwischenverfahren auch die Möglichkeit, ein vom eingebrachten Entwurf abweichendes Gesetz über den gleichen Gegenstand zu beschließen. In diesem Fall folgte ein Volksentscheid, in dem dann nach § 3 II VEG über beide Gesetzentwürfe abgestimmt wurde.147 Ebenfalls zur Abstimmung über mehrere Gesetzentwürfe kam es in dem Fall, dass nach § 3 I VEG mehrere Volksbegehren zur gleichen Zeit zum selben Gegenstand erfolgreich waren.148 Der ein147

Vgl. Hubrich, Verfassungsrecht, S. 159 – 160.

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zelne Stimmberechtigte hatte, anders als in den anderen Fällen der Volksgesetzgebung, also unter Umständen ein Wahlrecht zwischen mehreren Alternativen. Bis auf diese Besonderheiten und die andersartige Zielsetzung, dass sich nämlich ein Reichsorgan oder das Volk nicht gegen ein Gesetz wehrte, sondern das Volk ein Gesetz begehrte,149 kann für das Verfahren des Volksentscheids auf die Ausführungen zu Art. 73 I WRV verwiesen werden.150 Die praktische Relevanz des Verfahrens nach Art. 73 III WRV war nach den ersten Versuchen des Reichsbundes für Siedlung und Pacht 1922 / 23, spätestens aber nach den im Ergebnis nicht zugelassenen Volksbegehren zur Aufwertungsfrage 1926 / 1927 und dem gescheiterten Volksentscheid für eine Fürstenenteignung unbestritten (vgl. Überblicke Kap. I, B.). b) Die Rechtsnatur des Volksbegehrens – Sonderform eines Petitionsrechts oder eigenständiges Gesetzgebungsinitiativrecht Obwohl nicht nur vom Kölner Staatsrechtler Fritz Stier-Somlo zu Beginn der Weimarer Republik betont wurde, dass es sich bei Volksentscheid und Volksbegehren um „zwei voneinander zu scheidende selbstständige Rechtsinstitute und nicht nur zwei Seiten einer und derselben Sache“ handele, so stand die systematische Einordnung des Volksbegehrens in der Regel in einem engen Zusammenhang mit der Bewertung des Volksentscheid.151 So wie sich viele Staatsrechtler bei der systematischen Einordnung des Volksentscheides schwer taten (Vgl. Ausführungen zu Art. 73 I WRV), war es zumindest in der frühen Weimarer Republik auch beim Volksbegehren der Fall. Erst nachdem verschiedenste Definitionen diskutiert worden waren, setzte sich eine von ihnen als herrschend durch. Eine dieser anfänglichen Mindermeinungen vertrat Gerhard Anschütz. Bei ihm erscheint das Volksbegehren 1921 als „Recht des Gesetzesvorschlages“, das aber „keine Ausschaltung des ordentlichen Gesetzgebers“ bedeute.152 Es ziele als eine Ausnahme auf ein Gesetz ab, bleibe aber dennoch außerhalb der Gesetzgebung und war damit für ihn kein echtes Gesetzesinitiativrecht. Eine weitere Mindermeinung, die später noch von erheblicher Relevanz sein sollte, vertrat Max Fetzer in seiner Tübinger Dissertation „Das Referendum im 148 Parallele Volksbegehren waren möglich, ein gescheitertes Volksbegehren oder ein abgelehnter Zulassungsantrag konnten nach § 29 VEG jedoch erst nach einem Jahr einen neuen Anlauf nehmen. 149 Möglich war allerdings natürlich auch, dass das Volk sich mit einem Gesetz gegen ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz wehrte. 150 Vgl. Kap. II A. 1. Gute Darstellung auch in: Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 204 – 220. 151 Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 533 unter Bezugnahme auf Julius Hatscheks Vorwurf, er trenne beide Verfahren nicht voneinander. 152 Anschütz, Verfassung, Berlin 1921, zu Art. 73 Nr. 3 (S. 132).

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deutschen Staatsrecht“ von 1924. Das Volksbegehren sei ein aus der Petition entwickeltes, von diesem aber inzwischen klar zu trennendes, vor allem politisches „Herrscherrecht“ des Bürgers als Teilnahmerecht „im Gegensatz zu den Freiheitsrechten“ der Verfassung.153 Fetzers Gedanke wurde bis 1929 noch von zwei weiteren Autoren, Günther Löwisch und Adolf Inhoffen, aufgegriffen.154 Auch für sie hatte das Volksbegehren „seine Wurzeln im Petitionsrecht“, war „jedoch im Laufe der Zeit von ihm vollkommen verschieden geworden“, wie es Löwisch formulierte.155 Während die Petition ein Recht für Jedermann ohne Pflicht der Behörden zur Reaktion sei, sei die Initiative ein politisches Recht geworden, das dem Aktivbürger einen Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zusichere.156 Daß alle drei Autoren besonders die trotz bejahter historischer Bezüge bestehenden Unterschiede zwischen Petition und Volksbegehren betonten, lag vielleicht auch am eigentlichen Ursprung dieser Deutung. Bereits 1887 hatte nämlich der Schweizer Staatsrechtler Carl Hilty in Bezug auf das Schweizer Staatsrecht sogar vertreten, dass grundsätzlich „die rechtliche Natur der Initiative“ die einer „Petition“ sei.157 Eine weitere Mindermeinung entwickelte der Jenaer Jurist Hans Venator: „Ist [ . . . ] das Referendum das verfassungsmäßige Mittel der Staatsbürgergesamtheit, gesetzgeberische Arbeiten ihrer Repräsentativorgane nachzuprüfen und entscheidend über diese zu bestimmen, sowie damit zugleich bei Konfliktfällen dieser Repräsentativorgane untereinander oder innerhalb des wichtigsten, der Volksvertretung, als Schiedsrichter fungieren zu können, so ist das Volksbegehren das Mittel, die Repräsentativorgane [ . . . ] mit der Erledigung bestimmter der Staatsbürgerschaft wichtig und notwendig erscheinender Arbeiten beauftragen zu können“.158

Gemein hatten all diese Mindermeinungen, dass sie nicht bereit waren, das Volksbegehren als ein einfaches Initiativrecht der Gesetzgebung zu akzeptieren und auch als solches zu benennen. Genau dies aber tat die sich herausbildende herrschende Meinung. Sie wurde durch Stimmen, wie die von Heinrich Triepel (1920), aber auch Fetzer, Referendum, S. 24 ff., 47. Adolf Inhoffen, Die Volksinitiative in den modernen Staatsverfassungen, Diss. jur., Giessen 1923, S. 3; Löwisch, Volksentscheid, S. 22. Beide behandelten die Frage im Gegensatz zu Fetzer jedoch nur sehr kurz. 155 Vgl. Inhoffen, Volksinitiative, S. 3; Löwisch, Volksentscheid, S. 22. 156 Ebd. 157 Vgl. Carl Hilty, Das Referendum im schweizerischen Staatsrecht, in: AöR Bd. 2 (1887), S. 167 – 219 und 367 – 440, (419): „[Die Initiative] unterscheidet sich von dem Petitionsrecht, [ . . . ], bloss dadurch, dass sie nicht bloss in der repräsentativen Körperschaft, an die sie gerichtet ist, behandelt werden muss, was auch bei einer gewöhnlichen Petition der Fall ist, sondern überhaupt nicht definitiv abgewiesen, vielmehr bloss in der Regel nicht empfohlen werden kann, wobei dann dem Volke selbst der eigentliche Entscheid zusteht.“ Vgl. Verweis auf Hilty bei Löwisch, Volksentscheid, S. 22. 158 Hans Venator, Volksentscheid, S. 76. Vgl. auch Rudolf Liepmann (ders., Volksentscheid, S. 609 – 610), der auf der Grundlage einer ähnlichen Sicht zu dem Schluss kam, dass der Reichstag im Fall des Art. 73 III WRV wegen § 3 I VEG dem begehrten Gesetzentwurf immer einen Alternativentwurf entgegensetzen müsse. 153 154

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die unbekannterer Juristen wie Erich Martens (1924) oder Johann Stephan Contelly (1920) geprägt, die das Volksbegehren als ein schlichtes Gesetzesinitiativrecht des Volkes in der Funktion eines Reichsorgans ansahen.159 Ihre Deutung wurde in vielen Darstellungen dadurch weitergeführt und unterstützt, dass zwar keine Definition gegeben, das Volksbegehren aber ohne weitere Ausführungen im Rahmen der Darstellung der mittelbaren oder unmittelbaren Gesetzesinitiativen behandelt wurde.160 Zum endgültigen Durchbruch dieser Meinung führten 1927 Carl Schmitts Ausführungen zur Rechtsnatur des Volksbegehrens in der Schrift „Volksentscheid und Volksbegehren – Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie“, in der er die Auffassung vertrat, dass Volksbegehren und Volksentscheid in Art. 73 III WRV ein durchgängiges, außerordentliches Gesetzgebungsverfahren darstellten, das Volksbegehren also eine echte Gesetzgebungsinitiative des Volkes sei.161 Seine, später von vielen Seiten aufgegriffene, Auffassung schien zunächst die Frage endgültig geklärt zu haben.162 Im Zusammenhang mit dem Volksgesetzgebungsverfahren gegen den Young Plan 1929 erhielt die Frage nach der Rechtsnatur des Volksbegehrens jedoch in unerwarteter Weise eine wichtige politische Bedeutung, was die Frage erneut zum Gegenstand einer breiten staatsrechtlichen Auseinandersetzung machte. Die preußische Regierung unter Ministerpräsident Otto Braun versuchte durch dienstliche Anweisung, die Beamten in Preußen an der Teilnahme an dem Volksbegehren gegen den Young-Plan zu hindern. Braun begründete diese im Ministerialblatt veröffentlichte163 dienstliche Weisung, die einem Verbot gleichkam, am 16. Oktober 1929 in der 101. Sitzung des preußischen Landtages damit, dass eine Eintragung in die Listen gegen den Young-Plan nicht mit den Rechten und Pflichten eines Beamten vereinbar sei.164 Juristisch wurde von der Regierung weniger mit einer all159 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 492; Martens, Volksbegehren, S. 46; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 44. 160 Vgl. Finger, Staatsrecht (1923), S. 352 – 353; Bornhak, Grundriß (1926), S. 142; StierSomlo, Reichs- und Landesstaatsrecht (1924), S. 529 – 531. 161 Vgl. Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 10. 162 Schmitt vertrat gleichzeitig aber auch die Auffassung, dass das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV von den anderen Wegen zu einem Volksentscheid völlig zu trennen sei, was keinen uneingeschränkten Beifall in der Literatur fand. Vgl. Kap. II B. 4. sowie: Friedrich Glum, Die Grenzen der Volksgesetzgebung nach Art. 73 der Reichsverfassung, in JW 58 (1929), Sp. 1099 – 1108, 1099; Carl Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, Gesetzesvorschlag zur Änderung der Art. 75 und 76 Abs. 1 Satz 4 der Reichsverfassung, Breslau 1929, S. 23 FN. 28; Liepmann, Volksentscheid, S. 616 – 17; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, zu Art. 73 III Nr. 12 (S. 319). 163 Es erging die Weisung, die Auffassung der Regierung jedem Beamten bis hinunter zur Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände bekannt zu machen. Die Minister des Inneren und der Finanzen ordneten zudem noch an, dass es ihnen sofort unter Darlegung der näheren Umstände berichtet werden sollte, wenn ein Beamter dennoch offen für das Volksbegehren eintreten sollte. 164 Konkret formulierte dies Braun folgendermaßen: „Das Volksbegehren [ . . . ] will die Minister, die den Young-Plan abschließen, wegen Landesverrats ins Zuchthaus bringen. Es

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gemeinen Treuepflicht165 dem Dienstherrn gegenüber, als damit argumentiert, dass das Volksbegehren einer Petition gleichzustellen sei. Die Beteiligung an Petitionen aber war nach der Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofes für Beamte nicht mit ihrem Status und ihren Pflichten vereinbar,166 während regierungsfeindliche Ziele eines Volksbegehrens alleine nach allgemeiner Ansicht nicht für ein Teilnahmeverbot ausreichten. Hier sah man allgemein das auch für Beamte geltende Recht zur Ausübung der staatsbürgerlichen „Wahl- und Abstimmungsrechte“ aus Art. 130 II WRV167 i.V.m. Art. 125 WRV168 als stärker als die Treue dem Dienstherrn gegenüber an.169 Die Vorgehensweise der Regierung stieß sofort auf politischen Widerspruch. Insbesondere die DNVP als Mitinitiatorin des Volksbegehrens griff die Regierung an. Ihre Position: Es handele sich bei der Eintragung in die Listen des Volksbegehr sehr wohl um eine Stimmabgabe im Sinne einer Wahl oder Abstimmung. Ein Verbot an der Teilnahme seitens der Regierung sei nicht nur rechtswidrig und ein Verstoß gegen Verfassungsrechte der Beamten, sondern sogar nach § 107 StGB als Hinderung an der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte strafbar.170 Die Fraktion der DNVP im preußischen Landtag rief, als die Regierung trotz der Proteste an ihrer Auffassung festhielt, gemäß Art. 19 WRV171 den Staats-

stellt somit den denkbar schwersten und infamsten Angriff dar, der überhaupt gegen eine Regierung geführt werden kann. Ein Beamter, der sich daran beteiligt, begeht unzweifelhaft einen Verstoß gegen seine Beamtenpflichten. Kein Staat der Welt, der noch auf Ansehen und Autorität Anspruch erhebt, kann sich derartiges gefallen lassen. [ . . . ]. Ich spreche deshalb auch hier noch einmal namens des gesamten Staatsministeriums die bestimmte Erwartung aus, daß sich jeder Staatsbeamte in vollem Bewußtsein seiner Pflichten, die er auch außerdienstlich dem Staat gegenüber hat, darüber klar sein wird, daß ein Eintreten für das Volksbegehren, gleichviel in welcher Form, mit seinen Beamtenpflichten nicht vereinbar ist.“ Vgl. PrLt. Sitz. Ber., 3. Wahlperiode, 1. Tagung, 6. Bd. 1929, Sp. 8437. Auszugweise auch in: Wilhelm Merk, Volksbegehren und Volksentscheid. Staatsrechtliche Betrachtungen zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen die Versklavung des Deutschen Volkes (des sog. „Freiheitsgesetzes“), in: AöR Bd. 58 (1930), S. 83 – 127, 105 – 106. 165 Interessant in diesem Zusammenhang: Kundgebung des Vorstandes des Republikanischen Richterbundes vom 18. 10. 1929 an alle Richter und Beamten, in: Die Justiz 5 (1929 / 1930), S. 124. 166 C. Falck, Volksbegehren und Beamtenpflichten, in: RuPrVwBl Bd. 50 (1929), S. 709 – 711, S. 710 unter Verweis auf ein Urteil des Reichsdisziplinarhofes vom 21. 10. 1924 (Rechtsprechung des Reichsdisziplinarhofes, Berlin 1926, S. 223). 167 Art. 130 II WRV: „Allen Beamten wird die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Vereinigungsfreiheit gewährleistet.“ 168 Art. 125 WRV: „Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das Nähere bestimmen die Wahlgesetze.“ 169 o. N., Moericke, Volksbegehren und § 107 StGB, in: DRZ 21 (1929), S. 371 – 373, 371. 170 Vgl. § 107 StGB vom 15. 5. 1871 in der Fassung vom 6. 2. 1924 (abgedruckt in: A. Dalcke (Hrsg.), Strafrecht und Strafprozeß – Eine Sammlung, Berlin 1926): „Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft.“

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gerichtshof für das Deutsche Reich an. Sie beantragte zum einen eine grundsätzliche Entscheidung über die Frage der Teilnahme von Beamten an Volksbegehren und zum anderen vorhergehend eine einstweilige Verfügung bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Das Ziel beider Rechtsmittel war es, angesichts des nahenden Volksbegehrens zu erreichen, dass sich das Staatsministerium des Antragsgegners Preußen einstweilen aller amtlichen Kundgebungen und Anweisungen enthalten sollte, die die Teilnahme der preußischen Beamten an dem Volksbegehren verbot oder für unzulässig erklärten.172 Auf wissenschaftlicher Ebene wurde der politische und nun auch gerichtliche Konflikt durch eine Vielzahl von staatsrechtlichen Beiträgen in Zeitschriften wie der Deutschen Juristenzeitung (DJZ), den Preußischen Verwaltungsblättern (RuPrVwBl) oder auch dem Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) begleitet. Sie behandelten neben anderen in diesem Zusammenhang relevanten juristischen Problemen173 vor allem die Frage, ob das Volksbegehren nicht vielleicht doch eine Art von Petition sei. Für die Auffassung der preußischen Landesregierung ergriffen 1929 vor allem Georg Kaisenberg, sowie die Ministerialbeamten C. Falck und Martin Löwenthal Partei.174 Während Kaisenberg und Löwenthal den Vorgang der 171 Art. 19 WRV: „Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.“ 172 Die Anträge der preußischen DNVP-Landtagsfraktion (vgl. RGZ Bd. 127, Anh. S. 3 – 4) wurden in der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache dahingehend gefasst, dass der Staatsgerichtshof feststellen wolle: „Es ist mit der Verfassung nicht vereinbar, daß das Preußische Staatsministerium den preußischen Beamten auf dem Dienstwege eröffnet hat, ihr Eintreten für das Volksbegehren gleichviel in welcher Form, sei mit den Beamtenpflichten nicht vereinbar. Die Verfassung gewährleistet vielmehr den Beamten: schlechthin das Recht, sich beim Volksbegehren in die Eintragungsliste einzutragen und beim Volksentscheid ihrer Überzeugung entsprechend die Stimme abzugeben, weiterhin auch das Recht, anderweitig für das Volksbegehren und den Volksentscheid einzutreten, sofern sie nicht im Einzelfalle durch die Art und Form ihres Eintretens die besonderen Beamtenpflichten verletzen.“ 173 Die zahlreichen Beiträge in der Fachliteratur behandelten auch die Frage nach der allgemeinen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Begehrs. Diese Frage ist jedoch an dieser Stelle nicht relevant und wird deshalb in einem späteren Abschnitt behandelt. 174 Georg Kaisenberg, Die Rechtsnatur des Eintragungsverfahrens beim Volksbegehren, in: RuPrVwBl. Bd. 51 (1930), S. 221 – 223, 222; Martin Löwenthal, Das Urteil des Staatsgerichtshofes in der Frage der Beamteneinzeichnungen beim Volksbegehren, in: Die Justiz 5 (1929 / 1930), S. 325 – 329, 329; Falck, Beamtenpflichten, S. 710. Andere Autoren wie Fritz Poetzsch-Heffter unterstützten die offizielle Haltung der preußischen Regierung, ohne sich auf die Frage des Petitionscharakters einzulassen. Er begründete ein Teilnahmeverbot für die Beamten in Preußen bereits aus der Tatsache, dass das Volksbegehren gar nicht hätte zugelassen werden dürfen. Eine Stimmfreiheit der Beamten nach Art. 125 WRV sei für Beamten aufgrund ihrer besonderen Treuepflichten nicht gegeben. Er stellte insofern wie auch Falck die Treuepflichten über das Grundrecht. Vgl. Fritz Poetzsch-Heffter, Volksgesetzgebung und Reichsverfassung, in: JW58 (1929), Sp. 3364 – 3365, 3365; D. Cohn, Das Beamtendienstver-

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Eintragung aufgrund seines „organschaftlichen“ und empfehlenden „Charakters“ als einer Petition gleich ansahen,175 kam Falck aus grundsätzlichen Erwägungen über die allgemeinen Treuepflichten des Beamten dem Staat gegenüber zu demselben Ergebnis.176 Ihre Auffassung blieb jedoch minoritär. Als zentrales Gegenargument führten unter anderem der Frankfurter Staatsrechtler Hans J. Wolff sowie Gerd Günther Hansen die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Petition und Volksbegehren an. Während der Staat im Fall einer Petition keine Reaktionspflichten habe, so müsse er im Fall eines Volksbegehrens handeln. Eine Petition erhebe der Bürger als Untertan, im Fall des Volksbegehrens handele das Volk jedoch als staatliches Organ.177 Der Oberstaatsanwalt bei der Reichsanwaltschaft in Leipzig Moericke verwies als weiteres Argument gegen einen Petitionscharakter auf die Entstehung der Terminologie. Die Verfassungsväter hätten nämlich beim Volksbegehren zuerst sehr wohl den Terminus „Abstimmung“ und „Abstimmungsverfahren“ auch im Zusammenhang mit dem Volksbegehren verwendet und diese erst zu einem späteren Zeitpunkt der Verfassungsgebung durch die Ausdrücke wie Eintragungsverfahren und Eintragungsfrist ersetzt. Ziel sei es hierbei aber nicht gewesen, einen unterschiedlichen Rechtscharakter deutlich zu machen, sondern alleine eine Verwechslung mit anderen Abstimmungen zu verhindern. Für ihn stand das Recht der Beamten zur Teilnahme an einem Volksbegehren daher grundsätzlich auch unter dem Schutz des § 107 StGB.178 Für den Münchner Staatsrat Bleyer endete die Befehlsgewalt des Staates über den Beamten dort, wo die Verfassung einer Anordnung entgegensteht, der Beamte also durch eine höhere Rechtsnorm berechtigt sei. Es dürfe zudem nicht sein, dass der Beamte als Diener der „Volksgesamtheit und nicht einer Partei“ in einer politischen Auseinandersetzung zur Waffe der Regierung in der politischen Willensbildung werde.179 Bleyer ging weniger von der abstrakten Fragestellung aus, ob denn das Volksbegehren eine Petition sei, sondern kam über die Betrachtung der Beamtenpflichten und ihrer Grenzen zum Ergebnis, dass ein Verbot für Beamte verfassungswidrig ist, und das Volksbegehren schon hältnis, Reichsverfassung und Staatsgerichtshof, in: RuPrVwBl Bd. 51 (1930), S. 461 – 464, 462. 175 Kaisenberg, Rechtsnatur des Eintragungsverfahrens, S. 222; Löwenthal, Urteil des Staatsgerichtshofes, S. 329. 176 Falck (ders., Beamtenpflichten, S. 710) sah zudem die Gefahr, dass eine große Zahl von Beamten eines Ministeriums ein Volksbegehren in missbräuchlicher Weise gegen einen Vorgesetzten anstrengen könnten, ohne disziplinarrechtlich belangbar zu sein. Schon deshalb müsse ein Volksbegehren wie eine Petition behandelt werden: „Genauso wie der Beamte den Inhalt seiner Petitionsschrift zu vertreten hat, hat er es zu vertreten, wenn er einen Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens stellt, oder mitunterschreibt.“ 177 Hansen, Volksgesetzgebung, S. 9 – 11; Hans J. Wolff, Zum Urteil des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich vom 19. Dezember 1929 in Sachen „Freiheitsgesetz“, in: AöR Bd. 57 (1930), S. 411 – 435, 424; Bleyer, Staatsbürgerrechte und Beamtenpflichten, in: DJZ 35 (1930), Sp. 13 – 18, 16 – 17. 178 Moericke, Volksbegehren, S. 371 – 373. 179 Bleyer, Beamtenpflichten, 16 – 17.

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deshalb nicht wie eine Petition behandelt werden könne.180 Für den Admiralitätsrat Apel, der in einer direkten Replik dem oben behandelten Ministerialbeamten C. Falck eine unjuristische Argumentation vorwarf, war der Vergleich eines Volksbegehrens mit einer Petition schon aus dem Grunde abzulehnen, dass ein Volksbegehren nicht nur einfache Gesetze, sondern auch Verfassungsänderungen unmittelbar initiieren könne. Auch der Ort der ganzen Volksgesetzgebung im sechsten Abschnitt der Weimarer Reichsverfassung ordne diese eindeutig der Gesetzgebung zu.181 Für den Leser deutlich erkennbar waren es vor allem verbeamtete juristische Praktiker, die sich in dieser ihre eigenen politischen Rechte betreffende Frage in die wissenschaftliche Debatte einschalteten. Die zuletzt dargestellte bereits vorherrschende Meinung erhielt entscheidenden Rückhalt durch die Entscheidung des Staatsgerichtshofes vom 17. / 19. Dezember 1929. Hatte das Gericht den Antrag der preußischen DNVP-Landtagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 22. / 23. Oktober 1929 noch abgelehnt, gab es der Klage in der Hauptsache dagegen im Wesentlichen statt.182 In einem Urteil, dass nicht nur aufgrund der Entscheidung über die Rechtsnatur des Volksbegehrens in der Rechtslehre auf starke Resonanz traf,183 kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Eintragung beim Volksbegehren, wie auch die Stimmabgabe beim Volksentscheid, und die Teilnahme an der Reichstagswahl, grundsätzlich keinerlei beamtenrechtlichen Bindungen unterliege: „Bei der Beurteilung der Frage, ob die politische Betätigung eines Beamten mit seinen Beamtenpflichten vereinbar ist, kommt es sehr wesentlich auf den Charakter dieser Betätigung, auf ihre staatsrechtliche und politische Bedeutung an. Die Einzeichnung in die Listen eines Volksbegehrens und die Teilnahme an der Abstimmung über ein zum Volksentscheid gestelltes Volksbegehren ist rechtlich Teilnahme am Volksgesetzgebungsverfahren. [ . . . ]. Sie steht dem mittelbaren Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll, den Wahlen zum Reichstag, an Wichtigkeit für das Verfassungsleben des Reiches an nichts nach.“184 Vgl. auch Cohn, Beamtendienstverhältnis, S. 461 – 464. Apel, Volksbegehren und Beamtenpflichten, in: RuPrVwBl Bd. 50 (1929), S. 757 – 759. 182 Vgl. RGZ Bd. 126, Anh. S. 1 – 8; RGZ Bd. 127, Anh. S. 1 – 24, abgedruckt auch in: Reichsgerichtspräsident Dr. Dr. Erwin Bumke (Hrsg.), Ausgewählte Entscheidungen des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts gemäß Art. 13 Absatz II der Reichsverfassung, Berlin 1930, 1. Heft., S. 1 – 40. 183 In der vieldiskutierten Entscheidung erklärte sich der Staatsgerichtshof erstmals indirekt auch bei Streitigkeiten über Grundrechte für zuständig. Gleichzeitig bejahte es eine Klagebefugnis der preußischen Landtagsfraktion als Verkörperung der Landesverbände der DNVP, die wiederum die Mitträger des Volksbegehrens seien. Vgl. Wolf, Zum Urteil des Staatsgerichtshofes, S. 411 ff.; Löwenthal, Urteil des Staatsgerichtshofes, S. 325 – 329. 184 RGZ Bd. 127, Anh. S. 18 – 19. Das Gericht bestätigte in diesem Zusammenhang nochmals die von einigen Autoren bestrittene bisherige herrschende Meinung, dass nämlich eine Teilnahme der Beamten nicht allein schon aufgrund der allgemeinen Treuepflichten zum Dienstherrn hätte verboten werden können: „Diese Pflichten der Beamten können aber kei180 181

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Nach dieser gerichtlichen Feststellung ist es von keinem Autor mehr in Frage gestellt worden,185 dass es sich bei einem Volksbegehren um eine Form der Gesetzesinitiative handelt. Selbst Georg Kaisenberg, der in seinem Beitrag in den preußischen Verwaltungsblättern von 1930, in einer zwar komplizierten, aber doch eindeutigen Weise den Petitionscharakter des Volksbegehrens verfochten hatte, gab die Treue zu seinem Dienstherrn auf und stellte im Handbuch des Deutschen Staatsrechts von 1932 fest: „Wenn sich auch der Charakter der Einzeichnung dem Wesen einer Petition nähert, so beruht die Einrichtung des Volksbegehrens doch nicht auf dem Petitionsprinzip, das Volksbegehren ist keine Petition. [ . . . ]. Wie auch die Stimmabgabe bei Wahlen keinen beamtenrechtlichen Bindungen unterliegt, so steht auch den Beamten die Teilnahme an Volksbegehren ohne jede Einschränkung offen.“186

c) Die Zulassung des Volksbegehrens durch den Reichsminister des Inneren Auf den Verfahrensablauf der Zulassung eines Volksbegehrens durch den Reichsminister des Inneren wurde bereits in der Einleitung zu diesem Abschnitt unter Verweis auf die Darstellung der Referendumsinitiative in Kap. II A. 3. eingegangen. Dies soll hier nicht noch einmal wiederholt werden. Ebenfalls nicht eingegangen wird in diesem Unterabschnitt auf den Finanzvorbehalt nach Art. 73 IV WRV sowie andere positive oder auch nur gesetzesimmanente Schranken der Volksgesetzgebung, die Gegenstand des Prüfungsrechts des Reichsinnenministers im Zulassungsverfahren waren. Da diese Schranken auch andere Verfahren der Volksgesetzgebung als das nach Art. 73 III WRV betrafen,187 werden sie in einem eigenen späteren Abschnitt (II A. 5.) behandelt. Einzugehen ist aber auf drei Fragestellungen, welche die Rechtswissenschaft allein in Bezug auf das Zulassungsverfahren nach Art. 73 III WRV beschäftigten.

aa) Die Forderung nach einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Reichsinnenministers im Zulassungsverfahren zum Volksbegehren Während die Existenz des Zulassungsverfahrens sowie die damit verbundenen Hürden wie bspw. die Notwendigkeit von 5000 Unterschriften insgesamt als erforneswegs stets höher bewertet werden als ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht auf Freiheit der politischen Gesinnung. Sonst würde Art. 130 seinen Fortschritt gegenüber dem unter der alten Staatsform geltenden Rechtszustande bedeuten, während doch gerade die Unabhängigkeit der Beamten hat erweitert werden sollen.“ 185 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 17, 18; Angelesco, consultation direct, S. 222 ff. Eindeutig nun auch: Anschütz, Verfassung, 14. Aufl. (1933), zu Art. 73 Nr. 8 (S. 389). 186 Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 206, 210. 187 So das Verfahren nach Art. 73 II WRV.

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derlich und sinnvoll anerkannt wurden,188 gab es sehr bald Kritik an einer fehlenden Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung des Zulassungsbeschlusses.189 Das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juli 1921 (VEG) sah kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Reichsministers des Inneren nach § 30 VEG für oder gegen die Durchführung eines Volksbegehrens vor.190 Äußerer Anlass dieser Kritik war die Ablehnung des ersten Aufwertungsbegehrens des Sparerbundes unter Dr. Best am 18. August 1926 unter Verweis auf den Finanzvorbehalt nach Art. 73 IV WRV (vgl. Kap. I B. 3.).191 Nicht nur der Reichstagsabgeordnete Best selber und andere Politiker, wie der ehemalige Abgeordnete der Nationalversammlung Wilhelm Keil (SPD), sahen diese Entscheidung als ungerecht und fehlerhaft an;192 auch Teile der Staatsrechtswissenschaft wie bspw. Gerhard Hempel, Hermann Duft, Ottmar Bühler und Heinrich Triepel193 werteten die Nichtzulassung als Rechtsbruch.194 Als Konsequenz forderten insbesondere Gerhard Hempel und später Constantin Angelesco die Einführung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Reichsinnenministers. Zu groß sei die Gefahr, dass der Reichstag, der in der Regel kein Interesse an einem Volksentscheid habe, den Minister zu einer rechtswidrigen Abweisung dränge, oder aber der Minister dies aus eigenem Antrieb tue. Ein Rechtsmittel vor dem Staatsgerichtshof könne angesichts einer per se neutraleren und unpolitischeren Position des Gerichts dieser Gefahr entgegenwirken.195 Sie unterstützten die Zielsetzung eines Gesetzentwurfs, wie ihn der Abgeordnete Best nach den gescheiterten Aufwertungsbegehren mit Hilfe der Nationalsozialistischen Freiheitspartei am 26. Juni 1926 im Büro des Reichtages einreichte. Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 320 – 321. Theoretisch war diese Frage auch für das Zulassungsverfahren einer Referendumsinitiative nach Art. 73 II relevant, wurde aber in diesem Zusammenhang in der Forschung nicht diskutiert. Sie wird deshalb auch in dieser Arbeit nur hier behandelt. 190 Im Verfassungsausschuss des Reichstages gab es zwar den Vorschlag, gegen die Entscheidung des Reichsinnenminister ein Rechtsmittel vor dem Staatsgerichtshof zuzulassen. Er wurde aber mit der Begründung wieder verworfen, dass das Zulassungsverfahren zum einen nicht besonders kompliziert sei, und zum anderen der Minister sich alleine aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem Reichstag korrekt verhalten werde. Vgl. Verhandlungen des Reichstages 1920, Anlage zu den stenographischen Berichten, Bd. 367, S. 1913 – 1914; Angelesco, consultation directe, S. 313. 191 Vgl. Wortlaut der Ablehnung des Volksbegehrens bei: E. Gerhard H. Hempel, Probleme der direkten Volksgesetzgebung im deutschen Staatsrecht, Diss. jur. Leipzig / Ebersbach 1927, S. 29, 32; „Kein Aufwertungsbegehren“, in: Vorwärts vom 20. 8. 1926, Nr. 390, A 200. 192 Wilhelm Keil, Das Volksbegehren der Sparer. Eine ungerechte Entscheidung, in: Vorwärts vom 25. 8. 1926, Nr. 398, A 204 (S. 1). 193 Hempel, Volksgesetzgebung, S. 30; Hermann Dufft, Parlamentsbeschluß und Volksentscheid, Diss. jur., Leipzig 1929, S. 87 – 96; Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), S. 168; Heinrich Triepel, Das Abdrosselungsgesetz, in: DJZ 31 (1926), Sp. 845 – 850, 850; vgl. auch: Hartwig, Volksbegehren, S. 29. 194 Zur Problematik des „Abdrosselungsgesetzes“ noch ausführlicher in Kap. II A. 5. b) bb). 195 Hempel, Volksentscheid, S. 32; Angelesco, consultation directe, S. 313 – 314. 188 189

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Dieser Gesetzentwurf sollte den Reichsminister des Inneren verpflichten, immer dann, wenn er einen Zulassungsantrag wegen eines Verstoßes gegen den Finanzvorbehalt des Art. 73 IV WRV ablehnen wollte, eine Stellungnahme des Staatsgerichtshofes einzuholen. Gleichzeitig sollte den Anhängern eines Volksbegehrens in diesem Fall durch eine Neufassung des § 20 I des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 der Rechtsweg zum Staatsgerichtshof offen stehen.196 Nach einer Beratung im Reichstag am 2. Juli 1926, in der Dr. Best seinen Gesetzentwurf darlegte,197 verwies der Reichstag den Entwurf in den Rechtsausschuss, in dem er bis zum Ende der Weimarer Republik ohne weitere Ergebnisse verblieb.198 Der Einrichtung eines Rechtsmittels explizit ablehnend gegenüber stand nur der Beauftragte der Reichsregierung für die Volksgesetzgebung Georg Kaisenberg. Er sah die Mechanismen der Selbstkontrolle zwischen den Staatsorganen Reichstag, Reichsregierung und Reichspräsident als ausreichend an. Man habe bei der Ausarbeitung des VEG richtigerweise ein Rechtsmittel für überflüssig erachtet, da die „parlamentarischen Ministerverantwortlichkeiten ausreichende Garantien für eine sachgemäße Handhabung des dem Reichsminister des Inneren übertragenen Entscheidungsrechtes“ gäben. Der Antrag Best zur Änderung des Gesetzes über den Staatsgerichtshofes gehe von „falschen Voraussetzungen“ aus, die Kaisenberg in seinem Beitrag „Die Volksgesetzgebung nach Reichsrecht“ in der Zeitschrift des öffentlichen Rechts 1927 jedoch nicht näher nannte.199 bb) Die Kritik an der fehlenden Entscheidungsfrist des Reichsinnenministers im Zulassungsverfahren Ziel staatsrechtlicher Kritik wurde neben dem Fehlen eines Rechtsmittel auch die Tatsache, dass dem Reichsminister des Inneren keinerlei Frist gesetzt war, in der er über den Zulassungsantrag zu entscheiden hatte. Politisch aktuell wurde diese Frage gegen Ende der Weimarer Republik. Nachdem das von Hindenburg getragene Präsidialkabinett von Papen am 4. September 1932 auf dem Wege der Notverordnung nach Art. 48 WRV umfassende Änderungen des Sozial- und Arbeitsrechts durchgeführt hatte,200 beantragte die SPD-Fraktion, wie bereits in 196 § 20 I sollte hierbei den Zusatz erhalten: „Will im Hinblick auf die Vorschrift des Art. 73 , Absatz 4 der RV. die Reichsregierung einem nach Absatz 3 dieses Artikels bejahten Volksentscheid die Zustimmung versagen, so hat sie unverzüglich den Antrag auf Entscheidung des Staatsgerichtshofes zu stellen; das Recht des anderen Teiles, die Entscheidung zu beantragen, wird dadurch nicht berührt.“ Vgl. RTDrS 1926, Nr. 2472, enthalten auch in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 172. 197 Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte, Bd. 390 (224. Sitz. vom 2. 7. 1926), S. 7829; vgl. auch Darstellung bei: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 187. 198 Angelesco, consultation directe, S. 318. 199 Vgl. Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 187, 188.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Kap. I B. 6. dargestellt, am 12. September 1932 die Zulassung eines Volksbegehrens gegen Teile dieser Maßnahmen, genauer gegen die Notverordnungen vom 14. Juni sowie 4. und 5. September 1932. Die dadurch beschlossenen Kürzungen der Arbeiterlöhne, Arbeitslosenunterstützungen, Renten und Unfallversicherungen bei gleichzeitiger Gewährung von Steuervorteilen für andere Gesellschaftsschichten stellten nach sozialdemokratischer Ansicht einen schweren Verstoß gegen grundlegende Arbeiterrechte dar.201 Vor dem Hintergrund eines drohenden Misstrauensvotums gegen die Regierung von Papen, dem diese am 12. September1932 durch die Auflösung des Reichstags zuvorkam, ließ sich der Reichsinnenminister Freiherr von Gayl mit einer Entscheidung über die Zulassung zum Volksbegehren sehr viel Zeit, die er auf Anfrage der SPD vom 4. Oktober 1932 mit der schwierigen rechtlichen Prüfung begründete.202 Die SPD Fraktion beschloss am 18. November 1932, als eine Entscheidung des Ministers immer noch ausstand, einen Gesetzentwurf in den Reichstag einzubringen, der die Einführung einer Entscheidungsfrist in das VEG vorsah.203 Sie war der Auffassung, dass die Verzögerung rein politisch motiviert war, um die Regierung nicht der unmittelbaren Volksstimme auszusetzen. Das Volksbegehren und damit auch der Gesetzesvorstoß erübrigte sich im Ergebnis dadurch, dass die Regierung kurze Zeit später die umstrittene Notverordnung zurücknahm, wie auch der Reichstag erneut aufgelöst wurde. Constantin Angelesco, dessen Buch erst im Frühjahr 1933 entstand und der sich damit als wohl einziger Staatsrechtler noch zur Weimarer Zeit in einer staatsrechtlichen Beurteilung zu diesem politischen Konflikt äußerte, sah es als eine schwerwiegende Regelungslücke („grave lacune“) an, dass der Minister keiner Frist unterliege, in der er über eine Zulassung entschieden habe müsse. Seiner Auffassung nach war eine solche als Schutz vor einer politisch motivierten Verschleppung des Verfahrens notwendig. Möglich sei es zum Beispiel, eine „Nicht-Entscheidung“ nach Ablauf einer bestimmten Frist als Zulassung anzusehen.204 Dass sich deutsche Staatsrechtler zu dieser Frage nicht mehr geäußert haben, liegt wahrscheinlich daran, dass unmittelbar darauf das Weimarer System und damit faktisch auch die Verfassung unterging.

200 Die Maßnahmen erfolgten im Rahmen des sogenannten Papen-Plan zur Belebung der Wirtschaft. Vgl. RGBl. I 1932, Nr. 57, 58. 201 Vgl. „Sozialdemokratie stößt vor! Anträge der Reichstagsfraktion: Beseitigung der Papen-Verordnungen“, in: Vorwärts vom 18. 11. 1932, Nr. 433. 202 Vgl. „Wo bleibt das Volksbegehren, in: Vorwärts vom 4. 10. 1932, Nr. 468 B. 226 (S. 1). 203 Vgl. „Papens letzter Streich“; Sozialdemokratie stößt vor“, in: Vorwärts vom 18. 11. 1932, Nr. 554, B. 264 (S. 1); RTDrS 1932 (VII Wahlperiode, 10. 12. 1932, Bd. 455) Nr. 163 (Antrag Dr. Breitscheid und Genossen); BArch R 1501 / 125127, Bl. 246, 247. 204 Angelesco, consultation directe, S. 310 – 12.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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cc) Der Streit um den „ausgearbeiteten Gesetzentwurf“ nach Art. 73 III S. 2 WRV als spezifische Zulassungsvoraussetzung für das Volksbegehren Art. 73 III WRV wie auch die Ausführungsbestimmungen § 1 I Nr. 3, § 29 VEG bestimmten als Grundlage eines Volksbegehrens ausdrücklich einen „ausgearbeiteten Gesetzentwurf“. Nur ein solcher konnte vom Reichsminister des Inneren zum Volksbegehren zugelassen werden. Die Mehrheit in der Staatsrechtswissenschaft sah hierin anfangs kein Problem, erkannte nicht, dass in dieser Bestimmung ein mögliches Auslegungsproblem, ja sogar eine Schranke für das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV liegen konnte. So formulierte Fritz StierSomlo 1924 in diesem Zusammenhang schlicht und einfach: „Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten unter Zugrundelegung eines ausgearbeiteten Gesetzesentwurfs – der auf Erlaß, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes oder auf Verfassungsänderung gerichtet ist – eine Vorlegung begehrt hat, und der begehrte Gesetzentwurf vom Reichstag nicht unverändert angenommen worden ist“.205

Georg Kaisenberg ging auf die Frage, was „ausgearbeitet“ heißt, in seiner Kommentierung zum Gesetz über den Volksentscheid auch in der zweiten Auflage 1926 gar nicht ein.206 Für die meisten Autoren schien die Anforderung an das, was einen „ausgearbeiteten“ Gesetzentwurf ausmachte, klar zu sein. Nur ein Staatsrechtslehrer aus Halle, August Finger, konkretisierte die betroffene Gesetzesstelle bereits 1923 dahingehend, dass es nicht genüge, wenn das Volk allgemein seine Ziele angebe. Er zitierte den Abgeordneten der Verfassungsgebenden Nationalversammlung Koch-Weser (DDP), der im Verfassungsausschuss festgestellt hatte: „In Ergänzung des Antrags möchte ich noch hinzufügen, dass dem Begehren ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen muß. Es geht nicht an, das Volk einfach dadurch zu einem Begehren nach einem Gesetzentwurf zu veranlassen, dass man ihm vielleicht mit drei Worten irgendetwas anpreist, z. B. erklärt: es soll ein Heimstättengesetz gemacht werden, oder etwas Ähnliches. Für solche Sachen wird natürlich jeder sein, solange er nicht weiß, wie dieses Gesetz in Wirklichkeit aussieht, so lange also nicht wirklich ein Gesetzentwurf von den an der Agitation beteiligten Stellen ausgearbeitet ist [ . . . ]“.207

Dass die Formulierung des Art. 73 III S. 2 WRV einer näheren Betrachtung bedurfte, zeigte sich im Zusammenhang mit dem Volksgesetzgebungsverfahren für eine Fürstenenteignung 1926. Unter Verweis auf die bereits zitierten Ausführungen Koch-Wesers war es der Berliner Ministerialrat Lucas, der in dem Aufsatz „Zum Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 529. Vgl. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, 2. Aufl., a. a. O. 207 Koch Weser stellte konkret einen solchen Formulierungsvorschlag für Art. 73 III WRV. In diesen Zusammenhang fallen seine Worte. Vgl. VA 28. Sitz., 11. 4. 1919, S. 308; Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, Stenographische Berichte, Bd. 47 (47. Sitz., 5. 7. 1919), S. 1344 – 1347. 205 206

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Volksbegehren über Fürstenenteignung“ 1926 die Auffassung vertrat, dass Teile dieses Gesetzentwurfes den Anforderungen eines „ausgearbeiteten Gesetzentwurfes“ nicht genügten. Der Reichsinnenminister hätte das Volksbegehren nicht zulassen dürfen.208 Er bezog sich zum einen auf Art. II des Begehrens, der bestimmte: „Das enteignete Vermögen wird verwendet zugunsten: a) der Erwerbslosen, b) der Kriegsbeschädigten und Kleinhinterbliebenen, c) der Sozial- und Kleinrentner, d) der bedürftigen Opfer der Inflation, e) der Landarbeiter, Kleinpächter und Kleinbauern durch Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz. Die Schlösser, Wohnhäuser und sonstigen Gebäude werden für allgemeine Wohlfahrts-, Kultur und Erziehungszwecke, insbesondere zur Errichtung von Genesungs- und Versorgungsheimen für Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Sozial- und Kleinrentner, sowie von Kinderheimen und Erziehungsanstalten verwendet.“209

Dieser Art. II enthielt nach Lucas’ Auffassung nur einen „allgemeinen Grundsatz, aber keine unmittelbar anwendbare Rechtsnorm: „Es fehlen sowohl, wenigstens bei einem Teil der dort als Empfänger bezeichneten Personenkreise, [ . . . ], die erforderliche deutliche Abgrenzung als auch nähere Bestimmungen darüber, in welchem Verhältnis die einzelnen unter a) bis e) aufgeführten Kreise an dem Vermögen beteiligt werden sollen und, wie innerhalb jedes Kreises die Zuwendung der Vermögen an die Begünstigten vor sich gehen soll. Ein solcher Entwurf ist nicht ein ausgearbeiteter Entwurf i. S. d. Art. 73 III 2 RV, sondern [ . . . ] nur eine mit ein paar Worten gemachte Anpreisung.“210

Die Urheber des Begehrens hätten dies wohl auch selber erkannt, denn sonst hätten sie die genauen Ausführungen nicht in Art. IV einem Ausführungsgesetz zugewiesen Dieser Art. IV des Gesetzentwurfes war gleichzeitig der zweite Bezugspunkt für Lucas Kritik. Er sah vor: „Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz werden durch ein Reichsgesetz festgelegt, das innerhalb drei Monaten nach amtlicher Feststellung des Abstimmungsergebnisses zu erlassen ist. Dieses Reichsgesetz hat insbesondere die näheren Bestimmungen zur Ausführung des Art. II dieses Gesetzes über die Verwendung der enteigneten Fürstenvermögen durch die Länder zu treffen.“211

Auch hierin erblickte Lucas schon per se eine „nach dem bisherigen Verfassungsrecht als Inhalt eines Volksbegehrens unmögliche Bestimmung“. Das künftige zweite Gesetz könnte doch nur entweder durch einen neuen Beschluss des 208 209 210 211

Lucas, Zum Volksbegehren über Fürstenenteignung, in: JR 2 (1926), Sp. 489 – 499. Reichsanzeiger vom 26. 6. 1926, Nr. 39. Lucas, Volksbegehren über Fürstenenteignung, Sp. 491. Ebd.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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Reichstages oder durch ein neues Volksbegehren mit anschließendem Volksentscheid zustande kommen: „Volksbegehren und Volksentscheid können aber niemals dem Reichstag die Verpflichtung auferlegen, ein Gesetz zu beschließen“, betonte er.212 Volksgesetzgebung und parlamentarische Gesetzgebung ständen unabhängig nebeneinander. Eine Verquickung sei nicht möglich. Die genannte Mängel führten insgesamt dazu, dass der gesamte Gesetzentwurf nicht „ausgearbeitet“ und damit nicht volksbegehrensfähig sei.213 Die Auslegung des Art. 73 III S. 2 WRV durch Lucas rief den unmittelbaren Widerspruch Georg Kaisenbergs hervor. In seinem Beitrag „Die Volksgesetzgebung nach Reichsrecht“ von 1927 sah er zwar insbesondere Art. IV des Gesetzentwurfs als „äußerst unglücklich und unsachgemäß gefaßt“ an, dies habe einer Zulassungsfähigkeit jedoch nicht entgegengestanden.214 Lucas’ Auffassung sei nicht vertretbar, da es sich bei dem Entwurf zum einen eindeutig um mehr als nur ein Schlagwort gehandelt habe, zum anderen aber grundsätzlich auch weitergefasste „Rahmen- und Grundsatzgesetze“ dem Volksbegehren zugänglich seien. Damit „brauchbare“ Gesetze herauskämen, sei schließlich auch der Reichstag in das Verfahren integriert. Zudem gebe es viele Gesetze, die kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern Programmsätze oder Grundsätze enthielten, die daher zunächst, solange nicht ein weiteres Gesetz erginge, eben „leges imperfectae“ seien.215 Die Frage, was „ausgearbeitet“ bedeutete, war damit in der Staatsrechtswissenschaft noch nicht endgültig geklärt. Nur zwei Jahre später, diesmal im Zusammenhang mit dem Volksbegehren der KPD gegen den Bau von „Panzerkreuzern“ 1928, kam es erneut zu einer fast identischen Auseinandersetzung. Diesmal war es der oben bereits behandelte August Finger, unterstützt durch den Staatsrechtler Carl Bilfinger, der den begehrten Gesetzentwurf, der nur aus dem Satz bestand: „Der Bau von Panzerschiffen und Panzerkreuzern jeder Art ist verboten“ als „nicht ausgearbeitet“ bezeichnete.216 Finger machte als erster Staatsrechtler den Versuch einer „ex negativo“ Definition, was ein „ausgearbeiteter Gesetzentwurf“ in Art. 73 III 2 WRV sein müsse: „Aber nicht jede sinnvolle Verbindung von Worten kann einen Gesetzentwurf bilden; nicht jeder vernünftige Inhalt eignet sich zum Inhalt eines Gesetzes. [ . . . ]. Sätze, an deren Geltung sich keine Rechtsfolgen anschließen, können nicht Inhalt eines Gesetzes und daher auch nicht Gegenstand eines Volksbegehrens oder Volksentscheides sein. Eine Willenserklärung, die sich wie die Äußerung eines von einem Menschen gefassten Vorsatzes, auf Ebd., Sp. 492. Ebd. Lucas folgerte alternativ, dass man den Gesetzentwurf auch als verfassungsändernd hätte ansehen könne. Da er aber die seiner Auffassung nicht änderbaren Art. 73 II und III WRV geändert hätte, sei der Gesetzentwurf auch bei dieser Sichtweise unzulässig gewesen. 214 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 171. 215 Ebd. S. 172. 216 August Finger, Das Volksbegehren „Panzerkreuzer – Verbot.“, in: DJZ 33 (1928), Sp. 1369 – 1372; Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff, S. 416 – 417, 434 – 435. 212 213

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

eigenes Verhalten bezieht, kann nicht Inhalt eines Gesetzes sein. Daran darf nicht irre machen, dass wir derartige Monologe, derartige Thesen, wie etwa ,die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei‘, ,das Eigentum wird gewährleistet‘ – in den Verfassungen finden. Dies hängt zusammen mit der besonderen Beziehung der Verfassungsgesetzgebung zur einfachen Gesetzgebung. Es darf aber auf einfache Gesetze nicht übertragen werden, was für Verfassungsgesetze gilt, was dort Sinn und Zweck hat“.217

Finger war zudem der Auffassung, dass der von der KPD „begehrte Satz“ auch deshalb kein Gesetzentwurf sei, weil er keine Ermächtigung, keine Regelung von Beziehungen von Menschen zum Staat, sondern schlicht ein politisches Ziel enthalte. Das Aufstellen von Zielen aber sei Sache der Politik und könne in dieser Form nicht in ein Gesetz gegossen werden.218 Wieder war es Georg Kaisenberg, der Finger widersprach. Aus dem KPD-Gesetzentwurf gegen den Bau von Panzerkreuzern 1928 hätten sich, so Kaisenberg, sehr wohl Rechtsfolgen ergeben. Fingers Definition lasse zudem außer acht, dass grundsätzlich auch allgemeine Organisationsgesetze volksbegehrensfähig seien. Das Verbot zum Bau von Kriegsschiffen sei nichts anderes als ein negatives Organisationsgesetz, das man als eine Novelle zum Reichswehrgesetz ansehen könne.219 Kaisenberg selbst legte die Worte „ausgearbeitetes Gesetz“ in Art. 73 III S. 2 WRV in folgender Weise aus: „Einem Volksbegehren muß ein Gesetzentwurf in ausgearbeiteter Form zugrunde gelegt werden. [ . . . ]. Es genügt nicht, daß nur Schlag- oder Stichworte oder Programmsätze eingereicht werden. Rahmengesetze, Grundsatzgesetze sind dem Volksbegehren nicht entzogen. Dem Erfordernis des ausgearbeiteten Gesetzentwurfs wird dadurch Rechnung getragen, daß die zu regelnde Materie in die Form eines Gesetzes gekleidet wird“.220

Für Kaisenberg war der „ausgearbeitete Gesetzentwurf“ eine vor allem formelle Voraussetzung. Mit dieser zweiten Stellungnahme Kaisenbergs endete die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage endgültig. Finger, Volksbegehren „Panzerkreuzer-Verbot“, Sp. 1370. Finger sah in dem Gesetzentwurf insofern auch einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Der begehrte Satz würde seiner Meinung nach zudem auch noch fehlleiten, weil der Normadressat eines solchen Gesetzes nicht die Regierung sein könne, was hier gewollt sei: „Die Regierung ist ein Organ, sozusagen ein Exponent des Staates, seiner Willensbildung. Sie bringt mit ihren Handlungen, [ . . . ], den jeweiligen Staatswillen zum Ausdruck. Es gibt keinen staatlichen Willen jenseits des Willens staatlicher Organe. [ . . . ]. Der Satz: ,Der Bau etc. . .‘, bedeutet, auch wenn er durch Volksentscheid festgelegt wird, nicht ein Jota mehr als die Erklärung: ich der Staat, mache von der Möglichkeit zu bauen keinen Gebrauch; [ . . . ]. Der Satz als solcher bindet den Staat, die Regierung nicht“. Die Folge eines solchen Gesetzes könnte jederzeit durch die Annahme eines Haushaltsplanes beseitigt werden, in dem die ersten Raten für einen Bau enthalten wären. Laut Finger habe die Regierung die Unzulässigkeit des Begehrs sicher auch erkannt, den Antrag aber wohl aus rein politischen Erwägungen zugelassen. Vgl., ebd., Sp. 1371 – 1372. 219 Vgl. Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 208, Fn. 9 unter Bezugnahme auf („Gesetz über Kriegsgerät“ vom 27. 7. 1927, RGBl. I 1927, Nr. 36). 220 Ebd., S. 207. 217 218

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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d) Das Eintragungsverfahren beim Volksbegehren – Die Wahrung des Wahlgeheimnisses nach Art. 125 WRV und strittige Eintragungsformalien Problematisiert wurden in der Staatsrechtswissenschaft im Zusammenhang mit der Eintragung für das Volksbegehren drei Gesichtspunkte.221 Zum einen wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit das Eintragungsverfahren zum Volksbegehren unter den Grundsatz des Wahlgeheimnisses des Art. 125 WRV222 fiel.223 Konkret wurde die Frage im Verlauf des Volksgesetzgebungsverfahren für eine Fürstenenteignung 1926 aktuell, als die Befürworter einer Enteignung schon beim Volksbegehren Kontrollen und individuelle Pressionen durch Gegner der Kampagne beklagten.224 Möglich wurde dies vor allem dadurch, dass die Eintragungslisten offen in den Gemeinden auslagen, und so jeder die anderen Unterschriften einsehen konnte. Es waren vor allem Georg Kaisenberg 1927 und Constantin Angelesco 1933, die das Problem juristisch formulierten, die geübte Praxis aber gleichzeitig als rechtmäßig verteidigten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz der Wahlfreiheit und des Wahlgeheimnisses zwar, wie für den Volksentscheid, grundsätzlich auch für die Eintragung zum Volksbegehren gelten müsse. Er sei jedoch dahingehend durchbrochen, dass die Geheimhaltung bei der Eintragung zum Volksbegehren in eine Liste praktisch nicht möglich und daher auch rechtlich nicht nötig sei. Das Eintragungsverfahren kenne nicht den Begriff der Öffentlichkeit im gleichen Sinne wie bei einer Reichstagwahl nach § 26 RWahlG oder einer Abstimmung nach § 10 VEG.225 Die Räume der Eintragung 221 Bereits in Kap. I A. 6. wurde die nachträgliche Ergänzung des Gesetzes über den Volksentscheid VEG durch die Einführung des § 32 II VEG (vgl. Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes vom 31. 12. 1923, RGBl. I 1924, Nr. 1) dargestellt. Er erlaubte es dem Reichsminister des Inneren, ein zwar zugelassenes, von den Antragstellern aber nicht weiterverfolgtes Eintragungsverfahren zum Volksbegehren einzustellen. Die Einführung des § 32 II VEG war notwendig geworden, als der Reichsbund für Siedlung und Pacht einen am 28. 12. 1922 zugelassenen Gesetzentwurf (Vgl. Reichsanzeiger Nr. 6 vom 8. 1. 1923) zur Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes nicht weiterverfolgte und die Reichsregierung keine Handhabe zur Beendigung des kostspieligen Verfahrens hatte. Diese staatsrechtliche Problematik wurde in der juristischen Wissenschaft mit der Ergänzung des VEG als angemessen gelöst angesehen und nicht weiter diskutiert. Vgl. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (2. Aufl.), S. 9 – 10; Angelesco, consultation directe, S. 323 – 326. 222 Art. 125 WRV: „Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das nähere bestimmen die Wahlgesetze.“ 223 Aktualität erlangte die Frage vor allem durch die Sorge, dass die Gegner des Volksbegehrens durch das öffentliche Auslegen der Listen die Befürworter identifizieren könnten. Diese Sorge war angesichts der in allen Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV beklagten Repressalien der jeweiligen Gegenseite nicht ganz unbegründet. Vgl. Kap. I B. 1. – 6. 224 Vgl. Kap. I B. 1. – 6., Kap. I A. 5. sowie Kap. I B. 3. zur selben Problematik beim Volksentscheid. 225 § 10 VEG: „Die Abstimmungshandlung und die Ermittlung des Ergebnisses sind öffentlich.“

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seien nichts anderes als Diensträume der Behörde mit lebhaftem Publikumsverkehr i. S. d. der §§ 76 III und 77 RStO226, vergleichbar der Situation, in der bei Wahlen nach § 18 II RStO227 die Stimmlisten oder Stimmkarteien zur öffentlichen Einsicht ausgelegt würden.228 Kaisenberg führte zur Unterstützung seiner Auffassung ein Rundschreiben des Reichsinnenministers vom 25. Februar 1926 an, in dem die Nichtanwendbarkeit der §§ 6 und 10 VEG229 für das Eintragungsverfahren erklärt wurde.230 Beide Autoren sahen für das Eintragungsverfahren gleichzeitig aber auch Grenzen der Öffentlichkeit, über die hinaus der Grundsatz des Wahlgeheimnis Pflichten der für die Eintragung zuständigen Gemeindebehörden mit sich brächten. So war für beide eine vollständige, organisierte Überwachung des Eintragungsverfahrens durch Beauftragte der Antragsteller mit dem Wahlgeheimnis und der hoheitlichen Stellung der Gemeindebehörden nicht vereinbar. Während Kaisenberg es aber als unproblematisch ansah, wenn Obleute der Initiatoren auf Wunsch allgemeine Auskünfte über den Fortgang der Eintragung erhielten, plädierte Angelesco insgesamt für eine strenge Haltung der Gemeinden, die diese in der Vergangenheit oft hätten vermissen lassen.231 Im Zusammenhang mit dem Volksbegehren gegen den Young-Plan 1929 tauchte weitergehend die juristische Frage auf, ob ein Stimmberechtigter, der sich in die Listen für das Volksbegehren eingetragen hatte, seine Stimme später noch zurückziehen könne. Die kommunalen Behörden bejahten dies in der Regel. Um die Frage endgültig und einheitlich zu entscheiden, erklärte der Reichsinnenminister in einem Umlauf vom 21. Oktober 1929 den Reichswahlausschuss gemäß § 41 VEG232 zur Prüfung dieser Frage für zuständig. Dieser erklärte die geübte Praxis 226 Vgl. § 76 III S. 1 RStO: „Die Eintragungstage und Eintragungsstunden sind so zu legen, daß alle Eintragungsberechtigten der Gemeinde die Möglichkeit haben, innerhalb der Eintragungsfrist sich in die Listen einzutragen.“ § 77 S. 1 RStO: „In größeren Gemeinden können zur Abwicklung des Geschäfts mehrere Räume bestimmt und mehrere Eintragungslisten gleichzeitig ausgelegt werden.“ 227 § 18 II RStO: „Die Gemeindebehörde hat vor der Auslegung der Stimmlisten oder Stimmkarteien in ortsüblicher Weise bekanntzugeben, wo, wie lange und zu welchen Tagesstunden die Stimmlisten oder Stimmkarteien zu jedermanns Einsicht ausgelegt werden sowie in welcher Zeit und welcher Weise Einsprüche gegen sie erhoben werden können.“ 228 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 174; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 210; Angelesco, consultation directe, S. 334 – 337. 229 § 6 VEG: „Die Abstimmung ist unmittelbar und geheim. Jeder Stimmberechtigte hat eine Stimme.“ § 10 VEG: „Die Abstimmungshandlung und die Ermittlung des Ergebnisses sind öffentlich.“ 230 Rundschreiben des Reichsminister des Inneren vom 25. 2. 1926, zitiert bei: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 173. 231 Ebd. S. 174 – 175; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 211; Angelsesco, consultation direct, S. 337: „Elle auraient du en general, montrer plus de séverité qu’elles ne l’ont fait“.

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mit Beschluss vom 25. November 1929 für rechtmäßig;233 eine Entscheidung, die in der Staatsrechtswissenschaft kontrovers aufgenommen wurde. Während Georg Kaisenberg die Eintragung einer abgegebenen Stimme im Volksbegehren der Stimmabgabe bei einer Wahl gleichstellte, die man schließlich auch nicht zurücknehmen könne,234 schlossen sich Constantin Angelesco und der Tübinger Privatdozent Wilhelm Merk der Auffassung des Reichswahlausschusses an. Sie leiteten ein Stimmrücknahmerecht des einzelnen Stimmberechtigten aus § 32 I VEG ab. Wenn die Rücknahme eines ganzen Zulassungsantrages bis zum Ablauf der Eintragungsfrist ausdrücklich erlaubt sei, müsse dies auch für die einzelne Stimme gelten.235 Im Zusammenhang mit dem Volksbegehren zum Freiheitsgesetz 1929 war zu guter Letzt die Frage streitig, ob die Eintragung von Stimmberechtigten gültig war, die zwar ihre Unterschrift leisteten, die Einzeichnung des Familiennamens in der danebenliegenden Spalte aber unterließen; stattdessen dort nur durch Ausführungszeichen auf die Unterschrift verwiesen. Der Reichswahlausschuss sah dies in einem Beschluss vom 25. November 1929 als nicht ausreichend an und erklärte alle Eintragungen dieser Art für ungültig.236 Diese Auffassung entsprach der Kaisenbergs, der bereits 1926 geschrieben hatte: „Eine Unterschrift liegt nur dann vor, wenn sie eigenhändig abgegeben ist. [ . . . ]. Vielfach wird der Zuname überhaupt nicht ausgeschrieben, sondern durch Anführungsstriche auf die vorhergehende Unterschrift verwiesen. In allen diesen Fällen liegt keine Unterschrift im Sinne des Gesetzes vor“.237

Kaisenberg stützte seine Meinung auf die Auslegung der §§ 27, 35 VEG und § 67 RStO238. Gegen eine solche strenge Handhabung sprach sich der Berliner Richter 232 Vgl. § 41 II VEG: „Der Reichswahlausschuß stellt das Eintragungsergebnis im Reiche fest. Das Gesamtergebnis wird vom Reichswahlleiter im Reichsanzeiger veröffentlicht und dem Reichsminister des Innern mitgeteilt.“ 233 Angelesco, consultation directe, S. 334 – 337. 234 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 173; ders., Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 210. 235 Angelesco, consultation direct, S. 341. Wilhelm Merk (ders., Volksbegehren, S. 119 Fn. 37) nimmt fehlinterpretierend Bezug auf den Beitrag: Georg Kaisenbergs, Kann ein Volksbegehren zurückgezogen werden? Oder einzelne Unterschriften? in: Frankfurter Zeitung vom 7. 11. 1929, Nr. 831. 236 Vgl. Gerhard Simson, Gültige und ungültige Eintragungen zum Volksbegehren, RuPrVBl. Bd. 51 (1930), S. 303 – 305, 303. 237 Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (2. Aufl.), zu § 27 Nr. 2, S. 36. 238 § 35 VEG: „Die Eintragung muß enthalten 1. Vor und Zunamen, bei verheirateten oder verheiratet gewesenen Frauen auch den Geburtsnamen. 2. Stand, Beruf oder Gewerbe, 3. Bezeichnung der Wohnung.“ § 67 S. 1 RStO: „Die Unterzeichner des Zulassungsantrages haben sich in die Unterschriftsbogen eigenhändig sorgfältig und feierlich einzutragen.“

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Gerhard Simson aus.239 Er sah es zwar als richtig an, dass „§ 35 VEG das Ausschreiben des Namens zur Pflicht macht und Anführungszeichen dieser Vorschrift nicht genügen“, für ihn ergab sich daraus jedoch nicht zwangsläufig, dass der Verweis durch Ausführungszeichen auf die Unterschrift die Ungültigkeit der ganzen Eintragung nach sich ziehe. Eine Ungültigkeit der Eintragung könne sich nur aus § 39 VEG, nicht jedoch aus einem Verstoß gegen die bloße Ordnungsvorschrift des § 35 VEG ergeben. § 39 VEG sah vor: „Ungültig sind Eintragungen, die 1. die Person des Eintragenden nicht erkennen lassen, 2. von nicht eintragungsberechtigten Personen herrühren, 3. nicht in vorschriftsmäßige Eintragungslisten gemacht sind.“

Diese Voraussetzungen sah Simson im konkreten Fall jedoch als nicht gegeben an, da vor allem die Person des Eintragenden zweifelsfrei feststellbar sei.240 In einer unmittelbaren Replik auf Simson beharrte Kaisenberg auf seiner Auffassung, dass in diesem Fall eben gar keine Unterschrift vorliege. Außerdem sei es eben insbesondere in Großstädten nicht immer möglich, die Identität des Eintragenden zweifelsfrei festzustellen.241

e) Das Gesetzesprojekt vor dem Reichstag Nach Art. 73 III S. 3 WRV war der im Volksbegehren erfolgreiche Gesetzentwurf „von der Reichsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstage zu unterbreiten“. Die Vorlage gliederte sich in einen Bericht über die Zulassung und den Verlauf des Volksbegehrens sowie vier Anlagen. Diese waren 1. der Entwurf des Gesetzes, 2. das endgültige Festlegung des Eintragungsverfahrens, 3. die Darlegung der Reichsregierung zu dem begehrten Entwurf und 4. eine gutachterliche Äußerung zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des begehrten Entwurfes.242

aa) Die Möglichkeiten des Reichstages im Zwischenverfahren nach Art. 73 III S. 3 WRV und der Streit um § 3 I VEG Dieses dem Volksentscheid vorgeschaltete parlamentarische Zwischenverfahren, über das der Reichsrat nach einhelliger Meinung gemäß Art. 67 WRV243 informiert Simson, Gültige und ungültige Eintragungen zum Volksbegehren, a. a. O. Ebd., S. 304. 241 Georg Kaisenberg, Nachschrift zu Gerhard Simson, Gültige und ungültige Eintragungen zum Volksbegehren, in: RuPrVBl. Bd. 51 (1930), S. 304 – 305. 242 Vgl. am Bsp. der Vorlage zum Gesetzentwurfes zur Fürstenenteignung in: RTDrS. 1926, Nr. 2229; Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 176. 239 240

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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werden musste,244 sollte in erster Linie dem Reichstag die Chance geben, dem Volkswillen zu folgen und den Gesetzentwurf in der begehrten Form anzunehmen.245 Tat er dies, dann entfiel nach Art. 73 III S. 4 WRV bzw. § 1 I Nr. 3 VEG246 der Volksentscheid. In der Praxis konnte der Reichstag den begehrten Gesetzentwurf aber auch einfach nur mehrheitlich ablehnen, was er 1926 (Fürstenenteignung) und 1929 (Young-Plan) tat.247 Die dritte Möglichkeit, die Ausgangspunkt für staatsrechtliche Auseinandersetzungen war und auf die hier ausführlicher eingegangen werden soll, ergab sich aus den § 1 I Nr. 3, 2. Halbsatz und § 3 I VEG. § 1 I Nr. 3, 2. Halbsatz VEG sah einen Volksentscheid auch dann vor, wenn der Reichstag das begehrte Gesetz „nicht unverändert“ annahm.248 Daraus ergab sich, dass der Reichstag auch die Möglichkeit hatte, das begehrte Gesetz abzulehnen und ein abweichendes oder völlig anderslautendes Gesetz zu verabschieden.249 Ein abweichendes Gesetz konnte hierbei auch durch Änderungen am durch Volksbegehren eingebrachten Gesetzentwurf entstehen. § 3 I VEG lautete: „Gegenstand des Volksentscheids ist im Fall des § 1 I Nr. 3 das begehrte und ein vom Reichstag beschlossenes abweichendes Gesetz“.

Unumstritten waren in diesen Fällen zwei Gesetzentwürfe Gegenstand des Volksentscheides. Damit, sowie mit der Feststellung, dass der Gesetzgeber durch 243 Art. 67 WRV: „Der Reichsrat ist von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem laufenden zu halten. Zu Beratungen über wichtige Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse des Reichsrates zugezogen werden.“ 244 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 21 – 23; Angelesco, consultation directe, S. 355, 357. Eine formale Vorlage des Gesetzes vor den Reichsrat nach Art. 69 WRV wurde abgelehnt, da es sich in diesem Fall nicht um eine Gesetzesvorlage der Reichsregierung handelte. (Vgl. Art. 69 WRV: „Die Einbringung von Gesetzesvorlagen bedarf der Zustimmung des Reichsrates. Kommt eine Übereinstimmung zwischen der Reichsregierung und dem Reichsrat nicht zustande, so kann die Reichsregierung die Vorlage gleichwohl einbringen, hat aber hierbei die abweichende Auffassung des Reichsrates darzulegen. [ . . . ].“) 245 Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 366 – 367, der in dem Zwischenverfahren vor dem Reichstag gleichzeitig aber auch ein „considérable privilège“ sah, das diesem großen Einfluss gewähre. 246 § 1 I Nr. 3 VEG: „Der Volksentscheid findet statt, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten unter Zugrundlegung eines ausgearbeiteten Entwurfs seine Vorlegung begehrt hat und der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag nicht unverändert angenommen worden ist (Art. 73 III der Reichsverfassung).“ 247 Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 20) sah eine Ablehnung eines Gesetzesprojektes durch den Reichstag auch dann als gegeben an, wenn der Reichstag die Bearbeitung des Volksbegehrten willkürlich über eine Wahlperiode hinaus verzögerte. Eine Bearbeitungsfrist für den Reichstag sah das VEG nicht vor. 248 § 1 I Nr. 3 VEG: „Ein Volksentscheid findet statt, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten unter Zugrundelegung eines ausgearbeiteten Entwurfs seine Vorlegung begehrt hat und der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag nicht unverändert angenommen worden ist (Art. 73 Abs. 3 der Reichsverfassung).“ 249 Vgl. auch Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 212.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

§ 3 I VEG wirksam die Verfassung ergänzt habe, die selber einen Volksentscheid über sowohl einen volksbegehrten als auch einen vom Reichstag beschlossenen Gesetzesentwurf zur gleichen Zeit nicht vorsah,250 endete der Konsens über § 3 I VEG jedoch auch schon. Streitig waren sowohl die Intention des Gesetzgebers bei Verabschiedung der Norm, als auch die Folgen für die Verfassungswirklichkeit. Fritz Stier-Somlo, Max Fetzer, Karl Löwenstein, der Berliner Ministerialrat Lucas, wie auch der Hamburger Regierungsdirektor Hartmann, sahen in § 3 I VEG einen Irrtum des Gesetzgebers. Dieser habe nicht erkannt, dass er damit die Verfassung ändere. Dass die Verfassung selber einen Volksentscheid über einen unmittelbaren Gesetzesbeschluss des Reichstages außerhalb der geregelten Einleitungsverfahren nicht gewollt und auch nicht vorgesehen habe, sei vom Gesetzgeber schlicht übersehen worden.251 Georg Kaisenberg und Rudolf Liepmann sahen § 3 I VEG dagegen als bewusste Ergänzung der Verfassung durch den Gesetzgeber. In Kenntnis der Ergänzung sei das VEG deshalb mit einer verfassungsändernden Mehrheit beschlossen worden.252 Die Frage, welche die richtige Auslegung des § 3 I VEG war, welche Rechtsfolgen diese Vorschrift entfaltete, hing in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft eng mit der Frage nach der Rechtsnatur des Volksentscheides zusammen, auf die vorangehend unter A. 1. b) bereits eingegangen worden ist. Die Autoren Liepmann und Lucas gingen grundsätzlich davon aus, dass das Volk im Volksentscheid keinen eigenen Gesetzbeschluss fasse, sondern nur einen Gesetzesbeschluss des Reichstages im Fall einer Meinungsverschiedenheit sanktioniere.253 Entscheidendes Beschlussgremium bleibe immer der Reichstag. Für Liepmann folgte hieraus, dass der Reichstag immer dann, wenn er das Gesetz nicht annehme, einen Alternativvorschlag machen müsse. Er war der Auffassung, dass der Reichstag einen Gesetzentwurf nicht einfach so ablehnen dürfe, um sich dann, ohne Alternative für das Volk, aus der Verantwortung zurückzuziehen. Dies habe der Gesetzgeber mit § 3 I VEG im Sinne des Verfassungsgebers regeln wollen. Die 1926 und 1929 vom Reichstag geübte Praxis, das „volksbegehrte“ Gesetz einfach nur abzulehnen, war für ihn deshalb verfassungswidrig. Ein weiterer Vorteil seiner Auslegung des § 3 I VEG sei, so Liepmann, dass die Möglichkeit eines Abstimmungsboykotts nicht mehr bestünde, da sich das Volk bei einer Pflicht des Reichstages zum Beschluss Vgl. Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 12 m. w. N. Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 529 – 530; Fetzer, Referendum, S. 42; Lucas, Reichstagsbeschluß zwischen Volksbegehren und Volksentscheid, Sp. 530 – 534. Er verwies als Argument auf die schriftliche Begründung zum VEG; Hartmann, Die erforderliche Beteiligungsziffer beim Volksentscheid, in: RuPrVwBl. Bd. 51 (1930), S. 227 – 228, 228; Karl Löwenstein, Erscheinungsformen der Verfassungsänderung, Verfassungsrechtsdogmatische Untersuchungen zu Art. 76 der Reichsverfassung, Tübingen 1931, S. 131. 252 Vgl. Liepmann, Volksentscheid, S. 608; Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 176 – 178. 253 Dies widersprach allerdings der zu diesem Zeitpunkt bereits weithin h. M. Vgl. Kap. II A. 1. sowie: Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 12. 250 251

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eines eigenen Gesetzesentwurfs zwischen zwei Alternativen entscheiden könne, und auch bei mangelnder Beteiligung ein Gesetz in Kraft trete.254 Lucas kam über dieselbe Betrachtung des Volksentscheids zum Ergebnis, dass das Volk zumindest nicht die Wahl zwischen einem Reichstags-Gesetzentwurf, einem Volksbegehr-Gesetzentwurf und gar keinem Gesetz haben dürfe. Es dürfe als „Schiedsrichter“ nur zwischen ersteren beiden Gesetzesentwürfen wählen, nicht aber beide ablehnen und damit eine völlig eigenständige, negative Gesetzesentscheidung treffen. Für Lucas folgte aus der reinen Schiedsrichterrolle des Volkes weitergehend, dass Änderungen im Reichstag an einem durch Volksbegehren gewünschten verfassungsändernden Gesetz auch verfassungsändernder Mehrheiten im Parlament bedürften. Es sei nicht möglich, dass der Reichstag ein verfassungsänderndes Gesetzesprojekt mit einfacher Mehrheit abändere, und erst das Volk in einer Entscheidung gegen den ursprünglichen und für den abweichenden Gesetzentwurf diesen „Mangel“ mit einer verfassungsändernden Mehrheit nach Art. 76 I 4 WRV „heile“. Es sei im Ergebnis immer nur der Reichstag, der ein Gesetz beschließe, selbst in dem Fall, dass danach noch das Volk entscheide.255 Lucas bezog sich mit dieser Feststellung 1926 auf konkrete Auseinandersetzungen im Reichstag nach dem erfolgreichen Volksbegehren zur Fürstenenteignung. Hier hatten drei Gruppierungen Änderungsanträge zum begehrten Gesetzentwurf gestellt,256 bei deren Erörterung im Plenum die Meinung vertreten wurde, dass der Reichstag, wenn er Änderungen an dem begehrten Gesetz vornehme, kein Gesetz im staatsrechtlichen Sinne beschließe. Der eigentliche Gesetzgebungsakt liege in der Abstimmung des Volkes. Änderungsanträge im Reichstag seien daher mit einfacher Mehrheit angenommen, auch wenn das Gesetz verfassungsändernd sei oder durch die Änderungsanträge werde.257 Die Reichsregierung widersprach und vertrat, vom Ergebnis her wie Liepmann und Lucas, den Standpunkt, dass neben dem begehrten Gesetz ein zweites Gesetz nur dann mit zur Abstimmung gestellt werden könnte, wenn ein echter Gesetzesbeschluss des Reichstages vorliege. Ob dies der Fall sei, richte sich nach 254 Vgl. Liepmann, Volksentscheid, S. 610 – 616. Aus diesen Gründen sei § 3 I VEG auch mit einer verfassungsändernden Mehrheit beschlossen worden. Zum Problem des Abstimmungsboykotts und Art. 75 WRV vgl. auch Abschnitt A. 5. und B. 3. diesen Kapitels. 255 Vgl. Lucas, Reichstagbeschluss zwischen Volksbegehren und Volksentscheid, Sp. 536 – 539. Er folgerte aus seiner Auslegung zudem, dass der Reichsrat bei Änderungen immer am Verfahren beteiligt werden müsse und nicht nur in dem Fall ein Einspruchsrecht habe, dass der Reichstag das durch Volksbegehren begehrte Gesetz so annehme. Letzteres war die h.M. Vgl. Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehren, S. 218. 256 Der Änderungsantrag RTDrS. 1926, Nr. 2234 stammte von Koch-Weser und Genossen. Die Abgeordneten von Graefe, Frick und Genossen wünschten mit einem Antrag (RTDrS. 1926, Nr. 2232) die Änderung des Gesetzes in ein „Gesetz über Enteignung des Vermögens der Bank- und Börsenfürsten und anderer Volksparasiten“ und mit einem zweiten (RTDrS. 1926, Nr. 2235) die Erklärung der Unzulässigkeit des Begehrs zur Fürstenenteignung. Der Antrag (RTDrS 1926, Nr. 2236) von Guérard und Genossen war unklar und eigentlich auf eine Kompromisslösung der Vermögensfrage hin gerichtet. 257 Diese Auffassung fand auch in der wissenschaftlichen Literatur Anhänger. Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 24.

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den Regeln über das verfassungsmäßige Zustandekommen von Gesetzesbeschlüssen. Sei das Gesetz abweichend verfassungsändernd, so müsse mit den Mehrheiten des Art. 76 RV beschlossen werden.258 Diese Auffassung der Reichsregierung wurde von Ministerialrat Georg Kaisenberg erarbeitet und später von ihm wissenschaftlich in dem Beitrag „Die Volksgesetzgebung nach Reichsrecht“ verteidigt: „Angenommen die Änderungsbeschlüsse des Reichstages, die eine Verfassungsänderung bedeuten, würden mit einfacher Mehrheit im Reichstag angenommen sein, dann könnten diese Reichstagsbeschlüsse im Volksentscheid nur umgestoßen werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt (Art. 75 RV). Wird diese Mehrheit in der Volksabstimmung nicht erreicht, so verbleibt es beim Reichstagsbeschluss, der aber nicht als Gesetzesbeschluss verkündet werden könnte, da er nicht mit den für die Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheiten verabschiedet ist. Das Recht der Volksgesetzgebung ist nach der Reichsverfassung der sekundäre Gesetzgebungsweg im Gegensatz zum ordentlichen oder primären Gesetzgebungsrecht des Reichstag.“

Das ergebe sich, so Kaisenberg, aus den Art. 73 III S. 4, dem Vorbehalt des Art. 73 IV RV, Art. 75 RV sowie grundsätzlich aus der gesamten Konstruktion des Volksgesetzgebungsrechts.259 Da im Ergebnis der Reichstag 1926 den Gesetzentwurf ohne Änderungen ablehnte, wurde und musste diese Frage in der Praxis nicht endgültig geklärt werden.

bb) Die Theorie von der Gefahr einer kollusiven Zusammenarbeit von Reichstag, Reichsrat und Reichspräsident in der Staatsrechtswissenschaft Insbesondere in den frühen wissenschaftlichen Beiträgen Heinrich Triepels (1920), Max Fetzers (1922), Erich Martens (1924) oder Johann Stephan Contellys (1920), aber auch noch 1930 durch Werner Hartwig, wurde theoretisch die Gefahr gesehen, dass der Reichstag die ihm im Zwischenverfahren gegebenen Möglichkeiten nutzen könnte, um im Zusammenwirken mit Reichsrat und Reichspräsidenten das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV auszuhebeln.260 Möglich sei dies dadurch, dass der Reichstag den begehrten Gesetzentwurf annehme, 258 Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1926, Protokoll des 13. Ausschusses – Rechtspflege – (81. Sitzung vom 4. 5. 1926), S. 3 f.; Verhandlungen des Reichstages 1926, Stenographische Berichte, Bd. 390 (195. Sitz. vom 6. 5. 1926), S. 7028 f. Gestritten wurde in dieser Sitzung auch darüber, ob es für den Stimmberechtigten im Volksentscheid eine Alternativabstimmung oder auch ein Eventualabstimmung geben solle, wenn mehrere Vorschläge vorlägen. Letzteres wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass die Eventualabstimmung keinen Ausdruck im Gesetz finde und außerdem zu kompliziert sei. Vgl. auch Schwalb, Die Hilfsfrage, Eventualabstimmung bei Volksentscheiden, in: Vossische Zeitung vom 22. 5. 1926, Nr. 239; ders., Ein Ausweg, in: Vossische Zeitung vom 21. 4. 1926, Nr. 186. 259 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 177 – 178. 260 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 520 – 521; Fetzer, Referendum, S. 60; Martens, Volksbegehren, S. 72 – 74; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 49; Hartwig, Volksbegehren, S. 22 – 23.

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der Reichsrat nach Art. 74 I WRV gegen den Gesetzesbeschluss Einspruch einlege, der Reichstag diesen Einspruch nur mit einfacher und nicht Zweidrittelmehrheit i. S. d. Art. 74 III S. 4 WRV überstimme und der Reichspräsident es dann unterlasse, nach Art. 74 III S. 3 WRV, einen Volksentscheid anzuordnen.261 In diesem Fall sei das Gesetz gescheitert, ohne dass es zu einem Volksentscheid gekommen sei. Die praktische Gefahr eines solchen Vorgehens wurde jedoch bereits von den Wissenschaftlern selbst als eher gering eingeschätzt. Nicht nur, dass es ihrer Auffassung eines „ungewöhnlichen Raffinements der dem Begehr abgeneigten Reichstagsmehrheit“ und einer „starken Anspannung der Parteidisziplin bei der Abstimmung“ bedürfte.262 Sie sahen in der Regel auch eine Pflicht des Reichspräsidenten als Obmann der Volksinteressen, in einer solchen Situation einen Volksentscheid nach Art. 74 III S. 4 WRV oder Art. 73 I WRV anzuordnen.263 In der Praxis hat diese theoretisch mögliche Vorgehensweise der Staatsorgane zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt.

f) Der Volksentscheid und die Kompetenz des Wahlprüfungsgerichts bei der Ergebnisfeststellung Wie bereits in Abschnitt A. 1. a) dieses Kapitels dargestellt, erfolgte im auf das Zwischenverfahren folgenden Volksentscheid die Weitergabe der von den Wahlbüros ermittelten Stimmen zunächst an den Abstimmungsausschuss des Abstimmungsbezirkes, von denen es insgesamt fünfunddreißig im Reich gab. Das Abstimmungsergebnis wurde von den Stimmbezirken (§ 20 VEG) an den Reichswahlausschuss weitergeleitet, der das Ergebnis feststellte. Dieses wiederum wurde nach § 22 VEG264 vom Wahlprüfungsgericht überprüft. Erst dann wurde das Endergebnis des Volksentscheids vom Reichswahlleiter im Reichsanzeiger veröffentlicht.265 Eine gerichtliche Überprüfung des Ergebnisses eines Volksentscheides durch den Staatsgerichtshof war nicht möglich. Unklar bzw. gesetzlich nicht eindeutig geregelt war, ob die Überprüfung des Abstimmungsergebnisses durch das Wahlprüfungsgericht die explizite Feststellung der Erfolglosigkeit des Volksentscheids beinhaltete oder nicht. Georg Kaisenberg trennte zwischen der formalen Ergebnisfeststellung und der Feststellung, ob der Volksentscheid Erfolg gehabt hatte oder nicht: „Das Prüfungsrecht des Wahlprüfungsgerichts erstreckt sich darauf, ob die Vorschriften über die Durchführung des Volksentscheids, insbesondere über die Besetzung der Abstimmungsvorstände und ihre Beschlussfassung über Gültigkeit Vgl. Gesetzestextangaben unter Kap. II A. 2. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 520 – 521. 263 Fetzer, Referendum, S. 60; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 49, 39; Hartwig, Referendum, S. 22 – 23. 264 § 22 VEG: „Nach der Feststellung durch den Reichswahlausschuß prüft das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag das Abstimmungsergebnis.“ 265 Vgl. §§ 140 – 142 RStO. 261 262

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und Ungültigkeit von Stimmzetteln, Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses und der Abstimmungsfreiheit richtig angewendet worden sind. Nicht aber steht dem Wahlprüfungsgericht eine Entscheidung darüber zu, ob ein Gesetzesbeschluss zustande gekommen ist oder nicht. Diese Folgerung zu ziehen, obliegt vielmehr der Reichsregierung.“266 In der Praxis folgte das Wahlprüfungsgericht dieser formalistischen Trennung nicht. Es nahm vielmehr sowohl 1926 als auch 1929 das Recht für sich in Anspruch, nicht nur über die bloße Stimmzahl zu entscheiden, sondern auch das gesetzgebungstechnische Scheitern des Volksentscheid anhand der Mehrheitserfordernissen des Art. 75 WRV267 festzustellen.268 Dieses Vorgehen stieß auf Kritik, namentlich bei dem Frankfurter Oberlandesgerichtsrat Brandis wie auch bei Gerd Günther Hansen. Beide beharrten auf einer Unterscheidung zwischen der Feststellung „gültig oder ungültig“ und der Feststellung „erfolgreich oder ergebnislos“ und sahen letztere als von der Kompetenz des Wahlprüfungsgerichts nicht mit umfasst an.269 Beide stützen sich in ihrem Urteil auf den Wortlaut des VEG und der Reichsstimmordnung, insbesondere die §§ 22 – 24 VEG270 und § 153 RStO. Letztere bestimmte: „Das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag prüft das Abstimmungsergebnis und entscheidet über die Gültigkeit der Abstimmung“.

Brandis und Hansen sahen die Kompetenz zur Anwendung des Art. 75 WRV und damit zur Feststellung des Erfolgs oder Misserfolgs eines Volksentscheids alleine beim Reichspräsidenten oder aber der Reichsregierung. Weitergehend forderten sie ein Rechtsmittel beim Staatsgerichtshof in dieser Sache.271 In der Verfassungswirklichkeit zeigte ihre Kritik keinerlei Wirkung.272 Nicht einmal Georg Kaisenberg ist in einem seiner späteren Beiträge auf sie eingegangen, sondern hat einfach seine vorherige gleichlautende Sichtweise der politischen Realität angepasst.273

266 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 183; vgl. auch: ders., Volksentscheid und Volksbegehren (2. Aufl.), zu § 22. 267 Art. 75 WRV: „Durch den Volksentscheid kann ein Beschluss des Reichstages nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt.“ 268 Vgl. Georg Kaisenberg, Neue Rechtsprechung des Wahlprüfungsgerichts beim Reichstag, mitgeteilt vom Ministerialrat im Reichsministerium des Inneren, Reichsbeauftragter für das Wahlprüfungsverfahren, in: RuPrVwBl Bd. 50 (1929), S. 419 – 420. 269 Brandis, Zuständigkeit des Wahlprüfungsgerichts beim Volksentscheid, in: DJZ 34 (1929), Sp. 1653 – 1656, 1655; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 57. 270 Vgl. vor allem § 22 VEG: „Nach der Feststellung durch den Reichswahlausschuß prüft das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag das Abstimmungsergebnis.“ 271 Brandis, Zuständigkeit des Wahlprüfungsgerichts, S. 1656; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 59. 272 Ursache für die geringe Wirkung mag auch gewesen sein, dass die Wissenschaft die Frage nicht als besonders wichtig ansah. Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 379. 273 So hat Kaisenberg (vgl. ders, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 215) 1930 nur noch formuliert: „Das Wahlprüfungsgericht prüft das Abstimmungsergebnis und ent-

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5. Art. 75, Art. 73 IV, Art. 76 I S. 4 WRV und sonstige verfassungsrechtliche Hürden und Schranken der Volksgesetzgebung Neben den sich aus der jeweiligen Norm ergebenden individuellen Voraussetzungen der einzelnen Volksgesetzgebungsverfahren gab es übergeordnete, für alle oder zumindest mehrere Initiativwege geltende „Hürden“ oder „Schranken“. Sie mussten für einen Erfolg im Volksentscheid übersprungen werden oder schlossen einen Volksentscheid bzw. ein Volksbegehren sogar von vorneherein aus. Diese in der Weimarer Verfassungspraxis sehr folgenreichen und daher auch sehr umstrittenen Einschränkungen der Volksgesetzgebung sind Gegenstand dieses Abschnitts. Der Aufbau folgt dabei der praktischen Bedeutung und beginnt mit dem Beteiligungsquorum des Art. 75 WRV [a)] und dem „Finanzvorbehalt“ des Art. 73 IV WRV [b)]. An diesen „Hürden“ bzw. „Schranken“ scheiterten fast alle Versuche einer Volksgesetzgebung in der Weimarer Republik. Der darauf folgende Unterabschnitt [c)] behandelt die wissenschaftliche Auseinandersetzungen über die Möglichkeit einer Verfassungsänderung durch Volksentscheid und die damit zusammenhängende Beteiligungshürde des Art. 76 I S. 4 WRV. Zu guter Letzt wird auf sonstige in der Literatur diskutierte Schranken der Volksgesetzgebung eingegangen [d)].

a) Art. 75 WRV und die Frage des positiven oder negativen Reichstagsbeschlusses – Die Vormacht des Parlamentarismus und die Möglichkeit des Abstimmungsboykotts Für fast alle Initiativen der Volksgesetzgebung galt die Regelung des Art. 75 WRV, der bestimmte: „Durch den Volksentscheid kann ein Beschluß des Reichstages nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt.“

aa) Verfahren, praktische Relevanz und Entstehungsgeschichte Die Regelung des Art. 75 WRV, die sich gleichlautend in § 21 II VEG wiederfindet, bedeutete, neben den Quoren im Volksbegehren und für eine Verfassungsänderung nach Art. 76 WRV, die entscheidende Beteiligungshürde für die Volksgesetzgebung. Sie war in dem Fall zu überwinden, dass sich das Volk, unabhängig scheidet über die Gültigkeit der Abstimmung (§ 22 VEG, § 152, 153 RStO). Das Prüfungsrecht des Wahlprüfungsgerichts umfasst auch die Frage nach der Qualifikation der abgegebenen Stimmen im Hinblick darauf, ob sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt hat (Art. 75 WRV, § 21 II VEG) oder bei Verfassungsänderungen durch Volksentscheid, ob die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten vorliegt (Art. 76 I 4 RV, § 21 III VEG).“

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

von der Art des Volksgesetzgebungsverfahrens, über den ausdrücklichen Willen des Reichstages hinwegzusetzen versuchte. Wollte es, dem Wortlaut folgend, per Volksentscheid „einen Beschluß des Reichstages außer Kraft setzen“, musste mehr als die Hälfte der in der Weimarer Republik lebenden ca. 44 Millionen Stimmberechtigten, also mindestens ca. 22 Millionen Menschen an der Abstimmung teilnehmen – unabhängig davon, ob sie für oder gegen den Entwurf stimmten. Seine eigentliche Wirkung entfaltete Art. 75 WRV in der Praxis im Zusammenspiel mit einem Abstimmungsboykott der Gegner des zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes. Riefen sie dazu auf, der Abstimmung fernzubleiben, war die Chance groß, dass die Befürworter des Gesetzentwurfes an der Beteiligungshürde von 50% scheiterten. Alle nichtteilnehmenden Stimmen und damit indirekt auch alle Stimmen der Nichtwähler wurden durch den Boykott der Gegner zu NeinStimmen. Sowohl im Volksentscheid für eine Enteignung der Fürsten 1926 als auch im Volksentscheid für das „Freiheitsgesetz“ 1929 führte diese Taktik zum Erfolg. Beide und damit alle Volksentscheide auf Reichsebene in der Weimarer Republik scheiterten an Art. 75 WRV.274 Wie bereits in Kap. I A. dargestellt, wurde Art. 75 WRV erst sehr spät im Laufe der Verfassungsentstehung eingefügt. Erst in der dritten Lesung des Verfassungsentwurfes am 31. Juli 1919, in der 71. Sitzung der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, stellten die Abgeordneten Dr. Beyerle (Zentrum), Katzenstein (SPD) und Waldstein (DDP) den Antrag auf Aufnahme dieser Regelung in die Verfassung.275 Der Abgeordnete Waldstein begründete den Antrag hierbei damit, „dass es nicht möglich ist, dieser Entscheidung Kraft zu gewähren auch dann, wenn vielleicht an dem Volksentscheid nur eine ganz kleine Minorität des Volkes sich beteiligt hat. Denn hinter dem Reichstag steht der ihm vom ganzen Volk erteilte Auftrag. [ . . . ]. Daraus ergibt sich für uns die Forderung, dass, wenn durch Volksentscheid der Wille des Reichstages außer Kraft gesetzt werden soll, wenigstens eine starke Beteiligung beim Volksentscheid stattfindet, die wir auf mindestens die Hälfte des Volkes bemessen haben“.276

Der überparteiliche Antrag wurde angenommen. Ein Antrag des SPD Abgeordneten Keil, der eine niedrigere Hürde als das im Ergebnis in Art. 75 WRV aufgenommene 50 % Quorum vorschlug, fand keine Mehrheit. Unwahrscheinlich ist, dass die Verfassungsväter bei der Schaffung des Art. 75 WRV an die Möglichkeit eines Abstimmungsboykotts gedacht haben.

274 275 276

Vgl. Kap. I B. 3. und 5. RTDrS 1919, Nr. 738. Zitiert nach: Katzenstein, Verfassungsrechtliche Streitfragen, S. 592 – 597.

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bb) Der Streit um die richtige Auslegung des Art. 75 WRV – Die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Reichstagsbeschluss angesichts der Taktik des Abstimmungsboykotts Der Art. 75 WRV hat insgesamt in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Staatsrechtswissenschaft auf sich gezogen.277 Die Entwicklung der wissenschaftlichen Positionen stand hierbei in engem Zusammenhang mit den konkreten Volksgesetzgebungsverfahren 1926 und 1929.278 Vor 1926 äußerte die Weimarer Staatsrechtswissenschaft einhellig, dass Art. 75 WRV dahingehend auszulegen sei, dass er jeden Beschluss des Reichstages betreffe. Unter das in Art. 75 WRV statuierte Quorum von 50% der Stimmberechtigten fielen also insbesondere auch Beschlüsse, mit denen der Reichstag durch ein erfolgreiches Volksbegehren vorgelegte Gesetzesentwürfe ablehnte – die Konstellation, in der dann 1926 und 1929 die Volksentscheide scheiterten. Der Konsens ging hierbei von anerkannten Staatsrechtlern wie Heinrich Triepel, Gerhard Anschütz, Friedrich Giese, Heinrich von Jan, Fritz Poetzsch-Heffter über die eher unbekannteren Dissertationen von Günther Löwisch, Johann Stephan Contelly, Adolf Inhoffen, Hermann Schulte bis hin zu den ausgewiesenen Kritikern und Gegner der Weimarer Verfassung Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Leo Wittmayer oder Conrad Bornhak.279 Begründung dieser Auslegung, soweit eine in den staatsrechtlichen Beiträgen gegeben wurde, war hierbei in der Regel ein kurzer Verweis auf den Wortlaut oder den allgemeinen Vorrang des Reichstags vor den anderen Staatsorganen.280 Die Problematik eines Abstimmungsboykotts erkannten die Autoren in der Regel nicht. Einzig Günther Löwisch ging 1922 in seiner Dissertation „Volksentscheid und Volksbegehren und Volksentscheid und ihre Ausgestaltung in der neuen deutschen Reichsverfassung“, wenn auch nur indirekt, auf diese Frage ein. Seiner Auffassung nach lag Art. 75 WRV der Rechtssatz „qui tacet consentire videtur“ zugrunde. In der Situation, dass sich zwar die Mehrheit der Abstimmenden gegen den ablehnenden Beschluss des Reichstag entscheide, das Beteiligungsquorum aber nicht erreicht werde, statuiere Art. 75 WRV in berechtigter Weise, dass sich die große Mehrheit der Nichtstimmenden auf die Seite des Reichstages gestellt habe, womit der Volksentscheid gescheitert sei. Zumindest 277 Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 16) hielt sie zu Recht für die folgenschwerste Bestimmung der Weimarer Volksgesetzgebung. 278 Vgl. Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 216 – 217. 279 Triepel, Weg der Gesetzegebung, S. 501; Anschütz, Verfassung, Berlin 1921, zu Art. 75, Nr. 2 (S. 136); Giese, Verfassung (3. Aufl.), zu Art. 75, Nr. 2 (S. 196); Heinrich von Jan, Wahlrecht und Volksabstimmungen, in: JöR 10 (1921), S. 177 – 221, 198; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, Berlin 1920, S. 85; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 29; Inhoffen, Volksinitiative, S. 104; Hermann Schulte, Das Volksreferendum, Diss. jur., Köln 1923, S. 132 – 133; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 228; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 434; Bornhak, Grundriß, S. 143. Vgl. auch Fetzer, Referendum, S. 43; Finger, Staatsrecht, S. 376. 280 Vgl. ebd.; Katzenstein, Verfassungsrechtliche Streitfragen, S. 592 – 597.

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eine Gleichsetzung von Nichtbeteiligung und Nein-Stimme hielt er also für unproblematisch. Hintergrund dieser Auffassung war ein Verfassungsverständnis mit einer besonders hervorgehobenen Stellung und Autorität des Reichstages im Gesamtverfassungsgefüge. Es bedürfe deshalb, so Löwisch, einer wirklich überwältigenden Abstimmung durch das Volk, um den Reichstag „zu desavouiren“.281 Im Zusammenhang mit dem wegen Art. 75 WRV gescheiterten Volksentscheid282 zur Fürstenenteignung 1926 wurde diese bis dahin einhellige Auslegung erstmals von dem ehemaligen SPD-Abgeordneten der Verfassungsgebenden Nationalversammlung Max Quarck in einem Beitrag in der Frankfurter „Volksstimme“ in Frage gestellt. Er widersprach nur wenig verklausuliert einer Anwendbarkeit des Art. 75 WRV in dem Fall, dass der Reichstag einen volksbegehrten Gesetzesentwurf ablehne und äußerte konkret zum Volksentscheid gegen die Fürsten: „In Wahrheit haben wir mit unseren 15 Millionen Ja verfassungsmäßig gewonnen und gesiegt, und der Reichspräsident müsste das durch fast die Hälfte der deutschen Wählerschaft angenommene Enteignungsgesetz im Gesetzblatt verkünden“.283 Diesem Protest widersprach Simon Katzenstein, ebenfalls ehemaliger SPD-Abgeordneter der Verfassungsgebenden Nationalversammlung und Mitverfasser des Antrages zur Einfügung des Art. 75 WRV. Die Regelung sei im Entstehungsprozess von Beginn an auf alle Beschlüsse des Reichstages bezogen gewesen und der Protest seines Parteigenossen deshalb juristisch nicht haltbar.284 Einen unmittelbaren Nachhall in der Staatsrechtswissenschaft fand diese 1926 mehr politische als juristische Auseinandersetzung der beiden ehemaligen Abgeordneten nicht.285 Bis 1929 war es nur der Münsteraner Professor Ottmar Bühler, der in seiner bis dahin in drei Auflagen erschienenen Kommentierung zur Weimarer Reichsverfassung die herrschende Meinung in Frage stellte. Er unterschied bei den Beschlüssen des Reichstages „positive“ von „negativen“ und vertrat die Auffassung, dass Art. 75 WRV nur auf die positiven Beschlüsse des Reichstages Anwendung finde. Positive Beschlüsse seien dabei solche, die ein Gesetz beschlössen, negative solche, mit denen der Reichstag einen durch ein erfolgreiches Volksbegehren eingebrachten Gesetzentwurf ablehne. Auf negative Gesetzesbeschlüsse sei Art. 75 WRV weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach anwendbar. Bühler bezog sich insbesondere auf Löwisch, Volksentscheid, S. 49 – 51. Vgl. Urteil des Wahlprüfungsgerichts vom 17. 10. 1927 in: Georg Kaisenberg Neue Rechtsprechung des Wahlprüfungsgerichts, S. 419 – 420. 283 Max Quarck, 15 Millionen genügen, in: Volksstimme – Organ der Sozialdemokratie für Südwestdeutschland vom 25. 6. 1926, Nr. 115. 284 Katzenstein, Verfassungsrechtliche Streitfrage, S. 592 – 597, 597: „Wo aber der regelmäßige, gewählte Gesetzgeber durch seinen Auftraggeber selbst, das souveräne Volk als allerhöchsten Gesetzgeber, beiseite geschoben werden soll, da soll es nur mit der Wucht der Masse geschehen können, wie sie durch die fragliche Bestimmung gewährleistet wird“. Vgl. auch Kurt Rosenfeld, Vom Volksbegehren zum Volksentscheid, in: Leipziger Volkszeitung vom 24. 3. 1926, Nr. 70. 285 Vgl. Otto Zschucke, Die erforderlichen Stimmen beim Volksentscheid, in: DJZ 35 (1930), Sp. 87 – 89, 89; Angelesco, consultation directe, S. 384 – 385. 281 282

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die Worte „außer Kraft setzen“, die sich seiner Meinung nach nur auf positive Gesetzesbeschlüsse beziehen ließen.286 Im Zusammenhang mit dem Volksentscheid gegen den Young-Plan 1929 brach die sich 1926 bereits ankündigende Kontroverse über die richtige Auslegung des Art. 75 WRV endgültig aus. Sie wurde in erheblichem Maße in der Tagespresse ausgetragen und zog damit weite Kreise in der Öffentlichkeit. Es waren diesmal vor allem anerkannt konservative, weimarkritische Staatsrechtler und Politiker wie Johann Victor Bredt, Graf Westarp, Friedrich Deerberg, Ernst Friesenhahn oder, unter Abweichung von ihrer bisherigen Position, Conrad Bornhak und Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, die sich kurz vor und nach dem Volksentscheid 1929 auf den Standpunkt stellten, dass die bisherige Anwendung des Art. 75 WRV falsch gewesen sei.287 Anknüpfungspunkt war hierbei in erster Linie, wie bei Bühler, der Wortlaut des Art. 75 WRV. Insbesondere die Formulierung des „außer Kraft Setzen“ zeige, so Bornhak und Westarp, dass Art 75 WRV eine Ausnahme von der Regel darstelle, also nicht jeden Beschluss des Reichstages meine: „Außer Kraft gesetzt werden kann nur etwas, was sonst Kraft haben würde“.288 Eine bloße Ablehnung eines Gesetzesentwurfs habe aber keine Kraft. Westarp sah hierbei zwar einen Widerspruch zum Willen des Verfassungsgebers, im Falle eines Widerspruchs zwischen Wortlaut und Willen müsse aber der Wortlaut entscheiden.289 Ein weiteres Argument für die neue Auslegung, der sich in späteren Fachaufsätzen und Monographien auch Werner Hartwig, Gerd Günther Hansen und der Hamburger Regierungsdirektor Hartmann anschlossen,290 war der Charakter des Art. 75 WRV als einer Sondervorschrift. Begründet wurde diese Sonderstellung vor allem mit dem Nebeneinander von § 21 I VEG, der festlegte, dass „Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet“ und § 21 II VEG, der den Wortlaut des Art. 75 WRV wiederholte. Dies zeige deutlich, dass eben § 21 I VEG der Grundsatz und § 21 II VEG die Ausnahme nur für den Fall sei, dass ein Konflikt zwischen Reichstag, Reichsrat und / oder Reichspräsident vorliege.291 Weitergehend wurde all286 Bühler, Reichsverfassung (2. Aufl.), Berlin 1927, S. 87 ff. ; ebd. (3. Aufl., 1929), S. 100 – 101. 287 Johann Victor Bredt, Volksbegehren, Preussische Jahrbücher, Bd. 220 (1930), S. 3 ff.; ders., Was muß jetzt geschehen? Zum Volksbegehr und Volksentscheid, in: Berliner BörsenCourier vom 13. 11. 1929, Nr. 531; Kuno Graf von Westarp, 20 Millionen Stimmen?, in Kreuz-Zeitung vom 8. 11. 1929, Nr. 353 B; Friedrich Deerberg, Wieviel Stimmen erfordert der Volksentscheid? in: Der Tag vom 8. 11. 1929, Nr. 267; Ernst Friesenhahn, Das Stimmenverhältnis zum Volksentscheid, in: Kölnische Volkszeitung vom 21. 11. 1929, Nr. 818; Conrad Bornhak, Welche Mehrheit ist für die Annahme des Volksentscheids notwendig?, in: Kreuz-Zeitung vom 17. 12. 1929, Nr. 393 B; Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Volksentscheid, in: Deutsche Zeitung vom 8. 11. 1929, Nr. 263b. 288 Bornhak, Annahme des Volksentscheids, a. a. O. (S. 1); Westarp, 20 Millionen Stimmen, a. a. O. (S. 1 – 2). 289 Ebd. 290 Hartwig, Volksbegehren, S. 51 – 52; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 45 ff.; Hartmann, Beteiligungsziffer beim Volksentscheid, S. 227 – 228.

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gemein angeführt, dass es auch grundsätzlich von der Verfassung gar nicht gewollt sein könne, dass ein Volksentscheid scheitere, wenn von 44 Millionen Stimmberechtigten 21 Millionen dafür, aber keiner dagegen sei, ein Volksentscheid aber Erfolg habe, wenn 11,5 Millionen dafür und 11 Millionen dagegen seien. Für Gerd Günther Hansen ergab sich eine Anwendbarkeit des Art. 75 WRV nur auf positive Reichstagsbeschlüsse auch aus einer systematischen Unterscheidung zwischen dem „referendum ante legem“ und dem „referendum post legem“. Nur auf letzteres beziehe sich Art. 75 WRV; auf den Fall, dass der Reichstag ein eigenes Gesetz beschlossen habe. Eine schlichte Ablehnung sei dagegen kein Gesetzesbeschluss, der Volksentscheid dann vielmehr ein „referendum ante legem“, für das Art. 75 WRV nicht gelten könne. Hintergrund seiner Erklärung war eine von ihm betonte „Einheitlichkeit der Volksgesetzgebung“ nach Art. 73 III WRV, deren Gegenstand nur bei einem referendum ante legem der eigene Gesetzentwurf, der des Volkes, sei und eben nicht ein Gesetzesbeschluss des Parlamentes: „So ergibt sich somit schon aus dem Ziel, Gegenstand und Adressat der Volksgesetzgebung und aus der Stellung in einem einheitlichen System, dass durch den Volksentscheid [ . . . ] ein Beschluß des Reichstages gar nicht außer Kraft gesetzt wird, dass auf ihn Art. 75 also keine Anwendung finden kann.“292

Die neue Deutung rief heftige Reaktionen von Vertretern der bisherigen Auslegung hervor. Auch „negative Beschlüsse“ des Reichstages hätten Rechtsfolgen und könnten „außer Kraft gesetzt“ werden, wurde eingewandt. Schließlich sei außerdem auch der Reichstag nach § 98 RtO293 nur beschlussfähig, wenn die Hälfte der Abgeordneten anwesend sei. Diese Bedingung müsse zumindest in Konfliktfällen zwischen Reichstag und Volk auch für das Volk gelten. In zahlreichen unmittelbaren Reaktionen verwiesen Georg Kaisenberg, Fritz Poetzsch-Heffter die Professoren Zschucke, Anschütz und andere Autoren wie H. Badts, Wilhelm Merk und Brandis vor allem auch erneut auf den klaren Wortlaut, den sich aus der Entstehungsgeschichte eindeutig ergebenden Willen der Verfassungsväter und die vorrangige Stellung des Reichstages im Verfassungsgefüge.294 Sie warfen der neuen 291 Hartwig, Volksbegehren, S. 51 – 52; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 48. Hartmann (ders., Beteiligungsziffer beim Volksentscheid) begriff auch die Existenz des § 3 I VEG als ein Argument für seine Deutung des Art. 75 WRV. Wenn man § 3 I VEG als gültig und nicht verfassungswidrig ansehe, dann zeige diese Regelung eine Ausnahme zum Normalfall, in der Art. 75 WRV gelte. „E contrario“ ergebe sich daraus, dass Art. 75 WRV nur für positive Beschlüsse gelte. 292 Hansen, Volksgesetzgebung, S. 47. 293 § 98 RtO vom 12. 12. 1922: „Der Reichstag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Bei Beschlüssen des Reichstages auf Abänderung der Verfassung hat der Präsident durch ausdrückliche Erklärung festzustellen, daß zwei Drittel der Mitglieder anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen.“ 294 Georg Kaisenberg, Die Mehrheit beim Volksentscheid, in: Kölnische Volkszeitung vom 19. 12. 1929, Nr. 888; ders., 20,5 Millionen, in: Vossische Zeitung vom 10. 11. 1929, Nr. 532; Fritz Poetzsch-Heffter, Die Mehrheit im Volksentscheid, in: RuPrVwBl. Bd. 50,

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Meinung konkrete politische Motive ihrer Neuauslegung vor. Dieser ginge es vielmehr um einen Erfolg des Volksentscheides 1929 als um eine echte wissenschaftliche Frage.295 Die in der Öffentlichkeit ausgetragene Debatte führte tatsächlich dazu, dass die Initiatoren des „Freiheitsgesetzes“ das Ergebnis des Volksentscheids, in dem 5,8 Millionen Stimmberechtigte für den Gesetzentwurf gestimmt und die Gegner sich größtenteils enthalten hatten, als erfolgreich bezeichneten und die Verkündung des Gesetzes forderten.296 Die Haltung der Reichsregierung und des Wahlprüfungsgerichts zu Art. 75 WRV blieb jedoch unverändert. Auch in der Staatsrechtswissenschaft konnte sich die neue Auslegung im Ergebnis nicht als herrschende Meinung durchsetzten.297 Der Streit um die Auslegung des Art. 75 WRV 1929 ist ein markantes konkretes Beispiel für die zunehmende Politisierung und die abnehmende Zurückhaltung in Teilen der Weimarer Staatsrechtswissenschaft gegen Ende der Weimarer Republik, wissenschaftliche Deutungen im Kampf um politische Ziele und auch gegen das Weimarer System zu instrumentalisieren. Besonders deutlich wird dies bei einem Autoren wie Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, der 1924 noch eindeutig die herrschenden Auslegung zu Art. 75 WRV vertrat, um dieselbe im Rahmen des Volksgesetzgebungsverfahrens gegen den Young-Plan 1929 plötzlich als verfassungswidrig zu brandmarken.298 b) Der Streit um die Auslegung des Haushaltsvorbehalts nach Art. 73 IV WRV Die für die Verfassungswirklichkeit neben Art. 75 WRV folgenreichste Schranke299 enthielt Art. 73 IV WRV: „Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.“ 1929, S. 773 – 775, 774; Zschucke, Volksentscheid, Sp. 87; Gerhard Anschütz, Staatsrechtliche Betrachtungen zum Volksbegehren, in: Frankfurter Zeitung vom 13. 11. 1929, Nr. 847; Brandis, Mit „Nein“ Stimmen oder fernbleiben? Wie verhält sich der Gegner beim Volksentscheid?, in: Frankfurter Zeitung vom 23. 11. 1929, Nr. 873; H. Badt, Volksbegehren und Volksentscheid. Eine Antwort an Herrn Professor Dr. Bredt, Berliner Börsen-Courier vom 14. 11. 1929, Nr. 533; Merk, Volksbegehren, S. 121, 123 – 125. 295 Vgl. vor allem: Poetzsch-Heffter, Volksentscheid, S. 774. 296 Vgl. „5,8 Millionen Stimmen, Der Ausgang des Volksentscheids“, in: Kreuz-Zeitung vom 24. 12. 1929, Nr. 400. 297 Vgl. Georg Kaisenberg, Urteil des Wahlprüfungsgerichts vom 14. 3. 1930, in: DJZ 1930, Sp. 1037 – 1038; Anschütz, Verfassung, (14. Aufl.) 1933, zu Art. 75, Nr. 2 (S. 399); Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 215 – 216; H, Paetzold, Das Volksbegehren über das Freiheitsgesetz 1929 als Quelle staatsrechtlicher Problemstellung, Berlin 1932, S. 82 – 83; Friedrich Giese, Verfassung (8. Aufl.) 1931, S. 189. 298 Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 228; ders., Volksentscheid, a. a. O. 299 Vgl. zur Bedeutung und allgemein zu Art. 73 IV WRV: Otmar Jung, Das Finanztabu bei der Volksgesetzgebung. Die Staatsrechtslehre und Staatspraxis der Weimarer Zeit, in: Der Staat 38 (1999), S. 41 – 68.

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aa) Verfahren, Rechtsnatur und praktische Relevanz Die Regelung des Art. 73 IV WRV300 bedeutete eine Einschränkung für die Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 72 i.V.m. Art. 73 II WRV, eingeleitet durch eine Referendumsinitiative im Zusammenspiel mit einem Teil des Reichstages, sowie nach Art. 73 III WRV, eingeleitet durch ein Volksbegehren. Einhellig anerkannt war, dass die Formulierung des Art. 73 IV WRV dahingehend zu verstehen war, dass es allein im Ermessen des Reichspräsidenten stehen sollte, ob es eine unmittelbare Volksentscheidung zu dem aufgeführten Bereich der Gesetzgebung gab oder nicht.301 Auch wenn Art. 73 IV WRV nur vom Volksentscheid sprach, war es weitergehend einhellig anerkannt, dass diese Einschränkung der Volksgesetzgebung auch bereits für die dem Entscheid vorgeschalteten Volksbegehren und Referendumsinitiative galt.302 Eine Überprüfung des begehrten Gesetzesentwurfs dahingehend, ob dieser den Haushaltsplan, Abgabengesetze oder Besoldungsordnungen betraf, erfolgte deshalb im jeweiligen Zulassungsverfahren nach § 26 ff. VEG.303 Der Reichsminister des Inneren entschied nach § 30 I 2 VEG „über den Antrag auf Zulassung“ der Referendumsinitiative oder aber des Volksbegehrens. Kam er zu dem Ergebnis, dass der begehrte Gesetzentwurf in den Anwendungsbereich des Art. 73 IV WRV fiel, so erklärte er in einem förmlichen Bescheid dessen Unzulässigkeit, anstatt dem Zulassungsantrag nach § 31 I VEG stattzugeben.304 Die Einordnung des Art. 73 IV WRV als einer von der Rechtsnatur her in der Verfassung verankerten „Schranke“ für die Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 72, 73 II WRV und Art. 73 III WRV war in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft unumstritten.305 Von den acht Versuchen in der Weimarer Republik, durch die Volksgesetzgebung ein Gesetz zu verabschieden, scheiterten allein drei an der Hürde des Art. 73 IV WRV im Zulassungsverfahren. Es handelte sich hierbei um die bereits in Kap. I B. dargestellten Volksgesetzgebungsverfahren des Reichsbundes für Siedlung und Pacht 1923 sowie die Anträge des Sparerbundes 1926 und der Reichsarbeitsgemeinschaft für Aufwertungsgeschädigte 1927.

Gleichlautend: § 1 II VEG. Vgl. Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 73, Nr. 10 (S. 390). 302 Ebd.; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 495; Finger, Staatsrecht, S. 353. 303 Verwiesen wird für den allgemeinen Verfahrensablauf auf die Ausführungen zum Zulassungsverfahren in Kap. II A. 3. a) und 4. c). 304 § 31 I VEG: „Wird dem Zulassungsantrag stattgegeben, so veröffentlicht ihn der Reichminister des Innern in der zugelassenen Form im Reichsanzeiger und setzt dabei Beginn und Ende der Eintragungsfrist fest. [ . . . ].“ 305 Vgl. Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 73, Nr. 10 (S. 390); Alois Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, in: RuPrVwBl Bd. 51 (1930), S. 228 – 230, 228. 300 301

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bb) Der Streit um eine enge oder weite Auslegung des Art. 73 IV WRV – Das „Abdrosselungsgesetz“ und die Position der Reichsregierung als Auslöser staatsrechtlicher Auseinandersetzung Wie Art. 75 WRV fand auch die Schranke des Art. 73 IV WRV aufgrund ihrer konkreten Folgen erhebliche wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Noch größere Auswirkungen als bei Art. 75 WRV hatten an ihr gescheiterte Volksgesetzgebungsverfahren auf den wissenschaftlichen Diskurs zu dieser Bestimmung. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik war sich die Weimarer Staatslehre in ihrer Auslegung des Art. 73 IV WRV noch vollständig einig. Sowohl in den Kommentaren von Friedrich Giese oder Gerhard Anschütz von 1921, als auch in allgemeinen Darstellungen des neuen Reichs- und Staatsrechts von Otto Meißner 1921, Leo Wittmayer 1922, Julius Hatschek 1923, August Finger 1923, Fritz StierSomlo 1924, in Beiträgen von Heinrich Triepel 1920, wie auch den Dissertationen von Johann Stephan Contelly 1920, Max Fetzer 1922, Günther Löwisch 1922 oder Erich Martens 1924, wurde Art. 73 IV WRV gleichlautend eng ausgelegt.306 In seinen Regelungsbereich fielen nach Auffassung all dieser Autoren ausschließlich der Haushaltsplan sowie konkrete Abgabengesetze und Besoldungsordnungen.307 Heinrich Triepel und Julius Hatschek konkretisierten dies noch weitergehend in der Weise, dass zwar ein Nachtragshaushalt schon noch, Gesetze für staatliche Anleihen oder Garantiegesetze jedoch schon nicht mehr in den Anwendungsbereich des Art. 73 IV WRV fielen. Jede weitergehende analoge Anwendung der Bestimmung auf andere Gesetze sei ausgeschlossen.308 Diese einmütige, mit dem Willen der Verfassungsväter begründete Deutung des Art. 73 IV WRV blieb noch während und nach der ersten praktischen Anwendung der Bestimmung im Zusammenhang 306 Vgl. Giese, Verfassung (3. Aufl.), 1921, zu Art. 73, Nr. 17 (S. 192); Anschütz, Verfassung (1. Aufl. 1921), zu Art. 73, Nr. 10 (S. 134); Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 433; Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 157; Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 534; Meißner, Staatsrecht, S. 122; Finger, Staatsrecht, S. 353; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 507; Löwisch, Volksentscheid, S. 93; Martens, Volksbegehren, S. 57; Contelly. Volksgesetzgebung, S. 35; Fetzer, Referendum, S. 48. 307 Die Beschränkung von Volksentscheiden über das Haushaltsgesetz, Abgabengesetzen und Besoldungsordnungen auf vom Reichspräsidenten angeordnete Verfahren wurde grundsätzlich als sinnvoll angesehen. So begrüßte Erich Martens insbesondere den erhöhten Schutz für Besoldungsordnungen, „da sich überall dort, wo Besoldungsordnungen der Volksabstimmung unterlagen, eine übertriebene Sparsamkeit der Bevölkerung gezeigt“ habe (ders., Volksbegehren, S. 57). Die gleiche Sorge teilte auch Günther Löwisch für den Haushaltplan (ders. Volksentscheid, S. 93). Julius Hatschek (ders., Reichsstaatsrecht, S. 157) stellte unter Verweis auf den Willen der Verfassungsväter fest: „Der Grund, weshalb man die genannten Gesetze dem Bereich des Volksbegehrens entzieht, ist, dass dies bei Haushaltsgesetzen eine Lähmung der Verwaltung, bei den übrigen aber ein finanzpolitisch unzulässiges Herausreißen einzelner Fragen aus einem wohlaufgebauten und in sich geschlossenen Finanzplane bedeuten könnte.“ 308 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S: 507; Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 157; Fetzer, Referendum S. 48.

