Vertrauen innerhalb von Organisationen: Ein soziologisches Modell 9783839441169

What does trust within organizations mean? This sociological analysis ventures far beyond the common utilitarian perspec

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Vertrauen innerhalb von Organisationen: Ein soziologisches Modell
 9783839441169

Table of contents :
Inhalt
1. Einführung: Vertrauen innerhalb von Organisationen
2. Vertrauen als soziologischer Gegenstand
3. Organisation als Kontext der Untersuchung
4. Forschungshaltung und methodisches Vorgehen
5. Datenbasis und analytisches Vorgehen
6. Ergebnisse
7. Fazit und Ausblick
Literatur

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Caroline Richter Vertrauen innerhalb von Organisationen

Kultur und soziale Praxis

Caroline Richter (Dr. rer. soc.), geb. 1978, forscht und lehrt am Institut für Arbeitswissenschaft und an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.

Caroline Richter

Vertrauen innerhalb von Organisationen Ein soziologisches Modell

Dissertation an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Pixabay-Lizenz , Freie kommerzielle Nutzung Lektorat: Dr. Ingrid Furchner, conTEXT, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4116-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4116-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Einführung: Vertrauen innerhalb von Organisation | 9

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Forschungslücke | 12 Alte Daten und neue Fragen | 15 Ziel und Fragestellung der vorliegenden Arbeit | 18 Zur Methodologie und Methodik | 19 Struktur der Untersuchung | 20

2.

Vertrauen als soziologischer Gegenstand | 23

2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3

Die Erforschung von Vertrauen | 24 Ausgewählte Perspektiven der Vertrauenssoziologie | 29 Vertrauen als relational-konstruktive Erwartung | 30 Vertrauen als visionäre Strategie im Umgang mit Ungewissheit | 32 Vertrauen in Personen und Vertrauen in Systeme | 42 Zwischenfazit | 58

3.

Organisation als Kontext der Untersuchung | 63 Erläuterung zentraler Begriffe | 64 Der Begriff der Führungskraft | 64 Der Begriff der Organisation | 65 Der Begriff der Institution | 68 Vertrauen in Organisationen | 73 Ungewissheiten der Gegenwart | 73 Vertrauen als Organisations- und Managementmode | 79 Institutionalisierung von Kontrolle zur Vertrauensherstellung | 84 Vertrauen als Vertragsinhalt | 87 Zwischenfazit | 89

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 4.

4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

Forschungshaltung und methodisches Vorgehen | 93 Vorgehen im Stil der Grounded Theory | 94 Entwicklung und Grundannahmen der Grounded Theory | 95 Die Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin | 99 Methoden der Grounded Theory | 107 Kodieren | 108 Paradigmatisches Modell | 111 Theoretical sampling und theoretische Sättigung | 113 Bedingungsmatrix | 114

4.2.5 Kriterien für die Evaluation einer Grounded Theory | 116 4.3 Semi-Sekundäranalyse: Konzeptionelle Herausforderungen und praktische Besonderheiten | 117 4.3.1 Die Methode der qualitativen Sekundäranalyse | 119 4.3.2 Die Aufgabe der Anonymisierung im Rahmen der Semi-Sekundäranalyse | 125 5.

Datenbasis und analytisches Vorgehen | 133

5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3

Ausgangs-Datenbasis und ausgewählte Daten | 133 Die beteiligten Unternehmen | 134 Vorstellung der ausgewählten Interviews | 137 Auswahl und Analyse der Daten | 142 Der Prozess der Datenauswahl | 143 Der Prozess des Kodierens | 144 Die Entwicklung der Konzepte, Kategorien und Zusammenhänge | 148

Ergebnisse | 151 6.1 Vertrauen als Konstruktion von Praxis | 152 6.1.1 Relevanzzuschreibung: Die Bedeutung von Vertrauen für das Handeln in Organisationen | 155 6.1.2 Persönlicher Kontakt | 159 6.1.3 Bereitschaft zu Offenheit | 164 6.1.4 Ermöglichen von Handeln in Spannungsfeldern | 174 6.1.5 Steuern von Informationen | 177 6.1.6 Interessen und (mikro-)politische Positionierung | 184 6.1.7 Gesundes und ungesundes Vertrauen bzw. Misstrauen | 192 6.1.8 Einbettung und Legitimierung von Vertrauen | 198 6.1.9 Zwischenfazit | 203 6.2 Theoretisches Modell der Institutionalisierung von Vertrauen | 207 6.2.1 Die Institutionalisierung von Vertrauen | 209 6.2.2 Ursächliche Bedingungen | 210 6.2.3 Intervenierende Bedingungen | 211 6.2.4 Kontexte für dimensionale Ausprägungen der Institutionalisierung von Vertrauen | 214 6.2.5 Vertrauensbezogene Handlungs- und Interaktionsstrategien | 221 6.2.6 Konsequenzen der Strategien zur Institutionalisierung von Vertrauen | 226 6.

7.

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

Fazit und Ausblick | 235 Kontextspezifische Konstrukte und Praktiken zu Vertrauen innerhalb von Organisationen | 237 Die Spezifik von Intraorganisationsvertrauen | 240 Institutionalisierung von Vertrauen: Eine Prognose | 245 Zur Generalisierbarkeit der Befunde | 247 Weiterer Forschungsbedarf | 250

Literatur | 257

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Drei Heuristiken nach Thomas (2000) | 28 Abbildung 2: Verortung dieser Untersuchung | 60 Abbildung 3: Parallelität der Arbeitsschritte in der Grounded Theory | 106 Abbildung 4: Überblick über das Vorgehen der Grounded Theory | 110 Abbildung 5: Das Kodierparadigma nach Strauss und Corbin | 112 Abbildung 6: Die Bedingungsmatrix | 115 Abbildung 7: Modifizierte Bedingungsmatrix für die vorliegende Untersuchung | 149 Abbildung 8: Modell der Institutionalisierung von Vertrauen; eigene Darstellung | 209 Abbildung 9: Divergente Interessen auf den Ebenen Person/en und Organisation | 218 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Rahmenbedingungen der drei beteiligten Unternehmen | 135 Tabelle 2: Übersicht über die Interviewten, ausgewählte Eigenschaften und Faktoren | 138

1. Einführung: Vertrauen innerhalb von Organisationen

Im Zentrum dieser Untersuchung steht die Frage, wie Vertrauen innerhalb von Organisationen konstruiert und praktiziert wird, was also das Spezifische von Vertrauen in Organisationen gegenüber anderen Kontexten ist. Vertrauen ist unmittelbar verbunden mit Ungewissheit. Ungewissheit ist ein zentraler Bestandteil in Organisationen, ebenso wie im täglichen Leben: Die Zukunft ist ungewiss, das Handeln von anderen ebenso; selbst das eigene künftige Handeln ist weder bekannt, noch lässt es sich mit hinreichender Sicherheit prognostizieren. Ungewissheit erhöht Unsicherheit und steigert damit auch Verletzbarkeit. Weil im Vertrauen konstruktive Erwartungen dominieren (vgl. Möllering 2006), gilt es als eine mögliche Lösung, um mit Ungewissheit und der daraus resultierenden Unsicherheit und Verletzbarkeit umzugehen (vgl. Luhmann 2014[1968]; Giddens 1990, 1994). Vertrauen erzeugt seinerseits neue Verletzbarkeit, denn es kann enttäuscht, verraten oder missbraucht werden. Es kann aber ebenso bestätigt werden und sich dadurch vertiefen, denn einmal aufgebrachtes und bestätigtes Vertrauen verstärkt sich selbst, Vertrauen erzeugt also wiederum Vertrauen (vgl. Endreß 2010). Vertrauen ist in Organisationen damit ebenso allgegenwärtig wie unreflektiert – auch dies wie im gesellschaftlichen Alltag (vgl. Sztompka 1999; Popitz 2011) oder in persönlicher Interaktion (vgl. Coleman 1995; Shapiro 1987). Angesichts seiner Relevanz wird es in der Gegenwart jedoch expliziter denn je aufgeworfen, denn die komplexe und dynamische Gesellschaft der Moderne ist in sämtlichen Lebensbereichen von Ungewissheit und ihren Folgen gekennzeichnet. In unserer als „High-trust-Zeit“ (Giddens 1990: 29ff., 83ff.) bezeichneten westlichen Gegenwart ist Vertrauen somit ständig präsent, vorrangig als Problem und ungedeckter Bedarf (vgl. Seligman 1997; dazu kritisch: Frevert 2013; OʼNeill 2002).

10 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN

Insbesondere Giddens (1994) hebt die Entbettung von Raum und Zeit in der (westlichen) Moderne hervor, die verbunden ist mit gesunkenem Vertrauen in Professionen, Funktionen und Expert_innen und einem Bedeutungszuwachs von Wissen. Wissen verleiht Menschen Autonomie und Macht, die sie für ihre Zwecke nutzen können, z.B. zur Gestaltung von Organisationen nach subjektiven Kriterien. Funktionsträger_innen, vor allem Führungskräfte mit ausgeprägter Definitions- und Gestaltungsmacht, haben damit ein hohes Maß an treuhänderischer Verpflichtung und Verantwortung inne, während sie zugleich kaum zu kontrollieren sind. Beschäftigte (als eine Form von Normalbürger_innen) haben angesichts der Komplexität gegenwärtiger Organisationen nur wenig Einblick in deren Strukturen und die darin agierenden Personen. Gleiches gilt aber auch für die Führungskräfte selbst, die zwar ihre eigenen Bereiche, nicht aber die anderen durchschauen können. Selbst wenn sie im Sinne der Transparenzgesellschaft (vgl. Han 2012) Einblick in spezifisches Wissen und spezifische Strukturen erhalten, kann dieser Einblick nie vollständig sein oder auch nur ausreichend, um sie zum Handeln zu befähigen. Damit gewinnt die Herstellung von Vertrauen durch Vertrauenswürdigkeit von Organisationen und den darin agierenden Personen für die eigenen Mitglieder an Bedeutung.1 Vertrauenswürdigkeit, die sich – so der soziologische Common Sense – aus Zutrauen und Vertrautheit speist, ist dabei Voraussetzung für die Herstellung von Vertrauen (vgl. Luhmann 2014[1968]; Giddens 1990, 1994; Endreß 2012). Zugleich ist in der Gegenwart die Rede von einem „Age of Distrust“ (Hardin 2006: 1, 12ff.), für das ein Streben nach Sicherheit durch Kontrolle und Transparenz kennzeichnend ist (vgl. Han 2012). Vertrauen wird abgelöst durch institutionalisierte Mechanismen, die die Vertrauenswürdigkeit sicherstellen und Schaden durch Vertrauensbrüche (sowohl den Akt selbst als auch sein Ergebnis) minimieren sollen; dazu gehören etwa Monitoring, Evaluation, Controlling und Sanktionierung durch vermeintlich unabhängige Drittparteien (vgl. Cook/ Hardin/Levy 2005). Unter Berücksichtigung dieser Perspektive rücken die zunehmenden institutionalisierten Kontrollen zur Schadensbegrenzung von Vertrauensbrüchen ihrerseits stärker in den Fokus der Auseinandersetzung, in der Vertrauenssoziologie ebenso wie in der Organisationssoziologie und-forschung (u.a. Das/Teng 2001, 2004; Endreß 2012; Möllering 2013b; Sitkin 1995). 1

Die in der Soziologie etablierte Unterscheidung von interpersonellem Vertrauen und Systemvertrauen (vgl. Luhmann 2014[1968]; Giddens 1994[1990]) verliert angesichts der komplexen Funktionszusammenhänge, in denen Professionen und Personen innerhalb von Organisationen agieren, als analytisches Konstrukt zunehmend an Aussagekraft und ist in ihrer Dichotomie zu überwinden, zumindest aber zu hinterfragen (vgl. Sauer/Schilcher/Will-Zocholl 2013).

E INFÜHRUNG

| 11

Kontrollmechanismen können sowohl mit Vertrauen als auch mit Misstrauen in Verbindung gebracht werden. Diese beiden Phänomene werden in der soziologischen und soziologienahen Literatur vorrangig als Gegensatz verstanden (vgl. Deutsch 1958, 1976; Gambetta 1988; Kramer/Cook 2004a; Luhmann 2014[1968]). Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass Vertrauen nicht an sich positiv und Misstrauen nicht an sich negativ sein muss; dennoch wird Vertrauen als Ergebnis und Rendite einer konstruktiven Erwartung zugerechnet und Misstrauen einer destruktiven Erwartung (vgl. Möllering 2006, 2009). Institutionalisierte Kontrollen werden im Vertrauensdiskurs als „Ebene sekundären Vertrauens“ und „institutionalisiertes Misstrauen“ einerseits als Voraussetzung für Vertrauen gesehen (vgl. Sztompka 1998, 1999) und andererseits als „road to hell“ (Sitkin/Stickel 1996), die Vertrauen schädigt und Misstrauen erzeugt. In diesem Zusammenhang wurde in der Soziologie „institutionalisiertes Vertrauen“ vielfach diskutiert und von „Vertrauen in Institutionen“ abgegrenzt (vgl. McKnight/Cummings/Chervany 1998; Shapiro 1987; Zucker 1986). Unter institutionalisiertem Vertrauen sind bestimmte Bedingungen für und von Vertrauen zu verstehen: Beispielsweise werden im Fall eines Vertrauensbruchs Sanktionen verhängt, und damit wird eine institutionelle Gewährleistung für die im Vertrauen aufgebrachte konstruktive Erwartung betont (vgl. aus spieltheoretischer Perspektive Dasgupta 1988; aus politiksoziologischer Perspektive Sztompka 1998, 1999). Dass der Organisationskontext für eine soziologische Betrachtung von institutionalisiertem Vertrauen lohnenswert ist, liegt nahe: Organisationen sind Teil der modernen Gesellschaft und als solcher mit Risiken, Herausforderungen und Problemen derselben Art konfrontiert, wie Giddens sie im Zuge der Entbettung für die Gesamtgesellschaft beschreibt. Organisationen sind durch Flexibilisierung, Dynamisierung und Globalisierung von Ungewissheit gekennzeichnet; angesichts hochdynamischer globaler Märkte und dezentraler Strukturen werden interpersonelle Beziehungen brüchiger. Während durch vielfältige, oft nur kurzfristige Organisations- und Kooperationsformen der Bedarf an Vertrauen steigt, schwinden zugleich die Voraussetzungen dafür, denn die Vertrauenswürdigkeit der Organisation ist kaum einschätzbar und die Risiken durch einen Vertrauensbruch nehmen zu. Daher fragen Kramer und Cook (2004b) in ihrem Herausgeberband „Trust and Distrust in Organizations“ zu Recht danach, was Vertrauen und Misstrauen im Kontext von Organisationen kennzeichnet und fördert. Eine Antwort darauf aus der Perspektive der Managementforschung liefert Elsbach (2007): Er berichtet, dass Manager_innen Vertrauen erzeugen, indem sie Fürsorge und Wohlwollen demonstrieren, eine offene Kommunikation gewährleisten und sich in der Ausübung ihrer Rolle konsequent verhalten (vgl. ebd.).

12 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN

Kramer (1996) hebt am Beispiel der Kommunikation zwischen Professor_innen und Studierenden im Organisationskontext Hochschule hervor, dass die hierarchische Position darüber entscheidet, ob Verhaltensweisen als Indizien für Veroder Misstrauen gedeutet werden: Statusunterlegene Personen, die vom Wohlwollen der ihnen Übergeordneten abhängig sind, setzen sich mit Aussagen und Gesten von Statusüberlegenen deutlich intensiver und länger auseinander, interpretieren eingehender und suchen stärker nach Indizien für Vertrauenswürdigkeit, als dies vice versa der Fall ist (vgl. ebd.). Die Befunde von Kramer (1996) und Elsbach (2004) weisen darauf hin, dass Führungskräfte im Kontext von Organisationen für den Aufbau von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit bedeutsam sind. Organisationen sind ein sozioökonomischer Raum unmittelbarer und mittelbarer Interaktion, der mit konkreten Personen und Professionen assoziiert und von diesen gesteuert wird und die Bühne ihrer Entscheidungen bildet. Aus einer forschungspraktischen Perspektive sind Organisationen damit nicht nur ein facettenreicher, sondern auch ein für empirische Vertrauensforschung geeigneter Gegenstand, denn sie sind größere Systeme, die eine in sich geschlossene Einheit bilden, in denen aber zugleich konkrete Handlungen beobachtbar sind. Bislang ist noch ungeklärt, was in diesem spezifischen Kontext typische Ungewissheiten oder Verletzbarkeiten sind und was das Spezifische am Vertrauen innerhalb von Organisationen ist. Auch dazu, welche Mechanismen zur Schadensbegrenzung dort institutionalisiert werden und welche Rolle und Bedeutung Führungskräfte dabei innehaben, liegen bislang kaum empirische Befunde vor.

1.1 F ORSCHUNGSLÜCKE Die vertrauenssoziologische Literatur versucht in erster Linie, das Phänomen Vertrauen als solches und unabhängig von kontextuellen Besonderheiten zu konkretisieren (vgl. z.B. Endreß 2002). Organisations-, Management- sowie Arbeits- und Industriesoziologie untersuchen Vertrauen – noch eher verhalten und randständig – als eine Entwicklung der Moderne, die von zunehmender Ungewissheit, stetigem Wandel und der Infragestellung von sozialen Beziehungen in modernen Organisationen geprägt ist (vgl. z.B. Wieland/Jäger 2014). Was Vertrauen innerhalb von Organisationen – im Folgenden: Intraorganisationsvertrauen – kennzeichnet, ist in der Soziologie noch weitgehend unklar. Hinweise auf die Beschaffenheit von Intraorganisationsvertrauen stammen bislang vorrangig aus der praxisorientierten Forschung, die sich damit am aktuellen Managementdiskurs beteiligt. Empirische Untersuchungen, die sich explizit mit Vertrau-

E INFÜHRUNG

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en im Kontext von Organisationen befassen, liegen aus der deutschen Soziologie bislang kaum vor (vgl. Heisig 2013: 488; eine der wenigen Ausnahmen, jedoch mit einem praxiszentrierten Fokus, ist Böhle et al. 2014). Die internationale Organisationsforschung ist in diesem Bereich weitaus aktiver, sie hat zahlreiche Modelle, Theorien und eine unüberschaubare Menge an Publikationen zu diesem Thema hervorgebracht. Aus betriebswirtschaftlicher und psychologischer Perspektive ergründet sie die funktionalen Aspekte von Vertrauen als Ressource, beforscht z.B. die Herstellung von Vertrauenswürdigkeit, die Darstellung von Glaubwürdigkeit oder die Optionen ihrer Nutzung als Führungsstil und sucht nach instruktiven Praxisentwürfen, die geeignet sind oder sein sollen, Vertrauen zu erhöhen. Dabei haben sich aufgrund unterschiedlicher theoretischer Schulen zwei Konstrukte von Vertrauen mit jeweils eigenen Implikationen entwickelt; das eine basiert auf konzeptionellen Vorstellungen der Theorien rationaler Wahl, das andere auf Konzepten der Theorien sozialer Interdependenz. Der Organisationspsychologe Kramer (1999) kritisiert diese unterschiedlichen Begriffskonzepte und ruft dazu auf, in der weiteren Forschung zu Vertrauen im Kontext von Organisationen diese beiden Perspektiven trotz ihrer Spannungen zu vereinen: „[A] more useful approach is to move in the direction of developing a contextualist account that acknowledges the role of both calculative considerations and social inputs in trust judgments and decisions. In other words, what is needed is a conception of organizational trust that incorporates calculative processes as part of the fundamental ‚arithmetic‘ of trust, but that also articulates how social and situational factors influence the salience and relative weight afforded to various instrumental and noninstrumental concerns in such calculations. Hardin (1992) provides one promising way of moving beyond this conceptual impasse. It is useful, he argues, to conceptualize trust as a three-part relation involving properties of a truster, attributes of a trustee, and a specific context or domain over which trust is conferred.“ (Ebd.: 574)

Der interessenbezogene und damit politische Aspekt von Vertrauen innerhalb von Organisationen erfährt gegenwärtig als Gegenstand der interdisziplinären Organisationsforschung hohe Aufmerksamkeit. So schreiben Guido Möllering, Sabina Siebert und Søren Jagd (2016) in ihrem Call for Papers „Trust-based Organizing: Principles and Politics“ für das 33. Kolloquium der European Group for Organizational Studies (EGOS): „The idea of working in a ‚collaborative community‘ (Heckscher & Adler, 2007) may be appealing, but trust has its ‚downside‘ (McEvily et al., 2003) and ‚dark sides‘ (Kramer et

14 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN al., 1996; Gargiulo & Ertug, 2006); it may be insincere, spurious, façade-like, unwanted or unnecessary; and it may cover up underlying struggles and conflicts (e.g. Fox, 1974; Hardy et al., 1998; Siebert et al., 2015). Trust-based organizing may fail when trust is not really achieved, not really appropriate or even a ‚poisoned chalice‘ (Skinner et al., 2014). More attention needs to been [sic!] given to such ‚politics of trust‘ (Culbert & McDonough, 1986). […] In sum, we need to ask how trust can become a sustainable organizational principle.“ (Möllering/Siebert/Jagd 2016)

Dieses neue Interesse der Organisationsforschung an der politischen Dimension von Vertrauen und den damit verbundenen Implikationen für seine Institutionalisierung hängt eng damit zusammen, dass zunehmend die Prozesshaftigkeit von Vertrauen als dessen konstitutive Eigenschaft berücksichtigt wird (vgl. Jagd/Fuglsang 2016; Möllering 2013b). Die Prozesse, in denen Vertrauen ausgehandelt wird, und ihre Nuancen werden dabei als empirische Forschungslücke benannt (vgl. ebd.). Für die deutsche Soziologie scheint es eher ungewöhnlich zu sein, auf Theorien, Modellen und Befunden oder eben auf Forderungen und Vorschlägen anderer Disziplinen aufzubauen. Gerade angesichts der wenigen bisher vorliegenden soziologischen und empirisch begründeten Konstrukte zu Vertrauen im Kontext von Organisationen erscheint es mir jedoch durchaus angebracht, Kramers Forderung als Ausgangspunkt für meine eigene Untersuchung zu nehmen und den von ihm angesprochenen Vorschlag von Hardin aufzugreifen, Vertrauen als Konstellation von drei Parteien zu fassen: als prozesshafte Erwartung zwischen der bzw. dem Vertrauenden, der Vertrauensperson bzw. dem Vertrauensobjekt und dem Kontext, in dem das Vertrauen aufgebracht wird. Demgegenüber ist in der Soziologie seit Niklas Luhmann (2014[1968]) und Anthony Giddens (1994[1990]) ein Dualismus von (spezifischem) Personenvertrauen und (abstraktem) Systemvertrauen prominent. Entsprechend liegt der Fokus von Analysen meist entweder auf der Mikro- oder auf der Makroebene, es fehlt aber an Befunden zur Verbindung von Mikro- und Makroebene bzw. zur Mesoebene.2 Auf diese Ebene richtet sich mein Forschungsinteresse. Einen instruktiven Anlass und Ansatz dafür bietet die aus der Perspektive der politischen Soziologie entwickelte Vertrauenstheorie (vgl. Sztompka 1998, 1999), die drei m.E. bemerkenswerte Befunde beinhaltet: Erstens wird darin herausgearbeitet, dass Vertrauen nicht als statische Entität zu fassen, sondern prozesshaft beschaffen ist. Zweitens wird gezeigt, dass die Institutionalisierung von Misstrauen eine Methode sein kann, um Vertrauen zu erzeugen, und vice 2

Ich verwende diese Bezeichnungen im Folgenden synonym; in Kap. 2.2.3 werden sie ausführlicher erläutert.

E INFÜHRUNG

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versa. Drittens wird eine Vertrauenstypologie entworfen, die die Dichotomie von Vertrauen in Personen und Vertrauen in Systeme, die als „not so striking and fundamental“ (ebd.: 42) bewertet wird, zu überwinden sucht. In der deutschsprachigen Soziologie haben diese politiksoziologischen Überlegungen insgesamt großen Einfluss. In den letzten Jahren wurden sie zunehmend aufgegriffen und auf den Kontext von Organisationen übertragen. So stellt der Vertrauenssoziologe Martin Endreß (2012) fest, dass sich das Paradox einer Institutionalisierung von Misstrauen zur Herstellung von Vertrauen über die Politik hinaus generalisieren lässt: „Letztlich geht es hier um die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten einer ‚Vertrauenskultur‘ – egal, ob diese Frage auf politische Systeme oder Prozesse im engeren Sinne oder auf gesellschaftliche Institutionen oder auf Unternehmen als Organisationen […] bezogen wird.“ (Ebd.: 94)

Der Arbeits- und Industriesoziologe Ulrich Heisig (2013: 485) greift ebenfalls die Befunde der politiksoziologischen Vertrauensforschung auf und weist sie damit als anschlussfähig für den Kontext von Arbeit und Industrie und somit auch von Organisationen aus. In beiden Fällen werden bei der Übertragung von Sztompkas soziologischem Modell auf andere Kontexte keine spezifischen Konkretisierungen vorgenommen. Dies mag aus theoretischer Sicht zulässig sein, es macht aber die Notwendigkeit einer empirischen Überprüfung und ggf. einer Kontextspezifizierung deutlich. Gleiches gilt für die Eigenschaft der Prozesshaftigkeit von Vertrauen; diese in ihren kontextspezifischen Nuancen herauszuarbeiten, ist eine noch ausstehende empirische Aufgabe.

1.2 ALTE D ATEN

UND NEUE

F RAGEN

Ergänzend zur thematischen Einleitung möchte ich – ganz im Sinne der hier eingenommenen Forschungshaltung der Grounded Theory3 – auch offenlegen, warum ich mich ausgerechnet mit dem Forschungsgegenstand Vertrauen auseinandersetze.

3

Diese Reflexion und Offenlegung von Interessen und Vorwissen stellt in der Forschungshaltung der Grounded Theory nach Anselm Strauss und Juliet Corbin (1990/1996), die meine Untersuchung methodologisch und methodisch strukturiert, ein grundlegendes Prinzip dar.

16 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN

Das Phänomen Vertrauen stellt für mich eine forschungsbiografische Serendipität4 im Sinne Mertons (2004[1957]) dar: Ich habe es im Jahr 2009 während eines diversity-zentrierten Projekts zum Gegenstand Schwerhörigkeit entdeckt. Bei der Auswertung des Datenmaterials fiel auf, dass alle Interviewten explizit den Begriff ‚Vertrauen‘ oder ‚Misstrauen‘ verwendeten (vgl. Richter/Mojescik 2017), ohne dass dies im Interviewleitfaden intendiert gewesen wäre. In den Jahren 2010 bis 2013 bot sich mir dann die Möglichkeit, in einem Forschungsund Entwicklungsprojekt zum Thema „Vertrauensmanagement in Unternehmen“ am Lehrstuhl für Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation der Ruhr-Universität Bochum Vertrauen gezielt und explizit zu beforschen.5 Das Gesamtprojekt baute auf dem Managementdiskurs um Vertrauen als Ressource auf und zielte darauf ab, eine Toolbox für integriertes Vertrauens- und Kompetenzmanagement in Unternehmen zu erarbeiten.6 Das Teilprojekt, an dem ich gemeinsam mit zwei Kollegen beteiligt war, fokussierte auf das Vertrauensmanagement. Unser Ergebnis fiel angesichts der Zielstellung recht ernüchternd aus: Die Einschätzungen der Wirkung programmatischer Interventionen auf Vertrauen waren zu heterogen und organisationsspezifisch, um verlässliche Aussagen zu UrsacheWirkungs-Zusammenhängen zu erlauben und entsprechende Empfehlungen zu formulieren. Entgegen positivistisch-funktionalistischen Grundannahmen kamen

4

Serendipität bezeichnet „the discovery through chance by a theoretically prepared mind of valid findings which were not sought for“ (Merton 2004[1957]: 12).

5

Aus diesem Projekt stammen auch die Daten, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen. Im Mittelpunkt des Projekts stand Vertrauen als Funktion, nämlich in Form von Vertrauensmanagement. Beteiligt waren neben weiteren wissenschaftlichen Partner_innen mehrere Unternehmen und eine wissenschaftsnahe Unternehmensberatung. Finanziert wurde das Projekt „Vertrauens- und Kompetenzmanagement als System zur Balance zwischen Flexibilitäts- und Stabilitätsanforderungen (Kurztitel: CCMsquare; FKZ 01FH09158)“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderschwerpunkt „Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandelnden Arbeitswelt“. Die verwendeten Daten stammen aus dem Teilprojekt „Vertrauensmanagement“.

6

Dieses Instrumentarium sollte in der Lage sein, Flexibilitäts- und Stabilitätserfordernisse eines Unternehmens auszubalancieren und auf diese Weise dessen Innovationsfähigkeit zu fördern. Die Durchführung fiel in eine Zeit, die auch für die beteiligten Unternehmen stark von den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise geprägt war. Diese Krise, die im Jahr 2007 als Banken- und Finanzkrise begann, verursachte weltweit Verluste und Insolvenzen bei Unternehmen der Finanzbranche, seit Ende 2008 aber auch in der internationalen Realwirtschaft.

E INFÜHRUNG

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wir zu dem Ergebnis, dass jeglicher Versuch, generelle Instrumente für eine Vertrauensdiagnostik oder Vertrauensherstellung bereitzustellen, scheitern muss. Jenseits dieser praxiszentrierten Fragestellung des Primärprojekts stellte ich mir zunehmend die Frage, was – auch über instrumentelle Absichten hinaus – Vertrauen im spezifischen Kontext von Organisationen eigentlich kennzeichnet und von Vertrauen in anderen Kontexten unterscheidet.7 Vor allem in den Interviews mit Führungskräften stach hervor, dass diese im Bemühen um eine aktive Einbindung des Vertrauensbegriffs ihr offizielles und inoffizielles Instrumentarium zur Gestaltung des Miteinanders und zur Bindung des Personals kommunikativ zum Ausdruck brachten. Dabei warfen sie mithilfe von Narrationen zu Kontrollpraktiken Spannungsfelder zwischen formellen Anforderungen und informeller Praxis auf, die erkennbar werden ließen, was das Charakteristische von Vertrauen innerhalb von Organisationen ist. Bei der literaturgeleiteten Recherche zu möglichen Korrelationen von Kontrolle und Vertrauen fand ich, u.a. in Sztompkas „Trust: A Sociological Theory“ (1999) und Möllerings „Trust, Routine and Reflexivity“ (2006), Vertrauen und Kontrolle sowie Vertrauen und Misstrauen in Zusammenhängen thematisiert, die ich zuvor als Dichotomie und nicht als Dualität eingeordnet hatte. Für die Präzisierung meiner Fragestellung waren drei sowohl theorie- als auch empiriegeleitete Beobachtungen sensibilisierend, die ich im Primärprojekt aber nicht verfolgen konnte: Erstens wird Vertrauen im sozioökonomischen Kontext von (Erwerbs-)Organisationen scheinbar als Vertrauen und Misstrauen konstruiert und als Wissenskontrolle praktiziert. Zweitens werden (Kontroll-)Praktiken, die die Akteure als vertrauensförderlich ansehen, nicht in Bezug auf ihr Misstrauen erzeugendes Potenzial reflektiert, sondern einseitig Vertrauen zugerechnet. Drittens gibt die Analyse dessen, wie Führungskräfte Vertrauen konstruieren und praktizieren, Aufschluss über drei Parteien des Vertrauens, denn sie sind zugleich Vertrauende, Vertrauensobjekte und Repräsentant_innen der Vertrauenswürdigkeit der Organisation. Somit erlauben die Ergebnisse Rückschlüsse auf die Beschaffenheit von Intraorganisationsvertrauen.

7

Dabei beschäftigte mich besonders die Dualität von Person und Struktur, die sich in den Schilderungen der Organisationsmitglieder abzeichnete. Die ursprüngliche kategoriale Einteilung in Personen- und Systemvertrauen erschien zwar forschungspragmatisch sinnvoll, um zu vereinfachen und Komplexität zu reduzieren (vgl. Giacovelli/Richter 2013), erwies sich für die Interpretation aber letztlich als unzureichend, weil sie Schilderungen künstlich der Ebene der Person oder der Ebene des Systems zurechnete und sich dadurch vereinseitigend und irreführend auswirkte (vgl. Sauer/Schilcher/Will-Zocholl 2013).

18 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN

In diesem deduktiv-induktiven Wechselspiel von Befunden und neuen Fragen faszinierte mich zunehmend die bereits einleitend beschriebene Analyseperspektive, die auf die Institutionalisierung von Vertrauen und die dabei wirkende Dualität von Person und Struktur abzielte. So entwickelte sich der Gegenstand dieser sekundäranalytischen Auseinandersetzung mit den Daten.

1.3 Z IEL UND F RAGESTELLUNG VORLIEGENDEN ARBEIT

DER

Im Fokus meiner Untersuchung steht also die Frage, was das Charakteristische an Vertrauen bzw. Vertrauensprozessen innerhalb von Organisationen ist. Das Ziel ist, die Spezifika der Dar- und Herstellung von Vertrauen in diesem Kontext möglichst nuanciert offenzulegen und so zu einem organisationsspezifischen Verständnis von Vertrauen beizutragen. Ich beabsichtige, die noch unzureichend geklärte Beschaffenheit von Vertrauen innerhalb von Organisationen in einer Oszillation zwischen Person/Handlung und System/Struktur näher zu bestimmen und auf dieser Basis ein Modell mittlerer Reichweite zur Erklärung von Vertrauen innerhalb von Organisationen und dem Spezifischen an Intraorganisationsvertrauen zu entwickeln. Mein forschungsleitender Ausgangspunkt hierfür lautet, dass die Beschaffenheit von Intraorganisationsvertrauen theoretisch geklärt und empirisch konkretisiert werden kann, indem die Dar- und Herstellung von Vertrauen im spezifischen Kontext von Organisationen rekonstruiert wird. Dazu analysiere ich Interviews mit Führungskräften. Führungskräfte haben im Organisationskontext die Aufgaben der Planung, Organisation, Leitung und Kontrolle von Arbeitsabläufen und Personal inne; sie treffen Entscheidungen, führen das Personal und entwickeln, steuern und kontrollieren Arbeitsprozesse. Diese Funktion macht sie zu Repräsentierenden und Gestaltenden der Organisation, die zwischen Organisationsspitze und Beschäftigten vermitteln. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese strategische Filter- und Transformationsrolle hinreichend ergiebig ist, um von den Konstrukten und Praktiken ihrer (personellen) Träger_innen Rückschlüsse auf die spezifischen Vertrauensprozesse innerhalb von Organisationen zu ziehen. Ich führe somit eine vertrauenssoziologische Analyse durch, deren Befunde aber auch etliche Anschlüsse an die Organisationssoziologie suchen und bieten. Dem Ziel meiner Untersuchung – der Konkretisierung von Intraorganisationsvertrauen – nähere ich mich durch eine empirische Analyse von Interviews. Dabei setze ich unterhalb dieses Interesses an mit der Frage:

E INFÜHRUNG

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Wie wird Vertrauen in Organisationen konstruiert und praktiziert? Ich konzentriere mich also auf Konstruktionen und Praktiken, die aus der Perspektive von Akteur_innen Vertrauen als Gegenstand im Handeln dar- und herstellen und zu Misstrauen in Beziehung setzen. Weil Vertrauen gerade dort gefragt ist, wo es an rationalen Gründen oder formaler Evidenz für seine Berechtigung fehlt, muss es auch durch informelle Handlungsweisen gefördert werden. Daher interessiert mich, welche Handlungen, Deutungen und Instrumente die Akteure mit Vertrauen (oder Misstrauen) in Verbindung bringen und unter welchen Voraussetzungen sie sie Vertrauen zurechnen. Angesichts der Prozesshaftigkeit von Vertrauen als relationalem und interaktionalem Phänomen geht es in meiner Analyse notwendigerweise um die Rekonstruktion von empirischen Nuancen, um graduelle Bestimmungen durch Berücksichtigung der Vielfalt von Plausibilitätskriterien, die von den Akteur_innen angeführt werden. Mit meiner Untersuchung nehme ich eine mesosoziologische, konstruktivistische (vgl. Berger/Luckmann 2013[1969]) und praxistheoretische (vgl. Hillebrandt 2014; Reckwitz 2003) Perspektive ein. Dabei verstehe ich Konstrukte und Praktiken im Sinne von Berger und Luckmann als typisierte und habitualisierte wechselseitige Erwartungen, die sich zu Institutionen verfestigen und damit organisationale Wirklichkeiten herstellen. Die in der Analyse herausgearbeiteten empirischen Konstrukte und Praktiken interpretiere ich als gleichermaßen individuell und strukturell institutionalisierte Dar- und Herstellungen, um monokausale Zurechnungen zur Person oder zur Struktur zu vermeiden und Aussagen über Intraorganisationsvertrauen treffen zu können. In einem abschließenden Oszillieren zwischen personenzentrierter Mikro- und strukturzentrierter Makroebene werde ich diese Befunde auf ihren Gehalt für ein spezifiziertes Intraorganisationsvertrauen überprüfen.

1.4 Z UR M ETHODOLOGIE

UND

M ETHODIK

In Kapitel 1.3.2 habe ich bereits ein früheres Forschungsprojekt angesprochen, aus dem die Daten für diese Arbeit hervorgegangen sind. Ich führe meine Untersuchung somit als qualitative Sekundäranalyse durch. Indem ich ein Subsample bereits vorliegender Interviewtranskripte unter einer neuen Fragestellung auswerte, nehme ich im Sinne von Janet Heaton (2004) eine „supplementary analysis“ vor. Ein sekundäranalytisches Vorgehen stellt bestimmte datenschutzrechtliche Anforderungen an die Aufbereitung der Daten. In dieser Hinsicht betrete ich mit der vorliegenden Untersuchung im Feld der qualitativen Sozialforschung

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Neuland, da qualitative Sekundäranalysen und die dafür erforderliche Datenaufbereitung bislang nur ansatzweise methodisch reflektiert wurden und publizierte Praxisbeispiele fehlen. Insofern leiste ich mit der Durchführung der Analyse wie auch deren textueller Darstellung Pionierarbeit. Dabei erhebe ich keinesfalls den Anspruch, mit meiner Umsetzung dieses noch relativ neuen Methodendesigns diese Herausforderung in vorbildhafter Weise gemeistert zu haben. Bei der Analyse und Interpretation folge ich der Methodologie und Methodik der Grounded Theory nach Anselm Strauss (1994[1991]) sowie Anselm Strauss und Juliet Corbin (1996). Dieser handlungstheoretisch begründete Ansatz lehnt Quantifizierungen ab und geht davon aus, dass qualitative Forschung notwendigerweise empiriegeleitet sein muss; er beschreibt Offenheit und Kreativität als zentrale Prinzipien der Interpretation. Ein breites (Vor-)Wissen zum Thema wird als essenzielle und produktive Ressource im Forschungsprozess nutzbar gemacht, dabei werden Wissen und Prozess fortlaufend reflektiert. Auch im konkreten methodischen Vorgehen orientiere ich mich an der Grounded Theory. Dieser methodologische Hintergrund ermöglicht mir, für die Interpretation das in der früheren Arbeit erworbene Vorwissen als sensitizing concepts (vgl. Kap. 4.1.2) einzubeziehen.

1.5 S TRUKTUR DER U NTERSUCHUNG Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Nachdem ich in diesem Kapitel zunächst in das Thema der Untersuchung eingeführt, das Forschungsdesiderat umrissen und meine Ziel- und Fragestellung vorgestellt habe, führe ich in Kapitel 2 in den Gegenstand „Vertrauen“ ein. Dazu umreiße ich zunächst die Hintergründe und Herausforderungen für diese Untersuchung. Anschließend referiere ich die für meine Untersuchung zentralen Theorien und Befunde der (Vertrauens-)Soziologie. In einem Zwischenfazit fasse ich (vorläufige) Definitionen, Konkretisierungen und forschungspraktische Eingrenzungen in Bezug auf mein Vorgehen zusammen. In Kapitel 3 setze ich mich mit Organisationen und Führung auseinander, die den Kontext dieser Untersuchung bilden, und referiere Befunde der interdisziplinären Organisationsforschung zu Intraorganisationsvertrauen. Im vierten Kapitel stelle ich meine methodologische Haltung und mein methodisches Vorgehen vor. Ich erläutere zunächst die hier eingenommene Forschungshaltung, dann mein Vorgehen im Rahmen der Sekundäranalyse und schließlich das methodische Vorgehen bei der Analyse auf der Basis der Grounded Theory.

E INFÜHRUNG

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In Kapitel 5 stelle ich die Datenbasis der vorliegenden Untersuchung mit Bezug auf das frühere Forschungsprojekt vor, aus dem sie hervorgegangen ist. Im sechsten Kapitel erfolgt die Analyse und Interpretation der Daten. Hier stehen die empirischen Konstrukte, Konzepte und Konstruktionen von Vertrauen sowie die darauf bezogenen Praktiken im Zentrum; diese beiden Aspekte werden aufeinander bezogen und es wird gezeigt, dass die beobachtbaren Nuancen in der Institutionalisierung von Vertrauen politisch und prozesshaft sind. Meine Befunde verdichte ich in einem theoretischen Modell der Institutionalisierung von Vertrauen. In Kapitel 7 fasse ich die Ergebnisse meiner Untersuchung zusammen und spitze meine Antwort auf die Forschungsfrage nach Konstrukten und Praktiken von Vertrauen zu, indem ich Intraorganisationsvertrauen und seine Spezifika konturiere. Abschließend werden Desiderate für weitere Forschungen auf inhaltlicher wie auch auf methodischer Ebene formuliert. Der Forschungsprozess im Sinne der Grounded Theory ist ein iterativzyklisches Verfahren. Entsprechend werden in den Kapiteln auch metatextuelle Anmerkungen und forschungspraktische Reflexionen vorgenommen, was bei diesem Verfahren ausdrücklich erwünscht ist. Das mag für eine Ergebnisdarstellung ungewohnt prozesshaft sein und das Lesen erschweren, aber es bietet hoffentlich auch einen gewissen Mehrwert in Bezug auf soziologische Erkenntnis. Mir ermöglicht es, zugleich über meinen Forschungsprozess Auskunft zu geben und meinen eigenen Forschungskontext – den Pflüger (2013) als zentrale Einflussgröße für Methoden und damit auch für die Befunde sozialwissenschaftlicher Forschung hervorhebt – in seiner forschungsbiografischen Situiertheit auszuweisen.

2. Vertrauen als soziologischer Gegenstand

In diesem Kapitel gehe ich auf den Forschungsgegenstand „Vertrauen“ und den Stand der Forschung dazu ein und umreiße, welchem Konzept von Vertrauen ich folge. Angesichts der Fülle entsprechender Konstrukte beschränke ich mich dabei auf ausgewählte Aspekte und Konzepte, die für mein Untersuchungsziel relevant und weiterführend sind; die Darstellung erhebt somit nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Nach einem kurzen Überblick über die Forschung zu Vertrauen, der die Herausforderungen und Limitierungen meiner Untersuchung deutlich macht (Kap. 2.1), führe ich in Kapitel 2.2 in ausgewählte soziologische Aspekte des Konstrukts, seiner Merkmale und Abgrenzungen ein. Ich fasse Vertrauen zunächst als relationale wie konstruktive Erwartung (Kap. 2.2.1), dann als visionäre Strategie im Umgang mit Ungewissheit (Kap. 2.2.2); dabei konturiere ich weitere Strategien und Praktiken, mit denen Ungewissheit begrenzt werden kann: Misstrauen, Transparenz, Kontrolle und andere Phänomene, die oft mit Vertrauen ‚verwechselt‘ werden. Anschließend gehe ich ausführlicher auf die in der Vertrauenssoziologie etablierte Dichotomie von Person und System ein (Kap. 2.2.3). Ich erläutere sie beispielhaft anhand der Vertrauenstheorien von Luhmann und Giddens, der mikrosoziologischen Theorie der Guardians of Trust bzw. Wächter_innen von Shapiro sowie der Theorie der Intermediäre von Coleman und schließlich anhand der oben bereits angesprochenen makrosoziologischen Vertrauenstheorie von Sztompka und zeige dabei jeweils Ansatzpunkte für die hier angestrebte mikro-/mesosoziologische Untersuchung auf. In einem abschließenden Zwischenfazit (Kap. 2.3) definiere ich Vertrauen in seinen zentralen Aspekten, zeige, wie meine Vorannahmen als sensitizing concepts für die Analyse dienen, und grenze das mesosoziologische Vorgehen sowie den Institutionalisierungsbegriff ein.

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2.1 D IE E RFORSCHUNG VON V ERTRAUEN Vertrauen ist „eine mehr oder minder heterogene Klasse von Beziehungen und Entscheidungen, die [auch] im wissenschaftlichen Sprachspiel unter demselben Begriff rubriziert werden“ (Nuissl 2002: 88; Klammer im Original). Auch in alltäglichen Interaktionen wird der Begriff oft und selbstverständlich genutzt. Versuche, Vertrauen zu definieren, machen aber schnell deutlich, dass die alltagssprachlichen Konstruktionen wie auch die wissenschaftlichen Konzepte von Vertrauen vielfältig, komplex und kontextabhängig sind. Entsprechend vielfältig ist die Annäherung der verschiedenen wissenschaftlichen (Teil-) Disziplinen an die Frage, was Vertrauen ist und wie es entsteht oder erodiert. Insofern erscheint es wenig sinnvoll, wenn die Forschung aus der Empirie heraus zu verstehen versucht, was Einzelpersonen unter Vertrauen verstehen, dann aber aus der Theorie heraus empirische Befunde als Hoffnung, blindes Vertrauen, Glauben oder Zuversicht usw. einordnet.1 Über ‚Vertrauen‘ oder ‚vertrauen‘ nachzudenken ist nicht zuletzt deshalb ein komplexes und kompliziertes Unterfangen, weil Vertrauen nicht nur ein amorphes Phänomen ist (vgl. Baberowski 2014), sondern der Begriff auch zwei Dimensionen beinhaltet: Als Substantiv beschreibt er einen Gegenstand, als Verb eine Tätigkeit. Worin sich Vertrauen zeigt, wie es hergestellt wird oder wie es jeweils funktioniert, ist ebenso vielfältig wie die Objekte, auf die es gerichtet wird (vgl. Nuissl 2002). So kann sich Vertrauen auf Personen richten oder auf abstrakte Systeme (vgl. Luhmann 2014[1978]; Giddens 1994, 1996), auf Prozesse oder auf Institutionen (vgl. Sztompka 1998, 1999), und die jeweiligen Kontexte lassen unterschiedliche Facetten von Vertrauen sichtbar werden, die sich in der vertrauenswissenschaftlichen Auseinandersetzung zugleich als Facetten ihrer eigenen Beschaffenheit erweisen. Die Frage nach ‚der Henne und dem Ei‘, also danach, ob das Interesse den Gegenstand determiniert oder der Gegenstand das Interesse, ist hier gleichermaßen evident wie nicht zu beantworten. Forschungen zu Vertrauen stehen also vor erheblichen Herausforderungen. Entsprechend betonen auch Lyon, Möllering und Saunders (2015) in ihrem „Handbook on Research Methods on Trust“, Vertrauen sei „one of the most

1

Damit wird der Wert von Empirie für Theorie herabgewürdigt. Dies ist der zentrale Grund, warum ich mit meiner Untersuchung eine Theorie mittlerer Reichweite (im Sinne Mertons und der Grounded Theory, vgl. Kap. 4.1) anstrebe, also eine Theorie, die sich auf die untersuchten Personen, den untersuchten Ort und die untersuchte Zeit bezieht, anstatt die Antwort auf die Frage nach Konstrukten und Praktiken von Vertrauen oder nach der Schärfung von Intraorganisationsvertrauen anzustreben.

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fascinating and fundamental social phenomena yet at the same time one of the most ‚elusive‘ (Gambetta 1988) and challenging concepts one could study“ (ebd.: 1). Dies scheint dem Interesse daran aber nicht abträglich zu sein, denn seit den 1960er und 1970er Jahren gibt es eine unüberschaubare Fülle von Forschungen und Publikationen, die sich mit Vertrauen befassen. Einige der frühen Publikationen haben auf die zeitgenössische Forschung bis heute starken Einfluss (z.B. Deutsch 1958, 1976; Garfinkel 1963; Luhmann 2014[1968]; Rotter 1967; Zand 1972). Auch die Soziologie als Teildisziplin der Sozialwissenschaften beschäftigt sich mit Vertrauen. In den 1980er und 1990er Jahren wurden vorrangig konzeptionelle, phänomenologische Aspekte des Konstrukts untersucht (z.B. Baier 1986; Gambetta 1988; Giddens 1994; Misztal 1996; später Hardin 2001, 2006; Nooteboom 2002; Sztompka 1999). Darauf folgte ab Ende der 1990er Jahre ein breites Spektrum von Studien, die Vertrauen empirisch und experimentell untersuchen; Frevert (2013) bezeichnet dies als „Obsession der Moderne“ (für einen Überblick siehe z.B. Bachmann/Zaheer 2008, 2015; Möllering 2006). Mit den Studien wurden zahlreiche Versuche unternommen, sich dem phänomenologischen Kern von Vertrauen definitorisch anzunähern, seine Eingrenzungen und Abgrenzungen zu konkretisieren und die vielfältigen Definitionen zu systematisieren (für einen Überblick siehe z.B. Endreß 2002; Möllering 2006; Dietz/den Hartog 2006; Rousseau et al. 1998). Die Fülle von Konstrukten und Theorien hat in weiten Teilen eher Verwirrung gestiftet, als dass sie zur Klärung beigetragen hätte: „[T]he social science research on trust has produced a good deal of conceptual confusion regarding the meaning of trust and its place in social life.“ (Lewis/Weigert 1985: 975) Seppänen, Blomqvist und Sundqvist (2007) beispielsweise ermitteln in einem Review vertrauenstheoretischer Publikationen über 70 Definitionen des Begriffs (vgl. auch Castaldo 2007);2 hinzu kommen zahlreiche Theorien über das, was Vertrauen charakterisiert.3 Und es ist durchaus zu erwarten, dass die Zahl der Defini2

Vertrauen wird u.a. definiert als Verhalten („behavior“, z.B. Zand 1972), als Einstellung („attitude“), u.a. zur minimalen Defensivität (Kegan/Rubinstein 1973), als Erwartung („expectancy“, Rotter 1980), als Glauben (Barber 1983), als Dispositionsvariable (Rotter 1967, 1980), als Situationsvariable (Johnson-George/Swap 1982) und als Strukturvariable (Lewis/Weigert 1985).

3

So unterscheidet beispielsweise Sako (1998) „contractual trust“, „competence trust“ und „goodwill trust“, Misztal (1996) „trust as a habitus“, „trust as a passion“ und „trust as a policy“; Lewicki und Bunker (1995) differenzieren „calculus-based trust“, „knowledge-based trust“ und „identification-based trust“; Sitkin und Roth (1993) sprechen von „trust as an individual attribute“, „trust as a behavior“, „trust as a situa-

26 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN

tionen und Theorien weiter zunehmen wird, denn die Vertrauensforschung ist mittlerweile international institutionalisiert und aktiv.4 Angesichts dieser Vielfalt von Definitionen und disziplinären Zugängen wird über alle Fachgebiete hinweg festgestellt, dass das Konstrukt Vertrauen sowohl insgesamt als auch in den verschiedenen Teil- und Bindestrichdisziplinen immer noch unzureichend untersucht ist – und dies, obwohl im englischsprachigen Raum allein aus den organisationswissenschaftlichen Disziplinen mehrere hunderttausend Publikationen zu Vertrauen, seinen Facetten, spezifischen Zusammenhängen oder Abgrenzungen zu verwandten oder vorgängigen Konstrukten vorliegen. Ein grundsätzliches Problem bei dieser intensiven internationalen Vertrauensforschung ist, dass die wissenschaftliche Debatte weitgehend in englischer Sprache geführt wird. Dabei wird der Rolle von Kultur und Sprache, z.B. für Fragen nach normativen Implikationen und funktionalen oder strukturellen Einordnungen, wenig Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl diese für die Analyse des Begriffs Vertrauen und seine mannigfaltigen Bedeutungen enorm wichtig sind (vgl. Saunders et al. 2010). Die Übertragung von Theorien und Befunden, die für einen und in einem anderen Zeit- und Kulturraum mit seinen eigenen Diskursen, Herausforderungen oder Organisationstypen entwickelt wurden, erfordert eine aufwendige Auseinandersetzung mit den Passungen und Divergenzen und ersetzt nicht die gezielte Forschung zu empirischen Konstrukten und die wissenschaftliche Weiterentwicklung von Theorien. Inwieweit im englischen Sprachraum etablierte Begriffe wie „confidence“ oder „faith“ von „trust“ abgegrenzt werden tional feature“ und „trust as an institutional arrangement“; Sitkin (1995) schließlich schlägt für weitere Analysen die Kategorien „competency-based trust“, „benevolencebased trust“ und „value-based trust“ vor. Diese beispielhaft ausgewählten Modelle illustrieren, dass die Autor_innen jeweils ganz unterschiedliche Annahmen und Interessen verfolgt und unterschiedliche Analysen vorgenommen haben, die kaum zueinander in Beziehung gesetzt werden können und deren Gehalt auf einer übergeordneten Ebene schwer zu bewerten ist. 4

So gibt es z.B. seit 2011 das Journal on Trust Research (Ferrin 2013; Li 2011). Das International Network on Trust FINT bringt jährlich auf einer eigenen Tagung international agierende Vertrauensforschende zusammen, dort gibt es u.a. ein Nordic Researcher Network on Trust; auf den renommierten jährlichen Kolloquien der European Group for Organizational Studies (EGOS) existiert seit 2011 eine EGOS Standing Working Group (SWG) zu Vertrauen. Zudem agiert seit Ende der 1990er Jahre in den USA das Russell Sage Foundation Programme on Trust, das zwischen 2000 und 2010 insgesamt 16 umfangreiche Bücher bekannter Autor_innen und von solchen herausgegebene Sammelbände zu Vertrauen und Misstrauen initiiert und finanziert hat.

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(müssen) und welche Nuancierungen oder kategorialen Unterscheidungen in der deutschen Sprache sich daraus ergeben, bedarf einer eigenen Auslegung. Die Zugangsweisen variieren aber selbst innerhalb der einzelnen Disziplinen, wenn es um Facetten der Genese oder der Erscheinungsweise, Grundlagen, die Objekte oder die Funktionen von Vertrauen geht (vgl. Nuissl 2002: 91). So lassen sich nach Thomas (2000) bezogen auf Transformationsprozesse – das ist somit für die hier empirisch untersuchten Unternehmenskontexte anschlussfähig – drei idealtypische Konzeptionen identifizieren: • Eine eher utilitaristisch geprägte Perspektive fragt nach den Ergebnissen von

Vertrauen im Sinne einer rationalen Vertrauensentscheidung; danach bildet Vertrauen die Basis für Entscheidungen und eine Abschätzung ihrer jeweiligen Chancen und Risiken, wenn keine Informationen vorliegen oder solche nur mit unvertretbar hohem Kostenaufwand zu erlangen sind (z.B. Misztal 1996). • Eine im weitesten Sinne strukturbezogene Heuristik sucht nach Ursachen von Vertrauen, die auf mehr oder weniger determinierten Reaktionen beruhen, und versteht Vertrauen als Ausdruck der sozialen und/oder psychischen Faktoren, die jeweils das Handeln bestimmen (z.B. Robinson 1996). • Eine handlungstheoretisch basierte Forschungslinie fokussiert die sozialinteraktive Herstellung von Vertrauen und konzipiert Vertrauen als Produkt eines reflexiven Prozesses, in dem Handeln und bewusste Entscheidungen sich wechselseitig beeinflussen (z.B. Lewis/Weigert 1985).

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Die folgende Abbildung zeigt diese drei Konzeptionen im Überblick: Abbildung 1: Drei Heuristiken nach Thomas (2000); eigene Darstellung in Anlehnung an Nuissl (2002)

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen spiegeln weitreichende Unterschiede hinsichtlich der Annahmen über den Gegenstand, seine Implikationen und die sinnvollsten Wege seiner Beforschung. Damit sind alle, die sich wissenschaftlich mit Vertrauen befassen, dazu aufgefordert, ihre eigene Forschungshaltung und ihre Annahmen offenzulegen und so eine Einordnung ihrer Auseinandersetzung damit und der damit notwendigerweise verbundenen Grenzen zu ermöglichen (vgl. für diese Untersuchung Kap. 2.3). Die Zahl der deutschen Aufsätze und Monografien zum Gegenstand Vertrauen hat seit den 1990er Jahren ebenfalls zugenommen (z.B. Baberowski 2014; Endreß 2002, 2010; Frevert 2013, 2014; Hartmann 2011; Hartmann/Offe 2001; Laucken 2001; Nuissl 2002; Preisendörfer 1995; Schweer 1997, 2010; Weibel/Osterloh 2014).5 Die deutsche soziologische Forschung zu Vertrauen im 5

Zudem förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit seinem Programm „Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandelnden Arbeitswelt“ zwischen 2007 und 2013 mehrere Forschungsprojekte, die sich dezidiert

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Kontext von Organisationen liegt thematisch außerhalb der allgemeinen Soziologie, aber im Bereich mehrerer sogenannter Bindestrich-Soziologien: der Organisationssoziologie, der Arbeits- und Industriesoziologie, der Politischen Soziologie, der Professionssoziologie oder der Wirtschaftssoziologie. In den aus diesen Soziologien hervorgegangenen Untersuchungen und in den unter dem Schirm der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) versammelten Sektionen wird aber, soweit ich es überblicke, Vertrauen innerhalb von Organisationen eher selten behandelt. So stellt z.B. Heisig (2013) für die Arbeits- und Industriesoziologie fest, dass das Thema Vertrauen dort bis heute randständig sei: „Vertrauen [wird] als eigenständige Analysekategorie für die Interpretation empirischer Befunde kaum herangezogen […], sondern [läuft] gewissermaßen mit in anderen Diskursen (etwa in der Debatte um die Subjektivierung von Arbeit).“ (Ebd.: 488)6

Die aus dem angloamerikanischen Raum hervorgegangenen, vorrangig psychologisch und betriebswirtschaftlich orientierten aktuellen Studien werden insgesamt ausgesprochen verhalten zur Kenntnis genommen, eine Auseinandersetzung mit ihren Befunden findet in der deutschen soziologischen Forschung zu Vertrauen meines Wissens kaum statt. Diese orientiert sich insgesamt eher an älteren soziologischen als an jüngeren interdisziplinär ausgerichteten Überlegungen.

2.2 AUSGEWÄHLTE P ERSPEKTIVEN DER V ERTRAUENSSOZIOLOGIE Der Aspekt Vertrauen wurde in der Soziologie bereits von ‚Klassikern‘ wie Durkheim, Parsons, Schütz, Simmel und Weber mehr oder minder explizit aufgegriffen. Simmel (1992[1908]) etwa analysierte in systematisierender Absicht verschiedene Arten von Vertrauen, und Schütz (1974a, 1974b) fokussierte „Vertrautheit“ als Dimension von Vertrauen. Spätere Soziolog_innen, etwa die oben bereits genannten Coleman, Giddens, Luhmann, Sztompka oder Endreß, setzten sich mit Vertrauen als Phänomen intensiver und gezielter auseinander. Entsprechend ihren jeweiligen theoretischen Perspektiven und Interessen sind ihre Ver-

mit Vertrauen befassten und aus denen mehrere Publikationen hervorgegangen sind (u.a. Becke et al. 2013; Schilcher/Will-Zocholl/Ziegler 2012) – und darüber hinaus auch die Primärdaten für dieses Buch. 6

Zur Subjektivierung von Arbeit vgl. Kap. 3.1.2 und 3.2.1.

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trauensbegriffe moralisch, ethisch, mechanistisch-funktional, rationalistisch oder phänomenologisch geprägt. Im Folgenden gehe ich auf ausgewählte Aspekte des Gegenstands ein, um einen Zugang zum Thema zu eröffnen und die Forschungsfrage zu schärfen.7 Bei aller Vielfalt der vorliegenden Definitionen und Konzeptualisierungen von Vertrauen lassen sich aber einige Charakteristika und Konstellationen identifizieren, in denen sie weitgehend übereinstimmen: • Vertrauen gilt als eine relational-konstruktive Erwartung, die aus Verletzbar-

keit hervorgeht und in Verletzbarkeit mündet. • Vertrauen stellt, ebenso wie z.B. Misstrauen, Transparenz oder Kontrolle, eine

auf Zukunft gerichtete, visionäre Strategie im Umgang mit Ungewissheit dar. • Vertrauen wird in Personen- und Systemvertrauen differenziert.

Anhand dieser Linien stelle ich meinen Forschungsgegenstand im Folgenden ausführlicher dar. 2.2.1 Vertrauen als relational-konstruktive Erwartung Vertrauen bildet eine grundlegende relationale Kategorie, die ein „Sichwechselseitig-Verpflichten“ (Popitz 2011: 122), „Sich-aneinander-Binden“ (ebd.) und „Sich-zumindest-nichts-Tun“ (ebd.: 123) beinhaltet. Zwischen Vertrauenssubjekt und Vertrauensobjekt ist Vertrauen dadurch gekennzeichnet, dass es in Erwartung einer Wechselseitigkeit von Geben und Nehmen zunächst einseitig aufgebracht und als Kredit für zukünftiges Handeln gewährt wird (vgl. Popitz 2011: 52ff.). Die Verpflichtung zur Wechselseitigkeit ist begrenzt und vage freiwillig, sie fußt eher auf Dankbarkeit als auf einer expliziten, sozial sanktionierbaren Reziprozitätsnorm (ebd.). Vertrauen wird damit funktional in einen Zusammenhang mit gelingenden Interaktionen gestellt, in denen Vertrauen mehr Vertrauen erzeugt und Misstrauen mehr Misstrauen (vgl. Endreß 2012). Nach Giddens (1996) dient Vertrauen dazu, die in der Moderne entstandenen Raum-Zeit-Spannen zu überbrücken. Damit ist es eine in positiver Annahme Zukunft vorwegnehmende, also nicht nur eine visionäre, sondern auch eine konstruktive Erwartung, die auf etwas bezogen, also relational ist.

7

Einführungen und vielfältige Einblicke in die aktuelle Diskussion geben z.B. Baberowski (2014) mit interdisziplinärem Zugang, Endreß (2002) mit einem soziologischen Fokus und Möllering (2006) mit Überlegungen zum Verhältnis zwischen Theorie und Praxis.

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Sowohl die substantivierte Gegenstandsfeststellung ‚Vertrauen‘ als auch die Handlungsform ‚vertrauen‘ sind stets konstruktiv auf etwas oder jemanden bezogen (vgl. Möllering 2013a). Vertrauensbeziehungen sind damit ein soziales Phänomen, dessen zeitliche Dauer Kontingenz ermöglicht und Ungewissheit überbrückt, indem es diese mithilfe einer konstruktiven Erwartung zeitweilig „suspendiert“8 (Möllering 2001: 414). Vertrauen zu gewähren bedeutet, Handlungs-, Entscheidungs- und Ermessensspielräume zuzulassen (vgl. Hardin 2001). Damit wird Vertrauen zu einer riskanten Vorleistung, die unter Verzicht auf vertragliche Sicherungen oder Kontrollen freiwillig erbracht wird. Das vertrauende Individual- oder Kollektivsubjekt muss somit über Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiheit verfügen, sich also auch entscheiden können, nicht zu vertrauen (vgl. Luhmann 2014[1968]). Die Entstehung von Vertrauen erfordert dementsprechend Zeit: „Emotional tiefergehende Erfahrungen von Vertrauen […] brauchen Zeit, um sich zu entwickeln und in den Nischen und Spalten von Institutionen Wurzeln zu schlagen.“ (Sennett 1998: 28) Vertrauen „entsteht stets im Horizont einer Interaktionsgeschichte und zurückliegender Erfahrungszusammenhänge“ (Endreß 2002: 176) und verweist auf einen „strukturell unhintergehbaren wechselseitigen Anerkennungsprozess“ (ebd.: 184). Die prozesshafte Interaktionsgeschichte beinhaltet Akte der Selbstoffenbarung oder des Sich-verletzbar-Machens, in ihrem Verlauf kann Vertrauen entstehen, erodieren oder wieder entzogen werden. Vertrauen lässt sich daher nicht ‚anordnen‘, sondern muss vor dem Hintergrund der jeweiligen Erfahrungs- oder Interaktionsgeschichte möglich sein: Man kann Vertrauen nicht verlangen. Es will geschenkt und angenommen sein. Vertrauensbeziehungen lassen sich daher nicht durch Forderungen anbahnen, sondern nur durch Vorleistung – dadurch, dass der Initiator selbst Vertrauen schenkt oder eine zufällig sich bietende Gelegenheit benutzt, sich als vertrauenswürdig darzustellen.“ (Luhmann 2001: 46) Vertrauen ermöglicht den Vertrauenden und den Objekten des Vertrauens grundsätzlich Autonomie und Selbstorganisation, auch ohne Überwachung durch Dritte und Wettbewerb: „Wo es Vertrauen gibt, gibt es mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, steigt die Komplexität des sozialen Systems, also die Zahl der Möglichkeiten, die es mit seiner Struktur vereinbaren kann, weil im Vertrauen eine wirksamere Form der Reduktion von Komplexität zur Verfügung steht.“ (Luhmann 2014[1968]: 8)

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„Suspension can be defined as the mechanism that brackets out uncertainty and ignorance, thus making interpretative knowledge momentarily ,certain‘ and enabling the leap to favourable (or unfavourable) expectation.“ (Ebd.)

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Zwei Konstrukte, die in der soziologischen Vertrauensforschung als mit dieser impliziten, visionären, relational-konstruktiven Herstellung und Gewährung von Vertrauen untrennbar verbunden gelten, sind ‚Vertrautheit‘ und ‚Zutrauen‘ als Erfahrung und Einschätzung aus der Vergangenheit oder Gegenwart. ‚Vertrautheit‘ bildet eine zentrale Voraussetzung für Vertrauen. Sie wird Dingen, Tatsachen oder Ereignissen zugeschrieben, die man – eher un- oder vorbewusst, selten bewusst – als „unvermeidbare Tatsache des Lebens“ (Luhmann 2001: 144) wahrnimmt. Vertrautheit verweist auf eine relationale Komponente von Vertrauen: Dieses erfordert „vorgängige […] Interaktionen von Ego und Alter […], aus denen Ego Anhaltspunkte für die Vertrauenswürdigkeit von Alter ableitet“ (Heisig 2013: 483; Hervorh. im Original). ‚Zutrauen‘ ist ebenfalls ein immanenter Bestandteil von Vertrauen, der darauf verweist, dass es gute Gründe geben muss, die dieses Vertrauen rechtfertigen. Damit aufgebrachtes Vertrauen als berechtigt eingeschätzt wird, muss dem Vertrauensobjekt zugetraut werden, dass es in der Lage ist, das Vertrauen zu bestätigen. Zutrauen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Vertrauen. Luhmann verweist zur Unterscheidung dieser beiden Konzepte auf die Erwartungssicherheit: Zutrauende sind sich des Schadenspotenzials, das mit ihrem Zutrauen verbunden ist, in der Regel bewusst, haben sich jedoch entschieden, es zu ignorieren, während Vertrauende sich des Schadenpotenzials eher nicht bewusst sind (vgl. Luhmann 2014[1968]: 97). Kennzeichnend für Vertrauen ist eine doppelte Bezugnahme auf Kompetenz bzw. Fähigkeiten (Können als funktional-sachlicher Nutzen) und wohlwollende Motivation bzw. Intention (Nicht-schaden-Wollen als moralische Bindung). Dabei kann sich Vertrauen sowohl auf Wohlwollen als auch auf Feindseligkeit beziehen, insofern ist es als solches weder positiv noch negativ. Nichtsdestoweniger handelt es sich um eine konstruktive Erwartung, die davon ausgeht, dass entgegengebrachtes Vertrauen nicht opportunistisch ausgebeutet werden wird. 2.2.2 Vertrauen als visionäre Strategie im Umgang mit Ungewissheit Vertrauen dient dazu, trotz Ungewissheit über die Handlungen anderer Kontingenz herzustellen. „Trust is a bet about the future contingent actions of others“, definiert in diesem Sinne Sztompka (1999: 25). Eine solche „Wette“9 birgt zwar

9

Mit dieser Metapher der Wette fasst Sztompka Vertrauen zunächst ähnlich wie Rational-Choice-Theoretiker (z.B. Coleman 1995[1991]). Er betont aber, dass sein Verständnis des Begriffs im Gegensatz zu diesen zwar den Aspekt der Reflexion, nicht aber eine kalkulativ-strategische Absicht („calculated orientation“) beinhalte. Damit

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die Gefahr des Verlierens (ebd.: 69), erlaubt aber auch, so zu handeln, „als ob“ die Ungewissheit geringer wäre und die Erfüllung der positiven Kontingenzerwartung gewisser, als sie tatsächlich sind (vgl. Hardin 2001). Vertrauen ist damit grundsätzlich in soziales Handeln eingebettet, das sich unter komplexen Handlungsbedingungen vollzieht. Diese Bedingungen sind ihrerseits von anderen Akteuren – Einzelpersonen wie auch Gemeinschaften, Institutionen oder Organisationen (vgl. Sztompka 1998: 19f.) – bestimmt und damit nicht vorhersehbar, sondern komplex und zukunftsoffen. Dadurch werden auch die Konsequenzen von Handeln unsicher. Vertrauen richtet sich auf einen bestimmten Gegenstand, eine bestimmte Beziehung oder ein bestimmtes Ereignis, dessen Eintreten offen ist (vgl. Giddens 1994). Das vertrauende Subjekt kann das Eintreten eines Ereignisses, dem es (vor-)bewusst hohe Relevanz beimisst (vgl. Luhmann 2014[1968]), nicht oder nur unzureichend kontrollieren. Damit ist Vertrauen eine „Erwartung unter der Bedingung von Unsicherheit“ (Nuissl 2002: 89). Die Unsicherheit wird überbrückt, indem zukünftige Bedingungen antizipiert und in Handlungsprognosen übersetzt werden. Mit der Komplexität der Handlung, zu vertrauen, und der diese Handlung umgebenden Umwelt ist immer auch ein Risiko10 verbunden. Es setzt er sich von dem entscheidungsgeprägten Begriffsverständnis James Colemans (1995[1991]) und anderer Vertreter und Vertreterinnen der Theorien rationaler Wahl ab. Allerdings grenzt er, wie Hartmann (2001: 18ff.) m.E. zu Recht kritisiert, seine Auffassung von einem nicht berechnenden, sondern kulturell geprägten Vertrauen als quasi weicher Variable („soft cultural variable“, Sztompka 1999: 11) in seinen konzeptionellen Annahmen nicht trennscharf von Colemans Ansatz des ausschließlich berechnenden, kalkulierenden Vertrauens ab. 10 Diese Unterscheidung von Risiko und Gefahr ist für Luhmanns Überlegungen zu Vertrauen und Zuversicht konstitutiv. Luhmann fasst sie folgendermaßen: „Entweder wird der etwaige Schaden als Folge der Entscheidung gesehen, also auf die Entscheidung zugerechnet. Dann sprechen wir von Risiko, und zwar vom Risiko der Entscheidung. Oder der etwaige Schaden wird als extern veranlasst gesehen, also auf die Umwelt zugerechnet. Dann sprechen wir von Gefahr.“ (Luhmann 2003[1991]: 30f.) In diesem Zusammenhang konzipiert er Vertrauen als eine Form des Umgangs mit Risiken; auf Gefahr hingegen kann ihm zufolge nicht mit Vertrauen reagiert werden, sondern nur mit Zuversicht. Im Fall einer Enttäuschung wird in Luhmanns Verständnis auch die Verantwortlichkeit für den entstandenen Schaden unterschiedlich zugerechnet: „Im Falle der Zuversicht reagiert man auf Enttäuschung, indem man sie den äußeren Umständen zuschreibt. Im Falle des Vertrauens wird man die Zuschreibung interner Faktoren in Betracht ziehen müssen und schließlich die vertrauensvolle Wahl bereuen.“ (Luhmann 2001: 148) Aus diesen Überlegungen halte ich für meine Untersu-

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ist selten mit völliger Sicherheit einzuschätzen, ob eine andere Person zugunsten oder zum Nachteil des vertrauenden Subjekts handeln wird. Könnten die Konsequenzen des Handelns anderer Akteure sicher prognostiziert werden, wäre es nicht notwendig, zu vertrauen (vgl. dazu Luhmann 2014[1968]; Nuissl 2002). Vertrauen ist mit Unsicherheit in zweifacher Hinsicht untrennbar verbunden: Zum einen beinhaltet es Unsicherheit insofern, als erst die Zukunft Gewissheit darüber bringen wird, ob das Vertrauen gerechtfertigt war und das erwartete Ergebnis eingetreten ist. Zum anderen wird Vertrauen überhaupt erst durch Unsicherheit relevant, die aufgrund der Zukunftsoffenheit allgegenwärtig ist. Weil der Mechanismus des Vertrauens hilft, Komplexität zu reduzieren (vgl. Luhmann 2014[1968]: 8, s.o.), ermöglicht er, mit der permanenten Ungewissheit über die Zukunft und zukünftiges Handeln umzugehen. Indem Vertrauen Komplexität reduziert und Unsicherheit überbrückt, erweitert es angesichts von Ungewissheit die Handlungsmöglichkeiten; dies erfordert aber eine aktive Auseinandersetzung mit verfügbaren Handlungsalternativen. „Vertrauen, als die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen, ist als Hypothese ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um den Menschen. Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen, der völlig Nichtwissende kann vernünftigerweise nicht einmal vertrauen. Welche Maße von Wissen und Nichtwissen sich mischen müssen, um die einzelne, auf das Vertrauen gebaute praktische Entscheidung zu ermöglichen, das unterscheidet die Zeitalter, die Interessengebiete, die Individuen.“ (Simmel 1992[1908]: 346)

Als „Hypothese künftigen Verhaltens“ muss Vertrauen hinreichend gerechtfertigt sein, um „praktisches Handeln darauf zu gründen“ (ebd.). Wie viel Wissen erforderlich ist, um Vertrauen zu rechtfertigen, hängt von Faktoren wie der Zeit, den Personen und den jeweiligen Interessen ab. So verweist Simmel schon früh auf die große Bedeutung von Vertrauen unter den zunehmend komplexen Bedingungen der modernen Gesellschaft. Auch Giddens (1994) sieht Vertrauen als einen zentralen Begriff der Gegenwart, die er als „High-trust-Zeit“ bezeichnet (ebd.: 29ff., 83ff.), im Unterschied zu traditionellen Gesellschaften und ihrem Bezogensein auf „Gewissheit“. Diese Allgegenwart von Vertrauen sieht er als eine Folge der in der Moderne radikal gestiegenen Komplexität und der ebenso radikal gesunkenen Berechenbarkeit von Gegenwart und Zukunft innerhalb

chung fest, dass Vertrauen nicht nur bedeutet, Verantwortung abzugeben, sondern man übernimmt zugleich Verantwortung dafür, Vertrauen begründet und begründbar erbracht zu haben.

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dieser Komplexität (vgl. ebd.). Das bedeutet auch, dass sich Forschende in Vertrauensprozessen komplexen Interdependenzen stellen müssen. Vertrauen kann als visionäre Erwartung, als Erwartung über Handeln in der Zukunft, sowohl rational als auch irrational sein. Dabei ist rational eher im Sinne von angemessen oder begründet zu verstehen und nicht als kalkuliertes Investment, wie es die Entscheidungs- und Spieltheorien und die Theorien rationaler Wahl m.E. zu Unrecht suggerieren. Letztere gehen davon aus, dass Akteure sich gegenseitig beobachten, um herauszufinden, was sie voneinander erwarten können und wie sie mit diesem Wissen ihren eigenen Nutzen maximieren können. Vertrauen kann aber keine rein rationale Erwartung sein, denn ohne Komplexitätsreduktion durch Vertrauen wäre menschliche (Inter-)Aktion unmöglich, weil Handeln in der Regel ein Handeln unter den Bedingungen von Ungewissheit ist.11 Wird jedoch explizit zum Vertrauen aufgefordert („Vertrau mir“), werden damit Ungewissheit und daraus resultierende Verwundbarkeit sowie – sofern es schon besteht – fungierendes oder habitualisiertes Vertrauen (vgl. Endreß 2002, 2011, 2012) aus der Latenz geholt und reflexiv zugänglich gemacht. Ein solches abrupt hergestelltes Bewusstsein erschüttert Vertrauen und macht es anfällig für weitere Erosion. Denn Vertrauen ist zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Vertrauens normalerweise athematisch; es wird erst dann zum Problem, wenn es aktiv eingefordert oder gestört wird, wenn also „sein Vorliegen gerade als nicht mehr selbstverständlich gegeben betrachtet wird“ (Endreß 2010: 105). Möllering (2006: 105ff.) bezeichnet den visionären und relationalen Aspekt dessen, dass Vertrauende sich in konstruktiver Erwartung bezüglich der Zukunft zu jemandem oder etwas in Beziehung setzen, mit Verweis auf Simmel (1992[1908]) als „leap of faith“, als den Zeitpunkt, zu dem ein Vertrauensvorschuss gewährt wird und der Vertrauen überhaupt erst wirksam werden lässt. Dieser „leap“ bleibt in der Regel implizit und stillschweigend („tacit“, ebd.). In den folgenden Kapiteln gehe ich auf Misstrauen, Transparenz und Kontrolle sowie auf konzeptionelle ‚Verwandte‘ von Vertrauen ein und erläutere, in welchem Verhältnis sie jeweils zu Vertrauen stehen.

11 Damit sind Arbeiten, die Vertrauen als Investment anlegen, m.E. unzureichend, denn Vertrauen ist gerade dort gefragt, wo rationale Evidenz oder rationale Gründe für seine Berechtigung fehlen und stattdessen Ängste vermieden, Verletzbarkeiten abgesichert und Wünsche projiziert, also Erwartungen konstruktiv gewendet werden.

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2.2.2.1 Vertrauen und Misstrauen Eine alternative Strategie des Umgangs mit Ungewissheit ist Misstrauen. Eine prominente Definition dafür ist die von Luhmann, der Misstrauen als funktionales Äquivalent Vertrauen gegenüberstellt, ihm aber eine eigene Entwicklungslogik zuschreibt: „Mißtrauen hat mithin eine inhärente Tendenz, sich im sozialen Verkehr zu bestätigen und zu verstärken.“ (Luhmann 2014[1968]: 98) Im Gegensatz zu der breiten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Vertrauen ist zum Konstrukt Misstrauen – zumindest in der deutschsprachigen Soziologie – bislang nur wenig geforscht und publiziert worden (vgl. Endreß 2012: 87).12 Dabei ist die Frage nach der Beschaffenheit und Einordnung von Misstrauen für das Verständnis von Vertrauen ausgesprochen bedeutsam, denn „[j]e nachdem, wie man diese Frage entscheidet, können Problemdiagnosen sich beziehen auf die Feststellung ‚zu geringen‘ Vertrauens oder aber sozial und sachlich ‚ungleichmäßig verteilten Vertrauens‘“ (Offe 2001: 366).13 Wenn Misstrauen in der vertrauenssoziologischen Literatur thematisiert wird, dann meist im Kontext von Macht, Kontrolle und Sanktionen, zum Teil aber auch unter dem Titel Vertrauen, beispielsweise als sekundäres Vertrauen. Misstrauen wird in der theoretischen und empirischen Literatur oft über seine Verortung in Bezug auf Vertrauen bestimmt. Entsprechend werden Zweifel, Skepsis oder Distanz mal als Indikatoren für sekundäres Vertrauen interpretiert, mal als Anzeichen für Misstrauen. Diese Art der Bestimmung verkennt jedoch, dass Misstrauen hinsichtlich seiner Entwicklungslogik, seiner Funktionen usw. ein eigenständiges und unabhängiges Konstrukt ist, selbst wenn es nicht gänzlich unabhängig von Vertrauen gedacht werden kann. Es ist ein eigener Gegenstand, der als solcher gezielt zu erforschen ist; entsprechende Untersuchungen stehen aber noch aus. Bislang kursieren lediglich implizite Annahmen und zum Teil kontroverse Abgrenzungen zum Konstrukt Misstrauen, seinen Herstellungs- und Erscheinungsweisen oder seinen Funktionen in verschiedenen Zusammenhängen. Als strittig gilt beispielsweise, ob „kein Vertrauen“ als „Nullpunkt“ auf der

12 In den letzten Jahren ist allerdings eine zunehmende Auseinandersetzung mit dem Konzept Misstrauen zu beobachten. So fand im Herbst 2015 an der Universität Bielefeld erstmals ein Workshop statt, der sich explizit dem Thema „Misstrauen“ widmete. 13 So differenzieren z.B. Böhle et al. (2014: 283ff.) anhand empirischer Befunde in graduierender Absicht „low-trust“, „middle-trust“ und „high-trust“; sie führen allerdings nicht konzeptionell aus, wie sich „low-trust“ und Misstrauen zueinander verhalten.

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Vertrauensskala zu sehen ist oder Misstrauen das negative Ende und den Extrempol des Kontinuums bildet (vgl. Ullmann-Margalit 2004: 60ff.).14 Im Hinblick auf das Konzept von Misstrauen sind Sztompkas Ausführungen instruktiv: Mit Bezug auf seine bereits zitierte Definition von Vertrauen als „bet about the future contingent actions of others“ (Sztompka 1999: 25f.; s.o. Kap. 2.2.2) fasst er „distrust“ als „the negative mirror-image of trust“ (ebd.). Misstrauen ist somit ebenfalls eine Wette, nur eben darauf, dass in einem gegebenen Fall das Vertrauen in einen anderen Akteur enttäuscht werden und dessen Handeln negative15 Folgen haben wird. Misstrauen entspricht somit der Annahme, dass „die mit Vertrauen ausgestatteten Personen oder Objekte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen“ (Sztompka 1995: 260). Es handelt sich also ebenfalls um eine visionäre und relationale Erwartung, aber eben eine destruktive. Zur weiteren Differenzierung führt Sztompka als eine Zwischenstufe zwischen „trust“ und „distrust“ den prozessbezogenen Begriff „mistrust“16 ein und setzt ihn zu Vertrauen und Misstrauen in Beziehung:

14 In der organisations- und managementorientierten Literatur gehen funktional interessierte Ansätze davon aus, dass für eine optimale Organisationsbalance Vertrauen und Misstrauen gleichermaßen hoch ausgeprägt sein müssen (vgl. Funcken/Hörlin 2012; Lewicki/McAllister/Bies 1998) oder aber keines von beidem in hohem Maß vorhanden sein sollte (siehe z.B. die Überlegungen von Weick [1995: 310f.] zur ultraflexiblen Organisation durch totales Misstrauen und der ultrastabilen Organisation durch totales Vertrauen; vgl. Kap. 3.3). 15 Sztompka verwendet das Attribut „negative“ nicht in einem normativen, sondern explizit in einem wertneutralen Sinne (etwa wie in den Begriffen Diapositiv und Dianegativ). Der Wert von Vertrauen im normativen Sinne ist für ihn stets kontextabhängig: „Trust is neither intrinsically good or bad, it depends.“ (Ebd.: 114) Ich halte diese Einschätzung für unscharf: Vertrauen ist weder eindeutig noch in allen Kontexten positiv oder negativ, sofern es nur auf sein Ziel bezogen wird; ich folge aber der Einschätzung (z.B. von Möllering 2006), derzufolge Vertrauen selbst immer eine konstruktive Erwartung darstellt. Dass in konstruktiver Erwartung negative Ziele angestrebt werden können, ist unbenommen. 16 Für diesen Begriff gibt es in der deutschen Sprache m.E. keine unmittelbare Entsprechung. Bemerkenswert ist, dass der Begriff ‚Missvertrauen‘ auch empirisch nachweisbar ist: In dem in Kap. 1.2 und 5.1 beschriebenen Primärprojekt, aus dem die Daten für die vorliegende Untersuchung hervorgegangen sind, verwenden ihn mehrere der interviewten Personen in ihrer Antwort auf die Frage, was für sie das Gegenteil von Vertrauen sei.

38 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN „The term ‚mistrust‘ will […] refer to a neutral situation, when both trust and distrust are suspended. […] Mistrust is either a former trust destroyed, or former distrust healed. […] It seems that mistrust resulting from the breach of trust, easily leads to full-fledged distrust, whereas mistrust resulting from the withdrawal of unjustified distrust will build toward full-fledged trust much more slowly.“ (Ebd.: 26-27)

Ich übernehme „mistrust“ hier als einen prozesshaften und damit dynamischen Vertrauensbegriff, der auch die Option zulässt, schlicht kein Vertrauen zu haben, ohne aber zu misstrauen. Eine empirische Auseinandersetzung mit der Annahme, dass Vertrauen und Misstrauen17 untrennbar und prozesshaft sind, erfordert, dass ich mich zumindest am Rande auch mit Misstrauen befasse, auch wenn in meiner Untersuchung Vertrauen im Fokus steht. Neben den Konzepten ‚kein Vertrauen‘ und ‚Misstrauen‘ wird als ein mögliches Antonym zu Vertrauen in der Soziologie häufig ‚Angst‘ genannt (z.B. Endreß 2010; Giddens 1994[1990]; Luhmann 2014[1968]; Popitz 2011): „Ohne jegliches Vertrauen aber könnte [der Mensch] morgens sein Bett nicht verlassen. Unbestimmte Angst, lähmendes Entsetzen befielen ihn.“ (Luhmann 2014[1968]: 1) Luhmann fasst hier Vertrauen als eine unabdingbare Voraussetzung für das Leben18 und Angst als sein graduell schärfstes Gegenteil. Eine Person kann sich überhaupt nur dann in der Gesellschaft frei, mit einer konstruktiven Grundhaltung und weitgehend angstfrei bewegen, wenn sie vertrauensvoll davon ausgeht, dass ihre Mitmenschen ihr grundsätzlich friedfertig gegenüberstehen, sie nicht verletzen und ihr insgesamt eher wohl- als feindlich gesonnen sind. Wird diese Annahme in Frage gestellt, droht das grundlegende (fungierende) Vertrauen nachhaltig erschüttert zu werden (vgl. zu Traumatisierungen Endreß/Pabst 2013). Dieses Konzept von Angst als schärfstem Antonym zu Vertrauen übernehme ich auch in der nachfolgenden empirischen Analyse. Meine erste – und empirisch vielleicht nicht haltbare – Annahme ist somit, dass ‚kein Vertrauen‘ auf der Vertrauensskala den Nullpunkt bildet und ‚Misstrauen‘ eine graduelle Ausprägung auf der Negativskala ist, die mit ‚Angst‘ als Extremwert endet. Dieses Verständnis ermöglicht mir, im Zuge der Datenanalyse danach zu fragen, welche Nuance von mangelndem Vertrauen, Misstrauen oder Angst die Akteure durch 17 Der Frage, ob auch aus der Perspektive der Misstrauensforschung Misstrauen stets untrennbar mit Vertrauen verbunden ist, gehe ich hier nicht nach. Wie schon in Kap. 1.1 angesprochen, ist das m.E. ein eigenes Forschungsthema. 18 Dieses Erfordernis steht durchaus im Widerspruch zu zwei anderen Voraussetzungen für Vertrauen, die Luhmann nennt, auch um Vertrauen von anderen Konstrukten abzugrenzen, nämlich Freiwilligkeit und das Vorhandensein von Alternativen.

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bestimmte Praktiken versuchen zu vermeiden, und so genauer zu fassen, was – jenseits von funktionalen Aspekten der Handlungskoordination – das Wesen von Intraorganisationsvertrauen ausmacht. 2.2.2.2 Vertrauen und Transparenz Auch der Begriff der Transparenz ist selten klar definiert (vgl. Hood 2007). Er hat insbesondere in massenmedialen Diskussionen Konjunktur, die politische oder wirtschaftliche Themen fokussieren und von öffentlichen Institutionen, aber auch von privatwirtschaftlichen Organisationen mehr Transparenz fordern. Zugleich ist „Transparenz […] eines dieser gesellschaftlichen Phänomene, das wünschenswert erscheint und dann auch wieder nicht“ (Stehr/Wallner 2010: 9). Das Transparentmachen von Prozessen und Entscheidungen, ihren Hintergründen und Folgen gilt als Mittel, um institutionelle Legitimität, Verantwortlichkeit, Fairness und Effizienz sicher- und unter Beweis zu stellen, unabhängig davon, ob es um Korruption, Lobbyismus, Bespitzelung, Betrug oder Diskriminierung geht. Politische Akteure verwenden den Begriff vielfach explizit in Bezug auf Gegenstand und Ziel von Reformen: Sie wollen transparente öffentliche Institutionen aufbauen, transparente Vergabeverfahren sicherstellen, transparente Wahlen und Einstellungspraktiken gewährleisten oder eine transparente Kennzeichnung von Lebensmitteln durchsetzen. Damit stilisieren sie Transparenz als unumgängliche Norm (vgl. Garsten/Lindh de Montoya 2008). Transparenz gerät in solchen Verwendungszusammenhängen zu einem Allheilmittel im Umgang mit Ungewissheit, das ähnlich intensiv beschworen wird wie Vertrauen. Ebenso wie Vertrauen ist also auch Transparenz allgemein positiv besetzt. Über die Beziehung zwischen Vertrauen und Transparenz besteht bisher allerdings sowohl innerhalb als auch außerhalb der Soziologie wenig Konsens; z.B. werden die beiden Phänomene mal aufeinander bezogen und als Voraussetzung füreinander konzipiert, mal werden sie als voneinander unabhängige Konstrukte verstanden, die sich gegenseitig ersetzen, nicht aber gleichzeitig wirken können (vgl. Bachmann/Knights/Sydow 2001; Bijlsma-Frankema/van de Bunt 2003; Das/Teng 1998: 495; Maguire/Phillips/Hardy 2001; Jansen 2010). Die Herstellung von Transparenz durch Sachinformationen und Vermittlung von Faktenwissen erlaubt zwar eine grundsätzliche Prognose über die Zukunft und reduziert damit – ebenso wie Vertrauen – die Ungewissheit; sie kann aber auch keine vollständige und verbindliche Gewissheit schaffen. Die latente, verbleibende Ungewissheit muss weiterhin anderweitig kompensiert werden – beispielsweise durch Vertrauen (vgl. Jansen 2010). An Transparenz fällt zweierlei auf: Zum einen ist eine konzeptionelle Nähe zu Überwachung erkennbar, zum anderen ist das Transparenzideal in sich ambi-

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valent. Die Nähe von Transparenz und Überwachung wird daran deutlich, dass Transparenz als Ideal nicht nur auf einen neugierigen „Willen zum Wissen“ (Foucault 1987) verweist, sondern zugleich eine Überschrift für extrinsische und intrinsische Kontrollmechanismen ist, die Regelkonformität sichern sollen.19 Die Ambivalenz zwischen dem Ideal von Transparenz und seiner Anwendung macht der Blick auf eine Binnendifferenzierung klar: Im Zusammenhang mit übertragener Macht erscheint es unmittelbar plausibel, so viel externe Einsicht wie möglich zu institutionalisieren; demgegenüber sollen Privatpersonen ebenso wie Organisationsmitglieder vor dem Zugriff von Überwachungstechnologien geschützt werden (vgl. Sztompka 2010). Giddens (1995) bezieht sich in seinen vertrauenssoziologischen Überlegungen weniger auf Transparenz als auf Information und Wissen. Er kommt dabei aber ebenfalls zu dem Schluss, dass Vertrauen ein gewisses Maß an Information und Wissen erfordert, auch wenn es immer von Unwissen geprägt ist. Während Transparenz Ungewissheit reduzieren und damit Zukunft möglichst weitgehend berechenbar machen soll, dient Vertrauen dazu, die verbleibende Ungewissheit und die damit einhergehende Verletzbarkeit in einer konstruktiven Zukunftserwartung zu akzeptieren. Allerdings ist auch für Vertrauen „[e]in gewisses Maß an Transparenz […] nötig, damit man weiß, worum es überhaupt geht. […] Dazu ist allerdings keine völlige Transparenz nötig.“ (Möllering 2008)20 2.2.2.3 Vertrauen und Kontrolle Eine Praxis, die sowohl mit der Herstellung von Transparenz als auch mit der von Vertrauen unmittelbar verbunden sein kann, ist Kontrolle. Dem schon hervorgehobenen Bedeutungszuwachs von Vertrauen unter den Bedingungen der Moderne und dem damit zugleich gestiegenen Risiko eines Vertrauensbruchs 19 Diese Nähe von Transparenz und Überwachung findet sich z.B. auch im Konzept des Panoptikums von Jeremy Bentham (2013[1787]). 20 Seit der Jahrtausendwende setzt sich auch die Soziologie verstärkt mit Konzepten von Transparenz und deren Umsetzung auseinander (z.B. Jansen/Schröter/Stehr 2010); mehrere zeitdiagnostische Arbeiten problematisieren Transparenz vorwiegend aus kulturwissenschaftlicher Perspektive (z.B. Han 2012). Die moderne Organisationssoziologie hat das Thema Transparenz ebenfalls verstärkt aufgegriffen. Insbesondere in Großbritannien hat sich Ende der 1990er Jahre ein eigener Forschungszweig entwickelt, der sich mit Techniken des Transparentmachens organisationaler Entscheidungen auseinandersetzt (z.B. Power 1997) und mit empirischen und theoretischen Studien auf die unbeabsichtigten Nebenfolgen transparenter Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse aufmerksam macht (z.B. Hood 2007; Hood/Heald 2006; O’Neill 2002).

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wird durch institutionalisierte Kontrollen begegnet (vgl. Kap. 1), die den Schaden bei Vertrauensbrüchen begrenzen; daher werden in der modernen Gesellschaft im Zusammenhang mit Vertrauensbeziehungen auch solche Kontrollsysteme zunehmend wichtig (vgl. Endreß 2012). Hardin (2006) problematisiert dieses engagierte Streben nach Sicherheit durch Kontrollen und spricht von einem „age of distrust“ (ebd.: 1, 12ff.). Wenn sie nicht nur einer destruktiven Erwartung folgen, sondern in einem konstruktiven Sinne vertrauenswirksam sein soll, muss Kontrolle drei Bedingungen erfüllen: Erstens muss sie von transparenter Kommunikation begleitet sein; zweitens dürfen darüber nicht Schwächen der anderen ausgenutzt werden (vgl. Endreß 2012). Drittens schließlich darf Kontrolle im Sinne unmittelbarer Aufsicht nicht zu viel Kontaktnähe erzeugen, denn dies kann bedrängend wirken und Misstrauen generieren (vgl. ebd.). Möllering (2005) betont, dass Vertrauen und Kontrolle nicht als Gegensätze, sondern vielmehr in einer integrativen Perspektive als Dualität miteinander verbundener Konzepte verstanden werden sollten in dem Sinne, dass „trust and control each assume the existence of the other, refer to each other and create each other, but remain irreducible to each other“ (ebd.: 284). Kontrolle ist danach eine Praxis, die nicht ‚anstelle von‘ Vertrauen als dessen Äquivalent dient, sondern angewandt wird, um Vertrauen zu unterstützen. Die empirische Frage, wie sich Vertrauen und Kontrolle in der Praxis zueinander verhalten, ist Möllering zufolge allerdings noch nicht hinreichend beantwortet: „[T]he duality perspective of trust/control as such is only a starting point. It gives an opportunity for studying that which actually matters most, and that is the question of how trust/control is enacted“ (Möllering 2005: 300). Diese Einordnung des Verhältnisses von Kontrolle und Vertrauen zueinander erscheint mir instruktiv, sofern diese beiden Konstrukte vom Verb ausgehend als Handlungsoptionen, ‚zu vertrauen‘ und ‚zu kontrollieren‘, miteinander abgeglichen werden. In der Version als Substantive – auf die hier offensichtlich abgezielt wird – wäre es dagegen m.E. richtiger, von einer trust/transparency duality zu sprechen, in der sowohl Vertrauen als auch Transparenz durch Kontrolle praktisch realisiert werden.

2.2.2.4 Abgrenzung zu weiteren Konstrukten des Umgangs mit Ungewissheit Vertrauen ist nur eine Möglichkeit, mit Ungewissheit umzugehen; wie in den vorigen Kapiteln deutlich wurde, kann Ungewissheit auch durch Misstrauen, Transparenz und Kontrolle begrenzt werden. Ein weiteres mit Vertrauen verwandtes Konstrukt zum Umgang mit Ungewissheit ist „Glaube“ (Zucker 1986: 53). Wie vertrauende sind auch glaubende

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Akteure sich ihres fehlenden Wissens bewusst (vgl. Strasser/Voswinkel 1997: 218); beim Glauben liegt dem Handeln jedoch eine andere Rationalität zugrunde, die z.B. Deutsch (1976) folgendermaßen beschreibt: „Glaube ist eher blind als Vertrauen.“ (Ebd.: 138) Die betreffenden Akteure fragen also nicht nach Beweisen, die ihren Glauben rechtfertigen können. Auch das Konzept ‚Hoffnung‘ ist mit Vertrauen verwandt. Wie dieses beschreibt es eine Erwartung über den Ausgang einer Handlung bei bestehender Ungewissheit (vgl. Luhmann 2014[1968]: 28f.). Hoffnung dient ebenfalls der Komplexitätsreduktion und kann sich – um noch einmal die etablierte Dichotomie zu bemühen – ebenso auf personelle wie auf abstrakte Objekte richten. Der zentrale Unterschied liegt im Modus des Verhaltens: Hoffende sind abwartender und passiver als Vertrauende, die nach Indizien von Vertrauenswürdigkeit suchen und Erfahrungen – also Vertrautheit – als Grundlage ihres Handelns einbeziehen, denn „Vertrauen reflektiert Kontingenz, Hoffnung eliminiert Kontingenz“ (Luhmann 2014[1968]: 29). Die Risiken der Hoffnung liegen außerhalb der Hoffenden und können von diesen nicht beeinflusst werden (ebd.: 28f.). Hoffende betrachten daher keine Alternativen. Zudem besteht hier kein Schadenspotenzial, denn es gibt keine Alternative, die zu einem besseren Ergebnis führen könnte. ‚Zuversicht‘ schließlich wird „in Situation bedeutsam, die durch Kontingenz und Gefahr gekennzeichnet sind“ (Luhmann 2001: 151). Dieser Modus der Selbstvergewisserung kann sich – ebenso wie Vertrauen – als Erwartung mit weitgehend ungewissem Ausgang (vgl. ebd.: 147) auf unterschiedliche Objekte richten. Zuversicht wird aber eher als eine persönliche Haltung und eine Umgangsweise mit generellen Unsicherheiten des Lebens und Alltags eingeordnet, nicht als eine Abwägung und Bewertung von Handlungsalternativen. 2.2.3 Vertrauen in Personen und Vertrauen in Systeme Im Folgenden gehe ich ausführlicher auf die in der Vertrauenssoziologie etablierte Dichotomie von interpersonellem Vertrauen einerseits und abstraktem oder Systemvertrauen andererseits ein, denn mein Interesse an Vertrauen im Organisationskontext erfordert eine Integration dieser beiden Perspektiven. Diese in der Theorie wie auch in der Empirie etablierte Differenzierung geht zurück auf Luhmanns systemfunktionalistische Überlegungen aus den 1960 und 1970er Jahren (Luhmann 2014[1968]), die später von Giddens (1994, 1996) aufgegriffen und weiterverfolgt wurden. Die Konzepte dieser beiden Autoren stelle ich im nächsten Kapitel dar; anschließend folgen zwei Beispiele für etablierte Vertrauenskonzepte auf der Mikro- und der Makroebene und eine Ausei-

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nandersetzung mit Möglichkeiten, diese dichotome Trennung der Ebenen zu überwinden. Die heutige Soziologie unterscheidet – auch für die Analyse von Vertrauensphänomenen – idealtypisch zwischen der Mikro-, der Makro- und der Mesoebene des Sozialen (vgl. Endreß 2012; Lane 1998; s.o. Kap. 1.1): • Gegenstand der Mikroebene ist das funktional diffuse persönliche Vertrauen

im Rahmen dichter Sozialbeziehungen, also Vertrauen als Aspekt des (Miteinander-)Handelns von Akteuren, z.B. individuelles Vertrauen in Personen, Vertrauen aufgrund von Bindungen (Kollegium, Familie, Freundeskreis). • Auf der Makroebene geht es um funktional generalisiertes Vertrauen in Institutionen oder Systeme, das sich auf die Erfüllung genereller Erwartungen bezieht (Vertrauen auf gesellschaftliche und kulturelle Grundregeln, Vertrauen in Systeme und Kollektive und ihre Strukturen, z.B. die Wirtschaft oder die Politik). • Auf der Mesoebene interessiert das funktional spezifische Vertrauen in professionellen, institutionell vermittelten Interaktionen, das sich z.B. auf eine professionelle Klassifizierung (etwa durch Berufsbezeichnungen), die Zuordnung zu einer bestimmten Organisation (z.B. Universität) oder den Verweis auf bestimmte Kontrollmechanismen (Zertifizierungs- und Prüfstellen) stützt (vgl. Endreß 2012: 89f.).

2.2.3.1 Personenvertrauen, Systemvertrauen, Repräsentant_innen: Die Theorien von Luhmann und Giddens Nach Luhmann (2014[1968]) ist Personenvertrauen die auf ein (vorwiegend) anderes Individuum gerichtete „generalisierte Erwartung, dass der andere seine Freiheit, das unheimliche Potenzial seiner Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird – oder genauer, im Sinne der Persönlichkeit, die er als die seine dargestellt und sozial sichtbar gemacht hat. Vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er bewusst oder unbewusst über sich selbst mitgeteilt hat.“ (Ebd.: 40f.) Systemvertrauen dagegen ist eine Erwartung, die eine Person abstrakteren und komplexeren Systemen (also Rollen, Funktionen, Organisationen oder Institutionen) entgegenbringt. Derartige Systeme zu kontrollieren erfordert viel Fachwissen und Expertenwissen, über das Einzelpersonen in der Regel nicht verfügen: „Jeder verlässt sich beim Bezug solchen Wissens darauf, daß im System genug Kontrollen der Zuverlässigkeit eingebaut sind und daß diese Kontrollen unabhängig von den persönli-

44 | V ERTRAUEN INNERHALB VON ORGANISATIONEN chen Motivationsstrukturen der jeweils Beteiligten funktionieren, so daß er diejenigen, die das Wissen erarbeitet haben, nicht persönlich zu kennen braucht.“ (Ebd.: 69)

Ein Konzept für die Mesoebene von und für Vertrauen entwickelt Luhmann nicht. Allerdings verändert er sein Konzept des Systemvertrauens später: In einem 2001 post mortem publizierten Aufsatz definiert er Systemvertrauen nicht mehr als Vertrauen, sondern als Zuversicht, die er aus zwei Gründen kategorial von Vertrauen abgrenzt: Erstens sieht er in Bezug auf Systeme nicht dasselbe riskante Engagement wie bei der aktiven Entscheidung, Vertrauen zu gewähren unter der Option, dass eine Enttäuschung dieses Vertrauens zu Verlusten führen kann. Zweitens sieht er die freie Entscheidung, zu vertrauen oder nicht, die in seinem Konzept eine zwingende Voraussetzung bildet, in Bezug auf abstrakte Systeme nicht erfüllt, da die Erwartungen in Bezug auf diese alternativlos seien. Das Verhältnis von Zuversicht und Vertrauen konkretisiert er wie folgt: „Ein Mangel an Zuversicht kann – ohne weitere Reflexion – einen Mangel an Vertrauen bedeuten, und ein Mangel an Vertrauen heißt, dass jedes Verhalten, das Vertrauen voraussetzt, ausgeschlossen wird.“ (Luhmann 2001: 157) Seine Unterscheidung von Zuversicht (bezogen auf abstrakte Objekte) und Vertrauen (gegenüber konkreten Akteuren) sieht Luhmann als Chance, die Mikro/Makro-Unterscheidung in der empirischen Forschung zu erleichtern, vor allem die oft schwierige Induktion im Rückschluss von der Mikro- auf die Makroebene (vgl. ebd.: 159).21 Ich halte diese Umdeklaration von Vertrauen/ Systemvertrauen in Zuversicht/Systemzuversicht allerdings in Übereinstimmung mit Diego Gambetta (2001)22 für verfehlt. 21 Luhmanns Loslösung vom Konzept des Systemvertrauens zugunsten des Konzepts der Systemzuversicht vereinfacht jedenfalls m.E. die theoretische und insbesondere die empirische Arbeit, insofern bei der Analyse von Systemzuversicht ‚nur noch‘ nach projiziertem Wunschdenken gesucht werden müsste, nicht mehr nach Objekten, Erscheinungsweisen, Grundlagen, Funktionen und der Genese von Vertrauen (vgl. Nuissl 2002: 100). Denn Zuversicht würde nach diesem Konzept ausschließlich über Vertrauenspersonen generiert, die als vertraut und damit vertrauenswürdig eingeschätzt werden und auf die sich die Hoffnung richtet, dass sie die ihnen zugeschriebene Vertrauenswürdigkeit erfüllen. Das in diese Personen gesetzte Vertrauen würde dann als Zuversicht generalisiert auf das abstrakte System übertragen. Das System wäre demnach – im Gegensatz zu den darin agierenden Personen – nie Träger von Vertrauen. Es wäre lediglich Rahmen und Anlassgeber, um von der Vertrauenswürdigkeit vertrauer Personen auf die des Systems rückzuschließen. 22 Gambetta (2001) wendet – m.E. zu Recht – ein: „Zuversicht könnte im Sinne von Luhmann […] als eine Art des blinden Vertrauens definiert werden, bei der die Bezie-

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Giddens (1996) greift Luhmanns (frühere) Differenzierung von System- und Personenvertrauen auf und unterscheidet „gesichtsabhängiges“ Vertrauen in bzw. zwischen Einzelpersonen und „gesichtsunabhängiges“ Vertrauen in abstrakte Systeme, entwickelt aber explizit eine zusätzliche Vermittlungsebene. Personen- bzw. gesichtsabhängiges Vertrauen basiert auch in seinem Konzept auf Vertrautheit infolge einer gemeinsamen Interaktionsgeschichte, in deren Verlauf die Akteure Beweise für ihre Glaubwürdigkeit erbracht haben (Giddens 1996: 107). Vertrauen resultiert aus „Vertrauensbeziehungen, deren Aufrechterhaltung oder Äußerung in sozialen Zusammenhängen erfolgt, die durch Situationen gemeinsamer Anwesenheit hergestellt werden“ (ebd.: 103); es zeigt sich aber auch ohne ausdrückliche entsprechende Praktiken in „höfliche[r] Nichtbeachtung […] als ‚Hintergrundgeräusch‘“ (ebd.: 106). Gesichtsunabhängiges Vertrauen gründet auf generalisierter Vertrauenswürdigkeit: Es entsteht aus dem Vertrauen anderer Akteure in die betreffenden Systeme und dem professionellen Gebaren von Experten bzw. Expertinnen und gilt damit als eher reflexives Vertrauen. Dieses abstraktere, personenungebundene Systemvertrauen ist Giddens zufolge durch geringere Intimität und Gegenseitigkeit gekennzeichnet als interpersonelles Vertrauen. Dennoch beruht das Vertrauen in abstrakte Systeme der modernen Gesellschaft, das in der Interaktion mit diesen Systemen gewährt wird, immer auch auf interpersonellem Vertrauen. Insofern geht Giddens anders als Luhmann davon aus, dass sich diese verschiedenen Formen des Vertrauens nicht klar voneinander abgrenzen lassen; ihm zufolge bilden sie vielmehr ein Kontinuum, in dem Institutionenvertrauen eine besondere Bedeutung hat. Die für Vertrauen erforderliche Einschätzung von Vertrauenswürdigkeit – und das ist für mein mesoanalytisches Interesse weiter-

hungen, auf die wir uns, unter den gegebenen Umständen, einlassen, wenig von unseren Handlungen und Entscheidungen abhängen oder abzuhängen scheinen. Mit anderen Worten: Zuversicht könnte auch einem Wunschdenken und einer Reduktion kognitiver Dissonanz entspringen; es wäre dann der Hoffnung ähnlicher als dem Vertrauen.“ (Ebd.: 220) Luhmanns eigene Ausführungen bestärken diesen Einwand: „Der Vertrauende macht sich mithin an der Möglichkeit übergroßen Schadens die Selektivität des Handelns anderer bewusst und stellt sich ihr. Der Hoffende fasst trotz Unsicherheit einfach Zuversicht. Vertrauen reflektiert Kontingenz, Hoffnung eliminiert Kontingenz.“ (Luhmann 2014[1968]: 29) Systemzuversicht wäre danach gleichzusetzen mit Systemhoffnung; dieser Vorschlag erscheint mir wenig geeignet, um ebenenübergreifend den verschiedenen Zurechnungen, Konstrukten und Praktiken gerecht zu werden.

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führend – bezieht sich stellvertretend auf „symbolische Zeichen“23 oder „Expertensysteme“ (s.u.) und das Vertrauen wird in konkrete Repräsentierende der personenunabhängigen Systeme gesetzt (ebd.: 107ff.): „Vertrauen in symbolische Zeichen oder Expertensysteme beruht nicht auf dem Glauben an die ‚moralische Rechtschaffenheit‘ (oder die guten Absichten) anderer Personen, sondern auf dem Glauben an die Richtigkeit von Prinzipien, über die man nicht Bescheid weiß. Natürlich spielt das Vertrauen in Personen auch im Hinblick auf den Glauben an Systeme stets eine gewisse Rolle, doch dieses Vertrauen betrifft nicht das Funktionieren der Systeme als solches, sondern deren richtiges Funktionieren.“ (Ebd.: 48f.; Hervorh. im Original)

Vertrauen, das Personen entgegengebracht wird, ist nach Giddens stets mit einem Ausbeutungsrisiko verbunden. Dieses Risiko entsteht durch die eigene Bereitschaft und Entscheidung, sich durch das Aufbringen von Vertrauen verletzbar zu machen. Vertrauen, das in kollektive oder korporative Akteure (z.B. Organisationen) gesetzt wird, ist demgegenüber mit der Zuschreibung von Handlungsfähigkeit verbunden: Diese wird einer konkreten Person zugesprochen, die den ansonsten abstrakten Akteur repräsentiert, und bezogen auf diese Person spezifiziert. Für die vorliegende Untersuchung zu Organisationen am Beispiel von Führungskräften in Unternehmen besonders aufschlussreich ist m.E. der Begriff des „Expertensystems“ als Repräsentanz eines abstrakten Systems, der bei Giddens zentral ist. Er versteht darunter „Systeme technischer Leistungsfähigkeit oder professioneller Sachkenntnis, die weite Bereiche der materiellen und gesellschaftlichen Umfelder, in denen wir heute leben, prägen“ (ebd.: 40). Die Schnittstellen zwischen Expert_innen und Personen ohne Sachkenntnis bezeichnet Giddens als „Zugangspunkte“ (ebd.: 107ff.). An diesen Zugangspunkten findet der Prozess der Rückbettung statt, also die „Rückaneignung oder Umformung entbetteter sozialer Beziehungen, durch die sie (sei es auch noch so partiell oder vorübergehend) an lokale raumzeitliche Gegebenheiten geknüpft werden sollen“ (ebd.: 102). Zugangspunkte ermöglichen lokale Praktiken unter den Bedingungen globalisierter Sozialbeziehungen, sie vermitteln zwischen räumlicher Anund Abwesenheit: 23 Symbolische Zeichen sind „Medien des Austausches, die sich ‚umherreichen‘ lassen, ohne daß die spezifischen Merkmale der Individuen oder Gruppen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mit ihnen umgehen, berücksichtigt werden müßten“ (ebd.: 34). Es handelt sich um allgemein anerkannte Kommunikationsmittel, die unabhängig von Ort und Situation funktionieren, z.B. Geld.

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„Entbettungsmechanismen [stehen] in Wechselbeziehungen zu rückgebetteten Handlungskontexten, die entweder auf die Stützung oder auf die Schädigung dieser Mechanismen hinwirken können; […] gesichtsunabhängige Bindungen [sind] ebenfalls in nützlicher oder schädlicher Weise mit gesichtsabhängigen verknüpft.“ (Ebd.: 103)

Hier entscheidet sich zu einem großen Teil, ob die Einstellung des Nichtexperten bzw. der Nichtexpertin zum jeweiligen Expertensystem von Vertrauen geprägt ist oder eher von Skepsis, Furcht oder existenzieller Angst (ebd.: 127). Insbesondere unpersönliches Vertrauen oder Systemvertrauen verlässt sich also auf sozial geschaffene und legitimierte formale Strukturen, die normale Akteure bzw. Laien oft nicht durchschauen (vgl. Lane 1998). Sowohl die ursprünglichen Überlegungen von Luhmann als auch die Modifizierungen von Giddens legen nahe, dass Vertrauen in abstrakte Systeme und ihre Strukturen ähnlich wie interpersonelles Vertrauen in sozialen Beziehungen hergestellt wird: Von bestimmten Indikatoren wird auf die Vertrauenswürdigkeit des Systems geschlossen. Solche Indikatoren können etwa Personen sein, die das fragliche System repräsentieren (z.B. der Kassierer oder die Kassiererin für eine Supermarktkette, Professoren und Professorinnen für das Wissenschaftssystem, der Pilot bzw. die Pilotin oder der Steward bzw. die Stewardess für eine Fluglinie) und es interaktional erfahrbar machen. In Bezug auf die Funktion solcher Repräsentanten bzw. Repräsentantinnen zeigt sich zwischen den Konzepten von Luhmann und Giddens ein wichtiger Unterschied: Nach Giddens bilden sie einen personifizierten Bezugspunkt; über ihre Präsenz erzeugen sie stellvertretend Vertrauenswürdigkeit und darauf aufbauend gesichtsunabhängiges Vertrauen (wie im o.g. Beispiel Steward_essen als Stellvertreter_innen der Luftfahrtgesellschaft). Luhmann berücksichtigt Repräsentanten und Repräsentantinnen in seinem Konzept nicht explizit als Akteure, wohl aber als eine strukturelle Anforderung und schreibt ihnen neben der stellvertretenden auch eine potenziell intervenierende Funktion zu: Sie erzeugen Vertrauenswürdigkeit durch ihre Eingriffs- und Sanktionsmacht gegenüber dem System und schaffen so Systemvertrauen (ein Beispiel hierfür sind Polizist_innen als Repräsentant_innen des Staats). 2.2.3.2 Vertrauen in Personen durch Wächter und Intermediäre: Die Theorien von Shapiro und Coleman Im Folgenden stelle ich zwei utilitaristisch geprägte Ansätze zu Vertrauen vor, die in der Vertrauenssoziologie prominent sind: den der „guardians of trust“ von Susan P. Shapiro (1987) und den der „Intermediäre“ von James S. Coleman (1995[1991]). Beide beziehen sich auf die Herstellung von intraindividuellem

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Vertrauen durch interpersonelle, in personengebundenen Interaktionen hergestellte Vertrauenswürdigkeit. Der Ansatz von Susan P. Shapiro (1987) basiert auf der Prinzipal-AgentTheorie. Im Zentrum stehen hier „Vertrauenswächter“ („guardians of trust“) im Sinne eines „supporting social-control framework of procedural norms, organizational forms, and social-control specialists, which institutionalize distrust […] offering a mix of normative prescriptions, socialization opportunities, institutional arrangements, structural constraints and networking strategies“ (ebd.: 635). Diese Wächter können also sowohl Personen als auch Strukturen sein; entscheidend ist ihre Funktion als institutionalisiertes Misstrauen in einer asymmetrischen Konstellation. Indem sie die Vertrauenden in der Vergabe ihres Vertrauens gegen Verletzungen absichern, absorbieren sie das Risiko eines potenziellen Vertrauensbruchs und ermöglichen dadurch intrapersonelles Vertrauen. Als institutionalisiertes Misstrauen nehmen die Wächter eine Aufsichts- und Kontrollfunktion mit Sanktionsfähigkeit wahr. Im Hinblick darauf müssen sie allerdings selbst überwacht werden. Ihre Wächter müssen wiederum ihrerseits überwacht werden usw. So führt die ständige Absicherung von Vertrauenswürdigkeit zwangsläufig zu einer hierarchischen Differenzierung. Der Rational-Choice-Theoretiker James S. Coleman (1995[1991]) erklärt die Herstellung von Vertrauen über Vertrauenswürdigkeit mithilfe seines Konzepts der „Vertrauensintermediäre“ (ebd.: 232ff.). Diese Intermediäre dienen als Vertrauensvermittler_innen zwischen zwei Parteien. Sie prüfen die Leistungs- und damit die Vertrauenswürdigkeit der jeweiligen anderen Partei. Um stellvertretend für die Vertrauensgeber_innen die Leistungsfähigkeit der Vertrauensnehmer_innen einzuschätzen, benötigen die Intermediäre vor allem Fachwissen und dessen Anerkennung mindestens durch die Partei, die sie mit der Einschätzung der anderen Partei beauftragt. Coleman differenziert die Intermediäre in drei (männliche) Typen: Berater, Bürgen und Unternehmer.24 „Fungiert der Interme24 „Als Bürge entlastet der Intermediär den Vertrauensgeber, da er ihn im Falle eines Vertrauensbruchs durch den Vertrauensnehmer entschädigt. Als Unternehmer entlastet der Intermediär i.d.R. mehrere Vertrauensgeber, indem er (z.B. wirtschaftliche) Anliegen bündelt, Gewinn und Verlust antizipiert und passende Vertrauensnehmer anspricht. Fungiert der Intermediär als Bürge oder Unternehmer, setzt der Treugeber Vertrauen in die Leistungskapazität und Integrität des Intermediärs, so wie der Intermediär seinerseits dem Treuhänder vertraut. In beiden letztgenannten Fällen muß der Intermediär ein großes Vertrauen in seine eigene Urteilsfähigkeit setzen, wenn er in der Lage sein möchte, als Intermediär zu fungieren. Er muß eine gute Urteilsfähigkeit besitzen, wenn er nicht als Intermediär Ressourcen verlieren will.“ (Ebd.: 234) Die Unternehmer grenzt Coleman von Bürgen und Beratern durch ihre besondere Position

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diär als Berater, vertraut der Treugeber dem Urteil des Beraters, das ihn dazu bewegt, in die Fähigkeiten und die Integrität des Treuhänders Vertrauen zu setzen.“ (Ebd.: 233) Wenn die Vertrauensnehmer_innen das in sie gesetzte Vertrauen enttäuschen, kann das die Vertrauenswürdigkeit der beratenden Intermediäre schädigen, weil diese dann der ihnen zugeschriebenen Urteilsfähigkeit nicht gerecht werden. Als Bürgen entschädigen die Intermediäre, als Unternehmer vermitteln sie. In diesen beiden Funktionen nimmt ihre Vertrauenswürdigkeit nur geringen Schaden, auch wenn sich die VertrauensnehmerInnen als vertrauensunwürdig erweisen. Die Intermediäre als Institution bleiben also in den Rollen der Bürgen und der Unternehme unangetastet, als Berater jedoch nicht. Shapiros „Vertrauenswächter“ und Colemans „Vertrauensintermediäre“ dienen gleichermaßen der Erzeugung und Stabilisierung von Vertrauen durch die Herstellung von Vertrauenswürdigkeit. Sie stellen Idealtypen dar, die unterschiedlich beschaffen und verortet sind und jeweils verschiedene Aufträge haben. Im Vergleich weisen die beiden Konzepte jedoch Unterschiede auf: Während bei Colemans Intermediären alle drei Typen den Vertrauensnehmenden im Sinne der Rational-Choice-Theorie Leistungsfähigkeit zuschreiben und ihnen deshalb Vertrauen entgegenbringen, ist für Shapiros Wächter vielmehr ein gewisses Maß an inhärentem Misstrauen kennzeichnend. Damit übernehmen sie anders als Colemans Intermediäre eine potenziell sanktionierende Rolle gegenüber denjenigen, die Vertrauen brechen. Aus der Perspektive der Vertrauenden sind sie nicht (wie die Intermediäre) aufgrund ihrer Urteils- oder Leistungsfähigkeit vertrauenswürdig (wie bei Giddens der Steward bzw. die Stewardess als Stellvertreter_in der Fluggesellschaft), sondern aufgrund ihrer Kontroll-, Interventions- und Sanktionskompetenz (vergleichbar mit Luhmanns Polizisten bzw. Polizistinnen als sanktionsmächtigen Stellvertretenden des Staates). Sie können das Handeln der Vertrauensnehmenden aktiv beeinflussen und einen eventuellen Vertrauensbruch bestrafen – insofern ähneln sie eher den Repräsentant_innen im Luhmannʼschen als jenen im Giddensʼschen Sinne. Entsprechend unterschiedlich ist die Vertrauenswürdigkeit, die Intermediären und Wächtern zugeschrieben wird: Während die Intermediäre bei einem Vertrauensbruch durch die Vertrauensnehmer_innen selbst kaum Vertrauenswürdigkeit einbüßen, sondern, wenn überhaupt, andere Ressourcen verlieren (z.B. neue Auftraggeber_innen), hängt die Vertrauenswürdigkeit der Wächter stärker von der bestätigten Vertrauenswürdigkeit der Vertrauensnehmer_innen ab und im Fall eines Vertrauensbruchs von der eigenen Sanktionsausübung.

an der Schnittstelle von Individuen und Kollektiven und ihre Doppelrolle als Treuhänder_innen und Treugeber_innen ab.

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Beide Konzepte sind in jeweils spezifischer Weise begrenzt: In Shapiros Konzept bedeutet das Erfordernis einer unendlichen hierarchischen Differenzierung zur Bewachung der Wächter eine Komplexität, die faktisch nicht zu realisieren ist. Colemans Konzept basiert auf einem begrenzten Vertrauensbegriff, der Vertrauenswürdigkeit als rationales, kalkuliertes und gegen Risiken maximal abzusicherndes Investment fasst. Die Bereitschaft, sich verletzbar zu machen, ist in diesem Konzept nicht enthalten, denn maximale Risikobegrenzung und Absicherungen für den Schadensfall reduzieren das Risiko und damit die Verletzbarkeit auf ein Minimum. Für meine empirische Analyse und Interpretation der Daten haben diese beiden Konzepte dennoch eine sensibilisierende Funktion. Sie lassen sich zwar nicht unmittelbar für eine Annäherung an Intraorganisationsvertrauen nutzen, da sie zu einseitig mikrosoziologisch und rationalistisch auf Vertrauenswürdigkeit ausgerichtet sind; für eine Betrachtung des Handelns in Interaktionen sind sie jedoch instruktiv. Dabei erscheinen mir vier Aspekte wichtig, auf die ich im Zwischenfazit (vgl. Kap. 2.3) zurückkommen werde: Erstens können Akteure (im Sinne der Wächter) als Kontrollinstanz fungieren, die auch intervenieren und ggf. sanktionieren kann und somit Misstrauen repräsentiert. Zweitens stellen die Intermediäre eine vermittelnde Instanz dar, die (unabhängig von ihrer Rolle als Bürgen, Berater oder Unternehmer) die Vertrauenswürdigkeit von Vertrauensnehmer_innen beurteilt. Drittens kann Vertrauen auch einer weitgehend passiven Drittpartei entgegengebracht und von dieser weitergegeben werden. Viertens ist Vertrauen nur auf der Basis rationaler Überlegung und möglichst weitgehender Absicherung gegen Vertrauensverletzungen möglich. Beide Ansätze treffen jenseits der Option, dass das in Intermediäre oder Wächter investierte Vertrauen verallgemeinernd auf die Drittpartei bzw. ein abstrakteres System übertragen wird, keine Aussage über makrosoziologische Bedingungen von Vertrauen, genauer: darüber, wie sich Vertrauen auf einer Systemebene entwickelt und was es von anderen, verwandten Formen unterscheidet. Coleman bietet jedoch einen Ansatzpunkt für den Kontext von Organisationen: Von der auf Intermediäre bezogenen Vertrauenswürdigkeit unterscheidet er das „Drittparteien-Vertrauen“ (ebd.: 239), das er explizit ökonomischen Zusammenhängen und formalen Organisationen zurechnet. Drittparteien haben ihm zufolge Ähnlichkeiten mit dem Typus der Bürgenden, übernehmen aber eine passivere Rolle. Als konstitutiv für Vertrauen in Drittparteien beschreibt Coleman „die Verbindung mit einer allgemein akzeptierten Verrechnungseinheit […], so daß die Schuldverschreibungen der Drittpartei einen bestimmten Wert erhalten, um sie im Austausch fungibel zu machen“ (ebd.: 241). Beispielhaft führt er Organisationen an, in denen Arbeitnehmer_innen zwar auf Anweisung

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ihrer Vorgesetzten tätig werden, ihr Drittpartei-Vertrauen aber darauf richten, dass das Unternehmen ihnen ihr Gehalt zahlt: „Somit hängt die Fortdauer einer Arbeitsbeziehung von einer Vertrauensvergabe durch die Untergebenen ab, und zwar nicht Vertrauen in die Fähigkeiten der Person, die die Position des unmittelbaren Vorgesetzten einnimmt, sondern in die Fähigkeiten der gesamten Organisation.“ (Ebd.) Damit führt Coleman eine Vertrauensebene ein, die zwar ebenso wie sein Konzept der Intermediäre auf Vertrauenswürdigkeit, Leistung und Rationalität basiert, aber die personale Ebene mit der Systemebene verbindet. Diese theoretische Einordnung bleibt allerdings darauf beschränkt, Vertrauenswürdigkeit als rationales Kalkül nachzuzeichnen. Sie gibt jedoch einen wichtigen Hinweis darauf, dass bei der empirischen Analyse auf Zurechnungen und Plausibilitätskriterien in den Daten zu achten ist. Im Folgenden stelle ich ergänzend ein makrosoziologisch orientiertes Konzept vor, das nicht die interpersonelle Herstellung von Vertrauen, sondern die Herstellung von Vertrauen über und in Systeme erklärt.

2.2.3.3 Vertrauen in Systeme durch die Institutionalisierung von Misstrauen und vice versa: Die Theorie von Sztompka Sztompka entwirft eine Definition von Vertrauen und Misstrauen aus einer makrosoziologisch orientierten Perspektive. Er versteht Vertrauen als eine „kulturelle Ressource […], die für die Realisierung des Handlungspotentials in Praxis und damit auch für das eigendynamische Potential der Gesellschaft unerlässlich ist“ (Sztompka 1995: 255). Entsprechend betrachtet er „Gesellschaft als einen fortwährenden eigendynamischen Prozeß, der sich mittels ‚sozioindividueller Praxis‘ vollzieht und in dem in spezifischer Weise handlungsfähige Akteure innerhalb gegebener struktureller Kontexte handeln, wodurch sie sowohl ihre eigenen Handlungsbedingungen als auch den strukturellen Kontext verändern“ (Sztompka 1995: 255). In der Monografie „Trust: A Sociological Theory“ hat Sztompka, u.a. aufbauend auf den oben angeführten Überlegungen von Luhmann und Giddens, eine auf den ersten Blick paradox anmutende Idee zu Vertrauen durch Misstrauen kultursoziologisch belegt: Misstrauen erzeugt Vertrauen, wenn es in der Weise institutionalisiert ist, dass kontrollierende, potenziell sanktionierende und damit schadensbegrenzende Institutionen als „Ebene sekundären Vertrauens“ die Folgen eines Vertrauensbruchs mildern (ebd.: 140). Genese und Stabilisierung von Vertrauen erfordern bestimmte Merkmale im sie rahmenden Kontext („some features of the external context in which […] actions take place“; ebd.: 87). Diese „features“ sind nicht Personen (wie Giddensʼ Repräsentierende oder

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Colemans Intermediäre), sondern soziale Strukturen (wie sie z.B. bei Shapiros Wächtern als „agencies“ möglich sind). Sie sind in einer Weise zu etablieren und zu kontrollieren, sprich: zu institutionalisieren, dass Menschen ein Eigeninteresse an ihrer eigenen Vertrauenswürdigkeit entwickeln (ebd.: 88) und dass zugleich die Folgen eines eventuellen Vertrauensbruchs institutionell abgesichert sind: „[P]eople are more prepared to trust institutions and other people if the social organization in which they operate insures them against potential breaches of trust.“ (Ebd.: 143)25 Die Funktionsfähigkeit in Bezug auf Absicherung setzt voraus, dass sich die vertrauenden Personen auf die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der Institution im Fall eines möglichen Vertrauensbruchs verlassen können. Sztompka beschreibt solche Strukturen als institutionalisiertes Misstrauen, welches das Fundament für Vertrauen bildet, und weist sie als „paradox of democracy“ (ebd.: 140) aus. Sie funktionieren ihm zufolge jedoch ebenso wie das „second paradox of democracy“ (Sztompka 1998: 28; Sztompka 1999: 144) nur unter der Voraussetzung, dass die Mechanismen der institutionellen Absicherung latent bleiben und sparsam eingesetzt werden: „When regulation and litigation become ways of life, distrust comes to dominate social interaction.“ (Earle/Cvetcovich 1995: 66, zit. n. Sztompka 1999: 146) Ihr offensiver Einsatz ist also eher vertrauensschädlich („vicious“, ebd.: 146), weil er als Hinweis auf zweifelhafte Vertrauenswürdigkeit interpretiert werden kann, während der gelegentliche aktive Gebrauch des „apparatus of enforcement, enactment, and control“ (ebd.) Vertrauen fördert, wenn er als Beitrag zur Sicherung von Kontingenz interpretiert werden kann und damit als Indiz, dass Vertrauen gerechtfertigt ist. Diese Form des sich selbst

25 Anhand von zehn ausgewählten Verfassungsgrundsätzen des demokratischen Systems zeigt Sztompka exemplarisch, dass diese selbst schon Ausdruck eines solchen institutionalisierten Misstrauens sind: die prinzipielle Pflicht zur Legitimierung aller politischen Handlungen und der Verfassung, regelmäßige Wahlen und die damit einhergehende Begrenzung der Legislaturperioden, die Verteilung von Machtpotenzialen und die begrenzte Kompetenz von Institutionen, die Unabhängigkeit der Gerichte, die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und fairer Rechtsverfahren, die Geltung von Grundrechten, das Prinzip der Rechtsdurchsetzung, das Prinzip der öffentlichen Kommunikation, Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Prinzip der Bürgerbeteiligung auf verschiedenen Ebenen. Diese Grundsätze repräsentieren ihm zufolge eine institutionelle Abstützung von Vertrauen und tragen so dazu bei, die politische Ordnung zu stabilisieren (Sztompka 1998: 26ff.; 1999: 144ff.; vgl. auch Endreß 2002: 77ff.).

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verstärkenden Vertrauens durch die Anwendung institutionalisierten Misstrauens bezeichnet Sztompka als „virtuous circle“ (ebd.).26 Diesem „virtuous circle“ stellt er einen „vicious circle“ (ebd.) gegenüber: die Institutionalisierung von Vertrauen (in Autokratien), die im Ergebnis Misstrauen erzeugt. Sztompka unterscheidet die Architektur und Logik von Vertrauen in Autokratien grundlegend von der in Demokratien. Dazu greift er den durch Luhmann und Giddens prominent gewordenen Dualismus von Personen- und Systembezug auf.27 In beiden Bezügen erfolgt die Institutionalisierung von Vertrauen durch einen „doppelten Mechanismus“ (Sztompka 1999: 148): einerseits durch politische Sozialisation, Indoktrination, Medienzensur und geschlossene Informationszirkel, andererseits durch rigide politische Kontrolle und harte Bestrafung von Vertrauensbrüchen, z.B. vorgeblichem Verrat, Opposition oder auch schon 26 Solche Institutionen können in der politischen Praxis einer Demokratie aber auch scheitern, etwa wenn bestimmte Teilstrukturen (z.B. die Exekutive) eine Vormachtstellung erlangen, die ihre Aufsichts- und Kontrollfunktion unterminiert, oder das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz durch Sonderrechte der Mächtigeren durchbrochen wird, wenn die mediale Transparenz durch indirekte Zensur beeinflusst wird oder lokale Rechte beschnitten werden (ebd.: 144-145). Je deutlicher das Scheitern oder der Missbrauch von Demokratie sichtbar oder den Bürgern bewusst wird, desto mehr wird ein generalisiertes Vertrauen von grundsätzlichem Misstrauen abgelöst: „If the failure of democracy is widely perceived, generalized trust is replaced by pervasive distrust.“ (Ebd.: 145) Falls aber das Scheitern oder der Missbrauch von Institutionen unausgesprochen bleiben und die Machthabenden eine Fassade errichten, an die die Bevölkerung glaubt, handelt es sich nach Sztompka um blindes und naives, nicht um ‚echtes‘ Vertrauen. 27 Einen Personenbezug sieht Sztompka beispielsweise in autoritär-autokratischen Monarch_innen, Diktator_innen, Anführer_innen oder/und charismatischen Herrscher_innen manifestiert, die Vertrauen paternalistisch praktizieren. Vertrauen ist dann eng mit ihrer Person verknüpft, unhinterfragt und kritiklos, i.d.R. blind und naiv – es handelt sich also m.E. kaum um Vertrauen, sondern vielmehr um Glauben. Hier wird der Autoritätsperson nicht aufgrund ihres Handelns, sondern aufgrund ihres Seins und ihrer übergeordneten Stellung a priori Vertrauen (oder eben Glauben) entgegengebracht, ohne dessen Berechtigung zu hinterfragen, kritisch zu reflektieren oder zu überprüfen. Einen Systembezug sieht Sztompka beispielhaft in Feudalherrschaften, im Nationalsozialismus, in der Diktatur des Proletariats oder im Sozialismus repräsentiert. Dort dürfen Handlungsprinzipen nicht hinterfragt werden, die Autorität des Systems ist dogmatisch festgelegt und über jeden Zweifel erhaben. Im Vordergrund steht totale und bedingungslose Gefolgschaft (vgl. Sztompka 1999: 139ff.).

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milderen Formen wie Zweifel und Kritik an den Strukturen des Entscheidens. Die Gesellschaftsmitglieder haben kaum oder gar keine Rechte und Freiheiten. Ihr Zusammenhalt untereinander, in Einheit mit den Mächtigen, bleibt dennoch auch ohne zusätzliche Aufsicht weitgehend stabil, es entsteht Konformität. Dieser „doppelte Mechanismus“ institutionalisierten Vertrauens erzeugt eine Art negative Erwartungssicherheit, die keine weiteren Indizien für Berechenbarkeit, Glaubwürdigkeit oder Vertrauenswürdigkeit erfordert. So kann schließlich selbst Willkür zum vermeintlich tolerierten Prinzip der Machtausübung werden, sie erfordert jedoch permanente enge Aufsicht, rigide Kontrolle und Zwang. Insofern sind Autokratien besonders fragil und produzieren einen „boomerang effect: the perception of suspicion, manipulation, and deception produces resentment and cynicism, and undermines trust in authority.“ (Ebd.: 149) Verliert die Autokratie das zwar strukturell institutionalisierte, aber dennoch zerbrechliche Vertrauen, gibt es Sztompka zufolge drei Möglichkeiten der funktionalen Anpassung: Entweder die Bürger_innen erdulden ihr Schicksal resigniert und passiv („providentialism“), oder sie fügen sich vorgeblich, während sich im Verborgenen ein Schwarzmarkt der Gefälligkeiten entwickelt („corruption“), oder aber sie flüchten sich in sichere Enklaven wie die Familie oder Freundschaften („ghettoization“) (ebd.: 150). Sztompka versucht zu erklären, wie Vertrauen auch ohne persönlichen Kontakt entstehen kann. Dabei beschränkt sich die von ihm eingenommene Perspektive auf die makrosoziologische Ebene: Sie befasst sich mit Strukturen und Prozessen, lässt aber die empirischen Realitäten der Akteure und die Wirkungen ihres Handelns unbeachtet – obwohl Sztompka explizit auf ihre Relevanz hinweist. Trotz dieser dezidiert makrosoziologischen Perspektive stammt von Sztompka aber eine der wenigen mesosoziologischen Überlegungen zu Vertrauen und seiner Entwicklung, die sich überhaupt in der Literatur finden: Er entwirft eine zu der Dichotomie Person–System querliegende Typologie von Vertrauen als „personal, categorial, positional, group, institutional, commercial, systemic“ (Sztompka 1999: 45-46). Diese Vertrauenstypen differenziert er weiter, und zwar hinsichtlich ihrer (abstrakten) Objekte als von Personen repräsentierte abstrakte soziale Gebilde. Diese Gebilde sind soziale Rollen, Institutionen und Organisationen sowie Prozesse. Unter sozialen Rollen versteht Sztompka „ways of acting typical for specific positions“ (ebd.: 43); damit nimmt er u.a. auch berufliche Rollen in den Blick, die – in Abhängigkeit von der jeweiligen Zeit und Kultur – als vertrauenswürdig gelten (z.B. Wissenschaftler_innen oder Ärzt_innen). Institutionen und Organisationen definiert er als „specific structural arrangements within which actions and interactions take place“ (ebd.: 43-44).

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Dabei hebt er eine zentrale Gemeinsamkeit hervor: „[They] operate according to the same logic.“ (Ebd.: 45-46) Weiterhin beschreibt Sztompka die Objekte („primary targets“, ebd.: 41ff.), auf die sich Vertrauen richten kann: „The most fundamental are other persons (actors), full-fledged individuals with whom we come into direct contact. […] [I]n my view, behind all other social objects, however complex, there also stand some people, and it is the people whom we ultimately endow with trust.“ (Ebd.: 41) Hinter „targets“ stehen somit immer Personen. Damit verbindet Sztompka interpersonelles und soziales – in seinem Verständnis auf abstrakte Objekte generalisiertes – Vertrauen. Einer Institution zu vertrauen bedeutet nach seiner Auffassung, auch den Personen zu vertrauen, die diese Institution repräsentieren (ebd.: 41ff.). So kommt er zu der eingangs schon zitierten Einschätzung, dass „[t]he difference between interpersonal trust and social trust is not so striking and fundamental“ (ebd.: 42), die für diese Arbeit grundsätzlich weiterführend, aber auch zu überprüfen ist. Dass die Institutionalisierung von Misstrauen Vertrauen erzeugen und umgekehrt die Institutionalisierung von Vertrauen Misstrauen hervorrufen können soll, erscheint auf den ersten Blick paradox (vgl. Sztompka 1998, 1999). Bereits vor der Veröffentlichung von Sztompkas Theorie wurde „institutionelles Vertrauen“ vielfach thematisiert (vgl. McKnight/Cummings/Chervany 1998; Shapiro 1987; Zucker 1986) und von „Vertrauen in Institutionen“ abgegrenzt. Dabei wurde als Vertrauensbedingung vor allem die institutionelle Gewährleistung von Sanktionen im Fall eines Vertrauensbruchs hervorgehoben (vgl. aus spieltheoretischer Perspektive Dasgupta 1988). Doch Sztompka leistet mit seiner Theorie mehr, als nur Kontrollen als „Ebene sekundären Vertrauens“ zu charakterisieren und damit zunächst misstrauensbasiert zu definieren und so eine interessante Paradoxie zu erzeugen, die im Kern nicht neu ist: Er bezieht mit seiner Theorie Vertrauen und Misstrauen als Phänomene aufeinander und schreibt ihnen als „mistrust“ einen prozesshaften Charakter zu. Gleichzeitig schlägt er eine differenzierte Analyse weiterer Ebenen vor, z.B. eine kontextspezifische Auseinandersetzung mit Vertrauen innerhalb von Organisationen. Wie Endreß (2002) hervorhebt, geht Sztompkas Vertrauenssystematik damit über die Unterscheidung von Personen- und Systemvertrauen hinaus und betont die Rolle von (professionellen oder institutionellen) Rollen, Institutionen und Abläufen als Objekte von Vertrauen und ihre Relevanz für die Erzeugung von Vertrauen. Vor dem Hintergrund der in den beiden vorigen Kapiteln gezeigten Konzepte scheint mir jedoch – zumindest nach dem hier vorgenommenen, recht groben Überblick, der die theoretischen Provenienzen und die konzeptuellen Details unbeachtet lässt – mit dieser Überwindung der etablierten Dichotomie noch zu wenig gewonnen.

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Weder Luhmann noch Giddens lösen in ihrem jeweiligen Konzept hinreichend deutlich auf, wann ein Ereignis (ein Instrument, eine Maßnahme, eine Institution) auf die Person bzw. die Handlung zugerechnet werden kann und wann auf das System bzw. die Struktur. Und auch die Konzepte von Shapiro oder Coleman und Sztompka müssen für eine Analyse der Mesoebene weiter konkretisiert, überprüft und spezifiziert werden: Erstens ist die Anwendbarkeit der über die Dichotomie von Person und System hinausgehenden Systematik für die empirische Forschung noch zu erproben; zweitens ist zu hinterfragen, wie die Repräsentierenden beschaffen sein müssen, damit sie als Formen der Institutionalisierung von Misstrauen auf der Mesoebene gelten können und zugleich geeignet sind, Vertrauen zu erzeugen. 2.2.3.4 Überwindung der Dualität von mikround makrosoziologischer Perspektive: Überlegungen von Latour Zwar kommen mikro- wie makrosoziologische Vertrauenstheorien und -modelle zu dem grundsätzlich übereinstimmenden Vorschlag, eine dritte (personale) Partei zu konzipieren, die das abstrakte, nicht personengebundene System in Interaktion erfahrbar repräsentiert und so zwischen Person und System vermittelt. Die Konzepte unterscheiden sich jedoch darin, ob diese dritte Partei eher Struktur/System oder eher Handeln/Person ist; zugleich bieten sie aber keine expliziten Ein- oder Abgrenzungen an. Da meine eigene Untersuchung die Wechselwirkungen zwischen Handlung und Struktur bzw. zwischen Akteur/Organisationsmitglied und System/Organisation fokussiert und somit eine mikro-/mesosoziologische Fragestellung verfolgt, erscheint es mir angebracht, auch noch einmal den forschungspraktischen Umgang mit ebenenübergreifenden Fragen zu sondieren. Dazu greife ich die auf Mikro/Makro-Forschung fokussierten Überlegungen des französischen Soziologen Bruno Latour auf. Bruno Latour hat gemeinsam mit Michel Collon die Akteur-NetzwerkTheorie begründet. Er hat sich zwar (bisher) nicht mit vertrauenssoziologischen Konzepten auseinandergesetzt, wohl aber mit dem Problem der Akteur-SystemDichotomie, die u.a. für die vertrauenssoziologischen Konzepte von Luhmann und Giddens grundlegend ist und die auch Giddensʼ Konstrukt von Personen in bestimmten Rollen als Zugangspunkte zum System nicht auflöst. Latour eröffnet eine Perspektive, die diese Dichotomie umgeht, indem er konstatiert, dass Handeln nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden kann: Handeln ist ihm zufolge „dislokal, artikuliert, delegiert und übersetzt“ (Latour 2007: 288). Er rät davon ab, allein auf die Struktur zu fokussieren, denn „Struktur ist sehr mächtig

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und doch zu schwach und zu weit entfernt, um irgendeine Wirksamkeit zu besitzen“ (ebd.: 291).28 Ebenso warnt er davor, Handeln allein auf der Basis der vier o.g. Voraussetzungen zu analysieren und sich dadurch auf eine ausschließlich interaktionistische Perspektive zu beschränken. Hier sieht er nämlich die Gefahr, dass die vielen dislokalen Bestandteile und Informationen von Handeln, die als zentrale Aspekte dieses Handelns unbedingt in die Analyse einzubeziehen sind, den Forschenden den Blick auf die lokale Interaktion als solche und die darin realisierte relationale Handlung verstellen. Insgesamt votiert Latour dafür, sich nicht zwischen den zwei Polen Handeln und Struktur zu entscheiden, sie auch nicht dialektisch aufzuheben oder zu leugnen, denn bei einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesen Polen blieben davon nur Abstraktionen übrig. Vielmehr gelte es, bewusst zwischen ihnen zu oszillieren: „So wie wir uns […] entschieden haben, von den Unbestimmtheiten zu zehren, anstatt sie aufzulösen, ist es jetzt auch wieder möglich, von diesem endlosen Wechsel zwischen polaren Gegensätzen zu profitieren und daraus etwas über die wirkliche Topographie des Sozialen zu lernen.“ (Ebd.: 294) Latour plädiert also dafür, die Dichotomie durch Anerkennung einer Dualität zu überwinden. In diesem Sinne sehe ich die auf einer Dichotomie basierenden Konzepte als nützliche Vorschläge, von der Person zum System bzw. von der Handlung zur Struktur und wieder zurück zu schwingen. Dafür ist es wichtig, z.B. die Schilderungen von Interaktionen in den Daten daraufhin zu analysieren, welche Voraussetzungen sie implizieren, zu erkennen, inwieweit Interaktionen und Handlungsvoraussetzungen auf Institutionen zugerechnet werden, und Plausibilisierungen und Bedingungen auf die Organisation bezogen zu abstrahieren – und wieder zurück, wobei Schilderungen zu Rahmenbedingungen in der Organisation und der organisationalen Umwelt in die Interpretation einzubeziehen sind. In jedem Fall ist ein solches analytisches Oszillieren zwischen den beiden Ebenen der Person/en und der Organisation für ein mikro-/mesosoziologisches Vorgehen unerlässlich.29

28 Die Schwierigkeit, abstrakte Systeme und Strukturen zu analysieren, spitzt Latour in dem Satz „Im Kontext gibt es keinen Parkplatz“ und der Frage „Führt ein Kanal von der Fabrikhalle zur ‚kapitalistischen Produktionsweise‘?“ (ebd.: 289) sehr anschaulich zu. 29 Latour geht nicht sehr ausführlich darauf ein, wie ein solcher Prozess konkret strukturiert werden kann. Ein geeignetes methodisches Instrument dafür ist m.E. die von Strauss und Corbin entwickelte „Bedingungsmatrix“, die ich in Kap. 4.2 erläutere.

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2.3 Z WISCHENFAZIT Aus den in diesem Kapitel referierten Konzepten, Definitionen und Bezügen erscheinen mir für meine weitere Untersuchung zehn Aspekte besonders wichtig: Erstens ist Vertrauen in die Zukunft gerichtet: Es bezieht sich auf Handlungen oder Ereignisse, die sich erst begeben werden. Somit ist Vertrauen eine Methode, die omnipräsente Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit von Zukunft durch aktives Engagement zu bewältigen. Zweitens sind mit Vertrauen bestimmte Wünsche und Erwartungen verbunden, deren Erfüllung oder zumindest wohlwollende Berücksichtigung die/der Vertrauende erhofft; das macht sie/ihn verletzbar. Drittens wird im Vollzug des Vertrauens die Kontrolle über zukünftige Handlungen und Ereignisse abgegeben und die Verantwortung dafür einer anderen Person übertragen; ihr bleibt es überlassen, die Erwartungen zu erfüllen oder nicht. Viertens erfordert Vertrauen Anhaltspunkte dafür, dass es gerechtfertigt oder angemessen ist. Andernfalls handelt es sich um ein blindes oder naives Vertrauen, das eher einem der an Vertrauen angrenzenden Konstrukte entspricht, etwa Hoffnung oder Glauben. Zugleich ist Vertrauen meist dort gefragt, wo es an rationalen Gründen oder Evidenz für seine Berechtigung fehlt. Fünftens wird Vertrauen differenziert in personengebundenes und personenungebundenes Vertrauen. Sechstens können Transparenz und Kontrolle Vertrauen nicht ersetzen. Beide dienen aber potenziell dazu, zu zeigen, dass die im Akt des Vertrauens erwartete Verantwortlichkeit im Handeln auch tatsächlich realisiert wird. Siebtens ist Vertrauen per se weder positiv noch negativ, weil es sich auf die Erwartung von positiven wie negativen Handlungen beziehen kann. Andererseits handelt es sich dabei stets um eine konstruktive Erwartung, insofern angenommen wird, dass die Dinge sich in der erwarteten Weise entwickeln. Achtens kann Vertrauen auch in paradoxer Weise erzeugt werden, z.B. durch Institutionalisierung von Misstrauen. Neuntens ist Vertrauen durch Prozesshaftigkeit gekennzeichnet; es ist also ein graduelles, kein statisches Phänomen. Zehntens ist es denkbar, die etablierte soziologische Dichotomie von Person und System zugunsten einer prozesshaften Dualität aufzulösen, sie methodisch in einer Oszillation zwischen den Ebenen umzusetzen und damit in der Analyse auf Nuancen zu fokussieren.

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Diese Aspekte sind Grundlegungen, sensitizing concepts im Sinne der Grounded Theory (vgl. Kap. 4). Insofern erfordern sie aber auch eine Klärung meiner Annahmen zu den zentralen Konstrukten Vertrauen und Misstrauen: • Bezogen auf Vertrauen überprüfe ich die Annahme, dass Vertrauen als (Er-

wartungs-)Handeln (‚vertrauen‘) wie auch als dessen Ergebnis (‚Vertrauen‘) relational-konstruktive Phänomene sind. Dem Prozess der Vertrauensherstellung sind aus meiner Sicht Vertrautheit und Zutrauen immanent, die als Ergebnis einer Interaktionsgeschichte mit dem Objekt des Vertrauens, also der Vertrauensperson, der Vertrauensinstitution oder der Vertrauensorganisation zugeschrieben und „ver-handelt“ werden. Mich interessiert dabei das Handeln auf der Ebene von Person und Struktur, nicht die individuell-exogene Vertrauensdisposition der Personen. • Vor dem Hintergrund der vertrauenssoziologischen Erkenntnislinien nehme ich an, dass das Antonym von Vertrauen Angst ist. Angst verstehe ich dabei als relational-destruktives Ergebnis eines negativ bestätigten Misstrauens. Misstrauen selbst verstehe ich als potenziell relational-produktives Konzept, das positiv bestätigt und gewendet werden kann. Meine empirische Analyse richtet sich auf Vertrauen. Da mit diesem Phänomen aber die Dimension Misstrauen untrennbar verbunden ist, kann ich diese nicht ignorieren. Ich berücksichtige Misstrauen in meiner Untersuchung, indem ich nach Evidenzen dafür suche, was Misstrauen in Organisationen – möglicherweise in seiner äußersten Zuspitzung als Angst – auslöst und wie es zu Vertrauen in Beziehung gesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass es lohnt, dabei auf zum Ausdruck gebrachte Verletzbarkeiten zu achten. Denn Ungewissheit und die daraus resultierende Verletzbarkeit machen Vertrauen überhaupt erst notwendig. Eine Beschäftigung mit Vertrauen erfordert also auch eine Auseinandersetzung mit darauf bezogener Verletzbarkeit. Entsprechend werde ich die zu entdeckenden Konstrukte und Praktiken von Vertrauen auf unterschiedliche (Graduierungen und Anlässe von) Verletzbarkeit und Anlässe für immunisierende Strategien hin analysieren. Unter Rückgriff auf die bereits dargestellte Heuristik nach Thomas (2000) und die dargestellten Konturen der Vertrauenssoziologie lässt sich mein Untersuchungsinteresse in forschungspraktischer Hinsicht nun weiter konkretisieren:

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Abbildung 2: Verortung dieser Untersuchung anhand der drei Heuristiken nach Thomas (2000), beschrieben von Nuissl (2002); eigene Darstellung

Meine Untersuchung hat einen handlungstheoretischen und einen strukturorientierten Fokus. Das Strukturinteresse, dem ich in dieser Untersuchung nachgehe, bezieht sich auf drei Annahmen: Erstens, dass sich Vertrauen und Misstrauen prozesshaft zueinander verhalten, zweitens, dass die Institutionalisierung von Misstrauen Vertrauen erzeugt und vice versa und drittens, dass Personen- und Systemvertrauen nicht so strikt kategorial zu trennen sind, wie es die Forschung bislang weitgehend unterstellt. Diese Annahmen werde ich bei meinen Beobachtungen zu Konstrukten und Praktiken aufgreifen, ohne dabei von einem Verständnis auszugehen, das Vertrauen als mehr oder minder determinierte Reaktion auffasst. Das handlungstheoretische Interesse folgt dem Verständnis, dass Vertrauen Ausdruck und Ergebnis der Faktoren ist, die das Handeln leiten. Ich untersuche die Institutionalisierung von Vertrauen aus der Perspektive der interviewten Führungskräfte und nehme dabei vor allem deren konzeptionelle und handlungspraktische Vorstellungen von Vertrauen in den Blick. Damit fokussie-

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re ich auf Vertrauen als interaktive Herstellung.30 Da ich eine umfassende empirische Analyse vornehme, greife in dabei selbstverständlich auch die Beobachtungen aus dem Datenmaterial auf, die vorrangig in einer utilitaristischen Perspektive relevant sind. Die Vorannahmen, die mit einer solchen Perspektive einhergehen, liegen meiner Analyse jedoch nicht zugrunde. Ich gehe davon aus, dass Vertrauen als reflexiver und rationaler Prozess auch präreflexive Anteile hat und auch solche, die erst ex post als rational dargestellt werden. Damit können m.E. auch unreflektierte Gestaltschließungen eine Rolle spielen, die erst im Zuge der Erzählungen in den Interviews – wenngleich sicher auch verzerrt durch die von Schütze (1983) beschriebenen Erzählzwänge – mit einer Sinnstruktur belegt werden und im Verlauf des jeweiligen Interviews zunehmend bewusster werden. Die in Kapitel 2.2.2 beschriebenen alternativen Formen des Umgangs mit Ungewissheit machen deutlich, dass hinter Schilderungen zu Strukturen und Praktiken von Vertrauen unterschiedliche Konstrukte von Vertrauen stehen können. Zudem werden für die Abgrenzung dieser Konstrukte unterschiedliche Rationalitäts-, Verhaltens- oder Reflexivitätsdimensionen angeführt, die aber in der Vertrauenssoziologie z.T. als immanente Modi von Vertrauen gefasst werden (z.B. als fungierendes, habitualisiertes und reflexives Vertrauen, vgl. Endreß 2002). Die im Datenmaterial zu entdeckenden Konstruktionen und Praktiken inklusive ihrer Begründungen und der Schilderungen zu ihrer relationalen Situiertheit werden in einem reflexiven Modus zum Ausdruck gebracht, sie bilden aber zugleich vorgängige implizite und stillschweigende Annahmen ab. Ich achte in meiner empirischen Analyse auf unterschiedliche Rationalitäts-, Verhaltens- oder Reflexivitätsmodi, nutze diese jedoch nicht heuristisch. Weil aber Transparenz und Kontrolle mit Vertrauen in einen engen Zusammenhang gebracht werden, nutze ich insbesondere die von Endreß und Sztompka aufgebrachten Bedingungen dafür, dass Kontrolle Vertrauen fördern kann, und Möllerings Ansatz der Dualität von Kontrolle und Vertrauen als Interpretationsfolie, um Vertrauen und Misstrauen zueinander in Beziehung zu setzen. So möchte ich einerseits das Verhältnis von vertrauendem, kontrollierendem und misstrauendem Handeln als Prozessform und andererseits das Verhältnis von Vertrauen, Transparenz und Angst als Ergebnis des Handelns empirisch erfassen. Eine modale Differenzierung, wie sie z.B. Endreß (2002) vorschlägt, erscheint mir für 30 Allerdings wende ich mich gegen die Annahme, dass ein wechselseitiges Interpretieren nur als reflexiver Prozess denkbar ist; ich sehe hier vielmehr habitualisierte Handlungen und Entscheidungen, die routinisiert und nicht (mehr) reflexiv erfolgen. Interaktiv verstehe ich zudem nicht nur auf interpersonellen Kontakt bezogen, sondern auch auf den Kontakt zwischen Person und System.

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eine empirische Analyse zu wenig tragfähig, denn es ist methodisch ungeklärt, wie eine solche operationalisiert werden kann oder sollte. Daher unterlasse ich sie hier. Besondere Herausforderungen für meine Untersuchung ergeben sich aus dem mikro-/mesosoziologischen Interesse und der in der Latenz verankerten Phänomenstruktur, der „tacitness“ von Vertrauen, auf die z.B. Möllering (2006, 2013b) hinweist. Die Herausforderung einer mikro-/mesosoziologischen Fragestellung bewältige ich durch ein methodisch geleitetes Oszillieren zwischen den Ebenen. Einem latenten, nur schwer explizierbaren Phänomen im Rahmen problemzentrierter Interviews nachzugehen bedeutet, vorrangig auf bewusstes, reflexives Wissen über den Gegenstand abzuzielen und Prozesse zunehmender Bewusstwerdung auszulösen. Diese methodische Konsequenz ist für meine Sekundäranalyse unvermeidlich. Ich versuche jedoch, auch das Implizite zu erfassen, indem ich meine Analyse nicht auf Passagen beschränke, in denen der Begriff explizit genutzt wird, sondern die gesamten Interviews untersuche. Im Ergebnis möchte ich aus dem Datenmaterial ein theoretisches Modell über Vertrauenskonstruktionen und Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen innerhalb von Organisationen ableiten und auf dieser Basis charakteristische Merkmale von Intraorganisationsvertrauen beschreiben.

3. Organisation als Kontext der Untersuchung

In diesem Kapitel führe ich in einige Hintergründe meines Untersuchungskontextes ein. Zunächst erläutere ich kurz mein Verständnis zweier Begriffe, die für die vorliegende Untersuchung zentral sind, nämlich Führungskraft (Kap. 3.1.1) und Organisation (Kap. 3.1.2). Da die Begriffe ‚Organisation‘ und ‚Institution‘ häufig synonym verwendet werden, definiere ich anschließend mein Verständnis von Institutionen und Institutionalisierung (Kap. 3.1.3). Dann nehme ich Sondierungen innerhalb der Organisationssoziologie vor und gebe dabei einen Überblick über den Stand der Forschung zu Intraorganisationsvertrauen (Kap. 3.2). Hier zeichne ich in einem ersten Schritt kurz den Wandel vom Rationalitätsparadigma hin zur Subjektivierung von Arbeit und Organisation sowie das gegenwärtige Transformationsproblem von (Erwerbs-) Organisationen nach (Kap. 3.2.1). Dabei skizziere ich – organisationssoziologisch hergeleitet – zentrale Herausforderungen und neue Ungewissheiten, vor denen Organisationen in der heutigen Zeit stehen; diese ziehe ich später in der empirischen Analyse als Interpretationsfolie heran, um Aussagen der Führungskräfte zu deuten und einzuordnen. Anschließend gebe ich einen Überblick über die Entstehung von Vertrauen als Organisations- und Führungsthema in den 1990er Jahren (Kap. 3.2.2), betrachte kritisch dessen positivistisch-funktionalen Fokus anhand von Überlegungen der Vertrauens- und Organisationssoziologie zur Praxis von Kontrolle (Kap. 3.2.3) und erörtere den ‚psychologischen Vertrag‘, der oft mit Vertrauen in Verbindung gebracht wird, und die darauf bezogene Rolle der Führungskräfte als Vertragsnehmende und Vertragsgebende (Kap. 3.2.4). In einem Zwischenfazit (Kap. 3.3) stelle ich abschließend die Aspekte aus dieser Sondierung zusammen, die mir in meiner späteren Analyse als Referenzpunkte und Interpretationsfolie dienen.

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3.1 E RLÄUTERUNG ZENTRALER B EGRIFFE In diesem Kapitel erläutere ich zunächst, wie ich im Rahmen dieser Untersuchung Führung bzw. Führungskräfte definiere und was ich hier unter Organisation und Institution bzw. Institutionalisierung verstehe. 3.1.1 Der Begriff der Führungskraft Der Begriff der Führungskraft ist für diese Untersuchung insofern zentral, als ich für meine empirische Analyse Führungskräfte als Informant_innen gewählt und somit meine Daten theoriegeleitet ausgewählt habe. In der Soziologie erfolgt eine Auseinandersetzung mit Führung und Führungskräften vorrangig im thematischen Zusammenhang von Macht und Souveränität (z.B. Baecker 2011; Foucault 2005). Dabei geht es „nicht so sehr [um] die zugeschriebenen Eigenschaften, Kompetenzen oder Führungsstile einer Akteursgruppe […], sondern [um] ihre gesellschaftliche Rolle und ihre Bedeutung für die Organisation/en moderner Industrie- und Arbeitsgesellschaften“ (Pohlmann 2013: 320f.). In diesem sozialwissenschaftlichen Verständnis ist Führung keine aus persönlichen Eigenschaften resultierende Fähigkeit von Manager_innen, sondern das Ergebnis einer sozial-relationalen Beziehung. Entgegen der Grundidee von Hierarchie wird davon ausgegangen, dass sich die qua Hierarchie Überund Untergeordneten gegenseitig führen (vgl. Baecker 1994). Ein bestimmter Führungsstil ist in diesem Sinne nicht auf das Selbstbild oder persönliche Intentionen der Rollenträger_innen zurückzuführen, sondern auf die Beziehung zwischen Führenden und Geführten: „Er [der Führungsstil, CR] bildet sich erst aus der Form der Wechselwirkung in der Führungsbeziehung, also aus dem ‚Aufeinander-eingestellt-Sein‘, aus wechselseitigen Erwartungen und Verpflichtungen, heraus. Dabei steht im Mittelpunkt jeder Führungsbeziehung die Frage der Autorität, […] einer sozialen Beziehungsform des ‚Gegenseitig-aufeinanderEinwirkens‘“ (Pohlmann 2007: 16). Für soziologische Überlegungen sind Führungskräfte vor allem wegen der Gestaltungs- und Verantwortungsmöglichkeiten instruktiv, die ihnen ihre hierarchische Stellung eröffnet. Sie befinden sich auf einer Hierarchiestufe, auf der sie über gewisse Steuerungsmechanismen verfügen und Institutionalisierungen durch formelle wie informelle Regeln vornehmen und typisieren können. Insofern stellen sie einen Zugangspunkt im Sinne von Giddens dar. Für meine Untersuchung verstehe ich Führungskräfte als Organisationsmitglieder mit einer doppelten Kontingenzanforderung: Einerseits vertreten sie als Repräsentierende die Organisation und ihre Ziele, die sie vermitteln und unter

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den Bedingungen von Ungewissheit operationalisieren müssen; andererseits sind sie als Organisationsmitglieder bzw. kündbare Beschäftigte selbst mit Herausforderungen durch Ungewissheit und Veränderungen auf der Ebene der Organisation und in deren Umfeld konfrontiert und haben als Subjekte – so ist zumindest anzunehmen – selbst ein Bedürfnis nach Kontingenz. Ich definiere sie in Übereinstimmung mit der o.g. organisationssoziologischen Literatur als Leitungspersonen, die (a) in einer Organisation über Anordnungs- und Entscheidungsmacht verfügen, (b) Ziele des Topmanagements an Abteilungen oder Teams weitergeben und das Topmanagement über die Umsetzung unterrichten, somit also (c) als Regelnde und Überwachende für die Realisierung der Ziele verantwortlich sind, und die schließlich (d) als Wissensträger_innen, Wissen Vermittelnde und operative Entscheider_innen in einen dynamischen Kontext eingebettet sind. Die Führungskräfte aus den Interviews, auf die ich in meiner Untersuchung zurückgreife, sind unmittelbar unterhalb des Topmanagements tätig, in Unternehmen C, dem kleinsten Unternehmen im vorliegenden Sample, auch Teil des Vorstands; sie haben somit einen umfassenden Einblick in die Unternehmensentwicklung, die sie mit den ihnen untergeordneten Abteilungen realisieren (sollen). Zugleich sind sie für die Beschäftigten der Zugangspunkt zum Unternehmen. Sie vermitteln damit zwischen Unternehmensspitze und Beschäftigten, und zwar in beide Richtungen. Als ein solches Bindeglied zwischen der strategischen Spitze und dem operativen Kern, d.h. denjenigen, die die betrieblichen Leistungen erbringen, sind Führungskräfte nach meinem Verständnis selbst eine Institution – als strukturell verankerte, entpersonalisierte Ebene in einer Hierarchie – und gleichzeitig Institutionalisierende – verstanden als personalisierte Handelnde, die mit ihrem (kommunikativen) Tun und Lassen die Organisation „verfertigen“ (Kieser 1998: 45). Damit vereinen Führungskräfte aber in sich zwei divergente Positionen, die zu differenzieren sind: die Führungskraft als Gegenstand und die Führungskraft als handelnde Person. Angesichts meiner Fragestellung kann ich mich in der empirischen Analyse auf Letzteres konzentrieren, ohne dabei zu ignorieren, dass Führungskräfte ggf. auch selbst eine Institution darstellen. 3.1.2 Der Begriff der Organisation Was eine Organisation (auch als Oberbegriff für die darunter zusammengefassten Betriebsstätten) genau kennzeichnet und z.B. von Institutionen abgrenzt (vgl. Kap. 3.1.3), ist in der Organisationsforschung mit ihren inter- und multidisziplinären Theorien und Schulen nicht einheitlich definiert. Als Referenzpunkte für

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meine Annäherung an den Begriff dienen die Definitionen von March und Simon (1958) und von Mayntz (1963). Ihnen zufolge sind Organisationen durch drei Merkmale definiert: • Erstens sind sie auf spezifische Zwecke ausgerichtet. • Zweitens setzen sie sich aus mehreren Organisationsmitgliedern zusammen,

die durch (kündbare) Kontrakte gebunden sind und Aufgaben übernehmen, die nach Regeln und rationalen Erwägungen verteilt werden, so dass sich eine formale Organisationsstruktur herausbildet. • Drittens bilden Zweck, Kontrakte und formale Organisationsstruktur eine beständige Grenze zwischen dem Innen und dem Außen der Organisation; im Innen sind die Organisationsmitglieder gehalten, ihr Handeln an Zweck, Kontrakt und Struktur auszurichten (vgl. March/Simon 1958; Mayntz 1963). Diese technische Definition ist für den vorliegenden Untersuchungskontext allerdings nur als Rahmen geeignet. Heutige (Erwerbs-)Organisationen sind durch Prozesse gekennzeichnet, die von der Arbeits- und der Organisationsforschung als Subjektivierungsprozesse bezeichnet werden, die in einer Reaktualisierung des Rationalitätsparadigmas Ansprüche zwischen Organisationen und ihren Mitgliedern erzeugen (vgl. dazu ausführlicher Lohr 2013: 430ff.). Die Idee der Organisation war lange Zeit vom Rationalitätsparadigma nach Taylor und Weber dominiert. Im sogenannten Taylorismus, benannt nach seinem Begründer Frederick Winslow Taylor (1856-1915), dem „Meister der Rationalisierung“ (Pentzlin 1963)1, herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Prozesssteuerung zur maximalen Zielerreichung vor. Die Arbeitsabläufe wurden vom Management auf der Basis von Arbeitsstudien und Arbeitsvorbereitung detailliert vorgeschrieben; es galt, wenige, standardisierte Aufgaben nach festgelegten Regeln der Leistungserbringung zu erledigen. Auch die Organisationsform, die Max Weber (2002[1922]) als „bürokratisch“ betitelte, war zu der Zeit hochgradig standardisiert und auf Stabilität ausgerichtet. Die Mitglieder einer Organisation wurden so ausgewählt, dass sie in diese Struktur möglichst gut und einfach integriert werden konnten. Der Schwerpunkt von Kommunikation und 1

Der Taylorismus wurde von Henry Ford aufgegriffen, für dessen stark standardisierte Massenproduktion von Konsumgütern mit hoch spezialisierten, monofunktionalen Maschinen und Fließbandfertigung sich der Begriff des ‚Fordismus‘ entwickelte. Für die damalige Zeit hohe Entgelte wurden im Fordismus verbunden mit strenger Arbeitsdisziplin und Überwachung. Eine ‚Amtshierarchie‘, ein festgelegtes Muster aus Über- und Unterordnungsverhältnissen, gewährleistete weitgehend reibungslose Abstimmungen zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen.

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Information lag auf schriftlicher Dokumentation und der Führung zu archivierender Akten, was vorrangig dazu diente, Kontrollierbarkeit herzustellen. Was zählte, waren „Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten“ (ebd.: 561f.). Die bürokratische Organisation und der Taylorismus wurden wegen ihrer mangelnden Berücksichtigung individueller Bedürfnisse allgemein kritisiert. In den 1930er Jahren wurde erkannt, dass – anders als im Rationalitätsparadigma vorgesehen – die Interaktion zwischen den Organisationsmitgliedern dynamisch und für die Organisation bedeutsam ist. Roethlisberger und Dickinson (1939) wiesen auf informelle Prozesse hin, die auf Sympathieempfindungen der Mitglieder in Verbindung mit individuellen Wünschen und Bedürfnissen basierten. Im sogenannten Postfordismus der 1970er Jahre wurde die Standardisierung von einer Flexibilisierung in Form von Arbeitsorganisation, Arbeitsgruppen und Aufgabenintegration abgelöst. Entgegen dem vorherigen rationalen Organisationsverständnis setzte sich in dieser Dekade zunehmend die Erkenntnis durch, dass Entscheidungen in Organisationen – und damit auch die Organisationen selbst – irrational sein können. Cohen, March und Olsen entwickelten im Jahr 1972 mit dem sogenannten garbage can model oder „Mülleimer-Modell“ eine Beschreibung für irrationales Entscheidungsverhalten von Organisationen, das Ambivalenz, Komplexität und Transformation berücksichtigt. Damit stellten sie sich gegen die auf Rationalität und Struktur fokussierenden Modelle des strategischen Managements von Organisationen (vgl. ebd.) und entwarfen ein Konzept von Organisationen als entscheidungsabhängig und damit wandlungsfähig, aber auch offen und lose gekoppelt (vgl. auch Weick 1985: 44). Organisationen werden seither als „politische Arenen“ (Ortmann/Sydow/ Türk 2000: 8) intraorganisationaler Interessenkonflikte gesehen, in denen die Organisationsmitglieder durch „Spiele“ (Crozier/Friedberg 1979) Regeln und Prozesse beeinflussen und informelle Strukturen herausbilden. Neuberger (2006a) bezeichnet diese informellen Strukturen einer Organisation als „Mikropolitik“. Als Gegenstand solcher mikropolitischen Spiele gelten organisationsinterne Ressourcen, z.B. finanzielle oder personelle Mittel, der Zugang zu Informationen, Aufstiegsmöglichkeiten, Anerkennung, Gestaltungsmacht, Freiräume oder Kontrollermächtigungen. Diese Ressourcen werden zwar in einer formalen Struktur zugewiesen, aber in informellen Ermessens-, Zugriffs- und Entscheidungsspielräumen zwischen Topmanagement und Führungskräften oder zwischen Führungskräften und Beschäftigten verhandelt. In einem sozioökonomisch begründeten Interessenkonflikt um begrenzte Ressourcen und somit im Konkur-

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renzkampf mit anderen Organisationsmitgliedern, Mitgliedsgruppen oder Organisationen sind Machtpotenziale und Koalitionstaktiken erforderlich, um die eigenen Anliegen durchsetzen und Kompromisse aushandeln zu können. Solche Aushandlungsprozesse um Erwartungsansprüche und Sinnsetzungen verbinden die strukturelle und die personelle Ebene (vgl. ebd.). Weitgehender Konsens besteht in der gegenwärtigen Organisationsforschung darüber, dass Organisationen nicht mehr ausschließlich als rationale Gebilde mit Formalstrukturen verstanden werden, sondern als auch von Subjektivität, Irrationalität und informellen Strukturen geprägt (vgl. Scott 2006: 203). Ein zeitgenössisches Organisationsverständnis muss daher endogene und exogene Diversifizierung und die Interdependenz mit der organisationalen Umwelt einbeziehen (vgl. ebd.). Dabei wird nicht unterschieden zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftsorientierten Organisationen.2 Vor dem Hintergrund der skizzierten Merkmale und Einflüsse (wie Irrationalität und Personenbezug, Diversifizierung und Interdependenz) definiere ich für meine Untersuchung (Erwerbs-)Organisationen als komplexe und dynamische sozioökonomische Systeme mit bestimmten Zwecken, formellen und informellen Strukturen und Mitgliedschaftsregeln in einer flexibilisierten und globalisierten Umwelt. Ich gehe auf der Basis der oben angeführten Literatur davon aus, dass in Organisationen sowohl formale, von einzelnen Personen unabhängige Strukturen als auch informale, von Personen geformte und veränderbare Strukturen bestehen. Dieses Verständnis von Organisation steht im Einklang mit dem gegenwärtigen Stand der Organisationstheorie (vgl. Funder 2013). 3.1.3 Der Begriff der Institution Vertrauen als soziale Kategorie ist daran gebunden, dass es Zeichensysteme, Deutungsmuster, Einstellungen und Regeln gibt, die die gemeinsame Lebenswelt konstituieren; damit (re-)produziert es formale und informelle Institutionen (vgl. Dederichs 1997). Da Organisationen und Institutionen alltagssprachlich häufig

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Apelt und Tacke (2012) zeigen in ihrem „Handbuch Organisationstypen“ Typisierungsversuche verschiedener Autorinnen und Autoren auf, von Etzioni (Zwangsorganisationen, utilitaristische Organisationen und normative Organisationen) über Blau und Scott (mutual benefit organizations, business organizations, service organizations und commonwealth organizations) bis zu Parsons (wirtschaftliche, politische, sozialintegrative und kulturelle Organisationen). Entsprechend beziehe ich meine Befunde nicht nur auf Wirtschaftsorganisationen, sondern auf Organisationen allgemein, ohne dabei aber eine generelle Reichweite zu behaupten.