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mit dem Volksbegehren des Reichsbundes für Siedlung und Pacht 1923 unwidersprochen.309 § 7 und § 8 dieses Gesetzentwurfes zur Novellierung des Reichssiedlungsgesetzes hatten eine einmalige Vermögensabgabe und laufende Überweisungen zugunsten einer „Notgemeinschaft für Kriegsbeschädigte“ vorgesehen, Bestimmungen, aufgrund derer die Reichsregierung den Gesetzentwurf als Abgabengesetz qualifizierte und den Antrag auf ein Volksbegehren im Zulassungsverfahren zurückwies.310 Die Reichsregierung argumentierte hierbei dahingehend, dass öffentliche Abgaben Geldleistungen seien, die der Staat oder andere öffentlich-rechtliche Verbände den Bürgern zur Förderung öffentlicher Zwecke einseitig auferlege. Unerheblich für den Begriff der Steuer sei dabei das finanzpolitische Motiv, ob die Abgabe zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs erhoben oder ob damit sozialpolitische Zwecke verbunden werde. Wenn in einem Gesetzentwurf, wie 1923 der Fall, Abgabenvorschriften mit Vorschriften anderer Art verbunden würden, so müsse der ganze Gesetzentwurf als Abgabengesetz im Sinne des Art. 73 IV WRV erachtet werden.311 Diese offizielle Begründung der Ablehnung stand nicht im Gegensatz zur einhelligen Meinung in der Wissenschaft. Beendet wurde die Einmütigkeit und Ruhe innerhalb der Staatsrechtswissenschaft durch das Verhalten der Reichsregierung beim ersten Aufwertungsbegehren des Sparerbundes 1926.312 Lange vor Einreichung des Gesetzesentwurfs „Sparerbund – Dr. Best“ am 27. April 1926, der auf eine Revision der beiden Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 abzielte, hatten Reichskanzler Hans Luther und seine Minister von den Plänen erfahren. Aus Sorge vor einem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch durch eine per Volksentscheid herbeigeführte Aufwertung,313 ergriffen sie eine ganz besondere Gegenmaßnahme. Die Reichsregierung beschloss, per Gesetz die Schranke des Art. 73 IV WRV „gesetzlich auszulegen“, um dem Reichminister des Innern die Verweigerung der Zulassung des Aufwertungsbegehrens zu erleichtern.314 Die Regierung ging dabei in der Weise vor, dass sie sich im Widerspruch zur bisher in der Wissenschaft vertretenen Meinung in einer amtlichen Erklärung vom 21. April 1926 auf den Standpunkt stellte, dass bei sinngemäßer Auslegung des Art. 73 IV WRV Gesetze, welche die Folgen der Zu diesem Volksgesetzgebungsverfahren vgl. Kap. I B. 1. Vgl. Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170. Der Gesetzentwurf selber war für den Verfasser nicht auffindbar. Vgl. auch Hartwig, Volksbegehren, S. 112, der ebenfalls bereits 1930 feststellte, dass der Gesetzentwurf nicht öffentlich erschienen ist. Auch er bezieht sich in seinen Angaben auf Kaisenberg, der als Ministerialrat im Reichsinnenministerium und Beauftragter für die Volksgesetzgebung direkten Zugang zu den Originalunterlagen gehabt haben muss. 311 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170; Poetzsch-Heffter, Staatsleben (1925), S. 131. 312 Vgl. Kap. I B. 3. 313 Otmar Jung, Direkte Demokratie, S. 24 – 5. 314 Die Entwürfe und Begründungen des im Reichsinnenministeriums zuständigen Georg Kaisenbergs zur Änderung des VEG sind erhalten, in: BArch 1501 / 125127, Bl. 4 – 5, 7 – 8, 14, 19 – 21. 309 310

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Geldentwertung regelten, den gleichen Bestimmungen unterworfen sein müssten, wie Gesetzentwürfe, die unmittelbar den Haushaltsplan und Abgabenregelungen zum Gegenstand hätten. Nur zur Vermeidung von Zweifeln solle dies durch ein zusätzliches Gesetz klargestellt werden, ließ sie erklären. Dieses „Zweite Gesetz über den Volksentscheid“ brachte die Regierung im Juni 1926 nach Zustimmung des Reichsrates in den Reichstag ein.315 Es sah in drei Artikeln vor: „Art. 1 Das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (Reichsgesetzblatt S. 790) erhält in § 1 Abs. 2 folgenden neuen Satz 2: „Als Gesetze im Sinne dieser Vorschrift gelten auch Gesetze, die die Folgen der Geldentwertung für vor dem 14. Februar begründete Rechtsverhältnisse regeln. Art. 2 Auf die Regelung der Auseinandersetzung der Länder mit den ehemals regierenden Fürstenhäusern findet dieses Gesetz keine Anwendung. Art. 3 Über ein Gesetz zur Änderung oder Aufhebung dieses Gesetzes kann nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.“316

In der Begründung dieses, in der Tagespresse und auch in Teilen der Staatsrechtswissenschaft „Abdrosselungsgesetz“ genannten Gesetzentwurfes hieß es dazu: „Der Bestimmung [Art. 73 IV WRV] liegt der Gedanke zugrunde, daß nicht ein Teil der Volksgesamtheit die Initiative ergreifen soll, über die Verteilung wirtschaftlicher Lasten Bestimmung zu treffen. Infolge der Geldentwertung ergab sich die Notwendigkeit, die vor und während der Geldentwertung begründeten Rechtsverhältnisse im Aufwertungsgesetz und im Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen im Zusammenhang zu ordnen sowie im Finanzausgleichsgesetz eine neue Grundlage für die öffentlichen Haushalte zu schaffen. Der Gesamtkomplex dieser Gesetze bildet die Grundlage nicht nur für die öffentliche Wirtschaft; er bedingt maßgebend den Haushalt des Reiches, [ . . . ], wie überhaupt das gesamte öffentliche Finanzwesen. Er ist insbesondere auch die Grundlage unserer Währung. Solche Gesetze müssen, wenn nicht die ganze deutsche Wirtschaft erschüttert werden soll, dem Reichshaushaltsplan und den Abgabengesetzen gleichgestellt werden. Entsprechend dem Sinne

Vgl. Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170. Vgl. RTDrS 1926, Nr. 2263; Abgedruckt, wie auch die amtliche Begründung, in: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 170. Vgl. zum Entstehungsprozess des Abdrosselungsgesetz auch die Akten des Reichsinnenministerium in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 4, 5, 7 – 8, 14, 19 – 21, 25, 61, 82 – 83. 315 316

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des Art. 73 Abs. 4 der Reichsverfassung müssen daher Gesetze, die die Folgen der Geldentwertung für die früheren Rechtsverhältnisse regeln, hinsichtlich der Volksinitiative den gleichen Bestimmungen unterworfen sein, wie Gesetzentwürfe, die den Haushalt, die Regelung der Abgaben oder die Besoldung unmittelbar zum Gegenstande haben.“317

Das „Abdrosselungsgesetz“ scheiterte. In Verhandlungen mit den Parteien des Reichstages stellte die Reichsregierung fest, dass eine verfassungsändernde Mehrheit für den Gesetzentwurf im Reichstag nicht wahrscheinlich war.318 Da zudem auch aus den Ländern über den Reichsrat Widerspruch kam,319 änderte sie ihre Strategie. Sie zog den Entwurf zurück320 und wies stattdessen mit Bescheid vom 18. August 1926 den inzwischen eingegangenen Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens unter Berufung auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 73 IV WRV zurück. Der Reichsinnenminister Otto Geßler wandte sich hierbei in der oben dargestellten Weise von der in der Wissenschaft einhellig vertretenen engen Auslegung ab und bezog in den Regelungsbereich nicht nur die genannten formellen Gesetze, sondern die genannten „Materien“ und damit auch den Haushalt „unmittelbar“ beeinflussende Gesetze mit ein. In den Gründen seines Ablehnungsbescheids führte er dies in folgender Weise aus: „Ein Volksentscheid über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann nach Art. 73 Absatz 4 RV nur vom Reichspräsidenten veranlaßt werden. Gesetzentwürfe über diese Materien können danach nicht zum Volksbegehren nach Art. 73 Absatz 3, Satz 1 RV gestellt werden. [ . . . ]. Eine solche [im begehrten Gesetzentwurf vorgesehene] Aufwertung würde von stärkster und unmittelbarster finanzieller Auswirkung auf die haushaltsplanmäßig festzustellenden Ausgaben des Reiches für Verzinsung und Tilgung der Anleiheschuld des Reiches sein. Der einzelne Aufwertungsberechtigte würde aus dem Gesetz einen klagbaren Rechtsanspruch gegen das Reich auf Zahlung der Aufwertungsquote erwerben. Das Reich würde daher verpflichtet sein, den Betrag in den Haushaltsplan neu einzustellen, der sich ergibt aus der Erhöhung der Anleiheablösungsschuld gegenüber den Verpflichtungen, die nach den jetzt geltenden Vorschriften bestehen. Das Gesetz würde demnach einen unmittelbaren Einfluß auf den Gesamtbestand des Haushaltsplanes ausüben, und zwar wegen der Höhe der in Betracht kommenden Beträge in einer Weise, die den Haushaltsplan tatsächlich umstoßen würde. Der eingereichte Gesetzentwurf ist hiernach als ein Gesetz über den Haushaltsplan im Sinne des Artikel 73 Absatz 4 RV. anzusehen. Der Antrag auf Zulas-

Ebd. Vgl. insbesondere die Protestartikel in: „Der Gläubiger und Sparer. Zentralorgan des Sparerbundes“, 2. Jhg. (1926), Nr. 17. 319 Vgl. Ministerielle Ausführungen zur Haltung einiger Länder im Reichsrat (BArch, R 1501 / 125127, Bl. 25) auf der Grundlage der Reichsratsvorlage Nr. 68 von 1926 (BArch R 1501 / 125127, Bl. 14). Vgl auch die Auszüge aus den Protokollen der Ministerbesprechungen vom 24. 5. und 7. 6. 1926 (BArch R 1501 / 125127, Bl. 61, 82), in denen die Behandlung des Gesetzentwurfes immer wieder vertagt und am Ende dann fallengelassen wurde. 320 Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte, Bd. 390 (217. Sitzung), S. 7583; Auszug aus den Protokollen der Ministerbesprechungen vom 28. 4. 1926, 7. 6. 1926 und 24. 6. 1926 in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 61, 82, 83. 317 318

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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sung eines Volksbegehrens zugunsten dieses Gesetzentwurfes war daher nach § 30 des VEG. vom 27. Juni 1921 als unzulässig abzuweisen.“321

Diese Vorgehensweise führte nicht nur zu heftigen Protesten der Initiatoren322 und der mit ihnen verbundenen politischen Kreise,323 die das Vorgehen als willkürlich, rechtswidrig und Verrat am Volk brandmarkten. In der Staatsrechtswissenschaft brach eine wissenschaftliche Debatte los, da sich nach und nach immer mehr staatsrechtswissenschaftliche Stimmen der neuen Auslegung anschlossen. Sie verteidigten die Gesetzesanwendung und teilweise auch die Vorgehensweise der Reichsregierung in Bezug auf das „Abdrosselungsgesetz“, in dem diejenigen, die auf der bisher geltenden engen Auslegung des Art. 73 IV WRV beharrten, ein rein politisch-taktisches Verhalten324 oder gar einen Verfassungsbruch sahen. Eine frühe, dezidiert kritische Stellungnahme kam von Heinrich Triepel in seinem Beitrag „Das Abdrosselungsgesetz“ vom 15. Juni 1926. Er griff die neue Auslegung, vor allem aber das zu diesem Zeitpunkt noch nicht gescheiterte Abdrosselungsgesetz und das dahinter stehende Verfassungsverständnis der Reichsregierung mit ungewöhnlich scharfen Worten an.325 Ohne sich in der Frage, ob eine höhere Aufwertung politisch wünschenswert und staatsfinanziell tragbar sei, ein Urteil bilden zu wollen, stellte er fest: „Was mich veranlasst, in der Sache Wort zu nehmen, ist die Überzeugung, dass der Gesetzentwurf den unstatthaften Versuch eines Einbruchs in das Verfassungsrecht bedeutet, und dass er aus diesem Grunde aufs schärfste bekämpft werden muß.“326

321 Abgedruckt in: Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 190. Vgl. auch Hempel, Volksgesetzgebung, S. 29. 322 Vgl. Georg Best, Rechtsbeugung und Verfassungsbruch, in: Der Gläubiger und Sparer, Zentralorgan des Sparerbundes, 2. Jhg. (1926), Nr. 38; ders. Das Volksbegehren zur Aufwertung und Anleiheablösung, in: DJZ 31 (1926), Sp. 991 – 5, 995; Bereits vor der formellen Ablehnung des Begehrs hatte Dr. Best in der Ahnung, dass es auch nach dem Scheitern des „Abdrosselungsgesetzes“ zu einer Ablehnung des Zulassungsantrages kommen würde, mit Unterstützung der Nationalistischen Freiheitspartei am 26 Juni 1926 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 in den Reichstag eingebracht. Sein Ziel war es, eine Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes zur Entscheidung des Art. 73 IV WRV sowie ein Rechtsmittel der Antragsteller gegen eine Ablehnung der Zulassung zu etablieren. Der Entwurf wurde am 2. 7. 1926 im Reichstag beraten (vgl. Verhandlungen des Reichstags 1926, Stenographische Berichte, Bd. 390 (223. Sitz.), S. 7828 – 7830), wo er bis zum Ende der Weimarer Republik verblieb. Vgl. auch nähere Darstellung in Kap. II A. 4. b). 323 Wilhelm Keil, Das Volksbegehren der Sparer, in: Vorwärts vom 25. 8.1926, Nr. 398. 324 Dies, obwohl in politischer Sicht auch aus der Rechtswissenschaft Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen einer weiteren Aufwertung laut geworden waren. Vgl. Stellungnahme der „Juristischen Arbeitsgemeinschaft“ mit u. a. Smend, Kahl, Mügel, in: Berliner Tageblatt vom 1. 6. 1926, Nr. 259, abgedruckt in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 168. 325 Triepel, Abdrosselungsgesetz, Sp. 845 – 850. 326 Ebd., Sp. 846.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Der Gesetzesentwurf wolle in Wirklichkeit nicht das Gesetz über den Volksentscheid von 1921, sondern die Verfassung ergänzen. Denn diese bestimme in ihrem Art. 73 Absatz 4 eindeutig, dass ein Volksentscheid über den Haushaltsplan, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen nur vom Reichspräsidenten veranlasst werden könne: „Sie verpönt damit Volksentscheide auf Grund Volksantrags oder Volksbegehrens in Bezug auf die drei Gesetze und nur in bezug auf sie“.327

Für Triepel stand eine enge Auslegung des Art. 73 IV WRV außer Frage, weshalb er in dem Abdrosselungsgesetz den Versuch der Reichsregierung sah, durch die Hintertür die Verfassung in einer zudem unzulässigen Weise zu ändern. Unzulässig deshalb, weil seiner Auffassung nach ein einzelnes Organ kein anderes Organ beiseite schieben dürfe – auch der Verfassungsgeber an bestimmte Grundwerte gebunden sei:328 „Es wäre in meinen Augen nichts anderes als ein Staatsstreich, wenn der Reichstag gelegentlich die Anrufung des Volksentscheids gegen einen seiner Gesetzesbeschlüsse ausschließen würde, auch wenn er dazu die Form des Art. 76 zur Hilfe nähme.“329

Ähnlich wie Triepel äußerten sich 1926 der Berliner Ministerialrat Lucas, Friedrich Glum sowie Gerhard Hempel in seiner 1927 erschienenen Dissertation „Probleme der direkten Volksgesetzgebung im deutschen Staatsrecht“. Lucas beklagte vor allem eine Verdunkelung des Rechtszustandes, wenn man nicht wenigstens ehrlicherweise die Verfassung selber ändere.330 Hempel nannte das Vorgehend der Regierung sowie ihre neue Auslegung des Art. 73 IV WRV schlicht „juristisch unmöglich“ und verwies auf die Entstehungsgeschichte des Art. 73 IV WRV, die nur zu einer restriktiven Normenauslegung führen könne.331 Eine der ersten Stimmen, die 1926 aus Gründen übergeordneter Staatsraison und aus einer positivistischen Grundhaltung heraus die Verfassungsmäßigkeit des Abdrosselungsgesetzes, vor allem aber eine weite Auslegung des Art. 73 IV WRV anerkannte, war die des preußischen Staatssekretärs und Aufwertungsspezialisten Dr. Mügel.332 Ihm zur Seite traten 1927 mit weitergehenden Ausführungen Georg Ebd. Triepels Beitrag stand damit auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Positivismusdebatte in der Staatsrechtswissenschaft zu dieser Zeit. 329 Ebd., Sp. 849. 330 Lucas, Volksbegehren über Fürstenenteignung, Sp. 497; Glum, Grenzen der Volksgesetzgebung, Sp. 1099 – 1108. Glum war zu dieser Zeit noch Privatdozent in Berlin. 331 Hempel, Volksgesetzgebung, S. 28, 30. 332 Vgl. Mügel, Die Volksbegehren zur Aufwertung, in: DJZ 31 (1926), Sp. 693 – 701, 699; Hachenburg, „Juristische Rundschau“, in: DJZ 31 (1926), Sp. 719 – 724, 720. Triepel (ders., Das Abdrosselungsgesetz, Sp. 850) kritisierte diese positivistische Haltung in der Staatsrechtswissenschaft mit den Worten: „Es ist die Herrschaft des Wahns, dass die Form alles, der Inhalt nichts bedeutet, dass die Form des Gesetzes jeden Gesetzesinhalt heilige, dass der Gesetzgeber durch Anwendung einer Form jeder Gefahr eines Rechtsbruchs ent327 328

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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Kaisenberg, vor allem aber Carl Schmitt.333 Für Kaisenberg ließen sich aus den Arbeiten des verfassungsgebenden Ausschuss der Nationalversammlung entgegen der bisherigen Deutung folgende Schlüsse ziehen: „Der Grundgedanke der zur Schaffung des Art. 73 Absatz 4 führte, ging dahin, Finanzfragen möglichst der Volksinitiative zu entziehen. Das geht aus mehrfachen Äußerungen im Verfassungsausschuss hervor [ . . . ]. Nach diesen Gedankengängen darf man den in Art. 73, Absatz 4 enthaltenen Begriff ,Haushaltsplan‘ nicht vollständig mit dem formellen Reichshaushalt im technischen Sinn identifizieren, da sonst die Vorschrift sachlich wertlos wäre.“334

Die Regierung dürfe die Norm auf alle Finanzfragen ausdehnen, da man den Haushaltsplan sonst auch hintenherum durch die Volksgesetzgebung ändern könne. Dem Vorwurf Triepels, in unzulässiger Weise eine Verfassungsänderung zu versuchen, entgegnete Kaisenberg schlicht, dass unabhängig davon, dass eine solche hier gerade nicht nötig sei, grundsätzlich alle Verfassungsbestimmungen, also auch die Volksgesetzgebung, einer Verfassungsänderung offen ständen. Dies sei bisher auch gängige Staatspraxis gewesen. Lucas’ Forderung nach einer formellen Verfassungsänderung aus moralischen Gründen hielt er entgegen, dass eine explizite Verfassungsänderung deshalb nicht nötig gewesen sei, da es sich bei der Aufwertungsfrage nur um ein momentanes, nicht aber langfristiges Problem gehandelt habe – es für eine Verfassungsänderung außerdem nicht wichtig genug gewesen sei.335 Im Ergebnis war für Kaisenberg das Verhalten der Reichsregierung voll und ganz rechtmäßig. Sie sei vor allem berechtigt gewesen, das Begehren auch nach Scheitern des „Abdrosselungsgesetzes“ ohne weiteres abzulehnen, da dieses nur eine sowieso gegebene rechtliche Situation habe klarstellen wollen.336 Zu einer ebenfalls weiten Auslegung des Art, 73 IV WRV kam 1927 Carl Schmitt in seiner Schrift „Volksentscheid und Volksbegehren“; dies aber vor allem aufgrund einer grammatikalischen Auslegung des Begriffs „Haushaltsplan“: „Man kann nicht sagen, daß jedes Gesetz über den Haushaltsplan das Staatshaushaltsgesetz sei, d. h. die einmalige nach Art. 85 Abs. 2 RV. jährlich in Gesetzesform erfolgende Zustimmung zu dem geordneten und ins Gleichgewicht gebrachten Plan aller Einnahmen und Ausgaben des Reiches. Das Staatshaushaltsgesetz wird als das wichtigste Finanzgesetz neben anderen Finanzgesetzen bezeichnet. Es ist, wie man gesagt hat, eben „ein Finanzgesetz [ . . . ]. Daher ist es sprachlich möglich, neben dem Staatshaushaltsgesetz die anderen finanziellen Gesetze als ,Gesetze über den Haushaltsplan‘ zu bezeichnen. [ . . . ]. Daraus folgt, daß die Bestimmung des Art. 73 IV Abs. 4 überhaupt nicht so auszulegen ist, gehen könne. Es gilt diesen Wahn zu zerstören. Denn es geht in letzter Linie um ein höchstes Gut, um Recht und Gerechtigkeit selber. Wer der Göttin der Gerechtigkeit dient, soll ihren Thron auch vor den Angriffen eines machtlüsternen Gesetzgebers schützen, der sich vermisst, stärker zu sein als das Recht, das auch ihn bindet.“ 333 Kaisenberg, Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, S. 184 – 191. 334 Ebd., S. 188 – 189. 335 Ebd., S. 186 – 187. 336 Ebd., S. 190 – 191.

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als sei von ,dem‘ Haushaltsgesetz die Rede. Alle Gesetze vielmehr, die wegen ihres geldlichen Charakters den Haushaltsplan unmittelbar betreffen, sei es daß sie das Gesamtgleichgewicht des Planes, sei es, daß sie einzelne Posten ändern, sind Gesetze über den Haushaltsplan.“337

Die Ausführungen Kaisenbergs und Schmitts fielen in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft auf fruchtbaren Boden. Constantin Angelesco hat 1933 eine extensive Auslegung des Art. 73 IV WRV unter Bezugnahme auf Friedrich Giese, Gerhard Anschütz, Walter Jellinek und eben Carl Schmitt sowie Georg Kaisenberg als unbestritten herrschende Meinung dargestellt.338 Tatsächlich haben sich die meisten genannten einflussreichen Autoren, dazu auch Richard Thoma und Gerd Günther Hansen, grundsätzlich einer weiteren Auslegung des Art. 73 IV WRV angeschlossen.339 Es ist aber dennoch fraglich, ob Angelesco Recht hatte, als er dies als eine eindeutig herrschende Meinung und vor allem die zitierten Autoren in ihrer Meinung als einheitlich beschrieb. Nicht nur, dass mit ihm selber eine große Anzahl Staatsrechtler wie Friedrich Glum, Wilhelm Merk, Werner Hartwig, Hermann Duft, Carl Bilfinger und Hermann Dufft eine weite Auslegung des Art. 73 IV WRV auch nach 1926 für falsch hielten und meist unter Berufung auf den Willen der Verfassungsväter sowie einer grammatikalischen Interpretation auf einer restriktiven Anwendung beharrten340 und es schon deshalb als problematisch erscheint, von einer herrschenden Meinung zu sprechen. Sondern Angelesco zählte auch Staatsrechtler wie Walter Jellinek und Gerd Günther Hansen zu Vertretern seiner „herrschenden“ Meinung, obwohl sie, wie auch Fritz Poetzsch-Heffter, eigentlich eine vermittelnde Position einnahmen. Diese vermittelnde Position, die sich eher an einer politischen Praktikabilität orientierte, wollte die Anwendbarkeit des Art. 73 IV WRV zwar ausdehnen, dies aber nur auf die Gesetze, die die gesamte Grundlage des Haushalts materiell veränderten.341 Hansen nannte dies einen „wesentlichen finanziellen Inhalt“,342 Walter Jellinek sah den Anwendungsbereich des Art. 73 IV WRV dann betroffen, wenn das begehrte Gesetz zum „GeschäftsSchmitt, Volksbegehren, S. 21 – 22. Angelesco, consultation directe, S. 412 – 422. 339 Giese, Verfassung (8. Aufl.), zu Art. 73 Nr. 4 (S. 184); Anschütz, Staatsrechtliche Betrachtungen, a. a. O.; Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 22; Walter Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 160 – 182, 169; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 207; Thoma, Recht und Praxis des Referendums, S. 491; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 42. 340 Glum, Grenzen, S. 1099; Merk, Volksbegehren, S. 88 – 92; Hartwig, Volksbegehren, S. 26; Dufft, Volksentscheid, S. 87 – 96; Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff A, S. 416 – 443, 436; Dufft, Volksentscheid, S. 87 – 96. 341 Vgl. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 73, Nr. 21 (S. 322 – 323), der diese vermittelnde Ansicht jedoch fälschlicherweise auch als offizielle Regierungsansicht darstellte. Richtiger ist es wohl davon zu sprechen, dass die Reichsregierung sich ohne nähere Eingrenzung für eine weitere Auslegung stark machte, die dann aber erst von Wissenschaftlern ausformuliert wurde. 342 Hansen, Volksgesetzgebung, S. 43 – 44. 337 338

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bereich des Reichsfinanzministers als federführenden Ministers gehört“.343 Poetzsch-Heffter sah diese vermittelnde Ansicht auch im Einklang mit der Auffassung der Reichsregierung, über die Autoren wie Carl Schmitt weit hinausgegangen seien.344 Im Ergebnis gab es also drei, wenn auch nicht einfach voneinander abzugrenzende Auffassungen zur Auslegung des Art. 73 IV WRV in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft – eine restriktive, eine extensive und eine vermittelnde Auffassung. Dies erklärt auch, wenn man der Reichsregierung 1926 keine rein politisch motivierte Ablehnung unterstellt, warum die Reichsregierung die späteren Volksbegehren gegen den Panzerkreuzer A 1928 und gegen den Young-Plan 1929 nicht auch am Haushaltsvorbehalt des Art. 73 IV WRV scheitern ließ. Auch diese Volksgesetzgebungsverfahren hatten nach Auffassung von Vertretern einer extensiven Auslegung wie Carl Bilfinger 1928 und Alois Schulte sowie Gerhard Anschütz 1929 einen unmittelbaren Einfluss auf den Haushalt des Deutschen Reiches.345 Ihre Forderungen nach einer Zulassungsverweigerung blieben aber ohne Rückhall in der Politik.

c) Die Zulässigkeit von Verfassungsänderungen durch Volksentscheid und die Beteiligungshürde des Art. 76 I S. 4 WRV Für den Fall von Verfassungsänderungen sah Art. 76 I insgesamt vor: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstages auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrates auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.“

aa) Verfahren, Bewertung der Praktikabilität in der Staatsrechtswissenschaft und die praktische Relevanz des Art. 76 I S. 4 WRV Art. 76 I S. 4 WRV346 bestimmte, dass für eine durch Volksentscheid herbeigeführte Verfassungsänderung eine absolute Mehrheit der Stimmberechtigten in der Weimarer Republik für den zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf stimmen musste. Dies entsprach einer Zahl von ca. 22 Millionen Ja-Stimmen. Die Prüfung, Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, S. 169. Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 73, Nr. 21 (S. 322 – 323). 345 Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff, S. 436; Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 228 – 229; Anschütz, Staatsrechtliche Betrachtungen, a. a. O. 346 Wortgleich identisch: § 21 II VEG. 343 344

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ob dieses Quorum erreicht worden war, oblag nach § 22 VEG347 dem Wahlprüfungsgericht beim Reichstag; die genaue Zahl der Stimmberechtigten auf Reichsebene wurde vom Reichswahlleiter erfasst und festgestellt, dem vorher nach § 16 RStO348 bzw. § 135 I RStO349 von den Gemeindebehörden über den Wahlkreisleiter die genauen Zahlen der Stimmberechtigten aus den Wahlkreisen übermittelt wurden. In der Staatsrechtswissenschaft wurde die Hürde des Art. 76 I 4 WRV überwiegend als fast unüberwindbare Schranke angesehen. Max Fetzer sah 1922 in der Regelung den Willen der Verfassungsväter, eine Verfassungsänderung gegen den Willen des Reichstages so gut wie auszuschließen. Werner Hartwig sprach 1930 von einem „Recht auf dem Papier ohne Erfolgschance“.350 Die Frage, ob Art. 76 I S. 4 wirklich unüberwindbar war, wurde in der Weimarer Republik keiner praktischen Überprüfung unterzogen. Es gab kein Volksgesetzgebungsverfahren, in dem Art. 76 I 4 WRV im Volksentscheid zur Anwendung kam. Wie bereits dargestellt, scheiterten die beiden Verfahren „Fürstenenteignung“ 1926 und „Freiheitsgesetz“ 1929 jeweils bereits an der Hürde des Art. 75 WRV.

bb) Die verfassungsrechtliche Grundsatzdebatte um die Existenz einer verfassungsgebenden Gewalt, einen unantastbaren Kernbereich der Verfassung sowie die Zulässigkeit von Verfassungsdurchbrechungen und ihre Auswirkungen auf die Volksgesetzgebung Trotz der mangelnden praktischen Relevanz war Art. 76 I 4 WRV Gegenstand vielfältiger staatsrechtlicher Stellungsnahmen in der Weimarer Republik, die gleichzeitig einen übergeordneten verfassungsrechtlichen Streit betrafen. Im Kaiserreich war es vor allem durch den Einfluss Paul Labands herrschende Meinung gewesen, dass es keine von der gesetzgebenden zu unterscheidende ver347 § 22 VEG: „Nach der Feststellung durch den Reichswahlleiter prüft das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag das Abstimmungsergebnis.“ 348 Vgl. § 16 RStO: „Die Gemeindebehörde hat die Zahl der ausgestellten Stimmscheine spätestens am Tage nach dem Abstimmungstage der unteren Verwaltungsbehörde anzuzeigen. Sind keine Stimmscheine ausgestellt, so ist Fehlanzeige zu erstatten. Die unteren Verwaltungsbehörden haben die Anzeigen nach Gemeinden zusammenzustellen und die Zusammenstellung dem Abstimmungsleiter einzusenden, der sie dem Reichswahlleiter weiterzureichen hat.“ 349 Vgl. § 135 I S. 1 und 4 RStO: „Sobald der Kreiswahlausschuß (Abstimmungsausschuß) das endgültige Ergebnis festgestellt hat, muß der Kreiswahlleiter (Abstimmungsleiter) dem Reichswahlleiter fernmündlich oder drahtlich mitteilen: [ . . . ]; (Bei Volksentscheiden und bei Abstimmungen und Vorabstimmungen zur Neugliederung des Reichs) die Gesamtzahl der Stimmberechtigten und die auf jede einzelne Frage entfallenen „Ja- und Nein-Stimmen“. Die Mitteilung ist sofort schriftlich zu bestätigen.“ 350 Fetzer, Referendum, S. 52; Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 350; Hartwig, Volksbegehren, S. 51; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 95.

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fassungsgebende Gewalt gebe. Der Reichstag entscheide per Gesetzesbeschluss auch über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes.351 Diese Sicht der Verfassung und ihrer Grundlage lebte auch in der Weimarer Republik weiter,352 wurde jedoch nach 1919 von immer mehr Staatsrechtlern in Frage gestellt. Sie sahen einen Unterschied zwischen gesetzgebender und verfassungsgebender Gewalt und übten heftige Kritik an der weitreichenden Zulässigkeit sowie den möglichen Arten der Verfassungsänderung im neuen demokratischen System. Eine konkrete Folge der überlieferten herrschenden Meinung war nämlich, dass grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Normen für Verfassungsänderungen offen standen, solange die formalen Bedingungen für Verfassungsänderungen, also die des Art. 76 WRV, eingehalten wurden.353 Kritiker wie Carl Schmitt, Heinrich Triepel, Ottmar Bühler, mit Einschränkungen auch Walter Jellinek und Richard Thoma,354 sahen dagegen einen mehr oder weniger großen Kernbestand an verfassungsrechtlichen Grundwerten als unantastbar, eine diesbezügliche Verfassungsänderung also als unzulässigen Verfassungsbruch an.355 Eine weitere Folge des althergebracht herrschenden 351 Vgl. Paul Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II (4. Aufl.), Tübingen / Leipzig 1901, S. 34 – 35: „Die in der Verfassung enthaltenen Rechtssätze können zwar nur unter erschwerten Bedingungen abgeändert werden, aber eine höhere Autorität als anderen Gesetzen kommt ihnen nicht zu. Den es gibt keinen höheren Willen im Staate als den des Souveräns, und in diesem Willen wurzelt gleichmäßig die verbindliche Kraft der Verfassung wie die der Gesetze. Vgl. ders., Staatsrecht (7. Aufl.), Tübingen 1919, S. 70, 132; Richard Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hrsg.), HdBdStR Bd. I, Tübingen 1930, S. 193; Otto von Gierke, Labands Staatsrecht und die Deutsche Rechtswissenschaft (2. unv. Aufl.), Darmstadt 1961, S. 4 ff., 35, 46 ff. 352 Vgl. Anschütz, Verfasssung (14. Aufl.), zu Art. 76 (S. 401 – 3); Giese, Verfassung (8. Aufl.), zu Art. 76 (S. 190); Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 665; PoetzschHeffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 76 (S. 332); Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 542. Dass dies jedoch zu Anfang der Weimarer Republik nicht völlig unproblematisch für die Staatsrechtswissenschaft war, zeigen die Äußerungen Johann Stephan Contellys, der in seiner Dissertation „Die direkte Volksgesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung“ von 1920 (S. 57 – 8) zu dem Ergebnis kam, dass Art. 76 WRV immer nur dann eingreife, wenn der Verfassungstext geändert werde, nicht aber bei Verfassungsänderungen ohne Textänderung. 353 Grundlegend zur Gesamtproblematik, Karl Löwenstein, Erscheinungsformen der Verfassungsänderung, a. a. O. 354 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München / Leipzig 1928, S. 20, 103;Triepel, Abdrosselungsgesetz, Sp. 849; Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 76 (S. 103); Jellinek, Das verfassungsändernde Reichsgesetz, S. 189; Richard Thoma, Grundbegriffe und Grundsätze, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hrsg.), HdBdStR Bd. II, Tübingen 1930, S. 156 – 157. Vgl. auch Hansen, Volksgesetzgebung, S. 38. 355 Carl Schmitt (ders., Volksentscheid und Volksbegehren, S. 45 – 6) formulierte dies in konkretem Bezug auf die Volksgesetzgebung mit den Worten: „Wenn eine Verfassung Bestimmungen über die Gesetzesinitiative gibt, so will sie demjenigen, der die Initiative erhält, die Möglichkeit geben, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Und nicht mehr; es soll ihm nicht die inhaltlich grenzenlose Befugnis gegeben werden, alles, was ihm gut dünkt, in der Form des Gesetzes zu behandeln, alles was er anfaßt in ein Gesetz zu verwandeln und dadurch seine Zuständigkeit ins Grenzenlose zu erweitern.“ Für die herrschenden Meinung widersprach solchen Ansichten Friedrich Glum (ders., Grenzen, S. 1099 – 1108), der in

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Verfassungsverständnisses war außerdem, dass die Verfassung durch Gesetze geändert werden konnte, die den Wortlaut der Verfassung unverändert ließen,356 und auch Verfassungsdurchbrechungen357 zulässig waren, solange nur die Mehrheitserfordernisse des Art. 76 WRV eingehalten wurden.358 Der Münsteraner Staatsrechtler Ottmar Bühler hat dies in folgender Weise beklagt: „Leider hat sie [die Weimarer Reichsverfassung] auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen die stillschweigenden Verfassungsänderungen, das heißt solche, die ohne formell den Text der Verfassung zu ändern, tatsächlich doch ihren Inhalt berühren. Das hat sich als sehr verhängnisvoll erwiesen, denn der Reichstag hat sich nun eine sehr laxe Praxis in dieser Beziehung angewöhnt. [ . . . ] Das Schlimme an ihnen ist einmal, daß bei solchen stillschweigenden Verfassungsänderungen äußerlich nie klargestellt wird, welche Bestimmungen des betreffenden Gesetzes verfassungsändernd sind, weiter, daß auf diese Weise gar zu leicht statt wirklicher Verfassungsänderungen Verfassungsdurchbrechungen für einen Einzelfall beschlossen werden, die im Sinne der Verfassungsurheber eigentlich nicht zulässig sein sollten und sich leider doch so stark eingebürgert haben, daß sie heute schon als gewohnheitsrechtlich zugelassen betrachtet werden müssen.“359

Vervollständigt wurde diese fast uneingeschränkte Macht des Gesetzgebers schließlich durch die alleinige Kompetenz des Reichstages, festzustellen, ob ein seinem Beitrag „Die Grenzen der Volksgesetzgebung nach Art. 73 der Reichsverfassung“ diese Auffassung als zwar de lege ferenda wünschenswert, nicht aber de lege lata geltend ansah. De lege lata sei vielmehr alles zugelassen, was nach Verfassung und Staatspraxis auch bisher in Gesetzesform möglich gewesen sei. Mit noch einfacheren Worten formulierte es Julius Hatschek (ders., Reichsstaatsrecht, S. 351) für alle Arten der Gesetzgebung i. S. d. herrschenden Meinung: „Wir haben eben im Deutschen Staatsrecht keine besondere verfassungsgebende Gewalt und der gegen jenes als ,verfassungswidrig‘ bezeichnetes Verfahren erhobene Einwand, dass es ,eine Bindung des Gesetzgebers der Zukunft über das von der Verfassung selbst gesteckte Maß hinaus‘ bedeute, ist deshalb eben unrichtig, weil ein solches ,Maß‘ ohne die Annahme einer besonderen verfassungsgebenden Gewalt gar nicht existieren kann.“ Vgl. auch: Anschütz, Verfasssung (14. Aufl.), 1933, S. 402 – 403; Hartwig. Volkbegehren, S. 29 – 30; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 208; Hempel, Volksgesetzgebung, S. 20; Poetzsch-Heffter, Volksgesetzgebung, Sp. 3364 – 3365. 356 Dies allgemein ablehnend und auch insbesondere im Zusammenhang mit der Volksgesetzgebung darstellend: Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 230. 357 Unter Verfassungsdurchbrechung wurde hierbei, im Gegensatz zur allgemeinen Verfassungsänderung ohne Textänderung durch Gesetz, eine nur für einen Einzelfall, eine punktuelle Abweichung von verfassungsrechtlichen Bestimmungen, eben eine Durchbrechung der Verfassung im Einzelfall verstanden. Vgl. Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 76 Nr. 2 (S. 401 – 402). 358 Vgl. Laband, Staatsrecht (4. Aufl.), S. 34. Dass die ganze Problematik zu Anfang der Weimarer Republik nicht völlig unproblematisch für die Staatsrechtswissenschaft war, zeigen in diesem Zusammenhang die Äußerungen Johann Stephan Contellys, der in seiner Dissertation von 1920 (ders., Volksgesetzgebung, S. 57 – 58) zu dem Ergebnis kam, dass Art. 76 WRV immer nur dann eingreife, wenn der Verfassungstext geändert werde, nicht aber bei Verfassungsänderungen ohne Textänderung. Für die Volksgesetzgebung folge daraus, dass auch nur materiell aber nicht formell verfassungsändernde Gesetzesbegehren nur unter Art. 75 WRV fielen. 359 Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 76 (S. 102 – 103).

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Gesetz verfassungsändernd war oder nicht. Die in der Wissenschaft erhobene Forderung, den Staatsgerichtshof wenigstens über den verfassungsändernden Charakter eines Gesetzes und damit über die Anwendbarkeit des Art. 76 WRV urteilen zu lassen, wurde bis 1933 von der Politik nicht umgesetzt.360 Vor dem Hintergrund dieser Grundsatzdebatte und der in ihr vertretenen Positionen wird nachvollziehbar, warum Teile der Staatsrechtswissenschaft die Volksgesetzgebungsverfahren für eine Fürstenenteignung 1926, gegen den Panzerkreuzerbau 1928 oder für das „Freiheitsgesetz“ 1929 zwar für verfassungsändernd, aber zulässig hielten, obwohl der Verfassungstext unberührt blieb, andere Stimmen in der Rechtswissenschaft aus einem Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Bestimmungen dagegen die Unzulässigkeit des Gesetzesentwurfs folgerten. Für letztere verstießen die Gesetzentwürfe gegen einen von ihnen als unantastbar angesehenen Kernbereich der Verfassung, oder aber sie forderten zumindest eine Textänderung der Verfassung. Im Zusammenhang mit dem Volksbegehren für eine Fürstenenteignung 1926 wurden all diese Streitfragen ausführlich in einem Beitrag des Berliner Ministerialrats Lucas vom 10. Juni 1926 dargestellt.361 Ausgangspunkt war darin die von Lucas grundsätzlich unterstützte Auffassung der Reichsregierung,362 dass der begehrte Gesetzentwurf einen durch Art. 153 II WRV363 nicht mehr gedeckten Eigentumseingriff darstelle. Darüber hinaus sah er aber auch noch die Bedingung des „ausgearbeiteten Gesetzesentwurfs“ nach Art. 73 II S. 2 WRV als nicht eingehalten ein.364 Problematisch waren für ihn dann jedoch die daraus zu ziehenden verfassungsrechtlichen Folgerungen, von deren er drei für möglich hielt: „1. Die unmittelbare Volksgesetzgebung kann die Verfassung ändern. Hiervon ausgenommen sind aber diejenigen Verfassungsvorschriften, welche das Volksbegehren und den Volksentscheid selbst betreffen und Schranken für sie aufrichten, so in Art. 73 [ . . . ], der Abs. 3 Satz 2 und der Abs. 4. Das sind Schranken, von denen die Volksinitiative 360 Vgl. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 536 – 537; Poetzsch-Heffter, Volksgesetzgebung, Sp. 3364 – 3365; Michaelis, Kann der Reichstag Gesetze, die im Wege des Volksentscheids erlassen sind, beliebig wieder aufheben?, in: DJZ 34 (1929), Sp. 1451 – 1455, 1454 – 1455; Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 210. 361 Lucas, Volksbegehren über Fürstenenteignung, Sp. 489 – 499. 362 Vgl. Darstellung bei: Katzenstein, Verfassungsrechtliche Streitfragen, S. 593. 363 Art. 153 WRV: „Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ 364 Vgl. Ausführungen in Kap. II A. 4. b) bb). Die Reichsregierung folgerte hieraus das Eingreifen des Art. 76 I S. 4 WRV.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933 sich nicht selbst befreien kann – Nach dieser Ansicht wäre das Volksbegehren über die Fürstenenteignung [mangels ,ausgearbeitetem‘ Gesetzentwurf] unzulässig.

2. Die unmittelbare Volksgesetzgebung kann auch die für sie selbst geltenden und sie beschränkenden Vorschriften der Verfassung ändern. Aber das muß dann durch ausdrückliche und ein für allemal gültige Aenderung der Verfassungsurkunde geschehen. Erst wenn diese erfolgt ist, ist die Bahn für ein an die nunmehr gefallenen Schranken nicht mehr gebundenes Volksbegehren frei. Unzulässig ist es dagegen, daß ein Volksbegehren eine der ihm verfassungsmäßig gesetzten Schranken lediglich für den einzelnen Fall dadurch sprengt, daß es sich zu ihr inhaltlich in Widerspruch setzt [Verfassungsdurchbrechung] – Auch diese Ansicht würde das Volksbegehren über die Fürstenenteignung als unzulässig erscheinen lassen. 3. Die unmittelbare Volksgesetzgebung kann ihre verfassungsmäßigen Schranken auch lediglich für den einzelnen Fall durch inhaltlichen Widerspruch außer Kraft setzen. Häufig kommen vom Reichstag beschlossene Reichsgesetze vor, die ohne Aenderung der Verfassungsurkunde einzelne ihrer Vorschriften mit Wirkung nur für bestimmte Tatbestände dadurch aufheben, daß sie diese Tatbestände anders regeln, als die Verfassung es vorschreibt. Dies muß auch für vom Volk beschlossene Reichsgesetze und unterschiedslos in Ansehung aller Bestimmungen der Verfassung gelten.“365

Lucas selber schloß sich der ersten der von ihm skizierten Ansichten mit der Begründung an, dass es ansonsten in einer Parallelwertung dem Reichstag grundsätzlich auch ohne weiteres möglich sei, die Beteiligung des Reichsrates an der Gesetzgebung durch ein mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossenes Gesetz aufzuheben. Dies sei jedoch vom Verfassungsgeber ganz sicher nicht gewollt gewesen.366 Auch 1928 / 29 gab es in Professor Carl Bilfinger einen anerkannten Staatsrechtler, der den Gesetzentwurf gegen den Bau von Panzerkreuzern nicht nur als verfassungsändernd, sondern sogar als verfassungsrechtlich unzulässig ansah. Er sah in dem Begehren eine Exekutivmaßnahme und damit einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung: „Weder ein spezielles, noch ein generelles Verbot an die Exekutive, Exekutivmaßnahmen vorzunehmen, kann im Sinn der nach dem Prinzip der Gewaltenteilung aufgebauten Verfassung der Inhalt eines Gesetzes sein; die Verfassung hat die Ausnahmefälle, in welchen exekutive Befugnisse nach dem Verfahren der Gesetzgebung wahrzunehmen sind, erschöpfend aufgezählt. [ . . . ]. Man kann auch nicht sagen, daß der Entwurf unter dem Gesichtspunkt der, gleichfalls verfassungswidrigen Kategorie eines verfassungsdurchbreLucas, Volksbegehren über Fürstenenteignung, Sp. 492 – 493. Ebd. Sp. 495 – 496. Vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren 1926 auch das ehemalige Mitglied der verfassungsgebenden Nationalversammlung Simon Katzenstein, der in einem wissenschaftlichen Beitrag in der Zeitschrift „Die Justiz“ im August 1926 (ders., Verfassungsrechtliche Streitfragen, S. 593) anhand des Wortlautes des Art. 153 II WRV nachzuweisen versuchte, dass das Begehr keinesfalls verfassungsändernd sei. Art. 153 II WRV lasse durch die Formulierung „soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt“ explizit auch eine entschädigungslose Enteignung zu. Einen Verstoß gegen die Bedingung eines „ausgearbeiteten Gesetzentwurf“ in Art. 73 III S. 2 WRV sah er nicht. 365 366

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chenden, in diesem Sinne verfassungsändernden Gesetzes hätte zugelassen werden können. Die Verfassung läßt eine Durchbrechung ihres Systems nicht zu.“367

Im Zusammenhang mit dem „Freiheitsgesetz“ gegen den Young-Plan 1929 waren es vor allem der Berliner Ministerialrat Zschucke, Gerhard Anschütz, Fritz Poetzsch-Heffter sowie der Breslauer Regierungsrat Alois Schulte, die sich zur Thematik äußerten.368 Sie bestätigten die Auffassung der Reichregierung, die den Gesetzentwurf als nicht im Einklang mit den völkerrechtlichen Befugnissen des Reichspräsidenten aus Art. 45 WRV sowie auch gegen die Richtlinienkompetenz des Reichskanzlers aus Art. 56 WRV.369 Während Zschucke und Anschütz daraus wie die Reichsregierung jedoch nur eine Anwendbarkeit des Art. 76 WRV schlussfolgerten,370 gingen Poetzsch-Heffter und Schulte noch weiter. Sie sahen eine verfassungsrechtliche Unzulässigkeit des Gesetzentwurf. Politische Richtlinien seien aufgrund des übergeordneten Prinzips der Gewaltenteilung grundsätzlich nicht der Form eines Gesetzes zugänglich. Deshalb sei ein Volksbegehr in dieser Richtung nicht verfassungsändernd, sondern schlicht unzulässig.371 Für Poetzsch-Heffter kam die Regierung nur aufgrund der seiner Auffassung nach falschen Angewohnheit, auch Verfassungsänderungen ohne Textveränderung der Reichsverfassung als möglich anzusehen, nicht selber zu diesem einzig richtigen Ergebnis. Er widersprach in diesem Zusammenhang auch vehement der Praxis, sogar Verfassungsdurchbrechungen für zulässig zu halten. Wenigstens für die Volksgesetzgebung dürfe man dies nicht akzeptieren.372 Während die Stellungnahmen 1926 und 1928 weitgehend ohne Resonanz blieben, erntete 1930 die Haltung der genannten Juristen entschiedenen Widerspruch von dem Tübinger Privatdozenten Wilhelm Merk. Er stellte unter direkter Bezugnahme auf die Ausführungen Poetzsch-Heffters ganz im Geiste des althergebrachten Verfassungsverständnisses fest:

367 Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff A, S. 434 – 435 unter Verweis auf die Thesen Carl Schmitts. Weitergehend sah Bilfinger in dem Begehr keinen „ausgearbeiteten Gesetzentwurf“ wie auch einen Verstoß gegen den Finanzvorbehalt des Art 73 IV WRV. 368 Zschucke, Volksentscheid, Sp. 87 – 89; Anschütz, Staatsrechtliche Betrachtungen zum Volksbegehren, a. a. O.; Schulte, Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 229; PoetzschHeffter, Volksgesetzgebung, Sp. 3364 – 3365. 369 Vgl. ebd.; RTDrS 1928, Nr. 1429 (Anl. 4). Vgl. auch: Art. 45 I WRV: „Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.“ Art. 56 WRV: „Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.“ 370 Zschucke, Volksentscheid, Sp. 87 – 89. 371 Schulte, Zur Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 229; Poetzsch-Heffter, Volksgesetzgebung, Sp. 3365. 372 Ebd.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

„Es ist jedoch nicht einzusehen, warum eine Richtlinie für die Außenpolitik nicht in die Form eines Gesetzes soll gekleidet werden können. Eine Bestimmung darüber, was zum Gegenstand der Gesetzgebung gemacht werden kann, enthält die Reichsverfassung nicht.“373

Einen aus einem Verstoß gegen die Gewaltenteilung hergeleiteten verfassungsändernden Charakter des Begehrens konnte Merk nicht nachvollziehen. Die Trennung der Gewalten sei in der Weimarer Verfassung im Gegensatz zur Kaiserzeit nicht mehr so streng durchgehalten, was sich aus dem demokratischen Grundaufbau der Reichsverfassung und der Volkssouveränität ergebe. Ein Eingriff in die Kompetenzen des Reichspräsidenten aus Art. 45 WRV sei zudem auch deshalb nicht erkennbar, da dieser grundsätzlich keine „selbständige auswärtige Politik“ betreiben könne.374 Für Merk war der begehrte Gesetzesentwurf weder verfassungsrechtlich unzulässig, noch überhaupt verfassungsändernd. Bis 1933 hat sich die aus dem Kaiserreich übernommene Meinung über die vielfältigen Formen von Verfassungsänderungen und Verfassungsdurchbrechungen als herrschend halten können. Die verfassungsrechtliche Praxis hat sich nicht mehr geändert. Anders ist dies erst mit Einführung des Grundgesetzes und der Art. 79 I, III, 93, 100 GG geworden.375

d) Weitere Schranken der Volksgesetzgebung in der Staatsrechtswissenschaft – Das formelle oder materielle Gesetz als Gegenstand der Volksgesetzgebung Neben den bereits diskutierten Schranken des Art. 73 IV WRV, Art. 75 WRV und Art. 76 I S. 4 WRV wurden noch weitere Einschränkungen für die Volksgesetzgebung, insbesondere im Zusammenhang mit der Zulassung von Volksbegehren nach Art. 73 III WRV diskutiert. Ein Ansatz hierbei war die von insbesondere zwei Juristen vertretene Auffassung, dass die Volksgesetzgebung sich nur auf „materielle Gesetze“ (Gerd Günther Hansen) oder auf die „materielle Gesetzgebung“ (Alois Schulte) beziehen Merk, Volksbegehren, S. 92. Ebd., S. 88 – 102. 375 Das Grundgesetz schließt Verfassungsänderungen ohne Textänderung aus, wie auch Verfassungsdurchbrechungen grundsätzlich unzulässig sind. Zusätzlich hat Art. 79 III bestimmte Grundwerte unserer Demokratie unter einen „Ewigkeitsschutz“ gestellt. Die Art. 93, 100 GG statuieren zudem eine weitreichende Prüfungskompetenz des BVerfG auch für die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Vgl. Art. 79 I, III GG: „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. [ . . . ]. Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt wird, ist unzulässig.“ 373 374

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dürfe.376 Gerd Günther Hansen definierte hierbei die Anforderungen an ein materielles Gesetz für sich dahingehend: „Materiell ist nur dasjenige formelle Gesetz, auf das Art. 109 I WRV377 Anwendung findet. Anwendung finden kann also ein Gesetz, vor dem Gleichheit möglich ist, dem die Möglichkeit dieser Gleichheit begriffsnotwendig ist. Nur ein Gesetz, dass diesen Anforderungen entspricht, kann grundsätzlich der Volksgesetzgebung zugrunde gelegt werden.“378

Hansen unternahm mit seiner nur teilweise nachvollziehbaren Definition den Versuch, ein der Volksgesetzgebung zugängliches „Gesetz“ von einer für ihn unzulässigen „Maßnahme“ zu unterscheiden.379 Auch für Alois Schulte war das entscheidende Spezifikum einer „materiellen Gesetzgebung“, dass damit „beliebige Souveränitätsakte“ als Gegenstand eines Volksbegehrens ausgeschlossen seien. Er begründete dies etwas unscharf aber vor allem mit dem übergeordneten Grundsatz der Gewaltenteilung und weniger mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 109 I WRV.380 Die Meinungen von Hansen und Schulte stießen auf wenig Resonanz. Für die Mehrheit in der Staatsrechtswissenschaft ergab sich aus dem Begriff des Gesetzes oder des „ausgearbeiteten Gesetzentwurfs“ in Art. 73 III WRV, dass jegliches formelle Gesetz der Volksgesetzgebung offen stand. Ein Unterschied zu anderen, vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen wurde in der Regel nicht gesehen.381 Eine Ausnahme machten in diesem Zusammenhang nur Kriegserklärungen oder Friedensschlüsse, die sowohl in Gesetzes- als auch in Form einer Maßnahme ergehen konnten. Ob auch solche außenpolitischen Maßnahmen in Gesetzesform möglich war, wurde zwar zumeist im Ergebnis bejaht, einige Staatsrechtslehrer wie Fritz Stier-Somlo oder Johann Stephan Contelly taten sich hierbei unter Verweis auf die Gewaltenteilung aber schwer, auch in diesem Fall alleine den formellen Gesetzesbegriff als entscheidend anzusehen.382

376 Hansen, Volksgesetzgebung, S. 21 – 22; Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 229. 377 Vgl. Art. 109 WRV: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ 378 Hansen, Volksgesetzgebung, S. 21 – 22. 379 Ebd. 380 Schulte, Die Zulässigkeit von Volksbegehren, S. 229. 381 Vgl. Löwisch, Volksentscheid, S. 76; Fetzer, Referendum, S. 48; Martens, Volksbegehren, S. 59; Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 156; Hartwig, Volksbegehren, S. 26; Hans Grundmann, Volk und Volksvertretung, Eine Untersuchung ihres gegenseitigen Kräfteverhältnisses nach dem Recht der modernen Demokratien (Reich und Länder, Amerika und Schweiz), Diss. jur., Heidelberg 1932, S. 41; Duft, Volksentscheid, S. 44 – 49. 382 Vgl. Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 538; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 26; Löwisch, Volksentscheid, S. 76; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 505; Fetzer, Referendum, S. 48.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Einigkeit bestand darüber, dass Gesetze, die gegen die guten Sitten verstießen oder unehrenhaft seien, im Rahmen der Volksgesetzgebung nicht zulässig seien.383 6. Konkurrenzprobleme der Volksgesetzgebung im juristisch-dogmatischen Diskurs – Volksentscheid und Reichstagsbeschluss sowie das Aufeinandertreffen verschiedener Volksgesetzgebungsinitiativen Losgelöst von den dargestellten verschiedenen Verfahren wie auch den „Hürden oder Schranken“ für den Volksentscheid, gab es noch zwei übergeordnete Problemkomplexe der Geltungskonkurrenz, die in der Staatsrechtswissenschaft diskutiert wurden. Zum einen ging es hierbei um die Konkurrenz von Volksentscheid und späterem anderslautendem Reichstagsgesetz, also um die Anwendbarkeit des Grundsatzes „lex posterior derogat legi priori“. Zum anderen stritt die Staatsrechtswissenschaft um den Umgang mit mehreren zeitlich zusammentreffenden, auf denselben Gegenstand bezogenen Initiativen zu einem Volksentscheid. a) Die Konkurrenz von Volksentscheid und Reichstagsbeschluss – Kann der Reichstag ein per Volksentscheid beschlossenes Gesetz legislativ ändern oder wieder aufheben? In den Anfangsjahren der Weimarer Republik war die Ansicht unbestritten, dass, wie Anschütz es 1921 ausdrückte, „die durch Volksentscheid beschlossenen oder bestätigten Gesetze [ . . . ] als solche keine erhöhte Gesetzeskraft der Art [haben], daß zu ihrer Abänderung oder Aufhebung wiederum ein Volksentscheid notwendig wäre. Sie können wie jedes andere Reichsgesetz durch Reichstagsbeschluß abgeändert oder aufgehoben werden“.384 Diese auch von Hans Venator sowie in den Dissertationen von Günther Löwisch und Max Fetzer385 vertretene Auffassung entsprach zum einen dem allgemeinen Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“. Zum anderen war sie auch deshalb naheliegend, da man, wie dargestellt, vor allem in der frühen Weimarer Republik noch keinen Unterschied zwischen einer gesetzgebenden Gewalt eines Parlamentes und einer verfassungsgebenden Gewalt eines Volkes sah.386 Wenn es trotz anerkannter Volkssouveränität schon hier keinen 383 Hierzu finden sich jedoch nur bei Alois Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 229, und bei Georg Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 208 allerdings gleichlautende Aussagen. 384 Anschütz, Verfassung, Berlin 1921, zu Art. 73 Nr. 4 (S. 133). 385 Vgl. Venator, Volksentscheid, S. 88; Löwisch, Volksentscheid, S. 51; Fetzer, Referendum, S. 22. 386 Auf diese vor allem auf Laband zurückgehende Lehre wurde bereits in Abschnitt 5. c) eingegangen. Vgl. zudem Hatschek, Reichsstaatsrecht, S. 351; Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), S. 402 – 403; Hartwig, Volksbegehren, S. 29 – 30; Kaisenberg, Die formelle Ordnung des Volksbegehrens, S. 208.

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Unterschied gab, lehnte man eine vorrangige Rechtssetzungskompetenz des „Verfassungsgebers“ Volk für einfache Gesetze erst recht ab.387 Das Volk erschien als ein Staatsorgan neben Reichstag, Reichsrat und Reichspräsident.388 Theoretisch sollte es deshalb möglich sein, dass der Reichstag einen erfolgreichen Volksentscheid sofort wieder durch einen entgegenlautenden Gesetzbeschluss aufheben konnte.389 Erst 1927 in der Leipziger Dissertation von E. Gerhard H. Hempel wurde die normative Gleichwertigkeit von Volksentscheid und Reichstagsbeschluss in Frage gestellt. Nach einer Auseinandersetzung mit den theoretischen Modellen Labands und Georg Jellineks über das Verhältnis von Volk und parlamentarischer Repräsentation kam Hempel auf der Grundlage der Volkssouveränität zu dem Schluss, dass dem Volk als primärer, originärer Gesetzgebungsfaktor die „letzte irreversible“ Entscheidungsgewalt zustehe. Deshalb könne der Reichstag die per Volksentscheid beschlossenen Gesetze nicht aufheben oder ändern. Auch eine Kompetenz des Reichstags zur Aufhebung oder Änderung nach Ablauf einer gewissen Frist aus Gründen der staatlichen Handlungsfähigkeit sei nicht nötig. Da die Volksgesetzgebung in Deutschland sowieso nur bei wichtigen und prinzipiellen Fragen in Frage käme, könne man die Aufhebung oder Änderung dieser Entscheidungen ruhig auch dem Volk überlassen. Er schlussfolgerte: „Wenn es der Reichstag wirklich wagen sollte, einen Volksentscheid unmittelbar außer Kraft zu setzen, so wäre das ein staatsrechtlicher Nonsens“.390 Hempel blieb mit seiner Auffassung nicht alleine. 1929, 1930 und 1932 äußerten sich mit dem Referendar Michaelis aus Bethel, Jakob Hein und dem Hamburger Regierungsdirektor Hartmann drei Juristen zu dieser Problematik, die insbesondere Michaelis für in der Wissenschaft bisher vernachlässigt, aber politisch durchaus relevant hielt.391 Alle drei sahen auf der 387 Dies, obwohl Autoren wie August Finger (ders., Staatsrecht, S. 14) schon 1921 in Bezug auf die demokratische Legitimation von Reichstag oder Volk durchaus Unterschiede feststellten: „Es bleibt neben vom Volk gebildeten abgeleiteten Organen noch das Volk als Ganzes als ein unmittelbares unabgeleitetes Organ der Staatswillensbildung bestehen. Diese Form ist, [ . . . ], in der deutschen Reichsverfassung durchgeführt, indem neben dem zur Gesetzgebung berufenen, aus dem Volk gebildeten (abgeleiteten) Organ, dem Reichstag, noch das Volk als Ganzes (als unabgeleitetes Organ) an der Gesetzgebung potentiell mitbeteiligt ist durch Ausübung des Volksentscheids und Volksbegehrens.“ 388 Wenn man die Volksgesetzgebung nicht sowieso als ein vor allem politisches Recht ansah. Vgl. Kap. II A. 1. unter Bezug auf Fetzer, Referendum, S. 24 sowie allgemein: Giese, Reichsverfassung (3. Aufl.), zu Art. 73 Nr. 1 (S. 189); Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 524 – 525; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 498 – 499; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 77. Letzterer kritisierte die Organstellung des Volkes in der neuen Reichsverfassung. 389 Nur Hans Venator (ders., Volksentscheid, S. 88) erwog eine gewisse Karenzzeit, bis der Reichstag dies tun dürfe. 390 Hempel, Volksgesetzgebung, S. 18 – 19, 19. 391 Michaelis, Kann der Reichstag Gesetze, die im Wege des Volksentscheids erlassen sind, beliebig wieder aufheben?, Sp. 1451 – 1455; Jakob Hein, Rechtsprobleme der Volksgesetzgebung im deutschen Reichs- und Landesverfassungsrecht, Diss. jur., Bonn 1934 (ver-

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Grundlage der Volkssouveränität eine in der Weimarer Reichsverfassung zwar nicht explizit festgehaltene, sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang ergebende Subordination des Reichstages unter das Volk. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Geist des Art. 73 WRV. Art. 43 II WRV392 sehe sogar die automatische Auflösung des Reichstages vor, wenn sich ein vom Reichspräsidenten angestrengter Volksentscheid für den Präsidenten ausspreche. Dies sei ein klarer Hinweis auf einen über dem Reichstag anzusiedelnden Rang des Volkes in der Gesetzgebung. Ein solcher habe auch dem Willen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung entsprochen.393 Während sich für Hartmann daraus ergab, dass der Reichstag einen Volksentscheid nicht einmal durch ein verfassungsänderndes Gesetz aufheben könne,394 folgerten Michaelis und Hein aus dieser Unterordnung keine uneingeschränkte Unantastbarkeit des durch Volksentscheid beschlossenen Gesetzes. Michaelis folgend könne der Reichstag sehr wohl nach einer gewissen Zeit, zur besseren Durchführung des Volkswillens oder bei einer Änderung der Umstände, das Gesetz ändern oder sogar aufheben, dürfe sich dabei aber nicht in einen eindeutigen Widerspruch zum vorher geäußerten Volkswillen setzen. Eine unbeschränkte Befugnis des Reichstages zur Gesetzesaufhebung oder -änderung war für ihn außerdem, wie auch für Hein, für einen neuen Reichstag gegeben, weil davon auszugehen sei, dass der „Dissensus“ zwischen Reichstag und Volk, der zu dem Volksentscheid geführt habe, nach einer Reichstagwahl nicht mehr bestehe.395 fasst 1932), S. 9; Hartmann, Kann ein Volksentscheid durch einen Beschluß des Reichstages wieder aufgehoben werden?, in: LZR 24 (1930), Sp. 436 – 437. Für politisch relevant hielt Michaelis (vgl. ebd., Sp. 1452) die Frage deshalb, weil sowohl der Reichstag als auch Stimmen aus der Wissenschaft im Zusammenhang mit den Volksbegehren für eine Fürstenenteignung 1926 und gegen den Panzerkreuzerbau 1928 bei einem Erfolg erwogen, bzw. gefordert hatten, den Volksentscheid einfach durch ein Reichstagsgesetz wieder aufzuheben. Vgl in diesem Zusammenhang: Finger, Volksbegehren „Panzerkreuzer-Verbot“, Sp. 1371; Mügel, Die Volksbegehren zur Aufwertung, Sp. 694. 392 Vgl. Art. 43: „Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig. Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstages durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluß des Reichstages erfordert Zweidrittelmehrheit. Durch den Beschluß ist der Reichspräsident an der ferneren Ausübung des Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl und hat die Auflösung des Reichstages zur Folge. Der Reichspräsident kann ohne die Zustimmung des Reichstages nicht strafrechtlich verfolgt werden.“ 393 Michaelis, Kann der Reichstag Gesetze, die im Wege des Volksentscheids erlassen sind, beliebig wieder aufheben?, Sp. 1453; Hartmann Volksentscheid, Sp. 436. 394 Hartmann, Volksentscheid, Sp. 437: „Ein Volksentscheid kann nicht einmal durch ein verfassungsänderndes Gesetz, sondern immer nur durch einen neuen Volksentscheid aufgehoben werden; der Reichstag ist hierzu wegen seiner ganzen Stellung dem souveränen Volk gegenüber, von dem er seine Vollmachten empfängt und dem er daher untergeordnet ist, nicht berechtigt.“ 395 Michaelis, Kann der Reichstag Gesetze, die im Wege des Volksentscheids erlassen sind, beliebig wieder aufheben?, Sp. 1454; Hein, Rechtsprobleme der Volksgesetzgebung, S. 44.

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In der Folgezeit haben sich auch Werner Hartwig, Gerd Günther Hansen, insbesondere aber der Leipziger Staatsrechtler Erwin Jacobi und 1932 Richard Thoma mit gleichlautenden Begründungen dieser neuen Auffassung angeschlossen.396 Andere Staatsrechtler wie Gerhard Anschütz und Walter Jellinek, neben Carl Schmitt die wichtigsten Vertreter der „alten“ Meinung, verteidigten die Gleichwertigkeit von Reichstagsbeschluss und Volksentscheid.397 Insbesondere Anschütz nahm 1933 in der 14. Aufl. seines Verfassungskommentars ausführlich Stellung zu dem Meinungsstreit und lehnte die neue Ansicht mit der Argumentation ab, dass durch eine Höherwertigkeit eines „Volksgesetzes“ indirekt ein obligatorisches Verfassungsreferendum in das System der Weimarer Verfassung hineingedeutet werde, was nicht dem Willen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung entsprochen habe:398 „Die Befragung und Entscheidung des Volkes ist niemals kraft Gesetzes notwendig, weder in dem Falle, wenn es sich um Abänderungen der Verfassung, insbesondere ihrer unmittelbar-demokratischen (plebisztären) Einrichtungen handelt, noch dann, wenn ein volksbeschlossenes Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden soll. [ . . . ]. Die Vorliebe der Nationalversammlung für die unmittelbare Demokratie war eine vorwiegend theoretische, um nicht zu sagen: platonische.“399

Seiner Aussage nach war die von ihm favorisierte alte Ansicht auch 1933 noch herrschend; eine Ansicht, der zuzustimmen ist. In der Verfassungswirklichkeit ist die Frage nach der Aufhebung eines Volksentscheids durch Reichstagsbeschluss niemals aktuell geworden.

396 Hartwig, Volksbegehren, S. 60; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 60 – 62; Erwin Jacobi, Reichsverfassungsänderung, in: Die Reichsgerichtspraxis im Deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50 jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 1, Berlin / Leipzig 1929, S. 233 – 277, 255; Thoma, Grundbegriffe, S. 114. Für ihn war entscheidend, dass die Volksgesetzgebung die höchste Form der Demokratie ist, der Appell an das Volk immer der letzte Maßstab der politischen Willensbildung sei. Vgl auch: Le Dantec, L’initiative Populaire, S. 102 – 104. Le Dantec empfand eine Kompetenz des Reichstages zur Änderung oder Aufhebung jeden Gesetzes wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund der französischen Verfassungsgeschichte schlicht als anmaßend und inakzeptabel: „Le Reichstag, représentant du peuple, recevait des pouvoirs supérieurs à ceux de son commettant, qui était mis dans l’impossibilité de controler la gestion de son mandataire ou de le désavouer“. 397 Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 73 Nr. 4 (S. 386); Jellinek, Das verfassungsändernde Reichsgesetz, S. 185, Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 98; ders., Legalität und Legitimität, München / Leipzig 1932, S. 63 – 69. So auch: Grundmann, Volk und Volksvertretung, S. 43. 398 Anschütz, Verfassung (14. Aufl.), zu Art. 73 Nr. 4 (S. 386 – 387). 399 Ebd.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

b) Das Aufeinandertreffen mehrerer Initiativen zum Volksentscheid Der § 3 II VEG400 sah für den Fall, dass „mehrere Volksbegehren über denselben Gegenstand“ aufeinander trafen, einen Volksentscheid über alle vom Volk unmittelbar begehrten Gesetzentwürfe einschließlich eines vom Reichstag angenommenen vor. Gesetzliche Bestimmungen für das Aufeinandertreffen anderer möglicher Initiativformen hin zu einem Volksentscheid gab es nicht. Übereinstimmung herrschte aber darüber, dass Kollisionen zwischen verschiedenen Initiativen zur Volksgesetzgebung möglich waren, es also nicht einen automatischen Ausschluss der späteren durch die frühere Initiative gab.401 Bereits 1920 setzte sich daher Heinrich Triepel in seinem Beitrag „Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung“ mit Lösungen für mögliche nicht von § 3 II VEG erfasste Kollisionen auseinander. Beiträge anderer Staatsrechtler knüpften später an seine Ausführungen an. Für den Fall, dass ein „suspensives Veto“ des Reichspräsidenten nach Art. 73 I WRV auf einen Einspruch des Reichsrates gegen ein und dasselbe Gesetz trifft, schloss Triepel aus der „kategorischen Fassung“ des Art. 73 I WRV, dass die Anordnung des Reichspräsidenten einem Einspruch vorgehe. Dies unabhängig davon, ob der Einspruch vor, gleichzeitig mit oder nach dem Veto nach Art. 73 I WRV erhoben werde. Insbesondere ein nachträglicher Einspruch dürfe dem Volk die Entscheidung über ein Gesetz nicht im Nachhinein wieder entwenden.402 Dieses Ergebnis Triepels fand bei den meisten Autoren, die sich der Frage stellten, wie Max Fetzer 1922, Günther Löwisch 1922, Fritz Stier-Somlo 1924 sowie Werner Hartwig 1930 Zustimmung.403 Löwisch fügte Triepels Argumentation hierbei noch die besondere Konstellation einer zu Ende gehenden Legislaturperiode hinzu, in der bei einem Vorrang des Reichsrateinspruchs ein solcher wie ein absolutes Gesetzesveto wirke, weshalb schon aus diesem Grunde die Anordnung des Reichspräsidenten vorgehen müsse.404 Für Fetzer folgte der Vorrang des Art. 73 I WRV aus der größeren Nähe des Reichspräsidenten zum Volk als Souverän. Für Hartwig war entscheidend, dass der Reichspräsident am Ende des Gesetzgebungsweges stehe, seine Entscheidung deshalb ein größeres Gewicht haben müsse.405 Widerspruch erfuhr diese als herrschende Meinung anzusehende Lösung 1923 aus der 400 Vgl. § 3 II VEG: „Haben dem Reichstag mehrere Volksbegehren über denselben Gegenstand vorgelegen, so ist auch ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz, durch welches einer der begehrten Gesetzentwürfe unverändert angenommen wurde, zusammen mit den anderen begehrten Gesetzentwürfen dem Volksentscheide zu unterbreiten.“ 401 Vgl. exemplarisch: Venator, Volksentscheid, S. 85; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 48. 402 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 526 – 527. 403 Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 535; Hartwig, Volksbegehren, S. 53; Fetzer, Referendum, S. 65; Löwisch, Volksentscheid, S. 66. 404 Ebd. 405 Fetzer, Referendum, S. 65; Hartwig, Volksbegehren, S. 53.

A. Der juristisch-dogmatische Diskurs zu den Art. 73 – 76 WRV

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Universität Halle durch Prof. August Finger sowie in der von ihm dort betreuten Dissertation „Die Konkurrenz von Initiativen auf Volksentscheid nach der Reichsverfassung“ von Johannes Fischer von 1924. Professor wie sein Doktorand kamen aufgrund von, so Fischer, „politisch-dynamischen“ Erwägungen zu einem Vorrang des Reichsratseinspruchs vor dem „Veto“ des Reichspräsidenten.406 Zwischen Reichstag und Reichsrat sei es leichter und schneller möglich, einen nach Art. 73 I WRV der Problematik angemessenen Kompromiss zu finden. Deshalb habe der Reichsratseinspruch Vorrang. Gelinge ein Kompromiss nicht, könne der Reichspräsident immer noch einen Volksentscheid anordnen. Eine Ausnahme stellten für Fischer nur die Konstellationen dar, in denen das Veto des Reichspräsidenten und der Einspruch des Reichsrat nur in Bezug auf Teile eines Gesetzes aufeinander träfen, oder aber sich die Initiativen gegen verschiedene Teile des Gesetzes wendeten. Hier müsste Art. 73 I WRV der Vorrang eingeräumt werden, damit der ganze Gesetzentwurf einer Überprüfung unterzogen werde.407 Dem Vorwurf, dass diese Auslegung der Verfassung weder den Wortlaut noch einen möglichen Willen der Verfassungsväter in die Überlegungen einbezog, entgegnete Prof. Finger dabei mit der Feststellung: „Wer bei der Konstruktion derartiger Fälle von Möglichkeiten ausgeht, die sich nur aus unsachlicher Anwendung von Verfassungsbestimmungen seitens der hierzu berechtigten Organe ergeben können, darf eine richtige, klare Antwort in der Verfassung nicht erwarten.“408

Zu einhelligen Ergebnissen kam die Weimarer Staatsrechtswissenschaft bei der Kollision von Anordnungen des Reichspräsidenten nach Art. 73 I WRV mit einer Referendumsinitiative nach Art. 72, 73 II WRV einerseits und bei einer Kollision einer Anordnung des Reichspräsidenten nach Art. 73 I WRV mit einem Volksbegehren nach Art. 73 III WRV andererseits. Im ersten Fall sollte es zu einem Volksentscheid nach Art. 73 I WRV kommen, um das Volk unmittelbarer zu beteiligen. Auch im zweiten Fall sollte es sofort zu einem Volksentscheid kommen, auf den sowohl Art. 73 I WRV als auch das Volksbegehren unmittelbar abzielten.409 Am umstrittensten war zu guter Letzt der Fall, dass eine Referendumsinitiative nach Art. 72, 73 II WRV auf einen Reichsratseinspruch traf, eine Konstellation, die Triepel für durchaus realitätsnah hielt.410 Er unterschied hier verschiedene Kollisionsvarianten, die zu verschiedenen Ergebnissen führten. Die Referendumsinitiative habe immer dann Vorrang, wenn sie erfolgreich sei, ihr also 20 % der Stimm406 Finger, Staatsrecht, S. 357 – 358; Johannes Fischer, Die Konkurrenz von Initiative auf Volksentscheid nach der Reichsverfassung, Diss. jur., Halle 1924, S. 10 – 32. 407 Ebd. S. 32 – 44. 408 Finger, Staatsrecht, S. 357 – 358. 409 Ebd., S. 359; Fischer, Konkurrenz von Initiativen auf Volksentscheid, S. 44 – 52; Löwisch, Volksentscheid, S. 68 – 70; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 528; Hartwig, Volksbegehren, S. 55. 410 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 328 – 329.

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berechtigten zustimmten.411 Eine Ausnahme stelle hierbei der Fall dar, dass der Reichstag auf den Reichsratseinspruch das Gesetz ablehne. Eine Referendumsinitiative, sei sie auch erfolgreich gewesen, mache in diesem Fall keinen Sinn mehr, ein Volksentscheid entfalle. Letzterer Deutung widersprach Günther Löwisch, der darin eine Verkürzung der Volksrechte sah und auch bei einem zur Ablehnung führenden Einspruch einen Volksentscheid als notwendig erachtete.412 Grundsätzlich anderer Ansicht waren auch hier Finger und Fischer, die insgesamt für einen Vorrang des Einspruchsrechts des Reichsrates eintraten, dies auch im Fall einer erfolgreichen Referendumsinitiative. Wie bei der Kollision eines präsidialen Vetos nach Art. 73 I WRV mit einem Reichsratseinspruch führten sie auch hier die bessere Praktikabilität des Einspruchs, die besseren Kompromissmöglichkeiten zwischen Reichstag und Reichsrat, an.413 Einigkeit in der Staatsrechtswissenschaft herrschte für die Situation, dass sich Einspruch und Referendumsinitiative gegen verschiedene Bestimmungen des Gesetzes richteten, oder aber der Reichstag einen Reichsratseinspruch mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmte. In diesem Fall sahen alle Autoren die staatliche Pflicht, auf eine erfolgreiche Referendumsinitiative hin einen Volksentscheid abzuhalten.414 Insgesamt haben sich nur wenige Staatsrechtler der Kollisionsproblematik zugewandt, ausführlicher nur die dargestellten Heinrich Triepel, Günther Löwisch und natürlich August Finger und Johannes Fischer. In der Verfassungswirklichkeit wurden diese Fragen nie aktuell.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft Noch mehr als viele der rechtsdogmatischen Streitfragen stand der rechtspolitische Umgang der Weimarer Staatsrechtswissenschaft mit Volksbegehren und Volksentscheid in engem Zusammenhang mit den nach und nach wachsenden praktischen Erfahrungen mit Art. 73 – 76 WRV. Der Aufbau dieses Abschnitts B erfolgt deshalb in erster Linie chronologisch und beginnt mit der methodischen Herangehensweise und historischen Herleitung, den allgemeinen Erwartungen, sowie mit der Frage der praktischen Relevanz der Volksgesetzgebung in den staatsrechtlichen Beiträgen der frühen Weimarer Republik. Danach wird auf die Frage eingegangen, wie die einzelnen Volksgesetzgebungsverfahren im Laufe der 20er Jahre von der Staatsrechtswissenschaft empfunden wurden, sowie, welche SchlussEbd., S. 529; zustimmend Löwisch, Volksentscheid, S. 71 – 3. Ebd., S. 71 – 3; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 529 – 539. 413 Finger, Staatsrecht, S. 360; Fischer, Konkurrenz von Initiativen auf Volksentscheid, S. 52 – 66. 414 Ebd.; Finger, Staatsrecht, S. 361; Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 531 – 532; Löwisch, Volksentscheid, S. 73. 411 412

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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folgerungen sie daraus für diese Form der direkten Demokratie zog. Im Folgenden stehen dann die Schrift des Breslauer Regierungsrats Carl Tannert über die „Fehlgestalt des Volksentscheids“ von 1929415 sowie die Abhandlung Carl Schmitts zu „Volksentscheid und Volksbegehren“ von 1927416 im Zentrum der Betrachtung. Tannerts Arbeit war die in der damaligen Staatsrechtswissenschaft wichtigste Analyse und ein vieldiskutierter Reformvorschlag zur Volksgesetzgebung;417 Carl Schmitts Schrift verdient deshalb besondere Beachtung, da sie sich bereits mit dem Verhältnis von Volksgesetzgebung und einem durch Begriffe wie „Akklamation“ und „Führerschaft“ geprägten Staatsverständnis beschäftigte. Seine Schrift steht zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage, welche Rolle die Volksgesetzgebung in den Vorstellungen der Staatsrechtswissenschaft zur Bewältigung der zunehmenden Verfassungskrise von 1930 bis 1933 spielte. Zu guter Letzt soll noch ein Blick auf einige französische Werke zur Weimarer Volksgesetzgebung von 1920 bis 1933 geworfen werden. Welche Bedeutung der eigene verfassungspolitische „inländische“ Betrachtungsstandpunkt auf den wissenschaftlichen Umgang mit der Volksgesetzgebung hatte, kann am besten verdeutlicht werden, wenn man sich mit einer „ausländischen“ Perspektive auseinandersetzt. Der Blick hinüber nach Frankreich erfolgt auch deshalb, weil die umfassendsten staatsrechtlichen Werke zur Weimarer Volksgesetzgebung überhaupt interessanterweise zwei französische Arbeiten von 1932 und 1933 sind. 1. Die Herangehensweise, historische Herleitung, erste Bewertung sowie die Frage der praktischen Relevanz der Volksgesetzgebung im staatsrechtspolitischen Diskurs der frühen Weimarer Zeit a) Erste methodische Ansätze der Weimarer Staatsrechtswissenschaft in der wissenschaftlichen Annäherung an die Volksgesetzgebung – Der Blick über die Grenzen Eine konkrete unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk war in Deutschland 1919 nicht nur, wie bereits behandelt, rechtsdogmatisches, sondern auch rechts415 Carl Tannert, Die Fehlgestalt des Volksentscheids, Gesetzesvorschlag zur Änderung der Art. 75 und 76 Abs. 1 Satz 4 der Reichsverfassung, Breslau 1929. 416 Schmitt, Carl, Volksentscheid und Volksbegehren, Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, Berlin und Leipzig 1927. Die als Betrag zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heft 2 erschienene Schrift beruht auf einem Vortrag, den Schmitt am 11. 12. 1926 vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin gehalten hat. 417 Einzelne Fragen, die eigentlich auch einen vor allem rechtspolitischen Charakterhaben, beispielsweise die Forderung nach einem Rechtsmittel gegen einen ablehnenden Bescheid im Zulassungsverfahren, wurden bereits in Abschnitt A. dargestellt. Dies geschah, weil sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit bestimmten rechtsdogmatischen Auseinandersetzungen standen. Außerdem sind die Grenzen zwischen Rechtsdogmatik und Rechtspolitik manchmal fließend.

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politisches Neuland.418 Auf die wenigen älteren, zu dem parteipolitisch geprägten diesbezüglichen Schriften von Karl Kautsky und Moritz von Rittinghausen zum Thema wurde in der Staatsrechtswissenschaft nicht zurückgegriffen. Insbesondere die Autoren der zahlreichen Dissertationen nach 1919, wenn sie sich nicht einfach mit einer ausführlich kommentierten Darstellung der neuen Weimarer Verfassungsbestimmungen begnügten,419 wählten stattdessen einen wissenschaftlich komparatistischen Ansatz. Sie verglichen die neuen Regelungen zu Volksentscheid und Volksbegehren nach den Art. 73 – 76 WRV mit gleichlautenden Bestimmungen in anderen Ländern, die bereits auf eine längere Tradition mit der Volksgesetzgebung zurückblicken konnten, und in denen es auch wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema gab. Dies war neben den amerikanischen Bundesstaaten vor allem die Schweiz, deren Wissenschaftler zumeist auch noch in Deutsch darüber geschrieben hatten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung folgte hierbei in der Regel ein und demselben Muster. Nach einer historischen Einleitung wurde übergeleitet in eine kommentierte Darstellung der Regelungen der Schweiz und anderer Länder sowie der Weimarer Reichsverfassung, manchmal ergänzt durch die Regelungen der Länder. Den Abschluss bildete eine allgemeine Bewertung. Als Beispiele für Dissertationen, die dieser Struktur folgten, seien die Arbeiten Christian Wolters, Günther Löwischs, Erich Martens, Hermann Schultes, Helmuth Sticherlings, Max Wolfs, Adolf Inhoffens, Kurt Kullmanns, Gerhard Hempels, Johannes Kallweits und Ernst Meyer-Margreths genannt.420

b) Die historische Herleitung der Volksgesetzgebung aus altgermanischen Verfassungstraditionen Der in fast allen Arbeiten auftauchende Bezug zur Schweiz hatte seinen Ursprung neben den in der deutschen Staatsrechtswissenschaft fehlenden Vorarbeiten vor allem in der immer gleichlautenden historischen Herleitung der neuen WeimaSo auch: Schiffers, Elemente, S. 262. Vgl. Alexander Kirgis, Volksinitiative und Volksreferendum im Deutschen Reiche und seinen Ländern, Diss. jur., Würzburg 1922; Johannes Kallweit, Die Volksabstimmung (Plebiszit und Referendum) im neuen deutschen Reichsstaatsrecht, dargestellt unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung, der Staatslehre und der neueren Staatsverfassungen, Diss. jur.(Auszug), Königsberg 1924; Brück, Der Volksentscheid, a. a. O.; Otto Cromme, Volksgesetzgebung, a. a. O.; Contelly, Volksgesetzgebung, a. a. O.; Fetzer, Referendum, a. a. O. 420 Wolter, Volksentscheid (1920), a. a. O.; Löwisch, Volksentscheid (1922), a. a. O.; Martens, Volksbegehren (1924), a. a. O.; Schulte, Volksreferendum (1923), a. a. O.; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung (1921), a. a. O.; Max Wolf, Volksanträge und Volksabstimmung, Diss. jur., Würzburg 1920; Innhoffen, Volksinitiative (1923), a. a. O.; Kurt Kullmann, Sinn und Gestaltung der Volksabstimmungen im Deutschen Landesstaatsrecht, Diss. jur., Heidelberg 1926; Hempel, Volksgesetzgebung (1927), a. a. O.; Kallweit, Die Volksabstimmung (1924), a. a. O.; Ernst Meyer-Margreth, Volksentscheid und Volksbegehren – Eine rechtsvergleichende Studie auf Grund der deutschen Verfassungen, Diss. jur. (Auszug), Hamburg 1925. 418 419

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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rer Volksgesetzgebung als einem urgermanischen Verfassungsinstitut – einem Element der alten „germanischen Gauverfassung“,421 das in Deutschland seit Jahrhunderten verschwunden, sich in der Schweiz jedoch gehalten habe, und nun seine Wiederauferstehung im Reich feiere.422 Anknüpfungspunkt waren hierbei immer die Ausführungen des Tacitus über die germanische Volksversammlung in Kapitel XI seiner Schrift „DE ORIGINE ET SITU GERMANORUM“: „De minoribus rebus principes consultant; de maioribus omnes, ita tamen, ut ea quoque, quorum penes plebem arbitrium est, apud principes pertractentur. Coeunt, nisi quid fortuitum et subitum incidit, certis diebus, cum aut incohatur luna aut impletur; nam agendis rebus hoc auspicatissimus initium credunt. Nec dierum numerum, ut nos sed noctium computant. Sic constituunt, sic condicunt: nox ducere diem videtur. Illud ex libertate vitium, quod non simul nec ut iussi conveniunt, sed et alter et tertius dies cunctatione coeuntium absumitur. Ut turbae placuit, considunt armati. Silentium per sacerdotes, quibus tum et coercendi ius est, imperatur. Mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout nobilitats, prout decus bellorum, prout facundia est, audiuntur, auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate. Si displicuit sententia, fremitu aspernantur; sin placuit, frameas concutiunt. Honoratissimum adsensus genus est armis laudare‘‘.423

Diese ältesten existierenden Hinweise auf die Verfassung des germanischen Gemeinwesens in der Antike waren bereits vor der Weimarer Republik der wichtigste So nannte sie Hermann Schulte (ders., Volksreferendum, S. 3). Vgl. bspw.: Walter Nitsche, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Volksentscheids (Auszug), Diss. jur., Göttingen 1925, S. 1; Wolf, Volksabstimmung, S. 8; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 17 – 19; Wolter, Volksentscheid, S. 1; Schulte, Volksreferendum, S. 3; Jan, Volksabstimmungen, S. 195; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 1 ff.; Inhoffen, Volksinitiative, S. 8 – 9. Der Verfasser fand nur bei Hans Grundmann (ders., Volks und Volksvertretung, S. 1 – 27) eine eindeutige Ablehnung dieser Theorie: „Die Volksabstimmungen der Gegenwart haben nichts mit den Praktiken alter deutscher Volksstämme zu tun.“ 423 Tacitus, Publius Cornelius, Germania, Leipzig MCMIL (1949), Kap. 11: „Über minder wichtige Dinge entschieden die Führer, über Wichtige die Gesamtheit der Freien; doch werden auch solche Dinge, deren Entscheidung dem ganzen Volk vorbehalten ist, von den Fürsten vorher durchberaten. Abgesehen von unvorhergesehenen eiligen Fällen treten die Germanen in bestimmten Fristen bei Neumond oder Vollmond zur Volksversammlung (auch Thing oder Landversammlung) zusammen; denn diese Tage sehen sie als besonders glückbringend für die Eröffnungen von Beratungen an. Sie rechnen nicht, wie wir, nach Tagen, sondern nach Nächten. Nach Nächten setzen sie die Termine für Versammlungen und Verabredungen fest; denn nach ihrer Auffassung geht die Nacht dem Tage voraus. Ihr ausgeprägter Freiheitsdrang hat den Nachteil, dass sie nicht alle gleichzeitig und nicht wie auf einen Befehl zur Landversammlung eintreffen, sondern durch die Verzögerung der Ankommenden gehen zwei drei Tage verloren. Sobald die Erschienenen es für gut befinden, setzten sie sich zur Beratung zusammen und zwar alle in Waffen. Stillschweigen gebieten die Priester, denen nun auch das Recht zusteht, gegen Unbotmäßige mit Strafen einzuschreiten. Dann hört man sich den König oder Fürsten an, der nach Alter, Adel, Kriegsruhm und Redegabe berufen erscheint, das Wort zu ergreifen; dieser hat mehr einen gewichtigen Rat zu erteilen, als die Befugnis, etwas anzuordnen. Missfällt der Vorschlag, dann wird er von der Versammlung durch lautes Murren zurückgewiesen. Findet er Beifall, so schlägt man mit den Speeren zusammen; und diese Form des Beipflichtens gilt bei ihnen als die ehrenvollste Art der Zustimmung.“ 421 422

11 Schwieger

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Ausgangspunkt für alle Darstellungen der Deutschen Verfassungsgeschichte gewesen, ohne dass daraus aber gefolgert worden war, dass die Germanen damals ein rein demokratisches System oder gar eine echte Volksgesetzgebung gehabt hätten. Rechtshistoriker vor 1918 wie Ferdinand Walter (1853), Karl Friedrich Eichhorn (4. Aufl., 1834), Johannes Friedrich von Schulte (5. Aufl., 1881), Heinrich Brunner (1887) oder Alois Meister (2. Aufl., 1913) sahen zwar auch die Möglichkeiten der Zustimmung oder Ablehnung durch die Teilnehmer der Versammlungen, betonten aber immer auch die hervorgehobene Rolle der Fürsten und die Funktion der Versammlung bei der Herrscherwahl.424 Exemplarisch sei hier Heinrich Brunner zitiert, der 1887 in Anlehnung an Tacitus schrieb: „Die Entscheidung der öffentlichen Angelegenheiten beruhte allenthalben auf der Versammlung der freien und wehrhaften Volksgenossen. Tacitus schildert sie uns als concilium und zwar faßt er zunächst das concilium civitatis, [ . . . ], die im Folgenden als Landesgemeinde bezeichnet werden mag. [ . . . ]. Die Landesgemeinde tritt zu bestimmten Zeiten, gewöhnlich bei Vollmond zusammen. [ . . . ]. Die Volksgenossen sind verpflichtet zu erscheinen und zwar bewaffnet zu erscheinen, denn die Landesgemeinde ist zugleich Heeresversammlung und dient zur Heerschau. Sie entscheidet über Krieg und Frieden. In ihr werden die Jünglinge wehrhaft gemacht und in das Heer aufgenommen. [ . . . ]. Die Landesgemeinde ist Wahlversammlung, sie vollzieht die Wahl des Königs, sie kürt die Gaufürsten und bestellt den Herzog, wenn ein Krieg unternommen werden soll. Die Landesgemeinde fungiert als Gerichtsversammlung. [ . . . ]. Der König oder einer der Fürsten tragen die Angelegenheiten vor, über welche die Versammlung von Staats wegen Beschluss fassen soll. Doch ist das Recht der Rede nicht auf jene beschränkt. Über die vor die Landesgemeinde gebrachten Anträge entscheidet das versammelte Volk mit gesamtem Munde, indem es seine Missbilligung durch Murren, sein Vollwort, seine Zustimmung durch Waffenschlag zu erkennen gibt.“425

Aus dieser, oftmals romantisierten Sicht426 auf die Versammlungen der alten Germanen und die Beteiligung der Krieger an Beschlüssen wurde nun auf einmal die Urform der unmittelbaren Abstimmung des Volkes über Gesetze, eine germanische Volksgesetzgebung, von einzelnen Autoren als „germanisches Volksrecht“ oder „germanische Volksfreiheit“ bezeichnet.427 Auf diese Weise und unter Verein424 Ferdinand Walter, Deutsche Rechtsgeschichte, Bonn 1853, S. 12; Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 1. Theil, (4. Ausgabe), Göttingen 1834, S. 5 – 7; Johannes Friedrich von Schulte, Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte (5. Aufl.), Stuttgart 1881, S. 40 – 41; Alois Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jhdt. (2. Aufl.), Leipzig 1913, S. 17 – 19. 425 Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Leipzig 1887, S. 129 – 130. 426 Ergänzend sei hinzugefügt, dass es bereits bei Tacitus Hinweise auf eine etwas idealisierende Darstellung der germanischen Verhältnisse gibt, dies weniger aus dem Grund, dass Tacitus selber wohl nie in Germanien war, sondern vielmehr deswegen, weil seine Schrift auch als Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Rom verstanden wird. Ihnen stellt Tacitus eine germanische Natürlichkeit, Ursprünglichkeit und gleichberechtigte Wahrhaftigkeit der politischen Willensbildung gegenüber. 427 Vgl. Nitsche, Entwicklung des Volksentscheids, S. 1 (Auszug); Martens, Volksbegehren, S. 9.

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nahmung der eidgenössischen Traditionen als „germanisch“, wurde eine verfassungsgeschichtliche Kontinuität für die Volksgesetzgebung von der Antike bis zur Weimarer Republik hergeleitet428 und die alten Germanen zum „Volk der personifizierten Volksfreiheit“.429 Exemplarisch sei hier aus der Doktorarbeit des Stuttgarter Juristen Max Fetzer von 1922 zitiert: „Die Bilder, die uns Cäsar und Tacitus von dem staatlichen Leben der Germanen entwerfen, tragen ebenfalls die Züge der absoluten Demokratie. [ . . . ]. Das einigende Band der germanischen civitates bildet die Landesgemeinde, die Versammlung aller wehrfähigen Freien eines Stammes. [ . . . ]. Das ,Ding‘ ist Opfergemeinde, Heerschau, Gerichtstag und Wahlversammlung. Ihm liegt die Gesetzgebung ob, soweit man von einer solchen reden kann. [ . . . ]. Erst als in den Zeiten der Völkerwanderung und den damit zusammenhängenden kriegerischen Ereignissen das Königtum zur dauernden Einrichtung wurde, verschwand die Bedeutung der Landesgemeinde für die Stammesbildung. [ . . . ]. Nur in den Bergtälern der Mittelschweiz, wo unberührt von den Ereignissen in der Welt der Bauer noch selber Schwert und Lanze führte, war die Erinnerung an die althergebrachte Landesgemeinde lebendig geblieben. [ . . . ]. Diese Landesgemeindekantone [ . . . ] haben ihre ursprünglichen Einrichtungen nahezu unverändert bis heute bewahrt.“430

Der geistige Vater dieser Neudeutung oder aber zumindest ihr wichtigster Protagonist, auf den sich viele deutsche staatsrechtliche Beiträge nach 1919 bezogen, war der in Deutschland lebende Schweizer Theodor Curti. In seinem Aufsatz „Der Weltgang des Referendums. Ursprung, Untergang und die Wiedergeburt der germanischen Volksfreiheit“, erschienen 1912,431 sah er die „Geburt“ des „Referendums“ neben römischen und griechischen Ursprüngen vor allem in den germa428 Teilweise bezogen Autoren wie Adolf Inhoffen (ders., Inhoffen, Volksinitiative, S. 8 – 9) auch die Entscheidungsfindungsformen in der „Republik der sieben friesischen Seelande“ sowie den Bauernrepubliken der Dittmarscher und Stedinger in diese Kontinuitätslinie mit ein, sahen auch hier Reste alter germanischer Volksrechte, die sich gegen die Fürstenmacht hätten behaupten können. 429 So Nitsche, Entwicklung des Volksentscheids, (Auszug) S. 1. 430 Fetzer, Referendum, S. 7 – 9. Vgl. hierzu auch die Ausführungen des Münchner Ministerialrat Heinrich von Jan (ders. Volksabstimmungen, S. 177 – 178) der 1921 schrieb: „Nach den Verfassungen der meisten Staaten, insbesondere auch überall in Deutschland, hat das Volk bisher sich nicht unmittelbar an der Gesetzgebung beteiligt. Vielmehr erschöpfte sich die Teilnahme des Volkes hieran mit der Stimmabgabe bei der Wahl der Volksvertretung, der die Gesetzgebung zustand. [ . . . ]. Dieser Zustand bildet eine Stufe in der Rechtsentwicklung, die namentlich bei den germanischen Völkern ihren Ausgang von der reinen Demokratie genommen hat, in der das Volk seine Angelegenheiten unmittelbar selber ordnet und seine Gesetze unmittelbar sich selbst gibt. Die von hier ausgehende Entwicklung fand ihren Gegenpol in der mehr und mehr absoluten Herrschaft der Landesherren, kehrte sodann um und führte dann zur Konstitution und endlich wieder zur unmittelbaren Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung in Gestalt gewisser Volksabstimmungen. Auf dieser Stufe stehen heute das Deutsche Reich und die meisten deutschen Länder“. Auch von Jan bezog in die Rechtsentwicklung die Schweiz als Refugium mit ein, in der sich die germanische Volksgesetzgebung erhalten konnte. 431 Curti, Theodor, Der Weltgang des Referendums. Ursprung, Untergang und Wiedergeburt der germanischen Volksfreiheit, in: AöR Bd. 28 (1912), S. 1 – 44.

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nischen Volksversammlungen. Die germanischen Volksrechte seien später dann der Monarchie und dem Feudalismus unterlegen und hätten sich nur in der Schweiz halten können. Mit den ehemaligen englischen Kolonien in Nordamerika sei das Prinzip der unmittelbaren Beteiligung des Volkes aber wieder stärker geworden und habe sich nach Amerika auch in Europa wieder ausgebreitet, dies vor allem in Frankreich (Napoleonische Plebiszite) und Italien (Kommunalreferenden). Curti sah schon 1912 das Referendum langfristig wieder auf dem Vormarsch,432 worin ihn deutsche Staatsrechtler wie Walter Nitsche, Max Wolf, Adolf Inhoffen, Helmuth Sticherling, Christian Wolter, Hermann Schulte, Heinrich von Jan und auch Georg Kaisenberg nach 1919 dann bestätigten.433

c) Die Begrüßung oder Ablehnung der Volksgesetzgebung als neuem Verfassungselement durch die Staatsrechtswissenschaft nach 1919 sowie die Frage nach der praktischen Relevanz – Der Volksentscheid als „demokratischer Zierrat“ der Verfassung ohne echte Funktion? Teile der Weimarer Staatsrechtswissenschaft hielten sich anfangs mit rechtspolitischen Wertungen zur neuen Weimarer Volksgesetzgebung zurück.434 Dennoch lassen sich bereits aus der Zeit unmittelbar nach der Verfassungsgebung 1919 einige grundsätzliche Stellungnahmen zu Volksbegehren und Volksentscheid auf Reichsebene finden. Die heute in der Wissenschaft für die deutsche Staatsrechtswissenschaft nach 1919 oft konstatierte Skepsis bis Ablehnung der Republik und seiner Verfassung435 kann hierbei vom Verfasser zumindest in Bezug die Volksgesetzgebung und die frühe Weimarer Republik nicht uneingeschränkt bestätigt werden. Es ergibt sich vielmehr ein differenziertes Bild. Insbesondere die Autoren, die die Bestimmungen der Art. 73 bis 76 WRV als Rückbesinnung auf altes germanisches Verfassungsgut ansahen, standen der neuen Ebd., S. 2 ff., 27 ff., 34 ff., 37, 44. Vgl. Nitsche, Entwicklung des Volksentscheids, (Auszug) S. 1; Wolf, Volksabstimmung, S. 8; Inhoffen, Volksinitiative, S. 8 – 11; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 17 – 19; Wolter, Volksentscheid, S. 1; Schulte, Volksreferendum, S. 3; Jan, Volksabstimmungen, S. 195; Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 1 ff. 434 So Gerhard Anschütz, Friedrich Giese, Julius Hatschek, Eduard Hubrich, Otto Meißner August Finger und Fritz Stier-Somlo in ihren Lehrbüchern und Kommentaren aus den Jahren 1920 bis 1924. 435 So bspw. Renate Graner, Die Staatsrechtslehre in der politischen Auseinandersetzung der Weimarer Republik, Freiburg 1980, S. 156; Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933 (2. Auflage), München 1964, S. 79 – 114, 80; Michael Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945 (Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3), München1999, S. 74 – 99, 90 – 91. Vgl. auch allgemein: Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997, S. 320 – 336, sowie: Christoph Gusy, Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000 (mit zahlreichen Einzelbeiträgen). 432 433

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Volksgesetzgebung vielfach grundsätzlich positiv gegenüber, begrüßten den „Mut“ zu einem „großen Wurf“ im Sinne einer wirklichen Demokratisierung des Staates.436 Einige von ihnen sahen in der Volksgesetzgebung sogar das demokratische Modell der Zukunft.437 Insgesamt spürt der Leser in diesen Schriften noch heute die grundsätzlich positiven Erwartungen und Hoffnungen, die doch viele junge Juristen an die Republik mit ihren neuen demokratischen Einrichtungen richteten.438 Andere Rechtswissenschaftler, wie der aufgrund seiner zahlreichen wissenschaftlichen Beiträge versierteste Kenner der Art. 73 – 76 Reichsverfassung der Weimarer Zeit, der Beauftragte der Reichsregierung für Fragen der Volksgesetzgebung Georg Kaisenberg, oder auch Erich Martens und Christian Wolter in ihren Doktorarbeiten, teilten diese postrevolutionäre Aufbruchsstimmung zwar nicht, akzeptierten aber die Volksgesetzgebung als wichtigen Bestandteil der von ihnen bejahten Volkssouveränität.439 Wolter beschrieb dies 1920 mit den Worten: „Es lässt sich freilich vom juristischen Standpunkt nicht leugnen, dass durch die Einführung des Volksentscheids eine erhebliche Komplizierung des Gesetzgebungsweges erfolgt

436 So Löwisch, Volksentscheid, S. 5; Schulte, Volksreferendum, S. 94; Jan, Wahlrecht und Volksabstimmung, S. 195; Kirgis, Volksinitiative und Volksreferendum, S. 31; Cromme, Volksgesetzgebung, S. 40, 64 – 66, 86, 93; Fetzer, Referendum S. 1; Zitat: Contelly, Volksgesetzgebung, S. 6. 437 Vgl. Contelly, Volksgesetzgebung, S. 2; Cromme, Volksgesetzgebung, S. 40, 86, 93. Adolf Inhoffen (ders., Volksinitiative, S. 1 – 3) sah eine Entwicklung von Monarchie über die parlamentarische Demokratie hin zur unmittelbaren Demokratie als geradezu zwangsläufig an. Eine gleichlautende Meinung über die Volksgesetzgebung als dem entscheidenden Gesetzgebungsinstrument der Zukunft findet sich auch bei Karl Löwenstein (ders., Volk und Parlament, Vorwort IX): „Der Verfasser ist der Überzeugung, daß die Blütezeit der repräsentativen Organisation der Demokratie, die als einzig legitime Form der Teilnahme der Staatsbürger an der Regierung die Wahl von Vertretern anerkennt, endgültig vorüber ist. Das parlamentarische System, [ . . . ], befindet sich seit längerer Zeit in einer sich täglich verschärfenden Krise, die mit staatstechnischen und staatsorganisatorischen Mitteln kaum dauernd zu beheben sein wird. Selbst Großbritannien, [ . . . ], erlebt den Verfall der parlamentarisch-repräsentativen Herrschaft und befindet sich mitten in der Umwandlung in einen Staat plebiszitären Gepräges. In dem Maße, in dem der Wahlakt als alleiniger Ausdruck der demokratischen Willensbekundung gegenüber den gesteigerten Impulsen staatsbürgerlicher Aktivität versagt, hat seit einem Menschenalter der Werdegang des Referendums, jener uralten Erscheinung antiker und germanischer Mannesfreiheit, ein ungeahntes Tempo der Ausbreitung und Vervollkommnung eingeschlagen. Allenthalben drängt das nach Befreiung von den ständisch-feudalen und traditionell-monarchistischen Bindungen zur staatsrechtlichen Mündigkeit erwachsene Volk neben und an Stelle der Vertreter zur unmittelbaren Teilnahme am Gemeinwesen.“ Vgl. auch: Contelly, Volksgesetzgebung, S. 2; Cromme, Volksgesetzgebung, S. 40, 86, 93. 438 Als Beispiel seien hier insbesondere die bereits behandelten Arbeiten von Johann Stephan Contelly (ders., Die direkteVolksgesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, Diss. jur., Frankfurt / Main 1920) oder auch die Otto Crommes (ders., Die unmittelbare Volksgesetzgebung – Eine kritische Darstellung ihrer geschichtlichen Entwicklung, sowie ihrer Anwendung in der deutschen Reichsverfassung vom 11. August 1919, Diss.jur., Würzburg 1920) genannt. 439 Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), a. a. O.; Martens, Volksbegehren, S. 35, 38; Wolter, Volksentscheid, S. 78.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

ist: aber solche Schattenseiten müssen in Kauf genommen werden, wenn der Volksentscheid vom politischen Standpunkt in einem demokratischen Staat als notwendig erscheint.“440

Kaisenberg äußerte sich 1922 dahingehend: „Die Anwendung des Referendums auf eine so große Zahl von Stimmberechtigten, wie sie Deutschland aufweist, bedeutet unzweifelhaft kein geringes Wagnis. Dem steht jedoch gegenüber, dass durch seine Einführung ein wertvolles Mittel der politischen Volkserziehung tätiger Demokratie gewonnen ist. Der gesteigerten politischen Macht muß aber auch ein erhöhtes Verantwortlichkeitsgefühl jedes Stimmberechtigten entsprechen. [ . . . ]. Nur wenn das Volk sich dessen bewusst ist, wird das neue Volksrecht, als Machtmittel positiven Aufbaus gebraucht, zum Segen des deutschen Volkes werden“.441

Vor allem ältere Staatsrechtswissenschaftler wie Johann Victor Bredt, insbesondere aber die anerkannten Gegner der Weimarer Verfassung insgesamt, Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Conrad Bornhak und Leo Wittmayer, lehnten die Volksgesetzgebung dagegen von Beginn an grundsätzlich ab.442 Als Argumente führten sie, neben einer „naturgemäß“ monarchistischen Mentalität der Deutschen, inhaltlich vor allem die Warnung Hugo Preuß aus dem Verfassungsausschuss der Nationalversammlung: Deutschland sei für ein solches Element direkter Demokratie schlicht zu groß. Viele Gesetze seien zudem auch zu komplex, um von der Masse verstanden zu werden. Freitagh-Loringhoven sah zusätzlich das den Deutschen eigene „Nationallaster des Neides“ als Problem für direkte Demokratie an. Dies verhindere ja bereits im Parlamentarismus die Wahl geeigneter Persönlichkeiten.443 Insgesamt ergibt sich so ein heterogenes Bild, in der sich weder eine Mehrheit der Autoren, die sich äußerten, für oder gegen die Volksgesetzgebung als demokratisches Mittel der politischen Willensbildung aussprachen. Ebd. Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren (1. Aufl.), Einl., S. 4. 442 Vgl. Bredt, Geist, S. 256 – 8; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 15 – 21, 77; Conrad Bornhak, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, mit einer Einleitung und Anmerkungen, München, Berlin und Leipzig 1919, Einl. S. 9, zu Art. 73 (S. 54). Leo Wittmayer (ders., Kritische Vorbetrachtungen, S. 436) drückte seine Meinung zur Volksgesetzgebung in folgender Weise aus: „Wie schon einige Male wurde hier ein vom Feinde längst geräumter Hügel in Verteidigungszustand gesetzt, obzwar unter der Herrschaft dieser Verfassung, solange sie sich hält, der Feind nicht zurückerwartete werden muß. Darunter leidet natürlich die ganze Konstruktion grundlegender organisatorischer Einrichtungen, was gelegentlich auch praktische Störungen hervorrufen kann, zumal die aus alter und neuer Symbolik heraufbeschworenen Widersprüche auch die seelische und politische Einstellung auf die neue Welt verwirren müssen.“ 443 Wittmayer (ders., Weimarer Reichsverfassung, S. 4326 – 4337) und Freytagh-Loringhoven (ders., Weimarer Verfassung, S. 15 – 21, 77 – 78) sahen auch keinen unmittelbaren Bezug der Weimarer Volksgesetzgebung zu alten germanischen Traditionen oder äußerten sich gar nicht zu ihrer historischen Herkunft. Vgl auch: Bornhak, Verfassung des Deutschen Reiches, S. 9. 440 441

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Anders als Äußerungen zur grundsätzlichen Einstellung gegenüber Volksbegehren und Volksentscheid, die, wie ausgeführt, Teile der Staatsrechtswissenschaft vermieden, war die Frage nach der praktischen Relevanz der Regelungen Gegenstand fast jeder frühen staatsrechtlichen Abhandlung zu Art. 73 – 76 WRV. Konkret ging es hierbei darum, ob aufgrund der von den Verfassungsvätern getroffenen Bestimmungen die Durchführung eines Volksentscheids oder sogar die Verabschiedung eines Gesetzes in der Praxis als realistisch angesehen werden konnte. Aus Äußerungen des Juristen Willy Berthold, der 1922 schrieb, dass ein Volksbegehren „wohl nie“ und ein Volksentscheid nur „alle Menschenalter einmal“ zustande kommen werde,444 sowie ähnlichen Stellungnahmen Johann Victor Bredts und Axel von Freytagh-Loringhovens, hat der Historiker Reinhard Schiffers 1970 gefolgert, dass sich in der Staatsrechtswissenschaft „bald der Konsensus“, herausgebildet habe, „daß die Verfassungsbestimmungen über das Referendum ohne praktische Bedeutung bleiben würden“.445 Tatsächlich lassen sich bereits in vielen frühen Beiträgen auch grundsätzlicher Befürworter der Volksgesetzgebung viele skeptische Äußerungen zur praktischen Relevanz der neuen Regelungen finden. Zumeist beruhten diese auf der Sorge vor zu schwer zu erfüllenden Voraussetzungen und zu komplexen oder auch unklaren Durchführungsbestimmungen.446 So fanden die bereits in Abschnitt A dargestellten Debatten über die Gegenzeichnungspflicht des Reichspräsidenten im Rahmen des Art. 73 I WRV oder über die Beteiligungshürden der Artikel 75 und 76 WRV schon bald nach 1919 ihre ersten Beiträge.447 Die Einschränkung durch die Finanzbestimmungen des Art 73 IV WRV, in späteren Jahren ein weiterer zentraler Streitpunkt, wurde dagegen zunächst noch nicht als Problem angesehen. Sie wurde begrüßt, was aber mit einer noch allein engen Auslegung der Norm zusammenhing.448 Eine Sorge, die in späterer Zeit keine Rolle mehr spielte, dafür aber anfangs häufiger genannt wurde, war die vor überbordenden Kosten für den Staat durch die Bestimmungen der Art. 73 ff. WRV.449 Aus der Summe oder auch nur einzelnen der aufgeführten Argumente heraus folgerten neben den bereits genannten Berthold, Bredt und Freytagh-Loringhoven auch Leo Wittmayer450, Walter Brück sowie einige an sich grundsätzliche Befürworter Berthold, Zweck der Volksabstimmung, S. 71. Schiffers, Elemente, S. 263 unter Verweis auf: Bredt, Geist, S. 259 f.; Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 77 f., 227 f., 391. 446 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 458, 462; Wittmayer, Kritische Vorbetrachtungen, S. 400; ders., Weimarer Reichsverfassung, S. 427 – 430; Löwisch, Volksentscheid, S. 40; Wolter, Volksentscheid, S. 78; Berthold, Zweck der Volksabstimmung, S. 54, 72; Inhoffen, Volksinitiative, S. 102. 447 Vgl. Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 493; Contelly, Volksgesetzgebung, S. 38 – 9; Löwisch, Volksentscheid, S. 41 – 44; Sticherling, direkte Volksgesetzgebung, S. 60; Berthold, Volksabstimmung, S. 67 – 70; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 433 – 434. 448 Vgl. Martens, Volksbegehren, S. 57; Löwisch, Volksentscheid, S. 93; Schulte, Volksreferendum, S. 94. 449 Vgl. Freytagh-Loringhoven, Weimarer Verfassung, S. 79. 444 445

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direkter Demokratie wie Günther Löwisch, Christian Wolter oder Adolf Inhoffen, dass die Volksgesetzgebung keine praktische Bedeutung in der Weimarer Verfassungswirklichkeit haben würde.451 Ihr käme vielmehr ein symbolischer Charakter zu.452 Es lässt sich also nicht sagen, dass wer die Volksgesetzgebung grundsätzlich bejahte, auch den konkreten Regelungen praktische Relevanz zusprach. All dies schient die Annahme einer zumindest stark herrschenden Meinung im Sinne fehlender praktischer Relevanz zu stützen. Gegen die These Schiffers spricht aber, dass eine Vielzahl von Autoren in der frühen Weimarer Staatsrechtswissenschaft, unter ihnen so einflussreiche wie Heinrich Triepel, trotz „erkannter“ Probleme, durchaus eine Praxisrelevanz für einzelne oder auch alle Verfahrenswege hin zu einem Volksentscheid bejahten. Triepel und Hans Venator in seinem umfassenden und oft zitierten Beitrag „Volksentscheid und Volksbegehren im Reich und in den Ländern“ von 1922 sahen durchaus Chancen für die Durchführung eines Volksentscheids und betonten die Bedeutung der Volksgesetzgebung für das Nebeneinander und Miteinander der verschiedenen Staatsorgane, mithin die „balance of powers“.453 Eine überwiegend optimistische Sicht teilten mit ihnen Erich Martens, Christian Wolter, Helmuth Sticherling und Johan Stephan Contelly. Alexander Kirgis, Kurt Kullmann und Otto Cromme gingen in ihren Dissertationen sogar soweit, festzustellen, dass „aus den mannigfaltigen Formen, in denen die direkte Volksgesetzgebung in den verschiedenen Staaten der Erde aufgetreten ist, eine geschickte und befriedigende Auswahl getroffen“ worden sei, „dass bei den Institutionen der Volksinitiative und des Volksreferendums in den deutschen Verfassungen weise Maß gehalten“ worden sei „zwischen einer unbeschränkten Ausübung und unnötigen Erschwerung dieser Volksfreiheiten“.454 Insgesamt kann daher im Ergebnis von einem Konsens über die fehlende Praxisrelevanz der Volksgesetzgebung, wie Schiffers es für die frühe Weimarer Staatsrechtswissenschaft behauptet, nicht gesprochen werden. Es ergibt sich trotz zugegebenermaßen vieler Skepsis vielmehr ein differenziertes Bild, dass vor allem durch Unsicherheit und auch Spekulation geprägt war.455 450 Wittmayer (ders., Weimarer Reichsverfassung, S. 437) nannte die Volksgesetzgebung im Zusammenspiel mit der ganzen Verfassung „die Krone, die damit dem souveränen Volk aufgesetzt werden sollte, nur eines der vielen leerlaufenden Räder in der verwickelten deutschen Reichsmaschine, die sich als das ungeheure Triebwerk eines stark dezentralisierten Großstaates mit alter und neuer Geschichte im Beweglichen und Toten so schwer auseinanderlegen lässt.“ 451 Vgl. auch: Brück, Der Volksentscheid (Auszug), S. 1 – 2; Löwisch, Volksentscheid, S. 42; Wolter Volksentscheid, S. 160; Inhoffen, Volksinitiative, S. 97. 452 So vor allem: Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 437; Bredt, Geist, S. 259 – 260. 453 Triepel, Weg der Gesetzgebung, S. 501 ff., 522 ff.; Venator, Volksentscheid, S. 54. 454 Cromme, Volksgesetzgebung, S. 86; Kirgis, Volksinitiative und Volksreferendum, S. 31; Kullmann, Sinn und Gestaltung der Volksabstimmungen, S. 80, 118 – 119. 455 Deutlich wird dies besonders bei Brück (ders., Volksentscheid, S. 1 – 2), sowie: Fetzer, Referendum, S. 111 – 112.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Die Debatten über eine grundsätzliche praktische Relevanz von Volksbegehren und Volksentscheid endeten spätestens 1926 mit dem Volksgesetzgebungsverfahren für eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten. Die Volksgesetzgebung fand hier nach den erfolglosen Anläufen des Reichsbundes für Siedlung und Pacht das erste Mal Anwendung. Heinrich Triepel stellte diesbezüglich in der Deutschen Juristen-Zeitung vom 15. Juni 1926 fest: „Als die Weimarer Verfassung die Einrichtungen des Volksbegehrens und des Volksentscheids dem deutschen Rechte einfügte, glaubten viele, daß es sich dabei um nichts anderes als um eine Geste handele, die vermutlich niemals eine praktische Folge zeitige. Jedenfalls nicht, soweit das Volksbegehren in Frage komme. Das Volk werde sich dieser Waffe gegen den parlamentarischen Gesetzgeber weder bedienen wollen noch bedienen können. Die Erfahrungen der letzten Monate hat gezeigt, wie falsch diese Ansicht gewesen ist.“456

2. Die Entwicklung der staatsrechtlichen Beurteilung vor dem Hintergrund erster praktischer Erfahrungen – Volksgesetzgebung als fehlerhaftes aber dennoch zukunftsträchtiges Verfassungselement? Wie in Bezug auf mögliche Erwartungen und Ängste unmittelbar nach 1919 hielten sich auch im weiteren Verlauf der Weimarer Republik viele Staatsrechtswissenschaftler mit rechtspolitischen Aussagen zur Volksgesetzgebung zurück. Nur eine Minderheit nahm im Rahmen ihrer Beiträge Stellung zu den spätestens ab 1926 gemachten praktischen Erfahrungen in einzelnen Volksgesetzgebungsverfahren und bewertete auf dieser Grundlage erneut die Bedeutung der Volksgesetzgebung im Weimarer Verfassungsleben. Aus den Beiträgen, die dies taten, lassen sich gleichwohl einige grundsätzliche rechtspolitische Tendenzen feststellen.457 Die einzelnen Verfahren, mit denen man sich, wenn überhaupt, auseinander setzte, waren die Aufwertungsverfahren 1926 / 1927, das Begehren zur Fürstenenteignung 1926, jenes gegen den Panzerkreuzerbau 1928 und das Verfahren für das sog. „Freiheitsgesetz“ 1929. Die anderen schon sehr früh scheiternden Initiativen spielten in der wissenschaftlichen Literatur keine Rolle.

456 Triepel, Abdrosselungsgesetz, Sp. 845. In diesem Sinne auch: Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, S. 1; Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), S. 181 – 182; Hempel, Volksgesetzgebung, S. 9. 457 Zu nennen ist hier vor allem Werner Hartwig (ders., Volksentscheid, S. 110 – 120). Bei vielen Autoren beschränkten sich die Stellungnahmen auf Randbemerkungen in Nebensätzen.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

a) Vom Radikalismus über die Demagogie zum politischen Missbrauch – Staatsrechtliche Bewertungen der Weimarer Volksgesetzgebungspraxis Das Urteil der Staatsrechtswissenschaft über die praktischen Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren fiel im Ergebnis fast unisono negativ aus. Den Aufwertungsbegehren wurde zwar meistens ein berechtigtes Interesses des Volkes aufgrund eines politischen Missstandes zugesprochen, die konkreten Begehren und Vorgehensweisen des „Sparerbundes“ und der „Aufwertungsgeschädigten“ jedoch als „unausführbar“, „demagogisch“ oder sogar „fanatisch“ bezeichnet.458 Auch das Volksbegehren zur Enteignung der Fürsten erscheint in der Mehrheit der Beiträge als „radikal“. Betont wurde die große politische Leidenschaft und auch hier das demagogische Element.459 Nur vereinzelt, so bei Gerhard Hempel, wurde „das Verhalten“ des Volkes 1926 im Ergebnis als Beleg dafür angesehen, „dass Besonnenheit gesiegt“ habe „über radikales Denken“. Er bezog dies aber wohl eher auf die im Ergebnis eingetretene Erfolglosigkeit des Begehrens, also die „Besonnenheit“ des Volkes, das für Hempel inakzeptabel radikale Begehren scheitern zu lassen, und nicht auf die politischen Begleitumstände des Volksgesetzgebungsverfahrens.460 Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Volksbegehren der KPD gegen den Panzerkreuzer A stand in der Literatur die Aussage im Vordergrund, dass das Motiv der Kommunisten eher einer Parteitaktik als einem echten politischen Ziel entsprungen sei.461 Wie stark bei der Beurteilung der praktischen Erfahrungen die eigene politische Ausrichtung die Wissenschaftler beeinflusste, zeigen insbesondere die Ausführungen zum Volksbegehren gegen den Young-Plan („Freiheitsgesetz“) 1929. Auch hier wurden zwar mehrheitlich die Demagogie und die Unruhe im Volk betont, das Begehren von einigen Autoren wie Werner Hartwig oder dem Tübinger Privatdozenten Wilhelm Merk aber explizit als berechtigt dargestellt.462 Im Zentrum ihrer Kritik stand vor allem das Teilnahmeverbot der Regierung Preußens gegenüber seinen Beamten.463 458 Vgl. Mügel, Die Volksbegehren zur Aufwertung, Sp. 695 – 696; Hachenburg, Juristische Rundschau, Sp. 719; Duft, Volksentscheid, S. 99. Werner Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 115 – 116) machte hier insofern eine Ausnahme, als dass er die beiden Begehren in ein radikales und ein gemäßigtes unterschied und den Antrag des Dr. Best grundsätzlich auch für berechtigt und in der Zielsetzung für durchführbar hielt 459 Vgl. Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), S. 181 – 182; Thoma Recht und Praxis des Referendums, S. 491; Hartwig, Volksbegehren, S. 114; Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, S. 584; Thoma, Recht und Praxis des Referendums, S. 491. 460 Hempel, Volksgesetzgebung, S. 39. 461 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 117; Bilfinger, Der Streit um das Panzerschiff A, S. 420 – 423; Georg Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 88 (1930), S. 580 – 585, 584. 462 Vgl. Hartwig, Volksbegehren, S. 119; Merk, Volksbegehren, S. 121. 463 Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 130) hat den auch für die Wissenschaft geltenden Zusammenhang zwischen der eigenen politischen Haltung zu konkreten Begehren und der

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Unter Berücksichtigung der politische Einstellung des jeweiligen Wissenschaftlers, insbesondere auch aufgrund von Darstellungen in politisch „neutraleren“ Beiträgen zu einzelnen Volksgesetzgebungsverfahren, lässt sich in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft zum ersten Mal deutlich erkennbar eine „schlechte Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren feststellen. b) Die rechtspolitischen Rückschlüsse von der Verfassungswirklichkeit auf die Verfassungstheorie – Die Volksgesetzgebung als in ihrer Ausgestaltung fehlerhaftes aber dennoch zukunftsträchtiges Verfassungselement Aus den vorangehend dargestellten rechtspolitischen Bewertungen einzelner Volksgesetzgebungsverfahren kamen die meisten Staatsrechtswissenschaftler überraschender Weise nicht einheitlich zu dem Schluss, dass damit das Experiment der Volksgesetzgebung auf Reichsebene in der Weimarer Republik gescheitert sei. Zwar stellten einige von ihnen wie Carl Bilfinger, und Ottmar Bühler aufgrund der ersten Erfahrungen einen grundlegenden „ungelösten Dualismus“464 zwischen Volk und Parlament, eine grundsätzliche „Mangelhaftigkeit der Gegengewichte zum Parlamentarimus“465 fest, und auch bei den bereits im vorangehenden Abschnitt dargestellten Fundamentalgegnern der Volksgesetzgebung wie Conrad Bornhak oder Leo Wittmayer kam es durch die einzelnen Volksgesetzgebungsverfahren nicht zu einem Gesinnungswandel. Die Wissenschaftler, die die Volksgesetzgebung grundsätzlich ablehnten, stellten in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft jedoch auch nach 1926 keine Mehrheit dar. Dies gilt zumindest für die Autoren, die sich explizit äußerten. Die Mehrheit von ihnen kam entweder zu dem Schluss, dass die bisherigen Erfahrungen insgesamt noch zu gering seien, um allgemeine Schlüsse zu ziehen. Oder aber sie sahen verschiedenste Ursachen, nicht aber die Volksgesetzgebung als solche für die schlechten Erfahrungen als verantwortlich an. Zu denen, die aus der Volksgesetzgebungspraxis in Deutschland noch keinen allgemeinen Schluss ziehen wollten, gehörten der Breslauer Regierungsrat Alois Schulte (1930), der Wiener Professor Hans Klinghoffer (1928) und Gerhard Hempel (1927).466 Grundsätzlich verteidigt wurde die Volksgesetzgebung außerkonkreten Bewertung der Volksgesetzgebung unter Bezugnahme auf den Schweizer Emil Schwarz (ders., Das Volksstimmhaus. Ein Vorschlag zur Parlamentsreform, in Zeitschrift für das private und öffentliche Recht der Gegenwart 33 [1906], S. 359 – 438) mit folgenden Worten charakterisiert: „Die Stimmen, die nach jeder Referendumsabstimmung laut werden, sind sehr geteilt, die Gefühle der jeweiligen Sieger und Besiegten finden in Hymnen oder Verdammungen ihren Ausdruck; ,die großartige Kundgebung des Volkswillens‘ nennt der eine die Abstimmung, dem anderen ist sie ein ,Kasperltheater, welches demagogische Bajazzen aufgeschlagen hätten‘, ,vox populi, vox Dei‘ ruft dieser, ,Strebertum ehrgeiziger Demagogen‘ jener; von der ,erzieherischen Wirkung der sich wiederholenden politischen Beteiligung‘ weiß der zu erzählen, der zweite spricht von ,Abstimmungssport und verhängnisvollem Referendum‘, merklich schwankt das Charakterbild in der Geschichte.“ 464 Bilfinger, Der Streit um das Panzerschif A, S. 437. 465 Bühler, Reichsverfassung (3. Aufl.), S. 181 – 182.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

dem von Hermann Dufft, Gerd Günther Hansen, Richard Thoma, Werner Hartwig, Friedrich Glum, Georg Kaisenberg und Hans Grundmann.467 Sie führten zum einen das noch „junge Verfassungsleben“, die „schwere wirtschaftliche Notlage“468, die besonders problematische „Natur der Materie“469 oder die noch mangelnde politische Mündigkeit der Bürger als Ursachen an.470 Hans Grundmann und Friedrich Glum ergänzten diese aus dem Bereich der politischen-demokratischen Entwicklung stammenden Argumente noch um den Vorwurf, dass der gelebte Parlamentarismus und die Parteien erheblich mitverantwortlich für die bisherigen Schwierigkeiten gewesen seien.471 Weitergehend, und dies bestätigten indirekt viele der Autoren, die sich ansonsten nicht rechtspolitisch äußerten, wurde als wichtige Ursache für die bisherigen schlechten Erfahrungen die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens angeführt. Art. 73 IV, 75 oder 76 I S. 4 WRV, das Zulassungsverfahren und andere Regelungen, derentwegen zu Beginn der Weimarer Republik in der Staatsrechtswissenschaft über die praktische Relevanz der Volksgesetzgebung für das Weimarer Verfassungsleben diskutiert worden war,472 wurden nun zwar nicht als mehr Gründe für eine Unmöglichkeit, dafür aber als verantwortlich für eine reibungslose Integration von Volksentscheid und Volksbegehren in das demokratische System angeführt.473 Im Ergebnis kam eine Mehrheit der Rechtswissenschaftler, 466 Hans Klinghoffer, Die Verankerung des Referendums in den europäischen Nachkriegsverfassungen. Unter Berücksichtigung der deutschen und österreichischen Landesverfassungen, in: AöR Bd. 53 (1928), S. 1 – 60, 4; Hempel, Volksgesetzgebung, S. 39; Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 230. So im übrigen auch Tannert (der., Fehlgestalt des Volksentscheids, S. 2), auf den im Folgenden Abschnitt noch genauer eingegangen werden wird. 467 Vgl. die Verweise in den folgenden Fußnoten sowie: Hansen, Volksgesetzgebung, S. 63. Richard Thoma (ders., Reich als Demokratie, S. 196; ders., Recht und Praxis des Referendums, S. 491, 506) geht hierbei so weit festzustellen: „Zusammenfassend wird man sagen können, dass die Deutschen von ihren neuen unmittelbaren Volksrechten bisher einen recht bescheidenen und im großen und ganzen verständigen Gebrauch gemacht haben. Bei dieser geringen Inanspruchnahme der Institute wird es wohl auch künftig bleiben, vorausgesetzt, dass man in Reich und Ländern das Verhältniswahlrecht unangetastet lässt.“ 468 Hempel, Volksgesetzgebung, S. 39; Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 230. 469 Vgl. Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 114), der die Auffassung vertrat, dass „kommende Volksentscheide in einer ruhigeren Zeit leidenschaftsloser durchgeführt werden“. 470 Duft, Volksentscheid, S. 99. 471 Grundmann, Volk und Volksvertretung, S. 27, 29, 62 – 62; Glum, Grenzen der Volksgesetzgebung, S. 1108. 472 Vgl. Kap. II B. 1. c) mit den darin genannten Autoren und Argumenten. 473 Vgl. Schulte, Die Zulassungsfähigkeit von Volksbegehren, S. 230; Hartwig, Volksbegehren, S. 131, 136 – 137; Grundmann, Volk und Volksvertretung, S. 27, 62; Hansen, Volksgesetzgebung, S. 63; Hans Nawiasky, Ein neuer Vorschlag zum Volksentscheid, in: Bayerische Verwaltungsblätter, Bd. 77 (1929), S. 417 – 419; Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, S. 580 – 585. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die wissenschaftlichen Einzeldebatten in Kap. II A. sowie auf den folgenden Abschnitt über Carl Tannerts Schrift „Die Fehlgestalt des Volksentscheids“ von 1929.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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die sich zwischen 1926 und 1930 äußerten, zu dem Schluss, dass die Volksgesetzgebung ein fehlerhaftes, aber dennoch weiterhin zukunftsträchtiges Verfassungselement darstelle. Gerhard Hempel drückte dies mit den Worten aus: „Die politische Erziehung aller Volksgenossen zur wirklichen Mitarbeit am Staatsleben, die sich nicht nur auf die Wahl eines Parteiorgans erstreckt, dann das Gegengewicht gegen die Übermacht des Parlaments und der Parteien, und ferner die Tatsache, dass die Volksbeschlüsse allzu radikalen Bestrebungen Widerstand leisten, sind die wesentlichen Vorteile der direkten Volksgesetzgebung, die es wünschenswert machen, diese Institution so zu vervollkommnen, dass sie im deutschen Staatsleben wirksam und erfolgreich eingreift.“474

3. Carl Tannert und „Die Fehlgestalt des Volksentscheids“ – Analyse und Reformvorschlag zu den Art. 73 ff. WRV In unmittelbarem Zusammenhang mit der zentralen rechtspolitischen Einschätzung der Weimarer Volksgesetzgebung als mit einem fehlerhaften Verfahren versehen, stand die Ende 1929 erschienene Schrift „Die Fehlgestalt des Volksentscheids – Gesetzesvorschlag zur Änderung der Art. 75 und 76 Abs. 1 Satz 4 der Reichsverfassung“.475 In ihr stellte der Breslauer Regierungsrat Carl Tannert zum einen das rechtlich problematische Zusammenwirken der Beteiligungshürden der Art. 75 und Art. 76 I S. 4 WRV mit der Taktik des Abstimmungsboykotts dar. Seine Schrift war damit eine kritische Reaktion auf den Volksentscheid von 1926, in dem der Abstimmungsboykott erstmals erfolgreich gegen den begehrten Gesetzentwurf zur Fürstenenteignung eingesetzt worden war. Zum anderen erarbeitete Tannert konkrete Reformvorschläge zum Verfahren der Volksgesetzgebung, um solch ein Vorgehen der Abstimmungsgegner wie 1926 für die Zukunft zu verhindern. Insbesondere diese Reformvorschläge und die Reaktionen auf sie aus der Staatsrechtswissenschaft machen die Bedeutung dieser Schrift aus. Sie entstand bis September 1929, also noch bevor die Auseinandersetzungen um das „Freiheitsgesetz“ des Reichsausschusses für ein Deutsches Volksbegehren begannen. Tannerts Untersuchung, die grundsätzlich Volksgesetzgebung als unverzichtbar für eine wirkliche Demokratie voraussetzt,476 ging hierbei davon aus, dass jeder Beschluss des Reichstages zur Anwendung des Art. 75 WRV führte. Die Debatte über einen womöglich nur „positiven“ Beschluss des Reichstages als „Beschluß“ i. S. d. Art. 75 WRV, die erst im Zusammenhang mit dem Volksentscheid gegen den Young Plan ausbrach, kannte Tannert noch nicht.477 474 Hempel, Volksgesetzgebung. S. 40. Werner Hartwig (ders., Volksbegehren, S. 130) drückte dies in der Weise aus: „Das deutsche Volk hat sich für mündig erklärt, es will seine Geschicke selbst leiten können. Es ist dazu auch befähigt. Da das Referendum in einem Großstaat stets auf Ausnahmefälle beschränkt sein wird, ist eine dauernde Beunruhigung des Volkes oder eine Störung der parlamentarischen Tätigkeit nicht zu erwarten.“ 475 Carl Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, a. a. O. 476 Ebd., S. 3.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Im Zentrum seiner Kritik stand die Möglichkeit der Gegner eines Gesetzesentwurfs, den Volksentscheid durch einen Abstimmungsboykott mit Hilfe des Art. 75 (bzw. bei verfassungsändernden Gesetzen Art. 76 I 4 WRV) zum Scheitern zu bringen, auch wenn sie gegenüber den Abstimmungsbefürwortern in einer relativen Minderheit waren. Als Beispiel führte Tannert die Zahlen des Volksentscheides zur Fürstenenteignung von 1926 an. Von insgesamt ca. 39 Millionen Stimmberechtigten hätten sich rund 14,5 Millionen für den Gesetzesentwurf ausgesprochen, rund 580.000 hätten dagegen gestimmt, und rund 550.000 Stimmen seien ungültig gewesen. Gescheitert sei der Volksentscheid alleine an der mangelnden Beteiligung von unter 50 % am Volksentscheid nach Art. 75 WRV. Bei einer realistischen Beteiligung von 75 %, also ca. 30 Millionen Teilnehmenden, hätten ohne Boykott die 14,5 Millionen Ja-Stimmen nämlich zu einem Erfolg des Volksentscheids geführt. Dies deshalb, weil es bei dieser Beteiligung weit mehr als 550.000 ungültige Stimmen und damit sicher weniger als 14,5 Millionen Nein-Stimmen gegeben hätte.478 Die Stimmen der Gruppe der Nichtwähler seien durch den Teilnahmeboykott der Abstimmungsgegner zu Nein-Stimmen geworden. Damit sei als erstes von drei verletzten Verfassungsgrundsätzen, Tannert nennt sie „Grundrechte“ des einzelnen Staatsbürgers, in eklatanter Weise das Postulat der Abstimmungswahrheit verletzt worden: „Das Ergebnis eines solchen Volksentscheids ist von vornherein und in einem solch tiefgreifenden Maße verfälscht oder verkehrt, dass das gesamte Institut politisch vollkommen wertlos, ja verhängnisvoll werden muß. Die Sinnlosigkeit und ihre Folgen haben hier eine Lebenskraft, dass die Unwahrheit des Abstimmungsresultats zum Prinzip erwächst.“479

Für ihn folgte hieraus sogar die Nichtigkeit des offiziellen Abstimmungsergebnisses 1926, das ein Scheitern feststellte: „Wenn aber, wie vorliegend, Wille und Äußerung graduell derart auseinander klaffen, dass sich die echten Vorzeichen grundsätzlich nicht mehr erkennen lassen oder sogar umkehren, dann muß der Akt als Negation seines rechtlich wesentlichen Zwecks und damit als rechtlich unhaltbar, als ,fehlerhaft‘, d. h. als nichtig oder anfechtbar gekennzeichnet werden.“480

Das zweite durch den Teilnahmeboykott der Abstimmungsgegner verletzte Grundrecht des einzelnen Stimmberechtigten war für Tannert das in Art. 125 WRV explizit aufgeführte Stimmgeheimnis.481 Durch die Parole der Stimmenthaltung sei jeder, der sich beteilige, als Befürworter des Gesetzesentwurfs erkennbar. § 6 477 Im Irrtum diesbezüglich Schiffers (ders., Elemente, S. 266), der Tannerts Schrift als bewussten Beitrag zu dieser Kontroverse darstellt. 478 Vgl. Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, S. 7 – 9. 479 Ebd. S. 10. 480 Ebd. 481 Ebd., S. 11 – 20. Vgl. Art. 125 WRV: „Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das nähere bestimmen die Wahlgesetze.“

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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des Gesetzes über den Volksentscheid vom 29. Juni 1921 (VEG)482, der feststellte, dass die Abstimmung „unmittelbar und geheim“ sei, bleibe Theorie, was auch die wenigen vorhandenen Nein-Stimmen nicht änderten. Nicht umsonst hätten die Parteien 1926 Späher vor die Wahllokale gestellt. Die Befürworter einer Fürstenenteignung hätten in einer Umgebung der Gegner unter persönlichem oder wirtschaftlichem Druck ihre Stimme nicht unerkannt abgeben können. Jeder Gegner hätte in einer Umgebung der Abstimmungsbefürworter dagegen einfach teilnehmen und mit Nein stimmen können, was eine weitere strukturelle Benachteiligung gewesen sei. Tannert verglich den praktischen Ablauf der Volksentscheide nach dem VEG mit den öffentlichen napoleonischen Plebisziten von 1799, 1802 und 1804.483 Im Ergebnis müsse man die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des VEG stellen, die diesen Bruch des Stimmgeheimnisses ermöglichten. Da Art. 75 und auch 76 I 4 WRV keine lex specialis zu Art. 125 WRV darstellten, sei letztere Norm durch das VEG verletzt.484 Das dritte verletzte „Hauptrecht“ des Volkes war für Tannert eine durch den Teilnahmeboykott im Ergebnis aufgehobene Unterscheidung zwischen verfassungsändernden und nicht verfassungsändernden Gesetzentwürfen im Volksentscheid. In der Praxis müssten die Abstimmungsbefürworter bei Fernbleiben der Gegner immer ein Zustimmungsquote i. S. d. Art. 76 I S. 4 WRV von über 50 % erreichen, um einem Volksentscheid zum Erfolg zu verhelfen. Der Unterschied zwischen Art. 75 WRV und Art. 76 I S. 4 WRV sei damit verschwunden, jedes einfache Gesetz stehe vor derselben Hürde wie ein verfassungsänderndes.485 Das Volk würde auf diese Weise als gesetzgebendes Staatsorgan neben dem Reichstag entgegen dem ursprünglichen Willen des Verfassungsgebers eindeutig benachteiligt: „Denn verfassungspolitisch liegt hier eine entscheidende Benachteiligung des Reichsvolkes in seiner Stellung insbesondere zum Reichstage vor. [ . . . ]. Verfassungsgeschichtlich endlich hat diese vernichtende Situation mit den Erschwernissen, welche die Verfassung dem Volksentscheid bewusst setzt, nichts zu tun, sie ist unabhängig von ihren Überlegungen, ja gegen deren Absichten.“486

Im Ergebnis trug für Tannert der „Volksentscheid als Norm wie als Staatsakt die Merkmale rechtlicher Fehlerhaftigkeit“487. Der Verfassungsgeber habe dies deshalb nicht erkannt, da insbesondere der Art. 75 WRV erst sehr spät und ohne große Debatte im Plenum in die Verfassung aufgenommen worden sei. Diese Fehlerhaftigkeit könne nur dadurch behoben werden, dass die Erfolgsaussicht und damit der 482 § 6 VEG: „Die Abstimmung ist unmittelbar und geheim. Jeder Stimmberechtigte hat eine Stimme.“ 483 Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, S. 13, 15. 484 Edb., S. 16. 485 Ebd., S. 20 – 21. 486 Ebd., S. 21. 487 Ebd., S. 26.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

Sinn eines Abstimmungsboykotts ausgeschlossen werde. Die Gegner des begehrten Gesetzesentwurfs müssten veranlasst werden, sich „aktiv und förmlich“ an der Abstimmung zu beteiligen.488 Auf der Grundlage dieser Überlegungen entwickelte Tannert im zweiten Teil seiner Schrift Reformvorschläge, um einerseits die dargestellte Problematik zu beheben, andererseits aber auch die ursprünglichen Ziele der Verfassungsväter, nämlich den grundsätzlichen Vorrang des Parlamentarismus sowie einen Schutz des politischen Systems vor zahllosen Volksbegehren kleiner gesellschaftlicher Minderheiten zu wahren. Diese Reformvorschläge, die er auch unter Bezug auf erprobte Verfahrensregelungen in einzelnen Kantonen der Schweiz und amerikanischen Bundesstaaten erarbeitete, kamen heutigen Verfahrensregelungen in bundesdeutschen Länderverfassungen bereits sehr nahe. Sie waren zudem, gerade angesichts der demokratischen Verhältnisse der Weimarer Republik, durch eine große Pragmatik und Praktikabilität geprägt, ohne dabei den ursprünglichen Willen der Verfassungsväter von 1919 aus dem Blick zu verlieren. Eine einfache Änderung des Gesetzes über den Volksentscheid von 1921 (VEG) verwarf er. Die hier existierenden Möglichkeiten, Nichtbeteiligung automatisch als Ja-Stimme zu werten, die Volksentscheide immer zeitlich mit allgemeinen Wahlen zusammenzulegen oder einen Abstimmungszwang einzuführen, seien nicht praktikabel. Während ersteres die Problematik nur ins Gegenteil verkehre, seien letztere Möglichkeiten politisch bzw. verwaltungstechnisch nicht machbar. Man könne weder einen Volksentscheid erst Jahre nach dem Volksbegehren abhalten, noch die Teilnahme eines jeden Stimmberechtigten kontrollieren und Nichtteilnahme sanktionieren.489 Im Ergebnis bleibe nur eine Verfassungsänderung, die bestehende Normen allerdings so wenig wie möglich ändere. Da der völlige Wegfall einer Mindestbeteiligung jegliche Erschwerung wegfallen ließe, schlug er im Ergebnis folgende Neufassungen der Art. 75 WRV und Art. 76 I S. 4 WRV vor:490 „Art. 75 WRV: „Durch den Volksentscheid kann ein Beschluß des Reichstages nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn die Mehrheit der Abstimmenden, mindestens aber mehr als ein Viertel der Stimmberechtigten zustimmt. Art. 76 I S. 4 WRV: „Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung von wenigstens zwei Dritteln der Abstimmenden, mindestens aber von einem Drittel der Stimmberechtigten erforderlich.“

Durch diese verringerten Mindestbeteiligungen werde laut Tannert der Spekulation der Ablehnenden, durch ihre Nichtbeteiligung günstiger abzuschneiden als durch ein ausdrückliches „Nein“, die Grundlage entzogen. Die unteren Grenzen von einem Viertel bei einfachen Gesetzen bzw. von einem Drittel bei Verfassungs488 489 490

Ebd., S. 28, 29. Ebd., S. 29 – 32. Ebd., S. 33, 37 – 38.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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änderungen stellten eine ausreichende Hürde vor dem aussichtslosen Agieren kleiner Gruppierungen dar; sie sei aber gleichzeitig doch so leicht erreichbar, dass bei Fragen großen Interesses die Gegner Angst haben müssten, dass die Befürworter das Mindestquorum auch alleine erreichen könnten. Durch die verschiedenen Mindestbeteiligungsquoren sowie die Schwelle einer 2 / 3-Zustimmungsmehrheit im neuen Art. 76 I S. 4 WRV sei zudem eine Stufung zwischen einfachem und verfassungsänderndem Gesetz gewahrt.491 Durchsetzbar sei die hierfür notwendige Verfassungsänderung, wenn der Reichstag sie nicht von sich aus beschließe, auf dem Umweg eines Urteil des Staatsgerichtshofes, das die Verfassungswidrigkeit des VEG feststelle.492 Dann müsse der Gesetzgeber reagieren. Möglich sei natürlich theoretisch auch ein Volksgesetzgebungsverfahren zur Änderung der Verfassung.493 Obwohl Tannert selber kein Mitglied der akademisch-universitären Zunft, rief seine Schrift unmittelbare Reaktionen des Münchner Professors und späteren Vaters der Bayerischen Landesverfassung von 1946 Hans Nawiasky sowie von Georg Kaisenberg hervor.494 Beide erkannten die von Tannert geübte Kritik im Prinzip an, lehnten aber die von ihm daraus gezogenen Schlüsse und vor allem seine Reformvorschläge als wenig hilfreich ab. So hielt insbesondere Nawiasky Tannerts Zwischenergebnis, dass der Volksentscheid von 1926 „nichtig“ und auch jeder folgende Volksentscheid „de jure undurchführbar sei“, für weder schlüssig noch sachlich haltbar, da die formale Geltung des VEG bisher unberührt sei.495 Die von Tannert vorgeschlagenen Änderungen zu Art. 75 und Art. 76 I S. 4 WRV sahen beide als nicht geeignet an, um der Taktik des Abstimmungsboykotts die Grundlage zu entziehen. Sie stützten sich dabei auf die Ergebnisse des zwischenzeitlich durchgeführten Volksentscheids gegen den Young Plan. So hätten sich für das Volksbegehren 1929 mit 4.137.164 nur knapp 10,2 % der Stimmberechtigten eingetragen, so dass die Gegner des Volksentscheids sicher hätten sein können, auch unter einem im Sinne Tannerts geänderten Art. 75 WRV mit der Taktik eines Abstimmungsboykotts Erfolg zu haben.496 Auf die Frage, ob nicht aber die Vorschläge Tannerts wenigstens dem Volksentscheid von 1926 gerechter Weise zu einem Erfolg geführt hätten, gingen beide nicht ein. Nawiasky erwähnte ihn gar nicht und Kaisenberg stellte nur kurz fest, dass der Gesetzentwurf zur Fürstenenteignung auch bei den bestehenden Regelungen ein Erfolg hätte werden können, wenn der Entwurf nicht so radikal gewesen wäre und eine Unterhaltsvorsorge für die Fürsten Ebd., S. 39. Hier bestand natürlich wieder das Problem, dass die hierfür nötige Prüfungskompetenz des Staatsgerichtshofes zu diesem Zeitpunkt noch nicht anerkannt war. Vgl. Kap. II A. 5. c) bb). 493 Tannert, Fehlgestalt des Volksentscheids, S. 41 – 45. 494 Hans Nawiasky, Ein neuer Vorschlag zum Volksentscheid, in: Bayerische Verwaltungsblätter, Bd. 77 1929, S. 417 – 419; Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, S. 580 – 585. 495 Vgl. Nawiasky, Ein neuer Vorschlag zum Volksentscheid, S. 418. 496 Vgl. ebd. S. 418; Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, S. 583. 491 492

12 Schwieger

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enthalten hätte.497 Auch wenn beide Kritiker grundsätzlich das Spannungsfeld zwischen einer bisher noch nicht gegebenen reellen Erfolgsaussicht eines Volksentscheids und den Notwendigkeiten eines Schutzes für das überwiegend parlamentarische System sahen, erkannten sie die richtungsweisende Bedeutung der konkreten Reformvorschläge Tannerts nicht an. Aus einer formalistisch-juristischen Wertung heraus war für sie ein politisch geprägter normativer Kompromiss zwischen dem verfassungsrechtlichen Ziel einer unmittelbareren Volksbeteiligung an der politischen Willensbildung und dem Schutz des Parlamentarismus nicht denkbar. So kamen beide zu dem Schluss, dass eine staatsrechtliche Lösung der Problematik nur durch die Abschaffung aller Mindestquoren in Art. 75 WRV und weitgehend auch in Art. 76 I S. 4 WRV erreicht werden könne, was jedoch angesichts der Gefahr zahlloser Volksbegehren nicht wünschenswert sei.498 Für Nawiasky blieb die Frage damit insgesamt ein „unausweichliches Dilemma“, während Kaisenberg die Lösung dieser Frage auf die Zukunft verschieben wollte, da die „bisherigen Anwendungsfälle die Frage noch nicht spruchreif gemacht“ hätten.499 Tannert griff später insbesondere die Kritik Nawiaskys in einer Replik auf und verteidigte seine Vorschläge.500 Seiner Auffassung nach hätten es auch die Gegner des Freiheitsgesetztes unter Zugrundelegung seiner Vorschläge nicht gewagt, zur Taktik der Stimmenthaltung zu greifen. Zugleich betonte er, dass er die Höhe der von ihm vorgeschlagenen Quoren durchaus zur Disposition stelle, solange die Richtung seiner Reformvorschläge bestehen bleibe, nämlich durch eine Verringerung der Beteiligungs- und Mindestzustimmungsquoren den durch die bisherige Praxis verletzten Verfassungsprinzipien wieder Geltung zu verschaffen und gleichzeitig der Volksgesetzgebung eine realistische Erfolgsaussicht zu geben. Letzteres jedoch, ohne dabei die Gefahr eine Flut von Volksbegehren heraufzubeschwören.501 Carl Tannert ist der erste in der staatsrechtlichen Literatur der Weimarer Republik nachweisbare Autor gewesen, der einen konkreten fundierten Reformvorschlag machte, um die augenscheinliche Instrumentalisierung insbesondere der Beteilungshürde des Art. 75 WRV durch die Taktik des Abstimmungsboykotts aufzuheben, ohne die grundsätzliche Balance zwischen Reichstag, Reichsrat, Reichspräsident und Volks als Staatsorgan in der Gesetzgebung fundamental zugunsten der Volksgesetzgebung zu verändern.502 Gerade vor dem Hintergrund, dass heute

Ebd., S. 584. Ebd., S. 585; Nawiasky, Ein neuer Vorschlag zum Volksentscheid, S. 419. 499 Ebd.; Kaisenberg, Zur Konstruktion des Volksentscheids, S. 585. 500 Carl Tannert, Fehlerfreier Volksentscheid, in: Bayerische Verwaltungsblätter, Bd. 78 (1930), S. 209 – 213. 501 Ebd. S. 211, 212 – 213. Als zusätzlichen Vorschlag brachte er in diesem Zusammenhang ein, dass man zum Schutz eines stabilen politischen Systems auch die Quote im Volksbegehr nach Art. 73 III WRV von 10% auf 15% anheben könne. 502 Nawiasky hat dies zwar an Tannerts Vorschlag kritisiert, ohne dies jedoch weiter auszuführen. Tannert hat ihn hierauf auch in seiner Replik aufmerksam gemacht. Vgl. Nawiasky, 497 498

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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existierende Bestimmungen zu Volksgesetzgebung auf Länderebene durch ähnlich differenzierte Mindestbeteilungs- und Zustimmungsanforderungen charakterisiert sind,503 erscheint sein Ansatz, der auch in späterer Literatur immer wieder aufgegriffen wurde,504 für die damalige Zeit als zukunftsweisend. Verwirklicht wurde er bis 1933 nicht mehr.

4. Carl Schmitt und die Volksgesetzgebung sowie ihre rechtspolitische Bedeutung in den wissenschaftlichen Verfassungsreformvorschlägen zur Weimarer Verfassungskrise 1930 – 1933 a) Carl Schmitt und die Volksgesetzgebung Der neben der Schrift Tannerts bemerkenswerteste Beitrag in der Weimarer Republik zur Volksgesetzgebung ist die Schrift „Volksentscheid und Volksbegehren – Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie“ von Carl Schmitt.505 Sie ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Es handelt sich hierbei um die ausgearbeitete Fassung eines Vortrages, den Schmitt am 11. Dezember 1926 in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin hielt. Seine Schrift ist deshalb von besonderer Bedeutung, da sie sehr viel mehr als nur wichtige Beiträge zu einzelnen dogmatischen Streitfragen wie der über den Finanzvorbehalt nach Art. 73 IV WRV oder § 3 VEG leistete.506 Aus ihr ergibt sich exemplarisch, welche Rolle der Volksgesetzgebung in einem sich vor allem in der späten Weimarer Staatrechtswissenschaft ausbreitenden Demokratieverständnis eingeräumt wurde, das den Parlamentarismus ablehnte und nach Alternativen zum liberal-bürgerlichen Pluralismus des Weimarer Parteienwesens suchte. Insbesondere Schmitts Konzeption einer starken, präsidial-autoritären oder später auch auf einen „Führer“ bezogenen, „idealen“ und „demokratischen“ Herrschaftsform stieß ab 1930 auf immer größere Resonanz in der Wissenschaft und Gesellschaft.507 Er hat nicht zufällig seine verfassungstheoretischen Vorstellungen gegen

Ein neuer Vorschlag zum Volksentscheid, S. 419; Tannert, Fehlerfreier Volksentscheid, S. 212. 503 Vgl. zu einzelnen Bundesländern: Johannes Rux, Direktdemokratische Verfahren im Parteienstaat, Rechtsgrundlagen und Rechtswirklichkeit der unmittelbaren Demokratie in Deutschland, Tübinger Habilitationsschrift 2002 (erscheint demnächst), Anhang 1 (Synopse der einschlägigen Regelungen). 504 Exemplarisch seien hier genannt: Werner Hartwig, Volksbegehren, S. 137 – 138 von 1930; Fritz Poetsch-Heffter, Die Mehrheit im Volksentscheid, in: RuPrVwBl. Bd. 50 (1929), S. 775. 505 Erschienen 1927 in Berlin und Leipzig. 506 Vgl. Kap. II A. 5. b) und 4. e). 507 Vgl. Jürgen Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat, Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, Köln 1958, S. 87; Stefan Korioth, Rettung oder Überwindung der Demokratie – Die Weimarer Staatsrechtslehre im Verfassungsnotstand 12*

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Ende der Weimarer Republik in einflussreicher Position als Berater des Reichskanzlers Kurt von Schleicher und exponierter Verteidiger des „Preußenschlages“508 von 1932 politisch propagieren und vorantreiben können;509 ein Engagement, das im Dritten Reich nahtlos in eine Stellung als Preußischer Staatsrat unter Hitler510 und eine ihm zumindest heute zugewiesene Rolle als „Kronjurist“ des frühen Nationalsozialismus überging.511 Schmitts Schrift gliedert sich in drei Teile. Im ersten behandelte er „Das Volksgesetzgebungsverfahren“, unter dem er allein das Verfahren aufgrund eines Volksbegehrens und eines Volksentscheids nach Art. 73 III WRV verstand, und zu dem sich die anderen Initiativwege zu einem Volksentscheid laut Schmitt als Sonderformen von „Veto“ oder „Sanktion“ in Bezug auf Gesetzesbeschlüsse des Reichstages hinzugesellten. Der zweite Teil behandelt „Die vom Volksgesetzgebungsverfahren ausgeschlossenen Angelegenheiten“, in dem er in ausführlicher Weise zum Finanzvorbehalt des Art. 73 IV WRV oder auch zur Frage des verfassungsändernden Charakters des § 3 VEG Stellung nahm.512 Beide Teile enthalten damit allein rechtsdogmatische Ausführungen, die bereits in Abschnitt A dieses Kapitels eingeflossen sind und hier nicht wiederholt werden sollen. Es wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen. Von rechtspolitisch übergeordneter Bedeutung war jedoch der dritte Teil seiner Arbeit, für den er die Überschrift „Die natürlichen Grenzen der unmittelbaren 1932 / 33, in: Christoph Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000, S. 505 – 531, 506. Hervorgehoben seien hier folgende Schriften Schmitts: ders., Die Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München, Leipzig 1923; ders., Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923 – 1939, Hamburg 1940; ders., Verfassungslehre, München 1928; ders., Der Begriff des Politischen, Berlin 1928; ders., Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931; ders., Legalität und Legitimität, München, Leipzig 1932; vgl. auch Jürgen Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, Frankfurt 1978, S. 30. 508 Es handelte sich hierbei um die faktische Entmachtung der preußischen Regierung durch die Reichsregierung. 509 Sein Beitrag, obwohl 1926 / 27 entstanden, steht damit auch in einem engen Zusammenhang mit den staatsrechtlichen Auseinandersetzungen um eine Verfassungsreform gegen Ende der Weimarer Republik, auf die um folgenden Unterabschnitt noch ein Blick geworfen werden soll. Vgl. auch: Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999, S. 32 – 35, 38 – 42, 43 – 44, 66 – 76; Olivier Beaud, Les derniers Jours de Weimar, Carl Schmitt face à l’avenement du nazisme, Paris 1997, S. 21 ff., 36 f., 40 – 43; Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, S. 58. 510 Vgl hierzu allgemein Dirk Blasius, Carl Schmitt, Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001. 511 So nennt ihn Andreas Koenen in seinen Buch. Vgl. ders., Der Fall Carl Schmitt, Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reichs“, Darmstadt 1995. Vgl. auch: William E. Scheuermann, Carl Schmitt, The end of law, New York / Oxford, 1999, S. 72 – 74, 85 ff. 512 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 7 – 14 und 14 – 31.

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Demokratie“ wählte.513 Der Titel ist insofern irreleitend, als das Schmitt in diesem Abschnitt bedeutend mehr tat; er skizzierte nämlich in groben, teils nebulösen Zügen ein „demokratisches“ Idealmodell,514 dem er die Volksgesetzgebung gegenüberstellte bzw., an dem er die Volksgesetzgebung maß. Er selbst drückte diese Zielsetzung mit folgenden Worten aus: „Eine weitverbreitete, oberflächliche Auffassung hält es einfach für ,demokratisch‘, dem ,Volke‘ alles Mögliche zu überlassen, und hält es für ,undemokratisch‘ sich auch nur zu fragen, was denn das ,Volk‘ überhaupt kann. Ich glaube, daß ein tapferes Volk in großen und entscheidenden Augenblicken Ungeheures vermag. Aber in der gesetzlich zu regelnden Alltäglichkeit des Lebens wäre eine absolute Bejahung der Frage unsinnig. Im folgenden werden sich aus der Eigenart des Subjektes ,Volk‘, aus der Natur der Sache, aus den Methoden der Feststellung des Volkswillens und aus den ideellen und moralischen Prinzipien der Demokratie verschiedene Grenzen ergeben.“515

Damit nannte Schmitt als ersten zentralen Ausgangspunkt seiner Vorstellung von Demokratie einen „Volksbegriff“, der seiner Auffassung nach in der Wissenschaft nicht in seiner wahren Bedeutung erkannt werde. Es sei, so formulierte er, ein Fehler, als „Volk“ ohne weitere Überlegungen vor allem diejenigen anzusehen, die an Wahlen oder Abstimmungen teilnähmen.516 So sei die „Minderheit, deren Begehren als Volksbegehren bezeichnet“ werde, in ganz anderer Weise „Volk als die Mehrheit, die sonst in der Demokratie mit dem Volk identifiziert“ werde.517 Schmitt verstand unter „Volk“ vor allem diejenigen, die keine behördliche Funktion hätten, nicht regierten, nicht „magistratus“ seien.518 Das Volk könne weitergehend seinen wahren und reinsten Willen am besten in einer öffentlichen Versammlung äußern, der eine öffentliche Beratung vorausgehe, womit Schmitt zur „Akklamation“ als zweitem zentralen Bestandteil seines Modells „echter Demokratie“ Ebd., S. 31. Schmitts Modell gewinnt vor allem dann an Schärfe, wenn man für ein besseres Gesamtverständnis seine Stellungnahmen aus anderen staatsrechtlichen Beiträgen dieser Zeit mit einfließen lässt. Dem Verfasser ist hierbei bewusst, dass es umstritten ist, inwieweit Schmitt in seinen Schriften immer einem übergeordneten Gesamtkonzept gefolgt ist. Vgl. hierzu: Mehring, Carl Schmitt, S. 7: „Auch nach der Veröffentlichung des Lehrbuchs Verfassungslehre von 1928 blieb seine [Schmitts] Theorieanstrengung weiter im Fluss. Dabei gab er seinem Werk durch eine gewisse Esoterik den Schein einer Einheit. Er schuf durch Hermetik einen Bedarf an Hermeneutik, suggerierte den Besitz einer Supertheorie und ließ deren theoretisches Profil doch offen.“ Der Verfasser ist aber dennoch der Auffassung, dass in diesem speziellen Zusammenhang der Rückgriff auf andere Stellungnahmen Schmitts unproblematisch ist, dass sich die hier wichtigen Begriffe von Volk, Akklamation, Öffentlichkeit oder sein eigenes Demokratiemodell als relativ klare Linien durch die Schriften dieser Schaffensphase verfolgen lassen. 515 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 31 – 32. 516 Ebd., S. 32; Vgl. auch: ders., Demokratie, S. 23 – 24; ders. Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München 1923, S. 13 ff. 517 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 33. 518 Ebd. 513 514

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gelangte. Gleichzeitig ergab sich für ihn daraus zwangsläufig die Ablehnung jeder geheimen, allgemeinen Wahl oder Abstimmung: „Ein Volk, das in einer wirklichen Versammlung auf dem Markt oder einem anderen Platz als versammelte Gemeinde auftritt [ . . . ], ist soziologisch und politisch eine ohne weiteres erkennbare Größe; es hat einen Gesamtwillen und äußert ihn anders als das Volk, dessen Wille ohne Versammlung als Ergebnis einer Addierung geheimer Einzelabstimmungen geäußert wird. Die geheime Einzelabstimmung, der keine verfahrensmäßig geregelte öffentliche Beratung vorhergeht, vernichtet gerade die spezifischen Möglichkeiten des versammelten Volkes. Denn die eigentlichste Tätigkeit, Fähigkeit und Funktion des Volkes, der Kern jeder volkhaften Äußerung, das demokratische Urphänomen, das, was auch Rousseau als eigentliche Demokratie vorgeschwebt hat, ist die Akklamation, der zustimmende oder ablehnende Zuruf der versammelten Menge. Das Volk akklamiert einem Führer, [ . . . ], der Umstand der Volksgenossen oder die Landsgemeinde einem Vorschlag [ . . . ]; es ruft Hoch oder Nieder, jubelt oder murrt, schlägt mit den Waffen an den Schild [ . . . ]. In Wahrheit gibt es kein Staatswesen, das auf solche Akklamationen verzichten könnte. [ . . . ]. Die Akklamation ist ein ewiges Phänomen jeder politischen Gemeinschaft.“519

Für Carl Schmitt ergab sich schlicht: „Kein Staat ohne Volk, kein Volk ohne Akklamation.“520 Adressat der Akklamation sei dabei vor allem eine Führerfigur. Auf diesen dritten zentralen Bestandteil seiner „reinen Demokratie“, ging er im Folgenden noch genauer ein: „Es [Das Volk] vertraut einem Führer und billigt einen Vorschlag aus dem politischen Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Einheit mit dem Führer; es äußert sich als der maßgebende Träger politischen Lebens in der spezifisch politischen Kategorie, und seine Entscheidungen sind immer richtig, solange es ungebrochene politische Instinkte hat und Freund und Feind zu unterscheiden weiß“.521

519 Ebd., S. 33 – 34. Interessanterweise sind im aufgeführtem Zitat Schmitts eindeutige Anklänge an die Darstellungen des Tacitus über das Gemeinwesen der alten Germanen erkennbar, (Vgl. Ausführungen zur historischen Herleitung der Volksgesetzgebung in Abschnitt B 1 b dieses Kapitels) deren Versammlungs- und Entscheidungswesen hier aber nicht als Belege für die Herkunft der Volksgesetzgebung, sondern als reine Demokratie dargestellt werden, in der das Volk per Akklamation entscheidet. Auf diese Neudeutung germanischer Verfassungstraditionen, die hier nur indirekt erfolgt, wird im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Umgang mit der Volksgesetzgebung im Dritten Reich noch näher eingegangen werden. 520 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 34. 521 Ebd., S. 35. Nicht näher ging Schmitt in diesem Zusammenhang auf die von ihm an anderer Stelle näher definierte Einheit zwischen Führer und Volk ein, die er nämlich mit der Notwendigkeit einer Identität von Regierenden und Regierten bezeichnet und an der es insbesondere im Parlamentarismus mangele. Vgl. Schmitt, Demokratie, S. 23 – 24; ders. geistesgeschichtliche Lage, S. 13 ff. sowie zusammenfassend: Mehring, Carl Schmitt, S. 41: „Im Gegensatz zur parlamentarischen Repräsentation sieht Schmitt die Demokratie durch eine >Reihe von Identitäten< und Immanenzvorstellungen gekennzeichnet. Ihr formales Merkmal ist die Identifikation: das Ja des Volkes zum politischen System und seiner Führung. Schmitt definiert Demokratie als >Identität von Regierenden und Regierten< im Sinne der Identifikation des Volkes mit seiner Herrschaft und setzt dabei den Herrschaftscharakter des Politischen voraus. Sein Begriff der Demokratie umfasst gleichermaßen den soziologischen

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Auch wenn Schmitt sich in der kleineren Schrift über die Weimarer Volksgesetzgebung nicht ausführlich zu allen Aspekten des von ihm favorisierten Herrschaftsmodells äußerte, vor allem in anderen Schriften entwickelte Vorstellungen über eine Homogenität des Volkes522 oder auch eine Identität von Regierten mit Regierenden als Idealmodell hier nur anklingen,523 so erscheint dieses dennoch in einem ausreichend klaren Licht.524 Der Staat beruht für ihn auf einem homogenen Volk, das einen wahren und klaren Willen haben kann. Dieser Wille kann vom Volk in bewusster Abgrenzung zum „liberal-individualistischen“ Instrument der geheimen Wahl am besten durch Akklamation als öffentliche Artikulation aus einem demokratischen Gefühl heraus mitgeteilt werden. Die „Volksseele“, der Volkswille wird dabei am besten durch eine Führerfigur als Ausdruck der „tiefen Sehnsüchte“ der Nation, als dessen Bewusstsein, verkörpert. Dieser Führer nimmt den per Akklamation geäußerten Willen auf oder kann ihn sogar antizipieren, da er praktisch eins ist mit dem Volkswillen.525 Aus diesem Demokratie- und Herrschaftsmodell heraus, vor allem aber aufgrund der strikten Ablehnung einer individuellen, geheimen Entscheidung des Einzelnen bei Wahlen und Abstimmungen,526 konnte Schmitt nur zur Ablehnung der Volksgesetzgebung nach Art. 73 III WRV kommen: Befund der Massenloyalität wie den staatsrechtlichen Befund legitimatorischer Rückbindung staatlicher Herrschaft an das Volk.“ 522 Sie ließ im Ergebnis für ihn die Ausgrenzung und Unterdrückung des Heterogenen als erlaubt erscheinen. Vgl. insgesamt: Schmitt, Parlamentarismus, S. 62: „Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht Demokratie, sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform, sondern individualistisch-humanitäre Moral und Weltanschauung. Auf der unklaren Verbindung beider beruht die moderne Massendemokratie. Trotz aller Beschäftigung mit Rousseau und trotz der richtigen Erkenntnis, daß Rousseau am Anfang der modernen Demokratie steht, scheint man noch nicht bemerkt zu haben, daß schon die Staatskonstruktion des Contrat social diese beiden verschiedenen Elemente inkohärent nebeneinander enthält. Die Fassade ist liberal: Begründung der Rechtmäßigkeit des Staates auf freien Vertrag. Aber im weiteren Verlauf der Darstellung und bei der Entwicklung des wesentlichen Begriffes, der volonté générale, zeigt sich, daß der wahre Staat nach Rousseau nur existiert, wo das Volk so homogen ist, daß im wesentlichen Einstimmigkeit herrscht.“ 523 Dieses erschließt sich dem Interessierten am besten bei einer Lektüre der Werke Schmitts zur „Geistesgeschichtlichen Lage des Parlamentarismus“ (1923), zur „Verfassungslehre“ (1928), zum „Hüter der Verfassung“ (1929) oder zur „Legalität und Legitimität“ (1932). 524 Mehring, Carl Schmitt, S. 49 – 57; Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 158 – 159 (erschienen erstmalig 1929 in der AöR); ders., Legalität .a. a. O. 525 Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 432; Schmitt, Verfassungslehre, S. 228 – 238, 245; ders., Geistesgeschichtliche Lage, S. 22 f. Vgl. auch die noch folgende Darstellung zum Dritten Reich. 526 Diese Haltung wurde bei Schmitt auch in anderen Schriften deutlich, so zum Beispiel in Äußerungen in: Schmitt, Parlamentarismus, S. 65, in denen auch der Zusammenhang zwischen Volk und Akklamation im Schmittschen Denken noch einmal deutlich wird: „Es gehört zu den undemokratischen, im 19. Jahrhundert aus der Vermengung mit liberalen Grundsätzen entstandenen Vorstellungen, das Volk könne seinen Willen nur in der Weise äußern, daß jeder einzelne Bürger, in tiefstem Geheimnis und völliger Isoliertheit [ . . . ], unter „Schutzvorrichtungen“ und „unbeobachtet“ – wie die deutsche Reichsstimmordnung vorschreibt – seine

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„Vom Standpunkt der echten klassischen Demokratie (in diesem Sinne: der ,reinen‘ Demokratie), gibt es eigentlich nichts Mittelbareres als eine auf solch geheimen Einzelabstimmungen beruhende Feststellung des politisch maßgebenden Willens, durch welche der einzelne Stimmberechtigte zum isolierten, unverantwortlichen Privatmann und die in vitaler Unmittelbarkeit gegebene Gesamtgröße Volk zu einem Additionsverfahren gemacht wird“.527

Diese Ablehnung versuchte Schmitt im weiteren Verlauf seiner Schrift durch zusätzliche Argumente zu untermauern. Problematisch sei bereits die Notwendigkeit einer vorformulierten Frage, die zur Abstimmung gestellt werden könne. Diese müsste „autoritativ formuliert“ werden, was bereits eine „Gefährdung oder Irreleitung des wahren Volkswillens“ bedeuten könne und zudem eine öffentliche Meinungsbildung verhindere: „Bei der heutigen Methode der geheimen Einzelabstimmung wird gerade die öffentliche Beratung und Diskussion von dem formellen Verfahren ausgeschlossen und außerhalb des juristisch faßbaren und sozial kontrollierten Verfahrens in eine von Privaten betriebene und beherrschte Pressepropaganda und Agitation verlegt.“528

Ein weiteres Problem war für Schmitt die prinzipiell ungeklärte Frage nach dem Verhältnis von Volk und „Magistrat“, worunter er die Staatsorgane Reichstag, Reichspräsident, Reichsrat und Reichsregierung, verstand. Einerseits sei der Volksentscheid in der Weimarer Reichsverfassung als ein Sanktionsinstrument im Konfliktfall verschiedener Reichsorgane untereinander von weitgehender Anwendbarkeit, andererseits die Volksinitiative aufgrund der bereits dargestellten „demokratischen“ Defizite nur beschränkt anwendbar.529 Dieses Problem werde bisher viel zu wenig erkannt, was auch an einer zu undifferenzierten Betrachtung der Wirkung von Volksinitiative und Referendum liege. Die verschiedenen Ebenen und Anwendungsbereiche dieser Form der direkten Demokratie würden zumeist ohne Unterscheidung nebeneinander gestellt.530 Um dies zu illustrieren ging Schmitt auf verschiedene Anwendungsbereiche der Volksinitiative ein und beantwortete für jeden Fall einzeln die Frage nach dem Verhältnis von Volk und „Magistratur“. UnprobleStimme abgibt, dann jede einzelne Stimme registriert und eine arithmetische Mehrheit berechnet wird. Ganz elementare Wahrheiten sind dadurch in Vergessenheit geraten und der heutigen Staatslehre anscheinend unbekannt. Volk ist ein Begriff des öffentlichen Rechts. Volk existiert nur in der Sphäre der Publizität. Die einstimmige Meinung von hundert Millionen Privatleuten ist weder Wille des Volkes, noch öffentliche Meinung. Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamation, durch selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein ebenso gut und noch besser demokratisch geäußert werden als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert mit einer so minutiösen Sorgfalt ausgebildet hat. Je stärker die Kraft des demokratischen Gefühls, um so sicherer die Erkenntnis, daß Demokratie etwas anderes ist als Registriersystem geheimer Abstimmungen.“ 527 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 35. 528 Ebd., S. 38. 529 Ebd., S. 39 – 41. 530 Ebd., S. 42 – 44.

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matisch war für ihn zunächst eine Volksinitiative auf dem Gebiet der Selbstverwaltung, da es sich hier eher um eine Art der Geschäftserledigung handele, die nichts mit der Staatsform zu tun habe. Ebenfalls ohne grundsätzliches Problem für das Verhältnis Volk zu Magistratur und daher akzeptabel war für Schmitt auch die Abberufung von Beamten oder Auflösung gewählter Körperschaften durch Volksinitiative. Schwierig, weil sie einen Widerspruch zur Wahl der „Magistrate“ darstelle, sei dagegen die freie Initiative auf dem Gebiet der staatlichen Verwaltung und Selbstregierung. Es sei sinnwidrig, gewählte Vertreter „in sachliche Konkurrenz mit freien, unverantwortlichen Initianten“ treten zu lassen.531 Den meisten Raum widmete Schmitt dann der „Gesetzesinitiative“ als „dem eigentlichen Gebiet der Volksinitiative“.532 Hier ging er noch einmal detailliert auf die Unterscheidung des Volksentscheides als Sanktion bei Konflikten zwischen Reichsorganen vom Volksentscheid auf ein Volksbegehren (Art. 73 III WRV) als eigenständiges Gesetzgebungsverfahren ein.533 Rechtspolitisch folgte für Schmitt hieraus einerseits eine Anerkennung des Volksentscheids als übergeordnetes Sanktionsinstrument, weil hier das Volk als „pouvoir constituant“ handele. Andererseits kritisierte er gleichzeitig ein eigenständiges Gesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV als sinnwidrige Konkurrenz zur „typisch magistralen Funktion“, womit die Gesetzgebungskompetenz des Reichstags gemeint war.534 Auch hier sei das Verhältnis zwischen Volk und „Magistratur“ ungeklärt. Das Ende seiner Schrift widmete Carl Schmitt schließlich allgemeinen Ausführungen zu „politischen Theorie“.535 Grundsätzlich, so stellte er fest, könne es echte Unmittelbarkeit von Demokratie sowieso nicht geben, weil das Volk sonst nicht mehr Volk, sondern Magistratur und Volk in Einem werde – für Schmitt ein „Widerspruch in sich“ .536 Unter Bezugnahme auf die Verhältnisse in Ländern wie den USA und England kam er im Ergebnis zudem auch auf eine grundsätzliche Kollisionsgefahr von unmittelbarer Demokratie und Parlamentarismus.537 Ebd., S. 44 – 45. Ebd., S. 45. 533 Auf diese Sichtweise, die in der Weimarer Staatsrechtlehre insofern Resonanz fand, als dass das Volksbegehren als echte Gesetzgebungsinitiative anerkannt wurde, wurde bereits in der rechtsdogmatischen Darstellung des Streits über den Petitionscharakter des Volksbegehrens in Abschnitt A. 4. b) dieses Kapitels eingegangen. 534 Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 48 – 49. 535 Ebd., S. 49 – 54. 536 Vgl. auch: Schmitt, Demokratie, S. 19. Bereits in diesem Aufsatz von 1924 sah er grundsätzlich eine rein-unmittelbare Demokratie als unmöglich an, äußert sich aber nur kurz. Er nannte ein Herrschaftssystem auf der Grundlage von Volksentscheiden einen „radikalen egalitären Demokratismus“, der „wirtschaftlich zum Kommunismus führe“. 537 Vgl. Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 49: Auch hier griff Schmitt den Volksbegriff auf, stellte fest, dass auch eine zahlenmäßige Minderheit „gegenüber einer politisch willenlosen und desinteressierten Mehrheit“ als „Volk auftreten und die öffentliche Meinung beherrschen“ könne. Deutlich wird, warum er die individuelle Abstimmung ablehnt, da sie verhindert, dass eine politisch aktive Minderheit, die eben auch „Volk“ i. S. d. 531 532

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Die Schrift Schmitts hat eine unmittelbare Reaktion des damals noch jungen Privatdozenten Friedrich Glum hervorgerufen, der Schmitt insbesondere hinsichtlich dessen extensiver rechtsdogmatischer Auslegung des Finanzvorbehalts nach Art. 73 IV WRV mit detaillierten Gegenargumenten widersprach.538 Aber auch die rechtspolitischen Äußerungen Schmitts, die Glum zudem als „nicht ganz klar“, „widersprüchlich“ oder als „leider“ nur „Andeutungen“ bezeichnete, fanden keine Zustimmung.539 Glum warf Schmitt vor, im Rahmen seines Demokratiemodells von falschen Prämissen ausgegangen zu sein, zudem die Zielsetzung und Möglichkeiten der Volksgesetzgebung verkannt zu haben: „Ich kann auch Schmitt weiter nicht folgen, wenn er behauptet, daß der Orientierungspunkt für die Frage der Volksinitiative in dem Verhalten des Volkes zu der vom Volk gewählten Magistratur liegt. Dieser vorausgesetzte Dualismus von Volk und Regierung entspricht m. E. weder dem positiven Staatsrecht, noch der Vorstellung von Demokratie, die die Schöpfer unserer Verfassung, in ihr zu verwirklichen versucht haben. [ . . . ]. Schmitt geht dann über zu dem Gebiet der staatlichen Verwaltung und Selbstregierung. Hier behauptet er, daß die freie Initiative des Volkes einen Widerspruch zur Wahl der Magistrate bilde, da es nicht der Sinn ihrer Berufung sei, in sachliche Konkurrenz mit freien unverantwortlichen Initianten zu treten, [ . . . ]. Auch hier wird man Schmitt m. E. nicht zustimmen können.“540

Es sei eben doch gewollt und auch möglich, dass die Magistratur durch die Volksinitiative in Einzelfragen korrigiert werde. Im Ergebnis widersprach Glum Schmitts grundsätzlicher Kritik an der Volksgesetzgebung ausdrücklich und warf ihm eine mangelnde Transparenz seiner Stellungnahme vor: „Jeder weitere Schritt würde praktisch dazu führen, worauf Carls Schmitt offenbar hinauswill, die Volksgesetzgebung ganz auszuschalten, die Volksgesetzgebung auf das Referendum zu beschränken. Ich glaube aber, daß wir die Volksgesetzgebungsinitiative als Korrektur gegen Regierung, Parlament und Parteien in unserem Parteienstaat, wie er sich nun einmal entwickelt hat, nicht entbehren können, kann sie doch die Parteien zwingen – und das dürfte ihre wesentliche Funktion sein –, zu Anträgen über Bedürfnisse Stellung zu nehmen, die sich nicht zu Willensentschlüssen der Parteibürokratie haben verdichten können.“541

Schmittscher Diktion sein kann, die Herrschaft ausführt. Deutlich wird ein Denken über das Gegeneinander von Freund und Feind und auch über „Macht“ allgemein und die Legitimität der Herrschaft des Starken. Nur so ist erklärbar, warum seiner Auffassung nach auch Diktaturen „demokratisch sein können (Vgl. in diesem Sinne: Schmitt, Parlamentarismus, S. 56 – 57). Schmitt hat seine grundsätzliche Kritik an der Volksgesetzgebung in der Schrift „Legalität und Legitimität“ 1932 noch einmal in allgemeinerer, „vorsichtiger“ Form wiederholt, die Volksgesetzgebung hierbei aber in einer abstrakten Art und Weise im Zusammenspiel oder aber auch Gegeneinander mit Repräsentation und Parlamentarismus mitbehandelt (vgl. Schmitt, Legalität, S. 63 – 69, 88 – 98, 93,94). 538 Friedrich Glum, Die Grenzen der Volksgesetzgebung nach Art. 73 der Reichsverfassung, in: JW 58 (1929), S. 1099 – 1108. 539 Ebd., S. 1102, 1103. 540 Ebd., S. 1102. 541 Ebd., S. 1103.

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b) Der Volksentscheid als Weg aus der Verfassungskrise? Volksgesetzgebung in den staatsrechtlichen Reichsreformvorschlägen 1930 – 1933 Mit Beginn der Präsidialkabinette 1930, spätestens aber mit der Entlassung des Reichskanzlers Heinrich Brüning am 30. Mai 1932 schien sich Carl Schmitts Theorie vom Versagen eines auf Parlamentarismus und Parteien gestützten Herrschaftssystems für viele Staatsrechtler immer deutlicher zu bewahrheiten.542 In der Staatsrechtswissenschaft, die sich lange Zeit vor allem mit einer Reform des Miteinander von Reich und Ländern, der Frage nach mehr Unitarismus oder Föderalismus beschäftigt hatte,543 wurden die Rufe nach einer grundlegenden Reform der gesamten Verfassungsstruktur und auch einer endgültigen Abkehr vom Parlamentarismus immer lauter.544 Die Volksgesetzgebung spielte hier zunächst keine nennenswerte Rolle. Zwar äußerten sich Richard Thoma, Werner Hartwig und andere auch 1930 und danach noch grundsätzlich positiv zu ihr;545 in konkreten staatsrechtlichen Beiträgen zur Reform der Reichsverfassung von Hochschullehrern wie Johannes Heckel, Friedrich Glum, Willibald Apelt, Albert Hensel, Fritz PoetzschHeffter oder auch denen von Praktikern wie dem Reichsgerichtspräsidenten Simons, den Oberregierungsräten Medicus und Dryander oder dem Regierungsassessor Bolling, um nur einige zu nennen, wurde sie aber nicht behandelt,546 bzw. ab542 Vgl. allgemein: Korioth, Weimarer Staatsrechtslehre im Verfassungsnotstand 1932 / 33, S. 505 – 531. 543 Vgl. die umfassende Gesamtdarstellung der Einzelfragen, Positionen und Entwicklungen mit zahlreichen weiteren Verweisen bei: Hans Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, Teil 1, Berlin 1928. Exemplarisch auch: Julius Henle, Der Reichsumbau, in: Reich und Länder, Bd. 5 (1931), S. 103 – 111; H. Schmitt, Die Frage Reich – Preußen und die übrigen Länder, in: Reich und Länder, Bd. 5 (1931), S. 305 – 308; Walter Adametz, Die Reichsreform, Allgemeine Grundlagen für die Abgrenzung zwischen Reich, Ländern und Gemeindeverbänden, (Denkschrift des Bundes zur Erneuerung des Reiches), Bd. 6 (1932), S. 297 – 309. 544 Vgl.: Dieter Grimm, Verfassungserfüllung – Verfassungsbewahrung – Verfassungsauflösung, Positionen der Staatsrechtslehre in der Staatskrise der Weimarer Republik, in: Heinrich August Winkler (Hrg.), Die deutsche Staatskrise 1930 – 1933, Handlungsspielräume und Alternativen, München 1992. S. 183 – 199, 186; Korioth, Die Weimarer Staatsrechtslehre im Verfassungsnotstand 1932 / 33, a. a. O.; Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik (2. Aufl.), Bd. 1, Berlin 1987; Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 390 ff. In unmittelbarem Zusammenhang standen die Debatten über Föderalismus und eine Gesamtreform der Verfassung im Zusammenhang mit dem Preußenschlag der Regierung Papen, mit dem diese die Regierung Preußens unter Ministerpräsident Braun entmachtete. Vgl. exemplarisch: Carl Bilfinger, Exekution, Diktatur und Föderalismus, in: DJZ 37 (1932), Sp. 1017 – 1021; Friedrich Giese, Zur Verfassungsmäßigkeit der vom Reich gegen und in Preußen getroffenen Maßnahmen, in: DJZ 37 (1932), Sp. 1021 – 1024. 545 Vgl. Thoma, Reich als Demokratie (1930), S. 196; Hartwig, Volksbegehren (1930), S. 130 ff.; Hansen, Volksgesetzgebung (1930), S. 63; Grundmann, Volk und Volksvertretung (1932), S. 62 – 64. 546 Vgl. Johannes Heckel, Diktatur, Notverordnungsrecht, Verfassungsnotstand mit besonderer Rücksicht auf das Budgetrecht, in: AöR Bd, 61 (1932), S. 257 – 338, 317. Heckel

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gelehnt.547 Ursache hierfür war zum einen eine Ablehnung, die aus den als negativ empfundenen praktischen Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren erwuchs. Zum anderen aber war es auch die angesichts der Krise von Staat und Wirtschaft zunehmende Popularität autoritär-präsidialer Herrschaftsmodelle, die, am Beispiel Schmitt dargestellt, eine Ablehnung der Volksgesetzgebung mit sich brachte.548 Hans Grundmann hat die Stimmung dieser Zeit gegen Volksgesetzgebung, die nicht nur allgemein-politische, sondern eben auch wissenschaftlichrechtspolitische Stellungnahmen prägte, in seiner Dissertation von 1932 folgendermaßen beschrieben: „Dem Volke selbst geht es heute nicht um eine Volksherrschaft oder Parlamentsherrschaft. Beide, Volk und Parlament haben kapituliert: dort der Ohnmachtsschrei nach dem nie versagenden Führer, der mit eiserner Faust Volk und Nation den Weg aufwärts weist, hier ein bescheidenes Sichbeugen vor der Macht der Verhältnisse. Wie das Problem von Volksherrschaft und Parlamentsherrschaft sich einst gestallten soll, müssen wir der Zukunft überlassen, wenn die deutschen Demokratien einst konstanteren politischen Verhältnissen gegenüberstehen“.549 schlug aber immerhin eine einmalige Bestätigung einer durch den Reichspräsidenten geänderten Verfassung durch das Volk vor; Willibalt Apelt, Staatstheoretische Bemerkungen zur Reichsreform, in: Hans Gmelin / Otto Koellreuter (Hrsg.), Gegenwartsfragen aus der Allgemeinen Staatslehre und der Verfassungstheorie, (Festschrift für Richard Schmidt), Leipzig 1932, S. 1 – 26; Albert Hensel, Grundrechte und Verfassungsreform, in: DJZ 38 (1933), Sp. 42 – 52; Fritz Poetzsch-Heffter, Reform des Parlamentarismus, in: RuPrVwBl. Bd. 53 (1932), S. 924 – 927; W. Simons, Die Stellung des Reichspräsidenten, in: DJZ 38 (1933), Sp. 22 – 27; Franz Albrecht Medicus, Zur Reichstagswahl, Reformgedanken und geltendes Wahlrecht, in: RuPrWvBl. Bd. 51 (1930), S. 541 – 543; G. von Dryander, Die Reichsreform als Voraussetzung deutscher Gesundung, in: Reich und Länder Bd. 5 (1931), S. 199 – 206; H. G. Bolling, Verfassungspolitische Strukturwandlungen, in: Reich und Länder, Bd. 6 (1932), S. 157 – 165; Carl Schmitt, Reichs- und Verfassungsreform, in: DJZ 36 (1931), Sp. 5 – 11, 6, 11; Otto Koellreutter, Staatsnotrecht und Staatsauffassung, in: DJZ 37 (1932), Sp. 39 – 45. 547 So bei: Friedrich Glum, Vorschläge zur Änderung des organisatorischen Teils der Reichsverfassung, in: DJZ 37 (1932), Sp. 1309 – 1315, 1314 – 1315. Glums Reformvorschlag sah nur noch ein Volksbegehren, jedoch keinen Volksentscheid mehr vor. 548 Vgl. Bolling, Verfassungspolitische Strukturwandlungen, S. 160 – 165; Erich Kaufmann, Zur Problematik des Volkswil1ens, Berlin / Leipzig 1931, S. 12, 13, 19. Vgl. auch Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 80 ff.; Korioth, Die Weimarer Staatsrechtlehre im Verfassungsnotstand 1932 / 33, S. 519 – 529. Korioth setzte die grundlegenden Strömungen in der Staatsrechtswissenschaft gegen Ende der Weimarer Republik mit dem grundlegenden Methodenstreit dieser Zeit in Zusammenhang, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. in diesem Zusammenhang als Beispiel von Antiparlamentarismus und Antiliberalismus im Zusammenspiel mit juristischem Antipositivismus: Otto Koellreutter, Parteien und Verfassung im heutigen Deutschland, Leipzig 1932, S. 13, unter demselben Titel auch abgedruckt in: ders., Hans Gmelin (Hrsg.), Gegenwartsfragen aus der allgemeinen Staatslehre und der Verfassungstheorie (Festgabe für Richard Schmidt zu seinem 70. Geburtstag), Leipzig 1932, S. 107 – 139. Vgl. allgemein: Horst Möller, Parlamentarismus-Diskussion in der Weimarer Republik, Die Frage des besonderen Weges zum parlamentarischen Regierungssystem, in: Manfred Funke u. a. (Hrsg.), Demokratie und Diktatur, Düsseldorf 1987, S. 140 ff., 151. 549 Grundmann, Volk und Volksvertretung, S. 64.

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Diese Abkehr von der Volksgesetzgebung als Instrument der politischen Willensbildung in der Staatsrechtswissenschaft wurde 1932 jedoch noch einmal durchbrochen.550 Hintergrund einer neuerlichen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Volksentscheid und Volksbegehren durch vor allem Walter Jellinek war der Übergang von der Krise in eine völlige Blockade des Verfassungsstaats nach den Neuwahlen vom 31. Juli 1932. Der Reichstag war zu einer demokratischen Regierungsbildung nicht in der Lage, war aber auch nicht mehr bereit, ein Präsidialkabinett unter Franz von Papen auf der Grundlage des Art. 48 WRV, dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten, zu tolerieren. Er benutzte vielmehr das destruktive Misstrauensvotum des Art. 54 WRV gegen die Reichsregierung. Gleichzeitig ließen auch nochmalige Neuwahlen aufgrund der immer stärkeren Präsenz von NSDAP und KPD im Reichstag nicht auf stabilere Regierungsverhältnisse hoffen.551 Die Staatsrechtswissenschaft sah sich in dieser Situation gefordert, konkrete Vorschläge zur kurzfristigen Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Regierung zu erarbeiten, ohne dabei einen offenen Verfassungsbruch zu fordern,552 was angesichts der primären Verfassungsänderungskompetenz eines handlungsunfähigen Reichstages äußerst schwierig erschien.553 In dieser kurzen Phase vom Juli 1932 bis zur Machtergreifung Hitlers im Januar 1933, sah Walter Jellinek in der Volksgesetzgebung das einzig noch verbliebene Verfassungselement, um im Zusammenspiel mit „diktatorischen“ Maßnahmen des Reichspräsidenten nach Art. 48 WRV auf legalem Wege am Reichstag vorbei zu einer Verfassungsänderung zu kommen. Er forderte also nicht eine Verfassungsstruktur, die grundsätzlich der Volksgesetzgebung mehr Raum gewähren sollte, sondern brachte sie als einmaliges „Notinstrument“ in dieser verfahrenen Situation ins Spiel: „Es fragt sich einfach, ob und wieweit es aussichtsreich ist, Verfassungsreformen durch Volksbegehren, Volksentscheid und Maßnahmen der Diktatur in die Wege zu leiten. Dabei handelt es sich nicht notwendig um zwei getrennte Wege, vielmehr kann die Diktatur des Reichspräsidenten möglicherweise der Volksgesetzgebung etwas nachhelfen und so im gemeinsamen Zusammenwirken mit dem Volk zum Ziele führen.“554 Vgl. auch: Schiffers, Elemente, S. 270 – 272. Während Brüning Pläne zur Wiedereinführung der Monarchie noch geheim gehalten hatte, propagierte der neue Reichskanzler von Papen in dieser Situation unter dem Schlagwort „Der neue Staat“ ganz offen die Entmachtung des Reichstags und der politischen Parteien. Er strebte vor allem eine Änderung des Art. 54 WRV an, der die Reichsregierung vom Vertrauen des Reichstages abhängig machte. Vgl. Joachim C. Fest, Franz von Papen und die konservative Kollaboration, in: Gotthard Jasper (Hrsg.), Von Weimar zu Hitler 1930 – 1933, Berlin 1968, S. 229 – 245. 552 Die Herausgeber der Zeitschrift „Reich und Länder“ warnten noch im Februar 1933 davor, dass sich Staatsrechtler auf keinen Fall für einen Verfassungsbruch aussprechen dürften. Vgl., Walter Adametz / Wolfgang Spielhagen, Reich, Staatspolitische Würdigung der Entwicklung der Verfassung, Verwaltung und Finanzen in Deutschland im zweiten Halbjahr 1932, in: Reich und Länder Bd. 7 (1933), S. 33 – 37. 553 Grimm, Positionen der Staatsrechtslehre in der Staatskrise, S. 186. 554 Walter Jellinek, Verfassungsreform im Rahmen des Möglichen, in: Reich und Länder Bd. 6 (1932), S. 267 – 289, 267. 550 551

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In seinem Aufsatz „Verfassungsreform im Rahmen des Möglichen“ vom November 1932 schlug Jellinek vor, mit Hilfe von Maßnahmen gemäß Art. 48 WRV das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (VEG) so neu zu fassen, dass eine Verfassungsreform auf der Grundlage eines Volksgesetzgebungsverfahrens nach Art. 73 III WRV möglich werde. Da es sich bei diesem Gesetz um ein einfaches Reichsgesetz handele, sei es „nicht diktaturfest“, könne vom Reichspräsidenten also legal geändert werden.555 Seine Reformvorschläge beruhten ausdrücklich auf der bereits dargestellten Schrift Tannerts, die Jellinek „ausgezeichnet“ nannte.556 Im Zentrum jellinekscher Reformgedanken stand also wie bei Tannert die Problematik des Abstimmungsboykotts, bzw. die Unerreichbarkeit der in den Art. 75 und Art. 76 I 4 WRV festgelegten Quoren. Er schlugt vor, wie es auch in den Geschäftsordnungen verschiedener Länder in Bezug auf Abstimmungen im Parlament durchaus üblich sei, Stillschweigen, also die Nichtbeteiligung an einem Volksentscheid, als Zustimmung zu werten. Eine solche Neuregelung könne durch eine einfache Änderung des Ausführungsgesetzes (VEG) erfolgen, Art. 75 und 76 I 4 WRV seien in ihrem materiellen Gehalt nicht berührt: „Auch beim Volksentscheid ist es nicht unbedingt nötig, daß sich der Ja-Sager rühren muß, vielmehr steht es im Einklang mit der Verfassung, auch beim Volksentscheid, ähnlich wie im sächsischen Landtag, Stillschweigen als Zustimmung zum volksbegehrten Gesetzentwurf zu deuten.“557

Um dem Reichstag auch wirklich jede Möglichkeit zu nehmen, „der Volksgesetzgebung ein Bein zu stellen“ müsse man weitergehend jede ungebührliche Verzögerung des Reichstagsbeschlusses über ein erfolgreiches Volksbegehren um mehr als drei Monate per Gesetz als Ablehnung bestimmen; die Prüfung des Ergebnisses des Volksentscheids müsse außerdem dem überwiegend mit Reichstagsabgeordneten besetzten Wahlprüfungsgericht weggenommen und dem Staatsgerichtshof zugeordnet werden. Eine Prüfung des Volksentscheids durch den Staatsgerichtshof würde laut Jellinek jedem Verdacht der politischen Einwirkung die Grundlage nehmen.558 Jellineks Vorschläge erfuhren einigen Widerhall, stießen dabei aber auf einhellige Ablehnung. Während ein wenig wissenschaftlicher Beitrag im Berliner Tageblatt Jellinek schlicht einen „dienstbeflissenen Staatsrechtslehrer“ nannte, der erst durch die „politischen Experimente“ der Regierung von Papens Raum für seine Vorschläge finde,559 verurteilten die Professoren Godehard Josef Ebers sowie Gerhard Leibholz in einer konstruktiveren Stellungnahmen die Vorschläge Jellineks als verfassungswidrig. Es sei eine „verfassungsrechtlich garantierte Freiheit“ des Ebd., S. 269. Ebd., S. 270. 557 Ebd., S. 269. 558 Ebd., S. 270. 559 Vgl. „Politische Professoren, Wissenschaft im Dienst der Politik“, in: Berliner Tageblatt vom 12. 11. 1932, Nr. 538. 555 556

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einzelnen Stimmberechtigten, an einer Abstimmung teilzunehmen oder aber ihr fernzubleiben und auch die Umdeutung einer Nichtbeteiligung sei mit der „Verfassung unvereinbar“.560 Jellinek verteidigte seinen Vorschlag noch einmal in seinem Aufsatz „Verfassungsrettung“ vom Januar 1933, in dem er zusätzlich aber auch auf andere Lösungsansätze einging, die nichts mit der Volksgesetzgebung zu tun hatten.561 Die von ihm angestoßene Debatte darüber, ob die Volksgesetzgebung den Weg zur Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit auf der Grundlage einer Verfassungsreform ebnen könnte, endete endgültig abrupt mit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933. 5. Der Blick von außen – Die Weimarer Volksgesetzgebung aus der Perspektive französischer Staatsrechtler Nicht nur die Juristen innerhalb, sondern auch außerhalb des Deutschen Reiches beschäftigten sich intensiv mit den neuen Weimarer Verfassungselementen Volksentscheid und Volksbegehren auf Reichsebene. Insbesondere die französische Staatsrechtswissenschaft beobachtete ihre Einführung und praktischen Auswirkungen, wie überhaupt die demokratische Entwicklung Deutschlands, sehr genau. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von René Brunéts, Louis Faure, Yves Le Dantec und Constantin Angelescou-Monteoru, die alle fundierte Beiträge über die deutsche Demokratie darstellen.562 In den letzten drei Fällen handelt es sich sogar ganz konkret um Doktorarbeiten allein über die plebiszitären Elemente in der Weimarer Reichsverfassung. Alle diese französischen Beiträge sind in der For560 Vgl. Godehard Josef Ebers, Autorität und Freiheit, Köln 1932, S. 9 – 10; Gerhard Leibholz, Die Wahlreform im Rahmen der Verfassungsreform, RuPrVwBl Bd. 53 (1932), S. 927 – 930, 930; Grimm, Positionen der Staatsrechtslehre in der Staatskrise, S. 188 – 9; Schiffers, Elemente, S. 270 – 1. 561 Walter Jellinek, Verfassungsrettung, in: Reich und Länder Bd. 7 (1933), S. 1 – 9, 1, 6. Er verwehrte sich hierbei gegen „persönliche Verunglimpfungen“ seiner Person in „einigen Zeitungen“, was ein deutlicher Hinweis auf die doch erhebliche Resonanz seiner Vorschläge in der Tagespresse ist. Vgl. in Bezug auf spätere Reaktionen Jellineks zum Verfassungsumbau durch das Ermächtigungsgesetz und die Nationalsozialisten: Walter Jellinek, Verfassungsneubau, in: Reich und Länder Bd. 7 (1933), S. 129 – 136. 562 René Brunet, La Constitution Allemande du 11 Aout 1919, Paris 1921; Louis Faure, Les institutions de gouvernement direct en Allemagne depuis la guerre, Paris 1926; Yves Le Dantec, L’initiative populaire, le referendum et le plébiszite dans le Reich et les pays Allemand, Paris 1932; Constantin Angelescou-Monteoru, La consultation directe du peuple, en dehors de l’élection, d’après la constitution de Weimar, Paris 1933. Erwähnt, aber nicht tiefergehend betrachtet sei an dieser Stelle auch die Arbeit Edmond Vermeil (ders., La Constitution de Weimar et le principe de la démocratie allemande – Essai d‘histoire et de psychologie politiques, London 1923, S. 136 – 139). Diese Arbeit eines Professor an der Faculté des Lettres der Universität Straßburg setzte sich eher allgemein mit Deutschland und seinem politischen System auseinander. Die Volksgesetzgebung wurde nur in kurzer deskriptiver Weise einbezogen. Alle folgenden Übersetzungen stammen vom Verfasser.

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schung in Deutschland bis heute kaum oder gar nicht wahrgenommen worden.563 Sie sind aber deshalb besonders interessant, weil sie einerseits unmittelbar zur Zeit der Weimarer Republik entstanden sind, andererseits aber dennoch eine gewisse Distanz gewährleisten. Keiner der Autoren war selber in die politischen Strukturen und Auseinandersetzungen in der deutschen Gesellschaft wie auch Wissenschaft verwickelt. Die französischen Wissenschaftler gingen auch deshalb anders an die Thematik heran, weil für sie ein demokratisches System und ein damit verbundener größerer politischer Pluralismus nicht neu war; waren sie doch Staatsbürger eines Landes, in dem westlich-demokratische Verfassungsstrukturen nicht nur ihren Ursprung und eine lange Tradition hatten, sondern konkret seit Gründung der dritten Republik 1870 auch herrschend waren.564 Dieser räumliche wie perspektivische Unterschied zur Weimarer Staatsrechtswissenschaft, die vielmehr durch die eigene verfassungspolitische Lage geprägte Perspektive, rückt vor allem die Arbeiten von Le Dantec und Angelesco von 1932 und 1933565 in die Nähe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit „Weimarer Erfahrungen mit Volksgesetzgebung“ nach 1945, die Gegenstand des noch folgenden Kapitels VI sind. Betrachtet werden soll in diesem Abschnitt deshalb auch nicht mehr die individuelle juristische Stellungnahme der Autoren zu einzelnen rechtspolitischen Fragen, sondern die von ihnen erarbeiteten allgemeinen Rückschlüsse aus der deutschen Verfassungswirklichkeit auf die Weimarer Volksgesetzgebung als demokratisches Instrument in der Weimarer Republik.566

563 Nur Reinhard Schiffers hat in seiner 1971 erschienenen Dissertation „Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem“ explizit auf die Arbeiten von Le Dantec und Angelescou Bezug genommen (vgl. ders., Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, Düsseldorf 1971, S. 13 – 14). Er führt das Unwissen über die Existenz dieser Arbeiten auf die unmittelbar nach Erscheinen der Bücher erfolgte nationalsozialistische Machtergreifung mit ihren Folgen für die Wissenschaft zurück. Dass es den Arbeiten von Faure und Angelesco an Bekanntheit mangelt, konnte der Verfasser selbst auch daran sehen, dass die mit einiger Mühe in einer Universitätsbibliothek aufgestöberten Exemplare auch 75 (Faure) bzw. 67 (Angelesco) Jahre nach Aufnahme in den Bestand noch nicht aufgeschnitten waren, also von niemandem ausgeliehen, geschweige denn gelesen worden waren. 564 Die Dritte Republik beruhte auf einer Verfassung von 1875. Im Mittelpunkt stand hierbei die aus Senat und Deputiertenkammer bestehende Nationalversammlung (Assemblée Nationale), die den Präsidenten auf sieben Jahre wählte. Dieser wiederum ernannte die Regierung, die von der Deputiertenkammer kontrolliert wurde. Die Mitglieder des Senates wurden teilweise auf Lebenszeit ernannt, teilweise von den Wahlversammlungen der Departements und Kolonien auf neun Jahre gewählt. Die Deputierten wurden in sechshundert Wahlkreisen per Mehrheitswahlrecht von allen männlichen Franzosen über 21 Jahren bestimmt. Vgl. Claus Peter Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Darmstadt 1985, S. 110 – 111. 565 Insbesondere zu Beginn der 30er Jahre begann die französische Staatrechtswissenschaft zunehmend über eine Reformierung des eigenen, reinen Parlamentarismus nachzudenken. Vgl. Angelesco, consultation directe, S. 13. 566 Ihre Stellungnahmen zu einzelnen staatsrechtlichen Debatten sind im Zusammenhang mit der Weimarer Volksgesetzgebung bereits in Kap. II A. mit einbezogen worden.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Schon 1921 erschien die juristisch genauso wie zeitgeschichtlich und politologische Arbeit „La Constitution Allemande du 11 Aout 1919“ René Brunets, eines Professors für Staatsrecht an der Universität Caen, der vormals als Berater des französischen Botschafters in Berlin tätig gewesen war.567 Sein Buch entstand zu einer Zeit, als in Frankreich bereits das Hochgefühl des Sieges über Deutschland im ersten Weltkrieg der Ernüchterung gewichen war. Die französische Wirtschaft lag darnieder.568 Obwohl das parlamentarische System der Dritten Republik trotz sozialer Unruhen nach 1919569 aufgrund eines übergeordneten demokratischen Konsenses erhalten blieb, folgte ein Regierungswechsel auf den anderen.570 Außenpolitisch fühlte sich Frankreich zu diesem Zeitpunkt bereits von den ehemaligen Verbündeten USA und Großbritannien in seinem Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland im Stich gelassen.571 Dieser zeitgeschichtliche Hintergrund erklärt die Motivation Brunets, ja überhaupt der französischen Wissenschaft, sich mit der verfassungspolitischen Entwicklung Deutschlands auseinander zu setzen. Es war einerseits die Angst vor einem wiedererstarkenden Deutschland, andererseits der Wunsch und die Hoffnung auf ein stabiles und damit zu Reparationszahlungen fähiges Deutschland. In Brunets Buch wird dies vor allem durch die von dem Staatsrechtler Joseph-Barthélemy geschriebene Einleitung deutlich. EinerVgl. Brunet, La Constitution Allemande, Préface VII. Insgesamt verlor Frankreich im ersten Weltkrieg über 10% der aktiven männlichen Bevölkerung, zu der 200.000 Tote unter der Zivilbevölkerung und über eine Million Invaliden hinzukamen. Es hatte über 50% seiner Auslandsguthaben verloren, einen Großteil davon durch die Revolution in Russland. Der Franc hatte einen Großteil seines Wertes verloren. Die Industrie- wie auch die landwirtschaftliche Produktion war im Vergleich zu 1913 um fast die Hälfte zurückgegangen. Vgl.: Charles Bloch, Die Dritte Französische Republik, Entwicklung und Kampf einer parlamentarischen Demokratie (1870 – 1940), Stuttgart 1972, S. 255. 569 Vor allem im Frühjahr 1919 kam es zu Streiks der Grubenarbeiter, die dann auf die Metallindustrie und zu guter Letzt auf die öffentlichen Pariser Verkehrsmittel übergriffen. Sie waren teilweise von revolutionären Vorstellungen getragen. Im Februar 1920 waren es Eisenbahner, die unter Führung der CGT für bessere Arbeitsbedingungen und die Verstaatlichung der Eisenbahnen streikten. Ihre Streiks konnte die Regierung Millerand durch Requirierungen und die Armee brechen. Vgl. Bloch, Französische Republik, S. 217, 275. 570 Zwar errang der von Ministerpräsident Georges Clemenceau als dem „Vater des Sieges“ geförderte konservative „Bloc Nationale“ im November 1919 ganze 437 von insgesamt 616 Sitzen in der „Assemblée des Députés“, verlor aber dennoch im Frühjahr 1920 in der „Assembleé Nationale“ die Präsidentenwahl gegen Paul Dechanel, der wiederum aus gesundheitlichen Gründen nur wenige Monate später von Alexander Millerand abgelöst wurde. Damit einher gingen Kabinette unter den Ministerpräsidenten Millerand und Georges Leygues 1920 sowie Aristide Briand 1921. 571 Am 19. 3. 1920 wurde die Ratifizierung des Versailler Friedensvertrages und damit auch des Beistandspaktes mit Frankreich vom amerikanischen Senat abgelehnt, woraufhin auch Großbritannien sich nicht mehr an die Sicherheitsverpflichtungen Frankreich gegenüber gebunden fühlte. Gleichzeitig verlangten insbesondere die USA die vollständige Rückzahlung der Kriegskredite, während sich die in Frankreich vom Finanzminister Klotz zur Staatssanierung propagierte Formel „L’Allemagne paiera“ aufgrund der deutschen Schwierigkeiten und auch Weigerung, umfangreiche Reparationen zu leisten, als zunehmend illusorisch erwies. Vgl. Bloch, Französische Republik, S. 268 – 271. 567 568

13 Schwieger

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seits gab dieser einer Sorge Ausdruck, das „désastre“ von 1918, die deutsche Niederlage im Weltkrieg habe die Bismarcksche Einigung von 1871 vollendet572 – gemeint war damit die Vollendung einer inneren Einheit aus dem Volk heraus durch die Revolution und eine daraus erwachsene neue Stärke Deutschlands. Andererseits machte ihm aber auch Hoffnung, dass der „vent de la guerre et l’ouragan de la révolution“ die vormals über Deutschland schwebende Wolke der deutschen Hegemoniebedürfnisse und Aggressivität vertrieben habe und einem „ciel politique bleu democratique“ gewichen sei – etwas, woraus Frankreich vielleicht sogar noch lernen könne.573 So zeigte sich der Blick über die Grenzen zwiegespalten: „Insbesondere aus französischer Sicht berührt uns die Verfassungswirklichkeit Deutschlands: Erstens ermöglicht sie uns Rückschlüsse auf unsere Sicherheit; zweitens können wir aus der praktischen Durchführung neuer Ideen oder Einrichtungen für uns Wichtiges und Nützliches lernen“.574

In seiner Monographie beschrieb Brunet aus der Perspektive des ausländischen Betrachters vor Ort ausführlich die Umstände und Faktoren der Verfassungsgebung im Deutschen Reich, sowie das konkret daraus hervorgehende Verfassungsrecht. Einen eigenen Abschnitt unter dem Titel „Le Gouvernement Direct“ widmete er den neuen Elemente direkter Demokratie,575 denen er grundsätzlich positiv gegenüberstand. Für ihn war eine „Verfassung je demokratischer, desto mehr Platz sie der direkten Regierungsform einräumt“.576 Die unmittelbare Beteiligung des Volkes an Entscheidungen habe zudem einen hohen, für die Demokratie wertvollen, erzieherischen Wert. Dies sei alleine dadurch gewährleistet, dass man das Volk vor Volksentscheiden umfassend aufklären und damit politisch bilden müsse. Das Volk habe zudem die Möglichkeit, durch unmittelbare Einflussnahme eine „véritable dictature“ der Mehrheit über die Minderheit im Parlament zu verhindern.577 In Bezug auf die Weimarer Reichsverfassung konstatierte er, dass die Verfassungsgebende Nationalversammlung der „direkten Regierungsform“ insgesamt einen zwar nur beschränkten, aber doch wichtigen Platz eingeräumt habe. Man erkenne immer noch deutlich die „klassischen Formen“ des Volksbegehrens und Volksentscheids, sowie zusätzlich eine von Brunet positiv bewertete Schiedsrichter- und Entscheidungsfunktion des Volkes bei Konflikten zwischen den Verfassungsorganen, wie auch in politischen Grundsatzfragen:

Brunet, La Constitution Allemande, Préface IX. Ebd., Préface XIII. 574 Ebd., Préface VIII. 575 Ebd., S. 143 – 153. 576 Ebd., S. 143: „Ce dernier système (Le gouvernement direct) constitue évidement une application immediate de l’idée démocratique et on peut dire qu’une Constitution est d’autant plus démocratique qu’elle fait plus large la part au gouvernement direct.“ 577 Ebd., S. 144 – 145. 572 573

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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„Das Volk entscheidet nicht nur über einen Gesetzestext, es ist der große politische Entscheidungsträger, der Richter, dem alle für die Nation vitalen Fragen vorgelegt werden.“578

Insbesondere die Bestimmungen des Art. 73 III WRV, also das später in der Praxis relevante Volksgesetzgebungsverfahren, eingeleitet durch ein von 20 Prozent der Stimmberechtigten unterstütztes Volksbegehren, verteidigte er gegen die von ihm wiedergegebene Kritik innerhalb der Verfassungsgebenden Nationalversammlung. Gerade hier sei das „Beispiel der Schweiz sehr ermutigend, das beweise, dass das Volk oft viel klarer sehe als die Regierung, dass außerdem das Volksbegehren ein Bollwerk gegen extremistischen Einfluss sei und zu einem demokratischen Verhalten der öffentlichen Gewalten führe“. Das Volk könne sich auf eine „affaire particulière“ konzentrieren und würde sich „nicht, wie in gewöhnlichen Wahlkampfzeiten, über einem Haufen unterschiedlich interessanter Fragen zerstreuen“.579 Wie auch viele Abgeordnete in der deutschen Verfassungsgebenden Nationalversammlung sah Brunet in der Weimarer Volksgesetzgebung vor allem ein Mehr an Demokratie als Schutz vor den Nachteilen des Parlamentarismus. Gefahren fürchtete er 1921 für die Zukunft der deutschen Verfassungswirklichkeit nicht, wobei seine Arbeit aber insgesamt in ihrer Aussage „diplomatisch“ zurückhaltend ist. Anders als die Monographie Brunets entstand die juristische, vielfach aber auch soziologisch und politologische Arbeit „Les institutions de gouvernement direct en Allemagne depuis la guerre“ Louis Faures von 1926580 in einer Zeit, in der Frankreich zumindest wirtschaftlich zu alter Vorkriegsstärke zurückzufinden schien.581 Dennoch war es auch bei ihm immer noch die Angst vor einem gefährlichen Deutschland, die neben möglichen Lehren oder Verbesserungen für die „eigene“, französische Verfassung, ein vorherrschendes Motiv dafür war, sich mit den „unmittelbaren Regierungsformen“ in Deutschland nach dem Weltkrieg zu beschäftigen.582 Zu groß sei, so Faure, Deutschlands Bedeutung in Europa, um dessen Entwicklung unbeachtet zu lassen: „Deutschlands Strukturen haben immer über die Grenzen hinweg Gewicht gehabt. Sie können uns nicht gleichgültig sein.“583 Ebd., S. 145. Ebd., S. 150 – 151. 580 Vgl. Faure, gouvernement direct, a. a. O. 581 Die Industrieproduktion in Frankreich erreichte 1924 wieder den Stand von 1913 und stieg bis 1929 um 40% an. Auch der Außenhandel entwickelte sich bis 1926 aufgrund der andauernden Schwäche des Franc positiv. Innenpolitisch blieb die dritte französische Republik trotz Weiterbestehens des grundsätzlichen demokratischen Konsens durch die weiterhin für Frankreich unbefriedigende Reparationsfrage sowie insbesondere 1925 / 26 durch Aufstände in Marokko und dem Libanon unruhig. Erkennbar ist dies bereits an den sich allein 1925 abwechselnden Kabinetten unter Paul Painlevé, Aristide Briand und Edouard Herriot. Vgl. Bloch, Französische Republik, S. 368 – 369. 582 Vgl. Faure, gouvernement direct, S. 20. 583 Ebd., S. 19. 578 579

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In ausführlicher aber nicht immer übersichtlicher Weise wurden von ihm unter anderem die Entstehung und Ursprünge der Volksgesetzgebungsregelungen in der Weimarer Reichsverfassung sowie in einzelnen Länderverfassungen dargestellt. Wie auch Brunet sah Faure ein unmittelbares Mitspracherecht des Volkes bei Gesetzen grundsätzlich als positiv an und führte als praktische Beispiele die Schweiz und einzelne Bundesstaaten der USA an. Das Volk werde in einem demokratischen Sinne erzogen und könne sich aktiv an der Politik beteiligen. Auch sei das Referendum per se keine „force destructrice“, wie von einigen behauptet.584 Grundsätzlich sah er darüber hinaus in der Volksgesetzgebung sogar die Zukunft der Demokratie, dies auch für Frankreich: „Volksentscheid und Volksbegehren sind die Konsequenz der modernen Demokratie. Damit ein Volk frei sein soll, muss es sich selber regieren. Wer glaubt, dass das Volk nicht über seine eigenen Gesetze entscheiden könne, wendet sich nicht gegen Volksentscheid und Volksbegehren, sondern gegen die Demokratie.“585 Voraussetzung für eine solche Demokratie der Zukunft sei jedoch, dass der einzelne Bürger mit seinen Rechten umgehen könne, was in Deutschland nicht der Fall sei.586 Neben einem funktionierenden Verfahren587 fehle in Weimar vor allem die nötige „éducation politique“ des deutschen Volkes.588 Faure bezog sich hierbei vor allem auf das Volksgesetzgebungsverfahren zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten 1926 auf Reichsebene.589 Es fehle dem Volk auch der „esprit public“, der mit einer Verfassung korrespondieren müsse. Zu stark seien die Bismarckschen Traditionen. Hinzu komme ein andauernder Kampf der Anhänger der Weimarer Demokratie mit reaktionären Kräften590 Im Ergebnis sah Faure diese, in seinen Augen, Unfähigkeit der Deutschen, mit den ihnen gegebenen demokratischen Mitteln umzugehen, jedoch nicht als endgültig an: „Demokratie breitet sich aus mit der Entwicklung von Zivilisiertheit und Bildung, das heißt in dem Maße, wie die Einzelnen sich selber zu lenken lernen: da sich die Innenpolitik Deutschlands schematisch wie ein Kampf der Anhänger der Republik gegen die antirepublikanische Reaktion darstellt, befindet sich die deutsche Demokratie in der Situation, in der wir uns [in Frankreich nach dem Untergang des Empire] von 1871 bis ungefähr 1880 befanden. Die Schweiz hat den Staatsbürger geschaffen. Deutschland ist ohne Zweifel auf dem Weg dorthin, ob der Einzelne will oder nicht“.591 Ebd., S. 123, 124. Ebd. S. 122, 20. 586 Ebd. S. 135, 123, 128. Während er dies für die Schweiz und bspw. Oklahoma bejaht, verneint er dieselbe Frage auch für das Frankreich seiner Zeit: „Le referendum de décision semble contraire à l’esprit de la Constitution francaise.“ Faure sprach in diesem Zusammenhang von einem „parlementarisme omnipotent“ in Frankreich. 587 Ebd., S. 67. 588 Ebd., S. 125. 589 Hier betonte Faure besonders die Versuche behördlicherseits sowie von Gegnern der Fürstenenteignung, das Verfahren mit unlauteren Mitteln zu torpedieren. Vgl. ebd., S. 200 – 202. 590 Ebd., S. 206 – 207. 584 585

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Die juristischen Doktorarbeiten „L’initiative Populaire, le Referendum et le Plébiszite dans le Reich et les pays Allemands“ von Yves Le Dantec und „La consultation directe du peuple, en dehors de l’élection, d’après la Constitution de Weimar“ von Constantin Angelesco-Monteoru entstanden in ihren Endfassungen um 1931 / 1932 bzw. im Frühjahr 1933, also unmittelbar in der Endphase der Weimarer Republik.592 Aber nicht nur Deutschlands Republik, auch Frankreich befand sich seit 1929 in einem wachsenden wirtschaftlichen wie politisch-verfassungsstrukturellen Krisenzustand. Nachdem es dem Ministerpräsidenten Poincaré bis 1929 noch gelungen war, bei günstigem Konjunkturverlauf sowohl den Franc zu stabilisieren als auch den Haushalt auszugleichen, brach ein Jahr nach seinem Rücktritt auch in Frankreich eine neue Wirtschafts- und Finanzkrise aus.593 Es folgten häufige Kabinettswechsel, die aber anders als zu Beginn der 20er Jahre Ausdruck einer Gesamtschwäche des parlamentarischen Systems waren, das zunehmend von einem wachsenden politischen Extremismus in Frage gestellt wurde.594 Diese Krise der eigenen Demokratie und seiner Institutionen war für Le Dantec und Angelesco-Monteoru das Hauptmotiv, sich mit den Elementen direkter Demokratie in Deutschland auseinander zu setzten: „Zu dieser Zeit, in der die Krise der parlamentarischen Demokratie in vielen Staaten eine Reform des Parlamentarismus notwendig erscheinen lässt und sich viele Blicke auf die Volksabstimmung als mögliche Lösung der Krise richten, ist das deutsche Experiment besonders lehrreich. Gerade für Frankreich ist dieses Experiment der Beachtung würdig, da

591 Ebd., S. 206 – 207. Der Untergang des Empire und der Beginn der Dritten französischen Republik nach der Niederlage gegen Deutschland war geprägt durch den Aufstand der Pariser Kommune im Frühjahr 1871 sowie langwierige Auseinandersetzungen zwischen Royalisten und Republikanern. Sie endeten erst 1875 mit der Verkündung der drei die französische Verfassung bildenden Grundgesetze und mit der endgültigen Festigung der Republik 1879. Vgl. Peter Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte, S. 104 – 113. 592 Bereits seit 1930 stützte sich nach dem Sturz des Kabinetts Müller kein Reichskanzler mehr auf eine parlamentarische Mehrheit; das Deutsche Reich erlebte nach der Scheinblüte der zweiten Hälfte der 20er Jahre eine sich rasant verschärfende Wirtschaftskrise; die Anhänger der Republik gerieten gegenüber den radikalen Kräften von KPD, der DNVP unter Hugenberg und dem stärker werdenden Nationalsozialismus immer mehr in die Defensive. Von 1930 bis 1932 regierte der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning mit einem Präsidialkabinett, getragen alleine von den Notstandsbefugnissen des Reichspräsidenten Hindenburg aus Art. 48 WRV. Entlassen im Mai 1932, folgten ihm bis Dezember 1932 ein „Kabinett der nationalen Konzentration“ unter Franz von Papen und bis zum 28. 01. 1933 der Reichskanzler General Schleicher nach, der wiederum am 30. 1. 1933 Adolf Hitler weichen musste. Vgl. Erdmann, Weltkrieg, Weimarer Republik (9. Aufl.), S. 308 -330. 593 Vgl. Bloch, Französische Republik, S. 374. 594 Grundlegend, in diesem Zusammenhang insbesondere: Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg, Politischer Extremismus in Deutschland und Frankreich 1918 bis 1933 / 39, Berlin und Paris im Vergleich, München 1999. Er beleuchtet die Hintergründe des aufkommenden politischen Extremismus sowohl in Frankreich am Beispiel Paris als auch in Deutschland am Beispiel Berlin.

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Kap. II: Volksgesetzgebung in der Wissenschaft 1919 – 1933

die Volksabstimmung bei all denen hohe Sympathie genießt, die eine Revision der Verfassung von 1875 fordern.“595

Obwohl beide Autoren die Gefahr einer Diktatur oder zumindest einer autoritären verfassungsstrukturellen Wende im Deutschen Reich sahen,596 war es interessanterweise nicht mehr die Angst vor Deutschland, das eigene Sicherheitsbedürfnis, das sie zu einer Auseinandersetzung mit der Weimarer Reichsverfassung und Verfassungswirklichkeit führte. Insbesondere Angelesco, der sein Buch zum Teil nach der Machtergreifung Hitlers niederschrieb, erkannte konkret die nationalsozialistische Gefahr, hielt aber die deutsche Demokratie für inzwischen so stabil, dass das Volk die „Täuschungen“ des Nationalsozialismus bald durchschauen und sich wieder anderen Parteien zuwenden werde.597 Beide Dissertationen haben die Entstehungsgeschichte, das normative Gefüge und seine Verfahrenselemente sowie die bisherigen praktischen Erfahrungen mit der Weimarer Volksgesetzgebung auf Reichsebene zum Thema. Während Angelesco in seinem über 600 Seiten starken Werk zusätzlich ausführlich auf die staatsrechtlichen Probleme und Debatten in der Weimarer Republik einging, die Le Dantec nur kurz behandelte, bezog letzterer auch die Volksgesetzgebung auf Länderebene in seine Untersuchung mir ein. Beide kamen hierbei, trotz einiger Übereinstimmungen im Detail, zu diametral verschiedenen Bewertungen. Dies zwar nicht unbedingt in Bezug auf einzelne Volksgesetzgebungsverfahren, aber in Bezug auf die Weimarer Volksgesetzgebung als einem demokratischen Instrument politischer Willensbildung in Deutschland insgesamt. Die Versuche des Reichsbundes für Siedlung und Pacht 1922 und 1923, im Wege der Volksgesetzgebung Landenteignungen zugunsten besitzloser Landbevölkerung und Kriegsgeschädigter zu erreichen waren für Angelesco vor allem „inspiré de préoccupations démagogiques“: „Der revolutionäre Charakter war augenscheinlich.“598 Auch im Zusammenhang mit der Volksgesetzgebungskampagne zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten 1926, neben dem „Freiheitsgesetz“ von 1929 zentraler Bewertungsmaßstab für beide, waren sich Le Dantec und Angelesco darin einig, dass es zu einer „agitation colossale“ mit äußerst demagogischen Mitteln voller Unwahrheiten und Manipulationsversuchen gekommen sei.599 Angelesco sah zudem die Frage des fürstlichen Eigentums als ein äußerst komplexes Problem, 595 596

Angelescou, consultation directe, S. 13. Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 408; Angelescou, consultation directe, S. 163,

692. 597 Ebd., S. 175. Bei Le Dantec bleibt offen, warum er trotz der erkannten Gefahren keine neue deutsche Gefahr für Frankreich sieht. Denkbar sind hierbei ein Vertrauen in den Frieden aufgrund der deutschen Außenpolitik in der Weimarer Zeit. 598 Ebd. S. 448. 599 Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 147, 163; Angelescou, consultation directe, S. 452, 464.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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das von Juristen kaum gelöst hätte werden könne, im Volksgesetzgebungsverfahren zudem auch noch stark vereinfacht worden sei.600 In ihrer abschließenden Bewertung der Kampagne 1926 weichen beide stark voneinander ab. Wahrend Le Dantec von einer „grande dépense inutile“ spricht und feststellte, dass das Volksgesetzgebungsverfahren den Abschluss eines Vertrages zwischen Preußen und den Hohenzollern zur Regelung der Vermögensfragen zum Nachteil Preußens verzögert habe,601 kam Angelesco zu einem positiven Fazit. Das Ergebnis des Volksentscheides habe gezeigt, dass das Volk keine radikalen Lösungen gewollt habe. Das Ergebnis war für ihn der Beweis, dass die „bourgeoisie“ nicht in die ihr gestellte „Falle“ getappt sei. Außerdem habe das Ergebnis den Abschluss von späteren Vereinbarungen zwischen den Ländern und den ehemals herrschenden Fürstenhäusern erleichtert, in denen beide Seiten zu Kompromissen bereit gewesen seien.602 Einigkeit zwischen Le Dantec und Angelesco bestand im Zusammenhang mit den Aufwertungsbegehren des Sparerbundes 1926 sowie der Reichsarbeitsgemeinschaft der Aufwertungsgeschädigten 1927. Beide kritisierten die fehlende Präzision sowie Auslegung des Art. 73 IV WRV durch die Reichsregierung, dessen Anwendung zur Ablehnung der beiden Zulassungsanträge führte.603 Das Volksgesetzgebungsverfahren gegen den Bau der Panzerkreuzer 1928 war für Le Dantec nur ein Profilierungsversuch der KPD. Vorrangiges Ziel sei es gewesen, der SPD in den Landtagswahlkämpfen in Preußen, Bayern und Württemberg Schwierigkeiten zu machen, etwas was auch Angelesco, der auf dieses Verfahren jedoch nicht ausführlicher eingeht, grundsätzlich bejaht.604 Im Zentrum der Kampagne für ein „Freiheitsgesetz“ gegen den Young-Plan stand für Le Dantec wiederum vor allem das demagogische Moment, nicht ein möglicher Erfolg im Volksentscheid: „Die Ratifikation des Young-Plans sowie der Haager Vereinbarungen gaben den Parteien der extremen Rechten die Möglichkeit, ein Volksgesetzgebungsverfahren zu provozieren , dass an Übertreibungen und Gewalttätigkeiten alles bisher Erlebte übertraf, obwohl eine Niederlage sicher war“.605 Für Angelesco stellte die Kampagne vor allem einen Angriff der DNVP unter Alfred Hugenberg und des Stahlhelms unter Franz Seldte gegen die Person und Politik Stresemanns dar.606 Für ihn wie auch Le Dantec war der Inhalt des Volksbegehrens verfassungswidrig, wie auch das Verhalten der preußischen Regierung gegenüber seinen Beamten rechtswidrig war.607 Beide gingen in dieEbd., S. 458. Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 181, 163. 602 Vgl. Angelescou, consultation directe, S. 459, 452. 603 Ebd., S. 459; Le Dantec, L’initiative populaire, S. 203. 604 Ebd., S. 208, 214; Angelescou, consultation directe, S. 505. 605 Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 221. 606 Vgl. Angelescou, consultation directe, S. 507 ff. 607 Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 229 ff., 257 ff.; Angelescou, consultation directe, S. 514, 520 ff. 600 601

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sem Zusammenhang auf diese bereits in den vorangehenden Abschnitten dargestellten staatsrechtlichen Debatten ein.608 Interessanterweise spielt die Person Hitlers oder die NSDAP keine Rolle in dieser „l’initiative d’Hugenberg“609. Angelesco erwähnte Hitler in seiner ausführlichen Darstellung des Verfahrens mit keinem Wort, obwohl Hitler zum Zeitpunkt seiner Niederschrift sogar bereits Reichskanzler war. Obwohl angesichts der hier wiedergegebenen Bewertungen der einzelnen Volksgesetzgebungskampagnen vielleicht überraschend, kam Angelesco zu einer im Ergebnis positiven Bilanz. Er sah die Bedenken von Hugo Preuß gegen eine Volksgesetzgebung auf Reichsebene durch die bisherigen Erfahrungen widerlegt, wenn auch der betrachtete Zeitraum für ein endgültiges Urteil kurz sei.610 Die deutschen Erfahrungen hätten bewiesen, dass eine Volksgesetzgebung auch in einem großen Staat funktionieren könne. Zwar sei es insbesondere 1926, 1928 und 1929 zu erheblicher Agitation extremistischer Parteien gekommen, entscheidend war für ihn aber, dass diese Verfahren dem Volk die Möglichkeit gegeben hätten, seinen Willen gegen die Fürstenenteignung 1926, gegen eine Änderung der Außenpolitik 1929 und für die Panzerkreuzer 1928 auszudrücken. Die deutlich konservativen Ergebnisse 1926 und 1929 hätten zudem gezeigt, dass das Volk radikale Lösungen der extremen Linken und Rechten abgelehnt hätten. Wichtige politische Fragen seien durch die „Volksentscheidungen“ definitiv entschieden worden: „Ohne Zweifel hat die Einrichtung der unmittelbaren Gesetzgebung Deutschland nicht in einen der demokratischsten Staaten verwandelt, wie man 1919 gehofft hat. Dennoch ist die Erfahrung, die das Deutsche Reich mit diesen Verfassungselementen gemacht hat, ein Erfolg“.611

Für ihn stand nicht das konkrete Ergebnis einzelner Volksgesetzgebungsverfahren im Vordergrund, sondern ein demokratischer Gesamtgewinn für das parlamentarische System. Le Dantec kam zu einer völlig anderen Gesamtbeurteilung: „Die von Preuß geäußerten Befürchtungen sind [ . . . ] aufgrund der verschiedenen Volksbegehren, die bis heute stattgefunden haben, mehr als gerechtfertigt gewesen.“612

Für ihn waren die Erfahrungen, wie sein grundsätzliches Urteil über die Volksgesetzgebung in der Weimarer Reichsverfassung, durchweg negativ. Die Kampagnen seien durch einen „caractère radical“, „menaces“ und eine „agitation politique“ geprägt gewesen. Allein Minderheiten würden das Volksbegehren nutzen, um den Mehrheiten Ärger zu bereiten. Es seien die Rassisten, die Nationalisten, die 608 609 610 611 612

Ihre Auffassungen sind in ausführlicher Form dort bearbeitet. Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 237. Vgl. Angelescou, consultation directe, S. 12, 621 ff. Ebd., S. 621 – 623, 623. Ebd., S. 105.

B. Die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung

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Nationalsozialisten und Kommunisten in den seltsamsten Koalitionen in den Volksgesetzgebungskampagnen vereint: „Das Deutsche Volk muss zwangsläufig davon ausgehen, dass die Volksgesetzgebung den extremistischen Parteien zur Verfügung gestellt worden ist, um ihre Vitalität dazustellen und permanent methodisch Agitation zu betreiben. Es kann über diese Einrichtungen nur mit einer Mischung aus Skepsis und Ironie, begleitet von Spott urteilen und sie eigentlich nicht wirklich ernst nehmen.“613

Wie Faure sah auch Le Dantec ein fehlendes Staatsbürgerbewusstsein, das deutsche Temperament und den deutschen Charakter als eine der Ursachen hierfür an. Es fehle, und dies wohl auch in Zukunft, die ausreichende Ruhe. Zu groß seien auch die Wünsche nach „sozialen Veränderungen“ und „revolutionärer Agitation“ in dem Kampf zwischen dem „bloc de Weimar“ und dem „bloc de droites“.614 Einig waren sich Angelesco und Le Dantec nur in ihrer Kritik an dem Verfahren der einzelnen Wege direkter Gesetzgebung durch das Volk nach Art. 73, Art. 74 und Art. 76 WRV. Im Mittelpunkt standen hierbei die Regelung des Art. 75, die Auslegung des Art. 73 IV WRV und die Wahrung des Wahlgeheimnisses nach Art. 125 WRV.615 Ihre diesbezüglichen Stellungnahmen sind bereits in den vorangehenden Abschnitten eingearbeitet und müssen daher hier nicht wiederholt werden. Unterschiedlich ist aber die Schärfe und Grundsätzlichkeit der Kritik. Während Le Dantec die Auffassung vertrat, die verfassungsgebende Nationalversammlung habe zwar die Souveränität des Volkes proklamiert, das Volk dann aber wissentlich und willentlich durch unüberwindbare Hürden zum Schutz einer parlamentarischen Vorherrschaft zum Schweigen verurteilt,616 hielt Angelesco bei einer Reform des Verfahrens ein Volksgesetzgebungsverfahren, in dem ein verantwortungsbewusster Reichstag das „principal organe legislatif“ bliebe, für möglich und akzeptabel.617

613 614 615 616 617

Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 402. Ebd., S. 407 – 408. Ebd., S. 404; Angelescou, consultation directe, S. 624 ff. Vgl. Le Dantec, L’initiative populaire, S. 403, 406 – 407. Vgl. Angelescou, consultation directe, S. 366, 367, 622 ff.

Kapitel III

Von der Weimarer Volksgesetzgebung zur Volksabstimmung im „Führerstaat“ – Hintergrund wissenschaftlicher Auseinandersetzungen 1933 – 1945 Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzlers durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 30. Januar 1933, insbesondere aber durch das sog. „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März desselben Jahres, änderte sich die verfassungspolitische Lage in Deutschland grundlegend. Es setzte eine in ihrer Endgültigkeit von der deutschen Wissenschaft zunächst nur teilweise erkannte Entwicklung ein,1 mit der die Weimarer Reichsverfassung nach und nach faktisch unterging.2 Aus einer parlamentarischen Demokratie wurde eine Diktatur. Dieser verfassungsrechtliche Wandel betraf auch die Weimarer Volksgesetzgebung. An die Stelle der Art. 73 – 76 WRV trat das „Gesetz über Volksabstimmung“ vom 14. Juli 1933.3 Dieses Gesetz, 1 In der Staatsrechtslehre wurden zur Verfassungslage verschiedene Theorien vertreten. Diese gingen von einer formalen Weitergeltung der Weimarer Reichsverfassung über eine „Verfassungsüberlagerung“ bis hin zu deren vollständigem Untergang. Vgl. Stolleis, Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, S. 316 – 322; Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, S. 46 – 47; Helmut Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches nach dem Reichsreformgesetz vom 30. 1. 1934, in: Recht der nationalsozialistischen Revolution 9 (Berlin 1934) , S. 31 ff.; Carl Schmitt, Staat, Bewegung Volk, Hamburg 1934, S. 5 ff.; Gustav Adolf Walz, Das Ende der Zwischenverfassung, Betrachtungen zur Entstehung des nationalsozialistischen Staates, Stuttgart 1933, S. 9 ff.; Wolfgang Endriss, Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung, Köln 1935, S. 127; Herbert Schenzer, Die Volksabstimmung im heutigen deutschen Staatsrecht, Diss. jur. Göttingen 1936, S. 11. 2 Vgl. Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, S. 316. Der Untergang der Verfassung wurde hierbei rechtlich-normativ durch die Notverordnung Hindenburgs zum „Schutz von Volk und Staat“ vom 28. 2. 1933 eingeleitet, durch die nach dem Reichstagsbrand wichtige Grundrechte beseitigt wurden. Es folgten das „Ermächtigungsgesetz“, das Verbot der Parteien und am 30. 1. 1934 mit der Abschaffung der Länder das Ende der föderalen Grundstruktur, um nur einige Etappen zu nennen. 3 In Bezug auf den Untergang der Art. 73 – 76 WRV allgemein und durch das VAbstG und auch die damit noch 1936 verbundene Unsicherheit, vgl. Kap. IV 1., sowie: Gustav Uhde, Wahl und Volksabstimmung im Führerstaat, Würzburg 1936, S. 36: „Der gesamte Verfassungsumbau, in dem das Reich noch heute steht und zu dem auch das hier Besprochene [die unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk] zu rechnen ist, kann bildlich in diesem Sinne als ein Gerüst angesehen werden, hinter dem das Gebäude der Weimarer Verfassung, das durch die nationale Revolution seinen inneren Halt, nicht jedoch alle Gestalt verloren hat, nach und nach abgetragen wird und einem allmählichen Neubau mit ganz neuen Gesetzen und Gedanken Platz macht.“

A. Die Entstehung des „Gesetzes über Volksabstimmung“ 1933

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das auch mehrmals im Dritten Reich zur Anwendung kam, bildete nach einer kurzen Zeit der Orientierung die Grundlage für die sich fortsetzende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage einer unmittelbaren Beteiligung des Volkes an konkreten Gesetzen und Entscheidungen auf gesamtstaatlicher Ebene. Geleistet wurde sie, wie in der Weimarer Republik, von der Staatsrechtswissenschaft. Die wissenschaftlichen Beiträge über das Volksabstimmungsgesetz des Dritten Reiches stehen also trotz des veränderten verfassungspolitischen Hintergrundes und veränderter Betrachtungsweisen, worauf im Folgenden Kapitel noch näher einzugehen ist, in einer Kontinuitätslinie mit der Forschung über gesamtstaatliche Volksgesetzgebung in Deutschland vor 1933.4 Sie sind außerdem auch für die Forschung nach 1945 von Bedeutung. Zwar steht im Zentrum der späteren historischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland vor allem die Weimarer Volksgesetzgebung. Indirekt haben die Volksabstimmungen Hitlers und die damit einhergehende Forschung diesen wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskurs dennoch erheblich beeinflusst.5 Wie auch für den Zeitraum 1919 – 1933 erfolgt die Darstellung für die Zeit von 1933 bis 1945 in zwei Kapiteln. Diesem einführend historischen folgt das im eigentlichen Sinne forschungsgeschichtliche. Wie für die Weimarer Republik gilt: Nur wer die Entstehungsgeschichte des Volksabstimmungsgesetzes im Dritten Reich kennt und gleichzeitig einen Überblick über dessen praktische Auswirkungen hat, kann die wissenschaftlichen Schwerpunkte, Theorien und Debatten dieser Zeit nachvollziehen.

A. Die Entstehung des „Gesetzes über Volksabstimmung“ vom 14. Juli 1933 sowie seiner Ausführungsbestimmungen und der Unterschied zur Weimarer Volksgesetzgebung Die Entstehungsgeschichte des nationalsozialistischen Volksabstimmungsgesetzes kann nicht, wie es in Kapitel I für die Weimarer Volksgesetzgebung möglich war, anhand von stenographischen Berichten oder Ausschussprotokollen des Reichstages oder Reichsrates rekonstruiert werden. Beide Gesetzgebungsorgane waren ab März 1933 de facto entmachtet, nur der Reichstag blieb überhaupt als Institution bis 1945 erhalten.6 Mit dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk

4 Mit „verfassungspolitischem Hintergrund“ ist der innere Widerspruch zwischen Diktatur und demokratischer Volksabstimmung und damit die Frage, ob die Praxis der Volksabstimmungen zwischen 1933 und 1945 „demokratisch“ waren, gemeint. „Veränderte Betrachtungsweisen“ betreffen vor allem das Auseinanderfallen von Theorie und Praxis in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre. 5 Weitergehend in Kap. VI A. 2. c) und 3. 6 Die Länder verloren entgültig ihre Eigenständigkeit durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. 1. 1934 (RGBl. I 1934, Nr. 11), dessen Artikel 1 die Länderpar-

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Kap. III: Vom Volksentscheid zur Volksabstimmung 1933 – 1945

und Reich“ vom 23. März 1933 (Ermächtigungsgesetz) war die Gesetzgebungskompetenz von den parlamentarischen Institutionen unmittelbar auf die Reichsregierung übergegangen. Sie selbst beschloss, zunächst noch in Kabinettssitzungen, später in der Person Hitlers alleine, die Gesetze.7 Diese wurden danach wiederum vom Reichskanzler selbst ausgefertigt und auf seine Anordnung hin mit den amtlichen Begründungen im Reichsanzeiger und Reichsgesetzblatt veröffentlicht.8 Aufgrund dieser veränderten Umstände stützt sich die im ersten Unterabschnitt (1.) anschließende Untersuchung der Entstehungsgeschichte des Volksabstimmungsgesetzes allein auf Akten und Unterlagen des Reichsinnenministeriums unter dem damaligen Reichsminister Wilhelm Frick, sowie auf Protokolle der Sitzungen des Kabinetts Hitlers im Juli 1933.9 Herausgestellt werden danach überblicksartig, zusammen mit einer kurzen Bewertung der Entstehungsgeschichte, die formalen Unterschiede zur Weimarer Volksgesetzgebung (2.). Der letzte Unterabschnitt (3.) dieses Teils A widmet sich den Ausführungsbestimmungen. Die Durchführung des Volksabstimmungsgesetzes folgte nicht mehr den Regeln eines Gesetzes wie dem über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (VEG), sondern ergab sich aus jeweils erlassenen Durchführungsverordnungen.

1. Die Entstehung des Volksabstimmungsgesetzes vom 14. Juli 1933 Die Frage, ob die Idee einer Einführung von durch die Regierung initiierten Volksabstimmungen von Adolf Hitler direkt oder dem Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick stammte, kann nicht abschließend beantwortet werden. Indizien sprechen jedoch eher für einen Wunsch Hitlers. So kam es, was noch genauer darzustellen ist, zwischen den im Stadium des Gesetzesentwurfs Beteiligten innerhalb des Innenministeriums, dem Staatssekretär Hans Pfundtner10 und dem Ministeriallamente aufhob. Art. 2 dieses Gesetzes übertrug die Hoheitsrechte der Länder dem Reich und unterstellte die Landesregierungen der Reichsregierung. 7 Vgl. Art. 1 des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. 3. 1933 (RGBl. I 1933, Nr. 25) sowie: Werner Hoche, Das Zustandekommen der Reichsgesetze, in: Reich und Länder, Bd. 10 (1936), S. 65 – 68. 8 Auch diese, ursprünglich dem Reichspräsidenten zugeordnete Funktion hatte Hitler an sich gezogen. Vgl. Art. 3 des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (RGBl. I 1933, Nr. 25). 9 Die erste und bisher einzige Darstellung der Entstehungsgeschichte findet sich bei: Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 20 – 30. 10 Der „leitende Staatssekretär“ Hans Pfundtner, erst 1932 von der DNVP zur NSDAP übergetreten, war lange Zeit neben Staatssekretär Wilhelm Stuckart der mächtigste Mann im Reichsministerium des Inneren unter Wilhelm Frick. Mit Fricks politischem Abstieg ab ca. 1937 (Entlassung 1943) schwand jedoch auch sein Einfluss. Auf die staatsrechtswissenschaftliche Entwicklung nahm er insofern Einfluss, als das er zusammen mit Otto Koellreutter u. a. das Sammelwerk „Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates“ in drei Bänden herausgab. Vgl. Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im

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rat Georg Kaisenberg, zu erheblichen Missverständnissen. Ihr Ursprung waren wahrscheinlich sich mehrmals ändernde Weisungen des Reichsministers Frick an Pfundtner. Dies wiederum, sowie die weitere Behandlung des ministeriellen Gesetzentwurfes im Kabinett, deutet darauf hin, dass Frick einem ihm möglicherweise selbst zunächst nicht ganz klaren Auftrag von oben folgte.11 Anfang Juli 1933 erhielt Georg Kaisenberg, einer der Väter des Gesetzes über den Volksentscheid von 1921 und exponierter Mitstreiter in vielen wissenschaftlichen Diskussionen über die Weimarer Volksgesetzgebung, die sehr allgemeine Anweisung, ein Gesetz über „eine Volksabstimmung“ mit Begründung auszuarbeiten. Er verstand den Auftrag dahingehend, dass er einen Gesetzentwurf für ein Verfassungsreferendum ausarbeiten solle, mit dem nach Ablauf der laufenden Wahlperiode und dem Außerkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes über eine bis dahin noch auszuarbeitende Verfassung abgestimmt würde.12 Die Weimarer Reichsverfassung setzte Kaisenberg offenbar als überholt voraus. Es entstand ein Gesetzentwurf, der ein Verfassungsreferendum für spätestens März 1937 und ein zu erreichendes Zustimmungsquorum von 50% der Stimmberechtigten vorsah. Die konkrete Ausührung sollte sich nach dem Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 (VEG) richten.13 In einem Schreiben an Staatssekretär Pfundtner, das er dem ausgearbeiteten Gesetzentwurf beifügte, nahm Kaisenberg darüber hinaus in allgemeiner Weise zur Frage nach der zukünftigen Rolle einer Volksgesetzgebung Stellung. Einerseits empfahl er den Volksentscheid als „typisch germanischen Ursprungs“, warnte andererseits aber auch indirekt vor einer zu weitgehenden Wiedereinführung der Volksgesetzgebung in der noch zu erarbeitenden neuen Verfassung.14 Der Entwurf wurde von Pfundtner mit Schreiben vom 9. Juli 1933 abgelehnt und zurückgeschickt: Kaisenberg habe seine Aufgabe missverstanden, es ginge nicht um eine Abstimmung über eine neue Verfassung. Das neue Gesetz solle „ganz allgemein der Regierung die Möglichkeit bieten [ . . . ], aus eigener Initiative und unter Ausschaltung der Nichtbeteiligung [ . . . ], das Volk zu wichtigen Entschlüssen aufzurufen“. Es solle „eine Änderung des Volksentscheids Gesetzes“ werden.15 Mit der Forderung, die „Nichtbeteiligung“ auszuschalten, bezog sich Zweiten Weltkrieg, Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939 – 1945, Stuttgart 1989, S. 101 – 104. 11 Dass es sich um einen Wunsch Hitlers im Rahmen eines durchdachten Staatskonzepts handele, behauptete unter Verweis auf vorhergehende Redepassagen Hitlers: Uhde, Volksabstimmung, S. 42. Otmar Jung (ders., Plebiszit und Diktatur, S. 20) sieht die Initiative dagegen im Reichsministerium des Inneren selber. 12 Vgl. Brief und erster Entwurf Kaisenbergs, in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 317 – 319. 13 Ebd., Bl. 318 – 19. 14 Er drückt diese mit den Worten aus, dass der Volksentscheid sich in „großstaatlichen Verhältnissen“ nur „für ganz große lebenswichtige Interessen der Gesamtnation“ eigne. Er wisse aber nicht, ob die neue Verfassung den Volksentscheid überhaupt in „irgend einer veredelten Form“ beibehalte. Vgl. ebd., Bl. 317. 15 Ebd., Bl. 320.