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synonym verwendet werden, halte ich es für erforderlich, den Institutionenbegriff zu definieren.3 Der Begriff der Institution tauchte in den bisherigen Ausführungen wiederholt in Form von institutionalisiertem Ver- oder Misstrauen auf. Ähnlich wie der Vertrauensbegriff ist der Begriff der Institution (und damit auch der der Institutionalisierung) weder in der Vertrauens- noch in der Organisationssoziologie klar und einheitlich definiert. Er bezeichnet sowohl ein Strukturgebilde (symptomatisch dafür ist die synonym intendierte Bezeichnung ‚Organisationen und Institutionen‘) als auch ein Einzelnes, das stellvertretend für eine gesamtgesellschaftliche Struktur steht, z.B. die ‚Institution Schule‘ für das Bildungssystem der Gesellschaft oder die ‚Institution Kirche‘ als Repräsentantin oder Wächterin bestimmter gesellschaftlicher Werte, und auch die generalisierte Bedeutung oder Funktion einer Person (z.B. der Papst oder die Kanzlerin als ‚Institution‘).4 Aufgrund des impliziten, stillschweigenden Charakters von Vertrauen, das einer sprachlichen Konstruktion (auch bei zunehmender Reflexivität innerhalb des Interviews) nicht vollständig zugänglich ist, definiere ich Erläuterungen zu 3

Diese begriffliche Nähe ist auch der Grund dafür, dass ich meine Analyse nicht im theoretischen Rahmen des ‚soziologischen Institutionalismus‘ vornehme, zumal diese Forschungsrichtung in der Arbeits- und Industrie- sowie in der Organisationssoziologie für meso- und makrosoziologische Fragestellungen gegenwärtig recht prominent ist. So untersucht z.B. der Neoinstitutionalismus (vgl. DiMaggio/Powell 1983; Meyer/Rowan 1977; Müller-Jentsch 2003; Zucker 1977), wie professionelle, staatliche und kulturelle Werte die Konturierung organisationaler Felder beeinflussen (vgl. Senge 2011), er interessiert sich für die Interdependenz von Organisation und Organisationsumwelt und generiert daraus seine Erklärungen und Modelle für organisationales Handeln. Die zunehmende Auseinandersetzung mit Einflüssen der Organisationsumwelt auf das organisationale Handeln, z.B. in Bezug auf Gleichheit/Ungleichheit und Diversität in Organisationen, geht auch darauf zurück, dass entsprechende politische und rechtliche Anforderungen verbindlicher werden (vgl. z.B. Dobusch 2015). Die Organisationstheorie hat daher begonnen, sich anhand der Erkenntnisse des Neoinstitutionalismus stärker mit (Geschlechter-)Differenz und ihrer Manifestation im Zugang zu Einkommen, Wissen und Positionen auseinanderzusetzen (vgl. z.B. Aulenbacher 2005; Aulenbacher et al. 2007; Becker-Schmidt 2008; Funder 2011; Wippermann 2010). Obwohl mein Interesse auf die Ebenen von Mikro- und Mesosoziologie abzielt, nutze ich die theoretische Perspektive des Institutionalismus zur Sensibilisierung für Unterschiede in Bezug auf Merkmale wie Geschlecht und Teilhabe.

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Auf die Unschärfe des Institutionenbegriffs weist insbesondere Lepsius (1995) hin; Mishler und Rose (2005) arbeiten die fließende Grenze zwischen Institutionen- und Personenvertrauen heraus.

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Instrumenten, Maßnahmen, Handlungsweisen, Typisierungen als Vergegenständlichungen von Vertrauen – diese verstehe ich für meine Interpretation als Institutionen. Für die weitere empirische Untersuchung greife ich den Begriff der Institution als Ergebnis von relational erzeugten Problemlösungen und als verfestigte soziale Erwartungsstrukturen auf, der z.B. für Sztompkas Konzept zentral ist („procedural trust […] vested in institutionalized practices and procedures“ (ebd.: 44), „institutionalizing distrust“ (ebd.: 140ff.)), beziehe ihn aber (anders als Sztompka) ausdrücklich nicht nur auf formalisierte und angeordnete Strukturen. Dieser breite(re) Institutionenbegriff stützt sich auf den wissenssoziologischen Institutionenbegriff von Berger und Luckmann (2013[1969]). Danach sind Institutionen Regeln für die Lösung von Alltagsproblemen in dem Sinne, dass sie konkretisieren und routinisieren, was sinnvoll, möglich oder zu vermeiden ist. Institutionen entwickeln sich aus Erwartungen, Handlungsgewohnheiten und Routinen, die prozesshaft habitualisiert, also wechselseitig generalisiert und im sozialen Wissensvorrat (in der Sprache, Artefakten und anderen Symbolsystemen) einer Gemeinschaft abgelagert werden: „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ (Ebd.: 58) Die Regeln und die darauf aufbauenden Institutionen werden von den Akteuren selbst hervorgebracht und reproduzieren sich zugleich in und durch deren Handeln. Die vermeintliche Objektivität, die diesen Institutionen zugeschrieben wird, verdeckt den Prozess ihrer sozialen Konstruktion und mündet in eine „Verdinglichung“, d.h. eine „Auffassung von menschlichen Produkten, als wären sie etwas Anderes als menschliche Produkte: Naturgegebenheiten, Folgen kosmischer Gesetze oder Offenbarungen eines göttlichen Willens“ (Berger/Luckmann 2013[1969]: 95; Kursiv im Original). Aufgrund ihrer vermeintlich selbstverständlichen, keine weitere Reflexion erfordernden Orientierungs-, Ordnungs- und Sinnstiftungsfunktion vereinfachen sie das tägliche Handeln. So erlangen Regeln faktische Macht, sie leiten Handeln an und standardisieren es, und durch dieses Handeln werden sie wiederum aktualisiert und verfestigt (vgl. Esse 2002). Insofern ist die Ordnung und Stabilität von Institutionen dauerhaft mit deren Wirken verknüpft: „Sie sind der Kern einer jeden gesellschaftlichen Ordnung und arbeitsfähigen Organisation der Produktion und Reproduktion des Alltags“ (ebd.: 42f.) und dienen der „Einrichtung einer reibungslosen Koordination von kontingenten Handlungen, der verläßlichen Überwindung von Dilemmasituationen und der sicheren Beherrschung und Entschärfung von Konflikten“ (ebd.: 43).

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Die Einrichtung von Institutionen kann auf der Basis reflexiver, expliziter und planerischer Absichten oder in einer präreflexiven, impliziten und evolutionären Weise erfolgen. Ihre Absicherung erhalten Institutionen zum einen dadurch, dass sie gewünscht oder unter Ausübung von Macht legitimiert (d.h. angeordnet) werden, zum anderen dadurch, dass sie als legitim im Sinne von richtig (an-)erkennbar sind. Dazu ist eine konstruktive Sinnzuschreibung erforderlich, die wiederum voraussetzt, dass diejenigen, die eine (für sie neue) Institution einschätzen sollen, deren Sinn verstehen und ihre Richtigkeit bewerten können (vgl. Berger/Luckmann 2013[1969]: 71; Esser 2002: 38ff.). Für die Eignung dieses Institutionenbegriffs nach Berger und Luckmann als theoretischen Bezugspunkt und Sensibilisierung für meine Untersuchung spricht einiges, vor allem die darin enthaltene Konzipierung von Institutionen als prozesshaft, die verschiedenen möglichen Ausprägungen, der Kontextbezug und die handlungstheoretische Fundierung, denn diese Aspekte hat das Konzept mit meiner grundlegenden methodologischen und methodischen Herangehensweise nach Strauss (1994[1991]) bzw. Strauss und Corbin (1996) gemeinsam (vgl. Kap. 1.4, 4.1, 4.3). Die Analyse der Daten soll herausarbeiten, welche Konstruktionen und Praktiken als Vertrauen oder darauf bezogenes Handeln typisiert werden. Dabei kommt es darauf an, auch Nuancen und Graduierungen zu erfassen. Diese Anforderung erfüllt das Institutionenverständnis nach Berger und Luckmann: „Solange entstehende Institutionen lediglich durch Interaktion von A und B aufrechterhalten werden, bleibt ihr Objektivitätszustand spannungsvoll, schwankend, fast spielerisch […]. Das ändert sich jedoch mit der Weitergabe an eine neue Generation.“ (Berger/Luckmann 2009: 62) Eine Institution muss also als gegeben erscheinen, sie kann sich verfestigen und wieder erodieren und ist damit prozesshaft eingebettet. Mit der Voraussetzung der Habitualisierung ist dem Institutionenbegriff von Berger und Luckmann die prozesshaft-historische Dimension inhärent, die für meine Arbeit wichtig ist, denn sie ermöglicht, Institutionalisierung als graduellen Prozess der Verfestigung und Aufweichung zu erkennen und in die Analyse dieses Prozesses die Kontextbedingungen einzubeziehen. Der Grad der Habitualisierung lässt nach Berger und Luckmann Rückschlüsse darauf zu, ob Vertrauen mehr oder weniger verfestigt, d.h. institutionalisiert ist. Diese Prozesshaftigkeit berücksichtigt Graduierungen und Nuancierungen ebenso wie eine Einbettung in die Umwelt, denn Institutionalisierung spiegelt auch die Ressourcenverteilung im organisationalen Kontext und die damit verbundenen Machtasymmetrien.5 5

Zucker hat den Institutionenbegriff im Kontext von Organisationen in zahlreichen Arbeiten analysiert (u.a. 1986, 1987, 1997). Institutionen sind ihres Erachtens zu dynamisch, um verlässliche Rückschlüsse auf bestimmte Phänomene zuzulassen, die mit

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Darüber hinaus ermöglicht dieses breite, sozialkonstruktivistische Verständnis von Institution, in meine Analyse über formale Regelungen wie ‚Vertrauensarbeitszeiten‘ hinaus auch informale Regelungen zur Dar- und Herstellung von Vertrauen einzubeziehen; ebenso leitet es die Suche danach an, wie organisationale Akteure – in diesem Fall: Führungskräfte – ihre Rolle in Bezug auf Vertrauen und damit assoziierte Institutionen konstruieren (statt zu fokussieren, was in Organisationen für Vertrauen oder Misstrauen gehalten wird und wie sich dieses Verständnis in Institutionen niederschlägt).6 Mit den beschriebenen Aspekten – Prozesshaftigkeit, graduelle Ausprägung, Kontextbezug und handlungstheoretische Fundierung – bietet sich dieses Institutionenverständnis als analytische Haupt- oder Kernkategorie für meine Frage nach Konstruktionen und Praktiken an. Aus der eingenommenen Perspektive auf Konstrukte und Praktiken als Institution(alisierung)en von Vertrauen ergibt sich, dass die folgende empirische Analyse von konzeptionellen und handlungspraktischen Vorstellungen kaum erlauben wird, bestimmte Institutionen einseitig auf Vertrauen zuzurechnen, und keine Allgemeingültigkeit für die Charakteristika von Intraorganisationsvertrauen beanspruchen kann. Das ist aber bei einer konstruktivistischen Untersuchung im Stil der Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin, die auf eine Theorie mittlerer Reichweite abzielt, auch nicht intendiert. Vor dem Hintergrund meines Organisationsbegriffs (vgl. Kap. 3.1.2) ergänze ich meinen Institutionenbegriff für den Kontext von Organisationen folgendermaßen: Die Organisationsmitglieder verhandeln fortwährend über Ressourcen, Status etc. und handeln so in mehr oder minder konfliktträchtigen ‚Spielen‘ die Reziprozität von Typisierungen (Institution[alisierung]en) aus; das Ergebnis (die daraus resultierenden Institutionen) wird Teil der Formalstruktur des Systems, beeinflusst seinerseits wiederum das Handeln und erfordert Typisierungen, die zu bestimmten Ergebnissen führen usw. Dass dabei formale wie auch informale Strukturen sowohl rational als auch irrational begründet sein können, bedeutet für meine Analyse, dass auch unpassend oder unwichtig erscheinende Sinnsetzungen und Begründungen nicht personen- oder berufsgruppenspezifisch zuzuRessourcen oder Macht verbunden sind (Zucker 1997). Andererseits hebt sie die ausgeprägte Beständigkeit von Institutionen und deren Resistenz gegen Änderungsversuche hervor. 6

Zudem muss ich auch im Sampling (vgl. Kap. 5.2.1) meinen Schwerpunkt nicht auf ‚typische‘ Drittparteien wie Betriebsräte als mögliche strukturelle Repräsentanz von Misstrauen legen, sondern kann anhand von Führungskräften Konstrukte und Praktiken (und zwar evolutive, informale, politisch wirksame und mehrdeutige) in die Idee des prozesshaften Vertrauens einbeziehen.

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rechnen und (z.B. als skurriler Sonderfall) abzutun, sondern als Indikatoren für den inneren wie äußeren Kontext der Organisation ernst zu nehmen sind.

3.2 V ERTRAUEN IN O RGANISATIONEN Im Zuge meiner Definitionen von Führungskraft und Organisation habe ich bereits auf einige grundlegende Aspekte von Relationalität, Ungewissheit und Verletzbarkeit und auf die Rolle der Führungskräfte als Institutionalisierende in einem dynamischen und komplexen Kontext hingewiesen. Dies bildet wichtiges Interpretationswissen, um die Aussagen der interviewten Führungskräfte als organisations- und nicht als personenabhängig verstehen zu können. Im Folgenden gehe ich anhand von Befunden aus der Organisationsforschung ausführlicher auf die kontextuellen Herausforderungen für Führungskräfte ein und zeige die gestiegene Bedeutung von Vertrauen in Organisationen. Vor diesem Hintergrund setze ich mich kritisch mit Führungskräften als gesellschaftlicher Rolle und ihrer Bedeutung für die Organisation im Konnex mit Vertrauen auseinander. 3.2.1 Ungewissheiten der Gegenwart Organisationen befinden sich, so der Tenor der einschlägigen Forschung, in einer „permanenten Reorganisation“ (Kratzer 2003: 192), bei der „die einzige Stabilität – zumindest auf absehbare Zeit – der Wandel sein wird“ (ebd.). Im Zuge der Dezentralisierung werden Kompetenzen von höheren Hierarchieebenen auf untere (ausführende) Stellen verlagert (vgl. Minssen 2012: 55) und die „Autonomie und Eigenverantwortung von Organisationseinheiten“ (Sauer/Döhl 1997: 22) gestärkt. Dadurch haben sich unternehmerische Strukturen und Prozesse und somit auch die Rahmenbedingungen für in den Unternehmen Beschäftigte nachhaltig verändert. Ungewissheiten stellen Organisationen und Akteure hinsichtlich ihrer Handlungsfähigkeit vor neue Herausforderungen (vgl. Böhle 2013). Die Kritik an der mangelnden Berücksichtigung der Menschen in den tayloristischen und bürokratischen (Erwerbs-)Organisationen (vgl. Kap. 3.1.2) mündete ab Mitte der 1960er Jahre in eine Gegenbewegung, die die Demokratisierung in Organisationen vorantrieb. Zentrale Annahme dieser sogenannten Human-Relations-Bewegung war, dass die Beschäftigten ein Bedürfnis nach Kontakt und Kooperation mit anderen hätten, das insbesondere Kolleginnen und Kollegen, aber auch Führungskräfte befriedigen könnten (vgl. für einen Über-

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blick zu diesem Ansatz Kieser 2006: 133ff.). Den Paradigmenwechsel von der Rationalisierungslogik hin zur Nutzung und Wertschätzung von Subjektivität beschreiben z.B. Piore und Sabel in einer Studie von 1984 als „Requalifizierung der Arbeit und Rückkehr der Ökonomie in die Gesellschaft“. Im selben Jahr werben z.B. Kern und Schumann nach Fallstudien in der Chemie- und der Automobilindustrie explizit dafür, die Person stärker in die Arbeit einzubeziehen: „Der restringierende Zugriff auf Arbeitskraft verschenkt wichtige Produktivitätspotentiale. Im ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt liegen keine Gefahren, sondern Chancen; Qualifikationen und fachliche Souveränität auch der Arbeiter sind Produktivkräfte, die es verstärkt zu nutzen gilt.“ (Kern/ Schumann 1990[1984]: 19) Im Gegensatz z.B. zur Mafia, deren Handeln und Mitgliedschaftsstrukturen Gambetta (1994) als höchst vertrauensbasiert beschrieben hat, sind Organisationen jedoch nicht zu einer Vollinklusion ihrer Mitglieder in der Lage, d.h. sie können sich die Menschen mit ihrer Subjektivität nicht vollständig ‚einverleiben‘, sondern müssen das sogenannte Transformationsproblem – das Problem der Umsetzung von Arbeitskraft in Arbeit – anderweitig lösen (vgl. Marrs 2010; Minssen 2013b; Trinczek 2010). Seit den 1990er Jahren beobachtet die Forschung in Unternehmen eine Stärkung dezentraler Entscheidungs- und Regelungsstrukturen (vgl. Latniak/Kinkel/ Lay 2002) sowie eine zunehmende betriebliche Flexibilität. Steuerungsmechanismen wurden in den vergangenen Jahren zwischen marktlichen und zentralistischen Prinzipien immer wieder verändert (vgl. Hirsch-Kreinsen 1995; Sauer 2005). Die Arbeitsteilung hat sich verändert, Outsourcing, Dezentralisierung, wertschöpfungsorientierte Netzwerke gewinnen zunehmend an Bedeutung (vgl. Bach/Buchholz/Eichler 2003; Sydow 1992), projektförmige Arbeitsgestaltung und intra- oder interorganisationale Kooperationen sind omnipräsent (vgl. Boltanski/Chiapello 2003; Seifert/Pawlowsky 1998). Die extremste Form dieses Wandels repräsentieren virtuelle Organisationen (vgl. Davidow/Malone 1992). Die tayloristischen Strukturprinzipien – wie restriktive Arbeitsabläufe, monotone Tätigkeiten am Fließband und starre arbeitsteilige Produktionsabläufe – sind deregulierenden Konzepten der Arbeitsteilung und Mitarbeiterführung gewichen, die vor allem als lean production oder lean management bezeichnet werden (vgl. Sauer 2016; Kratzer 2003; Kratzer/Sauer 2005). Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen hinterfragt die Organisationstheorie die Grenzen von Organisationen und von Management und entwirft relationale Konzepte zu den Interdependenzen von Organisation und Umwelt sowie von Organisation und Person.7 7

Die Debatte um die „Rückkehr der Gesellschaft“ (Ortmann/Sydow/Türk 2000) in die Organisationstheorie hat ein Verständnis von Organisationen hervorgebracht, das ver-

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In diesem Wandel und vor dem Hintergrund neuer Begründungsansprüche ist das Subjekt (als Beschäftigte/r wie als Führungskraft) immer stärker in den Fokus von Organisationen und Organisationsforschung geraten, es gilt nun als relevante Leistungs- und Flexibilitätsressource. In diesem Zusammenhang zeichnen sich zwei Entwicklungen ab, die unter dem Begriff der Subjektivierung zusammengefasst werden: Zum einen fordern Beschäftigte von (Erwerbs-) Organisationen zunehmend die Möglichkeit, als Träger_innen der Arbeitskraft ihre Subjektivität in die Arbeit und das organisationale Arbeitsumfeld einzubringen. Zum anderen fordern umgekehrt (Erwerbs-)Organisationen von ihren Beschäftigten, dass diese ihre Subjektivität zum Erreichen der Organisationsziele nutzen und dabei ihre Arbeit weitgehend selbstorganisiert erbringen. Diese Anforderung der Selbstregulation kann sich auf „die zeitliche und räumliche Verfasstheit von Arbeit beziehen, sachlich-qualifikatorische, technische, sinnhafte und emotionale Aspekte umfassen, aber auch die soziale Kooperation im Arbeitsprozess betreffen“ (Lohr 2013: 433). Insgesamt hat sich so der Zugriff von Organisationen auf die dort beschäftigten Menschen verändert.8 Dadurch verschwimmt zunehmend die Grenze zwischen Arbeitskraft und Person. Dies wird in der Arbeits- und Industriesoziologie sowie der Organisationssoziologie durchaus kritisch gesehen, ebenso wie die damit zusammenhängende Erosion der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit (Entgrenzung) und die der betrieblichen Organisation zwischen Märkten und Beschäftigten (Vermarktlichung) (vgl. Kratzer/Lange 2006). Entgrenzung resultiert aus den veränderten Anforderungen an Organisationen und ihre Mitglieder, die sich aus der Dezentralisierung ergeben, der „Kombination wachsender Markt- und Erfolgsorientiesucht, diese als eine „reflexive Strukturation“ (ebd.: 18f.) zu de- und rekonstruieren. In der Managementforschung nehmen insbesondere die Critical Management Studies eine ethikkritische und personalemanzipatorisch geleitete Haltung ein; sie setzen sich mit der Entwicklung und praktischen Anwendung von Organisations- und Managementtheorien und -instrumenten auseinander, die sie als unkritisch problematisieren (vgl. Alvesson 2003; Alvesson/Willmott 1992; Hartz 2011). 8

Robert D. Putnam (2000) kritisiert in seinem Buch „Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community“ die Erosion von Familie und Gemeinschaft durch die Marktdeterminierung, die mit unregelmäßigen Arbeitsrhythmen und verlängerten Wochenarbeitszeiten verbunden sei und zu einem Verlust von Engagement, Gemeinsinn und Vertrauen führe. Castel (2000) stellt im Zusammenhang mit dem Ausschluss aus Arbeit und Organisationen die Erosion von Vertrauen, Anerkennung und Zugehörigkeit als Determinanten sozialer Verwundbarkeit heraus. Beide zeigen also, dass der veränderte Zugriff von Organisationen auf die Organisationsmitglieder die Verletzbarkeit der Personen verändert und z.T. erhöht hat.

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rung in der Leistungssteuerung, permanenter Restrukturierung von Unternehmen sowie zunehmender Selbststeuerung der Leistung der Beschäftigten“ (Dunkel/Kratzer/Menz 2010: 358). Dabei wird „[d]ie Verwertung subjektiver Potentiale und Ressourcen […] unmittelbar zum Bezugspunkt der Rationalisierung, und dem Subjekt wird dabei eine wesentliche Steuerungsfunk9

tionalität zugesprochen“ (ebd.: 224).

Die Selbstregulation wird von (Erwerbs-)Organisationen vermarktlicht, und damit wird die Verantwortung für die Bewältigung von Ungewissheiten der Organisation auf die Organisationsmitglieder übertragen.10 Globalisierung und digitale Revolution forcieren einen allgemeinen Wandel hin zu einer dienstleistungs- und wissensgeprägten Gesellschaft. In diesem Prozess werden bürokratische Koordinationsformen zunehmend durch flexible und prozessorientierte Organisationseinheiten ersetzt, die durch Kommunikation gesteuert werden (vgl. Anand/Daft 2007). Dabei werden die als überholt geltenden tayloristischen Prägungen nun reaktualisiert, wenn auch in einem neuen Funktionszusammenhang: Standardisierte Pläne und Programme sollen nunmehr eine weitgehend selbstständige Arbeitsgestaltung unabhängig von einzelnen Instanzen und mit geringem Kommunikations- und Kontrollaufwand ermöglichen. Dieser geringe Kommunikations- und Kontrollbedarf bringt es für Organisationsmitglieder auf Fach- wie Führungsebene mit sich, dass persönliche Kontakte selten sind. Die Zugehörigkeit zu Abteilungen und Teams wechselt oft 9

Dunkel, Kratzer und Menz (2010) identifizieren in Fallbeispielen typische „Belastungsphänomene“ bei den Beschäftigten, die sie vorrangig auf diese neuen Steuerungs- und Organisationsformen zurückführen. Diese Phänomene subsumieren sie unter „gestiegener Leistungsorientierung“, die zunehmend von den „Kriterien menschlicher Leistbarkeit“ wie auch der Beschäftigungssicherheit abgekoppelt sei und „in Relation zum extern Erforderlichen“ (ebd.: 358) bewertet werde. Die Beschäftigten sind permanent von Rationalisierung und Umstrukturierung bedroht für den Fall, dass ihre Abteilung im Vergleich als wenig zukunftsträchtig oder ertragsstark bewertet wird (vgl. ebd.).

10 Die Unternehmen legen lediglich die Rahmenbedingungen fest, während die Ausgestaltung – die an marktlichen Kriterien gemessen und damit indirekt durch externe Anforderungen des Marktes gesteuert wird – in der Eigenverantwortung der Beschäftigten liegt. Diese können somit zwar selbstorganisiert und entsprechend flexibler arbeiten; die Zielerreichung der dezentralen Einheit (z.B. Abteilung oder Projektteam) wird aber als Ganzes gemessen und mit anderen Einheiten des Unternehmens verglichen.

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mehrfach.11 Dadurch gestalten sich Interaktionsbeziehungen kurzfristiger oder sind des persönlichen Kontakts enthoben.12 Gleichzeitig flachen infolge der aktuellen Anforderungen an Innovationsfähigkeit und -bereitschaft Hierarchien ab oder werden abgebaut, auch deshalb, weil moderne Organisationen eine Komplexität aufweisen, die von hierarchisch übergeordneten Instanzen kaum noch überblickt und reguliert werden kann. Die Abflachung von Hierarchien reduziert aber auch berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, was sich auf Führung und die Zusammenarbeit innerhalb von Teams auswirkt: Einerseits müssen die Beschäftigten miteinander kooperieren, um das von der Unternehmensführung gesetzte Ziel zu erreichen. Andererseits stehen sie aber in Konkurrenz zueinander, weil ihre Arbeitsergebnisse anhand von Kennzahlen bewertet und miteinander verglichen werden und sie sich darüber beweisen müssen, um die beschränkten Aufstiegschancen im Unternehmen wahrzunehmen.13

11 Die Bedingungen der flexibilisierten Produktionsweise in (Erwerbs-)Organisationen und ihre Auswirkungen auf die Motivation, Partizipation und Entfaltung der zunehmend spezialisierten Organisationsmitglieder ebenso wie die damit verbundenen Herausforderungen für das Personalmanagement werden somit insgesamt eher kritisch gesehen (vgl. z.B. Piore/Sabel 1985). Unter anderem wird kritisiert, dass die inhärenten Folgen dieser Entwicklung auf Organisationsebene nicht hinreichend bedacht würden (vgl. Boltanski/Chiapello 2003; Sydow/Windeler 2003). 12 In diesem Zusammenhang verweisen Zolin und Hinds (2004) auf sogenanntes „swift trust“, das in projektförmigen, dezentral arbeitenden Teams vorrangig über den geteilten Arbeitsinhalt bzw. das gemeinsame Arbeitsziel und Zutrauen qua fachlicher Reputation hergestellt wird. In der Vertrauensforschung wird dieses „swift trust“ aber nicht als Vertrauen eingeordnet, sondern als eine spezifische Form der Vertrautheit, bei der professionell-vertraute Merkmale in den Vordergrund gestellt und als Ersatz für Vertrautheit aus Interaktionserfahrung generalisiert werden. 13 Das Transformationsproblem der Arbeit (höhere Flexibilität der Produktion, kürzere Reaktionszeiten bei Marktveränderungen, diversifizierte Kundenbedürfnisse und -gruppen usw.) und die damit einhergehenden Steuerungs- und Kontrollprozesse werden vom Unternehmen auf die Arbeitssubjekte übertragen. Diese werden zunehmend als „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß/Pongratz 1998; Pongratz/Voß 2000, 2003) angesprochen, die die mit der Flexibilisierung verbundenen Herausforderungen mittels Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung quasi eigenständig bewältigen sollen. Eine Subjektivierung von Arbeit wurde für unterschiedliche Berufsgruppen nachgewiesen, beispielsweise für Manager_innen (vgl. für einen Überblick Papouscheck/Schiffbänker/Reidl 2006).

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Subjektivierung wurde zunächst als ein neuer Modus der Rationalisierung konzipiert, der die Beschäftigten zwingt, ihre Arbeitsbedingungen, die nun aber auch ihre Lebensbedingungen sind, einem Verwertungsprinzip zu unterwerfen (vgl. Moldaschl 2002). In jüngerer Zeit wird sie eher als Ausdruck dessen gesehen, dass sich die Bedingungen der gesellschaftlichen Konstitution ändern (vgl. Lohr 2013). Dieser Diskurs führt neue Sinnstrukturen und Praktiken darauf zurück, dass Ideale wie das von Bröckling (2007) aufgebrachte „unternehmerische Selbst“ oder der von Sennett (1998) beschriebene „flexible Mensch“ die Individuen prägen, die wiederum ihre Umwelt gestalten, so dass ihre Wertorientierungen auch zu denen von Organisationen werden (vgl. Lohr 2013).14 Im Zuge des hier nachgezeichneten Wandels und der damit verbundenen neuen Anforderungen an Kontrolle und Planung wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Rolle der Führungskräfte bzw. Manager_innen eine immer höhere Bedeutung zugeschrieben (vgl. Boltanski-Chiapello 2003). Manager_innen wurden als Inbegriff von Modernität und als neue Wirtschaftselite stilisiert und wurden zu einem eigenen Gegenstand der sich entwickelnden Managementforschung und -theorien.15 Als Personal einer Organisation wurden sie aber auch zu einer austauschbaren und gehandelten Ressource: „Auf diese Zumutung der Handelbarkeit reagiert das Management (wie jedes andere Personal auch), indem es versucht, die Insignien der eigenen Austauschbarkeit in der Selbstdarstellung als ‚Persönlichkeit‘ zu löschen. Es dreht sich darum, besser, origineller, flexibler, dynamischer, schneller etc. als andere zu sein, eben ‚wertvoller‘, schwerer ersetzbar. Denn die Chance des Personals, selbst das Unternehmen zu wechseln, und das Risiko, ausgewechselt zu werden, sind eng mit dem verallgemeinerbaren Wert, den es für die Organisation entfaltet, sowie mit den Kosten, die es verursacht, korreliert.“ (Pohlmann 2007: 11) 14 In forschungspraktischer Hinsicht wird damit eine Verbindung erkennbar, die für meine Untersuchung zentral ist: Zwischen dem Denken und Handeln der Einzelnen, den formalen und informalen Strukturen der Organisationen und deren gesellschaftlicher Einbettung bestehen rekursive und sich wechselseitig gestaltende Verbindungen. Dies erlaubt für meine Untersuchung, die Konstrukte und Praktiken von Führungskräften, ihre Begründungen und Sinnsetzungen als untrennbar mit der einzelnen Organisation verwoben einzuordnen, sie aber auch als symptomatisch für Organisationen insgesamt anzuerkennen und damit letztlich zu einer Theorie mittlerer Reichweite zu gelangen. 15 Letztere waren und sind weitgehend dominiert von den Theorien rationaler Wahl, die sich der Überlegungen Webers bedienten (vgl. Deutschmann et al. 1995; Pohlmann 2002, 2011).

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Führungskräfte sind also nicht nur Akteure, die die Folgen des organisationalen Wandels verwalten und steuern, sondern sie sind auch selbst mit Vermarktlichung, Entgrenzung und Subjektivierung konfrontiert. An sie richtet sich auch die Forderung nach neuen Ansätzen im Umgang mit dem Wandel der Organisationen: „Gesucht wird […] nach Organisationsformen und Gestaltungslösungen, die erhöhte Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit sowie Produktivitätszuwächse mit verbesserten Arbeits- und Beschäftigungssituationen kombinieren, Kooperationsstrukturen stärken sowie Kompetenzen der Beschäftigten entwickeln und nutzen.“ (Kuhlmann 2007: 133)

Als eine Wertorientierung für den ‚neuen Umgang‘ mit den ‚neuen‘ Unsicherheiten im Hinblick auf eine effiziente und effektive Gestaltungslösung gilt Vertrauen. 3.2.2 Vertrauen als Organisations- und Managementmode Als ein wesentlicher koordinierender Faktor und „Kontingenzüberwinder par excellence“ (Ortmann 2009: 204; Kursivsatz im Original) wird im Zuge des Wandels von Organisationen seit den 1990er Jahren Vertrauen gesehen, dessen Herstellung vorrangig als Aufgabe von Führungskräften gilt.16 Dabei wird Vertrauen mit Kooperationsbeziehungen in Verbindung gebracht und Misstrauen mit Konkurrenzbeziehungen: „Für die Dynamik einer Kooperationsbeziehung sind das Vertrauen der Akteure in die Übereinstimmung ihrer Interessen und in das Zusammenpassen ihrer Handlungspotentiale (das ‚Synergiepotential‘) sowie die Bestätigung oder Enttäuschung dieses Vertrauens durch die gegenseitige Beobachtung ihrer Beiträge, Anstrengungen und Effektivitäten von grundlegender Bedeutung. Demgegenüber ist aufgrund konträrer Interessen bei einer Konkurrenzbeziehung von vornherein ein Misstrauen angelegt.“ (Küpper/Felsch 2000: 31)

Im Zusammenhang mit Personal- und Organisationsentwicklung suggeriert Vertrauen Relationalität, lässt bedrohliche Komplexität kalkulierbar erscheinen und bietet Heilsversprechen (vgl. Ortmann 1999; ähnlich: Bachmann 2014). Damit reiht sich Vertrauen ein in die Modethemen von Leitung, die unabhängig davon, ob sie wirken oder nicht, „beschwichtigende Kraft“ (Kieser 1996: 21) haben. So richtet die anwendungsorientierte, multi- und interdisziplinär ausge16 Seit dieser Zeit ist der Diskurs über Vertrauen erheblich angeschwollen, wie die in Kap. 2 angesprochene Fülle einschlägiger Publikationen verdeutlicht.

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richtete Organisationsforschung ihre Bemühungen darauf, Vertrauen – das vorrangig als „soziale Ressource“ (Geramanis 2002) verstanden wird – für die Anwendung in Organisationen zu operationalisieren (vgl. Alberternst/Moser 2007; Bachmann/Gillespie/Kramer 2015; Blank 2011; Bruckner 2016; Frey 2011; Frey 2016; Möller 2012; Oswald 2010; Ripperger 2003; Schweer/Thies 2003; Vogt 1997). Das Thema Vertrauen wurde bereits in den 1960er Jahren insbesondere im US-amerikanischen Raum aufgegriffen. Dort steht es im Mittelpunkt der Organisationsforschung (vgl. Bachmann/Zaheer 2013; Kramer/Cook 2004a; Lane/Bachmann 1998) und hat eine unüberschaubare Fülle von Literatur zu Organisation und Management hervorgebracht, die sich vor allem mit deren funktionalem Gehalt befasst (vgl. Anheier/Kendall 2002; Lane 1998; Malhotra/Murnighan 2002; Mayer/Gavin 2005; Powell 1996). Spezifischer mit Intraorganisationsvertrauen befasst sich im englischsprachigen Raum vorrangig die betriebswirtschaftliche und psychologische Forschung, die aber in der deutschen Vertrauens- und Organisationssoziologie eher verhalten rezipiert wird. Aus der soziologischen Forschung werden dort insbesondere Überlegungen von Luhmann (2014[1968]) aufgegriffen. Darauf aufbauend wird Vertrauen als Ressource für die Erweiterung des interpersonellen Handlungspotenzials gesehen, z.B. zur Optimierung von Kooperationen, Innovationsfähigkeit oder Personalbindung (vgl. Lewicki/Tomlinson/Gillespie 2006; Preisendörfer 1995). Auch die bisher publizierten empirischen Studien spiegeln diese instrumentelle Perspektive wider; sie widmen sich z.B. der Korrelation zwischen Vertrauen und organisationalem Commitment, Selbstzufriedenheit oder sozialer Unterstützung (vgl. u.a. Allen/Meyer 1990; Graeff 1998; Lewicki/Bunker 1995). Im Konnex von Führung und Vertrauen richtet sich das Interesse der Praxis- und Ratgeberliteratur auf die interpersonelle Ebene; hier werden Ansätze der Entwicklung und Wiederherstellung von Vertrauen, also der Reparatur nach Vertrauenserosionen beschrieben (vgl. Bigley/Pearce 1998; Lewicki/Bunker 1996; Shaw 1997). Dabei werden auch Maßnahmen diskutiert, mit denen Vertrauen, das durch einen erlittenen Vertrauensbruch beschädigt wurde, wieder stabilisiert und erhöht werden kann (vgl. Lewicki/McAllister/Bies 1998). Das etablierteste Konzept zu Vertrauen im Kontext von Organisationen im englischsprachigen Raum stammt von Mayer, Davis und Schoorman (1995). Deren Ansatz erklärt dyadisches Vertrauen innerhalb von Organisationen, und zwar ähnlich wie Coleman mit einem Fokus auf Vertrauenswürdigkeit; dabei stellen sie als zentrale Aspekte Verletzbarkeit und Kontrollverzicht heraus: „Trust is the willingness of a party to be vulnerable to the actions of another party based on the expectation that the other will perform a particular action

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important to the trustor, irrespective of the ability to monitor or control that other party.“ (Ebd.: 709) Die Autoren spezifizieren in ihrem Modell aber nicht näher, worin die typischen Verletzbarkeiten im Organisationskontext bestehen, und auch nicht, wie z.B. Kontrolle konstruktiv auf Vertrauen wirken könnte.17 Anfang der 2000er Jahre wurden im englischsprachigen Raum mehrere Bücher und zwei Sonderhefte von Fachzeitschriften veröffentlicht, die sich interdisziplinär mit Vertrauen auseinandersetzen (Organization Studies, vgl. Bachmann/Knights/Sydow 2001, und Organization Science, vgl. McEvily/Perrone/ Zaheer 2003). Sie blieben jedoch von der deutschen Vertrauens- und Organisationssoziologie weitgehend unbeachtet – vermutlich aufgrund ihrer utilitaristischen Wirtschaftsperspektive, die Vertrauen in erster Linie als eine Ressource zur Ertragssteigerung betrachtet. Misstrauen wird als Thema international wie national erst seit den 2000er Jahren aufgegriffen, und zwar vorwiegend in einem dichotomen Verständnis als funktionales Äquivalent von Vertrauen (vgl. Kap. 2.2.2.1). In der jüngeren organisationssoziologischen Forschung wurden verschiedene Ansätze und Konzepte zum Zusammenwirken von Vertrauen und Misstrauen publiziert. Darin kommt ein heterogenes Verständnis dieser Konstrukte und ihrer Wirkungen zum Ausdruck: • Vertrauen und Misstrauen sind die beiden Pole desselben (Erwar-

tungs-)Phänomens (vgl. Eberl 2002; Neuberger 2006b): Im Vertrauen erwarten die Akteure, dass ein bestimmter Sachverhalt eintritt; Misstrauen bezieht sich dagegen auf Sachverhalte, deren Eintritt sie befürchten (Lewicki/McAllister/Bies 1998: 440). • „Kultiviertes“ (Ellrich et al. 2002) Misstrauen ist die eigentliche funktionale, weil potenzialbildende Ressource für Wettbewerb, Innovation und organisationales Überleben, während Vertrauen als Risiko erscheint (vgl. ebd.; Funken/Hörlin 2012; Kern 1997; Thoma/Funken 2013). Das prominenteste Modell in der Organisationsforschung, das Vertrauen und Misstrauen zueinander in Beziehung setzt, haben Sitkin und Roth (1993) entwi-

17 In ihrem 2007 veröffentlichten Aufsatz „An Integrative Model of Organizational Trust: Past, Present, and Future“ setzen sich Schoorman, Mayer und Davis zwar mit ergänzenden Aspekten (z.B. Affekt, Emotion und Misstrauen) und dem weiterentwickelten Forschungsstand auseinander, fokussieren dabei aber weiterhin Vertrauenswürdigkeit und ihre Herstellung.

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ckelt.18 Sie definieren Vertrauen als die Erwartung an ein Organisationsmitglied, dass es seine Aufgaben zuverlässig erfüllt. Misstrauen definieren sie als die Erwartung, dass ein Organisationsmitglied mit den Werten und Vorstellungen der Organisation nicht übereinstimmt und damit als wertinkongruent einzustufen ist. Kontrollmechanismen (z.B. formalisierte Strukturen wie Qualitätskriterien oder Checklisten) stufen sie als unpersönliche Substitute von Vertrauen ein und bringen sie mit dem niedrigen Niveau interpersonellen Vertrauens in Verbindung, das ihnen zufolge in zahlreichen Organisationen vorherrscht. Mit Verweis auf die Grundlegungen von Deutsch (1958) zu „Trust and Suspicion“ ordnen sie eine Verringerung von Vertrauen durch solche Substitute als „Vertrauensverletzung“ ein. Ist diese auf ein singuläres Ereignis zurückzuführen und wird nicht einer Person zugeschrieben, bleibt sie für Vertrauen unwirksam; wird sie dagegen als typisches, kontextspezifisches Verhalten gedeutet und ihre Wiederholung angenommen, mindert sie das Vertrauen. Misstrauen entwickelt sich durch die Abweichung einer Person oder Gruppe von kulturellen Vorstellungen und stigmatisiert diese als Außenseiter_innen, die zukünftige Erwartungen eventuell nicht erfüllen.19 In ihren Überlegungen grenzen Sitkin und Roth Vertrauen und Misstrauen zum einen durch die Art der Erwartung voneinander ab (als Verlässlichkeit der Arbeit oder Übereinstimmung der kulturellen Werte und Vorstellungen), zum anderen durch die Art der Zurechnung (als generalisiert oder kontextspezifisch). Dabei formulieren sie Kausalitäten: Vertrauen reduziert sich, wenn eine sinkende Verlässlichkeit bei der Ausübung von Tätigkeiten als kontextspezifisch eingeordnet wird; Misstrauen entsteht, wenn organisationstypische und als konstitutiv anerkannte Werte und allgemeine Vorstellungen grundlegend verletzt werden. Den Einsatz von Substituten beschreiben Sitkin und Roth auf der interpersonellen Ebene als eher vertrauensschädlich, weil die Interaktion dann durch etwas Artifizielles und Distanzierendes bestimmt wird und dies zu weiterer Distanzierung führt. Auf der Organisationsebene halten sie die Anwendung von Substituten – insbesondere bei Abweichungen in eher kleinen und klar umrissenen Bereichen – aufgrund ihres standardisierenden, homogenisierenden und legitimierenden Charakters für geeignet, um kontextspezifische Zuverläs-

18 Sitkin und Roth proklamieren einen engen Zusammenhang zwischen vertrauensvollen Beziehungen und gemeinsamen Zielen und Werten. In ihrem attributionstheoretischen Ansatz, der sich auf psychologische Befunde gründet, beschäftigen sie sich mit dem Verlust von Vertrauen und dem Entstehen von Misstrauen und beziehen sich dabei explizit auf Arbeitsbeziehungen. 19 Ähnlich kulturalistisch argumentieren Elias und Scotson bei ihren Befunden zu „The Established and the Outsiders“ (1965).

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sigkeitsprobleme zu reduzieren, nicht aber dafür, in genereller Weise Vertrauen zu (re-)stabilisieren. Aus einer vertrauenssoziologischen Perspektive schätzt Endreß die Wirkung personeller Substitute (z.B. Führungskräfte als Institution) als ähnlich begrenzt ein, auch wenn er sich dabei nicht auf das Modell von Sitkin und Roth bezieht: „Wird […] vermieden, strukturelle Dilemmata strukturpolitisch aufzufangen, dann wird über den Austausch von Personen zwar temporär für Entlastung gesorgt werden können – aber nur um den Preis ggf. weiterer struktureller Destabilisierungen. Und umgekehrt gilt wohl, dass eine ausschließliche Flucht in Personen, gar in charismatische Führungsfiguren zwar ggf. im Einzelfall tragen mag, diese Option aber keineswegs die für Organisationen in jeder Hinsicht unabdingbaren dauerhaften Funktionszusammenhänge zu gewährleisten vermag. Damit bleibt es bei der nicht hintergehbaren Verwiesenheit von Strukturen und Personen aufeinander.“ (Endreß 2012: 99)

Diese „unhintergehbare Verwiesenheit von Strukturen und Personen aufeinander“ legt nahe, dass bei Intraorganisationsvertrauen beide Komponenten zusammenspielen; es bleibt aber noch zu untersuchen, wie Struktur und Person empirisch aufeinander verweisen. Vertrauensbeziehungen basieren aus der Perspektive der Organisationssoziologie weniger auf ökonomischen als vielmehr auf sozialen Anerkennungsprozessen (Heisig/Littek 1995a: 283). Diese werden aber vornehmlich als alternative und steigernde Form der Koordination gesehen, die Strukturen und Personen aufeinander abstimmen soll; dabei wird Vertrauen als Synonym für die Gewährung von Handlungs-, Entscheidungs-, Ermessensspielräumen verstanden (vgl. ebd.). Es geht dabei um Vertrauen als Instrument der Steuerung, die vorrangig über Kontrolle und in interpersonellen Konstellationen realisiert wird (vgl. Gondek/Heisig/Littek 1992; Heisig 1997; Heisig/Littek 1995a, 1995b; Neubauer 1997). Dieser Aspekt von Vertrauen als Instrument des Verdeckens und Stabilisierens von Spielräumen und damit auch von Macht wird in der deutschen Organisationsforschung durchaus kritisch gesehen (vgl. z.B. Neubauer/Rosemann 2006). Ob Kontrolle aus der Perspektive der Organisationsforschung in actu Misstrauen oder Vertrauen erzeugt, ist noch unklar; soweit ich es überblicke, liegen empirische (betriebswirtschaftliche oder psychologische) Studien dazu bisher nicht vor.20 Dass Vertrauen – ebenso wie Kontrolle – vorrangig Aufgabe und 20 Eine der ersten empirischen Annäherungen an diese Frage stammt von BijlsmaFrankema, Sitkin und Weibel (2015). Am Beispiel der Zusammenarbeit von Berufsgruppen an einem Gericht zeigen sie die Wirkungsoffenheit von Maßnahmen und die

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Gegenstand von Führung ist, scheint zwar in der deutschen wie in der englischsprachigen Managementliteratur Konsens zu sein (vgl. Böhle 2010; Böhle et al. 2014: 105ff., 171ff.; Kriegesmann et al. 2013). Kramer (2011) hebt aber zugleich hervor, dass ein als vertrauensbasierte Führung tituliertes Managementversprechen zu hohe und zu optimistische Erwartungen auslöst, während zugleich das komplexe Zusammenspiel von Vertrauen und Führung unterschätzt bleibt. Im Folgenden gehe ich daher auf den Aspekt von Kontrolle ausführlicher ein und lege dabei den Schwerpunkt auf Führungskräfte. 3.2.3 Institutionalisierung von Kontrolle zur Vertrauensherstellung Mit dem Wandel von und in Organisationen (vgl. Kap. 3.2.1) verändern sich auch die klassischen Formen der Kontrolle; diese sollen zum Teil durch Vertrauen ergänzt, zum Teil von Vertrauen abgelöst werden (vgl. Eberl 2002). Wie Vertrauen und Kontrolle sich in der konkreten Praxis zueinander verhalten, wird in der Forschung als weitgehend personenabhängig gesehen, ansonsten aber divergent diskutiert. Ebenso unklar ist die Einordnung von Misstrauen und Kontrolle und ihrem Verhältnis zueinander. Im Zuge der sogenannten Labour Process Debate (vgl. Braverman 1974) ab Mitte der 1970er Jahre wurden zahlreiche technisch-organisatorische und soziale Kontrollmechanismen identifiziert und diskutiert, mit denen betrieblicher Konsens, Kooperation und Arbeitsmotivation hergestellt werden (sollen). Marrs (2013) beschreibt unter Bezugnahme auf Friedman (1977) unterschiedliche Managementstrategien am Beispiel der „direkten Kontrolle“ in der tayloristischen Arbeit und der „verantwortlichen Autonomie“ im Angestelltenbereich:21 • Kennzeichnend für „direkte“ Kontrolle im Rahmen hierarchischer Über- und

Unterordnung zur Nutzung der Produktivitätspotenziale sind engmaschige, de-

Abhängigkeit ihrer Rezeption von individuellen und gruppenspezifischen Erwartungen und Einstellungen: „‚[B]lood-colored‘ lenses turn efforts to rebuild trust into suspicion-laden, negative attributions of malice, which reinforce distrust instead of paving the way to trust.“ (Ebd.: 17) Dieser Artikel bietet auch eine Übersicht über neun Studien aus den Jahren 1969 bis 2013, die den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Misstrauen fokussieren. 21 Ähnlich unterscheidet Buroway (1979) „despotische“ und „hegemoniale“ Kontrolle oder Edwards (1981) „persönliche“ oder „technische“ und „bürokratische“ Kontrolle (zitiert nach Marrs 2013).

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taillierte Anweisungen und eine Vorstrukturierung auf der Prozessebene ohne Gestaltungsspielräume (z.B. Arbeitstempo oder Arbeitsmethode) sowie die Bewertung und Sanktionierung von Arbeitsergebnissen. All dies wird als Misstrauensbekundung des Unternehmens gegenüber den Beschäftigten gesehen (vgl. Marrs 2013). „Dabei beziehen sich die Kontrollambitionen des Managements primär auf das Arbeitshandeln und die Arbeitsleistung der Beschäftigten und weniger auf deren Leistungs- oder Kooperationsbereitschaft, welche allenfalls durch den ökonomischen Anreiz des Leistungsentgelts sichergestellt werden soll; subjektive Fähigkeiten und Potentiale werden zumindest formal von den Arbeitenden nicht gefordert.“ (Ebd.: 309) • Als „verantwortliche Autonomie“ werden Kontrollbemühungen des Managements gefasst, die darauf abzielen, durch Beachtung und Wertschätzung von Interessen der Beschäftigten deren Vertrauen zu gewinnen, z.B. indem ihnen Autonomie und Gestaltungsspielräume gewährt und Aufstiegsoptionen oder Beschäftigungssicherheit geboten werden. „Die Unternehmen gehen mit ihren Beschäftigten soziale Tauschbeziehungen ein, wobei das Vertrauensmotiv daraus resultiert, dass die Unternehmensführung von dem Engagement, der Kooperation, der Kreativität und Qualifikation der Beschäftigten abhängig ist.“ (Ebd.: 310) Um Koordinations- und Transformationsprobleme zu lösen, gelten also aktuell Zugeständnisse an die Beschäftigten und die Wahrung ihrer Interessen als State of the Art: Ein emotional anerkennender Führungsstil und damit verbunden eine psychologisch geschickte Gestaltung von Arbeitsbeziehungen gelten als geeignetes Instrument, um einen betrieblichen Konsens zu erzielen und die Arbeitsmotivation zu steigern (vgl. Böhle 2013; Dirks 2006; Dirks/Skarlicki 2007). Dazu gehört ein Führungsstil, der den Beschäftigten Gestaltungsspielräume, d.h. Selbstverantwortung und Selbstorganisation bei der Leistungserbringung und bei Entscheidungen sowie eine stärkere Ergebnis- statt einer Prozesskontrolle zugesteht (vgl. Minssen 2013b: 465f.).22 Vertrauen und Kontrolle sind damit Führungsaufgaben, auch wenn unklar ist, wer eigentlich inwiefern als Führung adressiert wird (Topmanagement, mittleres 22 Neuere Konzepte wie „organisationale Achtsamkeit“ (Becke 2013) zielen darauf ab, den sozialen Zusammenhalt durch wechselseitige Anerkennung und Vertrauen zu stärken. Noch ist allerdings nicht einschätzbar, ob und inwieweit solche Konzepte die kalkulativ-strategische Dimension von Handlungskoordination anders wenden oder unterlaufen können. Auch ob Organisationen durch Zugeständnisse das Transformationsproblem bewältigen können und bekommen, was sie möchten, wird eher skeptisch gesehen (vgl. Holtgrewe 2005).

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Management, alle Beschäftigten als Führende ihrer selbst). Demgegenüber wenden Jäger und Coffin (2014) ein, dass eine Betrachtung von Kontrolle und der darin eingebetteten Rolle von Führung, die auf den Prozess der Handlungskoordination ausgerichtet sei, Vertrauen nur als trojanisches Pferd für Kontrolle identifizieren könne; eine konzeptuelle Betrachtung von Vertrauen in Organisationen müsse damit in eine Sackgasse münden. Sie kritisieren zu Recht, dass Führungskonzeptionen sich vor allem „auf Probleme der Kontrolle und der charismatischen Eigenschaften von Führungspersonen“ konzentrieren (ebd.: 311), und setzen dem Vertrauensdiskurs entgegen, dass „das Auftauchen von Vertrauen als Gegenstand organisationaler Kommunikation […] kein wünschenswerter, vielmehr ein möglichst zu vermeidender Zustand ist“ (ebd.: 312), um die dem Vertrauen immanente Möglichkeit, dass es enttäuscht wird, nicht der für Vertrauen notwendigen Latenz zu entreißen (vgl. ebd.: 313). Dieser Einwand unterstreicht, dass Vertrauen nicht nur im Miteinander durch „höfliche Nichtbeachtung […] als ‚Hintergrundgeräusch‘“ (Giddens 1990: 106) praktiziert wird (s.o. Kap. 3.2.3), sondern – entgegen dem proaktiven Managementdiskurs – selbst auch ein „Hintergrundgeräusch“ bleiben sollte. Das Rationalitätsparadigma des Taylorismus gilt in seiner Ausschließlichkeit zwar heute als überholt, doch die von Weber (2002[1922]) beschriebene Bürokratie ist zumindest anteilig bis heute ein Grundmuster von Organisation (vgl. Funder 2011: 384). Bei einer formalen Neu- und Umgestaltung dient sie häufig als Ausgangs- und Bezugspunkt, in der Beschreibung nichtformaler Phänomene von und in Organisationen wird sie als Erklärungs- und Kontrastierungsmuster herangezogen (vgl. Kieser/Walgenbach 2010[2003]: 32). Entsprechend gelten für die Handlungskoordination bzw. -steuerung Kontrollen durch die Führungskräfte weiterhin als unerlässlich und werden mal synonym, mal kontrastierend mit Vertrauen in Verbindung gebracht (vgl. Eberl 2012; Schneider 2006). Ein vollständiger Verzicht auf Kontrolle – sozusagen als ultimativer Vertrauensbeweis – scheint insgesamt undenkbar. Sowohl die gesellschaftliche Rolle von Führungskräften als auch ihre Bedeutung für die Organisationen der modernen Industrie- und Arbeitsgesellschaft scheint mit Kontrolle untrennbar verwoben zu sein.

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3.2.4 Vertrauen als Vertragsinhalt Das Bemühen um Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen oder die Art der Kontrolle werden nicht über einen formalen Vertrag geregelt, sondern in einer informalen „sozialen Tauschbeziehung“ (Blau 1964), in deren Rahmen ein sogenannter psychologischer Vertrag geschlossen wird (vgl. Argyris 1960; Levinson et al. 1962; Rousseau 1989, 1995; Schein 1980[1965]). „Die Erkenntnis des psychologischen Vertrags impliziert, dass das Individuum mit vielfältigen Erwartungen der Organisation gegenübertritt und dass die Organisation umgekehrt eine Erwartungshaltung bezüglich des Individuums einnimmt. Gegenstand dieser Erwartung ist […] das ganze Spektrum von Rechten, Privilegien und Pflichten zwischen Mitarbeiter und Organisation.“ (Schein 1980[1965]: 24)

Der psychologische Vertrag wird – neben dem formalen Mitglieds- bzw. Arbeitsvertrag – deshalb als erforderlich angesehen, weil der formale Kontrakt zwischen Organisation und Organisationsmitglied zwar Bedingungen wie Arbeitsort, -zeit und -entgelt regelt, nicht aber die Güte der Arbeit oder die Arbeitsmotivation; insofern ist er per se unvollständig (vgl. March/Simon 1958). Im Zusammenhang mit dem Wandel von Organisationen und der – vorrangig als positiv unterstellten – Konstitution von Vertrauen wird diese Vertragsform immer wieder thematisiert. Sie fällt ebenfalls in den Aufgabenbereich der Führungskräfte, denn die Vertragspartner_innen sind immer Personen, also i.d.R. Beschäftigte/r und Führungskraft; die abstrakte Organisation kann nach Auffassung der einschlägigen Forschung nicht Vertragspartnerin sein (vgl. Wehling 2013: 405). In einer solchen sozialen Tauschbeziehung müssen die Tauschobjekte – die Blau (1964) als sehr komplex beschreibt – immer wieder neu ausgehandelt werden. Typische Vertragsinhalte sind z.B. Karrieregarantien im Tausch gegen Leistungsbereitschaft und Loyalität (vgl. Hartmann 2013: 325). Moduliert wird der Inhalt durch Vertrauen: „Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit bilden das wichtigste Element des sozialen Austausches“ (Biele-Mefebue 2013: 52). Der Mehrwert von Vertrauen liegt in diesem Zusammenhang vermutlich darin, dass die Beschaffenheit der Tauschobjekte nicht immer wieder neu überprüft und kalkuliert werden muss (was auch gar nicht möglich wäre), sondern durch Vertrauen in konstruktiver Erwartung von einem anderen Merkmal auf das Tauschäquivalent geschlossen werden kann. Erschütterungen des Vertrauens führen zu einer Verletzung des psychologischen Vertrags und vice versa (vgl. Robinson 2006).

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Während die einzelnen Inhalte dieses Vertrags traditionell stärker auf relationale Aspekte wie Arbeitsplatzsicherheit, Loyalität und Fürsorge seitens der Organisation bezogen waren, zeichnet sich vor dem Hintergrund der in Kapitel 3.3.1 skizzierten Wandlungen eine Verschiebung hin zu kurzfristiger orientierten transaktionalen Inhalten ab, etwa hoher Leistungsorientierung oder der Akzeptanz von Unsicherheit (vgl. Hiltrop 1995). Die Ergebnisse einer Follow-up-Untersuchung von Kotthoff und Wagner (2008) zu Erwartungen von Hochqualifizierten an das Topmanagement legen nahe, dass solche transaktionalen Inhalte auf Vertrauen stabilisierend wirken. Kotthoff und Wagner gelangen zu dem Befund, dass sich vor dem Hintergrund der vermarktlichten und dezentralisierten Arbeitsbedingungen aus der Sicht der Beschäftigten die Vertrauensbeziehungen restabilisiert haben. Begründet wird dies mit der Auflösung von Senioritätsprinzipien23 und langfristigen Bindungen zugunsten eines neuen Fokus auf kurzfristigen Arrangements mit Hochleistungscharakter (vgl. ebd.).24 Minssen und Wehling (2011) können demgegenüber am Beispiel von Expatriates stellvertretend für die gegenwärtigen Erwartungen Hochqualifizierter zeigen, dass keine Verschiebung von relationalen zu transaktionalen Inhalten stattgefunden hat, sondern beide nebeneinander bestehen und dies zu neuen Widersprüchen und Verletzungen führt. Vor diesem Hintergrund nehme ich an, dass zwischen Kontrollerwartungen, Kontrollobjekten und Kontrollpraktiken einerseits und Angstvermeidung bzw. Verletzbarkeiten durch Rahmenbedingungen der Rolle und der Organisation andererseits empirisch ein Zusammenhang besteht. Außerdem legen diese Betrachtungen nahe, die interviewten Führungskräfte sowohl als Vertragsgebende (im Tausch mit hierarchisch Untergebenen) als auch als Vertragsnehmende (im Tausch mit dem Topmanagement bzw. dem/der eigenen Vorgesetzten) zu be23 Diese zeigten sich z.B. in der früheren ‚Kaminkarriere‘: Beschäftigte in einem spezifischen Funktionsbereich eines Unternehmens stiegen über die Jahre von Stufe zu Stufe auf. 24 Da Kotthoff und Wagner in ihrer Studie Vertrauen nicht als eigenständiges Konstrukt untersuchen und auch keine theoretischen Vorstellungen von Vertrauen analysieren, halte ich diesen Befund für zumindest fraglich. Auf jeden Fall wäre er zu konkretisieren, denn da unklar ist, wie Vertrauen definiert wurde, ist auch nicht klar, was unter einer Restabilisierung der Vertrauensbeziehung zu verstehen ist. Ich halte es für realistisch, dass hier heterogene Implikationen vorliegen, z.B. im Sinne von Sztompkas Ausführungen zu Vertrauen in Autokratien, in denen Enttäuschung, Gewalt und Willkür immerhin erwartbar sind und damit Verhaltenssicherheit geben und dies Folgsamkeit oder den Verzicht auf Widerstand bewirken kann, ohne dass das Handeln von Vertrauen bestimmt wäre.

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trachten. Diese Zusammenhänge und Facetten erscheinen mir für die Beantwortung meiner Frage nach Konstrukten und Praktiken des Dar- und Herstellens von Vertrauen im Verhältnis zu Misstrauen instruktiv, denn sie könnten das Spezifische von Intraorganisationsvertrauen erkennbar werden lassen.

3.3 Z WISCHENFAZIT In Kapitel 2 hatte ich hervorgehoben, dass ich aus den vertrauenssoziologischen Befunden zum Konstrukt Vertrauen insbesondere die Frage der Qualität sozialer Beziehungen, deren Ungewissheiten und Verletzbarkeiten und die Architekturen formaler und informaler Strukturen für wichtige Perspektiven halte, um Vertrauen zu untersuchen. In diesem Kapitel habe ich nun den Untersuchungskontext Organisation ins Zentrum gestellt und sondiert, um mich spezifischen Ungewissheiten innerhalb von Organisationen zu nähern. In den einschlägigen Debatten aus der Management-, der Organisations- sowie der Arbeits- und Industriesoziologie sind Gemeinsamkeiten deutlich geworden: Wandel, Entgrenzung, Vermarktlichung, Subjektivierung, Hierarchieabbau und Technisierung bzw. Standardisierung bei gleichzeitigem Abbau sozialer Interaktionen werden durchgängig kritisch diskutiert und als zentrale Herausforderungen der Gegenwart gesehen. Für den weiteren Gang meiner Untersuchung erscheinen mir aus diesen Debatten folgende Aspekte besonders wichtig: Erstens können Führungskräfte ebenso als Institution (von Vertrauen oder Misstrauen) wie als Institutionalisierende betrachtet werden. Ich werde mich auf Letzteres konzentrieren, aber im Zuge der Analyse auch Überlegungen zu ihrer Beschaffenheit und Wirkung als Institution anstellen. Zweitens sind Führungskräfte mit bestimmten Herausforderungen eines sozioökonomischen Kontextes konfrontiert, in dem sie sich im Zuge ihrer eigenen Subjektivierung unter Bedingungen der Flexibilisierung auch selbst positionieren müssen und in ihren impliziten Verträgen erschütterbar sind; ihnen wird nicht qua Hierarchie eine Position zugewiesen. Sie gestalten, steuern, kontrollieren also die Organisation, die Organisationsmitglieder und sich selbst. Drittens deutet sich beim Thema Kontrolle und Praktizieren von Kontrolle eine Nähe zu Vertrauen/Misstrauen an; wie es in Bezug auf Vertrauen und Misstrauen zu verorten ist, bleibt aber noch zu bestimmen. Viertens scheint der Kontext in und um Organisationen zumindest teilweise zugleich von tayloristischen und von flexibilisierten Strukturen, Ansprüchen und Folgen geprägt zu sein; dies ermöglicht eine große Vielfalt von Konstrukten und Praktiken von Vertrauen, insbesondere in Bezug auf Kontrolle. So könnte ein

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Ergebnis der empirischen Analyse sein, dass weniger eindeutige Tendenzen als vielmehr mehrdeutige Nuancierungen identifiziert werden können. Fünftens sind für den (sozioökonomischen) Kontext Organisation formale und informale Praktiken, Strukturen, Erwartungen und Beziehungsgeflechte gleichermaßen konstitutiv und relevant; dies rückt Zurechnungen und Plausibilisierungen in den Fokus der empirischen Untersuchung. Insgesamt hat die Darstellung ein für meine Untersuchung interessantes Spannungsverhältnis deutlicher gemacht: Gestaltungsspielräume, die auf Vertrauen basieren, und damit auch die individuelle Praxis und Rezeption von Kontrollen sind nicht so sehr in Bezug auf ihre koordinierend-steuernde Wirkung beachtenswert; um etwas über Intraorganisationsvertrauen herausfinden zu können, müssen sie vielmehr unterhalb dieser Ebene reflektiert werden, nämlich gerade als Konstrukte und Praktiken von Vertrauen, das sie damit auch in einer bestimmten Weise zu Misstrauen in Beziehung setzen. Mit diesem Interesse bietet es sich ganz besonders an, auf Interviews mit Führungskräften zurückzugreifen, denn diese entscheiden zumindest qua Hierarchie über Latenz und Explikation von Vertrauen und Institutionen, die als vertrauensassoziiert typisiert werden sollen. Wie ebenfalls deutlich wurde, darf aber auch die strukturellhierarchische doppelte Verortung von Führungskräften als Rezipient_in und als Objekt von Vertrauen nicht vernachlässigt werden. Denn Kontrolle und die Gewährung „verantwortlicher Autonomie“ beziehen sich auch auf Führungskräfte. Daher ist in der folgenden Analyse auch darauf zu achten, was als Bindungsund Tauschwert von Führungskräften gegenüber den Beschäftigten einerseits und gegenüber dem Topmanagement andererseits hervorgehoben wird und in welcher Weise. Das breite, sozialkonstruktivistische Verständnis von Institution bzw. Institutionalisierung nach Berger und Luckmann ermöglicht, nicht nur formale Regelungen zur Dar- und Herstellung von Vertrauen (z.B. ‚Vertrauensarbeitszeiten‘) herauszuarbeiten und zu beschreiben, was in Organisationen für Vertrauen gehalten wird.25 Mit diesem zugrunde gelegten Institutionenbegriff kann es nun vielmehr darum gehen, wie die organisationalen Akteure – hier also: Führungs-

25 Somit kann ich meine Analyse auf ein breiteres Drittparteien-Verständnis beziehen und muss nicht die in der Arbeits- und Organisationsforschung etablierte Zielgruppe der Betriebsräte als mögliche strukturelle Repräsentanz für Vertrauen fokussieren. Die in den Interviewtranskripten mit Führungskräften deutlich werdenden Konstrukte und Praktiken können nuancierter, stärker auf empirische Bedingungen und Konsequenzen fokussiert, in ein theoretisches Modell des prozesshaften Verankerns von Vertrauen einbezogen werden.

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kräfte – Vertrauen, damit assoziierte Institutionen und ihre Rolle in Bezug auf Vertrauen konstruieren.26 Im nächsten Kapitel erläutere ich meine empirische Herangehensweise zur Bearbeitung meiner Fragestellung.

26 Zucker hat den Institutionenbegriff im Kontext von Organisationen in zahlreichen Arbeiten analysiert (u.a. 1986, 1987, 1997). Das von mir angestrebte Analysepotenzial von und durch Institutionen schließt sie jedoch weitgehend aus, weil Institutionen ihres Erachtens zu dynamisch sind, um verlässliche Rückschlüsse auf Ressourcen oder Macht zuzulassen (vgl. Zucker 1997). Andererseits hebt sie die ausgeprägte Beständigkeit von Institutionen und ihre Resistenz gegen Änderungsversuche hervor; insofern erscheint mir ein solches Analyseinteresse mit ihrem Ansatz durchaus vereinbar.

4. Forschungshaltung und methodisches Vorgehen

In den letzten beiden Kapiteln habe ich den Untersuchungsgegenstand Vertrauen und den Untersuchungskontext Organisation vorgestellt und ihre Bezüge im Rahmen der empirischen Untersuchung konkretisiert. In diesem Kapitel geht es nun um das ‚Wie‘ der Untersuchung.1 Um die vertrauensassoziierten Konstrukte und Praktiken von Führungskräften in Organisationen zu untersuchen, können sowohl quantitative als auch qualitative Methoden, aber auch Mixed-methods-Verfahren oder Triangulation2 geeignet sein. Als Methode für die vorliegende Arbeit wurde eine Semi-Sekundär1

Dies erscheint mir nicht zuletzt deshalb wichtig, weil in Diskussionen mit Forschenden aus anderen Disziplinen oder anderen sozialwissenschaftlichen Schulen immer wieder dieselben Klärungsbedarfe entstanden, z.B. zur Rolle von Kontext- und Vorwissen, der Verbindung induktiver und deduktiver Interessen und dem in Deutschland noch wenig verbreiteten Ansatz der qualitativen Sekundäranalyse.

2

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von mixed methods research (MMR) und klassischer Triangulation sind in der Methodenforschung nicht klar definiert. Bei beiden kann es um eine Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren gehen, aber auch um eine Kombination verschiedener Ansätze aus dem quantitativen oder dem qualitativen Methodenset. In der von Denzin (1978) dominierten Tradition innerhalb der EU gilt MMR als Unterform der Triangulation; in den USA, wo aktuell intensiver über Methoden debattiert wird, gilt Triangulation als Unterform von MMR. Das Ziel ist in beiden Fällen nicht Übereinstimmung, sondern die Möglichkeit, Stärken und Schwächen der jeweiligen Analysewege aufzuzeigen. Dazu können unterschiedliche Datenquellen, Autoren und Autorinnen, Theorien, Methoden oder Meinungen verglichen werden. Triangulation wird aber auch zur Validierung von Befunden eingesetzt, auch wenn Denzin in einem neueren Werk betont, sie sei „not a tool or strategy of validation“ (Denzin 2012: 80).

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analyse von Interviewtranskripten gewählt, die in Anlehnung an die qualitative Methodologie der Grounded Theory nach Strauss (1998[1991]) und Strauss/ Corbin (1996) durchgeführt wird. Die Grounded Theory ist „weltweit eine der verbreitetsten Vorgehensweisen qualitativer Sozialforschung, die sich auch in größerem Umfang in praxisrelevanten Forschungsprojekten bewährt hat“ (Legewie 1996: Onlineskript). Darum erläutere ich im Folgenden zunächst ausführlich die Methodologie und die theoretischen Wurzeln der Grounded Theory nach Glaser und Strauss sowie ihre Weiterentwicklung nach Strauss und Corbin, um mein wissenschaftliches Selbstverständnis im Untersuchungsprozess darzulegen (Kap. 4.1). Anschließend beschreibe ich konkrete Verfahren, mit denen die dargestellte Forschungshaltung in der Analyse empirischer Daten methodisch umgesetzt wird (Kap. 4.2). Da die Methodik dieses Stils der Grounded Theory in zahlreichen Publikationen und Lehrbüchern eingehend behandelt wird, beschränke ich mich hier darauf, Grundregeln und Techniken vorzustellen, die ich in meiner eigenen Untersuchung anwende, und sie darauf bezogen zu skizzieren. Im letzten Kapitel gehe ich dann auf die spezifischen Bedingungen einer SemiSekundäranalyse ein und zeichne ihre datenschutzrechtlichen Anforderungen nach. Weil die Methode der qualitativen Sekundäranalyse in der deutschen Sozialwissenschaft bislang kaum verbreitet ist, gehe ich auf diesen Aspekt ausführlicher ein (Kap. 4.3).

4.1 V ORGEHEN

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S TIL DER G ROUNDED T HEORY

Die Grounded Theory zielt darauf ab, „durch einen ganz bestimmten Stil von qualitativer Datenanalyse […] zu einem tieferen Verständnis von sozialen Phänomenen [zu kommen]“ (Strauss 1998: 19). Sie will nicht einen jeweils spezifischen Fall der sozialen Wirklichkeit beleuchten, wie es z.B. Fallstudien beabsichtigen, sondern theoretische Erkenntnis über einen bestimmten Gegenstand generieren und damit bestehende Theorien kritisch hinterfragen. Ziel dieser Vorgehensweise ist immer die Formulierung instruktiver neuer Theorien, die helfen, die „Realität ans Licht“ (ebd.: 7) zu bringen. Die Grounded Theory steht somit für eine bestimmte Forschungshaltung und wird daher auch als „Grounded-Theory-Methodologie“3 (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 193) bezeichnet – oder auch als eine „Kunstlehre“ der „Prozesse wissenschaftlichen Erkenntnisge-

3

Im Folgenden werden die Begriffe ‚Grounded Theory‘ (kurz: GT) und ‚GroundedTheory-Methodologie‘ synonym verwendet.

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winns insgesamt“ (Strübing 2008: 16).4 Strauss und Corbin (1996: 11) nennen „Signifikanz, Vereinbarkeit von Theorie und Beobachtung, Generalisierbarkeit, Präzision, Regelgeleitetheit und Verifizierbarkeit“ als Grundsätze dieser Vorgehensweise: „Es geht nicht darum, ob diese Richtlinien erfüllt werden, sondern wie sie […] interpretiert und definiert werden. Die genannten Kriterien repräsentieren nur die allgemeinsten Regeln, die weiter spezifiziert werden müssen. Qualitative Forscher laufen Gefahr, sie zu eng im Sinne der mehr positivistischen Interpretationen in der quantitativen Forschung auszulegen. Wer Entdeckungsstrategien vorschlägt, sollte in der Tat spezifischere Maßstäbe für diejenigen Verfahren erarbeiten, die sich in den jeweiligen Untersuchungen als brauchbar erwiesen haben.“ (Ebd.: 12; Hervorh. im Original)

Im Folgenden skizziere ich zunächst die Entwicklung dieses Ansatzes durch Barney Glaser und Anselm Strauss. Anschließend konturiere ich das Theorieverständnis von Strauss und begründe meine Entscheidung für die pragmatistischinteraktionistische Variante der Grounded Theory nach Strauss und Strauss/ Corbin. Dabei erläutere ich auch die inhaltliche Bedeutung meines Vorwissens bei der Themenwahl und ordne meine Forschungshaltung ein. 4.1.1 Entwicklung und Grundannahmen der Grounded Theory Die Grounded Theory (GT) wurde in den 1960er Jahren zunächst von Barney Glaser und Anselm Strauss gemeinsam entwickelt, die dann später unabhängig bzw. in Abgrenzung voneinander jeweils eigene Ansätze ausbildeten und verfeinerten. Glaser und Strauss beforschten gemeinsam die Interaktion zwischen dem Klinikpersonal und Sterbenden in Krankenhäusern. Die dabei angestellten forschungsmethodologischen Überlegungen beschrieben sie in dem Aufsatz „Discovery of Substantive Theory: A Basic Strategy Underlying Qualitative Research“ (1965). In ihrer zwei Jahre später erschienenen Monografie „The Discovery of Grounded Theory: Strategies for Qualitative Research“ (Glaser/Strauss 1967) setzten sie sich gezielt mit forschungsstrategischen und forschungsmethodischen Fragen auseinander und zeigten einen Weg auf, in enger Anbindung an empirische Daten neue Theorien zu entwickeln, anstatt nur bestehende Theorien anhand empirischer Daten zu überprüfen. Damit wendeten sich Glaser und 4

Strübing zitiert hier Star (1991), die in der Bezeichnung ‚Grounded Theory‘ ein „Oxymoron“ von Arbeitsaktivität und Arbeitsergebnis sieht und dies als zentrales Charakteristikum der Forschungshaltung ausweist (Strübing 2008: 14).

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Strauss gegen die nomologische, funktionalistische, positivistische und hypothetico-deduktive Sozialforschung der 1950er und 1960er Jahre, die sich aus ihrer Sicht darin erschöpfte, Aussagen zu quantifizieren und alternative Hypothesen zu schon bestehenden Theorien zu testen (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 191ff.). Sie forderten empirisch Forschende auf, sich zugunsten einer primär induktiv geprägten Haltung so weit wie möglich von Vorab-Hypothesen zu lösen, und plädierten dafür, die Daten „sprechen zu lassen“ und in einem emergenten Prozess durch fortdauernde Vergleiche eine in den Daten begründete Theorie – eine Grounded Theory – zu entwickeln.5

5

Diese Forderung wurde und wird bis heute als Tabula-rasa-Position (miss-)verstanden, die jedes theoretische oder alltagsweltliche Wissen ablehnt. Strauss bezeichnet sie später als eine polemische Zu- und Überspitzung und betont in der Darlegung seiner pragmatistischen Wirklichkeitsauffassung, dass Alltagserfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse als „sensibilisierende Konzepte“ systematisch in den emergenten Prozess der Theorieentwicklung einzubeziehen und dafür nutzbar zu machen seien; die Forschenden müssten also nicht nichts, sondern im Gegenteil möglichst viel wissen (vgl. Strauss 1998). Glaser (1992) hingegen bestärkt die Haltung, dass Erkenntnis nur rein induktiv zu gewinnen sei. Seine Position wird beispielsweise von Witzel (1982) und Strübing (2002) als „naiver Induktivismus“ kritisiert, womit ihm m.E. allerdings Unrecht getan wird, denn Glaser selbst schreibt: „[B]ackgrounds of assumptions, experiences and knowledge can at best only imbue our open coding; they do not dictate it.“ (Glaser 1992: 50) Eine kategorische Verneinung von Vorannahmen (zu Beginn eines Forschungsprozesses) spricht er damit nicht aus. Die Divergenz zwischen seinem Ansatz und dem von Strauss bzw. Strauss und Corbin bezieht sich vielmehr auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt welche Literatur eingesetzt wird. Glaser votiert dafür, so lange keine oder höchstens theoretisch-abstrakte Literatur zu nutzen, bis aus dem Material heraus eigene Kategorien entwickelt wurden, und Literatur, die unmittelbar das Forschungsfeld thematisiert, erst später einzubeziehen (vgl. Glaser 1992: 31ff.). „But reading and use of the literature is not forsaken in the beginning of a grounded theory project, just because related literature is reserved until the later stages of a project. It is vital to be reading and studying from the outset of the research, but in unrelated fields.“ (Ebd.: 35; Hervorh. im Original) Damit grenzt Glaser seine Position mit Verweis auf das Kernelement der Genese von Konzepten und Hypothesen von der von Strauss und Corbin ab, die die Nutzung jeglicher Art von Literatur von Beginn an bejahen (vgl. ebd.: 31ff.). In der Gewinnung von Vorwissen aus fachbezogener Literatur sieht er im Gegensatz zu Strauss und Corbin die Gefahr einer hypothetico-deduktiven Verfahrensweise. Für meine sekundäranalytische Untersuchung lassen sich die Anforderungen Glasers nicht mehr umsetzen; mit der Variante

F ORSCHUNGSHALTUNG

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Der Prozess des Kodierens und des permanenten Vergleichs ist in der Grounded Theory das zentrale Prinzip der Auswertung. Konkret ist damit gemeint, dass Phänomene, die sich in einzelnen Textstellen zeigen, mit einem Kode gekennzeichnet werden; anschließend wird gezielt nach anderen Textstellen gesucht, die ähnliche oder kontrastierende Phänomene aufweisen. Die Grundidee realisiert sich in einem mehrstufigen, zyklischen Auswertungsverfahren, das auf einem ständigen Vergleich von Daten basiert: „Dieses ständige Vergleichen von Vorkommnissen führt sehr bald zur Generierung von theoretischen Eigenschaften der Kategorien.“ (Glaser/Strauss 1998: Fn. 11)6 In Bezug auf das Ergebnis dieses emergenten Prozesses differenzieren Glaser und Strauss zwei Formen bzw. Reichweiten: „gegenstandsbasierte Theorien“, die sich auf ein bestimmtes Phänomen beziehen und damit in ihrer Reichweite und ihrer Verallgemeinerbarkeit begrenzt sind, und „formale Theorien“, die universelle Geltung beanspruchen (vgl. Strübing 2008).7 Insgesamt war das Werk „The Discovery of Grounded Theory“ von Glaser und Strauss programmatisch angelegt, das analytische Vorgehen wurde darin eher skizziert als konkret ausgeführt (vgl. Mey/Mruck 2011: 12). Bei der weiteren Ausdifferenzierung und Präzisierung einer wissenschaftlich tragfähigen und verifizierbaren Methodik trennten sich dann die Wege der Autoren; sie entwickelten stark voneinander abweichende Varianten der GT, in denen ihr jeweiliger Forschungshintergrund deutlich wurde. Glaser veröffentlichte im Jahr 1978 sein Buch „Theoretical Sensitivity. Advances in the Methodology of Grounded Theory“, in dem er die Tabula-rasa-Position bekräftigte und betonte, dass Theorien aus den Daten emergieren müssten. Strauss seinerseits entwickelte in „Qualitative Analysis for Social Scientists“ (1987) eine pragmatische Variante der GT, die er instruierend darstellte; später verfolgte er sie dann gemeinsam mit der Pflegewissenschaftlerin Juliet Corbin weiter. Zusammen publizierten Strauss und Corbin im Jahr 1990 ein einführendes Lehrbuch mit dem Titel „Basics of der Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin lässt sich mein Vorwissen hingegen vereinbaren und für die Untersuchung produktiv nutzen. 6

Als Kategorien werden dabei Elemente der sich entwickelnden Theorie bezeichnet, die durch ständiges Vergleichen aus den Daten herausinterpretiert und theoretisiert werden.

7

Die vorliegende Untersuchung zielt auf die Entwicklung einer gegenstandsbasierten Theorie, ohne dabei eine maximal aus den Daten heraus entwickelte, abstrahierte und möglichst dichte Theorie anzustreben. Vielmehr soll am Beispiel von leitenden Führungskräften in Unternehmen eine die empirische Praxis erklärende Theorie zu den Verfahren erarbeitet werden, mit denen in Organisationen Vertrauen gedeutet, gebildet und ggf. zerstört wird.

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Qualitative Research: Grounded Theory Procedures and Techniques“, in dem sie u.a. die Technik des axialen Kodierens, das Kodierparadigma und ein generelles „model of action“ für die Modellbildung entwickelten. Auf diesen Ansatz reagierte Glaser 1992 mit der im Selbstverlag herausgegebenen Monografie „Emergence vs. Forcing. Basics of Grounded Theory Analyses“. Darin beanspruchte er für seine Version der „klassischen Grounded Theory“, dass nur diese aus Daten Theorien hervorzubringen vermöge („emergence“), während er Strauss und Corbin vorwarf, den Daten vorgefertigte theoretische Konzepte aufzuoktroyieren („forcing“) (vgl. Kelle 2005).8 Er polemisierte fachlich und persönlich scharf gegen die Arbeit von Strauss und Corbin und endete mit der an Strauss gerichteten Forderung, das Buch zu verwerfen: „Ich ersuche Dich, das Buch [Grundlagen qualitativer Sozialforschung] zurückzuziehen. Es verzerrt und verkennt die Grounded Theory, während es 90% ihrer wichtigen Ideen krass vernachlässigt.“ (Glaser 1992: 2, zit. n. Strübing 2008: 65) Glaser verurteilte insbesondere den Versuch, die GT zu einer methodisch lehrbuchhaften und an wissenschaftlichen Kriterien der Überprüfbarkeit orientierten Vorgehensweise zu entwickeln und sie von einer Forschungstheorie in eine Forschungsmethodik zu übersetzen. Aus seiner Sicht kam dies einem Verrat an der klassischen GT gleich. Strauss hat auf Glasers scharfe Kritik nie öffentlich reagiert. Bis zu seinem Tod im Jahr 1996 entwickelte er gemeinsam mit Corbin die GT in der pragmatistischen Haltung weiter; seither setzt Corbin diesen Weg fort und publiziert weiterhin zu dieser gemeinsam mit Strauss entwickelten Form. Glaser eröffnete nach Straussʼ Tod das Institute for Grounded Theory und rief beispielsweise in „Doing Grounded Theory: Issues and Discussions“ (1998) weiterhin zum „just-do-it“ (ebd.: 1) auf.

8

Strübing (2008) gibt eine detaillierte Übersicht über die Unterschiede zwischen den beiden konkurrierenden Ansätzen. Er fasst die beiden Positionen – durchaus wertend – folgendermaßen zusammen: „Glasers Ansatz hat Udo Kelle nicht ganz zu Unrecht als einen dem frühen englischen Empirismus gleichenden ‚dogmatischen Rechtfertigungsinduktivismus‘ bezeichnet (Kelle 1996). Strauss hingegen steht für ein wesentlich differenzierteres und forschungslogisch besser begründetes Verfahren, das insbesondere in der Frage des Umgangs mit theoretischem Vorwissen sowie im Hinblick auf die Verifikationsproblematik sorgfältiger ausgearbeitet ist. […] Wo Glaser […] in Emergenzmetaphern verfällt, entwickelt Strauss ein dialektisches Verhältnis von Theorie und Empirie und kann damit die Existenz und den notwendigen Gebrauch von theoretischem Vorwissen schlüssig in sein Verfahren integrieren, statt es – wie Glaser – durch die Hintertür theoretischer Kodes an die Daten herantragen zu müssen.“ (Ebd.: 76f.)

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Trotz dieser Divergenzen ist die GT in der qualitativen Sozialforschung mittlerweile fest etabliert (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014; Strübing 2008). Glaser und Strauss haben für ihre jeweiligen Varianten beide die Bezeichnung ‚Grounded Theory‘ beibehalten. Insofern firmieren darunter nun mindestens drei Ansätze: erstens der von Glaser und Strauss gemeinsam entwickelte, zweitens der von Glaser weiterentwickelte und drittens der von Strauss bzw. Strauss und Corbin weiterentwickelte (für eine Übersicht über diese drei Ansätze siehe Kelle 1996).9 Hinzu kommen weitere Varianten, die auf diesen Grundlagen aufbauen und vorrangig für theoriegenerierende Fragestellungen genutzt werden (z.B. Charmaz 2014; Kelle/Kluge 2010; Strübing 2008). Im Folgenden gehe ich ausführlicher auf den Ansatz von Strauss und Corbin ein, den ich meiner eigenen Untersuchung zugrunde lege. 4.1.2 Die Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin Strauss und Corbin definieren ihre Variante der GT als „a qualitative research method that uses a systematic set of procedures to develop an inductively grounded theory about a phenomenon“ (1990: 2; Hervorh. im Original). Sie fassen darunter also sowohl ein methodisches Set systematischer Prozeduren als auch das Ergebnis eines Forschungsprozesses. Dieses Verständnis liegt im erkenntnistheoretischen Standpunkt von Strauss begründet, dem zufolge die Qualität einer Theorie vom Prozess ihrer Generierung abhängt. Die GT ist für Strauss ein Forschungsstil, „nach dem man Daten qualitativ analysiert und der auf eine Reihe von charakteristischen Merkmalen hinweist: Hierzu gehören u.a. das theoretical sampling und gewisse methodologische Leitlinien, wie etwa das 9

Bei den Ansätzen von Glaser und Strauss bzw. Strauss und Corbin handelt es sich aufgrund der „jeweils geltend gemachten wissenschafts- und erkenntnistheoretisch fundierten Begründungen und Anschlüsse […] um zwei grundverschiedene Verfahren qualitativer Sozialforschung“ (Strübing 2008[2004]: 76). Dies bedeutet u.a., dass man sich in Untersuchungen nach dem Ansatz der Grounded Theory explizit für eine Variante entscheiden und dies methodisch begründen muss (vgl. ebd.: 77). Strauss selbst tendiert allerdings dazu, die Unterschiede eher zu nivellieren: „Mein Kollege Barney Glaser, der die qualitative Analyse im Stil der Grounded Theory mitentwickelt hat, lehrt und benutzt diesen Analysemodus im Prinzip genau so, wie ich das auch tue. Es gibt schon ein paar – doch nur geringfügige – Unterschiede in den spezifischen Lehrstrategien und vielleicht auch in der konkreten Durchführung der Forschung.“ (Strauss 1998: 22) Ich selbst sehe dagegen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten; das liegt möglicherweise daran, dass ich insbesondere der von Glaser geforderten Tabula-rasaHaltung als Voraussetzung für Emergenz kritisch gegenüberstehe.