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Pfundtner auf den in der Weimarer Republik erfolgreich praktizierten Abstimmungsboykott auf der Grundlage des Art. 75 WRV, der für die Zukunft zu verhindern sei.16 Kaisenberg legte bereits zwei Tage später, am 11. Juli 1933, einen neuen, zweiten Entwurf vor – diesmal als Änderungsgesetz zum Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921.17 Im Gegensatz zu seinem ersten Entwurf entwickelte er diesen Vorschlag wieder in Beziehung zu den Weimarer Strukturen zur Volksgesetzgebung und den damit verbundenen juristischen Problemen. Diesmal setzte er ein Fortleben der Weimarer Reichsverfassung und vor allem der Weimarer Volksgesetzgebung nach Art. 73 – 76 WRV voraus. Letztere Regelungen wollte er nunmehr durch den vorgeschlagenen Gesetzentwurf erweitern.18 Eingefügt werden sollte eine neue Ziffer 6 des § 1 Abs. I VEG, die eine Möglichkeit der Reichsregierung vorsah, ein Gesetz oder einen von ihr gefassten Beschluss vor der Verkündung bzw. Ausführung zum Volksentscheid zu stellen. Bei diesem Volksentscheid sei, so Kaisenberg, ein Abstimmungsboykott deshalb unmöglich, da kein „Beschluss des Reichstags“ vorhergehe. Art. 75 WRV sei mithin nicht anwendbar und ein Erfolg gemäß § 21 I VEG mit der einfachen Mehrheit der Stimmberechtigten möglich.19 In der Begründung zum Entwurf betonte Kaisenberg, ganz im Sinne der Aufgabe, den „besonderen Wert“ einer Möglichkeit, „gerade für bedeutsame politischen Fragen, die das Schicksal der gesamten Nation entscheidend beeinflussen, [ . . . ], eine Stellungnahme des Volkes herbeizuführen“.20 Auch dieser zweite Entwurf wurde von Staatssekretär Pfundtner mit Schreiben vom selben Tag zurückgewiesen, diesmal unter Berufung auf Wünsche Fricks. Er finde „nicht die Billigung des Herrn Ministers“, der auch in den Fällen, in denen die Reichsregierung „aufgrund des Ermächtigungsgesetzes eine verfassungsändernde Bestimmung nicht treffen“ könne, die Möglichkeit wünsche, den Volksentscheid herbeizuführen. Pfundtner beauftragte Kaisenberg mit der Ausarbeitung eines dritten Entwurfs zur Änderung des Art. 73 III der Weimarer Reichsverfassung – dies bis zum Mittag des folgenden Tages, dem 12. Juli 1933.21 Georg Kaisenberg kam dem Auftrag nach und legte am nächsten Tag seinen dritten EntVgl. Kap. II A. 5. a) bb). Vgl. Entwurf und Begründung zum zweiten Entwurf Kaisenbergs vom 11. 7. 1933: BArch R 1501 / 125127, Bl. 324 – 327. 18 Wenn auch heftig umstritten, aber noch herrschende Meinung in der Weimarer Republik, war die Möglichkeit, die Verfassung ohne Textänderung durch ein einfaches Gesetz zu ändern, solange dieses Gesetz mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen wurde [vgl. Kap. II A. 2. c) bb)]. Genau diesen Weg sah der zweite Gesetzentwurf Kaisenbergs vor. 19 § 21 I VEG: „Die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet“. 20 Vgl. Begründung, in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 324 – 327. 21 Vgl. Schreiben Pfundtner an Kaisenberg vom 11. 7. 1933, in: ebd., Bl. 322 – 3. Die erhebliche Eile des Verfahrens entsprach ganz dem nationalsozialistischen Selbstverständnis einer dynamischen, ununterbrochenen Bewegung, in der das Alte zügig durch etwas revolutionär Neues ersetzt werden sollte. 16 17

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wurf vor. Zentrales Element war diesmal eine Ergänzung des Art. 73 WRV, der um einen Absatz III a mit folgendendem Wortlaut ergänzt werden sollte: „Ein Volksentscheid findet ferner statt, wenn ein von der Reichsregierung aufgestellter Gesetzentwurf , der auch verfassungsändernd sein kann (Art. 76 Abs. 1 Satz 1)22, oder ein von der Reichsregierung gefaßter Beschluß unmittelbar der Volksabstimmung unterbreitet werden soll.“23

Weitergehend sollte der Reichsregierung durch eine Änderung des § 45 VEG die Möglichkeit eingeräumt werden, neben eben diesem „Gesetz über den Volksentscheid„(VEG) von 1921, ohne Beteiligung des Reichsrats weitere Ausführungsbestimmungen zu erlassen.24 In der Begründung zum Gesetzentwurf wurde ein von der Reichsregierung angeordneter Volksentscheid als eine nützliche Ergänzung, bzw. schlicht neue Variante der bestehenden Weimarer Volksgesetzgebung dargestellt. Kaisenberg machte damit, wie schon beim zweiten Entwurf die Weimarer Reichsverfassung mit ihren Art. 73 – 76 WRV zur Grundlage und zum entscheidenden Maßstab seiner Arbeit.25 Auch dem dritten Entwurf Kaisenbergs, dessen Beteiligung an der Entstehung des Volksabstimmungsgesetzes damit endete,26 war kein Erfolg vergönnt. Obwohl 22 Dieser Nebensatz wie auch das Wort „unmittelbar“ im Folgenden Halbsatz sind nachträgliche handschriftliche Einfügungen Kaisenbergs oder Pfundtners in den den bereits getippten Entwurf. Vgl. dritter Kaisenberg-Entwurf mit Begründung, in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 344 – 348, 344. 23 Ebd. 24 Bisher hatte der § 45 VEG gelautet: „Der Reichsminister des Inneren erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Bestimmungen zur Ausführung des Gesetzes“. Im Entwurf (Vgl. BArch R 1501 / 125127, Bl. 344 dort Art. 2 Nr. 2) sollte er um folgende Bestimmung, die den Reichsrat in Zukunft ausschloss, ergänzt werden: „Der Reichsminister des Inneren ist ermächtigt, ergänzende Ausführungsbestimmungen zu erlassen; er kann im besonderen bestimmen, in welcher Weise die Reichdeutschen sich an einem Volksentscheid beteiligen können, die am Tage der Abstimmung an Bord deutscher Seeschiffe sich befinden oder die ihren Wohnsitz im Ausland haben, am Abstimmungstag sich aber im Reichsgebiet aufhalten.“ 25 Vgl. Begründung, in: ebd., Bl. 346: „Das geltende Volksentscheidsrecht kennt den Volksentscheid nur nach vorausgegangenem parlamentarischen Gesetzgebungsakte. Es erscheint zweckmäßig, daß in besonders bedeutsamen Fragen die Reichsregierung einen von ihr aufgestellten Gesetzentwurf unmittelbar zur Volksabstimmung stellen kann.“ 26 Bemerkenswert an der Arbeit Kaisenbergs 1933 ist die Flexibilität, mit der er in seinen drei Entwürfen versuchte, den Wünschen seiner Vorgesetzten gerecht zu werden. Obwohl er selber maßgeblich an der Ausarbeitung der Volksgesetzgebung beteiligt gewesen war und über zwölf Jahre als „Reichsbeauftragter“ in vielen wissenschaftlichen Beiträgen die Weimarer Volksgesetzgebung dargestellt und verteidigt hatte, erarbeitete Kaisenberg innerhalb weniger Tage verschiedene Entwürfe, in denen er jeweils mit passender Begründung Bestehendes über Bord warf oder auch wieder zugrunde legte. Diese Flexibilität, wie schon seine Beiträge in der Weimarer Republik, deuten auf eine große Dienst- und Beamtentreue bei ihm hin [vgl. nur Kap. II A. 5. b) bb)] zum Streit über den Finanzvorbehalt des Art. 73 IV WRV). Dass Kaisenberg aber auch einer neuen nationalsozialistischen Staatsordnung offen gegenüberstand, ist an seinen Veröffentlichungen zum neuen Staatsrecht nach 1933 erkennbar (vgl. Otto Meißner, Georg Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht im Dritten Reich, Berlin 1935).

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er vom Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick persönlich in der Kabinettssitzung vom 14. Juli 193327 vorgestellt wurde, lehnt ihn die Reichsregierung ab. Der Anstoß zur Ablehnung ging hierbei nicht von Hitler, sondern vom Reichswehrminister Werner von Blomberg und dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz aus.28 Während von Blomberg sich „grundsätzlich gegen jeden Volksentscheid“ aussprach, kritisierte Popitz, dass durch die Integration der Bestimmungen in die Weimarer Reichsverfassung eine „psychologisch nicht glücklich(e)“ Verbindung des neuen politischen Instruments mit der Reichsverfassung hergestellt würde.29 Gemeint war damit, dass es unklug sei, ein neues verfassungspolitisches Instrument in eine Verfassung zu integrieren, die man faktisch abschaffen wollte oder zumindest grundsätzlich als liberal-parlamentarisch überkommen ablehnte. Hitler stimmte Popitz zu und machte den allgemein akzeptierten Vorschlag, die von ihm erkennbar gewünschte Möglichkeit einer von der Regierung initiierten Volksabstimmung auf einer unabhängigen gesetzlichen Grundlage zu beschließen. Die Entscheidung für ein eigenes Volksabstimmungsgesetzes war gefallen, mit dessen Ausformulierung Frick und Popitz beauftragt wurden.30 Nachweislich eines kleinen von Hitler persönlich ge- und unterschrieben Zettels wurde noch in der Kabinettssitzung, zumindest aber noch am selben Tag, das Volksabstimmungsgesetz ausgearbeitet, beschlossen und ausgefertigt.31 Dem gesamten Ablauf und vor allem der Unmittelbarkeit der Ereignisse nach, bleibt eigentlich nur die Annahme, dass sich die beauftragten Frick und Popitz noch am 14. Juli selber in oder nach der Kabinettssitzung zusammengesetzt und das „Gesetz über Volksabstimmung“ formuliert haben müssen.32 Es wurde im Reichsgesetzblatt vom 15. Juli 1933 verkündet33 und hatte folgenden Wortlaut: 34 Selbst das Volksabstimmungsgesetz, dessen Inhalt am Ende nur noch bedingt etwas mit der von ihm geprägten Weimarer Volksgesetzgebung und gar nichts mehr mit seinen Entwürfen 1933 gemein hatte, hat er unter dem Begriff der „Volkbefragung“ im Reichs- und Preußischen Verwaltungsblatt 1933 in positiver Weise dargestellt (vgl. Georg Kaisenberg, Die Volksbefragung, in: RuPrVwBl., Bd. 54 [1933], S. 581 – 582). 27 Insgesamt wurden in dieser Kabinettssitzung über 36 Gesetzentwürfe behandelt und beschlossen, darunter richtungsweisende wie das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien und unbedeutendere wie ein Gesetz über die Enteignung von Ödland im Regierungsbezirk Osnabrück. Vgl. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933 – 1938, hg. von Konrad Repgen / Hans Booms, Teil I: 1933 / 1934, Bd. 2 (12. September 1933 bis 27. August 1934, Dokumente Nr. 207 bis 384), S. 668 – 671; Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 32. 28 Der parteilose Johannes Popitz (1884 – 1945) ging später in den nationalkonservativen Widerstand gegen Hitler und wurde im Zusammenhang mit dem Attentat des 20. Juli am 3. Oktober 1944 durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. 29 Vgl. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933 – 1938,Teil I: 1933 / 1934, Bd. 2, S. 662 – 663 (Nr. 5). 30 Ebd. 31 Der Zettel befindet sich in den Akten des Bundesarchivs Berlin Lichterfelde: BArch R 1501 / 125127, Bl. 354 – 356, 356. 32 Vgl. Entwürfe, in: BArch R 1501 / 125127, Bl. 354 – 355. 33 Vgl. RGBl. I 1933, Nr. 81.

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Einer auch bereits in der Weimarer Republik gängigen wissenschaftlichen Auslegung nach stellte sich das Verfahren des Volksabstimmungsgesetzes theoretisch folgendermaßen dar: § 1 VAbstG bedeutete, dass es eines Beschlusses des Kabinetts unter Hitler (oder späterer Praxis folgend auch Hitlers alleine) bedurfte, um 34

Bild aus: BArch R 1501 / 125127, Bl. 355.

14 Schwieger

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eine Volksabstimmung durchzuführen. Der Begriff einer Maßnahme wurde nicht näher bestimmt und eröffnete grundsätzlich einen sehr weiten Anwendungsspielraum. Nach § 1 Abs. 2 VAbstG konnte es sich bei der Maßnahme „auch um ein Gesetz“ handeln, womit die Volksabstimmung wieder in einen engeren Zusammenhang zur klassischen Volksgesetzgebung und damit auch die Art. 73 – 76 WRV gerückt wurde. Da nach § 2 VAbstG die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen in der Abstimmung entscheiden sollte, war eine verbindliche Gültigkeit der Entscheidung unabhängig von zu überwindenden Beteiligungsverhältnissen. Ein Abstimmungsboykott war nicht möglich. Des weiteren wurde die Verbindlichkeit der Entscheidung aufgrund einfacher Mehrheit explizit auch für verfassungsändernde Gesetze erklärt. Eine Unterscheidung zwischen verfassungsänderndem und „einfachem“ Gesetz gab es also nicht mehr. Aus dem Verweis des § 3 VAbstG auf Art. 3 des „Ermächtigungsgesetzes“ ergab sich, dass der Reichkanzler im Fall einer positiven Entscheidung des Volkes über einen Gesetzesentwurf oder eine Maßnahme die getroffene Entscheidung wie ein Gesetz der Reichsregierung auszufertigen und im Reichsgesetzesblatt zu verkünden hatte.35 Insgesamt führte die im Deutschen Reichsanzeiger vom 17. Juli veröffentlichte Begründung zum Volksabstimmungsgesetz in Bezug auf dessen Anwendung aus: „Nach Überwindung des Parlamentarismus war es geboten, die auf alte germanische Rechtsformen zurückgehende Einrichtung der Volksabstimmung für große, die Gesamtnation bewegende Fragen in veredelter Form zu ermöglichen. Nach dem Recht der Weimarer Reichsverfassung ist der Volksentscheid nur für materielle Gesetzgebungsakte, [ . . . ], gegeben. [ . . . ]. Gerade für bedeutsame politische Fragen, die das Schicksal der Gesamtnation entscheidend beeinflussen, kann es jedoch von entscheidendem Wert sein, eine klare Stellungnahme des Volkes herbeizuführen. Das Gesetz über Volksabstimmung ermöglicht es der Reichsregierung, das Volk zu befragen, ob es einer von ihr beabsichtigten Maßnahme zustimmt oder nicht. Bei der Maßnahme kann es sich auch um ein Gesetz handeln. Das neue Gesetz schafft also einen neuen Weg der Volksgesetzgebung, bei dem das Volk in seiner Gesamtheit der Gesetzgeber ist.“36

2. Das nationalsozialistische Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 – Volksbeteiligung auf Anordnung von oben statt Volksbegehren und Beteiligungsquoren Rein äußerlich betrachtet entstand mit dem Volksabstimmungsgesetz eine gesetzliche Regelung, die per se nicht undemokratisch war.37 Auf den ersten Blick 35 Vgl. Art. 3 des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (RGBl. I 1933, Nr. 25): „Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündigt. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. [ . . . ].“ 36 Vgl. Reichsanzeiger Nr. 164 vom 17. 7. 1933 (abends). 37 So auch: Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 26.

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wurde laut Gesetzeswortlaut wie auch der offiziellen Begründung die Volksgesetzgebung, wie sie die Weimarer Verfassung vorsah, zugunsten einer weiteren Initiativform erweitert. In Zukunft sollten anscheinend nicht nur Reichstag, Reichsrat und das Volk selber, sondern auch die Reichsregierung ein Volksgesetzgebungsverfahren initiieren können. Der Abstimmungsgegenstand wurde auf „Maßnahmen“ erweitert. Außerdem wurde zumindest für die neue Form der Volksgesetzgebung endlich das große Manko der Art. 73 – 76 WRV, nämlich die Möglichkeit eines Abstimmungsboykotts ausgeschlossen. Bei näherer Betrachtung verändert sich jedoch das Bild. Unabhängig von der Frage, wie Hitler später das Gesetz praktisch angewendet hat, zeigen bereits die Entstehungsgeschichte wie auch eine genauere Gegenüberstellung von Volksabstimmungsgesetz und Art. 73 – 76 WRV, dass von der Reichsregierung bereits am 14. Juli 1933 keinesfalls eine Erweiterung der Weimarer Volksgesetzgebung gewollt war. Es sollte vielmehr ein neues, von der Weimarer Verfassung unabhängiges Element eigener Herrschaftslegitimation geschaffen werden. Zum einen wählte man den Terminus der „Volksabstimmung“ statt des bisher üblichen „Volksentscheids“. Zum anderen beschloss man die Möglichkeit von Volksabstimmungen bewusst in Gestalt eines eigenen Gesetzes. So ließ sich das neue Herrschaftsinstrument trotz gegenteiliger Äußerungen nach außen begrifflich wie auch gesetzestechnisch von den Strukturen der Weimarer Verfassung abgrenzen und damit für den Fall erhalten, dass man die verhasste Weimarer Reichsverfassung irgendwann endgültig für aufgehoben erklären konnte. Den Parlamentarismus und damit das zentrale Kernelement des Weimarer Systems hatte man ja bereits „überwunden“, wie sogar in der Begründung zum Volksabstimmungsgesetz selbst betont wurde.38 Im Gegensatz zu den Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren war die Volksabstimmung vor allem durch einen gemischt konsultatorisch-gesetzgeberischen Charakter geprägt.39 Sahen die Art. 73 – 76 WRV im Prinzip nur Möglichkeiten zur Entscheidung über abstrakt generelle Gesetze durch das Volk vor, bezog das Volksabstimmungsgesetz auch individuell konkrete politische Maßnahmen mit ein, zu denen das Volk zudem „befragt“ werden konnte, auch wenn dieser Befragung nach § 3 VAbstG Verbindlichkeit zukommen sollte. Ein weiterer großer Unterschied war auch die Entkleidung der Entscheidungskraft von jeglichen Bedingungen an Mindestbeteiligung und Abstimmungsquoren und natürlich der Ausschluss jeglicher Beteiligung des Reichstags am Verfahren. Vgl. Reichsanzeiger Nr. 164 vom 17. 7. 1933 (abends). Vgl. die Definition des rein konsultatorischen Referendums bei: Ulrich Rommelfanger, Das konsultative Referendum, Eine verfassungstheoretische, -rechtliche und -vergleichende Untersuchung, Berlin 1988, S. 30. Rommelfanger definiert vier Kriterien: Rechtliche, aber unverbindliche Meinungsäußerung durch die Wahlberechtigten, in amtlicher Form entsprechend den Wahlrechtsgrundsätzen organisiert, und gegenständlich beschränkt auf Fragen grundlegender politischer Bedeutung. Theoretisch unterscheide sich die Volksabstimmung nach VAbstG von dem rein konsultatorischen Referendum durch seine rechtliche Verbindlichkeit, die in der Praxis der nationalsozialistischen Volksabstimmungen, wie der folgende Abschnitt noch zeigen wird, jedoch nicht beachtet wurde. 38 39

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Kap. III: Vom Volksentscheid zur Volksabstimmung 1933 – 1945

3. Individuelle Durchführungsverordnungen statt allgemeiner gesetzlicher Regelung – Die Ausführungsbestimmungen zu den Volksabstimmungen im Dritten Reich Ein weiterer Beleg für den Willen nach unbedingter Abgrenzung des neuen Volksabstimmungsgesetzes zur Weimarer Volksgesetzgebung war die Ausgestaltung der Ausführungsbestimmungen. Hier ermöglichte es die Verordnungsermächtigung des § 4 VAbstG, sich vor allem vom Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 unabhängig zu machen und eigene Wege zu gehen. Dies wurde zumindest formal auch bei allen Abstimmungen von 1933 bis 1945 durch jeweils erlassene, eigenständige Durchführungsverordnungen getan – nur formal deshalb, weil man sich durch Gesetzesverweisungen in den jeweiligen Verordnungen dann doch wieder weitgehend der bewährten Regelungen in den Ausführungsgesetzen zur Weimarer Volksgesetzgebung bediente. Im Vorgriff auf die im Folgenden Abschnitt B im Einzelnen noch näher darzustellenden nationalsozialistischen Volksabstimmungen bedeutete dies konkret: Im Oktober 1933 erließ der Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick für die Volksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund die „Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk“. Sie verwies in § 1 umfassend auf Bestimmungen des Gesetzes über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 und erklärte auch die den Volksentscheid betreffenden Bestimmungen der Weimarer Reichsstimmordnung für anwendbar.40 Als eigenen Regelungsgehalt enthielt sie darüber hinaus eigentlich nur den Wortlaut des Stimmzettels und die Festlegung des Abstimmungstages.41 Ergänzend wurde gleichzeitig auch eine zweite, umfangreiche „Wahl- und Abstimmungsordnung“ erlassen, die vor allem für Auslandsdeutsche, Seeleute und Reisende Einzelheiten der Stimmabgabe bei der Volksabstimmung wie auch der parallel ablaufenden Reichstagswahl regelte.42 Eine sehr ähnliche Vorgehensweise wählte die Reichsregierung 1934 bei der Zusammenlegung von Reichskanzler- und Reichspräsidentenamt. 43 Neben einer „Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt 40 Vgl. Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk. Vom 14. Oktober 1933, RGBl. I 1933, Nr. 113 (S. 732). § 6 dieser Durchführungsverordnung erklärte weitergehend in Bezug auf die „Verpflichtung zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit“ das Reichswahlgesetz entsprechend für anwendbar. 41 Am 18. Oktober wurde die Verordnung vom 14. Oktober noch durch eine „Änderungsverordnung zur Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk“ (RGBl. I 1933, Nr. 115) ergänzt. Diese hatte jedoch nur eine Änderung der Fragestellung auf dem Abstimmungszettel zum Inhalt. 42 Vgl. Erste Verordnung zur Reichstagswahl und Volksabstimmung (Wahl- und Abstimmungsverordnung), RGBl. I 1933, Nr. 113 (S. 733 – 736). 43 Vgl. „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“. Vom 1. August 1934, in: RGBl. I 1933, Nr. 89.

A. Die Entstehung des „Gesetzes über Volksabstimmung“ 1933

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des Deutschen Reiches“ vom 3. August 1934, die wiederum umfassend auf das „Gesetz über den Volksentscheid“ von 1921 wie auch die Reichsstimmordnung verwies, regelte eine zweite Verordnung die Teilnahme von Auslandsdeutschen, Reisenden, Seeleuten und sogar der „Insassen von Arbeitsdienstlagern“.44 Bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs 1938, die wie der „Völkerbundaustritt“ 1933 zusammen mit einer Reichstagswahl abgehalten wurde, modifizierte das Reichsministerium des Inneren die rechtliche Verfahrensausgestaltung. Dies lag vor allem daran, dass, anders als 1933, auf dem Abstimmung- / Wahlzettel die jeweilige Zustimmung oder Ablehnung des Anschlusses Österreichs untrennbar mit der Entscheidung zur Wahl des Reichstags verbunden wurde. Wer für den Anschluss Österreichs stimmte, wählte zwangsläufig auch die Einheitsliste Adolf Hitlers zum Reichstag. Vor diesem Hintergrund wurden die Ausführungsbestimmungen zur Durchführung von Volksabstimmung und Reichstagswahl gemeinsam in einer „Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag“ geregelt.45 Gestützt wurde die Verordnung diesmal nicht auf § 4 des Volksabstimmungsgesetzes,46 sondern auf allgemeine Ermächtigungsgrundlagen in zwei Gesetzen über das Reichtagswahlrecht vom 7. März 1936 bzw. 18. März 1938.47 Anders als 1933 und 1934 wurde in der Verordnung nicht auf das „Gesetz über den Volksentscheid“ von 1921, sondern nur auf einzelne Bestimmungen des Reichstagswahlrechts und der Weimarer Reichsstimmordnung verwiesen. Die „Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag“ enthielt neben den genannten Gesetzesverweisen einzelne Bestimmungen über die Durchführung der Abstimmung in Österreich48 und solche über die Abstimmungsmöglichkeiten von Auslanddeutschen, Reisenden, Seeleuten

44 Vgl. Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. Vom 3.August 1934, sowie „Erste Verordnung zur Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches (Abstimmungsverordnung)“. Vom 3. August 1934, in: RGBl. I 1934, Nr. 93. Theoretisch sollten also sogar die Menschen an der Abstimmung über Hitlers, nach Hindenburgs Tod nun auch formal ungeteilten Macht teilnehmen, die unmittelbar unter den Folgen seiner Macht zu leiden hatten und bereits 1934 in großer Zahl ohne Verfahren in Arbeitslagern saßen. Tatsächlich haben (allerdings wohl sehr fragwürdige) Abstimmungen in Arbeitslagern stattgefunden. 45 Vgl. Erste Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag. vom 22. März 1938, in: RGBl. I 1938, Nr. 34. 46 Für Ottmar Jung (ders., Plebiszit und Diktatur, S. 116) ist dies ein wichtiger Beleg für seine These, dass die Volksabstimmung 1938 keine Volksabstimmung i. S. d. VAbstG gewesen sei und auch nicht als solche gewollt gewesen sei, weil das NS -Regime sich nach einem, laut Jung, „Fehlschlag“ 1934 von der Volksabstimmung als Propaganda- oder auch Akklamationsinstrument abgewandt habe. 47 Vgl. § 3 des „Gesetzes über das Reichtagswahlrecht.“ Vom 7. März 1933 (RGBl. I 1936, Nr. 19) sowie § 3 des „Zweiten Gesetzes über das Reichstagswahlrecht“. Vom 18. März 1938 (RGBl. I 1938, Nr. 28). 48 Die Durchführung der Abstimmung in Österreich blieb nach § 37 der Verordnung jedoch im wesentlichen dem österreichischen Reichsstatthalter überlassen.

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Kap. III: Vom Volksentscheid zur Volksabstimmung 1933 – 1945

und Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes. Eine mögliche Teilnahme der Insassen von Arbeits- oder Konzentrationslagern blieb diesmal unerwähnt.49 Im Ergebnis lässt sich für die Abstimmungen 1933 und 1934 feststellen, dass das Reichsministerium des Inneren die ihr durch die Verordnungsermächtigung des § 4 VAbstG eingeräumte Freiheit nutzte und eigene Durchführungsverordnungen erließ. So wurde die schon bei der Entstehung des Volksabstimmungsgesetzes betonte Distanz der nationalsozialistischen Volksabstimmung zur Weimarer Volksgesetzgebung gewahrt. Gleichzeitig aber wurde der Praktikabilität wegen in einem sehr weitgehenden Umfang durch Verweisungen auf das Gesetz über den Volksentscheid von 1921 und die Weimarer Reichsstimmordnung zurückgegriffen. Deutlich wird hier exemplarisch die im Dritten Reich häufiger zu beobachtende staatliche Praxis, in den eigenen Augen „vorrevolutionäre“ Gesetze, die zu eigentlich nicht mehr geltendem Verfassungsrecht gehörten, zumindest partiell dort anzuwenden, wo sie sich als noch nützlich für eigene Vorhaben erwiesen.50 Bei der Volksabstimmung 1938 wählte das Reichsinnenministerium dann einen anderen Weg. Es verwies nicht mehr auf das Gesetz über den Volksentscheid von 1921, ja es stützte die ganze Durchführungsverordnung nicht einmal mehr auf das eigene Volksabstimmungsgesetz von 1933. Die Verordnung beruhte alleine auf den nationalsozialistischen Gesetzen zur Reichstagswahl von 1936 und 1938. Die Regierung konnte nach eigenem Verständnis so vorgehen, weil zum einen die Volksabstimmung mit der Einheitswahl zu einem großdeutschen Reichstag unmittelbar verknüpft war. Zum anderen stellten im sich entwickelnden „Führerstaat“ sowohl die Regierung als auch Teile der Staatsrechtswissenschaft rechtsdogmatisch Wahl und Volksabstimmung im Sinne eines offenen Akklamationsaktes einander zunehmend gleich, worauf im Folgenden Kapitel noch näher einzugehen ist.51

B. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches im Überblick Wie sich bereits aus der vorangehenden Darstellung der Ausführungsbestimmungen ergibt, hat es nach bis heute weitgehend einstimmiger Auffassung52 drei 49 Vgl. „Erste Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag“ vom 22. März 1938, in: RGBl. I 1938, Nr. 34. Der Stimmzettel wurde zusammen mit einem gesonderten Abstimmungszettel für die nicht wahlberechtigten Soldaten des österreichischen Bundesheeres in einer „Zweiten Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag“ vom 24. März 1938 (RGBl. I 1938, Nr. 37) näher bestimmt. 50 Vgl. zum Verhältnis von NS-Regime zum geschriebenen Staatsrecht und Recht allgemein: Karl Dietrich Bracher, Stufen der Machtergreifung, in: ders. / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933 / 34, Köln / Opladen 1960, S. 29 – 368, 167 – 168. 51 Vgl. Kap. IV B., sowie exemplarisch: Uhde, Volksabstimmung, S. 27 – 29.

B. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches im Überblick

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Volksabstimmungen auf der Grundlage des „Gesetzes über Volksabstimmung“ vom 14. Juli 1933 gegeben. Diese betrafen den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund 1933, die Vereinigung von Reichspräsidenten- und Reichskanzleramt in der Person Adolf Hitlers 1934 und den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938. Die Volksabstimmung über den Verbleib des Saarlandes beim Deutschen Reich (Saarabstimmung) am 13. Januar 1935 erfolgte dagegen auf der Grundlage des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919. Hierbei handelte es sich um ein „verspätetes“ Territorialplebiszit, wie es sie ähnlich schon 1920 in EupenMalmedy, Nordschleswig und in Teilen Ostpreußens und Oberschlesien gegeben hatte.53 Wie schon bei der Darstellung der Volksgesetzgebungsverfahren in der Zeit der Weimarer Republik beschränkt sich die folgende Darstellung der Volksabstimmungen nur auf einen Überblick.54

1. Die Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund am 12. November 1933 Nachdem auf der Lausanner Konferenz vom 16. Juni bis 9. Juli 1932 die Reparationsverpflichtungen Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg endgültig geregelt worden waren,55 hatte sich die Reichsregierung der Wiederaufrüstung Deutschlands als nächstem außenpolitischen Ziel zugewandt. Auch hier sahen die Heinrich Brüning nachfolgenden Reichkanzler Franz von Papen und Kurt von Schleicher 52 Auf die These Otmar Jungs (ders., Plebiszit und Diktatur, S. 109 – 124), dass die Volksabstimmung 1938 ein eigenständiger Sonderfall gewesen sei, wurde bereits mehrmals hingewiesen. 53 Anders als diese Gebiete, in denen schon kurz nach dem ersten Weltkrieg abgestimmt worden war, war das Saargebiet für fünfzehn Jahre unter Völkerbundsverwaltung gestellt worden. Dies zum einen, damit Frankreich als Reparationsleistung ungestört die saarländischen Kohlegruben nutzen konnte. Zum anderen hoffte Frankreich, in diesen fünfzehn Jahren die Saarländer für einen Anschluss an Frankreich gewinnen zu können. Konkret hatten die Saarländer 1935 dann die Wahl zwischen dem Anschluss an Frankreich oder das Deutsche Reich und der Aufrechterhaltung des Status Quo. Organisiert und durchgeführt wurde die Abstimmung nach Regeln des Völkerbundes durch eine Volksabstimmungskommission, die im Januar 1934 eingesetzt worden war. Vgl. Sarah Wambaugh, The Saar Plebiscite with a colllection of official documents, Westport, Connecticut 1940 (Nachdruck 1970), S. 295 – 304; Eduard Biesel, Die völkerrechtliche Stellung des Saargebiets (Frankfurter Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, 15), Leipzig 1929; Fritz Jacoby, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme an der Saar, Die innenpolitischen Probleme der Rückgliederung des Saargebietes bis 1935, Saarbrücken 1973, S. 159. 54 Es gibt bisher nur wenige Arbeiten, die sich ausschließlich mit den Volksabstimmungen im Dritten Reich auseinander setzen Zu nennen ist hier insbesondere: Otmar Jung, Plebiszit und Diktatur, die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten, Tübingen 1995 (vgl. Einleitung). 55 Ergebnis dieser Konferenz war, dass Deutschland nur noch eine Schlusszahlung von drei Milliarden Reichsmark zu leisten hatte.

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gute Chancen, auf dem Verhandlungswege die durch den Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen „abzuschütteln“. Es gelang, Großbritannien, die USA, Frankreich und Italien zu einer gemeinsamen, am 11. Dezember 1932 in Genf veröffentlichten Fünf-Mächte-Erklärung zu bewegen. Dem Deutschen Reich wurde darin eine grundsätzliche Gleichberechtigung im Rüstungsbereich zugestanden, die jedoch nur unter noch näher zu bestimmenden Bedingungen gewährt wurde.56 Die genauen Modalitäten sollten im Rahmen weiterer Abrüstungsverhandlungen vereinbart werden. In ihren Verlauf fiel die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933. Dieser ließ die Abrüstungsdelegation unter Botschafter Rudolf Nadolny weiter gewähren und gab sich zunächst den Anstrich eines gemäßigten Außenpolitikers, um einen für die deutsche Wiederaufrüstung erfolgreichen Abschluss der Konferenz zu erreichen. Zweifeln an seinen wirklichen außenpolitischen Zielen begegnete er mit einer „Friedensrede“ am 17. Mai 1933 im Reichstag, in der er seinen Willen zum Frieden in Europa betonte und eine Fortführung der deutschen Außenpolitik als friedliche Revisionspolitik ankündigte. Hitler gab sich anfangs sogar kompromissbereiter als sein Außenminister Freiherr Konstantin von Neurath, Reichswehrminister Werner von Blomberg oder auch der damalige Wirtschaftsminister Alfred Hugenberg. Drohungen des deutschen Außenministers, die Abrüstungsverhandlungen zu verlassen,57 wurden von Hitler relativiert; Forderungen nach deutschem Siedlungsraum im Osten und Kolonien in Übersee, wie sie Hugenberg bereits im Juni 1933 auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz formulierte, waren von ihm zu diesem Zeitpunkt öffentlich nicht zu hören.58 Trotz dieser Bemühungen wurde der Reichsregierung in Genf nur eine vierjährige Bewährungsfrist angeboten, in der Deutschland seine Verständigungsbereitschaft beweisen sollte. Erst danach sollte eine Gleichberechtigung im Rüstungsbereich möglich sein. Zu groß war das Misstrauen gegen Deutschland im Völkerbund und insbesondere in Frankreich angesichts der einsetzenden nationalsozialistischen Juden- und Emigrantenpolitik und illegaler paramilitärischer Aktivitäten jenseits des Rheins durch Reichswehr und SA wieder geworden.59 Hitlers war mit seiner diplomatischen Strategie gescheitert. Er vollzog daraufhin eine weitgehende außenpolitische Kehrtwende, während er gleichzeitig nach außen weiterhin immer wieder seine Friedensbereitschaft bekundete.60 In einer Ministerbesprechung am Abend des 13. Oktober 1933 informierte er sein Kabinett über die bisherigen Ergebnissen der Genfer Abrüstungsgespräche und stellte seine neuen Pläne vor: „Wir werden daher sowohl die Abrüstungskonferenz als auch den Völkerbund verlassen müssen, da die Voraussetzungen, als gleichberechtigte Nation anerkannt zu werden, nicht 56 Peter Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 543 – 551. 57 Bracher, Stufen, S. 241 – 245, 352. 58 Ebd., S. 242 – 245. 59 Ebd. 60 Ebd.; Hans Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt, Deutschland 1933 – 1945, Berlin 1994, S. 310 – 315.

B. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches im Überblick

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gegeben sind. In dieser Lage kann unsere Position dadurch gestärkt werden, daß wir zugleich mit der Mitteilung unseres Austritts [ . . . ] den Reichstag auflösen, Neuwahlen ausschreiben und das deutsche Volk auffordern, sich durch eine Volksabstimmung mit der Friedenspolitik der Reichsregierung zu identifizieren. Mit diesen Möglichkeiten nehmen wir der Welt die Möglichkeit, Deutschland einer aggressiven Politik zu bezichtigen. Dieses Verfahren gibt ferner die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Welt ganz anders als bisher zu fesseln.“61

Die Auflösung des Reichstags62 wie auch der Landtage, für die es jedoch keine Neuwahlen geben sollte, erläuterte im weiteren Verlauf des Abends der Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Dadurch werde es ermöglicht, die neuen Reichstagsabgeordneten „ebenfalls auf die Politik der Reichsregierung“ zu „verpflichten“.63 Gemeint waren damit Neuwahlen für den Reichstag nach Einheitslisten der NSDAP. Als Tag der Volksabstimmung wie auch der Neuwahlen zum Reichstag wurde der 12. November festgelegt. Am Tag nach dieser Besprechung, dem 14. Oktober 1933, erklärte Deutschland seinen Austritt aus dem Völkerbund und verließ die Genfer Abrüstungsverhandlungen. Hitler erklärte diesen Schritt in einer Rundfunkansprache mit dem Recht auf „wirkliche Gleichberechtigung“, die allein Voraussetzung für eine von Deutschland gewünschte „Politik des Friedens, der Versöhnung und der Gleichberechtigung“ sein könne.64 Im Hinblick auf die Volksabstimmung und die Reichstagswahlen setzte im Deutschen Reich eine großangelegte Propaganda mit Kundgebungen, Massenappellen und Aufmärschen ein.65 Ihre Höhepunkte waren eine Rede Hitlers im Berliner Sportpalast am 24. Oktober und eine Ansprache des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg im Radio am 11. November 1933. Ganz in der offiziellen Diktion eines angestrebten, auf Gleichberechtigung und wiederhergestellter nationaler Ehre gründenden Friedens des Deutschen Reiches mit der Welt, rief Hindenburg zu Einheit und Einigkeit mit der Regierung Hitlers auf: „Deutsche Männer und Frauen ! Lassen Sie auch mich in dieser Stunde, da es um Lebensfragen deutscher Gegenwart und Zukunft geht, einige Worte der Mahnung an Sie richten. Ich und die Reichsregierung, einig in dem Willen, Deutschland aus der Zerrissenheit und Ohnmacht der Nachkriegsjahre emporzuführen, haben das deutsche Volk aufgerufen, morgen selbst über sein Schicksal zu entscheiden und vor der Welt zu bekunden, ob es die von uns eingeschlagene Politik billigen und zu seiner eigenen Sache machen will. Lange Jahre

61 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933 – 1938, Teil I: 1933 / 1934, Bd. 2, S. 904 (Dokument Nr. 230). Anwesend waren: Hitler, v. Papen, v. Neurath, Frick, Graf Schwerin von Krosigk, Schmitt, Gürtner, Seldte, v. Blomberg, v. Eltz-Rübenach, Darré, Goebbels, Göring. 62 Vgl. Verordnungen des Reichspräsidenten zur Auflösung und Neuwahl des Reichstags vom 14. 10. 1933, RGBl. I, 1933, Nr. 113. 63 Vgl. Fn. 61. 64 Aus der Rundfunkansprache Hitlers vom 14. 10. 1933, abgedruckt in Auszügen in: Thamer, Verführung und Gewalt, S. 316. 65 Vgl. Bracher, Stufen, S. 350 – 352.

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schwächerer Uneinigkeit liegen hinter uns. Dank der mutigen, zielbewußten und kraftvollen Führung des am 30. Januar dieses Jahres von mir berufenen Reichskanzlers Hitler und seiner Mitarbeiter hat Deutschland sich selbst wiedergefunden und die Kraft gewonnen, den Weg zu beschreiten, den ihm seine nationale Ehre und seine Zukunft vorschreiben. [...] Es ist Lüge und Verleumdung, wenn man uns im Ausland kriegerische Absichten unterstellt. Niemand in Deutschland verspürt den Drang nach gewaltsamer Auseinandersetzung. [...] Deshalb richte ich an alle deutschen Männer und Frauen in dieser Stunde den Appell: Zeigt morgen geschlossen Eure nationale Einheit und Eure Verbundenheit mit der Reichsregierung. Bekennt Euch mit mir und dem Kanzler zum Grundsatz der Gleichberechtigung und für den Frieden in Ehren und zeigt der Welt, daß wir wiedergewonnen haben nun mit Gottes Hilfe und festhalten wollen die deutsche Einigkeit.“66

In einer nationalistisch aufgeheizten, erheblich zur Teilnahme nötigenden Stimmung, in der jegliche Gegenpositionen unterdrückt und politische Gegner massiv eingeschüchtert wurden, fanden am 12. November 1933 Volksabstimmung und Reichstagswahl statt.67 Der amtliche Stimmzettel zur Reichstagswahl bestand aus einer Einheitsliste der NSDAP, für die man nur mit „Ja“ stimmen konnte.68 Wer nicht zustimmen wollte, könnte nur ungültig wählen. Der Stimmzettel zur Volksabstimmung hatte folgende Gestalt: 69(siehe Abb. auf S. 219) Trotz zahlreicher Brüche der Grundsätze von Abstimmungsfreiheit und Wahlgeheimnis70 und vereinzelten Wahlfälschungen ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Deutschen den Aufrufen der Regierung wie auch des Reichspräsidenten Hindenburg freiwillig Folge leistete. Sie stimmten aus Überzeugung oder auch aus dem Gefühl einer nationalen Verpflichtung in der Volksabstimmung mit „Ja“. Das Ergebnis der Volksabstimmung ergab laut der offiziellen „Statistik 66 Abgedruck in: Fritz Poetzsch-Heffter / Carl Hermann Ule / Carl Dernedde, Vom Deutschen Staatsleben (Vom 30. Januar bis 31. Dezember 1933), in: JöR 22 (1935), S. 1 – 272, 57. 67 Bracher, Stufen, S. 346 ff. In Bezug auf die Gleichschaltung der Presse, vgl.: NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation, hrsg. von Hans Bohrmann, bearb. v. Gabriele Toepser-Ziegert, Bd. 1, München 1984, S. 162 (Anweisung vom 19. 10. 1933). 68 Abgedruckt in: Jung, Plebiszit und Diktatur, Anhang, Abbildung 1 sowie: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 449, S. 4. Vgl. auch die Verordnungen zur Durchführung der Volksabstimmung über den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk. Vom 14. Oktober 1933, in: RGBl. I 1933, Nr. 113 (S. 732 – 736, 742). Vgl. auch Abschnitt A. 3. dieses Kapitels. 69 Vgl. RGBl. I, 1933, Nr. 113 (S. 730 – 1), sowie die Aufrufe in: Juristische Wochenschrift, Zeitschrift des Deutschen Anwaltsvereins im Bund der Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, Nr. 42 (21. 10. 1933), S. 289; Rudolf Schraut, Mit Adolf Hitler zu Gleichberechtigung und Frieden, in: ebd., Nr. 44 (vom 4. 11. 1933), S. 303. 70 Vgl. Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 46 – 49.

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des Deutschen Reiches“ bei einer Abstimmungsbeteiligung von 96,3 % eine Zustimmungsquote von 95,1 %. Dies entsprach bei 45 178 701 Stimmberechtigten einer Zahl von 40 633 852 Ja-Stimmen.71 2. Die Volksabstimmung über die Zusammenführung des Amtes von Reichspräsident und Reichskanzler in der Person Adolf Hitlers am 19. August 1934 Im Frühsommer des Jahres 1934 begann sich abzuzeichnen, dass die politische Handlungsfähigkeit des 87jährige Reichspräsidenten Paul von Hindenburg aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr lange gewährleistet sein würde.72 Der Vizekanzler Franz von Papen, der die Gefährlichkeit der von ihm mitermöglichten nationalsozialistischen Herrschaft inzwischen erkannt hatte, bemühte sich vergeblich, Hitler zu verbindlichen Äußerungen über eine Nachfolge Hindenburgs zu bewegen.73 Auch sein Versuch, den greisen Reichspräsidenten dazu zu bringen, in einem Testament die Wiederherstellung der Monarchie zu empfehlen, schlug fehl. Von Papen, seine Mitarbeiter Herbert von Bose, Fritz Tschirsky und Edgar Jung sowie sie unterstützende politische Kreise gaben das Ziel einer nunmehr gegen den Nationalsozialismus gerichteten konservativen Restauration des Staates jedoch damit noch nicht auf. Hoffnung gaben ihnen eine sich 1934 zunehmend ausbreitende Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die Wirtschaftslage, die Funktionärswirtschaft und die sich ausbreitende Willkür und Korruption, insbesondere aber wachsende Spannungen zwischen Hitler und der zunehmend ein Eigenleben führenden SA (Sturmabteilung) unter Ernst Röhm.74 All dies wollte von Papen zur Ausrufung eines militärischen Ausnahmezustandes und Errichtung einer konservativen Militärdiktatur nutzen. Seine Vorstellungen erfüllten sich nicht. Ausgelöst durch eine regimekritische Rede von Papens in der Marburger Univer71 Vgl. Zahlen sowie eine aufgeschlüsselte Darstellung für einzelne Gebiete des Deutschen Reiches, in: Bracher, Stufen, S. 359 – 366. Geringfügig andere Zahlen finden sich bei: Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom Deutschen Staatsleben, S. 77. Sie listen als Ergebnis der Abstimmung auf: Zahl der Stimmberechtigten 45.176.713 Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen 43.491.575 Gültige Stimmen insgesamt 42.733.819 Gültige „Ja“-Stimmen 40.632.628 Gültige „Nein“-Stimmen 2.101.191 Ungültige Stimmen 757.756 72 Vgl. Walter Rauscher, Hindenburg, Feldmarschall und Reichspräsident, Wien 1997, S. 321 ff. 73 Thamer, Verführung und Gewalt, S. 327 – 336. 74 Vgl. Wolfgang Sauer, Die Mobilmachung der Gewalt, in: Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933 / 34, Köln, Opladen 1960, S. 947 – 966.

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sität vom 17. Juni, durch bekannt gewordene Versuche dessen Mitarbeiters von -Bose, Hindenburg zur Verhängung des Ausnahmezustandes zu bewegen, vor allem aber durch davon unabhängige, unorganisierte Proteste einzelner SA-Einheiten am 29. Juni, ließ Hitler vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 die wichtigsten SA-Führer, einige konservative Politiker wie auch alte Feinde durch Kommandos der SS (Schutzstaffel), des Sicherheitsdienstes (SD) und der Gestapo ermorden.75 In der Kabinettssitzung vom 3. Juli stellte er sein Handeln als „Staatsnotwehr“ gegen einen später „Röhm-Putsch“ genannten Umsturzversuch dar. Das Kabinett beschloss ein Gesetz, in dem nachträglich „die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen“ als „Staatsnotwehr“ für „rechtens“ erklärt wurden.76 Eine strafrechtliche Verfolgung wurde damit unterbunden. Keiner der Minister äußerte Bedenken. Reichswehrminister von Blomberg dankte vielmehr Hitler für sein „entschlossenes und mutiges Handeln“. Hitler gelang es, sich auch in der Öffentlichkeit erfolgreich als Retter in der Situation eines drohenden Bürgerkrieges darzustellen. Proteste in der Bevölkerung blieben aus. Diese war ganz überwiegend froh über das vermeintliche Ende der durch die „SA-Braunhemden“ ausgelösten Unruhe.77 Drei Wochen später lag Hindenburg endgültig im Sterben. In der Ministerbesprechung vom 1. August wies Adolf Hitler darauf hin, „daß der Herr Reichspräsident nach dem Urteil der Ärzte höchstens noch 24 Stunden am Leben bleiben“ werde. Für die Reichsregierung erwachse „die Pflicht, alle Maßnahmen vorzubereiten, die infolge dieses zu erwartenden traurigen Ereignisses notwendig würden“.78 Er bezog sich damit auf einen im Reichsministerium des Inneren bereits vorbereiteten Gesetzentwurf, der ihm – nach der erfolgreichen Ausschaltung der innenpolitischen Gegner wenige Wochen zuvor – nun endgültig alle Macht in Deutschland sichern sollte. Dieses im weiteren Verlauf der Kabinettssitzung vorgestellte „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ hatte folgenden Wortlaut:79

75 Vgl. Thamer, ebd. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die Ermordung des ehemaligen Reichskanzlers Kurt von Schleicher und seiner Frau am 29. 6. 1934 in ihrem Haus, sowie die des einstigen Generalstaatskommissars Gustav von Kahr, an dem sich Hitler damit nach 10 Jahren für den „Verrat“ am 9. November 1923 rächte. Nachdem erste Versuche, den Tod des Ehepaares von Schleicher als Selbstmord darzustellen, fehlgeschlagen war, wurde ihr Tod später als Widerstand gegen eine Verhaftung dargestellt. 76 RGBl. I 1934, Nr. 71. 77 Vgl. Thamer, Verführung und Gewalt, S. 320 – 336, 328, 329, 330, 331; Michael Ruck, Führerabsolutismus und polykratisches Herrschaftsgefüge – Verfassungsstrukturen des NSStaates, in: Karl Dietrich Bracher / Manfred Funke / Hans Adolf Jacobsen, Deutschland 1933 – 1945, Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Düsseldorf 1992, S. 32 – 75, 32, 33. 78 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933 – 1938, Teil I: 1933 / 1934, Bd. 2, S. 1384 (Nr. 382) (Ministerbesprechung vom 1. August 1934, 21.30 Uhr). Anwesend: Hitler, v. Papen, v. Neurath, Frick, Graf Schwerin von Krosigk, Seldte, Gürtner, v. Blomberg, v. Eltz Rübenach, Darré, Goebbels, Göring, Rust, Heß, Kerrl, Popitz und Schacht.

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Kap. III: Vom Volksentscheid zur Volksabstimmung 1933 Р1945 㤠1

Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Er bestimmt seinen Stellvertreter. §2 Dieses Gesetz tritt mit Wirkung von dem Zeitpunkt des Ablebens des Reichspräsidenten von Hindenburg in Kraft. Berlin, den 1. August 1934“

Obwohl der Entwurf in eindeutigem Widerspruch zu Art. 2 des „Ermächtigungsgesetzes“ von 193380 stand, der die Unberührbarkeit des Reichspräsidentenamtes garantierte, wurde er beschlossen und nach kurzer Debatte aufgrund der besonderen Bedeutung von allen Ministern unterzeichnet. Den existierenden Aufzeichnungen folgend, äußerte sich Hitler unmittelbar danach erstmals konkret dahingehend, dass er auf eine plebiszitäre Bestätigung des Inhalts dieses Gesetzes durch das Volk Wert lege.81 Am nächsten Tag war Hindenburg tatsächlich gestorben und Hitler nach § 1 und § 2 des am Vortag beschlossenen Gesetzes Reichspräsident und Reichskanzler in einer Person. In einer weiteren Ministerbesprechung hielt Hitler eine Ansprache zum „Verlust des Deutschen Reiches durch den Tod Hindenburgs“. Weitergehend verlas der Reichsinnenminister Frick einen Brief Hitlers an ihn selbst, in dem Hitler zum einen dem Verstorbenen huldigte. Aufgrund der historischen Größe Hindenburgs solle in Zukunft niemand mehr – also vor allem er selbst nicht – den Titel „Reichspräsident“ tragen. Zum anderen forderte der Reichskanzler mit den Worten, er sei „fest durchdrungen von der Überzeugung, daß jede Staatsgewalt vom Volke ausgehen und vom ihm in freier und geheimer Wahl bestätigt sein muß“, eine Volksabstimmung über das „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ durchzuführen.82 Die Reichsregierung gehorchte und setzte als Abstimmungstag den 19. August 1934 fest. Mit der Durchführung des Beschlusses wurde der Reichsinnenminister Frick beauftragt. Der Text des Briefes wurde in der Form eines Erlasses „zum Vollzug des Gesetzes über das 79 Vgl. Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs vom 1. 8. 1934, in: RGBl. I 1934, Nr. 89. 80 Vgl. Art. 2 des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933 (RGBl. I, 1933, Nr. 25): „Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.“ 81 Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933 – 1938, Teil I: 1933 / 1934, Bd. 2, S. 1384 (Nr. 382). 82 Ebd., S. 1386 – 1387, (Nr. 383), (Ministerbesprechung vom 2. August 1934, 20 Uhr). Anwesend: Hitler, v. Papen, Frick, Graf Schwerin von Krosigk, Seldte, Gürtner, v. Blomberg, v. Eltz-Rübenach, Darré, Goebbels, Göring, Rust, Heß, Kerrl.

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Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ vom selben Tag im Reichsgesetzblatt abgedruckt.83 Er bildete später auch den Kopf des Stimmzettels zur Volksabstimmung.84 In den darauffolgenden Tagen setzte, wie schon 1933, eine großangelegte Propagandawelle ein. Einer ihrer Höhepunkte war die Beisetzung Hindenburgs in den monumentalen ostpreußischen Anlagen zum Gedenken an die Schlacht von Tannenberg am 7. August 1934. Tausende von Soldaten der Reichswehr und eine Vielzahl von NSDAP-Formationen salutierten zu Ehren Hindenburgs und Hitlers.85 Die äußeren Umstände der Volksabstimmung waren noch stärker als im Vorjahr durch Massenveranstaltungen und -appelle,86 offenen Druck und Unterdrückung jeglicher Kritik geprägt. Politische Gegenstimmen, soweit es sie zu diesem Zeitpunkt noch gab, waren spätestens nach dem staatlich sanktionierten Morden wenige Wochen zuvor verstummt. Gleichzeitig konnte Hitler aufgrund seines „entschlossenen Handelns“ gegen die „Putschisten“ wieder von einer gestiegenen Popularität in der Bevölkerung profitieren.87 Der Abstimmungszettel, mit dem die Volksabstimmung am 19. August durchgeführt wurde, hatte folgende Gestalt:88 (siehe Abb. auf S. 224) Im Rahmen der Volksabstimmung kam es wie schon 1933 zu Verstößen gegen die Grundsätze von Abstimmungsfreiheit und Abstimmungsgeheimnis und zu Wahlfälschungen. Letztere traten diesmal in größerem Umfang auf, was mit einer nicht so großen Zustimmung in der Bevölkerung zum Gesetzentwurf zusammenhing.89 Es ist aber auch für diese Volksabstimmung mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass diese Maßnahmen das Abstimmungsergebnis nicht grundlegend verändert haben.90 Bei einer Teilnahme von offiziell 95,7 % der insgesamt 45 552 059 Stimmberechtigten haben laut amtlicher Statistik 38 394 848 AbstimVgl. RGBl. I, 1934, Nr. 91. Vgl. RGBl. I, 1934, Nr. 93. 85 Vgl. Rauscher, Hindenburg, S. 321 ff. Am 2. Oktober wurden dann die sterblichen Überreste des Reichspräsidenten auf dessen Gut Neudeck überführt und dort beigesetzt, was dem eigentlichen Willen des Verstorbenen entsprach. 86 Vgl. Bracher, Stufen, S. 353 – 354. Die deutschen Christen hielten Lobgottesdienste ab, ließen die Glocken läuten. Industrieverbände riefen öffentlich zur Abstimmung für Hitler auf. Nicht minder deutlich war der Aufruf des Reichsjustizkommissars Hans Frank (ders., Der Reichsjustizkommissar zum 19. August, in: Deutsche Justiz 96 [1934], S. 1063) an alle Juristen, in der Volksabstimmung 1934 für Hitler zu stimmen. 87 Vgl. Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 68; Ruck, Führerabsolutismus, S. 32 – 33. 88 Vgl. RGBl. I 1934, Nr. 93 (S. 758), sowie die Durchführungsverordnung, in: RGBl. I 1934, Nr. 97(S. 795 – 763). 89 Bracher, Stufen, S. 355 – 358. So ordnete Frick unter anderem in einem vertraulichen Schreiben die Landesregierungen an, im Ergebnis jede nicht eindeutige „Nein“-Stimme als „Ja“-Stimme zu werten. 90 Vgl. Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 66 – 67. 83 84

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mende und damit 89,9 % dem Gesetzentwurf zugestimmt.91 Obwohl es angesichts des eigenen totalitären Absolutheitsanspruch mehr Widerspruch offenbart hatte, als von den Nationalsozialisten erwartet,92 wurde das Ergebnis offiziell als Triumph gefeiert. Dass mit der Übernahme des Reichspräsidentenamtes ein letzter wichtiger Schritt zur völligen nationalsozialistischen Kontrolle über den Staat vollzogen worden war, wird deutlich an einer Proklamation Hitlers zur Volksabstimmung an das Volk vom 20. August 1934: „Ein fünfzehnjähriger Kampf unserer Bewegung um die Macht in Deutschland hat mit dem gestrigen Tage seinen Abschluß gefunden. Angefangen von der obersten Spitze des Reiches über die gesamte Verwaltung bis zur Führung des letzten Ortes befindet sich das Deutsche Reich heute in der Hand der Nationalsozialistischen Partei. Dies ist der Lohn für eine unermeßliche Arbeit, für zahllose Opfer. Ich danke allen denen, die gestern durch ihre Stimme mit beigetragen haben, die Einheit von Staat und Bewegung vor der ganzen Welt zu dokumentieren. [ . . . ] Der Kampf für die Staatsgewalt ist mit dem heutigen Tage beendet. Der Kampf um unser teures Volk aber nimmt seinen Fortgang. Das Ziel steht unverrückbar fest: es muß und wird der Tag kommen, an dem auch der letzte Deutsche das Symbol des Reiches als Bekenntnis in seinem Herzen trägt.“93

3. Die Volksabstimmung über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ am 10. April 1938 Wie viele andere deutsche Politiker nach 1918 hatte Hitler den Wunsch, Österreich in das Deutsche Reich einzugliedern.94 Entgegen kam ihm hierbei eine einem 91 Vgl. Zahlen bei: Arnold Köttgen, Vom Deutschen Staatsleben (Vom 1. Januar 1934 bis zum 30. September 1937, in: JöR 24 (1937), S. 1 – 165, 78 – 9; Bracher, Stufen, S. 359 – 366. 92 Vgl. Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 74 – 82. Jung sieht darin den Grund, dass es bis auf die Volksabstimmung 1938 keine weiteren Volksabstimmungen gab. Richtig ist, dass es weder bei späteren zentralen Gesetzen wie der Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. 3. 1935 noch bei den Nürnberger Gesetzen im September 1935 eine Volksabstimmung gab. Hier nutzte Hitler den uniformen Reichstag als Legitimationsquelle. Dasselbe geschah später bei der Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes. Beim Bruch des Locarnovertrages, als Hitler am 7. 3. 1936 Truppen in die entmilitarisiert Zone des Rheinlandes einmarschieren ließ, wählte Hitler das Instrument einer Einheitsreichstagswahl, in der jeder, der nicht mit „Ja“ stimmte automatisch ungültig stimmte. 93 Abgedruckt in: Köttgen, Vom Deutschen Staatsleben, S. 79. 94 Gerhard L. Weinberg, Die Deutsche Außenpolitik und Österreich 1937 / 8, in: Gerald Stowzh / Birgitta Zaar (Hrsg.), Österreich, Deutschland und die Mächte, Internationale und Österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938, Wien 1990, S. 61 – 74, 61. Hitler führte hierbei eigentlich nur bestehende Ziele der deutschen Außenpolitik fort, die bereits seit dem Ende der Habsburger Monarchie 1918 existierten und zum Beispiel Ausdruck in den Bemühungen um eine auch von Österreich gewünschte Zollunion 1931 gefunden hatten.

15 Schwieger

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Anschluss gegenüber durchaus positive Stimmung in Teilen der Bevölkerung seines Heimatlandes.95 Um sein Ziel zu erreichen, nahm er nicht nur indirekt Einfluss durch vor allem die österreichische NSDAP unter ihrem Führer Arthur SeyßInquart, er übte nach 1934 zunehmend auch direkten Druck auf die Regierung des Nachbarlandes aus. Es gelang Hitler im Februar 1938 auf dem Obersalzberg, dem österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg den Abschluss des „Berchtesgadener Abkommen“ aufzuzwingen, in dem sich die österreichische Regierung bereit erklärte, inhaftierte Nationalsozialisten zu amnestieren, die österreichische NSDAP an der Regierung zu beteiligen, und insgesamt enger mit dem Deutschen Reich zusammenzuarbeiten. 96 Schuschnigg gab damit die Hoffnung auf den Erhalt der österreichische Unabhängigkeit aber noch nicht auf. Um einem Anschluss auf Raten entgegenzutreten und sich politisch Bewegungsfreiheit zu verschaffen, entschloss er sich, eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs durchzuführen. Das österreichische Volk sollte die Möglichkeit erhalten, sich für ein „freies und deutsches“, „soziales“, „christliches und einiges“, aber eben auch „unabhängiges“ Österreich als „Volk und Vaterland“ zu bekennen.97 Die deutsche Reichsregierung war angesichts dieses aus der Not geborenen politischen Schachzugs aufs äußerste verärgert. Sie sah durch den geschickten Appell an das österreichische Selbstwertgefühl sowie die nur viertägige Frist zwischen Ankündigung am 9. März 1938 und Abstimmungstag am 13. März 1938, in denen eine effektive Propaganda kaum noch organisierbar war, ihre eigenen politischen Ziele gefährdet. Nachdem noch am Tage der Ankündigung der Versuch Hitlers, wenigstens eine Änderung des Wortlautes zu erreichen, gescheitert war, stellte er der Regierung Schuschnigg durch Seyß-Inquart am 10. März ein Ultimatum: Sollte die Volksabstimmung nicht abgesagt werden, würde das Deutsche Reich militärisch intervenieren. Die österreichische Regierung gab nach, was jedoch nur dazu führte, dass die deutsche Seite nun den Rücktritt der Regierung Schuschnigg und die Einsetzung einer nunmehr nationalsozialistisch geführten Regierung forderte.98 Als sich 95 Österreich befand sich seit dem Untergang der Doppelmonarchie und dem Verlust der territorialen wie politischen europäischen Großmachtstellung in einem andauernden Krisenzustand, der sich ab 1932 noch verschärfte. Seit 1933 war die parlamentarische Verfassung aufgehoben, das Land wurde bis zu seiner Ermordung 1934 von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und danach von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (Bundespräsident Wilhelm Miklas) auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 regiert. Obwohl seit 1934 nach wohl auch von Hitler geförderten Straßenkämpfen (Nationalsozialistischer Putschversuch) in Wien und anderen Städten alle Parteien verboten worden waren, gelang es dem nationalkonservativen Regime nicht, seine Macht zu festigen und die innenpolitische Lage zu stabilisieren bzw. zu beruhigen. 96 Auf dieser Grundlage konnte Seyß-Inquart noch im Februar 1938 als Innenminister und Hitlers Hör- und Sprachrohr in die Regierung Österreichs eintreten. 97 Vgl. Gesamtdarstellung bei: Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich, Der Anschluß, Wien 1979, S: 552 – 558; Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 109 – 113 unter Verweis auf: „Anschluß“ 1938, Eine Dokumentation, hrsg. vom Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes, Wien 1988 , S. 264 f. 98 Ebd.

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der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas weigerte, Seyß-Inquart zum österreichischen Bundeskanzler zu ernennen, marschierte Hitler aufgrund eines vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring fingierten Hilferufs SeyßInquarts am 12. März 1938 in Österreich ein.99 Der Einmarsch geriet zu einem Triumph, da ein erheblicher Teil der österreichischen Bevölkerung zunächst die Soldaten Hitlers und dann auch Hitler persönlich auf seiner Fahrt von Braunau nach Linz mit Jubel empfing. Anfängliche Pläne, Österreich nur in einen „Schutzverband des Deutschen Reiches“ aufzunehmen, wurden daraufhin verworfen und der unmittelbare Anschluss Österreichs als ein weiteres Land des Deutschen Reiches beschlossen. Dieser erfolgte nur einen Tag später, am 13. März 1938; in Österreich durch ein vom Ministerrat unter nunmehr Seyß-Inquart beschlossenes österreichisches „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“100 und in Deutschland durch ein von Hitler allein beschlossenes und ausgefertigtes Reichsgesetz mit identischem Inhalt.101 Der Anschluss war damit faktisch wie verfassungsrechtlich definitiv vollzogen, wenn auch das österreichische Bundesgesetz eine spätere Volksabstimmung in Österreich über den Anschluss für den 10. April 1938 vorsah. Eine solche Volksabstimmung hatte Hitler in einer durch seinen Minister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels am Tage des Einmarsches im Rundfunk verlesenen Proklamation angekündigt, in der dieser gleichzeitig die gescheiterte Volksabstimmung Schuschniggs als fehlerhaft darstellte. Nun wurde eine „wirkliche Volksabstimmung“ versprochen, in der das österreichische Volk über seine Zukunft und sein Schicksal selber entscheiden könne.102 In den Tagen nach dem Einmarsch beschloss die Deutsche Reichsregierung, in Deutschland und Österreich neben der Volksabstimmung auch eine Wahl für einen großdeutschen Reichstag nach Einheitslisten abzuhalten.103 Wie schon 1933 und 1934 setzte eine großangelegte Propaganda im Deutschen Reich und nun auch in Österreich ein. Die Unterdrückung jeglicher Kritik, die Ausgrenzung „unzuverlässiger“ Bevölkerungsgruppen (bspw. Juden) durch den Entzug des Wahlrechts, die Darstellung der Teilnahme als nationale Pflicht des Einzelnen in der „Volksgemeinschaft“, all dies erreichte einen neuen Höhepunkt.104 99 Zwar hatte der österreichische Bundespräsident in der vorangehenden Nacht doch noch nachgegeben. Der nun ernannte Bundeskanzler Seyß-Inquart konnte einen von ihm selbst nicht gewünschten Einmarsch aber nicht mehr verhindern. 100 Bundesverfassungsgesetz Nr. 75 / 1938, abgedruckt in: Dokumente der Deutschen Politik, Reihe: Das Reich Adolf Hitlers, Bd. 6 / 1 (Großdeutschland 1938) bearbeitet von Hans Volz (4. Aufl.), Berlin 1942, S. 147 f. 101 RGBl. I, 1938, Nr. 21. 102 Wiedergegeben in: Dokumente der Deutschen Politik, Bd. 6 / 1 S. 140 – 143. 103 Vgl. „Verordnung des Führers und Reichskanzlers über eine Volksabstimmung sowie über die Auflösung und Neuwahl des Reichstages“ vom 18. 3. 1928, in: RGBl. I 1938, Nr. 28 (vgl. auch Entwurf, in: BArch R 18 / 15350, Bl. 133, 135); Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 113. Die Reichstagswahl wie auch die Volksabstimmung erfolgten in Österreich nach österreichischen Recht.

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Die Entscheidung für die Einheitsliste der Reichstagswahl und die Frage nach der Zustimmung im Rahmen der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs wurden diesmal, anders als 1933, auf einem Zettel zusammengefasst. Dem einzelnen Wähler wurde damit die Möglichkeit genommen, sich beispielsweise für den Anschluss Österreichs aber gegen die „Liste unseres Führers Adolf Hitler“ auszusprechen. Der Stimmzettel zur Volksabstimmung und zur Reichstagswahl hatte folgende Gestalt:105

Trotz zahlreicher Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung, dem häufigen Bruch des Abstimmungsgeheimnisses wie der Wahlfreiheit bis hin zu Wahlfälschungen stimmten mit Sicherheit 1938 die große Mehrheit der Deutschen wie Österreicher für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und damit, ob dies nun immer gewollt war oder nicht, gleichzeitig für die Einheitsliste Adolf Hitlers.106 Den offiziellen Zahlen nach sprachen sich bei einer Beteiligung von 44 964 005 Stimmberechtigten (99,56 % Wahlbeteiligung) 44 451 092 Wähler und damit mehr als 99 % für den Anschluss aus. Nur 443 023 Menschen und damit

Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 118 – 119. Vgl. Stimmzettel zur Volksabstimmung und zur Reichstagswahl am 10. 4. 1938, in: RGBl. I 1938, Nr. 37. Einen anderen Stimmzettel erhielten nur die österreichischen Soldaten, die nach österreichischem Recht nur an der Volksabstimmung teilnehmen durften. 106 Vgl. Thamer, Verführung und Gewalt, S. 577 – 578. 104 105

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0,99 % der Abstimmenden stimmten mit Nein. 0,16 % der Stimmen waren ungültig. In Österreich betrug die Wahlbeteiligung offiziell 99,71 %, von denen 99,73 % mit „Ja“, 0,27 % mit „Nein“ und 0,13 % ungültig stimmten.107

107

Vgl. Zahlen bei: Jung, Plebiszit und Dikatur, S. 120.

Kapitel IV

Die Volksabstimmung im Führerstaat – Der wissenschaftliche Umgang mit dem Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 durch die Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich Wie schon in der Weimarer Republik war es auch im Dritten Reich die Staatsrechtswissenschaft, die sich wissenschaftlich mit dem Volksabstimmungsgesetz und den drei Abstimmungen 1933, 1934 und 1938 auseinander setzte. Das Volksabstimmungsgesetz stellte zumindest anfangs offiziell die Fortführung bzw. Erweiterung direkter Gesetzgebungsformen der Weimarer Reichsverfassung durch das Volk dar und war außerdem dem Wortlaut nach bei Zugrundelegung einer modernen Auslegung nicht undemokratisch. Wie bereits zu Beginn des vorangehenden Kapitels hervorgehoben, steht die wissenschaftliche Entwicklung des Dritten Reiches also forschungsgeschichtlich grundsätzlich in einer Kontinuität zur Zeit vor 1933. Dem widerspricht auch die berechtigte Frage nicht, was die nationalsozialistische Volksabstimmungspraxis noch mit einer demokratischen Volksgesetzgebung gemeinsam hatte. Nichts daran ändert auch die noch darzustellende nach 1933 einsetzende wissenschaftliche Entwicklung, die zu einer völligen Abgrenzung der Volksabstimmung von der Weimarer Volksgesetzgebung führte. Trotz dieser grundsätzlichen forschungsgeschichtlichen Kontinuität muss gleichzeitig der Umbruch betont werden, den die Staatsrechtswissenschaft und damit die hier dargestellte wissenschaftliche Entwicklung mit der Machtergreifung Hitlers und dem Ende der ersten deutschen Demokratie erfuhr. Noch mehr als für die Weimarer Republik muss für die Zeit von 1933 bis 1945 der Einfluss des zeitgeschichtlichen Hintergrundes auf die Wissenschaft hervorgehoben werden. Wenn im Folgenden der wissenschaftliche Umgang mit einer durch das Volksabstimmungsgesetz etablierten „Gesetzgebung durch das Volk im völkischen Führerstaat“ dargestellt wird, bleibt stets zu bedenken, dass das Dritte Reich eine Diktatur und eben keine Demokratie war. Die nationalsozialistische Willkür wirkte sich nicht nur auf die normative Auslegung des Volksabstimmungsgesetzes durch die Regierung und die Durchführungspraxis der Volksabstimmungen aus. Auch die diesbezügliche Forschung unterlag den Regeln der Diktatur. Dies bedeutete eine eingeschränkte oder gar nicht gegebene Freiheit der Wissenschaft, insbesondere einen erheblichen Propagandadruck hin zu bestimmten Interpretationen und insgesamt einen instrumentalisierenden Missbrauch von Wissenschaft für politische Zwecke. Gerade die Staatsrechtswissenschaft, so weit es sie noch gab, wurde in erhebli-

Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

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chem Maße nationalsozialistisch ideologisiert und politisiert. Dies lag nicht nur an dem allgemeinen nationalsozialistischen Anspruch der „totalen“ Vereinnahmung bzw. Gleichschaltung von gesellschaftlichen Strukturen, sondern auch an der besonderen politischen Bedeutung der Thematik sowie der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Es war 1933 eigentlich nicht klar, worauf sich die Staatsrechtswissenschaft nach der „nationalen Revolution“ stützen sollte. Sollte die Weimarer Verfassung weiter gelten, die formal nicht abgeschafft war? Schließlich gab es im November 1933 erneut Reichstagswahlen und auch das Staatsoberhaupt Reichspräsident Hindenburg amtierte weiterhin. Oder gab es schon den von den Nationalsozialisten ausgerufenen, durch eine „Nationale Revolution“ geschaffenen autoritären „Führerstaat“ unter dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler? Dessen potentielle Grundkonstanten und konkreten Formen lagen 1933 noch für viele Staatsrechtswissenschaftler im Dunkeln.1 Aus dieser Unsicherheit heraus folgte eine erhebliche Diskrepanz zwischen juristischer Theorie und Verfassungswirklichkeit. Diese verschwand jedoch auch in den auf 1933 folgenden Jahren nur zu einem Teil, als sich der „völkische Führerstaat“, die „neue germanische Demokratie“ oder der „nationalsozialistische Volksstaat“ als oft unscharfes theoretisches Konstrukt herausgebildet und offiziell durchgesetzt hatte.2 Zu sehr selber ideologisiert und auch unfrei war die Staatsrechtswissenschaft, als dass sie in den Fällen, in denen die Verfassungswirklichkeit der Theorie nicht oder angesichts der staatlichen Dynamik nicht mehr entsprach, anerkannte staatsrechtliche Erklärungsmuster verlassen wollte oder konnte. Eine ungeschminkte Darstellung der tatsächlichen Verfassungswirklichkeit war zudem politisch auch gar nicht erwünscht.3 Der zu beobachtende Umbruch in der Staatsrechtswissenschaft beruhte aber nicht nur auf den Veränderungen in der Politik und dem gesamten Verfassungsgefüge ab Januar 1933. Die nationalsozialistische Machtübernahme und die ihr nachfolgenden Veränderungen in den Hochschulen brachten auch erhebliche personelle Veränderungen mit sich.4 Führende Staatsrechtler wurden entlassen und

1 Einige befassten sich noch mit autoritär-präsidialen Staatsmodellen auf der Grundlage der Weimarer Verfassung [vgl. Kap. II 4. b)], andere riefen schon den neuen germanischen Volksstaat aus. Vgl. exemplarisch den Appell der Herausgeber der Zeitschrift „Reich und Länder“ an die akademische Leserschaft noch im Februar 1933, sich nicht für Verfassungsbrüche auszusprechen, sowie: Julius Binder, Der Deutsche Volksstaat, Tübingen 1933. Dieser favorisierte ein ständisches Staatsmodell. 2 Karl Dietrich Erdmann, Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933 – 1945, in: Herbert Grundmann (Hrsg.), Gebhardt – Handbuch der Deutschen Geschichte (Bd. 4 Die Zeit der Weltkriege, 2. Teilband, 9. Aufl.), Stuttgart 1973, S. 384. Die Unschärfe der offiziell anerkannten Vorstellungen lag unter anderem an insgesamt wenig Interesse Adolf Hitlers selbst für Verfassungsfragen. 3 Exemplarisch für diese Entwicklung steht die gesamte folgende Untersuchung zum Volksabstimmungsgesetz. 4 Vgl. Bettina Limperg, Personelle Veränderungen in der Staatsrechtslehre und ihre neue Situation nach der Machtergreifung, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 44 – 70.

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verloren damit ihre Existenzgrundlage.5 Die Juden unter ihnen wurden zunehmend verfolgt.6 Andere zogen sich freiwillig aus der Wissenschaft oder zumindest der staatsrechtlichen Publizistik zurück.7 Eine neue Riege führender Staatsrechtler bildete sich aus jungen, unbekannten, teilweise aber auch bekannten Gesichtern, unter ihnen Ernst Rudolf Huber, Otto Koellreutter, Theodor Maunz, Ulrich Scheuner, Werner Weber, Ernst Forsthoff, Reinhard Höhn, Edgar Tatarin-Tarnheyden, Paul Ritterbusch, Gustav Adolf Walz, Johannes Heckel und natürlich Carl Schmitt. Sie stellten sich, manche nur vorübergehend, andere bis in den Untergang 1945, in den Dienst der „völkischen Ideologie“ und versuchten, dem Nationalsozialismus ein staatsrechtliches Gesicht zu geben.8 Ergebnis dieses vielschichtigen Umbruchs war der Versuch einer neuen „nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft“ in Deutschland.9 Die oben aufgeführten und andere weniger bekannte Staatsrechtler und Juristen entwarfen nationalsozialistische Staatsmodelle und „Verfassungen“ im weiteren Sinne oder beschäftigten sich zumindest mit Teilaspekten nationalsozialistischer Staatsrechtsideen.10 Die neue Staatsrechtswissenschaft beschränkte sich hierbei nicht darauf, in bekannten rechtlichen Kategorien neue Wege der politischen Willensbildung zu entwickeln und das Herrschaftssystem nach der Machtergreifung in seinen neuen Strukturen darzustellen. Ganz im Sinne der totalitären nationalsozialistischen Ideologie wurden auch die staatsrechtlichen Grundlagen und Terminologien neu definiert. Es kam zu einer allerdings nicht einheitlichen Neueinführung oder zumindest 5 Vgl. Stefan Höpel, Die ,Säuberung‘ der deutschen Rechtswissenschaft – Ausmaß und Dimension der Vertreibung nach 1933, in: Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, Baden-Baden 1998, S. 13 – 45; Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 399 ff. 6 Allein in der Berliner Universität schieden bis 1935 insgesamt 234 jüdische oder „jüdisch versippte“ Professoren aus. Unter ihnen die Juristen Martin Wolff, Ernst Rabel, Arthur Nußbaum, Julius Flechtheim. Vgl. Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 194 – 1945, S. 257; Höpel, ,Säuberung‘ der deutschen Rechtswissenschaft, S. 43. 7 So räumten bspw. Gerhard Anschütz (bis 1933 in Heidelberg), Heinrich Triepel (bis 1934 / 1935 in Berlin) und Walter Jellinek (bis 1935 in Heidelberg) mehr oder weniger freiwillig ihre Lehrstühle. 8 Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, S. 246 ff. 9 Vgl. zum Wandel des Staatsrechts allgemein: H.G. Bölling, Grundfragen der Staatslehre und des Staatsrechts. Ein literaturkritischer Querschnitt, in: Reich und Länder, Bd. 10 (1936), S. 14 – 23; Reinhard Höhn, Die Wandlung des staatsrechtlichen Denkens, Stuttgart 1935. Michael Stolleis (Vgl. ders., Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, S. 255) vertritt die Auffassung, dass „eine allgemeine Staatslehre, Verfassungslehre oder Staatstheorie, die diesen Namen verdiente“, nicht entstanden sei, was angesichts der gegebenen Publizistik jedoch zu weitgehend ist. 10 Einflußreiche Gesamtdarstellungen waren insbesondere: Otto Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht (1. Aufl.), Berlin 1935; Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939.

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Neudefinition von Begriffen wie „Volk“11, „Volksstaat“12, „Volksgemeinschaft“13 und „Führerstaat“14 wie auch einem neuen „germanischen“ Demokratie- und Volkswillensbegriff15. Bisher in der Rechtswissenschaft ungebräuchliche Terminologien wie „rassische Gleichartigkeit“16, „völkisches Einheitsbewusstsein“,17 „Blut, Boden, Gemeinschaft, Sittlichkeit und geistige Gemeinschaft“18 wurden auf einmal in staatsrechtliche Erwägungen mit einbezogen oder erhielten zumindest ein vorher nicht existierendes rechtliches Gewicht. Über all diesem stand der Wunsch nach einer „völkischen Durchdringung“ und Neuformulierung des Rechts als solchen.19 Die oftmals nicht einheitliche Definition der Begriffe führte in der ohnehin uneinheitlichen staatsrechtswissenschaftlichen Literatur zu weiteren Unklarheiten.20 11 Ulrich Scheuner, Die nationale Revolution. Eine staatsrechtliche Untersuchung, (Teil I: Zur Staatsrechtlichen Bedeutung der nationalen Revolution, Teil II: Der Verlauf der Revolution und die Grundlagen der neuen Staatsordnung), AöR n.F. 24 (1934), S. 166 – 220, 261 – 344, 265: „Wenn wir hier kurz einen Blick auf jene Linien werfen, in denen wir die Ansätze zu den Gedanken des heutigen neuen Staatsdenkens zuerst sich herausbilden sehen, so ist an erster Stelle der Erkenntnis der Bedeutung der Rasse und des Volkstums für die Staats- und Rechtsentwicklung zu gedenken.“ 12 Wilhelm Stuckart / Harry von Hoewel / Rolf Schiedermair, Der Staatsaufbau des Deutschen Reiches in systematischer Darstellung, Leipzig 1943, S. 16. 13 Ebd., S. 20, 22 – 34; Huber, Verfassungsrecht, S. 157 ff. 14 Ebd., S. 150 ff., 194 ff.; Otto Koellreutter, Der Deutsche Führerstaat, Tübingen 1934; H.G. Rahn, Staatsrecht und Verwaltungsaufbau, Berlin 1943, S. 41 ff., 45 ff., 74 ff. 15 Vgl. bspw. Endriss, unmittelbare Demokratie, S. 4 – 6, 7 ff., 26 ff.; Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau des Deutschen Reiches, S. 72 ff.; Erwin Noack / Gustav Adolf Walz, Deutsche Demokratie, Berlin 1938, S. 19, 38. Für Stuckart und Walz, beides Berliner Professoren, waren das Blut, der Boden, die Sippe und Familie die entscheidenden Elemente des richtigen Volksbegriffs. 16 Vgl. Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau des Deutschen Reiches, S. 22 – 27; Noack / Walz, Deutsche Demokratie, S. 20. 17 Vgl. allgemein: Edgar Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht, Gedanken zu einem organischen und deutschen Verfassungsneubau, Berlin 1934. 18 Noack / Walz, Deutsche Demokratie, S. 20. Insbesondere für Noack waren die zentralen Elemente einer wahren Demokratie die „rassische Gleichartigkeit eines Volkes und das Einheitsbewusstsein der Kulturnation in ihrer gestaltungsfähigen Kraft“. 19 Markantes Beispiel hierfür ist die Berliner Habilitation Herbert Lemmels „Die Volksgemeinschaft – ihre Erfassung im werdenden Recht“, in der dieser versuchte, in einer grundsätzlichen, die Rechtsgebiete übergreifenden Art und Weise „die Erkenntnisse der Rassen-, Erb- und Volksforschung in eine Beziehung zum Recht zu bringen“. Vgl. ders., Die Volksgemeinschaft – ihre Erfassung im werdenden Recht, Stuttgart / Berlin 1941, Vorwort. Vgl. auch: Bernd Rüthers, Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988, S. 19 – 98. 20 Vgl. Roland Freisler, Aus Anarchie zu verantwortlicher Führung, in: Deutsche Justiz 96 (1934), S. 1070 – 1073. Freisler, Preußischer Staatsrat, Staatssekretär im Preußischen Justizministerium und späterer Richter am Volksgerichtshof wandte sich sogar gegen jeglichen Versuch, die neue nationalsozialistische Verfassung in Begriffe oder rechtliche Normen zu fassen. Vgl. ebd., S. 1070: „Denn das Reich, das der Führer baut, lässt sich nicht in Begriffe

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Von Inhalt und Ergebnis her war der Diskurs der neuen deutschen Staatsrechtswissenschaft von einer gewissen Gleichförmigkeit geprägt, was zum einen mit nationalsozialistischen „Einigkeits“- und „Einheitsbestrebungen“ zu tun hatte, vor allem aber mit der Hauptaufgabe der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft zusammen hing: Sie hatte vor allem das Ziel, dem nationalsozialistischen Staat in strikter Abgrenzung zum verhassten Weimarer System ein staatsrechtliches Fundament zu geben und ihn damit politisch zu stützen.21 Konkret bestand ihre Aufgabe angesichts der fehlenden geschriebenen Gesamtverfassung und der Dynamik des Führerstaates darin, staatliches Handeln zu beschreiben und staatsrechtlich zu begründen bzw. rechtlich so weit wie möglich in Einklang mit den wenigen geschriebenen und mehr ideologischen Legitimationsgrundlagen des neuen „Volksstaates“ zu bringen. Die Mehrheit der staatsrechtswissenschaftlichen Autoren kann deshalb nach heutigen Maßstäben nur bedingt als eigenständig wissenschaftlich Handelnde bezeichnet werden. Michael Stolleis hat dies mit folgenden Worten ausgedrückt: „Insofern war die Staatsrechtslehre von vorneherein auf eine allenfalls dienende, kommentierende und gelegentlich präzisierende Rolle reduziert, wenn sie nicht gänzlich entbehrlich erschien. [ . . . ]. Im übrigen starrte die Staatsrechtswissenschaft, nicht anders als das Volk insgesamt, auf Hitler und dessen Absichten. Selbständiges Nachdenken, Erörterung von Reformvorschlägen in freier Diskussion und ein Dialog zwischen Wissenschaft und Reichsregierung hatten ihr Feld verloren.“22 ein, und Begriffen unterordnen. Es ist wesenhaft und damit einmalig, genau so, wie das deutsche Volk selbst.“ 21 Wer dieser Aufgabe nicht im Sinne der Machthaber nachkam, wie bspw. der im Folgenden noch mehrmals zitierte „Nationalsozialist der ersten Stunde“ Helmut Nicolai, verschwand sehr bald aus der Publizistik. 1931 nach mehreren Disziplinarverfahren aus dem Staatsdienst entfernt, veröffentlichte er zunächst für die Reichsleitung der NSDAP verfassungsrechtliche Schriften. Nach der Machtergreifung wurde er mit dem Amt des Magdeburger Regierungspräsidenten „belohnt“ und begründete mit anderen zusammen die Schriftenreihe „Neugestaltung von Recht und Wirtschaft“. Bereits zwei Jahre später war sein Name hier jedoch schon wieder getilgt, weil er den Gedanken an eine echte neue geschriebene Verfassung nicht fallen lassen wollte. Vgl. Helmut Ridder, Zur Verfassungsdoktrin des NS-Staates, in: Der Unrechts-Staat, Recht und Justiz im Nationalsozialismus, hg. von der Redaktion Kritische Justiz, Bd. 1, Frankfurt 1979, S. 24 – 46, 41 – 42. Ein anderes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der wohl nur teilweise selbst gewollte Rückzug Carl Schmitts von der nationalsozialistischen Bühne in den späten 30er Jahren. 22 Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, S. 319. Ein entscheidender Faktor für dieses Verhalten war die zunehmende Aufhebung des Rechtstaates, der politisches wie rechtliches Verhalten nicht mehr berechenbar und damit diskutierbar machte. Er wurde bei nur schwacher Gegenwehr aus Justiz und Reichsjustizministerium nicht nur in der Exekutive, sondern als notwendiges Spiegelbild auch nach und nach in der Justiz beseitigt. Die Nationalsozialisten begannen diesen Prozess zunächst mit der Schaffung von Parallelgerichten wie dem Volksgerichtshof und anderen Sondergerichten, die ihren Befehlen gehorchten. Ab dem 30. 1. 1934 wurde die Justiz dann „verreichlicht“, d. h. unmittelbar dem Reichsjustizministerium unterstellt. Es folgten direkte Eingriffe aus dem Reichsjustizministerium durch sogenannte Richterbriefe, bevor Hitler sich am 26. 4. 1942 selber zum obersten Gerichtsherrn erklärte. Nur vereinzelt haben Rich-

Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

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Der Staatsrechtslehre kamen zudem politische Erziehungsaufgaben zu, die beispielsweise der einflussreiche nationalsozialistische Münchner Staatsrechtler Otto Koellreutter auf Vorträgen deutlich hervorhob. So forderte er in München am 30. November 1933 vor den anwesenden Münchner Mitgliedern der Deutschen Akademie: „Was wir brauchen, das ist allein der politische, nationalsozialistische Mensch. Ihn im Geiste des Führers zu erziehen und damit Bausteine zum Fundament des deutschen Führerstaates beizutragen, scheint mir heute die wichtigste Aufgabe aller deutschen Hochschullehrer im Rahmen ihrer Arbeit zu sein.“23

In Jena hatte er bereits einige Monate zuvor unter Verweis auf den seiner Auffassung nach im Vergleich zu 1918 sehr viel revolutionäreren Charakter der Machtübernahme 1933 festgestellt: „Aus dieser Tatsache erklärt es sich auch, daß die deutsche Revolution des März 1933 die deutschen Hochschulen in ihrer Rolle als Hüter der deutschen Wissenschaft viel durchgreifender berührt als der Novemberumsturz des Jahres 1918. Damals waren die Hochschulen mehr Zuschauer eines politischen Geschehens, das ihre bisherige liberale Substanz nicht weiter berührte. Die nationale Revolution des März 1933 greift aber mit dem durch sie herbeigeführten Wandel der Staatsidee in die geistige Substanz des deutschen Hochschulwesens ein, und nötigt sie zu einer inneren Ein- und Umstellung.“24

Trotz der dargestellten vorrangig politischen Aufgabe der nationalsozialistischen Staatrechtslehre und -wissenschaft, trotz der Pflicht zur Einheit und Einigkeit und trotz der dargestellten Probleme freien wissenschaftlichen Arbeitens, gab es in der Forschung rechtsdogmatische Diskurse. Vor allem in der Anfangszeit des Dritten Reiches wurde zu einzelnen Anwendungsfragen des neuen Volksabstimmungsgesetz ausführlich und auch kontrovers Stellung genommen – letzteres zumindest so lange, bis sich eine herrschende bzw. besser „offiziell“ zu nennende Meinung im Sinne des Nationalsozialismus herausgebildet hatte. Diese Fragen des Verhältnisses von Art. 73 – 76 WRV zum Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 und zur richtigen Auslegung und Anwendung der §§ 1 und 3 VAbstG werden in Abschnitt A diesen Kapitels dargestellt. Gegenstand des Abschnitts B dieses Kapitels ist sodann der übergeordnete rechtspolitische Umgang mit dem Volksabstimmungsgesetz. Untersucht wird hier vor allem, wie und warum die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft schon bald nach 1933 damit begann, das Volksabstimmungsgesetz durch eine historische Neubewertung von der Weimarer Volksgesetzgebung abzugrenzen, welche rechtspolitische Funktion der Volksabstimter den Konflikt mit dem Regime gewagt und auf ihrer richterlichen Unabhängigkeit bestanden. 23 Thema des Vortrages war das „Neue Deutsche Weltbild“. Er ist erschienen als: Otto Koellreutter, Der Deutsche Führerstaat, a. a. O. Vgl. dort S. 26. Vgl. auch Hans Frank, Zur Reform des Rechtsstudiums, in: Deutsches Recht 3 (1933), S. 23 – 4. 24 Vortrag Koellreuters vom 17. Mai 1933 im Euckenhaus in Jena, erschienen als: Otto Koellreutter, Vom Sinn und Wesen der Nationalen Revolution, Tübingen 1933, S. 10.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

mung in einem „plebiszitär-völkischen“ Führerstaat eingeräumt wurde, und wie die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft die praktischen Erfahrungen mit dem Volksabstimmungsgesetz im Dritten Reich, aber auch rückblickend mit der Weimarer Volksgesetzgebung einschätzte. Letzteres ist in Fortführung der Bewertungen in der Weimarer Republik selbst der Anknüpfungspunkt für die historiographische Aufarbeitung der „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksentscheid und Volksbegehren nach 1945. Die Anzahl der wissenschaftlichen Beiträge, die sich mit der Volksabstimmung nach dem Volksabstimmungsgesetz beschäftigten, ist aufgrund der dargestellten veränderten Vorzeichen im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit über die Volksgesetzgebung nach den Art 73 – 76 WRV relativ überschaubar. Lediglich drei Dissertationen befassten sich in der Zeit des Dritten Reiches konkret mit der Volksabstimmung auf der Grundlage des Volksabstimmungsgesetzes vom 14. Juli 1933. Dies sind die Würzburger Arbeit „Wahl und Volksabstimmung im Führerstaat“ von Gustav Uhde von 1936, die Kölner Dissertation „Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung“ von Wolfgang Endriss von 1935 und „Die Volksabstimmung im heutigen deutschen Staatsrecht“ von Herbert Schenzer, die 1936 in Göttingen erschien.25 Auch staatsrechtswissenschaftlich übergreifende Aufsätze zur Volksabstimmung sind nur vereinzelt erschienen. Beiträge zu einzelnen juristischen Problemstellungen des Volksabstimmungsgesetzes sucht man praktisch vergebens. Hauptquelle der folgenden Untersuchung waren daher neben den genannten Doktorarbeiten vor allem übergreifende Darstellungen zum Staatsrecht des Dritten Reiches sowie allgemein gehaltene juristisch-politische Schriften zur Staatsstruktur des neuen Deutschland oder auch zum Verhältnis von Führer und Volk aus der Feder von Staatsrechtlern.

A. Das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 im juristisch-dogmatischen Diskurs Die rechtsdogmatischen Probleme und Debatten zum Volksabstimmungsgesetz des Dritten Reiches lassen sich nicht in derselben Struktur darstellen, wie es in Kapitel II in Bezug auf die einzelnen Initiativformen der Weimarer Volksgesetzgebung möglich war. Eine differenzierte Unterteilung der dogmatischen Fragestellungen und der ihnen zugrundeliegenden Normen in „systematische Einordnung“, „Herkunft und Rechtsnatur“ wurde weder durch die zeitgenössische Staatsrechtswissenschaft geleistet, noch ist sie nachträglich möglich. Dies liegt nicht nur an den allgemeinen Veränderungen in der deutschen Staatsrechtswissenschaft. Angesichts der kurzfristigen, ohne weitgehende gesetzgeberische Beratungen abgelaufe25 Uhde, Volksabstimmung, a. a. O.; Endriss, unmittelbare Demokratie, a. a. O.; Schenzer, Volksabstimmung, a. a. O.

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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nen Entstehung des Volksabstimmungsgesetzes, existierten hier für zeitgenössische Untersuchungen bis auf die in Kap. III dargestellte offizielle Gesetzesbegründung auch kaum gesetzliche Grundlagen. Das Volksabstimmungsgesetz selbst half eben so wenig weiter. Es war kurz und knapp formuliert und bot nur wenige Anknüpfungspunkte verfahrensrechtlicher Herleitungen oder Bezüge. Die Ausführungsbestimmungen, die aus Verweisungen auf das Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 und aus Neuregelungen bestanden, wurden, wie dargestellt für jede Volksabstimmung vom Reichsminister des Inneren gesondert festgelegt. Auch hier gab es also keine beständige Grundlage wissenschaftlicher Argumentation. Die ersten drei der folgenden Unterabschnitte gehen daher den Weg, die rechtsdogmatischen Fragestellungen und die dazu vertretenen Lösungen ohne weitere Untergliederungen darzustellen. Voran geht ihnen jeweils, soweit zum besseren Verständnis nötig und möglich, eine genauere verfahrensrechtliche Einordnung der Problemstellung. Der letzte Unterabschnitt schließlich ist aufgrund der besonderen Situation, in der sich die damalige Staatsrechtswissenschaft befand, einer zusätzlichen, allgemeinen Betrachtung gewidmet.

1. Die Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV angesichts des neuen „Gesetzes über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933“ Von grundsätzlicher Bedeutung für die Anwendung des nationalsozialistischen Volksabstimmungsgesetzes war insbesondere im frühen Dritten Reich die Frage seines Geltungsverhältnisses zu den Art. 73 – 76 WRV. Dieses rechtsdogmatische Problem war eng mit der Frage nach dem Schicksal der gesamten Weimarer Reichsverfassung und den verfassungsrechtlichen Folgen der von nationalsozialistischer Seite ausgerufenen „nationalen Revolution“ verknüpft. Die übergeordnet für die Weimarer Reichsverfassung vertretenen Auffassungen beschrieb Ernst Rudolf Huber hierbei folgendermaßen: „Aus der ,Legalität‘ der nationalsozialistischen Revolution ist häufig geschlossen worden, die Weimarer Verfassung habe trotz der Revolution ihre Geltung bewahrt, soweit sie nicht ausdrücklich in dem von ihr vorgesehenen Verfahren des Art. 76 beseitigt worden sei.26 Man hat zum Beispiel unter Berufung auf die ,Legalität‘ der nationalsozialistischen Revolution den Charakter einer Revolution im Rechtssinne abgesprochen und sie lediglich als ,stimmungsmäßige Revolution‘ anerkannt; es gebe kein revolutionäres Recht, sondern nur die feste Rechtsgrundlage der Weimarer Verfassung. Von andere Seite hat man betont, daß die Weimarer Verfassung formal noch gelte, obwohl der ,nationalsozialistische Rechtsgeist über den Ungeist von Weimar triumphiert‘ habe; das nationalsozialistische Recht stehe auf der Grundlage der Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung. Eine mittlere Lösung hat man in dem Begriff der ,Verfassungsüberlagerung‘ zu finden versucht. Damit ist gemeint, daß gleichzeitig zwei völlig verschiedene Verfassungsschichten nebeneinander in Geltung

26 Art. 76 WRV regelte die Möglichkeiten der Verfassungsänderung und vor allem die hierzu nötigen Zustimmungsquoren im Reichstag oder im Volksentscheid.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

stehen wobei die neue nationalsozialistische Verfassung die alte Weimarer Verfassung immer stärker überdecke und ausschalte.“27

Huber selbst vertrat die Auffassung, dass die Weimarer Verfassung grundsätzlich aufgehört habe zu gelten und nur einzelne Teile in die neue Zeit übernommen worden seien. Bezogen auf das Schicksal der Weimarer Volksgesetzgebung ergaben sich aus diesen Deutungen der allgemeinen Verfassungsentwicklung ganz unterschiedliche Folgen: Die Vertreter der Auffassung, dass die ganze Weimarer Verfassung formal weiterhin gültig sei, kamen in der Regel auch zu einer Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV.28 Einer dieser Autoren, der insgesamt die Auffassung vertrat, eine formale Weitergeltung der Weimarer Verfassung sei deshalb von Hitler gewollt worden, um legal an die Macht zu kommen, war der Magdeburger Regierungspräsident und ansonsten überzeugte Nationalsozialist Helmut Nicolai.29 Um diese Legalität auch für die Zukunft zu gewährleisten, sei die Verfassung für die Zukunft allerdings nicht mehr in der alten, engen, „liberalistischen“ Art und Weise auszulegen, sondern „weit zu interpretieren“.30 Von den Autoren, die die sehr bald „offizielle(n)“ Meinung(en) vertraten, dass es zu einer Verfassungsüberlagerung oder auch dem Untergang der Weimarer Reichsverfassung bei gleichzeitiger Übernahme einzelner Teile gekommen sei, entschied sich nur Carl Schmitt zumindest 1933 noch für eine Weitergeltung der Weimarer Volksgesetzgebung. Er vertrat ohne weitere Begründung in seiner Schrift „Staat, Bewegung, Volk“ die Auffassung, dass insbesondere Art. 73 WRV konkludent oder ausdrücklich in das neue Verfassungsrecht übernommen worden sei.31 Die übrigen Vertreter der herrschenden Meinung gingen insbesondere nach 27 Huber, Verfassungsrecht, S. 46 – 49. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: ders., Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935. 28 Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 32. Vgl. auch: Meißner / Kaisenberg, Staatsund Verwaltungsrecht, S. 94; Adolf Lobe, Das richterliche Prüfungsrecht und die Entwicklung der gesetzgebenden Gewalt im neuen Reich, AöR Bd. 67 (28 n.F., 1937), S. 194 – 220, 197. Lobe ging auf die Frage einer Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV nicht ein, betonte aber eine allgemeine Weitergeltung der WRV. 29 Vgl. Ausführungen zur Person Nicolais FN 21 sowie bei: Ridder, Zur Verfassungsdoktrin des NS-Staates, S. 41 – 42. 30 Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 30 – 34, 32. 31 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 5, 11: „Die aus der Weimarer Verfassung herübergenommenen Gesetzgebungsmöglichkeiten (Reichstagsbeschluß nach Art. 68 und Volksentscheid nach Art. 73) stehen ebenfalls noch offen.“ Für ihn war der Volksentscheid nach dem Volksabstimmungsgesetz eine Erweiterung der Weimarer Volksgesetzgebung, initiiert durch den Reichspräsidenten oder auch ein Volksbegehren. Ob er die Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV aus der dies suggerierenden offiziellen Gesetzesbegründung (vgl. Reichsanzeiger Nr. 164 vom 17. Juli 1933, abends) herleitete, in der das Volksabstimmungsgesetz als einfach

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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dem Erlass des Volksabstimmungsgesetz von einem vollständigen Untergang der Weimarer Volksgesetzgebung aus32 und entsprachen damit weitgehend dem in Kapitel III dargestellten Willen der Regierung Hitlers bei Verabschiedung des Volksabstimmungsgesetzes. Wenn sie nicht die ganze Weimarer Demokratie und mit ihr auch die Volksgesetzgebung ohne nähere Begründung als etwas bereits Historisches, völlig Überwundenes darstellten,33 begründeten sie dabei den Untergang der Art. 73 – 76 WRV auf dreierlei Weise: Zum einen wurde einfach die Existenz des Volksabstimmungsgesetzes an und für sich und vor allem im Zusammenhang mit dem grundlegenden Umbruch in der „Nationalen Revolution“ angeführt. Die alte „liberalistische“, „mängelbehaftete“ Volksgesetzgebung sei wie das ganze Weimarer System mit der Machtergreifung hinweg gefegt worden.34 Das Ende der Art. 73 – 76 WRV sei eine zwangsläufige Folge des Untergangs der Gesamtverfassung. Eine konkludente oder ausdrückliche Übernahme der Weimarer Volksgesetzgebung in die neue „Verfassung“ wurde abgelehnt. Die Begründungen Fritz Poetzsch-Heffters, Otto Meißners, Wilhelm Stuckarts, Ernst Rudolf Hubers, Otto Koellreutters und anderer enthielten dabei sehr oft fast wortwörtlich den folgenden Satz der offiziellen Gesetzesbegründung: „Nach Überwindung des Parlamentarismus war es geboten, die auf alte germanische Rechtsformen zurückgehende Einrichtung der Volksabstimmung für große, die Gesamtnation bewegende Fragen in veredelter Form zu ermöglichen.“35

Die Tatsache, dass gerade aus der offiziellen Gesetzesbegründung insgesamt nicht zweifelsfrei auf die völlige Ablösung der Art. 73 – 76 rückgeschlossen werden konnte, die offizielle Gesetzesbegründung diesbezüglich unklar formuliert war, wurde nirgendwo thematisiert. Das zweite Argument war praktisch-verfahrenstechnischer Art und schloss sich oft unmittelbar an das erste an. Die völlig neuen Funktionen des Reichstages wie auch des Reichsrates würden Konflikte zwischen den Reichsorganen für die Zunur ein „neuer Weg der Volksgesetzgebung“ dargestellt wurde, bleibt offen. Eine Begründung gab er nicht. 32 Vgl. Koellreutter, Verfassungsrecht (1. Aufl.), S. 145; Huber, Verfassungsrecht, S. 200; Schenzer, Volksabstimmung, S. 9 – 10; Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 75; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 34; Uhde, Volksabstimmung, S. 40 – 41. Vgl auch die weiteren Nennungen in den folgenden Fußnoten. 33 So wurde die Weimarer Volksgesetzgebung bspw. bei dem Berliner Oberregierungsrat Wilhelm Albrecht schon ein Jahr nach der Machtergreifung 1934 als ein mit Mängeln behaftetes Verfassungsinstrument aus einer längst überwundenen Zeit dargestellt. Vgl. ders., Neues Staatsrecht (3. Aufl.), Leipzig 1934, S. 35. 34 Vgl. insbesondere: Scheuner, Bedeutung der nationalen Revolution, S. 166 – 220, 179. 35 So oder doch sehr ähnlich zum Beispiel: Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 1 – 272, 75; Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 94; Wilhelm Stuckart / Wilhelm Albrecht, Neues Staatsrecht, Leipzig 1936, S. 35; Huber, Verfassungsrecht, S. 201; Uhde, Volksabstimmung, S. 1, 42 ff.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

kunft unmöglich machen. Ein Entscheidungsinstrument für solche Konflikte, und dies sei die Volksgesetzgebung gewesen, habe dadurch seinen Sinn verloren. Fritz Poetzsch-Heffter formulierte dies mit den Worten: „Die Weimarer Volksgesetzgebung kann logischerweise nicht mehr gelten, da sie ein Mittel zur Kontrolle des Parlamentarismus, zur Lösung von Streitfällen war. [ . . . ]. Das Volksentscheidsrecht der Weimarer Verfassung ist obsolet geworden, weil die von ihm vorausgesetzten Sachlagen nicht mehr eintreten können.“36

Das dritte Argument ergab sich aus dem inneren logischem Widerspruch zwischen nationalsozialistischem Führerprinzip und einem möglicherweise sogar durch ein freies Volksbegehren eingeleiteten Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 III WRV. Auch wenn der Führerstaat offizieller Diktion nach auf einer aus dem Volk kommenden und damit plebiszitären „nationalen Revolution“ beruhte, sollte der neue Staat gleichzeitig durch die absoluten Macht der Führergewalt über alle anderen Gewalten gekennzeichnet sein. Für Ernst Rudolf Huber war ein Verfahren aus Volksbegehren und Volksentscheid folgerichtig nicht mehr denkbar, weil ein solches Oppositionsinstrument gegen die Regierung gerichtet sei und damit darauf angelegt sei, das durch den Führer verkörperte „Volksganze zu zerreißen“ und „Feindschaft“ in ihm zu fördern.37 Otto Koellreutter versuchte den Widerspruch zwischen einer „plebiszitären“ Legitimation des Führerstaates einerseits und der Ablehnung einer Volksgesetzgebung durch ein freies Volksbegehren andererseits folgendermaßen aufzulösen: „Der deutsche Führerstaat hat das plebiszitäre Element seinem völkischen Charakter gemäß in die Verfassung eingebaut. Aber die Volksabstimmung ist ihm organisch mit der Führung verknüpft. Nur die Führung kann eine solche Volksabstimmung anordnen.“38 Damit wurden die Bestimmungen zur Weimarer Volksgesetzgebung unanwendbar. Er definierte „plebiszitär“ im „völkischen Sinne“, was für ihn bedeutete, dass das Volk im Ergebnis nur durch seine Führung verkörpert werde. Nur sie dürfe deshalb eine Volksabstimmung herbeiführen.39 Im Rahmen der Argumentation gegen eine Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV wurde die Tatsache, dass das Volksabstimmungsgesetz als einfaches Gesetzesrecht Verfassungsrecht mit einem doch erheblich weiteren Regelungsbereich ersetzte bzw. aufhob, im Prinzip gar nicht problematisiert.40 Für viele Staatsrechtler war 36 Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 75, 78. Im gleichen Sinne: Rahn, Staatsrecht, S. 72; Uhde, Volksabstimmung, S. 43; Endriss, unmittelbare Demokratie, S. 126 – 128. 37 Huber, Verfassungsrecht, S. 200. 38 Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 146. Vgl. Auch Schenzer, Volksabstimmung, S. 12. 39 Ebd. Auf die rechtspolitische Einordnung der Volksabstimmung an sich wird in Abschnitt B dieses Kapitels noch näher eingegangen. 40 Zwar erlaubten es die weiten Befugnissen des Art. 2 Ermächtigungsgesetzes (vgl. Art. 2 des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“, in: RGBl. I 1933, Nr. 25), dass „die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze“ auch „von der Reichsverfassung

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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die Möglichkeit einer Ablösung verfassungsrechtlicher Bestimmungen durch ein einfachgesetzliches Recht schlicht Folge der „revolutionären“ Gesamtentwicklung nach 1933, in der der Nationalsozialismus mit großer Dynamik fast alle alten staatsrechtlichen Strukturen durchbrach und die „Nationale Revolution“ von oben herab betrieb, eben die Weimarer Verfassung „überwand“. Der einzige Autor, der explizit auf diese Frage wie auch die herrschende „revolutionäre Antwort“ einging, war der Jurist Herbert Schenzer in seiner Dissertation „Die Volksabstimmung im heutigen deutschen Staatsrecht“: „Wenn auch das Gesetz [über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933] mit keinem Wort auf die Weimarer Verfassung Bezug nimmt und formell-rechtlich auch nicht als lex specialis oder lex posterior über dieselbe Materie angesehen werden kann, so ist doch anzunehmen, daß das Gesetz gegenüber der Weimarer Verfassung ausschließliche Geltung haben will. Es ist hier zu bedenken, daß der neue Staat im Jahre 1933 noch im Werden begriffen war. Seine Gesetze aus dieser Zeit sind daher weit auszulegen. Weil der sich in den Gesetzen der nationalsozialistischen Revolution offenbarende Geist der Weimarer Verfassung von 1919 ablehnend gegenübersteht, kann im Zweifel stets angenommen werden, daß die neuen Gesetze die Institution der alten Reichsverfassung beseitigen wollen.“41

Die Debatte über eine Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV wurde spätestens in dem Moment obsolet, als sich der „völkische Führerstaat“ oder auch „germanische Volksstaat“ immer mehr in seiner realen Gestalt herauskristallisierte. Breitere Ausführungen zu der Frage, warum die Weimarer Volksgesetzgebung abgeschafft wurde, lassen sich aber dennoch noch bis in sehr späte, in ihren Begründungen ansonsten sehr „sparsame“ Staatsrechtswerke des Dritten Reichs finden. Exemplarisch seien die allgemeinen Darstellungen zum deutschen Staatsrecht und Staatsaufbau von H. G. Rahn oder Wilhelm Stuckart, Harry von Hoewel und Rolf Schiedermair aus dem Jahr 1943 genannt.42 Der Grund hierfür liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem auch später noch erhöhten Rechtfertigungsbedürfnis in der Staatsrechtswissenschaft. Das Dritte Reich hatte mit der Weimarer Volksgesetzgebung schließlich ein plebiszitäres Verfassungsinstitut abgeschafft, das nicht nur ein Gegengewicht zum auch vom Nationalsozialismus abgelehnten Parlamentarismus gewesen war. Auch der völkische Führerstaat berief sich auf eine plebiszitäre Legitimierung, dies in der „Nationalen Revolution“, aber auf der Grundlage eigener abweichen“ konnten, „soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Verfassungsrechtlich war eine Abweichung von der Verfassung demnach auch unter Zugrundelegung vor-nationalsozialistischer Wissenschaftsmaßstäbe durchaus möglich. Offen blieb aber immer noch, ob eine Abweichung oder die Einführung einer neuen Form der Volksbeteiligung gleichbedeutend mit einer Ablösung bisheriger verfassungsrechtlicher Regelungen mit anderem Regelungsgehalt sein konnte. 41 Schenzer, Volksabstimmung, S. 12. Der „Verdrängungswillen des neuen Gesetzes“ ergab sich für ihn vor allem aus den „wiederholt gegensätzliche[n] Gegenüberstellung[en] der neuen Volksabstimmung nach der Weimarer Reichsverfassung in der amtlichen Begründung des Gesetzes vom 14. Juli 1933“. 42 Vgl. Rahn, Staatsrecht, S. 72; Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau des Deutschen Reiches, S. 65 – 66. 16 Schwieger

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

Demokratie- und Volkswillensbegriffe auch später noch, worauf in den folgenden Abschnitten noch näher eingegangen werden wird.

2. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in Bezug auf die „beabsichtigte Maßnahme“ gemäß § 1 VAbstG Eine der meist diskutierten Fragen in der Staatsrechtswissenschaft des Dritten Reiches im Zusammenhang mit dem Volksabstimmungsgesetz war die der richtigen Auslegung des § 1 VAbstG, der bestimmte: „Die Reichsregierung kann das Volk befragen, ob es einer von der Reichsregierung beabsichtigten Maßnahme zustimmt oder nicht. Bei der Maßnahme kann es sich auch um ein Gesetz handeln.“

Dies bedeutete vom Wortlaut her zweifelsfrei, dass eine Maßnahme noch nicht vollzogen, ein Gesetz noch nicht beschlossen sein durfte, wenn es zur Abstimmung gestellt wurde, um eben das Volk selber entscheiden zu lassen. Die Reichsregierung hielt sich jedoch nicht hieran. 1933 trat Deutschland aus dem Völkerbund aus, bevor darüber abgestimmt wurde; 1934 war die Vereinigung von Reichskanzlerund Reichspräsidentenamt durch das „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ am 1. August 1934 bereits vor der Abstimmung definitiv beschlossen, und auch 1938 war der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bereits per Gesetz vom 13. März 1938 mehrere Wochen vor der Volksabstimmung vollzogen worden.43 Die Reaktionen auf diese Verstöße gegen das Volksabstimmungsgesetz waren unterschiedlich.44 Einig war sich die Staatsrechtswissenschaft jedoch in dem Bemühen, den Verdacht eines rechtswidrigen und möglicherweise sogar das Volk täuschenden Verhaltens der Reichsregierung in jedem Fall zu zerstreuen. Die von Michael Stolleis vorangehend auf S. 234 zitierte allgemein für das Dritten Reich gemachte Aussage über die „dienende“ Staatsrechtswissenschaft findet hier eine besonders exemplarische Bestätigung. Die selbst gesetzte Aufgabe wurde dabei dadurch erschwert, dass es sich bei dem Volksabstimmungsgesetz um eine von der neuen Staatsführung selber beschlossene Regelung handelte. Man konnte sie nicht einfach der überwundenen und damit nicht mehr zu respektierenden Weimarer Verfassung und Gesetzgebung zuordnen und auf diese Weise Gesetzesverstöße rechtfertigen. Die einfachste Lösung in dieser Situation sahen einige Autoren darin, der Frage ganz auszuweichen oder die Sachverhalte umzudeuten, die einzelnen Abstimmungen zugrunde lagen. So zogen es Wilhelm Stuckart, Wilhelm Albrecht, H. G. Rahn oder Otto Koellreutter vor, stillschweigend über die Frage hinwegzugehen und das 43 44

Vgl. Kap. III B. 1. – 3. Vgl. zu der Gesamtproblematik auch: Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 94 – 100.

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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staatliche Verhalten als unmittelbar konform mit dem § 1 des Volksabstimmungsgesetzes darzustellen.45 Ulrich Scheuner ging noch weiter. Er zitierte einfach § 1 VAbstG in seiner Darstellung falsch und machte aus den „beabsichtigten Maßnahmen“ die „beschlossenen Maßnahmen“.46 Der Jurist W. Spielhagen entschied sich in seinem Beitrag „Die Abstimmungen am 12. November in verfassungs- und staatsrechtlicher Beleuchtung“ von 1933 dafür, nicht den Austritt aus dem Völkerbund als die Maßnahme anzusehen, über die abgestimmt worden sei, sondern dessen Folgen: „Da der Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz bereits erfolgt sind, fordert Absatz sieben des Aufrufs47 mit Recht das Einverständnis zum Ausscheiden, bis die wirkliche Gleichberechtigung unserm Volke nicht mehr vorenthalten wird, bezieht sich also nicht auf den vollzogenen Austritt, sondern auf die Bedingungen eines etwaigen Wiedereintritts Deutschlands.“48

Für den Austritt aus dem Völkerbund 1933, andere Abstimmungen hatte es bei Verfassen seines Beitrages noch nicht gegeben, konnte Spielhagen so eine Volksabstimmung über eine beabsichtigte Maßnahme bejahen. Einen anderen Weg gingen der Ministerialrat im Reichsministerium des Inneren Werner Hoche, der ehemalige Senatspräsident des Reichsgerichts Adolf Lobe, sowie Walter Mallmann in seiner Schrift „Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren“ von 1938. Aus einer herkömmlichen Methodik heraus erkannten sie den Gesetzesverstoß als solchen und wollten oder konnten ihn nicht einfach leugnen. Um aber die neue Staatsführung keines gesetzeswidrigen Verhaltens bezichtigen zu müssen, halfen sie sich in dieser Situation mit der Schlussfolgerung, dass es sich bei den Volksabstimmungen über bereits in die Tat umgesetzte Maßnahmen oder Gesetze nicht um Abstimmungen nach dem Volksabstimmungsgesetz, sondern um als solches nicht erkannte, aber durchaus erlaubte außergesetzlich-plebiszitäre Abstimmungen gehandelt habe.49 Adolf Lobe formulierte dies in Bezug auf die Volksabstimmung 1934 wie folgt: 45 Vgl. Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 95; Koellreutter, Führerstaat, S. 32; ders., Verfassungsrecht, S. 146; Rahn, Staatsrecht, S. 73; Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau des Deutschen Reiches, S. 66; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 35. Letztere stellten lapidar fest, dass nur, wenn das Gesetz noch nicht erlassen sei, eine Verkündung und Ausfertigung nach § 1 VAbstG erfolgen müsse. 46 Scheuner, Grundlagen der neuen Staatsordnung, S. 216 – 344, 340: „Es entspricht diesem politischen Sinn der Volksabstimmung, daß das Gesetz sie jetzt nicht mehr nur als ein Verfahren zur Gesetzgebung kennt, sondern daß § 1 Abs. 1 des Gesetzes die Möglichkeit einer Befragung des Volkes darüber vorsieht, ob es einer von der Reichsregierung beschlossenen Maßnahme zustimmt oder nicht’, d. h. die Abstimmung auch als Volksbekenntnis zu einer konkreten politischen Entscheidung ausgestaltet.“ 47 Gemeint war Absatz 7 des Aufrufes der Reichsregierung an das deutsche Volk vom 14. 10. 1933 (vgl. RGBl. I 1933, Nr. 113): „Die deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind daher eins in dem Beschlusse, die Abrüstungskonferenz zu verlassen und aus dem Völkerbund auszuscheiden, bis diese wirkliche Gleichberechtigung unserem Volke nicht mehr vorenthalten wird.“ 48 W. Spielhagen, Die Abstimmungen am 12. November in verfassungs- und staatsrechtlicher Beleuchtung, in: Reich und Länder Bd. 19 (1933), S. 287 – 289, 288.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

„Die vom Reichskanzler gleichwohl noch gewünschte Sanktion des deutschen Volkes [ . . . ] war sonach kein Volksentscheid nach dem Gesetz über Volksabstimmung vom 14. 7. 1933, denn es handelte sich nicht um ein von der Reichsregierung erst beabsichtigtes Gesetz, das erst mit der Zustimmung des Volkes wirksam wird, sondern um ein bereits verfassungsrechtlich gültiges und schon verkündetes Gesetz. Und doch ist diese Abstimmung gemäß der VO zur Durchführung der Volksabstimmung vom 3. 8. 1933 für die Stellung des Staatsoberhauptes auch verfassungsrechtlich von großer Bedeutung.“

Es sei begreiflich, dass der Führer „bei seiner Volksverbundenheit“ und „Überzeugung, daß jede Staatsgewalt vom Volk ausgehen“ müsse, das Bedürfnis gehabt habe, „seinem Amt noch eine weitere verfassungsrechtliche Grundlage“ zu geben, wie sie bisher der Reichspräsident nach Art. 41 WRV gehabt habe.50 Die abgehaltenen Volksabstimmungen wurden so zu rein politischen und nicht auf dem Volksabstimmungsgesetz beruhenden Maßnahmen. Die große Mehrheit der Autoren, die sich zu der Frage äußerten, wählte einen Zwischenweg. Sie stellten den Widerspruch zwischen der geübten staatlichen Praxis und dem Gesetzestext heraus, deuteten die Volksabstimmungen gleichwohl als solche im Sinne des Volksabstimmungsgesetzes an, sahen aber in dem Widerspruch zwischen Wortlaut und Praxis rechtsdogmatisch keine Rechtswidrigkeit. Möglich wurde dies durch ein in verschiedenen Varianten nationalsozialistisch – ideologisch begründetes Erklärungsmuster. Ausgangspunkt aller Ausführungen von Ernst Rudolf Huber, Edgar Tartarin-Tarnheyden, Herbert Schenzer, Gustav Uhde, Carl Dernedde, Fritz Poetzsch Heffter, Carl Hermann Ule war hierbei die Vorstellung einer über allem stehenden Führermacht, die den wahren Volkswillen alleine verkörpere. Eine Volksabstimmung über eine beabsichtigte Maßnahme oder ein geplantes Gesetz widerspreche aber diesem Prinzip uneingeschränkter Herrschaft und Autorität. In einem echten Führerstaat könne das Volk einer Entscheidung des Führers, der den Volkswillen verkörpere, deshalb richtigerweise immer nur nachträglich zustimmen. Herbert Schenzer und Ernst Rudolf Huber formulierten dies besonders deutlich. So schrieb Schenzer: „Diese Möglichkeit der Führung, auch über bereits abgeschlossene Maßnahmen noch das Volk zu befragen, ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesichtspunkt, daß die Volksbefragung durchaus in das Ermessen der Reichsregierung gestellt ist. Der ,Autoritätsgedanke‘ erfordert im Gegenteil in manchen Fällen gerade die sofortige politische Entscheidung der Führung.“51

Huber äußerte sich folgendermaßen: „Die nachträgliche Abstimmung über vollzogene Maßnahmen verwerfen, heißt also nur, das Volk ausschalten – ein Ergebnis, das gewiß nicht im Sinne einer völkischen Verfassung liegt. Zum anderen und vor allem aber entspricht die Abstimmung über ,vollzogene Maß49 Vgl. Werner Hoche, Zustandekommen der Reichsgesetze,S. 68; Werner Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, Emsdetten 1938, S. 229 ff. 50 Lobe, Entwicklung der gesetzgebenden Gewalt, S. 206. 51 Schenzer, Volksabstimmung, S. 24.

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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nahmen‘ sehr viel stärker den Grundgedanken des völkischen Führerreichs als die Abstimmung über ,beabsichtigte Maßnahmen‘. Denn der Sinn der Abstimmung ist es ja gerade nicht, daß das Volk von sich aus entscheidet und handelt, sondern, dass es sich zu den Entscheidungen des Führers vertrauend bekennt.“52

Besonders bei Huber erschien die Volksabstimmung in diesem Zusammenhang nicht mehr als ein Beschluss des Volkes mit Gesetzeskraft, sondern als eine notwendigerweise nachträgliche Akklamation zu staatlichen Entscheidungen und zur Person Adolf Hitlers – eine Deutung der Volksabstimmung, auf die im Folgenden Abschnitt B noch näher eingegangen wird. Auf die vor allem im Zusammenhang mit der letzteren herrschenden Meinung aufkommende Frage, warum das Volksabstimmungsgesetz denn 1933 überhaupt mit dieser Formulierung beschlossen worden war und auch 1938 noch von einer „beabsichtigten Maßnahme“ sprach, gaben bekanntere Autoren wie Ernst Rudolf Huber, Edgar Tatarin-Tarnheyden, Carl Dernedde oder auch der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers53 keine Antwort. Diesen Widerspruch aufzulösen, versuchten jedoch in ihren Dissertationen Herbert Schenzer und Gustav Uhde. Für sie war der Unterschied zwischen Wortlaut und Gesetzespraxis ein Ergebnis desselben Entwicklungsprozesses, den Schenzer schon für den Untergang der Art. 73 – 76 WRV beschrieb, und der für eigentlich jeden Rechtsverstoß herhalten konnte. Im Rahmen der Entwicklung einer neuen „Gesamtverfassung“ sei der entstehende Führerstaat nicht nur über die Regelungen der Weimarer Reichsverfassung, sondern auch über das Volksabstimmungsgesetz in der Gestalt, in der es 1933 formuliert worden sei, hinweggegangen. Das Volksabstimmungsgesetz habe dabei durch die faktische Macht staatlichen Handelns seinen Inhalt auch ohne Wortlautänderung verändert. Gustav Uhde stellte diesen Zusammenhang zwischen einem sich entwickelnden Führerstaat und einem sich automatisch verändernden Volksabstimmungsgesetz mit den Worten heraus: „Heute geht die eigentliche Willensbildung von der Staatsführung aus, das Volk gibt dieser durch seine Zustimmung und Billigung nur verstärkten Ausdruck und erhöhte Sanktion. Die wortgetreue Anwendung des Gesetzes würde also wegen des immer klarer hervortretenden neuen staatsrechtlichen Denkens geradezu falsch gewesen sein. In diesem Gefühl wendete man das Gesetz daher auch in seinem ersten praktischen Fall gleich anders an, da damals bereits der Führerstaat sich weit genug entwickelt hatte, um diese Anwendung zu rechtfertigen.“54

Huber, Verfassungsrecht, S. 201 – 202. Ebd.; Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht, S. 79; Carl Dernedde, Völkischer, totaler und autoritärer Staat, in: JW 63 (1934), S. 955 – 959, 955; ders., Staatsrechtslehre als Wirklichkeitswissenschaft, in: JW 63 (1934), S. 2514 – 2518, 2515; Hans Heinrich Lammers, Der Führerstaat, in: RVwBl. Bd. 59 (1938), S. 585 – 589, 586. 54 Vgl. Uhde, Volksabstimmung, S. 56. Ulrich Schenzer, (ders., Volksabstimmung, S. 24) formulierte dies so: „Die Abweichung der Praxis von dem Wortlaut des Gesetzes bedeutet in Wahrheit eine Weiterentwicklung, die nach der Stellung der Volksabstimmung im nationalsozialistischen Führerstaat geradezu als erforderlich erscheint.“ 52 53

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

3. Die Verkündung und Ausfertigung beschlossener Maßnahmen oder Gesetze durch die Reichsregierung – § 3 VAbstG und die Vereinbarkeit von Volksso veränität und Führerprinzip In dem Fall, dass das Volk in einer Volksabstimmung einer Maßnahme oder einem nach § 2 VAbstG55 auch verfassungsänderndem Gesetz mit einfacher Mehrheit zustimmte, kam § 3 VAbstG zur Anwendung. Er bestimmte: „Stimmt das Volk der Maßnahme zu, so findet Artikel 3 des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (Reichsgesetzblatt I, S. 141) entsprechende Anwendung.“

Art. 3 des „Ermächtigungsgesetzes“ wiederum sah vor: „Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft.“56

Daraus ergab sich die Verpflichtung des Reichkanzlers, im Fall der Zustimmung des Volkes zu einem Gesetzesentwurf oder zu einer Maßnahme, diese Entscheidung formal auszufertigen und im Reichsgesetzblatt zu verkünden. Dies geschah jedoch weder bei der Volksabstimmung 1933, noch bei denen 1934 und 1938. Obwohl sich dieses Verhalten der Reichsregierung offensichtlich daraus ergab, dass bei allen drei Volksabstimmungen über bereits vollzogene Maßnahmen und verkündete Gesetze abgestimmt worden war, nahm eine Vielzahl von Staatsrechtswissenschaftlern hierzu Stellung. Der Grund hierfür lag darin, dass § 3 VAbstG inhaltlich bedeutend mehr als nur eine formale Regelung enthielt. Das Nichtbefolgen der vorgeschriebenen Ausfertigung und Verkündung betraf die wichtige Frage, ob denn eine Volksentscheidung für die Reichsregierung bindend war oder nicht und ob sie durch Volksabstimmung beschlossene Maßnahmen oder Gesetze theoretisch ändern oder aufheben konnte. Die Bestimmung war allgemein Ausdruck dafür, wie sich die Volksentscheidung und damit die Volkssouveränität im herkömmlichen Verständnis zu einer „plebiszitär“ legitimierten „Führergewalt“ im völkisch-nationalsozialistischen Sinne verhielt.57 Zu Beginn des Dritten Reiches 1933 wurde vor allem von Carl Schmitt zunächst noch eine uneingeschränkte Bindungswirkung des durch Volksabstimmung beschlossenen Gesetzes bejaht: „Die weitere Frage nach dem Verhältnis eines Regierungsgesetzes zu einem durch Volksbefragung zustande gekommenen Gesetz läßt sich ebenfalls an Hand anerkannter national55 § 2 VAbstG: Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Dies gilt auch dann, wenn die Abstimmung ein Gesetz betrifft, dass verfassungsändernde Vorschriften enthält.“ 56 Art. 3 des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (RGBl. I 1933, Nr. 25). 57 Vgl. zur Problematik auch: Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 101 – 102.

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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sozialistischer Grundsätze beantworten. Die Reichsregierung erkennt den Willen des Volkes, das sie befragt hat, als maßgebend an und betrachtet sich dadurch als gebunden. Sie spricht sich keineswegs das Recht zu, ein auf einer Volksbefragung beruhendes Reichsgesetz durch ein Regierungsgesetz einfach wieder aufzuheben. Etwas anderes ist es, wenn bei einer völlig veränderten Sachlage das Volksgesetz überhaupt nicht mehr zutrifft und sinnlos wird.“58

In diesem Fall dürfe dann die Reichsregierung von dem Beschluss abweichen. Diese 1933 auch von Heinrich Krüger in einer der frühen Darstellungen einer „Verfassung der nationalsozialistischen Revolution“ vertretene eindeutige Unterordnung eines Regierungsgesetzes unter das „Volksgesetz“59 stand bei Schmitt im Zusammenhang mit seiner bereits dargestellten Auffassung über eine Weitergeltung des Art. 73 WRV. Diese Auffassung aus der Anfangszeit des Dritten Reiches wurde sehr bald verworfen. Wie schon bei § 1 VAbstG passte sich die große Mehrheit in der Staatsrechtswissenschaft der politischen Entwicklung des Dritten Reiches hin zu einem absoluten Führerstaat an. Es war vor allem Edgar Tatarin-Tarnheyden, der bereits kurz nach der ersten Volksabstimmung 1933 die Auffassung vertrat, dass es der Regierung frei stehe, einen Beschluss nach § 3 VAbstG zu erlassen oder nicht. Er stellte zur Begründung lapidar fest, das jedes Gesetz „stets Regierungsgesetz“ sei, es also neben den von der Reichsregierung erlassenen Gesetzen keine anderen gebe.60 Auf diesen Äußerungen aufbauend entwickelte sich die bald herrschende Meinung, dass die Reichsregierung entgegen dem Wortlaut nicht an § 3 VAbstG gebunden sei, mithin das durch Volksabstimmung beschlossene Gesetz keinesfalls in seiner Geltungskraft über einem Regierungsgesetz stehe.61 Als Begründung diente, wie schon bei § 1 VAbstG, das nationalsozialistische Grundprinzip der absoluten, umfassenden Führergewalt. Nur der Führer sei Träger des „wahren“ oder auch „objektiven“ Volkswillens, der auch im unmittelbaren Aufeinandertreffen mit einer momentanen „subjektiven“ Volksmeinung Vorrang genieße.62 Ernst Rudolf Huber formulierte dies so: Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 11. Heinrich Krüger, Die Verfassung der nationalsozialistischen Revolution (2. Aufl.), Dresden 1933, S. 10. 60 Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht, S. 80. 61 Vgl. Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 101. 62 Vgl. Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 145 – 146. Allgemein zum nationalsozialistischen Staatsverständnis: Uwe Bachnick, Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung, Berlin 1995, S. 24 – 25: „Führer und Volkgemeinschaftsgedanken prägen auch die nationalsozialistische Staatstheorie.“ Sie basiert laut Bachnik auf dem Grundgedanken, dass dem Staat ein Zweck nicht zukomme. Der Staat rechtfertige sich weder aus sich selbst, noch sei er auf einen contract social zwischen Volk und Herrscher gegründet. Der Staat sei allein Mittel. Er diene dazu, den objektiven Volkswillen hervortreten zu lassen und zu verwirklichen. Da aber der „wahre Volkswille“ eine „Blutsgemeinschaft“ der Bevölkerung voraussetze, müsse letztlich vordringliche Aufgabe des Staates die Erhaltung und Reinhaltung der Rasse sein, aus der sich die Nation gebildet habe. Sie 58 59

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

„Eine weitere wichtige Frage ist die, ob der Führer an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden ist oder nicht. [ . . . ]. Zum Wesen des Führers gehört, daß er die letzte politische Entscheidung nicht abgeben darf. [ . . . ]. Die Volksbefragung hat den Sinn, den Willen des Führers nach außen zu bekräftigen und deutlich als Willen der völkischen Einheit in Erscheinung treten zu lassen. Der eigentliche Willensträger des Volkes aber bleibt der Führer selbst. Auch wenn sich das abstimmende Volk gegen ihn wendet, ist er es, der die objektive Sendung verkörpert.“63

Der Widerspruch zum Wortlaut des § 3 VAbstG war bei Autoren wie Gustav Uhde, wie schon bei § 1 VAbstG die Folge der Weiterentwicklung des Führerstaates, die das Volksabstimmungsrecht ein weiteres Mal ohne explizite Gesetzesänderung verändert habe.64 Wenn auch im Ergebnis, wie schon bei der Auslegung des § 1 VAbstG, kein Staatsrechtler es wagte, das staatliche Vorgehen offen als Gesetzesverstoß zu bezeichnen, blieben in der wissenschaftlichen Literatur in Bezug auf § 3 VAbstG und insbesondere die Frage einer Bindungswirkung der Entscheidung in der Volksabstimmung einige wenige Stimmen vernehmbar, die eine völlige Bindungslosigkeit der Volksentscheidungen ablehnten oder sich doch zumindest gegen die Deutung Tatarin-Tarnheydens wandten, dass jedes Gesetz ein Regierungsgesetz sei. Gegen letztere wandte sich beispielsweise sogar der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers, der noch 1938 neben dem von der Reichsregierung bzw. dem Führer beschlossenen Gesetzen von der Existenz von Reichstags- und unmittelbar in der Volksabstimmung beschlossenen Volksgesetzen ausging, auch wenn diese dem Führergesetz untergeordnet seien.65 Offenen Widerspruch erfuhr die Ablehnung jeglicher Bindung der Abstimmung in der Volksabstimmung bei Adolf Lobe noch 1937. Zwar stehe es im Belieben der Regierung, ob sie das Volk befrage. Wenn sie es aber tue, sei sie an dessen Entscheidung auch gebunden.66 Im Ergebnis ähnlich äußerten sich Franz Albrecht Medicus67 und Herbert Schenzer. Sie wollten wie Lobe nicht akzeptieren, dass ein „Volkswille“ des Führers sogar über einer konkret vom Volk formulierten Entscheidung stehe. In einer konkreten Bezugfalle in erster Linie dem Reichsführer selbst zu, der in sich als Träger des objektiven Volkswillens alle öffentliche Gewalt vereinige. 63 Huber, Verfassungsrecht, S, 202. Vgl. auch: Dernedde, Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft, S. 2515; Rahn, Staatsrecht, S. 72 – 73. 64 Vgl. Uhde, Volksabstimmung, S. 54, 61; Mallmann, Gesetzgebungsverfahren, S. 228. Beide bejahten ursprünglich eine Bindungswirkung der Volksentscheidung für die Reichsregierung, die aber durch die fortgeschrittene Ausformung des Führerstaates obsolet geworden sei. 65 Vgl. Lammers, Führerstaat, S. 587. Der Führer könne sich weigern, ein Reichstags- oder Volksgesetz zu verkünden. 66 Lobe, Entwicklung der gesetzgebenden Gewalt, S. 202. 67 Franz Albrecht Medicus, Gesetz über Volksabstimmung, in: Hans Pfundtner / Reinhard Neubert / Franz Albrecht Medicus, Das neue Deutsche Reichsrecht, Ergänzbare Sammlung des geltenden Rechts seit dem Ermächtigungsgesetz mit Erläuterungen, Berlin 1933 – 1944, Teil I a, Nr. 10.

A. Volksabstimmungsgesetz vom 14. 07. 1933 im dogmatischen Diskurs

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nahme und Kritik an Tatarin-Tarnheyden drückte Schenzer dies mit folgenden Worten aus: „Die Gebundenheit der Führung ergibt sich schon aus dem Führerbegriff als solchem. Denn da die Führung stets Gefolgschaft voraussetzt, ist der Führer bei Verlust derselben nicht mehr Führer, sondern er wird zum Diktator“,

eine Situation, die laut Schenzer im neuen Deutschland aber aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses zwischen Führer und Volk allerdings nicht eintreten könne.68

4. Der rechtsdogmatische Umgang mit dem Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 – Ein Beispiel juristischer Argumentation im Sinne des Nationalsozialismus Im Ergebnis trat die deutsche Staatsrechtswissenschaft nicht für eine Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV ein. Zu sehr wirkte vor allem die offizielle Propaganda von einer „nationalen Revolution“, die gleichbedeutend mit dem Ruf nach dem Untergang der Weimarer Reichsverfassung war. Auch die Verstöße gegen § 1 und § 3 des von der nationalsozialistischen Reichsregierung selbst beschlossenen Volksabstimmungsgesetzes wollte, konnte oder durfte kein Staatsrechtswissenschaftler oder Jurist offen als rechtswidrig bezeichnen. Wenn sie den diesbezüglichen Fragen nicht auswichen oder sogar Normen falsch wiedergaben, rechtfertigten sie den Gesetzesbruch in der Regel mit dem ideologischen Grundprinzip einer absoluten, das Recht als solches repräsentierenden Führergewalt. Alle drei dargestellten rechtsdogmatischen Diskurse wiesen hierbei eine Parallelentwicklung auf. Nach einer Phase der Orientierung 1933 bildeten sich relativ schnell weitgehend einhellige Deutungen heraus. Neben diesen, selbst in ihrer Begründung nur leicht variierenden, besser „offiziell“ als herrschend zu nennenden Meinungen, gab es jeweils entweder keine oder nur noch sehr wenige und vorsichtig formulierte Gegenstimmen. Am Beispiel des Volksabstimmungsgesetzes wird so deutlich, wie die Staatsrechtswissenschaft des Dritten Reiches ihre primäre Aufgabe wahrnahm, zur Stabilisierung der Diktatur auf rechtsdogmatischer Ebene staatliches Handeln zu kommentieren und als im Einklang mit dem Recht darzustellen. Sie wählte ein sehr einfaches Mittel: Unabhängig davon, ob von der neuen Reichsregierung selbst erlassenes positives Recht, also kein regelungsfreier Raum oder nur „überwundenes“ Weimarer Recht existierte, folgte die Staatsrechtswissenschaft schlicht dem Grundsatz, dass staatliches Handeln das Recht und nicht Recht staatliches Handeln be-

68 Schenzer, Volksabstimmung, S. 26 – 27. Hier ließ Schenzer dann allerdings die Ausnahmen zu, dass die Reichsregierung vor der Abstimmung explizit eine anderslautende Auffassung kundtut oder aber sich die Umstände grundlegend ändern.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

stimme. Ein anerkannt geltendes Gesetz erhielt seinen Regelungsgehalt nicht nach dem Wortlaut oder dem historischem Gesetzgebungswillen, sondern schlicht nach dem aktuellen staatlichen Willen und Handeln. Übergeordnet legitimiert wurde diese Vorgehensweise durch die Annahme einer sich „lebendig“ oder „organisch“ entfaltenden materiellen nationalsozialistischen Verfassung, die sich immer, gegebenenfalls auch im Widerspruch zu gültigen Gesetzen und bisherigen methodischen Grundsätzen, „rechtmäßig“ entfalten dürfe.69 Die Möglichkeit staatlicher Willkür in der Rechtsanwendung wurde damit vollkommen. Außerdem wurde die Gefahr für den einzelnen Staatsrechtswissenschaftler, sich durch Kritik politisch zu gefährden, sehr groß. Es verschwand die Möglichkeit, sich zur Rechtfertigung politisch unerwünschter wissenschaftlicher Ergebnisse auf die Gesetzmäßigkeiten einer der Politik übergeordneten rechtsdogmatischen Methodik zurückzuziehen. Die eingangs dieses Kapitels beschriebenen neuen Begrifflichkeiten und staatlich geforderten Grundwerte wie „Rasse“, „Blut“, „Volkskörper“ taten ihr Übriges, um nationalsozialistisches Handeln als im Sinne des deutschen Volkes und damit als im Einklang mit einem spezifisch „deutschen“ Recht darzustellen.

B. Die rechtspolitische Funktion der Volksabstimmung in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft: Die „demokratische“ Legitimierung des „germanischen“ Führerstaates durch Akklamation Bereits bei der Darstellung der rechtsdogmatischen Fragestellungen ist erkennbar geworden, welch alles beherrschende Rolle das sich ausbreitende Verständnis eines „völkischen Führerstaates“ im Staatsrecht des Dritten Reiches spielte. Noch deutlicher wird die vollständige wissenschaftliche Unterordnung unter die Ideologie des Nationalsozialismus im rechtspolitischen Umgang der Staatsrechtswissenschaft mit dem Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933. Ein wichtiges Element staatsrechtlichen Denkens war hierbei immer die Abgrenzung des „neuen“ Staates vom Weimarer System, des „nationalsozialistischen“ Staatsrechts vom Weimarer Staatsrecht. Im Fall des Volksabstimmungsgesetzes erfolgte sie in erheblichem Maße über eine historische Neubewertung des Ursprungs der Weimarer Volksgesetzgebung. Dies ist Gegenstand des ersten folgenden Unterabschnitts. Im Zentrum der verfassungstheoretischen Bemühungen im Dritten Reich stand jedoch vor allem die Frage nach der Funktion der Volksabstimmung im Führerstaat, in 69 Vgl. Bachnick, Verfassungsreformvorschläge, S. 24 – 25. Anders ausgedrückt bedeutete dies nach der nationalsozialistischen Staatsauffassung, dass die „Führergewalt“ „nach unten“ umfassend und total (autoritär) wirken sollte. So wurde deshalb bspw. Gewaltenteilung als Gefahr für die Einheit der „Führergewalt“ abgelehnt. Vgl. ebd.: „Diese [Führergewalt] ist umfassend und bedarf keiner Mitwirkung, weder der eines Parlamentes, noch des Volkes selber. Alleine der Führer bestimmt, was Recht ist.“

B. VAbstG und „demokratische Akklamation“ im „Führerstaat“

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dem das „Führerwort“ als Gesetz über allem stehen sollte. Ihre Verwandlung von einer unmittelbaren Beteiligung des Volkes an insbesondere der Gesetzgebung, zu einem rein politischen, unverbindlichen Akklamationsinstrument ist Gegenstand des zweiten Unterabschnitts. Anhand der Dissertation „Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung“ von Wolfgang Endriss wird danach exemplarisch aufgezeigt, wie ein Verfassungsmodell im Dritten Reich konkret aussehen konnte, in dem die nun rein akklamative „Volksabstimmung“ Ausgangs- und Mittelpunkt war.70 Zu guter Letzt wird schließlich der Frage nachgegangen, wie die Staatsrechtslehre die praktisch-politischen Erfahrungen mit den Abstimmungen 1933, 1934 und 1938, aber auch im Rückblick die Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren darstellte und bewertete.

1. Die wahrhaft „germanische“ Volksabstimmung statt der „fehlerhaften“ Weimarer Volksgesetzgebung – Eine historische Neubewertung Wie in Kapitel II im Rahmen des rechtspolitischen Umgangs mit der Weimarer Volksgesetzgebung dargestellt, hatte sich in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft eine bestimmte historische Herleitung der Art. 73 – 76 WRV durchgesetzt. Von Theodor Curti angestoßen, verbreitet durch Georg Kaisenberg, Adolf Inhoffen, Heinrich von Jan, Max Fetzer und andere, war die Einführung der Weimarer Volksgesetzgebung als Rückkehr zu alten „germanischen“ Verfassungstraditionen dargestellt worden. Die germanische „Gauverfassung“ erschien bei ihnen anders als noch in rechtshistorischen Darstellungen des Kaiserreichs als gleichsam vollkommen basisdemokratisch. Grundlage der Sichtweise, nach der weitergehend diese urgermanisch – demokratischen Verfassungsstrukturen nur in der Schweiz die Jahrhunderte überlebt, und 1919 im Reich eine Wiedergeburt erfahren hätten, waren einige wenige Äußerungen des römischen Chronisten Publius Cornelius Tacitus.71 Diese Deutung wurde nach 1933 von der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft verworfen. Sie lehnte nicht nur die Darstellung der altgermanischen Volksversammlung als rein basisdemokratisch ab und betonte eine zentrale Bedeutung eines Führers. Vor allem vertrat sie die Auffassung, dass die Einführung der Weimarer Volksgesetzgebung keine Rückkehr zu alten germanischen Verfassungselementen dargestellt habe. Diese sei vielmehr erst mit der Verabschiedung des Volksabstimmungsgesetz von 1933 erfolgt. Zur Begründung führte beispielsweise der Ministerialrat im Reichsinnenministerium und Mitherausgeber des Reichsverwaltungsblattes Franz Albrecht Medicus „wesentlich andere Ideengänge“ der neuen Volksgesetzgebung durch Volksabstimmung an, durch die die Reichsregie70 71

Endriss, unmittelbare Demokratie, a. a. O. Vgl. Kap. II B. 1. b).

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

rung in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt würde.72 Wilhelm Albrecht, Wilhelm Stuckart, Fritz Poetzsch-Heffter, Carl Hermann Ule und Carl Dernedde übernahmen einfach aus der offiziellen Gesetzesbegründung vom 14. Juli 1933 die Feststellung, dass es sich nur bei dem neuen Volksabstimmungsgesetz um eine „veredelte“73 und deshalb wirklich germanische Form der Volksteilnahme handele.74 Sie verwiesen weitergehend auf eine größere Unmittelbarkeit zwischen Regierung und Volk in der Volksabstimmung und eine falsche Funktion der überwundenen Art. 73 – 76 WRV im Weimarer Verfassungsgefüge. Ähnliches formulierten Wilhelm Albrecht, Otto Meißner und interessanter Weise auch der ehemalige „Hüter“ der Weimarer Volksgesetzgebung, Georg Kaisenberg. Sie sahen in der Volksabstimmung eine allgemein größere „Unmittelbarkeit“ einer Willensbekundung durch das Volk und damit eine ursprünglichere und damit „germanischere“ Form der Mitwirkung des „freien Staatsbürgers an der Staatswillensbildung“.75 Nur die neue Volksabstimmung könne eine engste Verbundenheit zwischen Staat und Volk herbeiführen.76 Bei fast allen genannten Autoren, aber auch Ernst Rudolf Huber, Otto Koellreutter, Gustav Uhde, Helmut Nicolai und Gustav Adolf Walz diente als Beleg für eine historische Neubewertung auch die Beschreibung der Weimarer Volksgesetzgebung als „fehlerhaft“, „mißgebildet“ „schlecht“ oder auch „ängstlich“. Sie habe durch ihre Fehlerhaftigkeit nicht der Einigkeit im Staat, sondern nur der Obstruktion und Zerrissenheit gedient.77 Eine ganz besondere Ausprägung erfuhren all diese Argumentationen über eine historische Neubewertung der Weimarer Volksgesetzgebung wie auch die These von der allein wahrhaft germanischen Volksabstimmung aufgrund des Volksabstimmungsgesetz in einer Kölner Dissertation von 1935. In seiner Arbeit über „Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung“,78 legte Wolfgang Endriss unter anderem dar, dass die Weimarer Volks-

72 Franz Albrecht Medicus, Das Volksbekenntnis vom 12. November 1933, in: RuPrVwBl Bd. 54 (1933), S. 941 – 943, 941. 73 Vgl. Reichsanzeiger Nr. 164 vom 17. Juli 1933, (abends). 74 Albrecht, Staatsrecht, S. 35; Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 94; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 34; Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 75; Uhde, Volksabstimmung, S. 1 – 3. Vgl. auch: Kurt von Wohlen, Das Verfassungsrecht des nationalen Volksstaats, in: JW 62 (1933), S. 1913 – 1916, 1926. Letzterer ging aber auf die Weimarer Volksgesetzgebung gar nicht mehr ein. 75 Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 93 ff. Immerhin betonte Georg Kaisenberg auch nach 1933 noch einen zumindest „auch“ germanischen Ursprung der Weimarer VGG. Vgl. auch Kaisenberg, Volksbefragung, S. 581 – 582. 76 Albrecht, Staatsrecht, S. 35. Vgl. auch: Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Der Staatsaufbau, S. 94 f. 77 Vgl. Huber, Verfassungsrecht, S. 200; Kaisenberg, Volksbefragung, S. 581; Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 93; Schenzer, Volksabstimmung, S. 9; Koellreutter, Verfassungsrecht (1. Aufl.), S. 145; Uhde, Volksabstimmung, S. 40; Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 35 – 37; Walz, Das Ende der Zwischenverfassung, S. 39 ff.

B. VAbstG und „demokratische Akklamation“ im „Führerstaat“

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gesetzgebung ihren Ursprung in den modernen Staatstheorien der französischen Revolution gehabt habe. Sie sei ein Produkt der verfehlten „Staats- und Demokratievorstellungen“ Rousseaus und habe nichts mit den ursprünglichen germanischen Volksabstimmungen gemein.79 „Referendum und Initiative“ seien „Erzeugnisse eines liberalistischen, dem deutschen Wesen fremden Zeitraums“.80 Die Volksabstimmung aufgrund des nationalsozialistischen Volksabstimmungsgesetzes stehe dagegen in der Tradition der „schweizerischen Landsgemeindedemokratie“, die alleine die Fortführung der alten germanischen Vorstellungen von direkter Demokratie und Volksgesetzgebung im Zusammenwirken mit einem Führer darstelle.81 Als Beweis hierfür dienten Endriss vor allem eindeutig „schlechte Erfahrungen“ in Weimar und „gute Erfahrungen“ im Dritten Reich. Im Gegensatz zu den „parteipolitisch aufgereizten Referendumsbestimmungen und Volksentscheiden“ der Weimarer Zeit habe es sich bei den nationalsozialistischen Volksabstimmungen „um einheitliche und in gewissem Sinn freudig erregte Kundgebungen des Volkes“ gehandelt, „die besonders im Hinblick auf ihre Wirkung der Abstimmungsweise in der altgermanischen Volksgemeinde gleichgestellt werden“ könnten.82 Die bisherige „falsche“ historische Herleitung der Weimarer Volksgesetzgebung erklärte Endriss damit, das in der Schweiz die durch die schweizerischen Landsgemeindedemokratien fortlebende altgermanische Volksabstimmung und das modernere französische Referendum aufeinandergetroffen seien, sich vielleicht sogar vermischt hätten. Dies hätte bisher zu falschen Rückschlüssen geführt: „Eine in der Verfassungspraxis erheblich ausgedehntere und wirksamere Durchführung als in Frankreich fand das Referendum in der Eidgenossenschaft. Inwieweit dabei neben den liberalistischen Ideen Rousseaus und der französischen Revolution die mehr auf dem Gemeinschaftsgedanken beruhende germanisch-demokratische Idee, die in der Schweiz schon seit Jahrhunderten durch die Landsgemeindekantone bekannt waren hierbei die Grundlage abgab, mag dahingestellt sein. Jedenfalls hat aber die französische Revolution bis zu einem gewissen Grad die Veranlassung zu der Einführung des Referendums in der Schweiz gegeben.“83

Insgesamt erschienen all diese Begründungen, die bis auf die Ausführungen von Endriss oft auch nur kurz und oberflächlich waren, für sich genommen nur bedingt überzeugend, was daran lag, dass keiner der genannten Autoren einen weiteren wichtigen, wenn nicht den entscheidenden Grund für eine historische Neubewertung offen aussprach. Sie alle versuchten mit ihren Ausführungen, dem allgemein propagierten Anspruch des Nationalsozialismus zu entsprechen, dass allein das 78 Endriss, Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung, Diss. Jur. Köln 1935, a. a. O. 79 Ebd., S. 31 ff., 54 ff., 91 – 109. 80 Ebd., S. 128. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Ebd., S. 95.

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Kap. IV: Wissenschaft und Volksabstimmung im Dritten Reich

„Dritte Reich“ einen wahrhaft germanischen Staat verkörpere. Gerade die Rückbesinnung auf nachweisbare oder vermeintliche germanische Werte und Tugenden war ein zentrales Element der nationalsozialistischen Ideologie. Ein gutes Bild der hierbei in Bezug auf direkte Demokratie gängigen Vorstellungen über das alte Germanien bieten die Ausführungen des damals einflussreichen Schriftstellers Arthur Moeller van den Bruck, der schon einige Jahre vor der Machtergreifung schrieb: „Wir waren ursprünglich ein demokratisches Volk. Als wir aus unserer Vorgeschichte in unsere Frühgeschichte eintraten, da brachten wir eine Antwort auf jene Frage bereits mit, wie Anteilnahme des Volkes an seinem Schicksal möglich sei – keine naturrechtlich überlebte Antwort, aber dafür die natürlichste, die es gibt: die Demokratie war das Volk selbst. Sie beruhte auf dem Blute, und nicht auf einem Vertrag. [ . . . ] Demokratie war die Selbstverwaltung des Volkes gemäß seinen Lebensbedingungen.[ . . . ] Aus ihr ergab sich die Führerschaft und die Gefolgschaft, der freie Gedanke freier Männer, sich für den Heereszug einen Herzog um des Sieges willen zu küren.[ . . . ]. Dies alles war echte Demokratie. Das Volk setzte durch seine Verbände die Rechtsordnung fest. Und der Führer, wer er nun sein mochte, vom Führer der Verbände bis hinauf zum Herrscher des Volkes im Auftrag des Volkes, verwirklichte das Recht durch die ihm verliehene Macht.“84

Die Folgen dieses von den Nationalsozialisten übernommenen Leitbildes, dass es theoretisch in moderner Form zu verwirklichen galt,85 umschrieb Otto Koellreutter 1934 für das Staatsrecht mit den Worten: „Die nationalsozialistische Revolution, die der nationalsozialistischen Staats- und Rechtsidee zum Durchbruch verholfen hat, hat ein Doppeltes bewirkt. Sie hat altes deutsches Volks- und Rechtsgut wieder zum Leben erweckt und dasselbe den Erfordernissen unserer Zeit angepaßt.“86

Eine historische Herleitung von Weimarer Verfassungsgut aus denselben Quellen war politisch grundsätzlich nicht erwünscht und hätte gerade im Fall der Volksabstimmung auch dem eigenen Handeln widersprochen. Schließlich wurde die Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV, obwohl sie ein plebiszitäres Gegengewicht zum verhassten Parlamentarismus darstellten, abgelehnt. Im Bewusstsein dieser grundlegenden Motivation in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre wird nachvollziehbar, warum Franz Albrecht Medicus in Bezug auf das Volksabstimmungsgesetz etwas unspezifiziert von „wesentlich anderen Ideengängen“ schrieb, warum die größere Nähe zwischen Führer und Volk 84 Arthur Moeller van den Bruck, Das Dritte Reich, 2. Aufl., Berlin, 1926 S. 159. Seine Schrift „Das Dritte Reich“ erfreute sich aber im dann wirklich entstandenen Dritten Reich großer Beliebtheit. 85 Erkennbar ist der Wunsch nach Parallelen von Germanien und Drittem Reich in Bezug auf das Staatsrecht exemplarisch bei dem Jenaer Staatsrechtler Franz W. Jerusalem, (ders., Der Staat, Jena 1935, S. 98 – 106, 305 – 310), der in seinem Buch „Der Staat. Ein Beitrag zur Staatslehre“ unter anderem den „germanischen Volksstaat“ und auch den „Führerstaat“ als moderne Form eines Volksgemeinschaftsstaates darstellt. 86 Otto Koellreutter, Wesen und Rechtscharakter des deutschen Volksstaates, in: RuPrVwBl. Bd. 55, 1934, S. 806 – 807.

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in der nationalsozialistischen Volksabstimmung laut Wilhelm Albrecht „germanischer“ sein sollte,87 und warum Wolfgang Endriss zwischen germanischer Volksabstimmung und „französisch-liberalistischer“ Weimarer Volkgesetzgebung unterschied. 2. Das Volksabstimmungsgesetz im sich entwickelnden Führerstaat – Vom zentralen Staatsgrundsgesetz zur unverbindlichen Grundlage politischer Akklamation in einer Diktatur Im Mittelpunkt der rechtspolitischen Darstellung und Bewertung des Volksabstimmungsgesetzes stand in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft die Frage nach der übergeordneten Funktion und verfassungsstrukturellen Stellung einer Volksabstimmung im nationalsozialistischen „Führerstaat“. So wie sich Staatsrechtswissenschaftler im Rahmen der rechtsdogmatischen Auseinandersetzung mit § 1 und § 3 VAbstG darum bemühten, staatliche Gesetzesverstöße als „rechtmäßig“ und vor allem legitim darzustellen, mussten sie mittelfristig die Volksabstimmung als an und für sich direktdemokratisches Rechtsinstitut in ein ideologisches Staatsmodell integrieren, dass durch eine absolute Führergewalt charakterisiert war. Die auch hier zu beobachtende Entwicklung einer sich herausbildenden herrschenden oder auch „offiziellen“ Meinung wurde durch zwei Faktoren maßgeblich beeinflusst: Zum einen kristallisierten sich, wie bereits bereits mehrfach an anderer Stelle in diesem Kapitel betont, zentrale Leitlinien politischen Handelns und damit auch staatsrechtlich erwünschten Denkens ab dem 30. Januar 1933 nicht sofort heraus. Das staatsrechtliche Konstrukt eines Führerstaates selbst, in das es die Volksabstimmung zu integrieren galt, nahm erst nach und nach in seinen Strukturen Gestalt an. Für die hier behandelte Fragestellung spielte insbesondere eine Rolle, dass die „überwundene“ Weimarer Reichsverfassung niemals durch eine geschriebene nationalsozialistische Verfassung ersetzt wurde. Stattdessen wurde eine auf so genanten „Staatsgrundgesetzen“,88 ansonsten aber rein „materielle“, „organischMedicus, Volksbekenntnis, S. 941; Albrecht, Staatsrecht, S. 35. Was hierzu zählte, war umstritten. Einigkeit über die Zugehörigkeit bestand nur in Bezug auf das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933, das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 und das Gesetz über das Staatsoberhaupt vom 1. August 1934. Insgesamt 29 zählte 1937 der Berliner Rechtsanwalt Herbert Kussmann (ders., Verfassungsleben des Deutschen Reiches, Berlin 1937, Liste vor S. 1 nach dem Inhaltsverzeichnis) auf. Herbert Schenzer (ders., Volksabstimmung, S. 18) beschrieb diese „Grundgesetze“ weitergehend folgendermaßen: „Die Grundgesetze des nationalsozialistischen Staates unterscheiden sich rein äußerlich in nichts von den übrigen Gesetzen. [ . . . ]. Für den Charakter des Grundgesetzes kommt es heute nicht mehr auf die Form, sondern auf den Inhalt des Gesetzes an. Grundgesetze sind die Gesetze, welche die leitenden und bestimmenden Richtlinien, die fundamentalen Prinzipien enthalten, auf denen die neue staatliche Ordnung ruht.“ Georg Kaisenberg 87 88

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lebendige“89 Verfassung propagiert, die bspw. Gustav Adolf Walz mit den Worten umschrieb: „Der Entstehung nach ist sie eine durch politischen Gesamtakt und gesetzgeberische und sonstige Führungseinzelakte stufenweise zur Entfaltung gelangte Ordnung ohne geschriebene Verfassungsurkunde.“90

Ernst Rudolf Huber forderte diesbezüglich vom einzelnen Juristen: „Man muß sie [Die Verfassung] erkennen aus den geistigen Kräften, die unser Volk beseelen, aus der tatsächlichen Gewalt, in der sich unser politisches Leben bewegt und aus den Grundgesetzen des Staatsaufbaus, die bisher erlassen worden sind.“91

Zum anderen galt es, den offiziell erhobenen Anspruch des Nationalsozialismus zu beachten, in der „Nationalen Revolution“ „plebiszitär“92 an die Macht gekommen zu sein und auch danach immer vom Volkswillen getragen zu werden. Hierbei handelte es sich nach nationalsozialistischem Verständnis um das wichtigste ideologische Fundament der eigenem Herrschaft, dass Adolf Hitler zur Überwindung der „Legalität“ der Weimarer Verfassung „legitimierte“.93 und Franz Albrecht Medicus nannten eine ganze Schriftenreihe zu neuen Gesetzen „Das Recht der nationalen Revolution“, erschienen im Carl Heymanns Verlag Berlin ab 1933. Vgl. schließlich: Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 18 – 19, 60. 89 Vgl. Scheuner, Bedeutung der nationalen Revolution, S. 170 – 179; Koellreutter, Vom Sinn und Wesen der Nationalen Revolution, a. a. O.; ders., Verfassungsrecht, S. 46 ff.; Huber, Verfassungsrecht, S. 44 ff.; Rahn, Staatsrecht, S. 24 ff.; Stuckart / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau, S. 12 ff.; Lammers, Der Führerstaat, S. 586; Jung Plebiszit und Diktatur, S. 8 – 19 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 90 Gustav Adolf Walz, Der Begriff der Verfassung, (Schriften der Akademie für Deutsches Recht, hg. vom Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Reichsminister Dr. Hans Frank, Gruppe Verfassungs- und Verwaltungsrecht Heft 4), Berlin 1942, S. 62. Das Fehlen einer formellen Verfassung wurde anfangs mit dem noch nicht vollendeten organischen Entstehungsprozess, später dann grundsätzlich mit einer aufgrund der dem Nationalsozialismus eigenen Dynamik und Lebendigkeit schlicht fehlenden Notwendigkeit oder auch der verfassungsgleichen Geltungskraft des Führerwillens begründet. Vgl. hierzu: Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 7; Wohlen, Das Verfassungsrecht, S. 1916. 91 Vgl. Huber, Verfassungsrecht, S. 54 – 55. 92 Die Wahlen von März 1933, obwohl sie keine absolute Mehrheit der NSDAP im Reichstag erbracht hatten, wurden in der nationalsozialistischen Propaganda aber auch in der Staatsrechtslehre des Dritten Reiches zusammen mit den Einheitswahlen vom November 1933 zu „Plebisziten“ über Deutschlands Zukunft, zu einem „demokratischen Auftrag“ hochstilisiert. Sie erhielten zusammen mit dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (sog. Ermächtigungsgesetz) die Funktion alles umfassender Ermächtigungen nationalsozialistischer Macht in Deutschland. Vgl. H. G. Bölling, Führer und Reichskanzler. Betrachtungen zum Beginn eines neuen Abschnitts deutscher Verfassungsgeschichte, in: Reich und Länder, Bd. 8 (1934), S. 275 – 280, 275 – 279. Vgl. auch Huber, Verfassungsrecht, S. 45 sowie Carl Schmitts Rede vom 3. 10. 1033 auf dem 4. Deutschen Juristentag in Leipzig (ders., Der Neubau des Staats und Verwaltungsrechts, in: 4. Reichstagung des Bundes Nationalsozialistischer Juristen e.V., Ansprachen und Fachvorträge, bearb. von Rudolf Schraut, Berlin, S. 242 – 252, 243). Gleichlautend auch: Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 11.

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In einer logischen Verknüpfung einer unter anderem auf „Grundgesetzen“ beruhenden neuen „Verfassung“ des „Dritten Reiches“ mit der Fiktion eines plebiszitären Ursprung nationalsozialistischer Macht, kam in der Staatsrechtswissenschaft 1933 / 1934 zunächst kurzzeitig die Frage auf, ob das Volksabstimmungsgesetz nicht ein oder sogar das neben dem „Ermächtigungsgesetz“ wichtigste Staatsgrundgesetz sei, durch dass das Volk in der Zukunft verbindlich unmittelbar Einfluss auf das staatliche Handeln erhalte.94 In einer Zeit, in der sich die „offizielle“ Meinung zur rechtsdogmatischen Anwendung des § 1 VAbstG noch nicht durchgesetzt hatte, eine Bindungswirkung der Volksentscheidung über § 3 VAbstG noch nicht einhellig abgelehnt wurde, lag eine zentrale Funktion des neuen Gesetzes im Verfassungsgefüge nahe. Versprachen doch schon der Erlass des Volksabstimmungsgesetzes an und für sich und die dazugehörige Gesetzesbegründung für die Zukunft eine politische Willensbildung bei Grundsatzfragen durch Volksabstimmung. Hitler und die nationalsozialistische Propaganda suggerierten schließlich auch im weiteren Verlauf der Abstimmungen zum Völkerbundaustritt 1933 und zum Reichspräsidentenamt 1934 öffentlich den Willen, das Volk auch in Zukunft bei wichtigen Fragen regelmäßig an der politischen Willensbildung beteiligen zu wollen.95 Deutlich wird diese in der frühen Staatsrechtswissenschaft zumeist allerdings zurückhaltend angedachte Deutung beispielhaft in einem Beitrag des Münchner Staatsrechtlers Otto Zschucke vom 1. August 1933. Wenige Wochen nach dem Erlass des Volksabstimmungsgesetzes sah er die „revolutionäre“ Phase des „neuen Verfassungsbaus“ als beendet und in eine „evolutionäre“ übergehen. Nachdem nun vor allem durch das Verbot aller Parteien eine stabile Struktur aus Führung und Gefolgschaft ereicht sei, werde nun durch das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 „dem Volke Freiheit nach innen geboten [ . . . ], ohne für die Festigkeit des Staates bangen zu müssen.“ Es ermögliche „in viel weitergehender Weise als bisher Volksbegehren und Volksentscheid, eine Mitwirkung des Volkes“.96 Ähnlich äußerten sich Franz Albrecht Medicus, Kurt von Wohlen und in frühen Schriften andeutungsweise sogar die besonders linientreuen Edgar TatarinTarnheyden und Gustav Adolf Walz. Kurt von Wohlen sah in dem Volksabstim93 Diese beiden Grundannahmen gewährten ideologisch die grundsätzliche Legitimität gegenüber der zu überwindenden Legalität der Weimarer Verfassung und Demokratie. Vgl. Erdmann, Nationalsozialismus, S. 379; Schmitt, Legalität und Legitimität, a. a. O. (insgesamt); Huber, Verfassungsrecht, S. 44; Bölling, Führer und Reichskanzler, S. 275 – 279. 94 Vgl. zur Fragestellung auch: Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 31 – 34. 95 Sowohl im Zusammenhang mit der Volksabstimmung zum Völkerbundaustritt 1933 als auch nach dem Tod Hindenburgs erklärte Hitler wiederholt, immer wieder per Volksabstimmung feststellen zu wollen, „inwieweit sich der Wille der Nation verkörpert in der sie führenden Regierung“. Vgl. Verhandlungen des Reichstags 1934, Stenographische Berichte Bd. 458 (2. Sitz. vom 30. 1. 1934), S. 18; Rede Hitlers vom 24. 2. 1934, abgedruckt in: Völkischer Beobachter vom 27. 2. 1934, Nr. 58; Interview Hitlers vom 5. 8. 1934, abgedruckt in: Völkischer Beobachter vom 7. 8. 1934, Nr. 219; Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 58. 96 Otto Zschucke, Auf dem Weg zur Verfassung des Dritten Reiches, in: DJZ 38 (1933), Sp. 998 – 1002.

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mungsgesetz den „Baustein“ auf dem „engeren Gebiete des Verfassungsrechts“, der „die Verbindung zwischen der nationalen Volksregierung und dem nationalen Volksganzen unter Ausschaltung der parlamentarischen Ideen“ darstelle.97 Franz Albrecht Medicus nannte es eines der „bedeutsamsten“ neuen „Staatsgrundgesetze“ für den „Neuaufbau des Reiches“.98 Für Edgar Tatarin-Tarnheyden kündigte sich durch das Volksabstimmungsgesetz mit diesen „neuen Formen der Demokratie“ gar der Staat in einem „ganz neuen Sinne“ als „Rechts- und Volksstaat“ an.99 Dieser „Volksstaat“ werde, so auch Gustav Adolf Walz, nach dem Ende der Parteienherrschaft nun als „wahre Demokratie“ „vollendet“.100 Bereits kurze Zeit später war eine Sichtweise, in der unter Umständen sogar verbindliche Volksabstimmungen Mittelpunkt der neuen „materiellen“ Verfassung und Ausdruck häufiger unmittelbarer Volksbeteiligung sein sollten, nicht mehr vertretbar. Zu deutlich stand dieser sich noch viel zu sehr an herkömmlichen Demokratiekonzepten orientierenden Vorstellung die faktische, politische Nichtbeteiligung des Volkes – von neuen Volksabstimmungen war in der Politik bald nichts mehr zu hören – ab 1934 entgegen.101 Parallel zu der zunehmend realen Herausbildung einer diktatorischen Alleinherrschaft kristallisierte sich inzwischen außerdem auch in der staatsrechtlichen Publizistik immer mehr der „absolute Führerstaat“ heraus. Er führte nicht nur in seiner vollständigen Unterordnung unter eine absolute Führergewalt zu den bereits dargestellten herrschenden Meinungen über eine Weitergeltung der Art. 73 – 76 WRV und zur Anwendung der § 1 und § 3 VAbstG. Aus der Volksabstimmung als einer zu Beginn „Erweiterung“ der Weimarer Volksgesetzgebung, kurz darauf dann „edleren“, „germanischen“ Form unmittelbarer Gesetzgebung und politischer Willensbildung, wurde auf seiner Grundlage auch übergeordnet verfassungsstrukturell ein rein akklamativ-unverbindliches Symbol. Zum besseren Verständnis dieser ideologischen motivierten Umdeutung einer an und für sich direktdemokratischen Beteiligungsform des Volkes in ein rein politisches Akklamationsinstrument in der Hand eines Alleinherrschers, erscheint es notwendig, noch einmal einen Blick auf bestimmte Staatsvorstellungen und Begriffsverständnisse zu werfen, die sich in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre im Laufe der 30er Jahre insgesamt ausbreiteten: Wohlen, Verfassungsrecht, S. 1916. Medicus, Gesetz über Volksabstimmung, in: Pfundtner / Neubert / Medicus, Teil I a) Nr. 10; ders., Der Neuaufbau des Reichs nach dem Gesetz vom 30. Januar und der ersten Durchführungsverordnung vom 2. Februar 1934, in: AöR Bd. 61 (1934), S. 63 – 82, 65. 99 Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht, S. 23 – 24. 100 Ebd.; Walz, Das Ende der Zwischenverfassung, S. 39 – 41. Er bezeichnete die Volksabstimmung auch als sehr wichtigen „Prüfstein für die Volksgebundenheit“. Beide letztgenannten Autoren sind bereits in diesen frühen Beiträgen in ihren Aussagen nicht eindeutig. 101 Beispielsweise wurde weder im Zusammenhang mit den folgenreichen Nürnberger Rassegesetzen vom 15. 9. 1935, noch den Gesetzen zur Wiederaufrüstung überhaupt öffentlich an eine Volksabstimmung gedacht. 97 98

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Die nationalsozialistischen Machthaber beriefen sich, wie bereits einführend festgestellt, nicht nur in der von ihnen ausgerufenen „Nationalen Revolution“ auf eine unmittelbare Legitimierung durch das Volk.102 Der nationalsozialistisch geführte „germanische Volks- und Führerstaat“ beruhte auch nach 1934 offiziell auf einer staatsrechtlichen Fiktion grundsätzlich gleichsam „plebiszitär-demokratischer“ Legitimation. Teile der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft definierten zu diesem Zweck die Begriffe „plebiszitär“ und „demokratisch“ neu,103 andere mieden sie104 und sprachen stattdessen von „völkischer“ Legitimation der Führermacht.105 Diese ob „plebiszitäre“ oder auch „völkische“ und damit im weiteren Sinne demokratische Legitimation sollte sich von nun an nicht mehr nur aus einer direkten, freien und allgemeinen Wahl eines Staatsoberhauptes oder durch eine unmittelbare verbindliche Sachentscheidung des Volkes ergeben. Grundlage des „völkischen Führerstaates“ oder auch plebiszitären „nationalsozialistischen Volksstaat“ wurde neben dem „Volk“ als germanisch-rassisch definierter Blutsgemeinschaft106 die Verbindung von Führer- und Volksgemeinschaft, der Gedanke einer Identität von Führer- und „wahrem“ Volkswillen.107 Der Staat selber war hierbei nur noch ein bloßes Mittel, den objektiven durch den Führer verkörperten Volkswillen hervortreten zu lassen.108 Ernst Rudolf Huber formulierte diese neue identitär-plebiszitäre Vorstellung mit den Worten:

102 Vgl. FN 92, sowie: Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 36 – 37: „Denn der Nationalsozialismus, groß geworden im demokratischen Staat und gegen diesen mit demokratischen Mitteln ankämpfend, war stets Volksbewegung und keine Putschistenvereinigung, er bewegte Massen mit dem Mittel der autoritären Führung, die ihre Autorität gerade aus der Zustimmung der Massen zog.“ 103 Vgl. Huber, Verfassungsrecht, S. 157 – 167; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 143 ff. 104 Einige nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaftler lehnten sogar begrifflich die Bezeichnung des Dritten Reiches als Demokratie ab, um sich von der Weimarer Republik ganz und gar abzugrenzen. Gleichzeitig betonten aber auch sie immer die direkte Legitimation der nationalsozialistischen Herrschaft durch das Volk. Vgl Gustav Adolf Walz Beitrag „Die NSDAP und die Forderung der Demokratie“, in: Noack / Walz, Deutsche Demokratie, S. 33 – 46; Huber, Verfassungsrecht, bspw. S. 161; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 128 ff.; Wilhelm Stuckart, Der nationalsozialistische Führerstaat im Verhältnis zur Demokratie, Diktatur und Selbstverwaltung, in: Deutsches Recht, Bd. 6, 1936, S. 342 – 349. 105 Vgl. allgemein zur Idee des „Völkischen“ im Nationalsozialismus und auch in der Rechtwissenschaft: Klaus Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1976, S. 68 ff., 74 – 78. Anderbrügge übersieht hierbei jedoch die staatsrechtswissenschaftliche Verwendung des Begriffes völkisch unter anderem eben auch für die Art der politischen Willensbildung im Dritten Reich. 106 Koellreutter, Führerstaat, S. 8 – 10; Erwin Noack, in: Noack / Walz, Deutsche Demokratie, S. 20 ff. 107 Schenzer, Volksabstimmung, S. 38: „Volkswille ist bei dieser Betrachtung weniger eine psychische Realität, die stets und dauernd als Überzeugung in dem gegenwärtigen Staatsvolk vorhanden sein müßte, sondern er ist vielmehr die völkische Idee, das völkische Lebensgesetz selbst, das in dem Führer als Wille zur Erhaltung und Fortentwicklung des Volkstums Wirklichkeit gewinnt. Auf diese Auffassung gründet sich der heute oft ausgesprochene Satz von der Identität von Führerwille und Volkswille.“

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„Der Führer ist der Träger des völkischen Willens; er ist unabhängig von allen Gruppen, Verbänden und Interessenten, aber er ist gebunden an die Wesensgesetze des Volkes.[ . . . ]. Er bildet in sich den wahrhaften Willen des Volkes, der von den subjektiven Überzeugungen der jeweils lebenden Volksglieder zu unterscheiden ist.“109

Dass es sich dabei um „Demokratie“ handele, drückte beispielsweise der Staatsrechtler Erwin Noack in einem Umkehrschluss in folgender Weise aus: „Volk und Führer stehen in engster Verbindung, weil der Führer seine Aufgabe und sein Recht zur Entscheidung aus Kräften nimmt, die innerhalb des völkischen Daseins liegen, sich allein seinem Volk verantwortlich weiß, das Vertrauen des Volkes als Voraussetzung seines Handelns anerkennt und sich in einem letzten Sinne nur als Vollstrecker der völkischen Rechtsordnung begreift; auch nur so lange ist Führertum echte Demokratie. [ . . . ].“110

Als äußerer Ausdrucksform dieser laut Noack „engsten Verbindung“ zwischen Führer und Volk, als allgemeiner Vertrauensbeweis des Volkes für den Führer, erhielt nun die Volksabstimmung ihre neue akklamativ-symbolische Funktion. Sie wurde, wie auch die Einheitswahl zum Reichstag, ein unverbindlicher politischer Beweis nach innen und außen dafür, dass Hitler den Volkswillen verkörperte, das das Herrschaftssystem „demokratisch“ in einem neuen Sinne war.111 Am deutlichsten wird dieser nach heutigem Begriffs- und Demokratieverständnis wenig überzeugende Gedankengang wiederum mit einem Zitat, diesmal von Helmut Nicolai von 1934: „Die Volksabstimmung ist [ . . . ] ein Mittel, zu jeder Zeit die politische Möglichkeit zu haben, die Übereinstimmung des Willens der Führung mit der opinio communis der Massen festzustellen, diese durch die Stimmabgabe an die Regierungspolitik zu binden, an die Regierung zu fesseln und schließlich auch, um die Möglichkeit einer politischen Demonstration vor dem Auslande und den Gegnern im Inlande zu haben. Insofern ist der Nationalsozialismus eine ganz neue Art der Demokratie, eine veredelte Art der Demokratie, in der kraft Mandat das Volk autoritär regiert wird.“112

Ob Carl Dernedde, Wilhelm Albrecht, Fritz Poetzsch-Heffter, Carl Hermann Ule, Helmut Nicolai, Ulrich Scheuner, Herbert Schenzer, Wilhelm Stuckart, Franz W. Jerusalem, Herbert Kussmann, Hans Heinrich Lammers, Arnold Köttgen, Gustav Uhde oder H. G. Rahn, selbst Georg Kaisenberg; sie alle übernahmen spä108 Vgl. Bachnick, Verfassungsreformvorschläge, S. 24 ff.; Alisa Schaefer, Führergewalt statt Gewaltenteilung, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 89 – 105. 109 Huber, Verfassungsrecht, S. 194 – 196. Dieser vom Führer verkörperte Volkswille wurde bewusst im Unterschied zur „volonté général“ Rousseaus gesehen, den Huber als letztendlich doch „Kompromiß zwischen den verschiedenen im Widerstreit liegenden gesellschaftlichen Interessen“ beschrieb. 110 Noack, in: Noack / Walz, Deutsche Demokratie, S. 22 – 24. 111 Ebd. 112 Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 36 – 37.

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testens ab Mitte der 30er Jahre in variierender Darstellung diese Deutung. Einige stellten vor allem die primäre Aufgabe der Volksabstimmung heraus, die „Führerautorität“ zu „stärken“, ihre allein beratende Funktion, ihren Charakter einer „Anhörung“. Andere nannten sie schlicht eine unverbindliche „Volksbefragung“, ein Mittel der „Führung“ zur „Vertrauensfeststellung“ oder einen „Akt der Gemeinschaftsförderung“. Oft fielen Bezeichnungen wie „Bekenntnis der Gefolgschaft“, „feierliche Akklamation“ oder auch „Ausdruck dauernder Fühlung zwischen Volk und Führung“.113 Zwar wurde teilweise, wie von Otto Koellreutter, behauptet, dass „die Volksabstimmungen [ . . . ] keineswegs nur eine bloße Form oder eine bloße Akklamation der Mehrheit zu den Akten der politischen Führung sei.“ Diese „typisch liberale Auffassung“ ginge „an dem Wesen der volksverbundenen Führung bewußt vorbei“.114 Im Ergebnis war aber bei allen Autoren aus einer Form der Gesetzgebung ein unverbindlich politischer Vertrauensbeweis geworden.115 Nur durch diese Umdeutung, die sicher nicht zufällig der in Kapitel II dargestellten Vorstellung Carl Schmitts über die „Akklamation“ in der wahren unmittelbaren Demokratie von 1926 ähnelte, war es ihnen möglich, das Volksabstimmungsgesetz in das ideologische Modell eines Führerstaates zu integrieren, das aus dem Volk kommen sollte und von ihm getragen sein sollte, in Wirklichkeit aber eine Diktatur beschrieb.116 Das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 blieb trotz seines Verlustes einer verbindlich-gesetzgeberischen Funktion auch in späteren Darstellungen gleichwohl ein „Staatsgrundgesetz“, aber eben eines mit symbolisch-unverbindlichen Wirkungen.117 Konsequenter Weise stellten viele Staatsrechtler es in ihren Beiträgen zum nationalsozialistischen Staatsrecht nicht mehr im Zusammenhang 113 Dernedde, Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft, Sp. 2515; Albrecht, Staatsrecht, S. 36 – 37; Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 74; Nicolai, Der Neuaufbau des Reiches, S. 36 – 7; Scheuner, Bedeutung der nationalen Revolution, S. 339, 40; Schenzer, Volksabstimmung, S. 18, 39, 41, 57; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 34; Stuckart, Der nationalsozialistische Führerstaat, S. 346; Jerusalem, Der Staat, S. 305 ff.; Kussmann, Verfassungsleben, S. 127; Lammers, Der Führerstaat, S. 587; Köttgen, Vom deutschen Staatsleben, S. 78; Uhde, Volksabstimmung, S. 54; Rahn, Staatsrecht, S. 73; Meißner / Kaisenberg, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 95. 114 Koellreutter, Wesen und Rechtscharakter, S. 806. 115 Auch Koellreutter selbst (ders., Verfassungsrecht, S. 146) nannte sie an anderer Stelle schlicht einen Beleg für „organische Verbindung von Führung und Gefolgschaft“. 116 Vgl. die Darstellung in Kap. II B. 4. a) unter Bezugnahme auf: Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, a. a. O. 117 Koellreutter ordnete dem Gesetz wegen des seiner Auffassung hohen symbolischen Wertes sogar eine höhere Bedeutung zu als dem Reichstag. Sie unterstreiche die „Wichtigkeit des plebiszitären Elements“ im Führerstaat. Vgl. ders. Der Aufbau des deutschen Führerstaates, in: Hans Heinrich Lammers / Hans Pfundtner (Hrsg.), Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates, Bd. 1 (die weltanschaulichen politischen und staatsrechtlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Staates), Berlin 1936, S. 1 – 56, 32. In diesem Sinne auch Poetsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 75.

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mit der „Rechts-“ oder auch „Gesetzgebung“ dar, sondern ordneten es Abschnitten wie „Das Deutsche Volk“ oder „Volk und Führung“ zu, in denen es um das allgemeine Verhältnis des Volkes zu Hitler oder aber um die Charakteristika des Volkes im Führerstaat ging.118 Weitergehend wurde die Volksabstimmung in vielen Beiträgen des Dritten Reiches zusammen mit der Reichstagswahl behandelt.119 Möglich wurde diese rechtspolitisch-verfassungsrechtliche Gleichstellung von Wahl und Volksabstimmung, mit der sich vor allem die Dissertation „Wahl und Volksabstimmung im Führerstaat“ Gustav Uhdes von 1936 auseinander setzte,120 durch eine ebenfalls gewandelte Funktion der Reichstagswahl im Führerstaat.121 Auch sie hatte als Wahl nach nationalsozialistischer Einheitsliste ihren ursprünglichen Charakter verloren und konnte auf ideologischer Grundlage verfassungsstrukturell neu bewertet werden. Sie diene, so Uhde, nicht mehr der Wahl von Repräsentanten des Volkes, sondern sei zu einer Entscheidung über das hinter der Einheitsliste stehende politische Programm geworden.122 Im Ergebnis standen für ihn die zu einer „positiven Akklamation des Volkes“ verwandelte Volksabstimmung und die zu einer „Sachentscheidung“ weiterentwickelte Reichstagswahl in einem engen Verhältnis zu einander. Die Wahl sei zu einer „besonderen Unterart der Volksabstimmung geworden“.123 Eine letzte Folge der rein politischen Funktion der Volksabstimmung, war die Auflösung der Unterscheidung von Maßnahme oder Gesetz bei einer Volksabstimmung bei einigen Staatsrechtswissenschaftlern. Sie sei bei einer allgemeinen Vertrauensbekundung des Volkes zu Adolf Hitler nach ihrer Auffassung juristisch nicht mehr wichtig.124

118 Stuckart / v. Rosen / Schiedermair, S. 64 ff.; Rahn, Staatsrecht, S. 72; Kussmann, Verfassungsleben, S. 50 ff.; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 143 ff.; Huber, Verfassungsrecht, S. 199 ff. 119 So fassten Stuckart / v. Rosen / Schiedermair (dies., Staatsaufbau, S. 64 – 71) die Reichstagswahl und die Volksabstimmung in einem Abschnitt unter der Überschrift „Die Volkbefragung“ zusammen. Beides seien Wege der Regierung „unmittelbar an das Volk herantreten“ zu können, um seiner Hauptaufgabe, der „Erhaltung und Förderung“ des Volkes, gerecht werden zu können. 120 Uhde, Wahl und Volksabstimmung im Führerstaat, Diss. jur., Würzburg 1936, a. a. O. 121 Inhaltlich gleichlautend: Schenzer, Volksabstimmung, II Abschnitt, S. 31 – 34. 122 Uhde, Volksabstimmung, S. 6, 27 – 30: „In der neueren Zeit sind nun Fälle feststellbar, bei denen diese Begriffsbestimmungen [Wahl oder Volksabstimmung] versagen. Es ist bemerkenswert, daß man heute in bestimmten Staaten gewisse Volksabstimmungen als Wahlen bezeichnet, die deren bisheriger Definition nicht mehr entsprechen, da bei ihnen die Personalentscheidung völlig in den Hintergrund, die Sachentscheidung dagegen in den Vordergrund tritt. Andererseits sind heute Volksabstimmungen im äußeren Gewand des Volksentscheids festzustellen, die diesen Namen deshalb nicht mehr verdienen, weil sie keine Sachentscheidung, keine staatsrechtliche Willensbildung mehr sind.“ 123 Ebd., S. 9, 54 ff. 124 So war für Herbert Schenzer (ders., Verfassungsrecht, S. 19) nur noch die politische Einzelmaßnahme im Dritten Reich entscheidend. Für Ernst Rudolf Huber (ders.,Verfassungs-

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3. Führer und Volksabstimmung als Säulen einer neuen „germanischen Demokratie“ bei Wolfgang Endriss – Beispiel eines nationalsozialistischen Staatsmodells Besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf den übergeordneten rechtspolitischen aber auch ideologischen Umgang im Dritten Reich mit dem Volksabstimmungsgesetz gebührt der Dissertation „Die unmittelbare Demokratie als germanische Idee und ihre geschichtliche Entwicklung“ von Wolfgang Endriss von 1935.125 Sie wurde bereits im Zusammenhang mit der historischen Herleitung der Volksabstimmung und ihrer Abgrenzung zur Weimarer Volksgesetzgebung eingeführt. Anders als viele der vorangehend behandelten Staatsrechtswissenschaftler, die in Bezug auf das Volksabstimmungsgesetz oft nur partiell und ohne weiteren Zusammenhang die „herrschenden“ Meinungen rezipierten, entwickelte Endriss ein Staatsmodell, in deren Mittelpunkt, neben natürlich einer Führerfigur, die akklamativsymbolische Volksabstimmung im Sinne der herrschenden Meinung stand. Exemplarisch wird bei ihm besonders deutlich, wie auf der Grundlage eines nach heutigen Maßstäben verfälschten Demokratieverständnisses die dargestellte herrschende Meinung zum Volksabstimmungsgesetz mit den weiteren ideologischen Grundkonstanten des Führerstaats zu einer Vorstellung von „germanischer Demokratie“ zusammengefügt wurde, die eigentlich nichts weiter als den Missbrauch von Vorstellungen direkter Demokratie durch den Nationalsozialismus zu verbergen suchte. Die inneren Widersprüche in der staatsrechtlichen Argumentation treten bei Endriss zudem deshalb deutlicher als bei führenden Staatsrechtlern wie Ernst Rudolf Huber oder Otto Koellreutter hervor, weil er „herkömmliche“ Begrifflichkeiten und keine der oft unscharfen nationalsozialistischen Terminologien verwendete.126 Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist der Begriff der Demokratie, die für Endriss nur eine unmittelbare Demokratie sein konnte, in der das „Volk über sich selbst“ herrsche, „Führer und Geführte identisch“ seien.127 Entstanden sei dieser einzig und allein wahrhafte Begriff der Demokratie in dem Zusammenspiel von Volksversammlungen und Führertum des antiken Germaniens:

recht, S. 202) handelte es sich zumindest bei allen drei praktischen Volksabstimmungen um Maßnahmen. 125 Endriss, unmittelbare Demokratie, a. a. O. 126 Auch bezog Endriss einige in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft als zentral angesehenen Faktoren wie bspw. die NSDAP nicht explizit in sein Legitimationsmodell des Führerstaats mit ein, was sein Verfassungsmodell sehr viel einfacher und durchschaubarer macht. Vgl. allgemein zur Bedeutung der NSDAP im Dritten Reich: Huber, Verfassungsrecht, S. 287 – 307; Walz, Die NSADAP und die Forderung der Demokratie, S. 33 – 46. 127 Endriss, unmittelbare Demokratie, S. 5: „Daraus ist zu folgern, daß die Bezeichnung unmittelbare Demokratie und Demokratie sich decken. Es darf also keine Demokratien geben, die nicht unmittelbar sind; [ . . . ].“

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„Aber erst im und mit dem Germanentum hat die unmittelbare Demokratie ihren eigentlichen, auf Wirklichkeit fußenden praktischen Sinn erhalten. [ . . . ]. Eine aus Volk und Führer bestehende Einheit oder auch der Führer als Repräsentant des Volkes bildeten das Wesen des Staatsgefüges. Erst durch die folgerichtige und dem germanischen Wesen zweckentsprechend eingeschaltete Stellung des Führertums in den Aufbau der unmittelbaren Demokratie wurde diese zu einer germanischen Demokratie“128.

Später habe dieser Demokratiebegriff in der Geschichte dann leider eine missbräuchliche Ausdehnung erfahren: „Alle modernen Staaten, in denen eine gewählte Körperschaft das Volk vertritt, repräsentiert [ . . . ], werden heute als (parlamentarische) Demokratien bezeichnet. Zum Teil mag dies daher rühren, daß man diese vermeintlich fortschrittlichste und modernste Staatsform nicht als Aristokratie, Oligarchie oder Diktatur entlarvt oder auch nur mit den Element dieser Verfassungstypen vermischt wissen will.“129

Eine erhebliche Schuld an dieser Veränderung und damit Gefährdung echter Demokratie durch den Parlamentarismus sah Endriss bei der französischen Revolution, die die „Grundsätze von Repräsentation und Demokratie bis zur fast vollständigen Untrennbarkeit miteinander“ verbunden habe, was zu einer Parlamentsstatt Volkssouveränität geführt habe.130 Nicht zufällig erscheint später bei ihm die Weimarer Volksgesetzgebung als ebenfalls ein Produkt der französischen Revolution, wie bereits im Rahmen der „historischen Neubewertung“ oben dargestellt wurde. Nach der Darstellung des Demokratiebegriffs und des bisherigen „demokratischen Irrweges“131 wendete sich Endriss den damals wie heute allgemein zu erfüllenden Voraussetzungen einer wirklichen unmittelbaren Volksherrschaft zu. Wieder bezog er sich vor allem auf seine Vorstellungen über das Germanien zur Zeit der Antike. Entscheidend sei vor allem Rechtsgleichheit zwischen den Klassen eines Volkes, wie sie auch bei den Germanen geherrscht habe. Es dürfe nicht eine Klasse über die andere herrsche.132 Freiheit lehnte Endriss dagegen explizit als elementaren Bestandteil der Demokratie ab. Bei dieser handele es sich vielmehr um einen „schlagwortartig gebrauchten Begriff“ des Liberalismus, den dieser in die liberale Demokratie eingebracht habe. In Wirklichkeit sei kein Mensch frei, sondern „mehr oder weniger weitgehend von seiner Umwelt, seiner Familie, dem Ebd., S. 2. Ebd., S. 6. 130 Ebd. 131 Eine ähnliche Darstellung enthält die neben Wolfgang Endriss und Gustav Uhde dritte Dissertation über die Volksabstimmung nach 1933 von Herbert Schenzer (ders., Volksabstimmung, S. 48). 132 Eine möglicherweise fehlende Beteiligung von Frauen, Knechten, Sklaven, Kranken oder Verbrechern im alten Germanien rechtfertigte Endriss (ders., unmittelbare Demokratie, S. 10) damit, das diese keine eigenen sozialen Schichten dargestellt hätten, was auf das nationalsozialistische Gleichheitsverständnis rückschließen lässt. 128 129

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Staat oder vielen anderen Faktoren abhängig“. In der ursprünglichen germanischen Demokratie habe es vielmehr einen „ungeschriebenen Grundsatz gegeben, dass die unbeschränkte Freiheit des Einzelnen einer gewissen Bindung der Volksgemeinschaft zu weichen“ habe.133 Gleichheit vorausgesetzt, kam Endriss zur Ausdrucksform des Volkswillens in einer unmittelbaren Demokratie als nächsten zentralen Frage. Seine wiederum aus der Geschichte gewonnene Antwort darauf: Nur die Volksversammlung stelle die wirklich unmittelbare Ausdrucksform des Volkswillens dar. Der Autor bezog sich hierbei unmittelbar auf die Ausführungen Carl Schmitts zu „Volksentscheid und Volksbegehren“ von 1926, die bei ihm ebenfalls als Rückgriff auf altgermanische Verfassungsgrundsätze erscheinen. Eine geheime Einzelabstimmung lehnte er mit dessen Worten als „mittelbar“ und als reines „Additionsverfahren“ ab.134 Unmittelbar nach dem grundsätzlichen Plädoyer für die Volksversammlung leitete Endriss zur Rolle eines Führers in einer unmittelbaren Demokratie über. Anknüpfungspunkt ist dabei die schlichte Feststellung, dass mit einer Volksversammlung selbst eine denkbare ungeteilte Staatsgewalt unmöglich ausgeübt werden könne. Aufgrund praktischer Notwendigkeiten sei es unumgänglich, „die allerorts von Zeit zu Zeit sich zeigenden schwierigeren Fragen der besonderen Klugheit und Erfahrung, dem Weitblick und der Entschlußkraft einzelner besonders befähigter Personen zu übertragen.“135 Die Verfassungswirklichkeit vor Augen stellte er fest, dass das Volk als alleiniger Träger der Staatsgewalt in der germanischen Demokratie hierzu entweder den Führer wähle, dieser in der Praxis aber auch durch eine „legale Revolution“ an die Macht gelangen könne und „seine Stellung“ dann „durch eine Volksabstimmung befestige“.136 Die Herrschaftsübertragung auf einen Führer erfolgte, laut Endriss weitergehend nicht nur punktuell, sondern umfassend, was angesichts des vorher dargestellten Ideals einer Selbstherrschaft durch Volksversammlungen überrascht. Nur so konnte Endriss jedoch im Rahmen seiner rhetorischen Legitimationsstrategie endgültig zur herrschenden Meinung über eine Allmacht des Führers und natürlich auch eine rein akklamativ-symbolische Funktion gelangen. Zwar sei grundsätzlich das Volk im Führerstaat „selbst Gesetzgeber“, in der Praxis sei das Volk aber zu einem klaren Urteil nicht in der Lage: „Stimmt nun die große Masse über das ab, worüber sie kein Urteil hat, so bedeutet dies, daß der Volkswille erst durch die Führer gebildet werden muß, ehe er sich überhaupt als Wille äußern kann. Diese Willensbildung geschieht durch den Führer selbst oder seine Beauftragten mit allen Mitteln der Propaganda, vor allem also [ . . . ] der Rede, [ . . . ].“137

Ebd., S. 10 – 11. Ebd., S. 16 – 21. Vgl. auch die Darstellung in Kap. II B. 4. a). Endriss bezog sich ganz explizit auf: Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, S. 35. 135 Ebd., S. 25. 136 Ebd., S. 29. 137 Ebd., S. 30. Der ähnlich argumentierende Herbert Schenzer (vgl. ders., Volksabstimmung, S. 49 – 51) begründete die alleinige Willensbildung durch den Führer dagegen schlicht 133 134

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Vor dem Hintergrund seines Demokratieverständnisses und der von ihm herausgearbeiteten allgemeinen Voraussetzungen brauchte Endriss nun nur noch die altgermanische Volksversammlung unter Einbeziehung der schweizerischen Landgemeindedemokratie der nationalsozialistischen Volksabstimmung gleichzustellen, um endgültig im Dritten Reich und bei der herrschenden Meinung über die historischen Wurzeln des nationalsozialistischen Volksabstimmungsgesetzes anzukommen.138 Es schließt sich in seiner Arbeit ein Kreis, der bei einer antiken unmittelbar durch Führer und Volksversammlung geführten einzig und allein wahrhaftigen germanischen Demokratie begonnen hat, sich in demokratischen Irrwegen der französischen Revolution und einem vor allem in der Weimarer Republik erlittenen Parlamentarismus fortsetzte, um am Ende zu einer im Nationalsozialismus durch Hitler und die akklamative symbolische Volksabstimmung wiedergeborenen germanischen Demokratie zurückzukehren. In Bezug auf die Gegenwart und den Untergang der Weimarer Republik stellte Endriss deshalb fest: „Die Verfechter der repräsentativen Demokratie wollen die Führerschaft und ihre Notwendigkeit nicht wahr haben, ohne aber in der Praxis sie und ihre mit der Parteienwirtschaft verbundenen Mißstände und Auswüchse vermeiden oder einen Weg zur Vermeidung angeben zu können. [ . . . ]. Aber im Gegensatz zu der repräsentativen stellt die unmittelbare Demokratie – soweit sie wenigstens als germanische Idee in Erscheinung tritt – das Führertum in die Mitte des Staatsaufbaus [ . . . ]. Hier verschmelzen der Führer und das wirklich anwesende Volk zu einer Einheit zusammen und führen derart in geeigneter Weise die Staatsmaschinerie. Die reine Demokratie steht und fällt mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Führer.“139

4. Die rechtspolitische Bewertung der konkreten Volksabstimmungsverfahren im Dritten Reich vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik In Bezug auf die Einschätzung der praktischen Erfahrungen mit einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk in der Weimarer Republik nach Art. 73 – 76 WRV ergaben sich zwischen der Staatsrechtswissenschaft des Dritten Reiches und derjenigen der Weimarer Republik insgesamt nur wenige Veränderungen. Die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft führte die auf der Bewertungsebene der Verfassungswirklichkeit negativen Bewertungen aus der Zeit von bis 1932 fort.140 Auf einzelne Verfahren wurde dabei in der Regel allerdings nicht mehr damit, dass der bisherige Begriff der Volkssouveränität als Willensbildung von unten nach oben auf einem Missverständnis beruhe. Entscheidend sei aber nur die grundsätzliche „völkische“ Herrschaft des Volkes, die dem Führer einen umfassenden Auftrag erteilt hätte, weswegen es nur noch „zustimmen“, aber nicht mehr „bestimmen“ dürfe. 138 Endriss, unmittelbare Demokratie, S. 129. 139 Ebd., S. 27. 140 Vgl. Kap. II B. 2. a).

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eingegangen. Auch ein Unterschied zwischen praktischen politischen Begleitumständen und der übergeordneten Frage, ob daraus auf eine grundsätzliche Inkompatibilität zwischen Volksgesetzgebung und parlamentarischem System zu schließen sei, wurde im Führerstaat nicht mehr gemacht Sehr oft wurde stattdessen in einer meist sehr kurzen, pauschalen Beurteilung beispielsweise festgestellt, dass die Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren in einer Zeit der „Parteienzerrissenheit“ die „Opposition gegen die Regierung gestärkt“ und damit die „Feindschaft innerhalb des Volksganzen“ gefördert hätten. Die Volksbegehren seien destruktive „Kampfmittel“ „oppositioneller Strömungen“ gewesen, die der Regierung damit „in den Rücken“ gefallen seien.141 Die Tatsache, dass es Hitler 1929 selbst gewesen war, der zusammen mit Alfred Hugenberg im Volksgesetzgebungsverfahren gegen den Young Plan zum Angriff gegen die Weimarer Republik geblasen hatte, wurde nicht erwähnt.142 Vielleicht ist jedoch gerade der Missbrauch durch die Nationalsozialisten in der Weimarer Republik der Grund dafür gewesen, dass die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft nicht auf einzelne Verfahren der Weimarer Zeit eingegangen ist. Im krassen Gegensatz zur Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren erschienen die durchgeführten nationalsozialistischen Volksabstimmungen im hellsten Licht. Die Verfassungswirklichkeit im Führerstaat wurde ganz im Sinne der herrschenden rechtspolitischen und verfassungstheoretischen Instrumentalisierung der Volksabstimmung im Führerstaat dargestellt. Der Schwerpunkt der Darstellungen lag hierbei auf den Abstimmungen 1933 und 1934. Sie erschienen als die für die grundsätzliche Legitimität der „Nationalen Revolution“ wichtigen, überwältigenden „Gefolgschaftsbekenntnisse“ des Volkes zu seinem Führer.143 „Am 5. März 1933 und am 12. November 1933 ebenso wie am 19. August 1934 hat das deutsche Volk den Maßnahmen seines Führers seine Zustimmung erteilt und ihn dadurch gewissermaßen auf das Schild gehoben. [ . . . ], als moderne Volksgemeinde hat das deutsche Volk wie vor zwei Jahrtausenden seinem Führer zugejubelt“, formulierte Wolfgang Endriss.144 Franz Albrecht Medicus nannte in einer fast schon religiösen Terminologie einen ganzen Aufsatz „Das Volksbekenntnis vom 12. November 1933“. Er schrieb darin:

141 Vgl. Huber, Verfassungsrecht, S. 200; Rahn, Staatsrecht, S. 72; Schenzer, Volksabstimmung, S. 9 – 10; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 145; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 34 – 35; Uhde, Volksabstimmung, S. 40 – 41. 142 Als indirekte Legitimation der Young-Plan Kampagne kann höchstens die verächtliche Feststellung Otto Koellreutters (ders., Verfassungsrecht, S. 145) verstanden werden, dass die Möglichkeit der Obstruktion durch den Volksentscheid ein Beweis für die Unfähigkeit des ganzen Weimarer Systems gewesen sei. 143 Vgl. Köttgen, Vom Deutschen Staatsleben, S. 77 ff.; Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom Deutschen Staatsleben, S. 75 – 76; Stuckart / Albrecht, Staatsrecht, S. 36; Uhde, Volksabstimmung, S. 50 – 51. 144 Vgl. Endriss, unmittelbare Demokratie, S. 128. Er bezog in diese Darstellung auch Reichstagswahl vom März 1933 mit ein.

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„Das Volk billigte also mit großer Mehrheit die Entscheidungen, die die Reichsregierung getroffen hatte. Es bereitete seinem Führer eine Vertrauensbekundung, wie sie bisher selten einem Staatsmanne zuteil geworden war, weder in Deutschland noch in irgendeinem anderen Lande. [ . . . ] Das Ergebnis der Volksabstimmung war ein geschichtlich einzigartiges Bekenntnis der Nation zum Führer.“145

Für Gustav Uhde hatten die Abstimmungen endgültig bewiesen, dass die „Regierung Adolf Hitler eine Führung ist, die nicht im Volk ein Objekt ihrer Betätigung erblickt, sondern die im Volk lebt, mit dem Volk fühlt und für das Volk kämpft.“146 Für alle Staatsrechtswissenschaftler, vom bekannten Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber bis zum unbekannten Herbert Kussmann und dessen Schrift „Das Verfassungsleben des Deutschen Reiches“, waren die Volksabstimmungen ein überwältigender Erfolg, Legitimationsquelle und akklamative Bestätigung nationalsozialistischer Macht in Deutschland.147 Sie erfüllten damit nach einhelliger Meinung nicht nur innenpolitisch die Funktion, die ihnen verfassungstheoretisch und ideologisch zugedacht war. Auch oder gerade im „politischen schweren Ringen“ Deutschlands „mit fast der ganzen Welt“ um die eigene „Existenz“ sei dem „Ausland“ mit den überwältigenden Ergebnissen 1933 und 1934 die „Geschlossenheit des deutschen Volkes“ gezeigt worden.148 Die Volksabstimmung 1938 ist nur in wenigen, zumeist lediglich im weiteren Sinne staatsrechtswissenschaftlichen Beiträgen behandelt worden.149 Die Bewertung unterschied sich in ihnen aber nicht von den Darstellungen 1933 und 1934. So schrieb der Präsident der Akademie für Deutsches Recht und exponierte Nationalsozialist Hans Frank auch 1938 von einem „beispiellosen Bekenntnis einer Nation zu historischer Tat, zu dem Mann dieser Tat und damit als Bekenntnis zu sich selbst.“ Das „Großdeutsche Volksreich, geschaffen am 13. März durch des Führers einzigartige Entschlußkraft“, habe „durch das Bekenntnis vom 10. April auch formell die Bestätigung des Volkes gefunden.“150 Der Staatsrechtslehrer Hans Spanner nannte das Ergebnis ein „einzigartiges Treuebekenntnis zu Führer und Reich“ in Deutschland und Österreich.151 Medicus, Volksbekenntnis, S. 941 – 943. Uhde, Volksabstimmung, S. 61. Ähnlich auch: Poetzsch-Heffter / Ule / Dernedde, Vom deutschen Staatsleben, S. 75. 147 Vgl. Kussmann, Verfassungsleben, S. 117; Huber, Verfassungsrecht, S. 200 – 201. Huber verwies vor allem auf die hohen Zustimmungsergebnisse von über 90 Prozent. 148 Uhde, Volksabstimmung, S. 50, 56 – 57. 149 Vgl. Hans Spanner, Die Eingliederung der Ostmark ins Reich, in: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Idee und Ordnung des Reiches, Hamburg 1941. Als allgemeineres Staatsrechtlehrebuch ist hier nur das unter anderem von Wilhelm Stuckart (ders. / v. Hoewel / Schiedermair, Staatsaufbau, S. 40, 66) herausgegebene zu nennen. 150 Hans Frank, Des Volkes Stimme, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 5 (1938), S. 254. Zu nennen ist hier noch der Beitrag Roland Freislers (ders., 1938 – Großdeutschland, in: Deutsche Justiz 101 [1939], S. 3 – 5). 151 Spanner, Eingliederung der Ostmark, S. 8. 145 146

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Hinweise auf Einschüchterungen, einseitige Propaganda oder gar Manipulation der Ergebnisse als negative Aspekte, lassen sich nicht finden. Kein einziger Autor der Staatsrechtswissenschaft des Dritten Reiches nannte auch nur wenigstens einen verfahrenstechnisch negativem Aspekt im Zusammenhang mit den Abstimmungen. Ganz im Gegenteil betonte Franz Albrecht Medicus für die Abstimmung 1933 die gute organisatorische Durchführung wie auch die Wahrung der Wahlfreiheiten: „Ganz besonderes Gewicht hatte die Reichsregierung auf die Sicherung der Wahlfreiheit und das Abstimmungsgeheimnis gelegt. In mehreren Erlassen hatte der Reichsminister des Innern darauf aufmerksam gemacht, daß gegen jedermann, der Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis durch Anwendung unzulässiger Druckmittel beeinträchtigen und damit den Erfolg der Abstimmung verkleinere, rücksichtslos vorgegangen werde.“152

152

Medicus, Volksbekenntnis, S. 943.

Kapitel V

Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung auf Bundesebene in der Bundesrepublik Deutschland – Hintergründe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nach 1945 Mit dem Dritten Reich 1945 ging auch das „Gesetz über Volksabstimmung“ vom 14. Juli 1933 unter. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, wie es am 18., 20. und 21. Mai 1949 von den Landtagen der Bundesländer angenommen wurde, führte keine Bestimmungen für eine demokratische Volksgesetzgebung ein. Es enthielt als einziges plebiszitäres Element nur noch ein Territorialplebiszit in Art. 29 GG; ein obligatorisches Verfassungsreferendum war noch im Januar 1949 aus dem Entwurf gestrichen worden.1 Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer konkreten unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk auf gesamtstaatlicher Ebene endete. Sie setzte sich fort, erhielt aber ein neues Gesicht. Forschungsgeschichtlich entwickelte sich aus der staatsrechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit existierenden gesetzlichen Bestimmungen und ihren praktischen und politischen Wirkung nach 1945 eine historiographische Debatte. Aus dem rechtsdogmatisch wie rechtspolitischen Diskurs über geltendes Recht in der Weimarer Republik und dem Dritten Reich wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein Diskurs der Geschichts-, Politik- und Staatsrechtswissenschaft über vergangenes Verfassungsrecht und seine politischen wie verfassungsstrukturellen Wirkungen. Die Wissenschaft wendete sich hierbei nach dem offensichtlichen nationalsozialistischen Missbrauch direkter Demokratie vor allem den „Weimarer Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren“ zu und zog aus ihnen Rückschlüsse für die seit Gründung Bundesrepublik politisch umstrittene Frage einer Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Zentraler zeitgeschichtlicher Hintergrund dieser Forschungsdebatte sind die Entscheidungen gegen bundesweite Volksbegehren und Volksentscheide im Parlamentarischen Rat 1949, in der Enquetekommission Verfassungsreform des deutschen 1 Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 abgedruckt in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, Boppard 1995, S. 612 – 650; Karlheinz Niclauß, Der Weg zum Grundgesetz, Demokratiegründung in Westdeutschland 1945 – 1949, Paderborn 1998, S. 193 – 196; Otmar Jung, Grundgesetz und Volksentscheid, Gründe und Reichweite der Entscheidungen des Parlamentarischen Rats gegen Formen direkter Demokratie, Opladen 1994, S. 317.

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Bundestages 1971 – 1976 und in der Gemeinsamen Verfassungskommission des Deutschen Bundestages 1992 – 1994. Die in und um diese zentralen Gremien der Entstehung und Reform des Grundgesetzes ablaufenden Diskussions- und Entscheidungsprozesse bilden den Rahmen für den weiteren wissenschaftlichen Umgang mit der Thematik. Ihnen ist dieses Kapitel gewidmet, das dem im eigentlichen Sinne forschungsgeschichtlichen Kapitel VI vorangeht. So wie in Kapitel I und III die Hintergründe der Entstehung plebiszitärer Regelungen 1919 und 1933 für eine unmittelbare Beteiligung des Volkes untersucht wurden, wird in diesem Kapitel V überblicksartig dargestellt, warum man sich 1948 / 49 (Abschnitt A.), 1971 – 76 (B.) und 1992 – 1994 (C.) gegen eine Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene entschied. Besondere Beachtung erhält hierbei angesichts des bereits angedeuteten Forschungsschwerpunkts nach 1945 die Fragestellung, ob es vor allem „schlechte Weimarer Erfahrungen“ waren, die den Ausschlag für die Ablehnung 1949, 1976 und 1994 gaben.2 Auf weitere, einzelne politische Ereignisse in der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte wird später im Rahmen des forschungsgeschichtlichen Kapitels VI an den Stellen eingegangen, wo sie für die wissenschaftliche Entwicklung von Bedeutung waren. Wie bereits in der Einleitung erläutert, erfährt die Deutsche Demokratische Republik als zweiter Staat auf deutschem Boden in den folgenden zwei Kapiteln keine Behandlung. Erwähnt sei an dieser Stelle aber, dass ihre Verfassung vom 7. Oktober 1949 zumindest theoretisch eine Volksgesetzgebung für die DDR einführte, für die aber niemals ein Ausführungsgesetz erlassen wurde. Sie und auch die ihr nachfolgenden Regelungen zu einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk in der Verfassung vom 6. April 1968 haben bis zur Wiedervereinigung 1990 keine praktische Anwendung gefunden.3 Durchgeführt wurden jedoch einige „sozialistische“ Volksbefragungen und Verfassungsabstimmungen. 2 Es handelt sich hierbei um die immer noch überwiegende Darstellung und herrschende Meinung in der Geschichts- und Rechtswissenschaft für vor allem für die Ablehnung der Volksgesetzgebung im parlamentarischen Rat nach 1945. Dazu ausführlich in Kap. VI. Vgl. exemplarisch: Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, Tübingen 1962, S. 147 – 150; Alfred Katz, Staatsrecht (8. Aufl.), Heidelberg 1987, Rz. 144; Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht, Bd. 2 (Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes), Heidelberg 1987, S. 321; Klaus Kröger, Die Entstehung des Grundgesetz, in: NJW 42 (1989), S. 1318 – 1324, 1320; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrecht, Strukturprinzipien der Verfassung Bd. 1 (2. Aufl., 1. Aufl. 1977), München 1984, S. 608; Eduard Dreher, Das parlamentarische System des Bonner Grundgesetzes im Vergleich zur Weimarer Verfassung, in: NJW 3 (1950), S. 130; Karsten Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit von Volksabstimmungen nach dem Grundgesetz, Baden-Baden 1991, S. 82, FN 14 mit weiteren Nachweisen. 3 Außerdem gab es 1946 vor Inkrafttreten der ersten DDR-Verfassung eine Volksabstimmung in Sachsen. Sie, die zwei Verfassungsreferenden 1948 und 1968 und die späteren „Volksbefragungen“ beruhten auf eigenen rechtlichen Grundlagen. Vgl. insgesamt zur Volksgesetzgebung in der DDR: Hans Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Elemente in

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A. Die Entscheidung gegen eine Einführung bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide ins Grundgesetz 1948 / 49 Ausgangspunkt der bundesrepublikanischen Verfassungsentwicklung auf Bundesebene waren die Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948. In ihnen ermächtigten die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen die elf westdeutschen Ministerpräsidenten zur Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, die eine Verfassung für einen westdeutschen Bundesstaat ausarbeiten sollte. Das Dokument Nr. 1 forderte hierbei eine demokratische, bundes- und rechtsstaatliche Ordnung.4 Die Verfassung sollte durch ein Plebiszit angenommen werden.5 Weitere Auflagen in Bezug auf plebiszitäre Elemente, beispielsweise für oder gegen eine Volksgesetzgebung, wurden nicht gemacht. Selbst die Forderung nach einer direkten Annahme durch das Volk wurde nach Protesten der Ministerpräsidenten, die um den provisorischen Charakter des Grundgesetzes fürchteten, zurückgenommen.6 Bis zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen offiziellen Verfassungsentwurf, jedoch inoffizielle Vorentwürfe der Parteien und von anderer einflussreicher Seite. Ihnen ist der erste (1.) der folgenden Unterabschnitte gewidmet. Danach (2.) wird auf die Beratungen auf der Insel Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat eingegangen. Wie bereits einleitend ausgeführt, erfolgt die Darstellung insbesondere unter der Fragestellung, ob das Argument von „schlechten Erfahrungen“ in der Weimarer Republik ausschlaggebend war, oder ob es nicht auch andere Gründe für die ablehnende Entscheidung 1948 / 49 gab. Die Frage erscheint schon deshalb berechtigt, da die meisten der dreizehn Landesverfassungen, die 1946 / 47 in Kraft traten, Bestimmungen zur Volksgesetzgebung erhielten. Die Integration oder Ablehnung dieser Bestimmungen erfolgte dabei auf Länderebene, so die Forschung einhellig, ohne „grössere, bemerkenswerte Dispute“.7 Entdas Grundgesetz, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und verfassungspolitische Konsequenzen direkter Demokratie im vereinten Deutschland, Baden-Baden 1999, S. 192 – 202; Herwig Roggemann, Die DDR-Verfassungen, Einführung in das Verfassungsrecht der DDR– Grundlagen und neuere Entwicklung, Berlin 1989, S. 155, 391 ff. (Verfassungen der DDR von 1949, 1968 und Reform 1974); Klaus Bender, Deutschland, einig Vaterland, Die Volkskongreßbewegung für deutsche Einheit und einen gerechten Frieden in der Deutschlandpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Frankfurt 1992, S. 225 – 264; Karl Schultes, Volksbegehren, Volksentscheid und das demokratische Selbstbestimmungsrecht, in: Neue Justiz (Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft) 2 (Nr. 6, 1948), S. 97 – 100. 4 Vgl. Dokument Nr. I vom 1. 7. 1948, in: Hans v. Mangoldt / Gerhard Leipholz (Hrsg.), JöR n.F. 1 (1951), S. 1 – 3. 5 Ebd., S. 918; vgl. Reinhard Mußnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1 (Grundlagen von Staat und Verfassung), Heidelberg 1987, S. 227. 6 Ebd., S. 220 – 230; Niclauß, Weg zum Grundgesetz, S. 193 – 6; Bugiel, Volkswille, S. 140 – 141.

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weder betrachtete man Volksbegehren und Volksentscheid als „selbstverständlichen Teil einer demokratischen Verfassung“ und regelte sie entsprechend, oder man nahm sie „ohne große Diskussion“ nicht auf. Ein Schreckensgespenst Weimarer Erfahrung gab es hier nicht.8 Es geht im Folgenden allein um Volksgesetzgebung. Andere plebiszitäre Elemente, die in den Diskussionen vor und im Parlamentarischen Rat auftauchen, nämlich das Gründungsplebiszit, die Frage der Territorialplebiszite oder eine Sonderabstimmung über das Elternrecht sind hiervon zu unterscheiden und werden nicht oder nur am Rande berücksichtigt.

1. Die Volksgesetzgebung in den Vorentwürfen der Parteien, des Deutschen Büros für Friedensfragen sowie im „Bayerischen Entwurf eines Grundgesetzes“ Die SPD setzte bereits am 25. September 1946 einen „Ausschuss für verfassungspolitische Fragen“ ein, in dem vor allem der nordrhein-westfälische Innenminister Walter Menzel eine wichtige Rolle spielte. Dieser erarbeitete verfassungspolitische Richtlinien, die vom Parteivorstand im März 1947 gebilligt und am 1. Juli 1947 auf dem Nürnberger Parteitag als „Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik“ einstimmig beschlossen wurden. Diese Richtlinien enthielten keine Forderung nach einer ausdifferenzierten Volksgesetzgebung. Allgemein formuliert sollte ein Volksentscheid nur „für bestimmte in der Verfassung festzulegende Fälle unter Wahrung bestimmter Verfahrensvorschriften möglich“ sein.9 Tiefergehende Diskussionen zu diesem Thema hat es auf dem Parteitag nicht gegeben.10 Nachdem der Ausschuss ein weiteres Jahr ohne endgültiges Ergebnis zusammengekommen war, legte Menzel unabhängig von der Ausschussarbeit einen neuen Verfassungsentwurf vor, der sich insbesondere in einem Punkt von den Richtlinien unterschied.11 Er enthielt in § 38 eine Volksgesetzgebung nach den Grundzügen der Weimarer Reichsverfassung mit einem Quorum von 10 % und leicht veränderten Durchführungsbestimmungen. Dieser erste „Menzel-Entwurf“ wurde vom Parteivorstand am 2. / 3. August 1948 neben den existierenden Richt7 So bereits die erste Dissertation zur Volksgesetzgebung nach 1945: Franz Meyer, Die unmittelbare Demokratie der Weimarer Republik im Vergleich zu den heutigen deutschen Länderverfassungen der drei Westzonen, Diss. jur., Köln 1948, S. 1 – 2. 8 Vgl. Wolfgang Berger, Die unmittelbare Teilnahme des Volkes an staatlichen Entscheidungen durch Volksbegehren und Volksentscheid, Diss. jur., Freiburg i. Br. 1978, S. 248. 9 Jung, Grundgesetz , S. 157. 10 Protokolle der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 29. Juni bis 2. Juli 1947 in Nürnberg, Berlin 1976, S. 153. 11 Abgedruckt bei: Wolfgang Benz (Hrsg.), Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen, Zur Geschichte des Grundgesetzes, Entwürfe und Diskussionen 1941 – 1949, München 1979, S. 367 – 383.

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linien gebilligt. Unwesentlich verändert wurde er als „Entwurf einer westdeutschen Satzung“ veröffentlicht, und am 9. August bei einer Konferenz des Verfassungspolitischen Ausschusses, bei der Teile des Parteivorstandes anwesend waren, den sozialdemokratischen Teilnehmern der Herrenchiemseekonferenz mitgegeben.12 Auch ein späterer, zweiter „Menzel-Entwurf“ vom 2. September 1948, den die SPD dem Entwurf der Herrenchiemseekonferenz als Alternative entgegensetzte,13 enthielt in § 49 inhaltsgleiche Bestimmungen für eine Volksgesetzgebung.14 Die CDU / CSU bildete im Februar 1947 unter der Leitung Heinrich von Brentanos einen Verfassungsausschuss in Heppenheim an der Bergstraße. Parallel dazu entstand kurze Zeit später noch der Ellwanger Freundeskreis, ein informelles Gremium zur Koordination der Unionsinteressen auf Länderebene. Auch dieser bildete am 22. und 23. November 1947 einen eigenen Verfassungsausschuss und erarbeitete in ihm „Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung“.15 Sowohl der „Heppenheimer Entwurf“ als auch die „Grundsätze“ vom 10. Dezember 1947 sahen keine Volksgesetzgebung in einer zukünftigen deutschen Verfassung vor. Dass der „Heppenheimer Entwurf“ immerhin die Möglichkeit einer Parlamentsauflösung durch Volksbegehren und Volksentscheid, die „Grundsätze“ anfangs ein Gründungsplebiszit, die Annahme des Grundgesetzes durch das Volk vorsahen, zeigt aber, dass es auch keine dezidiert antiplebiszitäre Haltung innerhalb der CDU / CSU gab.16 Das Gründungsplebiszit wurde erst am 22. und 23. März 1948 aus den „Grundsätzen“ gestrichen, die danach am 13. April 1948 endgültig verabschiedet wurden. Dass es zu dieser Streichung kam, erklärt der Historiker und Politologe Otmar Jung damit, dass aus den Planungen des Jahres 1947, die noch für eine gesamtdeutsche Verfassung stattgefunden hätten, eine Planung nur für die Westzonen geworden sei, deren provisorischen Charakter man nicht durch eine zu starke Legitimation durch das Volk konterkarieren wollte.17 Hier findet sich dasselbe Argument wieder, das die Ministerpräsidenten bereits gegenüber den Militärgouverneuren in Bezug auf eine westdeutsche provisorische Verfassung geltend gemacht hatten.

12 Jung, Grundgesetz, S. 227 – 9. Gunther Jürgens (ders., Direkte Demokratie in den Bundesländern, Gemeinsamkeiten – Unterschiede – Erfahrungen. Vorbildfunktion für den Bund?, Stuttgart 1993, S. 289) bestreitet ein Vorliegen des 1. Menzel-Entwurfs auf der Herrenchiemseekonferenz. Er datiert zudem den Entwurf auf den 16. 8. 1948, also auf einen Termin, an dem die Konferenz bereits in vollem Gange war. 13 Jung, Grundgesetz, S. 251. 14 Abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 391 – 410. 15 Vgl. Jung, Grundgesetz, S. 160 – 162; Klaus Gotter / Hans Günter Hockerts / Rudolf Morsey / Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die CDU / CSU im Parlamentarischen Rat, Stuttgart 1981, S. 26 – 30 (Einleitung). 16 Abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 323 – 327, 324, 333 – 347, 347. Vgl. auch Jürgens, Direkte Demokratie, S. 289. 17 Jung, Grundgesetz, S. 224.

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Das Zentrum hatte im Sommer 1947 von Carl Spieker formulierte „Verfassungsrichtlinien“ vorgelegt, die zur Ausarbeitung eines „Entwurfs einer deutschen Verfassung“ führten.18 Dieser enthielt fast vollständig das Regelwerk der Weimarer Reichsverfassung zur Volksgesetzgebung. So hieß es dort in Nr. 12 bis 14: „Lehnt der Bundesrat ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ab, so kann der Bundestag beschließen, dass über das Gesetz ein Volksentscheid herbeigeführt wird. Einen Volksentscheid kann auch der Bundespräsident anordnen. Ein Zehntel der Stimmberechtigten kann in wichtigen Fragen durch Volksbegehren einen Volksentscheid herbeiführen.“19

Inhaltlich gleichlautend war der Verfassungsentwurf der KPD. Auch dieser sah eine echte Volksgesetzgebung vor.20 Die Demokratische Partei Deutschlands (DPD), die Dachorganisation der liberalen Gruppierungen auf Länderebene, aus der später die FDP hervorging,21 ist die einzige Partei, bei der sich die Erfahrungen der Weimarer Republik mit Volksentscheid und Volksbegehren eindeutig als ein Argument gegen die Volksgesetzgebung bereits vor den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates nachweisen lässt.22 Die DPD hatte am 3. November 1947 eine kleine gesamtdeutsche Kommission zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs eingesetzt, die ihre Arbeit jedoch durch den Bruch zwischen den liberalen Parteiorganisationen in den Westzonen und der Sowjetischen Besatzungszone im Laufe des beginnenden kalten Krieges nicht mehr aufnahm.23 In anderen liberalen Verfassungsentwürfen wie den „Verfassungspolitischen Richtlinien“ von Johannes Siemann vom 27. August 194724 oder den hessischen „Vorschlägen der LDP für ein Verfassungs- und Besatzungsstatut für Westdeutschland“25 wurden keine Regelungen zu einer Volksgesetzgebung getroffen. Ein Rundbrief des Vorsitzenden Theodor Heuss und des geschäftsführenden Vorstandsmitglieds Meyer vom 20. Juni 1948, in dem sie den Parteimitgliedern verfassungspolitische Vorschläge unterbreiteten, zeigt, dass hierfür innerhalb der DPD / FDP eine deutliche Abneigung gegenüber der Volksgesetzgebung ursächlich war. In dem Schreiben wurde eine Gesetzgebung durch das Volk grundsätzlich abgelehnt:

18 Abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 424 – 429; Ingwer Ebsen, Abstimmungen des Bundesvolkes als Verfassungsproblem, in: AöR Bd. 110 (1985), S. 11. 19 Benz, Bewegt, S. 426. 20 Ebd., S. 446 – 472, 467. Dort wird auf den Entwurf einer Verfassung der SED vom 14. 11. 1946 Bezug genommen. Vgl. auch: Ebsen, Abstimmungen, S. 11; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 289 – 290. 21 Vgl. Heino Kaack, Die FDP, Grundriß und Materialien zu Geschichte, Struktur und Programmatik (3. Aufl.), Meisenheim 1979, S. 12. 22 Jung, Grundgesetz, S. 225 – 226. 23 Ebd., S. 225. 24 Abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 418 – 424, 420. 25 Vgl. Jung (ders., Grundgesetz, S. 226), der sich auf BArchK, Nachlaß Heuss / 407 bezieht.

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„Auf dem Wege des Volksbegehrens gleichfalls Gesetze vorlegen zu lassen, empfiehlt sich nicht, da die gesetzgeberische Aktion nicht durch das Agitationsbedürfnis einzelner Volksgruppen belastet und diskreditiert werden darf. Die Erfahrungen der Weimarer Republik waren eindeutig.“26

Hier findet sich zum ersten Mal die verfassungspolitische Argumentation mit „Weimarer Erfahrungen“, die Heuss später im Parlamentarischen Rat gegen die Integration der Volksgesetzgebung wiederholt ins Feld führen sollte. Neben den Entwürfen der Parteien, die ihre Vertreter mit auf die Herrenchiemseekonferenz nahmen, gab es noch andere Verfassungsentwürfe, die dort als Arbeitsgrundlage fungierten. Diese waren zum einen ein Entwurf des Deutschen Büros für Friedensfragen (DBfF) und zum anderen der „Bayerische Entwurf eines Grundgesetzes“. Das DBfF, eine auf Länderinitiative ursprünglich zur Vorbereitung eines Friedensvertrages eingesetzte Organisation in der amerikanischen Besatzungszone,27 legte im Juli 1948 „Vorschläge der süddeutschen Sachverständigenkommission für eine deutsche Verfassung“ vor.28 Grundlage dieses Verfassungsentwurfs, der keine Volksgesetzgebung vorsah, waren vor allem Arbeiten des Leiters des Verfassungsreferats der bayerischen Staatskanzlei Friedrich Glum und des Chefs der hessischen Staatskanzlei Hermann Brill.29 Glum hatte bereits im Sommer 1946 den Entwurf einer Verfassung der „Vereinigten Staaten von Deutschland“ ausgearbeitet, den er nun in die Diskussion einbrachte.30 Dieser Entwurf enthielt das ganze System der Volksgesetzgebung, wie es die bayerische Verfassung vorsah. Hans Brill brachte seinerseits „Vorschläge für eine Verfassungspolitik des Länderrates“ ein, in denen er sich gegen Volksbegehren und Volksentscheid aussprach.31 Letztere Position setzte sich im DBfF durch, wobei weder der Diskussionsverlauf rekonstruierbar ist, noch die Frage beantwortet werden kann, 26 Rundschreiben Nr. 3 der Demokratischen Partei Deutschlands vom 20. 6. 1948, abgedruckt bei: Ingrid Wurtzbacher-Rundholz, Verfassungsgeschichte und Kulturpolitik bei Dr. Theodor Heuss bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentarischen Rat 1948 / 49 mit Dokumentenanhang, Frankfurt / M. 1981, S. 204 – 212, 207. Vgl. auch: Jung, Grundgesetz, S. 225. 27 Vgl. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, in: Karl Dietrich Bracher / Theodor Eschenburg u. a. (Hrsg.), Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1983, S. 476. Eschenburg, Ministerialrat der nur inoffiziell beteiligten Tübinger Regierung Württemberg-Hohenzollerns, war gleichzeitig provisorischer Leiter der Rechtsabteilung des DBfF. Ursprünglich sollte das DBfF auch für die britische Besatzungszone sprechen, was jedoch an einem Veto der amerikanischen Militäradministration scheiterte. 28 Abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 298 – 304. 29 An sich waren auch die Länder Bremen und Württemberg Baden im DBfF vertreten. Sie legten jedoch keine eigenen Entwürfe vor. Vgl. Jung, Grundgesetz, S. 162 – 167. 30 Unterstützt wurde er hierbei maßgeblich von Hans Naviasky, dem Vater der bayerischen Verfassung. Vgl. ebd., sowie den Text in: Friedrich Glum, Der künftige deutsche Bundesstaat, München 1946, S. 31 – 68; Hermann L. Brill: Bericht von einer Besprechung über Verfassungsfragen vom 14. März 1947, abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 239 – 248, 245. 31 Ebd. S. 248 – 251, 250.

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inwieweit die „Weimarer Erfahrung“ oder gar der nationalsozialistische Missbrauch eine Rolle spielten.32 Den „Bayerischen Entwurf eines Grundgesetzes“ präsentierte erst kurz vor Beginn der Herrenchiemseekonferenz im August 1948 eine Kommission der bayerischen Staatsregierung, die aus Hans Nawiasky, dem Staatssekretär Josef Schwalber sowie den Ministerialräten Claus Leusser und Heinrich Kneuer bestand.33 Dieser Entwurf, obwohl von Nawiasky erarbeitet, der ja die Volksgesetzgebung in der bayerischen Landesverfassung verankert und auch Friedrich Glums Beitrag zur Arbeit des DBfF beeinflusst hatte, enthielt keine Bestimmungen zur Volksgesetzgebung. Insgesamt ergibt sich für die offizielle Haltung der Parteien und die beiden anderen Entwürfe, die für die Verhandlungen auf Herrenchiemsee und später im Parlamentarischen Rat von Bedeutung sind, ein differenziertes Bild. Das Zentrum und die KPD traten in ihren Entwürfen für eine Volksgesetzgebung ein, wie sie in Weimar existiert hatte. Für diese beiden Parteien waren die Weimarer Erfahrungen anscheinend kein Argument gegen eine Wiedereinführung dieses Verfassungsinstituts. Dasselbe gilt für die SPD, wobei ihre Haltung angesichts des Widerspruchs zwischen „Richtlinien“ und „Menzel-Entwürfen“ und angesichts der Tatsache, dass auch Hermann Brill Sozialdemokrat war, ambivalent erscheint – etwas, was sich später auf Herrenchiemsee und in Bonn noch verstärkt zeigen sollte. Die CDU / CSU sah in ihren Entwürfen keine Volksgesetzgebung vor. Dies kann als Ausdruck einer ablehnenden Haltung gedeutet werden, ergibt sich aber nicht zwingend.34 Eine deutliche Ablehnung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene mit der Begründung „schlechter Weimarer Erfahrung“ lässt sich bei der FDP feststellen. In Bezug auf die Haltung der Parteien war die Frage einer Volksgesetzgebung für die spätere Bundesrepublik also weitgehend offen. Schwerer wog hier schon, dass sowohl der Entwurf des Deutschen Büros für Friedensfragen als auch der „Bayerische Entwurf“, zwei wichtige Arbeitsgrundlagen, keine Volksgesetzgebung vorsahen. Inwiefern bei ihrer Ausarbeitung „Weimarer Erfahrungen“ ein Entscheidungsfaktor waren, lässt sich nicht genau feststellen. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches bzw. der nationalsozialistische Missbrauch plebiszitärer Formen der Demokratie tauchten argumentativ nirgendwo auf.

32 Jung (ders., Grundgesetz, S. 165 – 7), der jedoch Belege dafür anführt, dass der Sozialdemokrat Brill sich an anderer Stelle durchaus positiv zur direkten Demokratie allgemein und auch in der Weimarer Republik äußerte, was gegen eine Argumentation mit der „Weimarer Erfahrung“ sprach. 33 Abgedruckt in: Der Deutsche Bundestag (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat (PR), Akten und Protokolle, Bd. 2, Der Verfassungskonvent (VK) auf Herrenchiemsee, Boppard 1981, S. 1 – 54. 34 Genauso verhielt es sich im Übrigen auch bei der Deutschen Partei (DP), die zur Volksgesetzgebung weitgehend schwieg. Vgl. Jung, Grundgesetz, S. 226; Heinrich Hellwege: Richtlinien für die künftige deutsche Verfassung vom 5. 8. 1947, abgedruckt bei: Benz, Bewegt, S. 430 – 433.

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2. Die endgültige Ablehnung der Volksgesetzgebung auf der Herrenchiemseekonferenz und im Parlamentarischen Rat Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948 traf eine im Ergebnis deutliche Entscheidung gegen die Volksgesetzgebung auf Bundesebene, deren Hintergründe jedoch weitgehend im Dunkeln bleiben.35 In den Protokollen finden sich nur zwei diesbezügliche Hinweise. Zum einen wurde im „Bericht über den Verfassungskonvent“ als „unbestrittener Hauptgedanke“, der „dem Arbeitsergebnis zugrunde“ liege, festgehalten: „Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes“.36 Zum anderen findet sich in der Aufzeichnung zur Plenarsitzung vom 23. August 1948 die einfache Feststellung des bayerischen Abgesandten Leusser: „Wir haben grundsätzlich die Volksgesetzgebung abgelehnt.“37 Im Plenum wurde diese Frage ansonsten nicht diskutiert, was angesichts der verschiedenen Vorentwürfe, die auf dem Konvent Einfluss nahmen, verwundert. Der Politologe und Zeithistoriker Otmar Jung hat jedoch nachgewiesen, dass die Frage einer Volksgesetzgebung zumindest im Unterausschuss II, der für die Organisationsfragen zuständig war, kurz angeschnitten wurde. Hier war es ausgerechnet der Sozialdemokrat Brill, der in Übereinstimmung mit seinen eigenen „Vorschlägen“ im Rahmen der Arbeit des DBfF für eine Ablehnung der Volksgesetzgebung plädierte.38 Dies führte ohne größere Diskussionen oder etwa Berufung auf die „Weimarer Erfahrung“ zur Festlegung des Unterausschusses in seinem Sinne.39 Dieser Beschluss wurde dann ohne weitere Auseinandersetzungen vom Plenum übernommen. Der einzige Hinweis auf die „Weimarer Erfahrung“ als ein möglicher Beweggrund gegen Volksbegehren ist ein Ausspruch des CDU-Abgesandten Süsterhenn, der in Bezug auf einen Antrag zur Einführung einer auf Verfassungsänderungen beschränkten Volksinitiative, vor der „Gefahr unübersehbarer Erschütterungen“ warnte.40 Auf der Herrenchiemseekonferenz wurden so bereits die Weichen für die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates gestellt.41 In Bonn kam es dennoch schon auf der dritten Sitzung des Plenums am 9. September 1948, noch vor Zusammentritt der Fachausschüsse, zur ersten Diskussion zwischen Menzel und Heuss über die Volksgesetzgebung. Walter Menzel, der an der Herrenchiemseekonferenz nicht teilgenommen hatte, argumentierte hierbei ganz im Sinne seiner Verfassungsentwürfe: „[ . . . ] wir werden uns sicherlich Vgl. Bugiel, Volkswille, S. 141. PR, Bd. 2, VK, S. 505 – 506. 37 PR, Bd. 2, VK, S. 448. 38 Vgl. Jung, Grundgesetz, S. 237 – 249. 39 Ebd. 40 PR, Bd. 2, VK, S. 447 – 448; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 290. 41 Zu der Beschlusslage trat noch der Faktor hinzu, dass schließlich einige der 22 Teilnehmer des Konventes später an der Arbeit des Parlamentarischen Rates teilnahmen. 35 36

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dazu entschließen müssen, Volksbegehren und Volksentscheide unter bestimmten technischen Voraussetzungen zuzulassen, [ . . . ].“42 Heuss widersprach dieser Aussage mit Worten, die bis heute in der wissenschaftlichen Darstellung immer wieder zitiert werden: „Aber er [Menzel] hat das Problem Volksinitiative und Volksbegehren angeschnitten. Ich meine: Cave Canem; ich warne davor, mit dieser Geschichte die künftige Demokratie zu belasten.[ . . . ]. Das Volksbegehren, die Volksinitiative, in den übersehbaren Dingen mit einer staatsbürgerlichen Tradition wohltätig, ist in der Zeit der Vermassung und der Entwurzelung in der großräumigen Demokratie Prämie für jeden Demagogen und die dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper [ . . . ] noch werden bemühen müssen.“43

Heuss stützte seine Ablehnung der Volksgesetzgebung wie schon in dem parteiinternen Rundschreiben vom 20. Juli 1948 auf die schlechte „Weimarer Erfahrung“.44 Zu weiteren Stellungnahmen kam es in dieser Sitzung nicht. Erst der Organisationsausschuss hat sich wieder mit dieser Frage auseinandergesetzt, über dessen Arbeit aber keine Protokolle existieren. Der SPD-Abgesandte Rudolf Katz hat aber später, in der 22. Sitzung des Hauptausschusses diesbezüglich berichtet: „Wir haben uns bereits im Organisationsausschuss über die Frage, inwieweit wir die Initiative durch das Volk und das Referendum einführen wollen, eingehend unterhalten und sind mit überwiegender Mehrheit zu einem ablehnenden Beschluss gekommen.“45

Einen Hinweis auf die Gründe dieser Entscheidung gab er nicht. Interessant ist aber, dass er sich als SPD-Abgesandter anders als Menzel vorher gegen die Volksgesetzgebung wandte. In derselben Sitzung des Hauptausschusses vom 8. Dezember 1948 kam es gleichzeitig zur weitestgehenden, nachweisbaren Auseinandersetzung über die Volksgesetzgebung. Auslöser waren Anträge des Zentrum und der KPD zur Integration dieses Verfassungsinstituts in das Grundgesetz. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel begründete ihren Antrag dabei damit, dass es wohl nur „ein Versehen“ sei, dass man die Volksgesetzgebung, die sie als „demokratisch selbstverständliches Recht“ des Volkes ansah, noch nicht in den Entwurf aufgenommen habe.46 Dieser Auffassung, die vom KPD-Abgeordneten 42 Der Deutsche Bundestag (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Bd. 9, PL (3. Sitz., 9. 9. 1948), S. 77. 43 PR, Bd. 9, PL (3. Sitz., 9. 9. 1948), S. 111 – 112. 44 Dass er damit zumindest nicht unmittelbar den Missbrauch des Volksgesetzgebungsgedankens durch Hitler meinte, wird aus späteren, noch darzustellenden Äußerungen Heuss im Parlamentarischen Rat deutlich. 45 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses (HA), Bonn 1948 / 49, Bonn 1950 (22. Sitz., 8. 12. 1948), S. 263; Jung (ders., Grundgesetz, S. 284) hält diese Aussage für unrichtig, da diese Frage im Organisationsausschuss terminlich und von den Tagesordnungspunkten her nicht behandelt worden sein könne. 46 PR, HA (22. Sitz., 8. 12. 1948), S. 263.

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Heinz Renner unterstützt wurde, widersprachen die Abgesandten Katz (SPD) und Heuss, wobei es wiederum Heuss war, der als erster die „Weimarer Erfahrung“ ins Feld führte: „[ . . . ] ich glaube, dass wir diese Prämie auf Demagogie nicht bereits in ein Grundgesetz hineinnehmen sollen, wo wir alle daran interessiert sind, dass die Struktur, wie sie gefunden wurde, eine in sich ruhende Garantie der Stetigkeit in dem kommenden Bundesgefüge sein wird. [ . . . ]. Wir haben eine ähnliche Sache bei der Behandlung der Frage des Fürsteneigentums gehabt. Es war immer eine blamable Situation, wenn Dinge künstlich gemacht worden sind, denen man von vorneherein ansah, dass sie nicht zum Zuge kommen werden, die aber – ich denke an den Young-Plan – eine politisch-psychologische Wirkung gehabt haben, die für Deutschland gefährlich wurde, weil eine komplizierte Sache in vereinfachter Darstellung an das Volk herangetragen wurde und die ganze politische Erzieharbeit, die in der Demokratie geleistet wurde, überrannt worden ist.“47

Theodor Heuss wiederholte an dieser Stelle seine bereits am 9. September geäußerte Meinung, führte sie gleichzeitig aber auch weiter aus. Die Volksgesetzgebung war für ihn Mittel zur Demagogie, Unruhefaktor auch bei aussichtslosen politischen Forderungen, ungeeignet, weil sie Kompliziertes zu sehr vereinfacht und im Ergebnis gefährlich für Deutschland alleine aufgrund ihrer Begleitumstände. Unterstützt wurde Heuss in seiner Argumentation durch Katz, der betonte: „Was wir mit dem Funktionieren von Volksbegehren und Volksentscheid in der Periode zwischen 1919 und 1933 erlebt haben, [ . . . ], war nicht sehr erbaulich.“

Er verwies dabei vor allem aber auf das Volksbegehren gegen den preußischen Landtag von 1931.48 Die Argumentation, wie sie Heuss und Katz führten, die in der Forschung später immer wieder als entscheidendes Handlungsmotiv des Parlamentarischen Rates dargestellt worden ist, lässt sich in den Beratungen zur Entstehung des Grundgesetzes nur an dieser Stelle explizit nachweisen.49 Die Anträge des Zentrums und der KPD wurden abgelehnt.50 Auch spätere gleichlautende Anträge des Zentrums in der 57. Sitzung des Hauptausschusses vom 5. Mai 1949 sowie am 6. Mai 1949 im Plenum scheiterten diskussionslos.51 Wie der Herrenchiemseekonvent lehnte also auch der Parlamentarische Rat die Volksgesetzgebung ab. Wie dort gab es auch in Bonn trotz unterschiedlicher Positionen insgesamt wenig Diskussionen, sieht man von den relativ kurzen „Standortbestimmungen“ in der 22. Sitzung des Hauptausschusses ab. Hier findet sich als einziges näher erläutertes Argument gegen die Wiedereinführung der Volksgesetzgebung der Verweis auf schlechte „Weimarer Erfahrungen“. Diese taucht also an Ebd., S. 264. Ebd. 49 Vgl. Rux, Direktdemokratische Verfahren, S. 185. 50 PR, HA (22. Sitz., 8. 12. 1948), S. 264. Der auch als zu undifferenziert kritisierte Antrag des Zentrums wurde hierbei mit elf gegen drei, der ausführlichere Antrag der KPD mit elf gegen sieben Stimmen abgelehnt. 51 PR, HA (57. Sitz., 5. 5. 1949), S. 756; PR, Bd. 9, PL (9. Sitz., 6. 5. 1949), S. 471 – 472. 47 48

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zentraler Stelle auf und war insofern sicher auch von Bedeutung. Die später immer wieder vertretene These, sie alleine sei im Entscheidungsprozeß ausschlaggebend gewesen, und es habe auch eine weitgehende Übereinstimmung über ihre Bewertung geherrscht, erscheint jedoch fraglich.52 Man betrachte nur die ambivalente Haltung der SPD, deren Vertreter Menzel sich anfangs für eine Integration aussprach, die sich später, angeführt von ihrem Abgeordneten Katz dann aber doch gegen die Volksgesetzgebung wandte, also schon wie auf Herrenchiemsee entgegen eigenen Verfassungsentwürfen argumentierte und abstimmte.53 Gegen die These einer weitgehenden Übereinstimmung über und auf der Grundlage der „Weimarer Erfahrung“, vielleicht auch nur in Form einer „unspoken assumption“54 spricht auch, dass sich an anderer Stelle namhafte Abgeordnete wie die CDU-Vertreter von Brentano und Süsterhenn durchaus grundsätzlich positiv zu Elementen direkter Demokratie äußerten.55 In der jüngeren Forschung finden sich vor diesem Hintergrund zunehmend andere Erklärungsversuche auf die Frage, warum es zur Ablehnung der Volksgesetzgebung im Parlamentarischen Rat kam. Sie treten teils an die Stelle von, teils neben den Verweis auf die „Weimarer Erfahrung“. Günther Jürgens sieht in der Auseinandersetzung über die Volksgesetzgebung einen vor allem vom Zentrum initiierten „Stellvertreterkrieg“ um das Elternrecht.56 In einem Streit um die Verankerung des Elternrechts im Grundgesetz, dem Recht der Eltern, über die religiöse Erziehung der Kinder und die von den Kindern zu besuchende Schulart zu bestimmen, war das Zentrum zusammen mit der CDU / CSU und der Deutschen Partei (DP) gegen die Stimmen von SPD, FDP und KPD unterlegen, die diese Frage der Kulturhoheit der Länder zuordneten. Laut Jürgens habe nun das Zentrum versucht, über die Einführung der Volksgesetzgebung die Tür für eine spätere Einführung ihres Ziels offen zu halten, was von den anderen Parteien durchaus auch so interpretiert worden sei.57 Auch oder vor allem deshalb seien die Anträge des 52 Im Ergebnis gleichlautend auch: Karlheinz Niclauß, Der Parlamentarische Rat und die plebiszitären Elemente, in: APuZ B 45 / 1992, S. 3 – 15, 9. 53 Vgl. Ebsen , Abstimmungen, S. 11 – 12; Jung, Grundgesetz, S. 284 – 285. 54 So Heinrich Oberreuter, Repräsentative und plebiszitäre Element als sich ergänzende politische Prinzipien, in: Günther Rüther (Hrsg.), Repräsentative oder plebiszitäre Demokratie – eine Alternative?, Baden-Baden 1996, S. 262. 55 Vgl. Süsterhenn, PR, HA (12. Sitz, 1. 12. 1948), S. 144; v. Brentano, PR, Bd. 9, PL (9. Sitz., 6. 5. 1949), S. 496. 56 Jürgens, Direkte Demokratie, S. 295 – 303. Dazu auch: Niclauß, Weg zum Grundgesetz, S. 198. 57 Jürgens führt als Beleg insbesondere die Äußerungen des Zentrumsabgesandten Brockmann in der Sitzung vom 6. 5. 1949 an, in der dieser auf eine Unterstützung durch die CDU / CSU gehofft habe. Er bezieht sich außerdem auf einen Ausruf des KPD-Mitgliedes Renner, der auf Brockmanns Ausführungen mit dem Zwischenruf „Volksentscheid über Elternrecht“ reagierte. Vgl. PR, Bd. 9, PL (9. Sitz., 6. 5. 1949), S. 471 – 2; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 296 – 297; Dieter-Dirk Hartmann, Volksinitiativen, Frankfurt / Main 1976, S. 63. Otmar Jung (ders., Grundgesetz, S. 286, FN 182) hält diese Deutung für falsch.