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kontinuierliche Vergleichen und die Anwendung eines Kodierparadigmas, um die Entwicklung und Verdichtung von Konzepten sicherzustellen.“ (Strauss 1998: 30) Dass diese Variante der GT für die vorliegende Untersuchung besser geeignet ist als die von Glaser weiterentwickelte Variante, hängt ebenfalls mit Straussʼ theoretischer Herkunft zusammen. Strauss stand anders als Glaser in der pragmatistisch-interaktionistischen soziologischen Tradition der Chicago School (vgl. Strübing 2008: 18). Davon ist auch sein Verständnis von Forschung geprägt: Er fordert eine intensive Auseinandersetzung mit Daten, um zu möglichst robusten Theorien zu gelangen (Strauss 1998: 25f.). Das erfordert beständige Quervergleiche, die über die Untersuchung einzelner Situationen, Organisationen und Institutionen hinausgehen (ebd.: 26). Der von Strauss geprägten Grounded Theory liegt damit eine Epistemologie und Wissenschaftstheorie zugrunde, die eng mit der Erkenntnistheorie und Sozialphilosophie des Pragmatismus und Interaktionismus von Dewey, Blumer und Mead verbunden ist (vgl. Strauss 1998: 30). Strauss versteht soziale Phänomene als stets komplexe Phänomene mit Handlungsbezug, die in intensiver Forschungsarbeit interpretiert werden müssen: Die Interpretation folgt bestimmten „Leitlinien und Faustregeln“ (Strauss 1994: 32), nicht jedoch „Vorschriften“ (ebd.), die „exakt, präzise und klar in der Technik“ wären (ebd.: 19ff.). Im Gegensatz zu Glaser insistiert Strauss darauf, dass Theorien, auch wenn sie aus den Daten heraus entwickelt wurden, dennoch auf ihre Geltung zu überprüfen sind. Den Entwurf einer Theorie, deren Ausarbeitung und ihre Überprüfung beschreibt er als Dreischritt von Induktion, Deduktion und Verifikation: „Mit Induktion sind die Handlungen gemeint, die zur Entwicklung einer Hypothese führen – d.h. der Forscher hat eine Vermutung oder eine Idee, die er dann in eine Hypothese umwandelt und schaut, ob diese, zumindest vorläufig, als Teilbedingung für einen Typus von Ereignis, Handlung, Beziehung, Strategie usw. brauchbar ist. Hypothesen sind sowohl vorläufig als auch konditional. Deduktion heißt, daß der Forscher Implikationen aus Hypothesen und Hypothesensystemen ableitet, um die Verifikation vorzubereiten. Die Verifikation bezieht sich auf Verfahren, mit denen Hypothesen auf ihre Richtigkeit überprüft werden, d.h. ob sie sich ganz oder teilweise bestätigen lassen oder verworfen werden müssen. Mit Induktion, Deduktion und Verifikation arbeitet der Forscher über die gesamte Dauer des Projekts.“ (Strauss 1998: 37)

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Um der Komplexität sozialer Phänomene gerecht zu werden, hält Strauss eine detaillierte, intensive und systematische Analyse von Daten (z.B. aus Interviews) für erforderlich. Diese führt zur Entwicklung von Konzepten, welche die zentralen Phänomene charakterisieren und helfen, sie zu interpretieren und zu erklären. Dabei muss die Interpretation der Daten, die in einer Untersuchung in die Konzepte eingeht, nicht die einzig mögliche sein. Sie muss jedoch plausibel und nachvollziehbar sein und sich verifizieren lassen. Kontext- und Erfahrungswissen der Forschenden bilden in diesem Dreischritt eine Ressource und einen „Datenfundus“ (ebd.: 36), der „nicht nur die Sensitivität bei der Theoriebildung erhöht, sondern eine Fülle von Möglichkeiten liefert, um Vergleiche anzustellen, Variationen zu entdecken und das Verfahren des Theoretical Sampling anzuwenden“ (ebd.: 36f.). Ähnlich wie Strauss in seinem Dreischritt ging es auch schon dem empiristisch arbeitenden Philosophen und Pädagogen John Dewey (1934)10 darum, auf der Basis vorliegender Daten Ideen („ideas“) zu entwickeln, daraus denkexperimentell logisch erwartbare Konsequenzen abzuleiten („reasoning“) und diese experimentell zu überprüfen („experiment“). Dabei ist das Vorbild der wissenschaftlichen Untersuchung alltagspraktisches Handeln. Den Ausgangspunkt für neue praktische wie auch wissenschaftliche Erkenntnis bildet der „praktische Zweifel“, der dann aufkommt, wenn Verhaltensgewohnheiten durch Routinebrüche und Widerstände herausgefordert werden. Der praktische Zweifel setzt einen Problemlösungsprozess in Gang, der in einer mehr oder weniger systematischen Untersuchung der Realität besteht („inquiry“).11 Diese erfolgt als iterativer Prozess, der so lange durchlau-

10 Strauss rezipierte für die Entwicklung seiner Methodologie u.a. die Arbeiten zur empiristischen Philosophie von John Dewey (geb. 1859) und integrierte pragmatistische Elemente von dessen Überlegungen in den Symbolischen Interaktionismus, indem er die praktische Erfahrung ins Zentrum stellte. 11 Dewey (1934) beschreibt dafür fünf Schritte: Den Ausgangspunkt jeder Untersuchung bildet eine wie auch immer geartete problematische Situation der Ungewissheit bzw. des Zweifels. Im zweiten Schritt führt dieser Zweifel zu einer vorläufigen Problemstellung, die den Fokus der Untersuchung und Erklärungsfindung bestimmt. Im dritten Schritt werden aktiv „Fakten“ gesammelt, selektiert und interpretiert, die zur Analyse des Problems beitragen sollen. Dabei werden anhand dieser Fakten zugleich Ad-hocHypothesen („suggestions“ und „ideas“) zu einer möglichen Problemlösung entwickelt. Im vierten Schritt, der Beweisführung („reasoning“), werden die Ideen, Fakten und Hypothesen zueinander in Beziehung gesetzt; dabei wird gefragt, welche praktischen Konsequenzen die Lösungsideen jeweils für das untersuchte Problem haben könnten. Im fünften und entscheidenden Schritt, dem „Experiment“, werden die

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fen wird, bis alle Bedenken aufgelöst sind. Der (sozial-)wissenschaftliche Forschungs- und Erkenntnisprozess der GT nach Strauss unterscheidet sich von diesem lebens- und alltagsweltlichen Ablauf unter Nutzung von Kontext- und Vorwissen zwar graduell – etwa durch eine stärkere Systematik, explizite Regeln und Gütekriterien –, aber nicht grundlegend. Straussʼ sozialtheoretischer Ansatz steht damit in einigen zentralen Charakteristika diametral zu anderen Lehren, vor allem in der Absage an eine strikte, idealtypische Abfolge von Prozessschritten zugunsten einer Vorgehensweise, in der die Prozesse der Datenerhebung und -auswahl, Datenanalyse und Theoriebildung zeitlich parallel erfolgen und sich wechselseitig beeinflussen, um zu robusten Theorien zu gelangen. Die Theorie bildet nicht das einzig mögliche, objektiv wahre Ziel des Forschungsprozesses, der anhand von Kriterien, Klassifizierungen und Sortierungen verifiziert wird. Sie wird vielmehr so gegenstandsangemessen wie möglich erarbeitet, wobei der Forschungsprozess sich von Anfang an durch Kreativität, Offenheit und Flexibilität auszeichnet. Durch den kontinuierlichen Wechsel zwischen analytischem Handeln und Reflexion wird der Forschungsprozess aus sich selbst heraus gesteuert. Denn nach Strauss stehen der untersuchte Gegenstand und die Forschenden, die sich damit befassen, in einer Wechselbeziehung, die beide verändert. Forschende sind demnach nicht einfach neutrale Beobachtende, sondern „als Interpreten der Daten und Entscheidende über den weiteren Gang der theoretischen Argumentation immer auch Subjekte des Forschungsprozesses“ (Strübing 2008: 16). Strauss übernimmt dabei von Dewey die Auffassung, dass sich ‚Kunstwerk‘ (die Interpretation) und ‚Künstler_in‘ (der/die Interpretierende) in der Bezugnahme aufeinander verändern und in diesem Prozess „beide eine Ordnung und eine Form annehmen, die sie vorher nicht besaßen“ (Dewey 1934: 63, zit. n. Strauss 1998: 35). Auf Straussʼ theoretische Bezüge12 führen Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) zwei Prinzipien der GT nach Strauss und Strauss/Corbin zurück. Das erste ist das Prinzip der Akteursorientierung bei gleichzeitiger „Betonung der Veränderbarkeit der Phänomene (change), die untersucht werden, sowie der Notwendigkeit, dem durch eine prozessuale Methode gerecht zu werden“ (ebd.: 198f.). Das zweite ist die Ablehnung eines strikten Determinismus ebenso wie eines strikten Non-Determinismus, also der Annahme, dass Handlungen, Entscheidungen etc. durch die Rahmenbedingungen bestimmt werden oder aber von Hypothesen, die zur Problemlösung beitragen sollen, daraufhin überprüft, ob sie sich in der Praxis bewähren und somit als wahr oder zutreffend gelten können. 12 Straussʼ soziologische Prägung durch die Denkrichtung der Chicago School kann als pragmatistisch, iterativ-zyklisch und handlungstheoretisch-interaktionistisch konturiert werden.

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diesen völlig unabhängig sind. In der Forschungspraxis bedeutet dies, dass in die Interpretation auch prozessuale Aspekte wie Bedingungen, Optionen, Entscheidungen und Konsequenzen einbezogen werden (vgl. ebd.). Nach Straussʼ Variante der GT unterliegt die soziale Wirklichkeit Prozessen, die im Individuum, in Gruppen und Organisationen stattfinden, und damit einer ständigen Veränderung. Diese komplexen Prozesse und die sich daraus ergebenden Veränderungen, die „Vielfalt von sozialweltlichen Gegebenheiten und die damit verbundenen Zufälligkeiten“ (Strauss 1998: 32) – oder „das dröhnende, verflixte Durcheinander“ (ebd.: 31), wie Strauss es auch formuliert – gilt es möglichst weitgehend zu verstehen, nicht zu reduzieren. Darum sind die Forschenden im Prozess des Aufdeckens und Entdeckens grundsätzlich mit der Frage konfrontiert, wie die von ihnen untersuchte komplexe Wirklichkeit verstanden und überzeugend formuliert werden kann. Dieser Anspruch widerspricht einer rigide systematisierten Vorgehensweise, die „alle Anstrengungen eines Sozialwissenschaftlers nur hemmen oder sogar ersticken würde“ (ebd.). Strauss beschreibt diese Prinzipien und erkenntnistheoretischen Annahmen als „Kultur der Grounded Theory“ (ebd.: 354f.). Darin hebt er mit Rekurs auf seine über viele Jahre bestehende Arbeitsgruppe u.a. das kooperative Miteinander jenseits von Wettbewerb positiv hervor.13 Die Art des Arbeitens beschreibt er im Kontrast zum „humanistischen Modell des einsamen Gelehrten“ als „Abenteuer“, bei dem die Konfrontation mit möglichst heterogenen Einwänden die „Begründetheit“ und „Robustheit“ von Theorien hervorbringt, die sich aus „widersprüchlichen Daten“ mit auszuhandelnden „widersprüchlichen Standpunkten“ ergeben, deren Interpretation keine „rein zentralistische oder rein logische Organisation“ zulässt (ebd.). Strauss verankert die „Kultur der Grounded Theory“ somit nicht in den theoretischen Bezügen, sondern in der Praxis der Anwendung. Sein pragmatistischer Hintergrund manifestiert sich auch in der Operationalisierung der GT, die er gemeinsam mit Corbin unternimmt, und darin, dass er seine Ideen in ein Lehrbuch mit konkreten praktischen Tipps und Empfehlungen für eine GT-basierte Forschung überführt hat. Strauss schreibt für die methodische Anwendung der 13 Das folgende Zitat illustriert die Arbeitshaltung in dieser Gruppe: „Es war aber nicht einfach nur so, daß wir einen gemeinsamen analytischen Fokus hatten; in Wirklichkeit waren wir sehr verschieden. Das Auffällige in unserer Gruppe war, daß wir gelernt hatten, kooperativ und unterstützend miteinander zu arbeiten. […] Diese Praxis ist das krasse Gegenteil zu der Art des Arbeitens in weiten Teilen der akademischen Welt, wo man eine kostbare Idee hat und diese über Jahre hinweg einsam vor sich hin pflegt, die man schließlich präsentiert und wie ein schönes Geschenk enthüllt.“ (Ebd.; Hervorh. im Original)

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GT keine abzuarbeitenden Regeln vor; dies ist aber nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln: „Unsere Leitlinien, nach denen eine Theorie entwickelt werden kann, sind jedoch nicht nur eine Aufzählung von Vorschlägen. Sie sind mehr als das, weil aus ihnen hervorgeht, daß bestimmte Operationen ausgeführt werden müssen.“ (Strauss 1991: 33) Auch Strübing (2008) betont, dass die GT „nicht als Freibrief für ‚anything goes‘ […] missverstanden werden [darf]“, sondern den Forschenden vielmehr „erhöhte Legitimationsanforderungen auferlegt“ (ebd.: 17).14 Weil sie nicht rezeptartig zu erlernen ist, sollen Forschende ähnlich einem Künstler bzw. einer Künstlerin die empirische Realität möglichst unvoreingenommen interpretieren. Voraussetzung dafür ist theoretische Sensibilität. Diese beschreiben Strauss (1998) und Strauss/Corbin (1996) als einen Ansatzpunkt dafür, wie ein empirischer Forschungsprozess auf der Basis von Vorwissen sinnvoll begonnen und durchgeführt werden kann: „Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit, zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. All dies wird eher durch konzeptuelle als durch konkrete Begriffe erreicht. Erst die theoretische Sensibilität erlaubt es, eine gegenstandsverankerte, konzeptuell dichte und gut integrierte Theorie zu entwickeln.“ (Ebd.: 25) Die Fähigkeit zu erkennen, „was in den Daten wichtig ist, und dem einen Sinn zu geben“ (Strauss/Corbin 1996: 30), speist sich aus verschiedenen Quellen, vor allem der intensiven und kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Daten, aber auch der Literatur.15 Bereits in der Einführung zu ihrem Buch stellen Strauss und Corbin klar, dass die GT keineswegs nur für Forschungsarbeiten geeignet ist, die auf die Entwicklung einer neuen, dicht ausgearbeiteten formalen Theorie abzielen. Vielmehr regen sie an, die GT auch dann zu nutzen, wenn es lediglich um „kon14 Diese begründete Forderung wird vor allem in Kap. 4.3, aber auch im Ergebnisteil wieder aufgegriffen. 15 Strauss und Corbin empfehlen einen aufgeschlossenen Umgang mit Fachliteratur, allerdings eher zur Vertiefung nach ersten Analyseschritten: „Sie werden mit einigem Hintergrundwissen aus der Fachliteratur in die Forschungssituation eintreten, und es ist wichtig, dies anzuerkennen und zu nutzen […]. Aber es ist nicht notwendig, die gesamte Literatur im voraus durchzusehen […], denn wenn wir in unserer Analyse erfolgreich sind, werden neue Kategorien auftauchen, an die weder wir noch irgend jemand anders vorher gedacht haben. Wir wollen uns nicht so sehr in die Literatur vergraben, daß wir in unserem kreativen Bemühen durch unsere Literaturkenntnis eingeschränkt oder sogar erstickt werden! […] Erst wenn sich eine Kategorie als relevant erwiesen hat, sollten wir auf die Fachliteratur zurückgreifen.“ (Strauss/Corbin 1996: 33)

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zeptionelles Ordnen“ (Strauss/Corbin 1996: 17) von Daten geht oder wenn – wie Strauss noch gemeinsam mit Glaser entwickelt hatte – eine begrenztere gegenstandsbasierte Theorie erarbeitet werden soll: Durch die entsprechenden Vorgehensweisen gelange man zu besser begründeten Interpretationen und präziseren Differenzierungen als ohne GT, auch wenn man diese nicht voll ausschöpfe. Dabei dürfe der Arbeitsprozess verkürzt werden. Doch auch für ein solches Anliegen, betonen Strauss und Corbin, sei das Ziel der Grounded Theory „[n]icht deskriptives Schreiben, sondern die systematische Entwicklung einer Theorie“ (Strauss/Corbin 1996: 39); dies erfordere „das Einhalten eines Gleichgewichts zwischen den Merkmalen Kreativität, Strenge, Ausdauer und vor allem theoretische Sensibilität“ (ebd.). An dieser pragmatistisch, iterativ-zyklisch und handlungstheoretischinteraktionistisch begründeten Haltung orientiere ich mich in meiner Untersuchung. Meine Frage zielt auf von Individuen (re-)produzierte konzeptionelle und handlungspraktische Vorstellungen von Vertrauen im organisationalen Rahmen ab; diese flexible und freie Forschungshaltung erlaubt, die notwendige Distanz zur breiten Literatur mit ihren vielfältigen Perspektiven auf den Gegenstand zu wahren und nach Neuem zu suchen, weil „noch nicht alle Konzepte, die in Bezug zu dem jeweils interessierenden Phänomenbereich stehen, gefunden und identifiziert wurden, zumindest nicht in dieser Population oder an diesem Ort“ (Strauss/Corbin 1996: 22). Im Gegensatz zu quantitativen und einigen weniger rekonstruktiv ausgerichteten qualitativen Verfahren16 steht hier nicht das Klassifizieren und Sortieren von Daten im Vordergrund. Auch das Vorgehen hebt sich von vielen Ansätzen der qualitativen Sozialforschung ab. Meist sind die Arbeitsschritte Planung, Datenerhebung, Datenanalyse und Theoriebildung zeitlich voneinander getrennt und bauen mehr oder weniger linear aufeinander auf. Die GT hingegen fordert, diese Arbeitsschritte in einem Wechselspiel von Handeln (der Datenerhebung bzw. im Fall meiner Sekundäranalyse: der Datenauswahl) und Reflexion (der Datenanalyse und Theoriebildung) zeitlich parallel und funktional aufeinander

16 Dazu gehört z.B. die qualitative Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2010) oder Mayring (2010[1983]). Für ein quantifizierendes Verfahren hätte man gezielt die Antworten auf bestimmte Fragen in allen Transkripten identifizieren können; da aber nicht in allen Interviews (N) alle entsprechenden Fragen gestellt oder beantwortet wurden, hätte der verwertbare Datensatz eine für quantitative Forschung zu kleine Stichprobe (n) ergeben, um verwertbare Ergebnisse zu erzielen. Es wäre also erforderlich gewesen, zusätzliche Daten zu erheben oder den Datensatz mit Daten aus anderen Primärstudien zu kombinieren.

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bezogen durchzuführen (vgl. Strauss 1998). Dementsprechend stellt sich der Forschungsprozess nicht linear, sondern iterativ-zyklisch dar: Abbildung 3: Parallelität der Arbeitsschritte in der Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin

Quelle: Strübing 2008: 15

Alle im Forschungsprozess auf der Basis der Daten gewonnenen Erkenntnisse werden fortwährend mit neu gewonnenem oder hinzugezogenem Datenmaterial verglichen und ggf. neu oder ergänzend kodiert. Strauss baut damit auf dem noch gemeinsam mit Glaser entwickelten Analysemodus des ständigen Vergleichs auf. Die Ergebnisse der einzelnen Auswertungen beeinflussen wiederum die Auswahl der weiteren zu erhebenden – oder im Fall von Sekundäranalysen der für das theoretische Sampling auszuwählenden – Daten, und das so lange, bis durch Anpassungen von Erhebung und entstehender Theorie eine ausreichend starke Bestätigung, eine sogenannte theoretische Sättigung, erreicht ist. Dieses Vorgehen ermöglicht mir, mich von dem Primärprojekt methodologisch zu distanzieren und nicht zu sehr dessen Ergebnissen verhaftet zu bleiben. Die GT in der Variante nach Strauss und Strauss/Corbin ermahnt mich zu einer „in hohem Maße selbst-reflexive[n] Herangehensweise an die Forschungsarbeit“ (Strauss 1998: 34), die gerade im hier gewählten Forschungsdesign einer Semi-

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Sekundäranalyse (vgl. Kap. 4.3) eine zentrale Anforderung bildet. Mit dieser Herangehensweise analysiere und interpretiere ich nicht nur die Daten bzw. den Gegenstand „Institutionalisierung von Intraorganisationsvertrauen“ als solchen, sondern beziehe in die Reflexion auch den eigenen Forschungs- und Erkenntnisprozess ein. Die Haltung von Strauss und Corbin zum Einbezug von Kontextwissen passt sehr gut zu sekundäranalytischen Forschungen, denn mein Kontextund Vorwissen über den Gegenstand und über die vorliegenden Daten, das ich in früheren Forschungsarbeiten gewonnen habe, kann ich als theoretische Sensibilisierung einbringen und u.a. für das theoretical sampling nutzen, um auf dieser Basis ein kleineres Subsample zusammenzustellen – auch wenn durch das gegenstandsbezogene Vorwissen die Anforderung an kritische Selbstreflexion im Prozess der Untersuchung umso höher ist.17

4.2 M ETHODEN DER G ROUNDED T HEORY Für die Analyse bieten die von Strauss in „Qualitative Analysis for Social Scientists“ (1987) bzw. in „Grundlagen qualitativer Forschung“ (1998[1991]) operationalisierte pragmatische Variante der GT und das mit Juliet Corbin verfasste Lehrbuch (1996) verschiedene Verfahren und Faustregeln, um das Vorgehen wirksam zu systematisieren, die Ergebnisse intersubjektiv „robust“ zu machen und „eine induktiv abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln“ (Strauss/Corbin 1996: 8). Diese Variante verbindet die Grundlagen der von Strauss und Glaser gemeinsam entwickelten Form der GT

17 Die Haltung, dass die GT grundsätzlich für sekundäranalytische Zwecke geeignet ist, wird von Legewie gestützt: „Eine […] Anwendungsmöglichkeit der Grounded Theory ist die Sekundäranalyse schon vorliegender Daten oder die Analyse von zu anderen Zwecken erhobenen Daten, z.B. historischen Archivdaten. Hier stellen sich bei größeren Datenmengen im Prinzip ähnliche Planungsprobleme wie bei der erstmaligen Erhebung neuer Daten. Die Strategie des Theoretical Sampling lässt sich in diesem Fall nutzen zur Entscheidung darüber, welche Daten in welcher Reihenfolge analysiert werden sollen.“ (Legewie 2004: 18) Glasers Tabula-rasa-Position und seine Aufgeschlossenheit gegenüber Sekundäranalysen qualitativer Daten (vgl. Kap. 4.1.1 und 4.3.1) sind m.E. nur dann widerspruchsfrei miteinander zu vereinbaren, wenn eine Sekundäranalyse mit fremden Daten und ohne vorherige andere Interpretation durchgeführt wird. Für diese Auslegung spricht Glasers Betonung dessen, dass bei sekundäranalytischen Interessen die Eignung der Daten für die Fragestellung genau geprüft werden müsse (vgl. Kap. 4.3.1.3).

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(v.a. die Methode des ständigen Vergleichs) mit drei weiteren Elementen: dem axialen Kodieren, dem Kodierparadigma und der sogenannten Bedingungsmatrix für die Modellbildung. Sie ist prädestiniert für die Untersuchung eines bestimmten Phänomens und für Fragestellungen, die eine Handlungs- und Prozessorientierung beinhalten (vgl. Strauss/Corbin 1996: 23). Damit eignet sich die GT nach Strauss und Strauss/Corbin nicht nur hervorragend als methodologische Haltung, sondern auch als Methodik für mein Untersuchungsinteresse an Konstrukten und Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen. Im Folgenden skizziere ich zunächst die Methoden des Kodierens, des paradigmatischen Modells, des theoretical sampling und der Bedingungsmatrix, die für meine Untersuchung zentral sind, um sie dann in Bezug auf diese ausführlicher zu erläutern. 4.2.1 Kodieren Die Transkripte der einzelnen Interviews erscheinen zunächst jeweils wie eine geschlossene Form. Anders als bei einigen anderen qualitativen Verfahren, z.B. der dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2007) oder dem narrativen Interview nach Schütze (1983), gilt aber in der GT ein Datum wie etwa ein Interview nicht als ein Fall. Daher ist zunächst die geschlossene Form des Datenmaterials zu durchbrechen. Dies geschieht mit der Methode des Kodierens, dem die GT sowohl in ihrer Form nach Glaser und Strauss als auch in den beiden Stilen nach Strauss und Corbin einerseits und nach Glaser andererseits einen zentralen Stellenwert beimisst. Kodieren besteht grundsätzlich darin, die Daten – in diesem Fall die zu analysierenden Interviews – in einzelne sinnhaltige Elemente zu unterteilen und diese Textstellen jeweils mit einem Kode zu kennzeichnen, der das darin behandelte Phänomen fasst. Solche Kodes oder Stichwörter können z.B. Begriffe sein, die in den Daten explizit verwendet werden (sogenannte In-vivo-Kodes), sie können aber auch aus dem theoretischen und alltagsweltlichen Vorwissen resultieren. In dieser Hinsicht ist die Textkodierung bereits Teil der Theoriebildung. Diese Kodes bilden eine Art Anker, die wichtige Aspekte in den Daten identifizieren und verorten. In einem weiteren Schritt werden Kodes mit ähnlichem Inhalt zusammengestellt und aus diesen Sammlungen in einem Abstraktionsschritt übergeordnete Begriffe abgeleitet, sogenannte Konzepte, unter die sich die einzelnen Kodes der Gruppe subsumieren lassen. Diese Konzepte werden ihrerseits gebündelt und in einem weiteren Abstraktionsschritt zu theoretischen Kategorien verdichtet. Solche Kategorien sind also Gruppen oder Sammlungen

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von Konzepten, die sich auf dasselbe Phänomen beziehen. Sie bilden die Basis für die zu entwickelnde Theorie.18 Der Prozess des Kodierens, der zugleich die theoretische Sensibilität erhöht, erfolgt in drei Schritten: dem oben schon beschriebenen ‚offenen Kodieren‘, dem ‚axialen Kodieren‘ und dem ‚selektiven Kodieren‘: Das offene Kodieren dient wie gesagt dazu, das Material aufzubrechen; es eröffnet einen analytischen Zugang zu den Daten und führt über erste Kodes zu abstrakten Konzepten und noch abstrakteren Kategorien, die Oberbegriffe für das untersuchte Phänomen darstellen (vgl. Strauss/Corbin 1996: 43ff.). In diesem Prozess werden zunächst kurze Textpassagen Wort für Wort bzw. Zeile für Zeile ausgewertet, dann größere Textabschnitte kodiert. Dabei werden an die Daten bestimmte generative Fragen angelegt, um über eine paraphrasierende Zusammenfassung hinauszugelangen (siehe dazu ausführlich Kap. 4.2.2). Diese Fragen steigern zugleich die theoretische Sensibilität, indem sie in den Prozess des Kodierens und des Samplings mehr und vielfältige Perspektiven einbringen. Beim axialen Kodieren geht es darum, die entwickelten Konzepte und idealerweise schon die ersten Kategorien in ständigen Vergleichen aneinander zu schärfen, Beziehungen zwischen ihnen herauszuarbeiten und sie weiter auszudifferenzieren. Während der vorherige Schritt die Daten ‚aufbricht‘, werden sie nun also neu zusammengefügt, „indem Verbindungen zwischen einer Kategorie und ihren Subkategorien ermittelt werden“ (Strauss/Corbin 1996: 76; Hervorh. im Original). Die hier angesprochenen Subkategorien bezeichnen dabei Kategorien, die zunächst aus einer Zusammenfassung ähnlicher Konzepte entstanden sind, dann aber einer abstrakteren Hauptkategorie zugeordnet wurden. Die zu bestimmenden Verbindungen zwischen den (Sub-)Kategorien können z.B. zeitliche und räumliche Zusammenhänge, aber auch Beziehungen von Mittel und Zweck oder Ursache und Wirkung etc. sein. Indem sie explizit herausgearbeitet werden, lassen sich Handeln bzw. Nichthandeln, Strategien und Routinen in Bezug auf das untersuchte Phänomen sowie ihre jeweiligen Konsequenzen im gegebenen sozial-gesellschaftlichen Rahmen deutlich machen und zueinander in Beziehung setzen (vgl. ebd.: 75f.). Dieser Bearbeitungsschritt erfolgt auf der Basis des sogenannten paradigmatischen Modells (vgl. Kap. 4.2.2). Der Begriff ‚axial‘ repräsentiert die Achsen, auf denen im Zuge dieses Kodierschritts zentrale Kategorien erarbeitet und verortet werden können. Das selektive Kodieren dient dazu, die Datenbeobachtungen noch weiter zu verdichten und auf die entstehende Theorie zuzuspitzen; der Begriff ‚selektiv‘ 18 Die Begriffe ‚Konzept‘ und ‚Kategorie‘ sind also keine Synonyme. Strauss und Corbin betonen: „Nicht alle Konzepte werden Kategorien. Letztere sind hochrangigere, abstraktere Konzepte als die, die sie repräsentieren.“ (Strauss/Corbin 1996: 420)

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verweist auf das Anliegen der Verdichtung in diesem Kodierschritt. Anhand der intensiv durchgearbeiteten Kodes, der verbliebenen Konzepte und der Achsenkategorien wird nun die zentrale Kategorie – auch Schlüssel- oder Kernkategorie – identifiziert, die es erlaubt, die verschiedenen Versatzstücke der entstehenden Theorie in einer einheitlichen Perspektive zu organisieren. Dieser Kodierschritt zeigt, ob eine theoretische Sättigung (vgl. Kap. 4.2.3) erreicht wurde oder wieder zu früheren Kodierschritten zurückgekehrt werden muss. Als gesättigt kann die Kernkategorie gelten, wenn die Achsenkategorien ihr subsumiert werden können und sie in abstrahierter Form die Forschungsfrage beantwortet. Die Kernkategorie bestimmt auch den roten Faden für die Darstellung des analytischen Vorgehens und der Befunde (vgl. ebd.: 94ff.). Je abstrakter sie selbst und die Achsenkategorien gefasst sind, desto stärker lässt sich die entstehende Theorie verallgemeinern und desto größer ist der Geltungsbereich, den sie beanspruchen kann. Im Zuge der Analyse wird über diese drei Kodierphasen hinweg ein Modell des untersuchten Phänomens entwickelt. Die folgende Abbildung veranschaulicht das Vorgehen noch einmal schematisch: Abbildung 4: Überblick über das Vorgehen der Grounded Theory

Quelle: Breuer 2009: 76

Ziel des dreischrittigen Kodierens (offen, axial und selektiv) und der abschließenden Modellierung und Theoriebildung ist, das untersuchte Phänomen bzw. die sich im Analyseprozess herauskristallisierende Kernkategorie offenzulegen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen (der über den unmittelbaren Kontext – in diesem Fall: die Organisation – hinausgeht). Dabei sind die wesent-

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lichen Faktoren zu identifizieren, die zur Definition und Erklärung dessen beitragen, was in den Daten in Bezug auf dieses Phänomen zum Ausdruck gebracht wird. Die Kernkategorie bildet den ‚roten Faden‘ bzw. die story line einer Beschreibung des Phänomens, die in der GT als „Geschichte“ bezeichnet wird (vgl. Strauss/Corbin 1996: 94ff.). In Bezug auf den Kodierprozess ist zu beachten, dass die drei Arten des Kodierens „keine eindeutige Schrittfolge [bilden], sondern vielmehr verschiedene Umgangsweisen mit textuellem Material, zwischen denen der Forscher bei Bedarf hin und her springt“ (Flick 2007: 388). Offenes, axiales und selektives Kodieren und damit die Erarbeitung von Kodes, Konzepten und Kategorien erfolgen also in dem von Strauss und Strauss/Corbin geforderten iterativ-zyklischen Prozess, nicht in einem strikt sequenziellen Verfahren nacheinander. 4.2.2 Paradigmatisches Modell Die im vorigen Kapitel beschriebenen Schritte des offenen, axialen und selektiven Kodierens werden vom sogenannten Kodierparadigma angeleitet, das in der GT von „zentraler Bedeutung“ (Strauss 1998: 57) ist und, „ausformuliert oder implizit vorhanden, […] zur Grundausstattung der Denkprozesse des Forschers“ (ebd.) gehört. Es besteht aus einem Set basaler generativer Fragen, die helfen, die Spezifika eines Phänomens, seine Bedingungen, darauf bezogene Handlungs- bzw. Interaktionsweisen und ihre Konsequenzen zu erarbeiten und so die Interpretationen abzurunden (vgl. Strauss/Corbin 1996: 58). Diese Fragen lauten: • Wer? (Welche Personen sind an der dargestellten Handlung/Interaktion betei-

ligt?) • Wann und wo? (Wann und wo haben die in den Daten geschilderten Ereignis-

se stattgefunden und wie sind sie verlaufen?) • Was? (Was geschieht eigentlich in den Daten? Was ist das Grundproblem, mit

dem die Akteure konfrontiert sind, und wie lässt es sich erklären?) • Wie? (Wie wird das Phänomen beschrieben, welche Aspekte davon werden

angesprochen?) • Wie viel? (In welcher Intensität wird berichtet?) • Warum? (Welche Begründungen werden angeführt, welche Kausalitäten her-

gestellt?) Die Fakten und Eindrücke, die mit diesen Fragen erfasst werden, können dann jeweils in einer bestimmten Perspektive verdichtet und als Beitrag zu der sich entwickelnden Theorie verortet werden. Diese Liste von Fragen, die den Kodier-

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prozess anleitet, wird als „paradigmatisches Modell“ bezeichnet (ebd.: 78ff.). Dieses gliedert sich in sechs Bestandteile: (a) ursächliche Bedingungen für das zentrale Phänomen, (b) die Kernkategorie, die das zentrale Phänomen beschreibt, (c) generelle Rahmenbedingungen, die sich auf das Phänomen auswirken, (d) der jeweilige Kontext für spezifische Eigenschaften und Ausprägungen des Phänomens, (e) Strategien im Umgang mit dem Phänomen und (f) die Konsequenzen dieser Strategien, die die Kernkategorie selbst beeinflussen (vgl. ebd.).19 Strübing (2008: 26ff.) hat das paradigmatische Modell von Strauss und Corbin in ein Schaubild übertragen; er visualisiert darin die Beziehungen der einzelnen Bestandteile zueinander und formuliert für jeden dieser Bestandteile eine zentrale Frage, die die jeweilige spezifische Perspektive illustriert. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Bestandteile des paradigmatischen Modells, ihre Verbindungen und die auf die Bestandteile bezogenen Fragen: Abbildung 5: Das Kodierparadigma nach Strauss und Corbin

Quelle: Strübing 2008: 28

19 Ich nutze das paradigmatische Modell und seine Bestandteile in Kap. 6.2, um das aus meiner Analyse hervorgegangene Modell und die darauf bezogenen Befunde darzustellen.

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4.2.3 Theoretical sampling und theoretische Sättigung Das weiter oben schon angesprochene theoretical sampling bezeichnet die Auswahl und Zusammenstellung von Daten nach bestimmten Kriterien (z.B. bestimmten Datenquellen oder Ereignissen). Die Basis dafür bilden Konzepte, die im Prozess des Vergleichens gehäuft auftauchten oder im Gegenteil erkennbar fehlten und insofern eine „theoretische Relevanz für die sich entwickelnde Theorie besitzen“ (Strauss/Corbin 1996: 148). Dieses Verfahren ist bereits in der GT nach Glaser und Strauss verankert: „Theoretisches Sampling meint den auf die Generierung von Theorie zielenden Prozess der Datensammlung, währenddessen der Forscher seine Daten parallel erhebt, kodiert und analysiert sowie darüber entscheidet, welche Daten als nächste erhoben werden sollen und wo sie zu finden sind. Dieser Prozess der Datenerhebung wird durch die im Entstehen begriffene […] Theorie kontrolliert. […] Theoretisches Sampling garantiert das Aufspüren von Variation, Prozeß und auch Dichte.“ (Glaser/Strauss 2008: 53)

Als Orientierungshilfe für den Prozess des Samplings regen Glaser und Strauss zwei Fragen an: „Welchen Gruppen oder Untergruppen wendet man sich zwecks Datenerhebung nächstens zu? Und mit welcher theoretischen Absicht?“ (Ebd.; Hervorh. im Original) Dabei wird versucht, auf der Basis von „theoretischen und praktischen Vorkenntnisse[n] als ‚sensibilisierende[n] Konzepte[n]‘ (Blumer 1954) […] tentativ Fragen und Untersuchungsperspektiven zu generieren“ (Strübing 2008: 30f.). Obwohl dieses Vorgehen eigentlich für die Datenerhebung konzipiert ist, eignet es sich m.E. auch für die Auswahl von Daten für eine Sekundäranalyse (vgl. Kap. 5.2). Das Sampling erfolgt in drei Schritten, die mit den drei Schritten des Kodierens verbunden sind: • Beim offenen Sampling erfolgt die Datensammlung zunächst entweder zufäl-

lig oder auf der Basis systematischer Annahmen, insgesamt aber weitgehend wahllos. Im Prozess des offenen Kodierens, das auf dieser ersten Datengrundlage geschieht, geht es darum, theoretisch relevante Kategorien zu erkennen; auf dieser Grundlage können dann gezielt weitere Daten erhoben (oder ausgewählt) werden, um diese Kategorien zu variieren (vgl. Strauss/Corbin 1996: 153ff.). • Das mit dem Schritt des axialen Kodierens verbundene Sampling orientiert sich entsprechend an Variationen und Beziehungen: Es zielt darauf ab, möglichst viele oder möglichst große Unterschiede auf der dimensionalen Ebene der Kategorien zu identifizieren. Nachdem erste Annahmen über Beziehungen

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zwischen Kategorien getroffen wurden, soll dieser Schritt des Samplings zeigen, ob diese Annahmen nach den Daten haltbar sind (vgl. ebd.: 156ff.). • Das diskriminierende Sampling ist mit dem selektiven Kodieren verbunden. Nachdem wichtige Kategorien gefunden und überprüft wurden, geht es in diesem Schritt darum, die Datengrundlage gezielt zu erweitern, um die Kategorien zu ergänzen und zu erhärten (vgl. ebd.: 158f.). Der Prozess des theoretical sampling wird so lange fortgeführt, bis eine theoretische Sättigung erreicht ist. Dies ist der Fall, wenn „1. keine neuen oder bedeutsamen Daten mehr in bezug auf eine Kategorie aufzutauchen scheinen; 2. die Kategorienentwicklung dicht ist, insoweit als alle paradigmatische[n] Elemente einschließlich Variation und Prozeß berücksichtigt wurden; 3. die Beziehungen zwischen Kategorien gut ausgearbeitet und validiert sind“ (Strauss/Corbin 1996: 159). 4.2.4 Bedingungsmatrix Ein weiteres Instrument der GT ist die sogenannte Bedingungsmatrix. Für meine Untersuchung ist sie insofern von besonderer Bedeutung, als sie ermöglicht, im Forschungsprozess methodisch zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene zu oszillieren (vgl. Kap. 2.3.1). Strauss und Corbin stellen diese Matrix als konzentrische, aber miteinander verbundene Kreise dar (vgl. Abb. 6): Im Zentrum steht das Handeln eines Individuums, also die Mikroebene. Die Kreise im mittleren Bereich gehören zur Mesoebene – im Fall meiner Untersuchung die Organisation –, die in weitere Ebenen differenziert ist. Die äußeren Ringe bilden die (kommunalen, nationalen, internationalen) Makroebenen (vgl. Strauss/Corbin 1996: 136).

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Abbildung 6: Die Bedingungsmatrix

Quelle: Strauss/Corbin 1996: 136

Diese Matrix regt dazu an, über Zusammenhänge nachzudenken: darüber, welche Faktoren auf die Kern- oder Schlüsselkategorie wirken oder mit dieser verbunden sind und in welcher Weise. Sie ergänzt somit das Set generativer Fragen, das in Kapitel 4.2.2 vorgestellt wurde. Ihre Anwendung erfolgt entlang sogenannter Bedingungspfade: „Durch das Zurückverfolgen der Bedingungs- und Konsequenzpfade über die verschiedenen Matrixebenen hinweg kann man feststellen, welche Ebenen bedeutsam sind, und diese dann mit dem Phänomen durch ihre Auswirkungen auf Handlung/Interaktion in Beziehung setzen.“ (Strauss/Corbin 1996: 147) Als analytisches Werkzeug dient die Bedingungsmatrix dazu, die untersuchten Ereignisse zu spezifizieren und das Phänomen, das als Kernkategorie herausgearbeitet wird, kontextuell einzubetten. Die Bedingungen und Konsequenzen des zentralen Phänomens und damit auch seine Relevanz sollen nicht einfach behauptet, vielmehr sollen das Phänomen selbst und die Einflüsse darauf in den Daten verankert und nachvollziehbar dargestellt werden. Diese Einbettung in die verschiedenen Ebenen erlaubt, nicht nur das Phänomen als solches zu beschreiben, sondern eine Theorie dazu zu entwickeln (vgl. ebd.: 139).

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4.2.5 Kriterien für die Evaluation einer Grounded Theory Abschließend gehe ich noch auf die Frage ein, wie die Qualität einer Untersuchung im Sinne der GT beurteilt werden kann. Strauss und Corbin nennen dafür eine Reihe von Kriterien; diese beziehen sich zum einen darauf, ob der Forschungsprozess den Anforderungen der GT entspricht, zum anderen auf die empirische Verankerung der entwickelten Theorie bzw. des theoretischen Modells. Die Darstellung des Forschungsprozesses soll alle im Folgenden gelisteten Fragen beantworten (vgl. Strauss/Corbin 1996: 217): 1. Wie wurde die Ausgangsstichprobe ausgewählt? Aus welchen Gründen? 2. Welche Hauptkategorien wurden entwickelt? 3. Welche Ereignisse, Vorfälle, Handlungen usw. haben beispielsweise (als Indikatoren) auf die Hauptkategorien verwiesen? 4. Auf der Basis welcher Kategorien wurde theoretisches Sampling vorgenommen? Anders gesagt: Wie haben theoretische Überlegungen die Datenauswahl angeleitet? In welchem Maße erwiesen sich die Kategorien nach dem theoretischen Sampling als nutzbringend für die Studie? 5. Welche (beispielhaften) Hypothesen gab es hinsichtlich konzeptueller Beziehungen (zwischen Kategorien), mit welcher Begründung wurden sie formuliert und wie wurden sie überprüft? 6. Kam es vor, dass Hypothesen angesichts des tatsächlich Beobachteten nicht haltbar waren? Wie wurde solchen Diskrepanzen Rechnung getragen? Wie wurde solchen Diskrepanzen Rechnung getragen? Wie beeinflussten sie die Hypothesen? 7. Wie und warum wurde die Kernkategorie ausgewählt? Erfolgte ihre Auswahl plötzlich oder schrittweise, war sie schwierig oder einfach? Auf welchem Boden wurden diese abschließenden analytischen Entscheidungen getroffen? Die empirische Verankerung eines analytisch entwickelten theoretischen Modells lässt sich Strauss und Corbin zufolge anhand der folgenden sieben Kriterien reflektieren (vgl. ebd.: 218-220): 1. Wurden Konzepte im Sinne der Grounded Theory generiert? 2. Sind die Konzepte systematisch zueinander in Beziehung gesetzt? 3. Gibt es viele konzeptuelle Verknüpfungen? Sind die Kategorien gut entwickelt? Besitzen sie konzeptuelle Dichte? 4. Ist ausreichende Variation in das Modell eingebaut?

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5. Sind die breiteren Randbedingungen, die das untersuchte Phänomen beeinflussen, in seine Erklärung eingebaut? 6. Wurde dem Prozessaspekt Rechnung getragen? 7. In welchem Ausmaß erscheinen die theoretischen Ergebnisse bedeutsam? Die zitierten Evaluationskriterien erlauben oder erleichtern den Lesenden, die Anlage einer GT-Studie und deren Ergebnisse einzuschätzen; zugleich sind sie für mich hilfreich, um die Vollständigkeit meiner Darstellung zu prüfen. Diese Kriterien sind als Richtlinien gedacht; sie können modifiziert werden, um sie den jeweiligen Bedingungen und dem Fokus der Forschung anzupassen (vgl. ebd.: 221). Für meine Untersuchung sehe ich einen Modifikationsbedarf in Bezug auf das hier angewandte Design einer Semi-Sekundäranalyse, die an den Forschungsprozess (z.B. bei der Datenauswahl) spezifische Anforderungen stellt. Die Beschreibung der Auswahl und des Samplings muss diese Spezifika hinreichend offenlegen. Im Übrigen habe ich mich bemüht, die genannten Fragen bei der Darstellung meiner Analysen und Befunde in den Kapiteln 5, 6 und 7 angemessen zu berücksichtigen.

4.3 S EMI -S EKUNDÄRANALYSE : K ONZEPTIONELLE H ERAUSFORDERUNGEN UND PRAKTISCHE B ESONDERHEITEN Um den Gegenstand – die Institutionalisierung von Vertrauen – empirisch zu untersuchen, wurden für die vorliegende Arbeit Interviews mit Organisationsmitgliedern ausgewertet. Allerdings wurden dafür keine neuen Interviews geführt, die sich spezifisch auf die hier verfolgte Fragestellung richten, sondern bereits vorliegende Interviews neu ausgewertet. Dieses Vorgehen, für ein neues Erkenntnisziel auf bereits vorliegende Daten aus einem anderen Forschungszusammenhang zurückzugreifen, wird als Sekundäranalyse bezeichnet (vgl. z.B. Friedrichs 1990; Heaton 2008; Hyman 1972; Witzel/Medjedović/Kretzer 2008; Medjedović 2008, 2014). Mit dem Verfahren der (Semi-)Sekundäranalyse einerseits und der Anonymisierung von Interviewdaten andererseits werden in diesem Kapitel zwei für diese Arbeit besonders wichtige Themen behandelt. Anstelle der Datenerhebung und des Interviewleitfadens sind hier die Auswahl des Subsamples und datenschutzrechtliche Herausforderungen im Umgang mit Daten zu erörtern, für deren Nutzung keine explizite Einwilligung vorliegt.

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Insbesondere der Datenschutz stellt hier ein zentrales Thema dar. Denn wenn in der qualitativen Sozialforschung Interviews geführt werden, um eine vorab definierte Forschungsfrage zu beantworten, ist eine – in der Regel schriftliche – Einwilligung der Interviewten in die Nutzung ihrer Angaben einzuholen. Das entbindet die Forschenden selbstverständlich nicht von einem sensiblen und verantwortungsvollen Umgang mit den Interviewdaten, ob es sich nun um Audiodateien, Transkripte oder andere Dokumente handelt; bei ihrer Verfremdung sind strengste Maßstäbe anzulegen.20 Daten, die für eine weitere Nutzung einem Archiv übereignet werden, sind wiederum in der Regel weitreichend anonymisiert, so dass dieser Aufbereitungsschritt nicht denjenigen obliegt, die die Sekundäranalyse vornehmen. Hier war die Situation anders: Es lag keine Einwilligung für eine semi-sekundäranalytische Untersuchung vor und die Daten waren nicht anonymisiert. Darum widmet sich ein großer Teil des Kapitels diesem Aspekt der Bearbeitung. Die wenigen bisherigen Auseinandersetzungen mit Sekundäranalysen als wissenschaftlichem Gegenstand differenzieren zwischen Primärforschenden und Sekundärforschenden (vgl. z.B. Medjedović 2008, 2014). Im vorliegenden Fall verbinden sich diese beiden Perspektiven: Meine Erfahrungen als Primärforscherin, die mit den Rohdaten, ihrer Fülle und ihrem Analysepotenzial vertraut ist, verknüpfen sich in dieser Forschungsarbeit mit meiner Perspektive als Sekundärforscherin, die die Daten nachträglich anonymisiert und sie damit in einer rigide überarbeiteten Form und einer dadurch veränderten Qualität und Reichhaltigkeit nutzt. Da die Debatte um Sekundäranalysen in der qualitativen Sozialforschung erst beginnt und bisher nur wenige Anwendungsbeispiele vorliegen, stelle ich das Vorgehen im Folgenden ausführlich dar. Dabei gehe ich zunächst auf die allgemeinen Grundlagen von Sekundäranalysen und datenschutzrechtliche Bedingun-

20 Damit verbunden ist auch ein Minimalismusgebot. Es impliziert u.a., dass Forschende nicht einfach zu Illustrationszwecken besonders schöne, interessante oder anrührende Passagen aus den Interviews zitieren, sondern Textausschnitte nur dann zeigen, wenn es für das interpretative Argument unbedingt nötig ist. Die zum Teil vertretene Gegenposition, dass die Daten den Forschenden ‚gehören‘, sobald die Befragten sie ‚gegeben‘ und ihrer Verwendung zugestimmt haben, ist m.E. falsch. Auch im Fall einer Einwilligung dürfen Wissenschaftler_innen nicht beliebig viele Sekundäranalysen vornehmen. Entscheidend ist dafür der Wortlaut des informed consent. Im vorliegenden Fall erlaubte dieser eine Auswertung der Daten lediglich im Rahmen des Primärprojekts, die Einwilligung erstreckte sich nicht auf weitere Analysen oder Projekte. Darum erforderte die hier vorgenommene Sekundäranalyse besondere Umsicht.

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gen ein; anschließend beschreibe ich die konkrete Umsetzung im Rahmen der vorliegenden Semi-Sekundäranalyse. 4.3.1 Die Methode der qualitativen Sekundäranalyse Den Begriff der Sekundäranalyse haben laut Friedrichs (1990) Kendall und Lazarsfeld im Jahr 1950 in ihrer Auseinandersetzung mit der Studie „The American Soldier“ aufgebracht. Das Vorgehen als solches ist jedoch viel älter: Wie Friedrichs hervorhebt, bezog sich schon Engels in seiner 1845 veröffentlichten Abhandlung „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ auf bereits vorliegende Daten, und auch Durkheim nutzte solche für seine 1897 publizierte Studie „Le suicide“ (vgl. Friedrichs 1990: 353). In den 1960er Jahren hob Barney Glaser, Mitbegründer der Grounded Theory, die Potenziale hervor, die in einer weiteren Nutzung bereits vorhandener qualitativer Daten liegen (vgl. Glaser 1963). Dennoch entwickelte sich die Sekundäranalyse in der qualitativen Sozialforschung nur langsam weiter; in der quantitativen Sozialforschung etablierte sich das Verfahren weitaus schneller. Einige Standardwerke wie beispielsweise das von Hyman (1972) differenzieren nicht explizit zwischen quantitativer und qualitativer Sekundäranalyse, Begriffe wie ‚Stichprobe‘ lassen jedoch eher auf quantitativ geprägte Auswertungen schließen. Erst in den 1990er Jahren wurde im englischsprachigen Raum ein Fachartikel zu Sekundäranalysen veröffentlicht, der explizit qualitative Methoden einbezieht (vgl. Thorne 1994). Zudem begannen in den USA und Europa immer mehr Archive, auch qualitative Daten (z.B. Interviews) zu sammeln, aufzubereiten und für Forschung bereitzustellen (vgl. z.B. Corti/Foster/Thompson 1995). Parallel zu dieser Entwicklung erschienen weitere internationale, vor allem englischsprachige Artikel (vorrangig von Corti und Heaton)21 zu den Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung vorliegender Daten und ihren technischen oder ethischen Besonderheiten; Bishop plädiert z.B. für eine Überwindung des Primär/Sekundär-Dualismus (ders.: 2007) und für eine differenzierte Betrachtung der ethischen Anforderungen (ders.: 2009). In Deutschland und in der deutschen Soziologie sind qualitative Sekundäranalysen derzeit aber immer noch wenig verbreitet.22 Entsprechend hat auch die 21 Weitere grundlegende Veröffentlichungen stammen von Bishop (2009), Corti und Thompson (1998, 2004), Heaton (1998, 2000, 2004, 2008), Hinds, Vogel und ClarkeSteffen (1997), Hood-Williams und Harrison (1998) und Thorne (1994). 22 Das einzige darauf spezialisierte Archiv in Deutschland befindet sich an der Universität Bremen; es ist hervorgegangen aus dem BMBF-geförderten Projekt „Qualiservice“

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Debatte um die Sekundärnutzung und Archivierung qualitativer Daten in Forschung und Lehre erst begonnen;23 sie ist aber bereits jetzt von kontroversen Diskussionen geprägt. Die Kontroverse bezieht sich einerseits auf die eher forschungspragmatisch geprägte und normativ aufgeladene Diskussion über den wissenschaftlichen Sinn und Unsinn von Sekundäranalysen und spitzt sich in der Frage nach dem Für und Wider zu (ein Gegner von Sekundäranalysen ist etwa Hirschauer, der die „Fetischisierung von Daten“ [Hirschauer 2014: 311] betont und kritisiert). Andererseits betrifft sie die praktisch-organisatorische Umsetzung der Aufbereitung und Archivierung, insbesondere die Anonymisierung und Verfremdung von Daten sowie die Frage, ob die dafür erforderlichen Ressourcen dem Nutzen angemessen sind. Die derzeitige Debatte zu Sekundäranalysen in der Soziologie und in der qualitativen Forschung in Deutschland ist somit gekennzeichnet von einer eher warnend-ablehnenden Haltung derer, die qualitative Forschung ausschließlich als Primärforschung sehen (z.B. Hirschauer 2014), und einer eher progressiven Haltung derer, die die Erprobung dieser neuen Praxis vorantreiben und ihre Umsetzung weiterentwickeln wollen (vgl. Corti/Witzel/Bishop 2005; Huschka et al. 2013; Janneck 2008; Liebig et al. 2014; für die Organisationsforschung: Rosenbohm/Gebel/Hense 2015). 4.3.1.1 Formen der Sekundäranalyse Bei Sekundäranalysen werden je nach Datenzugriff verschiedene Formen unterschieden, und zwar sowohl nach der Datenverwendung als auch nach der Nähe der Forschenden zu den Daten: Heaton (1998, 2004, 2008) konturiert als erste Form der Sekundäranalyse das formale Teilen und Wiederverwenden von Daten. Dieser Fall liegt vor, wenn Forschende auf Daten zugreifen, die in öffentlichen oder institutionellen Archiven hinterlegt sind und bestimmten Bedingungen des Zugriffs und der Aufbereitung unterliegen, und sie für ihre eigenen Zwecke nutzen, ohne selbst an der Primärstudie beteiligt gewesen zu sein. und eng verbunden mit den einschlägigen Publikationen von Andreas Witzel und Irena Medjedović. Das BMBF fordert mittlerweile aktiv geförderte Projekte ausdrücklich dazu auf, sich mit Datenmanagementplänen und Möglichkeiten sekundäranalytischer Nutzung auseinanderzusetzen, z.B. im Förderschwerpunkt „Forschung zum Wissenschaftlichen Nachwuchs“ (2013-2016). 23 Weitere grundlegende Veröffentlichungen dazu sind Corti/Witzel/Bishop 2005; Huschka et al. 2013; Medjedović 2007, 2014; Witzel/Medjedović/Kretzer 2008. Kämper (2016), Liebig et al. (2014) und Schaar (2016) haben im Auftrag des Rates für Sozial- und Wissenschaftsdaten ebenfalls Texte dazu vorgelegt.

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Als zweite Form der Sekundäranalyse beschreibt Heaton eine non-formale gemeinsame Nutzung von Datensätzen. Hierbei differenziert sie folgende Möglichkeiten der Umsetzung: a. Die Forschenden der Primärstudie geben Daten an wissenschaftlich Tätige weiter, die an der Primärstudie nicht beteiligt waren, ohne formale Bedingungen für Zugriff und Aufbereitung zu stellen. b. Die Forschenden der Primärstudie fungieren als ein Teil oder als Führung des sekundäranalytisch tätigen Teams und bringen ihre Daten als Insider ein. c. Mehrere (mindestens zwei) Forschende bündeln ihre separat gesammelten eigenen Primärdaten, um sie in Kooperation mit Forschenden, die an der Primärforschung nicht beteiligt waren, sekundäranalytisch auszuwerten. d. Forschende nutzen Daten aus einer eigenen Primärstudie für eine Sekundäranalyse, ohne weitere an der Primärstudie nicht beteiligte Personen zu involvieren. In der Form (a) hatten die sekundäranalytisch Forschenden zuvor keinen Kontakt mit den Daten, dem Kontext der Datenerhebung und den Fragestellungen der Primärstudie. Bei Sekundäranalysen in den Formen (b), (c) und (d) können Personen beteiligt sein, die die Originalstudie kennen und mit den Daten mehr oder weniger vertraut sind. Heaton (2004, 2008) hat für diese verschiedenen Arten von Sekundäranalysen keine Bezeichnungen festgelegt. Hyman (1972) – der allerdings nicht zwischen quantitativen und qualitativen Methoden differenziert – ordnet die o.g. non-formale Form (d) der Sekundäranalyse (Zugriff auf selbst erhobene Daten) als semi-sekundäranalytisch ein. Die erste Form der Sekundärnutzung – formale gemeinsame Datennutzung – wurde in der vorliegenden Untersuchung nicht vorgenommen, denn es wurden keinerlei Daten aus Archiven beschafft und keine nicht selbst erhobenen Daten genutzt. Es handelt sich bei dieser Untersuchung also um eine non-formale Sekundäranalyse, und zwar um die vierte von Heaton (2004, 2008) genannte Unterform: Eine Forschende verwendet Daten aus einer eigenen Primärstudie erneut, ohne weitere, an der Primärstudie nicht beteiligte Personen einzubeziehen. Gegen diese Einordnung der vorliegenden Arbeit in die o.g. Systematik ließe sich einwenden, dass die genutzten Daten im Rahmen der Primärstudie von insgesamt vier Forschenden erhoben wurden, denn die vier Mitglieder des Projektteams hatten die Interviews untereinander aufgeteilt und unabhängig voneinander geführt. In diesem Sinne könnte man auch sagen, dass zumindest teilweise eine Nutzung fremder Daten vorliegt. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass alle Interviews nach demselben Interviewleitfaden erhoben wurden, und dieser

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wurde von dem Projektteam, dem ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin angehörte, gemeinsam entwickelt. Auch die vorbereitende Planung, Durchführung, Zusammenfassung und Auswertung im Rahmen der Primärstudie wurde vom Team gemeinsam getragen. Darüber hinaus habe ich im Rahmen des Primärprojekts bereits alle Interviews selbst (mit) ausgewertet. Für die vorliegende Semi-Sekundäranalyse wurde eine Auswahl – ein sogenanntes Subsample – von Interviews zusammengestellt, die außer von mir selbst noch von zwei weiteren Teammitgliedern geführt worden waren. Aufgrund des gemeinsamen Leitfadens, der ihnen zugrunde liegt, und meiner Nähe zu den Daten durch die Auswertung definiere ich diese anderen Interviews nicht als fremde, sondern als Teil meiner eigenen Daten. In diesem Sinne handelt es sich hier um eine Semi-Sekundäranalyse in Einzelarbeit und ohne Einbezug anderer unabhängiger Forschender, bei der auf eigene Daten zurückgegriffen wurde.24 Um meine Doppelrolle als Beteiligte an der Primär- und an der Sekundärforschung zu markieren, nehme ich den Begriff von Hyman (1972) auf und spreche in Bezug auf die vorliegende Untersuchung von einer Semi-Sekundäranalyse. 4.3.1.2 Absicht der Sekundäranalyse: Supplementary analysis bzw. ergänzende Analyse Heaton (1998, 2004, 2008) unterscheidet auf der Basis ihrer empirischen Untersuchung fünf Erkenntnisinteressen bzw. Absichten von qualitativen Sekundärnutzungen: supra analysis, supplementary analysis, re-analysis, amplified analysis und assorted analysis. Die supra analysis oder übergeordnete Analyse geht über den Fokus der ursprünglichen Untersuchung hinaus und konfrontiert die Daten mit ganz neuen Fragen, die entweder auf empirische, auf theoretische oder auf methodische Aspekte fokussieren. Die supplementary analysis oder ergänzende Analyse widmet sich einer ergänzenden und vertiefenden Untersuchung eines oder mehrerer Aspekte, die in der Primärstudie emergiert sind, dort aber nicht näher betrachtet wurden. Die re-analysis oder erneute Analyse überprüft die aus den Daten der Primärstudie abgeleiteten Ergebnisse durch eine Revision der Daten, um sie entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. In der amplified analysis oder erweiterten Analyse wird nach Heaton die Datenbasis für den analytischen Zweck erweitert, um mit einem größeren Datensatz arbeiten zu können; dazu werden die Daten von mindestens zwei vorliegenden Primärstudien kombiniert. Die assorted analysis oder kombinierte Analyse schließlich verbindet eine Sekundäranalyse bestehender Daten mit einer zusätzlichen Erhebung neuer Daten. 24 Bei der detaillierten Vorstellung der Daten in Kap. 6 wird aber kenntlich gemacht, wer das Interview jeweils geführt hat.

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Diese fünf Intentionen, die mit Sekundäranalysen verfolgt werden können, variieren hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den Absichten der Primärstudie: Die supra analysis/übergeordnete Analyse weicht am stärksten von der Fragestellung der Primärstudie ab und trägt ein neues Untersuchungsthema an die Daten heran. Die supplementary analysis/ergänzende Analyse setzt sich in einem relativ engen Bezug zum Thema der Primärstudie mit einer Facette der Daten oder des ursprünglichen Themas auseinander. Bei der re-analysis/erneuten Analyse mit ihrer validierenden Absicht unterscheidet sich die Intention kaum von der der Primärstudie, da es hier vorrangig um eine Überprüfung der Ergebnisse geht. Die amplified analysis/erweiterte Analyse und die assorted analysis/kombinierte Analyse können sich in ihren Absichten sowohl grundlegend von der Primärstudie unterscheiden als auch deren Absicht aufgreifen und fortsetzen. Die in dieser Arbeit vorgenommene Semi-Sekundäranalyse ist der supplementary analysis, also der ergänzenden und vertiefenden Analyse zuzuordnen. Das Erkenntnisinteresse dieser Studie entstand im Verlauf der Primärstudie zu Vertrauensmanagement, die darauf abzielte, ein praktisches Instrumentarium zur Optimierung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen zu entwickeln. In der flankierenden Literaturauswertung und der Auseinandersetzung mit den Interviewdaten entwickelte sich ein Interesse, das in der Primärstudie nicht vorgesehen war und das hier nun ergänzend bzw. vertiefend verfolgt wird. 4.3.1.3 Ablauf und Erkenntnispotenzial von Sekundäranalysen Für den Ablauf qualitativer Sekundäranalysen gibt es angesichts ihrer vielfältigen Formen und Absichten kein vorgegebenes festes Schema und bislang auch keine praktischen Empfehlungen zur Durchführung. Friedrichs (1990: 357-361, bes. 358) skizziert ein Ablaufschema, das allerdings aus der eher quantitativ geprägten Sozialwissenschaft hervorgegangen ist; es versteht sich als Richtlinie in Bezug auf Phasen und Arbeitsschritte. In Anlehnung daran lässt sich eine Sekundäranalyse allgemein in drei Phasen mit insgesamt dreizehn Arbeitsschritten unterteilen. In der ersten Phase steht zunächst die Konkretisierung der Problemstellung im Vordergrund. Dazu werden 1) der theoretische Bezugsrahmen festgelegt und die Fragestellung formuliert, dann werden 2) Hypothesen gebildet und erste Planungen zur Strukturierung der Materialrecherche getroffen; 3) werden diese konzeptualisiert und 4) Kriterien für mögliche Daten, Stichproben und Variablen bestimmt. Die zweite Phase bildet die Recherche. Auf der Basis der vorherigen Themeneingrenzung und der detaillierten Bestimmung der Methode, der verwendeten Erhebungsinstrumente, des Datenumfangs bzw. der Stichprobengröße, des

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Zeitpunkts der Erhebung, der Variablen und der statistischen Erhebungseinheiten bzw. Merkmalsträger wird hier 5) Material gesucht und dieses 6) geordnet. Dabei kann es sich um Datenträger (z.B. Video- oder Audioaufzeichnungen) der Primäruntersuchung handeln, um die Erhebungsinstrumente (z.B. Interviewleitfäden), Kodierungspläne und einschlägige Publikationen, in quantitativen Designs auch um Angaben wie die Ausfallquote. Werden 7) die Daten der Primärstudie als ausreichend eingeschätzt, endet die Recherche bereits hier; werden sie als unzureichend bewertet, können entweder kumulativ weitere Daten hinzugefügt oder zusätzliche Primärdaten erhoben werden. Auf ein erneutes Ordnen und Bewerten des Datenkorpus folgen 8) erste analytische Schritte und 9) die Verdichtung der Befunde zu einem vorläufigen Ergebnis. Darauf folgt die dritte Phase der Analyse und Interpretation. In dieser Phase werden 10) die Konzepte überarbeitet und Hypothesen modifiziert; 11) wird geprüft, ob eine Re-Kodierung notwendig ist, und 12) die – ggf. computergestützte – Datenauswertung so weit abgeschlossen, dass 13) die Ergebnisse zusammengefasst werden können. Für qualitative Sekundäranalysen mit nicht rein deduktiver Herangehensweise (erst Entwicklung einer Frage, dann Wahl einer geeigneten Theorie, dann Festlegung einer Methode, schließlich Abgleich der Daten mit der Theorie) bietet ein solches Schema eine grundsätzliche Orientierung. Meiner Ansicht nach geht es jedoch über die zentralen Fragen nach der Eignung und Auswahl der Daten hinweg. Nach Barney Glaser (1962) liegt der gleichermaßen wichtigste wie schwierigste Punkt einer Sekundäranalyse nämlich darin, zu beurteilen, inwieweit die vorliegenden Daten geeignet sind, die sekundäranalytische Frage in der erforderlichen thematischen Breite und Tiefe zu untersuchen. Glaser betrachtete diesen Schritt als die eigentliche Analysearbeit und beschrieb ihn als das Kernstück jeder Sekundäranalyse: „If the data are comparable with respect to population, situation, and variables, then the social scientist merely analyzes it according to the specific operating problem. This is the very essence of secondary analysis.“ (Ebd.: 72) Danach stellt sich in jeder Sekundäranalyse unmittelbar mit oder nach der Fragestellung die zentrale Aufgabe, die verfügbaren Daten auf ihre Eignung zu prüfen (vgl. die Anforderung des „data fit“ bei Heaton 2004). Als Kriterien dafür gelten die Vergleichbarkeit des neuen Datensatzes mit dem ursprünglichen (vgl. Glaser 1962)25, die Passung der Erhebungsmethoden (vgl. Thorne 1994) und der Grad der Vollständigkeit des Datensatzes bzw. der Daten (vgl. Hinds/Vogel/Clarke-Steffen 1997). 25 Die von Glaser geforderte Vergleichbarkeit bezieht sich auf fünf Aspekte: „1. populations, 2. situational dynamics, 3. problems under study, 4. variables or concepts, and 5. past findings with present hypotheses“ (ebd.: 71).

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Dieser Arbeitsschritt hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, wie das Analysepotenzial einer Sekundäranalyse im konkreten Fall zu beurteilen ist. Dazu ergibt die Machbarkeitsstudie von Medjedović und Witzel (2005) unterschiedliche Erfahrungen: Einerseits bilden qualitative Daten ein reichhaltiges Material, das im Primärprojekt häufig nicht ausgeschöpft wird. Andererseits können die Spezifität der Fragestellung und der Fokus der jeweiligen Primärstudie dem sekundäranalytischen Zweck auch Grenzen setzen, entweder weil sich Daten für eine bestimmte Fragestellung als weniger gehaltvoll erweisen als gedacht oder weil sie inhaltliche Vertiefungen zum Untersuchungsgegenstand vermissen lassen. Ob die verfügbaren Daten zum Erkenntnisinteresse passen, hängt also von ihrem Fokus und ihrer Reichhaltigkeit sowie von den theoretischen und methodologischen Voraussetzungen der Sekundäranalyse ab. Für das Vorgehen der hier vorgenommenen Semi-Sekundäranalyse boten das oben ausgeführte, an Friedrichs (1990) angelehnte Schema und die spezifischen Hinweise der genannten Autor_innen zur qualitativen Sekundäranalyse eine gewisse Orientierung. Insbesondere sensibilisierten sie für den Stellenwert der Datenauswahl beim Subsampling (vgl. Kap. 5.3) und die Notwendigkeit, die Daten flankierend mit dem angestrebten Analysepotenzial abzugleichen. Für die Aufgabe, mit der gleichermaßen sensibilisierenden wie limitierenden Kenntnis des Primärprojekts und der Originaldaten umzugehen, musste jedoch eine eigene Lösung gefunden werden. 4.3.2 Die Aufgabe der Anonymisierung im Rahmen der Semi-Sekundäranalyse Das Vorgehen der Semi-Sekundäranalyse, die Daten aus einem früheren Projekt unter einer anderen Fragestellung und damit jenseits der ursprünglichen Zweckbindung erneut untersucht, machte einen weiteren Arbeitsschritt erforderlich, nämlich die Anonymisierung der Daten. Für qualitative Daten liegen zwar Rahmenempfehlungen zu verschiedenen Anonymisierungsmethoden vor, jedoch (noch) keine Praxisbeispiele, es müssen also stets Einzelfalllösungen entwickelt werden (vgl. Liebig et al. 2014). Im Folgenden skizziere ich zunächst die Ausgangssituation und lege die rechtlichen Anforderungen dar, bevor ich das für diese Arbeit gewählte Vorgehen beschreibe.

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4.3.2.1 Anonymisierung als rechtlich zwingender Schritt der Datenaufbereitung „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz) Zugleich gilt für natürliche Personen das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ (§ 1 Datenschutzgesetz NRW, kurz: DSG NRW, § 1 Bundesdatenschutzgesetz, kurz: BDSG). Damit ist die Wissenschaft verbindlich und unter Sanktionsandrohung gefordert, mit Forschungsdaten sensibel und verantwortungsbewusst umzugehen.26 Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die im Primärprojekt erhobenen Daten aus rechtlicher Sicht überhaupt für eine Semi-Sekundäranalyse genutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Nutzung für „Eigenforschung“ sehen Metschke und Wellbrock (2002: 39) in ihrer Publikation „Datenschutz in Wissenschaft und Forschung“ mit Blick auf das Landesrecht von Berlin und Hessen gewährleistet: „[Es ist] Personen, die innerhalb einer öffentlichen Stelle [als solche gilt eine Universität und damit auch die Mitarbeit in einem universitären Forschungsprojekt; Anm. C.R.] Zugriff auf den dortigen Datenbestand haben, erlaubt, personenbezogene Daten ohne Einwilligung für Forschungszwecke zu verarbeiten, soweit ihre Zuständigkeit das gestattet (interne Forschung, Eigen- oder Inhouse-Forschung). Damit wird öffentlichen Stellen die Nutzung interner Quellen zu Forschungszwecken ermöglicht.“ (Ebd.)

Metschke und Wellbrock heben aber hervor, dass hier eine Interessenabwägung notwendig ist: „Das Interesse der Betroffenen an der Zweckbindung der Daten darf das öffentliche Interesse an der Zweckänderung zur Durchführung des Forschungsvorhabens nicht überwiegen.“ (Ebd.) Unternehmen bzw. Organisationen im Allgemeinen sind zwar keine natürlichen Personen und damit auch nicht schutzbedürftig im Sinne des Datenschutzes. Viele Organisationen veröffentlichen beispielsweise ihr Leitbild im Internet, manche auch Interviews mit ihrem Topmanagement oder eine Historie der Unternehmensentwicklung ab der Gründung. Solche Daten sind öffentlich und dürfen genutzt werden. Die hier verwendeten Interviews mit Beschäftigten aus drei Unternehmen (bzw. die Transkripte dieser Interviews) sind jedoch keine öffentlichen Daten und sehr wohl personenbezogen. Werden Daten in personenbezogener Form verarbeitet,27 erfordert dies nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Landes NRW wie auch des Bun26 Die zentrale Norm zur „Datenverarbeitung für wissenschaftliche Zwecke“ ist § 28 DSG NRW. 27 Verarbeiten umfasst nach dem Datenschutzgesetz des Landes NRW das Erheben, Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren, Löschen und Nutzen von Daten (§ 3

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des die Einwilligung der Betroffenen (vgl. § 4 Abs. 1 Buchst. a DSG NRW, § 4a BDSG). Eine Einwilligung ist jedoch keineswegs mit einer Generalvollmacht zu verwechseln (vgl. § 13 DSG NRW, § 4 BDSG).28 Auch bei Vorliegen einer datenschutzrechtlichen Einwilligung, die in Primärstudien i.d.R. problemlos zu bekommen ist, gelten hohe Anforderungen an den Datenschutz. Liegt keine Einwilligung vor, müssen die Daten umfassend anonymisiert werden; ansonsten würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt und der Schutz der Person wäre nicht gewährleistet. Die Anonymisierung muss so durchgängig erfolgen, dass kein Bezug zur Person hergestellt werden kann. Eine Einwilligung für die im Rahmen des Primärprojekts erhobenen Interviews liegt zwar in Form eines Projektvertrags vor, sie bezieht sich jedoch auf den spezifischen Forschungszweck zum Thema Vertrauensmanagement im Rahmen des zeitlich klar umrissenen und namentlich ausgewiesenen Drittmittelprojekts. Die Interviewten haben damit nicht individuell ihre Zustimmung erklärt; die Projektverträge wurden jeweils von einer zeichnungsbefugten Führungskraft, i.d.R. aus dem Topmanagement, für das ganze Unternehmen unterzeichnet. Der Vertrag enthielt keine Klausel zu einer weiteren oder künftigen Nutzung der Daten, z.B. im Zusammenhang mit einer Qualifikationsarbeit. Damit liegt für die außerhalb der Zweckbindung zu verortende semi-sekundäranalytische Datenverarbeitung keine wirksame Einwilligung vor,29 und aus verschiedenen Gründen30 kann eine solche nicht nachträglich eingeholt werden. DSG NRW); das Bundesdatenschutzgesetz fasst darunter das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen von Daten (§ 3 Abs. 4 BDSG), während es das Nutzen als separate Tätigkeit jenseits des Verarbeitens definiert (§ 3 Abs. 5 BDSG); dies wird auch von der Rechtskommentierung untermauert (vgl. Gola/Schomerus 2010). Damit ist faktisch alles, was mit personenbezogenen Daten gemacht werden kann, durch das DSG NRW bzw. das BDSG reglementiert. In dem hier betrachteten Zusammenhang geht es in erster Linie um das Nutzen. Da die SemiSekundäranalyse in NRW vorgenommen wurde, ist das Datenschutzgesetz des Landes NRW maßgeblich; darum werden im Weiteren die Begriffe Nutzen und Verarbeiten synonym verwendet. Darüber hinaus wird für einen umfassenderen Überblick auf die jeweils relevanten Landes- und Bundesnormen verwiesen. 28 Zu den uneinschränkbaren Rechten der betroffenen Personen vgl. § 5 DSG NRW, § 6 BDSG. 29 Dass hieraus keinesfalls eine konkludente Einwilligung oder Übertragung abgeleitet werden könnte, meinen auch Liebig et al. (2014), die zwar autorisierte Experteninterviews als von der Pflicht zur Anonymisierung ausgenommen sehen, zugleich aber den Geltungsbereich ihrer Einschätzung zu Ausnahmen sehr eng fassen: „In den Fällen von autorisierten Experteninterviews, bei denen der Inhalt eines Interviews einem

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Liebig et al. (2014) sprechen sich vor diesem Hintergrund dagegen aus, vollständige Transkripte zu veröffentlichen, sofern die Interviewten nicht ausdrücklich darin eingewilligt haben: „Zunächst ist das Unterlassen einer Veröffentlichung kompletter Interviews dringend zu empfehlen. Dieses Gebot basiert auf der Erkenntnis, dass ausführliche Interviews – unabhängig von durchgeführten Anonymisierungen – fallbezogene Details enthalten, die gerade in der Summe mehr Informationen als diese Details im Einzelnen preisgeben […].“ (Ebd.: 15; Hervorh. im Original) Im Rahmen der Semi-Sekundäranalyse sind die personenbezogenen Daten daher zu schützen und die Bestimmbarkeit der Identitäten möglichst weitgehend auszuschließen. Weil die kompletten Transkripte zumindest für den Zeitraum der Auslegung der Qualifikationsschrift öffentlich zugänglich sein werden, könnten schlimmstenfalls die in den Interviews enthaltenen Informationen dazu genutzt werden, die Interviewten zu re-identifizieren, selbst wenn die Interviews anonymisiert sind. Denn allein aus dem Organisationsbezug ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die dort tätigen Interviewten – die zugleich schutzberechtigte natürliche Personen sind – zu bestimmen, z.B. durch spezifische Funktionsbezeichnungen oder Managementbegriffe. Lässt sich das Unternehmen identifizieren, wird es damit auch leichter, mithilfe weiterer Angaben wie beispielsweise der Dauer der Betriebszugehörigkeit, spezifischer Interaktionserfahrungen mit möglicherweise öffentlichen Personen (z.B. Topmanagement), eines Dialekts oder personentypischer Redewendungen eine Einzelperson zu re-identifizieren, die dort ein Interview gegeben hat. Brisant wird das vor allem, wenn Interviewte in ihren Schilderungen öffentlich zugängliche Fakten aufgreifen und sie mit individuellen Erfahrungen oder Wertungen verknüpfen, z.B. das Leitbild kritisieren oder sich über die Umsetzung bestimmter Managementinstrumente durch bestimmte Führungskräfte echauffieren.

Konsensverfahren zwischen den Forschenden und den Befragten unterzogen wurde, oder Interviews, bei denen Zeitzeugen ein unmittelbares Interesse an der aufklärenden Verbreitung persönlicher Schicksale dokumentiert und formal bestätigt haben, kann von Anonymisierungen abgesehen werden. Hier ist dennoch eine besonders sensible Fürsorgepflicht sowohl der Primär- wie auch der Sekundärforschenden erforderlich. In diesen Fällen sind die Formalität einer Einwilligungserklärung und die subjektive Risikoabschätzung durch die Befragten selbst zum Zeitpunkt des Interviews für die Weiterverwendung zumeist nicht ausreichend.“ (Ebd.: 14f.; Hervorh. im Original) 30 Zum Zeitpunkt dieser erneuten Untersuchung, die einige Jahre nach der Primärstudie erfolgte, hatten einige der Interviewten den jeweiligen Betrieb verlassen oder bekleideten im selben Unternehmen eine andere Position.

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Meine Erfahrungen, die ich auch in einem anderen Projekt mit der Anonymisierung vollständiger Interviews im Kontext von Organisationen gemacht habe, bestätigen diese Einschätzung. Der Gesamtzusammenhang des Interviews inklusive der Indizien für eine Bestimmbarkeit hätte allein durch die Begrenzung auf Ausschnitte als hinreichend verfremdet gelten können, wären nicht die Gesamttranskripte weiterzugeben gewesen. Insofern war die Anonymisierung der Interviews mit einem deutlich höheren Lese- und Kontrollaufwand verbunden, als ihn die Überarbeitung fragmentarischer Zitate bedeutet hätte. 4.3.2.2 Konkrete Datenaufbereitung für diese Untersuchung: Transkription Die Audioaufnahmen aller Interviews waren zunächst im Rahmen des Primärprojekts durch ein Schreibbüro transkribiert worden.31 Für die vorliegende SemiSekundäranalyse wurde das Subsample der dafür ausgewählten Interviews dann erneut überarbeitet, korrigiert und ergänzt und schließlich von mir anonymisiert. Die Transkription stellt eine dauerhaft fixierte Dokumentation der gesprochenen Sprache in den Interviews dar (Dittmar 2009: 31). Es gibt keine allgemeingültigen Regeln für die Transkription von Interviews (Gläser/Laudel 2010: 193). Die hier zugrunde gelegten Interviews wurden nach pragmatischen Kriterien transkribiert, um eine möglichst gute Balance zwischen Lesbarkeit und genauer Abbildung des Gesprächsverlaufs zu finden. Welche Phänomene und Merkmale zu transkribieren sind, hängt vom jeweiligen Untersuchungsziel ab (Kowal/OʼConnell 2008: 438). Da es in der vorliegenden Untersuchung auf die inhaltlichen Aussagen ankommt und die Auswertung auf diese zentriert ist, halte ich eine extensive und damit erneute Transkription (mit Angaben zu Pausen, Betonungen, Stimmlage etc.) für nicht erforderlich. Nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen arbeite ich mit den vorhandenen Transkripten.32 Die Interviews wurden im Wortlaut transkribiert. Dabei wurden auch Modalpartikeln (z.B. ‚ja‘), Wortfragmente und -abbrüche, Zusammenziehungen (wie z.B. ‚kommste‘) und Korrekturen von Äußerungen (Anakoluthe) transkribiert (Dittmar 2009: 42); auch Interjektionen (z.B. ‚ähm‘) und Wortreduzierun31 Die Transkription erfolgte zwischen 2010 und 2011 jeweils relativ schnell nach der Aufnahme. 32 Auch Meuser und Nagel (2002: 476) befinden eine aufwendige prosodische und parasprachliche Notation bei der Transkription von Interviews für überflüssig, wenn die transkribierten Phänomene in die Auswertung gar nicht einbezogen werden. In dieser Form aufbereitete und im Hinblick auf Sekundäranalysen archivierte Daten sind folglich für bestimmte analytische Methoden und Fragestellungen nicht geeignet.

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gen (z.B. ‚ne‘ für ‚eine‘, im Unterschied zu Refrainfragen am Ende einer Ausführung) wurden verschriftlicht. Nicht transkribiert wurde die besondere Aussprache von Wörtern oder Sätzen (Sprachmelodie), z.B. betontes, lautes, gedehntes oder stotterndes Sprechen. An nonverbalen Ereignissen wurde nur deutliches Lachen transkribiert, das den Redefluss unterbrach. Andere akustisch wahrnehmbare Phänomene wie Husten, Seufzen, Stöhnen oder hörbares Ein- und Ausatmen wurden nicht notiert, weil hier nicht nachvollzogen werden konnte, ob sie sich auf den Gesprächsinhalt bezogen oder auf Kontextfaktoren (z.B. eingehende E-Mails, vorbeigehende Kolleg_innen etc.). Die Zeichensetzung folgte in der ursprünglichen Version grammatischen Regeln. Bei der Überarbeitung der Transkripte für die Sekundäranalyse wurde sie so verändert, dass sie stärker der Sprachdynamik folgt (vgl. Küsters 2009: 74): Redepausen wurden durch Kommata gekennzeichnet und ein an Stimmsenkung erkennbares Satzende durch einen Punkt. Die Abschriften der ausgewählten Interviews haben jeweils einen Umfang von 26 bis 44 Seiten; insgesamt liegen 209 Seiten auszuwertendes Material vor (Times New Roman 11pt, Zeilenabstand 1,5). Die Kürzel I und A in den Transkripten stehen für die interviewende Person (I) und die interviewte Person (A). Auf der ersten Seite jedes Interviews sind das Datum und die Dauer des Interviews angegeben, außerdem die interviewende Person (I 1 bis 3), der Kode für die betreffende Organisation und die betriebliche Position der interviewten Person, die paraphrasiert und damit anonymisiert festgehalten wurde. Die Seiten und Zeilen der Transkripte wurden durchnummeriert, sodass die Position einer bestimmten Passage im Transkript exakt angegeben werden kann (vgl. Küsters 2009: 73). 4.3.2.3 Der Prozess der Anonymisierung für diese Untersuchung Den Arbeitsschritt der Anonymisierung können nach Liebig et al. (2014) ausschließlich die Primärforschenden durchführen, weil sie zum einen mit ‚ihren‘ Daten vertraut sind und zum anderen dafür zuständig sind, die rechtlichen Anforderungen in Bezug auf Zweckbindung und ggf. Übermittlung der Daten an ein Archiv oder an sekundäranalytisch Interessierte zu erfüllen.33 Im Primärprojekt war zwar eine formale Anonymisierung im weitesten Sinne in Kombination mit einer ersetzenden Kodierung vorgenommen worden. Bei der Anonymisierung waren aber nur Namen durch Kodes ersetzt worden, und zwar mithilfe der Word-Funktionen ‚Suchen‘ und ‚Ersetzen durch‘. Die Kodes wurden parallel in einer Liste festgehalten, die von den Transkripten getrennt aufbewahrt wurde. Damit wurden die Interviewdaten in zwei Datensätze getrennt, 33 Für die Anonymisierung sind immer die Übermittelnden verantwortlich.