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Zentrums gescheitert. Betont wird von ihm außerdem, dass vielen Abgeordneten die Volksgesetzgebung angesichts der voraussichtlich kurzen Lebensdauer des Grundgesetz als nicht so wichtig erschien, dass dies vielleicht sogar gegen Elemente direkter Demokratie mit ihrer starken unmittelbaren Legitimation gesprochen habe.58 Ingwer Ebsen, wie Jürgens Jurist, sieht in dem Abstimmungsverhalten vor allem eine Komponente eines Gesamtkompromisses zwischen CDU / CSU, SPD und FDP, in dem die SPD nachgegeben habe. Gekommen sei es zu diesem Kompromiss im interfraktionellen inoffiziellen „Fünferausschuss“ zwischen der Debatte vom 8. Dezember 1948 im Hauptausschuss und den weiteren Anträgen vom 5. und 6. Mai 1949. Dieser Ausschuss hätte einen quasi eigenen, von den drei Parteien miteinander abgestimmten, Grundgesetzentwurf vorgelegt.59 Claus Henning Obst, ebenfalls Rechtswissenschaftler, deutet die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates dahingehend, dass die unsichere Verfassungslage, die Sorge vor einem wiedererwachenden Nationalismus in der entwurzelten Gesellschaft nach 1945 und die jahrelange politische Entmündigung die Verfassungsväter davor zurückschrecken ließ, das Volk direkt an der Gesetzgebung teilhaben zu lassen.60 Otmar Jung, der gleiches vertritt, hat dies als ein „elitäres Misstrauen“ gegenüber dem „verführbaren Volk“ aus einer „edukativen“ Grundhaltung heraus bezeichnet.61 Jung hat aber noch eine weitergehende These entwickelt, die er in seinem Buch „Grundgesetz und Volksentscheid“ in Bezug auf plebiszitäre Elemente insgesamt zu beweisen versucht. Für ihn ist die fehlende Integration ins Grundgesetz vor allem Ergebnis des beginnenden kalten Krieges und einer zunehmenden Abgrenzungspolitik der westlichen Parteien zur Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), SED und KPD.62 Dieser nach Jung für die deutsche Politik erst 1947 endgültig klare Umschwung der politischen Großwetterlage habe dazu geführt, dass in den Länderverfassungen und den Entwürfen der Parteien die Volksgesetzgebung noch enthalten sei, während sie nur ein Jahr später auf Bundesebene abgelehnt worden sei.63 Man habe die Möglichkeit einer Instrumentalisierung dieser VerfassungseleVgl. Jürgens, Direkte Demokratie, S. 303 – 304. Vgl. Ebsen, Abstimmungen, S. 11 – 12; Hartmann, Volksinitiativen, S. 63. Diese Theorie vermag jedoch nicht die bereits ablehnende Haltung der SPD in der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. 12. 1948 zu erklären. 60 Claus-Henning Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, Zulässigkeit und politische Konsequenzen, Köln 1986, S. 85 – 86. 61 Jung, Grundgesetz, S. 297. 62 Jung verweist hier insbesondere auf die Volksabstimmung über die „Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ in Sachsen am 30. Juni 1946 und das Volksbegehren „für die Einheit Deutschlands“ vom 23. 5 .bis 13. 6. 1948 kurz vor der Berlin-Blockade. Vgl. Otmar Jung, Direkte Demokratie im Grundgesetz und den Landesverfassungen der Bundesrepublik Deutschland, in: Werner Kremp / Gerd Mielke (Hrsg.), Amerikanische Einflüsse auf Verfassungsdenken und Verfassungspraxis in Deutschland, Kaiserslautern 1997, S. 71 – 93, 81 – 83; ders., Kein Volksentscheid im kalten Krieg! Zum Konzept einer plebiszitären Quarantäne für die junge Bundesrepublik 1948 / 49, APuZ B 45 / 92, S. 16 ff. 63 Jung, Grundgesetz, S. 331 – 337. 58 59

B. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform (1971 – 1976)

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mente durch die SED, die bereits 1946 eine Initiative des russischen Außenministers Molotow über einen Volksentscheid zur Einheit Deutschlands propagandistisch aufgegriffen hatte,64 weitgehend unterbinden wollen. Symptomatisch ist für den Autor hierbei die Haltung der SPD. Sie habe, um sich von der SED abzugrenzen, gerade im Fall der „direkten Demokratie“ Verfassungspositionen alleine schon deshalb geräumt, weil sie von den Kommunisten vertreten worden seien.65 Welche Rolle die dargestellten anderen Motive gegen die Volksgesetzgebung im Parlamentarischen Rat im Einzelnen gespielt haben, und welches Gewicht ihnen beigemessen werden muss, ist im Ergebnis schwer abzuschätzen.66 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die „Weimarer Erfahrung“ bei der Entstehung des Grundgesetzes erstmals als Argument in einer verfassungspolitischen Diskussion verwendet wurde. Sie war aber nicht der einzige Faktor in der Entscheidungsfindung des Parlamentarischen Rates. Zwar taucht sie an zentraler Stelle in den Verhandlungen auf und darf auch nicht unterschätzt werden, sie hatte aber bei weitem nicht die Bedeutung, die ihr in der überwiegenden Mehrheit der späteren wissenschaftlichen Darstellungen beigemessen wurde. Auf die Volksabstimmungen des Dritten Reiches wurde nirgends offen Bezug genommen.67

B. Die Entscheidung der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages (1971 – 1976) gegen eine Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 28. September 1969 bedeutete das Ende der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger.68 Erstmals in der Bundesrepublik kam es zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung aus SPD und FDP unter dem neuen Bundeskanzler Willy Brandt.69 Brandt hatte den Wahlkampf zusammen mit der FDP unter Walter Scheel auch deswegen gewonnen, weil Ebd., S. 171. Ebd., S. 298. 66 Vgl. auch Niclauß (ders., Weg zum Grundgesetz, S. 196 – 8), der einerseits einige der hier auch dargestellten Gründe aufführt, andererseits aber auch ein fast schon an Desinteresse grenzendes Verhalten einiger Parteien und Verfassungsväter an der Materie konstatiert, sowie: Tatjana Paterna, Volksgesetzgebung, Analyse der Verfassungsdebatte nach der Wiedervereinigung Deutschlands, Frankfurt / M. 1995, S. 38 – 45. 67 Die Frage, ob Theodor Heuss nicht doch Adolf Hitler im Kopf hatte, als er am 9. September 1948 im parlamentarischen Rat von der Volksgesetzgebung als „Prämie für jeden Demagogen“ sprach, ist jedoch berechtigt. 68 Bereits im Frühjahr 1969 war mit Gustav Heinemann, der sich mit 512 gegen 506 Stimmen knapp gegen Gerhard Schröder (CDU) durchsetzte, nach Theodor Heuss (FDP) und Heinrich Lübke (CDU) erstmals ein Sozialdemokrat zum Bundespräsidenten gewählt worden. 69 Vgl. Wahlergebnisse in: Peter Borowsky, Deutschland 1969 – 1982, Hannover 1987, S. 328. Die größte Bundestagsfraktion stellte mit 242 Sitzen weiterhin die CDU / CSU. 64 65

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Kap. V: Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung 1945 – 1994

er versprach, „mehr Demokratie“ zu „wagen“.70 Er griff damit nicht nur Stimmungen und Forderungen der jungen Generation der „68-er“, sondern auch anderer gesellschaftlicher Gruppen auf. „Demokratisierung“71 und „Mitbestimmung“ prägten innenpolitisch die gesamte Kanzlerschaft Brandts von 1969 bis 1974. In diesen Begriffen spiegelten sich nicht nur die sozial-liberalen Reformbestrebungen nach einer Verbesserung und „Demokratisierung“ der wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse Deutschlands im Rahmen des Grundgesetzes, sondern auch sehr viel weitergehende syndikalistisch-revolutionäre bzw. basisdemokratisch-sozialistische Verfassungskonzepte wieder, wie sie in der Studentenbewegung, den Gewerkschaften oder der außerparlamentarischen Opposition (APO) diskutiert wurden.72 Offizieller verfassungspolitischer Ausdruck dieser gesellschaftlichen Debatte wie auch der Reformbestrebungen der neuen Bundesregierung war die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Unterbreitung von Vorschlägen für eine Verfassungsreform durch den Bundestag am 8. Oktober 1970. Der auch mit den Stimmen der CDU / CSU-Opposition gefasste Einsetzungsbeschluss sah hierbei vor:73 Nach § 74 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages74 wird eine Enquete-Kommission mit dem Auftrag eingesetzt zu prüfen, ob und inwieweit es erforderlich ist, das Grundgesetz den gegenwärtigen und voraussehbaren zukünftigen Erfordernissen – unter Wahrung seiner Grundprinzipien – anzupassen. 70 Willi Brandt, Die Alternative, in: Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, München 1973, S. 45 – 46. 71 Vgl. Wilhelm Hennis, Demokratisierung. Zur Problematik eines Begriffs, in: Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, München 1973, S. 47 – 70. 72 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Politik und Zeitgeist, Tendenzen der siebziger Jahre (Im Streit der Worte und Prinzipien: Mitbestimmung und Demokratisierung, in: Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Jäger / Werner Link (Hrsg.), Republik im Wandel 1969 – 1974, Die Ära Brandt, Stuttgart 1986, S. 285 – 406, 312 – 323. Wichtige Einzelfragen im Rahmen einer weitergehenden „Demokratisierung“ waren die von der Studentenbewegung und Teilen der Publizistik ausgelöste „Rätedebatte“, der heftige Kampf um das Betriebsverfassungsgesetz, die „paritätische Mitbestimmung“ in der Wirtschaft nach dem Modell der Montanindustrie oder auch die Mitbestimmung in den zu reformierenden Hochschulen. Vgl. Borowsky, Deutschland 1969 – 82, S. 55 – 100; Udo Mayer / Norbert Reich (Hrsg.), Mitbestimmung contra Grundgesetz? Argumente und Materialien zu einer überfälligen Reform, Darmstadt 1975; Helmut Quaritsch, Demokratisierung – Möglichkeiten und Grenzen, in: Freiherr vom Stein Gesellschaft (Hrsg.), Demokratisierung, Möglichkeiten und Grenzen – Ein Cappenberger Gespräch, Köln 1976, S. 1 – 44, 11 ff. 73 Ausgangspunkte der im Ergebnis auch von der Opposition mitgetragenen Einsetzung der Kommission waren Anträge der CDU / CSU vom 21. Mai 1970 (BTDrS. 1970 [VI], Nr. 653) und der SPD / FDP vom 6. Mai 1970 (BTDrS. 1970 [VI], Nr. 739), die im Ergebnis im Rechtsausschuss zu einem gemeinsamen Beschluss zusammengelegt wurden (BTDrS. 1970 [VI], Nr. 1211). 74 Vgl. heute § 56 I GOBT: „Zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe kann der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzten. Auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder ist er dazu verpflichtet. Der Antrag muß den Auftrag der Kommission bezeichnen.“

B. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform (1971 – 1976)

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Die Enquete-Kommission besteht aus 19 Mitgliedern, und zwar aus – 7 Mitgliedern des Deutschen Bundestages,75 – 7 von der Länderseite zu benennenden Persönlichkeiten,76 – 5 Sachverständigen.77 Aufgabe der Enquete-Kommission sollte von vorneherein keine Totalrevision des Grundgesetzes sein. Die „Grundprinzipien“ einer repräsentativ-parlamentarischen Demokratie sollten gewahrt bleiben. Einer der Sachverständigen, der Staatsrechtler und spätere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, hat dies mit folgenden Worten beschrieben: „[ . . . ] vielmehr sollte gerade untersucht werden, welche Einzelveränderungen der Verfassung angezeigt seien, um diese Grundprinzipien angesichts veränderter Umstände und einer inzwischen stattgefundenen nahezu 25jährigen Entwicklung weiter auszugestalten, zu festigen und zu stabilisieren.“78

Die auf einen Zeitraum von zwei bis vier Jahre veranschlagte Arbeit79 begann am 11. März 1971.80 In der Folgezeit hielt die Kommission zahlreiche Anhörungen ab und traf sich im Plenum oder in den eigens gebildeten Unterkommissionen durchschnittlich alle drei Wochen.81 Bevor sie jedoch zu der Frage einer Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene kam, musste sie ihre Arbeit einstellen. Ausgelöst wurde dieses im Ergebnis nur vorläufige Ende der Enquete-Kommissionsarbeit durch eine vorzeitige Bundestagsauflösung am 22. September 1972. 75 Ernannt wurden: Claus Arndt (SPD), Hans Dichgans (CDU / CSU), Emmy Diemer – Nicolaus (FDP), Manfred Geßner (SPD), Edeltraud Kuchtner (CDU / CSU), Carl Otto Lenz (CDU / CSU), Prof. Friedrich Schäfer (SPD). 76 Ernannt wurden: Der Präsident des Staatsgerichtshofes Walter Hailer, Ministerpräsident a.D. Otto Barbarino, Senator Ernst Heinsen, Ministerialdirigent a.D. Ulrich Jäger, Staatssekretär a.D. Fritz Rietdorf, Staatssekretär Hubert Hermans, Landtagspräsident Helmut Lemke. 77 Ernannt wurden: Prof. Karl Carstens, Prof. Karl Joseph Partsch, Prof. Klaus Stern, Prof. Ernst Wolfgang Böckenförde. 78 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Überlegungen und Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur demokratisch-parlamentarischen Verfassungsorganisation, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde / Klaus Stern (Hrsg.), Überlegungen zur Verfassungsreform, Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Hannover 1977, S. 7 – 41, 7 – 8; Vgl. auch: Hans Peter Ipsen, Zum Schlußbericht der Enquete-Kommission, in: DÖV 30 (1977), S. 537 – 540, 538. 79 Walter Sandtner, Ein Jahr Enquete-Kommission Verfassungsreform, in: DVBl. 87 (1972), S. 324 – 328, 325. 80 Vgl. zur Zusammensetzung der Unterkommissionen: Deutscher Bundestag, Presse- und Informationszentrum (Hrsg.), Fragen der Verfassungsreform, Zwischenbericht der EnqueteKommission des deutschen Bundestages, Zur Sache 1 / 73, Bonn 1973, S. 16 – 17. 81 Vgl. Sandtner, Ein Jahr Enquete-Kommission, S. 324; ders. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform in der 6. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, in: DVBl. 88 (1973), S. 774 – 779, 774.

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Kap. V: Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung 1945 – 1994

Hintergrund war ein gescheiterter konstruktiver Misstrauensantrag der CDU / CSU gegen Brandt und eine durch den Austritt einiger Bundestagsabgeordneter aus der SPD-Bundestagsfraktion entstandene parlamentarische Patt-Situation.82 Die bis dahin erzielten Ergebnisse wurden in einem Zwischenbericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In zwei übergeordneten und zahlreichen Unterabschnitten behandelte er die Einwirkungen des zwischenstaatlichen Rechts auf die nationale Rechtsordnung, die staatliche Aufgabenplanung, Fragen einer Parlamentsreform, die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen, die Zustimmungskompetenz des Bundesrates und den allgemeinen Einfluss der Gesellschaftspolitik auf die Verfassungsreform.83 Die Frage einer Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundeseben wurde im Zwischenbericht nicht thematisiert. Nach der Bundestagswahl am 19. November 1972, die zu einer gestärkten SPD / FDP Regierung unter dem alten und neuen Bundeskanzler Willy Brandt führte, setzte der Bundestag am 22. Februar 1973, wiederum einstimmig, eine neue Enquete-Kommission mit gleichlautendem Auftrag ein.84 Sie unterschied sich personell nur teilweise von der ersten. Ausgangsbasis für ihre weitere, bis Ende 1976 dauernde Arbeit war der 1972 vorgelegte Zwischenbericht.85 Schwerpunkte in den Diskussionen waren nunmehr vor allem das Spannungsgebiet „Bund und Länder“ und die „demokratisch-parlamentarische Verfassungsorganisation“. Letztere umfasste die Fragen nach dem Verhältnis von Parlament und Regierung und nach der Stabilisierung und dem Ausbau der demokratischen Verfassungsstrukturen, wozu auch weitergehende Mitwirkungsrechte der Bürger und damit die Volksgesetzgebung gehörten.86 Ihre Einführung ins Grundgesetz lehnte die Enquete-Kommission jedoch nach einer von Ernst-Wolfgang Böckenförde als „sehr lang“ erinnerten 82 Wolfgang Jäger, Die Innenpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969 – 1974, in: Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Jäger / Werner Link (Hrsg.), Republik im Wandel 1969 – 1974, Die Ära Brandt, Stuttgart 1986, S. 285 – 406. 83 Vgl. Deutscher Bundestag, Presse- und Informationszentrum (Hrsg.), Fragen der Verfassungsreform, Zwischenbericht der Enquete-Kommission, a. a. O., sowie die übersichtliche Zusammenfassung bei: Sandtner, Enquete-Kommission Verfassungsreform, a. a. O. 84 Vgl. BTDrS. 1973 (VII), Nr. 214. Einziger Unterschied zu vorher war, dass statt fünf nunmehr sieben Sachverständige der Kommission angehörten. Die Abgeordneten des Bundestages waren: Prof. Arndt Schäfer, die Mitglieder des Bundestages Scheffler (SPD), Schweitzer (SPD), Jäger (CDU / CSU), Klein (CDU / CSU), Otto Lenz (CDU / CSU) und Burkhard Hirsch (FDP). Als Sachverständige fungierten: Claus Arndt, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Emmy Diemer-Nicolaus, Prof. Kewenig, Direktor Leidinger, Prof. Scharpf, Prof. Klaus Stern. Als Vertreter der Länder wurden ernannt: Ministerpräsident a.D. Prof. Otto Barbarino, Präsident des Staatsgerichtshofes Walter Hailer, Ministerialdirigent a.D. Held, Senator a.D. Ernst Heinsen, Staatssekretär Hubert Hermann, Ministerialrat Prof. Schreckenberger, Ministerialdirigent a.D. Ulrich Jäger, Landtagspräsident Helmut Lemke, Staatssekretär a.D. Prof. Rietdorf. 85 Gerald Kretschmer, Die Enquete-Kommission Verfassungsreform in der 1. Hälfte der 7. Wahlperiode, in: DVBl. 90 (1975), S. 613 – 616, 613. 86 Vgl. Ebd., S. 614; Sandtner, Enquete-Kommission Verfassungsreform, S. 779; Böckenförde, Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform, S. 10.

B. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform (1971 – 1976)

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„intensiven Abwägung“ in allerdings nur einer „nachmittäglichen Diskussion in Bonn“ ab.87 Die Entscheidungsfindung gegen bundesweite Volksbegehren und Volksentscheide beruhte dabei laut Schlussbericht vom 2. Dezember 1976 auf drei vorausgehenden Annahmen. Erstens sei auftragsgemäß vorrangiges Ziel, das repräsentativ-parlamentarische System zu stabilisieren und keineswegs potentiell zu schwächen. Nur wenn es gelinge, „auf diesem Wege Gefahren für die Legitimierung des Gesamtsystems zu begegnen, sei die Einführung von Formen unmittelbarer Demokratie zu empfehlen.“ Historisch wurde es zweitens als bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigende Tatsache angesehen, dass sich die „Zurückhaltung des Parlamentarischen Rates gegenüber allen Formen unmittelbarer Demokratie“ aus „den wenig ermutigenden Erfahrungen“, die in der Zeit der Weimarer Republik mit Volksbegehren und Volksentscheid, aber auch mit der Direktwahl des Reichspräsidenten, ergeben hätte.88 Drittens wurden schließlich die Erfahrungen in einzelnen Bundesländern sowie der Schweiz als möglicher Bewertungsmaßstab deswegen abgelehnt, da sie „zu unterschiedlich“ seien, um „verallgemeinert“ zu werden. Die Verhältnisse in der Schweiz seien zudem aufgrund der größeren Überschaubarkeit und anderer Traditionen dort nicht vergleichbar.89 Ausgehend von diesen drei Voraussetzungen waren dann wiederum drei Argumente für die Entscheidung gegen eine Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene in Deutschland ausschlaggebend: An erster und oberster Stelle stand die Sorge vor einer Schwächung der „Integrationskraft der großen demokratischen politischen Parteien“ sowie „wachsender politischer Konfrontation“. Begründet wurde diese Sorge vor allem mit schlechten Weimarer Erfahrungen, die damit eine zentrale Rolle in der Entscheidungsfindung der Enquete-Kommission einnahmen: „Plebiszitäre Komponenten der Demokratie bieten, außerhalb noch überschaubarer Verhältnisse und ohne die tragende Kraft einer entsprechenden politischen Tradition praktiziert, nach aller Erfahrung Demagogen einen weiten Aktionsspielraum. Sie sind geeignet, die Entscheidung politischer Fragen zu entrationalisieren [ . . . ] und die Konfrontation politischer und gesellschaftlicher Kräfte zu verschärfen. Gerade dadurch können sie zu einer Verstärkung der Entfremdungserscheinungen zwischen Staat, Parlament und Volk beitragen, die mit ihrer Hilfe eben überwunden werden sollen. Auch die gegenwärtige politische Stabilität der Bundesrepublik Deutschland bietet keine Gewähr, dass die unguten Erfahrungen, die während der Weimarer Republik mit Volksentscheid und Volksbegehren gesammelt wurden, sich nicht in der Zukunft so oder ähnlich wiederholen können. Nach alldem schien die Möglichkeit, dass das repräsentativ-parlamentarische System durch die Einführung plebiszitärer Elemente Schaden nehmen würde, größer als der potentielle Nutzen einer dahin gehenden Verfassungsänderung.“90

87 88 89 90

Ebd., S. 13. Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, S. 52. Ebd., S. 53. Ebd., S. 53 – 54.

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Kap. V: Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung 1945 – 1994

Das zweite Argument war eher verfassungsorganisatorischer Art und stand in Zusammenhang mit dem auch bereits in der Weimarer Republik durch Art. 73 IV WRV praktizierten Ausschluss bestimmter Regelungsbereiche von einer unmittelbaren Gesetzgebung aufgrund eines Volksbegehrens. Aus der Notwendigkeit „in jedem Fall Grundgesetzänderungen, Haushaltsplan, Abgabengesetze, Besoldungsgesetze und Verteidigungsgesetze sowie völkerrechtliche Verträge und Gesetze über Entwicklungshilfe“ „aus zwingenden oder gewichtigen Gründen“ vom Volksbegehren oder Volksentscheid ausschließen, schloss man in der Enquetekommission auf eine grundsätzliche Bedeutungslosigkeit dieser Form direkter Demokratie: „Angesichts der Vielzahl der Gegenstände, die aus zwingenden oder gewichtigen Gründen Volksbegehren und Volksentscheid nicht zugänglich sein können, besteht die Gefahr, dass jedenfalls politisch bedeutsame Bereiche für sie nicht übrigbleiben; dann aber kann man auf ihre Einführung verzichten.“91

Die dritte Argumentation baute auf der in der Kommission vertretenen Ansicht auf, dass eine Antragsbefugnis für eine Volksgesetzgebung sowieso nur für das Parlament bestehen dürfe, um der „Erzeugung einer alles andere als schöpferischen Dauerunruhe durch politische Rand- und Splittergruppen zu entgehen“. Der Einführung eines allein vom Bundestag initiierten Volksentscheides wurde dann aber wiederum entgegengehalten, dass das „Grundgesetz im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung das Vorhandensein einer von der Mehrheit des Parlaments getragenen Regierung gewährleiste“. Wenn die Regierung ihre Mehrheit verloren habe und das Parlament nicht in der Lage sei, eine neue mehrheitsfähige Regierung zu bilden, seien „Neuwahlen der richtige Ausweg, nicht aber der Appell an das Volk in einer einzelnen Sachfrage“.92 Hinter dieser Argumentation stand die Auffassung, dass es der Regierung und dem Parlament nicht einmal theoretisch ermöglicht werden sollte, sich durch den Rückgriff auf die Volksgesetzgebung seiner Pflicht zur Sicherstellung einer auf entscheidungsfähigen Mehrheiten beruhenden Entscheidungskraft und -verantwortung zu entziehen. Anders als auf der Herrenchiemseekonferenz und im Parlamentarischen Rat sind eindeutig „schlechte Weimarer Erfahrungen“ ausschlaggebend für die Ablehnung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene in der Enquete-Kommission Verfassungsreform gewesen. Die Volksabstimmungen des Dritten Reiches tauchen wie schon 1948 / 9 argumentativ nicht auf. Allerdings spricht der Schlussbericht wie schon Theodor Heuss 1949 vom Instrument des „Demagogen“, womit in dieser historischen Perspektive zumeist Adolf Hitler gemeint ist. Insgesamt hat die Frage einer Einführung von Volksgesetzgebung ins Grundgesetz in den Beratungen der Kommission keinen sehr großen Raum eingenommen. Dies überrascht angesichts der langen und intensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um mehr Mitbestimmung und Demokratie ab 1969 in Deutschland und rief deshalb auch Kritik 91 Ebd., S. 54. Gleichlautend: Böckenförde, Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform, S. 14. 92 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, S. 54 – 55.

C. Die Gemeinsame Verfassungskommission (1991 – 1994)

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in der Wissenschaft hervor.93 Die Gründe hierfür können nur in einem ab 1974 schon beginnenden Abflauen der Demokratisierungsdebatte insgesamt, oder auch darin gesucht werden, dass die Volksgesetzgebung nur eine Frage unter anderen in der politischen Auseinandersetzung war. Geprägt wurde die politische Diskussion sehr viel stärker vom Kampf um die Einführung von Räten, die Demokratisierung der Hochschulen und die paritätische Mitbestimmung in der Wirtschaft.

C. Die Entscheidung der Gemeinsamen Verfassungskommission (1991 – 1994) gegen Volksbegehren und Volksentscheid in einer gesamtdeutschen Verfassung Die sich im Frühjahr 1989 immer mehr herauskristallisierende politische wie wirtschaftliche Krise der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) führte im Laufe weniger Monate zu Massenflucht und Massenprotesten und damit zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.94 Angestoßen von ostdeutschen oftmals kirchennahen Bürger- und Menschenrechtsinitiativen,95 nahm eine politische Entwicklung ihren Lauf, die zum Ende der SED Herrschaft, zur Demokratisierung der DDR und im Ergebnis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führte.96 Organisatorisch bewältigt wurde der friedliche Machtwechsel in Ostdeutschland vor allem durch sogenannte „runde Tische“, an dem sich die alten politischen Kräfte der „Nationalen Front“ der DDR und die Opposition paritätisch gegenübersaßen.97 Vor allem der Runde Tisch in Ostberlin stellte bis zur ersten freien Volks93 Vgl. Ipsen, Schlußbericht der Enquete-Kommission, S. 543. Er merkt in diesem Zusammenhang an: „Der Bericht denkt eben zu intensiv in Organen, Organisationen Kompetenzen und Verfahren, er denkt zu wenig an den Menschen und den Bürger.“ Vgl. auch: Walter Schmitt Glaeser, Stärkung der politischen Mitwirkungsrechte der Bürger, Zum Schlußbericht der Entquete-Kommission Verfassungsreform, in: DÖV 30 (1977), S. 544 – 547, 547; Gerald Kretschmer, Verfassungsreform – eine immerwährende Aufgabe?, in: DVBl. 92 (1977), S. 415 – 418. 94 Das Ende der Deutschen Demokratischen Republik war hierbei nur ein Element umfassender politischer Veränderungen im sich später auflösenden von der UDSSR beherrschten „Ostblock“. 95 Genannt seien hier: Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM); Bürgerbewegung demokratischer Aufbruch (DA); Neues Forum (NF); Bürgerbewegung Demokratie Jetzt (DJ); Vereinigte Linke (VL); Grün-ökologisches Netzwerk Arche; Sozialdemokratische Partei (SDP). 96 Vgl. allgemein zur Entwicklung: Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1999, S. 356 – 69. Vgl. aus verfassungsgeschichtlicher Perspektive: Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands (4. Aufl.), München 2000, S: 462 – 470; Steffen Kammradt, Die Verfassungsdiskussion: Motive, Ziele, Perspektiven, Frankfurt 1992, S. 6 – 63. 97 Bereits in seiner ersten Sitzung vom 7. 12. 1989 wurden als Eckpunkte der gemeinsamen Arbeit festgelegt: 1. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung; 2. Die Durchführung von freien Neuwahlen zur Volkskammer am 6. Mai 1989 (Der Termin wurde später auf den

19 Schwieger

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Kap. V: Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung 1945 – 1994

kammerwahl am 18. März 1990 gleichsam eine Nebenregierung neben der offiziellen unter Ministerpräsident Hans Modrow dar.98 Nach der Wahl, die zu einer großen Koalition aus der „Allianz für Deutschland“ (DDR-CDU, DSU, DA99), der DDR-SPD und den Liberalen führte, stellte der runde Tisch seine Arbeit ein. Dominiert wurde die neue Regierung unter der Führung des Ministerpräsidenten Lothar de Maizière von der DDR-CDU und der DSU. Sie verdankten ihren Wahlerfolg von zusammen fast 48 Prozent vor allem einem dezidierten Eintreten für eine umgehende Wiedervereinigung nach Art. 23 S. 2 GG,100 wie sie vom westdeutschen Bundeskanzler Helmut Kohl favorisiert wurde.101 Aus dem Ruf der Montagsdemonstrationen „Wir sind das Volk“ war inzwischen längst „Wir sind ein Volk“ und damit der Ruf nach umgehender politischer wie wirtschaftlicher Wiedervereinigung geworden. Die bereits vor der Volkskammerwahl am 7. Februar 1990 aufgenommenen offiziellen Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland führten nun sehr schnell zur staatsvertraglichen Gründung einer „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“, die am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Nächster und entscheidender Schritt war der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einigung Deutschlands“ (Einigungsvertrag), der am 31. August unterzeichnet und am 20. September 1990 von Bundestag und der Volkskammer ratifiziert wurde.102 Er trat am 29. September in Kraft und war die Grundlage für den 18. März vorverlegt); 3. Die Auflösung des bereits umbenannten Ministeriums für Staatssicherheit. Vgl. Kammradt, Verfassungsdiskussion, S. 16. 98 Erich Honecker war bereits am 9. Oktober, sein Nachfolger als Staatsratsvorsitzender Egon Krenz am 7. November 1989 zurückgetreten. Am 1. 12. 1989 strich die SED ihre „führende Rolle“ aus der Verfassung der DDR. Auf ihrem Parteitag am 16. / 17. Dezember 1989 gab sie sich erstmals den Namenszusatz „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS). 99 Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“. 100 Art 23 GG a.F.: „Geltungsbereich des Grundgesetzes Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, GroßBerlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SchleswigHolstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“ 101 Eine Alternative zum späteren Beitritt der am 22. Juli 1990 mit Wirkung für den 14. Oktober wiedergegründeten ostdeutschen Länder nach Art. 23 S. 2 GG existierte in Art. 146 GG, der eigentlich die deutsche Teilung und auch den provisorischen Charakter des Grundgesetzes betraf: Art. 146: „Geltungsdauer des Grundgesetzes. Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Vgl. auch: Christian Tomuschat, Wege zur deutschen Einheit (Sondertagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Berlin am 27. April 1990), in: VVDStrL. 49 (Berlin 1990), S. 70 – 95. 102 Wichtige Voraussetzung hierfür war die Zustimmung der westlichen Partner in EU und Nato, vor allem aber der Sowjetunion. Am 16. Juli erklärte sich Michail Gorbatschow gegenüber Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher grundsätzlich mit der deutschen Wiedervereinigung einverstanden. Die näheren Modalitäten wie Grenzfragen sowie die

C. Die Gemeinsame Verfassungskommission (1991 – 1994)

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Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Art. 23 S. 2 GG, den die Volkskammer bereits am 23. August 1990 mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 erklärt hatte. Den Abschluss dieser Entwicklung bildeten die Wahlen zu einem gesamtdeutschen Bundestag am 2. Dezember 1990. Die Wiedervereinigung nach Art. 23 S. 2 GG hatte zur vollständigen Übernahme des Grundgesetzes im wiedervereinigten Deutschland geführt. Es war keine neue gesamtdeutsche Verfassung entstanden, wie es Art. 146 GG als Ausdruck des provisorischen Charakters des Grundgesetzes und im Hinblick auf eine zukünftige Wiedervereinigung eigentlich postuliert hatte.103 Deswegen und auch als Reaktion auf gleichlautenden Forderungen aus Ost- wie Westdeutschland104 sah Art. 5 des Einigungsvertrages105 vor: „Künftige Verfassungsänderungen Die Regierungen der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einheit aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluss der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, in bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin-Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligten Länder, mit den Überlegungen zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz sowie mit der Frage der Anwendung des Art. 146 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer Volksabstimmung“

Diese Bestimmung war die Grundlage für die Schaffung der „Gemeinsamen Verfassungskommission“ (GVK) und damit für eine erneute Beschäftigung mit der Frage, ob es in einer nunmehr gesamtdeutschen Verfassung eine Volksgesetzgebung geben sollte.106 finanzielle Regelung des Abzugs der roten Armee aus der DDR wurden daraufhin in den sogenannten 2+4 Verhandlungen und einem gleichlautendem völkerrechtlichen Vertrag gelöst. 103 Vgl. Tomuschat, Wege zur deutschen Einheit, S. 70 – 95. 104 Vgl. Kammradt (ders., Verfassungsdiskussion, S. 68 – 73), der unter anderem auf die Arbeit des am 16. Juni 1990 gegründeten „Kuratoriums für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“ und gleichlautende Forderungen verschiedener Persönlichkeiten in Ost und West verweist. Er sieht zudem wie auch der Mannheimer Verwaltungsrechtler Richard Bartlsperger (ders., Verfassung und verfassungsgebende Gewalt im vereinten Deutschland, in: DVBl. 105 (1990) S. 1285 – 1301, 1288) in Art. 5 Einigungsvertrag einen Kompromiss zwischen der Regierung und der SPD in der BRD, um deren Zustimmung zum Einigungsvertrag im Bundesrat sicherzustellen. 105 Vgl. Der Einigungsvertrag, Teil I: Gesetz und vollständiger Vertragstext, Teil II: Sämtliche Anlagen, Teil III: Ausführliches Gesetz- und Sachregister, jur-pc Schriftenreihe (2. Aufl.), Wiesbaden 1990 / 91, S. 10. 19*

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Kap. V: Die Entscheidungen gegen Volksgesetzgebung 1945 – 1994

Wie schon 1948 vor der Herrenchiemseekonferenz und den Diskussionen im Parlamentarischen Rat entstanden 1989 – 91 Verfassungsentwürfe und Verfassungsempfehlungen, die der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission vorangingen und direkt oder indirekt Einfluss auf ihre Arbeit genommen haben. Diesen Entwürfen und Empfehlungen der „Arbeitsgemeinschaft ,Neue Verfassung der DDR‘ des Runden Tisches“, des gesamtdeutschen „Kuratoriums für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“ und der „Kommission Verfassungsreform des Bundesrates“ ist der erste der folgenden Unterabschnitte (1.) gewidmet. Der zweite (2.) behandelt die verschiedenen Phasen der Entscheidungsfindung in der Gemeinsamen Verfassungskommission bis hin zu ihren offiziellen Empfehlungen. Abschließend (3.) wird auf die Verhandlungen und Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat eingegangen und eine Gesamtbetrachtung versucht. Im Bundestag scheiterten die letzten Versuche, eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene einzuführen. Besondere Beachtung findet bei der Darstellung wiederum die Frage, welche Rolle „schlechte Erfahrungen“ aus der Zeit der Weimarer Republik oder auch des Dritten Reichs als Argument spielten.

1. Die Volksgesetzgebung in wichtigen Verfassungsentwürfen und verfassungspolitischen Empfehlungen 1989 / 90 Bereits kurz nach seiner Entstehung setzte der runde Tisch in Ost-Berlin eine Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ ein.107 Die Entwicklung überholte die Vorstellung, dass es auch in Zukunft eine unabhängige nunmehr demokratische DDR geben würde, jedoch sehr bald. Spätestens mit der Vorverlegung der Volkskammerwahlen vom 6. Mai auf den 18. März 1990 wurde auch innerhalb der den runden Tisch dominierenden ostdeutschen Bürgerbewegung deutlich, dass die innenpolitische Entwicklung in der DDR auf eine schnelle Wiedervereinigung hinauslief. Die Arbeitsgruppe setzte ihre Arbeit dennoch bis zum 12. März fort, um mit einem eigenen ostdeutschen Entwurf zumindest Einfluss auf eine spätere gesamtdeutsche Verfassungsgebung zu nehmen.108 Man ging gemeinhin eher von einer Wiedervereinigung nach Art. 146 GG aus, die anders als der Beitritt nach Art. 23 S. 2 GG in jedem Fall eine neue gesamtdeutsche Verfassung bedingt 106 Vgl. zur Aufnahme der Frage nach einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene in den Themenkatalog der Gemeinsamen Verfassungskommission: Verhandlungen des Deutschen Bundestages 1991, Stenographische Berichte (29. Sitzung, 4. 6. 1991), S. 2260 – 2266. 107 Vgl. Wolfgang Templin, Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches. Hintergründe und Entstehungsbedingungen, in: Bernd Guggenberger / Tine Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, Analysen-Hintergründe-Materialien, München 1991, S. 350 – 356. 108 Vgl. Tobias Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, in: Norbert Konegen / Peter Nitschke (Hrsg.), Revision des Grundgesetzes? Ergebnisse der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) des Deutschen Bundestages und des Bundesrates, Opladen 1997, S. 77 – 105, 80.

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hätte.109 Eine der grundsätzlichen Positionen, die man in die erwartete gesamtdeutsche Debatte von ostdeutscher Seite einbringen wollte, war eine weitgehende politische Partizipationsmöglichkeit der Bürger.110 Folgerichtig enthielt der am 4. April 1990 offiziell verabschiedete und der Volkskammer zugeleitete Verfassungsentwurf für die DDR in Art. 99 ein Volksgesetzgebungsverfahren aus Volksbegehren und Volksentscheid. Voraussetzung für einen Volksentscheid, in dem schlicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden sollte (Abs. IV), waren 750.000 „Ja“ Stimmen stimmberechtigter Bürger im Volksbegehren (Abs. I). Ein Volksentscheid entfiel, wenn bereits die Volkskammer das begehrte Gesetz beschloss. Begleitet werden sollte das Verfahren von neun im Entwurf aufzuführenden Vertrauensleuten (Abs. I). Der „Staatshaushalt“ blieb von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen (Abs. II).111 Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches für eine neue DDR-Verfassung scheiterte in der neu gewählten Volkskammer am 26. April 1990 bereits als Ausschussberatungsvorlage.112 Zu sehr steuerte eine breite Mehrheit der Abgeordneten, der politischen Gesamtstimmung folgend, bereits auf eine schnelle Wiedervereinigung zu. Weitgehend klar war außerdem zu diesem Zeitpunkt bereits, dass es zu einem Beitritt nach Art. 23 S. 2 GG kommen würde, was eine weitgehende Rezeption des Grundgesetzes bedeutete. Wirkung hatte der Verfassungsentwurf des runden Tisches dennoch auch nach dem 3. Oktober insofern, als er gut erkennbar die verfassungsrechtlichen Wünsche der Ausgangskräfte der friedlichen Revolution in der DDR verkörperte.113 Ein weiterer Verfassungsentwurf, der in die Diskussionen in und um die Gemeinsame Verfassungskommission Eingang finden sollte, war der des „Kuratoriums für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“. Gegründet wurde es im Juni 1990 als erste gesamtdeutsche Bürgerinitiative. Auf zwei Kongressen und in einem achtköpfigen Gremium, dem mehrheitlich Wissenschaftler angehörten,114 entstand ein Entwurf, der sich neben dem Grundgesetz an der reformierten schleswig-holsteinischen Verfassung und dem vorangehend dargestellten VerfasTemplin, Verfassungsentwurf, S. 355. Ebd., S. 354. 111 Vgl. Art. 99 des Entwurfs der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches abgedruckt in: Frankfurter Rundschau vom 18. 4.1990, Nr. 90 (S. 10); ebd. vom 19. 4. 1990, Nr. 91 (S. 10); ebd. vom 20. 4. 1990, Nr. 92 (S. 18 – 19); ebd. vom 21. 4. 1990, Nr. 93 (S. 14). 112 Vgl. Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 80; Templin, Verfassungsentwurf, S. 356; Kammradt, Verfassungsdiskussion, S. 39 – 42. 113 Vgl. in diesem Zusammenhang die im Einigungsvertrag in Art. 4 festgelegten Verfassungsänderungen, in: Einigungsvertrag, Teil I, S. 8 – 9. 114 Mitglieder waren: Die Ministerin a.D. T. Böhm, die Rechtsanwältin B. Laubach, sowie die Universitätslehrer U. Gerhard, R. Will, W. D. Narr, Ulrich Karl Preuß, Hans Peter Schneider, Jochen Siefert. 109 110

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sungsentwurf des Runden Tisches orientierte.115 Er enthielt in Kapitel VI Art. 82 a ein dreistufiges Volksgesetzgebungsverfahren. Mindestens 100.000 Unterschriften sollten nötig sein, um mit einer Volksinitiative das Parlament zu einer Beschäftigung mit einem Gesetzesentwurf zu zwingen (Art. 82 a I). Lehnte die Parlamentsmehrheit die Initiative ab, war auf Antrag ein Volksbegehren vorgesehen. Stimmten diesem innerhalb eines Jahres eine Million Wahlberechtigte zu (Art. 82 a II), hatte ein Volksentscheid stattzufinden. Er war erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden, bei Verfassungsänderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, dem Gesetzentwurf zustimmten (Art. 82 a III).116 Offiziellen Eingang in die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungsreform fanden schließlich die Empfehlungen der „Kommission Verfassungsreform“, die der Bundesrat im März 1991 einsetzte.117 Sie bereiteten die Arbeit der späteren Gemeinsamen Verfassungskommission insofern vor, als bereits im Vorfeld die Positionen der später auch im eigentlichen Verfassungsänderungsverfahren beteiligten Länder deutlich wurden.118 Gebildet wurde sie aus 32 Mitgliedern, wobei jedes Bundesland durch den Ministerpräsidenten und ein weiteres Regierungsmitglied vertreten wurde. Die einzelnen Themenkomplexe wurden von zwei Arbeitsgruppen behandelt, deren zweite sich unter anderem auch mit einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene beschäftigte. Sie gelangte nicht zu einer Empfehlung für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Zwar sprachen sich die Länder Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland grundsätzlich „für die Einführung von plebiszitären Handlungsformen als Ergänzung des repräsentativen Systems“ aus. Aufgrund der Notwendigkeit einer Zwei-Drittel Mehrheit zur Abgabe einer Empfehlung, konnte sich diese Position aber nicht gegen den Widerstand BadenWürttembergs, Bayerns, Sachsens, Thüringens, Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsen-Anhalts durchsetzen.119 Diese Länder sprachen sich dafür aus, „es bei den bewährten Regelungen des Grundgesetzes zu belassen“. Auf schlechte Weimarer Erfahrungen beriefen sie sich dabei offiziell nicht.120 Trotz der Ablehnung wurde 115 Vgl. Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung e. V. (Hrsg.), Vom Grundgesetz zur deutschen Verfassung. Denkschrift und Verfassungsentwurf, Berlin, Köln und Leipzig 1991; Paterna, Volksgesetzgebung, S. 104 – 105. 116 Ebd. 117 Ihre Empfehlungen wurden später auch in die offiziellen Materialien zur Verfassungsdiskussion aufgenommen. Vgl.: Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einheit, Bd. 3: Arbeitsunterlagen und Gesetzesmaterialien, Zur Sache 2 / 96, Bonn 1996, Nr. 16 – 20, 22, 23, 26 – 27 etc. 118 Vgl. BRDrS. 1991, Nr. 103; Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 81. 119 Im Ergebnis standen sich damit alle zum damaligen Zeitpunkt von der SPD regierten Länder allen damals von der CDU geführten Länderregierungen gegenüber. Vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des Arbeitsausschusses 2 zu Plebiszitäre Elemente, Bundesrat Kommission Verfassungsreform, in: Materialien, Arbeitsunterlagen Nr. 16, S. 187 – 189.

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in die abschließende Stellungnahme ein Vorschlag Nordrhein-Westfalens zur Einführung eines neuen Artikels 20 b GG aufgenommen. Er sah ein dreistufiges Volksgesetzgebungsverfahren vor. Demnach sollten ein Prozent der Stimmberechtigten eine Volksinitiative in den Bundestag einbringen können. Nahm der Bundestag die Initiative nicht innerhalb von sechs Monaten an (Abs. I und II), war auf Antrag ein Volksbegehren abzuhalten. Hatten diesem wiederum fünf Prozent der Stimmberechtigten zugestimmt, und der Bundestag nicht innerhalb weiterer sechs Monate zugestimmt, war ein Volksentscheid abzuhalten (Abs. II und III). Endgültig kam das Gesetz dann zustande, wenn die Hälfte der Stimmen im Volksentscheid, mindestens aber 33 % (bei Verfassungsänderungen 66 %) dem Entwurf zustimmten (Abs. III).121 Diese Fassung eines neuen Art. 20 b GG ist später noch einmal in der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagen und diskutiert worden.122

2. Die erneute Entscheidung gegen eine Einführung der Volksgesetzgebung ins Grundgesetz in der Gemeinsamen Verfassungskommission Nach langen Kontroversen über die Art und Weise, wie und von wem eine Verfassungsreform vorbereitet werden sollte,123 setzten Bundesrat und Bundestag durch übereinstimmende Beschlüsse vom 28 / 29. November 1991 die Gemeinsame Verfassungskommission ein.124 Anders als frühere Sachverständigen-Kommissionen war sie ein Bund-Länder Ausschuss. Es wurden damit sowohl die parteipolitischen Kräfteverhältnisse im Bunde wie auch in den Ländern berücksichtigt.125 Die Kommission zählte jeweils 32 Mitglieder des Bundesrates und des 120 Ebd., S. 189. Insgesamt entsprachen die vorgebrachten Pro- und Contra-Argumente ansonsten weitgehend den später in der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) diskutierten. Es wird deshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen. 121 Ebd., S. 189. Weitergehend enthält die Stellungnahme noch einen sehr kurz gehaltenen ähnlichen Formulierungsvorschlag des Landes Hamburg, der zusätzlich die Stimmverhältnisse in den Ländern in die Beteiligungsquoren mit einbezog. 122 Vgl. Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 81. 123 Insbesondere die SPD und die Grünen favorisierten lange Zeit einen Verfassungsrat ähnlich dem Parlamentarischen Rat 1949. Keine der großen Parteien wollte eine Totalrevision des Grundgesetzes. Dennoch wurde heftig über das Ausmaß gestritten, in dem Eckpfeiler des Grundgesetzes einer Überprüfung unterzogen werden sollten. Vgl. Marion Schmidt, Die GVK-Auftrag, Zusammensetzung und Verfahren, in: Norbert Konegen / Peter Nitschke (Hrsg.), Revision des Grundgesetzes? Ergebnisse der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) des Deutschen Bundestages und des Bundesrates, Opladen 1997, S. 9 – 27, 17. 124 Vgl. BTDrS. 1991 (XII), Nr. 1670; BRDrS. 1991, Nr. 741. 125 Der Einfluss der Parteien und der faktisch geltende Fraktionszwang ist Gegenstand vielerlei Kritik gewesen. Vgl. Arthur Benz, Verfassungsreform als politischer Prozess, in:

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Bundestages unter dem Vorsitz des Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau (SPD) und des Bundestagsabgeordneten Rupert Scholz (CDU). Die parlamentarischen Kommissionsmitglieder wurden je nach Stärke ihrer Fraktion im Bundestag gewählt.126 Die Kommissionsmitglieder des Bundesrates wurden von den Landesregierungen bestimmt, wobei jedes Bundesland unabhängig von der seiner Stimmenzahl im Bundesrat je zwei Mitglieder entsandte. Im Ergebnis wurde dadurch gewährleistet, dass auch die kleinen Parteien PDS, Bündnis 90 / Die Grünen und F.D.P. in der GVK vertreten waren.127 Aufgabe der Gemeinsamen Verfassungskommission war laut Einsetzungsbeschluss: „Die Kommission berät über Verfassungsänderungen und -ergänzungen, die den gesetzgebenden Körperschaften vorgeschlagen werden sollen. Sie soll sich insbesondere mit den in Art. 5 des Einigungsvertrages genannten Grundgesetzänderungen befassen sowie mit Änderungen, die mit der Verwirklichung der Europäischen Union erforderlich werden.“

Weitergehend sah er formell vor: „Für das Verfahren gilt die Geschäftsordnung des Bundestages. Die Kommission entscheidet mit Zweidrittelmehrheit.“ 128

In der Gemeinsamen Verfassungskommission fiel die Entscheidung gegen die Einführung einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene in zwei Kommissionssitzungen und einer Sachverständigenanhörung.

a) Die 6. Kommissionssitzung am 14. Mai 1992 – Erste deutliche Anzeichen für eine Entscheidung gegen Volksentscheid und Volksbegehren Gegenstand der sechsten Kommissionssitzung am 14. Mai 1992 war neben dem Thema „Staatsziele und sonstige Grundrechte – ohne Art. 3 und 6 GG“ der Tagesordnungspunkt „Bürgerbeteiligung / Plebiszite“. Anwesend waren 44 ordentliche Kommissionsmitgliedern sowie 14 Stellvertreter. Insgesamt nahmen 15 Redner Stellung. Von Beginn an, dies insbesondere durch die ausführlichen Stellungnahmen der Berichterstatters Norbert Geis (CDU / CSU) und Wolfgang Thierse (SPD), wurden grundsätzlich entgegenstehende Positionen deutlich. Wie schon im VerfasDÖV 46 (1993), S: 881 – 889, 887; Peter Fischer, Reform statt Revolution, Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, München 1995, S. 116 – 117. 126 Im Ergebnis gehörten der GVK zum Schluss als ordentliche Mitglieder auf beiden Bänken an : 26 der CDU / CSU, 28 der SPD, 6 der FDP, 3 dem Bündnis 90 / die Grünen. Ein parteiloses Mitglied vertrat die PDS / Linke Liste. 127 Ebd., S. 118 – 119; Gemeinsame Verfassungskommission – Einsetzungsbeschluss, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 119 – 123. Dort sind auch alle Namen derjenigen Verfassungskommissionsmitglieder enthalten, die im Laufe der Arbeit aufgrund von Tod, Krankheit, aus politischen oder sonstigen Gründen ausschieden. 128 Vgl. Ebd., S. 119, Nr. 5 und Nr. 10 des Einsetzungsbeschlusses.

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sungskonvent der Bundesländer, in dem sich alle CDU oder CSU geführten Bundesländer gegen und alle SPD geführten Bundesländer für eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene ausgesprochen hatten, verliefen die Meinungsgrenzen entlang der Parteizugehörigkeit.129 Während sich die Redner der CDU / CSU, grundsätzlich unterstützt von der FDP, gegen gesamtstaatliche Volksbegehren und Volksentscheid wandten, plädierten die Vertreter der SPD, unterstützt von Bündnis 90 / Die Grünen und PDS für sie. Bereits in dieser ersten Sitzung zum Thema stießen dabei alle für die gesamte Entscheidungsfindung in der GVK wichtigen Argumente aufeinander. Sie sollen im Folgenden überblicksartig dargestellt werden.130 Als zentraler Streitpunkt erwies sich die Frage nach der Kompatibilität plebiszitärer Elemente zum Repräsentativsystem. Zugunsten plebiszitärer Elemente wurde argumentiert, sie würden in sinnvoller Weise das parlamentarisch-repräsentative System hin zu mehr Bürgerbeteiligung weiterentwickeln und damit die parlamentarische Demokratie beleben. Dagegen wurde vorgetragen, plebiszitäre Elemente könnten die parlamentarisch-repräsentative Demokratie erheblich schwächen. Durch eine vermeintlich höhere Legitimität von „Volksgesetzen“ würde es zu einer Abwertung des Parlamentsgesetzes kommen. Zudem bestünde die Gefahr, dass sich das Parlament bei schwierigen und politisch heiklen Fragen mit Hilfe der Volksgesetzgebung aus der Verantwortung stehle.131 Ein weiteres Argument der Befürworter von Volksgesetzgebung war, dass durch eine effektive Mitwirkungsmöglichkeit des einzelnen Bürgers am politischen Prozess der Parteien- und Politikverdrossenheit entgegengewirkt würde. Darauf wurde erwidert, dass auch das genaue Gegenteil eintreten könne, wenn sich Parteien der Volksgesetzgebung zur Durchsetzung ihrer Interessen bedienten und sich damit ihrer parlamentarischen Verantwortung für das Gesamtwohl entzögen.132

129 Vgl. in diesem Zusammenhang die für alle SPD-Kommissionsmitglieder geltende offizielle Haltung der SPD zur VGG, in: SPD-Bundestagsfraktion (Hrsg.), Dokumentation, Deutschland in neuer Verfassung – Vorschläge der SPD zur Reform des Grundgesetzes, Bonn 1993, S. 49 – 50. 130 Wenn dieselbe Argumentation in der zweiten relevanten (17.) Ausschusssitzung vom 11. Februars 1993 noch bedeutend verstärkt wurde, wird dies bereits hier in den FN angezeigt, um später Wiederholungen zu vermeiden. 131 Vgl. Norbert Geis (CDU / CSU), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992 in: Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einheit, Bd. 1: Bericht und Sitzungsprotokolle, Zur Sache 2 / 96, Bonn 1996, S. 326; Wolfgang Thierse (SPD), ebd., S. 365 – 366; Wolfgang Ullmann (Bündnis 90 / Die Grünen), ebd., S. 373. Die Streitdarstellung orientiert sich an: Michael Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform, Zur Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, Berlin 1995, S. 85 – 8. Vgl. auch Paterna, Volksgesetzgebung, S. 128 – 155. 132 Vgl. Wolgang Thierse(SPD), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992 in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 376; Herbert Schnoor (SPD), ebd., S. 370; Hans-Jochen Vogel (SPD), ebd., S. 378; Steffen Heitmann (CDU), ebd., S. 367 – 8; Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU / CSU), ebd., S. 380; Susanne Rahardt-Vahlendieck (CDU / CSU), ebd., S. 382.

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Gegen plebiszitäre Elemente spräche weiter, so deren Gegner, dass der Abstimmende nur die Wahl zwischen „Ja“ oder „Nein“ habe. Nur das parlamentarische Verfahren biete die Möglichkeit einer Kompromissfindung und auch einen gewissen Minderheitenschutz. Es biete zudem die größtmögliche Gewähr für die Beachtung objektiver Kriterien und von Rationalität. Bei Volksbegehren und Volksentscheiden bestünde dagegen immer die Gefahr mediengeprägter Stimmungen, subjektiver Betroffenheiten und populistischer Strömungen.133 Wohlorganisierte Verbände und Organisationen hätten erheblich mehr Möglichkeiten, ihre unter Umständen sehr partikularen Interessen auf Bundesebene durchzusetzen. Die Befürworter verwiesen hier darauf, dass auch und gerade im parlamentarischen Verfahren oftmals objektive Kriterien durch Einflussnahme partikularer Interessen auf der Strecke blieben oder keine Entscheidungsfähigkeit bestünde.134 Umstritten war auch, ob viele Gesetzesmaterien nicht zu komplex für eine individuelle Entscheidung des Bürgers sind. Damit verbunden tauchte der Streitpunkt auf, welche Materien man von der Volksgesetzgebung ausschließen könne, ohne damit mangels Volkseinflusses neue Politikverdrossenheit zu verursachen.135 Auch das Argument, dass insbesondere die friedliche Revolution in der DDR gezeigt habe, dass die Bevölkerung reif für einen verantwortlichen Gebrauch direkter Demokratie sei, wurde von den Kommissionsmitgliedern der CDU / CSU und der FDP nicht anerkannt. Es habe sich weniger, so vor allem ostdeutsche Kommissionsmitglieder, bei der Wende um ein Beispiel gelungener direkter Demokratie, sondern um eine Sondersituation gehandelt. Sie sei nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragbar.136 Zur Illustration und auch als Beleg für einen möglichen Erfolg einer bundesweiten Volksgesetzgebung wurde von den Befürwortern auf die weite Verbreitung von Volksgesetzgebung auf Länderebene hingewiesen. Die Erfahrungen dort sprächen für sie. Auch über dieses empirische Argument einer Bereicherung der demokratischen Verfassungswirklichkeit bestand jedoch keine Einigkeit. Gute Erfahrungen auf Länderebene, wie auch in der Schweiz, wurden von der Gegenseite bestritten. Außerdem seien Ländererfahrungen nicht so ohne weiteres auf die Bundesebene übertragbar. Die Länderebene und die kommunale Ebene seien überschaubarer, 133 Vgl. Norbert Geis (CDU / CSU), ebd., S. 363; Staatssekretär Wilhelm (CSU), S. 376; Susanne Rahardt Vahlendiek (CDU / CSU), S. 382. Dagegen wandten sich: Wolfgang Thierse (SPD), ebd., S. 365, Herbert Schnoor (SPD), ebd., S. 371; Wolfgang Ullmann (Bündnis 90 / Die Grünen), ebd., S. 374; Peter Caesar (FDP), ebd., S. 372 – 3 (einschränkend). 134 Am deutlichsten wurde diese Sorge vor einem Missbrauch der Volksgesetzgebung durch Lobbyverbände in der 17. Sitzung der GVK am 11. 2. 1993, (in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 769 – 70) von Ulrich Irmer (FDP) dargelegt. 135 Herbert Schnoor (SPD), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992 in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 367 – 71; Susanne Rahardt-Vahldieck (CDU / CSU), ebd., S. 382. 136 Vgl. Wolfgang Thierse (SPD), ebd., S. 366; Konrad Elmer (SPD), ebd., S. 377; Hans Jochen Vogel, ebd., S. 378; Norbert Geis (CDU / CSU), ebd., S. 379; Steffen Heitmann (CDU), ebd., S. 367; Ulrich Irmer (FDP), GVK, 17. Sitz., 11. Februar 1993, in: ebd., S. 769.

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eine Problemlösung durch das Volk hier sehr viel eher praktikabel. Geäußert wurde in diesem Zusammenhang auch die grundsätzliche Sorge vor einer Schwächung des Föderalismus, da der Bundesrat in einem Volksgesetzgebungsverfahren auf Bundesebene faktisch ausgeschaltet sei.137 Die Gegner führten als empirischen Beleg ihrer Meinung vor allem schlechte Weimarer Erfahrungen an. So stellte Norbert Geis (CDU / CSU) fest: „Ich meine, dass wir alles in allem und gerade auf Grund der Erfahrungen der Weimarer Verfassung, aber auch auf Grund der Tatsache, dass in keiner alten Demokratie des Westens mit Ausnahme der Schweiz solche Plebiszite vorgesehen sind, sowie aufgrund der Erfahrungen der Schweiz, nicht ja sagen sollten zu Plebisziten.“138

Wie schon 1971 – 76 erscheinen „schlechte Weimarer Erfahrungen“ in der Argumentation gegen Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene. Sie sind wie schon in der Enquetekommission auch in der Gemeinsamen Verfassungskommission der empirische Beweis für ein grundsätzlich problematisches Verhältnis von plebiszitären und repräsentativen Verfassungsstrukturen in der Verfassungstheorie und für eine potentielle Gefährdung einer stabilen Verfassungswirklichkeit. Sie nehmen aber als Argument der Gegner keine so zentrale Stellung ein, wie sie sie noch im Schlussbericht 1976 erhielten. Anders als 1976 blieb diese Argumentation zudem – wie auch die damit einhergehende Deutung, schon der Parlamentarische Rat habe sich deshalb gegen Volksgesetzgebung entschieden139 – diesmal nicht unwidersprochen. In ausführlichen Stellungnahmen bemühten sich Wolfgang Thierse, der nordrhein-westfälische Minister Herbert Schnoor und Hans Jochen Vogel darum, diese Argumentation zu widerlegen: „Die Weimarer Demokratie ist nicht an Volksbegehren und Volksentscheiden gescheitert, sondern an der Unentschiedenheit der Verfassung zwischen parlamentarischem System und dem Wahlkönigtum des Reichspräsidenten. Sie ist gescheitert an ihren schweren politischen Belastungen und am unterentwickelten Demokratieverständnis“,

so Wolfgang Thierse, der zusätzlich betonte, dass auch Hitler „nicht durch einen plebiszitären Akt, sondern durch ein Ermächtigungsgesetz“ „in den Sattel gehoben“ worden sei. Der Parlamentarische Rat habe sich zudem nicht wegen praktischer Erfahrungen gegen die Volksgesetzgebung entschieden, sondern weil er nach den allgemeinen Erfahrungen von 1933 bis 1945 dem deutschen Volke die notwendige Reife noch nicht zugetraut habe.140 Auch Hans Jochen Vogel und Herbert 137 Vgl. Norbert Geis (CDU / CSU), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992 in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 363; Wolfgang Thierse (SPD), ebd., S. 365 – 6; Hans Jochen Vogel (SPD), ebd., S. 377; ders., 17. Sitzung, 11. Februar 1993, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 774). 138 Norbert Geis (CDU / CSU), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 364. 139 Vgl. ders., 17. Sitzung, 11. Februar 1993, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 766 – 767. 140 Wolfgang Thierse (SPD), GVK, 6. Sitz., 14. Mai 1992 in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 364. Zustimmend: Uwe Jens Heuer (für PDS / Linke Liste), ebd., S. 375.

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Schnoor widersprachen einer einseitig negativen Deutung der Weimarer Erfahrungen unter Berufung auf „ernstzunehmende Untersuchungen“.141 Man müsse diese Sicht „relativieren“, das Volk habe „sich nicht so töricht verhalten, wie immer behauptet wird“.142 Beide sahen als Grund für die ablehnende Haltung des Parlamentarischen Rates „eher die Plebiszite nach 1933 als die vor 1933“ an: Ich bin nicht ganz sicher, ob die damalige Einschätzung [im Parlamentarischen Rate] nicht zu sehr von der ,Volksentscheid‘ genannten Aktivität bezüglich des Ausscheidens aus dem Völkerbund im November 1933 oder noch mehr von der ,Volksentscheid‘ genannten Aktivität hinsichtlich des Anschlusses Österreichs 1938 geprägt war“ (H. Schnoor).143 Am Ende der ersten Kommissionssitzung zum Thema plebiszitäre Elemente im Grundgesetz schien ein Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern von Volksentscheid und Volksbegehren zwar nicht völlig ausgeschlossen.144 Er war aber bereits zu diesem Zeitpunkt angesichts der deutlich werdenden grundsätzlichen Ablehnung durch die CDU / CSU unwahrscheinlich. Eine Empfehlung für eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene musste schließlich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden. b) Die Sachverständigenanhörung am 17. Juni 1992 Die nächste Etappe in der Auseinandersetzung um eine Einführung von Volksentscheid und Volksbegehren war die Sachverständigenanhörung zum Thema. Den Bestimmungen der Gemeinsamen Verfassungskommission folgend, konnten SPD und CDU / CSU je drei und die kleineren Parteien F.D.P., Bündnis 90 / Die Grünen und die PDS / Linke Liste je einen Sachverständige benennen. Jeder erhielt einen Fragekatalog als Arbeitsgrundlage und hatte in der Anhörung 10 Minuten Zeit für seine Ausführungen, die begleitet wurden durch eine schriftliche Stellungnahme.145 Geleitet wurde die Anhörung146 durch den Staatsrechtler und Bundestagsabgeordneten Rupert Scholz, der mit Zustimmung der Fraktionen zu Anhörungsbeginn der Übergabe von 265.000 Unterschriften an die Gemeinsame VerfassungsSo: Hans Jochen Vogel (SPD), ebd., S. 378. Ebd.; Herbert Schnoor (SPD), ebd., S. 370. 143 Ebd. 144 So Paterna, Volksgesetzgebung, S. 111; Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 88. 145 Stenographischer Bericht, 3. öffentliche Anhörung: „Bürgerbeteiligung und Plebiszite“, in: Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einheit, Bd. 2: Anhörungen und Berichterstattergespräche, Zur Sache 2 / 96, Bonn 1996, S. 131 – 188; Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der Debatte der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 88 – 89; Paterna, Volksgesetzgebung, S. 111 – 115. 146 Von den ordentlichen Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission fehlte bei dieser Anhörung fast die Hälfte, von 32 Mitgliedern aus dem Bundesrat waren nur 11 anwesend, bzw. ließen sich vertreten. 141 142

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kommission durch Gerald Häfner als Vertreter zahlreicher Bürgerinitiativen147 zustimmte. Zu diesen Unterschriften gehörten weitere 1,1 Millionen Unterschriften, die sich für die Einführung eines dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahrens in das neue Grundgesetz aussprachen und in einer vier Meter hohen transparenten Glassäule vor dem Bundestag aufgestellt worden waren. Als erster Sachverständige äußerte sich der Münchner Staatsrechtler Prof. Peter Badura, der sich in eindeutiger Weise gegen eine Einführung von Volksgesetzgebung wandte. Sie verändere in negativer Weise den bisherigen Prozess der staatlichen Willensbildung, der bisher auf Wahlen und Parlamentarismus beruhe. Plebiszitäre Demokratie sei dagegen ineffizient und nicht unbedingt immer am Gemeinwohl ausgerichtet. Badura sah insgesamt keinen Legitimitätszuwachs und keine Stabilisierung des politischen Systems oder auch nur die Chance einer geringeren Politikverdrossenheit in Deutschland durch die Einführung der Volksgesetzgebung ins Grundgesetz.148 Der als Sachverständige berufene Privatdozent und langjährige Studienleiter an der evangelischen Akademie Hofgeismar Tilmann Evers sprach sich nach Badura dagegen für eine Einführung von Volksgesetzgebung ins Grundgesetz aus, um die Probleme des Parteienstaats wie die Fixierung auf Wahlen, die Parteienkonkurrenz und die nur kurzsichtige Problemlösungsbereitschaft zu lösen. Als erster der Sachverständigen ging er ausführlich auf die Weimarer Erfahrungen und die Motive des Parlamentarischen Rates 1949 ein. Wie schon Vogel, Thierse und Schnoor verwies er auf neuere Forschungen,149 die zur Revision althergebrachter Ansichten kämen: „Stichwort: Weimarer Erfahrungen. Hier gibt es inzwischen eine sehr fortgeschrittene zeitgeschichtliche Forschung, die nachweist, daß die Erträge der direktdemokratischen Anläufe in Weimar per saldo nicht schlechter waren als des Parlamentarismus der damaligen Zeit. Beide litten unter den enormen politischen und ökonomischen Zwängen der Zeit. Vor allem aber hat der Parlamentarische Rat mit seiner Entscheidung für eine strikt repräsentative Ausgestaltung des Grundgesetzes nicht so sehr auf Weimar reagiert, als vielmehr auf den beginnenden kalten Krieg und auf die Manipulation des Instruments der Volkbefragung durch die KPD und die neuen Machthaber in der sowjetischen Besatzungszone.“

Wie Thierse und andere Befürworter in der Kommission sah auch Evers die jüngste Vergangenheit in der DDR mit ihrem Ruf „Wir sind das Volk“ geradezu als Verpflichtung an, neu über das Verhältnis des Bürgers und Staates im Sinne einer Befürwortung der Volksgesetzgebung nachzudenken.150

147 Darunter: Initiative Demokratie Entwickeln, Kuratorium der Demokratie Initiative 90, Omnibus für Direkte Demokratie, etc. 148 Vgl. Materialien, Anhörungen, S. 139 – 141; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 46, S. 293 – 296. 149 Er verwies explizit auf Arbeiten des Politologen und Zeithistorikers Otmar Jung. 150 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 141 – 144, 143; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 57a, S. 358 – 367.

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Unterstützung fanden seine Ausführungen in dem Vortrag des Sachverständigen Dr. Bruno Kaufmann, eines Schweizers, der als Journalist und als Friedensforscher an der Universität Göteborg arbeitet. Dieser sprach sich in allgemeiner Weise vor allem vor dem Hintergrund der Schweizer Erfahrungen für eine Einführung der Volksgesetzgebung aus. Entscheidendes Argument war für ihn ein zunehmender Legitimationsmangel der politischen Institutionen in der repräsentativen Demokratie.151 Auf Kaufmann folgte der Sachverständige und Mainzer Staatsrechtler Prof. Eckart Klein, der wiederum die ablehnende Haltung Baduras unterstützte, und vor allem auf mögliche Gefahren für den Parlamentarismus, den Föderalismus und die problematische Auswahl der Gesetzgebungsmaterien verwies. Gleichsam als Beleg hierfür rief er in allgemeiner Weise ohne explizite Bezugnahme auf „Weimarer Erfahrungen“ die bewusste Ablehnung direkter Demokratie im Parlamentarischen Rat in Erinnerung. Klein plädierte dafür, statt einer Volksgesetzgebung das repräsentative System zu reformieren. Höchstens seien, darin unterschied er sich von Badura, die Einführung einer Volksinitiative als politische Anregung und ein obligatorisches Verfassungsreferendum denkbar. In der Demokratiebewegung der DDR sah Klein im Widerspruch zu Evers ein vor allem revolutionäres spontanes Element, das nicht mit einer institutionalisierten Demokratieform verglichen werden dürfe.152 Als Fürsprecher plebiszitärer Formen auf Bundesebene trat der Sachverständige und Bremer Staatsrechtler Prof. Ulrich Karl Preuß153 auf. Ausgangspunkt seiner Stellungnahme war hierbei eine „demokratische“ Gesamtbetrachtung, in der sich zwei demokratische Legitimationsgründe, verkörpert in repräsentativen und plebiszitären Demokratieformen, „in einer gewissen Spannung zueinander“ gegenüberständen. Während die repräsentative auf der Vernünftigkeit und weitgehender sachlicher Fundierung beruhe, handele die plebiszitäre partizipatorisch-reflexiv. Letztere sei in der deutschen Demokratie nicht ausreichend vorhanden und könne in einem ausgewogenen Gleichgewicht zum Parlamentarismus sinnvoll korrigierend wirken.154 Eine vorsichtig befürwortende, aber auch warnende Position nahm der Sachverständige und Bremer Wissenschaftler am Zentrum für Sozialpolitik Prof. Claus Offe ein. Er sah durchaus einen Gewinn in einer Einführung direktplebiszitärer Elemente, die aber nur eine Möglichkeit für mehr politische Mitgestaltung des Bürgers neben anderen sei. In keinem Fall dürfe eine Volksgesetzgebung ein „Rou151 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 144 – 147; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 58, S. 368 – 369. 152 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 147 – 9; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 48, S. 304 – 306. 153 Preuß hatte bereits am Entwurf des gesamtdeutschen Kuratoriums mitgewirkt. 154 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 149 – 152; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 53, S. 336 – 341.

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tineverfahren“ werden, sondern müsse auf Ausnahmen beschränkt bleiben. Ihr Hauptvorteil liege darin, dass die politischen Eliten angesichts des drohenden Regulativs einem höheren Rechtfertigungsdruck für ihre Entscheidungen ausgesetzt seinen. Dem Vorwurf, dass parlamentarische Entscheidungsprozesse mehr Möglichkeiten der Kommunikation und des Kompromisses mit sich brächten, entgegnete er mit dem Einwand, dass andererseits im Parlamentarismus eine Vielzahl von „Macht- und Koalitionsrücksichten“ diese größeren Möglichkeiten wieder zunichte machten. Als Alternative zur Volksgesetzgebung betonte er die Möglichkeit einer größeren Demokratisierung innerhalb des Systems von Parteien und Verbänden.155 Nach Claus Offe berichtete der Schweizer Rechtsanwalt Prof. Gerhard Schmidt über die Erfahrungen der Schweiz, ohne eine eigene explizite Empfehlung abzugeben.156 Wie die Sachverständigen Klein und Badura wandte sich der spätere Bundesjustizminister Prof. Edzard Schmidt-Jorzig gegen eine weitgehende Volksgesetzgebung. Höchstens eine Volksinitiative in den Bundestag sei möglich, bei der dann auch keine Sachthemen ausgeklammert werden müssten. Neben den bereits von Klein und Badura angeführten Gründen sah er die häufig nur mittelbare Betroffenheit vieler Bevölkerungskreise bei manchen bundespolitischen Entscheidungen als Gegenargument für weitgehende Volksgesetzgebungsregelungen an.157 Als letzter der Sachverständigen stand der Lüneburger Sozialwissenschaftler Prof. Uwe Thaysen einer Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene positiv gegenüber, in der er vor allem ein mögliches Instrument der Parteien selbst sah. Mangelnde Demokratie innerhalb der Parteien, ihre bisherige uneingeschränkte Herrschaft und ein auf diese Weise überwindbares Defizit in der politischen Kultur Deutschlands waren die Argumente, aufgrund derer er für eine Einführung von Volksentscheid und Volksbegehren plädierte. Plebiszitäre und repräsentative Elemente müssten dabei in einem geeigneten Miteinander zueinander stehen. Weimarer Erfahrungen oder die Gründe des Parlamentarischen Rates gegen eine Einführung von Volksgesetzgebung sah er, wie Tilmann Evers, als nicht mehr zwingende Gegenargumente an. Er warnte stattdessen vielmehr vor seiner Auffassung nach „ahistorischen“ und „nomothetischen Aussagen“: „Ja, die Mütter und Väter der Verfassung waren von einer Plebisphobie geprägt, jedenfalls dann, wenn es zu den Entscheidungen kam. Es gibt aber auch andere Argumentationsstränge, und die Historiographie sagt uns heute, dass diese Befürchtungen geschichtlich nicht so berechtigt waren. Wie Theodor Heuss es in seinem Satz für alle Mütter und Väter des 155 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 152 – 54; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 68, S. 419 – 423. 156 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 154 – 6; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 44, S. 287 – 288. 157 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 156 – 8; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 51, S. 312.

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Grundgesetzes, für die Mehrheit, für einen breiten Konsens zusammengefasst hat, dass nämlich diese Instrumente eine Prämie für alle Demagogen darstellen. Das lässt sich vor der faktischen Geschichte und der faktischen Wahrnehmung dieses Instituts in der Weimarer Republik nicht halten. Das hat die Geschichtswissenschaft heute deutlich gemacht. Ebenso ist deutlich, dass Bonn nicht Weimar ist [ . . . ].“158

Deutlich erkennbar wechselten sich in der Sachverständigenanhörung Gegner wie Fürsprecher der Volksgesetzgebung ab, wobei die Befürworter in der Mehrheit waren. Die einzelnen Gutachter vertraten dabei im Großen und Ganzen die bereits in der Kommissionssitzung vom 14. Mai 1992 deutlich gewordenen Positionen der Parteien, die sie berufen hatten.159 Selbst ihre Argumente unterschieden sich nur wenig von den bereits in der Kommission genannten, auch wenn sie in der Darstellung wissenschaftlicher fundiert erschienen. Eine Ausnahme hierbei, die auffällt, ist jedoch, dass sich keiner der sachverständigen Gegner einer Einführung von Volksgesetzgebung ausdrücklich auf schlechte Weimarer Erfahrungen berief. Die Befürworter von mehr direkter Demokratie wie Evers und auch Thaysen und in der folgenden Aussprache indirekt auch der Abgeordnete Burkhard Hirsch (FDP) verwiesen dagegen auf eine neuere historische Deutung, die nicht zum Ergebnis zwingend schlechter Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren zwischen 1919 und 1933 komme und auch die Motive des Parlamentarischen Rates in einem neuen Licht erscheinen lasse.160 Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass in der Sachverständigenanhörung plötzlich Einigkeit über eine historische Neubewertung herrschte. Dies zeigen Äußerungen in der sich den Vorträgen anschließenden Aussprache. So sprach Hans Jochen Vogel (SPD), an und für sich sogar ein Befürworter von Volksgesetzgebung, von „nicht ermutigenden“ deutschen Erfahrungen. Der Abgeordnete Hartmut Soell (SPD) „sparte“ sich ausdrücklich den Sachverständigen Evers und Thaysen widersprechende eigene historischen Ausführungen. Vor allem aber wird in der schriftlichen Stellungnahme Baduras deutlich, dass auch auf sachverständiger Ebene schlechte Weimarer Erfahrungen weiterhin ein wichtiges Argument waren, dass nur nicht explizit ausgesprochen worden war.161 Badura stellt es schriftlich schlicht als allgemeingültige Tatsache hin, dass die „Entscheidung des Grundgesetzes für die ungeschmälerte (repräsentative) Demokratie [ . . . ] die Erfahrungen der Weimarer Praxis und der Plebiszite der NS-Zeit vor Augen“ hatte.162 158 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 158 – 9, 158; Schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 59a, S. 372 – 377. 159 So auch: Schmack-Reschke, Bürgerbeteiligung und Plebiszite in der gemeinsamen Verfassungskommission, S. 89. 160 Vgl. Hirsch, Materialien, Anhörung, S. 164: „Ich habe den Eindruck, daß die gegen die repräsentative Demokratie gerichtete Wirkung, wie es immer heißt, in der Weimarer Republik maßlos übertrieben worden sind. Es hat vier Entscheidungen gegeben, die akzeptiert worden sind und die alle, von der Panzerkreuzer-Entscheidung bis zur Entschädigung des Adels, in ihrem Ergebnis nicht so dramatisch waren, Diese Entscheidungen haben diesen Staat bestimmt nicht zersetzt.“ 161 Vgl. Materialien, Anhörung, S. 162 (Vogel), S. 169 (Soell). 162 Vgl. schriftliche Stellungnahme, in: Materialien, Arbeitsunterlagen, Nr. 46, S. 2934.

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c) Die endgültige Entscheidung in der 17. Kommissionssitzung und die ablehnende Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission In der 17. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission am 11. Februar 1993 fiel die endgültige Entscheidung gegen eine Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid ins Grundgesetz. Auch der Versuch, eine bloße Volksinitiative zur Befassung des Bundestages einzuführen, scheiterte. Aufgrund der Tatsache, dass nicht nur die Frage einer Volksgesetzgebung, sondern vorher noch „Staatsziele und Grundrechte“ auf der Tagesordnung standen, entschied man sich aufgrund der fortgeschrittenen Zeit in der Sitzung dazu, zum späteren Thema nur noch die Berichterstatter zu Wort kommen zu lassen. Ihre Stellungnahmen und auch die dann doch noch ausbrechende, kurze aber heftige Diskussion brachten weder neue Argumente, noch eine wirkliche Annäherung der sich gegenüberstehenden Positionen.163 Einzige Ausnahme waren hier die Kommissionsmitglieder der FDP, die sich nun doch für die Einführung einer Volksinitiative aussprachen, Volksbegehren und Volksentscheid aber weiterhin ablehnten. Gegen Ende der Sitzung erfolgte die Abstimmung über die einzelnen Anträge der verschiedenen Parteien.164 Ein Antrag der Gruppe Bündnis 90 / Die Grünen, der ein abgestuftes Verfahren von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vorsah, wurde bei 4 JaStimmen und 8 Enthaltungen abgelehnt.165 Der Antrag der SPD wurde für die Abstimmung in Abschnitte unterteilt, um der FDP die Möglichkeit zu geben, die Einführung einer Volksinitiative zu unterstützen, Volksbegehren und Volksentscheid aber weiterhin ablehnen zu können. So kam es, dass für die Einführung der Volksinitiative 29 Kommissionsmitglieder stimmten, während 27 sie ablehnten. Für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid stimmten 28 Mitglieder, 27 dagegen. Trotz der absoluten Mehrheit war damit der Antrag gescheitert, da keine Zwei-Drittel Mehrheit erreicht worden war.166 Ein weiterer Antrag der SPD, der vorsah, dass auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Bundestages ein Volksentscheid über ein verfassungsänderndes Gesetz stattfinden sollte, wurde von 23 Kommissionsmitgliedern unterstützt. 29 stimmten bei einer Enthaltung dagegen.167 163 Vgl. 17. Sitzung, 11. Februar 1993, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 765 – 776. Die einzelnen Stellungnahmen sind teilweise, wo von Bedeutung, bereits oben in der allgemeinen Argumentationsdarstellung zitiert. 164 Vgl. Anträge (Kommissionsdrucksachen) und „Abstimmungsergebnisse zum Themenbereich Bürgerbeteiligung / Plebiszite“, in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 783 – 785; BTDrS. 12 / 6000, „Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission“, abgedruckt in: ebd., S. 15 – 118, 83 – 84. 165 Antrag der Gruppe Bündnis 90 / Die Grünen (Kommissionsdrucksache 32), in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 783. 166 Antrag der SPD-Fraktion zur Einführung eines Artikels 20b und zur Änderung des Art. 76 GG (Kommissionsdrucksache 35), in: ebd., S. 784.

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Als dritter Antrag der SPD, und letzter insgesamt, wurde über einen Antrag abgestimmt, der auf eine Ergänzung des Art. 45c GG abzielte. Der Petitionsausschuss sollte danach verpflichtet werden, bei sogenannten Massenpetitionen, die von mindestens 50.000 Stimmberechtigten mitunterzeichnet sind, deren Petenten oder ihre Vertreter anzuhören. Dieser Antrag erhielt sowohl 28 Ja- als auch Nein-Stimmen und war damit ebenfalls nicht angenommen.168 Diesen Abstimmungsergebnissen folgend, stellte der abschließende Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission fest: „Die Gemeinsame Verfassungskommission gibt keine Empfehlung zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid oder von anderen Formen unmittelbarer Demokratie ins Grundgesetz ab.“169

Er gibt neben dem Verlauf und den Ergebnissen der Abstimmung noch einmal alle Argumente wieder, die im Verlauf der Sitzungen und Sachverständigenanhörung vorgebracht wurden. Unter den Argumenten, die nach Auffassung der Gegner gegen eine Volksgesetzgebung auf Bundeseben sprechen, findet sich an erster Stelle der Hinweis auf schlechte Weimarer Erfahrungen: „Der Parlamentarische Rat habe gerade mit seinem strikten Bekenntnis zur parlamentarisch-repräsentativen Demokratie die entscheidenden Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie gezogen. Selbst wenn in der Weimarer Republik nur relativ wenig plebiszitäre Entscheidungen getroffen wurde, habe die parlamentarische Demokratie damals doch unter dem permanenten Druck plebiszitärer Entscheidungsmöglichkeiten gestanden, was entscheidend zu ihrer Schwächung beigetragen hat. Gerade auf der Grundlage dieser historischen Erfahrung habe der parlamentarische Rat für das Grundgesetz auf Formen unmittelbarer Demokratie bewusst verzichtet [ . . . ]. Diese Entscheidung des Parlamentarischen Rates sei auch heute noch richtungsweisend. Denn das bewährte System der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie könne durch plebiszitäre Verfahren nachhaltig geschwächt werden.“

3. Die Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat – Das Scheitern der Volksgesetzgebung auch, aber nicht nur wegen „schlechter Weimarer Erfahrungen“ Am 4. Februar 1994 fand die erste Lesung des von den Fraktionen der CDU / CSU, SPD und FDP eingebrachten Gesetzentwurfes zur Änderung des Grundgesetzes statt.170 Zusätzlich wurden in die mehrstündige Debatte auch gesonderte 167 Antrag der SPD-Fraktion zur Ergänzung des Art. 79 GG, fakultatives Verfassungsreferendum, (Kommissionsdrucksache Nr. 51), in: ebd., S. 784. 168 Antrag der SPD-Fraktion zur Ergänzung des Art. 45 c GG, Massenpetition (Kommissionsdrucksache Nr. 36), in: ebd., S. 785. 169 Vgl. „Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission“ (BTDrS. 12 / 6000) in: Materialien, Sitzungsprotokolle, S. 15 – 118, 85. 170 BTDrS. 1994 (XII), Nr. 6633. Vgl. auch: Paterna, Volksgesetzgebung, S. 118 – 127.

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Gesetzentwürfe der SPD und des Bündnis 90 / Die Grünen, sowie der PDS / Linke Liste zur Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene mit einbezogen.171 In den Redebeiträgen zur Verfassungsreform wurde nur kurz zu Volksbegehren und Volksentscheid Stellung genommen, wobei auch keine neuen Argumente auftauchten. Alle Anträge wurde dem Rechtsausschuss zur Beratung überwiesen,172 der seine Beschlussempfehlung am 28. Juni 1994 vorlegte.173 Die zweite und dritte Lesung des Bundestages fand dann am 30. Juni 1994 im Berliner Reichstag statt. Wie schon in der ersten Lesung zur Verfassungsreform spielte die Volksgesetzgebung nur eine untergeordnete Rolle in den Redebeiträgen der insgesamt 49 Rednern. Nur drei Abgeordnete gingen ausführlicher auf die Frage einer stärkeren Bürgerbeteiligung ein. Norbert Geis (CDU / CSU) verteidigte die Haltung seiner Partei und verwies auf „viel zu gewichtige Gründe“, die gegen eine Volksgesetzgebung gesprochen hätten. Hans Jochen Vogel (SPD) bedauerte die Ablehnung von Volksbegehren und Volksentscheid in der Gemeinsamen Verfassungskommission und forderte ein letztes Mal ihre Einführung auf Bundesebene. Der damalige Bundesfinanzminister Theodor Waigel wiederum warnte vor einer „Aushöhlung“ der repräsentativen Demokratie durch plebiszitäre Elemente. Er verwies auf die Erfahrungen der Weimarer Republik als Beleg für vor allem ein kaum lösbares „Spannungsverhältnis mit den gesetzgeberischen Mitwirkungsrechten unserer Länderkammern und den Prinzipien des Föderalismus insgesamt“.174 Der Bundestag lehnte alle letzten Versuche, die Volksgesetzgebung in eine neue gesamtdeutsche Verfassung zu integrieren, ab.175 Auch die Gemeinsame Verfassungskommission hat also wie der Parlamentarische Rat und die Enquetekommission eine Einführung von Volksgesetzgebung in das Grundgesetz abgelehnt. Wie 1948 / 9, anders als 1976, war die Entscheidung umstritten. Insbesondere die Parteien SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die PDS / LL haben sich für mehr Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid stark gemacht. Ein in zwei Anträge aufgeteilter Gesetzesentwurf der SPD erhielt sogar eine absolute, aber eben keine von der Geschäftsordnung her notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Verhindert wurde die Volksgesetzgebung von der CDU / CSU, aber auch von der FDP, die nur eine 171 BTDrS. 1993 (XII), Nr. 6323; BTDrS. 1994 (XII), Nr. 6686; BTDrS. 1994 (XII), Nr. 6570. 172 Vgl. Paterna, Volksgesetzgebung, S. 119 – 20. Das Verfahren richtete sich nach den §§ 62 – 66, 74 der GOBT. 173 BTDrS. 1994 (XII), Nr. 8165. 174 Vgl. Parlamentsprotokolle 12 / 238:21018, 12 / 238: 20956, 12 / 238:20969 – 20970 zitiert nach: Paterna, Volksgesetzgebung, S. 124. 175 Aufgrund eines Einspruchs des Bundesrates unter Wortführung der Länder Bayern und Thüringen wurden zentrale Elemente der Verfassungsreform nach einem Einspruch des Bundesrates noch einmal im Vermittlungsausschuss behandelt und dort gesetzestechnisch neu geordnet. Am 6. September 1994 erfolgte dann der endgültige Beschluss des Bundestages. Die Volksgesetzgebung war nicht mehr Thema und spielte deshalb auch in den Redebeiträgen keine Rolle mehr.

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Volksinitiative für eine Befassung des Bundestages befürwortete. Zur Begründung der Ablehnung hat es im Vergleich zur vorangehenden Enquetekommission 1971 – 76 insgesamt eine Verschiebung gegeben. Waren 1976 noch „schlechte Weimarer Erfahrungen“ scheinbar allgemeingültig historische Tatsache und zentrales Gegenargument, wurde die Ablehnung nunmehr auch auf abstrakt verfassungstheoretische, politologische und soziologische Argumente gestützt. Dies vor dem Hintergrund, dass eine negative historiographische Deutung der Erfahrungen in der Weimarer Republik von den Befürwortern der Volksgesetzgebung deutlich in Frage gestellt wurde. Sie wendeten sich auch gegen die Darstellung, dass schon der Parlamentarische Rat sich nur wegen schlechter Weimarer Erfahrungen gegen eine Einführung entschieden hätte. Eine größere Rolle hat ihrer Auffassung nach der nationalsozialistische Missbrauch direkter Demokratie in Form der Volksabstimmungen zwischen 1933 und 1945 gespielt.176

176 Kritisch konkret zur Rolle schlechter Weimarer Erfahrungen: Kloepfer, Verfassungsänderung, S. 89.

Kapitel VI

Der Streit um die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren – Ausdruck der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland Nach dem Ende der Hitler-Diktatur konnte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk auf gesamtstaatlicher Ebene wieder losgelöst von den Zwängen und Irrungen der nationalsozialistischen Ideologie erfolgen. Der Missbrauch von Demokratievorstellungen aufgrund verfälschter Begrifflichkeiten hatte ein Ende. Dies und die Tatsache, dass das Grundgesetz nach 1949 keine neuen Regelungen für eine unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk auf Bundesebene vorsah,1 führte wie schon 1933 zu grundlegenden Veränderungen in der forschungsgeschichtlichen Entwicklung. Der erneute Umbruch betraf die beteiligten Disziplinen, die angewandte Methodik und die behandelten Fragestellungen.2 Die Staatsrechtswissenschaft verlor ihr wissenschaftliches „Monopol“. Aus dem staatsrechtlichen Umgang mit geltendem Recht wurde eine in erster Linie historiographische Debatte, geführt von den Disziplinen Geschichtswissenschaft, Politologie und Rechtswissenschaft.3 Anknüpfungspunkt waren hierbei nicht die Volksabstimmungen des Dritten Reiches, sondern die Weimarer Volksgesetzgebung. Hatte sich die Staatsrechtswissenschaft 1919 – 1933 noch rechtsdogmatisch und rechtspolitisch mit den geltenden Art. 73 – 76 WRV auseinandergesetzt, so wurden nun aus historischer Perspektive das Nebeneinander von Parlamentarismus und Volksgesetzgebung sowie die einzelnen Volksgesetz1 Regelungen zu Volksentscheid und Volksbegehren existieren in der Bundesrepublik bisher nur auf Länder- und im materiellgesetzlichen Sinne auf kommunaler Ebene. Dies allerdings weitverbreitet. Alle Länderverfassungen, insbesondere auch die der neuen Länder, enthalten heute Regelungen einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk. Vgl. Übersicht in: Jung, Abschluss und Bilanz der jüngsten plebiszitären Entwicklung in Deutschland, a. a. O. 2 Wieder gab es in der Staatsrechtslehre einen personellen Umbruch. Unbelastete Köpfe betraten die Bühne. Die nationalsozialistisch belasteten Staatsrechtslehrer, soweit sie in Amt und Würden blieben, wendeten sich oftmals unpolitischeren juristischen Bereichen zu. 3 Die historische Aufarbeitung Weimars erfolgte in großem Umfang vor allem durch Politologen. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte nach 1945, Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit, in: VJfZ 41 (1993), S. 1 – 129, 3.

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gebungsverfahren in der Weimarer Republik allgemein verfassungstheoretisch wie auch konkret politisch-empirisch analysiert und bewertet. Zu juristischen Begrifflichkeiten und Denkweisen traten politologische Modelle und historische Gesamtbetrachtungen, die man rückwärtsgewandt aus Theorie und Praxis der Art. 73 – 76 WRV entwickelte, bzw. an denen man die Weimarer Volksgesetzgebung zu messen begann. Terminologisch handelt es sich hierbei um die wissenschaftliche Suche nach der richtigen „Weimarer Erfahrung mit Volksentscheid und Volksbegehren“, die in einer ganzen Reihe sogenannter „Weimarer Erfahrungen“ in der Wissenschaft steht. Gemeint sind damit verfassungspolitische Erfahrungen mit bestimmten durch die Weimarer Reichsverfassung etablierten Strukturen, über die man dahingehend streitet, ob sie eine wichtige Bedeutung für den Untergang der Republik hatten oder nicht.4 Die Beschäftigung mit ihnen ist Ausdruck des wissenschaftlichen Bemühens, Erklärungen für das demokratische Scheitern 1919 – 1933 und den Aufstieg des Nationalsozialismus in einem pluralistischen Verfassungsgefüge zu finden. All dies, um aus der Vergangenheit für die zweite deutsche Demokratie zu lernen.5 Karl Dietrich Bracher hat es mit folgenden Worten ausgedrückt: „So holt sich die staats- und verfassungsrechtliche wie die publizistische und tagespolitische Betrachtung der deutschen Nachkriegspolitik immer von neuem ihre Argumente aus der Berufung auf das Schicksal und die Erfahrungen des Weimarer Staates.“6 Die hierbei von Bracher genannte deutsche Nachkriegspolitik ist in Bezug auf Volksgesetzgebung seit den frühen 50er Jahren durch Forderungen nach einer erneuten Einführung bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide geprägt. Die diesbezüglich bis heute auf- und abflauende innenpolitische Debatte und die 4 Vgl. hierzu bspw.: Theodor Eschenburg, Die europäischen Demokratien zwischen den Weltkriegen, in: ders. (Hrsg.), Die improvisierte Demokratie, München 1963, S. 79: „Es gelang [1919] in erstaunlich kurzer Zeit bei gründlicher Überlegung, den neuen Verfassungsbau herzustellen. Heute wird ihm die Schuld an dem Zusammenbruch – zum Teil nicht mit Unrecht – zugeschoben.“ Vgl. auch: Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem (2. Fassung), Stuttgart 1951, S. 19: „Die [ . . . ] Gegenüberstellung des Weimarer und des Bonner Verfassungswerkes, [ . . . ] ergibt sich in den Punkten, in denen die Bonner Verfassungsschöpfer das in ihren Augen Gefährliche und [ . . . ] Dämonische an der Weimarer Verfassung zu bannen suchten.“ 5 Dieter Grimm, Mißglückt oder glücklos? Die Weimarer Reichsverfassung im Widerstreit der Meinungen, in: Heinrich August Winkler (Hrsg.), Weimar im Widerstreit, Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland, München 2002, S. 151 – 162, 159. 6 Karl Dietrich Bracher, Die Erfahrung von Weimar, Ohne die positive Teilnahme der Staatsbürger kann eine Demokratie nicht bestehen, in: Vorwärts vom 18. 12. 1969, Nr. 51 / 52 (Literaturbeigabe, S. 18). Oftmals finden sich auch Sätze wie: „Die Beratungen des Parlamentarischen Rates zeigen, wie stark sich die Väter des Grundgesetzes, der Verfassungskonstruktion der Bundesrepublik, an der Erfahrung von Weimar zu orientieren suchten,“ oder: „Nach beinahe acht Jahren der Erfahrung, die der zweite deutsche Versuch zu einem demokratischen Leben hinter sich hat, gewinnt der vergleichende Blick auf die Elemente seinen besonderen Wert, die die erste deutsche Demokratie, die Republik von Weimar, zerstörten.“ Vgl. ebd.; ders., Weimar: Erfahrung und Gefahr, in: Die politische Meinung vom 1. 8. 1957, Nr. 15, S. 35 – 46, 35; Friedenthal, Young-Plan und die Deutschnationale Sezession, S. 177 – 178; Gerhard Schreeb, Demokratie in Deutschland, Osnabrück 1962, S. 43.

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immer wiederkehrenden parlamentarischen und außerparlamentarischen Vorstöße verschiedenster politischer Kräfte haben die wissenschaftlich-historische Beschäftigung mit der Thematik in vielfältiger Weise beeinflusst. Versuchen doch Gegner wie Befürworter von Volksgesetzgebung auf Bundesebene jeweils eigene „Weimarer Erfahrungen“ für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Erinnert sei an die dargestellten Diskussionen in den offiziellen Gremien zu Grundgesetzreformen seit dem zweiten Weltkrieg.7 Dieses letzte forschungsgeschichtliche Kapitel gliedert sich im weiteren in folgender Weise. Die Einleitung schließt mit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Weimarer Erfahrung“ als solchem ab. Der darauffolgende Teil A zeichnet die Entstehung einer fast einhellig herrschenden Meinung über „schlechte Weimarer Erfahrungen mit Volksgesetzgebung“ bis Ende der 60er Jahre nach. Hier wird auch auf die Bedeutung der nationalsozialistischen Volksabstimmungen für die Forschungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Zwar hat der in der Wissenschaft unumstrittene Missbrauch direktdemokratischer Demokratieformen durch Hitler vor allem in der frühen Bundesrepublik dafür gesorgt, dass die nationalsozialistischen Volksabstimmungen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.8 Die Frage, ob sie die Bewertung der Volksgesetzgebung in der Weimarer Republik rückwirkend nicht vielleicht doch erheblich beeinflusst haben, bleibt aber bestehen. Teil B untersucht dann die seit Ende der 60er Jahre zu be7 Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass es in diesem innenpolitischen Kampf um Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik neben den „Weimarer Erfahrungen“ noch andere Argumentationen und Streitpunkte gibt, die als Elemente wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit gesamtstaatlicher Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden können. Genannt seien die Berufung auf Schweizer Erfahrungen und die Einbeziehung der Volksgesetzgebung auf Länderebene nach 1945 in die Debatte um Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Durch die Beschränkung dieser Arbeit auf die Forschungsentwicklung zu konkret existierender gesamtstaatlicher Volksgesetzgebung werden diese wissenschaftlichen Fragen und Beiträge hier nicht alle mit erfasst. Kompensiert wird diese Beschränkung aber dadurch, dass viele dieser abstrakten und oft auch spekulativen Argumentationen sich – gleichsam in ein historisches Gewand gehüllt – in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren wiederfinden. Der wissenschaftliche Diskurs über gute oder schlechte Weimarer Erfahrungen steht insofern stellvertretend für fast alle abstrakten staatsrechtlichen oder auch politologischen Fragen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. zu diesen anderen Aspekten: Bettina Knaup (dies., Plebiszitäre Verfahren als Ergänzung der repräsentativen Demokratie, Zur neueren Forschungsdebatte um Volksabstimmungen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1994); Rux, Direktdemokratische Verfahren, 2. und 3. Teil. Verwiesen wird außerdem auf die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um den Wandel der demokratischen Kultur in der Bundesrepublik allgemein. Vgl. hierzu die Beiträge Kurt Sontheimers. Die existierenden direktdemokratischen Verfahren auf Länderebene in der Weimarer Republik sind bis auf die gescheiterte Parlamentsauflösung in Preußen 1930 nicht Bestandteil der bundesrepublikanischen Debatte um „Weimarer Erfahrungen“ geworden. 8 Ein Grund dafür, warum man diese Zeit lieber ausblendete, mögen auch die wissenschaftlichen „Abwege“ in der Wissenschaft selbst zwischen 1933 und 1945 gespielt haben. Man wich dem eigenen Scheitern lieber aus.

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obachtenden revisionistischen Tendenzen hin zu einer Neubewertung der Weimarer Volksgesetzgebung. Methodisch passt sich im Folgenden die gesamte Darstellung der nun nicht mehr rein staatsrechtlichen, sondern interdisziplinär historiographischen Perspektive an. Waren die vorangehenden Kapitel in einen rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Teil unterteilt, so folgt die Gliederung in diesem Kapitel grundsätzlich chronologisch den in der Bundesrepublik aufgefundenen Entwicklungslinien. Gleichzeitig wird zwischen übergeordnet verfassungstheoretischen bzw. politologischen Beurteilungen der Weimarer Volksgesetzgebung und einer empirisch-praktischen Bewertung der einzelnen Verfahren unterschieden. Besonders einflussreiche Schriften oder Wissenschaftler finden wie schon in den vorangehenden Forschungskapiteln besondere Berücksichtigung. Auf wichtige Ereignisse und Veränderungen in der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte, die Einfluss auf die Entwicklung der Forschung hatten, wird jeweils hingewiesen.9 Bevor die eigentliche forschungsgeschichtliche Darstellung beginnt, ist es angesichts des zentralen Stellenwertes der Terminologie „Weimarer Erfahrung“ nötig, zu untersuchen, ob es sich hierbei um einen echten wissenschaftlichen Begriff handelt und wenn ja, welcher verfassungspolitische Kontext damit genau gemeint ist. Schon der Begriff der „Erfahrung“ als solcher ist problematischer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Kürzere Definitionen erfassen die „Erfahrung“ als „Inbegriff von Erlebnissen in einem geordneten Zusammenhang, ebenso die in ihnen gegebenen Gegenstände“ und die durch Erlebnisse „erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten“.10 Dies wird der Bedeutung und dem Inhalt von „Erfahrung“ nur unzureichend gerecht.11 Eine für diese Arbeit befriedigendere Art und Weise des Umgangs mit „Erfahrung“ bietet die Wissenssoziologie. Insbesondere in der Schrift „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“12 von Peter L. Berger und 9 Tiefergehende Untersuchungen über die Einflüsse der politischen Kultur auf die Forschung und umgekehrt müssen hierbei anderen Beiträgen vorbehalten bleiben, auch wenn sich allein schon durch eine parallele Betrachtung Rückschlüsse ziehen lassen. 10 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 6, Mannheim 1988, s.v. Erfahrung. Im einzelnen unterscheidet man dort weitergehend zwischen innerer und äußerer, experimenteller und sinnlicher Erfahrung. Es handelt sich hierbei jedoch um Unterscheidungen, in denen sich obige Elemente ganz oder teilweise wiederfinden. 11 Durch die Notwendigkeit des eigenen Erlebens wird unverständlich, warum man davon spricht, Erfahrungen an spätere Generationen weiterzugeben, obwohl diese nicht selbst „erlebt“ haben. Unklar im Rahmen dieser Arbeit erscheint auch der Satz des Historikers Otmar Jung (ders., Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzung zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Hamburg 1990, S. 16), geschrieben ca. 1985: „Hier ist kein Bild [der Weimarer Erfahrungen] zu korrigieren, sondern überhaupt eines zu zeichnen; hier gilt es keine Wertung zu ändern, sondern erst einmal eine zu begründen; die ,Weimarer Erfahrungen‘ so wichtig sie sind, wären dann noch zu gewinnen.“ 12 Peter L. Berger, Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Eine Theorie der Wissenssoziologie (6. Aufl.), Frankfurt / Main 1980.

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Thomas Luckmann erhält sie eine überaus wichtige Bedeutung dafür, wie der Mensch seine Umwelt betrachtet und was für ihn Wirklichkeit darstellt. Die Erfahrung ist Ausgangspunkt für den Erwerb von Wissen als Grundlage von Wirklichkeit.13 Auch für die beiden Soziologen ist Erfahrung mit dem Element des Erlebens verknüpft, geht aber darüber hinaus. Sie unterscheiden persönliche Erfahrungen, die individuell bleiben und mit der Zeit zur „Erinnerung“ erstarren von Erfahrungen, die in „abgelagerter“ Form eine gesellschaftliche Funktion erhalten. Letztere sind eine Vorstufe von Wissen: „Intersubjektive Ablagerung [von Erfahrungen] findet statt, wenn mehrere Menschen einen gemeinsamen Lebenslauf haben und ihre Erfahrungen einem gemeinsamen Wissensbestand einverleiben.“14 Mit Hilfe von Sprache wird Erfahrung, wenn sie nicht „unteilbar“ ist, intersubjektiv, kann sich vom Einzelnen lösen und wird so vergegenständlicht. Durch diese – nach Berger und Luckmann – „Objektivation“ kann aus gleichartigen Erfahrungen Einzelner Wissen entstehen als „Gewissheit, dass Phänomene wirklich sind und bestimmte Eigenschaften haben“. Vor dem Hintergrund dieses nur in groben Strichen skizzierten soziologischen Modells erscheint der Inhalt von „Erfahrung“ deutlicher. Wer Erfahrungen weitergibt, befindet sich potentiell im Prozess der „intersubjektiven Ablagerung“. Er gibt seine Erlebnisse als „Lehre“ oder „Weisheiten“ weiter, aus denen unter Umständen durch Gleichartigkeit anderer Erlebnisse allgemeingültiges Wissen werden kann. Wenn Historiker, Rechtswissenschaftler und Politologen mehr als fünfzig Jahre nach Hitlers Machtergreifung über „Weimarer Erfahrungen“ forschen, nehmen sie ebenfalls an diesem Prozess der Wissensgewinnung teil.15 Daraus ergibt sich: Wenn in der Wissenschaft von „Weimarer Erfahrungen“ die Rede ist, geht es zwar auch um Erlebnisse und subjektive Betrachtung und Bewertung, ebenso aber um eine vom Individuum gelöste Lehre, Kenntnis von Weimar. Diese erscheint im Verlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zunehmend objektiver und verallgemeinerbar. Noch nicht beantwortet worden ist mit diesen Ausführungen, ob es einen eigenen Begriff der „Weimarer Erfahrung“ gibt. Entscheidend dafür ist, ob es ganz bestimmte Gegenstände oder geordnete Zusammenhänge gibt, die von Wissenschaftlern mit dieser Bezeichnung belegt werden. In frühen Darstellungen der Wei13 Zentrale These der beiden Autoren ist, dass die Wirklichkeit als „willensunabhängige Qualität von Phänomenen“ gesellschaftlich konstruiert wird. Möglich wird dies durch Wissen als „Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmte Eigenschaften haben“. Wissen wiederum ist das Ergebnis eines Prozesses, an dessen Anfang „erlebte“ Erfahrung steht. Vgl., ebd., Einleitung S. IX-XVI. Andere erwähnenswerte Darstellungen, die sich mit der „Erfahrung“ auseinandersetzen sind: Rodman B. Webb, The Presence of the Past, John Dewey and Alfred Schutz on the Genesis ans Organisation of Experience, Gainesville 1978; Stephan Körner, Erfahrung und Theorie, Ein wissenschaftstheoretischer Versuch, Frankfurt / M. 1977. 14 Berger / Luckmann, Konstruktion, S. 72 – 73. 15 Vgl. FN 12.

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marer Republik wie solchen von Zeitzeugen, wie Arthur Rosenberg oder Erich Eyck, findet sie sich begrifflich nicht.16 Erst in den Protokollen der Arbeit des Parlamentarischen Rates erscheinen die „Erfahrungen von Weimar“ in einer bestimmten Funktion, um von dort zunehmend als die „Weimarer Erfahrungen“ ihren Weg in die staatsrechtliche, politologische und geschichtswissenschaftliche Literatur der frühen Bundesrepublik zu finden. Von „Weimarer Erfahrungen“ wurde von da an immer dann gesprochen und geschrieben, wenn es darum ging, die Fehler des politischen und verfassungsrechtlichen Systems Weimars, die zum Aufstieg Hitlers beitrugen, zu erkennen, um sie für die Zukunft zu vermeiden. Die „Weimarer Erfahrung“ hatte und hat dadurch immer einen aktuellen Bezug.17 Karl Dietrich Bracher hat sie eine „politische Erfahrung“ genannt18 und auch ihren Gegenstand insbesondere in dem Zeitungsartikel „Die Erfahrung von Weimar, Ohne die positive Teilnahme der Staatsbürger kann eine Demokratie nicht bestehen“ auf einen bestimmten verfassungspolitischen Bereich eingegrenzt.19 Es sind Erfahrungen mit dem destruktiven Misstrauensvotum, dem Verhältniswahlrecht, dem Art. 48 WRV, dem plebiszitären Reichspräsidenten und der hier thematisierten Volksgesetzgebung. Dazu tritt häufig der Schutz des Parteienstaates und die Frage nach einer „wehrhaften“ oder „wehrlosen“ Demokratie.20 Auch wenn diese Aufzählung vielleicht noch um den einen oder anderen Gegenstand bereichert werden kann, so wird doch deutlich, was mit der „Weimarer Erfahrung“ in der wissenschaftlichen und auch politischen Betrachtung der Weimarer Republik nach 1945 zunehmend assoziiert wurde. Es sind damit bestimmte Verfassungselemente und politische Strukturen gemeint, die man für den Untergang Weimars für mitverantwortlich hielt und hält, und die es in der zweiten deutschen Republik zu vermeiden gilt. Die „Weimarer Erfahrung“ als von der Verwendung her in erster Linie negative Erfahrung entwickelte sich nach und nach zu einem etablierten politischen Topos. So findet sich beispielsweise in der Rechtswissenschaft häufig einfach der Verweis auf die „Weimarer Erfahrung“ als Argument gegen bestimmte Verfassungsstrukturen.21 Dies alles zeigt, dass es insgesamt möglich ist, von einem, wenn auch offenen22 Begriff der „Weimarer Erfahrung“ zu sprechen. 16 Arthur Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik (unv. Neuauflage), Frankfurt 1955; Eyck, Weimarer Republik (Bd. 1+2), a. a. O. 17 Vgl. Bracher, Die Erfahrung, S. 18. 18 Vgl., ders., Die Weimarer Republik als intellektuelle Erfahrung, in: FAZ vom 14. 9. 1976, Nr. 205 (Literaturbeigabe S. 15). Bracher hat diesen Titel gewählt, da es in ihm nicht um die „Weimarer Erfahrungen“ ging, sondern um die Entwicklung der Kultur in der Weimarer Republik. 19 Ders., Die Erfahrung, S. 18. 20 Ebd.; vgl. auch: ders., Weimar: Erfahrung und Gefahr, in: Die politische Meinung vom 1. 8. 1957, Nr. 15 (S. 35 – 46); ders., Demokratie und Machtvakuum: Zum Problem des Parteienstaats in der Auflösung der Weimarer Republik, in: Karl Dietrich Erdmann / Hagen Schulze (Hrsg.), Weimar, Selbstpreisgabe einer Republik, Düsseldorf 1980, S. 134; ders., Die Entstehung der Weimarer Verfassung, in: ders., Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Bern 1964, S. 27 – 28.

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A. Die „schlechte Weimarer Erfahrung“ mit Volksbegehren und Volksentscheid in der Forschung der frühen Bundesrepublik – Bildung einer bis heute „herrschenden Meinung“ Die Forschungsentwicklung, die zu dem auch in den Grundgesetzreformkommissionen bedeutsamen Argument der „schlechten Weimarer Erfahrungen“ mit Volksentscheid und Volksbegehren geführt hat, begann sehr bald nach Gründung der Bundesrepublik. Inhaltlich aber auch chronologisch sind hierbei übergeordnete verfassungspolitische Theorien zur Volksgesetzgebung allgemein und diesen gleichsam zu Grunde liegende politisch praktische Darstellungen und Bewertungen einzelner Volksgesetzgebungsverfahren zu unterscheiden. Erstere, geprägt durch Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher, sind Gegenstand des Unterabschnittes (1.). Die Weimarer Verfassungswirklichkeit in Bezug auf Volksentscheid und Volksbegehren, wie sie sich in historischen, politologischen und juristischen Beiträgen der fünfziger und sechziger Jahre darstellt, wird dann im zweiten Unterabschnitt (2.) behandelt. Eingang findet in diesen die Frage, welche Rolle die nationalsozialistischen Volksabstimmungen indirekt oder direkt für die Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung gespielt haben. Der dritte Unterabschnitt (3.) wendet sich vor dem Hintergrund ihrer bis 1945 herrschenden „Forschungsexklusivität“, aber auch der verfassungsrechtlichen Auslegung des Art. 20 II 2 GG nach 1949, gesondert der bundesrepublikanischen Staatsrechtswissenschaft zu. Nach einer Gesamtbetrachtung zur Herausbildung einer weitgehend einheitlichen Meinung von „schlechten Weimarer Erfahrungen“ in der frühen Bundesrepublik (4.), wird zu guter Letzt deren Fortführung und Bestätigung bis heute beleuchtet (5.).

1. Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher – „schlechte Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung als Bestandteil von Demokratietheorie und Verfassungsanalyse a) Ernst Fraenkel (1958) – Volksgesetzgebung als Gefahr für den Parteienstaat Der für die abstrakte Bewertung von Volksgesetzgebung einflussreichste deutsche Wissenschaftler der Nachkriegszeit war der Jurist und Politologe Ernst Fraenkel. Er muss an erster Stelle behandelt werden, da sein Demokratiemodell mit den 21 Im Rahmen der Arbeit wird hierauf noch näher eingegangen. Vgl. exemplarisch: Roland Geitmann, Volksentscheide auch auf Bundesebene?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 21 (1988), S. 126 – 131, 127. Den Historiker und Politologen Otmar Jung (ders., Volksgesetzgebung, S. 3) hat dies 1985 zu der Kritik veranlasst, „Weimar als Erfahrung und Argument“ sei „für bestimmte Probleme deutscher Politik auch heute noch schier ein archimedischer Punkt“. 22 Der Verfasser setzt sie deshalb weiterhin in Anführungszeichen.

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in ihm enthaltenen „Weimarer Erfahrungen“ mit plebiszitärer Gesetzgebung in der frühen Bundesrepublik großen Einfluss hatte und bis heute die Meinungsbildung beeinflusst. Im Jahr 1898 geboren, war der Schüler Hugo Sinzheimers in der Weimarer Republik als Rechtsanwalt und politischer Journalist tätig. Bereits 1921 trat er der SPD bei und gehörte sehr bald neben Hannah Arendt, Walter Benjamin, Herbert Marcuse und Arthur Rosenberg zur Autorenschaft der Zeitschrift „Die Gesellschaft. Internationale Revue für Sozialismus und Politik“.23 Als Jude musste Fraenkel 1938 emigrieren, kehrte aber 1952 aus den USA nach Deutschland zurück und wurde Professor für vergleichende Lehre der Herrschaftssysteme an der Freien Universität Berlin. Er starb am 28. März 1975.24 Fraenkel war somit sowohl politisch bewusster Zeitzeuge der Weimarer Republik als auch der frühen Bundesrepublik. Aus der Zeit der Emigration konnte er zusätzlich auf Erfahrungen mit der amerikanischen Verfassungswirklichkeit einschließlich ihrer plebiszitären Elemente zurückgreifen.25 Der für die Thematik dieser Untersuchung besonders relevante Aufsatz Fraenkels „Die repräsentative und plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat“ entstand 1958.26 In diesem Jahr versuchte die SPD, Plänen der Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer über eine Atombewaffnung der Bundeswehr durch Volksbefragungen auf Länder- und Kommunalebene entgegenzutreten. Die politische Auseinandersetzung um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens endete vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Niederlage der SPD.27 Der Aufsatz Fraenkels lag hierbei dem Gericht vor und beeinflusste die 23 Vgl. Ernst Fraenkel, Zur Soziologie der Klassenjustiz und Aufsätze zur Verfassungskrise 1931 – 32 (unveränderter Nachdruck von Aufsätzen aus den Jahren 1927 bis 1932), Darmstadt 1968, Vorwort VII – VIII. Fraenkel beschäftigte sich bereits in der Weimarer Republik selbst in Aufsätzen wie „Abschied von Weimar?“ oder „Um die Verfassung“ und „Verfassungsreform und Sozialdemokratie“ mit verfassungspolitischen Fragen. 24 Vgl., ebd., Vorwort VII – XI; Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964, Vorwort S. 7; ders., Das amerikanische Regierungssystem. Eine politologische Analyse, (4. Auf., 1. Aufl. 1960), Opladen 1981, Vorwort S. 2, 3. 25 Fraenkel nutzte die Zeit der Emigration zu einem Studium des angelsächsisches Rechts und der Politikgeschichte an der Law School der Universität von Chicago und war danach im amerikanischen Staatsdienst. Er arbeitete für die USA in Washington und Korea. Vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Vorwort S. 2. 26 Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat; in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der Gesamten Staatswissenschaften, Nr. 219 / 220, Tübingen 1958. 27 BVerfGE 8, 1958, S. 42, 122. Streitbeteiligte dieses Verfahrens waren die von der SPD geführte Landesregierung Hessens und die Bundesregierung. Der Landesminister des Inneren in Hessen hatte sich der Aufforderung aus Bonn verweigert, durch kommunale Gebietskörperschaften initiierte Volksbefragungen gegen eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr zu unterbinden. Vgl. auch: Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, Vorwort S. 3; Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem (3. Aufl.) Berlin 1970, S. 180 – 186.

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Entscheidungsfindung.28 Er behandelt die Vereinbarkeit von plebiszitären und repräsentativen Elementen grundsätzlich und in den konkreten Verfassungsstrukturen europäischer und nordamerikanischer Verfassungen in der Vergangenheit und Gegenwart. Grundlage seiner Untersuchung war ein theoretisches Modell, in dem er zwischen repräsentativ-pluralistischen und plebiszitär-monistischen Demokratieformen unterschied,29 die auf verschiedenen Legitimitätsprinzipien beruhten. Während ein plebiszitäres System immer den wirklichen – er nennt ihn empirischen – Volkswillen als höchste Entscheidungsinstanz ansehe, stehe im repräsentativen System das Gemeinwohl im Mittelpunkt. Dieses nannte er den hypothetischen Volkswillen, der dem empirischen Volkswillen nicht immer entsprechen müsse. Beide Systeme in ihrer Reinform trugen für Fraenkel „den Keim der Selbstvernichtung“ in sich. Während das repräsentative System zum verselbstständigten Parlamentsabsolutismus neige, sei das plebiszitäre System durch eine cäsaristische Diktatur gefährdet, da eine plebiszitäre Gesellschaft zu einer Führung durch Einzelpersonen neige. Am besten sei deshalb grundsätzlich die Vermischung repräsentativer und plebiszitärer Verfassungselemente.30 Das dies möglich sei, zeigten die amerikanische und englische Verfassungsentwicklung und Verfassungspraxis.31 Fraenkel befürwortete aber nicht jedwedes Nebeneinander plebiszitärer und repräsentativer Verfassungselemente. Für möglich hielt er ein Nebeneinander von plebiszitärem Präsidenten und Parlament, solange diese in einem Machtgleichgewicht zueinander ständen.32 Ablehnend stand er dagegen der Verbindung von Volksgesetzgebung und einem auf Parteien basierenden Parlamentarismus gegenüber. Im Parlamentarismus müsse die Partei als im Volk verankerte Institution den empirischen Volkswillen alleine vertreten, um zu einem Ausgleich mit dem vom Parlament verkörperten Gemeinwohl zu kommen. Allein ihre Aufgabe sei es, den empirischen und den hypothetischen Volkswillen, der gleichsam in Gestalt der Parlamentsfraktion partiell mit der Partei verbunden sei, miteinander in Einklang zu bringen oder zumindest die Spannungen gering zu halten.33 Ein zusätzlich neben 28 Hierzu Claus-Henning Obst, Zur Rezeption der „Lehren von Weimar“ in der verfassungspolitischen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland, in: Evangelische Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, (Hofgeismarer Protokolle Nr. 248), Hofgeismar 1988, S. 79. 29 Vgl. Klaus Hornung, Plebiszitäre Demokratie und totalitäre Diktatur. Historische Erfahrungen mit direktdemokratischen Ideen und Programmen, in: Günther Rüther (Hrsg.), Repräsentative oder plebiszitäre Demokratie – eine Alternative?, Baden-Baden 1996, S. 74. 30 Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, S. 5 – 11. 31 Ebd. S. 26. 32 In Weimar habe aber eben ein solches Machtgleichgewicht nicht bestanden. Die Summe der plebiszitären Elemente in der Weimarer Verfassung habe zu einer zu großen politischen Schwächung des Parlaments geführt. Vgl. ebd., S. 50, 52: „In ihrer Geburtsstunde hatte sich die Weimarer Republik zu einem plebiszitären Typ der Demokratie bekannt; in ihrer Todesstunde erhielt sie die Quittung.“

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einem Parteienwesen existierender Volksentscheid gefährde dagegen in seiner Beschränkung auf die Beantwortung einer Einzelfrage eine solche Mittlerfunktion der Parteien. Ein Kompromiss oder die Verbindung mehrerer Fragen zu einem Gesamtkomplex sei nicht möglich: „Wenn eine Partei verlangt, dass sich ihre Anhänger in einer oder mehreren Einzelfragen öffentlich mit der Parteientscheidung identifizieren, überfordert sie die Gebote der Parteidisziplin“.

Indem das Plebiszit „die Austragung politischer Gegensätze in einer Weise, die den parlamentarischen Spielregeln nicht adäquat“ sei, gestatte, führe es zu „Parteispaltungen“ und zur „Desintegration des parlamentarischen Regierungssystems“.34 Im Ergebnis forderte Fraenkel also die Vermischung von Plebiszitärem und Repräsentativem in einer Verfassung, lehnte aber dennoch für ein parlamentarisches System wie das der Bundesrepublik die Volksgesetzgebung ab. Volksentscheid und Volksbegehren stellten nach seiner Auffassung eine grundsätzliche Gefährdung eines Parteienstaates dar. Diese Beurteilung war für ihn Schlussfolgerung aus seinem theoretischen Modell, aber auch Inhalt von „Weimarer Erfahrungen“. Sie waren ein Ausgangspunkt und gleichzeitig Beleg seiner Überlegungen: „Der in der Weimarer Verfassung gemachte Versuch, in ein parlamentarisches Regierungssystem ein plebiszitäres Gesetzgebungsverfahren einzubauen, musste dazu führen, dass entweder die Tendenz der Parteien, sich zu starren Sekten zu verhärten, noch verstärkt oder ihr Charakter als lose Gesinnungsgemeinschaften gefährdet wurde. Beides ist für einen Parteienstaat gleich bedenklich.“35

Genauer ging Fraenkel auf diese Erfahrung nicht ein. Es kann vermutet werden, dass er sich zum einen auf die Zeit des Volksbegehrens gegen den Young-Plan bezog. Hier kam es zur Spaltung der DNVP unter Hugenberg.36 Zum anderen sind vielleicht auch die Spannungen innerhalb der SPD gemeint, wie sie der Historiker Erich Eyck im Fall des Volksentscheids für eine Fürstenenteignung 1926 und beim Volksbegehren gegen den „Panzerkreuzer A“ 1928 beschrieb.37 In jedem Fall 33 Ebd. S. 30: „Das Kennzeichen einer parlamentarischen Demokratie liegt eben darin, daß ihre Parteien als Parlamentsfraktion Träger eines repräsentativen und als Massenorganisation Träger eines plebiszitären Regierungssystems sind.“ 34 Ebd., S. 29. 35 Ebd., S. 29. Vgl. zur Existenz von Plebisziten in den USA trotz eines Parteienwesens auch: ebd., S. 28: „Da die amerikanischen Parteien nicht so gut organisiert sind und ein lockeres Selbstverständnis haben, kann ein Plebiszit nicht gefährlich werden. In Weimar war dies anders. Bei einem strengen Parteiensystem muß eine Partei zerfallen, wenn sie in einem Plebiszit keine einheitliche Linie verfolgt.“ 36 Sie steht im Mittelpunkt der Dissertation „Volksbegehren und Volksentscheid über den Young-Plan und die Deutschnationale Sezession“ von Elisabeth Friedenthal (dies., YoungPlan und Deutschnationale Sezession, a. a. O.), die 1957 als erste detailliertere Auseinandersetzung mit dem Plebiszit von 1929 erschien. 37 Vgl. Erich Eyck, Weimarer Republik, Bd. 2, S. 89 – 92, 200 ff.

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schlussfolgerte Fraenkel aus seiner Sicht der historischen politischen Ereignisse eine abstrakte Theorie mit Allgemeingültigkeitsanspruch. Aus der Erfahrung in der Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik wurde die „Weimarer Erfahrung“ als Bestandteil einer verfassungsstrukturellen Theorie.38 Die Schrift Fraenkels hat die verfassungstheoretische und politologische Sicht auf Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik stark geprägt.39 Dies insbesondere im Zusammenhang mit dem in der Öffentlichkeit als Grundsatzentscheidung zur Volksgesetzgebung angesehenen Urteil40 des Bundesverfassungsgerichts von 1958. Fraenkels idealtypisches Modell zweier Demokratieformen mit den sich daraus ergebenden Folgerungen für ein Nebeneinander von Parteienwesen und Volksgesetzgebung findet sich zum Beispiel in der in Kapitel V dargestellten Argumentation der Enquetekommission 1976 wieder. Ihr zentrales Argument gegen die Einführung von Volksgesetzgebung ins Grundgesetz war neben einem Schutz vor „wachsender politischer Konfrontation“ die sich auch aus „Weimarer Erfahrungen“ ergebende Sorge vor einer Schwächung der „Integrationskraft der großen demokratischen politischen Parteien“. Das Demokratiemodell Fraenkels wird heute vielfach als Fortführung und Konkretisierung politischer Ideen angesehen, wie sie vor ihm Jean Jacques Rousseau und Karl Löwenstein formulierten.41

38 Vor ihm finden sich ähnliche Aussagen über das Verhältnis von Volksentscheid und Parteienstaat nur 1951 bei dem Juristen Werner Weber (vgl. ders., Spannungen und Kräfte [2. Fassung], S. 19 – 20), vor allem aber bei dem bereits in Kap. II erwähnten Sozialdemokraten Karl Kautsky. Dieser (ders. Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie, S. 136, 131) warnte bereits 1893 vor der Gefahr einer „Zersetzung und Verwaschung der Parteien“ durch Volksgesetzgebung: „Die direkte Gesetzgebung durch das Volk hat die Tendenz, die Scheidung der Bevölkerung in Parteien zu hemmen, nicht zu fördern; [ . . . ].“ Vgl. auch: ClausHenning Obst, Zur Rezeption der „Lehren von Weimar“, S. 80 – 81. Obst sieht in der Argumentation Fraenkels eine bloße „Uminterpretation“ von Thesen Kautskys. 39 Vgl. ebd.; Wolfgang Mantel, Eine frühe Weichenstellung zwischen Parlamentarismus und direkter Demokratie, Die Auseinandersetzung Kautzkys mit Rittinghausen im Jahr 1893, in: Manferd Funke / Hans-Adolf Jakobson / Hans-Helmuth Knütter / Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur, S. 534 – 547; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Karlsruhe 1967, § 15 II Fn. 2. Zur Auffassung, dass es sich um eine Entscheidung auch über die grundsätzliche Zulässigkeit von Volksentscheiden unterm Grundgesetz gehandelt habe vgl. bspw.: Pro und Contra von Bürgerentscheiden, in: Focus vom 8. 9. 1997, Nr. 37 (S. 58). Hier sprach sich der Oberbürgermeister Karlsruhes Gerhard Seiler für eine Einschränkung von Bürgerentscheiden aus und nahm auf diese BVerfGE Bezug. 40 Eigentlich handelte es sich nur um einen Organstreit über Pflichten eines Bundeslandes aus der Bundestreue. Vgl. Ebsen, Abstimmungen, S. 2; Weber, Spannungen und Kräfte (3. Aufl.), S. 184. 41 Vgl. Ulrich Matthée, Der Gedanke der Repräsentation in der politischen Ideengeschichte, in: Günther Rüther (Hrsg.), Repräsentative oder plebiszitäre Demokratie – eine Alternative?, Baden-Baden 1996, S. 57; Hornung, Plebiszitäre Demokratie, S. 74 – 75; Heinrich Oberreuter, Repräsentative und plebiszitäre Elemente als sich ergänzende politische Prinzipien, S. 262.

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b) Karl Dietrich Bracher – Weimars Untergang als Argument für ein rein repräsentatives Verfassungsgefüge Anders als Ernst Fraenkel ist Karl Dietrich Bracher, der für die Darstellung von „Weimarer Erfahrungen“ insgesamt und der Weimarer Volksgesetzgebung im Besonderen von großer Bedeutung ist, kein wirklicher politischer Zeitzeuge der Weimarer Republik mehr. Erst 1922 geboren, erlebte er politisch bewusst vor allem den Nationalsozialismus und die Bundesrepublik mit. Nach seinem Studium der Geschichte, Philosophie und Philologie, lehrte er ab 1954 wie Ernst Fraenkel an der Deutschen Hochschule für Politik.42 Wenn er auch nicht als dessen Schüler bezeichnet werden kann, so ist es dennoch bemerkenswert, dass die beiden Wissenschaftler, die für die Darstellung und Deutung von „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksentscheid und Volksbegehren an erster Stelle genannt werden müssen, jeweils Politologen sind, die in Berlin tätig waren. Nach 1945 bis zum Mauerbau war die Stadt einer der größten Krisenherde Europas, in der eine junge parlamentarische Demokratie am unmittelbarsten mit einem ideologisch „volksdemokratisch“ legitimierten Einparteienstaat konfrontiert wurde. Bracher, heute Emeritus an der Universität Bonn, ist durch seine wissenschaftlichen Schriften über Weimar und den Nationalsozialismus einer der wichtigsten Zeithistoriker der Nachkriegszeit geworden.43 Insbesondere sein Buch „Die Auflösung der Weimarer Republik“ von 1955 enthält einen ersten umfassenden Ansatz zur verfassungspolitischen Aufarbeitung der Weimarer Zeit.44 Dieser Schrift und vielen darauf aufbauenden späteren Beiträgen ist es zu verdanken, dass der Begriff der „Weimarer Erfahrung“ eine inhaltlich politische Belegung erfahren hat.45 Es handelt sich hierbei unter 42 Karl Dietrich Bracher wurde am 13. 3. 1922 in Stuttgart geboren. Er studierte in Harvard und Tübingen. Nach seiner Promotion 1948 war er Assistent und Abteilungsleiter am Institut für Politische Wissenschaft in Berlin. Daneben war er Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik und an der FU Berlin. 1959 wurde er Professor für Politische Wissenschaften und Zeitgeschichte und Direktor des politologischen Seminars der Universität Bonn. Vgl. Angaben in: Karl Dietrich Bracher, Die Technik der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Theodor Eschenburg, Der Zerfall der demokratischen Ordnungen zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, München 1962, S. 152. 43 Vgl. Bracher, Karl Dietrich, in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender (16. Aufl.), Berlin 1992, S. 363. Horst Möller zählt ihn „weltweit zu den Großen des Faches“. Vgl. Horst Möller, Karl Dietrich Bracher zum 80. Geburtstag, in: VJfZ 50 (2002), S. 167 – 170. 44 Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik (1. Aufl. 1955), Villingen, 1960, S. 27. Vgl. hierzu die 1957 erschienene Rezension von Werner Conze, in der er Brachers Werk eine „Sonderstellung“ in der bisherigen Darstellung einräumte, es als erstes „größeres Werk“ anerkannte. Vgl. Werner Conze, Buchbesprechung zu: „Die Auflösung der Weimarer Republik“ von Karl Dietrich Bracher, in: HZ 183 (1957), S. 378. 45 Überhaupt ist „Erfahrung“, vielfach bereits im Titel enthalten, einer der roten Fäden, die sich durch seine Schriften zieht. Vgl. Karl Dietrich Bracher, Weimar: Erfahrung und Gefahr; ders., Die Erfahrung von Weimar, a. a. O.; ders., Die totalitäre Erfahrung, München 1987; ders., Geschichte als Erfahrung, Betrachtungen zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 2001, S. 123 ff. Vgl. seine ganze Publikationsliste in: Funke u. a. (Hrsg.), Demokratie und Diktatur, S. 614 – 635.

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anderem auch um die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren, die jedoch nicht isoliert betrachtet werden kann.46 Sie ergibt sich aus Brachers politikgeschichtlich-verfassungstheoretischer Gesamtdeutung des verfassungspolitischen Niedergangs der ersten deutschen Demokratie.47 Der analytische Rahmen Brachers in „Die Auflösung der Weimarer Republik“ von 1955 ist eine Einteilung der untergehenden Weimarer Republik in drei Phasen. Diese sind eine Phase des Machtverlusts, in der die parlamentarische Demokratie durch systemimmanente „zentrifugale Kräfte“ ihre „letzten Stützen“ verlor, um nach einer zweiten Phase des Machtvakuums zu guter Letzt mit der Machtergreifung Hitlers unterzugehen.48 Aus einer parlamentarischen Demokratie sei mit Beginn des Kabinetts Brüning 1930 ein Präsidialstaat und dann eine Diktatur geworden. Die hierbei zentrale erste Phase des Machtverlustes begann für Bracher schon sehr früh in der Weimarer Republik und fand ihren Ausdruck in einer Schwäche des Parlamentarismus. Der Reichstag habe es nie vermocht, „seine verfassungsmäßige Machtsphäre zu erfüllen und im aktuellen politischen Prozess wirksam zu machen“.49 Von Beginn an habe ein „Abbau der parlamentarischen Macht“ stattgefunden. Verfassungsstrukturell habe sich dies in der Weise vollzogen, dass „außerparlamentarische Instanzen“ dem Reichstag „Stück für Stück 46 Er selbst hat später den rein politischen Inhalt des Begriffs „Weimarer Erfahrung“ konstatiert. Vgl. ders., Die Weimarer Republik als intellektuelle Erfahrung, S. 15. 47 Grundlegende Gedanken über das Scheitern der ersten deutschen Republik und vor allem Brachers Forschungsansatz, den er auch in „Die Auflösung der Weimarer Republik“ zugrundelegte, finden sich bereits 1952 in: ders., Die Auflösung einer Demokratie. Das Ende der Weimarer Republik als Forschungsproblem, (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft Bd. 2), Berlin 1952. Die Fragen, die ihn wie viele der Historiker und Politologen unmittelbar nach der Zeit des Nationalsozialismus besonders motivierten, waren: Warum scheiterte die Weimarer Republik? Warum hat die deutsche Demokratie nicht wie andere Länder die Zerreißprobe der Krise um 1930 herum bestanden? Warum haben die schwachen Stellen dem Druck nachgegeben? Es sind dieselben Fragen, die leicht spezifiziert bis heute diskutiert werden. Bracher selbst nannte sie 1980 „Grundfragen“ nach der „Stellung der Regierung und des Präsidenten, Rolle des Parteienparlamentarismus, Stimmung und Verhalten der Bevölkerung“ (Vgl. hierzu: ders., Demokratie und Machtvakuum, S. 113). Ihn interessierte darüber hinaus die übergeordnete theoretische Frage, auf welche Art, durch welche Operationen und Zwischenformen sich der Übergang von einer demokratischen zu einer totalitären Herrschaftsordnung und Machtbehauptung vollzieht. Auch diese Frage wollte er in „Die Auflösung der Weimarer Republik“ 1955 am geschichtlichen Beispiel beleuchten. Er versuchte sich von Beginn an in einer Verbindung von historischer Darstellung und politologischer Interpretation, an deren Ende dann eine Schlussfolgerung grundsätzlicher Art stehen sollte. Dies waren dann „Weimarer Erfahrungen“, in der Regel Fehler des Weimarer Regierungssystems, die man in der zweiten deutschen Republik vermeiden sollte. Vgl. hierzu auch: Hagen Schulze, Das Scheitern der Weimarer Republik als Problem der Forschung, in: Erdmann, Schulze (Hrsg.), Selbstpreisgabe einer Demokratie, S. 23 ff.; Bracher , Die Auflösung der Republik. Gründe und Fragen, in: Gerhard Schulz (Hrsg.), Weimar, Freiburg 1987, S. 124. 48 Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 26 – 27. Bereits 1952 stellte er die Frage nach dem Gang der Macht in der Weimarer Republik als wichtiges Erklärungskriterium dar. Vgl. ders., Auflösung einer Demokratie, S. 45 ff. 49 Ders., Auflösung der Weimarer Republik, S. 45.

21 Schwieger

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seiner tatsächlichen Gesetzgebungsbefugnisse“ entrissen hätten.50 Ursache für die Schwäche der parlamentarischen Institutionen sei dabei die Existenz der von ihm so benannten „präsidialdiktatorischen Reserveverfassung“ gewesen. Sie steht im Zentrum Bracherscher Betrachtungen, ist Einfallstor für starke antidemokratische Kräfte und bereitet dem Faschismus den Weg.51 Durch die Möglichkeit, mit Hilfe des plebiszitären Reichspräsidenten und seiner Waffe des Art. 48 WRV, am Reichstag vorbei zu regieren, hätten sich Forderungen nach plebiszitär-autoritärer Führung erst durchsetzen können, die von antiparlamentarischen politischen Kräften, aber auch von bedeutenden Stimmen aus der Staatsrechtswissenschaft erhoben worden seien.52 Bracher setzt insgesamt inhaltlich und begrifflich das präsidiale Strukturelement der Weimarer Republik in großem Maße mit dessen plebiszitärem Ursprung gleich.53 Es ist oft von „plebiszitär-präsidial“ die Rede. Im Ergebnis kommt er so zu einer grundsätzlichen strukturellen Inkompatibilität zwischen plebiszitär-präsidialen und repräsentativen Verfassungselementen. Der Untergang des Weimarer Regierungssystems ist für Bracher Beleg dafür, dass jede Einschränkung eines rein repräsentativ-parlamentarischen Systems ein Fehler ist.54 Er unterscheidet sich damit erheblich von Ernst Fraenkel, der nur die Volksgesetzgebung für unvereinbar mit einem Parteienstaat erklärte. Die Volksgesetzgebung, auf die Bracher in „Die Auflösung der Weimarer Republik“ 1955 nur am Rande einging, wird in diesem Deutungsmodell als weiteres plebiszitäres Verfassungsinstitut automatisch zu einer Komponente der zentrifugalen Kräfte, die zu einem Machtverlust der parlamentarischen Demokratie führten. Explizit ausgesprochen hat Bracher diese verfassungsstrukturelle „schlechte Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren 1964 vor allem in dem Aufsatz „Die Entstehung der Weimarer Verfassung“:55 „Ein weiterer wichtiger Gegenstand der Beratungen war die Einrichtung der Volksabstimmung. Preuß stand ihr skeptisch gegenüber; sie erschien ihm [ . . . ] als ein störendes EleEbd., S. 47. Ebd., S. 60. Bracher selbst sprach in Bezug auf die Verfassung vom „Fehlen jener strukturellen Stabilität und Funktionsfähigkeit, ohne die auch optimale legale Vorkehrungen nichts nützten.“ Die fehlerhafte Verfassungsstruktur wiederum führte er auf „den Drang nach Perfektion“ bei ihrer Schaffung zurück, weswegen „Elemente und Prinzipien verschiedener Verfassungssysteme“ vereinigt worden seien. Vgl. ders., Die Entstehung der Weimarer Verfassung, S. 13. 52 Vgl. Kap II B. 4. 53 Natürlich hatte der Reichspräsident als direktgewähltes Staatsoberhaupt auch einen plebiszitären Charakter. Das „Präsidiale“ als Strukturelement beruhte vor allem aber auf seinen weitgehenden Kompetenzen, dass er zum Beispiel in der Kanzlerwahl relativ unabhängig vom Reichstag war sowie natürlich auf dem Art. 48 WRV. Eine deutliche Unterscheidung der Strukturelemente findet sich bei: Vestring, Mehrheitssozialdemokratie, S. 171: „Neben diese parlamentarischen und präsidialen Elemente trat als drittes das plebiszitäre mit Volkswahl (Art. 41) und Absetzungsmöglichkeit des Reichspräsidenten (Art. 43) und den Einwirkungsmöglichkeiten per Volksabstimmung (Art 73 – 76), [ . . . ].“ 54 Bracher, Auflösung der Weimarer Republik, S. 60. 55 Ders., Die Entstehung der Weimarer Verfassung, a. a. O. 50 51

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ment in der parlamentarischen Demokratie. Er übersah dabei freilich, dass auch die Präsidentenwahl im Grunde plebiszitären Charakter hatte. Das Verhältnis der parlamentarisch-repräsentativen und der plebiszitären Komponente, ohnehin ein schwieriges Problem der modernen Demokratie, ist tatsächlich in der Weimarer Republik nicht befriedigend geklärt worden; es hat sich später, besonders in den Wahlen der Schlussperiode, als eine verhängnisvolle Einbruchstelle für autoritäre und diktatorische Tendenzen erwiesen. Das Referendum als Mittel einer im Parlament überstimmten Minderheit, das Volksbegehren als außerparlamentarische Initiative bei der Gesetzgebung wurden in die Verfassung eingebaut.[ . . . ] Man kann nicht sagen, dass es sich bewährt hat; das Bonner Grundgesetz ist auch in diesem Punkt den anderen Weg des konsequenten parlamentarischen Repräsentativsystems gegangen.“56

Bracher bezog sich hierbei auf die Volksinitiative 1929 gegen den Young-Plan und auf das Volksbegehren gegen den preußischen Landtag vom 4. Februar 1931.57 Diese beiden Plebiszite werden zu wichtigen Mitteln bei der „Aushöhlung und Zerstörung der parlamentarischen Demokratie, die im Weimarer Regierungssystem angelegt, in der autoritären Reformpropaganda vorbereitet, im Übergang 1929 / 1930 angebahnt war“58 und deren Erscheinungsform dann die totalitäre Mehrheit bei den Wahlen 1932 war. Sie zeigen für ihn auf der Ebene der Verfassungswirklichkeit die Gefahren für die parlamentarische Demokratie durch plebiszitäre Verfassungsinstitute und belegen gleichsam sein verfassungstheoretisches Modell. Später hat Bracher eine deutlichere inhaltliche Trennlinie von „plebiszitär“ und „präsidial“ gezogen. So schrieb er 1979 in seinem Beitrag „Demokratie und Machtvakuum: zum Problem des Parteienstaates in der Auflösung der Weimarer Republik“: „Dass die Verbindung repräsentativer und plebiszitärer Elemente, die ein Grundproblem der modernen Demokratie bildet, sich in der Weimarer Fassung nicht bewährt hat, lag wesentlich an der präsidialstaatlichen Überlagerung der Parlamentsdemokratie.“ 59

Diese Präsidialstaatlichkeit neben einer Parlamentsherrschaft, womit Bracher die „präsidialdiktatorische Reserveverfassung“ meint, ist nun alleine der „dualistische Geburtsfehler der Weimarer Republik“.60 Dass der Reichspräsident in Weimar auch ein plebiszitäres Verfassungsinstitut war, steht im Vergleich zu 1955 zurück. Die Volksgesetzgebung tritt in ihrer verfassungstheoretischen Beurteilung damit etwas aus dem Schatten des Reichspräsidentenamtes heraus. Weiterhin nennt Bracher aber das Verhältnis von parlamentarisch-repräsentativen und plebiszitären Verfassungselementen grundsätzlich „schwierig“, bezeichnet es als ein „GrundproEbd., S. 27 – 28. Ebd. S. 44. 58 Ebd. S. 47. Auf weitere Äußerungen Brachers zu einzelnen Volksinitiativen wird im Rahmen der folgenden Abschnitte noch eingegangen. 59 Bracher, Demokratie und Machtavakuum, S. 117. 60 Ebd. 56 57

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blem der modernen Demokratie“. Eine noch weitergehende politologische oder zeithistorische Differenzierung findet sich bei ihm auch in späteren Schriften nicht. Dass sich Bracher mit dieser Frage nicht tiefergehend auseinandergesetzt hat, mag an den in den fünfziger und sechziger, teilweise bis in die achtziger Jahre hinein noch fehlenden ausführlichen Darstellungen einzelner Volksbegehren und -entscheide liegen.61 Sein Werk von 1955 warf zudem viele andere Fragen auf, die über Jahrzehnte Stoff für wissenschaftliche Auseinandersetzungen boten. Genannt sei nur die Bracher-Conze Kontroverse, die bereits kurz nach Erscheinen der „Auflösung der Weimarer Republik“ ausbrach.62 Trotz der in späteren Schriften sichtbaren zunehmenden Differenzierung zwischen plebiszitärem Staatsoberhaupt und Volksgesetzgebung hat Karl Dietrich Bracher seine verfassungspolitischen Schlussfolgerungen, seine „Weimarer Erfahrung“, grundsätzlich bis heute immer wieder verteidigt. Auch wenn er vor allem das starke Reichspräsidentenamt als Grundfehler der Weimarer Verfassung betrachtet, ist im Prinzip jedes plebiszitäre Verfassungselement, das in Konkurrenz zur reinen Repräsentation tritt, für ihn diskreditiert. So schrieb er 1979 unter Bezug auf Forderungen nach einer Verfassungsreform des Grundgesetzes: „Solche Strömungen treiben seit einem Jahrzehnt die westlichen Demokratien von neuem um: [ . . . ] Gegen die Stabilisierung der Bundesrepublik wenden sich radikale oder nostalgische Wunschträume, die mit einer Rückkehr in Weimarer Verhältnisse spielen: eine politische Romantik beschwört die ,goldenen zwanziger Jahre‘, die allzu teuer erkauft waren, von plebiszitärer Demokratie und Volkswahl des Präsidenten ist die Rede, [ . . . ]. Aber wenn Weimar etwas lehrt, so dies: Wenn die repräsentative Parteien- und Parlamentsdemokratie von Anhängern plebiszitärer, autoritärer oder gar totalitärer Vorstellungen unter Verdacht gestellt [ . . . ] wird, profitieren davon letztlich weder Staat noch Demokratie, sondern alte und neue Diktaturbewegungen.“63

In einem Beitrag in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte 1985 drückte er dies mit den Worten aus: „Doch Aufwind bekommen erneut der Begriff und die Ideologie der ,Bewegungen‘, die seit je als angeblich wahrer Ausdruck des Volkswillen, als Antiparteienpartei, die pluralis61 Die ersten Analysen einzelner Volksentscheide nach dem zweiten Weltkrieg entstanden 1957 und 1959 und sind nicht sehr tiefgehend. Vgl. Friedenthal, Young -Plan und die Deutschnationale Sezession, a. a. O.; H. Pleyer, Politische Werbung in der Weimarer Republik. Die Propaganda der maßgeblichen politischen Parteien und Gruppen zu den Volksbegehren und Volksentscheiden „Fürstenenteignung“ 1926, „Freiheitsgesetz 1929 und „Aufösung des preußischen Landtages“ 1931, Diss. phil., Tübingen 1959. Ausführlich aufgearbeitet ist bis heute vor allem das Verfahren zur Fürstenenteignung durch Autoren wie Franklin West, Ulrich Schüren und Otmar Jung. Vgl. hierzu spätere Ausführungen. 62 Vgl. hierzu Hagen Schulze, Weimar, Deutschland 1917 – 1933 (1. Aufl.), Berlin 1982, S. 414 – 5. Grundlegende Schriften hierzu: Werner Conze, Die Krise des Parteienstaats in Deutschland, in: HZ 178 (1954), S. 49 ff.; Karl Dietrich Bracher, Parteienstaat, Präsidialsystem, Notstand in: Gotthard Jasper, Von Weimar zu Hitler 1930 – 1933, Köln 1968, S. 58; ders., Demokratie und Machtvakuum, S. 118 ff. 63 Vgl. Bracher, Demokratie und Machtvakuum, S. 134.

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tische Demokratie in Frage stellen. Sie stützen sich auf ein plebiszitäres und akklamatorisches Verständnis des Wahlaktes, das als angeblich ,volksnäher‘ dem repräsentativ-parlamentarischen entgegengehalten wird. Dabei wird übersehen, wie angeblich plebiszitäre Abstimmung erfordernde Entscheidungen zu diktatorischer Machtanmaßung missbraucht werden können.“64

Mit seiner verfassungstheoretischen Analyse hat Karl Dietrich Bracher nachträglich eine theoretische Rechtfertigung für das rein repräsentative Verfassungssystem des Grundgesetzes erarbeitet.65 Gleichzeitig hat er als einer der ersten nach 1945 den verfassungspolitischen Vorstellungen Max Webers, Hugo Preuß‘ und der Weimarer Staatsrechtslehre über ein legitimatorisch möglichst starkes Staatsoberhaupt als Garant der Demokratie ein eigenes institutionelles Demokratiemodell gegenübergestellt.

2. Schlechte Erfahrungen mit Volksgesetzgebung in der Weimarer Verfassungswirklichkeit – Ursprünge und weitere Faktoren der Meinungsbildung in der frühen Bundesrepublik a) Die Volksentscheide „Fürstenenteignung“ und „Young-Plan“ als Grundlagen der „Weimarer Erfahrung“ Die theoretischen Überlegungen Fraenkels und die verfassungsstrukturelle Analyse Brachers stehen abstrakt über der Verfassungswirklichkeit der jeweiligen plebiszitären Initiativen, wie sie sich in den zahlreichen historischen Darstellungen über Weimar finden lassen. Die verfassungspolitischen Lehren der beiden Autoren beruhen auf den Erfahrungen mit der Verfassungswirklichkeit. Allerdings ging lediglich Bracher punktuell auf die Volksinitiativen nach 1928 ein; für Fraenkel schienen diese Erfahrungen so eindeutig zu sein, dass er sie nicht am Beispiel belegte. Tatsächlich finden sich in den zahlreichen wissenschaftlichen Schriften über Weimars Geschichte oder Verfassungsstruktur aus den fünfziger und sechziger Jahren, unabhängig davon, ob sie von Juristen, Politologen oder Historikern stammen, meist gleichlautende Bewertungen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei, dass fast durchgehend die Volksentscheide um die Fürstenenteignung und der Volksentscheid gegen den Young-Plan die Ausgangspunkte der Bewertung von Volks-

Karl Dietrich Bracher, Politische Institutionen in Krisenzeiten, in: VJfZ 33 (1985), S. 23. Horst Möller (ders., Karl Dietrich Bracher zum 80. Geburtstag, S. 168) formulierte hierzu 2002: „Mit dem seit den 1960er Jahren gängigen Gerede von einer angeblich bloß ,formalen Demokratie‘, mit ,dritten Wegen‘, räte- oder direktdemokratischen Alternativen oder mit der außerparlamentarischen Opposition hatte er nichts im Sinn: So wurde er [Bracher] zur wissenschaftlichen und politischen Instanz und zum herausragenden Repräsentanten einer Generation, die die nationalsozialistische Diktatur erlitten hatte und die – die kommunistische vor Augen – unentwegt für die junge Demokratie in der Bundesrepublik kämpfte [ . . . ].“ 64 65

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gesetzgebung darstellen. Der Volksentscheid gegen den Young-Plan steht hierbei im Mittelpunkt. Oft ist nur er Grundlage eines Urteils, das dann rückwirkend auf den Volksentscheid von 1926 übertragen wird. Auf andere plebiszitäre Ansätze, selbst auf das Volksbegehren gegen den „Panzerkreuzer A“, wird nur selten eingegangen.66 Für den Volksentscheid über eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten ist die Darstellung des Historikers Gerhard Schulz beispielhaft. Ihm folgend war es ein Erfolg der „entschiedenen und militanten Agitation der KPD gegen die einstigen Monarchen“, die „auch in anderen Organisationen und Gruppen die Überzeugung genährt hatte“, dass die Forderungen der Fürsten und ihre Erfolge vor den Gerichten und in den Verhandlungen mit den Ländern „blankes Unrecht“ darstellten.67 Der Volksentscheid erscheint als ein Mittel der extremen Linken, erst das Bedürfnis nach einer entschädigungslosen Enteignung im Volk zu wecken. Gelungen sei dies dank der Vereinfachung und Verfälschung der Tatsachen durch die kommunistische Propaganda. Der Vorschlag der SPD zur Durchführung eines Volksentscheids sei nur zustande gekommen, um nicht offen einem KPD-Gesetzentwurf zustimmen zu müssen, der dann an der Reichstagsmehrheit gescheitert wäre. Als problematisch sieht Schulz auch die Komplexität der zu lösenden Sachfragen an. Es habe sich um „schwierige, problembeladene Rechtsfragen“ gehandelt, „die nur von kenntnisreichen, umsichtigen Juristen gelöst, in der Massenagitation aber nicht einmal aufgenommen, geschweige denn begreiflich“ gemacht hätten werden können.68 Der Volksentscheid sei ein ungeeignetes, weil undifferenziertes Instrument zur politischen Problemlösung, da den radikalen Kräften mit ihr eine Plattform gegeben werde, auf der sie durch Massenagitation Bedürfnisse im Volk wecken und lenken könnten. Dass das Volksbegehren zur Fürstenenteignung von der Zahl der Stimmen her ein relativer Erfolg wurde, führt Schulz nicht auf den wirklichen Willen der Bevölkerung zurück, sondern sieht hierin nur den Beweis dafür, dass der „Agitation zugunsten dieses Plebiszit ein weiter Einbruch auch in bürgerliche Wählerschichten gelungen“ sei.69 Er sieht Volksbegehren und Volksentscheid nur als politisches Kampfmittel, weniger als einen eigenständigen Weg politischer Willensbildung und -äußerung. Seiner Meinung nach war die Volksgesetzgebung zur Fürstenenteignung „als Korrektur parlamentarischer Kons66 Es finden sich zwar Darstellungen der parlamentarischen Krise im Zusammenhang mit dem Bau des Panzerkreuzers „A“, das Volksbegehren findet zumeist aber keine Berücksichtigung. Vgl. bspw.: Albert Schwarz, Die Weimarer Republik, in: Leo Just (Hrsg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 4, 1.Teil, Frankfurt 1973 (Der Beitrag ist bereits 1953 fertiggestellt worden), S. 137. Eine Ausnahme stellt hier Hans Joachim Winkler (ders., Die Weimarer Demokratie, Berlin 1963, S. 23) dar. Er charakterisiert das Volksbegehren dadurch, dass die Kommunisten vor allem die an der Regierung beteiligte SPD als militaristisch habe diffamieren wollen. 67 Gerhard Schulz, Deutschland am Vorabend der großen Krise, Bd. 2. (2. Aufl., 1. Aufl. 1963), Berlin 1987, S. 243 – 244. 68 Ebd. 69 Ebd., S. 248.

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tellationen im Rahmen der Reichsverfassung [ . . . ] nun erstmals zu einer dramatischen Propagandaaktion verwendet worden“.70 Die Initiative zur Enteignung der Fürsten erscheint als reines Mittel zur Propaganda und Demagogie. Ähnlich sah auch Werner Conze den Volksentscheid von 1926: „Ein demagogisch geschickter Schachzug der beiden marxistischen Parteien, [ . . . ], war der Volksentscheid zur Enteignung der Fürsten, der [ . . . ] ein großer Erfolg der vereinigten Linken war, die [ . . . ] 38 % der Stimmberechtigten erreichten“.

Die relativ hohe Beteiligung am Volksentscheid im Sinne des Begehrens zeigte für Conze dabei allerdings vor allem „den Anteil des proletarischen Sozialismus gegenüber dem liberalen und konservativen Bürgertum“ zu dieser Zeit.71 Noch negativer ist die Darstellung Karl Mielckes, dessen Buch „Geschichte der Weimarer Republik“ von 1954 auch als Schulbuch verwendet wurde: „Ein Volksentscheid über die Fürstenenteignung im Juni 1926 wurde [ . . . ] zu einer neuen Machtprobe zwischen Freunden und Feinden der demokratischen Republik.“72

Zu einer anderen Bewertung kommen nur wenige Autoren.73 Einige, unter ihnen Karl Dietrich Erdmann, erwähnen die Kampagne gar nicht,74 andere wie Friedrich Karl Fromme oder Veit Valentin enthalten sich einer Bewertung, stellen meist nur die Erfolglosigkeit der Kampagne fest.75 Nur bei den Autoren Albert Schwarz und Richard Frey erfährt der Volksentscheid eine positive Bewertung. Es habe sich um eine echte „Volksbewegung“ gehandelt.76 Für Frey hätte der Volksentscheid im Falle eines Erfolges darüber hinaus eine für die Republik wegweisende Bedeutung erhalten können. Es sei nämlich in erster Linie gar nicht um die Frage nach der Zukunft der Fürstenvermögen gegangen, sondern darum, „ob Deutschland ohne einen tiefgreifenden Umbau seiner traditionellen sozialen Verhältnisse und Vorstellungen sich als demokratische Republik festigen könne oder Ebd., S. 250. Vgl. Werner Conze, Die Weimarer Republik, in: Peter Rassow (Hrsg.), Deutsche Geschichte im Überblick, Stuttgart 1953, S. 650. 72 Vgl. Karl Mielcke, Geschichte der Weimarer Republik, Braunschweig 1954, S. 95. Inhaltlich gleich: H. J. Winkler, Die Weimarer Demokratie, S. 23. 73 Eine differenzierte Ansicht vertrat Ernst Forsthoff (ders., Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Stuttgart 1961, S. 177 – 8). Er lehnte zwar die Volksgesetzgebung ab, billigte ihr aber immerhin zu, „politische Fragen, die Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen waren“, zu erledigen: „So war die von der Linken geforderte Enteignung [ . . . ] mit dem Fehlschlag im Volksentscheid kein Thema mehr.“ 74 Vgl. Erdmann, Weltkrieg, Weimarer Republik in: Herbert Grundmann (Hrsg.), Gebhard – Handbuch der Deutschen Geschichte (8. Aufl., Bd. 4, 1. Teil), a. a. O. 75 Vgl. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 148 – 149; Veit Valentin, Deutsche Geschichte, München 1960, S. 677. 76 Vgl. Schwarz, Weimarer Republik, S. 126; Richard Frey, Stärke und Schwäche der Weimarer Republik, in: Walter Tormin (Hrsg.), Die Weimarer Republik, Hannover 1962, S. 156. 70 71

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nicht.“ Ein echter Wille zur Neugestaltung hätte sich aber nicht durchsetzen können, er sei außerdem vor allem von Anhängern der politisch problematischen KPD gekommen.77 Durchweg negativ wird der Volksentscheid gegen den Young-Plan beurteilt. Er dient in fast allen Darstellungen als Aufhänger für eine grundsätzliche Beurteilung der Volksgesetzgebung. Diese Initiative, die der Staatsrechtler Hans Schneider die „bedeutendste Volksaktion der Weimarer Republik“ nannte,78 prägte die Meinung über Volksgesetzgebung in Weimar in entscheidender Weise. Es lassen sich drei Erfahrungs- oder Bewertungsstränge herausarbeiten, die im allgemeinen auch die Hauptargumente gegen Volksgesetzgebung insgesamt sind: Die erste Erfahrung ist die der Weimarer Volksgesetzgebung als Propagandainstrument und Waffe gegen den politischen Gegner und die Republik insgesamt. Volksbegehren und Volksentscheid werden aus parteitaktischen Gründen zur Agitation und Demagogie missbraucht. So schrieb Bracher, dass der Volksentscheid gegen den Young-Plan, neben der propagandistischen Aktivität in den Bauernunruhen ab 1928, „eine zweite große Gelegenheit zur Entfaltung der nationalsozialistischen Propaganda und zum Einsatz der Parteiorganisation“ gewesen sei.79 Albert Schwarz spricht von „chaotischen Zuständen“ insbesondere auch in der „höheren Beamtenschaft“, die durch die „gewissenlose Hetze“ ausgelöst worden seien. Bei sehr vielen Autoren findet sich der Begriff der „Massendemagogie“ oder „Massenagitation“. Als Beispiele seien hier Hans-Joachim Winkler, Gerhard A. Ritter oder Werner Conze genannt.80 Oft wird auch von der „bewussten Entfachung politischer Leidenschaften“, oder wie bei Karl Mielcke von der „Aufstachelung der Hassinstinkte verblendeter Menschen“ gesprochen.81 Vielfach wird kommentarlos der Satz Theodor Heuss‘ aus dem Parlamentarischen Rat zitiert, dass „das Volksbegehren [ . . . ] in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen“ sei.82 Die Volksinitiative wird nicht nur Quell der politischen Unruhe um die Annahme des Young-Plans und die Kriegsschuldfrage, sondern neben der Weltwirtschaftskrise entscheidender Ursprung der innenpolitischen Spannungen und des Ebd., S. 158. Hans Schneider, Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, in: Otto Bachof / Martin Drath / Otto Gönnenewin / Ernst Walz (Hrsg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Bd. 6, München 1955, S. 157. 79 Karl Dietrich Bracher, Die Deutsche Diktatur (4. unver. Aufl., 1. Aufl. 1969), Berlin 1972, S. 176. Ursache der Unruhen war eine weitverbreitete Überschuldung der Bauern, die zu zahlreichen Zwangsversteigerungen führte. Die Bauern wehrten sich hiergegen insbesondere in Norddeutschland gewaltsam. 80 Vgl. Winkler, Die Weimarer Republik, S. 24; Gerhard A. Ritter, Deutscher und Britischer Parlamentarismus, Tübingen 1962, S. 36; Conze, Die Weimarer Republik, S. 653; Frey, Stärke und Schwäche, S. 186 – 9. 81 Vgl. Friedenthal, Young-Plan und Deutschnationale Sezession, S. 187; Mielcke, Weimarer Republik, S. 100. 82 Bspw. Schreeb, Demokratie in Deutschland, S. 42; Fromme, Weimarer Verfassung, S. 150. 77 78

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Aufruhrs der Jahre 1929 / 30.83 Nur wenige, so Hans Schneider, stellen eine differenzierendere Betrachtung an. Er schrieb 1955 über die Initiative: „Sie hat damals die politischen Leidenschaften in Deutschland stark erregt. Doch wäre es gewiss auch ohne Volksbegehren und Volksentscheid zu lebhaften Auseinandersetzungen über diese Fragen gekommen.“84

Anders als bei dem Volksentscheid zur Fürstenenteignung, den nicht alle Autoren einen Missbrauch dieses Verfassungsinstituts nennen, herrscht über die wahre Intention des Antrages von 1929 Konsens: Die Volksgesetzgebung wurde hier zweckentfremdet. Karl Dietrich Bracher drückte dies am deutlichsten aus, indem er von „raffiniert manipulierten Plebisziten“ schrieb oder sie – man achte auf den Bezug zum späteren Dritten Reich – als ein Mittel bezeichnete, mit dem die „Idee der Demokratie bis zum äußersten Missbrauch ihrer Massenbasis denaturiert und zum Instrument eines sakral sanktionierten Führers und seiner monopolisierten Kontrollapparate geworden war“.85 Unmittelbar an diese Beurteilung knüpft die zweite Bewertung an. Das von den Initiatoren angestrebte Ziel, eine Radikalisierung und Destabilisierung der Republik, sei nämlich trotz des eindeutigen Scheiterns durchaus erreicht worden.86 Die Auseinandersetzungen um den Young-Plan werden oft als der Auslöser für eine innenpolitische Radikalisierung dargestellt, die bis zur „Machtergreifung“ nicht mehr nachließ. Hitler sei durch sie populär geworden. So schrieb Werner Conze: „Aber wichtiger als dies [die Abstimmungsniederlage im Volksentscheid] war die Tatsache, dass hinfort in Wechselwirkung mit der Wirtschaftskrise die demagogische Radikalisierung des innenpolitischen Kampfes einsetzte, durch den die Endphase der Weimarer Republik gekennzeichnet war.“87

Der Volksentscheid markiert so den Anfang vom Ende Weimars. Kaum ein Autor bewertet die Abstimmungsniederlage als Absage an radikales Gedankengut. Nur bei Frey88 oder bei Karl Dietrich Erdmann in einer 1973 erschienenen Neubearbeitung des Handbuches „Deutsche Geschichte im Überblick“ findet sich eine relativierende Deutung. Beide äußern sich dahingehend, dass der Volksentscheid „in aller Deutlichkeit“ gezeigt habe, dass „bis zu diesem Zeitpunkt nur eine kleine Minderheit des deutschen Volkes der friedlichen Methode der Revisionspolitik den

Vgl. Conze, Weimarer Republik, S. 653. Schneider, Volksabstimmungen, S. 157. 85 Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 155, 386. Bracher bezieht sich hierbei auf das Volksbegehren gegen den Young-Plan 1929 sowie das Volksbegehren zur Auflösung des preußischen Landtages vom 4. 2. 1931. 86 Exemplarisch hier: Friedenthal, Young-Plan und die Deutschnationale Sezession, S. 187. 87 Conze, Weimarer Republik, S. 653. 88 Vgl. Frey, Stärke und Schwäche, S. 188, der das Ergebnis als klare Absage an „eine Lösung Hugenberg-Hitler“ wertete und festellte: „Erst im Zusammenhang mit einem Wachsen der Unzufriedenheit konnte diese Agitation gefährlich werden.“ 83 84

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Kampf ansagte“.89 Das eigentliche Abstimmungsergebnis tritt hinter die Einschätzung zurück, dass der Volksentscheid zu einer „verhängnisvolle[n] Einbruchstelle für autoritäre und diktatorische Tendenzen“ wurde, und so im Endeffekt Hitlers Aufstieg erst möglich machte.90 Viele Autoren betonen, dass die Propaganda anlässlich des Volksentscheids dazu geführt habe, dass sich „die NSDAP aus der Isolierung einer radikalen Splittergruppe gelöst habe“ (Karl Dietrich Bracher) und Ursache des starken Anwachsens nationalsozialistischen Einflusses 1929 / 30 gewesen sei.91 Durch die Erlangung gesellschaftlicher Akzeptanz hätten Hitlers radikale Vorstellungen den Weg in die Köpfe der Menschen und in die Wahlurnen gefunden. Zwar findet man wie bei Friedrich Karl Fromme immer wieder auch den Hinweis, dass die Allianz von Hugenberg mit Hitler in der „Nationalen Einheitsfront“ an und für sich eine Rolle gespielt habe – Hitler also bereits dadurch innenpolitisch anerkannt worden sei – sie gewinnt aber nie eine größere Bedeutung.92 Am deutlichsten formulierte Gerhard Schulz den direkten Zusammenhang zwischen Young-Plan-Kampagne und Wahlerfolg: „Trotz des großen Anteils des eher konservativen Großbesitzes ließ sich in Nordostdeutschland, freilich im Gefolge der nationalsozialistisch-deutschnationalen Agitationskampagne gegen den Young-Plan, in den Zahlen der Wahlen zu den preußischen Provinziallandtagen am 17. Nov. 1929 – im Vergleich zur Landtagswahl 1928 – das erste unleugbare Zeugnis einer Ausbreitung des Nationalsozialismus eben in diesen Gebieten deutlich erkennen.“93

Die dritte insgesamt nicht so häufig auftauchende „Weimarer Erfahrung“ betrifft die grundsätzliche Eignung des Volksentscheides als gesetzgeberischer Weg. Hier stößt man auf Deutungen, wie sie Gerhard Schulz bereits im Zusammenhang mit der Kampagne zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten formulierte. Die Volksgesetzgebung sei ein unbrauchbares Mittel zur Lösung komplexer Sachfragen.94 Die Praxis sei der Beweis dafür, dass die Volksgesetzgebung nur zu einer verfälschenden Vereinfachung von Sachzusammenhängen führe.95 Für eine man89 Erdmann, Weltkrieg, Weimarer Republik„ Bd. 4, 1. Teil (9. Aufl.), S. 328. Bei Erdmann lässt sich ein Interpretationswechsel feststellen. In der Bearbeitung von 1959 (ebd., 8. Aufl., Stuttgart 1959, S. 163) schwamm Erdmann noch im Strom der herrschenden Meinung als er schrieb: „Aber dennoch muß man mit Recht in dieser Bundesgenossenschaft der Deutschnationalen mit den Nationalsozialisten in dem Kampf um den Young-Plan den eigentlichen Start Adolf Hitlers zur Machtergreifung sehen. Die Hemmungslosigkeit der nationalsozialistischen Propagandamethoden und die Brutalität ihrer Kampfweise wurden bürgerlich salonfähig gemacht und gleichsam akkreditiert“. 90 Bracher, Die Entstehung der Weimarer Verfassung, S. 27 – 28. 91 Bracher, Die Deutsche Diktatur, S. 176 – 178. 92 Fromme, Weimarer Verfassung, S. 149: „Zudem bot der Volksentscheid gegen den Young-Plan der NSDAP [ . . . ] erstmals eine Plattform für breitere politische Wirksamkeit. Er leitete die Bundesgenossenschaft zwischen NSDAP und DNVP ein, die später der Republik verhängnisvoll werden sollte.“ 93 Gerhard Schulz, Deutschland am Vorabend der großen Krise, S. 435. 94 Ebd., S. 243 – 244.

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gelnde Eignung wird auch angeführt, dass der deutsche Gesetzgeber durch dieses zweite Gesetzgebungsverfahren für das Ausland unberechenbar und damit außenpolitisch weniger vertrauenswürdig erschienen sei.96 Daneben werden die Ausführungsbestimmungen kritisiert. Die Öffentlichkeit des Abstimmungsverhaltens, bei der durch die Parole der Stimmenthaltung jeder Teilnehmer zum Befürworter gestempelt wurde, hätte nur negative Folgen mit sich gebracht und „zu einer Diskreditierung dieser Gesetzgebungsart beigetragen“.97 Die drei „Weimarer Erfahrungen“, die im Zusammenhang mit der Darstellung des Volksbegehrens und Volksentscheids gegen den Young-Plan existieren, sind mit denen im Zusammenhang mit der Kampagne über eine Enteignung der Fürsten angeführten weitgehend deckungsgleich. Insgesamt lässt sich also feststellen, dass nach 1949 über „Weimarer Erfahrungen“ mit der Verfassungswirklichkeit von Volksgesetzgebung weitgehend Konsens herrschte. Völlig ins Extreme getrieben und mit einer eigenen theoretischen Schlussfolgerung versehen werden diese Deutungen bei dem Politologen Karl J. Newman. Er soll auch deshalb gesondert betrachtet werden, da bei ihm die indirekte Wirkung der nationalsozialistischen Volksabstimmungen besonders deutlich wird, auf die danach als weiterer Faktor für die Bildung der herrschenden Meinung über schlechte Weimarer Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren eingegangen wird.

b) Karl J. Newman (1965) – Der Volksentscheid gegen den Young-Plan und die „plebiszitär-revolutionäre Flut“98 Newman unternimmt in seinem Buch „Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie“ von 1965 den Versuch, den Übergang demokratischer in totalitäre Systeme in vielen Staaten nach dem ersten Weltkrieg zu erklären. Er verknüpft historiographische, politische, aber auch ideologische, kulturelle und wirtschaftliche Ebenen miteinander, um Erklärungen für den Zusammenbruch von Demokratie, unter anderem auch in Deutschland 1933, zu finden. Den plebiszitären Verfassungselementen, insbesondere Volksentscheid und Volksbegehren kommt hierbei am Ende der Weimarer Republik eine schicksalhafte Bedeutung zu. Anders als in der Schweiz und den USA, wo es stabile Traditionen mit Plebisziten gegeben habe, habe die Volksgesetzgebung in Deutschland von Anfang an für die Menschen einen revolutionären Charakter gehabt.99 Offenbart habe sich dies 1929 95 Vgl. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 150; Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 177 – 178. 96 Vgl. H. J. Winkler, Weimarer Demokratie, S. 24; Mielcke, Weimarer Republik, S. 101; Schwarz, Weimarer Republik, S. 160. 97 Vgl. H. J. Winkler, Weimarer Demokratie, S. 23. 98 Karl J. Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, Köln 1965, S. 162. 99 Newman (ebd., S. 158) ist der Auffassung, dass es neben der Unerfahrenheit und dem Misstrauen der Bürger gegenüber einem Volksentscheid „seine Seltenheit war, die es zu einer

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bei der Initiative gegen den Young-Plan, die für Newman die fast ausschließliche Grundlage seiner Bewertung ist.100 Die „sonst politisch apathische“ deutsche Mittelklasse sei „emotional aufgeputscht“ und dadurch politisch radikalisiert worden.101 Angesichts eines Machtvakuums innerhalb des politischen Systems, allgemeiner Verunsicherung und wirtschaftlicher Not bei gleichzeitiger Diskreditierung der alten Parteien hätten sich die durch den Volksentscheid radikalisierten Menschen danach dem Nationalsozialismus zugewandt, wodurch sich der Anstieg der Stimmen für die NSDAP von 2,6 % 1928 auf 18,3 % 1930 erkläre.102 Die entscheidende Wirkung des Volksentscheids lag für Newman allein in dem emotionalen Moment: „Die durch Volksbegehren und Volksentscheid des Jahres 1929 bewirkte Aufputschung der Nichtwähler und anderer politisch indifferenter und unpolitischer Menschen, [ . . . ], muss als mitverantwortlich für den nationalsozialistischen Erfolg gelten.“103

Anders als bei den meisten anderen Autoren steht nicht eine neugewonnene gesellschaftliche Akzeptanz der NSDAP im Sinne einer politischen Salonfähigkeit im Vordergrund, sondern es ist die eigene politische Radikalisierung durch die Volksgesetzgebung, die den Ausschlag für Hitler gegeben habe.104 Der Volksentscheid gegen den Young-Plan gewinnt bei Newman außerdem dadurch eine überragende Bedeutung für den Zusammenbruch der Weimarer Republik, dass es Hitlers nationalsozialistischer Propaganda im Anschluss an diese Initiative gelungen sei, zur Diskreditierung der Republik jede Wahl zu einem Plebiszit umzuformen. Newman spricht von einer „plebiszitär-revolutionären Flut“, die mit dem Volksentscheid 1929 ausgelöst und in den Wahlen des Jahres 1932 ihren Höhepunkt gefunden habe: „Die revolutionäre Situation in Deutschland nahm demnach den Charakter eines permanenten, stufenweise vor sich gehenden Plebiszits an, in das zusätzlich zum Referendum alle Formen der demokratischen Willensäußerung, wie Parlaments- und Landtagswahlen, ja sogar Gemeinde- und Betriebsratswahlen einbezogen wurden.“105

revolutionären Maßnahme machte“. Dies ist angesichts einer Zahl von insgesamt drei Volksbegehren und zwei Volksentscheiden auf Reichsebene bei gleichzeitig neun Reichstagswahlen von 1919 bis 1933 schwer nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es auch auf Länderebene zu zahlreichen Volksbegehren kam. 100 Ebd., S. 156 – 159. 101 Ebd., S. 159. 102 Newman (ebd., S. 160) spricht hier von den Reichstagswahlen des „Jahres 1929“, meint aber wahrscheinlich die vom 20. 5. 1928, bei der die NSDAP nur 2,6% der Stimmen erhielt. Dass sich diese Menschen nicht der DNVP als eigentlichem Initiator der Kampagne zugewandt hätten, erklärt Newman unter anderem interessanterweise auch mit ihrem Versagen beim Volksentscheid gegen die „Kriegsschuldlüge“, dies, obwohl die NSDAP hier ja ebenfalls engagiert war. 103 Ebd., S. 159. 104 Vgl. bspw.: Bracher, Die Deutsche Diktatur, S. 176 – 178. 105 Newman, Selbstzerstörung der Demokratie, S. 162 – 163. Das Referendum habe nach 1929 in steigendem Maße die Wahlen zu allen anderen Institutionen „absorbiert“.

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Ihr Ziel hätten die Nationalsozialisten spätestens 1932 mit der Reichspräsidentenwahl, der Wahl zum preußischen Landtag und zweier Reichstagswahlen erreicht.106 Newman vermutet, dass es „eben diese Erfahrung war, die den greisen Reichspräsidenten schließlich dazu bewogen habe, seine Abneigung gegen Hitler zu überwinden und ihn zum Reichskanzler zu ernennen“.107 Seine Einschätzung der Ereignisse von 1929 bis 1933 führt den Autor zu einem grundsätzlichen Urteil über die plebiszitären Elemente der Weimarer Republik. Die Volksentscheide alleine hätten aufgrund ihrer geringen Beteiligung zwar nicht ausgereicht, „das System aus den Angeln zu heben“, insgesamt gelte aber: „Beide Formen der unmittelbaren Demokratie in Deutschland, die Präsidentenwahlen und das Referendum, zielten auf emotional gefärbte Entscheidungen ab, an denen das Repräsentativsystem schließlich zerbrach.“

Ihre „endgültige Ausprägung“ habe diese Entwicklung dann im „Hitlerschen Ausnahmezustand und in den Hitlerschen Ja- und Nein-Plebisziten“ gefunden.108

c) Die nationalsozialistischen Plebiszite und die Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung Wie in Kapitel III und IV herausgearbeitet, stellen die nationalsozialistischen Volksabstimmungen einen Missbrauch direktdemokratischer Verfahren dar, den die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft hinter neuerschaffenen Demokratiebegriffen, „völkisch-plebiszitären“ Staatskonzeptionen oder schlicht Tatsachenverdrehungen zu verbergen suchte. Diese von 1945 bis heute noch nicht bestrittene Tatsache109 ist – wie bereits angeführt – der entscheidende Grund dafür gewesen, dass die Wissenschaft forschungsgeschichtlich nach 1945 an die Weimarer Volksgesetzgebung anknüpfte.110 Dennoch wirkten in der frühen BundesrepuEbd., S. 162, 163. Ebd., S. 163. 108 Vgl. Ebd. Diese Plebiszite seien die „logische und konsequente Weiterführung der cäsaristisch plebiszitären Demokratie, die, weil sie das Verantwortungsbewusstsein des Wählers abtötet, notwendig zur Diktatur führt“. Mit dem plebiszitären Element bleibe die Vernunft des Einzelnen auf der Strecke. Unüberlegtes, durch Emotionalisierung manipulierbares Stimmverhalten sei die Folge und führe zwangsläufig in die Diktatur. Dass es auch der eigene politische Standpunkt ist, der einen Wissenschaftler in seiner Bewertung gerade von Politikgeschichte leitet, wird deutlich, wenn man andere Schriften von Newmann betrachtet. Er ist ein überzeugter Anhänger ein rein parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, die er auch für die Länder anderer Kontinente und Kulturen propagiert. Vgl. Karl J. Newman, Die Entwicklungsdiktatur und der Verfassungsstaat, Frankfurt 1963, S. 13 ff., 48 f. Diese verteidigt er (ders., Wer treibt die Bundesrepublik wohin?, Köln 1968, 31, 33, 40, 83) auch vehement gegen Kritiker des Parlamentarismus wie Karl Jaspers (vgl. ders., Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen – Gefahren – Chancen, München 1966). 109 Vgl. Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 187 – 192. 106 107

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blik die nationalsozialistische Volksabstimmungspraxis wie deren wissenschaftliche Betrachtung erheblich auf die Forschung zur Volksgesetzgebung ein. Die Wirkung war hierbei oft nur unbewusst. Die Tatsache, dass der „Führerstaat“ propagandistisch und „wissenschaftlich“ als gleichsam „plebiszitär“ legitimiert dargestellt worden war, erschien vielen Wissenschaftlern nach dem Dritten Reich als der letzte Beweis für die Gefährlichkeit direktdemokratischer Gesetzgebung.111 Nicht nur, dass sie in der Volksgesetzgebung 1929 Hitlers Waffe im Angriff auf die Weimarer Demokratie sahen. Hitler hatte sie in ihren Augen in Gestalt von Volksabstimmungen fortgeführt und 1933, 1934 und 1938 dazu instrumentalisiert, seine Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren. Hans Schneider hat dies mit den schlichten Worten ausgedrückt, dass „in Deutschland [ . . . ] das nationalsozialistische Regime die plebiszitären Formen in Verruf gebracht“ habe.112 Der bereits dargestellte Karl Newman kam im Rahmen seiner Theorie von der „plebiszitär-revolutionären Flut“ vom Volksentscheid gegen den Young-Plan gleichsam zwangsläufig zu den „Hitlerschen Ja- und Nein-Plebisziten“.113 Bracher hatte sie im Sinn, als er 1955 in Bezug auf Weimarer Volksentscheide schrieb, dass bis 1933 durch „manipulierte Plebiszite und gelenkte Einigungsbedürfnisse“ „die Idee der Demokratie [ . . . ] zum Instrument eines sakral sanktionierten Führers [ . . . ] geworden“ sei.114 Daran, dass er außerdem das Dritte Reich in einigen seiner Arbeiten eine „plebiszitäre Diktatur“ nennt, wird endgültig deutlich, dass seine grundsätzliche Ablehnung plebiszitärer Verfassungsinstrumente erheblich durch den nationalsozialistischen Umgang mit der Idee unmittelbarer Demokratie mitbeeinflusst worden ist.115 Weiter fortgeführt bis in die Entscheidungen des Parlamentarischen Rates hat diesen Wertungszusammenhang der Historiker Hans Joachim Winkler. Er schrieb nach seiner Darstellung der Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren: 110 Dies gilt insbesondere für die Staatsrechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik. Vgl. Birgit von Bülow, Die Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit (1945 – 52), Berlin 1996, S. 31 – 33, 140 ff. 111 Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 126 ff. 112 Schneider, Volksabstimmungen, S. 160. Inhaltlich genauso: Fromme, Weimarer Verfassung, S. 150; Theodor Maunz / Günter Dürig / Roman Herzog u. a. (Hrsg.), Dürig-Herzog, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, München 1958 – 1996, Art. 20 II, Rdnr. 39. 113 Newman, Selbstzerstörung der Demokratie, S. 163 – 164. 114 Bracher, Auflösung der Weimarer Republik, S. 155. 115 Vgl. Bracher, Stufen, Inhaltsverzeichnis S. VI, S. 215, 350: „Nur ein halbes Jahr später [nach der Abschaffung des Reichsrats am 30. Januar 1934] ist schließlich auch die dritte Schranke gefallen: die Position des Reichspräsidenten, die Hitler sofort nach dessen Tod ebenfalls an sich gezogen hat, in diesem Fall freilich nicht mehr durch den gleichgeschalteten Reichstag, sondern propagandistisch wirkungsvoller durch eine Volksabstimmung, die nach totalitärem Muster ohne Alternative oder Gegenkandidat als reiner Akklamationsakt inszeniert wurde. Schon am 14. Juli 1933 war dafür das neue Gesetz über die Volksabstimmung erlassen worden, das die gänzliche Ausschaltung parlamentarischer Beschlussfassung besiegelt und der Diktatur die seit Napoleons Tagen bewährte plebiszitäre Grundlage und Legitimierungsform gegeben hat.“

A. „Schlechte Weimarer Erfahrung“ in der Forschung der frühen BRD

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„Im Dritten Reich entwerteten verfängliche Fragestellungen und undurchschaubare Verfahren bei der Auszählung dieses Instrument direkter Demokratie vollends. Nach diesen Erfahrungen hat das Bonner Grundgesetz eine derartig weitgehende direkte Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung nicht mehr vorgesehen“.116

3. Die „schlechte Weimarer Erfahrung“ in der bundesrepublikanischen Staatsrechtswissenschaft und ihre Funktion für die Auslegung des Art. 20 II S. 2 GG Beiträge von Staats- bzw. Rechtswissenschaftlern haben bereits Platz in der vorangehenden Darstellung zur Entstehung einer herrschenden Meinung über die Weimarer Volksgesetzgebung nach 1949 gefunden. Dennoch soll die Staatsrechtswissenschaft der Bundesrepublik als solche hier eine kurze eigene Betrachtung erfahren. Dies zum einen, weil sich in ihr nach kurzem Streit vor allem auf der Grundlage „schlechter Weimarer Erfahrungen“ sehr schnell eine repräsentative Grundeinstellung entwickelte, die rechtspolitisch und damit auch für die wissenschaftliche Entwicklung bis heute von erheblicher Bedeutung ist. Zu anderen spielen in der Staatsrechtswissenschaft die dargestellten Deutungen bei der historisch-teleologischen Auslegung des Art. 20 II 2 GG als einer der zentralen verfassungsrechtlichen Grundlage des Parlamentarismus in Deutschland eine wichtige Rolle. Die überwiegende Mehrheit der bekannteren deutschen Staatsrechtslehrer hatte sich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt und diese den Politikern und Verfassungsvätern überlassen. Viele hielten sich außerdem nach eigenen Irrungen und Wirrungen in der Zeit von 1933 bis 1945, die nun weitgehend ausgeblendet wurde, insgesamt mit rechtspolitischen Beiträgen zurück.117 Dennoch setzten sehr bald nach der Verabschiedung des Grundgesetzes mehrere parallel ablaufende Debatten in der Staatsrechtswissenschaft ein, von denen eine in engerem Zusammenhang zu dem Deutungsmuster von „schlechten Weimarer Erfahrungen“ mit Volksgesetzgebung stand.118 Gegenstand war die Herrschaftsgewalt im Staat und damit die Frage, wodurch sich die Beherrschung der Bürger durch die Staatsgewalt legitimiert, wie die Willensbildung des Volkes und der Staatsgewalt beschaffen sein soll, und welche Rolle den politischen Parteien dabei zukommt. Während eine überwiegende Mehrheit der Stellung nehmenden Staatsrechtslehrer 116 H. J. Winkler, Weimarer Demokratie, S. 25. Inhaltlich genauso: Friedenthal, YoungPlan und die Deutschnationale Sezession, S. 187 – 188. 117 Vgl. von Bülow, Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit, S. 29 – 33. Die Staatsrechtslehre vollzog insgesamt eine grundlegende Kehrtwende und fand längerfristig ihren Platz im nunmehr westlichen Verfassungsgefüge. Vgl. allgemein zur Thematik: Frieder Günther, Denken vom Staat her, Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 – 1970, Diss. phil., Tübingen 2002 (erscheint demnächst). 118 von Bülow, Staatslehre der Nachkriegszeit, S. 30, 35 – 50, 80 – 97, 135 – 147.

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wie Wilhelm Grewe, Ernst Forsthoff, Ernst Kaufmann, Hans Peters oder Ulrich Scheuner die Parteien als frei gebildete Organisationen anerkannte, die zwischen Volk und Staatsgewalt ständen, und damit im Prinzip eine Konzeption wie die des Grundgesetzes bejahte,119 vertraten Heinrich Herrfahrdt,120 eingeschränkt Gerhard Leibholz121 und Werner Weber122 Alternativmodelle. Sie reichten von einer endgültigen Abschaffung der demokratischen Staatsgewalt und ihrer Ersetzung durch wie Gerichte organisierte Behörden und Vertrauenspersonen (Herrfahrdt) über eine unmittelbare direktdemokratische Herrschaft der Parteien (Leibholz) bis zur Einführung starker plebiszitärer Elemente in ein repräsentatives System (Weber). Durchgesetzt haben sich in dieser Debatte – wie auch in einer Paralleldiskussion über das „Für“ und „Wider“ eines direktgewählten oder vom Parlament abhängigen Präsidialsystems123 – die Anhänger eines starken auf Parteien aufbauenden Parlamentarismus. Eine gewichtige Rolle spielten hierbei als Argument gegen Vorschläge, die dem grundsätzlichen Verfassungsaufbau des Grundgesetzes widersprachen – neben Erfahrungen im Nationalsozialismus – die „schlechten Weimarer Erfahrungen“.124 Wie stark diese wirkten, wird deutlich an Worten des an und für sich für mehr direktdemokratische Elemente plädierenden Staatsrechtlers Werner Weber. Zwar sah er in der Entscheidung des parlamentarischen Rates gegen Volksgesetzgebung in erster Linie den Wunsch nach einem Machtmonopol der Parteien und weniger die Reaktion auf Weimar.125 Gleichwohl gestand auch er in einer spä119 Vgl. Wilhelm Grewe, Zum Begriff der politischen Partei, in: Festgabe für Ernst Kaufmann, Stuttgart 1950, S. 65 ff.; ders., Parteienstaat oder was sonst?, in: Der Monat 1951, S. 563 ff.; Ernst Kaufmann, Grundtatsachen und Grundbegriffe der Demokratie, München 1950, S. 17; Hans Peters, Die Problematik der deutschen Demokratie, Zürich 1948, S. 83; Ulrich, Scheuner, Grundfragen des modernen Staates, in: Recht-Staat-Wirtschaft III, 1951, 126 ff.; Ernst Forsthoff, Wirtschaftsverfassung im Rahmen der Gesamtverfassung, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Ratgeber für Parlament und Regierung, Frankfurt / Main 1952, S. 127 – 152. 120 Herrfahrdt Heinrich, Tragweite der Generalklausel in Art. 19 IV GG, in: VVdStrL 8, Berlin 1950, S. 132 ff. 121 Gerhard Leibholz, Volk und Partei im neuen deutschen Verfassungsrecht, in: DVBl. 65 (1950), S. 194 – 97; ders. Parteienstaat und repräsentative Demokratie, in: DVBl. 66 (1951), S. 1 – 8, 3 ff. 122 Werner Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, in: ders., Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem (2. Fassung), Stuttgart 1951, S. 19 ff.; ders. Spannungen und Kräfte, 3. Aufl., S. 185 – 186, 193 – 197. 123 Vgl. von Bülow, Staatsrechtslehre in der Nachkriegszeit, S. 80 – 100. 124 Vgl. Hans Peters, Neuere Entwicklungen des Parlamentarismus, in: Herman Conrad (Hrsg.), Gegenwartsprobleme des Rechts. Beiträge zum Staats-, Völker- und Kirchenrecht und zur Rechtsphilosophie, Bd. 1, Paderborn 1950, S. 69 – 84, 77; Ulrich Scheuner, Grundfragen des modernen Staats, in: Recht / Staat / Wirtschaft Bd. III, Düsseldorf 1951, S. 126 – 165, 131, 143, 148; Hans Schneider, Kabinettsfrage und Gesetzgebungsnotstand nach dem Bonner Grundgesetz, in: VVdStL 8, 1949, Berlin 1950, S. 21 – 66, 28. 125 Werner Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, Göttingen 1949, S. 16 – 17, 22. Dies kritisierend: Hermann von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Berlin 1955, S. 137.

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teren Auflage seiner Schrift „Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungsgefüge“ ein: „Die Frage ist auch offen, ob man nicht doch wieder zum Institut unmittelbarer Volksabstimmungen zurückkehren sollte. Nach allen Erfahrungen ist darin jedoch große Vorsicht anzuraten. Volksentscheide die nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung Gesetze zum Gegenstand haben, sind mangels begründeter Sachkunde und Verantwortlichkeit der Abstimmenden unnütz und verleiten nur zum demagogischen Missbrauch, besonders wenn sie durch Volksbegehren veranlasst werden können.“126

Die sich in der frühen bundesrepublikanischen Staatsrechtslehre durch einflussreiche Stimmen wie Theodor Maunz, Hermann von Mangoldt und Friedrich Giese ausbreitendende repräsentative Grundeinstellung127 fand ihren verfassungspolitischen wie -dogmatischen Ausdruck in einer bis heute vertretenen Auslegung des Art. 20 II 2 GG und anderer Bestimmungen des Grundgesetzes.128 Während Art. 29 II-VI GG129 und Art. 118 GG130 die einzigen Möglichkeiten einer plebiszitären 126 Weber, Spannungen und Kräfte (3. Aufl., 1970), S. 196. In der Auflage seiner Schrift von 1951 äußerte er sich noch weniger eindeutig. Vgl. Weber, Spannungen und Kräfte (2. Fassung), S. 19 – 20: „In der Weimarer Verfassung war das Volk eine bedeutende Kraft. Seine plebiszitären Entscheidungen kamen vor allem bei der Wahl des Reichspräsidenten zum Tragen, sodann bei den Reichstagswahlen, [ . . . ], und schließlich mit Abstand mehr potentiell in Volksentscheid und Volksbegehren. Hier wurde über die politischen Parteien und ihre Kontrollmöglichkeiten hinweg die ganze Unwiderstehlichkeit, aber auch die Unberechenbarkeit und das gefährlich Elementare der unmittelbaren Volkswillenskundgebung entbunden.“ 127 Vgl. Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht (1. Aufl.), München 1951, S. 48; ebd. (10. Aufl. 1963), S. 68; Mangoldt von, Bonner Grundgesetz, S. 137; Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz (2. Aufl.), Bd. 1, Berlin 1957, S. 597 – 598; Friedrich Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1949, S. 25; ebd. (4. Aufl. 1955), S. 46; Andreas Hamann, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1956, S. 181; Günther Küchenhoff / Erich Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre (7. Aufl.), Stuttgart 1971, S. 196; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (9. Aufl.), Heidelberg 1976, S. 52 – 65, 61; Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt / M. 1971, S. 207. Exemplarisch für die Rechtsgeschichte: Forsthoff, Verfassungsgeschichte, S. 177 – 178; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik (1. Aufl.) Bd. 1, § 18 II Nr. 6 (S. 455). Gegenteilige vereinzelte Darstellungen sind die bereits behandelte Schrift Hans Schneiders (ders., Volksabstimmungen, S. 157) oder die Dissertation Carl-Heinz Schönherrs (ders., Die unmittelbare Demokratie als Institution im parlamentarischen Staatssystem, Diss. jur., Köln 1954, S. 126, 136, 200 – 208). 128 Die jüngste ausführliche (kritische) Darstellung zur genannten Problematik findet sich bei: Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 89 – 108. 129 Art. 29 II GG: „Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, dass der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören.“ 130 Art. 118 GG: „Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Art. 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß.“

22 Schwieger

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Abstimmung auf Bundesebene, sowie Art. 38 I GG131 die Stellung des Bundestagsabgeordneten als Repräsentant des ganzen Volkes regeln, enthält Art 20 I, II GG132 unter anderem das Demokratieprinzip. Es handelt sich hierbei um ein verfassungsrechtliches Strukturprinzip, das unter die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG133 fällt. Verfassungsänderungen, die diesem Prinzip grundlegend zuwiderlaufen, sind nicht möglich. Absatz II Satz 2 regelt die Ausübung der Staatsgewalt auf der Grundlage der Volkssouveränität. Die Staatsgewalt „wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt“. Dieser Satz wird in der Staatsrechtslehre als Strukturentscheidung für eine rein repräsentative Demokratie auf Bundesebene gedeutet. E contrario wird aus der Existenz der Art. 29 II-VI und 118 GG, geschlussfolgert, dass der Grundgesetzgeber nur für diese und keine anderen Fälle eine Volksabstimmung gewollt habe, was zudem auch in Einklang mit der Stellung des einzelnen Abgeordneten aus Art. 38 I GG stehe.134 In dieser logischen Verknüpfung kommt einer schlechten „Weimarer Erfahrung“ eine Schlüsselfunktion zu. Sie ist die Basis der historisch-teleologischen Normenauslegung, die in einer Kausalkette von den schlechten Weimarer Erfahrungen über eine bewusste Entscheidung im Parlamentarischen Rat zu einer Rechtswirkung bis heute und auch für die Zukunft führt, zumindest aber bei Wahrung des Demokratieprinzips eine Verfassungsänderung für die Einführung von Volksgesetzgebung zwingend notwendig macht.135 Ersichtlich wird, dass am Anfang dieser Argumentationskette eine schlechte „Weimarer Erfahrung“ im Sinne der hier herausgearbeiteten Deutungsmuster stehen muss, soll die rechtliche Anwendung des Grundgesetzes als verfassungspolitisches Mittel gegen Forderungen nach einer Wiedereinführung plebiszitärer Elemente ohne Verfassungsänderung weiterhin möglich bleiben.136 131 Art. 38 I GG: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner Wahl, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ 132 Art. 20 I, II GG: „Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ 133 Art. 79 III GG: „Eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ 134 Vgl. bspw. Krause, Demokratie in: Handbuch des Staatsrechts Bd. II, § 39 Nr. 3, Rdnr. 11; Greifeld, Volksentscheid durch Parlamente, S. 19; Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch des Verfassungsrecht, S. 1409. 135 Vgl. Maunz / Zippelius, Staatsrecht (10. Aufl.), S. 72; Ingo von Münch, Staatsrecht I, Stuttgart 2000, Rdnr. 137 – 143; Ebsen, Abstimmungen, S. 15; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik (2. Aufl.), Bd. 1, § 22 IV 4 (S. 805); Andreas Greifeld, Volksentscheid durch Parlamente, Wahlen und Abstimmungen vor dem Grundgesetz der Demokratie, Berlin 1983, S. 19; Ernst Benda / Werner Maihofer / Hans Jochen Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1983, S. 1409. 136 Dies kritisierend: Bugiel, Volkswille, S. 81, 145.

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Insgesamt darf die Rolle der Staatsrechtswissenschaft bei der Verbreitung der Darstellung schlechter „Weimarer Erfahrungen“ nicht unterschätzt werden. Dies gilt für die Forschung der frühen Bundesrepublik aber auch noch heute. Zwar hat sie in der Bundesrepublik nicht mehr wie von 1919 bis 1945 die exklusive Forschungshoheit über eine unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk inne. Sie trat im Gegenteil in der frühen Bundesrepublik neben der vor allem durch Bracher geprägten Zeitgeschichte sogar eher in den Hintergrund. Sie hatte und hat aber dennoch großen Einfluss auf die Forschung und vor allem die Rechtspolitik in Deutschland. Ihre Deutungen sind mehrheitlich bis heute Ausdruck des Willens, die Entscheidung des Grundgesetzes für eine rein repräsentative Struktur nicht nur erklären, sondern auch verteidigen zu wollen. Erkennbar wird dies immer wieder an Stellungnahmen wie der des bekannten Staatsrechtlers Josef Isensee, der im Zusammenhang mit der Grundgesetzreform nach der Wiedervereinigung äußerte: „Demokratie ist für das Grundgesetz repräsentative Demokratie. Es verwirklicht einen Parlamentarismus strenger Observanz und verschließt sich aus Prinzip plebiszitärer Verfahren, Folge einer aus Weimarer Erfahrungen erwachsenen Phobie.“137

In jüngerer Zeit wird gleichwohl die dargestellte historisch-teleologische Auslegung des Art. 20 II Satz 2 GG und damit einhergehend die Notwendigkeit einer rein repräsentativen Demokratie auf Bundesebene in der Staatsrechtslehre zunehmend in Frage gestellt. Auf diese Stimmen, die teilweise sogar die Einführung einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene ohne Grundgesetzänderung für möglich halten, wird im Folgenden noch eingegangen. Sie fügen sich in die noch darzustellende historische Neubewertung der „Weimarer Erfahrungen mit Volksentscheid und Volksbegehren“ ein.

4. Die sich bis Ende der 60er Jahre herausbildende „herrschende Meinung“ von „schlechten Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid Im Ergebnis hat sich in den 50er und 60er Jahren in der Geschichts-, Rechtsund Politikwissenschaft der Bundesrepublik eine fast einhellige Meinung über „schlechte Weimarer Erfahrungen“ mit Volksgesetzgebung durchgesetzt. Die rechtspolitische Ablehnung der Weimarer Volksgesetzgebung durch die nationalsozialistische Staatsrechtslehre [vgl. Kap. IV B. 4.] wurde vor einem nunmehr demokratischen Hintergrund in veränderter Form fortgeführt; von den Bewertungen der Art. 73 – 76 WRV durch die Weimarer Staatsrechtslehre wurden die negativen Darstellungen zur Verfassungswirklichkeit übernommen, nicht jedoch ihre über137 Vgl. Josef Isensee, Abstimmungen, ohne zu entscheiden? Ein Plebiszit über die Verfassung ist nicht vorgesehen und auch nicht wünschenswert, in: Bernd Guggenberger / Tine Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, München 1991, S. 214 – 222, 214.

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Kap. VI: Volksgesetzgebung und Wissenschaft in der BRD seit 1945

wiegend weiterhin grundsätzlich positive Einstellung einer verfahrenstechnisch verbesserten Volksgesetzgebung gegenüber [vgl. Kap. II B. 2. a) + b)]. Die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksentscheid und Volksbegehren ist dabei zum einen eine Erfahrung auf der Ebene der Weimarer Verfassungswirklichkeit, geprägt durch die Kampagnen zur „Fürstenenteignung“ und gegen den Young-Plan. Die Beurteilung geschah hierbei vor dem Hintergrund, dass in den 50er und 60er Jahren noch keine nennenswerte Erforschung einzelner Volksbegehren und Volksentscheide erfolgt war. Die Dissertationen von Elisabeth Friedenthal und H. Pleyer waren bis in die 70er Jahre die einzigen Arbeiten, die sich eingehender mit Teilaspekten verschiedener Volksgesetzgebungsverfahren auseinander setzten.138 Bis auf den erfolglosen plebiszitären Versuch einer Parlamentsauflösung in Preußen 1931, der aber meist nur kurz im Zusammenhang mit der Young-Plan-Kampagne erwähnt wird, spielen Erfahrungen mit Volksgesetzgebung auf der Weimarer Länderebene keine Rolle. Die „herrschende Meinung“ für die Ebene der Verfassungswirklichkeit lässt sich folgendermaßen formulieren: Volksbegehren und Volksentscheid waren Mittel zur Massendemagogie, Ursprung innenpolitischer Unruhe und Spannungen sowie Waffe im Kampf gegen politische Gegner und die Republik. Sie haben zum Untergang der Republik beigetragen, insbesondere Hitlers Aufstieg in entscheidender Weise ermöglicht. Die Ausführungsbestimmungen waren fehlerhaft und das gesamte Verfassungsinstitut auch deshalb ungeeignet, da komplexe Zusammenhänge zwangsläufig zu sehr vereinfacht wurden. Zudem wurde das Vertrauen des Auslandes in die deutsche Politik unterhöhlt.139 Hugo Preuß’ Sorge in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, dass das deutsche Reich für unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk einfach zu groß sei, bestätigte sich.140 Die zweite Erfahrungsebene basiert auf der ersten. Hier ging es um das richtige Verhältnis von Repräsentation und plebiszitärer Gesetzgebung, um eine funktionierende Verfassungsstruktur für die zweite deutsche Republik zu schaffen. Die „Weimarer Erfahrung“ dient als Beleg und Ursprung übergeordnet politologischer und verfassungstheoretischer Überlegungen. Dargestellt worden sind die beiden wichtigsten Wissenschaftler Bracher und Fraenkel. Nach Fraenkel ist die direkte Volksgesetzgebung eine Gefahr für einen Parteienstaat, bei Bracher geht es um das grundsätzlich problematische Verhältnis von plebiszitär legitimierten und repräsentativen Verfassungsstrukturen. Sein Erklärungsmodell für den Untergang Weimars 138 Friedenthal, Young-Plan und Deutschnationale Sezession a. a. O.; Pleyer, Politische Werbung in der Weimarer Republik, a. a. O. Nur indirekt zu nennen ist hier noch: Wolf Wieters, Flaggenstreit und Fürstenenteignung, Eine Untersuchung zur innenpolitischen Situation der Weimarer Republik in den Jahren 1925 / 1926, Hamburg 1960. 139 Konkret Bezug genommen wird hierbei auf die Störung der Haager Schlusskonferenz vom 4. – 20. 1. 1930 durch die innenpolitischen Spannungen im Deutschen Reich. Vgl. bspw.: Mielcke, Weimarer Republik, S. 101. 140 Exemplarisch sind hier die Äußerungen Hans-Joachim Winklers (ders., Weimarer Demokratie, S. 22 – 5), bei dem sich fast alle Argumente wiederfinden.

A. „Schlechte Weimarer Erfahrung“ in der Forschung der frühen BRD

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ist ein Argument gegen Volksgesetzgebung und ein Plädoyer für ein rein repräsentatives Verfassungsgefüge. Er widerlegt damit Protagonisten der Parlamentarismusdiskussion in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft wie vor allem Carl Schmitt.141 Eine wichtige, wenn auch eher psychologische Rolle für die Entstehung eines Bildes von der „schlechten Weimarer Erfahrung“ haben die nationalsozialistischen Volksabstimmungen gespielt. Sie waren für viele Wissenschaftler bewusst oder auch unbewusst die logische Konsequenz, die sich aus der in der Weimarer Republik bereits erkennbaren Missbrauchsanfälligkeit von Volksbegehren und Volksentscheid ergab. Weitergehend von großer Bedeutung für die allgemeine Rezeption der herrschenden Meinung in Deutschland ist schließlich nach 1949 die Berufung der Staatsrechtswissenschaft auf „schlechte Weimarer Erfahrungen“ mit Volksgesetzgebung insbesondere im Zusammenhang mit Art. 20 II Satz 2. Die Staatsrechtswissenschaft ist in der Bundesrepublik – anders als in der Weimarer Republik und auch in der Phase der „völkisch-plebiszitären“ Begrifflichkeiten 1933 bis 1945 – in ihrer Grundhaltung deutlich antiplebiszitär geworden. Insbesondere die in Bezug auf die Staatsrechtswissenschaft dargestellte Entwicklung ist ein gutes Beispiel und Beleg für eine Verobjektivierung von „Weimarer Erfahrungen“ zu einer verfassungspolitischen, feststehenden Lehre, Kenntnis und Wertung mit konkreter Zielsetzung. Erinnert sei an die Ausführungen zum Erfahrungsbegriff in der Einführung zu diesem Teil der Arbeit. Erinnert sei in Bezug auf die rechtspolitische Wirkung auch an die Diskussionen in der Gemeinsamen Verfassungskommission, in der viele Juristen mitwirkten. Für viele von ihnen war die dargestellte Sicht auf das Grundgesetz ein Grundpfeiler ihrer Ausbildung.

5. Fortführung und Bestätigung bewährter Deutungen bis in die Gegenwart Die im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitete Deutung der Weimarer Volksgesetzgebung, die sich in der Forschung der frühen Bundesrepublik im weitgehenden Konsens gebildet hat, besteht bis heute trotz zunehmender Kritik und Forderung nach Revision als „herrschende Meinung“ fort. In Bezug auf die Staatsrechtslehre wurde dies bereits in Abschnitt 1. c) dieses Kapitels aufgezeigt. Dies gilt aber insbesondere auch für die historische Darstellung, wie sie sich beispielsweise in neueren Schulbüchern wiederfindet.142 Forschungsgeschichtlich erklärt sich die Fortführung zum einen dadurch, dass Autoren wie Gerhard Schulz, Karl Vgl. Ausführungen zu Schmitt in Kap. II B. 4. a). Vgl. Wolfgang Hug, Geschichtliche Weltkunde (2. ver. Aufl.), Bd. 3, Berlin 1979, S. 83; Peter Alter / Gerhard Hufnagel u. a., Grundriss der Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1994, S. 260; Serge Zogg, Direkte Demokratie in Westeuropa, Bd. II, Aarau 2000, S. 92. 141 142

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Dietrich Bracher und andere bis in die jüngste Zeit publiziert haben oder noch publizieren, ohne die bewährten Erklärungsmuster in Bezug auf die Weimarer Volksgesetzgebung grundsätzlich in Frage zu stellen.143 Aber auch eine große Zahl jüngerer, einflussreicher Historiker wie Hans Mommsen, Hagen Schulze, Karlheinz Dederke, Eberhard Kolb, Klaus Schwabe, Heinrich August Winkler oder Andreas Wirsching haben in ihren allgemeinen Darstellungen über Weimar ganz oder zumindest in großen Teilen, ausführlich oder nur sehr kurz, die „bewährten“ Deutungen übernommen.144 Gegenstand der Betrachtungen und Grundlage der Bewertungen sind bis heute in erster Linie der Volksentscheid gegen den Young-Plan, gefolgt von der Kampagne zur Enteignung der Fürsten. Nur vereinzelt wird auf das Volksbegehren gegen den „Panzerkreuzer A“ oder andere Versuche plebiszitärer Gesetzgebung Bezug genommen.145 Aber nicht nur allgemeine Darstellungen zur Geschichte Weimars wiederholen entweder selbstverständlich die herrschende Lehre oder bestätigen sie explizit. Auch die am Ende der 60er Jahre mit Arbeiten von Franklin C. West, Ulrich Schüren und Reinhard Schiffers beginnende detaillierte Erforschung der Volksgesetzgebung als Verfassungselement allgemein, sowie des Begehrens und Entscheids zur Enteignung der Fürsten 1926 im besonderen, kommt auf den ersten Blick zu einer negativen Bewertung.146 Insbesondere West bestätigt in seiner erst 1985 veröffentlichten Arbeit „A Crisis of the Weimar Republik: The German Referendum of 20 June 1926“ die bestehende Bewertung fast vollständig, während Schiffers und der sich in der Beurteilung an ihm orientierende Schüren ihr nur teilweise folgen. Diese Autoren stellen im Fall der Fürste143 Vgl. exemplarisch Gerhard Schulz, Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg 1918 – 1945 (2. Aufl.), Göttingen 1982, S. 94; Karl Dietrich Bracher, Überlegungen zu Verfassung und Scheitern der Weimarer Republik – Kommentar, in: Andreas Rödder (Hrsg.), Weimar und die Deutsche Verfassung, Geschichte und Aktualität von 1919, Stuttgart 1999, S. 55 – 65. 144 Vgl. Hans Mommsen, Die verspielte Freiheit, Der Weg von der Republik von Weimar in den Untergang 1918 bis 1933, Berlin 1989, S. 248 – 52, 259, 274 – 87; Schulze, Weimar, S. 300 – 311; Karlheinz Dederke, Reich und Republik, Deutschland 1917 – 1933 (8. überarb. Aufl.), Stuttgart 1996, S. 201 – 202; Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik (3. Aufl.), München 1993, S. 70, 83, 116 f., 129; ebd. (4. Aufl.),München 1998, S. 83, 117; Klaus Schwabe, Der Weg der Republik vom Kapp-Putsch 1920 bis zum Scheitern des Kabinetts Müller 1930, in: Karl Dietrich Bracher / Manfred Funke / Hans-Adolf Jakobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918 – 1933, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1987, S. 95 – 133, 128; Heinrich August Winkler, Weimar 1918 – 1933, Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 312 – 314, 339, 349 – 356; ders., Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, Deutsche Geschichte vom Ende des alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik (3. Aufl.), München 2001, S. 417, 478 ff., 481 ff.; Dieter Gessner, Die Weimarer Republik, Darmstadt 2002, S. 98 – 100; Andreas Wirsching, Die Weimarer Republik, Politik und Gesellschaft, München 2000, S. 10, 31. 145 So: Gessner, Die Weimarer Republik, S. 99. 146 Vgl. Franklin C. West, A Crisis of the Weimar Republik, The German Referendum of 20 June 1926, Philadelphia 1985. Dieses Werk beruht auf Forschungen aus den 60er Jahren und wurde unter dem Titel „The Parties, the Princes, and the People“ 1970 als Dissertation eingereicht. Als Buch erschien es erst 1985; Ulrich Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, a. a. O.; Schiffers, Elemente, a. a. O.

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nenteignung die bestehende Wertung zwar nicht völlig in Frage, beide sind aber gleichzeitig Ausgangspunkt einer sich nach ihnen entwickelnden Neubewertung. Ihre Position wird deshalb nur teilweise in diesem, vor allem aber im Folgenden Abschnitt B. behandelt. Wenn hier festgestellt wird, dass in der jüngeren Forschung die „herrschende Meinung“ wiederholt und bestätigt wird, so heißt dies nicht, dass jüngere Wissenschaftler sie nicht vielfach durch weitere Aspekte bereichern, oder sie in einem neuen differenzierteren Gewand zeichnen. Wie sich die „bewährte Deutung“ in der Forschung nach ca. 1970 bis heute darstellt, insbesondere um welche neuen Aspekte sie ergänzt wird, soll deshalb genauer betrachtet werden. Wie bereits bei Gerhard Schulz oder Werner Conze erscheint auch in der jüngeren Forschung die Kampagne gegen eine Restitution fürstlichen Eigentums 1926 vor allem als ein Produkt kommunistischer Agitation und Demagogie. Hans Mommsen und Hagen Schulze sehen in dem politischen Problem nur eine „Nebenfrage“ oder einen „unscheinbaren Anlass“, der erst durch die Propaganda im Zusammenwirken mit anderen Faktoren zu einer der „umfassendsten politischen Auseinandersetzungen in Deutschland seit der Revolution“ geworden sei.147 Die Bewertung als eine aus dem Volk heraus entstehende Bewegung wird weiterhin mehrheitlich abgelehnt,148 wie auch die Deutung vorherrscht, es sei der KPD gar nicht in erster Linie um den Inhalt des Begehrens gegangen. Anders als in der älteren Forschung finden sich hierzu aber nun auch konkrete Begründungen. So sieht Schüren die innerparteiliche Situation als wichtigen Grund für den Vorstoß der KPD an. Nach dem Kurswechsel des Herbstes 1925 habe die Parteiführung unter Ernst Thälmann auf diese Weise die Rückkehr zu einer Politik der linken Einheitsfront demonstrieren wollen. Dazu habe sich ein Vorgehen gegen den „alten Klassenfeind“ angeboten.149 Laut Franklin C. West ist es dem Zentralkomitee um Ernst Thälmann auf diese Weise außerdem gelungen, innerparteiliche Opposition, namentlich Karl Korsch, Ernst Schwarz, Ruth Fischer, Arkadij Maslow und Hugo Urbahn, endgültig auszuschalten. Die genannten Parteiführer, von denen Maslow und Fischer bereits im Herbst 1925 im Rahmen der Verkündung des neuen Kurses aus der Führung herausgewählt worden waren, wurden gleichzeitig mit der Kampagne gegen die Fürsten endgültig aus der Partei ausgeschlossen. Möglich sei dies nur gewesen, da Thälmann durch den zumindest moralischen Erfolg der Initiative seinen innerparteilichen Führungsanspruch endgültig habe durchsetzen können.150 Heinrich August Winkler deutet den Vorstoß der KPD als Bemühen darum, „einen 147 H. Mommsen, Freiheit, S. 248; ders., Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar, 1918 – 1933, Berlin 1997, S. 296 ff.; Schulze, Weimar, S. 300. 148 Vgl. exemplarisch: Kolb, Republik, S. 83. Anders: Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 81, 139, 277. Differenzierend: Mommsen, Aufstieg und Untergang, S. 297. 149 Ebd. S. 62. Vgl. auch: Ossip K. Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, Neuauflage Hannover 1986, S. 174 – 185. 150 West, Crisis, S. 326.

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Keil zwischen Mitglieder und Führer von SPD und Gewerkschaften zu treiben“.151 Man habe die große Popularität der Forderung bei der Basis von SPD und Gewerkschaften gegen die eher ablehnende Haltung der Führungsgremien ausspielen wollen, letztere entweder als Verräter brandmarken oder aber zur Mitarbeit zwingen wollen.152 Helmut Heiber und Stefan Meineke sehen in der Initiative der KPD vor allem den im Ergebnis erfolgreichen Versuch, einen Eintritt der SPD in eine große Koalition zusammen mit DDP, Zentrum und DVP zu verhindern. Insbesondere die DDP habe nur zu dem Zwecke, eine große Koalition zu initiieren, am 23. November 1925 einen nicht nur für Zentrum und DVP, sondern auch für die SPD akzeptablen Kompromissvorschlag zur Lösung der Vermögensfrage in den Reichstag eingebracht.153 Der politische Druck der Kommunisten habe die SPD jedoch daran gehindert, das angebotene Sprungbrett zu einer Regierungsbeteiligung zu nützen.154 Von großer Bedeutung ist, dass im Fall der plebiszitären Kampagne 1926 die Fraenkelsche Argumentation gegen das Nebeneinander von Parteienwesen und Volksgesetzgebung bei einigen Autoren als empirisch belegt erscheint. Seine Theorie, nach der die direkte Gesetzgebung durch das Volk die Parteien vor existenzielle Zerreißproben stelle, wird bestätigt. Angeführt werden die innerparteilichen Konflikte und Spannungen zwischen Befürwortern und Gegnern einer Fürstenenteignung in der SPD, dem Zentrum, insbesondere aber der DDP.155 Ulrich Schüren stellt im Fall der DDP einen durch die Frage nach einer offiziellen Parteilinie ausgelösten „desolaten Zustand“ der Partei und ein „drohendes Auseinanderbrechen“ fest.156 Viele Menschen hätten ihre alten Parteien verlassen. Diese hätten sich aber nicht der KPD zugewandt, sondern seien später Mitglieder der NSDAP geworden.157 Aber nicht nur die These Fraenkels über die Unvereinbarkeit von plebiszitärer Gesetzgebung und Parteienwesen wird auf empirischer Ebene wieder aufgegriffen. Auch die durch ihn und Karl Dietrich Bracher aufgeworfene Frage nach der grundH. A. Winkler, Weimar, S. 312 – 313. Vgl. auch H. Mommsen, Freiheit, S. 249. 153 Helmut Heiber, Die Republik von Weimar, in: Deutsche Geschichte seit dem ersten Weltkrieg, Bd. 1, Stuttgart 1971, S. 139; Stefan Meineke, Die antiplebiszitäre Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates – eine Fehlverarbeitung der Geschichte?, in: JfP 2 (1992), Hlbd. 2, S. 215 – 17; auch West, Crisis, S. 52. 154 Auslöser dieser Situation sei der Rücktritt des ersten Kabinetts Luther gewesen, der Überlegungen innerhalb der bürgerlichen Parteien über eine Regierungsbeteiligung der SPD zur Überwindung der Wirtschaftskrise durch eine breite Regierungsmehrheit hervorgerufen habe. Vgl. ebd. sowie: H. A. Winkler, Weimar, S. 311; ders., Weg nach Westen, Bd. 1., S. 471. Winkler führt auch sozialpolitische Forderungen der SPD und ihren mangelnden Willen zur Macht als Grund für die im Ergebnis dann doch scheiternde Regierungsbeteiligung an. 155 Vgl. West, Crisis, S. 143; Schulze, Weimar, S. 301 – 2; H. Mommsen, Freiheit, S. 249. 156 Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 224 – 225. 157 Ebd., S. 280; Schulze, Weimar, S. 302. 151 152

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sätzlichen Vereinbarkeit von Repräsentation und direkter Demokratie für die Regierbarkeit Weimars wird auf der Ebene der Verfassungswirklichkeit konkret behandelt.158 Hier ist es Franklin C. West, der am Fallbeispiel der Fürstenenteignung eine grundsätzliche Inkompatibilität von repräsentativer und plebiszitärer Gesetzgebung feststellt. Im Ergebnis sei 1926 eine parlamentarische Lösung des Problems immer wieder durch die parallel ablaufenden Etappen des Volksgesetzgebungsverfahrens massiv behindert und im Ergebnis auch verhindert worden: „It is possible to distinguish three periods in which intensive attemps were made to resolve party differences in order to permit passage of Reichstag legislation before June 20, the date of the referendum. In each period negotiations reached a peak of activity (and then broke down) just preceding a key stage in the progress of the initiative and referendum campaign.“159

Die erste dieser drei jeweils von dem Volksgesetzgebungsverfahren unterbrochenen Verhandlungsphasen sieht West Anfang März 1926. Zu diesem Zeitpunkt seien intensive politische Verhandlungen zwischen den Parteien über einen Kompromiss geführt worden, die mit der beginnenden Eintragungsfrist für das Volksbegehren vom vierten bis elften März ein Ende gefunden hätten. Eine zweite Verhandlungsphase habe es dann Mitte April 1926 gegeben, unterbrochen durch die Verhandlungen über den durch das erfolgreiche Volksbegehren in den Reichstag gelangten Gesetzentwurf. Ein dritter Anlauf zur Findung einer parlamentarischen Lösung sei dann unmittelbar vor dem Volksentscheid selbst gemacht worden. Dieser habe aber angesichts der bevorstehenden Abstimmung eine nur noch geringe Erfolgsaussicht gehabt; und auch nach dem Scheitern des Volksentscheids selbst sei schließlich ein letzter schwacher Versuch zur Kompromissfindung an dem Gewicht der insgesamt überwältigenden Anzahl von „Ja-Stimmen“ in der Abstimmung gescheitert. West sieht dabei jedes Mal die von der Volksgesetzgebung ausgehenden innenpolitischen Störungen und Spannungen als wichtigen Grund für das Scheitern an: „There is little doubt that the progress of the initiative and referendum campaign interfered with the ability of the parties to reach a legislative solution in the Reichstag. [ . . . ]. The course actually followed, i.e., that of conducting an initiative and referendum campaign while parliamentary action on the same problem was simultaneously in process, was ill considered and almost inherently doomed to failure.“160

Obwohl sich im Fall des Volksentscheids zur Enteignung der Fürsten wie bereits in der früheren Forschung auch Autoren finden, die einen deutlichen Unterschied zur Young-Plan-Kampagne sehen, so überwiegen weiter die Stimmen, die die Enteignungsinitiative explizit oder implizit auf ein und dieselbe Ebene mit der Initia158

Vgl. ganz im Sinne bracherscher Deutungsmuster: Gessner, Die Weimarer Republik,

S. 99. West, Crisis, S. 140. Ebd., S. 329. Im Ergebnis wird damit bestätigt, was der Rechtshistoriker Ernst Rudolf Huber eine Antinomie der beiden Gesetzgebungsarten genannt hat. Vgl. Huber, Reichsverfassung, Bd. 6, S. 39, 430. 159 160

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tive für ein „Freiheitsgesetz“ heben. Die Volksgesetzgebung ist in beiden Fällen gleichermaßen demagogisches Destruktionsinstrument und Waffe gegen den politischen Gegner und die Republik. In jüngster Zeit hat dies Andreas Wirsching, der beiden Verfahren „erhebliche Bedeutung“ beimisst, in folgender Weise ausgedrückt: „Während beide Volksbegehren von den jeweiligen extremistischen Flügelparteien, 1926 der KPD, 1929 der NSDAP, im überwiegend demagogisch antirepublikanischen Sinne instrumentalisiert wurden, rissen sie doch zugleich tiefe Gräben zwischen denen auf, die gemeinsam die Republik hätten tragen können, nämlich Sozialdemokratie und gemäßigtes Bürgertum.“161

Wirsching konkretisiert damit die von vielen Autoren der herrschenden Meinung oft nur allgemein mit „politische Polarisierung“ bezeichnete Folge der Verfahren dahingehend, dass damit unter anderem das gegeneinander Aufbringen der die Republik tragenden gesellschaftlichen Kräfte gemeint ist. Ausnahmen in Bezug auf die Deutung des Verfahrens zur Fürstenenteignung sind Ulrich Schüren, der darin eine von Beginn an echte Volksbewegung sieht,162 Gottfried Niedhart, der sie als eine innenpolitische Linkswendung in der Bevölkerung deutet163 und Hans Mommsen, der das Ergebnis unter anderem als ein „Bekenntnis breiter Massen zur Republik“ interpretiert.164 Mommsen stellt aber auch fest, dass in der Abwehr des Volksbegehrens sich bereits der „Kampfblock der Rechtsparteien“, die „Mobilisierung von Antibolschewismus und Antisemitismus“ zusammengefunden habe, die dann „seit 1931 die Reste des parlamentarischen Systems zerschlagen“ sollten.165 Der vielfach vielleicht nur unbewusst hergestellte Bewertungszusammenhang zwischen „Young-Plan“ und „Fürstenenteignung“ lässt sich auch bei Hagen Schulze vermuten, der die Deutungen zum Volksentscheid von 1929 auch für das frühere Volksbegehren feststellt: zwar sei es der KPD 1926 gelungen, „aus dem sektiererischen Ghetto“ auszubrechen, die politisch aufgeschreckten Menschen seien jedoch „nicht in die Bahnen der KPD“ eingeschwenkt, sondern hätten „ihre neue Heimat bei den Nationalsozialisten“ gefunden.166 Anders als im Fall der Volksgesetzgebung zur Fürstenenteignung liegt für den Volksentscheid und das Volksbegehren gegen den Young-Plan bis heute keine umfassende historische Analyse vor. Es existieren nur punktuelle Untersuchungen 161 Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 10. Ähnlich auch: Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 397. 162 Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 81, 139, 277. 163 Gottfried Niedhart, Deutsche Geschichte 1918 – 1933, Politik in der Weimarer Republik und der Sieg der Rechten, Stuttgart 1994, S. 1115 – 1116. 164 H. Mommsen, Freiheit, S. 248, 251; ders., Aufstieg und Untergang, S. 300. 165 Ebd., S. 251. 166 Schulze, Weimar, S. 301 – 302.

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und Darstellungen, die zumeist aufgrund ihres geringen Umfangs an der Oberfläche verharren.167 Dies ist insofern verwunderlich, als die Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung in Deutschland bis heute vor allem auf diesem Volksgesetzgebungsverfahren beruht. Übereinstimmend wird es als ein Angriff auf die Republik gesehen, deren zentrale Charakteristika skrupellose Propaganda, vor allem aber Demagogie waren.168 Wenn das Volksbegehren auch bei vielen Autoren nicht mehr als der Anfang vom Ende Weimars erscheint, so finden sich doch wie bei Hagen Schulze noch immer Formulierungen, wonach „die Kampagne gegen den Young-Plan“ eine „unheilvolle Entwicklung“ habe erkennen lassen.169 Als wichtigstes unmittelbares Ergebnis des Volksentscheids wird dabei bis heute der Aufstieg der NSDAP unter Hitler von einer Splittergruppe zu einer gesellschaftsfähigen und wählbaren Partei hin gesehen, der sich die Kassen der deutschen Wirtschaft und die Ohren der Massen zu öffnen begannen.170 Für das Begehren 1929 finden sich im Rahmen der „herrschenden Lehre“ also wenig neue Interpretationen und Deutungen. Neben der relativierenden Feststellung, dass das Scheitern des Volksentscheids auch noch bestehende Grenzen für den Rechtsradikalismus gezeigt habe171 und dem Verweis auf die Spaltung der DNVP 1929,172 erhält vor allem die Verknüpfung der Kampagne mit dem Beginn der Präsidialkabinette unter Brüning Bedeutung. Volker R. Berghahn hat sich 1978 in einem Aufsatz mit der Frage beschäftigt, inwieweit die plebiszitären Pläne der „Nationalen Opposition“ und die Young-Plan-Kampagne Einfluss auf die Einführung der Präsidialkabinette nahmen.173 Berghahn sieht einen direkten Wirkungszusammenhang. Anknüpfungspunkt sind hierbei Forderungen innerhalb des Stahlhelms im Herbst 1928, ein Volksbegehren zur Abänderung der Verfassung zu initiieren. Diesen durchaus chancenreichen Plan einer plebiszitären Entmachtung des 167 Zu nennen sind hier der diesbezügliche Abschnitt in: Otmar Jung, Direkte Demokratie, S. 109 – 133; ders., Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Youngplan für die NSDAP, in: Geschichte und Gesellschaft 15, 1989, S. 489 – 510. Einen Teilbereich betreffend: Kurt A. Holz, Die Diskussion um den Dawes- und den Young-Plan in der deutschen Presse, Diss. jur., Köln 1977. 168 Vgl. H. Mommsen, Freiheit, S. 274, 283 – 285; Kolb, Republik, S. 116 – 7; Horst Möller, Weimar, Die unvollendete Demokratie, München 1985, S. 167, 181; ders., Parlamentarismus in Preußen 1919 – 1932, Düsseldorf 1985, S. 316; Heiber, Weimar, S. 158. 169 Schulze, Weimar, S. 311. 170 Vgl. exemplarisch: H.A. Winkler, Weimar, S. 356; ders. Weg nach Westen, Bd. 1, S. 482; Schwabe, Der Weg der Republik, S. 128; Kolb, Weimar, S. 116 – 167; H. Mommsen, Freiheit, S. 286; Heiber, Weimar, S. 157. 171 So Niedhart, Geschichte 1918 – 1933, S. 118; Mommsen, Aufstieg und Untergang, S. 342. 172 H. A. Winkler, Weg nach Westen, Bd. 1, S. 481. 173 Volker R. Berghahn, Das Volksbegehren gegen den Young-Plan und die Ursprünge des Präsidialregimes, 1928 – 1930, in: Dirk Stegmann / Bernd-Jürgen Wendt / Peter Christian Witt (Hrsg.), Industrielle Gesellschaft und politisches System, (Beiträge zur politischen Sozialgeschichte), Bonn 1978, S. 431 – 446.

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Reichstages und die Einführung eines Präsidialregimes habe der Stahlhelm aufgegeben und sich mit Hugenberg und Hitler auf eine im Ergebnis zum Scheitern verurteilte Instrumentalisierung des Young-Plans gegen die Republik und die verhasste „Kriegsschuldlüge“ verständigt. Durch die indiskutablen Forderungen des „Freiheitsgesetzes“ und insbesondere auch die „rigorose Obstruktionspolitik“ Hugenbergs sei danach die Möglichkeit, sich mit den politischen Kräften um Hindenburg und insbesondere mit Schleicher über einen „Reformismus nach rechts“ im Rahmen des bestehenden Verfassungsgefüges zu verständigen, nicht mehr möglich gewesen.174 Dennoch hätten die Radikalen „ihr breiter gestecktes Ziel“ – die Zerstörung des parlamentarischen Systems – gewissermaßen durch die Hintertür schon damals erreicht: „Denn es war die außerparlamentarische Aktion Hugenbergs, die der schon 1926 [in den Kreisen um Hindenburg] ventilierten außerparlamentarischen Lösung eines Präsidialregimes zum Durchbruch verhalf.“175 Hindenburg habe sich endgültig zu diesem Schritt überreden lassen, da er keine Chance mehr auf eine parlamentarische Bildung einer Rechtsregierung sah. Der Volksentscheid gegen den Young-Plan erhält so eine neue, den Untergang Weimars auslösende Bedeutung, die neben die Wertung als Hitlers Steigbügel tritt. Nicht nur, dass ihm diese Kampagne die entscheidende öffentliche Plattform geboten habe, auch die von ihm gewünschte Abschaffung der Republik sei bereits durch die beginnende Demontage des Parlamentarismus eingeleitet worden. Neben dieser These Berghahns ist schließlich noch die Einschätzung des Politologen Stefan Meineke erwähnenswert, vor allem die Plebiszite im Reich und in den Ländern gegen Ende der Republik hätten zu einer Verlagerung der politischen Auseinandersetzung auf die Straße geführt, was die vermeintliche Notwendigkeit einer Militarisierung der Parteien mit sich gebracht habe. Der Volksentscheid gegen den Young-Plan erscheint so als ein wichtiger Auslöser für Straßenkämpfe und die Aufrüstung paramilitärischer Parteiverbände.176 Wie bereits ausgeführt, wird auch in der jüngeren Forschung auf das Volksbegehren gegen den Bau des „Panzerkreuzers A“ wenig eingegangen.177 Mehr Beachtung findet jedoch zumindest die mit dem Volksgesetzgebungsverfahren verbundene innenpolitische Problematik, insbesondere die prekäre Lage, in die sich die SPD und Kanzler Müller begaben. Hagen Schulze und Hans Mommsen bieten Ebd., S. 434 – 435, 446. Ebd. S. 446. Zustimmend: Stefan Meineke, Die Weimarer Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz der Forschung und Kritik neuer Revisionsversuche, Stellungnahme zum Beitrag Jungs im Jahrbuch für Politik 1993, in: JfP 4 (1994), 1. Hlbd., S. 130. 176 Vgl. Stefan Meineke, Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 224. 177 Eine Ausnahme sind hier H.A. Winkler und eingeschränkt Andreas Wirsching. H. A. Winkler (ders., Winkler, Weimar, S. 339) deutet den Vorstoß der KPD als Versuch, die damals in der SPD auftretenden Spannungen zu vertiefen. Wirsching (vgl. Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 31) sieht in der ganzen Panzerkreuzeraffäre und damit wohl auch dem Volksbegehren einen der Gründe für die „Dauerkrise“ des Kabinetts unter Reichskanzler Müller. 174 175

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hier Beispiele für detaillierte historische Darstellungen, bei denen das politische Element der Volksgesetzgebung allerdings ausgespart wird.178 Die herrschende Meinung findet sich am deutlichsten – auf der Grundlage moderner Forschung einschließlich der neu hinzutretenden Argumente – in zwei Beiträgen des bereits genannten Stefan Meineke im Jahrbuch für Politik von 1992 und 1994. Er sieht neben den klassischen Bewertungen der Verfassungswirklichkeit vor allem unlösbare strukturelle Probleme mit dem Verfassungsinstitut, die zu den „Weimarer Erfahrungen“ geführt hätten, und die auch heute gegen eine Wiedereinführung sprächen. Weimar habe gezeigt, dass die Volksgesetzgebung in der Praxis vor allem in Zeiten sozialer und politischer Unsicherheit aufträte. Anstatt diese zu vermindern, verschärfe sie diese aber nur. Durch die fehlende Möglichkeit, einen Kompromiss finden zu können, käme es zu einer noch größeren Polarisierung, ja es entständen erst echte Krisen. Tatsächlich bedeute „eine Volksinitiative nicht den Anfang, sondern das Ende jeder sachbezogenen Erörterung“ eines Themas.179 Es käme zudem nie der „echte Volkswille“ ans Tageslicht, dies zum einen durch die massive Intervention der Parteien, zum anderen aber vor allem deshalb, weil die „Komplexität der Dinge“ mit der „Unwissenheit“ des Bürgers zusammentreffe, der oft nicht in der Lage sei, die Frage in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Meineke hält zudem das Durchführungsverfahren der Volksgesetzgebung, vor allem das Quorum, nicht nur für eine wichtige Problemquelle, sondern er kommt auch zu dem Schluss, dass es einfach kein überzeugendes Alternativverfahren gäbe, weswegen Volksinitiativen eben auch für die Zukunft abzulehnen seien.180 Die Volksgesetzgebung stellt für ihn eine grundsätzliche Gefährdung der Funktionstüchtigkeit des politischen Systems dar. Insgesamt erscheint die vom Verfasser für die 50er und 60er Jahre herausgearbeitete „herrschende Meinung“ bei den meisten Autoren der jüngeren Forschung nicht mit all ihren Elementen. Oftmals tauchen nur einzelne Argumentationsstränge auf, diese dann in variierender Gestalt. Manchmal klingt eine negative Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung auch mehr durch, als dass sie ausdrücklich geäußert wird,181 oder andere, neue Argumente bestätigen eine schlechte „Weimarer Erfahrung“. Diese können auch weiterhin auf einer „empirischen“ und einer übergeordnet verfassungstheoretischen beziehungsweise politologischen Ebene angesiedelt werden. Beide Ebenen werden durch die detaillierte Erforschung gerade der Kampagne für eine Fürstenenteignung zunehmend miteinander verknüpft. Autoren wie Meineke und Berghahn stellen dabei die Speerspitze der 178 Schulze, Weimar, S. 308; H. Mommsen, Freiheit, S. 259 f.; H. A. Winkler, Weg nach Westen, S. 476 ff. 179 Meineke, Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 203 – 4; ders., Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz, S. 110, 122. 180 Ders., Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 211 – 113. 181 Vgl. bspw.: Carl-Ludwig Holtfrerich, Economic Policy Options and the End of the Weimar Republic, in: Ian Kershaw (Hrsg.), Weimar: Why did German Democracy fail?, London 1990, S. 155; Kershaw, Introduction: Perspectives of Weimars Failure, in: ebd., S. 20.

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Forschung zu alten / neuen negativen „Weimarer Erfahrungen“ dar. Sie schätzen die Erfahrungen nicht nur negativ ein, sondern betonen darüber hinaus eine erhebliche Mitschuld der Volksgesetzgebung am Untergang Weimars.182 Dies gilt allerdings nicht mehr so uneingeschränkt für die allgemeinen Darstellungen der Weimarer Geschichte und der Gründe ihres Scheiterns. Insgesamt lässt sich quer durch die Literatur die Tendenz feststellen, dass sich bei inhaltlicher Fortführung bewährter Deutungen das Gewicht der Volksgesetzgebung und der aus ihr geborenen Volksbegehren verändert hat. Der Volksentscheid zur Enteignung der Fürsten und sogar die Initiative gegen den Young-Plan treten in ihrer Bedeutsamkeit für Weimars Untergang zurück.183 Die Vorstellung einer durch die Young-Kampagne ausgelösten „plebiszitär-revolutionären Flut“, zu der Newman 1965 kam, findet sich nirgendwo mehr. Am deutlichsten lässt sich dies anhand der Protokolle einer hochkarätig besetzten internationalen Konferenz 1983 in Berlin mit dem Thema „Deutschlands Weg in die Diktatur“ aufzeigen.184 In der ersten Arbeitssitzung zum Thema „Weimar-Krise und Zerstörung einer parlamentarischen Demokratie“ unter der Leitung von Karl Dietrich Bracher, an der Hans und Wolfgang J. Mommsen, Hagen Schulze, Gerhard Schulz, Horst Möller, Fritz Fischer, Ossip K. Flechtheim und andere einflussreiche Wissenschaftler teilnahmen, wurde die Volksgesetzgebung kein einziges Mal erwähnt, obwohl konkret über politikstrukturelle Faktoren und Ereignisse diskutiert wurde, die zu Weimars Untergang beitrugen.185 Man könnte nun annehmen, dass die herrschende Meinung zur Volksgesetzgebung in dieser Runde so stark vertreten war, dass sie keiner Diskussion mehr würdig erschien. Diese Erklärung reicht aber angesichts dieser überdeutlichen „Missachtung“ nicht aus. Der Grund ist eher in einer Neugewichtung zu suchen, für die verschiedene Erklärungen denkbar erscheinen. Zum einen spielt sicher die fortschreitende Erforschung Weimars eine große Rolle, die viele neue Entwicklungsfaktoren und Theorien für Weimars Scheitern hervorbrachte und bringt. Die Geschichtswissenschaft erweiterte vor allem gegen Ende der sechziger Jahre ihr Methodenspektrum. Langsam entwickelten sich insbesondere die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte als eigenständige Forschungsbereiche.186 Ein Grund mag auch ein differenzierter Umgang mit den Gründen für Weimars Untergang sein, die in der Forschung der frühen Bundesrepublik noch gleichberechtigt nebeneinander zu stehen schienen. Als Beispiel kann hier die sich erst im Laufe der Zeit ent182 Ebenso: Karl Josef Bertges, Die repräsentative Demokratie und das plebiszitäre Element, Köln 1987, S. 57 – 8. 183 Vgl. als eine der jüngsten Gesamtdarstellungen: H. A. Winkler, Weg nach Westen, Bd. 1, S. 407, 481 ff., 496 ff. 184 Martin Broszat / Ulrich Dübber / Horst Möller u. a. (Hrsg.), Deutschlands Weg in die Diktatur, Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen Machtübernahme, Referate und Diskussionen, Ein Protokoll, Berlin 1983; Vgl. auch: Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 97. 185 Ebd., S. 117 – 184; Grimm, Mißglückt oder glücklos, S. 151 – 162. 186 Vgl. hierzu allgemein: Anselm Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte, S. 2 – 5.

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wickelnde differenziertere Behandlung der Begrifflichkeit plebiszitär / präsidial bei Bracher angeführt werden. Schließlich mag die zunehmende Kritik in der Forschung an der herrschenden Meinung und die Forderung nach einer Revision Einfluss genommen haben.

B. Von der Relativierung der herrschenden Meinung bis zur „guten Weimarer Erfahrung“ – Revisionistische Tendenzen in der bundesrepublikanischen Wissenschaft seit Ende der 60er Jahre Eine tiefergehende historische Aufarbeitung der Weimarer Volksgesetzgebung setzte erst gegen Ende der 60er Jahre ein. Sie bedeutete für Teile der Wissenschaft die bereits dargestellte Fortführung und Ausdifferenzierung bewährter Deutungen. Gleichzeitig wurde aber auch eine neue Phase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksgesetzgebung eingeläutet. Sie ist charakterisiert durch den Ruf nach einer partiellen oder auch totalen Revision der herrschenden Meinung. Wichtige Ausgangspunkte dieser neuen Entwicklungslinie sind die Arbeiten „Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem“ des Historikers Reinhard Schiffers von 1971 sowie „Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926“ von Ulrich Schüren von 1978.187 Ihnen, die noch nicht als echte Revisionisten bezeichnet werden können, ist der erste (1.) der folgenden Unterabschnitte gewidmet. In der Folgezeit vor allem der Monographie Schiffers haben sich immer mehr Stimmen erhoben, die die bisherigen Deutungsweisen teilweise oder auch grundsätzlich in Frage stellen und eine Neubewertung vornehmen. Ihre neuen Sichtweisen und Schlussfolgerungen zu einzelnen in der frühen Bundesrepublik formulierten „schlechten Erfahrungen“ mit Volksgesetzgebung sind Gegenstand des zweiten Unterabschnitts (2.). In einem dritten (3.) wird dann gesondert auf den Politologen und Zeithistoriker Otmar Jung eingegangen. Er ist der wichtigste Protagonist einer völligen wissenschaftlichen Neubewertung und hat anhand des Verfahrens zur „Fürstenenteignung 1926“ ein ganz eigenes Gesamtkonzept zur historisch-politologischen Auseinandersetzung mit Weimarer Volksgesetzgebung entwickelt. Danach wird untersucht, ob man schon von einer einheitlichen Gegenposition der Revisionisten zur herrschenden Meinung sprechen kann (4.). Den Abschluss (5.) der Untersuchung der neuen revisionistischen Strömung bildet die Darstellung der heftigen Kontroverse Jungs mit dem Politologen Stefan Meineke von 1992 bis 1996. In ihr sind herrschende Meinung und Neubewertung unmittelbar aufeinander getroffen.

187 Die noch ältere, im vorangehenden Kapitel behandelte, Dissertation von Franklin C. West wurde erst 1985 veröffentlicht und war der Wissenschaft in Deutschland vorher nicht bekannt.