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einerseits die Zuordnungsmerkmale und andererseits die um die Merkmale reduzierten Transkripte. Durch die bloße Trennung und das Ersetzen der Namen und unternehmensspezifischen Bezeichnungen waren die Daten jedoch nicht hinreichend anonymisiert, weil aus dem Kontext dennoch leicht ein Personenbezug hergestellt werden konnte. Im Zusammenhang mit der vorliegenden SemiSekundäranalyse mussten daher berufsbiografische Aussagen und Beschreibungen, Wertungen und die Beteiligung an Praktiken in den jeweiligen Organisationskontexten umfassend anonymisiert werden. Bei einer solchen umfassenden Datenaufbereitung ist beständig abzuwägen zwischen vollständiger Anonymisierung und maximalem Erhalt aussagefähiger und nachvollziehbarer Darstellungen. Dafür wurde eine Kombination aus faktischer Anonymisierung bzw. Schwärzung von Textstellen, formaler Anonymisierung durch Trennen von Merkmalen und pseudonymisierender Kodierung gewählt. Der berufsbiografische Einstieg in das Interview und Passagen, die eindeutig auf die Person und/oder das Unternehmen rückführbar sind, wurden im Sinne der faktischen Anonymisierung gelöscht bzw. geschwärzt. Ebenso wurden Namen von Personen, Orten, anderen Betrieben derselben Branche, Zahlen etc. ausnahmslos jeweils durch drei X ersetzt, um zu verhindern, dass beispielsweise die Wortlänge Rückschlüsse auf bestimmte Namen etc. erlaubt. Anschließend wurden die XXX-Platzhalter grau unterlegt, um die visuelle Wahrnehmbarkeit der gelöschten Textstellen zu erhöhen, sie aber auch nicht zu auffällig wirken zu lassen (wie z.B. durch eine Schwärzung). Unmittelbar nach dem anonymisierten Wort oder der anonymisierten Passage wurde jeweils eine Paraphrase eingefügt, die durch eckige Klammern und das Sonderzeichen ≡, das ‚identisch mit‘ bedeutet, als solche kenntlich gemacht wurde. Die auf das Sonderzeichen und den Doppelpunkt folgenden Paraphrasen geben übergeordnete Kategorien für die anonymisierten Inhalte an und sichern damit die basale inhaltliche Nachvollziehbarkeit. Das folgende Beispiel illustriert diese Verfahren: „A: Bei allem da kommt auch noch die XXX[≡: regionale] Mentalität dazu. Ich denke mal in XXX[≡: Stadt in Westdeutschland] ein 60-Jähriger ist anders als der XXX[≡: Mensch in der Region vor Ort] als 60-Jähriger, das ist ganz eigenartig, aber das ist ein anderer Schlag Mensch, ne.“ (A1, 98-101)

Andere Textstellen mit hohem Bestimmbarkeitspotenzial, die statt Namen oder Zahlen freie Erzählungen enthalten, wurden entsprechend ihrer Ursprungslänge grau eingefärbt: Jeder Buchstabe wurde durch ein graues Feld ersetzt, um den Umfang der Passage zu kennzeichnen. Zwei entsprechende Zeilen im Interview-

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transkript werden also als zwei graue Zeilen abgebildet. Um auch hier das inhaltliche Verständnis und den Lesefluss möglichst weitgehend zu unterstützen, wurden entsprechend einem Vorschlag von Medjedović und Witzel (2010: 149ff.) Thema und Inhalt der grau eingefärbten Passagen im Sinne der pseudonymisierenden Kodierung in einer kurzen Zusammenfassung paraphrasierend – und damit auch interpretierend – wiedergegeben: „A: Den Namen, also den Namen durch die Presse XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXX XXXXXXXXXX[≡: Erzählung zur Bekanntheit eines Eigentümers und dessen privaten Interessenschwerpunkten]“ (A1, 44-48).

Im Interesse des wissenschaftlichen Mehrwerts und der Nachvollziehbarkeit der Befunde wurden dabei Wertungen, Meinungen, Wünsche etc. so weit wie möglich erhalten, während durch Anonymisierung der Bezüge eine Bestimmung der Person verhindert wird.

5. Datenbasis und analytisches Vorgehen

In Kapitel 4.1 habe ich die wissenschaftstheoretisch-methodologische Haltung der Grounded Theory nach Strauss und Strauss/Corbin vorgestellt und in Kapitel 4.2 ausgewählte Verfahren und Instrumente der GT eingeführt. Im Folgenden beschreibe ich nun das konkrete methodische Vorgehen in meiner eigenen semisekundäranalytischen Untersuchung. Vorab skizziere ich kurz die Datenbasis des Primärprojekts, aus dem die hier zugrunde gelegten Daten stammen, und beschreibe etwas ausführlicher das für meine Untersuchung ausgewählte Datenmaterial und die jeweiligen Hintergründe.

5.1 AUSGANGS -D ATENBASIS AUSGEWÄHLTE D ATEN

UND

Im Rahmen des Primärprojekts (s.o. Kap. 1.2) waren zwischen 2010 und 2011 in vier Unternehmen1 rund 70 leitfadengestützte Experteninterviews (vgl. Liebold/Trinczek 2009; Flick 2007) erhoben worden. Die Befragten gehörten verschiedensten Statusebenen an, die Spanne reichte hier von Vorstandsvorsitzenden bis zu Auszubildenden. Der Interviewleitfaden enthielt zwölf Themenblöcke 1

Es handelte sich um eigentümer- oder familiengeführte Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung personelle und strukturelle Transformationsprozesse durchliefen und sich freiwillig zur Teilnahme am Projekt bereit erklärt hatten. Dabei wurden innerhalb der Unternehmen immer Beschäftigte aus zwei Abteilungen oder Teams interviewt, die die jeweilige Personalabteilung in Bezug auf Arbeitsgestaltung, Auftragsstruktur, Fluktuation oder Betriebszugehörigkeit als unterschiedlich einschätzte. Die vier Betriebe stammten alle aus unterschiedlichen Branchen (Textilvertrieb, Produktionsunternehmen aus der Stahlbranche, Software-Dienstleister, Software-Vertrieb).

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mit jeweils ein bis zwei Erzählaufforderungen, mehreren flexibel einsetzbaren Nachfrageoptionen und Kontrolldimensionen. Dieser Datenkorpus stand mir für meine Semi-Sekundäranalyse in vollem Umfang zur Verfügung. Die Auswahl und Zusammenstellung der Datenbasis für diese Untersuchung erfolgte in einem induktiv-deduktiven Prozess parallel zur schrittweisen Eingrenzung und Konkretisierung der Forschungsfrage2 (vgl. Kap. 5.2), in dem ich mich u.a. zunehmend auf die Statusgruppe der Führungskräfte konzentrierte; letztlich wählte ich aus dem gesamten Datenpool für die Beantwortung meiner Forschungsfrage sechs Interviews mit Führungskräften aus drei Unternehmen aus. Im Folgenden führe ich zunächst die drei beteiligten Unternehmen ein; dann stelle ich in Form von Kurzprofilen die sechs interviewten Führungskräfte vor und gebe einen Überblick über die thematischen Schwerpunkte und Auffälligkeiten in den jeweiligen Interviews. Diese Profile bieten naturgemäß keine sachlichneutralen Beschreibungen; vielmehr sind sie von meiner Kenntnis der Daten und meinen Eindrücken geprägt und stellen bereits erste Interpretationen dar. 5.1.1 Die beteiligten Unternehmen Die drei Unternehmen, die in dem letztlich ausgewählten Datensample vertreten sind, unterscheiden sich hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit und der Größe. Gemeinsam ist ihnen, dass kurz vor der Datenerhebung ein Eigner- oder Vorstandswechsel erfolgt war oder ein solcher zu dem Zeitpunkt kurz bevorstand. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Rahmenmerkmale der Unternehmen; anschließend werden diese jeweils kurz vorgestellt.

2

Entsprechend der Haltung der Grounded Theory erfolgten Planung, Datenauswahl, Analyse und Theoriebildung auch in dieser Untersuchung nicht in zeitlich getrennten und linear aufeinander aufbauenden Phasen, sondern in einem Wechselspiel von Handeln und Reflexion zeitlich parallel und funktional aufeinander bezogen (s.o. Kap. 4.1 und 5.2). Entsprechend ist diese lineare Darstellung des Vorgehens bei der Datenauswahl notwendigerweise stark vereinfachend.

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Tabelle 1: Rahmenbedingungen der drei beteiligten Unternehmen Merkmale

Unternehmen A

Unternehmen B

Unternehmen C

Branche

Textilbranche, Handel Bekleidung

IT-Dienstleistungunternehmen, vorw. Entwicklung

SoftwareDienstleister, vorw. Vertrieb

Vorstandsbesetzung

Familienunternehmen; Vorstand: externer Vorsitzender

Vorstand: Inhaber/Gründer und Externer

Vorstand: Inhaber/Gründer und Externe

Größe des Betriebs

2.500 Mitarbeitende

1.300 Mitarbeitende

130 Mitarbeitende

Stand der Umstrukturierung im Unternehmen

Eigentümer-/ Managementwechsel kurz zuvor erfolgt

Eigentümer-/ Managementwechsel kurz zuvor erfolgt

bevorstehender Eigentümer-/ Managementwechsel

Kurzprofil Unternehmen A Unternehmen A ist ein in der Textilbranche tätiges Familienunternehmen mit jahrzehntelanger Tradition. Es bietet seine Produkte an über 30 Standorten in mehreren deutschen Bundesländern an. Die Produktpalette reicht von Luxuslabels bis zu preisgünstigen Eigenmarken; zusätzlich werden Änderungsdienste angeboten. Für die Aus- und Weiterbildung des Personals stehen unternehmensspezifische Qualifizierung- und Bildungsprogramme zur Verfügung. Einige Jahre nach der Jahrtausendwende löste im Vorstand des Unternehmens erstmals ein familienexternes Management die Eigner-Familie ab. Den Vorstandsvorsitz übernahm eine Person, die zuvor bei einem Konkurrenzunternehmen derselben Branche tätig gewesen war. Dieser Führungswechsel setzte umfassende Änderungen in Gang: Strategien und Strukturen wurden überprüft, Führungsorganisation, Geschäftsmodell und Verfahrensweisen der Funktionsbereiche umstrukturiert. Diese Wandlungen führten – entgegen der bis dahin geltenden Betriebs- und Beschäftigtentreue – zu erheblichen personellen Veränderungen: Zahlreiche neue Führungskräfte wurden eingestellt, während langjährigen Mitarbeitenden gekündigt wurde bzw. sie selbst kündigten. Insbesondere Leitungspositionen wurden mit Personen besetzt, die ebenfalls zuvor in dem Konkurrenzunternehmen beschäftigt gewesen waren. Die neuen Führungskräfte wiesen einen ähnlichen Habitus auf, der von der ursprünglichen Unternehmenstypik jedoch deutlich abwich. Ihre Sprache und die äußerlichen Merkmale wie auch ihr Anspruch und Auftreten als Manager_innen erweckten beim Bestands-

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personal den Eindruck von „internen Seilschaften der Neuen“ und einer „feindlichen Übernahme“. Kurzprofil Unternehmen B Unternehmen B ist ein inhabergeführtes IT-Dienstleistungsunternehmen, das über mehr als 30 Jahre gewachsen ist und heute Standorte im gesamten Bundesgebiet sowie in zahlreichen europäischen Ländern hat. Das auf IT-gestützte Geschäftsprozesse ausgerichtete Angebot umfasst eine breite Palette von Dienstleistungen und Softwareentwicklungen ‚aus einer Hand‘, von Beratung und Konzeption über Projektmanagement und Implementierung bis hin zu Schulung, Betrieb, Wartung und Support. Das Unternehmen ist vor allem für industrielle Kundschaft und öffentliche Verwaltungen tätig. Das Segment der industriellen Kundschaft wird als dynamisch beschrieben, der Geschäftsbereich der öffentlichen Verwaltungen als „behördlich“ arbeitend. Diese Differenz manifestiert sich auch in Entfremdung und wechselseitiger Kritik der beiden entsprechenden Teams. Durch sein schnelles Wachstum, auch im internationalen und dezentralen Bereich, steht das Unternehmen nun vor der Herausforderung, bei den neuen oder dezentral tätigen Beschäftigten eine Identifikation mit dem Unternehmen und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu erzeugen, die als besondere Werte des Unternehmens gelten, bzw. sich an neue Diversifizierungen anzupassen – und zwar ohne eine grundsätzliche Sozialisation der Mitarbeitenden innerhalb der Zentrale. Der bevorstehende, aber noch nicht konkret zeitlich geplante Ausstieg des Firmengründers sorgt für Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft und setzt eine Suche nach neuen Identifikationsfiguren oder -symboliken in Gang. Zum Zeitpunkt der Interviews wird ein neues Personalentwicklungs-Tool eingeführt, mit dem fachliche Kompetenzen und persönliche Präferenzen zu Fach- oder Führungskarrieren standardisiert erhoben und Fertigkeiten entsprechend weiterentwickelt werden sollen; seine Einführung ist von Widerstand und Vorbehalten geprägt. Kurzprofil Unternehmen C Unternehmen C ist ein eigentümergeführter Software-Dienstleister, der kurz vor der Jahrtausendwende gegründet wurde und national wie international schnell gewachsen ist. Entwicklung und Vertrieb sind an zwei getrennten, relativ weit voneinander entfernten Standorten situiert. Gründer und Vorstand arbeiten am Vertriebsstandort; entsprechend agiert die Entwicklung weitgehend autonom und die Arbeit ist nach anderen Regeln organisiert. Die beiden Standorte unterscheiden sich auch hinsichtlich der Altersstruktur ihrer Mitglieder: Während im Vertrieb

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überwiegend junge Auszubildende beschäftigt sind, arbeiten in der Entwicklung überwiegend Akademiker_innen mit Berufserfahrung. In den Interviews wird das Unternehmen einerseits als jung, dynamisch, stark, zielstrebig, multikulturell, erfolgreich, aufstrebend, innovativ und locker beschrieben und hervorgehoben, dass es große Freiheiten bei der Arbeitsgestaltung bietet. Andererseits wird es aber auch als unstrukturiert kritisiert, die Mitarbeitenden werden als unerfahren beschrieben und die Ausrichtung des Unternehmens als nicht immer nachvollziehbar. Die Führung wird als zentralistisch und patriarchalisch charakterisiert. Das Unternehmen befindet sich gerade in der Phase der Übernahme durch einen der Branchengiganten; es soll von einem hinzugekommenen Interimsmanager näher erkundet und auf die Übernahme vorbereitet werden. 5.1.2 Vorstellung der ausgewählten Interviews Die sechs Interviews, die ich aus der Datenbasis des Primärprojekts für meine Untersuchung ausgewählt habe, wurden alle mit männlichen Angehörigen der Führungsebene unterhalb des Topmanagements geführt. Diese Interviews repräsentieren innerhalb eines Unternehmens jeweils divergente Merkmale: • in Unternehmen A eine kurze (Interviewter A1) vs. lange (Interviewter A2)

Betriebszugehörigkeit, • in Unternehmen B eine eher positive (Interviewter B1) und eine eher skepti-

sche (Interviewter B2) Sicht auf ein neues Management-Tool zur Personalentwicklung, • in Unternehmen C eher kurze Managementerfahrung aus einem einzigen Unternehmen (Interviewter C1) vs. breite Managementerfahrung, die u.a. zahlreiche Interimsmanagements umfasst (Interviewter C2).

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Tabelle 2: Übersicht über die Interviewten, ausgewählte Eigenschaften und Faktoren Unternehmen A

Interviewter A1

Interviewter A2

Geschlecht, Alter

männlich, Ende 30/ Anfang 40

männlich, Mitte/ Ende 50

Position im Unternehmen

Geschäftsleiter

„Chef-Controller“, zuständig für Einkauf und Führung im Bereich Buying Support

Unternehmenszugehörigkeit

knapp 6 Monate, laufende Probezeit

35-40 Jahre

höchster Bildungsabschluss

Abitur, kaufmännische Ausbildung; beruflicher Einstieg ab dem 29./30. Lebensjahr; Wunsch nach Aufstieg

kaufmännische Ausbildung

Bezug zum Eigentümer oder zur Gründerfamilie

nicht verwandt; enge Beziehung zum neuen CEO, war mehrere Jahre unter diesem beschäftigt und ist zusammen mit ihm aus einem Konkurrenzunternehmen zu Unternehmen A gekommen

bereits seit der Ausbildung im Unternehmen A

Dauer des Interviews

1:48 Std.

1:24 Std.

Unternehmen B

Interviewter B1

Interviewter B2

Geschlecht, Alter

männlich, Anfang/Mitte 50

männlich, Ende 40/Anfang 50

Position im Unternehmen

Bereichsleiter Professional Services national/international, außerdem zuständig für Personalentwicklung

Bereichsleiter Anwendungsentwicklung

Unternehmenszugehörigkeit

25-30 Jahre

20-25 Jahre, zuvor dort studentischer Mitarbeiter

höchster Bildungsabschluss

Diplom-Informatiker

Diplom-Informatiker

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Bezug zum Eigentümer oder zur Gründerfamilie

hat schon als Student für das Unternehmen gearbeitet und es nach eigener Aussage mit aufgebaut

hat schon als Student für das Unternehmen gearbeitet und es nach eigener Aussage mit aufgebaut

Dauer des Interviews

1:29 Std.

1:24 Std.

Unternehmen C

Interviewter C1

Interviewter C2

Geschlecht, Alter

männlich, Ende 20/ Anfang 30

männlich, Ende 40/ Anfang 50

Position im Unternehmen

Vertriebsleiter national; Vorstandsmitglied

Vertriebsleiter international; Vorstandsmitglied

Unternehmenszugehörigkeit

10-15 Jahre

4 Monate, Interimsmanagement für max. 6 Monate

höchster Bildungsabschluss

kaufmännische Ausbildung

Studium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Bezug zum Eigentümer oder zur Gründerfamilie

nicht verwandt, aber enge Beziehung: mit einem Mitglied der Eigentümer-/ Gründerfamilie liiert und mehrjährige Arbeitserfahrung mit dem Gründer

keine gemeinsame Historie oder Familienanbindung, sachbezogener Kontakt

Dauer des Interviews

1:30 Std.

1:42 Std.

Die einzelnen Interviews weisen jeweils eine eigene Spezifik auf, die sich aus den jeweils geschilderten Beispielen und Situationen, aus der thematischen Fokussierung und den individuellen Erzählungen mit ihren jeweiligen Erzählzwängen ergibt. Zwar analysiere ich die Interviews keineswegs als in sich geschlossene Fälle, die dann jeweils auffällige Widersprüche enthalten. Im Sinne der Orientierung und Interpretation erscheint es mir aber sinnvoll, charakteristische Aspekte oder Eigenschaften in Bezug auf Vertrauen zu skizzieren, die in den Interviews jeweils thematisiert oder vertieft werden. Entsprechend zeigen die folgenden Kurzprofile der Interviews die jeweils dominierenden Themen und das Verständnis der Befragten von Vertrauen, Misstrauen und Kontrolle auf.

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Kurzprofil Interview A1 Interview A1 ist aus meiner Sicht von drei Themen bestimmt: erstens der Darstellung der früheren Interaktionsgeschichte und der aktuellen Interaktion mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden, der A1 ins Unternehmen A geholt hat, zweitens dem Vergleich zwischen dem Herkunftsunternehmen und Unternehmen A und drittens der Begeisterung für Textilien. In diesem Interview geht es um die Anforderungen und Handlungen, mit denen das Unternehmen in die Zukunft geführt und auf neue Leistungsprinzipien mit ebenso neuen Freiheiten für die Einzelpersonen umgestellt werden kann, und um den spezifischen Beitrag, den der Interviewte dazu leistet. Obwohl er erst kurze Zeit im Unternehmen ist, äußert der Interviewte, dass er sich diesem trotz einer kritischen Distanz seitens seiner Kolleg_innen „durch und durch“ zugehörig fühlt und sich dort etablieren will. Weil er den CEO und den Verkaufsleiter von seiner früheren Arbeitsstelle kennt, rechnet er sich dem Wandel zu und versucht, bei seinen statusgleichen Kolleg_innen für diesen Wandel zu werben und ihn zu moderieren. Als Vertrauen beschreibt A1 einen Austausch über persönliche und private Dinge, Offenheit und Loyalität; als Voraussetzungen für Vertrauen hebt er Lob, Leistungsbereitschaft und die Durchführung von Kontrollen hervor. Misstrauen, das durch Kontrolle praktiziert wird, bewertet er als legitim unter der Bedingung, dass es sich um „gesundes“, d.h. sachgerechtes Misstrauen handelt. Kontrolle hält er für erforderlich, auch wenn bereits Vertrauen besteht, damit der Druck zu Leistung und Loyalität aufrechterhalten bleibt. Seine Rolle im Unternehmen sieht er als Motivator, Antreiber und auch Kontrolleur; er sieht in seiner Person die neue Ausrichtung des Unternehmens verkörpert: akademischer, dynamischer, mit „gegeltem“ Stil. Kurzprofil Interview A2 Interview A2 ist m.E. von zwei Themen dominiert: Zum einen betont der Befragte die Hinterhältigkeit und mangelnde Disziplin einzelner Unternehmensangehöriger, die durch Strukturveränderungen hervorgerufen worden seien; zum anderen beschreibt er die Praxis der Kontrolle, mit der er der kritisierten Hinterhältigkeit begegnet und die betreffenden Personen diszipliniert. Letzteres stellt er als Handeln eines „totalen Kontrollfreaks“ und „Perfektionisten“ dar, der nur sich selbst vertraut. Sich selbst bezeichnet der Interviewte als „alten Haudegen“ und „hausgeschnitzten Typ“, der schon seit seiner Ausbildung im Unternehmen tätig ist und dessen Strukturen durch verschiedene Positionen gut kennt und einschätzen kann. Weil er schon zahlreiche Veränderungen erlebt und „ausgesessen“ hat, sieht er seine Rolle darin, auf der Basis seiner Einschätzungen den „jungen Pferden“ die Richtung zu weisen und sie „zur Ordnung zu rufen“.

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Vertrauen sieht der Befragte dann gegeben, wenn man sich „die Wahrheit ins Gesicht“ sagt. Als Voraussetzung für Vertrauen nennt er Geradlinigkeit und Disziplin. Das Gegenteil von Vertrauen ist für ihn Hinterhältigkeit und fehlende Disziplin; diese werden seiner Meinung nach durch Zuständigkeitsveränderungen und -konflikte aufgrund von Führungswechseln strukturell ermöglicht und verursacht. Kontrolle beschreibt er als Voraussetzung für Vertrauen; weil er aber nur sich selbst traut, wird die letzte Kontrolle in seinem Zuständigkeitsbereich nur von ihm selbst durchgeführt. Kurzprofil Interview B1 In Interview B1 geht es insbesondere um das Verhältnis von formaler und informaler Kommunikation. Dies illustriert der Befragte anhand der Veränderungen im expandierenden Unternehmen, wobei er das neue PersonalentwicklungsTool verhalten positiv darstellt. Er beschreibt eine wertschätzende Duz-Kultur, gegenseitige Fürsorge und auf langjährigem persönlichem Kontakt basierende Kooperationen, die er durch die Expansion gefährdet sieht. Vertrauen bedeutet für ihn als „Herztyp“ Kommunikation und ist persönlichkeitsabhängig. Es kann formale Strukturen ersetzen und vice versa. Der Befragte stellt Vertrauen als notwendiges Element in Organisationen dar, schränkt dies aber zugleich dahingehend ein, dass Vertrauen allein nicht ausreiche. Als Antonyme zu Vertrauen nennt er Misstrauen und Skepsis; diese zeigten sich z.B. in Unruhe, die durch organisationale Veränderungen hervorgerufen werde. Beides könne aber „gesund“ sein. Vertrauen wird im Vergleich mit Kontrolle als wertvoller eingeschätzt, Kontrolle aber als notwendig charakterisiert. Kurzprofil Interview B2 In Interview B2 sind drei Themen vorherrschend: erstens Berechenbarkeit im beruflichen Miteinander durch Strukturen und persönliche Verlässlichkeit, zweitens das eigene Erleben und Erleiden von Unberechenbarkeit und mangelnder Verlässlichkeit und drittens Kritik am neuen Personalentwicklungs-Tool. Das Unternehmen wird als „Familienclan“ mit „weißhaarigem Führer“ beschrieben, in dem es teilweise auch mafiöse Strukturen gebe. Als wichtig für Vertrauen beschreibt der Interviewte Orientierung durch Strukturen. Diese müssten Perspektiv- und Hilflosigkeit vorbeugen und eine Prognose für die Zukunft erlauben. Als Antonym von Vertrauen wird „Burn-out“ benannt; dabei verweist der Befragte auf eine krisen- und konflikthafte biografische Erfahrung mit einer bestimmten personellen Konstellation. Das neue Personalentwicklungs-Tool sieht er kritischer als B1 und schreibt ihm ein langfristig destruktives Potenzial zu.

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Kurzprofil Interview C1 Das dominierende Thema in Interview C1 ist aus meiner Sicht Kontrolle, sowohl von Informationen als auch von Personen und Beziehungen; den vorherrschenden kognitiv-strategischen Zugang zum Thema illustrieren bildreiche Ausdrücke wie „Buddys“, „Kompetenz darstellen“, „IQ wie ein Brötchen“ und „Schach spielen im Hintergrund“. Der Interviewte, der mit einer Familienangehörigen des Firmengründers und Vorstandsvorsitzenden liiert ist, beschreibt sich als loyalen Kundschafter für Letzteren; so müssten seine Mitarbeitenden auch damit rechnen, dass er ihr Vertrauen bricht und Informationen weitergibt. Dabei erwartet er selbst allerdings Vertraulichkeit. Bezogen auf den Vorstandsvorsitzenden sieht er sich in der Rolle des Übersetzers, der Informationen z.T. auch manipuliert. Sein Vertrauen gründet sich auf Kompetenz, Zutrauen und die Meinung bestimmter Personen oder größerer Gruppen von Beschäftigten; Einschätzungen von Einzelpersonen sind dafür nur bei einer langen gemeinsamen Interaktionsgeschichte relevant. Als Gegenteil von Vertrauen benennt er Misstrauen, genauer: „Missvertrauen“, das er als Grundlage von Kontrolle darstellt. Kontrolle wird in den Funktionszusammenhang einer Unterstützung von Selbstmanagement gestellt, die vorrangig bei als leistungsschwach eingeschätzten Personen erforderlich ist. Kurzprofil Interview C2 Interview C2 ist geprägt von einer diagnostischen und damit eher distanzierten Beschreibung der Unterschiede, die zwischen den Bereichen Vertrieb und Entwicklung bestehen, und der Schritte, die der Interviewte als erforderlich ansieht, um diese Unterschiede entweder nutzbar zu machen oder zu nivellieren. Zum Zeitpunkt des Interviews ist er erst kurz im Unternehmen; er wurde von dem Branchengiganten, der Unternehmen C übernehmen wird, als Interimsmanager dorthin entsandt, um den Übergang vorzubereiten. Vertrauen stellt der Befragte als eine Voraussetzung für Effizienz und Leistungsfähigkeit dar; es bedeutet für ihn den Verzicht auf Kontrolle. Misstrauen „darf es in einem Unternehmen schlicht nicht geben“.

5.2 AUSWAHL UND ANALYSE

DER

D ATEN

In diesem Kapitel skizziere ich drei Prozesse meines analytischen Vorgehens: die Datenauswahl, das Kodieren und die Entwicklung der Konzepte, Kategorien und Zusammenhänge.

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5.2.1 Der Prozess der Datenauswahl Bei der Auswahl der Daten für meine Semi-Sekundäranalyse aus dem Gesamtsample der Primärstudie orientierte ich mich am sogenannten theoretical sampling (vgl. Kap. 4.2.3). Um in diesen Prozess auch meine Vorerfahrungen aus der Auseinandersetzung mit der Theorie und frühere Eindrücke aus der breit gefächerten Empirie einzubeziehen – eine inhärente Besonderheit von Sekundäranalysen –, nahm ich zunächst ein erstes, offenes Sampling vor (vgl. Strauss/Corbin 1996: 153ff.). Entsprechend der Vorgehensweise der GT führte ich parallel zur Datenauswahl eine erste offene Kodierung des Materials durch (siehe dazu ausführlicher Kap. 5.2.1).3 Bei der analytischen Auseinandersetzung mit den Daten ergaben sich zunächst eher diffuse Beobachtungen und vielseitige Interessen, die aber noch keine begründete Auswahl erlaubten. Als Ausgangspunkt wählte ich ein Interview, das ich in der Erhebungsphase des Primärprojekts selbst geführt hatte (C1) und bei dem mir von Anfang an die bildreiche Sprache, die komplexen reflexiven Schleifen und die Wechsel in der Erzählstruktur aufgefallen waren. Bei der erneuten und wiederholten Auseinandersetzung mit dem Interviewtranskript traten immer deutlicher ein starker Bezug auf Informationen und Informationskontrolle sowie zahlreiche Schilderungen und Begründungen von Kontrollpraktiken hervor. Weiterhin wechselte die Zurechnung von Erklärungen im Verlauf der Argumentationen ständig zwischen den beiden Ebenen Organisation und Person; bereits das Interview oszillierte also zwischen Meso- und Mikroebene. Ich leitete daraus die Annahme ab, dass Führungskräfte besonders geeignet sein könnten, um über den Gegenstand „Vertrauen innerhalb von Organisationen“ Auskunft zu geben. Davon ausgehend setzte ich mich mit den Interviews weiterer Führungskräfte auseinander, sondierte aber weiterhin auch die Interviews mit Vorstandsvorsitzenden und Beschäftigten; dabei verfasste ich kontinuierlich Memos und theoretische Notizen. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit den Daten zeichnete sich u.a. zunehmend ab, dass die befragten Führungskräfte über Vertrauen zum einen als Modus der Handlungskoordination berichten, zum anderen Vertrauen und ihre eigene Rolle in etwas unterschiedlicher Weise zueinander in Beziehung setzen. Diese Facetten, Nuancen und situativen Bedingungen werden besonders in Passagen deutlich, in denen die Befragten eigene Entscheidungen entweder mit Verweis auf ihre Rolle als Repräsentant der Organisation oder mit persönli-

3

Der typische Forschungsprozess der GT, nach dem die Kodierung des Materials parallel zur Datenerhebung erfolgt (vgl. Kap. 4.2.1 und 4.2.3), war hier insofern abzuwandeln, als die Kodierung parallel zur Datenauswahl vorgenommen wurde.

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chen Interessen als Individuum begründen oder Persönliches zu Beruflichem in Beziehung setzen. In dieser Beschäftigung mit den Daten und dem damit einhergehenden Prozess der zunehmenden Entwicklung und Schärfung meiner Fragestellung bestätigte sich auch zunehmend, dass Führungskräfte als Referenzgruppe für meine Fragestellung besonders geeignet sind. Auf dieser Grundlage reduzierte ich anhand meiner Notizen und Memos den ursprünglichen Datenkorpus auf zunächst fünfzehn Transkripte, die mir für den theoretischen Erkenntnisgewinn ergiebig erschienen. Mit den verbliebenen fünfzehn Interviews unternahm ich ein diskriminierendes Sampling. Ich wiederholte den gesamten Kodierprozess und verfolgte dabei meine Ideen zu möglichen Konzepten weiter. Diese waren Ergebnis des ersten offenen Kodierens gewesen und dienten mir als Arbeitshypothesen über den roten Faden und erste Ideen zu möglichen Kernkategorien. Mit einem weitergehenden selektiven Kodieren (vgl. Kap. 4.2.2) prüfte ich, ob ‚Institutionalisierung von Vertrauen‘ als Kernkategorie taugte und inwieweit die ausgewählten Daten geeignet waren, „Variation, Prozeß und auch Dichte“ (Strauss/Corbin 1996: 150) herzustellen, wie es die GT fordert. Das erneute Kodieren machte deutlich, dass neun der fünfzehn Interviews dazu inhaltlich weniger beitrugen als zunächst erwartet. Daraufhin verwarf ich diese neun Interviews und beschränkte die Analyse schließlich auf sechs Interviews.4 Diese bereitete ich dann durch Anonymisierung (vgl. Kap. 4.3.2) für die sekundäranalytische Nutzung auf; in dem durch die Anonymisierung reduzierten und damit veränderten Datenmaterial vollzog ich meine Kodierungen noch einmal nach. 5.2.2 Der Prozess des Kodierens Im ersten Schritt des offenen Kodierens befasste ich mich wie oben schon angesprochen mit dem Interview C1, das sich durch bildhafte Sprache, komplexe Erzählstrukturen und Reflexivität auszeichnet. Ich zergliederte das Interview in Sinneinheiten bzw. einzelne Aussagen,5 analysierte es in kleinen Schritten – 4

Auf einer solchen Datenbasis ein Modell und eine Theorie über die Institutionalisierung von Vertrauen zu entwickeln ist im Rahmen der GT legitim. Denn diese zielt nicht auf statistische Repräsentativität; vielmehr geht es im Forschungsprozess darum, das Datenmaterial vollständig zu erfassen, alle untersuchten Fälle extensiv darzustellen und die Befunde sowie ihre Relevanz in den Daten zu verankern (vgl. Strauss/Corbin 1996: 150f.).

5

Dies erfolgte u.a. mit Unterstützung anderer Doktoranden und Doktorandinnen in einem Interpretationskolloquium.

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Wort für Wort, Zeile für Zeile oder Absatz für Absatz – sequenziell auf zentrale Aussagen hin und versah diese mit entsprechenden Kodes und kurzen Anmerkungen.6 Diese ersten Kodes basierten vorrangig auf Begriffen des Befragten (sogenannte In-vivo-Kodes, beim Interviewten C1 waren das z.B. „Vertrauenslevel“, „Schach spielen im Hintergrund“, „Buddys“, „Bier trinken“ und „Ehrlichkeit“); dabei flossen aber auch theoretisches und alltagsweltliches Vorwissen sowie meine Wahrnehmungen und Eindrücke aus der Primärstudie ein. Anschließend markierte ich Begriffe, die mir auffällig erschienen oder die im Interview wiederholt auftauchten, protokollierte meinen Gesamteindruck vom Interview nach dieser ersten erneuten Lektüre und hielt zentrale Aussagen des Interviewten in theoretischen Memos7 fest. Auf der Basis dieser ersten Kodes setzte ich mich erneut mit diesem Interviewtranskript auseinander und zog peu à peu weitere Transkripte hinzu; im Zuge dieser Analysen entwickelte ich neue Kodes und verdichtete sie zu Konzepten (s.o. Kap. 4.2.1). Aufschlussreich war dabei u.a. die gezielte Beachtung kontext- oder personentypischer Phrasen, die dem Datenmaterial als In-vivoKodes entnommen wurden. Es handelt sich um Begriffe und Sprachbilder, die anscheinend für den Organisationskontext spezifisch sind (z.B. „auf die Matte legen“, „Biotop“ oder nautische Metaphern wie „Boot“, „Rudern“ oder „Tan6

Für den technischen Prozess des Kodierens verwendete ich das Programm MAXQDA in der Version 10. Über die eigentliche Kodierung hinaus nutzte ich das Programm auch, um darin Memos zu schreiben und einzelne Kodes zu Konzepten und Konzepte zu Kategorien zu verbinden. Besonders hilfreich für meine Untersuchung war die Funktion, Kodes etc. in Form von Listen anzuzeigen, entweder für ein einzelnes Interviewtranskript oder für alle Transkripte zugleich. Diese Software ersetzt natürlich nicht das analytische Denken und kann auch keine Unsicherheit oder Nachlässigkeit in Bezug auf das Kodieren kompensieren. Sie ermöglichte mir aber, die Daten übersichtlich zu verwalten und auszuwerten und den Arbeitsprozess systematisch zu dokumentieren. Auf dieser Basis wurde schließlich auch die vorliegende geschlossene Darstellung erstellt.

7

Solche theoretischen Memos (vgl. Strauss/Corbin 1996: 169ff.) legte ich über den gesamten Prozess ab der Entwicklung des Forschungsvorhabens an; darin hielt ich fortlaufend Beobachtungen, Überlegungen und Einsichten zu den Kodes, Konzepten und Kategorien fest. Sie dienten als Grundlage für die systematische Verknüpfung zwischen den Konzepten. Flankierend führte ich ein Forschungstagebuch, in dem ich themenbezogen Anregungen, Ideen, Fragen und Reflexionen fixierte, die in unterschiedlichen Kontexten aufgekommen waren (beispielsweise in Gesprächen auf Tagungen, bei Workshops oder in Kolloquien, also jenseits der eigentlichen Arbeit mit dem Datenmaterial).

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ker“), außerdem Versprecher (sowohl bei Begriffen als auch bei ihrer grammatischen Einbettung) und Personenbezeichnungen bzw. Namensnennungen (z.B. auf wen unter welchen Bedingungen mit „Herr“ und dem Nachnamen Bezug genommen wird, auf wen lediglich mit dem Nachnamen). Zudem nutzte ich über den gesamten Kodierprozess hinweg eine Technik, die Strauss und Corbin (1996: 70f.) als „Schwenken der roten Fahne“ bezeichnen, nämlich die bewusste Reflexion von Signalwörtern und Phrasen. Diese Technik wurde entwickelt, um den Blick für weniger offensichtliche Aspekte und Zusammenhänge in den Daten zu schärfen, Problembereiche erkennbar werden zu lassen und nichts für selbstverständlich zu halten. Um auch im Zuge dieser Sekundäranalyse – und somit meiner zweiten Annäherung und intensiven Auseinandersetzung mit den Daten – eine gewisse Distanz zu diesen zu wahren, achtete ich insbesondere beim offenen Kodieren auf die von Strauss und Corbin für diesen Schritt genannten Begriffe ‚nie‘, ‚immer‘, ‚man‘, ‚jeder‘, ‚niemand‘, ‚glauben‘, ‚wissen‘ und ‚unmöglich‘. Diese Technik erwies sich als ausgesprochen hilfreich; erst dadurch wurde z.B. erkennbar, dass die Voraussetzungen, unter denen die Interviewten auf sich selbst mit generalisiertem ‚man‘ Bezug nehmen, unterschiedlich nuanciert sind. So entwickelte sich etwa das Konzept der ‚Selbstimmunisierung/Selbstcharismatisierung‘, ohne das wichtige Kategorien wie ‚Sets unterschiedlicher Regeln/Regeltypen‘ und ‚Agenten der eigenen und der anderen Seite‘ nicht hätten verdichtet und hinreichend in ihren unterschiedlichen Bedingungen verankert werden können. In der darauf aufbauenden Phase des axialen und selektiven Kodierens8 verfeinerte ich die im vorherigen Schritt entwickelten Kodes und die ersten daraus abgeleiteten Konzepte, differenzierte diese weiter aus und fasste sie zu ersten sich abzeichnenden Kategorien zusammen (z.B. ‚Agenten der eigenen Seite‘, ‚Sets unterschiedlicher Regeltypen‘). Dabei kodierte ich Teile der Daten immer wieder, um die Beziehungen der gegenstandsbezogenen Konzepte zu den immer klarer hervortretenden Kategorien zu überprüfen und die theoretische Sättigung (vgl. Kap. 4.2.3) zu hinterfragen. Zugleich zergliederte ich die Kategorien in ihre Eigenschaften, z.B. die unterschiedlichen Regeltypen in die Eigenschaften kognitiv-strategisch und affektiv-strategisch. Für diese Eigenschaften suchte ich dann nach Ausprägungen, z.B. ‚gering‘ und ‚stark‘ für die kognitiv-strategische oder affektiv-strategische Eigenschaft der Regeltypen oder ‚kurz‘ und ‚lang‘ für die Dauer der Organisationsmitgliedschaft. Dieser Prozess des sogenannten Dimensionalisierens (vgl. Strauss/Corbin 1996: 100f.) bot die Grundlage für 8

In der praktischen Durchführung erfolgen die Prozessschritte des offenen, axialen und selektiven Kodierens aufgrund des zyklisch-iterativen Vorgehens natürlich nicht so strikt voneinander getrennt, wie sie in dieser linearen Darstellung erscheinen.

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spätere Vergleiche der Kernkategorie und der sie weiter differenzierenden Hauptkategorien. Als eine Verbindung zwischen den Hauptkategorien ‚Wahrnehmung der Rolle und hierarchischen Position‘ und ‚Dauer und Qualität der Interaktionsgeschichte‘ zeichnete sich beispielsweise ab, dass eine als gering beschriebene Distanz in Interaktionsgeschichten häufig mit einer als lang dargestellten Organisationsmitgliedschaft zusammentrifft – und dass Ausnahmen davon begründet werden; so wird ein gewährter Vertrauensvorschuss bei kurzer Betriebszugehörigkeit z.B. damit plausibilisiert, dass der betreffende Akteur an der Einstellung der interviewten Person beteiligt war. Im gesamten Prozess meiner Analyse setzte ich wiederkehrend die generativen Fragen und das paradigmatische Modell (s.o. Kap. 4.2.2) flexibel ein. In der Phase des offenen Kodierens arbeitete ich dabei nicht ausschließlich mit den empfohlenen generativen W-Fragen, sondern ergänzte diese theoriegeleitet durch ein von Henning Nuissl (2002) empfohlenes Vorgehen: Nuissl entwickelt in einer Auseinandersetzung mit der vielfältigen Literatur zu Vertrauen eine Heuristik, um die jeweilige spezifische Wahrnehmung konkreter sozialer Akteure von bestimmten lebensweltlichen Dimensionen von Vertrauen zu rekonstruieren; dazu dient die Differenzierung von Objekten, Erscheinungsweisen, Grundlagen, Funktionen und Generatoren von Vertrauen (vgl. ebd.: 100). Für mein Kodierverfahren suchte ich also auch danach, „wer worauf vertraut, worin sich dies äußert, aus welchen Gründen vertraut wird, welche Funktion das feststellbare Vertrauen jeweils hat und wie es entstanden ist“ (ebd.: 101). Zusätzlich griff ich drei Fragen aus dem Interviewleitfaden auf und verfasste dazu ausführliche theoretische Memos: • Was verstehen die Befragten jeweils unter Vertrauen? • Was ist nach ihrem Verständnis das Gegenteil von Vertrauen? Was ist ein

Vertrauensbruch? • Welche Rolle spielen Transparenz und Kontrolle in der Organisation?

Im Verlauf der auf diese Weise geleiteten Kodierung und Erstellung von Memos wurden zunehmend übergreifende Tendenzen erkennbar. So erwies sich die Institutionalisierung von Vertrauen innerhalb von Organisationen – verstanden als eine Form des Umgangs mit Ungewissheiten – als unerwartet normativ aufgeladen, und es zeigten sich kontext- und rollenspezifische Verletzbarkeiten der untersuchten Akteursgruppe, z.B. das Bemühen um möglichst rationale, sachbetonte Argumente zur Charismatisierung – nicht nur Legitimierung – des eigenen Handelns.

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In der Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Sets von Fragen und Aspekten entwickelten sich im Laufe des Kodier- und Analyseprozesses weitere Konzepte und Subkategorien, die schließlich in den Hauptkategorien gebündelt und unter die Kern- bzw. Schlüsselkategorie subsumiert wurden, die alle Hauptkategorien verbindet und das Zentrum der entwickelten Theorie bildet (vgl. Kap. 6.2 und 7). 5.2.3 Die Entwicklung der Konzepte, Kategorien und Zusammenhänge Die von den Interviewten selbst oder in Beantwortung der Fragen aufgeworfenen Aspekte und Themen, die im Verlauf der Analyse herausgearbeiteten Konzepte und Kategorien sowie ihre Eigenschaften und Ausprägungen verglich ich wiederholt miteinander, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zu erfassen. Nach Strauss und Corbin (1996) besitzt jedes Auftreten eines Phänomens aus einer Kategorie ein einzigartiges Profil, das analytisch zu erschließen ist; der Prozess des Vergleichens dient dazu, zum einen neue Kategorien und zum anderen Beziehungen zwischen den Kategorien hervorzubringen. Ich ging dabei sowohl minimal als auch maximal kontrastierend vor, indem ich einerseits nach einer Bestätigung der herausgearbeiteten Kategorien und Konzepte suchte (z.B. wiederholte Bezugnahmen auf Wissens- und Informationskontrolle) und andererseits Gegensätzen nachging (z.B. in Bezug auf die Dauer der Organisationsmitgliedschaft). In dieser Weise bildete ich immer wieder vorläufige Hypothesen über Intraorganisationsvertrauen, die ich im weiteren Forschungsprozess anhand der Daten überprüfte, bestätigte, widerlegte und modifizierte. Beispielsweise ergab sich daraus die Hypothese, dass im Zusammenhang mit Vertrauen nicht nur die Dauer der Interaktionsgeschichte mit einer Person eine wichtige Rolle spielt, sondern unabhängig davon auch die Dauer der jeweiligen Organisationsmitgliedschaft. Dies wurde als ein relevantes Merkmal erst durch die ständigen Vergleiche sichtbar und ließ sich durch das diskrimierende Sampling (vgl. Kap. 4.2.3) erhärten. Durch das wiederholte systematische In-Beziehung-Setzen von Kategorien zu anderen Kategorien und die Validierung dieser Beziehungen entwickelte ich einzelne Kategorien sukzessive zu Kernkategorien weiter und verfeinerte sie. Nach dem Kodierparadigma (vgl. Kap. 4.2.2) erarbeitete ich dann bezogen auf das untersuchte Phänomen Konstellationen von Kategorien und Beziehungen zwischen diesen Kategorien (z.B. zum Verlauf von Vertrauens-, Misstrauensund Kontrollpraktiken unter verschiedenen Bedingungen und mit unterschiedli-

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chen Konsequenzen), die ich durch weitere kontinuierliche Vergleiche an den ausgewählten Daten überprüfte. Um die Kategorien und besonders die Zusammenhänge zwischen ihnen zu erfassen und zu schärfen, nutzte ich eine leicht modifizierte Form der Bedingungsmatrix. Diese unterstützte meine Analyse insofern, als sie erlaubte, systematisch Einflüsse der Meso- und Makroebene auf die Konstrukte und Praktiken der untersuchten Akteursgruppe zu identifizieren und zu diesen in Beziehung zu setzen. Zugleich half sie zu erkennen, wie und mit welchen Konsequenzen mikro- und makrostrukturelle Bedingungen auf die Mesoebene der Organisation wirken, die für das Vertrauen innerhalb von Organisationen zentral ist. Ich passte die Matrix für mein Forschungsinteresse folgendermaßen an: Abbildung 7: Modifizierte Bedingungsmatrix für die vorliegende Untersuchung mit Beispielen für Bedingungen und Konsequenzen9

Durch das Hin- und Herpendeln zwischen verschiedenen Ebenen ließen sich das untersuchte Phänomen – die Institutionalisierung von Vertrauen –, seine spezifischen Bedingungen und seine Auswirkungen auf das Handeln miteinander ver9

Die Ebene der Gemeinde habe ich in die angepasste Matrix nicht aufgenommen, da sie sich als für meine Untersuchung bedeutungslos erwiesen hat.

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binden und abgleichen, und spezifische Nuancen konnten zueinander in Beziehung gesetzt werden.10 Das theoretische Modell, das sich schließlich im Zuge meiner Kodierarbeit und als deren Ergebnis entwickelte, umfasst eine Kernkategorie – die Institutionalisierung von Vertrauen –, die zugleich das zentrale Phänomen meiner Analyse darstellt, und eine Reihe darauf bezogener Hauptkategorien, die geeignet sind, das Phänomen zu beschreiben und alle Subkategorien einzubeziehen. Im nächsten Kapitel stelle ich meine Befunde dar und interpretiere sie, erläutere die Hauptkategorien und beschreibe ausgehend von der Kernkategorie mein theoretisches Modell der Institutionalisierung von Vertrauen in Organisationen, das die zentralen Ergebnisse zu Konstrukten von Vertrauen und Praktiken seiner Dar- und Herstellung zusammenfasst.

10 In der Darstellung meiner Ergebnisse (Kap. 6) lege ich nicht sämtliche hier verfolgten Pfade offen, sondern fokussiere auf diejenigen Bedingungen und Konsequenzen, die sich beim Zurückverfolgen über die verschiedenen Ebenen als für meine Interpretation des Phänomens bedeutsam erwiesen haben. Ich stelle also nicht explizit sämtliche Oszillationen dar, sondern flechte diese durch Perspektiv- und Ebenenwechsel in den Gang meiner Analyse und Interpretation ein. Diese Wechsel sind insofern gut erkennbar, als die Aspekte, die sich im Zuge der Interpretationsarbeit als bedeutsame Bedingungen und Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen erwiesen haben, in den Theoriekapiteln 2 und 3 bereits eingeführt wurden; dazu gehören z.B. der Wandel der Arbeit, Bindung und Kontrolle.

6. Ergebnisse

In diesem Kapitel präsentiere ich die Befunde meiner Analyse und Interpretation des Datenmaterials. Die Grounded Theory macht keine Vorgaben oder gibt Rahmenempfehlungen für die Präsentation von Ergebnissen; sie fordert lediglich, die analytische Botschaft deutlich und nachvollziehbar darzustellen (vgl. Strauss/Corbin 1996: 200f.). Wie der Titel meiner Untersuchung schon ankündigt, ist meine analytische Botschaft auf die Kernkategorie bezogen und damit auf den ‚roten Faden‘, der meine Befunde verbindet: die ‚Institutionalisierung von Vertrauen‘. In den Kapiteln 2 und 3 habe ich darauf orientierte theoretische Hintergründe skizziert, die für meine Analyse bedeutsam sind. Der zentrale Befund hierzu lautet, dass Vertrauen im Organisationskontext in Form abstrakter Vorstellungen und Praktiken bereits institutionalisiert ist, d.h. habitualisiert typisiert wird. Dabei erweist sich das normative Konzept von Vertrauen als überraschend verfestigte Institution; die darauf bezogene Praxis sehe ich demgegenüber als weniger verfestigt. Bei der Darlegung meiner Ergebnisse, auf denen diese analytische Botschaft basiert, gehe ich folgendermaßen vor: Zunächst beschreibe ich detailliert die auf Vertrauen bezogenen empirischen Praktiken, die aus der Datenanalyse hervorgegangen sind, und zeige jeweils ihre Implikationen für die abstrakten Konzepte von Vertrauen innerhalb von Organisationen, die die Akteure damit aufwerfen (Kap. 6.1). Damit greife ich meine Forschungsfrage auf und beantworte sie. Im nächsten Schritt zeige ich anhand meines theoretischen Modells zur „Institutionalisierung von Vertrauen“, in welcher Weise ich die verdichtete Kernkategorie und die sie umgebenden Hauptkategorien einander zuordne (Kap. 6.2). Gemessen an der analytischen Auseinandersetzung mit dem über 200 Seiten umfassenden Datenkorpus ist die Darstellung der Ergebnisse notwendigerweise eine stark reduzierende. Um einen möglichst umfassenden und zugleich fokussierten Einblick in die Empirie zu geben – und dabei auch meine Arbeitsweise zu illustrieren –, gehe ich in den folgenden Kapiteln nur auf die Aspekte ein, die für

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meine abschließend vorgestellte Theorie zentral sind, auch wenn viele andere Aspekte ebenfalls spannend und für weitere Fragen aufschlussreich wären.

6.1 V ERTRAUEN

ALS

K ONSTRUKTION VON P RAXIS

In diesem Kapitel stelle ich meine Befunde zu Vertrauen als Konstruktion von Praxis dar. Dies umfasst sowohl Konzepte von Vertrauen, die im praktischen Handeln gebildet werden, als auch solche, die dem praktischen Handeln unterliegen, also eine Basis für das Handeln bieten. Damit ist bereits erkennbar, dass ich Konstrukte und Praktiken ineinander verschränkt zeigen werde und nicht nacheinander. In der Auseinandersetzung mit den Transkripten fällt als Erstes auf, dass empirisch nicht differenziert wird zwischen (abstrakten) konzeptionellen Vorstellungen und Praktiken (als Ausdruck und Manifestation) von Vertrauen. Was ein Interviewter als Definition von Vertrauen allgemein oder als ein konstitutives Merkmal von Vertrauen benennt, beschreibt ein anderer als eine Praxis von Vertrauen. Auf explizite Fragen nach Definitionen und Abgrenzungen wird vorrangig mit Handlungsbeispielen und Vergleichen geantwortet. Dies ist nicht zuletzt eine Auswirkung der Erhebungsmethode: Vertrauen ist ein allgegenwärtiges und zugleich abstraktes, diffuses Phänomen, insofern evoziert die Frage danach, was es ist, fast zwangsläufig Beispielerzählungen über Handlungszusammenhänge, die helfen, das Abstrakte zu veranschaulichen.1 Dies wird durch die sprachzentrierte Methode Interview, mit der das Phänomen beforscht wurde, verstärkt. Insofern ist diese Beobachtung als solche nicht überraschend; als Befund meiner Untersuchung muss sie aber offengelegt werden.2 Die Folge ist, dass die abstrakten begrifflichen Annäherungen an Vertrauen zunächst untrennbar mit den Erzählungen dazu verbunden erscheinen; analytisch

1

Damit meine ich Beschreibungen wie: ‚Vertrauen ist, wenn ich meinem Mitarbeiter mein Portemonnaie gebe.‘ Hier handelt es sich nicht um ein Konstrukt von Vertrauen, sondern um eine Praxis, mit der jemand Vertrauen zeigt. Diese Praxis hat aber bestimmte Implikationen, die Hinweise auf das zugrunde liegende Konstrukt von Vertrauen geben: jemandem etwas (Wertvolles) anvertrauen; die Möglichkeit, Schaden zu nehmen, wenn das Portemonnaie nicht zurückgegeben wird; Zukunftsoffenheit usw.

2

Lyon, Möllering und Saunders (2015) beschreiben die „tacitness“, die dem Phänomen innewohnt und bewirkt, dass es nur begrenzt zugänglich gemacht werden kann, als eine methodische Herausforderung für die Forschung (vgl. ebd.: 11).

E RGEBNISSE

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lassen sie sich zum Teil kaum differenzieren.3 Als eine Möglichkeit, mit diesen in ihren Bedeutungszusammenhängen vielseitigen Kontextualisierungen und normativen Einordnungen umzugehen, versuchte ich zunächst, die Darstellung systematisch nach Konstrukten und Praktiken zu trennen. Dies führte jedoch zu erheblichen Redundanzen: Ein und dasselbe Zitat musste einmal hinsichtlich seiner Hinweise auf das abstrakte Konzept, einmal in Bezug auf die darin zum Ausdruck gebrachte Praxis gezeigt und dann diese beiden Aspekte als Implikation für die Institutionalisierung von Vertrauen aufeinander bezogen werden. Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich nun um ein Konzept bzw. Konstrukt oder um eine Praxis handelt, verstellte zudem den Blick auf das, was hier m.E. das Wichtige ist, nämlich die Nuancen des Wie und Warum. Daher wähle ich eine Darstellungsweise, in der ich die Beschreibung der Praktiken mit der Erörterung ihrer jeweiligen Implikationen für die zugrunde liegende konzeptionelle Vorstellung verbinde und beide aufeinander bezogen in ihren jeweiligen Nuancen und situativen Bedingungen beschreibe. Die auf Vertrauen bezogenen Instrumente und Maßnahmen, Verhaltens- und Reaktionsweisen, die in den Interviews zur Sprache kommen, lassen erkennen, dass die Praktiken in verschiedenen Interviewsequenzen unterschiedlich kontextualisiert und funktionalisiert werden. So wird etwa ein und dasselbe Kontrollverfahren einmal auf den Aufbau, die Stärkung oder die Wiederherstellung von Vertrauen bezogen, dann wieder auf die Absicherung von Vertrauen und die Vergewisserung über bestehendes Vertrauen. Daher unterscheide ich im Folgenden zwischen Darstellung und Herstellung: Ich zeige einerseits Praktiken, die die Befragten als vertrauensassoziiert beschreiben, die also aus ihrer Perspektive 3

Ein Beispiel für die Schwierigkeit der analytischen Trennung ist der In-vivo-Kode ‚Disziplin‘ in Interview A2: Disziplin wird hier als Synonym für Vertrauen benannt und in einen Zusammenhang mit der Herstellung, der Absicherung und der Erosion von Vertrauen sowie mit bestimmten Erscheinungsweisen von Vertrauen gestellt. Vor diesem Hintergrund verweist die Praxis der Disziplinierung (z.B. durch Formalisierung) auf ein Konzept von Vertrauen als Ordnung und Sicherheit bietend. Ein anderes Beispiel ist der in allen Interviews als relevant beschriebene Aspekt ‚Kommunikation‘, der in seinen Implikationen für das Konzept und die Praxis von Vertrauen schwer zu differenzieren ist: Kommunikation verweist auf Offenheit und Nähe, die als für Vertrauen erforderlich beschrieben werden, und die Praxis des Kommunizierens wird als geeignet dargestellt, um Offenheit und Nähe herzustellen. Sowohl Disziplin als auch Kommunikation werden jedoch mit unterschiedlichen Aspekten in Zusammenhang gebracht, mal als förderlich, mal als hinderlich beschrieben und, in den Worten auf Nuissl (2002), gleichermaßen als Herstellung, Erscheinung, Grundlage, Objekt und Funktion von Vertrauen als Konzept und Vertrauen als Praxis thematisiert.

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Vertrauen darstellen bzw. anzeigen, und andererseits solche, die aus der Sicht der Akteure Vertrauen erzeugen oder bestehendes Vertrauen stabilisieren. Beide Aspekte werden sowohl auf eigenes Handeln bezogen als auch auf das Handeln von anderen, z.B. Mitarbeitenden oder Vorgesetzten. Die Konzepte und Handlungsweisen, die ich im Folgenden beschreibe, wurden teils in Antworten auf die explizite Frage nach Vertrauen zum Ausdruck gebracht, teils im Zuge von Narrationen, die durch andere Fragen oder Erzählstimuli ausgelöst waren. Analytisch gehaltvoll sind m.E. besonders jene Vertrauenskonstrukte und Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen, die die Interviewten in Passagen beschreiben, in denen sie eigene Handlungsweisen zu plausibilisieren versuchen, (vorgeblich) paradigmatische Regeln für ihre Arbeit formulieren oder persönliche Forderungen in Bezug auf die Organisation und ihre Mitglieder ansprechen. Denn in diesen Passagen ist das Phänomen Vertrauen nicht von vornherein durch eine darauf bezogene explizite Frage fokussiert; vielmehr stellen die Interviewten unter einem anderen thematischen Fokus von sich aus explizit oder implizit Zusammenhänge zwischen ihrer Position (und Funktion) in der Organisation und Vertrauen her. Dabei werden Widersprüche erkennbar, die auf divergente Plausibilitätskriterien und Narrationszwänge hinweisen und somit als Facetten des Phänomens zu beschreiben sind.4 Darüber hinaus zeigt sich (auch) in den für mein Subsample ausgewählten Interviews, dass die Befragten den Begriff Vertrauen oft selbstinitiiert aufgreifen und verwenden. Er ist also zum einen offenkundig im semantischen Haushalt von Organisationsmitgliedern (hier: Führungskräften) verankert, zum anderen im spezifischen Feld der Organisationen zumindest so anschlussfähig und gebräuchlich, dass er kommunikativ leicht einzubinden ist. Im Folgenden illustriere ich die jeweils behandelten Aspekte mit Zitaten aus den Interviews.5 Die entsprechenden Passagen wähle ich nach ihrer Aussagekraft

4

Widersprüche, divergente Akzentuierungen etc. sind in der Forschungshaltung der Grounded Theory nicht als aufgedeckte Widersprüche einer Person zu interpretieren.

5

Ich diskutiere die Daten manchmal in aggregierter Form, an anderen Stellen anhand von Zitaten Wort für Wort oder Zeile für Zeile. Der schon angesprochene heuristische Vorschlag von Nuissl (2002), bei empirischen Analysen zu differenzieren, was die Akteure jeweils als Herstellung, Erscheinung, Grundlage, Objekt und Funktion des betreffenden Phänomens darstellen (vgl. Kap. 2 und 4), ist nicht nur instruktiv und sensibilisierend für eine GT-basierte Kodierung. Er ist ebenso wertvoll als Erinnerung an die verschiedenen Dimensionen, die in den Darstellungen enthalten sein können, indem er dazu anregt, sich intensiv mit Nuancierungen, nicht mit vermeintlichen Einordnungen auseinanderzusetzen. Als Ausgangspunkt für eine sortierend-tabellarische

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für den jeweiligen analytischen Aspekt aus. Es geht mir nicht darum, möglichst viele Vorkommen desselben Aspekts zu zeigen und so vermeintliche quantitative Relevanz zu suggerieren. Vielmehr soll das Zitat jeweils möglichst deutlich und in komprimierter Form die für meine Ergebnisse zentralen Nuancen und situativen Bedingungen zeigen. Gelegentlich zitiere ich auch mehrere Textstellen mit derselben Kernaussage, aber in unterschiedlichen semantischen und kommunikativen Darstellungsformen. An einigen Stellen nutze ich längere Interviewpassagen, um besonders gehaltvolle Plausibilisierungen und reflexive Schleifen zu zeigen, oder greife ausgewählte kurze Passagen wiederholt auf, um zentrale Facetten in Verbindung mit ihren jeweiligen Plausibilisierungskontexten zu demonstrieren. 6.1.1 Relevanzzuschreibung: Die Bedeutung von Vertrauen für das Handeln in Organisationen Insgesamt ist festzustellen, dass der Begriff Vertrauen im Organisationskontext ubiquitär anschlussfähig ist und dass die Interviewten Vertrauen als Thema wie auch als Wert wie selbstverständlich6 eine hohe Relevanz für diesen Kontext beimessen: „Ich glaube, es spielt eine ganz große Rolle.“ (B2, 298)7 „Na ja, Vertrauen ist vielleicht das Hauptthema schlechthin in dem Miteinander von Menschen und ob das nun Miteinander im Privaten oder Miteinander im Beruflichen ist. Für mich ist das Thema Vertrauen vielleicht, man sagt immer Nummer eins oder Nummer zwei oder Nummer drei, aber es ist bei mir ganz ganz ganz weit oben angesiedelt.“ (C2, 295-298)

Auswertung (wie sie z.B. im Rahmen einer Inhaltsanalyse vorzunehmen wäre) ist diese Heuristik dagegen m.E. weniger geeignet, damit wäre sie überstrapaziert. 6

Überraschenderweise behandelt keine der interviewten Personen das Thema Vertrauen als nicht anschlussfähig oder als bedeutungslos. Einwände oder Aussagen der Art ‚Ob Sie jetzt mit Vertrauen oder einem anderen dieser menschelnden Themen kommen, es ist egal, welches Etikett Sie draufkleben‘ oder „Vertrauen ist ein Pflichtbegriff, aber er passt nicht ins Geschäft“ finden sich in keinem der über 70 Interviews des Gesamtsamples.

7

Die Zeilennummern der Zitate dienen einer grundsätzlichen Orientierung darüber, zu welchem ungefähren Zeitpunkt die ausgewählten Aussagen in den Interviews getroffen wurden.

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Den Akteuren fällt es aber schwer, Vertrauen zu definieren, weil seine Kennzeichen zu diffus sind. Das illustrieren Äußerungen wie „Also das Wort Vertrauen ist natürlich ein sehr dehnbarer Begriff“ (C1, 185f.) oder „Aber, jetzt sage ich mal, das ist alles, was Vertrauen und so ist, ich tu das sehr abstrakt darstellen“ (A2, 624f.). Durch Erweiterung des Begriffs („Vertrauen und so“) oder synonyme Verwendung von Begriffen („Wir sind ja bei Ehrlichkeit oder Vertrauen“, C1, 695) werden Verbindungen zu oder Überschneidungen mit anderen Phänomenen hergestellt. Dass Vertrauen bedeutsam ist, wird einerseits im Zusammenhang mit Kundenbeziehungen, andererseits bezogen auf Personal und Personalführung konstruiert. Entsprechend dem Fokus meiner Arbeit konzentriere ich mich hier auf die Bedeutung im unternehmensinternen Zusammenhang, wie sie das folgende Zitat illustriert: „Für mich ist das eine ganz wert-, wichtige, wie soll ich mich ausdrücken, eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen, was Personal und Personalführung beinhaltet.“ (A2, 625-627) Dabei wird hervorgehoben, dass diese Einordnung der Relevanz eine persönliche ist („Ich glaube“; „ist bei mir“; „Für mich“). Sie wird also als persönliche Erkenntnis und Einschätzung gerahmt und nicht objektiven Tatsachen, sondern vielmehr den individuellen Überzeugungen und Wissensbeständen zugeordnet. Ein Bedarf an Vertrauen entsteht für die Akteure in erster Linie aus Veränderungen, die Bestehendes erschüttern und für deren Bewältigung Strategien, Umgangsformen und Instrumente gefunden werden müssen, die eine Erosion von Vertrauen vermeiden und dieses (re-)stabilisieren. So wird z.B. Dezentralisierung als eine organisationale Veränderung gesehen, die mit dem Risiko eines Vertrauensverlusts einhergeht. Dies erfordert eine explizite Auseinandersetzung mit Vertrauen wie auch darauf bezogene strukturell-formale Interventionen, beispielsweise in Form eines Personalentwicklungs-Tools: „Ja, also ich bin mir ziemlich sicher, dass bis vor wenigen Jahren dieses Unternehmen explizit nichts getan hat [um Vertrauen zu forcieren; Anm. C.R.]. Und darüber überhaupt gar nicht nachgedacht hat. Sondern dieses Thema, dass es um Vertrauen und Führungskultur geht, ist erst relevant geworden durch Größe, Verteiltheit, Umorganisation, vielleicht auch zum Teil nicht mehr so eine normale Zufriedenheit, die immer da war, wo Leute sich tatsächlich auch Gedanken machen, wo solche Dinge in die Diskussion kommen. Wir haben dieses XXX[≡: Bezeichnung PE-Instrument]-Projekt seit X[≡: einstellige Zahl] Jahren, dieses Programm, Personalentwicklung, Anerkennung, geht es darum.“ (B1, 933940)

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Derartige Veränderungen stürzen ein vorher latentes Vertrauen sozusagen in die Krise, indem sie seine Selbstverständlichkeit erschüttern. Vertrauen ist ein anschlussfähiges und geeignetes Referenzobjekt, um die Krise zu bewältigen („dieses Thema, dass es um Vertrauen und Führungskultur geht“). Angesichts der Veränderungen und ihrer Konsequenzen für die Organisation und ihre Mitglieder entwickelt sich eine bewusste Auseinandersetzung mit Vertrauen, in der versucht wird, dieses als Handlungsstrategie zu operationalisieren. Doch auch für die alltägliche Interaktion außerhalb von Wandlungsszenarien wird Vertrauen als wichtig dargestellt. Vertrauen Relevanz zuzuschreiben scheint empirisch legitim und wenig erklärungsbedürftig zu sein und auch zum professionellen semantischen Haushalt zu gehören – zumindest für die Akteursgruppe der Führungskräfte. Dass die Organisationsmitgliedschaft eine Form von Sozialität impliziert, steht somit nicht (mehr) in Frage – ganz anders als zu Zeiten des tayloristischen Rationalitätsparadigmas (vgl. Kap. 3). Das Phänomen wird bezogen auf den Kontext in spezifischer Weise konturiert und plausibilisiert: „Ich glaube, Vertrauen ist irgendwas, was auch für das Wohlbefinden der Leute eine große Rolle spielt.“ (B2, 298f.) Wohlbefinden ist dabei kein Selbstzweck; mit dem „Wohlbefinden der Leute“ ist eine personelle Gestaltungsdimension angesprochen, die Führungskräfte beachten und bearbeiten müssen, denn gegenüber „den Leuten“, also dem Personal, haben sie ihre Leitungsfunktion auszuüben. Zugleich spielt Vertrauen nicht nur innerhalb der Belegschaft eine Rolle, für die jemand als Führungskraft zuständig ist, sondern wird auch in der Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden als ein ‚Muss‘, eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Interaktion und Kooperation bewertet: „Vertrauen, ich muss meinen Mitarbeitern vertrauen können, und sie müssen mir vertrauen können. Also es ist keine Einbahnstraße. Es geht in beide Richtungen. Und wenn dieses Vertrauen einmal etabliert ist, dann muss es unglaublich mühsam am Leben erhalten werden und gepflegt werden und es darf nicht erschüttert werden und ich denke mal, wenn man Vertrauen aufgebaut hat, dann ist das wirklich eine Basis, miteinander arbeiten zu können, ohne zehn E-Mails zu schreiben oder ohne Rechtfertigungs-E-Mails zu schreiben oder ohne Papier-, Papier-, Papierkrieg, denn innerhalb eines Unternehmens, wenn man sich da vertraut, wenn dort wirklich Vertrauen herrscht, dann macht a) das Arbeiten Spaß und b) kann man auch wirklich effizient arbeiten und sich auf den wirklichen Feind stürzen, der da draußen ist, nämlich die Konkurrenz, und nichts weiter.“ (C2, 299-310)

Vertrauen als Voraussetzung für gelingende Interaktion erscheint hier – in Abgrenzung zu einer „Einbahnstraße“ – als ein beidseitiges Konstrukt, in dem

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Vertrauen gegenseitig gewährt wird und aufrechterhalten werden „muss“. Diese wechselseitige Verpflichtung macht es zu einem schwierigen und herausfordernden Gestaltungsprojekt, das aufwendig „am Leben erhalten und gepflegt werden“ muss. In Bezug auf die Herstellung von Vertrauen scheint also die Vorstellung zu bestehen, dass spezifische Handlungen oder Verhaltensweisen und Instrumente nötig und geeignet sind, dies zu leisten. Doch aus der Perspektive der Akteure reicht es nicht, Vertrauen aufzubauen und zu erhalten: Dieses darf auch nicht erschüttert werden. Neben Praktiken zum Aufbau und Erhalt von Vertrauen sind also auch Praktiken nötig, die Vertrauen gegen Angriffe und Erosion absichern.8 Vertrauen wird beschrieben als eine Kommunikationsbasis, die schriftliche Absprachen und Rechtfertigungen überflüssig macht, den Spaß an der Arbeit stärkt und die Effizienz steigert, die eine Ressource im Wettbewerb mit der Konkurrenz ist. Die hohe Relevanz von Vertrauen im Organisationskontext wird also sachlogisch reflektiert und ökonomisch begründet: Man braucht Freund_innen, zumindest aber Mitstreitende für die eigene Sache. Popitz (2011) benennt Vertrauen als Voraussetzung für eine friedliche Vergesellschaftung. Dieses Motiv wird hier auch auf die Vergesellschaftung innerhalb einer Organisation bezogen: Bestehendes Vertrauen stiftet Frieden innerhalb der Organisation und festigt die Grenzen zwischen dem ‚Innen‘ und dem ‚Außen‘ der Organisation. Indem sich die Mitglieder innerhalb der Organisation auf der Basis von Vertrauen friedlich vergesellschaften, wird ihr Einschluss in, ihre Teilhabe an und ihre Loyalität gegenüber der Organisation gefestigt. Diese Zugehörigkeit kann dann die Wahrnehmung des Außen als ‚feindlich‘ erhöhen; so kann dem Aufruf zum Kampf gegen den „wirklichen Feind“ im Außen Folge geleistet und das gelingende Miteinander in höhere Leistung (verglichen mit der Konkurrenz) transformiert werden. In der Darstellung wird Vertrauen also als Ressource im ‚Kampf‘ gegen die Konkurrenz funktionalisiert, um den organisationalen Zweck zu erreichen. In dieser kämpferischen Einordnung von Vertrauen spiegelt sich, was neben Soziologen wie Popitz (2011) oder Endreß (2002) (vgl. Kap. 2.2.1) auch die Philosophin OʼNeill (2002) als einen ebenso wichtigen wie zunächst trivial erscheinenden Befund formuliert: Vertrauen ist nicht per se gut, und das, was Vertrauen hervorbringt bzw. hervorbringen soll, ist nicht an sich konstruktiv – ebenso wenig wie Misstrauen per se schlecht oder alles, was Misstrauen hervorbringt bzw. hervorbringen soll, destruktiv, verwerflich oder zu vermeiden ist. Empirisch wird Vertrauen zunächst als konstruktive Ressource für mehr „Spaß“ an der Arbeit in einen aus alltagsweltlicher Sicht positiven Zusammenhang ge8

Daher wird im nächsten Kapitel auf beide Arten bzw. Ziele und entsprechende Praktiken eingegangen.

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bracht. Auch als Ressource, um sich einen Vorsprung gegenüber dem Außen, dem Feind, der Konkurrenz zu sichern, ist Vertrauen positiv besetzt. Kritisch ist jedoch einzuwenden, dass es auch den Einschluss der einen in die Organisation zum Ausdruck bringt – und damit zugleich den Ausschluss der anderen aus dieser. Anders formuliert: Vertrauen schweißt das Innen zusammen, um gegen das Außen mobil machen zu können. Zusammenfassend zeigen die Beispiele, dass Vertrauen im Kontext von Organisationen trotz seiner diffusen Konturen und Implikationen eine hohe Relevanz zugeschrieben wird. Zugleich deuten sich heterogene Bedingungen dafür an, wann und unter welchen Umständen Vertrauen empirisch als Phänomen, als Effekt von Instrumenten, als Auftrag von Personalführung usw. eingeordnet wird. Diese Bedingungen beeinflussen, wie Vertrauen konstruiert wird: als eine aufwendige und ökonomisch nicht messbare, aber legitime Belastbarkeitsressource in Organisationen, deren Mangel ein Risiko darstellt und hinter der man als Person steht. In der weitgehend normativen Positivkonnotation von Vertrauen und der hohen Relevanz, die ihm zugeschrieben wird, manifestiert sich m.E., dass Vertrauen in der Managementliteratur schon seit Längerem ein Thema ist und geradezu als Managementmode gelten kann (s.o. Kap. 3.2.2). Erstaunlich ist aber die Beobachtung, dass für die Plausibilisierung von Vertrauen als relevante Ressource (auch) Beispiele aus außerorganisationalen, privaten Bereichen herangezogen werden, auf die Managementliteratur jedoch nicht Bezug genommen wird. Als Thema ist Vertrauen also in Organisationen bereits so stark verfestigt, dass es dort keiner weiteren Legitimierung bedarf. 6.1.2 Persönlicher Kontakt Die im Kontext von Organisationen Befragten konstruieren Vertrauen durchgängig als Bereitschaft zu Offenheit, Nähe und Bindung. Diese sind insbesondere in der Phase des Aufbaus von Vertrauen nötig, denn sie bilden eine Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt eine Beziehung entwickeln kann, die Raum für Vertrauen bietet. Im Alltag ebenso wie unter besonderen Bedingungen entfaltet Vertrauen seine Relevanz vor allem im Rahmen von Interaktion und Kommunikation. Eine Voraussetzung dafür, dass Offenheit gezeigt und erwidert werden kann, ist also persönlicher Kontakt: „Ich sollte ihn nach Möglichkeit länger kennen und nicht nach zwei Monaten entscheiden, ob ich da jetzt ein starkes Vertrauensverhältnis habe oder nicht. Ich sollte auf einer menschlichen Basis mit ihm klarkommen.“ (C1, 566-569)

160 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN „Ich weiß, dass richtig guter Zusammenhalt und gute Zusammenarbeit sehr viel mit Lokalität und mit persönlich zu tun hat. Es gibt bei uns auch immer wieder Diskussionen um Organisationen, zentral und dezentral, wer hat das Sagen und wie ist es verteilt. Und ich bin ein Fan von dezentraler und lokaler Verantwortung und auch Mitarbeiter-ChefBeziehung, weil ich glaube, dass das Ausbilden von Vertrauen sich im menschlichen Umgang rausbildet, und das geht eben nicht über E-Mail und Telefon. Also. Hohen Stellenwert, sehr hohen Stellenwert.“ (B1, 822-828)

Als Bedingung dafür, dass ein „richtig guter Zusammenhalt und gute Zusammenarbeit“ und „das Ausbilden von Vertrauen“ möglich werden, spezifizieren die Akteure bestimmte Anforderungen an den „menschlichen Umgang“: die Möglichkeit, persönlichen Kontakt zu wiederholen und die Beziehung auf persönlicher Ebene zu erweitern; räumliche Nähe statt medial vermittelter Kontakte (über Telefon und E-Mail); Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Mitglieder vor Ort; hierarchieübergreifenden Austausch. Diese Voraussetzungen für das Entstehen von Vertrauen im Organisationskontext werden zum einen mit der Stärkung von Kooperation in Verbindung gebracht und damit funktionalisiert. Zum anderen werden sie auf strukturelle Koordination bezogen und als möglicherweise divergierend problematisiert. Denn die Art und Weise der Interaktion wird unmittelbar mit Macht und Machtverteilung in Verbindung gebracht („Es gibt bei uns auch immer wieder Diskussionen um Organisationen, zentral und dezentral, wer hat das Sagen und wie ist es verteilt.“). Wer „das Sagen hat“, wird als von der strukturellen Organisationsform („zentral“ oder „dezentral“) abhängig dargestellt. Während die formale Struktur bestimmten Personen Macht verleiht oder vorenthält, prozessiert Vertrauen auf einer eher informellen, persönlichen Ebene, die zwar zeitlich parallel zur formalen Struktur liegt, inhaltlich aber möglicherweise von dieser divergiert. Vertrauen kann daher auch eine soziale, möglicherweise subversive Macht und somit ein Risiko für eine Organisation sein. Die Akteure müssen die im Grunde unverbundenen Ebenen des Formal-Strukturellen und des Informell-Persönlichen rhetorisch aufeinander beziehen, ohne dass dies kommunikativ unangemessen erscheint, während sie die Anforderung meistern, über das schwer in Worte zu fassende Phänomen zu sprechen. An dieser Stelle wechsle ich auf die Ebene der methodischen Reflexion, um eine wichtige Beobachtung zur kommunikativen Darstellung auszuführen. Eine im Datenmaterial häufig auftauchende kommunikative Strategie (und zugleich Ausdruck der oben angesprochenen methodischen Hürde, in einem Interview über Vertrauen als abstrakten Gegenstand zu sprechen) ist die individuelle Zurechnung von Vertrauen: „Ich persönlich, das ist aber wirklich, ich meine, ich

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kann auch zu Menschen nur Vertrauen haben, die ich persönlich kenne und auch einigermaßen gut kenne. Also ich ich muss mich mit jemandem mal persönlich getroffen haben, um zu wissen, ob ich, ob die Chemie stimmt zumindest mal.“ (B1, 828-832) Die individuelle Zurechnung erfolgt bekenntnishaft und auf die eigene Person zugespitzt („Ich persönlich“); sie beschränkt den Geltungs- und Generalisierungsbereich der Aussage, dass eine Mindestvoraussetzung für Vertrauen der persönliche Austausch mit einer anderen Person sei. Dies als Regel zu formulieren, scheint im spezifischen Feld und/oder in der spezifischen Rolle der Führungskraft heikel zu sein. Der Grund dafür ist das oben angesprochene Risiko von Vertrauen, das zwar nur implizit beschrieben wird, aber eine Forderung der Art, die formale Organisationsstruktur müsse persönlichen Kontakt ermöglichen, damit Vertrauen und darüber Zusammenhalt entstehen könne, unmöglich macht. Eine solche Forderung wäre vereinseitigend, möglicherweise unprofessionell und auf jeden Fall zu spekulativ; insofern erscheint die Abschwächung durch Individualisierung sicherer und der Rolle, dem Kontext und dem Gegenstand eher angemessen. Ob im informellen persönlichen Austausch direkter Kontakt notwendig ist oder auch ein medial vermittelter Kontakt vertrauenswirksam sein kann, wird im Feld durchaus unterschiedlich eingeschätzt. Im Gegensatz zu B1 bewertet etwa C2 telefonischen Kontakt als hinreichend nah. Seine Schilderung geht nicht von der Entwicklung von Vertrauen für guten Zusammenhalt aus, sondern von zu überwindenden Konflikten und mangelndem Zusammenhalt – also im Unterschied zu B1 im vorigen Zitat von der Negativskala von Vertrauen: „Na ja, eine Verwerfung ist ja allein schon mal die, dass man teilweise mit dem Finger zeigt und sagt, die machen das sowieso anders und lasst die mal machen und lasst die, lasst die mal reden. Wir bleiben lieber in unserer Welt und wir machen das hier so, wir machen das anders. […] Aber auch da muss man sagen, es ist auch da nicht schwarz-weiß. Auch da haben sich mittlerweile, ja, eher mal die informellen Kanäle gebildet, wo man wo man plötzlich festgestellt hat, das ist auch ein Mensch, der hat auch ein Problem und der hat auch Probleme und wenn wir jetzt am Telefon zusammenarbeiten, dann können wir plötzlich gemeinsam etwas vielleicht verbessern. Also es ist, ist auch mittlerweile so, dass dieses gemeinsam an etwas Herangehen mehr und mehr und mehr auch tut. Und auch mehr fördert.“ (C2, 579-582, 588-595)

Für die Wiederherstellung gestörten Vertrauens oder die Überwindung fehlenden Vertrauens bilden aus der Perspektive von C2 das Erkennen eines gemeinsamen Problems und die gemeinsame Arbeit an seiner Lösung eine geeignete Basis. Für diese gemeinschaftliche Bearbeitung und ggf. Bewältigung des Problems ist

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telefonischer Kontakt bereits eine Form der Zusammenarbeit, die nicht als selbstverständlich erachtet wird, sie symbolisiert schon eine Weiterentwicklung und weist damit konstruktiv in die Zukunft. Diese stärkere Kooperation der Organisationsmitglieder wird hier ebenfalls auf ihre Funktionalität zurückgeführt: darauf, „dass dieses gemeinsam an etwas Herangehen mehr und mehr und mehr auch tut. Und auch mehr fördert.“ Damit wird empirisch zum Ausdruck gebracht, was auch die Vertrauenstheorie hervorhebt: Vertrauen kann sich selbst verstärken; ist die Schwelle zu einer neutralen bis positiven Erwartung einmal überwunden, bildet dies die Grundlage für eine (weitere) Steigerung von Vertrauen. In der sachlogischen Orientierung von und in Organisationen wird dieses Potenzial über den sich selbst verstärkenden Effekt hinaus generalisiert und zu einem diffusen Mehrwert für einen Vorsprung der Organisation und ihrer Mitglieder stilisiert. Dieser funktionale Mehrwert, den ich als einen kognitiv-strategischen bezeichne, ist von einem affektiven Bedürfnis begleitet, das ebenfalls als Ressource reflektiert und eingebunden wird – ich bezeichne es daher als affektivstrategisch –, aber vorrangig in der Sozial-, nicht in der Sachdimension zu verorten ist. Kontakt auf persönlicher Ebene kann die Arbeitsbeziehung um eine private Dimension erweitern, die empirisch als Freundschaft auf Arbeitsebene beschrieben und als ein Charakteristikum des „Herztyps“ beschrieben wird: „Und ich versuche schon, ich sage mal, zu den meisten, zu vielen, ich sage mal, zu möglichst vielen Mitarbeitern auch Kontakt zu halten, mit denen auch mal über das Wetter zu reden oder über Urlaub oder sonst irgendwas. Das funktioniert natürlich nicht, nicht mit jedem, kann gar nicht bei der großen Menge, aber es gibt wirklich auch viele, mit denen arbeite ich seit XX[≡: zweistellige Zahl] Jahren zusammen. Da ist, ich will nicht sagen, ja, gut, es ist so auf Arbeitsebene entsteht da irgendwie ein freundschaftlicher Kontakt auf der Ebene dann auch schon.“ (B1, 51-58) „Ich denke, dass ich persönlich so führe, dass ich zu den Menschen eine enge Beziehung aufbaue, also nicht, dass es tatsächlich, also ich bin so ein Herztyp. Also ich habe, deswegen habe ich, glaube ich, das von Anfang an versucht zu tun, indem ich Vertrauen zu Menschen aufbaue und dass deswegen die Leute zusammenbringe und dann auch Leistung aus denen rauskriege und aus mir.“ (B1, 308-312)

Mit dem persönlichen, wenngleich oberflächlichen Gespräch über unproblematische Themen werden strategische Ziele verfolgt (s.u. Kap. 6.1.3); als Möglichkeit, „Kontakt zu halten“, ist es aber zugleich auch Selbstzweck. Ein langjähriger Kontakt kann dann – auch wenn dies nicht zwangsläufig geschieht – eine Quali-

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tät annehmen, die als freundschaftlich beschrieben wird. Diese Form der Nähe auf Arbeitsebene ist distanzierter als eine Freundschaft im Privatbereich, führt aber zu potenziell gravierenden Unterschieden in der Qualität der organisationalen Beziehungen. Eine Besonderheit persönlicher Beziehungen im organisationalen Kontext ist, dass sich die Interaktion vorwiegend auf sachlich-fachliche Aspekte bezieht, durch Vertrauen aber eine Annäherung auf persönlicher Ebene hinzukommt, die wiederum auch sach- und fachdienlich ist. Diese empirische Konstruktion von Vertrauen bewerte ich analytisch als Gegensatz zu den Annahmen von Vertrauensforschenden wie Coleman, die Vertrauen anhand der Theorie rationaler Wahl zu begründen versuchen (s.o. Kap. 2.2.3.2). Interpersonelles Vertrauen innerhalb von Organisationen ist nicht nur eine Ressource, um einen ökonomischen Vorsprung zu gewinnen, sondern ebenso eine Ressource für sozialen Mehrwert, denn auf der Basis von Vertrauen können Probleme und Prozesse gemeinschaftlich bearbeitet und Nähe (weiter-)entwickelt werden. Dass Vertrauen in Organisationen diese beiden Seiten hat und sich eben nicht auf das ökonomische Moment beschränkt, bringt der Titel eines von Matthias Maring (2010) herausgegebenen Bandes treffend zum Ausdruck: „Vertrauen – zwischen sozialem Kitt und der Senkung von Transaktionskosten“. Bilanzierend ist festzuhalten, dass sich im Datenmaterial zwei Dimensionen von Vertrauen wiederfinden, die in Kapitel 2 aufgeworfen wurden, und ihre Bezüge zu Ungewissheit, Verletzbarkeit, Konstruktivität und Relationalität sich auch empirisch in unterschiedlichen Graduierungen manifestieren: Vertrauen ist das Ergebnis einer meist längeren und als positiv bewerteten Interaktionsgeschichte; es wird aber zugleich als Vorschuss für neue Interaktionen konstruiert, sofern eine konstruktive Erwartung sachlogisch zu begründen ist. Um Offenheit zeigen und erwidern zu können, sind persönlicher Kontakt und damit auch räumliche Nähe nötig. Diese sind für den Auf- und Ausbau von Vertrauen umso wichtiger, als die Beteiligten sich durch ihre Bereitschaft zu Offenheit auch verletzbar machen (vgl. Mayer/Davis/Schoorman 1995; Möllering 2006). Bei der Erweiterung einer arbeitsbezogenen Interaktion um Vertrauen ist deshalb die frühe Phase von einem vorsichtigen Abtaxieren geprägt und es besteht ein hohes Enttäuschungsrisiko. Die Bereitschaft, sich in sachlich-fachlicher wie auch in persönlicher Hinsicht offen und potenziell verletzbar zu zeigen, hat somit in Bezug auf Vertrauen eine zentrale Bedeutung; diese wird im folgenden Kapitel näher ausgeführt.