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1. Reinhard Schiffers (1971), Ulrich Schüren (1978) und die „ambivalente Wirkung“ von Volksentscheid und Volksbegehren in der Weimarer Republik – Wegbereiter einer differenzierteren Betrachtungsweise Die Untersuchung Reinhard Schiffers’ über die „Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem“, die der Politologe Stefan Meineke 1992 „Höhepunkt und Abschluss“ einer wissenschaftlichen Aufarbeitung plebiszitärer Elemente in der Weimarer Verfassung genannt hat,188 entstand in der Hauptsache gegen Ende der 60er Jahre. Wie der Aufsatz Fraenkels 1958 fiel ihre Entstehung damit in eine Phase intensiver innenpolitischer Verfassungsreformdiskussionen, in denen die Frage nach einer Wiedereinführung der Volksgesetzgebung aktuelle Bedeutung hatte.189 Es handelte sich hierbei um die innenpolitische Entwicklung, die im Ergebnis zu der bereits dargestellten Arbeit der Enquetekommission 1971 – 1976 führte.190 Nach der Bildung der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger 1966 waren in der Bundesrepublik mehr und mehr innenpolitische Spannungen und Unruhe entstanden, die viele Menschen als eine Krise der Demokratie empfanden. Faktoren in dieser Entwicklung waren die Rezession 1966 / 67, die seit längerem schwelende Ruhrkrise, die unter anderem durch fehlende Bildungsreformen ausgelöste Studentenbewegung und die sich bald bildende Außerparlamentarische Opposition (APO), deren Kristallisationspunkt insbesondere die Notstandsgesetzgebung 1968 war. Gleichzeitig schien es zu einer Wiederauferstehung des Nationalsozialismus zu kommen; der 1964 gegründeten NPD gelang zwischen 1966 und 1968 der Einzug in sechs Landtage.191 Diese Krisenphänomene, insbesondere auch düstere Zukunftsprognosen des Philosophen Karl Jaspers, der Deutschlands Demokratie zu einer Parteienoligarchie und diese wiederum zu einer Parteiendiktatur verkommen sah,192 führten zum Ruf nach Vgl. Meineke, Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 206. Er stellt dies selbst fest in: Reinhard Schiffers, Referendum und Volksinitiative in der Weimarer Republik, in: Evangelische Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, Hofgeismar 1988, S. 90 – 121, 91 – 2. Vgl. auch: Günther Rüther, Was verbirgt sich hinter der Forderung nach mehr direkter Demokratie?, in: ders. (Hrsg.), Demokratie, S. 9 – 32, 9 – 10. 190 Vgl. Tilman Evers, Mehr Demokratie durch Volksentscheid?, in: Ev. Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Autonomie als Verfassungsprinzip? Neue Formen von Protest und Partizipation, Auf der Suche nach ihrem staatsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Ort, Hofgeismar 1986, S. 153 – 180, 160. 191 Vgl. Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation, Deutsche Geschichte 1955 – 1970, Bonn 1988, S. 203 – 212, 242 – 301. 192 Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen – Gefahren – Chancen, München 1966, S. 171, 194 – 200; ders, Antwort, Zur Kritik meiner Schrift „Wohin treibt die Bundesrepublik?“, München 1967, S. 3. Vgl. als allgemeine Problemdarstellungen die Darstellungen der Stimmung in der Bevölkerung, in: FAZ vom 30. 12. 1968, Nr. 302 (S. 3); FAZ vom 31. 12. 1968, Nr. 303 (S. 2); „Verfassung, Noch in Ordnung?“, in: Spiegel vom 17. 2. 1969 (Nr. 8, S. 34); „Für die Demokratie eine Diktatur auf Zeit? Spiegel-Gespräch mit 188 189

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Reformen, die im Ergebnis in die Kanzlerschaft des „mehr Demokratie“ versprechenden Willy Brandt mündeten. Reinhard Schiffers’ Schrift, die durch einen zeitgleich erscheinenden Beitrag in der Francia ergänzt wurde,193 versucht zweierlei: Zum einen wird der Weg beschrieben, auf dem die plebiszitären Regelungen zu Volksentscheid und Volksbegehren, aber auch die Direktwahl des Reichspräsidenten ihren Weg in die Verfassungen auf Weimarer Länder- und Reichsebene fanden. Im zweiten Teil werden die Erfahrungen mit diesen plebiszitären Elementen in der Zeit von 1919 bis 1933 beleuchtet. Eine tiefergehende Analyse einzelner Volksentscheide findet nicht statt, sehr wohl aber eine allgemeine Bewertung der Volksgesetzgebung im Rahmen des ganzen Verfassungsgefüges. Wichtig ist hierbei die ausdrückliche Unterscheidung zwischen den plebiszitären Elementen „Volkspräsident“ und „Volksgesetzgebung“, die Schiffers vornimmt. Dies insbesondere nach der vor allem durch Bracher in der frühen Bundesrepublik geprägten Annahme eines nicht im Einzelnen differenzierenden, grundsätzlichen Antagonismus zwischen repräsentativen und plebiszitären Verfassungselementen. Auch Schiffers geht in seiner Bewertung von einem latenten Gegensatz, einem Spannungsverhältnis zwischen repräsentativen und plebiszitären Komponenten in einem modernen Verfassungsstaat aus, das von verschiedenen Legitimationsprinzipien herrühre und auch in Weimar spürbar gewesen sei.194 Die plebiszitären Institute hätten in Deutschland trotz theoretischer Vorgeschichte195 keine allmähliche Entwicklung durchlaufen können und ihre Einfügung sei deswegen von vornherein riskant und falsch gewesen. Obwohl insofern wichtige Elemente der „herrschenden Lehre“ Ausgangspunkt seiner eigenen Untersuchung sind, löst er sich aber insgesamt von bewährten Erklärungsmustern. Er stellt die feststehende negative Bewertung von Volksentscheid und Volksbegehren in Frage, ohne sie völlig zu verwerfen: „In historischer Perspektive erscheinen Initiative und Referendum fast ausschließlich als antiparlamentarische, auf die Zerstörung des Weimarer Regierungssystems gerichtete Mittel. Dabei spielten die sogenannten Volksrechte insgesamt gesehen politisch nur eine untergeordnete Rolle und ihre Auswirkungen blieben vorwiegend mittelbar.“196 Schiffers sieht zudem auch posidem Politik-Professor Theodor Eschenburg“, in: ebd., S. 36 – 50; Hans Dichgans, Das Unbehagen in der Bundesrepublik, Ist die Demokratie am Ende?, Düsseldorf 1968, S. 9, 35, 259 ff.; ders., Vom Grundgesetz zur Verfassung, Überlegungen zu einer Gesamtrevision, Düsseldorf 1970, S. 63 ff. 193 Reinhard Schiffers, Referendum und Volksinitiative in der Weimarer Republik, Zum Problem der Aufnahme und Umwandlung von Verfassungseinrichtungen der westlichen Demokratien in Deutschland, in: Francia, Bd. 1 1972, S. 653 – 691; abgedruckt auch in: Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, a. a. O. 194 Schiffers, Elemente, S. 9. 195 Schiffers (ders., Elemente, S. 281 ff.) bezieht sich hier auf die Gedanken Moritz Rittinghausens und Hermann Köchlys, sowie Forderungen in den Parteiprogrammen der Sozialdemokraten und Demokraten um und vor der Jahrhundertwende. Näher zu Moritz Rittinghausen: Wolfgang Mantel, Eine frühe Weichenstellung zwischen Parlamentarismus und direkter Demokratie, S. 534 ff. 23 Schwieger

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tive Auswirkungen. Er unterscheidet zwei Phasen in der Weimarer Republik. In einer ersten seien es keineswegs immer die extreme Linke oder Rechte gewesen, die ihre Agitation und Willensbildung auf plebiszitärem Wege betrieben hätten. Es seien vor allem Mittelschichten und auch Verbände gewesen, die das Volksbegehren zur Artikulation von Interessen genutzt hätten. Man dürfe die Betrachtung nicht nur auf die drei Initiativen „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzer“ und „Young-Plan“ beschränken,197 sondern müsse auch bereits früh abbrechende Initiativen, wie die zur Entschädigung der Inflationsopfer oder zur Ausweisung von Siedlungsland 1922, sowie auch die von der SPD vereinzelt geplanten Volksbegehren in die Bewertung mit einbeziehen.198 Diese Versuche hätten nicht darauf abgezielt, das Weimarer Regierungssystem zu zerstören. Schiffers konstatiert selbst in konservativen, antidemokratischen Kreisen eine Akzeptanz des Referendums als ein Mittel zur Korrektur einer alleinigen Parlamentsherrschaft, ohne das System an sich in Frage zu stellen.199 Gerade die Versuche eines „Aufwertungs-Volksbegehrens“ hätten erkennen lassen, dass die plebiszitären Vorschriften solchen sozialen Kräften politischen Einfluss ermöglichten, die von den Parteien nicht integriert, und deren politischer Wille durch die Parteien auch nicht mediatisiert wurde.200 Dies seien durchaus sinnvolle Warnsignale an Parteien und Regierung gewesen, zu handeln. Zum anderen hätten innenpolitische Spannungen kanalisiert und einem Ventil zugeführt werden können. Der Autor führt als Beispiel das drohende Volksbegehren des Reichsbundes für Siedlung und Pacht von 1922 an, das die Parteien und die Regierung 1923 zum Erlass eines Flüchtlingsgesetzes bewogen habe, in dem Forderungen des Reichsbundes aufgegriffen worden seien. Auch der Versuch eines Aufwertungsbegehrens 1925 hätte immerhin zu Korrekturen an dem umstrittenen Aufwertungsgesetz geführt.201 Selbst in den Volksbegehren zur „Fürstenenteignung“ und gegen den „Panzerkreuzer A“ sieht Schiffers „realpolitische Ansätze“, obgleich diese später „den Charakter eines reinen Agitations- und Kampfinstrumentes annahmen“.202 Erst für die Zeit nach 1928 / 29 konstatiert er einen Wandel in der Verwendung der Volksgesetzgebung, die jetzt von einem demokratischen Mittel zu einer antidemokratischen Waffe geworden sei. Auch jetzt habe sie aber immer noch keine unmittelbaren politischen Folgen gehabt.203 Insgesamt negativ beurteilt der Autor die mittelbaren Wirkungen dieser „Volksrechte“, die für ihn von besonderer Wichtigkeit sind. Hier schließt er sich in vielen Schiffers, Elemente, S. 285. Ders., Referendum und Volksinitiative, in: Direkte Demokratie, S. 92 – 93. 198 Ders. Elemente, S. 286. Schiffers bezieht sich hierbei auf Diskussionen über eine plebiszitäre Sozialisierung des Bergbaus, Volksbegehren zur Prohibition oder über die Mietpreisbildung. 199 Ebd. 200 Ebd., S. 287. 201 Ders., Referendum und Volksinitiative, in: Direkte Demokratie, S. 121. 202 Ebd., S. 116. 203 Ders., Elemente, S. 289. 196 197

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Punkten der herrschenden Lehre an, was Stefan Meineke vielleicht dazu bewogen haben mag, in ihm fälschlicherweise einen Protagonisten der „herrschenden Meinung“ zu sehen.204 Obwohl nur wenige Initiativen im Ergebnis bis zu einem Volksentscheid gelangten, seien Volksbegehren und Volksentscheid immer in der Diskussion gewesen. Mit „Erwartungen und Befürchtungen befrachtet“, hätten sie ständig für politische Unruhe gesorgt.205 Eine Initiative hätte andere Gruppen motiviert, auch diesen Weg zu gehen, womit schon im Vorfeld zur Sammlung der nötigen finanziellen Mittel Propaganda entstanden sei. Schiffers sieht zudem in der „kompromissfeindlichen Zuspitzung“ auf die Alternative „Ja“ oder „Nein“ eine für das politische System zersetzende Wirkung.206 Dieses „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ habe gesellschaftlich polarisierend gewirkt und Gruppen- und Klassengegensätze verschärft. Im Ergebnis stellt er einen „ambivalenten Charakter“ der Volksgesetzgebung fest. Zum einen bestätigt er dabei Elemente der hergebrachten Meinung, gleichzeitig stellt er diese insgesamt aber dennoch zur Disposition. Am deutlichsten wird dies dadurch, dass er sich nicht eindeutig gegen eine Wiedereinführung von Volksgesetzgebung ausspricht, sondern hierfür das Verhältnis von Parteienstaat und Volksgesetzgebung als entscheidend ansieht: „Solange es den Parteien gelingt, alle politischen und sozialen Kräfte zu integrieren, ist die Gefahr gering, daß die Elemente direkter Demokratie cäsaristische Züge annehmen oder die Illusion einer Selbstregierung des Volkes nähren. Werden diese beiden Gefahren vermieden, so kann das Repräsentativsystem eine Ergänzung oder sogar eine Verstärkung seiner Legitimation erfahren.“207

In Weimar sei dies jedoch nicht gelungen: „Für die Parteien stellten die genannten Einrichtungen der Weimarer Verfassung die Versuchung dar, sich ihrer politischen Verantwortung zu entziehen, anstatt sie selbst wahrzunehmen. Die inneren Schwächen auch der demokratischen Parteien trugen dazu bei, dass sie dieser Versuchung schließlich nicht widerstanden haben.“

So sei im Endeffekt „das Problem des Referendums das Problem der Qualität der in einem Lande bestehenden politischen Parteien“.208 Reinhard Schiffers ist seiner Bewertung Weimarer Volksgesetzgebung bis heute treu geblieben. Gerade die nach ihm beginnende und durch seine differenzierende Betrachtung angestoßene Neubewertung von Volksentscheid und Volksbegehren, die in die Auseinandersetzung mit der herrschenden Lehre getreten ist, mag ihn aber dazu bewogen haben, im Rahmen seiner eigenen Schlussfolgerungen der 204 205 206 207 208

23*

Meineke, Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 206. Schiffers, Elemente, S. 285. Ebd., S. 287. Ebd., S. 290. Ders., Referendum und Volksinitiative, in: Direkte Demokratie, S. 128.

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„Weimarer Erfahrung“ die Argumentationsfunktion für oder gegen eine Wiedereinführung der Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik abzusprechen. So schrieb er 1996: „Die mangelnde Eindeutigkeit des historischen Befundes stützt – insgesamt gesehen – weder die Einschätzung der Volksgesetzgebung als unentbehrliches Korrektiv der Parlamentsgesetzgebung, noch ihre Einschätzung als permanentes Risiko für das parlamentarische System“.209

Näher noch an der herrschenden Meinung als Schiffers, aber dennoch unverkennbar von diesem beeinflusst, ist die Bewertung der Volksgesetzgebung, zu der Ulrich Schüren in seiner Arbeit über die Fürstenenteignung kam. Wie Schiffers ging Schüren von einem „unaufgelösten Spannungsverhältnis“ zwischen Parlamentarismus und direkter Demokratie aus; auch er betonte im Ergebnis den ambivalenten Charakter der Volksgesetzgebung.210 Mehr noch als Schiffers bestätigt er in seiner Arbeit aber auch Elemente der herrschenden Meinung, worauf im vorangehenden Kapitel bereits eingegangen wurde.211 Von dieser unterscheidet ihn aber die Deutung, dass die Kampagne zur Fürstenenteignung eben nicht nur politische Waffe der KPD, sondern genauso echte Volksbewegung gewesen sei.212 Auch die Bewertung der Volksgesetzgebung als Verfassungsinstitut ist differenziert. Einerseits habe sich der „Bevölkerung die Möglichkeit eröffnet, sich politisch unmittelbar zu artikulieren und als Gesetzgeber selbst tätig zu werden.“ Andererseits sei aber auch die der Volksgesetzgebung eigene „antiparlamentarische und gegen die Parteien gewandte Stoßrichtung“ zu Tage getreten.213 Von einem echten Missbrauch 1926 könne man aber nicht sprechen, auch nicht von einer unmittelbaren Gefährdung der Republik: „Erst als sich wenige Jahre später die Nationalsozialisten im Bündnis mit dem Rechtskartell des plebiszitären Instruments bemächtigten [ . . . ], wurde die Volksgesetzgebung gegen den Staat missbraucht.“214

Mit ihrer Haltung stehen Ulrich Schüren und Reinhard Schiffers am Anfang einer teilweisen Neuorientierung der wissenschaftlichen Betrachtung von Weimarer Volksgesetzgebung. Auch wenn es nicht möglich ist, die beiden als echte Revisionisten zu bezeichnen, so leiteten sie dennoch eine neue wissenschaftliche Phase ein. Insbesondere Schiffers begann sich mit seiner Untersuchung von den her209 Ders., „Weimarer Erfahrungen“, S. 350. Wiederholt hat er diese Aussage inhaltlich noch einmal 1999, in: Reinhard Schiffers, Schlechte Weimarer Erfahrungen, in: Hermann K. Heußner / Otmar Jung (Hrsg.), Mehr Demokratie wagen, Volksbegehren und Volksentscheid: Geschichte–Praxis–Vorschläge, München 1999, S. 61 – 60, 59. 210 Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 11, 61, 281. 211 Vgl. ebd. S. 11, wo auch Schüren in bekannter Terminologie von „bitteren Erfahrungen“ spricht. 212 Ebd. S. 139, 277. 213 Ebd. S. 281. 214 Ebd. S. 281 – 282.

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gebrachten Bewertungen zu lösen und die Weimarer Volksgesetzgebung in der Theorie, das heißt als Verfassungsinstitut, und in der Praxis der verschiedenen Initiativen differenzierter zu würdigen. Möglich wurde dies zum einen durch eine klare Unterscheidung von Reichspräsidentenamt und Volksgesetzgebung, zum anderen durch eine Einbeziehung aller plebiszitären Ansätze auf Reichsebene neben den drei bisher alleine im Raum stehenden Volksbegehren „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzer“ und „Young-Plan“. Schürens Verdienst ist die erstmalig tiefergehende Untersuchung einer Volksinitiative. In ihr bestätigt er viele Elemente der „herrschenden Lehre“, kommt aber auch zu neuen Deutungen und, an Schiffers orientiert, zu einer differenzierteren Gesamtwertung des Verfassungsinstituts an sich.215 2. Das Ende der „Plebisphobie“ der Nachkriegszeit216 – Die Neubewertung bisheriger Darstellungen und Sichtweisen in Teilen der Wissenschaft „In Wahrheit ist die Bilanz der direkten Demokratie während der Weimarer Republik keineswegs nur negativ, jedenfalls nicht negativer als die des Parlamentarismus damaliger Zeit.“ (Tilman Evers)217

Im Anschluss an die Schriften Schiffers und Schürens begannen sich zunehmend Stimmen in der Forschung zu erheben, die eine Revision der „herrschenden Meinung“ forderten und fordern. Wichtige Grundlage ihrer Neubewertung der Weimarer Volksgesetzgebung ist die Einbeziehung aller durchgeführten oder über die bloße Ankündigung hinausgehenden Volksinitiativen, die in Weimar auf Reichsebene stattfanden.218 Schon bevor überhaupt detaillierter auf einzelne Volksgesetzgebungsverfahren eingegangen wird, führt bereits diese erweiterte Perspektive zur Kritik an bisherigen Deutungen. So sehen die Juristen Wolfgang Berger und HansPeter Hufschlag die These, die Volksgesetzgebung sei nur Obstruktionsinstrument radikaler Parteien gewesen, schon dadurch in Frage gestellt, dass von den vier Parteien, die Volksgesetzgebungsverfahren initiierten, nur zwei radikal gewesen seien. Bis auf die Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau und gegen den Young-Plan 215 Ein jüngeres in diesem Zusammenhang noch erwähnenswertes Werk , das sich ganz in den Bahnen Schifferscher Bewertung bewegt, vielleicht auch, weil es aufgrund eines anderen Schwerpunktes an dieser Stelle weitgehend ohne Primärquellen auskommt, ist das Buch „Volkswille und repräsentative Entscheidung“ des Juristen Karsten Bugiel (vgl. ders., Volkswille, S. 188 – 210, 239 – 242) von 1991. 216 So umschreibt Wolfgang Luthardt (ders., Direkte Demokratie, Ein Vergleich in Westeuropa, Baden-Baden, 1994, S. 107) die revisionistische Tendenz in der neueren bundesdeutschen Diskussion. 217 Tilman Evers, Zivilgesellschaft und direkte Demokratie in gesamtdeutscher Verfassung, in: Staat und Recht 39 (1990), S. 936. 218 Verwiesen wird auf die Darstellung der nur eingeleiteten oder auch durchgeführten Verfahren in Kap. I B.

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sei eine Vielzahl Kampagnen von „republikanischen“ Parteien oder Gruppierungen diskutiert, angestoßen oder zumindest unterstützt worden.219 Berger, der sogar in allen Volksinitiativen sinnvolle „Warnsignale von unterprivilegierten, benachteiligten Gruppen an die Republik“ sieht, lenkt in diesem Zusammenhang den Blick insbesondere auf die vier von den Inflationsopfern und vom Reichsbund für Siedlung und Pacht versuchten Volksbegehren.220 Die Politik habe auf die berechtigten Anliegen nicht angemessen und entschieden genug reagiert.221 So sei beispielsweise zwar nach dem Versuch eines „Siedlungsbegehrens“ 1923 ein Flüchtlingsgesetz verabschiedet worden, die Landfrage sei aber dennoch ungelöst geblieben. Dies habe sich spätestens dann erwiesen, als Hindenburg sowohl Brüning als auch von Schleicher indirekt wegen der ungelösten Siedlungsfrage abberufen habe. So habe Brüning nur wegen des immer noch bestehenden Siedlungsproblems im Rahmen der Osthilfepolitik eine Aufteilung überschuldeter Güter zugunsten von Siedlern beschlossen, was ihm den Vorwurf des „Agrarbolschewisten“ eingebracht und seinen Sturz herbeigeführt habe.222 Auch bei der Aufwertungsproblematik konstatiert Berger Gleiches. Zwar habe es nach dem ersten „Aufwertungsbegehren“ noch Korrekturen am Aufwertungsgesetz gegeben, man habe aber die Bedeutung dieses Problembereichs für die Stabilität der Republik dennoch unterschätzt. Die Republik habe es nicht für nötig gehalten, die Aufwertungsbegehren des Sparerbundes dazu zu nutzen, den Bürgern klarzumachen, dass das Kaiserreich an der Finanzmisere schuld gewesen sei. Sie habe eine Entfremdung des Bürgers, dessen Forderung nach einer besseren Entschädigung berechtigt gewesen sei, in Kauf genommen.223 Eine eindeutig oder doch überwiegend positive Bewertung erhält bei Berger, aber auch bei den Politologen Dieter-Dirk Hartmann,224 Detlef Lehnert225 sowie den Juristen Hans-Henning Obst und Johannes Rux226 der Volksentscheid zur Fürstenenteignung. Vor allem er ist Grundlage dafür, grundsätzliche bisherige Einschätzungen der Weimarer Volksgesetzgebung in Frage zu stellen. Die Autoren stützen sich hierbei jedoch nur zum Teil auf eigene tiefergehende Recherchen und kommen oft aus abstrakten Betrachtungen heraus zu ihren Ergebnissen. Für sie ist die Frage nach einer entschädigungslosen Enteignung in den herrschenden Notzeiten 219 Vgl. Berger, Volksbegehren, S. 252; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Elemente, S. 172 – 173. 220 Vgl. Kap. I B. 1. und 3. 221 Berger, Volksbegehren, S. 271. 222 Ebd., S. 274 – 276. 223 Ebd., S. 276 – 278. 224 Vgl. Hartmann, Volksinitiativen, S. 16 – 52. 225 Detlef Lehnert, Die Weimarer Republik, Parteienstaat und Massengesellschaft, Stuttgart 1999, S. 163 – 9. 226 Vgl. Obst, Chancen, S. 99 – 133; Johannes Rux, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 85 (2002), S. 273 – 297, 296.

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eine berechtigte politische Forderung gewesen, insbesondere da die Weimarer Reichsverfassung eine entschädigungslose Enteignung ja ermöglicht hätte. Die Kampagne ist laut Berger außerdem keinesfalls gegen die Republik gerichtet gewesen, sondern habe vielmehr eine antimonarchistische Stoßrichtung gehabt. Der Volksentscheid und sein Ergebnis seien eine starke Demonstration für die Republik gewesen227 und alles andere als nur ein Mittel zur Agitation und Demagogie. Zwar sei der Abstimmungskampf mit „Leidenschaft geführt“ worden, insbesondere die SPD habe aber auch eine „sachliche, rein informative Werbung“ betrieben.228 Hartmann sieht in dem Vorwurf der „Agitation“ und „Demagogie“ verkleidete „Stellungnahmen zur Sache“. Für einen Verfechter der Enteignung sei vielmehr die Existenz des ungeheuren Reichtums früherer Fürsten angesichts der Armut breiter Volksmassen als „Demagogie“ erschienen, nicht aber drastische verbale Vergleiche zur Unterstützung eigener Interessen. Auch habe sich die Agitation im Rahmen der Reichstagswahlen gehalten, die keiner als agitatorisch oder demagogisch bezeichnet und deshalb deren Abschaffung gefordert habe.229 Berger sieht zudem 1926 auch keine Möglichkeit, die Volksgesetzgebung zu missbrauchen. Dies sei schon angesichts des „realpolitischen Ansatzes des Problems“ weitgehend ausgeschlossen gewesen.230 Den Vorwurf, die Fragestellungen seien für den einfachen Bürger zu komplex gewesen, lässt Hartmann nicht gelten. Jeder Bürger habe Inhalt und Tragweite und insbesondere auch die symbolische Bedeutung des Problems durchschauen können.231 Dass sich die Bürger dabei mit ihrem Willen nicht hätten durchsetzen können, ist für Berger, Hartmann, Obst und Rux vor allem die Schuld unüberwindbarer Verfahrenshürden. Dies habe der Volksentscheid 1926 deutlich gezeigt.232 Er sei aber dennoch ein Erfolg gewesen, da er die Republik nicht destabilisiert, sondern gefestigt habe: „Der Wahlsieg der demokratischen Parteien bei der Reichstagswahl [1928] und die Niederlage der rechten, republikfeindlichen Parteien hatte unter anderen Gründen auch eine Ursache in dem starken Erfolg beim Volksentscheid.“233

Rux und Hufschlag betonen in diesem Zusammenhang die vergleichsweise lange Phase innenpolitischer Stabilität nach dem gescheiterten Volksentscheid 1926.234 Obst versucht, diese beobachtete Stabilisierung, die für ihn gleichzeitig auch die Widerlegung der „Radikalisierungsthese“ darstellt, anhand eines statistischen VerVgl. Lehnert, Weimarer Republik, S. 169; Berger, Volksbegehren, S. 255 – 257. Ebd., S. 257. 229 Hartmann, Volksinitiativen, S. 257; So auch Obst, Zur Rezeption der „Lehren von Weimar“, S. 85. 230 Berger, Volksbegehren, S. 285. 231 Hartmann, Volksinitiativen, S. 28. 232 Ebd. S. 27; Berger, Volksbegehren, S. 259; Obst, Chancen, S. 116; Rux, Direkte Demokratie, S. 293, 297. 233 Berger, Volksbegehren, S. 261. 234 Rux, Direkte Demokratie, S. 296; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 179. 227 228

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gleichs von Wahlverhalten und anderen wichtigen gesellschaftlichen Faktoren zu untermauern. Für ihn ist die These vom radikalisierenden, destabilisierenden Element der Volksgesetzgebung vor allem Ergebnis eines „individuellen politischpsychologischen Vorgangs“, der methodisch schwer zu handhaben und damit auch zu widerlegen sei.235 Er gelangt aufgrund seiner vergleichenden, statistischen Methode zu einer Phase politischer Stabilisierung von 1926 bis 1929, die also auch noch die Initiativen für eine Aufwertung und gegen den Panzerkreuzerbau mit einschließt.236 Auch das Volksbegehren gegen den Bau von Kriegsschiffen 1928 hatte nach Auffassung einiger der Revisionisten einen realpolitischen Ansatz und sei angesichts des Verhaltens der SPD vor und nach der Reichstagswahl nicht von vornherein aussichtslos gewesen. Die diesbezüglichen Angriffe der KPD gegen die SPD seien zwar „überzogen“ gewesen, hätten aber nach Berger „im Grundsatz durchaus ihre Berechtigung“ gehabt.237 Hartmann greift auch hier das Element der Demagogie auf, wenn er schreibt: „Demagog heißt also auch hier, wer mit klaren und schroffen Worten der Arbeiterklasse den Widerspruch einer Regierungsmaßnahme mit ihren unmittelbaren Lebensbedürfnissen zeigt.“238

Im Ergebnis seien auch bei dieser Kampagne keine negativen Auswirkungen auf die demokratische Ordnung Weimars feststellbar; sie sage vielmehr nur etwas über das Verhalten der Sozialdemokratie in dieser Frage aus; nicht auszuschließen sei zudem, dass gerade dadurch die SPD dazu gebracht wurde, wenigstens nachträglich ihr Wahlversprechen einzuhalten, indem sie im Reichstag gegen den Bau des Schiffes stimmte.239 Auch hier wird von Berger in den Vordergrund gestellt, dass die Politik auch dieses Warnsignal, sich vermehrt um die Lebensbedürfnisse ihrer Basis zu kümmern, nicht ernst genommen habe; das Signal an sich sei aber durchaus sinnvoll gewesen.240 Im Rahmen dieser Deutungen verliert der Volksentscheid gegen den Young-Plan allein schon aufgrund des erweiterten Betrachtungshorizontes an Bedeutung.241 Hier wird zwar die Deutung der „herrschenden Meinung“ als Angriff gegen die Obst, Chancen, S. 102. Ebd., S. 102 – 106. Obst konstatiert zwar auch eine Phase der Destabilisierung nach dem Volksentscheid 1929, die aber die Widerlegung der Radikalisierungstheorie im Ergebnis nicht aufheben könne. 237 Berger, Volksbegehren, S. 264 – 265. Hier einschränkend: Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 174 – 175. 238 Hartmann, Volksinitiativen, S. 34. 239 Ebd., S. 35; Berger, Volksbegehren, S. 265. Bezug genommen wird hierbei auf das Verhalten der SPD, die im Kabinett dem Bau zustimmte, im Reichstag dann aber im Ergebnis doch geschlossen gegen den Bau stimmte. 240 Ebd., S. 267. 241 Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 175. 235 236

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Republik und ihre Repräsentanten bestätigt, einem direkten Zusammenhang mit Hitlers Aufstieg und Weimars Untergang wird jedoch widersprochen. So sei Hitler nicht durch den Volksentscheid „salonfähig“ geworden, die Kampagne sei vielmehr erst der Bildung der Nationalen Opposition nachgefolgt.242 Es sei zwischen der viel entscheidenderen Aufnahme Hitlers in die Nationale Front durch Hugenberg und dem Volksbegehren zu trennen. Eine Unterstützung Hitlers durch Wirtschaft und Rechtskonservativismus hätte vielmehr darauf beruht, dass Hitler ein guter „Trommler“ gegen Gewerkschaften und System gewesen sei. Ein Trend zum Nationalsozialismus, so Hartmann habe zudem bereits vorher existiert. Hufschlag führt diesen in erster Linie auf wirtschaftliche Gründe zurück.243 Schließlich sei die Kampagne vom Ergebnis her ein völliger Reinfall gewesen, was für beide Autoren ein Anzeichen dafür ist, dass der Bürger auch hier die Komplexität der politischen Frage durchaus verstanden habe.244 Das Scheitern zeige außerdem, dass selbst in diesem von Hartmann nur als „Grenzfall zum Missbrauch“ bezeichneten Fall die Volksgesetzgebung nicht leichter habe zweckentfremdet werden können, als „jedes andere politische Recht“.245 Ihre gewichtige Rolle als grundsätzliches Argument gegen Volksgesetzgebung verliert die Initiative gegen den Young-Plan vollends durch die Feststellung Bergers, dass bei einer verfassungskonformen teleologischen Auslegung der Verfassung das Begehren wegen eines verfassungswidrigen Ziels gar nicht hätte zugelassen werden dürfen. Die Schuld hatte hier bei der damals „herrschenden formalistisch-positivistischen, juristischen Lehre“ gelegen. Im übrigen habe die Republik auch dieses Warnsignal heraufziehender Gefahr von rechts nicht zu Schutzmaßnahmen genutzt.246 Die Volksgesetzgebung wird nicht nur freigesprochen von einer Mitschuld am Aufstieg Hitlers und am Untergang Weimars. Der herrschenden Meinung wird zum Teil sogar eine Instrumentalisierung dieser Phänomene gegen plebiszitäre Verfahren vorgeworfen. So schrieb Tilman Evers, der Leiter der Evangelischen Akademie Hofgeismar247 1990:

242 Vgl. Hartmann, Volksinitiativen, S. 46. Lehnert (ders., Weimarer Republik, S. 187 – 188, 314) spricht von einem „Stahlhelm-Volksentscheid“ mit „mäßiger Resonanz“ und verweist auf nur gering steigende Stimmanteile der NSDAP in Berlin und Thüringen 1929. 243 Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 174. 244 Ebd., S. 174; Hartmann, Volksinitiativen, S. 45 – 48; Berger, Volksbegehren, S. 268 – 269; Rux, Direkte Demokratie, S. 291 – 292. 245 Hartmann, Volksinitiative, S. 45 – 48. 246 Berger, Volksbegehren, S. 268 – 270. 247 Hier wurde Ende der 80er Jahre den Diskussionen um die „Weimarer Erfahrungen“ mehrfach ein Forum geboten. Vgl. hierzu: Evangelischen Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Autonomie als Verfassungsprinzip, Hofgeismar 1986; dies., Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, Hofgeismar 1987; dies., Direkte Demokratie in Deutschland („Hofgeismarer Entwurf“ zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene), Hofgeismar 1991.

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„Die Berufung auf solchermaßen undifferenziert bleibende „Erfahrungen von Weimar“ beruht also auf dem Trick, die begründete Ablehnung des Nationalsozialismus in einen unbegründeten Affekt gegen direkte Demokratie umzumünzen.“248

Auf dieser Grundlage kommen nun „Revisionisten“ wie vor allem Hartmann, Berger, Obst, Evers, Rux und Hufschlag zu ihren übergeordneten verfassungstheoretischen / politologischen Schlussfolgerungen. Für Hartmann steht der Nachweis im Vordergrund, dass trotz der relativen Erfolglosigkeit der Initiativen Weimars, die Volksgesetzgebung dennoch ein potentiell geeignetes Korrekturinstrument für ein erstarrtes politisches und parlamentarisches System sei. Die Volksgesetzgebung habe nicht zum Niedergang Weimars beigetragen habe. Sie sei vielmehr in ihrer Wirksamkeit von der Politik untergraben und im Nachhinein falsch bewertet worden.249 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Obst, Berger und Rux, die die Probleme der Weimarer Volksgesetzgebung vor allem in einem falschen Verfahren und einer falschen Anwendung der Rechtsnormen durch Politik und Rechtswissenschaft sehen. Im Mittelpunkt der Verfahrenskritik stehen die Hürde des Quorums von 50 % der Stimmberechtigten, die einen Abstimmungsboykott erst möglich gemacht habe, und die mangelhafte Wahrung des Stimmgeheimnisses, die zu sozialem Druck geführt habe. Die Politik und die Auslegung der Normen durch die Rechtswissenschaft habe die Volksgesetzgebung zudem zusätzlich unterhöhlt und dem Parlament weitgehend ausgeliefert.250 Außerdem habe die Politik die sinnvolle Funktion dieser Warnsignale aus der Bevölkerung nicht begriffen und den innenpolitischen Spannungen nicht oder unzureichend auf parlamentarischem Wege abgeholfen. Die Schuld für die relative Erfolglosigkeit liegt für die Autoren somit vor allem im Umgang der institutionellen Republik mit ihrem eigenen Verfassungsinstitut.251 Sie kommen zu Aussagen wie: „Insgesamt sind daher die Erfahrungen [ . . . ] in der Weimarer Republik keineswegs entmutigend“252 oder „[diese sind] keineswegs geeignet [ . . . ], die direkte Demokratie zu diskreditieren“.253 Hans-Peter Hufschlag stellt schlicht fest: „Die immer wieder anklingende These, die direkt-demokratischen Institute der Weimarer Reichsverfassung hätten zum Untergang der Republik maßgeblich beigetragen, gehört jedoch in das Reich der Legendenbildung.“254

Evers, Zivilgesellschaft, S. 936. Hartmann, Volksinitiativen, S. 52. 250 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Frotscher (ders., Direkte Demokratie, S. 545 – 546), der auf Art. 73 IV WRV eingeht. 251 Berger, Volksbegehren, S. 279 – 281; Obst, Chancen, S. 115 – 120; Rux, Direkte Demokratie, S. 297. Rux bezeichnet die Art. 73 – 76 WRV aufgrund der Verfahrenshürden im Ergebnis als „bloße Scheinzugeständnisse an die direkte Demokratie“. 252 Berger, Volksbegehren, S. 281. 253 Obst, Chancen, S. 120. Gebhard Rittger (ders., Der Streit um die direkte Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. phil., Bonn 1992, S. 29) kommt sogar nur zu dem Schluss, man könne „die Erfahrungen [ . . . ] mit Volksentscheid und Volksbegehren [ . . . ] nicht per se als schlecht“ bezeichnen. 248 249

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Eine deutlich revisionistische Tendenz in einer umfassenden, allgemeinen Darstellung der Geschichte Weimars lässt sich bisher nicht finden. Eine Ausnahme stellen höchstens die kurzen Arbeiten Detlef Lehnerts255 und Detlev J. K. Peukerts dar. Peukert lässt allerdings nur in einem Nebensatz eine positive Bewertung der „Fürstenkampagne“ 1926 durchblicken. Zur Initiative gegen den Young-Plan äußert er sich nicht und begründet den Aufstieg Hitlers vor allem soziologisch und wirtschaftshistorisch.256 Hier könnte aber auch eine besonders gemäßigte „herrschende Meinung“ vorliegen, wie sie sich bei jüngeren Vertretern „bewährter Deutungen“ häufiger findet.257 Im Ergebnis wird die herrschende Meinung in zentralen Punkten in Frage gestellt oder sogar als widerlegt angesehen, ohne dass dabei alle revisionistischen Stimmen explizit „gute Weimarer Erfahrungen“ feststellen. Insbesondere Hufschlag kommt zu ernüchternden Erfahrungen,258 auch der Marburger Staatsrechtler Werner Frotscher warnt vor vorschnellen Rückschlüssen aus einer veränderten historischen Darstellung.259 Den Autoren geht es in erster Linie darum, die Volksgesetzgebung als solche von dem Makel zu befreien, der ihr ihrer Auffassung nach zu Unrecht anhaftet. Die Mehrheit der hier dargestellten Autoren, die alle aus der Rechts- oder Politikwissenschaft stammen, stützt ihre Kritik dabei nur selten auf eigene detaillierte Forschungen zur Verfassungswirklichkeit. Dies geschieht höchstens punktuell, um einzelne Elemente der herrschenden Meinung zu widerlegen. Anders ist dies bei Otmar Jung, der eine umfassende Gegenposition im Sinne einer Totalrevision vertritt und als Speerspitze der Forderung nach einer Neubewertung gelten muss. Er kommt zu überwiegend guten bis eindeutig positiven „Weimarer Erfahrungen“ und stützt seine Forderung auf eigene, umfassende historische Forschungen. Für andere revisionistische Stimmen wie vor allem Evers und Obst sind seine Arbeiten wichtige Grundlage und Beleg. Nicht zufällig berief sich Tilmann Evers in seiner Funktion als Sachverständiger vor der Gemeinsamen Verfassungskommission am 17. Juni 1992 explizit auf Jungs Arbeiten.260 254 Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 185. Vgl. vom Ergebnis gleichlautend aber ohne Bezüge zu einzelnen Verfahren, sondern aus eher rechtsdogmatischer Sicht: Werner Frotscher, Direkte Demokratie in der Weimarer Verfassung, in: DVBl. 104 (1989), S. 541 – 552, 547. 255 Lehnert, Weimarer Republik, a. a. O. 256 Vgl. Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik, Frankfurt / M. 1987, S. 214. Peukert (ebd., S. 235 – 236) stellt in Bezug auf die Fürstenenteignung fest: „Immerhin gab es noch Mitte der zwanziger Jahre Elemente eines Republikanismus, der unter Umständen sogar hätte mehrheitsfähig werden können.“ 257 Vgl. Kap. VI A. 5., sowie: Werner Frotscher, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, Verfassungsrecht – Verfassungsentwicklung, in: Ev. Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Direkte Demokratie, S. 26.36, 29 – 30. Frotscher lehnt zwar die Volksgesetzgebung ab, stellt aber dennoch im Gegensatz zu Bracher fest: „Die Weimarer Republik ist nicht an den plebiszitären Elementen ihrer Verfassungsordnung zugrunde gegangen.“ 258 Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten, S. 304. 259 Frotscher, Direkte Demokratie, S. 548 – 549.

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3. Otmar Jung und die These einer Gleichwertigkeit oder sogar Überlegenheit plebiszitärer Problemlösungsverfahren in der Weimarer Republik seit den 80er Jahren Der juristisch ausgebildete Berliner Politologe und Zeithistoriker Otmar Jung ist der aktivste Wissenschaftler der letzten Jahre in Bezug auf die Erforschung der Weimarer Volksgesetzgebung wie auch der nationalsozialistischen Volksabstimmungen261 und gleichzeitig engagierter politischer Streiter für ihre Einführung auf Bundesebene.262 Zentrales Werk und Ausgangspunkt seiner Arbeiten ist seine Habilitationsschrift „Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten“, die er 1985 an der Freien Universität Berlin einreichte.263 Neben diesem Werk, der bereits in Kapitel V dargestellten Monographie zur Arbeit des Parlamentarischen Rates, sowie der bisher einzigen weitergehenden Gesamtdarstellung der wichtigsten Volksgesetzgebungsverfahren in der Weimarer Republik, hat er sich bis heute in zahlreichen Beiträgen vor allem zum Thema „Weimarer Erfahrung“ mit Volksbegehren und Volksentscheid geäußert.264 Die Kampagne zur Fürstenenteignung kann durch die Arbeiten Schürens, Wests und Jungs Untersuchung als weitgehend erforscht angesehen werden. Vgl. GVK, Materialien, Anhörung, S. 141 – 144, 143. Jung, Plebiszit und Diktatur, a. a. O. 262 Höhepunkt seiner politischen Aktivität war die Mitarbeit am „Hofgeismarer Entwurf“ zur gesetzlichen Einführung der Volksgesetzgebung. Sein Ruf nach einer Wiedereinführung hat ihm den Vorwurf eingebracht, auch seine historisch-wissenschaftlichen Darstellungen nur vom eigenen Standpunkt aus zu bewerten. Hierzu jedoch mehr im Rahmen der Darstellung der Jung-Meineke Kontroverse. Vgl. Evangelische Akademie Hofgeismar, Direkte Demokratie („Hofgeismarer Entwurf“), a. a. O.; Otmar Jung, Volksgesetzgebung in Deutschland, in: Leviathan 15 (1987), S. 242 – 265; ders., Direkte Demokratie: Forschungsstand und -aufgaben, in: ZfP 21 (1990), S. 491 – 504; ders., Abschluss und Bilanz der jüngsten plebiszitären Entwicklung in Deutschland, S. 39 – 87. 263 Otmar Jung, Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzung zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Hamburg 1990. 264 Vgl. neben den bereits angeführten Beiträgen: Otmar Jung, Volksbegehren und Volksentscheide während der Weimarer Republik, Gründe-Verlauf-Lehren, in: Ev. Akademie Hofgeismar (Hrsg.), Direkte Demokratie, S. 37 – 70; ders., Direkte Demokratie, a. a. O.; ders., Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Youngplan für die NSDAP, in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), S. 489 – 510; ders., Panzerkreuzerverbot, a. a. O.; ders., Die „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite. Stellungnahme zum Beitrag Meineke im Jahrbuch für Politik 1992, in: JfP 3 (1993), 1. Halbbd., S. 63 – 92; ders., Zur Revision der „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung. Stellungnahme zum Beitrag Meinekes im Jahrbuch für Politik 1994, in: JfP 5 (1995), 1. Halbbd., S. 67 – 116; ders., Kein Volksentscheid im kalten Krieg, a. a. O.; ders., Direkte Demokratie im Grundgesetz und den Landesverfassungen der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O.; ders. / Hermann K. Heussner, Mehr direkte Demokratie wagen, Volksbegehren und Volksentscheid; Geschichte–Praxis–Vorschläge, München 1999; ders., Das Finanztabu bei der Volksgesetzgebung a. a. O.; ders. / Franz-Ludwig Knemeyer, Im Blickpunkt: Direkte Demokratie, München 2001. 260 261

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Die Habilitationsschrift Jungs entstand wie die ebenfalls für die Erforschung der Weimarer Volksgesetzgebung besonders hervorzuhebenden Schriften Fraenkels und Schiffers in einer innenpolitisch umkämpfteren Phase der bundesrepublikanischen Geschichte. War der Ruf nach mehr direkter Demokratie spätestens mit dem Abschlussbericht der Enquetekommission 1976 vorerst verstummt, brach bereits Anfang der 80er Jahre von neuem die Diskussion über Volksgesetzgebung auf Bundesebene aus.265 Auslöser war diesmal die Ökologiebewegung – konkret die Auseinandersetzungen über die Nutzung der Atomenergie266 – aber auch ein zunehmend beobachtetes Desinteresse großer Teile der Bevölkerung an politischen Fragen. Viele Menschen wandten sich von der Politik und ihren Repräsentanten ab, ein Phänomen, das unter dem Begriff der „Politikverdrossenheit“ diskutiert wurde.267 Jung kommt in dieser Arbeit zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Volksgesetzgebung und fordert eine Revision der „herrschenden Meinung“. Die Initiative zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten erscheint bei ihm als eine von Beginn an von den Parteien unabhängige, aus dem Volk stammende, spontane Bewegung. Auslöser sei dabei das Versagen der Politik gewesen, der es nicht gelungen sei, für minimale Gerechtigkeit zu sorgen. Einerseits habe sich der Staat auf Kosten der Sparer und des Mittelstandes durch die Inflation entschuldet, andererseits keine für den Bürger verständliche Lösung der Fürstenfrage gefunden. Die Masse der Kleinbürger sei wütend und verbittert gewesen über die „jämmerliche Bewältigung des Krieges“, die „Währungsmanipulationen“ und den „Aufwertungswahlbetrug“ der DNVP und habe „Gleichheit im Unrecht“ gefordert. In dieser Situation habe ein Schiedsspruch des Oberlandesgerichts Jena im Oktober 1925, in dem die Rente des Großherzogs von Weimar – Eisenach um ca. 33 % aufgewertet wurde, wie ein Funke im Pulverfass gewirkt. Ein von der KPD am 2. Dezember 265 Vgl. Herbert Horn, Warum eigentlich keine Volksentscheide?, in: Die neue Gesellschaft 31, Bonn 1984, S. 1184 – 1188. 266 Vgl. Roland Geitmann, Volksentscheide auch auf Bundesebene?, S. 126. 267 Bereits 1984 reichte eine „Aktion Volksentscheid“ eine Petition im Bundestag zur Einführung von Volksgesetzgebung ein, die jedoch keinen Erfolg hatte. Die Grünen machten diese Forderung später zu einem Schwerpunkt des Bundeswahlkampfes 1986 / 87, die SPD nahm eine diesbezügliche Forderung in ihr Berliner Grundsatzprogramm von 1989 auf (vgl. Geitmann, Volksentscheide auch auf Bundesebene?, S. 126; Tilman Evers, Zivilgesellschaft, S. 932; ders. Mehr Demokratie durch Volksentscheid, S. 153). Auf Länderebene, wo die Möglichkeit eines Volksbegehrens fast überall bestand, oder wie 1990 in Schleswig Holstein wieder geschaffen wurde, beschritt man zunehmend diesen Weg der politischen Willensbildung. Am bekanntesten wurde das Volksbegehren für ein besseres Müllkonzept in Bayern, das am 17. 2. 1991 zu einem Volksentscheid führte (vgl. Otmar Jung, Der Volksentscheid über das Abfallrecht in Bayern am 7. 2. 1991, in: ZfP 1 (1992), S. 48 – 69). Parallel zu den Diskussionen auf politischer Ebene begann auch in der Wissenschaft von neuem eine Auseinandersetzung über die Grundlagen der Demokratie und über bessere Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers in der Bundesrepublik (vgl. Thomas Petersen, Volonté générale und Volonté particulière, Konflikt und Kompromiss in der Demokratie, Köln 1991, S. 9; JeanMarie Guéhenno, Das Ende der Demokratie, München 1994).

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1925 veröffentlichter Brief an die SPD, in dem sie einen Volksentscheid forderte, habe für die Gründung des „Reichsausschusses zur Durchführung des Volksentscheids für eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten“ (Kuczynski-Ausschuss) keine wirkliche Rolle gespielt. Die Initiative sei von den hier versammelten Gruppen wie dem „Republikanischen Reichsbund“, der „Arbeitsgemeinschaft entschiedener Republikaner“ oder dem „Sächsischen Friedenskartell“ ausgegangen.268 Die Parteien, vor allem die KPD, später dann noch die SPD und auch Teile der DDP, hätten auf diesen Zug nur noch aufspringen können. Insbesondere der KPD sei es dabei aber immerhin gelungen, diese Bewegung für sich zu nutzen, an ihr „organisatorisch anzusetzen“.269 Ihr Einfluss habe aber nicht entscheidend zu einer Radikalisierung des Themas beigetragen. Auch hätten die Kommunisten auf diese Weise keine große Koalition unter Einbindung der SPD verhindert, wie es die herrschende Meinung meint, da diese sowieso nicht wirklich im Raum gestanden habe.270 Für Jung war zwar der grundsätzliche „Enteignungsansatz sachlich schief und verfassungsrechtlich verquer“, doch dies habe eben auf breiter Front den Gefühlen entsprochen: „Unverkennbar hatte dieses Projekt Pathos – im Sinne von Leidenschaft und im Sinne von Würde.“271 Er kommt zu dem Schluss, dass vor Beginn des Volksgesetzgebungsverfahrens eigentlich für diese Art der Gesetzgebung „optimale Voraussetzungen“ geherrscht hätten, nämlich: „ein großes Thema“, eine „spontan entstandene Volksbewegung“ und „eine klare, in sich stimmige Scheidung in das Lager der Befürworter und Gegner des vorgeschlagenen Projekts“.272 Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens sieht er die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien nicht als problematisch an. So habe es zwar zum Teil eine „ins Absurde“ gesteigerte Propaganda gegeben273, gleichzeitig sei sie aber, „gemessen an einem bis heute als demokratisch hingenommenen Gestammel“ bei allgemeinen Wahlen, immer noch „sehr differenziert und geradezu ein Musterbeispiel staatsbürgerlicher Aufklärung“ gewesen.274 Die Probleme der Kampagne beruhten laut Jung auf der staatlichen Schikane und Sabotage in ländlichen Gebieten, dem dort von Behörden und Großgrundbesitzern ausgeübten sozialen Druck zum Boykott, und unüberwindbaren Verfahrenshürden.275 Insbesondere das faktisch immer notwendige Quorum von 50 % der Stimmberechtigten nach Ar. 75 WRV habe die Umsetzung des an sich überwältigenden Erfolges der Kampagne verhindert; schließlich hätten fast die Hälfte aller „Aktivbürger“ mit „Ja“ gestimmt: 268

Vgl. Jung, Volksgesetzgebung, S. 641 – 648, 664 – 669; ders., Direkte Demokratie,

S. 53. 269 270 271 272 273 274 275

Ders., Volksgesetzgebung, S. 648, 669. Ders., Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite, S. 71. Ders., Direkte Demokratie, S. 54. Ebd., S. 59. Ders., Volksgesetzgebung, S. 973. Ders., Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite, S. 73. Ders., Volksgesetzgebung, S. 798 ff.; ders., Direkte Demokratie, S. 59.

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„Nach parlamentarischen Regeln, hätte ein solches Ergebnis die absolute Mehrheit der Mandate verschafft, nach den plebiszitären Bestimmungen war der Volksentscheid ,mangels Beteiligung‘ gescheitert.“

So sei als Erfolg nur der „Tod des monarchischen Gedankens“ übriggeblieben.276 Im Rahmen seiner Forschungen zur Fürstenenteignung kommt Jung am Ende seiner Habilitationsschrift zu einer grundsätzlichen Bewertung des Verfassungsinstituts Volksgesetzgebung. Er entwickelt hierbei ein eigenes Vergleichsschema, in dem er das parlamentarische Problemlösungsverfahren (Parlamentarismus) dem plebiszitären (Volksgesetzgebung) gegenüberstellt. Er verfolgt also am konkreten Fall der Fürstenenteignung einen komparatistischen Ansatz, um sich von der eigenen zeitlichen und politischen Perspektive zu lösen und zu einer Bewertung aus der damaligen Situation heraus zu kommen.277 Diese besondere Perspektive bildet die Grundlage, auf der er zu einer positiven „Weimarer Erfahrung“ mit dem Verfassungsinstitut Volksgesetzgebung kommt.278 Sein Vergleichsschema hat hierbei fünf Stufen: Auf einer ersten Stufe schafft Jung Vergleichskriterien, deren demokratischen Stellenwert er auf einer zweiten bestimmt. Diese Kriterien werden dann sowohl an den parlamentarischen als auch an den plebiszitären Problemlösungsversuch angelegt. Es folgt eine Gegenüberstellung und Bewertung der daraus gezogenen Schlüsse, bevor schließlich die Allgemeingültigkeit des Ergebnisses für die Bewertung der Volksgesetzgebung als Verfassungsinstitut festgestellt wird. Sein erstes Vergleichskriterium ist „die durch Offenlegung und Nachvollziehbarkeit erreichte Durchsichtigkeit der politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse“, die Jung unter dem Begriff „Transparenz“ zusammenfasst.279 Hier schneidet die Volksgesetzgebung 1926 deutlich besser ab als die Arbeit des Reichstages: „Im Vergleich erwies sich der plebiszitäre Lösungsversuch gegenüber den parlamentarischen Bemühungen als weitaus transparenter, das Volksgesetzgebungsverfahren erreichte insoweit einen erheblichen demokratischen Vorsprung.“280 Auch beim zweiten Vergleichskriterium, der Frage, inwieweit der einzelne Bürger am politischen Prozess partizipiert, kommt Jung zu einer „weit höheren politischen Beteiligung“ im Rahmen des plebiszitären Lösungsversuchs. Das dritte und gleichzeitig zentrale Vergleichskriterium ist die Einordnung der beiden Verfahren zwischen den Polen einer rein konfliktorientierten einerseits und einer rein konsensualistischen Form der Willensbildung andererseits. „Konsens Ebd. Eine Aufschlüsselung in einzelne Kriterien unterbleibt hier zwar, im Vordergrund steht aber immer der Vergleich mit den parlamentarischen Lösungsversuchen und -potentialen im konkreten Fall. 278 Ders., Volksgesetzgebung, S. 1053 – 1079. 279 Ebd., S. 1054 – 1058. 280 Ebd., S. 1057. 276 277

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und Konflikt“ ist für ihn der Oberbegriff, unter dem er auf die zentrale Kritik eingeht, die Volksgesetzgebung stelle einen Unruhefaktor und ein Polarisierungsinstrument dar. Hier befasst er sich mit der These Fraenkels, sie führe zur Parteienspaltung. Jung sieht sowohl eine rein kontrovers strukturierte, als auch eine rein konsensualistische Art des Entscheidungsprozesses als schädlich an. Zwar habe der plebiszitäre Lösungsversuch eine erhebliche Konfliktaustragung mit sich gebracht, dies dürfe jedoch nicht als Zwangsläufigkeit und nur negativ betrachtet werden. Die angesammelten Spannungen und die Unzufriedenheit hätten schließlich so ein Ventil gefunden. Zudem seien auch die parlamentarischen Lösungsversuche „weit entfernt von einer maßvollen Konfliktverarbeitung“ geblieben. Auch habe das Parteiensystem trotz mancher Spannungen gehalten und sei nicht, wie von Fraenkel behauptet, zerfallen: „Die Änderungen der Beziehungen zwischen den Parteien im Volksgesetzgebungsverfahren schließlich muss zwar ein Spannungsverhältnis erzeugen zu den klassischen parlamentarischen Koalitionen, doch darf dies nicht nur mit dem Raster von Unruhe und Störung betrachtet werden. Solche Ad-hoc-Koalition ergibt einen hervorragenden Indikator für Stärken und Schwächen der Integrationsleistung der Parteien, der mittelfristig auch zu besseren, weil realistischeren, wichtigen Sachthemen näheren, parlamentarischen Konstellationen führen könnte.“281

Auch für die Frage nach „Konsens und Konflikt“ kommt Jung also zu einer durchaus positiven Bilanz für Volksbegehren und Volksentscheid. Unter dem Begriff „Optimierbarkeit“ als viertes Kriterium geht Jung auf das Argument der herrschenden Meinung ein, die Volksgesetzgebung erlaube keine Kompromissfindung und beschränke sich auf ein „Ja“ oder „Nein“. Hier gesteht Jung dem parlamentarischen Verfahren grundsätzlich eine größere Flexibilität zu, obwohl im konkreten Fall der Fürstenauseinandersetzung gerade das parlamentarische Verfahren eine weitgehende Unflexibilität gezeigt habe. Dieses Manko sei aber durch einige Verfahrensänderungen leicht aus der Welt zu schaffen.282 Auch bei dem Punkt „Kosten“ gesteht Jung dem parlamentarischen Verfahren Vorteile zu. Die Nachteile im Fall des plebiszitären Verfahrens hält er aber für hinnehmbar und verteilbar. Zu einem für die Volksgesetzgebung eindeutig positiveren Ergebnis kommt der Autor danach bei der Frage, welches Verfahren eine angemessenere Komplexität der Problemlösung aufweise. „Angemessenheit“ heißt hier, eine weder vereinfachende, noch unnötig verkomplizierende Regelung zur Lösung des Problems zu finden. Hier habe sich das plebiszitäre Verfahren durchaus im Rahmen einer angeEbd., S. 1062 – 1065. Ebd., S. 1065 – 109. Später hat Jung (vgl. ders., Revision der „Weimarer Erfahrungen“, S. 106) aber auch dahingehend argumentiert, dass auch das parlamentarische Verfahren in der Schlussabstimmung auf ein „Ja“ oder „Nein“ hinausliefe, dem Volksbegehren und -entscheid also entspreche. Das plebiszitäre Verfahren habe seine Phase der Kompromissfindung eben bei Ausarbeitung des Antrages. 281 282

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messenen Komplexität gehalten, während die parlamentarischen Lösungsversuche diese teilweise weit überschritten hätten.283 Die beiden letzten Kriterien in seinem Vergleichsverfahren sind „Richtigkeit“ als ein Mittel zur Bestimmung demokratischer Qualität der Lösungsfindung und „Legitimationsstiftende Kraft“ zur potentiellen Akzeptanz der durch das jeweilige Verfahren gefundenen Lösung. In beiden Fällen kommt Jung auch hier zu einer Überlegenheit der Volksgesetzgebung. Die von der Initiative geforderte Lösung habe sehr viel eher die Meinung des Volkes ausgedrückt, und hätte sicher zu einer größeren Akzeptanz geführt als die parlamentarischen Regelungsbemühungen.284 Im Ergebnis kommt Jung mit seinem methodischen Ansatz zu „eindeutig“ positiven „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung als Problemlösungsverfahren im Fall der „Fürstenenteignungskampagne 1926“: „Das parlamentarische System erwies sich als intransparent, partizipationsfeindlich, konfliktscheu und aufwendig, vermochte allerdings einigermaßen zu optimieren. Die endlich getroffenen Regelungen waren hyperkomplex, unstimmig und wirkten kaum legitimationsstiftend. Das plebiszitäre Verfahren war viel transparenter und partizipatorisch, überzog eher den Konflikt und verlangte ähnlichen, wenn auch andersartigen Aufwand; seine Optimierbarkeit war gering. Es entwarf eine ausreichend komplexe, in sich stimmige Regelung von hoher legitimationsstiftender Kraft. Als erste ,Weimarer Erfahrung‘ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzung ergibt sich damit, dass der Versuch, das Problem im Wege der Volksgesetzgebung zu lösen, den parlamentarischen Bemühungen nach demokratischen Kriterien zumeist überlegen, mindestens jedoch gleichrangig war [ . . . ].“285

Ebenfalls eine „Weimarer Erfahrung“, aber auch eine Voraussetzung für diese positive Bewertung, ist dabei, dass die Volksgesetzgebung immer nur ein „Verfahren zweiter Wahl mit Protestcharakter“ sein könne, es also nur „antrete“, wenn die Politik versage. Wie für die anderen bereits behandelten „Revisionisten“ waren auch für Jung die relative Erfolglosigkeit und die auftretenden Probleme in erster Linie Folge eines mangelhaften Verfahrens.286 Mit diesem grundsätzlichen Verständnis von Volksgesetzgebung und dem dargestellten methodischen Ansatz hat sich Jung in anderen Schriften, wenn auch weniger tiefgehend, mit fast allen anderen Weimarer Kampagnen auf Reichsebene auseinandergesetzt.287 Auch im Hinblick auf die Versuche des Sparerbundes 1926 und der Reichsarbeitsgemeinschaft der Aufwertungs-, Geschädigten- und Mieterorganisationen Jung, Volksgesetzgebung, S. 1069 – 1075. Ebd., S. 1075 – 1079. 285 Ebd., S. 1080. 286 Ebd., S. 1080 – 1081. 287 Vgl. vor allem: Jung, Direkte Demokratie, a. a. O. Ausnahmen bilden hier nur die beiden Versuche des Reichsbundes für Siedlung und Pacht in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, auf die Jung nirgendwo genauer eingeht. 283 284

24 Schwieger

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1927 kommt er zu einer positiven Bilanz für die Volksgesetzgebung, der eine besonders fragwürdige Politik in Parlament und Parteien gegenübergestanden habe. Die beiden letzteren hätten nicht nur die plebiszitären Versuche geradezu herausgefordert, sondern diese auch noch in verfassungswidriger Weise erfolgreich bekämpft. Jung spielt damit auf das in Kap I B. 3. bereits beschriebene Verhalten des Staates an, der nach der Inflation und Einführung der Rentenmark auf Kosten der Sparer und Inhaber von Kriegsanleihen weitgehend entschuldet dastand und diesen Zustand zur Verbesserung der Staatsfinanzen bestehen ließ. Weitergehend bezieht er sich insbesondere auf das Verhalten der DNVP, die in beiden Wahlkämpfen des Jahres 1924 ihren Wählern eine gerechte Aufwertung versprochen hatte und dieses Wahlversprechen später brach. Statt der versprochenen weitgehenden Aufwertung unterstützte sie ein Aufwertungsgesetz, das private Schulden um nur 25 %, und Kriegsanleihen gar nur um 2,5 % aufwertete.288 Dabei sei die vom Sparerbund geforderte Aufwertung von 50 % pauschal auf alle Schulden, laut Jung, keine unrealistische, unbezahlbare Lösung des Problems gewesen, da auch Vorschläge der SPD oder aus konservativer Richtung eine Aufwertung von 40 % vorgesehen hätten.289 Dennoch habe die Regierung unter Reichskanzler Hans Luther mit starken Kräften aus der Wirtschaft im Rücken den so ausgelösten plebiszitären Ansatz in einer Weise bekämpft, der an ein „Kriminalstück“ erinnere. Unter dem Vorwand des „drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs“ sei der Politik jedes Mittel Recht gewesen. Hier bezieht sich Jung auf das im Ergebnis gescheiterte Abdrosselungsgesetz und die dann stattdessen zur Ablehnung der Begehren von Sparerbund und Reichsarbeitsgemeinschaft angeführte weite Auslegung des Art. 73 IV WRV.290 Spätestens dessen extensive Auslegung sei verfassungswidrig gewesen.291 Im Ergebnis sind für Jung auch diese Initiativen Belege seiner These, dass vor allem der Umgang der Politik mit der Volksgesetzgebung falsch gewesen sei, nicht jedoch das Verfassungsinstitut als solches. Auch hier seien die Initiatoren im übrigen keine Radikalen gewesen. Vielmehr sei ein „alles in allem [ . . . ] sinnvolles Projekt“ vereitelt worden.292 An dieser Stelle kehrt Jung sogar die herrschende Meinung dahingehend um, dass nach dem Scheitern der Parteiprojekte, die die Inflationsopfer später noch starteten, dieses „Potential der betrogenen und ausschließlich von der Republik malträtierten mittelständischen Inflationsopfer“ im Parteienumbruch ab 1930 zu den Nationalsozialisten überging.293 Im Fall des „Panzerkreuzers A“ setzt sich Jung mit den Deutungen der „herrschenden Meinung“ auseinander und kommt weitgehend zu denselben Ergebnissen wie die bereits dargestellten Revisionisten Hartmann und Berger. Auch er wider288 289 290 291 292 293

Ders., Direkte Demokratie, S. 17 – 21. Ebd., S. 26. Ebd., S. 24 – 26. Ebd., S. 24 – 26, 30, 33; Jung, Das Finanztabu der Volksgesetzgebung, S. 41 – 68. Jung, Direkte Demokratie, S. 31, 34 f. Ebd., S. 32 – 34.

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spricht dem Vorwurf der Demagogie,294 vor allem aber dem Vorwurf, die KPD habe diese politische Frage und das ungeschickte Taktieren der SPD nur zur Agitation gegen die SPD benutzt, die Volksgesetzgebung also missbraucht. Jung sieht dagegen in dem Antrag der KPD in erster Linie ein echtes Sachinteresse, nur in zweiter Linie habe sich das Begehren gegen die SPD, aber auch die anderen Parteien gerichtet.295 Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung sei ein „plebiszitäres Veto“, das immerhin von zahlreichen, wenn auch kleineren Gruppen im „Vorbereitenden Komitee zur Durchführung und Unterstützung des Volksbegehrens gegen den Panzerkreuzerbau“ unterstützt worden sei, durchaus „legitim“ gewesen.296 Auch hier ist es für ihn die Politik und vor allem die SPD, die versagt habe. Angesichts der Größe des Projektes hätte ein überparteilicher Konsens hergestellt werden müssen, anstatt dass eine Minderheitsregierung auf Abruf durch die Einstellung einer ersten Rate bereits Fakten schuf. Hier habe eine nationale Minderheit punktuell noch ein riesiges Rüstungsprojekt durchgedrückt, gegen das sich die SPD und besonders der spätere Kanzler Müller nicht genügend gewehrt hätten. Auch hier, wie im Fall der anderen Volksbegehren, habe der politische Willensbildungsprozess einen „demo-autoritären“ Stil gehabt.297 In dieser Situation habe sich eine direkte Entscheidung des Volkes geradezu angeboten, die Pazifisten hätten sich durchaus verfahrensadäquat verhalten.298 Dies sei erst bei der konkreten Vorgehensweise der KPD als treibende Kraft nicht mehr der Fall gewesen. Die Kommunisten hätten aus einer falschen Einschätzung der Lage und auch aufgrund der eigenen politischen Taktik überhastet agiert, einen schlechten kompromisslosen Antrag gestellt und vor allem potentielle Verbündete wie auch die SPD übergangen oder sogar angegriffen. Sie hätten sich insofern nicht an die „gegebenen Zwänge des Verfahrens der Volksgesetzgebung“ gehalten, und seien deshalb trotz guter Chancen bereits im Begehren gescheitert.299 Auf der Grundlage dieser Darstellung der Ereignisse um den Bau des Panzerkreuzers „A“ sieht sich Jung auch hier in seiner grundsätzlichen Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung bestätigt.300 Die Kampagne gegen den Young-Plan sieht Jung als einen „anderen historischpolitischen Typus des Volksentscheids“ an. Hier habe es keine Volksbewegung von unten, sondern eine Mobilisierung von oben durch DNVP, Stahlhelm und NSDAP Jung, Volksbegehren und Volksentscheide, S. 51. Ders., Direkte Demokratie, S. 81 – 84. Jung kommt hier auf bis zu 33 Gruppierungen, die mitmachten, aber massenmäßig wenig Gewicht gehabt hätten. 296 Ebd., S. 74 – 75; ders., Panzerkreuzerverbot, S. 162. 297 Ebd., S. 152 – 156. 298 Ebd., S. 156; ders., Direkte Demokratie, S 82. 299 Ebd., S. 75; ders., Panzerkreuzerverbot, S. 157 – 161. 300 Im Fall des Panzerkreuzers sieht Jung (vgl. ebd., S. 162) zudem noch wichtige positive Nebeneffekte. So sei durch die Kampagne endlich eine öffentliche Diskussion ermöglicht worden. Auch habe der Bürger das erste Mal den Eindruck bekommen, dass er nicht zwangsläufig in Rüstungsfragen ohnmächtig sein musste, dass Rüstungsfragen eben nicht nur eine Sache des Militärs als Staat im Staate sei. 294 295

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gegeben: „Das Modell von Volksgesetzgebung als der plebiszitären Korrektur einer Fehlleistung des parlamentarischen Regelbetriebs versagt hier also.“301 Jung stimmt mit der herrschenden Meinung darin überein, dass es sich um ein „Geschoss gegen das ganze verhasste System, gegen die Republik überhaupt“ gehandelt habe. Ihre „Treibladung“ sei die „Gesinnungspolitik und der Klassenkampf von oben“ Hugenbergs gewesen, ihr „plebiszitäres Kaliber“ habe sie vom Stahlhelm erhalten und das Thema sei von der NSDAP gestellt worden.302 Auch sei hier zum ersten Mal die gleiche Wählerkoalition aufgetreten, die „1925 Hindenburg ins Amt gebracht hatte und 1930 bis 1933 der nationalsozialistischen Sammlungsbewegung zuströmen sollte.“303 Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Dezidiert widerspricht er insbesondere in seinem Artikel aus dem Jahr 1989 „Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Youngplan für die NSDAP“ herkömmlichen Deutungen.304 Hitler sei nicht der große Partner Hugenbergs gewesen, sondern nur einer von sechzehn Partnern im Reichsausschuss, die NSDAP nur eine von fünf Parteien. Von einer bewussten Förderung Hitlers durch Hugenberg könne deshalb keine Rede sein. Jung sieht es als erwiesen an, dass die NSDAP noch 1929 keine nennenswerte Summen von der Wirtschaft erhalten habe, auch habe Hitler relativ wenig Erwähnung in der Hugenberg-Presse gefunden; beide seien auch nur ein einziges Mal zusammen aufgetreten. Die Argumentation, Hugenberg habe Hitler salonfähig gemacht, ihm Mittel verschafft und eine Propagandaplattform geboten, entspricht für Jung damit nicht der Wahrheit. Die NSDAP habe vielmehr selbst ihre Finanzierung sichergestellt und auch ihre eigene Propaganda in Form einer Versammlungsoffensive gestartet.305 Sie sei zudem vielmehr eine auf Wahlen ausgerichtete Partei gewesen. So sei Hitler allein im bayerischen Kommunalwahlkampf häufiger aufgetreten als in der ganzen Young-Plan-Kampagne. Dies sei auch die Basis für die Erfolge der NSDAP auf Länder- und Kommunalebene gewesen.306 In diese Deutung passt auch seine Qualifizierung der sieben von der NSDAP gestarteten Versuche, Landes- beziehungsweise Kommunalparlamente aufzulösen. Diese seien eben keine Verfahren einer Volksgesetzgebung als „punktuelle Sachregelung“ sondern „allgemeine Vertrauenswerbung“ zum Machtwechsel gewesen.307 Im Endeffekt erscheint die Kampagne gegen den Young-Plan auch bei Jung als Versuch, die Volksgesetzgebung zu missbrauchen. Dieser sei jedoch gescheitert und sei ohne direkten Zusammenhang mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus Ders., Direkte Demokratie, S. 109. Jung, Volksbegehren und Volksentscheide, S. 61. 303 Ders., Direkte Demokratie, S. 127. 304 Jung, Plebiszitärer Durchbruch, S. 489 – 510. 305 Ebd., S. 492 – 502. 306 Ebd., 502 – 503, 510. 307 Jung, Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite, S. 77. Diese müssten auch deshalb außer Betracht bleiben, da eine solche Möglichkeit auf Reichsebene nicht existiert habe. 301 302

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geblieben. Auch hier ist für Jung in erster Linie ein Versagen der Politik die Ursache der innenpolitischen Spannungen, die auch die Reparationsproblematik nicht ordentlich habe bewältigen können.308 Jung kommt in Bezug auf die Verknüpfung von Hitlers Aufstieg und Young-Plan-Kampagne in der herrschenden Meinung zu dem Schluss: „Bis ins Detail der Propagandakampagne hinein drängt sich bei diesem Befund der Eindruck auf, dass in einer Art Rückwärtsprojektion traumatische Erfahrungen der Reichstagswahl 1930 dem Volksentscheid des Vorjahres angelastet werden.“309 Alle herausgearbeiteten „Weimarer Erfahrungen“ sind bis auf die im Rahmen der Young-Plan-Kampagne für Otmar Jung Argumente, die eher für die Etablierung von Volksgesetzgebung im Rahmen eines parlamentarischen Systems sprechen. Für ihn sind die Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung positiv; versagt hat die Politik der Parteien und Regierungen. Der plebiszitäre Korrekturversuch habe sich in Weimar nach demokratischen Kriterien in den meisten Fällen dem parlamentarischen Lösungsansatz „als überlegen, zumindest aber als gleichrangig“310 erwiesen. Die Probleme ließen sich abstellen, wenn man das Verfahren verbessere, und wenn der Parlamentarismus die Volksgesetzgebung als „ein sekundäres Verfahren zur punktuellen und begrenzten Korrektur parlamentarischer Entscheidungen“311 akzeptiere und integriere.

4. Die Frage nach einer einheitlichen Gegenposition zur herrschenden Meinung in der Gegenwart und die Konsequenz der historischen Neubewertung für die Auslegung des Grundgesetzes Die Formulierung einer einheitlichen revisionistischen „Mindermeinung“ ist nicht so einfach, wie für die „herrschende Meinung“. Es gibt forschungsgeschichtlich nicht die „gute Weimarer Erfahrung“ als anerkannten klar definierbaren Gegenpol zur „schlechten Weimarer Erfahrung“ mit Volksbegehren und Volksentscheid. In den Beiträgen werden zumeist nur sehr punktuell und in unterschiedlicher Weise herrschende Deutungen in Frage gestellt bzw. als widerlegt angesehen. Nur wenige Autoren haben eigene umfassende und tiefergehende historische Forschungen angestellt.312 Die „Weimarer Erfahrung“ mit Volksgesetzgebung wird außerdem oftmals nur relativ kurz und am Rande anderer Schwerpunkte der ArbeiEbd., S. 79. Ders., Direkte Demokratie, S. 133. 310 Ders., Kritik und Tragweite, S. 79. 311 Ebd., S. 63. 312 Weitgehend fehlen diese in Bezug auf Weimarer Volksgesetzgebungsverfahren bspw. bei dem in der Sache sehr wohl Stellung nehmenden Uwe Berlit. Vgl. ders., Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 76 (1993), S. 318 – 359, S. 340; Bettina Knaup, Plebiszitäre Verfahren, S. 20. 308 309

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ten behandelt.313 Einen falschen Eindruck von Einheitlichkeit würde man geben, wenn man die „Position Jung“ als „die Mindermeinung“ darstellte. Er steht mit seinem Ergebnis von überwiegend bis eindeutig „guten Weimarer Erfahrungen“ nur an der Spitze unterschiedlicher revisionistischer Autoren. Dennoch enthalten fast alle „revisionistischen Beiträge“ eine gleichlautende Grundlinie. Einigkeit besteht vor allem darin, dass die bisherige „herrschende Meinung“ falsch ist, insbesondere zwei zentrale Deutungen als widerlegt angesehen werden müssen. Diese sind die These einer dem Verfassungsinstitut inhärenten Gefahr politischer Radikalisierung sowie die historische Verknüpfung von Adolf Hitlers Aufstieg mit der Volksgesetzgebung. Der Bielefelder Staatsrechtler Christoph Gusy, der selber eine vermittelnde Position zwischen dem Ruf nach Revision und herrschender Meinung über die Weimarer Verfassungswirklichkeit vertritt, hat dies mit den Worten ausgedrückt: „Die neuere Forschung ist nicht auf das eine oder andere Ergebnis festgelegt. Sie weist aber die einseitige These zurück, wonach eine eindimensionale Ursache-Wirkungs-Kette von den Weimarer Volksabstimmungen – oder gar deren Regelungen in der Reichsverfassung – bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten geführt hätte“.314

Statt Volksbegehren und Volksentscheid als solche, erscheinen zumeist der fehlerhafte Umgang mit Volksgesetzgebung durch Politik und Verfassungslehre und ein problematisches Verfahren in der Weimarer Republik als Hauptproblem. Grundsätzlich seien damals auch Volksbegehren und Volksentscheid potentiell ein geeignetes Korrektiv zum damaligen, oft nur mangelhaft funktionierenden, Parlamentarismus gewesen. Wie im Fall der herrschenden Meinung, lassen sich die Erfahrungsebenen der übergeordneten politischen oder auch verfassungstheoretischen Theorie und die der Verfassungswirklichkeit unterscheiden. Beide sind aber, wie im übrigen auch schon bei den die „bewährten Deutungen“ weiterführenden Autoren festgestellt, sehr viel enger miteinander verknüpft als noch in der Literatur der 50er und 60er Jahre. Dies ist die Folge der immer besseren Erforschung der Weimarer Geschichte im Hinblick auf die Volksgesetzgebung. Auffallend ist, dass es insbesondere Juristen sind, die in den letzten Jahren eine Revision der bisherigen historischen Deutungen verlangen. Den dargestellten Obst, Berger und Rux aber auch den bisher nicht genannten Albert Bleckmann, Günther Jürgens, Ekkehart Stein, Christian Pestalozza, Roland Geitmann und Bernhard Schnurr, deren Stellungnahmen für die obige Darstellung inhaltlich nichts Nennenswertes beitragen, geht es dabei zumeist um mehr als nur eine historische Neu313 So zum Beispiel die insgesamt sehr lesenwerte Tübinger Habilitationsschrift von Johannes Rux, (ders., Direktdemokratische Verfahren, a. a. O.). Rux hat sich der Thematik außerdem noch in einem bereits behandelten eigenen Aufsatz gewidmet. Vgl. ders., Direkte Demokratie, a. a. O. 314 Christoph Gusy, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung, in: Jura, 1995 S. 226 – 234, 228 – 229; ders., Weimarer Reichsverfassung, S. 397; Rux, Direkte Demokratie, S. 297.

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bewertung.315 Diese ist nur Grundlage dafür, sowohl die juristisch-historische Auslegung, als auch die damit verbundene Anwendung des Grundgesetzes, vor allem zu Art. 20 II Satz 2 GG, in Frage zu stellen. Teilweise halten diese Autoren sogar eine Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene ohne Grundgesetzänderung für möglich.316 Bezugspunkte ihrer juristischen Argumentationen sind das Demokratieprinzip des Art. 20 I, II, III GG sowie das Sozialstaats- und Föderalismusprinzip des Art. 20 I, 28 I S. 1 und 2 GG.317 Sie stellen zumindest bis heute eine allerdings wachsende Minderheit dar.318 Beherrscht wird das wissenschaftliche Meinungsfeld in der Staatsrechtswissenschaft auch weiterhin durch einflussreiche Staatsrechtler wie Josef Isensee, Peter Badura, Bruno Schmidt-Bleibtreu, Ingo von Münch oder Reinhold Zippelius, die die bisherige Auslegung verteidigen und aufrechterhalten. 319

5. Die Kontroverse Jung contra Meineke (1992 – 1996) – Bisheriger Höhepunkt der wissenschaftlichen Diskussion vor dem Hintergrund der Gemeinsamen Verfassungskommission Aus Anlass der Konstituierung der Gemeinsamen Verfassungskommission nach der deutschen Wiedervereinigung veröffentlichte der Historiker Stefan Meineke 315 Vgl. Albert Bleckmann, Die Zulässigkeit des Volksentscheids nach dem Grundgesetz, JZ 33 (1978), S. 217 – 233; ders., Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, Köln 1993, Rdnr. 347 – 9; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 263 – 316; Kommentierung Ekkehart Stein, in: Kommentar zum Grundgesetz für die BRD (Reihe Alternativkommentare), hg. v. Rudolf Wassermann (2. Aufl.), Neuwied 1989, Art 20 Abs. I-II, Rdnr. 39 ff.; Christian Pestalozza, Der Popularvorbehalt: direkte Demokratie in Deutschland, (Vortrag vor der jur. Gesellschaft Berlin am 21. 1. 1981), Berlin 1981; Geitmann, Volksentscheide auch auf Bundesebene, a. a. O.; Bernhard Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren, Volksentscheid und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, Diss. jur., Konstanz 1987, S. 44 – 49. 316 Vgl. ebd. 317 Stein, in: Kommentar zum Grundgesetz für die BRD, Art 20 Abs. I-II, Rdnr. 39 ff.; Schnurr, Volkbegehren, S. 181. 318 Vgl. Ulrich Battis / Christoph Gusy, Einführung in das Staatsrecht (2. Aufl.), Heidelberg 1986, S. 33 – 34. Bsp. einer hier neutralen, offenen Position sind: Christoph Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, Heidelberg 2002, Rdnr. 62; Jörn Ipsen, Staatsrecht I, Neuwied 1999, Rdnr. 94 – 7; Maunz / Dürig, Grundgesetz – Kommentar, (Stand 17. 10. 02), Bd. II Art. 12 – 20, Art. 20 II, Rdnr, 38 – 41. 319 Vgl. Josef Isensee / Paul Kirchof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Heidelberg 1987, § 39 Rndr. 1 – 17; Peter Badura, Vortrag zum Thema: Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer, Berlin 1985; Peter Lerche, Grundfragen repräsentativer und plebiszitärer Demokratie, in: Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, Symposium zum 60. Geburtstag von Peter Badura, hrg. v. Peter Huber u. a., Tübingen 1995, S. 179 – 193; Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz (9. Aufl.), Neuwied 1999, § 38 Rdnr. 22b (S. 796); Ingo von Münch, Grundgesetz Kommentar, Stuttgart 2000, Rdnr. 137 – 9; Theodor Maunz / Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, München 1998, S. 72.

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1992 im Jahrbuch für Politik320 einen Artikel unter der Überschrift „Die antiplebiszitäre Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates – eine Fehlverarbeitung der Geschichte?“. Er sprach sich darin ganz im Rahmen der herrschenden Meinung für eine negative Bewertung der „Weimarer Erfahrungen“ und gegen eine Wiedereinführung der Volksgesetzgebung aus. Dieser Artikel bewegte Otmar Jung zu einer Stellungnahme, die im Jahr darauf ebenfalls im Jahrbuch für Politik erschien. Es entbrannte ein erst 1996 endender wissenschaftlicher Streit zwischen beiden Wissenschaftlern, in dem die herrschende Lehre mit der totalrevisionistischen Position Jungs zusammenprallte. 321 Bezeichnenderweise war es Reinhard Schiffers, der 1996 den abschließenden, inhaltlich vermittelnden Beitrag zu dieser Kontroverse formulierte. Seine Position steht insofern nicht nur am Anfang einer Neubewertung Weimarer Volksgesetzgebung seit dem Ende der 60er Jahre, sondern auch am Ende des vorläufigen Höhepunkts der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema seit 1949. Wie die Beiträge Fraenkels, Schiffers und Jungs steht die in der Forschung bisher wenig beachtete Kontroverse Meineke versus Jung in Beziehung zu einem besonderen verfassungspolitischen Hintergrund, eben der Verfassungsreformdiskussion im Rahmen der Wiedervereinigung. Exemplarisch wird, wie bereits in Bezug auf die Staatsrechtslehre angedeutet, deutlich, dass die Bewertung der „Weimarer Erfahrung“ meistens gleichzeitig ein Streiten oder zumindest eine Stellungnahme für oder wider die Einführung der Volksgesetzgebung in der Bundesrepublik ist. Wieder hat die „Weimarer Erfahrung“ eine aktuelle verfassungspolitische Funktion und wird instrumentalisiert: „In konsequenter Fortführung ihrer Argumentationslinien für die Weimarer Zeit ziehen beide Autoren [Jung, Meineke] ihr Fazit – ohne irgendeine Einschränkung – für die aktuelle Verfassungslage“, so hat Schiffers dies in seinem abschließenden Beitrag ausgedrückt.322 Meineke und Jung streiten in ihren aufeinander Bezug nehmenden Aufsätzen zum einen über die Verfassungswirklichkeit Weimars, zum anderen auf dieser Grundlage darüber, ob Volksgesetzgebung im Rahmen eines demokratisch-parlamentarischen Systems grundsätzlich überhaupt geeignet ist. Die einzelnen Deutungen der herrschenden Meinung wie auch die Sichtweise Jungs wurden bereits Ab 1996 erschienen als Zeitschrift für Politikwissenschaft. Vgl. Stefan Meineke, Die antiplebiszitäre Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates – eine Fehlverarbeitung der Geschichte?, in: JfP 2 (1992), 2. Hlbd., S. 203 – 230; Otmar Jung, Die „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite. Stellungnahme zum Beitrag Meinekes im Jahrbuch für Politik 1992, in: JfP 3 (1993), 1. Halbbd., S. 63 – 92; Stefan Meineke, Die Weimarer Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz der Forschung und Kritik neuer Revisionsversuche, Stellungnahme zum Beitrag Jung im Jahrbuch für Politik 1993, in: JfP 4 (1994) 1. Hlbd., S. 105 – 156; Otmar Jung, Zur Revision der „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung. Stellungnahme zum Beitrag Meineke im Jahrbuch für Politik 1994, in: JfP 5 (1995), 1. Halbbd., S. 67 – 116. 322 Reinhard Schiffers, „Weimarer Erfahrungen“: Orientierungshilfe für die Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz?, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 6 (1996), Heft. 2, S. 349 – 374, S. 351. 320 321

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dargestellt und sollen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Forschungsgeschichtlich von Interesse ist aber, was sich die beiden Autoren über die Darstellung ihrer jeweiligen historischen Sicht hinaus gegenseitig vorwerfen. Meineke wirft Jung eine „verzerrte Wahrnehmung der Verfassungswirklichkeit“323 beziehungsweise eine „Verkürzung der plebiszitären Verfassungswirklichkeit“324 vor. Jung löse die Volksgesetzgebung aus dem Zusammenhang des politischen Gesamtsystems und betrachte sie isoliert.325 Er habe ein feststehendes Modell, das er der Geschichte überstülpe.326 In diesem versuche er die „Krisenanfälligkeit des Weimarer Parlamentarismus in ein Argument für plebiszitäre Verfassungsreformen umzumünzen“.327 Jung habe eine Untersuchungsperspektive gewählt, die „weder die eigentlichen Ursachen noch die politischen Wirkungen plebiszitärer Abstimmungen adäquat erfassen“ könne.328 Diese Perspektive, in der der „politischen Selbsttätigkeit des Bürgers“ ein „derart hoher Wert zugemessen“ würde, dass „die Frage nach den möglichen Folgen plebiszitärer Aktionen von vornherein als unwesentlich“329 erscheine, hindere ihn letztlich daran, in der Volksgesetzgebung die „Risikotechnologie“ zu erkennen, die sie sei. Das Verhältnis von Risiken zum möglichen Zugewinn an demokratischer Teilhabequalität stimme einfach nicht.330 Diesen Vorwürfen begegnet Jung mit dem Argument, Meineke verschließe seine Augen vor der Weimarer Verfassungswirklichkeit, zudem arbeite er auf einer ungenügenden empirischen Forschungsgrundlage.331 Hauptproblem sei aber Meinekes „gouvernementales Verständnis von Politik“. Er interessiere sich nicht für das Volk als Subjekt im politischen Willensbildungsprozess. Dieses sei für Meineke lediglich „Objekt“ im Spiel von Parteien, Interessenorganisationen und Verbänden, den eigentlichen „Großakteuren“ der Politik.332 Deshalb tue er die „mit dem Volksgesetzgebungsverfahren verbundenen Basisvorgänge als ziemlich belanglos ab“333 und erkenne in ihnen nicht die Möglichkeit einer Machtkorrektur im parlamentarischen System und die „Chance zur integrativen Verlebendigung demokratischer Strukturen“.334 Somit werfen sich beide Autoren ihre jeweilige Perspektive, vor allem aber ihr jeweiliges Demokratieverständnis vor.335 Dieses verneble beim jeweils anderen Meineke, Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 208. Ders., Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz, S. 119. 325 Ders., Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 208. 326 Ders., Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz, S. 120, 121, 125. 327 Ders., Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rates, S. 207. 328 Ders., Erfahrungen mit der Volksgesetzgebung: Bilanz, S. 126. 329 Ebd., S. 142 – 143, 152. 330 Ebd., S. 111. 331 Jung, Revision der „Weimarer Erfahrungen“, S. 71 – 72. 332 Ebd., S. 71. 333 Ebd., S. 73. 334 Jung, Volksgesetzgebung: Kritik und Tragweite, S. 89. 335 Vgl. hierzu auch: Günther Rüther, Was verbirgt sich hinter der Forderung nach mehr direkter Demokratie?, S. 10 – 14. 323 324

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die Sicht auf die Ereignisse in der Weimarer Republik und führe so zu „falschen“ „Weimarer Erfahrungen“. Für Meineke steht die Funktionstüchtigkeit des politischen, parlamentarischen Systems und eine Minimierung ihrer Gefährdungen im Vordergrund. Diesem Ziel ordnet er das Maß der demokratischen Teilhabe des Einzelnen unter. Dagegen geht Jung von einer höheren demokratischen Qualität des politischen Systems durch die Volksgesetzgebung aus. Dies wiege mögliche Risiken mehr als auf, was er auch für Weimar meint konstatieren zu können.

Schlussbetrachtung Eine tiefergehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer gesamtstaatlichen Volksgesetzgebung in Deutschland begann mit der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid durch die Weimarer Reichsverfassung 1919. Geleistet wurde sie durch die Staatsrechtswissenschaft auf zwei Ebenen. In rechtsdogmatischer Hinsicht galt es, eine Vielzahl von kleineren und größeren Auslegungs- und sich aus ihnen ergebenden Anwendungsfragen zu diskutieren und zu beantworten. Insbesondere die Bestimmungen über Beteiligungshürden und die Reichweite eines Finanzvorbehaltes führten zu juristischem Streit, wie er bis heute auf der Grundlage moderner Regelungen auf Länder- und Kommunalebene existiert. Die andere Ebene der wissenschaftlichen Betrachtung war eine rechtspolitische. Ausgehend von der Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung der Weimarer Republik aber auch einer weitverbreiteten Abneigung gegenüber dem Parlamentarismus, wurden die zentralen Fragen nach der Kompatibilität von Parlamentarismus und Volksgesetzgebung in einem demokratischen System und dessen politischer Stabilität behandelt. Die Staatsrechtswissenschaft kam hierbei trotz einer einheitlich negativen Bewertung der jeweiligen Volksgesetzgebungsverfahren nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung von Volksbegehren und Volksentscheid als demokratischem Korrektiv gegenüber dem Reichstag. Forschungsgeschichtlich spiegeln sich im Umgang mit den Art. 73 – 76 WRV die Problematik des damals noch herrschenden Positivismus, eine nur bedingt existierende Überprüfbarkeit verfassungsrechtlicher Fragen durch den Staatsgerichtshof und eine nur teilweise entwickelte demokratische Kultur in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft wider. Mit dem Untergang der Weimarer Verfassung ging auch die demokratische Weimarer Volksgesetzgebung unter. Die Idee einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk wurde scheinbar durch das Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 aufgegriffen. Es war dem Wortlaut nach nicht undemokratisch und konnte zunächst sogar als eine Erweiterung der Art. 73 – 76 WRV interpretiert werden. In seiner praktischen Anwendung wurde das Volksabstimmungsgesetz jedoch von Beginn an zu einem rein propagandistischen Akklamationsinstrument des Hitler-Regimes nach innen und außen. Auf wissenschaftlicher Ebene kam einer nunmehr nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft die Aufgabe zu, diesen Missbrauch einer unmittelbaren Beteiligungsform des Volkes an der politischen Willensbildung staatsrechtlich-ideologisch zu verhüllen. Sie legitimierte auf der Grundlage eines „völkischen“ Staatsmodells, neuer Begrifflichkeiten und der konsequenten Ablehnung der Weimarer Republik und Volksgesetzgebung die nationalsozialistische

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Schlussbetrachtung

Machtübernahme und Herrschaft als „plebiszitär-demokratisch“. Die massiv gesteuerten Volksabstimmungen wurden zu scheinbar wichtigen Elementen einer plebiszitär-identitären Herrschaft Hitlers.1 Möglich war dies nur dadurch, dass sowohl die rechtsdogmatische als auch die übergeordnet rechtspolitische wissenschaftliche Betrachtung dem nationalsozialistischen Selbstverständnis und der staatlichen Willkür vollkommen untergeordnet wurde. Indem die Staatsrechtswissenschaft es akzeptierte und rechtfertigte, dass staatliches Handeln nicht mehr an geschriebenes Recht gebunden war – sie stattdessen die Auffassung vertrat, staatliches Handeln könne Gesetze wie das Volksabstimmungsgesetz auch entgegen ihrem Wortlaut verändern – gab sie nach heutigen Maßstäben weitgehend ihre Wissenschaftlichkeit auf. Nach dem Ende des „Dritten Reiches“ entschied sich der Parlamentarische Rat gegen eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Das Argument „schlechter Erfahrungen“ mit dieser Form der politischen Willensbildung in der Weimarer Republik spielte hierbei eine Rolle. Sein Gewicht kann neben anderen Entscheidungsfaktoren aber nicht eindeutig bestimmt werden. Auf der wissenschaftlichen Ebene wurde aus einem rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Umgang mit existierenden gesetzlichen Bestimmungen eine historiographische Suche nach den richtigen „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid auf gesamtstaatlicher Ebene. Geleistet wurde der wissenschaftliche Diskurs, der in vieler Hinsicht stellvertretend für die gesamte gesellschaftspolitische Auseinandersetzung über eine Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene steht, vor allem durch die Geschichts- und die Politikwissenschaft, die neben die Staatsrechtswissenschaft traten. Alle drei Disziplinen zusammen prägten in der frühen Bundesrepublik, als es eine politisch stabile und funktionsfähige zweite deutschen Demokratie aufzubauen galt, eine bis heute herrschende Meinung von „schlechten Weimarer Erfahrungen“. Auf der Ebene der Verfassungswirklichkeit werden hierbei die negativen Beurteilungen der Volksgesetzgebungsverfahren 1919 bis 1933 durch die Weimarer Staatsrechtswissenschaft fortgeführt. Auf einer übergeordnet verfassungstheoretischen Ebene schlussfolgert man aus „Weimar“ weitergehend auf eine grundsätzliche Inkompatibilität von Volksgesetzgebung und Parlamentarismus auf Bundesebene. In der Enquete-Kommission Verfassungsreform hat dies zur Ablehnung einer nachträglichen Einführung von Volksgesetzgebung ins Grundgesetz geführt. Auch die gleichlautende Entscheidung in der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde maßgeblich durch die herrschende Meinung beeinflusst, obwohl insbesondere hier erstmals auch eine seit Ende der 60er Jahre immer lauter werdende neuere revisionistische Mindermeinung Gehör fand. Sie stützt sich auf neue Forschungen aber auch politologische Modelle und ist das wissenschaftli1 Karl Dietrich Bracher (ders., Stufen, S. 350) hat dies bereits 1960 ausgesprochen: „Man wird deshalb zumal im Hinblick auf die Praxis nationalsozialistischer Abstimmungen sowenig von Wahlen wie von Plebisziten im eigentlichen Sinne des Wortes sprechen können. Das Gesetz vom 14. 6. 1933 verankerte ein willkürlich gehandhabtes System der gelenkten unverbindlichen Akklamationen, das einen pseudo-plebiszitären Anstrich trug.“

Schlussbetrachtung

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che Pendant zu immer lauter werdenden gesellschaftspolitischen Forderungen nach Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Ihr folgend waren die „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksentscheid und Volksbegehren zumindest ambivalent oder – im Vergleich mit dem Weimarer Parlamentarismus – sogar gut, dies vor allem hinsichtlich der übergeordneten verfassungstheoretischen Fragen einer möglichst demokratischen, politischen Willensbildung und der grundsätzlichen Vereinbarkeit von Volksgesetzgebung und Parlamentarismus. Auf der Ebene der Verfassungswirklichkeit, der politisch praktischen Erfahrungen zwischen 1919 und 1933, wird von dieser neuen Meinung zwischen durchaus positiven Aspekten aber auch Missbrauch differenziert. Forschungsgeschichtlich zeigt die wissenschaftliche Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland um die richtigen „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid ein nach und nach in der Wissenschaft und Gesellschaft gewachsenes Vertrauen in unsere Demokratie wie aber auch eine zunehmende gesellschaftspolitische Tendenz zur Basisdemokratie. Der wissenschaftliche Umgang mit der Weimarer Volksgesetzgebung spiegelt den Konflikt zwischen dem Wunsch nach größtmöglicher „Demokratisierung“ und der berechtigten Sorge vor politischer Instabilität und auch der Manipulierbarkeit demokratischer Institutionen wieder. Die dargestellte wissenschaftliche Entwicklung von 1919 bis 2002 zeigt insbesondere durch die Einbeziehung des jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrundes exemplarisch, wie sehr Wissenschaft immer auch ein Spiegelbild der jeweils herrschenden politischen Kultur sowie politisches Instrument ist. Beides lässt sich bei der Beschäftigung mit einer Art politischer Willensbildung, die jeden Einzelnen unmittelbar betrifft, wohl kaum vermeiden.

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Sachverzeichnis Abdrosselungsgesetz 58, 110, 135, 137, 140, 145, 169, 370 Abgabengesetze 50 Abrüstungskonferenz 216, 243 Absetzung 27 f., 43 f., 154 Abstimmung 20, 22 f., 37, 43 f., 47, 53 f., 66, 72, 101, 105, 107 f., 117 f., 123 ff., 143, 162, 171, 175 f., 182 ff., 191, 205, 207, 210, 213, 215, 220, 223, 228, 242, 244 ff., 269, 306, 325, 338, 345 Abstimmungsboykott 45, 53, 66, 128, 173 f., 206, 210, 362 Abstimmungsergebnis 125, 144, 223, 330 Abstimmungsfreiheit 126, 218, 223 Abstimmungsgeheimnis 223, 228, 269 Abstimmungsquoren 211 Abstimmungstag 72, 207, 222, 226 Abstimmungsverfahren 47, 107 Abstimmungsverlauf 46 Abstimmungsweise 253 Abstimmungszettel 212, 214, 223 Agitation 35, 113, 184, 200 f., 326, 328 f., 343, 354, 359, 371 Agitationsbedürfnis 276 Akklamation 159, 181, 183, 245, 251 ff. Akklamationsakt 214 akklamativ-symbolische Funktion 260, 265 akklamatorisches Verständnis des Wahlaktes 325 Aktivbürger 103, 366 altgermanische Verfassungsgrundsätze 265 ambivalente Wirkung 352 Änderungsgesetz 81, 206 Anordnung 72 ff., 80, 84, 91, 92, 97, 107, 156 f., 204, 210 Anordnungsrecht 73, 76 Anschluss 35, 37, 71, 213, 215, 226, 228, 242, 332, 357 Anschluss Österreichs 213, 300

antidemokratische Kräfte 322 antimonarchistische Stoßrichtung 359 Antragsteller 36, 46 f., 53, 117 f., 139 Arbeiterklasse 53, 360 Aristokratie 264 Atombewaffnung 316 Atomenergie 365 Auflösung des Reichstags 44, 112, 217 Aufwertung 46, 51, 54 f., 60, 136 ff., 154, 170, 360, 370 Aufwertungsbegehren 110, 136, 170, 199, 358 Ausfertigung 87, 243, 246 Ausführungsbestimmungen 43 f., 48, 71, 76, 80, 86, 113 f., 203 ff., 212, 214, 237, 331, 340 Ausführungsgesetz 26, 45, 80, 114, 212, 271 Auslegung 22, 46, 58 f., 98, 104, 115, 118 f., 122 f., 129, 133 ff.8, 143, 157, 159, 167, 179, 186, 199, 201, 209, 230, 235, 242, 248, 315, 335 f., 361 f., 370 ff. Ausnahmezustand 220 Ausschussabgeordneter 35 Austritt aus dem Völkerbund 212, 217, 243 Balance of Powers 42 Bayerischer Entwurf eines Grundgesetzes 277 beabsichtigte Maßnahme 210, 242, 244 f. Berichterstatter 45, 305 Berliner Sportpalast 217 Beschlussfassung 79, 83 ff., 125, 334 Beteiligungshürde 127 f., 143 Bewährungsfrist 216 Bewegung 202, 206, 225, 238, 247, 256, 343, 365 Bewertung der Weimarer Volksgesetzgebung 315, 333, 347, 349, 371 Bezirksparteitag 62

416

Sachverzeichnis

Bindungslosigkeit 248 Binnenkolonisation 49 Bodenreform 48 ff. Börsencrash 66 Braunhemden 221 Bundesebene 19 f., 23, 70, 270 ff., 338 f., 361 ff., 375, 380 Bundesgesetz 20, 227, 337 Bundespräsident 32, 226 f., 275 bundesrepublikanische Verfassungsentwicklung 272 Bundestag 19, 42, 80, 270 ff., 365 Bundestagsfraktion 283, 286, 297 Bundestagswahl 283, 286 Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich 227 Bürgerbeteiligung 292 ff. Bürgerinitiativen 301 DDR 271, 289 ff. Demagogie 37, 170, 280, 327 f., 343, 347, 359, 360, 371 Demokratiebedürfnis 42 Demokratiebegriff 264 Demokratieform 302 Demokratietheorie 315 Demokratieverständnis 179, 260, 299, 377 demokratisch verfasster Bund deutscher Länder 291 ff. demokratisch-parlamentarische Verfassungsorganisation 286 demokratischer Zierrat 164 demokratisches Mittel 29, 166 Denkschrift zum Entwurf des Allgemeinen Teils der Reichsverfassung 29 Deutsche Nation 31 f., 40 Deutsches Büro für Friedensfragen 273 ff. Deutschorden 49 Deutschvölkische Freiheitspartei 53 diktatorische Alleinherrschaft 258 diktatorische Tendenzen 323, 330 Diktatur 20, 24, 38, 164, 187 ff., 309 ff., 350, 352, 364 direktdemokratische Beteiligungsform 258 Direktwahl 20, 77, 287, 353 Disziplinarstrafe 65

DNVP 34, 37, 41 ff., 105 ff., 197 ff., 318, 330, 332, 347, 365, 370 f. Drittes Reiches 54, 203, 230 ff., 380 Dualismus von Volk und Regierung 186 Durchführungspraxis 230 Durchführungsverordnung 204, 212, 214 DVP 39, 41, 48, 53, 60, 344 Eigentum 51, 53, 116, 147, 282 Einflussnahme des Volkes 28 Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene 283 ff. Einführung der Volksgesetzgebung auf Reichsebene 25 Einheitsbestrebung 234 Einheitsliste 213, 218, 228, 262 Einspruch 28, 77, 79, 87 ff., 125, 156, 158, 307 Einspruch des Reichsrates 28, 77 ff., 156 Eintragungsfrist 50, 61 ff., 95, 107, 118 f., 134, 345 Elemente direkter Demokratie 23, 192, 194, 282, 351 ff. Ellwanger Freundeskreis 274 Elternrecht 273, 281 Enquete-Kommission Verfassungsreform 270, 283, 285, 288 f., 299, 307, 352, 365 Enteignung 49, 51 ff., 62, 117, 123, 128, 147 f., 169 f., 196, 198, 208, 326 f., 330 f., 342, 345, 350, 359, 365 Entschädigungen 51 Entscheidungsfrist 97, 111 ff. Entstehungsgeschichte 21, 25, 27, 93, 127, 132, 140, 198 ff. Entwurf einer westdeutschen Satzung 274 Ergebnisfeststellung 125 Erlassen 65, 269 Ermächtigungsgesetz 191, 202 ff., 222 ff., 240 ff., 248, 255, 257, 299 Ermächtigungsgrundlage 213 Evangelische Akademie Hofgeismar 361 Existenzgrundlage 48, 232 Fehlgestalt des Volksentscheids 169, 172 ff. Finanzminister 193, 208 Finanznot 47 Flüchtlingsgesetz 358 Flugschriften 31, 65

104, 159,

Sachverzeichnis Föderalismus 91, 187, 299, 302, 307 Forschungsentwicklung 23, 311, 315 Forschungsgeschichte 20, 23, 25 forschungsgeschichtliche Entwicklung 20 f., 24 Forschungshoheit 339 Fragekatalog 300 französische Revolution 253, 264 Freiheitsgesetz 63 f., 105, 107, 119, 128, 133, 144 ff., 169 ff., 198 f., 324, 346 ff. Friedensbereitschaft 216 Führerautorität 261 Führergewalt 240, 246 ff., 255, 258, 260 Führermacht 244, 259 Führerprinzip 240, 246 Führerschaft 159, 254, 266 Führerstaat 20, 179, 202, 204, 214, 230 ff., 334 Führertum 260, 263 f., 266 Fünf-Mächte-Erklärung 216 Funktionstüchtigkeit des politischen, parlamentarischen Systems 378 Fürstenenteignung 51, 53, 102, 113 ff., 140 ff., 169, 173 ff., 196, 200, 318 ff., 340 ff. Garant der Demokratie 325 Gauverfassung 161, 251 Gefahr einer kollusiven Zusammenarbeit 124 Gefolgschaft 249, 254, 257, 261 Gegenzeichnung 72 ff., 92 Gegenzeichnungspflicht 75 ff., 167 Gemeindereferendum 45 gemeinsame Verfassungskommission 271, 289 ff., 341, 363 f., 375, 380 Genfer Abrüstungsverhandlungen 217 germanische Demokratie 263, 266 germanische Verfassungselemente 251 „germanische“ Volksabstimmung 251 germanischer Volksstaat 241 gesamtdeutsche Verfassung 274, 291 f., 307 gesamtstaatliche Ebene 203, 270, 309, 380 Geschichtswissenschaft 21, 70, 304, 309, 350 gesellschaftliche Akzeptanz 332 27 Schwieger

417

Gesetz über den Volksentscheid 26, 43 ff. 67, 110, 113, 137, 140, 176, 190, 205 ff., 212, 214, 237 Gesetz über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 202 f., 215, 270 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 23. März 1933 204 Gesetzentwurf 19, 22, 33, 43 ff., 72, 80, 88, 100 f., 103, 111 ff., 173, 177, 190, 205, 207, 210, 221, 223, 294, 306 f., 326, 345 Gesetzentwurf zur Fürstenenteignung 54 Gesetzesbegründung 237, 239, 252, 257 Gesetzespraxis 245 Gesetzesverweisungen 212 gesetzgebende Körperschaft 291, 296 Gesetzgeber 19, 22, 93, 121 f., 130, 140, 169, 177, 210, 265, 331, 356 Gesetzgebungsinitiativrecht 102 Gestapo 221 Gewaltenteilung 41, 116, 148 ff., 250, 260 Gleichberechtigung 216, 218, 243 Gleichheit 151, 183, 265, 365 Großdeutscher Reichstag 213 f. Große Inflation 55 Große Koalition 283, 352 Großgrundbesitzer 49, 53 Grundgesetz 25, 150, 270 ff., 279, 281 ff., 319, 323, 334, 339, 341, 353, 364, 373 ff. Grundpfeiler der Verfassung 34, 36 Grundsatzdebatte 144, 147 Handlungsfähigkeit 153, 189, 191, 220, 252 Hassinstinkt 328 Haushaltsplan 60, 79, 81 f., 96, 133, 135, 137 f., 140 f., 288 Heppenheimer Entwurf 274 Herrenchiemsee 272, 277 ff. Herrenchiemseekonferenz 274, 276, 278, 288, 292 Herrenchiemseekonvent 280 Herrschaftssystem 187, 214, 220 herrschende Meinun 78, 87, 92, 103, 108, 130, 133, 142, 144, 156, 206, 247, 263, 271, 339, 341, 343, 349, 351, 363, 366, 370, 373, 380 Herrscherhäuser 51, 54 historische Herleitung 159 f., 251, 253 f.

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Sachverzeichnis

historische Neubewertung 235, 250, 253, 304, 339, 375 Hochschulwesen 235 Hürde 71, 109, 127, 152, 201 Hüter der Volksrechte 73 Hypothek 55 ff. ideologisches Fundament 256 Inflation 51, 54, 114, 365, 370 Inflationsopfer 56, 60, 96, 354, 358, 370 Initiativrecht 28, 30, 33, 37, 40, 101, 103 Initiativrecht des Volkes 37 Integration der Volksgesetzgebung in die Landesverfassung 45 Kabinettssitzung 208, 221 Kanzlerschaft 284, 353 Klassenfeind 343 Kompromissfindung 298, 345, 368 Konfliktlösung 33, 75 Konkurrenzproblem 152 konsultatorisch 211 KPD 51, 53, 60, 62, 96, 115, 170, 189, 197, 199, 275 ff., 301, 326, 328, 343 ff., 356, 360, 365, 371 Kriegsanleihe 55 f., 370 Kriegsbewirtschaftung 54 Kriegsende 54 Kriegsflotte 60 Kriegsschiffe 60 Kriegsschuldlüge 63, 65, 332, 348 Kriminalstück 370 Länderebene 19, 21, 179, 198, 272, 274 f., 298, 311, 332, 340, 365 Länderinitiative 276 Länderverfassung 19, 172, 176, 196, 273, 282, 309, 364 Ländervertretung 32, 82 Landreform 49 Lausanner Konferenz 215 Legitimation 153, 240, 259, 267, 274, 282, 355 Legitimationsmangel 302 Liberalismus 39, 183, 264 Machtergreifung 23, 189, 192, 198, 214, 220, 230 ff., 254, 313, 320 f., 329 f., 374 Machtprobe 327

Machtsphäre 321 Machtübernahme 191, 231, 235, 350, 380 Magistrate 185 f. Massenagitation 326, 328 Massendemagogie 328, 340 Massenflucht 289 Massenprotest 289 Mauerbau 320 Menschenrechtsinitiative 289 Mindestbeteiligung 176, 211 Ministerialrat 86, 113, 122 ff., 136, 140, 149, 163, 205, 243, 251, 276, 286 Ministerpräsident 65, 193, 197, 227, 272, 274, 290 ff. Mittlerfunktion der Parteien 318 monopolisierter Kontrollapparat 329 Nachkriegsjahre 217 Nachkriegszeit 19, 309, 315, 320, 334 ff., 357 Nation 32, 40, 183, 188, 195, 206, 216, 247, 257, 268, 352 Nationale Revolution 231 Nationalismus 164, 282 Nationalsozialismus 180, 197 f., 220, 231 ff., 241, 249 f., 253, 256 ff., 310, 320 f., 330 ff., 352, 361, 372 Nationalsozialist 234, 238, 268 nationalsozialistische Volksabstimmung 23 f., 211 f., 253, 267, 311, 315, 331, 333, 341, 364 nationalsozialistischer Missbrauch 270 nationalsozialistisches Grundprinzip 247 Nationalversammlung 25, 27, 32 ff., 41, 43 f., 68 f., 77, 82, 89, 98, 110, 113, 128, 130, 141, 148, 154 f., 192, 194, 201, 340 normativ 25, 31, 153, 198, 230 NSDAP 63 f., 189, 200, 204, 217 f., 223, 226, 234, 256, 259, 263, 330, 332, 344, 346 f., 361, 364, 371 obligatorischer Obmann des Volkes 73 obligatorisches Verfassungsreferendum 37 Oligarchie 264 Opposition 64, 267, 284, 289, 325, 343, 347, 352, 361 österreichisches Staatsrecht 31, 77

Sachverzeichnis Panzerkreuzer 60 f., 115 f., 143, 154, 170, 199 f., 304, 318, 326, 342, 354, 357 Panzerkreuzerbau 61, 147, 154, 169, 357, 360 Panzerkreuzer A 61, 348, 370 parlamentarisch-repräsentative Demokratie 306 parlamentarische Demokratie 29, 193, 197, 202, 285, 318, 321, 350, 375 parlamentarische Lösung 52, 345 Parlamentarischer Rat 42, 270 ff., 292 ff., 334, 348 ff., 364, 376 f. Parlamentarismus 22, 28, 30, 34 ff., 43, 68, 77, 127, 166, 172, 176, 178, 183, 185, 188, 192, 195, 197, 210 f., 239, 241, 254, 264, 266, 301, 303, 309, 317, 319, 321, 328, 333, 335 f., 339, 347 f., 353, 356 f., 367, 373 f., 377, 379 f. Parlamentarismusdiskussion 341 Parlamentsauflösung 37, 274, 311, 340 Parlamentsgesetz 297 Parlamentsherrschaft 30, 188, 323, 354 Parlamentsmehrheit 294 Parteienherrschaft 39, 258 Parteienkonkurrenz 301 Parteienstaat 179, 186, 315 ff., 322, 324, 336, 340, 355, 358 Parteiorganisationen 66, 275 parteipolitisches Kräfteverhältnis 295 Parteizugehörigkeit 297 Petitionsrecht 103 plebiszitär-revolutionäre Flut 331 plebiszitäre Kampagne 344 plebiszitäre Komponente der Demokratie 287 politische Willensbildung 25, 68, 198, 258, 326, 381 politischer Gesamtakt 256 politischer Idealismus 42 politisches System 176, 178, 301, 332, 349, 378 Politologie 70, 309 pouvoir constituant 27, 29, 185 pouvoirs constitués 27, 29 Praktikabilität des Anordnungsrechts 78 praktische Relevanz 25, 71, 79, 94, 102, 127, 134, 143, 168 f., 172 präsidiales Recht 78 Präsidialkabinett 78, 187, 347 27*

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Pressedienst 64 Propaganda 213, 217, 226 f., 249, 256 f., 265, 269, 324 ff., 330, 332, 343, 347, 355, 366, 372 Propagandainstrument 328 Protokolle 26, 42, 204, 270, 273, 277, 279, 317, 350 provisorischer Charakter 272, 274, 290 Prüfung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse 47 Radikalisierung 34, 63, 329, 332, 366, 374 Radikalisierung der Gesetzgebung 35 Radikalisierungsthese 360 Radikalismus 170 Räte als basisdemokratisches Element 39 Rechtsanwalt 31, 255, 303, 316 Rechtsausschuss des Reichstages 45, 98 Rechtsfigur 83 Rechtsform 210, 239 Rechtsidee 254 Rechtsmittel 46, 58, 74, 82, 93, 95, 106, 109, 111, 126, 139, 159 Rechtsnatur 71, 73, 82 f., 91 f., 96 f., 101 ff., 122, 134, 236 Rechtsstaat 53 Referendum 22, 28 ff., 45, 68, 73 ff., 77, 82, 84 f., 92, 100, 102 f., 122 ff., 135, 142 ff., 151, 153, 156, 160, 163 ff., 184, 186, 196 f., 211, 253, 279, 323, 332 f., 342, 352 ff., 355 Reformpropaganda 323 Regelungsgehalt 212, 241, 250 Regelungsmaterie 72 Regierungskoalition 77 Regierungsmitglied 75, 77, 294 Regierungspolitik 260 Reichsabstimmungsordnung 22, 47 Reichsausschuss 64, 372 Reichsauschuss für Volksentscheid gegen Panzerkreuzerbau 62 Reichsbund für Siedlung und Pacht 48, 50, 102, 134, 136, 169, 198, 354, 369 Reichsgesetzblatt 46, 137, 204, 208, 210, 223, 246 Reichsinteresse 84 f. Reichslandbund 64 Reichsmarine 60 Reichsmark 54 f., 60 f., 64, 215

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Reichsminister des Inneren 27, 48, 50, 52 ff., 95, 109, 111, 113 ff., 134, 204, 207 f., 212, 237, 269 Reichsministerium des Inneren 48 ff., 126, 204 f., 213 f., 221, 243 Reichsorgan 28, 185, 239 Reichspräsident 25, 27 ff., 43, 53, 63, 71, 75, 81, 84, 86, 88, 90 ff., 98 f., 111, 124 f., 130 f., 133, 137, 149, 153 f., 156, 178, 184, 220, 222, 231, 244, 322 ff., 333 ff., 353 Reichspräsidentenamt 212, 242, 257, 324, 357 Reichspräsidentenbüro 74 Reichsrat 25 ff., 36, 40, 43 f., 78 f., 81, 94, 96, 99, 120 ff., 131, 138, 153, 157 f., 178, 184, 207, 211 Reichssiedlungsgesetz 48 ff., 50, 117, 136 Reichsstimmordnung 26, 43, 47, 72, 95, 100, 126, 183, 212, 214 Reichstagsbeschluss 71 f., 83, 90, 124, 129, 152 ff. Reichstagsfraktion 47, 51, 61 f., 67, 112 Reichstagswahl 108, 188, 212, 214, 217 f., 227 ff., 337, 262, 267, 359, 360, 373 Reichstagswahlrecht 213 Reichswehr 216, 223 Reichswehrminister 208, 216, 221 reine Demokratie 182, 266 Reparationsproblematik 373 Reparationsverpflichtung 63, 215 Reparationszahlung 54, 64, 193 Repräsentation 39, 153, 182, 186, 264, 319, 324, 340, 345 Repräsentationsprinzip 38 f. repräsentativ-parlamentarisches System 287 repräsentativ-parlamentarisches Verfassungssystem 70 repräsentatives Verfassungsgefüge 320, 341 Repräsentativsystem 297, 323, 333, 355 Republikanischer Reichsbund 366 Restauration 220 revisionistische Tendenz 351, 357, 363 Revolution 27, 31, 49, 51, 64, 193 f., 202, 231 ff., 247, 249, 253 ff., 293, 296, 298, 343 Revolution von 1918 49, 51

revolutionäre Situation 332 revolutionärer Charakter 331 Rücknahme sozial- und wirtschaftspolitischer Notverordnungen der Reichsregierung 1932 66 Runder Tisch 289, 292 Rundfunkrede 65 SA 216, 220 Sachverständigenanhörung 296, 300, 304, 306 Sachverständiger 286, 300, 302 Sanktion 27, 180, 185, 243, 245 Sanktionsrecht 83 Säulen der Verfassung 29, 32 Schlichtungsfunktion 25 Schranken 71, 91, 109, 127, 147 f., 150, 152 Schuld Deutschlands 63 Schulspeisung 61 Schutzstaffel 221 Sicherheitsdienst 221 Siedlungsaktivität 49 Siedlungsbegehren des Reichsbundes für Siedlung und Pacht 46 Siedlungsland 49, 114, 354 Siedlungsstelle 49 Siedlungstätigkeit 48 f. Souverän 29, 32, 83, 156 sowjetische Besatzungszone 301 Sozialausgabe 66 Sozialdemokratie 38 f., 68 f., 112, 130, 316, 319, 346, 360 Sozialleistung 60 Sparerbund und Reichsarbeitsgemeinschaft 54, 370 Sparerbund-Dr. Best 56, 58 SPD 19, 35, 38, 40, 42 ff., 60, 62, 65, 69, 110 f., 128, 130, 199, 273, 277 ff., 286, 290 f., 294, 300, 304, 307, 316, 318, 326, 344, 348, 354, 359 f., 365 f., 370 f. Splittergruppe 288 Staatsanleihe 54 Staatsgrundgesetz 257 f., 261 Staatshaushalt 58 f., 293 Staatsmaschinerie 266 Staatsmodell 231, 255, 263 Staatsnotwehr 221

Sachverzeichnis Staatsoberhaupt 29, 32, 77, 212 f., 221 f., 231, 242, 255, 322 ff. Staatsorgan 29, 72, 153, 175, 178 Staatsrechtslehrer 32, 74, 83, 97, 99 f., 113, 151, 190, 268, 290, 309, 335, 375 Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich 231, 236 ff. Staatssekretär 27, 204, 206, 233, 277, 285 f., 298 Staatstheorie 253 Staatswillensbildung 153, 252 Stahlhelm 63, 348, 361, 371 Statistik 49, 54, 63, 218, 223 Stimmabgabe 105, 108, 119, 163, 212, 260 Stimmberechtigter 19, 22, 34, 37, 40, 46, 53 f., 63, 65 f., 76, 80, 94 f., 100 f., 113, 119 ff., 143 f., 158, 166, 174 ff., 191, 195, 205 f., 220, 223, 228, 275, 295, 306, 327, 362, 366 Stimmengleichheit 33 Stimmenmehrheit 80, 98 Stimmzettel 46, 214, 218, 228 Strömung 41, 188, 267, 298, 324 strukturelle Inkompatibilität 322 Taktik 128 f., 173, 177 f., 371 Territorialplebiszit 20, 22, 31, 43 ff., 215, 270, 273 Totalrevision 42, 285, 295, 363 Träger der Staatsgewalt 265 Treuebekenntnis 268 Umsturzversuch 221 Unruhefaktor 280, 368 Untersuchungsperspektive 377 Verein für Wirtschaft und Recht 34 Verfassungsanalyse 315 Verfassungsänderung 27 f., 32 ff., 48, 58, 68, 79, 91 ff., 113, 122 ff., 141 ff., 176 f., 189, 237, 287 ff., 297, 308, 338 Verfassungsausschuss der Nationalversammlung 34, 41, 88, 166 Verfassungsausschuss in Heppenheim an der Bergstraße 274 Verfassungsentwurf 25, 27 ff., 34 f., 39 f., 88, 272 ff., 292, 294 verfassungsgebende Versammlung 272

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Verfassungsgeber 32, 140, 148, 175 Verfassungsgefüge 34, 132, 231, 257, 310, 335, 337 Verfassungskonzept 38 Verfassungsleben 108, 169, 172, 255, 261 f., 268 Verfassungsreferendum 20, 22, 33, 37, 155, 205, 270, 302, 306 Verfassungsrichtlinie 275 Verfassungstheorie 171, 188, 299 Verfassungstyp 264 Verfassungsväter 26, 42, 84, 91, 98, 107, 128, 132, 135, 142, 144, 157, 176, 282, 283 Verfassungswirklichkeit 25, 69, 122, 126, 133, 155, 158, 168, 171, 192 ff., 231, 265, 267, 298 f., 315 f., 319, 323, 325, 331, 339 f., 345, 349, 363, 374, 376, 380 Verhandlungsphasen 345 Verkündung 71, 88, 91, 94, 96, 98, 133, 197, 206, 210, 243, 246, 343 Verordnung der Reichsregierung über die Kosten eines Volksbegehrens vom 14. Februar 1924 47 Verordnung über Reichswahlen und -abstimmungen 47 Verordnung zur Durchführung der Volksabstimmung über den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk 212 Versailler Vertrag 60, 63, 215 f. Versammlungsoffensive 372 Versöhnung 217 Vertrauensleute 293 Vertrauensmann des Volkes 30, 73 Vetorecht 73 Vizekanzler 220 Völkerbund 215 f., 242 f., 300 Völkerbundaustritt 213, 257 völkische Legitimation 259 völkische Rechtsordnung 260 völkischer Führerstaat 231, 241 völkischer Willen 260 völkisches Einheitsbewusstsein 233 Volksabstimmung im Führerstaat 262, 267 Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund 215 ff. Volksabstimmung über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ 225 ff.

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Sachverzeichnis

Volksabstimmung über die Zusammenführung des Amtes von Reichspräsident und Reichskanzler 220 ff. Volksabstimmungen des Dritten Reiches 212 ff., 277, 283, 288, 309 Volksabstimmungsergebnis 27 Volksabstimmungsgesetz 20, 203, 208 ff., 230 ff., 379 f. Volksabstimmungsgesetz vom 14. Juli 1933 20, 230, 235 f., 249 f., 257, 261, 379 Volksabstimmungsrecht 248 Volksbegehren der KPD gegen den Bau von Panzerkreuzern und anderen Kriegsschiffen 1928 60 ff. Volksbekenntnis 243, 252, 255, 267, 269 Volksbeteiligung 35, 178, 210, 241, 258 Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung ehemaliger Landesherrscher 1926 51 ff. Volksentscheidsrecht 207, 240 Volksfreiheit 68, 162 f. Volksgesetz 127, 247 f. Volkskammer 289 ff. Volkssouveränität 29, 39, 150, 152 f., 165, 246, 264, 266, 338 Volksversammlung 69, 161, 251, 265 f. Volksvertretung 32, 103, 151, 155, 161, 163, 172, 187 f. Volkswille 121, 154, 183, 244, 247, 256 ff., 317, 324 Volkswillensbegriff 242 Vorbereitendes Komitee zur Durchführung und Unterstützung des Volksbegehrens gegen den Panzerkreuzerbau 62, 371 Waffe des Reichspräsidenten 71, 75 Wahlbeteiligung 228 Wahlen 19, 31, 48, 98, 108, 118, 176, 181, 183, 256, 262, 291, 301, 323, 330, 332, 338, 366, 372, 380 Wahlerfolg 290, 330 Wahlfälschung 218, 223, 228 Wahlgeheimnis 105, 117 f., 174, 201, 218, 269 Wahlgrundsätze 45 Wahlprüfungsgericht 72, 101, 125 f., 144, 190

Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses 46, 126 Wehrverband 63 Weimarer Erfahrung 22 ff., 171, 192, 236, 270 ff., 276 ff., 280, 287 f., 294, 299, 301, 304, 306, 308 ff., 331 ff., 348 f., 351, 356, 361 ff., 373 f., 376, 378, 380 f. Weimarer Verfassungsgefüge 73, 77, 252 Weimarer Verfassungskrise 179 Weimars Untergang 350, 361 Weltgang des Referendums 68, 163 Wende 198, 298 Werbekampagne 64 westdeutscher Bundesstaat 272 Wiederaufrüstung 215, 258 Wiedervereinigung 225, 227, 271, 283, 289, 293, 339, 375 Wiederwahl 27, 43, 154 wirtschafts- und sozialpolitischen Notverordnung 66 Wirtschaftsminister 216 Wohl der Allgemeinheit 56, 147 Wortlaut 31, 50, 52, 57, 61, 64, 67, 75, 87, 93, 95, 110, 126, 132, 146, 150, 157, 207 f., 212, 221, 230, 242, 244 f., 379 f. Young-Plan 63, 65, 104, 118, 121, 131, 133, 143, 149, 170, 199, 267, 310, 318, 323 ff., 335, 340, 346, 348, 350, 354, 357 f., 360, 363, 371 f. Young-Plan-Kampagne 330, 345, 372 f. Zentrum 280 Zufallsmajorität 34 Zukunftsstaat 38 Zulassung des Volksbegehrens 109, 138 Zulassungsantrag 46, 48, 52, 58 ff., 101 f., 111, 134 Zulassungsverfahren zum Volksbegehren 109 Zulassungsvoraussetzung 46, 113 Zustimmungshürde 65 Zustimmungsquote 175, 220 Zweidrittelmehrheit 28, 43, 79, 82, 85, 89 f., 125, 154, 158, 296, 300 Zwischenverfahren 101, 120 ff.

SUMMARY

This book examines the ways in which the idea of a legislation by referendum was discussed in Germany by academic critics from 1919 up to 2002. Starting with the juridical and political debates about „Volksbegehren“ and „Volksentscheid“ in the constitution of Weimar, it investigates the academic perspectives on the legislative „Volksabstimmungen“ during the Third Reich. Special Attention is then given to the controversies surrounding the so called „experience of Weimar“ regarding referenda, which dominates the juridical, political and historiographic struggle over a reintroduction of a legislative referendum in the „Grundgesetz“ of the Bundesrepublik Deutschland since 1945. In addition to this historical survey of academic criticism, the book offers an analysis of the various „Volksbegehren“, „Volksentscheide“ and legislative „Volksabstimmungen“ which have taken place in Germany between 1919 and 1945. In so doing, it takes into account the steps which have been made towards integrating a federal referendum into Germany’s political systems before and after 1945. As a result of its complementary approach the book not only enables the reader to follow the changes and continuities in the academic discourse. It also reveals in an exemplary fashion the mutual interdependance of the academic discourse and the political zeitgeist during the different periods of German history.

RÉSUMÉ

Cet ouvrage offre une description complète sur la question du traitement scientifique de l’idée d’une législation directe par le peuple en Allemagne entre 1919 et 2002. On y trouve tous les petits et grands débats juridiques et politiques sur le „Volksbegehren“ et le „Volksentscheid“ sous la République de Weimar, l’approche scientifique de la „Volksabstimmung“ sous le Troisième Reich ainsi que la grande discussion historique, politique et juridique au sujet des „expériences de Weimar“ en tant que arguments pour ou contre une réintroduction d’un référendum législatif dans le Grundgesetz de la République Fédérale de l’Allemagne depuis 1945. Cette „histoire de la science“ est complétée par certains chapitres sur les „Volksbegehren“, les „Volksentscheide“ et les „Volksabstimmungen“, qui ce sont déroulés en Allemagne jusqu’en 1945 et par une déscription des événements les plus importants dans l’évolution des normes constitutionelles depuis 1919. Pour la prémière fois apparaissent tous les changements mais également les continuités dans la vue scientifique sur ce sujet aussi politique. C’est douc d’une manière exemplaire que l’on peut percevoir la dépendance de la science du „Zeitgeist“ dans des différentes periodes de l’histoire allemande.