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6.1.3 Bereitschaft zu Offenheit Eine Besonderheit von Vertrauen im organisationalen Kontext ist, dass die Interaktion auf sachlich-fachliche Aspekte fokussiert, durch Vertrauen aber eine Annäherung auf persönlicher Ebene hinzukommt, die wiederum auch sach- und fachdienlich ist. Ein Konzept von Vertrauen, das in den Interviews auffallend häufig explizit vorkommt, ist ‚miteinander ein Bier trinken‘. Dieser In-vivoKode beinhaltet sowohl eine Offenheit, die über die berufliche Rolle hinausgeht, als auch eine sachlogisch-instrumentelle Reflexivität. Da er analytisch sehr reichhaltig ist, diskutiere ich ihn im Folgenden eingehender hinsichtlich seiner Implikationen für die Konstrukte von Vertrauen und vertrauensassoziierten Praktiken. Miteinander ein Bier zu trinken oder zumindest trinken zu können, steht zunächst beispielhaft für die zu Vertrauen in Beziehung gesetzte Bereitschaft, sich offen zu zeigen. Es symbolisiert die Möglichkeit, sich jenseits der beruflichen Sachebene näherzukommen und sich dadurch potenziell verletzbar zu machen. Um freiwillig, ggf. in einem informellen Rahmen miteinander ein Bier zu trinken, sind bestimmte Voraussetzungen nötig. „Ich sollte auf einer menschlichen Basis mit ihm klarkommen. Das heißt jetzt nicht zwingend, dass ich jedes Wochenende mit demjenigen ein Bier trinken gehen muss. Aber es sollte heißen, dass ich mit ihm ein Bier trinken [stockt] könnte. Es gibt auch Leute, wo ich das mir nicht vorstellen kann, sagen wir mal so. So, dass da einfach eine gewisse Basis zueinander herrscht.“ (C1, 366-372)

Fehlt diese „gewisse Basis“ – zu verstehen als eine persönliche Ebene in Abgrenzung zur beruflichen Ebene –, wird eher ausgeschlossen, dass ein Vertrauensverhältnis möglich ist und die Chancen dafür in informellen Begegnungen ausgelotet werden können. „Also ich muss mich mit jemandem mal persönlich getroffen haben, um zu wissen, ob die Chemie stimmt. Vertrauen hat natürlich mit mehr als nur mit Chemie zu tun, aber ich denke, dass auch jemand vielleicht auch sogar außerhalb des Berufslebens ein bisschen zu kennen, mit dem mal ein Bier zu trinken oder irgendwas zu machen, auch förderlich ist für Vertrauen.“ (B1, 830-835) „Das gute Gefühl, da habe ich vielleicht auch mal den Gedanken, Mensch, kann man mit dem mal ein Bier trinken gehen oder was Ähnliches. Soll ich den mal zum Essen einladen oder. Bei dem anderen sage ich mir, Mensch, den würde ich ja nie, oh nein. […] [W]eil

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ein gutes Bauchgefühl einen ja weniger nachdenken lässt als ein schlechtes.“ (A1, 19081913)

Die Bereitschaft, sich offen zu zeigen und sich damit verletzbar zu machen, ist aber begrenzt. Miteinander ein Bier zu trinken steht weniger für ein schon bestehendes Vertrauensverhältnis als vielmehr für eine potenzielle Annäherung über den beruflichen Kontakt hinaus. Als Voraussetzung für dieses Potenzial zur Annäherung wird ein „gutes (Bauch-)Gefühl“ auf einer persönlichen Ebene hervorgehoben, das einen „weniger nachdenken lässt als ein schlechtes“: Ein negatives Gefühl weckt Bewusstsein und Skepsis, wobei irrelevant ist, ob diese affektive Wahrnehmung auf das Fachliche oder das Persönliche bezogen ist. Im Ergebnis führt es zu mehr Aufmerksamkeit und versetzt in Alarmbereitschaft. Das unverfängliche gemeinsame Bier dient der ersten Sondierung von Berührungspunkten innerhalb, aber eben auch außerhalb der Organisation. Darüber kann geprüft werden, welchen Charakter das persönliche Verhältnis haben kann und ob es die Möglichkeit bietet, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, oder eher nicht. Auf jeden Fall hilft es, eine Person besser kennenzulernen und somit besser einschätzen zu können. Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob sich dann tatsächlich ein Vertrauensverhältnis entwickelt oder welche Qualität dieses ggf. haben wird. Mit jemandem ein Bier trinken zu können ist aber ein Indikator dafür, dass die betreffende Person sich vorstellen kann, dass sich die Beziehung über den beruflich-sachzentrierten Kontext der Organisation hinaus auch in den außerberuflichen, privaten Bereich verlagert. Die Bereitschaft zur Annäherung stellt unter Beweis, dass gegenüber einer anderen Person (oder auch auf einer abstrakteren Ebene: gegenüber bestimmten Gruppen oder der Organisation) keine Vorbehalte bestehen. Die Bereitschaft zu Offenheit signalisiert das Bestehen einer konstruktiven oder mindestens neutralen Erwartung, während das Vorenthalten von Offenheit eine bestehende negative Erwartung spiegelt. Das Bier markiert hier die Schwelle zwischen Beruf und Freizeit, zwischen dem sachzentrierten Bereich der Organisation und dem personenzentrierten privaten Raum. Personen außerhalb ihrer Rolle als Organisationsmitglied zumindest ein wenig zu kennen wird als potenziell vertrauensförderlich eingeschätzt. Damit werden der private Kontakt und das gemeinsam genossene Bier zugleich funktionalisiert: Außerhalb des Arbeitsbezugs und der Organisation gemeinsam ein Bier zu trinken oder etwas zu unternehmen fördert auch das Vertrauen innerhalb der Organisationsgrenzen. Der Ausdruck ‚ein Bier‘ wird über alle Interviews hinweg wiederholt verwendet. Er steht für Offenheit und Annäherung und verweist auf das Szenario einer unkomplizierten, zwanglosen, einigermaßen unverfänglichen Gesprächs-

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atmosphäre, in der Menschen bereit sind, sich offener zu zeigen und sich damit verletzbarer zu machen als innerhalb der Organisation. Gemeinsam essen zu gehen ist dem ‚Bier‘ ähnlich, insofern beides einen kurzfristigen und unverfänglichen Kontakt- und Kommunikationsraum bezeichnet. Statt eines Biers ein Glas Wein oder einen Whiskey miteinander zu trinken wäre dagegen nach Bourdieu (1982) voraussetzungsreicher, es hätte einen ernsteren und verbindlicheren Charakter. Wasser steht im Gegensatz zu Alkohol nicht dafür, sprichwörtlich die Zunge zu lösen, und hätte symbolisch gesehen keine Aussage. Wie Bourdieu in seinen Überlegungen zu Ungleichheitsverhältnissen und Sozialordnungen ausführt, ist Bier das Getränk des Proletariats, während Wein den Geschmack der Mittel- und Whiskey den Geschmack der Oberschicht markiert (vgl. ebd.).9 In diesem Sinne deute ich das gemeinsame Bier nicht nur als Bereitschaft zu Offenheit und Verletzbarmachen, sondern auch als Bereitschaft, Distinktion aufzuheben, d.h. die hierarchische Konstellation, die im hierarchisierten Raum der Organisation gilt, zumindest zeitweilig aufzuheben und sich (vermeintlich) auf Augenhöhe zu begegnen: „Ist es halt schon so, dass eben eigentlich alle versuchen, da jetzt nicht den Chef zu markieren, sondern eben zusammen zu agieren und eher ein Bier mit seinen Mitarbeitern trinken zu gehen, als demjenigen hinterher zu schreiben, sinngemäß. Und ich glaube, dass dieses Familiäre, ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist, halt bislang funktioniert und auch das Dementsprechende mit sich bringt.“ (C1, 538-543)

Das gemeinsame Bier, der direkte Kontakt, bei dem man auf die Insignien der autoritären Überordnung und Macht verzichtet und eben nicht „den Chef markiert“, ist etwas annähernd „Familiäres“: Es ermöglicht Einschluss, Teilhabe und Zugehörigkeit. Allerdings ist diese Form der Begegnung auch funktional: Sie dient als Kommunikationsraum, in dem Dinge unmittelbar geklärt werden können, was einem erspart, „hinterher zu schreiben“. Das „Familiäre“, das in den Daten wiederholt vorkommt und durchgängig positiv konnotiert ist, muss also auch einen Mehrwert haben, es muss in eine Rendite münden und somit rationalisierbar sein; ich komme hierauf im weiteren Verlauf des Kapitels noch zurück. „Aber es gibt eben viele Leute, die ich zum Teil auch mal privat so sehe, mit denen ich dann vielleicht auch mal Wochenende mal ein Bier trinke oder so was. Da ist das natürlich ein anderes Verhältnis, ein anderes Vertrauensverhältnis, wenn ich das mal so ausdrücken 9

Bourdieu beschreibt in seinem Buch „Die feinen Unterschiede“ (1982) den „legitimen Geschmack“ als Ausdruck symbolischer Herrschaft und als Schlüssel zur Dechiffrierung hierarchisierter sozialer Konstellationen.

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würde wollen, als jetzt bei Leuten, die jetzt neu dazugekommen sind, mit denen ich so gar nichts zu tun habe.“ (C1, 132-137)

Die Entwicklung von der Bereitschaft zur Annäherung über deren tatsächliche Umsetzung und die Bestätigung der positiven Erwartung bis hin zur Verstetigung erfordert Zeit und Wiederholung, damit tatsächlich eine familiäre Qualität entsteht. Dem entspricht, dass ein außerberufliches, also privates Verhältnis in seiner Beschaffenheit deutlich von der Beziehung zu neuen, noch unbekannten Personen unterschieden wird: Ein Vertrauensverhältnis wird hier als etwas konzipiert, das eine Interaktionsgeschichte erfordert. Der Ausschnitt macht deutlich, dass eine private Annäherung nicht nur als erster Schritt zum Aufbau von Vertrauen zu verstehen ist, sondern als Raum für die Reaktualisierung bestehenden Vertrauens, ggf. auch als Chance zu seinem weiteren Ausbau. ‚Bier‘ steht als Symbol für die potenzielle Eröffnung einer Vertrauensbeziehung, es dient aber auch der Vergewisserung oder Vertiefung einer Vertrauensbeziehung. Ein außerberufliches, also privates Verhältnis zu Mitarbeitenden wird also in seiner Beschaffenheit von der Beziehung zu neuen und entsprechend noch unbekannten Mitarbeitenden unterschieden, denn ein Vertrauensverhältnis erfordert eine Interaktionsgeschichte. Der Ausschnitt macht aber auch deutlich, dass Vertrauen in Beziehungen nicht unbedingt leicht zu kommunizieren oder zu erklären ist: Mit der Äußerung „ein anderes Verhältnis, ein anderes Vertrauensverhältnis, wenn ich das mal so ausdrücken würde wollen“ weist der Interviewte ausdrücklich darauf hin, dass er den Vertrauensbegriff an dieser Stelle entgegen seinen sprachlichen Gewohnheiten einbindet; er durchbricht hier seine Narration, um zu markieren, dass der Begriff in seinem semantischen Haushalt zunächst nicht naheliegt. Dass ihm die Einbindung dennoch ohne weitere Erläuterungen bzw. reflexive Schleifen und damit ohne Aufwand gelingt, legt nahe, dass der Begriff Vertrauen aus seiner Sicht anschlussfähig und geeignet ist, um die Qualität von Beziehungen jeder Art zu beschreiben. Ich führe dies darauf zurück, dass Vertrauen (und ggf. auch sein Fehlen) stets als essenzieller Bestandteil von sozialrelationalen Statusbestimmungen erkennbar und zugänglich ist – auch wenn der Interviewte hier vorher kurz innehalten und nachdenken muss. Auf welcher Interaktionsebene in welchem Maß vertraut wird, ist dabei prozesshaft und jeweils eine Momentaufnahme, in die vorgängige Interaktionserfahrungen, Informationen und individuelle Präferenzen einfließen – Vertrauen ist aber eine Grundkategorie des Miteinanders. Da jedem Kontakt die Möglichkeit einer Enttäuschung innewohnt, beinhaltet auch das gemeinsame Bier immer das Potenzial, dass das dabei aufgebrachte Vertrauen erschüttert wird. Nach einem oder zwei Gläsern Bier könnten die

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Akteure z.B. Informationen weitergeben, die sie völlig nüchtern oder in einem offiziellen oder formellen Rahmen für sich behalten würden. Diese Option reflektieren die Befragten in den Erzählungen, in denen sie die Metapher verwenden, aber nicht mit. An anderen Stellen, wo es um besondere Probleme im Arbeits- und Organisationsalltag, um Kontrolle (v.a. von Informationen) und um das Gegenteil von Vertrauen geht, wird die Möglichkeit, dass bei einer Annäherung das Vertrauen enttäuscht wird, hingegen durchaus thematisiert. Dass die Befragten diese Option im Zusammenhang mit dem gemeinsam getrunkenen Bier nicht ansprechen, ist m.E. darauf zurückzuführen, dass sie diese Situation als (noch) wenig brisant und den potenziellen Schaden als eher gering ansehen. Dies wiederum lässt darauf schließen, dass diese Praxis, Bereitschaft zu Offenheit zu zeigen, eher in einer frühen Phase einer Bekanntschaft verortet wird. Zu einem solchen Zeitpunkt dürfte der Kontakt noch von Zurückhaltung und kognitiv gesteuerter Vorsicht geprägt sein, insofern beinhaltet das gemeinsam getrunkene Bier ein geringes Verletzungspotenzial. Das gemeinsame Biertrinken zu einem späteren Zeitpunkt, also im Rahmen einer schon bestehenden Beziehung, setzt hingegen eine Vertrauensbasis voraus, die durch diese Praxis bestätigt und ggf. erweitert wird; aufgrund früherer entsprechender Anlässe kann hier aber von der Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers ausgegangen werden, insofern ist das Verletzungspotenzial ebenfalls gering. Miteinander ein Bier zu trinken kann aber auch einfach eine oberflächliche Höflichkeitsbekundung sein, die spezifischen Gelegenheitsstrukturen geschuldet ist. In dem Fall liegt der Akzent auf Unverbindlichkeit und Vermeidung von Schaden: „[A]lles dieses Unverbindliche, das halte ich auch unverbindlich. Also wenn ich, ich habe schon ein paar Leute, wenn ich in die reinlaufe, in einer Kneipe, dann würde ich mich nicht jetzt sofort umdrehen. Dann sage ich schon: Smalltalk, kurz ein Bierchen und dann bin ich wieder weg.“ (A1, 1808-1811) Wenn ‚ein Bier trinken‘ nicht von vornherein als gemeinsame Unternehmung intendiert war, sondern die Rahmenbedingungen – „Kneipe“ und zufällige Begegnung dort – dies praktisch erzwingen, wird dem ein ganz anderer symbolischer Wert beigemessen: Darauf zu verzichten hätte nun einen Beiklang von aktiver Distanzierung, die als Ablehnung oder Zurückweisung wahrgenommen würde – dieses Motiv hat derselbe Befragte schon mit dem „guten Bauchgefühl“ aufgeworfen, das „einen ja weniger nachdenken lässt als ein schlechtes“. Das Vermeiden von Annäherung durch aktive Distanzierung könnte bestehendes Vertrauen (oder Neutralität) erschüttern und bestehendes Misstrauen bestätigen und festigen. So lässt man sich bei „ein paar Leuten[n]“ auf ein unverbindliches Bier und Smalltalk ein, auch wenn dies nicht bedeutet, dass man sich mit diesen Leuten mehr vorstellen kann, während man mit anderen kein Bier trinken würde.

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Diese Form der (punktuellen) Bereitschaft zu Annäherung gleicht einer Art Show, ähnlich wie z.B. das „Rolltreppengespräch“ (vgl. Kap. 6.1.5). Die Praxis des Biertrinkens wird dabei in eine persönliche und eine geschäftliche Ebene differenziert: „So habe ich menschlich gegen die [eine bestimmte Person; Anm. C.R.] nichts, ich kann da auch ein Bier trinken, aber geschäftlich finde ich sie, dass sie mehr Probleme macht als Vorteile bringt.“ (C1, 1557-1558) ‚Bier trinken‘ dient hier als Bild dafür, dass man sich auf der persönlichen Ebene auch dann nicht feindlich gegenüberstehen muss, wenn es auf der sachlichen Ebene Divergenzen gibt. Hier zeigt sich sehr klar, dass das Bier eher für die persönliche als für die sachliche Dimension des Kontakts steht. Bezüglich der Qualität der Beziehung und der Bereitschaft, Nähe zuzulassen, zeigt sich hier eine andere, neutralere Implikation: Es geht nicht mehr um die Möglichkeit, auf der Basis positiver Erwartung Vertrauen herzustellen, sondern darum, Misstrauen zu vermeiden. Das gemeinsam getrunkene Bier steht hier nicht mehr für Annäherung, sondern für die Vermeidung von Distanzierung (oder eines entsprechenden Verdachts). Es dient also im Gegensatz zur Verabredung zum Bier nicht dazu, den Möglichkeitshorizont für eine eventuelle Vertrauensbeziehung auszuloten. Nichtsdestoweniger kann es dazu führen, dass plötzlich Aspekte entdeckt werden, die positive Erwartungen in Bezug auf die andere Person begründen. Die Ergebnisoffenheit bleibt also, nur die Ausgangssituation ist anders gelagert. Der Kode ‚Bier trinken‘ im Zusammenhang mit dessen Vertrauen stiftendem Potenzial erscheint in den Daten auch als ein strategisches Instrument, das Führungskräfte gezielt einsetzen. Wie oben schon angedeutet, dient das gemeinsame Bier auch dazu, die Mitarbeitenden zusammenzubringen und einen persönlichen Kontakt zu forcieren, um darüber mehr Öffnung und Annäherung anzustoßen. Dabei geht es zum Teil erst einmal darum, dass sich die Mitarbeitenden überhaupt persönlich kennenlernen: „Aber je größer XXX[≡: Firma A] wird, desto mehr muss man sich Gedanken machen, wen will ich jetzt zusammenbringen, wo ist es denn am sinnvollsten, Leute jetzt mal übergreifend zusammenzubringen, damit die sich austauschen, damit die sich kennenlernen, damit die besser miteinander arbeiten, weil sie mal ein Bier miteinander getrunken haben oder weil sie sich auch mal in die Augen geguckt haben und nicht nur am Telefon gesprochen haben. Also da muss man sich noch mehr Gedanken machen, welche Gruppen bringt man mehr zusammen. Und dann bitte schön nicht nur einmal im Jahr, sondern das muss dann auch nachverfolgt werden. Das muss dann auch öfters passieren. Da muss auch eine gewisse Nachhaltigkeit in solchen, in solchen Werkzeugen natürlich da sein. Nicht nur ein Einmalschuss, weil es halt gerade mal schön war, ja?“ (C2, 897-907)

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Diese Interviewpassage ist sehr aufschlussreich im Hinblick darauf, was ‚Bier trinken‘ für die Institutionalisierung von Vertrauen impliziert. Zunächst wird ein ökonomisch-sachlogischer Zusammenhang klar als gegeben unterstellt: Wenn Menschen mal zusammen ein Bier getrunken haben, arbeiten sie besser miteinander. Diese Annahme erscheint sehr voraussetzungsreich, denn die von der Organisation initiierte Zusammenkunft beim Bier unterscheidet sich erheblich von der freiwilligen Verabredung auf ein Bier: Bei dieser basiert die Bereitschaft, sich verletzbar zu zeigen und zu machen, auf positiven Interessen. Bei einem organisational arrangierten und damit stärker formalisierten Miteinander hingegen kann nicht von vollkommener Freiwilligkeit oder persönlichem Interesse an Offenheit ausgegangen werden; insofern sind die Voraussetzungen für den Aufbau von Vertrauen hier andere. Das Treffen ist nicht durch persönliche Einschätzungen und Sympathien motiviert; es ist nicht erforderlich, um auszuloten, ob die Beziehung zu einer anderen Person, der man Sympathie und positive Gefühle entgegenbringt, sich zu einem Vertrauensverhältnis weiterentwickeln kann. Bei einem von der Organisation arrangierten Biertrinken kann der Aufbau von Vertrauen auch ‚bei null‘ oder mit eher negativen Erwartungen starten, also ohne erste positive Annahmen über das Gegenüber – solche Voraussetzungen wären bei einem freiwilligen Biertrinken eher unwahrscheinlich. Die Teilnehmenden am arrangierten Treffen unterliegen eher denselben Höflichkeitsanforderungen wie diejenigen, die in der Kneipe zufällig auf Mitarbeitende treffen: Es würde einer aktiven Distanzierung gleichkommen, wenn sie sich dem Kontaktraum verweigerten. Für den instrumentellen Einsatz solcher Treffen ist dies eine riskante Voraussetzung. Dieses Risiko wird aber – zumindest implizit – mitreflektiert: Als einmaliges Ereignis wird es als wirkungslos bewertet. Der Grund für die Forderung nach Wiederholung des arrangierten Biertrinkens ist vermutlich, dass die auf diese Weise geweckten positiven Erwartungen bestätigt werden sollen, die einem „Einmalschuss“ nicht zwangsläufig vorausgehen; das soll die Möglichkeit für Vertrauen schaffen und idealerweise auch Vertrauen hervorbringen (natürlich können solche Erwartungen auch enttäuscht werden). Die Bemerkung, dass „man“ sich dazu „Gedanken machen muss“, bezieht sich m.E. auf die Ebene der Organisation, genauer: auf Personen mit der Macht, Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu gestalten. Mit der generalisierten Form „man“ unterstreicht der Interviewte, dass er hier eine Grundregel formuliert, was durch die wiederholte Verwendung des imperativen „muss“ verstärkt wird. Dies ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass C2 aus der Rolle eines externen Interimsmanagers heraus spricht, der wegen seiner Erfahrung im Bereich Mergers & Acquisitions in Großunternehmen hinzugezogen wurde, und dass er im Interview immer

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wieder die seines Erachtens unzureichende Führungskompetenz und Kommunikation im Unternehmen sowie intransparente Strukturen problematisiert (s.o. Kap. 5.1.2). Hier fordert er von der Organisation ein bestimmtes Führungshandeln: ‚Bier trinken‘ soll nicht als wirkungsloser Selbstzweck oder einfach als Belohnung veranstaltet werden, „weil es halt gerade mal schön war“. Die damit symbolisierte Schaffung von Kontakt- und Kommunikationsräumen soll nicht aus trivialen, sondern aus strategischen Gründen geschehen; sie soll als ein ernsthaftes und potenziell wirkungsvolles Instrument gesehen werden, mit dem man sich auseinandersetzen muss und das bewusst und gezielt zum Nutzen der Organisation eingesetzt werden soll. Der nachdrücklich betonte Appell an das „man“, also die Organisation, Biertrinken gezielt für bessere Kooperation einzusetzen und dies strategisch zu reflektieren, macht in Verbindung mit der Position des Sprechers erkennbar, dass dieser hier jenseits von Vertrauen zwischen den Personen eine Möglichkeit der Institutionalisierung von Vertrauen durch die Organisation sieht, die potenziell Vertrauen in die Organisation erzeugen kann. Bezogen auf die Strukturebene der Organisation bedeutet diese Interpretation, dass die Institutionalisierung von Vertrauen auf struktureller Ebene insbesondere eine geschickte Auswahl der zusammenzubringenden Personen erfordert, die sich an sachlogischen Motiven orientieren muss, und dass diese Kontakte wiederholt stattfinden müssen. Denn diese beiden Merkmale werden in den Daten als zentral für eine Annäherung mit der Option auf Vertrauen hervorgehoben. Die wiederholte und somit nachhaltige Bereitstellung von Kontakt- und Kommunikationsräumen durch die Organisation wird implizit als ein Zeichen organisationsseitiger Fürsorge konstituiert, als Beweis, dass sich die Organisation für ihre Mitglieder interessiert. Unterbleibt eine Wiederholung oder werden die falschen Personen ausgewählt oder immer nur dieselben Gruppen zum Bier zusammengebracht, dann etabliert sich ein Austausch entweder gar nicht erst, oder die vertrauensbildend intendierte Fürsorge für die Mitglieder könnte sich in ihr Gegenteil verkehren. Denn Chancen für Vertrauen haben immer Konsequenzen: Man entwickelt eine Annahme dazu, ob ein Vertrauensverhältnis entstehen kann oder nicht, und diese wird durch den Kontakt entweder bestärkt oder entkräftet. Dass der Kontakt auf diese Einschätzung völlig wirkungslos bleibt, also die Interaktionspartner_innen und die Beziehung zu ihnen nach dem gemeinsamen Bier exakt genauso einschätzt werden wie vorher, erscheint mir unwahrscheinlich. Die von diesem und anderen Interviewten unterstellte Kausalität, man könne besser miteinander arbeiten, wenn man sich persönlich nähergekommen ist und sich zumindest beim Bier ein wenig geöffnet hat – und die Implikation, dass daraus ein Mehrwert für die Organisation entsteht –, ist also in zweierlei Hin-

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sicht aufschlussreich. Zum einen wird sie als eine Grundregel vorgebracht, als eine Frage von richtig oder falsch: Dass Vertrauen für die Kontakte innerhalb der Organisation und damit für das Handeln der Organisation wichtig ist und dass dies als organisationaler Mehrwert rational begründbar ist, erscheint hier vollkommen fraglos. Zum anderen wird die Möglichkeit, dass Vertrauen entsteht, als ausgesprochen positiv und sogar strategisch rationalisierbar behandelt, obwohl sie ja zunächst ergebnisoffen ist; die Chance auf Vertrauen wird offenbar als wichtiger bewertet als die ebenfalls enthaltene gegenteilige Möglichkeit, dass sich kein Vertrauen entwickelt oder sogar Misstrauen entsteht. Dieses Risiko umgehen die Führungskräfte, indem sie die Art der arrangierten Kontexte für Annäherung und ihre jeweilige Rolle dabei differenzieren: „Also ich meine nicht die Weihnachtsfeiern. Wir haben öfter Events, wo ich dann auch bei wäre, bin, wenn, weiß ich nicht, irgendwelche einmal jährlich ein Sommerfest in XXXXXX[≡: Ortsangaben] oder wo wir sind, wo dann auch ich gerne eingeladen bin, auch gerne bin, aber dann bin ich auch als Chef da. Jetzt, das, dann trinke ich auch mit denen ein Bier und wir grillen zusammen oder machen was und reden, aber ich bin, die Leute sehen mich dann schon als ihren Chef und dann bin ich dann auch da als Chef. Ohne dass das jetzt groß raushängt, aber das ist ja klar. Das kann man auch nicht anders. Das wird auch erwartet.“ (B1, 882-889)

Weihnachtsfeiern, Sommerfesten und ähnlichen „Events“ wird hier ein offizieller Charakter zugeschrieben; entsprechend agiert die Führungskraft in einem solchen Kontext auch offiziell, d.h. in ihrer organisationalen Funktion („als Chef“). Dort ist man „gerne“, ist also einverstanden, an diesem Event „mit denen“ teilzunehmen, und engagiert sich. Diese anderen werden nicht näher spezifiziert, sondern nur als Personen gerahmt, die der Führungskraft außerhalb solcher Veranstaltungen – und dadurch aber bis zu einem gewissen Grad auch in diesem informellen Rahmen – untergeordnet sind und mit denen der Kontakt eher distanziert ist. Beim Bier und beim Grillen werden dann, wie oben schon gezeigt, Statusunterschiede kurzfristig abgeschwächt; sie werden jedoch nicht aufgehoben, „[o]hne dass das jetzt groß raushängt, aber das ist ja klar“. Die vorgebliche Negation der Positionsunterschiede bedeutet nicht die Bereitschaft zu (echter) Offenheit, die die Grenze zwischen Beruf/Organisation und Freizeit/Privatbereich überwindet, Annäherung ermöglicht und erlaubt, Vertrauen herzustellen oder zu reaktualisieren. Vielmehr bleibt die Führungskraft hier in ihrer Rolle. Sie macht sich in dieser Rolle (begrenzt) verletzbar, indem sie sich für Kommunikation zur Verfügung stellt. Da sie ihr Handeln und Verhalten jedoch bewusst kontrolliert, hat dies auf der Ebene von Vertrauen keine Auswir-

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kungen: „Ich meine, Weihnachtsfeier ist ja auch eigentlich eine dienstliche Geschichte und da muss der Chef auch der Chef sein und da muss auch vielleicht der Chef eine Ansprache halten.“ (B1, 875-877) Rationalisiert wird dieses reflexiv-strategische Kommunizieren mit den Erwartungen, die einer Führungskraft von (sonst) Untergebenen entgegengebracht werden („die Leute sehen mich dann schon als ihren Chef und dann bin ich dann auch da als Chef“, B1, 887-888). Die Führungskraft nimmt also Erwartungen der anderen vorweg, wenn sie professionell in ihrer hierarchischen Rolle bleibt. Bei Settings, die von der Organisation arrangiert sind und damit einen eher offiziellen Charakter haben, ist dieses Wahren der Rolle aber möglicherweise nicht nur in den unterstellten Erwartungen der Belegschaft begründet. Die angesprochenen jährlichen Events zu Weihnachten oder im Sommer signalisieren Regelmäßigkeit, Berechenbarkeit und damit Verlässlichkeit. Verlässlichkeit ist eine der zentralen Komponenten von Vertrauenswürdigkeit, die wiederum eine Voraussetzung für Vertrauen ist (vgl. Kap. 2). Solche mehr oder minder angeordneten Events, die der Annäherung und dem Kontakt zwischen der Organisation und den Mitgliedern dienen, gehören zur Infrastruktur der Organisation, sie sind fest institutionalisiert und nach etablierten Routinen gestaltet. Sie dienen der Organisation dazu, ihre eigene Vertrauenswürdigkeit herzustellen. Die Führungskraft hat dabei weniger eine personelle als vielmehr eine organisationale Rolle: Sie fungiert bei diesen Events als vermittelnde Instanz zwischen den Organisationsmitgliedern (Personen) und der Organisation (System). Die als selbstverständlich unterstellte Erwartung der Organisationsmitglieder, dass die Führungskräfte daran teilnehmen und als Ansprechpartner_innen verfügbar sind, lässt erkennen, dass die Führungskräfte selbst sich (in dieser Rolle) als Zugangspunkt zur Organisation verstehen. Da sie diese bei solchen offiziellen Events repräsentieren, haben sie Einfluss darauf, wie die Mitglieder die Organisation wahrnehmen und was sie von ihr erwarten; „wenn der Chef als Erster besoffen vom Tisch kippt, sieht das sicher doof aus“ (B1, 877). Das Bier im offiziellen Rahmen ist somit durchaus vertrauenswirksam, aber nicht auf der interpersonellen Ebene, sondern auf der Ebene zwischen den Personen und der Organisation, vermittelt über die Führungskräfte, die diese repräsentieren. Auf der interpersonellen Ebene hat diese arrangierte Form der Begegnung beim Biertrinken eher den Charakter einer unverbindlichen Annäherung, die zustande kommt, ohne dass ein ‚gutes Gefühl‘ vorliegen muss, aus dem Offenheit entstehen kann. Zugleich ermöglicht die abstrakte Organisation ihren Mitgliedern, sie durch die angebotene Annäherung und Kommunikation mit denen, die sie repräsentieren, ‚persönlich‘ zu erleben und zu prüfen, ob die Organisation als Rahmen für Beziehungen positive Erwartungen bestätigt und somit Vertrauen

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herzustellen vermag. Damit macht sich die Organisation insofern verletzbar, als sie das Handeln der sie Repräsentierenden nicht oder nur bedingt kontrollieren kann. Verhalten diese sich unangemessen – etwa indem „der Chef als Erster besoffen vom Tisch kippt“ –, muss die Organisation ihr Handeln sanktionieren und dies auch gegenüber den Mitarbeitenden darstellen, um den Schaden zu begrenzen; dies vermag eine dadurch eingetretene Erschütterung des Vertrauens allerdings nicht vollständig zu kompensieren.10 6.1.4 Ermöglichen von Handeln in Spannungsfeldern Vertrauen wird auch deshalb als wichtig eingeschätzt, weil ihm zugeschrieben wird, dass es alle Organisationsmitglieder und die Organisation selbst über ihre jeweiligen Rollen und Partikularinteressen hinaus gleichermaßen betrifft. Das folgende lange Zitat aus dem Interview C1 (das ich hier in zwei Schritten präsentiere) zeigt beispielhaft die Plausibilisierung einer strategischen Nutzung von Vertrauen. Dem Ausschnitt geht die Frage voraus, ob über Vertrauen offiziell gesprochen werden kann, darf oder sollte. Darauf wechselt der Interviewte auf die Metaebene: „Also ich glaube ganz ganz ehrlich gesagt, also bevor ich darauf antworte, nehme ich Sie jetzt mal als Beispiel. Durch meine Gespräche, die ich vorher geführt habe, zu diesem Thema heute, habe ich ein relativ lockeres Gesprächsverhältnis, wie Sie vielleicht merken. Weil ich mir relativ sicher bin, dass ich da nicht darauf achten muss, wie Sie gerade eben auch nochmal bestätigt haben, dass es so ist, und dementsprechend mache ich mir da auch weniger Gedanken. Zum Teil würde ich die Sachen, die ich gerade jetzt hier beschrieben habe, auch nicht so öffentlich kommunizieren. Das dazu. Jetzt, ach, Faden verloren.“ (C1, 596-603)

In dem Einstieg „Also ich glaube ganz ganz ehrlich gesagt, also bevor ich darauf antworte“ klingt etwas Bekenntnishaftes an, das die Interviewsituation durchbricht. C1 ordnet zuvor im Interview getätigte Aussagen hier als offiziell sagbar ein und markiert das Folgende im Unterschied dazu als etwas eigentlich Unsagbares. Er berichtet weiter, dass er sich im Vorfeld über die Rahmenbedingungen des Interviews informiert hat (z.B. über die Frage der Verschwiegenheit). Die Informationen dazu hätten ihm eine „relative“ Sicherheit gegeben, sich offen zeigen zu können, was dadurch unterstützt wurde, dass die Interviewerin ihm 10 Endreß (2012) zeigt beispielhaft an der Entlassung von Funktionsträgern bzw. -trägerinnen, die als für ein Problem oder einen Fehler verantwortlich gelten, dass solche Sanktionen nur kurzfristig wirksam sind.

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Anonymität zugesichert hat. Darauf reagiert C1 mit einem „relativ lockeren Gesprächsverhältnis“. Die Preisgabe von Informationen wird auch hier im Gegenzug dafür gewährt, dass vorherige Informationen von Dritten als für Sicherheit, Zutrauen und Vertrauenswürdigkeit hinreichend angesehen wurden. Hätten diese Informationen den Befragten alarmiert, ihn skeptisch oder misstrauisch gestimmt, wäre das Interview anders verlaufen, ohne dass die Interviewende eine womöglich distanzierte Haltung des Gesprächspartners als Ergebnis seiner Recherche und der daraus resultierenden Erwartung hätte deuten und die Gründe dafür einordnen können; das wird hier gut erkennbar. Weil aber die vorherigen Erkundigungen eine konstruktive Erwartung begründet haben, konnte C1 sich von vornherein aufgeschlossen zeigen und eine offene Haltung einnehmen – immerhin offen genug, um das offiziell Sagbare zu sagen. An diesem Punkt verlässt der Interviewte nun aber diese Ebene und gibt zu erkennen, dass er sich verletzbar macht, indem er darüber hinaus auch weniger Sagbares preisgibt, Informationen, die er „auch nicht so öffentlich kommunizieren“ würde.11 Dieses Bekenntnis, dass er sich anschickt, den Raum des Sagbaren zu verlassen und seinem Gegenüber potenziell heikle Informationen anzuvertrauen, impliziert, dass er Schaden erleiden könnte, wenn das nun Folgende nach außen dringt und auf ihn rückführbar ist. Mit diesem Bekenntnis vergewissert er sich der Vertraulichkeit und erinnert die Interviewende implizit noch einmal daran, die zugesicherte Vertraulichkeit durch Anonymisierung zu wahren, ohne in Frage zu stellen, dass sie dies ohnehin tun wird – ein kommunikativ geschickter Schachzug. Dieser Wechsel der Ebenen ist als kommunikativ anstrengend und wenig routiniert erkennbar, denn nachdem er so das Erfordernis der Anonymität unterstrichen hat („Das dazu“), kommentiert C1, er habe den „Faden verloren“. Ich interpretiere dies so, dass die Praxis des informationellen Schachspiels um Geheimhaltung, Mitwisserschaft, strategische Nutzung und Immunisierung der eigenen Position aufwendig ist. Nachdem die Interviewende die Frage wiederholt hat, steigt C1 wiederum auf einer Metaebene ein und unterscheidet zwischen „offizieller Antwort“ und „Wahrheit“: „Also ich glaube, es gibt da zwei Antworten zu. Einmal die offizielle Antwort, die natürlich auf Managementebene immer herrschen muss, sei es bei einem Topkonzern oder sonst irgendwas: Vertrauen, wir müssen uns gegenseitig vertrauen, wir sind ein Managementteam und chaka und ne? Die Wahrheit ist aber glaube ich immer noch mal ein Stück anders. Und ich glaube, dass die Wahrheit allerdings seltenst wirklich ausgesprochen 11 Das „so“ bezieht sich auf die Form und Tiefe der Preisgabe, nicht auf die Einordnung des Interviews als öffentlich.

176 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN wird. […] Das weiß jeder, aber es sagt keiner. Sagen tun alle das Gegenteil. Deswegen gibt es da einfach zwei Riesendifferenzen, Wahrheit und Schein. Und da bin ich mir sicher, dass es in jeder Firma so ist, der Schein muss gewahrt sein. Und der ist bei uns auch, ja, gewahrt in dem Sinne, jeder weiß, dass es anders ist, aber.“ (C1, 608-620)

Die offizielle Antwort ist die strategisch wichtige professionelle Fassade, die „natürlich auf Managementebene immer herrschen muss“. Diese Regel des Offiziellen ist ein „natürliches“, also systemimmanentes Muss, das als unerlässlich („immer“) und regelhaft („sei es bei einem Topkonzern oder sonst irgendwas“, „und da bin ich mir sicher, dass es in jeder Firma so ist“) generalisiert werden kann. Das so konturierte Votum für Vertrauen und Miteinander wird zugleich als lächerliche Inszenierung entlarvt („und chaka und ne“) und der „Wahrheit“ gegenübergestellt. Inoffiziell und offiziell, öffentlich und privat, Schein und Sein werden als ubiquitäre Spannungszustände bzw. Ambivalenzen von Management skizziert, in denen sich die Akteure verhalten müssen, ohne diese Spannung offenzulegen. Es gibt quasi eine doppelte Buchführung: Vertrauen wird als positiv konnotierter gelebter Wert dargestellt, während die Akteure faktisch möglicherweise wenig Vertrauen zueinander haben. Dieses offizielle Bild darf nicht erschüttert werden („der Schein muss gewahrt sein“), und wenn Wahrheit und Schein noch so stark voneinander abweichen („Riesendifferenzen“). Die Wahrheit ist in der Regel nicht kommunizierbar („wird seltenst ausgesprochen“, „das sagt keiner“) – das ist illegitim, obwohl sie bekannt ist. Die organisationale Praxis umgeht diese Ambivalenz, indem sie im Alltagshandeln die beiden Seiten verbindet: Die Akteure wissen um das, was als Wahrheit dargestellt werden soll, aber nicht immer als wahr bewertet wird; über die mögliche Diskrepanz sprechen sie nicht („Und der ist bei uns auch, ja, gewahrt in dem Sinne, jeder weiß, dass es anders ist, aber.“). Die kommunikative Darstellung von Vertrauen als wichtiger Wert bildet also nicht das tatsächliche Handeln ab, sie strahlt aber auf (nicht spezifizierte) andere ab und gehört zum Regelinventar von Organisationen. Der soziologische Neoinstitutionalismus stellt diese Ambivalenz ebenfalls als zentrales Merkmal von Organisationen heraus. Er spricht mit Bezug auf Erving Goffmans Werk „The Presentation of Self in Everyday Life“ (1959) von der Diskrepanz zwischen einer „Vorderbühne“ der Darstellung und einer „Hinterbühne“ der Umsetzung (vgl. Walgenbach 1993: 270). In dieser Redepassage werden also wichtige Facetten deutlich: Die Ebenen von Darstellung und tatsächlicher Herstellung und Umsetzung können (erheblich) divergieren; der informelle Vertrag (s.o. Kap. 3.2.4) der Mitglieder (zumindest auf Managementebene) beinhaltet eine Geheimhaltungspflicht, nach der

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Kritik und Dissonanzen zwar zugelassen, aber im Verborgenen zu halten sind, während laut und offiziell das Gegenteil zu verkünden ist. Einen zentralen Mehrwert dieser Passage sehe ich aber noch in einem anderen Aspekt: Sie legt so deutlich wie kaum eine andere Interviewäußerung die konstitutive Relevanz von Vertrauen in Organisationen offen. C1 geht es hier nicht darum, Vertrauen zu beschreiben; es dient ihm lediglich als ein Beispiel, um die Parallelität von Wahrheit und Schein zu zeigen. Implizit beschreibt er Vertrauen aber als zentrale Grundlage dafür, die Übereinkunft in Bezug auf Wahrheit und Schein tragfähig zu machen, so dass tatsächlich niemand darüber spricht. Sein Bekenntnis im ersten Teil des Zitats rahmt also tatsächlich etwas Offenbarendes: Die Bekräftigung der gegebenen Vertraulichkeit, bevor er das zu Verbergende offenlegt, unterstreicht, dass auch die Interaktion und das Handeln im Organisationskontext auf Vertrauen basieren. 6.1.5 Steuern von Informationen Empirisch untrennbar mit Vertrauen verbunden ist Kommunikation bzw. die kommunikative Praxis, die in den vorigen Kapiteln bereits mehrfach angesprochen wurde; sie ist Teil des Konzepts von Vertrauen und eine Handlungsform auf der Ebene seiner Dar- und Herstellung. Wer mit wem spricht, wer was wann erfährt und wie ganz allgemein mit Informationen umgegangen wird, hängt eng mit der eigenen Positionierung in der Organisation und in Bezug auf diese zusammen und ermöglicht Teilhabe und Ausschluss bezogen auf Themen, Ressourcen und die Organisation als solche. Informationen werden dabei differenziert in zwei Kategorien, die in Bezug auf Vertrauen miteinander verbunden sind: fachlich-sachliche Informationen und persönlich-private Informationen. Erstere umfassen z.B. Angaben zur Organisation, zu Zukunftsplanungen oder zum Einsatz inhaltlichen Wissens, Letztere z.B. Angaben zu Wünschen und Präferenzen oder zum Einsatz sozialen Wissens. Mit der Kommunikation fachlich-sachlicher Informationen werden bestimmte Instrumente in Verbindung gebracht, zu denen z.B. persönliches Feedback und sogenannte Rolltreppengespräche gehören: „In meinem Haus ist das definitiv anders als in vielen anderen. Weil meine Abteilungsleiter verstehen, nicht alle, aber die meisten, und weil ich viel mit den Mitarbeitern rede, weil ich oft frage, wie läuft das jetzt hier mit den neuen, mit der neuen Regelung. Und dann sagen die mir natürlich. Wenn die Recht haben, dann sage ich, ich kümmer mich drum, und gebe dann auch ein Feedback, ob auch wenn es sich nicht bewegt, gebe ich ein Feedback und dann freuen die sich. Und ich führe Rolltreppengespräche. Also samstagmorgens

178 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN einmal im Monat, wo alle kommen dürfen, nicht müssen, auf freiwilliger Basis, zwanzig Minuten vor der Geschäftsöffnung, wo ich einfach mal eine Viertelstunde referiere, wie es, wo wir gerade stehen, wo wir hin müssen, was gerade im Unternehmen passiert […] Ja, das ist natürlich auch eher eine Show. […] Viele machen das auch falsch. Also es gibt natürlich immer Kritikpunkte, das dürfen sie bei so einer Aktion dann nicht machen. Ich weiß, mein Vorgänger hat dann meistens gepoltert und das ist natürlich doof.“ (A1, 17171726, 1730, 1742-1745)

Beide Instrumente, Feedback und Rolltreppengespräche, dienen der Weitergabe von Informationen: Im ersten Fall informiert der Befragte sich darüber, wie seine Mitarbeitenden z.B. mit einer neuen Regelung zurechtkommen; im zweiten Fall informiert er sie über aktuelle Entwicklungen. Die Erläuterung dieser Praktiken verweist auf zahlreiche weitere Funktionen: Erstens dienen sie dazu, sich – und über die Person vermittelt auch die Organisation – als zugänglich und ansprechbar darzustellen. Zweitens stellt die Führungskraft damit ihr Interesse an den Belangen der übrigen Beschäftigten dar und erhöht dadurch auch ihre Bereitschaft zu Beteiligung und Auseinandersetzung. Drittens kommen die Beschäftigten und der Informationsvermittler ohne formale Anordnung zusammen („freiwillig“, „einfach mal“) und beweisen sich so gegenseitig ihr Engagement, indem sie ihre Bereitschaft demonstrieren, über das Geforderte (an Arbeitszeit und Auftrag) hinauszugehen. Viertens werden nur ausgewählte Informationen gezielt dargestellt – ein zentraler Aspekt, den ich weiter unten vertiefe. Die Vergewisserung darüber, ob die intendierte Wirkung erzielt wird, basiert auf schwachen Evidenzen; sie bleibt auf einer eher vagen Ebene gefühlsmäßiger Eindrücke, indem von einer positiven Reaktion implizit auf eine konstruktive Rezeption geschlossen wird: Präsenz beim Rolltreppengespräch wird als Interesse und Engagement gedeutet, freundliche Reaktionen auf Feedback als Wertschätzung. Hinsichtlich der Praxis selbst gibt es auch eine „falsche“ Form der Operationalisierung, Dinge, die man „bei so einer Aktion dann nicht machen darf“. Die Rolltreppengespräche als eine Praxis zur Dar- und Herstellung von Vertrauen werden als „Show“ beschrieben: Sie sind Teil eines reflexiven, strategischen Handelns, das dazu dient, gegenüber einer Zielgruppe Offenheit darzustellen und so Vertrauen herzustellen, hier verbunden mit dem Ziel, die neue Leitung und den Umgang mit neuen Regeln als konstruktiven Mehrwert und Anlass für persönlichen Kontakt darzustellen. Angesichts dieser Funktionen ist es deplatziert und „natürlich doof“, in dieser Situation Mitarbeitende (offen) zu kritisieren und sie damit zu verunsichern. Hier wiederholt sich das Motiv von ‚Wahrheit und Schein‘ (s.o. Kap. 6.1.4), allerdings ist es diesmal nicht auf die Managementebene bezogen: Nicht nur die

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Organisationsführung ist mit Wahrheit und Schein befasst; vielmehr ist der für die Dar- und Herstellung von Vertrauen bedeutsame Umgang mit Informationen (die die Mitarbeitenden z.B. im Rahmen von Feedback weitergeben und das mittlere Management im Rahmen von Rolltreppengesprächen), speziell mit Geheimnissen, eine Handlungs- und Positionierungsaufgabe, die wohl alle Mitglieder betrifft. Daran wird erkennbar, dass die grundlegende Bedeutung von Vertrauen auf die gesamte Organisation generalisiert werden kann. Diese Bedeutung lässt sich u.a. auch für die Praxis des Feedbacks generalisieren, z.B. Kritik der Belegschaft an (neuen) Regelungen. Solche Kritik führt zwar nicht zwangsläufig dazu, dass an der betreffenden Regelung etwas geändert wird, doch die kommunikative Anteilnahme (die Frage danach, „wie es läuft“) und das damit bekundete Interesse wirken nach Ansicht des Akteurs positiv auf die Stimmung („dann freuen die sich“). In der Formel ‚den Mitarbeitern eine Freude machen‘ zeigt sich beispielhaft die strategische Nutzung, die durch die etwas herablassende Art unterstrichen wird. Für das Rolltreppengespräch als kommunikative Praxis scheint es einen spezifischen Regelkanon zu geben: Es geht um weitgehend unproblematische Sachinformationen zur Gegenwart und Zukunft der Organisation, und die Darstellungsform ist eine eher frontale; etwaige Kritik (an Mitarbeitenden oder Arbeitsabläufen) gehört nicht hierher. Für das Feedback gelten ebenfalls Regeln: Es ist (vermeintlich) freiwillig, und die Führungskraft ist vor Ort persönlich ansprechbar. Unter diesen Voraussetzungen werden Feedback und Gruppeninformationen als Beitrag zur Erzeugung von Vertrauen eingeordnet, aber auch als Verfahren der Dar- und Herstellung eines harmonisch-konstruktiven – mit Giddens (1996: 106; vgl. Kap. 2.2.3) gesprochen – „Hintergrundgeräuschs“. Sie verkehren sich aber in ihr Gegenteil, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Nicht angesprochen wird in der oben zitierten Passage die Möglichkeit, dass sich diese Regeln auch verändern, wenn der Situation nicht die hohe Bedeutung beigemessen wird, die der Akteur ihr hier zuschreibt. Andere Akteure mögen sowohl das Feedback als auch das Gruppengespräch anders bewerten, z.B. als nervig, als ‚gute Miene zum bösen Spiel machen‘ oder als Selbstinszenierung des Vorgesetzten. Neben dem Befund, dass es im Zusammenhang mit Vertrauen darum geht, Informationen zu steuern und Räume für Annäherung und Kommunikation anzubieten, ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Implikation, dass Informationen dann gegeben und nachgefragt werden, wenn ein bestehendes konstruktives „Hintergrundgeräusch“ verstärkt werden soll.

180 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN „Ich glaube, was XXX[≡: Firma A] braucht, ist auch dieses Informieren und dann dieses Weitertransportieren der Information. Denn ein Chef kann immer nur High Level streuen. Der kann nicht ins Detail gehen. Aber wie dieses High Level jetzt auf der nächsten, auf der übernächsten, auf der überübernächsten Ebene umgesetzt wird, da brauchen sie wieder jemand, der das, der die gleiche Idee hat, der die gleiche Richtung verfolgt, aber es mehr operationalisiert. Und das fehlt hier. Das fehlt hier total. Die Operationalisierung fehlt hier komplett, fast komplett. Also ich, nein, das ist vielleicht nicht ganz richtig, aber es fehlt in in in weiten Bereichen.“ (C2, 1263-1270)

Rolltreppengespräche und Feedback des Vorgesetzten sind erforderlich, um Informationen zu operationalisieren und so die Belegschaft auf das Organisationsziel zu fokussieren, dieses zu vergemeinschaften und die Mitglieder auf die Organisation einzuschwören. Das erfordert Repräsentierende, die zwischen der abstrakten, für die Belegschaft weitgehend unzugänglichen Ebene (wie Eigentümer_in, Vorstand oder Organisation), den verschiedenen Bereichen der Organisation (wie Abteilungen und Teams) und den einzelnen Mitgliedern vermitteln. Diese müssen jedoch „die gleiche Idee“ haben und „die gleiche Richtung“ verfolgen. Eigensinnige und opponierende Positionen sind nicht erwünscht, wenngleich sie kaum völlig vermieden werden können. Die Idee transparenter Information, die alle auf ein gemeinsames Ziel orientiert, ist ebenso grundlegend normativ wie utopisch. Sie manifestiert sich zwar in Vertrauen durch Steuern von Informationen, in der Praxis ist diese Idee aber habitualisiert typisiert: Vertrauen wird auf Offenheit und Gewährung von Einblick zurückgeführt, eben weil diese wie oben beschrieben persönliche Zugänglichkeit schaffen, die Berücksichtigung persönlicher Interessen und Befindlichkeiten der Organisationsmitglieder demonstrieren und sowohl Sachkompetenz als auch persönliches Engagement der Mitglieder anerkennen: „[U]nd dort wird ganz klar adressiert, man sucht auch Managementkontakt, aber eben nicht nur, um von ihm etwas zu erfahren, sondern auch zu diskutieren, um auch mit ihm auch mal auszutauschen, nicht jetzt mal in Form einer Basisdemokratie, wir bestimmen alles mit, nein, nein, das ist überhaupt nicht das, was, was was die Leute hier machen wollen, nein, sie wollen nur gehört werden, um auch mal, vielleicht auch mal Missstände, die da sind, die gar nicht gesehen werden vom Management, die manchmal übersehen werden in der Flut der Dinge, dass solche Dinge eben behoben werden können.“ (C2, 387394)

Die Herstellung von Vertrauen durch Sachinformation basiert also auf deren integrierendem Potenzial, indem sie die Organisation und ihre Mitglieder aufei-

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nander bezieht und erlaubt, das Miteinander der Mitglieder zu harmonisieren und auf ein Ziel auszurichten. Dies ist aber nur eine von mehreren empirisch möglichen Plausibilisierungen.12 Informationen und ihre Steuerung durch Kommunikationspraktiken erscheinen empirisch besonders in Ausnahmesituationen oder unter besonderen Rahmenbedingungen relevant, z.B. im Zusammenhang mit Organisationsveränderungen, in denen einer destruktiven Erwartung präventiv oder intervenierend begegnet werden soll: „Das Thema der vielen Umorganisationen und dass Mitarbeiter sich dadurch nicht gut behandelt fühlten oder in Ecken geschoben fühlten oder anderen Chefs zugeordnet fühlten, hat dazu geführt, dass jetzt manchmal, wenn aus Versehen bei uns im Intranet irgendwas im Organigramm nicht ganz klar ist oder aus Versehen falsch ist, dass Leute in Aufruhr geraten. Und ein bisschen aufgescheucht über die Gänge laufen, Diskussionen entstehen, viele Mails hin und her geschickt werden, was das wieder ist und ob da sich was anbahnt, und dann wird diese informelle Kommunikation genutzt. Ich habe soeben noch so ein Gespräch gehabt. Und da habe ich soeben noch gesagt, das zeugt davon, dass die Leute zu wenig Vertrauen haben. […] Das zeigt mir aber, dass sie in die Organisation oder in ihre Chefs nicht genug Vertrauen haben, dass das in ihrem Sinne gelöst wird. Das ist Misstrauen. Das führt zu Beschäftigung, auf jeden Fall nicht zu Beschäftigung mit dem Kunden. Sondern mit anderen Dingen.“ (B1, 709-718, 722-725)

Diese Passage zeigt Funktionen der Teilhabe an Sachinformationen, die über die im vorigen Beispiel angesprochenen hinausgehen: Information dient dazu, Interpretationsspielräume zu vermeiden, die sonst eher mit einer destruktiven als mit einer konstruktiven Erwartung ausgefüllt werden: „Leute geraten in Aufruhr“, „laufen ein bisschen aufgescheucht über die Gänge“ und kompensieren das Informationsdefizit, indem sie den Interpretationsspielraum in informeller Kommunikation mit Gerüchten füllen; das geschieht durch ressourcenaufwendigen ‚Flurfunk‘ und „viele Mails“. Diese Ressourcen sind insofern relevant, als sie vom Organisationsauftrag und -ziel (z.B. der „Beschäftigung mit dem Kunden“) abgezogen werden. Sachinformation ist nicht vertrauensförderlich, wenn sie als unzureichend oder falsch bewertet wird: Bei Ungewissheit verkehrt sie sich ins Gegenteil, d.h. sie fördert Misstrauen; dies manifestiert sich in einer Zunahme von Unruhe und schließlich ganz praktisch in steigender informeller Kommunikation.

12 Heisig und Littek (2003) etwa weisen Vertrauen als Harmoniekonzept zurück.

182 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN „Ich vertraue dem, oder ich vertraue dem Unternehmen, heißt stellvertretend, ich vertraue den X[≡: einstellige Zahl] Vorständen oder meinem Vorgesetzten, dass der die richtigen Entscheidungen trifft. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt nämlich. Man kann nicht nur Vertrauen haben, dass ich ihnen eine Geschichte erzähle und sie es nicht weitererzählen und nicht zu meiner Frau rennen und sagen, du, der hat frei eine Freundin. Man kann ja auch Vertrauen haben in X[≡: einstellige Zahl] Menschen, wo sie sagen, mmh, das sind die Richtigen, die werden es richten. Das ist für mich, also der Umkehrschluss, man darf nicht nur sagen, ich habe Vertrauen in jemanden, was ich ihm erzähle oder was ich mit ihm bespreche, sondern umgekehrt habe ich Vertrauen in den, dass der das Richtige macht.“ (A2, 494-503)

Die Orientierung über Gegenwart und Zukunft, über Evidenzen hinsichtlich des Fortbestands und/oder der Leistungsfähigkeit des Unternehmens, vermittelt auf der Mikroebene die Sicherheit, die erforderlich ist, um eine Mitgliedschaft einzugehen oder auch dahinterzustehen. Dieses Potenzial von Teilhabe durch Sachinformationen – und von Bindung durch Sicherheit und Anerkennung – ist grundlegend mit Vertrauen assoziiert. Dabei werden im Organisationskontext – zumindest kommunikativ – Sachzentrierung und Zutrauen in Bezug auf das Handeln einer Person in den Mittelpunkt gestellt. Auf Persönlichkeitszentrierung und Sympathie wird eher mittelbar rekurriert; dass jemand nett ist, ist im Organisationskontext weniger wichtig als seine Fähigkeit, bestimmte Interessen zu befriedigen und „das Richtige“ zu tun. Hier geht es nicht nur um Information an sich, sondern um Informieren als eine Form der Handlungsanforderung. Dieses Handeln wird vorrangig der Organisationsleitung abverlangt und zugeschrieben, also denjenigen, die die entsprechende Handlungsmacht und Verantwortung haben und die über die dafür notwendigen Informationen verfügen. Der als vertrauensrelevant konstruierte Umgang mit Informationen wird dabei zugleich auf allen Ebenen von Organisationen praktiziert. Daher wirkt sich Verunsicherung auf der Mikroebene über die Existenzsicherung und die Leistungsfähigkeit der Mesoebene grundlegend auf die empirischen Konstrukte von Vertrauen aus. Denn Verunsicherung kulminiert in Misstrauen, und Misstrauen erzeugt Ablenkung, so dass die Mitglieder sich mit der Unsicherheit beschäftigen anstatt mit der Sachaufgabe. Wenn sie den Eindruck haben, dass die Organisation ihre Interessen nicht wahrnimmt oder Herausforderungen „nicht in ihrem Sinne löst“, blockieren sie. Dies erinnert an das von Hirschman (1974) entwickelte Konzept, nach dem Organisationsmitglieder (und andere Interaktionspartner_innen von Organisationen) drei Möglichkeiten haben, auf eine Veränderung zu reagieren: Sie gehen in die Offensive („voice“), sie resignieren oder beenden ihre Mitgliedschaft („exit“) oder sie unterstützen die

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Organisation weiterhin („loyalty“). Vertrauen wird nun empirisch als Möglichkeit konturiert, alle drei Reaktionsweisen als produktive Kraft (bzw. im Fall von „exit“ als Beseitigung von Störungspotenzial) zu erhalten, sie aber stets in eine für die Organisation konstruktive Richtung zu lenken. „Vielleicht ist auch die Kommunikation nicht immer gut gewesen und zu sagen, warum machen wir das denn jetzt eigentlich und was ist die Intention dabei. Welches Ziel wollen wir damit erreichen, wie lange wird das so sein und was wird danach sein. Vielleicht haben wir uns da nicht genug Mühe gegeben vom Management her bei der Einführung solcher Dinge. Auf der anderen Seite muss ich sagen, manchmal tut so ein bisschen Unruhe in der Organisation auch ganz gut. Das sage ich aber jetzt nur Ihnen hier.“ (B2, 13221327)

Im vorletzten Satz dieses Zitats wird auf Spannungsfelder verwiesen („Unruhe“); dabei markiert die einleitende Formulierung „Auf der anderen Seite“ die Möglichkeit, dies entgegen einer (hier unausgesprochen bleibenden) negativen Deutung als produktiv und damit für die Organisation konstruktiv zu bewerten. Unruhe eine produktive Kraft zuzuschreiben und sie deshalb zuzulassen oder zu forcieren wird dabei – zumindest in einer gezielten entsprechenden Funktionalisierung – als nicht öffentlich sagbar gekennzeichnet („Das sage ich aber jetzt nur Ihnen hier.“). Vertrauensassoziierte Praktiken des vorrangig sachzentrierten Informierens zielen also darauf ab, ruhiges Alltagsgeschehen und Blockade auszutarieren und immer eine produktive Ambivalenz zu erhalten. Dabei kann das Destruktive konstruktiv sein und vice versa. Die Praktiken dieser öffentlichen „Show“ dienen den Interessen der Organisation, aber ihre Regeln werden von Personen ausgelegt, die wiederum zugleich eigene Interessen verfolgen (können). Vertrauen durch Sachinformationen erweist sich somit als eine Praxis, die auch kritisch zu betrachten ist. Vertrauensschädlich kann Informieren dann werden, wenn sich das Konstruktive in Destruktives verkehrt, etwa wenn es beim Rolltreppengespräch nichts Positives oder zumindest Neutrales zu berichten gibt, sondern Kritik und Probleme dominieren. In diesem Fall die Praxis einzustellen oder ausfallen zu lassen wäre angesichts der Plausibilitätskriterien, die für diese Form des Informierens angeführt wurden, eine kommunikative Herausforderung. Im Ergebnis wäre es dann womöglich ‚besser‘ gewesen, man hätte ein solches Instrument nie implementiert, denn das prinzipiell Vertrauensförderliche daran birgt immer auch das Potenzial einer Vertrauensschädigung. Parallel zu dieser instrumentellen Perspektive auf das Steuern von Informationen zur Handlungskoordination spielt eine weitere Perspektive eine wichtige,

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vielleicht sogar eine noch viel größere Rolle: die Steuerung von Informationen auf der (mikro-)politischen Ebene. Sie ist abhängig von persönlichen Präferenzen und organisationspolitischen, vorrangig aber mikropolitischen Interessen. Das Steuern von Informationen, also der Umfang und die Art und Weise des Informierens, setzt den von der Organisationsspitze vereinbarten Handlungsauftrag in die Praxis bzw. in eine mit der Managementvereinbarung konforme „Show“ um; es ist zu vermuten, dass auf den unteren hierarchischen Ebenen eine vergleichbare „Show“ als auf Erwartungen orientierte, strategische Darstellung stattfindet. Dieser politisch-strategische Umgang mit Informationen basiert auf dem Vertrauen, das in Koalitionen und Freundschaften besteht, und reaktualisiert es zugleich. 6.1.6 Interessen und (mikro-)politische Positionierung Im vorigen Kapitel habe ich das Steuern von Informationen als eine zentrale Kategorie von Vertrauen in Organisationen eingeführt und herausgearbeitet, dass darin eine politische Dimension organisationalen Vertrauens zum Ausdruck kommt. Auf diese politische Dimension gehe ich im Folgenden detaillierter ein. Die hier zitierten Interviewpassagen sind paradigmatisch für den kognitivstrategischen Zugriff auf Vertrauen, die Ambivalenz von Offenheit und das strategische Steuern von Informationen. Sie bringen zudem zwei weitere Befunde hervor: Es geht im Zusammenhang mit Vertrauen um Ambivalenzen, unterschiedliche Interessen und die (mikro-)politische Positionierung. Ich setze das ‚mikro-‘ hier bewusst in Klammern, weil erstens die Positionierung der Akteure auch auf die Politik der Organisation zurückwirkt und ich zweitens annehme, dass die Art und Weise der Positionierung, die zwischen Organisationen stattfindet, eine sehr ähnliche ist. Die Zitate stammen überwiegend aus Interview C1. Weil sie in ihren reflexiven Schleifen und Begründungen besonders reichhaltig und anschaulich sind, werde ich auch in nachfolgenden Kapiteln wiederholt darauf zurückkommen; deshalb zitiere ich sie in diesem Kapitel einmal in ihrer vollen Länge. Im ersten Teil spricht der Interviewte C1 über das Vertrauen zu seinem Vorgesetzten, der zugleich Vorstandsvorsitzender des Unternehmens ist: „Also ich kenne ihn sehr lange und habe auch Vertrauen zu ihm, ausgeprägtes Vertrauen, so auch dass ich ihm sehr viel erzähle, was ich wiederum von anderen höre. Das heißt, das Vertrauen, was mir jemand entgegenbringt, breche ich zum Teil, dass ich ihn eben darüber informiere, weil es zum Teil ein bisschen Schachspielen im Hintergrund ist.“ (C1, 204208)

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Der Interviewte berichtet, dass er zu seinem Vorgesetzten im Zuge einer langen Interaktionsgeschichte ein „ausgeprägtes Vertrauen“ entwickelt habe. Dieses Vertrauen führt u.a. dazu, dass er den Vorgesetzten mit Informationen versorgt. Es handelt sich dabei um Dinge, die andere ihm anvertraut haben; mit der Weitergabe dieser Informationen bricht er zumindest „zum Teil“ das Vertrauen, das die anderen ihm damit entgegengebracht haben. Dies bezeichnet C1 als „Schachspielen im Hintergrund“, eine interessante und aufschlussreiche Metapher. Schach ist ein strategisches Spiel mit dem Ziel, den Gegner schachmatt zu setzen, indem man seinen König, die wichtigste Spielfigur, schlägt. Es geht also darum, andere Personen – vor allem wohl Personen auf der gleichen Statusebene – zu schlagen, indem man gegen sie gewinnt. Im Schachspiel haben die Spielfiguren der Bauern eine wichtige Funktion. Denn zum einen sind sie mit acht Figuren pro Spieler die zahlenmäßig stärkste Partei, wenngleich sie in ihren Zügen auch am stärksten eingeschränkt sind; zum anderen ist ihre Position und Beweglichkeit für den Spielverlauf entscheidend. Mit dieser Metapher wird hierarchisch unterstelltes Personal zu potenziellen ‚Bauernopfern‘. Während das Gegenüber, das dem Interviewten Informationen anvertraut, sich darauf verlässt, dass die Vertraulichkeit gewahrt bleibt, missachtet der Interviewte die Vertraulichkeit und gibt solche Informationen weiter. Diejenigen, deren Vertrauen dabei missbraucht wird, sind die Bauern; diese müssen nach der zitierten Darstellung grundsätzlich damit rechnen, strategisch in Stellung gebracht und für eine – aus der Perspektive des Spielers – wichtige oder gute Sache geopfert zu werden. Der Gewinn des betrieblichen Spiels liegt in der Annäherung an den Vorgesetzten bzw. die Bestätigung von Nähe zu diesem, was einen Zugang zu Informationsressourcen und zu hierarchischer Macht bedeutet. Ein dauerhafter Zugang zu Informationen – sowohl solchen vonseiten des Vorstandsvorsitzenden als auch solchen, die an diesen weitergegeben werden können – ist für die Annäherung an den Vorstand, aber auch für das subjektive Erleben der eigenen Integration in die Organisation erstrebenswert: Der Interviewte gibt ihm anvertraute und potenziell stigmatisierende Informationen weiter, um gegenüber dem Vorgesetzten Offenheit zu zeigen und seine eigene Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen; dies konstituiert er als eine Voraussetzung dafür, dieser Quelle der Macht nahezukommen und diese Nähe darzustellen und auszubauen. Die Darstellung der eigenen Vertrauenswürdigkeit basiert also auf dem Bruch des Vertrauens, das andere ihm erwiesen haben. In diesem Kontext wird die Metapher des Spiels dadurch nuanciert, dass C1 – selbst Mitglied des Vorstands – mit einer Verwandten des Vorstandsvorsitzenden liiert ist. Es gibt also eine Figur auf dem Schachbrett, die gemeinsam mit

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ihm die Grenzen der Organisation überschreitet. Dies beeinflusst seine Praktiken: „Ich achte natürlich schon in Bezug auf auf meine Freundin schon so, dass man mir da in keinem Fall irgendwie was draus drehen kann, dass ich sie bevorzugen würde oder oder so was in die Richtung, geht eher in die andere Richtung, dass sie den Nachteil hat, dass ich bei ihr, wenn es um irgendwelche Entscheidungen geht, eher dreimal drüber nachdenke, währenddessen ich bei jemand anderem bei der gleichen Entscheidung viel früher entschieden hätte, und im Zweifelsfall sogar für sie eher negativ entscheide mit dem Hintergedanken, man kann mir was Negatives draus drehen, als anders herum. Von daher glaube ich nicht, dass da irgendwie sich was verändert hätte.“ (C1, 290-297)

Angesichts der persönlichen Beziehung zur Verwandten des Vorstandsvorsitzenden hält der Befragte es für erforderlich zu demonstrieren, dass seine Entscheidungen von dieser Bindung nicht beeinflusst sind. Das private Vertrauensverhältnis wird also innerhalb der Organisationsgrenzen ausgesetzt und versachlicht, damit „in keinem Fall irgendwie was Negatives draus gedreht werden kann“; das verleiht diesem Vorgehen den Charakter von ‚Selbstschutz‘. Eine private Beziehung im Organisationskontext wird also nicht nur als förderlich eingeordnet (wie ich im Weiteren noch ausführlicher zeigen werde), sondern sie birgt auch die Gefahr, dass einem unterstellt wird, die professionelle Rolle nicht verantwortlich wahrzunehmen und auszuüben – und man dadurch seinen Status einbüßt. Damit andere Personen (z.B. Mitarbeiter_innen oder Kolleg_innen auf derselben hierarchischen Ebene) ihm trotz der privaten Vertrauensbeziehung innerhalb der Organisation vertrauen, distanziert der Befragte sich im Arbeitskontext von der privaten Beziehung und macht öffentlich wahrnehmbar, dass er die betreffende Person nicht bevorzugt, sondern „eher in die andere Richtung“: Verzögerte und negative Entscheidungen sollen zeigen, dass die Beziehungspartnerin und ihre Interessen sein Handeln nicht beeinflussen. Dies bleibt auf die Ebene des Zeigens beschränkt, es ist also eine Art Show: „Also sprich, nehmen wir mal wieder mich als Beispiel, mit mit XXX[≡: Name der Partnerin, Vorname], die bei uns Teamleiterin ist im XXX[≡: Funktionsbereich]. Die hat also in ihrem Team, ich glaube, jetzt XXX[≡: kleine zweistellige Anzahl] Leute ungefähr, die zwar [stockt] in letzter Konsequenz unter mir arbeiten, aber sie ist so eine Zwischenstufe. Da muss man sich natürlich schon relativ bewusst sein, dass das, was man mir erzählt, auch geschäftlicher Natur, was ich offiziell nicht weitersagen darf, trotzdem bei ihr landet. So. Zum einen muss man sich darüber bewusst sein, zum anderen ist sich da auch jeder bewusst drüber. Also, jetzt nehmen wir mal wieder ein Beispiel, XXX[≡: Name des CEO,

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Anrede und Nachname]. Was manche Themen angeht, dann sagt er halt, no go, das darf nicht und so weiter, außer mit ihr bei, es ist, ich finde das auch sehr komisch, wenn wenn, gerade auch weil es geschäftliche Dinge sind, die sie betrifft, da das dann nicht weiterzuerzählen. Das ist, da ragt in einem gewissen Punkt in Unehrlichkeit rein, dass ich jemandem halt etwas nicht sage, weil ich ihm nicht vertraue oder nicht sagen darf oder irgendwie so was, was aber letztlich auch für diejenige eine Konsequenz hat. Und das gibt dann irgendwann womöglich private Probleme. So. Und deswegen, wenn man weiß, wodrauf man sich einlässt, dann kann man damit umgehen und dann ist es halt so.“ (C1, 254-271)

Informationen an die Partnerin (außerhalb des organisationalen Rahmens und außerhalb der arbeitsbezogenen Rollen) weiterzugeben muss offenbar gegen Einwände immunisiert werden, denn das „ragt in einem gewissen Punkt in Unehrlichkeit rein, dass ich jemandem halt was nicht sage […], was letztlich auch für diejenige eine Konsequenz hat“, und das kann dann „irgendwann womöglich private Probleme“ geben. C1 verlagert hier die Verantwortung dafür, was er erfährt und seinerseits weitergibt, von sich auf die anderen: „Da muss man sich natürlich schon relativ bewusst sein, dass das, was man mir erzählt, auch geschäftlicher Natur, was ich offiziell nicht weitersagen darf, trotzdem bei ihr landet.“ Sein Gegenüber („man“) „muss“ also wissen und einschätzen können, dass das Vertrauen, das er dem Befragten entgegenbringt, womöglich missbraucht wird. Organisationale Interaktionspartner_innen sind verpflichtet, dieses Wissen um die private Beziehung zu berücksichtigen, wobei diese Verpflichtung als nicht erklärungsbedürftig dargestellt wird. Sie wird einem generalisierten „man“ zugeschrieben und damit zugleich in den Verantwortungsbereich potenzieller Mitspieler_innen und Spielfiguren gestellt: „Und deswegen, wenn man weiß, wodrauf man sich einlässt, dann kann man damit umgehen und dann ist es halt so.“ Explizierungsbedürftig ist hingegen die Zustimmung des Vorstandsvorsitzenden bzw. Vorgesetzten zu der Ausnahmeregelung, dass inoffizielle Informationen an die Partnerin weitergegeben werden dürfen, denn dies wird als Legitimation für das eigene Verhalten angeführt: „[D]ann sagt er halt, no go […] außer mit ihr.“ Diese Einschätzung des Befragten C1 zur Informationsweitergabe in informellen Beziehungen und ihren Implikationen für organisationale Interaktionen lässt sich über das Beispiel von C1 und über sämtliche Hierarchiestufen hinweg generalisieren. Empirisch gehört es zu einer verantwortlichen Wahrnehmung und Ausübung der eigenen Rolle innerhalb der Organisation, diese Einschätzung rational zu erfassen, potenzielle Gefahren von Beziehungen zu kalkulieren und einen strategisch geschickten Umgang damit zu finden:

188 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN „Und genauso eben das Beispiel XXX[≡: leitender Mitarbeiter D, Vor- und Nachname], ich weiß halt, dass die Buddys sind. Und ich weiß halt, wenn ich ihm etwas erzähle, was da nicht ankommen soll, dann sollte ich es ihm nicht erzählen. So, also trotzdem habe ich eine gewisse Vertrauensbasis zu ihm. […] Die [bereits langjährig im Unternehmen tätigen Mitarbeitenden; Anm. C.R.] haben natürlich mehr immer Draht, an Informationen zu kommen, so. Als jetzt zum Beispiel der neue Mitarbeiter, wo das Vertrauen noch nicht so da ist, wo man nicht so häufig miteinander spricht, ja, also ich will nicht sagen, dass die verloren gehen, aber es gibt da sicherlich einfach verschiedene Ebenen, Ebenen, wo man eher Informationen bekommt und wo nicht.“ (C1, 271-274, 355-359)

Zu wissen, wer mit wem in welcher Beziehung steht, ist eine zentrale strategische Ressource. Es erfordert Vertrauen, an die entsprechenden Informationen zu gelangen. Aus den jeweiligen Beziehungen resultieren verschiedene Grade von Vertrauen: „Buddys“ (ich komme auf diese Formulierung gleich zurück) sind füreinander vertrauenswürdig; andere können sie nur begrenzt ins Vertrauen ziehen, zumindest wenn es um Informationen über den jeweils anderen „Buddy“ geht. Zwar stellen sie mithilfe von Distanzierungspraktiken offiziell ihre Unabhängigkeit voneinander dar, dies ist aber eher als eine beschwichtigende Show zu sehen. Die anderen müssen sich in einer rationalen und prognostischen Analyse damit auseinandersetzen, welche Folgen die Nutzung bestimmter Informationen sowohl für die Interessen der Einzelnen als auch für die der Beziehungen bzw. Koalitionen haben (z.B. welche Vorteile sie bringen) könnte. Eine virtuose Beherrschung dieses taktischen Spiels wird wiederum als vertrauensbildend eingeordnet. Zu wissen, wer mit wem wie interagiert und koaliert, ermöglicht Vertrauen, weil das Wissen um Beziehungen diese (vermeintlich) einschätzbar macht und dadurch das Risiko eines Vertrauensbruchs kalkulierbar wird. Wichtig ist, dass man „immer Draht [hat], an Informationen zu kommen“. Plakativ gesagt: Der einschätzbare Feind ist immer noch vertrauenswürdiger als der unbekannte. Dieser empirische Schluss begründet die geringe Teilhabe am Informationsaustausch, die neuen Mitgliedern zugeschrieben wird. Wegen des (noch) fehlenden persönlichen Kontakts gibt es aus der Sicht der Etablierten – vermutlich jenseits fachlicher Aspekte – keine Basis für Vertrauen, und so bleiben sie ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf den In-vivo-Kode ‚Buddys‘ zurückkommen. Die differenzierende Beschreibung von Zusammengehörigkeit markiert – wenn sie mit dem Steuern von Informationen und der (mikro-)politischen Positionierung in Verbindung gesetzt wird – Ein- und Ausschluss in Bezug auf die Organisation. Diesen Aspekt der Teilhabe verdeutlichen

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Schilderungen, in denen Vertrauen als Geheimhaltung und Wahrung von Vertraulichkeit konstruiert wird. „Also sie zählen nicht [stockt] zu meinen Freunden in dem Sinne. Also ich verstehe mich gut mit denen, ich kann mich mit denen über alles unterhalten, aber ich würde denen jetzt nicht etwas erzählen, wo man mir hintenrum einen Strick draus drehen könnte. Also das Wort Vertrauen ist natürlich ein sehr dehnbarer Begriff und man sollte da, oder ich mache da auf jeden Fall Abstufungen, zu wem ich welche Art von Vertrauen habe und wie viel ich ihm davon entgegenbringe. Und jetzt, was die Kollegen angeht, bringe ich denen so viel Vertrauen entgegen, wenn ich denen irgendwas Geschäftliches, Betriebswirtschaftliches erzählen würde, dass ich mir relativ sicher bin, dass die ihren Mund halten und das nicht an ihre Kollegen, Mitarbeiter, die untergeordnet sind, weitergeben, also sprich, dass dieses Management Agreement dort eingehalten wird, was die Weitergabe von Informationen angeht. Ich würde aber beispielsweise nicht so weit gehen und dort einem XXX[≡: leitender Mitarbeiter D, Vor- und Nachname] beispielsweise, der ein CFO, also der für die Finanzen zuständig ist, Dinge erzählen, die zum Beispiel vielleicht die, die, die Technik kritisieren, also die Entwicklung, gerade auch insbesondere in Bezug auf XXX[≡: leitender Mitarbeiter E, Vor- und Nachname], unseren CTO, weil die beiden eigentlich wiederum Buddys sind. Das heißt, sage ich das dem einen, bin ich mir eigentlich sicher, dass es zum anderen wandert. Von daher, kein Vertrauen. Man muss da halt abwägen. Also das ist für mich ein sehr breites Wort.“ (C1, 182-200)

C1 schließt seine Ausführungen mit dem Resümee: „Also das ist für mich ein sehr breites Wort.“ An dieser Bilanzierung wird erkennbar, dass die Praxis des Abwägens und des mikropolitischen Steuerns von Informationen die verschiedenen Stufen oder Grade von Vertrauen kennzeichnet und daher als geeignet gesehen wird, um die Nuancen des Vertrauensbegriffs und seiner Anwendung zu veranschaulichen. Die Weitergabe von Informationen als eine Praxis von Vertrauen wird als etwas konzipiert, was ‚abgestuft‘ und ‚abgewogen‘ werden muss, und zwar in Abhängigkeit davon, ob einem „hintenrum ein Strick draus“ gedreht werden könnte. Diese Darstellung offenbart ein primär kognitiv-strategisch determiniertes Konzept von Vertrauen, dessen graduelle Verwirklichung davon abhängig gemacht wird, inwieweit jemand in der Funktion als Geheimnisträger_in für vertrauenswürdig gehalten wird. Aufgebrachtes Vertrauen wird von entgegengebrachtem Vertrauen unterschieden, d.h. einer Person kann Vertrauen vorenthalten werden, auch wenn sie als vertrauenswürdig eingeschätzt wird. Zugleich wird eine affektiv-strategische Dimension deutlich: Indirekt klingt hier an, dass die Angst vor Verletzung und Schaden so gravierend ist, dass alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen, um sich davor zu schützen

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und sich dagegen abzusichern. Als geeignete Strategien, um solche Risiken zu vermeiden, führt C1 die Reflexion der Beziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern und die Kontrolle von Informationen an. Andere Mitglieder derselben Hierarchiestufe – hier: aus dem Vorstandskreis – über „irgendwas Geschäftliches, Betriebswirtschaftliches“ zu informieren signalisiert einen Vertrauensakt, dem habitualisiert ein reziprokes Vertrauensverständnis unterstellt wird: Weil er ihnen damit „so viel Vertrauen“ entgegenbringt, ist sich der Akteur „relativ sicher […], dass die ihren Mund halten“ und das „Management Agreement“ zur kontrollierten Weitergabe von Informationen respektieren. Diese Annahme unterstellt, dass diejenigen, die die Information empfangen, den Grad ihrer Vertraulichkeit im Sinne des Informanten bzw. der Informantin zutreffend einschätzen und sich entsprechend verhalten (können). Vollständige Sicherheit darüber wird zwar nicht angenommen, wohl aber weitgehende („relativ sicher“). Interessant ist die Plausibilisierung einer dargestellten Ausnahme: Weil die als CFO und CTO tätigen Personen zueinander in einer als vertrauensbasiert-loyal eingeschätzten Beziehung stehen („Buddys“), wird hier bei Informationen gezielt abgewogen, ob sie über diesen informellen Kanal weitergegeben werden könnten („Das heißt, sage ich das dem einen, bin ich mir eigentlich sicher, dass es zum anderen wandert“). Beispielhaft wird Kritik angeführt, die als heikles Wissen der Informationskontrolle zugerechnet wird. Das Fazit ist: „kein Vertrauen“; von der Weitergabe solcher Informationen werden die „Buddys“ ausgeschlossen. Der Ausdruck „Buddy“ hat also einen Anklang von etwas Anrüchigem; wer etwas auf sich hält, erwehrt sich dessen oder distanziert sich davon. Von der Konstellation der „Buddys“, die als eher distanziert und nur untereinander loyal konzipiert werden, unterscheidet der Sprecher die eigenen Freund_innen, die ihm selbst loyal verbunden sind („sie zählen nicht […] zu meinen Freunden in dem Sinne“). ‚Freunde‘ sind somit die vertrauenswürdigen Nahestehenden, die dieselben Interessen vertreten wie die vertrauende Person oder die deren Interessen wahren. Diese mikropolitische Dimension ist auch empirisch eng mit dem Begriff des „Spiels“ verbunden, den Ortmann (2000: 8) in die soziologische Organisationstheorie eingeführt hat: „Da muss man schon sagen, okay, es gibt den, den und den, mit manchen funktioniert es [das gemeinsame Arbeiten auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses; Anm. C.R.] hervorragend, weil man weiß, okay, darauf kann ich mich verlassen. Und dann gibt es auch eben welche, wo man immer nicht weiß, ob die nicht gerade ihr eigenes Spiel spielen.“ (B2, 518-521)

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Interessen und Positionierung durch Informationen, deren Einbettung in Beziehungen und ihre Steuerung ebenso wie die Kontrolle, die dadurch gewonnen und praktiziert wird, sind auf einer mikropolitischen Ebene als hochgradig vertrauenswirksam einzuschätzen. Nähe und Distanz, Verlässlichkeit und Verrat, Koalitionen und Oppositionen innerhalb von Organisationen werden durch gemeinsame Interaktionsgeschichten ausgehandelt und begründet. Die Einbettung von Interessen und Positionierungen in die Konstruktionsprozesse, die Konstrukte von Vertrauen und die Praktiken seiner Dar- und Herstellung führt schließlich zu Ein- und Ausschluss: Es gibt diejenigen, die an Informationszirkeln teilhaben und sich in Bezug auf Interessen und Beziehungen positionieren können, und diejenigen, die davon ausgeschlossen sind. Abschließend ist anzumerken, dass dieser Umgang mit Informationen zum eigenen Nutzen, mit Interessen und Positionierungen vermutlich nicht nur auf der Ebene von Führungskräften praktiziert wird. Wahrscheinlicher erscheint mir, dass auf allen Ebenen zumindest punktuell Vertrauen ausgenutzt und Vertraulichkeit einseitig gebrochen wird, um sich gegenüber anderen einen Vorsprung zu sichern. Innerhalb der Informationszirkel und Freundschaften auf Arbeitsebene ergeben sich aber ganz eigene Probleme. Dies zeigt beispielhaft ein Personalentwicklungs-Tool, das in Unternehmen B eingeführt wird. Offiziell wird dies damit begründet, dass die Organisation darüber Laufbahnen fach- oder führungsorientiert planen, Karriereziele transparenter machen und Bildungsangebote effizienter strukturieren will. Jenseits dieser offiziellen Gründe wird das Tool aber noch mit einem weiteren Ziel verbunden: B1, der an seiner Entwicklung mitgewirkt hat und seine Implementierung in der Organisation verantwortet, berichtet, dass es durch den darin enthaltenen neuen Leitfaden für Mitarbeitergespräche nun endlich möglich sei, kritische Punkte anzusprechen, auch wenn eine persönliche Beziehung bestehe: „Ich habe auch gute Erfahrungen damit gesammelt. Weil diese Aufteilung in verschiedene Kompetenzen dazu geeignet ist, durchaus auch kritische Dinge auch bei den Mitarbeitern objektiv und neutral anzusprechen, wo es einem sonst schwerfällt, darüber zu reden, mit Leuten, die man gut kennt und die man mag und so, das verhindert ja manchmal, Tacheles zu reden. Und so kann man sagen, pass auf, ich sehe, das ist ganz neutral, ich sehe das so, und dann hat man zumindest mal einen Gesprächseinstieg und eine Basis. Jetzt weiß ich nicht, ob ich abgeschweift bin.“ (B1, 1002-1008)

Mit der Aussage, dass persönliche Nähe durch eine lange gemeinsame Interaktionsgeschichte manchmal „verhindert […], Tacheles zu reden“, bringt B1 eine

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Einschätzung zum Ausdruck, die sowohl auf ihn selbst als auch auf andere bezogen ist: Es ist für ihn wie für andere schwierig, mit vertrauten Personen („die man gut kennt und die man mag“) Probleme, Kritik oder Konflikte offen anzusprechen. Indirekt äußert er damit die Befürchtung, sein Gegenüber dadurch zu verletzen, zu enttäuschen oder zu beleidigen, und um diese vorweggenommene Reaktion zu umgehen, wird eine Konfrontation lieber vermieden. Nach seiner Plausibilisierung befähigt erst ein strukturell angeordnetes formales Instrument ihn selbst und die ihm untergeordneten Führungskräfte zu einer solchen Konfrontation, indem es den sonst vermiedenen Gesprächsinhalten den Status „objektiv und neutral“ verleiht und dadurch die Vertrauensbeziehung (vermutlich) weniger Schaden nimmt. Die persönliche Nähe einer Vertrauensbeziehung wird im Organisationskontext also mit einer potenziell friedlichen Vergesellschaftung (im Sinne von Popitz) in Verbindung gebracht, die den gebotenen Sachbezug unterminiert – damit wird Vertrauen als mögliche Bedrohung von Professionalität und Erreichung der Organisationsziele entworfen. Der letzte Satz dieser Passage („Jetzt weiß ich nicht, ob ich abgeschweift bin.“) macht deutlich, dass die Beschreibung dessen, wie in Arbeitsbeziehungen Kritik (nicht) kommuniziert wird, in ihrem Zusammenhang mit Vertrauen – der aus analytischer Perspektive unmittelbar einleuchtet – nicht reflektiert war. 6.1.7 Gesundes und ungesundes Vertrauen bzw. Misstrauen Die Konzepte von Vertrauen, die die Akteure in den Interviews entwerfen, weisen überraschende empirische Übereinstimmungen auf, auch wenn bestimmte Aspekte zum Teil unterschiedlich nuanciert werden. Explizit und implizit differenziert werden ‚gesundes‘ und ‚ungesundes‘ Vertrauen bzw. Misstrauen. Diese Bezeichnungen stellen In-vivo-Kodes dar; sie spiegeln Plausibilisierungen wider, die für den Kontext von Organisationen charakteristisch sind. Misstrauen „darf es nicht geben“ (C2, 1420), zumindest darf es in der Arbeitsbeziehung nicht explizit thematisiert werden (vgl. Kap. 6.1.1). Diese Äußerung suggeriert Ausschließlichkeit; doch bezieht sich diese eher auf den Wert, der Vertrauen als Konzept (kommunikativ) zugeschrieben wird, weniger auf den (zugeschriebenen) Wert entsprechender Praxis. Denn Misstrauen ist aus der Perspektive der Akteure unerlässlich für Führungshandeln und insofern „gesund“: „Ich hege natürlich gesundes Misstrauen, sage ich mal, was ein bisschen, was auf leider auf Statistiken basiert. Man muss eine Taschenkontrolle durchführen, weil es erwiesen ist, dass Mitarbeiter wie die Raben klauen. Aber nichtsdestotrotz mache ich das auf Zufallsba-

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sis. Also das ist dann nicht, dass ich sage, generell. Aber man macht es auf zufälliger Basis. Das heißt also Ausschlussverfahren, ein bisschen Vertrauen muss ja da dabei sein.“ (A1, 422-427)

Aufgrund von (vermeintlich) objektiver Evidenz („Statistiken“, „weil es erwiesen ist“) muss – entgegen dem normativen Konzept und bedauerlicherweise („leider“) – davon ausgegangen werden, dass Mitarbeitende nicht so konstruktiv und vertrauenswürdig sind, wie zu wünschen wäre. Mit Verweis darauf, dass sich die Organisation gegenüber den Mitarbeitenden verletzbar macht, diese aber die Organisation durch ihr Handeln schädigen (z.B. indem sie die Möglichkeit zu „klauen“ nutzen) – und das in erheblichem Maße („wie die Raben“) –, wird eine Form des Misstrauens konstruiert, die als notwendig („natürlich“, „man muss“), legitim und damit „gesund“ charakterisiert wird. Trotz dieser geradezu zwingenden Evidenz wird nur „auf Zufallsbasis“ kontrolliert; das eigene Verhalten in Bezug auf diese Schädigung wird damit als bewusst entgegenkommend und wohlwollend dargestellt, denn „ein bisschen Vertrauen muss ja da dabei sein“. Dieser wohlwollende Impuls, das Vertrauen in die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden nicht stehlen, wird aber zugleich rational begrenzt, um die eigene Verantwortlichkeit im Umgang mit (potenziellen) Vertrauensbrüchen zu belegen: „Das gesunde Misstrauen ist, schon Vertrauen in die Möglichkeit zu haben, in die, in die Possibility [dass nicht gestohlen wird; Anm. C.R.], aber trotz allem den Prozess hin und wieder zu kontrollieren.“ (A1, 1763-1764) ‚Gesundes‘ Misstrauen beinhaltet nach dieser Beschreibung ein gewisses Maß an Vertrauen und damit eine konstruktive Komponente, denn es geht von der Möglichkeit („Possibility“) aus, dass die Mitarbeitenden sich nicht organisationsschädigend und -verletzend verhalten. Um dennoch die statistisch erwiesene Tatsache zu berücksichtigen, dass gestohlen wird bzw. werden könnte, sind punktuelle Kontrollen durchzuführen, die die Organisation gegen die unvermeidliche Verletzbarkeit absichern. Eine durchgängige Kontrolle wäre demgegenüber nicht ‚gesund‘, denn sie wäre in einer destruktiven Annahme begründet, die die Option des Konstruktiven ausschließt. Die als ‚gesund‘ konstruierte Form von Misstrauen erfordert also eine rationale, möglichst objektivierbare Evidenz für ihre Plausibilisierung, einen konstruktiven Anteil, der die Möglichkeit zulässt, dass Vertrauen nicht mit seiner Verletzung beantwortet wird, und sparsam dosierte Kontrollpraktiken. „Eine gesunde Skepsis und ein gesundes Misstrauen ist schon wichtig, das weiß ich auch. Aber dass ich jetzt wirklich, ich meine, so was gibt es immer. Dass ich natürlich nicht nur Gottvertrauen habe, sondern auch auf Sachen, auf der sachlichen Ebene hinterfrage und so

194 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN weiter. Aber dass ich jetzt wirklich grundsätzlich großes Misstrauen gegen, ich sage mal insbesondere diesen Kreis habe in letzter Zeit, also mein Chef, mein Kollege und meine fünf oder sechs Mitarbeiter, mit denen ich direkt zusammenarbeite, die mir direkt berichten. Das kann ich nicht sagen, nee.“ (B1, 739-745) „Es gibt zwischen unseren XXXXXX[≡: Name des Eigners, Anrede und Nachname; und Name eines leitenden Angestellten, Anrede und Nachname] sehr großes Misstrauen. Die sind beide für einen der beiden Unternehmensbereiche zuständig und entwickeln den auch relativ unabhängig voneinander weiter, und die haben oft Streit. Und ich bin da oft misstrauisch und skeptisch, skep- skeptisch, weil ich weiß, dass das dem Unternehmen insgesamt nicht guttut.“ (B1, 750-755)

Dieser „gesunden“ Form der Aufmerksamkeit (im ersten Zitat) und einer destruktiven Art des Misstrauens (im zweiten Zitat) wird ein (illegitimes) „Gottvertrauen“ gegenübergestellt, das durch Unterlassung gekennzeichnet ist, nämlich den Verzicht auf sachkritische Reflexion („auf der sachlichen Ebene hinterfragen“). Eine solche Reflexion zu unterlassen kann als Desinteresse, mangelnde Anteilnahme, Naivität und unzureichende Ausübung von Verantwortung gelten, insgesamt also als Vertrauensseligkeit und mangelnde Professionalität. Gottvertrauen – das in der soziologischen Vertrauenstheorie als Glaube bezeichnet und kategorial von Vertrauen unterschieden wird (vgl. Kap. 2.2.2.4) – erscheint in der empirischen Darstellung als völlig indiskutabel. Von der legitimen „gesunden“ Form des Misstrauens und dem illegitimen „Gottvertrauen“ wird auf der Negativskala „grundsätzlich großes Misstrauen“ unterschieden. Dieses wird – im Unterschied zu dem undenkbaren Gottvertrauen – in der Negierung seines Vorliegens als immerhin vorstellbar behandelt. Damit erhält die eingangs dieses Kapitels zitierte Interviewaussage, es dürfe grundsätzlich kein Misstrauen geben, eine weitere Nuancierung: Es geht nicht nur darum, Misstrauen zu explizieren, indem man es anspricht und damit etwas Destruktives im Miteinander offenlegt und es zugleich verstärkt. Hier überlagern sich auch verschiedene Begründungs- und Plausibilisierungsstrategien. Aus sachlichen Gründen wachsam und aufmerksam für Vertrauensverletzungen zu sein kann aus der Perspektive der Akteure konstruktiv sein, sofern dies durch punktuelle Kontrollen abgesichert wird, die als angemessen eingeschätzt werden. Diese Art der Kontrolle entspricht einer Institutionalisierung von Misstrauen im Sinne von Sztompka (1998, 1999): Institutionalisierte Kontrollen sichern Vertrauen gegen Verletzungen und Vertrauensbrüche ab und tragen so zum Erhalt von Vertrauen bei. Fehlt den absichernden Instanzen aber die konstruktive Erwartung, wird Kontrolle durchgängig engmaschiger praktiziert; sie sucht dann so

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lange engagiert nach Evidenz, bis sich die destruktive Erwartung bestätigt und in einer negativen Spirale verstärkt. Zentral für dieses Konstrukt ist, dass das Handeln und seine Vertrauensbasis von allen Akteuren in gleicher Weise gedeutet werden müssen. Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn die abstrakte Organisation oder eine einzelne Führungskraft – ich nenne sie im Folgenden A – in konstruktiver Absicht ein ‚gesundes Misstrauen‘ durch Kontrollen zum Ausdruck bringen will, muss die/der Beschäftigte – ich bezeichne diese Person als B – diese Absicht erkennen und entsprechend deuten können. Versteht B die konstruktive Absicht von A nicht und deutet z.B. punktuelle Kontrollen als ‚grundsätzlich großes Misstrauen‘, interagieren die Beteiligten auf der Basis eines Missverständnisses. Ebenso kann der Verzicht auf Kontrollen entweder auf „Gottvertrauen“ oder Desinteresse von A basieren oder auf echtem Vertrauen, das sich durch konstruktive Interaktionserfahrungen bestätigt hat, und es kann von B in der einen und in der anderen Weise gedeutet werden. Wenn A und B in ihrer jeweiligen Einschätzung des gemeinsamen Handelns ihren Vertrauensstatus unterschiedlich bewerten, geraten die Zurechnungen und ihre Plausibilisierungen – dieser Handlung, aber eben auch weiterer, zukünftiger Handlungen – in eine interpretative Schieflage, die die weitere Entwicklung von Vertrauen und Misstrauen entscheidend beeinflussen wird. Gerade weil Vertrauen und Misstrauen und der Umgang damit i.d.R. unausgesprochen und implizit bleiben, kann eine solche Schieflage eine ganz eigene Entwicklungslogik entfalten, wenn die Interaktionspartner_innen von unterschiedlichen Motiven ausgehen und damit zugleich ein und dieselbe habitualisierte Typisierung bzw. Institutionalisierung als Ausdruck unterschiedlicher normativer Absichten sehen. Diesen Gedanken möchte ich durch ein weiteres fiktives Beispiel veranschaulichen: Die Personen X und Y arbeiten schon länger zusammen. Morgens begrüßen sie sich mit Handschlag, womit sie ihre Vertrauensbereitschaft zum Ausdruck bringen und sich einander verletzbar zeigen. Eines Morgens hebt Y nur kurz die Hand zum Gruß und geht weiter. Mit dieser legeren, weniger förmlichen Geste könnte er/sie beispielsweise zum Ausdruck bringen wollen, dass die Beziehung seines/ihres Erachtens nun so gefestigt ist, dass auf die Förmlichkeit verzichtet und ein lockerer Umgang gepflegt werden kann, der die gestiegene Vertrautheit besser unterstreicht. Er/sie könnte es aber auch einfach sehr eilig haben. Oder der körperliche Rückzug könnte Enttäuschung anzeigen oder zum Ausdruck bringen, dass X nun weniger Bedeutung beigemessen wird. X könnte sich also geehrt, auf einen Klärungsbedarf hingewiesen oder aber gekränkt fühlen und auf jede der unterstellten Bedeutungen entsprechend reagieren, und die Reaktion hätte wiederum ein hohes Irritationspotenzial für das Gegenüber. Ein

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Wechsel auf eine neue, höhere oder niedrigere Vertrauensstufe (durch Bewährung oder Nichtbewährung) beinhaltet somit immer das Risiko von Missverständnissen und birgt die Gefahr, dass bestehendes Vertrauen erodiert bzw. Misstrauen sich verstärkt. Denkbar ist aber, dass bei einer fortgeschrittenen Vertrauensbeziehung Störungen und Irritationen leichter angesprochen und damit bearbeitet werden können. Das breite Interpretationsspektrum in Bezug auf Handlungen besteht aber nicht nur zwischen Personen, sondern auch in der Interaktion zwischen Organisation und Person: Führungskräfte, die die Organisation repräsentieren, verstehen das Handeln der Beschäftigten und seine Bedeutung keineswegs zwangsläufig so, wie es von den Beschäftigten gemeint war, besonders wenn sie keine Interaktionserfahrung mit ihnen haben; entsprechend können sie darauf ganz anders reagieren als erwartet. So können z.B. in Reaktion auf ein Ansinnen der Beschäftigten formale Strukturen entstehen und entsprechende Praktiken eingeführt werden, die den Intentionen der Beschäftigten aber gar nicht entsprechen. Denkbar wäre z.B., dass Mitarbeitende einen bestimmten Sachverhalt problematisieren, um zu zeigen, wie dialogisch und kooperativ sie miteinander arbeiten, die Führungskraft aber daraufhin eine Verfahrensanweisung für den Umgang mit dieser Sache gibt. Umgekehrt können auch Aktivitäten der Organisation und die damit jeweils verbundenen Implikationen von den Organisationsmitgliedern anders verstanden werden als beabsichtigt. In Unternehmen C z.B. wurde ein neues Personalentwicklungs-Tool eingeführt, das eine bessere Personalplanung und individuelle Weiterentwicklung ermöglichen sollte (s.o. Kap. 6.1.6); die Mitarbeitenden verstanden dies jedoch als Ausdruck von Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit und sogar als Ankündigung von Entlassungen. Dieser wie auch andere Fälle machen deutlich, dass Veränderungen oder Neuerungen vonseiten der Organisation einen breiten Interpretationsspielraum im Hinblick darauf bieten, inwieweit sie bestehendes oder mangelndes Vertrauen zum Ausdruck bringen. In Bezug auf die Institutionalisierung von Vertrauen ist somit festzuhalten, dass der hier zugrunde gelegte Institutionenbegriff von Berger und Luckmann (2013[1969]) – Institution als reziprok habitualisierte Typisierung – für den Vertrauensbegriff zumindest hinsichtlich der Anforderung von Reziprozität nicht hinreichend trägt. Denn angesichts der Nuancierungen von Plausibilisierungen, Annahmen und Handlungen zwischen Interaktionspartner_innen (auf Personenwie auf Systemebene) lässt sich weder ex ante festlegen noch ex post eindeutig nachvollziehen, unter welchen Bedingungen tatsächlich reziprok typisiert werden kann bzw. wird. Für die Nuancierungen, die damit in den Fokus rücken, ist dieser Institutionenbegriff dagegen sehr gut geeignet, denn er lässt feine Gradu-

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ierungen wie ‚Gottvertrauen‘, ‚gesundes Misstrauen‘ oder ‚grundsätzlich großes Misstrauen‘ konzeptionell zu. Zu den empirisch aufgeworfenen Vertrauensbegriffen ist resümierend Folgendes festzuhalten: ‚Ungesundes Vertrauen‘ bezeichnet ein ‚Gottvertrauen‘, das auf Kontrolle verzichtet; diese Art von Vertrauen ist für die Rolle der Führungskraft illegitim, denn sie beschädigt potenziell die Darstellung und Ausübung von Verantwortlichkeit in ihrer Leitungsaufgabe. Ein solches Vertrauen wirkt in ‚ungesunder‘ Weise nach außen, indem es Gleichgültigkeit oder Naivität suggeriert und damit Disziplinlosigkeit fördert, die die Organisationsziele schädigen kann, und auch nach innen, weil eine in dieser Weise vertrauende Person Gefahr läuft, ausgenutzt, betrogen, übergangen oder als unprofessionell abgewertet zu werden, also selbst Schaden zu nehmen. ‚Ungesundes Misstrauen‘ wiederum steht für eine als unangemessen bewertete Praxis allzu dichter Kontrollen, die auf einer destruktiven Erwartung basiert und deren unausweichlicher Effekt ist, dass sie bestehendes Misstrauen bestätigt und verstärkt. Das ‚Ungesunde‘ daran sind bezogen auf die Organisation die dafür erforderlichen hohen Investitionen und Ressourcen und der Fokuswechsel von der Sicherung eines organisationalen Vorsprungs gegenüber der Konkurrenz oder anderen (abstrakten) Akteuren im Außen hin zur Sicherstellung kleinteiliger interner Praktiken der Überprüfung; in Bezug auf die ‚ungesund‘ misstrauende Person ist es der Verlust der Chance, durch Gewährung von Vertrauen die eigenen personen- und/oder rollenbezogenen Interessen zu realisieren (z.B. durch persönlichen Kontakt, Zugang zu Informationen oder Einblick in koalierende Zirkel) und dadurch gegenüber anderen Organisationsmitgliedern einen Vorsprung zu gewinnen. ‚Gesundes Vertrauen‘ und ‚gesundes Misstrauen‘ sind demgegenüber konstruktive Verbindungen, die empirisch Synonyme darstellen: Sie dienen gleichermaßen als Etikett für eine vermeintlich angemessene, weil sparsame und punktuelle Kontrolle, die Aufmerksamkeit und damit die verantwortliche Wahrnehmung der Führungsaufgaben zum Ausdruck bringt; diese Praxis basiert auf einer konstruktiven Erwartung, die aber die Möglichkeit von Enttäuschung hinnimmt. Das ‚Gesunde‘ daran ist, dass Vertrauen bzw. Misstrauen hier verknüpft wird mit der Begrenzung des Risikos (nicht die/der Dumme sein zu müssen) und der Sicherung von Chancen (durch Vertrauen der Gewinner bzw. die Gewinnerin sein zu können). Für Führungskräfte ergibt sich aus diesen vielschichtig nuancierten empirischen Konstrukten von Vertrauen die Anforderung, ihre Motive zumindest so weit offenzulegen bzw. genügend Indizien für ihre Interpretation zu geben, dass der jeweilige Begründungszusammenhang ihres Handelns erkennbar wird. Somit verwundert es nicht, dass Vertrauen vorrangig über Kommunikation und Steuern von Informationen praktiziert wird.

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6.1.8 Einbettung und Legitimierung von Vertrauen Vertrauen wird in den Daten dargestellt als eine soziale Kategorie des Miteinanders, in der ein ‚gutes Gefühl‘ dominiert; dabei wird eine konstitutive Funktion wie auch eine förderliche Wirkung von Vertrauen für interpersonelle Beziehungen und vice versa unterstellt. Dies wird unter Bedingungen der organisationalen Routine weniger deutlich expliziert bzw. weniger problematisiert als unter Bedingungen der Reflexivität (z.B. durch Veränderungen), wenn bestehendes Vertrauen „gerade als nicht mehr selbstverständlich gegeben betrachtet wird“ (Endreß 2010: 105). Vertrauen wird vorrangig als eine Kategorie des Sozialen, aber auch als eine Kategorie des Sachlichen, Fachlichen und Rationalen konstituiert. Letzteres wird besonders betont; ich verstehe das als einen semantischen Versuch, das vermeintlich Soziale in den ökonomisch-sachlogisch determinierten Kontext einzubinden und damit als etabliertes Thema im Kontext Organisation zu legitimieren. In dem Bemühen, die Einbindung von Vertrauen in den kommunikativen Haushalt in Organisationen über einen Sach- bzw. Erfolgsbezug zu begründen und damit zu legitimieren, zeigt sich das Spezifische an der Art und Weise, wie Vertrauen im Kontext von Organisationen konstruiert wird. Paradigmatisch für den Tenor des gesamten Datenmaterials ist eine ökonomische Rationalität, die durch Rückbindung an den allgemeinen Wirtschaftskontext plausibilisiert wird: „Der einzige Zweck, den ein Unternehmen hat, ist wirtschaftlicher Erfolg. Also gehen wir mal jetzt nicht von Non-Profit-Organisationen aus oder irgendwelchen Behörden. Aber wenn ich von einem Wirtschaftsunternehmen rede, dann ist wirtschaftlicher Erfolg eigentlich der einzige und oberste Unternehmenszweck. Und alles andere, was ich habe, dass die Mitarbeiter glücklich sind und was weiß ich, dient eigentlich nur diesem Ding, diesem Ziel. Aber trotzdem darf ich natürlich nicht jegliche Beliebigkeit haben als untergeordnete Ziele. Deswegen, ich ich glaube, dass die Menschen so gestrickt sind und wenn Vertrauen auf persönlichen Erfahrungen beruht, dass Menschen so gestrickt sind, dass Stabilität in den Beziehungen zwischen diesen Menschen und den Strukturen notwendig ist. Und solange das möglich ist, das aufrechtzuerhalten, und es nicht auf Kosten des Erfolges geht, müsste ich das tun, sonst, so bin ich dafür, das zu tun.“ (B1, 1439-1449)

Wirtschaftlicher Erfolg ist „eigentlich der einzige und oberste Unternehmenszweck“, der alle anderen Erfordernisse und Ziele dominiert. Gegenüber dieser zentralen Sachdimension werden Belange auf der Sozialdimension, z.B. Befindlichkeiten („dass die Mitarbeiter glücklich sind und was weiß ich“), als nachrangig eingeordnet. Vertrauen wird damit konstruiert als etwas, was nur so lange

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relevant ist, wie es die Leistungsfähigkeit der Gesamtorganisation – als oberstes Gut – nicht beeinträchtigt.13 Die Fokussierung auf wirtschaftliche Leistung kann aber, wie das obige Zitat zeigt, durchaus legitim durchbrochen werden, indem der Referenzrahmen der Argumentation gewechselt wird. Denn auf der Ebene dessen, was erforderlich ist, um Leistung zu unterstützen, werden eigentlich nachrangige Aspekte wie positive Befindlichkeit als Notwendigkeit und Wert sui generis entworfen: Als „untergeordnete Ziele“ sind sie „natürlich“ nicht vollkommen beliebig. Um diese Ziele – die hier diffus bleiben – zu erreichen, ist zu beachten, dass Menschen „so gestrickt“ sind: Es wird davon ausgegangen, dass sie ein Bedürfnis nach persönlicher (Interaktions-)Erfahrung und stabilen Beziehungen haben; dies wird nicht nur auf den Kontakt zwischen Individuen bezogen, sondern auch auf das Verhältnis von Individuum und Struktur. Die Akteure oszillieren damit von sich aus zwischen den Ebenen Person/Handlung und System/Struktur. Dies weist auf die zugrunde liegende Annahme hin, dass Bindungen im Interesse der Organisation liegen – nicht obwohl, sondern weil für diese wirtschaftliche Leistung im Zentrum steht. Vertrauen und die dafür erforderliche Gelegenheit zu Interaktion und Beziehungsstabilität sind damit ein legitimer Bestandteil von Organisationen im ökonomischen Kontext, sofern sie „nicht auf Kosten des Erfolges“ gehen. Das im Erzählfluss nicht weiter ausgeführte „sonst“ verweist auf diffus bleibende, aber eindeutig negative Konsequenzen, die drohen, wenn der Kontakt zwischen Person und Struktur nicht stabilisiert wird, obwohl die Möglichkeit dazu besteht. Dieses angenommene Schadenspotenzial durch fehlendes Engagement für Vertrauen macht deutlich, dass Vertrauen als zu Organisationen gehörend typisiert wird, also als Thema und normativer Wert verfestigt institutionalisiert ist: „[S]olange das möglich ist […], müsste ich das tun […].“ Im ‚Müssen‘ manifestiert sich eine paradigmatische normative Forderung, Stabilität und Gelegenheiten für (Interaktions-)Erfahrung zu sichern, solange dies dem obersten Organisationsziel nicht schadet. Diese Ansicht hat sich der Interviewte B1 allerdings noch nicht zu eigen gemacht. Hätte er wirklich internalisiert, dass die Mitarbeitenden ein generelles Recht darauf haben, dass ihren Befindlichkeiten und ihrem unterstellten menschlichen Naturell durch Stabilität, Kontakt und damit Vertrautheit Rechnung getragen wird, hätte er statt des Konjunktivs „müsste“ die Form ‚muss‘ verwendet. Der Nachsatz „so bin ich dafür, das zu tun“ markiert einen entsprechenden Objektwechsel: Anstelle eines zugeschriebenen generellen An13 Dasselbe beobachtet Laura Dobusch (2015) in ihrer empirischen Untersuchung zu Diversity Management in Organisationen: „Ein Zuviel der Vielfalt wird dann festgestellt, wenn die Erfüllung einer entsprechenden Leistungserwartung bedroht oder die Unterminierung von Leistungsstandards erwartbar wird.“ (Ebd.: 266)

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rechts darauf, dass ein System wie die Gesellschaft, die Wirtschaftswelt oder die einzelne Organisation das Soziale beachtet, schreibt B1 nun sich selbst eine entsprechende Überzeugung zu: Das Recht darauf, dass die Voraussetzungen für Vertrauen und damit auch für die Entstehung von Vertrauen geschaffen werden, wird nun als Teil seiner Identität und Persönlichkeit dargestellt. Vertrauen wird damit zu einer persönlichen Überzeugung, für die er eintritt und bei der sein Engagement zählt. Von einem Handlungsbedarf („müsste“) wird die Ermöglichung und Sicherung von Vertrauen zu einem Gegenstand der Zustimmung („bin ich dafür“). In diesem Konstrukt von Vertrauen, das Zustimmung und die entsprechende Überzeugung der Führungskräfte erfordert, zeigt sich zum einen ein selbstcharismatisierender Bias.14 Zum anderen wird deutlich, dass der unterstellte legitime Anspruch auf Vertrauen empirisch weniger auf vertrauensförderliches Handeln bezogen wird als auf eine entsprechende Überzeugung; Vertrauen wird also eher als Thema und Wert denn als Praxis typisiert und der Person zugeschrieben, nicht der Struktur oder dem weiteren organisationalen Kontext. „[D]as ändert sich gerade langsam, weil mehr Vertrauen auch aufgebaut worden ist und weil auch eine meiner Aufgaben darin besteht, die Leute zusammenzubringen und nicht zu separieren. Und zusammenzubringen heißt, man muss sich kennenlernen, man muss sich vertrauen können und man muss dann auch gemeinsam Geschäfte machen können.“ (C2, 343-347)

Vertrauen durch Kontakt und Vertrautheit wird als ein ‚Muss‘ und damit als eine Grundbedingung für geschäftliche Interaktion konzipiert. Als Voraussetzung dafür müssen Kommunikationsräume geschaffen werden, die Gemeinschaft statt Vereinzelung stiften sollen. Die Verantwortung hierfür wird bei den Führungskräften verortet („eine meiner Aufgaben“). Und diese Aufgabe wird nicht nur auf untergeordnete Personen bezogen, für die die Führungskraft in gewisser Weise eine Fürsorgepflicht hat, sondern auf eine unspezifische, generalisierte Gruppe („die Leute“, „man“), die also auch die Führungskräfte selbst inkludiert: Auch sie müssen andere kennenlernen und Vertrauen aufbauen, um schließlich Geschäfte machen zu können. Dass Vertrauen nicht nur als Gegenstand für andere konstruiert wird, sondern auch als Voraussetzung für eigenes Handeln, verweist darauf, dass die Ermöglichung von Vertrauen nicht nur für einzelne Statusgruppen bzw. auf bestimmten Hierarchiestufen als relevant gesehen und mit Nutzen verbunden wird, vielmehr wird sie als horizontal wie vertikal erforderlich konzipiert. 14 Als Charismatisierung bezeichne ich hier die positive Aufwertung und Einordnung von Handlungsstrategien.

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Annäherung auf der menschlichen Ebene im Kontext der Organisation wird allerdings durchaus divergent bewertet: Sie wird als der sachlogisch-fachlichen Ebene nachgelagert verortet oder sogar als unwichtig eingeordnet, wenn es z.B. darum geht, das eigene organisationale Handeln narrativ als von individuellen sozialen Präferenzen unabhängig darzustellen und so die eigene Professionalität zu inszenieren. Professionalität in der Rolle der Führungskraft wird auch darüber dargestellt, dass den eigenen Praktiken etwas Vertrauenswirksames zugeschrieben wird. In diesem Sinne wird mit dem Thema Vertrauen in Organisationen in gewisser Weise auch Identitäts- und Funktionspolitik betrieben. Dies lässt sich besonders gut an einer Erzählung zur Förderung eines Mitarbeiters verdeutlichen, der als unsympathisch beschrieben wird. Diese Passage erstreckt sich im Interviewtranskript über mehrere Seiten; ich gebe sie hier gekürzt wieder: „Ich habe zum Beispiel ein so einen Kasper, den, erstmal kann ich ihn nicht leiden. […] Ja, es ist einfach keine Chemie da. Der wurde mir als Potentialkandidat verkauft und der hatte auch so eine komische, ganz schwammige Position da. Ich habe auch nachher herausgefunden, dass es eigentlich nur war, weil er mit dem Sohn des ehemaligen Geschäftsleiters befreundet ist, und eine ganz komische Kiste. Und ja, anfangs habe ich den so laufen lassen und habe den auch behandelt wie einen Abteilungsleiter, obwohl er das nicht ist. […] Ja, für den hat er auch extra Geld gekriegt, also alles sehr strange. Aber jedenfalls habe ich ihm deswegen erst mal dieses Grundvertrauen entgegengebracht, so nach dem Motto, ich behandele Sie jetzt genauso wie die Abteilungsleiter. […] So, und der ist dann ganz ganz tief gefallen, weil ich war der Meinung, dass er gar nichts kann. Der konnte wirklich nichts […] Und ja und ist dann ganz tief gefallen. So, und dann habe ich das so reflektiert und möchte mir eines im Leben nie nachsagen lassen, dass ich irgendjemand fördere, weil ich ihn mag, und fallen lasse, weil ich ihn nicht mag. Das ist so was, was ich mir immer auf die Fahne geschrieben habe, also es geht um Leistung und nicht um persönliche Sympathien oder Antipathien. Dann habe ich gesagt, okay, der Junge hat im Privatleben einiges geschafft. […] So, dann habe ich gesagt, gut, dann gebe ich ihm eine Chance, ich kann ihm aber nicht die Chance da geben, wo er schon war, weil das ist, da wäre er eingefärbt. Und da habe ich gesagt, pass auf, ich war ich war als Abteilungsleiter XXX[≡: Firma 2], und ich werde Sie jetzt in die XXX[≡: neuer Aufgabenbereich]-abteilung stecken, das ist Ihre letzte Chance, sage ich Ihnen ganz klar. Entweder Sie schaffen es da oder Sie sind raus.“ (A1, 931-983) „Also der hat jetzt wirklich die Chance und ergreift sie auch. Also das ist ganz witzig und ich mag ihn immer noch nicht, aber es imponiert mir, dass er sich gegen diese alte Frau durchsetzt, die sehr schwer ist. Die hat unter sich nie was wachsen lassen. Die hat alle weggeflext, die irgendwie unter ihr größer wurden. So aus quasi Angst, ne, ersetzt zu

202 | V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN werden […] [S]ympathischer ist er immer noch nicht für mich, aber ich sage einfach fachlich, ich kann mit dem arbeiten. Und das ist für mich wieder Genüge, weil ich sage, es geht mir nicht darum, mit jemandem ein Bier zu trinken, sondern es geht darum, dass jemand für die Firma gut ist. Wenn ich das sagen kann, dann muss er mir nicht gefallen.“ (A1, 1076-1094)

A1 stellt mit dieser Erzählung seine eigene Sach- und Leistungsorientierung und seine Fokussierung auf das Interesse der Organisation dar und zeigt, dass er die Leistung der Mitarbeitenden unabhängig von persönlichen Sympathien beurteilt und das Personal danach fördert. Die Plausibilisierungslogik in diesem langen Zitat – das ich hier nicht detailliert nachvollziehen, sondern zugespitzt analysieren möchte – erscheint mir in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen ist die berichtete Praxis im Grunde eine recht harsche, denn sie stellt ein abhängiges Gegenüber vor die alternativlose Wahl, sich unter der Leitung einer Person zu bewähren, die alles „wegflext“, oder „raus“ zu sein. Der Sprecher nimmt darauf in keiner Weise Bezug (findet das vielleicht gar nicht harsch), sondern stellt dieses Vorgehen (wie die ganze Episode) vielmehr in einer Weise dar, dass es ihm zur Ehre gereicht und ihn in einem guten Licht erscheinen lässt. Zum anderen ist diese Erzählung und die Einbettung von Vertrauen darin beispielhaft für die nachträgliche identitätspolitische Funktionalisierung von Vertrauen: Der Interviewte bringt dem betreffenden Mitarbeiter trotz aller Vorbehalte und Anrüchigkeiten zunächst ein „Grundvertrauen“ entgegen, das dann aber enttäuscht wird, und die beschriebene harsche Bewährungsmaßnahme wird ex post als erfolgreich und vertrauensförderlich charismatisiert, ihr wird also eine positive Bedeutung für das eigene Handeln zugeschrieben. Dass eine solche Einordnung und Bewertung erst rückblickend möglich ist, wird auch in der vertrauenssoziologischen Theorie angesprochen: „Ob vertrauensvolles Handeln in der rückblickenden Endbewertung richtig war, hängt also davon ab, ob das Vertrauen honoriert oder gebrochen wird.“ (Luhmann 2014[1968]: 29) Die Erzählung betont dabei die Sach- und Leistungsorientierung des eigenen Handelns und unterstreicht, dass Sympathie oder ein gutes Gefühl demgegenüber nachrangig sind, vor allem in Passagen der Darstellung der krisenhaften Interaktion. Diese spiegelt einerseits die Bewältigung des Problems durch Neutralität, Sachorientierung und die Fähigkeit zu Objektivität (diese umfassende Einbettung ist sicher auch auf die Erzählzwänge nach Schütze [1983] zurückzuführen, insbesondere den Detaillierungszwang). Andererseits zeigen sich darin auch zwei Plausibilisierungen oder Verlaufslogiken von Vertrauen, die für die Daten kennzeichnend sind und mir auffällig erscheinen: Zum einen werden zunächst Vorbehalte geschildert, die in ‚gesunde‘ Kontrolle und eine erfolgrei-

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che Bewährung münden und schließlich Vertrauen begründen. Zum anderen wird zunächst ein Vertrauensvorschuss geschildert; Intransparenz und/oder die Verletzung von Offenheit und damit verbundenen Kommunikationsansprüchen münden dann in ‚ungesunde‘ Kontrolle, die schließlich Versagen offenbart und damit Vertrauen zerstört und Misstrauen begründet. 6.1.9 Zwischenfazit Die Ausführungen und Narrationen zum Gegenstand Vertrauen legen offen, wie die Führungskräfte ihr eigenes Handeln begründen und bewerten (und wie sie es identitätspolitisch aufwerten). In ihren Konzepten von Vertrauen und ihren Praktiken zur Dar- und Herstellung von Vertrauen geht es ihnen darum, den Erfolg der Organisation zu sichern, das Personal auf dieses Ziel auszurichten, selbst an seiner Realisierung mitzuwirken und dabei strategisch ‚richtig‘ zu handeln. Dieser Erfolg kommt einerseits der Organisation, andererseits ihnen selbst zugute: Er gewährleistet einen Vorsprung vor der (externen wie internen) Konkurrenz. Einen eigenen Gewinn erzielen die Führungskräfte – beispielhaft für sämtliche Organisationsmitglieder – durch eine (mikro-)politische Positionierung und Beziehungen innerhalb der Organisation, in denen ihre Interessen vertreten werden; das ermöglicht ihnen bzw. den koalierenden Agent_innen der eigenen Seite einen Vorsprung. Dabei folgen die Führungskräfte einer spezifischen Plausibilisierungslogik, die sich vereinfacht darstellen lässt als (durchaus selbstcharismatisierende) Stilisierung der eigenen Relevanz für die Organisation, nach dem Motto: ‚Wenn ich alles weiß, bin ich für die Organisation gut und kann auch zum Wohl der Organisation handeln.‘ Den Hintergrund für die Plausibilisierung ihres Handelns bilden Identitätspolitiken, Interaktionsgeschichten und Organisationshistorien. In der Darstellung ihrer Identität und der Reflexion ihrer Praktiken konstruieren sie sich als für die Organisation dienliche Mitglieder. Sie bringen dafür aber heterogene Argumente vor, die einander zum Teil widersprechen: kurze Betriebszugehörigkeit in Verbindung mit Reformbewusstsein (A1); lange Betriebszugehörigkeit in Verbindung mit Traditionsbewusstsein (A2); sich als Herztyp für weiche Themen verantwortlich zu fühlen (B1); mit Neuerungen kritisch umzugehen, aus Sorge um die Zukunft und nicht intendierte Effekte (B2); die informellen Strukturen besonders gut zu kennen und strategisch zu denken (C1); Formalstrukturen besonders gut einschätzen und weiterentwickeln zu können (C2). Diese heterogenen Auffassungen von ihrem subjektiven Wert für die Organisation sind Gegenstand, Bedingung und Konsequenz von Spannungsfeldern, in denen die Führungskräfte sich bewegen, die sie aber auch selbst erzeugen.

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Die Führungskräfte agieren in diesen Spannungsfeldern und interagieren damit zwangsläufig mit anderen Organisationsmitgliedern. Für die Gestaltung des Mit- und Gegeneinanders ist der Umgang mit Information und Wissen zentral; dies erklärt auch, warum Vertrauen als ubiquitär anschlussfähig behandelt wird, denn Informationen sind in nahezu allen Kontexten von Bedeutung. Im Zentrum der vertrauensassoziierten Konstrukte und Praktiken steht die Steuerung von Informationen: Diese herzustellen, darüber zu verfügen, sie bewusst einzusetzen, daran teilzuhaben und andere daran teilhaben zu lassen ist der Kern dessen, was im Organisationskontext unter Vertrauen verstanden und als Vertrauen praktiziert wird. Die auf Information und Informieren ausgerichteten Praktiken dienen dazu, unter Nutzung elementarer Reziprozitätsstrukturen Interessen aufeinander abzustimmen und die Organisationsmitglieder auch bei Ambivalenz auf bestimmte Ziele auszurichten. Sie dienen im Weiteren auch dazu, Ungewissheit zu reduzieren und Berechenbarkeit zu erhöhen. Diese Bemühungen zielen auf die Gesamtorganisation und ihre Mitglieder (repräsentiert durch Vorgesetzte, Kolleg_innen und Beschäftigte), aber vor allem auch auf die eigene Person: Indem sie ihre eigene Ungewissheit begrenzen und die Wirkung ihres eigenen Handelns berechenbar machen und rechtfertigen, sichern sie ihren eigenen strategischen Vorteil ab und legitimieren über die Bezugnahme auf Vertrauen ihre Position. Dabei rekurrieren die Führungskräfte kommunikativ leichtfüßig auf Vertrauen, dem sie unisono eine ebenso konstitutive Rolle zuschreiben wie einem ‚gesunden‘ Misstrauen. Ebenfalls übereinstimmend werden ‚Gottvertrauen‘/‚ungesundes Vertrauen‘ und ‚ungesundes Misstrauen‘ als verpönt, ‚Angst‘ und ‚grundsätzliches Misstrauen‘ als schädlich und unbedingt zu vermeiden bewertet. Wann welches dieser Konstrukte angeführt wird, um bestimmte Praktiken zu plausibilisieren, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern ist immer in eine je spezifische Konstellation und die damit verbundenen (z.B. zeitlichen, sozialen und sachlichen) Prozesse eingebunden. Die in der Vertrauenssoziologie verbreitete Auffassung, dass für Vertrauen eher ein konstruktiver Bedeutungshorizont kennzeichnend ist und für Misstrauen eher ein destruktiver, bestätigt sich zwar auch empirisch. Doch wie in der Vertrauenssoziologie finden sich auch normative Graduierungen: ‚Gesundes Misstrauen‘ beinhaltet – ähnlich wie bei Sztompka (1998, 1999) – Vertrauen und dient dazu, solches aufzubauen, es hat also einen konstruktiven Gehalt; ‚ungesundes Misstrauen‘ basiert auf einer destruktiven Annahme und sucht in engmaschigen Kontrollen nach Evidenz für seine Rechtfertigung, wirkt also auch aus empirischer Perspektive vertrauensschädlich. ‚Gottvertrauen‘ ist aus der Sicht der Akteure unvereinbar mit einer professionellen Wahrnehmung der Führungsaufgabe, die damit auch als Kontrollaufgabe

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verstanden und als solche erkennbar wird. Diese Kontrollaufgabe beinhaltet, die Organisation gegen Verletzungen abzusichern, und da sich die Organisation gegenüber ihren Mitgliedern zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad verletzbar macht, müssen die Führungskräfte sie auch davor schützen bzw. dagegen absichern, dass die Mitglieder ihr Vertrauen missbrauchen. Aufgrund objektiver Evidenz (z.B. Statistiken zu Diebstählen durch Mitarbeitende) ist ‚Gottvertrauen‘ illegitim, denn es ist ein ‚ungesundes Vertrauen‘, das wider besseres Wissen um den Missbrauch von Vertrauen gewährt wird. Die Absicherung von Vertrauen gegen Angriffe erfolgt somit, ganz im Sinne von Sztompka (1999), durch Institutionalisierung eines ‚gesunden‘ Misstrauens. Dabei sind die Führungskräfte nicht nur Institutionalisierende, die entsprechende Praktiken ausüben und Verfahrensregeln anordnen. Sie sind zugleich selbst eine Institution; qua hierarchisch zugebilligter Autonomie fungieren sie auf mehreren Ebenen der Organisation als Interaktionspartner_innen, fungieren im Sinne von Luhmann, Giddens, Shapiro und Coleman als Repräsentierende der Organisation und bilden durch diese Funktion einen Zugangspunkt zur Organisation. Wie bereits angesprochen, zeigen die Analysen, dass der Topos Vertrauen – der vor allem in der englischsprachigen Managementliteratur aufgebracht wurde – als Thema und Gegenstand in den hier untersuchten deutschen Organisationen überraschend verfestigt institutionalisiert ist. Man könnte dahinter einen gewissen Zugzwang vermuten: dass dieses Thema nur deshalb aufgegriffen und Vertrauen als Managementpraxis für wichtig befunden wird, weil insbesondere die US-amerikanische Managementliteratur dies vertritt, die auch in Deutschland rezipiert wird. Dagegen spricht aber, dass sich in den Daten kein einziger expliziter Verweis auf die einschlägige Literatur findet (weder auf die deutsch- noch auf die englischsprachige). Allerdings werden zur Plausibilisierung der Relevanz von Vertrauen kontextspezifisch rationale und ökonomische Begründungen angeführt, die sich auch in der Literatur finden. Insofern will und kann ich nicht ausschließen, dass die Dominanz und Institutionalisierung des Themas und entsprechender Praktiken indirekt von der Literatur beeinflusst ist. Gründe dafür, Vertrauen als etwas Anschlussfähiges und Wichtiges zu betrachten, liegen meiner Meinung nach aber vielmehr in dem diffusen, jedoch als grundlegend wahrgenommenen Bedürfnis nach einem gelingenden Miteinander – das hier vorrangig auf die Realisierung der (im Unternehmenskontext: wirtschaftlichen) Organisationsziele bezogen ist, aber eben nicht nur darauf. Die Vergleiche und Beispiele, die die Interviewten anführen, um verschiedene Facetten von Vertrauen zu illustrieren, bedienen sich oft eines außerorganisationalen Referenzrahmens: Freundschaft, Familie, Ehe, Freizeit, Krankheit, Privatheit. Die Beispiele werden einerseits strategisch gewendet (z.B. die ‚Buddys‘ als

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Agent_innen der eigenen Seite, die dazu dienen, Information zu kontrollieren und sich einen Informationsvorsprung zu sichern), andererseits bringen sie individuelle Teilhabe- und Akzeptanzbedürfnisse bezogen auf die von Popitz (2011) angeführte „friedliche Vergesellschaftung“ zum Ausdruck (z.B. Arbeitsfreundschaften zu unterhalten, bei privaten Fragen oder Problemen Verständnis zu finden oder Unterstützung zu erhalten). Ich interpretiere diesen illustrativ angeführten privaten Referenzrahmen als Hinweis darauf, dass das Bedürfnis nach Zwischenmenschlichkeit im Intraorganisationskontext mit seinen sachzentrierten und strategischen Implikationen nicht endet. Anders ausgedrückt: Eine Person reduziert sich nicht einfach auf ihre (arbeitsbezogene) Rolle, wenn sie die Organisation betritt, vielmehr betritt sie diese als ganze Person. Weil Vertrauen im Alltag eine konstitutive Erwartung im Umgang miteinander darstellt – auch wenn diese im Privatbereich weniger reflektiert wird als innerhalb von Organisationen –, lässt sich diese Erwartung weitgehend problemlos und plausibel an den Organisationskontext anschließen, der auch eine Arena des Sozialen ist. Hierin sehe ich den Grund für die zunächst überraschende Verfestigung und Institutionalisierung des Themas Vertrauen in Organisationen. Als Praxis ist Vertrauen dagegen weitaus weniger stark oder klar institutionalisiert. Dass Vertrauen für die Organisation und ihre Mitglieder und insbesondere für die Verbindung von System und Person sowie die Beziehungen zwischen Personen (und ihren Rollen) wichtig ist, scheint weitaus selbstverständlicher zu sein als die Art und Weise, wie es zu praktizieren ist – normative Überzeugung und praktische Ausformung sind nicht gleichermaßen stark ausgeprägt. Dies liegt vorrangig daran, dass die Ergebnisse praktizierten Vertrauens nicht gesteuert werden können. Eine auf Vertrauen bezogene Handlung muss von den betreffenden Personen jeweils in Abhängigkeit von ihnen selbst sowie der Zeit und dem Kontext, in dem sie interagieren, zeitgleich reziprok typisiert werden. Diese Gleichzeitigkeit ist aber ausgesprochen voraussetzungsreich und riskant. Was als Vertrauen erzeugend oder vertiefend intendiert ist, muss keineswegs in dieser Weise gedeutet werden. In Ermangelung erprobter und verlässlicher Praktiken mit einer ex ante berechenbaren Wirkung auf Vertrauen müssen die Organisationsmitglieder und damit auch die Führungskräfte improvisieren. Das führt zu verschiedenen Sets von Regeln, die in der Analyse der Praktiken zum Umgang mit Informationen und Beziehungen und zur Legitimierung von Vertrauen innerhalb von Organisationen erkennbar wurden: Es gibt ein Set expliziter, konstitutiver, vorrangig – aber nicht ausschließlich – formeller Regeln und ein Set impliziter, variabler Regeln. Wenn das Set der konstitutiven Regeln als für das jeweilige Ziel unwirk-

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sam eingeschätzt und verlassen wird, greift das Set der variablen Regeln. Dieses Set ist personenbezogen und wird jeweils mit unterschiedlicher (vermeintlicher) Sachnotwendigkeit plausibilisiert. Beide Sets dienen gleichermaßen dazu, Risiken zu kontrollieren (nicht der/die Dumme zu sein, der/die aufgrund von ungesundem Gottvertrauen [s.o. Kap. 6.1.4.2] das Nachsehen hat) und zugleich die Chance zu bewahren, durch Vertrauen potenzielle (nicht spezifizierte) Vorteile zu erlangen (und sich dadurch in irgendeiner Weise einen Vorsprung zu sichern, der Gewinner/die Gewinnerin zu sein). Diese Regeln können in ihrer Anwendung entsprechend der jeweiligen Intention ‚funktionieren‘, aber auch einen ganz anderen, ungeplanten Effekt haben, der sich im Konfliktfall ggf. nicht ausreichend durch eine auf Vertrauen gerichtete und damit konstruktive Intention rechtfertigen lässt. Da Vertrauen den Befunden zufolge im Organisationskontext zwar ein Bedürfnis, anders als im privaten Bereich aber kein legitimer Selbstzweck ist, sondern vorrangig einer ökonomischen Rationalität von Effizienz, Effektivität und Sachorientierung folgt, ist es in diesem Feld unerlässlich, entsprechende Praktiken durch einen bestimmten Zweck zu rechtfertigen.

6.2 T HEORETISCHES M ODELL DER I NSTITUTIONALISIERUNG VON V ERTRAUEN In diesem Kapitel verdichte ich meine analytischen Befunde in einem theoretischen Modell der Institutionalisierung von Vertrauen. Vor dem Hintergrund der konzeptuellen bzw. begrifflichen Bestimmung zur Institutionalisierung (vgl. Kap. 2.3.2) und meiner Analyse des Datenmaterials (vgl. Kap. 6) systematisiere ich anhand dieses Modells einen Satz von Beziehungen, Bedingungen und Konsequenzen, bei denen sich erwiesen hat, dass sie mit der Kernkategorie ‚Institutionalisierung von Vertrauen‘ in Verbindung stehen. Eine Bemerkung vorab: Im Verlauf der Lektüre mag gelegentlich der Eindruck entstehen, dass die Auswahl und Benennung der Kategorien und ihre Einordnung innerhalb des Modells auch ganz anders ‚richtig‘ gewesen wäre. Ich selbst hatte im Prozess der Analyse und der Modellbildung auch wiederholt diesen Eindruck, vor allem in Bezug auf die in Kapitel 2.3.1 beschriebenen Oszillationen zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene und die Anwendung der in Kapitel 4.2.4 dargestellten Bedingungsmatrix, anhand derer ich die Konsequenzen und Bedingungen der Befunde aufeinander bezogen habe. Ich möchte daher noch einmal betonen, dass es sich bei meinem theoretischen Modell um eine Theorie mittlerer Reichweite handelt, die aus dem spezifischen hier zugrun-

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de gelegten Datensatz hervorgegangen ist und sich (zunächst) nur auf diesen Datensatz bezieht. Ich erhebe damit keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern beanspruche lediglich, dass meine Befunde für diesen Datensatz gültig sind. Im iterativ-zyklischen Kodierprozess haben sich aber Kategorien ergeben, die eine bestimmte Perspektive eröffnen und mir sowohl spezifisch als auch abstrakt genug erscheinen, um sie auf andere Daten anzuwenden – wo sie dann möglicherweise widerlegt würden. Weil es bei der Darlegung der Befunde als Bestandteile meines theoretischen Modells sowohl um Nuancen und Graduierungen als auch um eine in den Daten begründete Verdichtung geht, werde ich zugunsten der Nachvollziehbarkeit zur Illustration nur Beispiele anführen, die in Kapitel 6.1 schon zitiert wurden. Dies führt zwar zu einer gewissen Redundanz; es erleichtert mir jedoch, auch in der Darlegung meiner Kategorien die Nuancen herauszustellen.15 Für die Ordnung und Visualisierung meiner Befunde greife ich auf das paradigmatische Modell der Grounded Theory zurück (vgl. Kap. 4.3.2). Es unterscheidet sechs Bestandteile, nämlich (a) die Kernkategorie, (b) ursächliche Bedingungen für die Kernkategorie, (c) die intervenierenden Bedingungen als generelle Rahmenbedingungen, die das Phänomen beeinflussen, (d) den jeweiligen Kontext für spezifische Eigenschaften und Ausprägungen des Phänomens, (e) die Strategien im Umgang mit dem Phänomen und (f) Konsequenzen, die sich aus den Strategien ergeben und auf die Kernkategorie zurückwirken (vgl. Strauss/Corbin 1996: 78ff.; Strübing 2008: 26ff.). Wie in Kapitel 4.2.2 ausgeführt, leitet diese Heuristik vorrangig das axiale Kodieren an, sie ist also von Strauss und Corbin (1996) als Teil der Analysearbeit gedacht, nicht als Modell für die Ergebnisdarstellung. Dennoch ist dieses Modell mit seinen Bestandteilen über den Kodierprozess hinaus auch geeignet, um die Befunde zusammenzufassen und die wichtigsten Kategorien zu visualisieren, wie die folgende Abbildung zeigt:

15 Leider bedeutet es auch, dass ich die Vielfalt und Reichhaltigkeit meines über 200 Seiten umfassenden Datenkorpus nicht zeigen kann: Während wenige Beispiele wiederholt aufgegriffen werden, bleiben viele andere in der Ergebnisdarstellung unerwähnt. Bereits die Präsentation der Ergebnisse in Kap. 6.1 war notwendigerweise eine Zuspitzung, die die Daten nicht in ihrer ganzen Breite zeigen kann, sondern immer nur in ausgewählten kleinen Ausschnitten.

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Abbildung 8: Modell der Institutionalisierung von Vertrauen

Trotz der iterativ-zyklischen Methode, die die ebenfalls iterativ-zyklischen Bedingungen und Konsequenzen zwischen den Kategorien offengelegt hat, habe ich die Wirkungen in der Darstellung bewusst durch unidirektionale Pfeile veranschaulicht. Grundsätzlich ist die Wirkung immer auch eine rekursive; für die Darstellung der in meiner Analyse herausgearbeiteten „Geschichte“ oder story line (Strauss/Corbin 1996, 94ff.; s.o. Kap. 4.2.1) über die offengelegte Kernkategorie ist aber vorwiegend die gezeigte Richtung bedeutsam. In den folgenden Kapiteln stelle ich die Kernkategorie und die damit verbundenen Hauptkategorien, die die Abbildung zeigt, eingebettet in die Systematik der Bestandteile des paradigmatischen Modells vor. 6.2.1 Die Institutionalisierung von Vertrauen Der ‚rote Faden‘, der die im Zuge meiner vergleichenden Analyse offengelegten empirischen Vertrauenskonstrukte und die beschriebenen Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen verbindet und kennzeichnet, ist die Institutionalisierung von Vertrauen. Sie bildet die Kernkategorie, also das Phänomen, das ich

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bei der Analyse der Konstrukte und Praktiken in den Mittelpunkt gestellt und auf seine Bedingungen und Konsequenzen hin untersucht habe. Unter der Institutionalisierung von Vertrauen verstehe ich mit Berger und Luckmann (2013[1969]) reziprok habitualisierte Typisierungen (z.B. von Handlungen oder Rollen), in denen Erwartungen, Handlungsgewohnheiten und Routinen prozesshaft generalisiert und im sozialen Wissensvorrat abgelagert werden und dadurch zu Wirklichkeiten werden (vgl. Kap. 3.1.3). Sie stehen für das, was als selbstverständlich und ‚naturgegeben‘ angenommen und nur unter bestimmten Voraussetzungen reflektiert wird, z.B. eben in einem Forschungsinterview. Habitualisierte bzw. routinisierte und damit eher nicht reflexiv zugängliche Typisierungen von Vertrauen werden in den Interviews dadurch zunehmend bewusster, dass Vertrauen (z.B. in einer Schilderung oder Erzählung) eine spezifische Gestalt erhält: Es wird in einer bestimmten Weise konstruiert und mit bestimmten Praktiken der Darstellung und/oder Herstellung von Vertrauen in Verbindung gebracht. Unter Institutionalisierung bzw. Typisierung in meinem Verständnis subsumiere ich also Konstrukte und Praktiken, die – empirisch mehr oder minder eindeutig – auf Vertrauen zugerechnet werden. Mein Modell der Institutionalisierung von Vertrauen (nicht, ontologisch oder essenzialisierend, von Vertrauen als Institution) soll den prozesshaften Charakter und das handlungstheoretische Fundament der Kernkategorie unterstreichen. Der Grad der Habitualisierung, also das Ausmaß, in dem Vertrauen für selbstverständlich gehalten wird, lässt m.E. Rückschlüsse darauf zu, in welchem Grad Vertrauen ein Status von Routine zugeschrieben wird. Damit meine ich erkennbare Graduierungen: ob zum jeweiligen Zeitpunkt Vertrauen in der Organisation insgesamt als eher schwach ausgeprägt oder eher fest institutionalisiert konstruiert wird. 6.2.2 Ursächliche Bedingungen Als ursächliche Bedingungen dafür, dass Vertrauen zum Gegenstand eines Institutionalisierungsprozesses wird, habe ich drei Kategorien identifiziert: 1. fehlende Berechenbarkeit von Zukunft (z.T. auch von Gegenwart), 2. Relevantsetzung von Vertrauen, 3. Wunsch, die Chance auf einen Vorsprung zu sichern und gleichzeitig das Schadensrisiko zu kontrollieren. Die fehlende Berechenbarkeit als ursächliche Bedingung bezieht sich im Kontext von Organisationen vorwiegend auf den Arbeitsprozess, die Arbeitsmotive und

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die Frage, ob bzw. inwieweit damit die Organisationsziele realisiert werden können. Als entscheidende Faktoren für die Umsetzung dieser Ziele konstituieren die untersuchten Akteure das Engagement, die Motivation und die Motive des Personals. Vertrauen wird dabei als eine sehr wichtige Ressource dargestellt, die die Zusammenarbeit der Mitglieder und ihre Ausrichtung auf das Organisationsziel ‚Erfolg‘ fördern, aber auch hemmen kann. Die Relevantsetzung von Vertrauen ist in einem Spannungsfeld divergierender Erwartungen zu Anforderungen und Interessen verankert: Einerseits wollen und müssen die Führungskräfte professionell und verantwortlich handeln – oder sich jedenfalls so darstellen –, indem sie das Risiko eines Schadens (durch Übervorteilung infolge von ‚ungesundem‘ Vertrauen oder naivem ‚Gottvertrauen‘) durch Aufmerksamkeit bzw. Kontrolle begrenzen. Andererseits sehen sie in Vertrauen ein gewisses Potenzial, das sie sich und/oder dem Unternehmen sichern wollen. Dieses Potenzial beinhaltet sowohl eine strategisch-kalkulative Dimension im Sinne eines Vorsprungs (z.B. eines Wettbewerbsvorteils gegenüber der Konkurrenz) als auch eine strategisch-affektive Dimension im Sinne eines Mehrwerts (z.B. die Teilhabe an Sozialität bei der Ausübung der Organisationsmitgliedschaft). Diese drei Kategorien führen als ursächliche Bedingungen dazu, dass es überhaupt zur Institutionalisierung von Vertrauen kommt. 6.2.3 Intervenierende Bedingungen Neben ursächlichen Bedingungen wird die Institutionalisierung von Vertrauen von generellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Als solche intervenierenden Bedingungen haben sich aus der Analyse des Datenmaterials drei Kategorien ergeben, die alle Kodes in sich vereinen: 1. der Wirtschaftskontext, 2. situative Faktoren außerhalb der Organisation: zeitliche/örtliche Einordnung (Epoche, Kultur, Arbeitsbedingungen, Branche, lokale, regionale, nationale, internationale Einflüsse) und 3. Veränderungen innerhalb der Organisation. Der Wirtschaftskontext bildet für die untersuchten Organisationen – ausnahmslos Unternehmen im wirtschaftlichen Bereich – den zentralen Referenzrahmen, und die Akteure nehmen darauf Bezug, um ihr Handeln sachbezogen zu plausibilisieren. Sie bemühen ökonomische Rationalität, um die Organisationsziele zu definieren (wirtschaftlicher Erfolg, Wettbewerb mit der Konkurrenz) und trotz

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des starken Sozial- und Beziehungskonnexes von Vertrauen eine Dominanz der Sachlogik zu bewahren. Wie die Führungskräfte Vertrauen konstruieren und ihre Praktiken von Vertrauen sehen, die in der Institutionalisierung von Vertrauen aufgehen, ist aber auch von situativen Faktoren außerhalb der Organisation beeinflusst, die nicht allein mit dem Wirtschaftskontext zusammenhängen. Die zeitliche und räumliche Situierung (z.B. strukturelle oder politisch-rechtliche Anforderungen) ist zwar mit dem Wirtschaftskontext verbunden; damit ist sie aber nur unvollständig abgebildet. Die Konstrukte und Praktiken sind eingebettet in eine Zeit der Wirtschaftskrise in den Jahren 2007/2008, die die Stabilität der Organisation und die Zugehörigkeit der Mitglieder massiv in Frage stellte. Vor diesem Hintergrund ist die Explikation der Erfolgslogik nicht nur als typisch für den Wirtschaftskontext zu sehen, sondern auch als Ausdruck des Ringens um den Erhalt der Organisation und die Sicherung von Zugehörigkeiten. In der Textil- bzw. Filialbranche wurde die Bedrohung durch die Wirtschaftskrise zusätzlich verschärft durch die Digitalisierung und die Zunahme des Online-Handels; in der IT-Branche verschoben Internationalisierung und damit verbundenes dezentrales Wachstum die Grenzen und bedrohten damit die Stabilität einzelner Unternehmen. Die zeitliche und räumliche Situierung ist auch in Bezug auf die Symptome sich wandelnder Arbeitswelten (wie z.B. Subjektivierung als Ausdruck des Wandels, vgl. Kap. 3.2.1) mit dem Wirtschaftskontext verbunden, als Bedingung allerdings nicht nur auf diesen zurückzubeziehen: Die Folgen von sich wandelnden Arbeitswelten werden selbstverständlich nicht in dieser Terminologie angesprochen. Aber in den Darstellungen zu Selbstökonomisierung bzw. ihrer Ablehnung, zu Karriereentwürfen und Stolz auf das Erreichte spiegeln sich nicht nur die Dauer der Organisationszugehörigkeit und das Alter der Interviewten; sie zeigen auch die Ideologien der Akteure in Bezug auf das Arbeitsethos der Moderne, die sich als Wunsch nach Freundschaft und Anerkennung einerseits und nüchterne Erfolgsorientierung andererseits auch in diesem Modell der Institutionalisierung von Vertrauen niederschlagen. Die Gleichzeitigkeit von Wirtschaftskrise und sich verändernden Arbeitswelten wirkt auf die Institutionalisierung von Vertrauen hemmend, insofern sie das etwas sozialromantisch anmutende Vertrauen als Wert des ‚Herztyps‘ in eine kritische Entfernung zu einer Effizienzund Leistungslogik bringt; gleichzeitig fördert sie die Institutionalisierung von Vertrauen, indem sie dieses zugleich legitimiert, nämlich als Ressource, um Organisationsmitglieder ein- und anzubinden, die als effizient und passend bewertet werden, und damit auf der Basis von Effizienz und Leistung zur Erreichung der Organisationsziele beizutragen. Das Ringen um Zusammenhalt und Bindung und das Neujustieren von Kooperationen unter den Bedingungen der

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Wandlungen von Arbeit verschärfen die Ungewissheit und die Komplexität als Anforderungen an Organisationen und Organisationsmitglieder. Dass die Zunahme von Ungewissheit und Komplexität auf Vertrauen einwirkt, ist nicht nur mit Giddensʼ theoretischem Befund einer „High-trust-Zeit“ zu behaupten (vgl. Kap. 1, 2.2.2 und 3.2). Es zeigt sich auch empirisch, nämlich darin, dass die interviewten Akteure Vertrauen überraschend deutlich und übereinstimmend als für ihre Arbeit höchst relevant konstituieren. Neben den externen situativen Faktoren wirken sich auch die generellen strukturellen Arbeitsbedingungen auf die Institutionalisierung von Vertrauen aus: Die Führungskräfte sprechen aus der Perspektive von Gestaltungsbeauftragten, die qua Hierarchie die Verfügungs- und Deutungsmacht über Informationen haben, sie können in bestimmten Bereichen autonom handeln und agieren zwischen verschiedenen Ebenen und Begründungsansprüchen. Daher sehen sie Vertrauen wohl stärker als ihre Aufgabe denn als die von anderen Berufs- und Statusgruppen (z.B. den Beschäftigten auf den unteren operativen Ebenen oder jenen ohne Führungsaufgaben), und sie konstruieren ihre Rolle als eine mit Verantwortung, deren Wahrnehmung sie auch deutlich machen müssen, um ihre Professionalität zu beweisen. Interessanterweise lassen die Daten erkennen, dass die Führungskräfte nicht nur in dieser Rolle agieren: Sie beschreiben sich auch aus einer Perspektive, die sie als ‚normale‘ Beschäftigte oder auch als Vertreter_innen des abstrakten Systems verortet. Das bringt ihren Einblick auf allen Ebenen zum Ausdruck, zeigt sie aber zugleich als Akteursgruppe mit einem sehr breiten und potenziell widersprüchlichen Verantwortungsbereich, der ihnen extern zugeschrieben wird, den sie sich aber auch selbst zuschreiben. So thematisieren die Befragten einen Bedarf an Vertrauen im Zusammenhang mit grundlegenden Veränderungen, etwa einem Eigentümer- bzw. Leitungswechsel, Umstrukturierungen oder einem anstehenden Verkauf des Unternehmens, die aus ihrer Sicht Vertrauen hemmen bzw. erschüttern. Solche Einschnitte erfordern einerseits neue Methoden und Praktiken, um mit den Veränderungen und den damit verbundenen neuen Anforderungen umzugehen; diese Praktiken müssen andererseits rational begründbar sein und begründet werden, um das Vertrauen nicht zusätzlich zu beschädigen, anstatt es zu stabilisieren und zu fördern. Beispielsweise wird in den Daten von einem neuen Personalentwicklungs-Tool berichtet, das u.a. erleichtern soll, potenziell konflikthafte Themen anzusprechen (vgl. Kap. 6.1.6). Dieses Instrument wird von den Führungskräften über eine Bezugnahme auf Kontakte, Beziehungen und Informationsflüsse zu Vertrauen in Beziehung gesetzt; Vertrauen wird damit als ein Teil der strukturellen Maßnahmen entworfen und die Absicht seiner Institutionalisierung sichtbar gemacht. Wie die Daten zeigen, kann ein solches Instrument aber unterschiedli-

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che und auch unbeabsichtigte Wirkungen hervorrufen (z.B. bestehende Irritationen verschärfen oder neue erzeugen wie im Fall des PersonalentwicklungsTools). Somit kann eine solche Praxis nicht verlässlich Vertrauen erzeugen oder solches institutionalisieren. Zugleich wird Vertrauen damit als normativ positiv besetzt und besetzbar konstruiert. Diese Rahmenbedingungen – der Wirtschaftskontext, situative, z.T. strukturbezogene Faktoren außerhalb und innerhalb von Organisationen – beeinflussen also in genereller bzw. struktureller Weise die Institutionalisierung von Vertrauen, indem sie sie hemmen oder fördern. Sie tragen aber auch dazu bei, das Thema selbst und seine wahrgenommene Relevanz grundsätzlich zu stärken. In Verbindung mit dem jeweiligen Kontext spezifischer Eigenschaften von Vertrauen wirken sie nicht nur auf die Institutionalisierung als solche ein, sondern auch auf die Handlungs- und Interaktionsstrategien, die die Institutionalisierung von Vertrauen fördern oder hemmen. 6.2.4 Kontexte für dimensionale Ausprägungen der Institutionalisierung von Vertrauen Im Unterschied zu den intervenierenden Bedingungen, die die Institutionalisierung von Vertrauen als solche fördern oder hemmen, wirkt der jeweilige Kontext – verstanden als „spezifische[r] Satz von Eigenschaften […], die zu einem Phänomen gehören; d.h. die Anordnung von Ereignissen oder Vorfällen […] in einem dimensionalen Bereich“ (Strauss/Corbin 1996: 80) – auf die Ausprägung der spezifischen Eigenschaften des institutionalisierten bzw. typisierten Vertrauens in Organisationen. Als Kontextfaktoren, die für diese spezifischen Eigenschaften relevant sind, haben sich in der Analyse folgende Kategorien erwiesen: 1. 2. 3. 4. 5.

die Wahrnehmung der eigenen Rolle und hierarchischen Position, Spannungen auf der Ebene der Person/en, Spannungen auf der Ebene der Organisation, die Dauer und Qualität von Interaktionsgeschichten und die Organisationshistorie.

Ausprägungen dieser Kategorien sind z.B. viel und wenig oder persönliches und fachliches Vertrauen, hohe und niedrige Formalisierung von vertrauensassoziierten Instrumenten, nahe und distanzierte Interaktionsgeschichten, kurze und lange Dauer der Organisationsmitgliedschaft. Die Kategorie ‚Wahrnehmung der eigenen Rolle und hierarchischen Position‘ geht über die formale Begründung der Organisationsmitgliedschaft, der

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einzunehmenden Rolle und der auszuübenden Tätigkeiten hinaus; dahinter steht ein komplexes Geflecht von Interessen, Wünschen, Erwartungen und Identitätspolitiken. Im Allgemeinen bestimmen sich Rolle und hierarchische Position durch einen formalen Vertrag (vgl. Kap. 3.1.2), der die Aufgaben der betreffenden Person gegenüber bzw. innerhalb der Organisation konkretisiert und sie damit innerhalb der Organisationsstruktur hierarchisch verortet. Zusätzlich unterliegt ihnen ein impliziter Vertrag (vgl. Kap. 3.2.4), der beeinflusst, wie die Aufgaben individuell gedeutet und damit auch erlebt und ausgeübt werden. Dabei kommen sowohl individuelle Eigenschaften als auch die Interaktionsgeschichten zwischen den Personen und zwischen der Person und der Organisation zum Tragen. Die Kategorie ‚Wahrnehmung der eigenen Rolle und hierarchischen Position‘ beinhaltet also auch persönliche Präferenzen und Schwerpunktsetzungen, die die Akteure als ‚ihren Beitrag‘, ‚ihren Anspruch‘ oder ‚ihre Ziele‘ innerhalb der Organisation definieren. Empirisch verbergen sich dahinter u.a. der Wunsch nach Wandel und Fortschritt (dadurch repräsentiert, dass die betreffende Person [A1] sich selbst – z.B. durch bestimmte Erscheinungsmerkmale – als Symbol des Aufbruchs konstituiert), der Wunsch nach mehr Anerkennung des eigenen Erfahrungswissens aufgrund der Seniorität (repräsentiert durch den Aufruf zu mehr Disziplin und Ordnung [A2]), der Wunsch, dass die Autonomie von anderen beschränkt und die eigene Autonomie ausgeweitet wird (repräsentiert durch den Ausbau von Kontrollen und strategisches „Schachspielen“ [C1])) oder der Wunsch, eine analytische Distanz zum eigenen Handeln und zu anderen Personen zu wahren (der sich darin verwirklicht, Professionalisierungsbedarfe der anderen zu diagnostizieren [C2]). Diese heterogenen Wünsche in Bezug auf die Wirkung und Wirksamkeit der eigenen Person als die Organisation prägend sind eingebettet in die Darstellung der Persönlichkeit der jeweiligen Akteure und ihrer Interaktionen und Entscheidungen, mit denen sie die Organisation beeinflussen und in denen ihr Konzept von Vertrauen zum Ausdruck kommt: Vertrauen erscheint einmal als Anstoß für Wandlungsprozesse, dann wieder als Vermeiden von Wandlungsprozessen, einmal als strategisch produktiv durch Wissenskontrolle, ein andermal als strategisch hemmend durch Wissenskontrolle. Wie die eigene Rolle und hierarchische Position wahrgenommen wird, hängt somit von Dynamiken in der Person ab, z.B. einem Karrierestreben als Beweis der eigenen Suffizienz bei noch wenig etablierter Zugehörigkeit zur Organisation und wenig Bindungen zu anderen Mitgliedern (wie bei A1). Dies bezeichne ich als Spannungen auf der Ebene der Person/en. Im Datenmaterial kommen solche Spannungen in Selbstoffenbarungen zum Ausdruck, z.B.: „Ich bin auch kein Pal, kein Buddy, so was brauche ich nicht.“ (A1, 1795-1796) Solche Selbstoffenbarungen dienen dazu, zwischen – meist implizit bleibenden – unterschiedlichen

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Begründungsansprüchen die eigene Position zu bestimmen. Damit bringen die Befragten zum Ausdruck, dass sie divergierende Optionen sehen und diese eine Selbstpositionierung erfordern. Diese Positionierung wirkt ihrerseits auf die Gestaltgebung von Vertrauen zurück; so erscheint Vertrauen z.B. in dem obigen Zitat als Voraussetzung und Ergebnis einer konspirativen, als illegitim abgelehnten Beziehungsform, die der Sprecher selbst nicht nötig hat, weil er sie mit anderen Ressourcen kompensieren kann (oder zumindest soll dieses Bild vermittelt werden). An einer anderen Stelle im selben Interview stellt der Akteur es dagegen als eine kognitiv-strategische und pfiffige Praxis dar, unnötige, „dumme“ Fragen zu stellen, um sich den hierarchisch Statusgleichen anzunähern und sich mit ihnen zu solidarisieren – Annäherung, Bindung und Einflussnahme durch Darstellung von Gleichheit erscheint hier nun als legitim. Spannungen dieser Art führen zugleich zu unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Plausibilisierungen und Plausibilitätskriterien für vertrauensbezogene Konstrukte und Praktiken. Spannungen innerhalb der Person wirken also auf die Institutionalisierung von Vertrauen. Das tun in ähnlicher Weise auch Spannungen innerhalb der Organisation. Empirisch beziehen sich diese Spannungen vor allem auf Strukturen (zu viel oder zu wenig Struktur, Strukturen als orientierend und hilfreich), auf Konflikte (v.a. solche im strategischen Management, die als Bedrohung für die Organisation, ihren Erhalt und das Erreichen ihrer Ziele interpretiert werden) und auf Ungewissheiten (und hier insbesondere auf den Bedarf an oder den Verzicht auf Transparenz und Information). Wie schnell und in welcher Weise die Organisation mit solchen Ambivalenzen umgeht, ob sie sie bekämpft oder ignoriert, ob und in welcher Form sie strukturelle Maßnahmen dazu ergreift, wie und wann sie Mitglieder befördert oder entlässt, ob sie informiert oder die Kommunikation aussetzt, all dies verändert die Gestalt von und die Begründungsansprüche an Vertrauen. Beispielhaft hierfür steht die in allen Interviews problematisierte Expansion des Unternehmens und die damit in Verbindung gebrachte Dezentralisierung, denn dies führt zu Wandel und steht paradigmatisch für die drei oben genannten Spannungsfelder der Strukturen, Konflikte und Ungewissheiten. Bei neuen oder extern arbeitenden Mitgliedern findet der Wandel eher Zustimmung, denn sie sehen darin die Möglichkeit auf eigenen Gestaltungsspielraum; Mitglieder mit langer Betriebszugehörigkeit hingegen sehen dadurch ihre Freiheiten und das Vertraute gefährdet und reagieren eher mit Ablehnung. Vergrößerung und Umorganisation erzeugen also einerseits eine Aufbruchsstimmung, andererseits aber auch Unzufriedenheit und Misstrauen, die empirisch einen Bedarf an Vertrauen und dessen Relevanz begründen. Angesichts dieser divergenten Positionen praktizieren die Mitglieder insbesondere die Dar- und Herstellung von Ver-

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trauen mit unterschiedlichen Interessen und Zielen und nehmen entsprechende Praktiken auch unterschiedlich wahr (so wird der Begriff Vertrauen in einem internen Medium explizit als fehlgeleitet kritisiert und als Hohn hervorrufend oder Anstoß erregend bewertet; ein Personalentwicklungs-Tool wird als Überforderung der nachrangigen Führungskräfte, als angeordnetes Spiel mit mittelbzw. langfristigem Frustrationspotenzial oder als Mittel der Personalentwicklung und Top-down-Sozialisierung eingeordnet). Auf der Ebene der Organisation wirken also zugleich Ansprüche und Veränderungen, die sich aus ihrem Umfeld, ihrer Vorstands- und Strukturebene und ihren Mitgliedern ergeben und wiederum auf diese zurückwirken. Das Außen wirkt auf das Innen, das Oben auf das Unten und vice versa. Die drei oben genannten Spannungsverhältnisse haben also jeweils bestimmte Bedingungen und Konsequenzen, die die jeweiligen konkreten Eigenschaften des institutionalisierten Vertrauens und/oder die Art und Weise seiner Institutionalisierung bestimmen. In der Auseinandersetzung mit Ambivalenzen auf der Ebene der Person/en und innerhalb der Organisation haben sich sieben Spannungsverhältnisse gezeigt, die beiden Ebenen gemeinsam sind und die gleichermaßen Bedingungen für die Institutionalisierung von Vertrauen wie Konsequenzen daraus sind: Spannungen zwischen (1) Geheimnis und Transparenz, (2) Autonomie und Abhängigkeit, (3) Kooperation und Konkurrenz, (4) Flexibilität/Dynamik und Stabilität/Statik, (5) Nähe und Distanz, (6) Informalität/Privatheit und Formalität/Beruflichkeit, (7) Gewinn und Verlust. Diese Spannungsfelder resultieren aus den divergenten Interessen, die von den Mitgliedern (und sicher auch dem Organisationsumfeld) an die Organisation herangetragen werden. Die folgende Abbildung visualisiert diese Spannungsfelder:

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Abbildung 9: Spannungsfelder zwischen divergenten Interessen auf den Ebenen der Person/en und der Organisation

Alle Plausibilitätskriterien, die für Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen angeführt werden und nach denen Vertrauen gestaltet wird, lassen sich sowohl auf der Mikro- als auch auf der Mesoebene auf divergente Interessen zurückführen, aus denen diese Spannungsverhältnisse entstehen. In der Organisationspraxis geht es dann darum, sich als Mitglied kontinuierlich zwischen diesen Polen zu positionieren; bei Führungskräften, deren Aufgaben zum Teil in sich widersprüchlich sind (Gestalten und Eingrenzen, Kontrollieren und Motivieren), ist das Spannungspotenzial bei der Positionierung besonders ausgeprägt. Die Pfeile und das „&“ in der visuellen Darstellung verweisen darauf, dass diese Positionierung nur prozesshaft vorstellbar ist, dass die permanente Präsenz der beiden Pole permanentes Handeln (z.B. in Form von Entscheidungen) erfordert. Das Handeln wiederum wirkt sowohl auf die Ebene der Organisation bzw. ihr Umfeld als auch auf die Ebene der Person bzw. der Interaktion. Ähnlich wie bei der von Möllering (2005) entworfenen Dualität von Vertrauen und Kontrolle beeinflussen diese Interessen die Institutionalisierung von Vertrauen jedoch nicht in dichotomer Weise, d.h. im Sinne eines Entweder-oder als Entscheidung für einen Pol und gleichzeitigen Ausschluss des anderen. Vertrauen wird nicht entweder als sach- oder als sozialorientiert, entweder als Transparenz oder als

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Geheimnis konstruiert und praktiziert. Die zahlreichen Nuancen, die sich aus den auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinenden Kontextualisierungen herausarbeiten ließen, belegen vielmehr eine Gleichzeitigkeit von Interessen, die einander zum Teil entgegenstehen. Diese parallelen Interessen wirken darauf, wie und in welcher Form Vertrauen institutionalisiert wird. Beide Pole der jeweiligen Spannungsfelder existieren und prozessieren fortwährend – es gibt in Organisationen immer Geheimnis und Transparenz, Autonomie und Abhängigkeit usw. Auf welches maßgebliche (bzw. als maßgeblich konstituierte) Interesse sie zugeschrieben werden, kann jedoch variieren und führt zu unterschiedlichen Institutionalisierungen, z.B. in zeitlicher/örtlicher Hinsicht. Die Positionierung der Organisationen (vermittelt über die Führungskräfte) und der Organisationsmitglieder (zu denen auch die Führungskräfte gehören) innerhalb dieser Spannungsfelder spezifiziert zum einen die Bedingungen für Vertrauen: Ein Personalentwicklungs-Tool kann sowohl Konkurrenz als auch Kooperation zugerechnet werden je nachdem, welche Interessen damit verbunden werden; ebenso kann eine Weihnachtsfeier der Organisation als Einladung zu einem informellen Ereignis gesehen werden, aber auch als formelle Anordnung. Zum anderen spezifiziert die Positionierung innerhalb der Spannungsfelder die Bedingungen für Vertrauen: Ein im Setting einer Weihnachtsfeier gemeinsam getrunkenes Bier kann sowohl Nähe als auch Distanz erzeugen, unabhängig davon, ob die Weihnachtsfeier als informelles oder formelles Treffen bewertet wird; es kann eine Nähe zur fürsorglichen Organisation begründen und zugleich Distanz zu bestimmten Personen erzeugen oder umgekehrt Distanz zur anordnenden Organisation und eine Nähe zu bestimmten Personen. Ausgeschlossen werden kann m.E. lediglich, dass die Weihnachtsfeier und das dort getrunkene Bier völlig ohne jede Wirkung bleiben werden. Auf die Institutionalisierung von Vertrauen wirken die von den divergenten Interessen hervorgerufenen Spannungen somit als produktive Kräfte, die als fortlaufende, prozessierende Anforderungen im Sinne eines „Und“ (statt eines Entweder-oder) überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Handeln mit Vertrauen assoziiert und somit Vertrauen institutionalisiert wird. Eine weitere Kategorie, die die dimensionale Ausprägung der Institutionalisierung von Vertrauen verändert und mit den o.g. Spannungen eng zusammenhängt, ist die ‚Dauer und Qualität von Interaktionsgeschichten‘; diese ist im Konnex mit der Dauer und Qualität der Organisationsmitgliedschaft zu sehen. Die Erwartungen, die Personen aneinander haben, unterscheiden sich je nachdem, welche Art von Beziehung sie zueinander haben, ob sie sich persönlich kennen, ob sie sich offen füreinander gezeigt haben bzw. grundsätzlich zu einer Annäherung bereit sind, ob sie schon lange miteinander arbeiten und ob sie

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womöglich an der Auswahl und Einstellung des Gegenübers beteiligt waren. Die Institutionalisierung von Vertrauen wird somit durch einen „spezifischen Satz von Eigenschaften […] in einem dimensionalen Bereich“ (Strauss/Corbin 1996: 80) bestimmt, der als Kontext die Konstellation von Beziehungen und Interessen beinhaltet und die Erwartungen der Mitglieder aneinander und gegenüber der Organisation beeinflusst: Ob Führungskräfte das Vertrauen, das Statusunterlegene ihnen entgegenbringen, bewusst brechen, um einem Statusüberlegenen Insiderwissen anbieten und sich damit als Wissensträger_innen gerieren zu können (C1), ob Mitglieder sich schon seit dem Studium kennen und eine Familie bilden, die aus vielen einzelnen Clans besteht (B2), ob eine Person der ‚Herztyp‘ ist, die Herstellung von Vertrauen als ihre Aufgabe fasst und damit das Team aus ‚Kopftyp‘ und ‚Handtyp‘ wirkungsvoll ergänzt (B1) oder ob Personen bereits in einer anderen Organisation zusammengearbeitet haben und ihre bewährte, vertrauensvolle Interaktion im neuen Rahmen fortsetzen, dabei aber versuchen, Unabhängigkeit voneinander unter Beweis zu stellen (A1) – die Dauer und Qualität der Interaktionsgeschichten ist maßgeblich für das, was als Vertrauen typisiert wird. Ein weiterer Faktor ist schließlich die Organisationshistorie. Dass das Unternehmen auf eine lange Tradition zurückblickt, der Eigentümer von den Mitgliedern als weißhaarige, väterliche Führungs- und Identifikationsfigur (Unternehmen B) oder als eine Art autoritärer ‚Gutsherr‘ (Unternehmen C) wahrgenommen wird, dass eine Expansion des Unternehmens (B) oder ein Verkauf (C) ansteht, dass die Organisation nur auf Gewinnmaximierung als kurzfristigen Selbstzweck abzielt (C) oder auch die Personalstellen langfristig erhalten werden sollen (B), all dies beeinflusst das „Hintergrundgeräusch“, das Giddens (1996: 106; vgl. Kap. 2.2.3) als vertrauensrelevant für Interaktionen ausmacht, nach meinen Befunden auch auf der Ebene der Organisation. Während Ambivalenzen auf dieser Ebene die Interessen und Ziele abbilden, die die Organisation aktuell und für die Zukunft verfolgt (vor dem Hintergrund der jeweiligen intervenierenden Bedingungen, vgl. Kap. 6.2.3), ist die Kategorie ‚Organisationshistorie‘ auf die Vergangenheit gerichtet. Diese Dimension bildet die Interpretationsfolie dafür, ob ein bestimmtes organisationales Handeln z.B. als Wandel, als realisierbar, glaubwürdig oder konsistent, als bedrohlich oder förderlich, als zu blockieren oder unterstützenswert interpretiert wird. Dieses „Hintergrundgeräusch“ wirkt somit auch darauf, wie und in welcher Form Vertrauen institutionalisiert wird. Diese fünf Kategorien – Wahrnehmung der eigenen Rolle und hierarchischen Position, Spannungen auf der Ebene der Person/en, Spannungen auf der Ebene der Organisation, Dauer und Qualität der Interaktionsgeschichten und Organisa-

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tionshistorie – bestimmen die je spezifischen dimensionalen Ausprägungen und Eigenschaften der Institutionalisierung von Vertrauen. Zusammen mit den intervenierenden Bedingungen, die sich als genereller Rahmen auf die Institutionalisierung von Vertrauen auswirken, sie fördern oder hemmen, beeinflussen diese Faktoren auch die Handlungs- und Interaktionsstrategien im Umgang mit Vertrauen und seiner Institutionalisierung. 6.2.5 Vertrauensbezogene Handlungsund Interaktionsstrategien Die Institutionalisierung von Vertrauen erfordert Handlungs- und Interaktionsstrategien, die als dafür geeignet, zweckmäßig und erforderlich eingeschätzt werden können. Aus meiner Analyse sind vier Kategorien hervorgegangen, die solche Strategien repräsentieren: 1. 2. 3. 4.

Gewähren, Genießen und Nutzen von Freiheit/en, Trial & Error von Praktiken, Interaktionsgestaltung zwischen Berufs- und Privatperson, (mikro-)politisches Positionieren: Kontrolle durch Lenken von Informationen.

Die erste Kategorie, ‚Gewähren, Genießen und Nutzen von Freiheit/en‘, hängt mit der hierarchischen Position der Akteure und der Position der Organisation bezogen auf andere Organisationen und/oder gegenüber ihrer Umwelt zusammen. Da die Perspektive der Interviewten diejenige von Führungskräften ist, liegt es nahe, dass sie das auf Vertrauen bezogene Handeln auf Macht und Status zurückbezogen haben und es damit auch so in die Analyse eingegangen ist. ‚Freiheit‘ dient hier als Oberbegriff für Gestaltungsmöglichkeiten, Auslegungsbefugnisse, Deutungs- und Setzungsmacht, die Möglichkeit, zu handeln, nicht zu handeln oder Handeln auszusetzen, die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, auszusetzen oder zu widerrufen, die Macht, Verbindlichkeit herzustellen oder Irritation auszulösen. Interessanterweise konnte ich diese Kategorie aber auch bilden, als ich mich mit den Interviews von sechs Beschäftigten unterer Hierarchiestufen und Beschäftigten ohne Leitungsfunktion auseinandersetzte.16 Der einzige Unterschied ist, dass Freiheit dort weniger auf strukturelle Gestaltungsbefugnis bezogen wird und stärker auf die Möglichkeit der Gestaltung im per-

16 Diese Interviews fielen dann im Zuge des theoretischen Samplings und der letzten Reduktion des Datenkorpus aus dem Sample heraus (s.o. Kap. 5.2.1).

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sönlichen Nahbereich und im Hinblick auf die eigenen Aufgaben. Vertrauen wird z.B. danach typisiert, inwieweit es möglich ist, bestimmte Arbeitsschritte eigenständig und ohne Absprache mit anderen durchzuführen oder sich Anordnungen zu widersetzen, um auf fachliche Missstände hinzuweisen, und inwieweit man sich sicher ist, auch Fehler machen zu dürfen – dies sind allesamt Beispiele, die auch bei den Führungskräften vorkommen. Allerdings ist diese Typisierung stark von den jeweiligen Interessen geprägt. Das möchte ich am Beispiel des Interviews mit A2 illustrieren: Dieser berichtet, dass er im Rahmen der verantwortlichen Ausübung seiner Position (und um gegen „Ich-AGs“ vorzugehen, die er als Bedrohung für die organisationale Ordnung darstellt, 1003ff.) den internen ‚Flurfunk‘ abhört und ihn auch selbst gestaltet bzw. bewusst manipuliert. Dies stellt er als vor dem Hintergrund seiner Interessen legitim dar, weil ja aus seiner Sicht ein guter Zweck dahintersteht und sich dadurch gute Beziehungen (zu Koalitionspartner_innen bzw. Agent_innen der eigenen Seite) stabilisieren. Wenn Opponenten und Opponentinnen bzw. Agent_innen einer anderen Seite den ‚Flurfunk‘ nutzen, wird das hingegen als Mangel an „Disziplin“ (312, 988, 1003ff.) und als „Spionage“ (374, 621) streng kritisiert und ist entsprechend zu unterbinden. Das heißt: Die Freiheit der anderen ist (durch A2 wie auch durch „konsequente Vorgaben“ der Organisation) zu begrenzen. Seine eigenen Koalitionspartner_innen hingegen sollen volle Handlungsfreiheit haben, deren Ausübung gefördert und sogar belohnt werden soll. A2 selbst hat seiner Ansicht nach völlige Freiheit, so zu handeln, wie er es als richtig und erforderlich erachtet. Mit dieser Darstellung konstruiert der Befragte Vertrauen als eine politische Kategorie von Ein- und Ausschluss (vgl. Kap. 6.2.6). Würde nun die Organisation Regeln erlassen, die z.B. persönliche Kontakte zwischen den Mitarbeitenden minimieren, und feste Verfahrensregeln für E-Mails und deren Adressat_innenkreise vorgeben, würde dies den ‚Flurfunk‘ im genannten Beispiel unterbinden; damit wäre sowohl die (als konstruktiv dargestellte) Kooperation mit Koalitionspartner_innen bzw. Agent_innen der eigenen Seite als auch die (als destruktiv antizipierte) ‚Spionage‘ anderer Seiten gegenstandslos. Die Freiheit der Organisationsmitglieder, zu kooperieren oder Kooperation zu verweigern und zu koalieren oder zu opponieren, würde damit eingeschränkt. Die Institutionalisierung von Vertrauen durch vorgegebene Regeln – die in einen funktionalen Zusammenhang mit der Reduktion von Konfliktpotenzial und der Erzeugung oder Stärkung von Vertrauen gestellt wird – bekäme durch diese Form und durch ihre Anordnung qua Macht wohl eine stärker formalisierte Gestalt; sie wäre dann weniger auf soziale Interaktion als auf strukturelle Vorgaben ausgerichtet. Die Möglichkeit, Freiheit zu gewähren, in

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Anspruch zu nehmen und selbst auszuüben, ist somit eine zentrale Voraussetzung dafür, dass und in welcher Form Vertrauen institutionalisiert wird. Die zweite Kategorie der empirischen Handlungs- und Interaktionsstrategien bezeichne ich als ‚trial & error von Praktiken‘. Vertrauen wird insgesamt eine hohe Relevanz und eher eine positive als eine negative Wirkung zugeschrieben (vgl. Kap. 6.2.1). Die Praktiken, die als Vertrauen evozierend oder Vertrauen repräsentierend konstituiert werden, erscheinen hingegen heterogen, doppeldeutig, ihre Bedingungen und Konsequenzen erscheinen unsystematisch und intuitiv und werden auf die jeweilige Einzelperson bezogen reflektiert (vgl. Kap. 6.1). Die aus den Schilderungen herausgearbeiteten Praktiken prozessieren in denselben Spannungsfeldern, die ich bereits als Kontexte für die spezifischen Eigenschaften von Vertrauen (vgl. Kap. 6.2.4) benannt habe. Diese Kontexte verändern die Praxis, machen sie dadurch aber nicht eindeutiger und konformer, sondern mehrdeutiger und noch heterogener. Ich verdeutliche diesen Punkt noch einmal direkt anhand der Daten. Der Interviewte C1 ordnet das bereits angesprochene PersonalentwicklungsTool, an dessen Entwicklung er mitgewirkt hat, als unmittelbar vertrauensintendiert ein; ihm zufolge bringt die Organisation damit Fürsorge für ihre Mitglieder und eine Orientierung auf diese zum Ausdruck. Und obwohl er dieses Praxisinstrument durchaus auch kritisch sieht und dessen Eignung als Symbol und Instrument für Vertrauen nur durch die genannte Charakterisierung plausibilisieren kann, führt er es in seinem Verantwortungsbereich als Standard ein. Er hat dafür also vermeintlich gute und hinreichend rechtfertigende Gründe. Ob und wie das Instrument auf Vertrauen wirkt oder welche Reaktionen es überhaupt auslöst, kann er natürlich erst später beurteilen. Sein Kollege C2 hat an der Entwicklung des Tools nicht mitgewirkt. Er steht diesem Instrument zudem sehr kritisch gegenüber und ist der Meinung, dass es mittel- bis langfristig vertrauensschädlich wirken und Misstrauen fördern wird. Entsprechend führt er es in seinem Verantwortungsbereich nicht ein, obwohl er das eigentlich sollte. Er hat für diese Unterlassung also vermeintlich gute und hinreichend rechtfertigende Gründe. Dabei unterlässt er es auch, seine statusgleichen Kollegen und Kolleginnen oder seine Vorgesetzten entsprechend zu informieren. Dies erzeugt zwangsläufig unterschiedliche Realitäten innerhalb der Organisation: Der Vorstand geht davon aus, dass das Instrument flächendeckend eingeführt ist, während die Mitarbeitenden in einzelnen Bereichen davon überhaupt nichts wissen. Ob und wie das Instrument in den anderen Bereichen auf Vertrauen und Misstrauen wirkt und welche Folgen es für alle Beteiligten hat, dass er es seinen Beschäftigten vorenthält, kann C2 natürlich erst später beurteilen.

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Der Umgang mit diesem Personalentwicklungs-Tool ist beispielhaft für alle Praktiken, die als Strategien im Umgang mit Vertrauen und seiner Institutionalisierung identifiziert werden konnten: Sie basieren stets auf einem Prozess von trial and error, der mal auf reflektierten Versuchen basiert, mal unreflektiert erfolgt; insgesamt ist er seltener explizit intendiert, sondern entsteht überwiegend evolutionär und beiläufig. Die dritte Kategorie, ‚Interaktionsgestaltung zwischen Berufs- und Privatperson‘, nimmt zum einen die in Kapitel 6.2.4 genannte Kategorie ‚Wahrnehmung der eigenen Rolle und hierarchischen Position‘ auf, zum anderen zwei der Spannungs- und Interessenfelder, die ich als Kontext beschrieben habe, die hier jedoch als intraindividuelle Handlungsdimensionen relevant werden: Informalität/Privatheit vs. Formalität/Beruflichkeit und Nähe vs. Distanz. Diese dritte Kategorie umfasst die Art und Weise des Auftretens in einer Interaktion, die mit einer Person in ihrer Rolle identifiziert ist. Dieser Aspekt trägt als Selbst- oder Fremdbild17 insbesondere deshalb zur Typisierung von Vertrauen bei, weil entsprechende Praktiken in auffälliger Weise individuell bezogen werden. Die für Vertrauen und seine Institutionalisierung angeführten Plausibilitätskriterien folgen einem klaren Muster: Mit Rekurs auf das Organisationsziel wird zunächst auf die Sachlogik verwiesen (wirtschaftlicher Erfolg, Konkurrenz verdrängen usw.), dann gesundes Vertrauen als dienliche Ressource konstruiert, dann eine für die eigene Person geltende (d.h. in gewisser Weise selbstoffenbarende) Begründung für eine bestimmte Überzeugung oder Praxis eingebracht. Dieser Verlauf ist zum Teil der Methode des Interviews geschuldet, das derartige Gestaltschließungen im Sinne von Schütze (1983) dadurch auslöst, dass beide Seiten in sich geschlossene Kurzdarstellungen mit konkreten Beispielen anstreben. Er belegt aber auch die Möglichkeit, dass Anteile der Berufs- und der Privatperson ineinander verschwimmen und Identitätspolitiken das Handeln und die Interaktionsgestaltung innerhalb der Organisation beeinflussen. Diesen Einfluss von Identitätspolitiken auf die Organisation möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen. 17 Ich habe in meinen Analysen jeweils nur das Selbstbild und das von den Akteuren implizierte Fremdbild untersucht. Im Fremdbild manifestieren sich von außen zugeschriebene Erwartungen, im Selbstbild die eigenen Erwartungen. Diese Erwartungen können jeweils heterogen und widersprüchlich sein, und auch zwischen den eigenen Erwartungen und Interessen und denen der anderen können erhebliche Widersprüche bestehen, die in Dilemmata münden können. Die Plausibilisierung der Vertrauenswirksamkeit von Haltungen und Handlungspraktiken über (selbst-) charismatisierende Zurechnungspraktiken legt eine identitätspolitische Nutzung von Vertrauen nahe.

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Das erste Beispiel zeigt das Verschwimmen der Grenze zwischen Berufsund Privatperson in Bezug auf den Umgang mit Informationen: Der Interviewte C1 berichtet, dass er mit einer Angehörigen seines Vorgesetzten liiert ist, der zugleich Vorstandschef ist. Diese Beziehung ist im Unternehmen bekannt; C1 sieht dies als Grund dafür, dass er in die Informationsflüsse zwischen anderen Organisationsmitgliedern nur begrenzt eingebunden ist und ihm mutmaßlich weniger Vertrauen entgegengebracht wird. Um seine Neutralität und Vertrauenswürdigkeit darzustellen, behandelt er seine Partnerin innerhalb der Organisation kritischer als andere Personen. Zugleich berichtet er, dass er im privaten Rahmen vertrauliche Informationen mit ihr bespricht. Diese Art des Umgangs mit Informationen in der beruflichen und der privaten Sphäre bezieht er generalisierend auch auf andere: Er reflektiert darüber, welche Personen „Buddys“ sind, wie diese Personen zu ihm stehen, was er vor dem Hintergrund ihrer Beziehung zueinander an sie weitergibt und was er ihnen vorenthält. Er distanziert sich also in der beruflichen Interaktion von Agent_innen der anderen Seite, aber auch von der Person aus seinem privaten Nahbereich; seinen unmittelbaren Teammitgliedern wendet er sich zu und versucht, ihnen vertrauenswürdig zu erscheinen und darüber Informationen zu gewinnen. Das zweite Beispiel veranschaulicht das Ausmaß, in dem berufliche Ereignisse auf private Situationen wirken und vice versa, und das Muster aus sachlogischer Plausibilisierung, Relevantsetzung von Vertrauen und Darstellung einer auf die eigene Person bezogenen Überzeugung: B2 beschreibt im Interview eine Konfliktsituation mit einem Kollegen, die ihn sehr stark belastet hat und sogar gesundheitliche Folgen hatte. Von diesen Auswirkungen, die an und für sich privater Natur sind, hat er innerhalb der Organisation einigen Personen berichtet, außerdem hat er seinem Vorgesetzten einen Gesprächs- und Unterstützungsbedarf angezeigt. In dem betreffenden Gespräch fühlte er sich dann ernst genommen, und es wurde mittelfristig eine für ihn zufriedenstellende Lösung gefunden. B2 sieht dies zum einen als Vertrauenshandlung seines Vorgesetzten; zum anderen sieht er es als eine eigene Vertrauenshandlung, dass er sein Team über die Hintergründe informiert hat. Diese Situation und den darin praktizierten Umgang mit Vertrauen führt er als Beispiel für eine Handlung an, mit der er seinem Team und seinem Vorgesetzten Vertrauen erwiesen und darüber zugleich Vertrauen aufgebaut hat. In beiden Beispielen geht es um Situationen, in denen die Grenze zwischen Organisation und Privatbereich verschwimmt und die Rollen von Organisationsmitglied einerseits und Privatperson andererseits ineinander übergehen. Beide Schilderungen zeigen, dass die Institutionalisierung von Vertrauen eine Interaktionsgestaltung erfordert, die sowohl die Berufs- als auch die Privatperson

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einbezieht; diese Interaktionsgestaltung manifestiert sich in dem Muster von Sachlogik, Relevanzzuschreibung und individueller Überzeugung. Darüber hinaus beinhalten diese zwei Beispiele – ebenso wie die weiteren Beispiele in diesem Kapitel – eine Dimension, die in zugespitzter Form die letzte Kategorie der in diesem Kapitel behandelten Handlungsstrategien darstellt: Die Institutionalisierung von Vertrauen ist auf der Handlungsebene empirisch stets verbunden mit einem (mikro-)politischen Positionieren und in diesem Zusammenhang einem Kontrollgewinn, der durch das Lenken von Informationen entsteht. Den ‚Flurfunk‘ für eigene Zwecke strategisch zu beeinflussen, ein Personalentwicklungs-Tool zu implementieren, dessen Implementierung stillschweigend zu verweigern und dies dem Vorgesetzten nicht mitzuteilen, privat nahestehende Personen im Organisationskontext bewusst und für andere wahrnehmbar distanziert zu behandeln, sich durch die Information, dass ein Arbeitskonflikt einen gesundheitlich belastet, verletzbar zu zeigen – all diese Handlungsweisen werden empirisch mit Vertrauen in Verbindung gebracht. Die Formel ist ebenso simpel wie gehaltvoll: Information erzeugt Vertrauen, Vertrauen generiert Information. Die bewusste und strategische Steuerung von Informationen wird mit der Möglichkeit verbunden, auf der Sach- wie auf der Sozialebene einen Vorsprung zu gewinnen oder zu stabilisieren. Im Organisationskontext gilt es, sich – hinsichtlich der in Kapitel 6.2.4 aufgezeigten Spannungs- und Interessenfelder – zu positionieren, und zwar als Berufsperson ebenso wie als Privatperson. Weil die Vertrauenswirkung von Handlungen aber nur angenommen, nicht sicher vorhergesagt werden kann, erfolgt Selbstpositionierung über das Ausüben von Kontrolle (v.a. Informationskontrolle). Dies ist erforderlich, um nicht der/die Dumme zu sein, der/die aufgrund von ungesundem Gottvertrauen und Naivität das Nachsehen hat oder die eigene Rolle nicht verantwortungsbewusst ausübt und wider besseres Wissen kein gesundes Misstrauen praktiziert hat. Die unterschiedenen vertrauensbezogenen Handlungs- und Interaktionsstrategien sind ebenso Voraussetzung für die Institutionalisierung von Vertrauen wie deren Konsequenz. Damit wende ich mich dem letzten Bestandteil meines Modells zu: den Konsequenzen. 6.2.6 Konsequenzen der Strategien zur Institutionalisierung von Vertrauen Die vertrauensbezogenen Handlungs- und Interaktionsstrategien haben Konsequenzen, und diese wirken wiederum auf Vertrauen und seine Institutionalisierung zurück. Sie sind also nicht statisch, sondern prozesshaft. Im Zuge meiner

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Analyse haben sich fünf Kategorien herausgebildet, die die Konsequenzen der heterogenen Strategien bündeln: 1. 2. 3. 4. 5.

unterschiedliche Vertrauenstypen, unterschiedliche Regeltypen, Ex post-Charismatisierung von Verfahren, Ein- und Ausschluss von Mitgliedern, (verschiedene) Ausprägungen der Institutionalisierung von Vertrauen.

In der ersten Kategorie, die ich ‚unterschiedliche Vertrauenstypen‘ genannt habe, bündele ich die bereits mehrfach angesprochenen Differenzierungen von Vertrauen in gesund/ungesund (vgl. Kap. 6.1.7) und in fachlich/persönlich. Die Differenzierung gesund/ungesund verweist auf die normative Deutung bestimmter Handlungen, die im Ergebnis als bestimmte Typen von Vertrauen konstituiert werden: ‚Gesundes Vertrauen‘ bezeichnet, ebenso wie sein Synonym ‚gesundes Misstrauen‘, eine als angemessen dosiert bewertete Kontrollform. Das Gesunde daran spiegelt das Positive, das Vertrauen habitualisiert zugeschrieben wird: eine verantwortliche Ausübung der Rolle, die Legitimität der professionellen Rolle oder die Legitimität des organisationalen Handelns, eine zugrunde liegende konstruktive, eher wohlwollende Erwartung. ‚Ungesundes Misstrauen‘ hingegen ist Bedingung und Konsequenz eines als unangemessen engmaschig wahrgenommenen Kontrollverhaltens, bei dem Indizien und Beweise gesammelt werden, die eine negative bzw. destruktive Erwartung bestätigen. Die rückblickende Bewertung als ungesund klassifiziert eine solche Praxis als nicht wünschenswert und zu vermeiden. Dieser Typ von Vertrauen oder genauer von Misstrauen schränkt Freiheit stärker ein als gesundes Misstrauen. Empirisch realisiert er sich in Praktiken, die Macht gebrauchen, um bestimmte Strukturen anzuordnen, z.B. Arbeitszeitregelungen, Vorgaben zu Firmenwagen oder Weiterbildungsoptionen, aber auch in der bereits angeführten ‚Spionage‘ und konspirativer Koalitionsbildung. ‚Ungesundes Vertrauen‘ äußert sich im Unterschied zum aktiven ‚ungesunden Misstrauen‘ als Passivität, Naivität, Gleichgültigkeit und unzureichende Ausübung von Verantwortlichkeit, die insgesamt zu einem schlechten Ergebnis führt. Mit ‚ungesundem Misstrauen‘ hat es gemein, dass es ebenfalls konspirative Koalitions- und Allianzbildung fördern kann, die hier aber weniger als eine Form der Gegenwehr erscheint denn als Kompensation (von Orientierung, Unsicherheit, Marginalisierung). Die Zurechnung von Handlungsweisen auf ‚ungesundes Vertrauen‘ oder ‚ungesundes Misstrauen‘ richtet sich nach der Position der/des Bewertenden und den spezifischen kommunikativen Erfordernissen. ‚Ungesundes Vertrauen‘ bezeichnet damit ein Zuwenig an verantwortlicher

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Ausübung der Rolle oder an Handeln, ‚ungesundes Misstrauen‘ ein Zuviel an Handeln, das dadurch nicht mehr verantwortlich ist. ‚Ungesund‘ steht somit für ‚unverantwortlich‘. Ob dieses qualifizierende Merkmal mit Vertrauen oder mit Misstrauen in Verbindung gebracht wird, hängt m.E. ebenfalls von der Position der/des Bewertenden und den spezifischen kommunikativen Erfordernissen ab. Dies lässt sich am Beispiel der normativen Einordnung politischer Positionierung durch Koalitionsbildung verdeutlichen: Bezieht sich die betreffende Person auf eigenes koalierendes Handeln, wird sie dieses eher nicht als Spionage und konspirative Klüngelei ausweisen, sondern den negativen Impetus abschwächen und es als ‚ungesundes Vertrauen‘ einordnen, um enttäuschte Hoffnung oder enttäuschten Glauben in Bezug auf eine Person oder ein Handeln zum Ausdruck bringen – dies ist, überspitzt gesagt, die Täterperspektive. Klagt sie dagegen entsprechendes Handeln von anderen, z.B. zur Gegenseite gehörenden Personen an, wird sie eher von ‚ungesundem Misstrauen‘ sprechen, um den negativen Impetus zu betonen und implizit auf die eigene Machtlosigkeit in dieser Sache zu verweisen – das ist sozusagen die Opferperspektive. Die zweite Differenzierung von Vertrauenstypen, die in diese Kategorie eingeht, ist die in fachlich und persönlich. Diese empirische Unterscheidung wurde zwar durch den Interviewleitfaden evoziert; die Form, in der sie aufgegriffen wurde, erhärtet jedoch die schon in Kapitel 6 unterstrichene Bedeutung von Beziehungen und Interaktion für die empirische Konstruktion von Vertrauen und die Praxis seiner Dar- und Herstellung. Die Differenzierung von persönlichem und fachlichem Vertrauen als Ergebnis (und möglicher Vorschuss) von Interpretations- und Interaktionsprozessen hat verschiedene Konnotationen, die sich auf die Zeit- und die Sozialdimension beziehen: Fachliches Vertrauen – empirisch verstanden als Vertrauen in die fach- und sachbezogene Kompetenz einer Person und in ihre Bereitschaft, diese Kompetenz für das Erreichen der organisationalen Ziele einzubringen – kann im Sinne von Zutrauen in die fachliche Eignung eine konstruktive Erwartung für die Zukunft ausdrücken in dem Sinne, dass man auf die Eignung einer Person vertraut (die man z.B. im Bewerbungsverfahren mit ausgewählt hat), und damit auch die Grundlage für persönliches Vertrauen bilden. Ebenso kann persönliches Vertrauen – empirisch verstanden als Vertrauen in die Person/Organisation, ihre Motive und ihre Berechenbarkeit durch die Erwartung konsistenten Handelns – einen Grad von Annäherung ermöglichen, der für die Entwicklung fachlichen Vertrauens erforderlich ist oder sie jedenfalls erleichtert; beispielhaft für diesen Gedanken steht die (in Kap. 6.1.3 bereits entworfene) Idee des institutionalisierten ‚Biertrinkens‘, das formal von der Organisation ermöglicht wird, aber als solches informell ist: Hier sollen sich Personen näher kennenlernen, die noch keine Berührungspunkte hatten. Nehmen

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sie sich gegenseitig als persönlich aufgeschlossen wahr und erwächst daraus die Voraussetzung für weitergehende persönliche Interaktion, könnten sich daraus schließlich fachliche Synergien ergeben, die ihrerseits fachliches Vertrauen voraussetzen und solches wiederum hervorbringen. Ich fasse die beiden unterschiedlichen Vertrauenstypen (gesund/ungesund und fachlich/persönlich) in meinem Modell als rekursive Konsequenz der Institutionalisierung von Vertrauen, weil sie in meinen Daten semantisch zur Gestaltschließung genutzt werden, mit der Handeln rückwirkend plausibilisiert und (durchaus in identitätspolitisch-charismatisierender Funktion) auf Vertrauen zugerechnet wird. Die zweite Kategorie, die ich den Konsequenzen zuordne, ist die der ‚unterschiedlichen Regeltypen‘. In den Kapiteln 6.1.1 bis 6.1.8 habe ich anhand verschiedener Ausschnitte aus meiner empirischen Analyse gezeigt, dass einerseits Kontrolle und Regeln, die (aus der Perspektive der Akteure) für den Erhalt der Organisation (aber auch der Abteilung oder des Teams) vermeintlich konstitutiv sind (z.B. Konsequenzen bei Fehlverhalten), mit der Darstellung von Verantwortlichkeit und der Herstellung von Orientierung und Sicherheit verbunden werden. Andererseits bringt Kontrolle durch das Steuern von Informationen ‚gute‘ wie ‚schlechte‘ Koalitionen, Spionage und (mikro-)politische Positionierungen hervor – unabhängig davon, ob die Umsetzung der Regeln durch formalisierte und informale Kontrollpraktiken überwacht wird oder nicht. Als eine Kategorie der Konsequenzen beziehen sich die unterschiedlichen Regeltypen (und auch Kontrolltypen) auf die Ergebnisdimension. In den kommunikativen Plausibilisierungen von Handlungsweisen sind vier grundlegende Verläufe zu identifizieren: a) Vertrauensvorschuss → Kontrolle in Form von gesundem Vertrauen/Misstrauen → Bewährung → Vertrauen b) Misstrauensvorschuss → Kontrolle in Form von ungesundem Misstrauen → Beweis für Zweifel und Kritik → verstärktes Misstrauen c) Vertrauensvorschuss → Kontrolle in Form von gesundem Vertrauen/ Misstrauen → keine Bewährung → Misstrauen d) Misstrauensvorschuss → Kontrolle in Form von gesundem Vertrauen → Bewährung → Neutralität, ggf. Vertrauen Diese Verlaufstypen erlauben drei wichtige Beobachtungen in Bezug auf die Institutionalisierung von Vertrauen und die Konsequenzen der Strategien zu ihrer Realisierung:

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Erstens schließen sich Vertrauen und Kontrolle auf der Basis ungesunden Misstrauens empirisch aus. Diese Beobachtung wirkt zunächst trivial; sie wird aber interessant, wenn die Rezeption und Interpretation der Kontrolle aus der Perspektive der kontrollierten Person gedacht wird: Eine geringfügige Erhöhung von Kontrollen in bestimmten Bereichen – die von der kontrollierenden Person oder Organisation eventuell vor allem als konstruktiv-fürsorgliche und Vertrauen ermöglichende Prozesskontrolle intendiert ist – kann ebenso als Kritik oder Misstrauensvotum aufgefasst werden wie eine als unangemessen engmaschig bewertete Kontrolle, die vorrangig auf destruktiven Erwartungen basiert. Mehr Struktur, eine stärkere Formalisierung und neue Regeln müssen von den Organisationsmitgliedern nicht immer oder ausschließlich als konstruktiver Orientierungsgewinn interpretiert werden, sondern können auch Widerstand auslösen. Die Deutung der Rezipient_innen kann von der Intention erheblich abweichen. Dass eine engmaschige Kontrolle über einen längeren Zeitraum als unterstützend intendiert ist, erscheint mir aber auf der Basis der Befunde unwahrscheinlich. Diese Überlegungen bieten auch einen Interpretationsansatz dafür, dass z.B. Transparenz manchmal als konstruktiv und manchmal als destruktiv bewertet wird: Die Motive und Ziele von Veränderungen offenzulegen kann eine Identifikation damit und die Ausrichtung auf ein gemeinsames Interesse ermöglichen; sie kann aber auch abschrecken, wenn das Offengelegte als mit bestimmten partikularen oder individuellen Interessen konfligierend gesehen werden kann. Ein anschauliches Beispiel hierfür aus dem Datenmaterial ist die Einführung der Arbeitszeiterfassung in Unternehmen C: C1 betont, dass diese ein Mittel zur produktiven Effizienzsteigerung sei, und zeigt sich erstaunt darüber, dass die Beschäftigten dieses Instrument ablehnen und die Ausnahmeregelungen für das Topmanagement als ungerecht bewerten. Die Problematisierung von divergenten Interpretationen eines bestimmten Handelns passt dazu, dass C1 in Bezug auf den Umgang mit Vertrauen (und vermutlich auch anderen Themenfeldern) von inoffizieller Wahrheit und offiziellem Schein spricht – er zeigt sich über diese Diskrepanz jedoch nicht erstaunt. Als Schein bezeichnet er die strategische Aufbereitung und Steuerung von legitimierenden Informationen, als Wahrheit die strategischen Interessen, die z.T. schwer zu plausibilisieren und ggf. nicht zu legitimieren sind. Zweitens sind die Verlaufstypen 3 und 4 insofern bemerkenswert, als sie den Prozess von Erosion und Herstellung von Vertrauen in Organisationen auf die bestechend einfache Formel eines Entweder-oder reduzieren: Am Anfang steht entweder ein Vertrauensvorschuss oder ein Misstrauensvorschuss. Diese Verengung ist sehr voraussetzungsreich: Sie blendet die unterschiedlichen Vertrauenstypen aus, berücksichtigt keinerlei Bedingungen, sondern definiert einen ver-

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meintlich klaren Status quo. Was aus einer analytischen Perspektive unhaltbar unterkomplex erscheint, ist aus der Perspektive der Akteure eine notwendige Komplexitätsreduktion. Um ihr Handeln in bestimmten Situationen zu steuern und es ex post argumentativ zu legitimieren, benötigen sie eine (vermeintlich) klare Position, die durch die Verkürzung erst semantisch darstellbar wird. Drittens schließlich erscheint es mir wichtig, dass die vier Typen im Datenmaterial jeweils als singulärer Verlauf entworfen, aber nicht zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dadurch wirken die einzelnen Verlaufsformen und Strategien, die in den Interviews jeweils anhand bestimmter Situationen entworfen werden, sachlogisch zwingend. Zugleich werden so Dissonanzen und Nuancen verdeckt, das Handeln erhält einen rezeptartigen Zuschnitt: Wenn A, dann B. Zumindest in der kommunikativen Darstellung wird ausgeblendet, dass Interaktion und Handeln nur höchst selten ‚bei null‘ beginnt und dass sich in Interaktionsgeschichten und Organisationshistorien über die Zeit alle vier Verlaufsformen finden können, die sich in unterschiedlicher Weise aneinanderreihen, sich fortsetzen, abwechseln und neu formieren. Dies lässt darauf schließen, dass das Prozesshafte von Vertrauen und seiner Institutionalisierung zu komplex ist, als dass es kommunikativ dargestellt und reflektiert werden könnte. Damit komme ich auf die dritte der eingangs genannten Kategorien von Konsequenzen: die ‚Ex-post-Charismatisierung von Verfahren‘. Diese werden legitimiert, indem sie zu ihrem Nutzen für die Organisation in Beziehung gesetzt werden und dadurch auch zu ihrem Beitrag zu Vertrauen. Empirisch entspricht der Nutzen einer Praxis für die Organisation oder die jeweilige Person ihrem Beitrag zu Vertrauen. Dabei geht es in der kommunikativen Darstellung darum, im Sinne einer (identitätspolitischen) Charismatisierung das eigene Handeln als „supererogatorische Leistung“ (Luhmann 2014[1968]: 55; Kursivsatz im Original)18 zu zeigen und damit aufzuwerten oder die Organisation vorteilhaft gegen andere (z.B. die Konkurrenz) abzuheben – Vertrauen dient also den Identitätspolitiken von Personen und Organisationen. Welche Strategie sich in welcher Weise auf Vertrauen auswirkt und wie eine bestimmte Strategie als Mittel zur Herstellung von Vertrauen auf dieses bezogen wird, ist vor allem ein Ergebnis persönlicher, z.T. auf die Organisationsebene generalisierter Interessen und als geeignet erachteter Plausibilisierungen, die vorrangig auf den Organisationserfolg zugespitzt werden. Weil die Wirkungen der Praktiken auf Vertrauen nur vage vermutet werden können, ist eine Zurechnung in den Erzählungen ex post 18 Das Konzept der Supererogation ist in der Theologie verankert und auch Gegenstand der Moralphilosophie bzw. der (normativen) Ethik. Es bezeichnet einzelne Handlungen, mit denen jemand mehr leistet, als seine Pflicht von ihm fordert (vgl. Wessels 2002).

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konkreter möglich als ex ante: Erst im Nachhinein kann Handeln kommunikativ als vertrauenswirksam plausibilisiert werden. Daher spreche ich von einer Expost-Charismatisierung. Es geht dabei nicht nur um eine Aufwertung des Handelns, sondern ebenso um dessen Einordnung. Die Charismatisierung ex post stellt eine Integrationsleistung dar; damit wird Handeln stimmig in die subjektiven Werte und Regeln eingeordnet und so die Identifikation als Mitglied der Organisation fortgeschrieben. Auf der Ebene der Organisation ist eine solche (nachträgliche und charismatisierende) Interpretation der Handlungsstrategien als erfolgreich und stimmig eine Voraussetzung für ihren Erhalt: Als ein Effekt dieser Charismatisierung, die Regeln und Werte als passend und als richtig und wertvoll einordnet, ist m.E. eine Stabilisierung der Organisationsgrenzen anzunehmen. Das führt zur nächsten Kategorie von Konsequenzen: Die in den Interviews angesprochenen Strategien im Umgang mit Vertrauen und seiner Institutionalisierung haben u.a. eine Auswirkung, die ich als ‚Ein- und Ausschluss von Mitgliedern‘ bezeichne. Die Selbstpositionierung durch bestimmte Kontrollpraktiken und die Steuerung von Informationen führt dazu, dass einige der anderen Akteure an Informationen teilhaben, andere hingegen davon ausgeschlossen werden; einige erfahren Zutreffendes, andere Unzutreffendes; einige ‚spielen Schach‘, andere werden als ‚Schachfiguren‘ funktionalisiert; einige werden als ‚Freunde‘ ernst genommen, andere nicht. Wer potenziell stigmatisierungsfähiges oder anderweitig nützliches Wissen hat, das ihm (potenziell) eine Sonderrolle verleiht, verfügt über die zentrale Ressource im Organisationskontext, mit der ein Vorsprung bzw. Gewinn erzielt werden kann. Dieser Gewinn beschränkt sich keineswegs steigerungslogisch auf ökonomische Wettbewerbsvorteile; er kann z.B. auch in Freundschaften bestehen, die mit der konstruktiven Erwartung von Verständnis, Wohlbefinden, Spaß am Arbeitsplatz und produktiver Kooperation in Verbindung gebracht werden. Im Zusammenhang mit Informationen greifen sachlich-fachliche und soziale Ebene ineinander und bestimmen den Grad der (gefühlten) Zugehörigkeit; so vollzieht sich Ein- und Ausschluss. Die letzte Kategorie des Modells sind die ‚(verschiedenen) Ausprägungen der Institutionalisierung von Vertrauen‘. Hier zeichnet sich ein klarer Unterschied ab: Die verschiedenen Konstrukte von Vertrauen können als fest institutionalisiert bewertet werden: Als wünschenswerter, positiv konnotierter Wert ist Vertrauen eindeutig routinisiert, Bezüge zwischen eigenem Handeln und einer förderlichen Wirkung auf die Entwicklung und Stabilisierung von Vertrauen werden mit identitätspolitisch-charismatisierendem Bedeutungsgehalt hergestellt. Demgegenüber ist für die darauf bezogenen Praktiken gegenwärtig ein erheblich schwächerer Grad der Institutionalisierung zu erkennen. Sie hängen

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sehr stark vom Individuum ab, denn das Konstrukt ist von zahlreichen Nuancen und situativen Bedingungen geprägt. Sachlogisch-rationale Begründungen oder Rechtfertigungen für die Umsetzung von (vermeintlich klar) vertrauensorientierten Praktiken bleiben ex ante weitgehend offen und deren Effekte zu wenig vorhersagbar, als dass sie eindeutig habitualisiert typisiert werden könnten. Da ich bereits mehrfach auf die Ausprägungen von Vertrauen eingegangen bin und im Folgenden auf diese Kategorie noch weiter eingehe (vgl. Kap. 7.2 und 7.3), belasse ich es hier bei dieser kurzen Darstellung. Damit habe ich alle Bestandteile meines theoretischen Modells der Institutionalisierung von Vertrauen (s.o. Kap. 6.2), ihre jeweiligen Kategorien sowie die Beziehungen zwischen diesen Bereichen erläutert, die ich in der Analyse herausgearbeitet und nach der Heuristik des paradigmatischen Modells der Grounded Theory eingeordnet habe. Im nächsten Kapitel schließe ich meine Untersuchung mit einem Fazit und einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen des Themas ‚Vertrauen‘ und Ansatzpunkte für weitere Forschung ab.

7. Fazit und Ausblick

Die empirischen Konstrukte von Vertrauen in Organisationen weisen – dieser Befund ist nicht unerwartet – alle Merkmale auf, die in der vertrauenssoziologischen Theorie in Bezug auf das Phänomen bekannt sind. Die Konstrukte sind zwar stets graduell unterschiedlich nuanciert und vor dem Hintergrund einzigartiger situativer Bedingungen entworfen, insgesamt jedoch finden sich die in Kapitel 2 beschriebenen Merkmale in diesem Kontext wieder: Vertrauen ist auch hier konstruktiv in dem Sinne, dass ihm eine positive Erwartung bezüglich des Handelns und der Verlässlichkeit von anderen innewohnt, und visionär in dem Sinne, dass es Orientierung über die Zukunft gibt und ermöglicht, sich trotz der damit verbundenen Ungewissheit in Bezug auf diese Zukunft zu positionieren. Es geht auch in diesem Kontext um die Bereitschaft, sich verletzbar zu machen und zu zeigen. In den empirischen Konstrukten im Kontext von Organisationen wird Vertrauen ebenfalls Misstrauen als ein Antonym gegenübergestellt, und als sein Gegenpol auf der Negativskala wird Angst konstruiert. Auch in Organisationen ist Vertrauen ein relationales Phänomen, das Vertrautheit und ein bestimmtes Gleichgewicht von Nähe und Distanz erfordert; diese wiederum gründen auf persönlicher Erfahrung, sowohl mit Personen als auch mit Strukturen, Letzteres in diesem Fall vermittelt über Personen, die diese Strukturen erschaffen oder repräsentieren. Es geht auch in diesem Kontext um die Bereitschaft zu Offenheit und Nähe, zu persönlichem Kontakt und dazu, sich zu etwas oder jemandem in Beziehung zu setzen. Vertrauen erfordert auch im Kontext von Organisationen ein gewisses Maß an Transparenz, das individuell als hinreichend wahrnehmbar sein muss, um Zutrauen zu begründen, Verlässlichkeit einschätzbar zu machen und Vertrautheit zu erzeugen. Auch innerhalb von Organisationen kann Vertrauen Verhältnisse sowohl verschleiern als auch transparent machen. Die interviewten Akteure beschreiben Vertrauen als Aufgabe, die in ihren Zuständigkeitsbereich fällt, d.h. als eine Führungsaufgabe, die sich vorrangig auf

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das Personal und die Handlungskoordination bezieht. Dass Führungskräfte sich für die Gestaltung von Vertrauen und Vertrauensbeziehungen in irgendeiner Weise verantwortlich sehen, ist als Befund ebenso wenig überraschend wie die weitgehende Übereinstimmung der empirischen Realität in Bezug auf Vertrauen mit der Vertrauenstheorie; schließlich haben Führungskräfte eine besondere hierarchische Position, die es mit sich bringt, dass sie das Handeln zwischen verschiedenen Ebenen einer Organisation koordinieren und dabei Strukturen, Kommunikation und Organisationsmitglieder über Informationen formal und informal lenken (vgl. Kap. 3.1.1). Ihre Verantwortlichkeit (in ihrer Rolle als Führungskraft) für das Soziale innerhalb von Organisationen geht in einer empirisch beschriebenen Zuständigkeit für die Dar- und Herstellung von Vertrauen auf, die sich auf die Institutionalisierung von Vertrauen auswirkt. Bis hierher sind die Ergebnisse also wie gesagt kaum unerwartet. Überraschender erscheinen mir andere, für den Kontext spezifischere Befunde, die ich zum Abschluss meiner Untersuchung darstellen möchte. Im Folgenden beantworte ich zunächst meine Untersuchungsfrage, wie Vertrauen in Organisationen konstruiert und praktiziert wird (Kap. 7.1). Dabei verzichte ich darauf, mein theoretisches Modell aus Kapitel 6.2 und die Erläuterungen dazu umfassend zu wiederholen, und skizziere nur zugespitzt die für den Kontext spezifischen Ergebnisse. Meine Fragestellung setzte unterhalb eines größer gefassten Untersuchungsziels an: der Konkretisierung von Intraorganisationsvertrauen. Diese Konkretisierung nehme ich im Anschluss an die Skizze der Befunde zur Organisation vor und greife dabei auch Aspekte der kontextspezifischen Konstrukte und Praktiken auf (Kap. 7.2). Anschließend stelle ich Überlegungen dazu an, wie sich die Institutionalisierung von Vertrauen im Kontext von Organisationen zukünftig entwickeln könnte (Kap. 7.3). Dann setze ich mich in einer kritischen Reflexion mit der Generalisierbarkeit meiner Befunde auseinander und argumentiere für eine Perspektive, die über ökonomisch-rationalistische Ansätze hinausgeht (Kap. 7.4). Abschließend skizziere ich weitere Forschungsbedarfe, methodische Alternativen und Aspekte in meinen Befunden, bei denen weitere Forschung ansetzen könnte (Kap. 7.5).

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7.1 K ONTEXTSPEZIFISCHE K ONSTRUKTE UND P RAKTIKEN ZU V ERTRAUEN INNERHALB VON O RGANISATIONEN Der intensive Kodier- und Interpretationsprozess – den die Ergebnisdarstellung in Kapitel 6 nur ausschnittweise wiedergeben konnte – hat gezeigt, dass Vertrauen stets im Zusammenhang mit den je singulären situativen Bedingungen zu sehen ist und dass das empirische Konstrukt von Vertrauen etliche Nuancen aufweist; daher spreche ich im Weiteren von Konstrukten im Plural. Trotz dieser Nuancen wurde das Spezifische an den Konstrukten von Vertrauen im Organisationskontext erkennbar: Sie heben alle auf die strategische und politische Nutzung von Vertrauen sowie auf dessen prozesshafte Erscheinung ab. Vertrauen wird in diesem Kontext als eine ebenso elementare wie funktionale Grundressource gefasst, die ebenso als produktive Voraussetzung wie als Gestaltungsvariable und auch als Ergebnis eines möglichst konstruktiven Umgangs mit Beziehungen und Informationen beschrieben wird. Vertrauen soll helfen, Interessen, Handeln und Ziele aufeinander abzustimmen und Letztere idealerweise zu homogenisieren. Die Vermittlungsfunktion von Vertrauen erstreckt sich auf vielfältige Relationen: zwischen der Organisation bzw. dem Organisationsziel, dem offiziellen Arbeitsauftrag, dessen inoffizieller Ausgestaltung und den jeweiligen Bedürfnissen der Mitglieder. Letztere fungieren als (berufliche) Organisationsmitglieder, aber auch als Privatpersonen; entsprechend wird Vertrauen als Einflussfaktor auf der fachlichen wie auch der persönlichen Ebene konzipiert. Vertrauen wird empirisch insbesondere dort relevant gesetzt, wo Spannungsfelder bzw. Ambivalenzen das Handeln in der Organisation vor vielfältige, z.T. divergierende Begründungsansprüche stellen. Es wirkt in komplexen Spannungsfeldern, die sich aus unterschiedlichen Interessen ergeben, z.B. Transparenz und Geheimnis, Autonomie und Abhängigkeit, Kooperation und Konkurrenz, Nähe und Distanz, Privatheit und Beruflichkeit (vgl. Abb. 9). Solche Spannungen innerhalb der Organisation und/oder zwischen Personen gibt es immer, in Form gegensätzlicher Partikularinteressen oder unterschiedlicher Bewertungen, die sich vor allem unter den Bedingungen von Veränderung, externen Marktanforderungen und Konkurrenzdruck zeigen. Auf Vertrauen wird im thematischen Zusammenhang mit Interessen, Informationen und Beziehungen rekurriert, wobei stets ein Bemühen um professionelle, sach- und fachorientierte Konstruktivität und Angemessenheit der Mittel dargestellt wird. Die Plausibilisierungen legen zugleich die spezifischen Verletzbarkeiten der Akteure innerhalb des Feldes offen: Auf Akteursebene ist dies zum

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einen das Ringen um Einschluss (der eigenen Person, der eigenen Interessen, der Mitstreiter_innen) in Informationszirkel und Ausschluss (dessen, was abgelehnt wird, ob dies nun bestimmte Personen, Themen oder Interessen sind) davon und damit die Chance, an und in der Organisation teilzuhaben oder davon ausgeschlossen zu sein. Zum anderen ist es die Angst vor einem Kontrollverlust, der die eigene Professionalität in Frage stellen könnte. Auf Organisationsebene sind die kontextspezifischen Verletzbarkeiten eine unzureichende Orientierung der Mitglieder auf das gemeinsame Organisationsziel und der daraus resultierende Verlust von Mehrwert und einem Vorsprung gegenüber dem Außen. Insgesamt verdeutlicht die Analyse des vertrauensbezogenen Handelns in diesem Kontext bzw. der Praktiken, die mit der Dar- und Herstellung von Vertrauen empirisch in Verbindung gebracht werden, dass die Konstrukte von Vertrauen in diesem Kontext prozesshaft, von den situativen Bedingungen abhängig und gleichermaßen strategisch wie politisch sind. In Bezug auf die Praktiken ist der erste zentrale Aspekt Informationskontrolle, die – zumindest in der hier rekonstruierten Perspektive von Führungskräften – darauf ausgerichtet ist, angesichts bestehender Spannungen bzw. Ambivalenzen auf der Ebene der Personen, auf der Ebene der Organisation und zwischen diesen Ebenen Informationen zu steuern. Diese Praxis des Steuerns ist vielfältig: Es geht darum, Informationen herzustellen, zu erlangen, auszuwählen, zu teilen, vorzuenthalten, zu bewerten, zu verschleiern, zu sichern oder darzustellen. Der zweite zentrale Aspekt in Bezug auf Praktiken sind verschiedene Regeltypen, mit denen Informationskontrolle ausgeübt, legitimiert und ex post identitätspolitisch charismatisiert wird. Die Semantik von gesundem Vertrauen und gesundem Misstrauen kennzeichnet diese Charismatisierung, die dadurch erfolgt, dass jegliche Praxis mit einer potenziell positiven Wirkung auf Vertrauen plausibilisiert wird: Um Reziprozitätserwartungen gegen Enttäuschung abzusichern, wird gesundes Misstrauen praktiziert. Werden Erwartungen verletzt oder absichernde Maßnahmen vernachlässigt, wird aus gesundem Vertrauen ein ungesundes. Über die Wirksamkeit und Angemessenheit der Kontrolle von Information wird erst ex post reflektiert und entschieden. Informationen sind zentral, um Interessen einschätzen und einbringen zu können und die Positionierung einer Person in Bezug auf andere Personen und/oder die Organisation zu ermöglichen. Die personenbezogenen Reziprozitätserwartungen, die auf der Basis von Vertrauen oder mit dem Ziel des Vertrauensaufbaus praktiziert werden und im Fall ihrer Erfüllung Vertrauen ermöglichen, richten sich vorrangig auf die Ansprüche in Bezug auf Offenheit, Nähe und Transparenz und umfassen eine fach-/sachbezogene und eine persönliche Ebene. Auf Vertrauen basierendes oder Vertrauen ermöglichendes Handeln

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beinhaltet eine konstruktive Erwartung und gilt als Voraussetzung, um an Informationen teilzuhaben, selbst Beziehungen (mit Koalitionspartner_innen bzw. Agent_innen der eigenen Seite) einzugehen (die z.T. als Freundschaft auf der Arbeitsebene beschrieben werden) und Beziehungen anderer zueinander (als „Buddys“, potenzielle Opponierende oder Agent_innen anderer Seiten) einzuschätzen. Damit wird auch die Praxis von Vertrauen zu einer unerlässlichen Grundressource auf Mikro- wie auf Mesoebene (und für die Vermittlung zwischen diesen Ebenen) stilisiert und als solche relevant gesetzt. Die analytisch herausgearbeiteten Konstrukte und Praktiken von Vertrauen in Organisationen illustrieren somit hervorragend Ortmanns Beschreibung von Organisationen als „Arenen mikropolitischer Spiele“ (ders. 2000: 8). Weil Systeme und ihre Strukturen von Personen erschaffen, repräsentiert, ausgelegt und in ihrer Geltung und Gültigkeit reaktualisiert werden, haben Personen und Sozialität einen immensen und unhintergehbaren konstitutiven Einfluss auf die Organisation. Diese besteht zwar fort, auch wenn die Organisationsmitglieder wechseln oder wenn von außen (durch die organisationale Umwelt) ein Wandel an sie herangetragen wird, sie ist aber wesentlich von personengebundenen Wandlungen (z.B. von Beziehungen) in ihrem Innern bestimmt. Die Analyse des Datenmaterials hat auch gezeigt, dass die Wahrnehmung des abstrakten Systems und seiner formalen Strukturen und Regeln weniger von der hierarchischen Nähe oder Distanz einer Person zur Organisationsleitung abhängt als vielmehr von ihrer Beziehung zu den Personen, die die Leitung repräsentieren: Aus einer distanzierten Position werden solche vorgegebenen Strukturen weitgehend fach- und sachzentriert, entpersonalisiert wahrgenommen, aus größerer Nähe (oder bei eigener Zugehörigkeit zum Vorstand) werden sie als Ausdruck persönlicher, ggf. partikularer Interessen gesehen. An diesen Zurechnungen auf Person und System lassen sich keine klaren normativen Annahmen zu ihrer Wirkung auf Vertrauen festmachen: Sowohl Personen (wie z.B. die Firmengründer_innen) als auch die von ihnen erlassenen Vorgaben können konstruktive wie destruktive Erwartungen auslösen. Festhalten lässt sich jedoch, dass Vertrauen angesichts der Wandlungsfähigkeit von Beziehungen innerhalb von Organisationen stets prozesshaft beschaffen und in seiner Gebundenheit an Interessen strategisch und politisch geprägt ist. Anhand dieser Ergebnisse zu den Konstrukten von Vertrauen und den Praktiken seiner Dar- und Herstellung soll im nächsten Kapitel schärfer herausgearbeitet werden, was sich in meinen Analysen als das Spezifische an Intraorganisationsvertrauen erwiesen hat.

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7.2 D IE S PEZIFIK VON I NTRAORGANISATIONSVERTRAUEN Die unterschiedlich nuancierten empirischen Konstrukte von Vertrauen sind eingebettet in das Interagieren in Spannungsfeldern, das insbesondere vom Steuern von Informationen und dem Eingehen und Reflektieren von Beziehungen geprägt ist. Das Handeln im Kontext der Organisation zielt – getreu dem Sprichwort ‚Wissen ist Macht‘ – darauf ab, die eigene Teilhabe zu steuern und abzusichern und einen Vorsprung zu gewinnen, sowohl gegenüber internen als auch gegenüber externen anderen. Das Sichern eines Informationsvorsprungs erfordert Nähe, Offenheit und Beziehungen und damit Kommunikation als eine Form von Miteinander und Sozialität, für die Vertrauen als konstitutiv angesehen wird (im Sinne einer Voraussetzung und eines Ergebnisses). Sowohl Vertrauen als auch ‚gesundes Misstrauen‘ sind eingebettet in weitgehend reflexive, also bewusste Praktiken. Die folgenden sieben Befunde meiner Analyse sind m.E. geeignet, Intraorganisationsvertrauen zu spezifizieren und damit einen Beitrag zur vertrauenssoziologischen Forschung zu leisten: Erstens kann Vertrauen als Konstrukt und Praxis (als Gegenstand/Wert und Handeln) in Organisationen gegenwärtig als fest institutionalisiert gelten. Zu seiner Plausibilisierung und Legitimierung müssen die Akteure nicht auf die Managementliteratur rekurrieren; vielmehr konstituieren sie Vertrauen habitualisiert als etwas, was in und für Organisationen bedeutsam ist. Die Plausibilisierungen verweisen auf die Sicherung eines Vorsprungs durch Steuern von Informationen; in den Argumentationslinien wird auf Strategien zur Beeinflussung sozialer Beziehungen und politischer Interessen (innerhalb der Organisation) rekurriert und diese Einflussnahme als intentional leitend für das eigene Handeln der Akteure entworfen. Die Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen sind nur über den Bezug zu Informationen und deren Kontrolle als ausreichend legitim zu begründen. Die Institutionalisierung von Vertrauen erlangt gerade durch die normativ-positive Konnotation und das Ringen um Legitimation Stabilität. Die Prozesse seiner Institutionalisierung im spezifischen Kontext sind flexibel genug, um zwischen Person und System zu wechseln: Verlassen Personen die Organisation, können entweder andere ihre Handlungsweisen übernehmen und weiterführen (sofern dies als konstruktiver Mehrwert erwünscht ist), oder ihr ‚Erbe‘ wird strukturell aufgegriffen und formalisiert. Zweitens sind die Praktiken der Dar- und Herstellung von Vertrauen individuell und vage, ihr Bezug zu Vertrauen und ihr Nutzen dafür ist unklar und von Interpretation abhängig. Vertrauen wird vorrangig auf bestimmte Praktiken

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zurückgeführt, mit denen eigene Interessen verfolgt werden; damit wird die subjektive Handlungskontrolle aufgewertet und mit Sinn verbunden, also charismatisiert. Während die verschiedenen Konstrukte von Vertrauen als fest institutionalisiert angesehen werden können, ist für die darauf bezogenen Praktiken gegenwärtig ein erheblich schwächerer Grad der Institutionalisierung festzustellen. Ob und in welcher Weise Vertrauen durch einzelne Praktiken strategisch beeinflusst werden kann, lässt sich nicht vorhersehen und -sagen, dafür sind die Nuancen von Vertrauen und dessen situative Bedingungen zu vielfältig und multidimensional, zu prozesshaft und wandlungsfähig. Daher fehlt es in Organisationen an Handlungssicherheit und an sachlogisch-rationalen Begründungen oder Rechtfertigungen für die Umsetzung solcher Praktiken. Drittens beziehen sich die Beispiele, Vergleiche und Begründungen, die empirisch für die Relevanz und die Beschaffenheit von Vertrauen herangezogen werden, vielfach auf als privat und freundschaftlich gekennzeichnete Beziehungen, die sowohl außerhalb als auch innerhalb der Organisation realisiert werden. Privates und Fach-/Sachbezogenes bzw. Berufliches/Organisationales werden empirisch also eng miteinander verknüpft. Lediglich die Plausibilisierungskriterien für Vertrauen und Vertrauensbeziehungen ändern mit dem Passieren der Grenze zur Organisation ihren Referenzrahmen: Die Befragten nehmen dann Bezug auf Kriterien wie Fachlichkeit und Organisationsziele, für die ein kognitiver Zugriff und eine strategische Nutzung kennzeichnend sind. Viertens ist Vertrauen im Organisationskontext ein informationsgebundenes und damit strategisches wie auch ein politisches Phänomen. Es betrifft gleichermaßen die Person, die Struktur und ihre Interdependenz. Vertrauen bezieht sich auf Interessen von Personen (die z.T. die Strukturen herstellen und beeinflussen) und die Interessen der Organisation (vorrangig Wettbewerbsfähigkeit und Existenzsicherung), und die Interessen können ebenso privater wie fachlicher, inoffizieller wie offizieller Natur sein. Die zahlreichen Nuancen der vertrauensbezogenen Konstruktionen (z.B. Vertrauenstypen) und Praktiken (z.B. Regeltypen) zeigen, dass Vertrauen nicht unilinear bestimmte Interessen verwirklicht; vielmehr wird es darüber konstruiert und praktiziert, was für ein bestimmtes Interesse als positiv und sinnführend erachtet wird, und die Entscheidung über diese normative Einordnung unterliegt akteursabhängigen und situativen Bedingungen. Vertrauen wird prozesshaft hervorgebracht und ist zugleich selbst prozesshaft. Die Entscheidung, Vertrauen aufzubringen, ist von so vielen möglichen Faktoren und Einflüssen abhängig, dass sie nahezu unmöglich vorherzusagen (und damit gezielt zu steuern) ist.1 1

In dieser Hinsicht bieten die Ergebnisse meiner Untersuchung eine erschöpfende Begründung für die Befunde des Primärprojekts, auch wenn eine Reanalyse der Daten

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Fünftens greift eine utilitaristisch-rationale Perspektive zu kurz, um Vertrauen in seinen verschiedenen Facetten zu fassen. Das Thema Vertrauen wird zwar in Zusammenhängen aufgeworfen, in denen es darum geht, sich als Akteur oder Organisation zu positionieren. Aber damit werden bei Weitem nicht nur instrumentell-ökonomische Intentionen und maximale Risikoabsicherung verbunden, die utilitaristische Ansätze (z.B. die Rational-Choice-Theorie und Coleman als einer ihrer Vertreter) zur Begründung von Vertrauen anführen (vgl. Kap. 2.2.3.2). Es geht mindestens ebenso sehr um affektive Ansprüche wie um rationale Abwägungen. Vertrauen ist auch hier verankert in dem Wunsch nach einer Organisationsmitgliedschaft, die als angemessen autonom und ungestört wahrgenommen wird, ähnlich der von Popitz (2011) angesprochenen Funktion friedlicher Vergesellschaftung durch ein „Sich-wechselseitig-Verpflichten“ (ebd.: 122), „Sich-aneinander-Binden“ (ebd.) und „Sich-zumindest-nichts-Tun“ (ebd.: 123). Informationen zu erlangen und zu steuern dient dazu, eigene Interessen zu wahren bzw. dafür zu sorgen, dass sie berücksichtigt werden. Dieser Vorsprung oder Mehrwert ist aber nicht zwangsläufig darauf ausgerichtet, dass andere zugleich schlechtergestellt werden; der eigene Gewinn impliziert also nicht automatisch einen Verlust für andere. Sechstens ist für Intraorganisationsvertrauen ein Konnex zu Information und darüber vermittelt ein Konnex zu Ein- und Ausschluss kennzeichnend. Vertrauen wird im Organisationskontext durch die Steuerung von Information dar- und hergestellt; wer was weiß bzw. was wann erfährt und wie er/sie dieses Wissen nutzt, ist eine Voraussetzung wie auch ein Ergebnis von Vertrauensbeziehungen (oder politischen Koalitionen), deren Entstehung und Fortschreibung sowohl von Faktoren in der Sach- als auch von solchen in der Sozialdimension beeinflusst ist. Die politische Dimension von Vertrauen lässt darauf schließen, dass, solange es Organisationsmitglieder gibt, Vertrauen innerhalb von Organisationen immer in irgendeiner Weise den Ein- und Ausschluss von Mitgliedern bewirkt. Diese Funktion des Ein- und Ausschlusses, der Annäherung und Distanzierung, der Abgrenzung von Drinnen und Draußen haben Elias und Scotson (1965) in ähnlicher Weise für die Konstitution von Etablierten und Außenstehenden beschrieben. Insofern ist Vertrauen als Voraussetzung und Produkt neuer Formen organisationaler Exklusion durchaus kritisch zu sehen.2 nicht intendiert war: Weil Konstruktivität ermöglichende Bedingungen zu vielen Prozessen, Interessen und Interpretationen unterliegen, lässt sich eine intendierte eindeutige Wirkungsrichtung nicht ex ante sicherstellen; Vertrauen lässt sich somit nicht ‚managen‘. 2

Beispielhaft zeigt sich dies an Organisationen im Silicon Valley (wie z.B. Google): Sie stellen ihren Mitarbeitenden neben Gehältern auch Leistungen in Bereichen wie

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Siebtens schließlich ist der Organisationskontext sowohl fach- und sachlogisch als auch durch soziale, persönliche Interaktion gekennzeichnet (z.B. im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konkurrenz). Fach- und sachlogisch werden als Organisationsziele primär Erfolg und ein Vorsprung gegenüber der externen Konkurrenz angestrebt. Eine störungsfreie, offene und konstruktive soziale Interaktion der Mitglieder wird auf der Mesoebene unter Rekurs auf den individuellen Beitrag zum Erreichen der Organisationsziele versachlicht und legitimiert. Zugleich wird auf der Mikroebene – mehr implizit als explizit, dadurch aber nicht minder deutlich – eine störungsfreie, offene und konstruktive Ausübung der Organisationsmitgliedschaft (und der Vorsprung gegenüber interner Konkurrenz) als zentrales subjektives Erfordernis und als berechtigter Anspruch jedes Mitglieds konstituiert. Damit sind auf analytischer Ebene ein kognitiv-strategischer und ein affektiv-strategischer Zugriff auf Vertrauen untrennbar miteinander verbunden. Ich bezeichne beide Formen als strategisch, weil Vertrauen empirisch mit einem Mehrwert, Gewinn oder Vorsprung verbunden wird; insofern ist es immer strategisch, sowohl innerhalb von Organisationen als auch außerhalb, auch wenn es einem unreflektierten Bedürfnis folgt. Die Essenz dieser sieben Befunde, die mir für die Spezifizierung von Intraorganisationsvertrauen zentral erscheinen, möchte ich nun weiter verdichten auf eine prägnante Formel. Dazu greife ich noch einmal auf die Kategorie ‚Wunsch, die Chance auf Vorsprung zu sichern und gleichzeitig das Schadensrisiko zu kontrollieren‘ zurück, die ich im theoretischen Modell der Institutionalisierung von Vertrauen als einen Bereich ursächlicher Bedingungen verortet habe (vgl. Kap. 6.2.2); diese Kategorie ist m.E. besonders geeignet, um das Spezifische an Intraorganisationsvertrauen formelhaft zusammenzufassen:

Freizeit, Gesundheit und Lebenshaltung innerhalb der Organisation kostenfrei zur Verfügung, streben also Vollinklusion an; damit gewinnen sie aber auch vielfältige Informationen und erhalten so mehr Zugriff auf die Mitarbeitenden. Zugleich wird das Hilfspersonal qua stigmatisierender Einstufung der Tätigkeit davon ausgeschlossen und ghettoisiert. Hier spielt zwar nicht nur Vertrauen eine Rolle; es ist dafür aber insofern relevant, als die Mitarbeitenden der Organisation immer größere Bereiche ihres Lebens anvertrauen und dadurch in ihrer Identität, ihrem Status und ihrem Lebensweg verletzbarer werden, während das Hilfspersonal ungleich schlechter gestellt, von Lebenschancen ausgeschlossen und somit benachteiligt wird. Als Motor und Modus von – zugespitzt formuliert – organisierter Statusgruppentrennung wurde Vertrauen noch nicht untersucht; es müsste zukünftig stärker in dieser politischen Dimension betrachtet und analysiert werden.

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Das Spezifische an Vertrauen im Organisationskontext ist, dass seine grundlegende Konstruktivität das (eigene) Handeln legitimiert und zugleich Teilhabe an Ressourcen ermöglicht. Alltagssprachlich zugespitzt lautet die Formel: Das Spezifische an Vertrauen im Organisationskontext ist, dass es erlaubt, nicht der Dumme zu sein, und zugleich die Chance auf einen Mehrwert ermöglicht. Diese Definition verbindet Mikro- und Mesoebene: Die Organisation – vermittelt durch ihre leitenden Mitglieder – regelt Handeln, gibt Strukturen vor, schränkt sie ein oder weitet sie aus, verändert sie. Dabei will sie von ihren Mitgliedern weder verraten noch anderweitig verletzt werden; hierfür ist sie darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder in Bezug auf das organisationale Handeln konstruktive Erwartungen hegen. Um solche zu erzeugen, muss sie sich offen zeigen, Vertrauen unter ihren Mitgliedern wie auch in Bezug auf sich selbst ermöglichen und den Mitgliedern symbolisch – vermittelt über Strukturen, Instrumente und Personen – ebenfalls Vertrauen entgegenbringen. Die Mitglieder wollen in ihrer Organisation Bedingungen vorfinden, unter denen sie ihre Mitgliedschaft störungsfrei, offen und in konstruktiver Erwartung ausüben können. Diese beiden Interessen können konfligieren und zu unterschiedlichen Formen institutionalisierten Vertrauens führen. Diese Varianten ‚funktionieren‘ aber stets nach der obigen Definition. Der zentrale Grund dafür, warum Vertrauen in Organisationen relevant gesetzt und sein konstitutiver Wert betont wird, liegt m.E. in der Breite seiner konstruktiven Möglichkeiten. Diese liegen vor allem in der Funktion der supererogatorischen Leistung begründet: Vertrauen zu gewähren bietet die Chance auf einen Mehrwert, der ohne Vertrauen nicht erreichbar wäre. Dem potenziellen Gewinn durch Vertrauen steht die Möglichkeit gegenüber, sich diesen Gewinn entgehen zu lassen. Die Möglichkeit – nicht die Gewissheit –, durch Vertrauen einen Vorsprung zu erzielen und der Gewinner bzw. die Gewinnerin zu sein, ist sehr verlockend. Vertrauen hat somit als Managementmode und -methode nicht nur „beschwichtigende Kraft“ (Kieser 1996: 2), sondern bietet in Bezug auf den Umgang mit Spannungsfeldern (s. Abb. 9) die Chance auf Gewinn: in Form eines ökonomischen Vorsprungs (organisationsintern wie -extern), der Teilhabe an Ressourcen oder eines sozialen Vorsprungs. Diese Chance möchten sich zumindest die interviewten Führungskräfte nicht entgehen lassen, auch wenn sie

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sich zugleich gegen ‚Gottvertrauen‘ bzw. ‚ungesundes Vertrauen‘ und ‚ungesundes Misstrauen‘ wenden und sich für ein ‚gesundes Misstrauen‘ bzw. ‚gesundes Vertrauen‘ aussprechen. Denn Vertrauen sichert ihren Vorsprung ab, verschafft ihnen Informationen und stellt ihre Teilhabe sicher, z.B. wenn sie das Vertrauen verraten, das ihnen von Mitarbeitenden entgegengebracht wurde, um bei ihren Vorgesetzten als strategisch relevante Informant_innen glänzen zu können. Damit ist Vertrauen empirisch eher positiv als negativ besetzt, es basiert auf einer konstruktiven Erwartung in Bezug auf das jeweilige Interesse.

7.3 I NSTITUTIONALISIERUNG VON V ERTRAUEN : E INE P ROGNOSE Auf der Basis der empirischen Beobachtungen und theoriegeleiteter Eindrücke (vgl. Kap. 2 und 3) wage ich eine Prognose dazu, welche Aufmerksamkeit Vertrauen im Kontext von Organisationen als Forschungsfeld kurz- und langfristig erfahren wird. Aus einer vertrauenssoziologischen Perspektive ist der Organisationskontext im deutschsprachigen Raum bisher nicht intensiv beforscht (vgl. Kap. 2 und 3). Und ich bezweifle auch, dass das Interesse der Vertrauenssoziologie an diesem Kontext kurzfristig steigen wird, denn die dort zu erzielenden Befunde tragen zur phänomenologischen Feinjustierung m.E. eher wenig bei. Zwar werden dort wichtige Zusammenhänge zwischen Vertrauen und Macht, Verantwortung oder Ein- und Ausschluss analytisch zugänglich. Dies sind aber lediglich Nuancen mit geringer theoretischer Reichweite, keine konzeptuell einschneidenden Ergebnisse. Die intensive Beschäftigung der (internationalen) Managementforschung mit dem Phänomen Vertrauen in den letzten Jahrzehnten wird innerhalb der Wissenschaft als „Obsession der Moderne“ (Frevert 2013) kritisiert und dies mit dem begrenzten analytischen Gehalt begründet, den Vertrauen als zwar facettenreiches, aber auch diffuses Phänomen bietet (vgl. ebd.). Parallel zeichnet sich in der scientific community eine gewisse Verdrossenheit ab, sich mit diesem Thema explizit zu befassen, das so voraussetzungsreich und empirisch schwierig zu erforschen und dessen Erklärungs- und Weiterentwicklungspotenzial schwer zu vermitteln ist. Im Gegenzug beobachte ich, dass sich in der Beschäftigung mit Ungewissheit zunehmend eine Auseinandersetzung mit Misstrauen, Transparenz und Kontrolle entwickelt bzw. intensiviert, ebenso wie mit anderen Konstrukten, die auf Ungewissheit zugeschrieben werden, wie Hoffnung, Zuversicht und Glaube (vgl. Kap. 2.2.2.4). Daher nehme ich an, dass sich die Auseinandersetzung der deutschen Soziologie mit Vertrauen kurzfristig eher abschwächen wird und sich mit diesem Phänomen eher inter- oder multidis-

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ziplinäre Forschungskonstellationen befassen werden. Langfristig wird Vertrauen als Forschungsthema aber eine Renaissance erleben, da durch gesellschaftlichen Wandel eine neue Statusbestimmung für diese soziale Grundkategorie erforderlich werden wird. Ähnlich schätze ich die Entwicklung des Themas Vertrauen im Rahmen der Organisationssoziologie ein, allerdings aus anderen Gründen. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, ist Vertrauen als Konstrukt oder Thema in der organisationalen Praxis gegenwärtig überraschend verfestigt, als Praxis befindet sie sich dagegen eher in einer Suchbewegung und ist weniger fest institutionalisiert. Meines Erachtens ist davon auszugehen, dass die Institutionalisierung von Vertrauen als Konstrukt und der Versuch, Vertrauen durch bestimmte Praktiken strategisch zu beeinflussen, sich in der Organisationstheorie und -praxis kurzfristig weiter verstärken, mindestens aber unverändert bleiben werden und weitere Versuche unternommen werden, die bisher weniger verfestigte Praxis von Vertrauen auszubauen und zu verstärken. Diese Annahme gründet sich nicht zuletzt darauf, dass als eine der zentralen Führungskompetenzen für das Management von Wandlung aktuell Improvisation gilt, die als Lehr- und Lerninhalt für angehende Führungskräfte bereits curricular verankert ist,3 und Vertrauen wird sowohl als zentrales Erfordernis für Improvisation als auch als deren Rendite angesehen. Auf der Ebene der Organisationen wird die festgestellte Institutionalisierung von Vertrauen dagegen langfristig eher erodieren. Denn erstens ist Vertrauen als Form der Handlungskoordination zu unberechenbar, verlässliche und routinisierbare Praktiken sind mit dem Phänomen als solchem unvereinbar. Angesichts seiner mangelnden Operationalisierbarkeit halte ich es für unwahrscheinlich, dass das (latente) Konstrukt von Vertrauen als zweifelsfreier Wert im Organisationshandeln, das über Sachlogik legitimiert werden muss, fest institutionalisiert bleibt. Untersuchungen wie die vorliegende tragen zu einer Stagnation oder Verringerung des Grades der Institutionalisierung bei, indem sie die mangelnde strategische Nutzbarkeit von Vertrauen belegen. Zweitens werden sich die in Kapitel 3 erörterten Veränderungen der Arbeitswelt – die Tendenzen der Subjektivierung, Entgrenzung und Vermarktlichung – durch die Bedingungen der Digitalisierung von Arbeit4 m.E. noch weiter verstärken. Die damit geforderte höhere 3

Improvisation als Kompetenzanforderung und Vertrauen als Voraussetzung und Ziel von Improvisation werden im deutschsprachigen Raum z.B. in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen der Universitäten St. Gallen, Witten-Herdecke, Konstanz und Zürich unterrichtet.

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Das Bundesprogramm und Leitbild „Industrie 4.0“ markiert einen Wandel. Waren in dem Aktionsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ der Bundesregierung

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Flexibilität bei zugleich steigender Ungewissheit erfordert zwar einerseits umso mehr Vertrauen. Andererseits weisen die beobachtete Reaktualisierung tayloristischer Prinzipien und das Entstehen virtueller – und damit in Extremform entpersonalisierter – Organisationen (vgl. Anand/Daft 2007; s.o. Kap. 3.2.1) jedoch darauf hin, dass persönlicher Kontakt – eine zentrale Voraussetzung für Vertrauen – in Organisationen zukünftig eher reduziert, auf jeden Fall aber stärker standardisiert werden wird. Vor diesem Hintergrund verliert die Bereitschaft, sich in konstruktiver Erwartung verletzbar zu zeigen, an strategischer Bedeutung. So wird sich die Organisationspraxis – und damit auch die Theorie – in ihrem (impliziten) Verständnis von Vertrauen als Konstrukt und Praxis wie auch in ihrer kommunikativen Darstellung eher anderen Konstrukten (z.B. Kooperationsfähigkeit, Kompetenz) zuwenden, bei denen angenommen wird, dass sie sich leichter in Handlung übersetzen lassen. Möglicherweise wird sie sich unter digitalisierten Produktions- und Arbeitsbedingungen auch insgesamt von sozialinteraktionalen Phänomenen abwenden – zumindest für eine gewisse Zeit. Auch hier gehe ich davon aus, dass Vertrauen als eine Grundkategorie sozialer Interaktion langfristig eine Renaissance erleben und wieder stärker beachtet werden wird.

7.4 Z UR G ENERALISIERBARKEIT

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B EFUNDE

In diesem Kapitel stehen zwei Aspekte im Zentrum: Ich diskutiere zunächst, inwieweit meine Ergebnisse und die Theorie mittlerer Reichweite, die sich daraus ergeben hat, über Führungskräfte in Wirtschaftsorganisationen hinaus generalisiert werden können. Anschließend spreche ich mich auf der Basis meiner Befunde gegen eine reduktionistische Perspektive aus, die Vertrauen in dem untersuchten spezifischen Kontext nur als Gegenstand rationaler Kalkulation versteht.

(1974-1989) die Diskrepanzen von arbeitsinhaltlichen und lebensweltlichen Bedürfnissen von Beschäftigten, u.a. hinsichtlich Motivation, Beteiligung und Entfaltung unter kooperativen Produktionsbedingungen, fokussiert worden (vgl. Oehlke 2013: 262), geht es zukünftig um die Arbeitsorganisation und Funktionsteilung zwischen technischen und menschlichen Systemen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2015: 9ff.). Eine extreme Form neuer Arbeitserbringung sind virtuelle Organisationen mit multimedialen, weitgehend dislokalen Kommunikationsstrukturen ohne persönlichen Kontakt (vgl. Anand/Daft 2007).

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Im Prozess der Datenauswahl für meine Untersuchung habe ich den Fokus sukzessive auf Führungskräfte eingeschränkt. Dies wirft die Frage auf, ob die Befunde nur für deren spezifische Rolle im Unternehmen gelten (und damit eher einen professionssoziologischen Beitrag für eine bestimmte Akteursgruppe leisten) oder auch auf andere Organisationsmitglieder oder eine übergeordnete Organisationsperspektive bezogen werden können. Meines Erachtens trifft Letzteres zu: Meine Befunde sind nicht auf die spezifische Akteursgruppe begrenzt. Vielmehr sehe ich die Spannungsfelder und Ambivalenzen, die die Führungskräfte im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Vermittelnde zwischen Person und System und als Steuernde von Informationen beschreiben und die sie zu Vertrauen in Beziehung setzen, als ein charakteristisches und zentrales Merkmal von Intraorganisationsvertrauen. In ihrer hierarchischen Position haben sie selbstverständlich mehr Macht und eine stärkere Kontrollfunktion, als etwa Auszubildende oder Zeitarbeiter_innen in einer Organisation hätten. Diese haben zudem weitaus mehr Distanz zur Organisationsspitze, setzen sich vermutlich nicht so intensiv mit den Zielen der Organisation auseinander oder reflektieren die Bedeutung von Vertrauen für ihr eigenes Handeln oder die Interessen und Politiken innerhalb der Organisation. Doch wie die organisationssoziologische Forschung betont, unterliegt der Mitgliedschaft in einer Organisation stets ein impliziter Vertrag. Der häufige Rekurs auf subjektive Erwartungen im untersuchten Datenmaterial (z.B. in Bezug auf Karrierechancen oder Anerkennung) bestätigt einen Konnex von Vertrauen und impliziten Verträgen bzw. Vertragsinhalten (vgl. Kap. 3.2.4). Daher sind die Befunde (v.a. das theoretische Modell der Institutionalisierung von Vertrauen) m.E. über alle hierarchischen und informellen Strukturen von Organisationen hinweg generalisierbar. Ich gehe davon aus, dass in den Organisationsbereichen, die die jeweiligen Mitglieder betreffen und die sie als für sich relevant darstellen, die Konstrukte von Vertrauen und die Praktiken seiner Dar- und Herstellung auch bei geringerer Kontrollermächtigung oder weniger Einblick in die Organisationsstrukturen grundsätzlich gleich sind: Das Bedürfnis nach konstruktiver Erwartung, die Bedeutung von Informationen, die Teilhabe an und der Ausschluss aus Informationszirkeln, Freundschaften auf Arbeitsebene, Bildung von Koalitionen und Oppositionen, die Unterstützung von Agent_innen der eigenen Seite und das Beobachten von jenen anderer Seiten, die identitätspolitische Charismatisierung eigenen Handelns – diese Aspekte dürften auf allen hierarchischen Ebenen und in allen Beziehungen und Konstellationen innerhalb von Organisationen eine zentrale Rolle spielen. Diese Einschätzung untermauern die anderen 64 Interviews aus dem Primärprojekt, in denen sämtliche Akteursgruppen vertreten sind: In allen wird Vertrauen als eine elementare

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Ressource relevant gesetzt und mit konstruktiven Reziprozitätserwartungen verbunden. Darüber hinaus nehme ich an, dass die Befunde auch über verschiedene Organisationstypen hinweg generalisierbar sind. Meine Untersuchung ist in Wirtschaftsorganisationen verankert, die organisationstheoretisch betrachtet vor allem durch ökonomische Logiken gekennzeichnet sind (vgl. Apelt/Tacke 2012). Interaktion und Kommunikation oder der Austausch von Informationen, die sich im Zusammenhang mit Vertrauen als zentrale Aspekte erwiesen haben, finden aber auch in Gesundheits-, Verwaltungs-, Bildungs- oder Regierungsorganisationen, in NGOs oder Non-Profit-Organisationen statt; sie unterliegen in gleicher Weise Spannungen, die aus dem Fach-/Sachbezug einerseits und dem Personenbezug andererseits resultieren. Und auch das Streben nach einem Mehrwert oder Vorsprung beschränkt sich keineswegs auf die ökonomische Ebene, sondern ist in weiteren Organisationskontexten anschlussfähig: Es kann sich z.B. im Hochschulbereich5 auf wissenschaftliche Reputation richten, im Sozialbereich auf die Erfüllung des Inklusionsauftrags, in NGOs auf die Identifizierung zentraler Handlungsfelder oder die Wirksamkeit von Kritik usw. Insofern gehe ich davon aus, dass meine Befunde zu Konstrukten und Praktiken, zu Intraorganisationsvertrauen und seiner Institutionalisierung auf jede Art von Organisation (mit mehr als einem Mitglied) übertragbar sind. Hier möchte ich eine weitere Überlegung anschließen: Meine Befunde zu empirischen Konstrukten und Praktiken bzw. zur Institutionalisierung von Vertrauen bilden einen Gegenentwurf zu Annahmen von Vertrauensforschenden wie Coleman, die Vertrauen als Ergebnis einer rein rationalen Wahl erklären (s.o. Kap. 2.2.3.2): Vertrauen – zwischen Personen oder bezogen auf ein abstraktes System – bildet zwar empirisch wie analytisch eine funktional-strategische Res5

In den Jahren 2013 bis 2016 hatte ich Gelegenheit, in einem weiteren Forschungsprojekt den Einfluss von Vertrauen auf Wissenschaftskarrieren zu beforschen. Einen Befund aus diesem Projekt möchte ich hier aufgreifen: In der kennzahlengeleiteten Wirtschaft dominiert derzeit die Frage, wie viel Kontrolle abgebaut und durch Vertrauen ersetzt werden kann. Im Hochschulbereich, in dem sich die Steuerung durch Kennzahlen noch in der Implementierungsphase befindet, wird diese Frage in umgekehrter Logik aufgeworfen und es werden Überlegungen dazu angestellt, welche Instrumente geeignet sind, wissenschaftliche Leistung sichtbar zu machen; der Begriff ‚Instrumente‘ dient dazu, den der ‚Kontrolle‘ zu ersetzen. Die Semantiken und Begriffe zwischen den Feldern divergieren also graduell und weisen darauf hin, dass Nuancen und situative Bedingungen von Vertrauen in unterschiedlichen Begriffen, aber auch die unterschiedlichen Anforderungen an und Herausforderungen in Organisationen (rechtlich, politisch, ökonomisch, sozial, zeitlich) zu überprüfen sind.

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source in Organisationen, seine Funktion lässt sich aber nicht auf Gewinn eines ökonomischen Vorsprungs bei maximaler Absicherung gegen das Risiko eines Verlusts reduzieren. Vertrauen wird nicht nur dann gegeben, wenn sämtliche Vorkehrungen getroffen wurden, um es abzusichern. Wie meine Befunde zeigen, bietet Vertrauen nicht zuletzt eine Ressource für sozialen Mehrwert: Es ermöglicht, Probleme gemeinschaftlich zu bearbeiten, Weiterentwicklungen voranzutreiben und Nähe zu entwickeln. Die Funktion von Vertrauen kann also nicht auf das ökonomische Moment verengt werden, sie liegt eben „zwischen sozialem Kitt und der Senkung von Transaktionskosten“ (Mahring 2010). Aufgrund seines visionären und konstruktiven Charakters kann Vertrauen einen Vorsprung gerade dadurch verschaffen, dass es ermöglicht, über ein rationales, Risiken absicherndes Investment hinauszugehen und Ungewissheit zu „suspendieren“ (Möllering 2006: 105ff.).

7.5 W EITERER F ORSCHUNGSBEDARF Abschließend möchte ich vor dem Hintergrund meiner Befunde auf drei Punkte verweisen, aus denen sich Ansatzpunkte für weitere Forschung ergeben. Als Erstes greife ich noch einmal den in Kapitel 2.2.3 angesprochenen Gedanken der Oszillation zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene auf. Ein etabliertes Verfahren, um diese Oszillation in der Analyse zu erreichen, ist die Denkfigur der institutionalisierten Repräsentant_innen, die nach der Vertrauenstheorie eine Scharnierstelle zwischen Person und System bilden. Hierzu hatte ich fünf vertrauenssoziologische Ansätze referiert, die auf Vertrauenswürdigkeit abzielen (und damit nur mittelbar auf Vertrauen): Giddensʼ Konzept der personifizierten Zugangspunkte, die dem abstrakten System sozusagen ein Gesicht verleihen (als Beispiel nennt er Steward_essen als Vertreter_innen der Fluggesellschaft); Luhmanns Konzept einer stellvertretenden Ebene, die auch Eingriffsund Sanktionsmacht gegenüber dem System hat und potenziell interveniert (sein Beispiel hierfür ist sind Polizist_innen als Stellvertreter_innen des Staates); Shapiros „Wächter“, die als formal-institutionalisierte Instanz Handeln kontrollieren und Verstöße sanktionieren, um konstruktive Erwartungen gegen Verletzungen abzusichern, aber wiederum auch selbst von Wächtern kontrolliert werden müssen usw.; Colemans Intermediäre, die als Berater, Bürgen oder Unternehmer zwischen zwei Parteien vermitteln und dadurch die Parteien füreinander vertrauenswürdig machen, in Verbindung mit seinem Konzept des „Drittparteien-Vertrauens“, nach dem Vertrauen nicht auf Leistungen von Personen zugerechnet wird, sondern auf erwartete Leistungen des Systems; schließlich

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Sztompkas „institutionalisiertes Misstrauen“, das in Form von Strukturen und Regeln auf der Ebene des Systems Vertrauen gegen Verletzungen absichert und es damit erst ermöglicht, während „institutionalisiertes Vertrauen“ als ein Kennzeichen autokratischer Systeme Misstrauen evoziert. Keines dieser fünf Modelle ist hinreichend weit gefasst, um meine Befunde zu erklären. Obwohl ich die Führungskräfte als institutionalisierte Scharnierstelle zwischen den Personen (Organisationsmitgliedern) und dem System (Organisation) verstehe, entsprechen sie dennoch keinem dieser Konzepte. Diese Feststellung erscheint mir im Sinne der Verzahnung von Empirie und Theorie wichtig. Meine Daten und Befunde sind nicht spezifisch genug, um auf dieser Basis organisationale Scharnierstellen zu modellieren bzw. ein organisationsspezifisches Modell von Repräsentierenden zu entwickeln. Anknüpfungspunkte für entsprechende Überlegungen ergeben sich aber aus Beobachtungen zu den jeweiligen Grenzen der Passung, die ich im Weiteren kurz skizziere. Führungskräfte personifizieren nicht nur das Abstrakte, d.h. sie verleihen nicht nur der Organisation ein Gesicht, sondern sie verfügen auch über ein Machtpotenzial, das sie zu Kontrolle verpflichtet und grundsätzlich befugt, zu intervenieren und zu sanktionieren. Giddensʼ Begriff der Repräsentierenden ist damit zu schwach, um die Rolle von Führungskräften als diejenigen, die Vertrauen dar- und herstellen, treffend zu erklären; seine Überlegungen zur Dualität und Rekursivität von Struktur eignen sich dagegen hervorragend, um in der Analyse von Intraorganisationsvertrauen permanent zwischen den verschiedenen Ebenen zu oszillieren. Luhmanns Begriff wiederum erscheint mir zu unfraglich handlungsmächtig angesichts der Beobachtung, dass die Interviewten ihr Handeln ex post identitätspolitisch charismatisieren, dies also anscheinend für erforderlich halten; zudem haben sie zwar auch, aber nicht nur eine Ordnungsfunktion. Shapiros Entwurf der Wächter ist notwendigerweise mit der Prognose einer sich bis zur Blockade verstärkenden Überwachungsstruktur verbunden (die Wächter selbst werden ebenfalls von Wächtern überwacht, die ihrerseits wiederum überwacht werden müssen usw.). Eine solche Struktur lässt sich mit meinem Sample nicht belegen: Die Führungskräfte thematisieren zwar Kontrollen und auch Praktiken wie formale Anordnungen, Regeln und Strukturen, mit denen sie realisiert werden, und setzen sie zu (spezifischen Verlaufstypen von) Vertrauen in Beziehung; sie konstruieren oder thematisieren jedoch keine Potenzierung von Überwachungsinstanzen ins Unendliche oder stellen sich als Teil einer entsprechenden Struktur dar. Als Intermediäre – Bürgen, Berater und Unternehmer – im Sinne Colemans sind die Führungskräfte in meinem Sample ebenfalls nicht treffend beschrieben, denn sie verfolgen zu viele eigene Interessen, sind zu sehr Teil des Ganzen wie auch selbst Vertrauensnehmende und -gebende in Personal-

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union, als dass ihre Funktion als reine Vermittlung gefasst werden könnte. Mit dem Konzept des Drittparteien-Vertrauens wird ihre Rolle (als Führungskraft) wiederum zu sehr marginalisiert, weil sie wie schon angesprochen über zu viel Macht verfügen und Informationen personengebunden und zugleich zu wichtig sind, als dass sie z.B. von hierarchisch niedriger gestellten Organisationsmitgliedern in ihrer Wirkung auf die Erzeugung von Vertrauen vollständig ignoriert werden könnten. Schließlich können die Führungskräfte in meinem Sample auch nicht als Repräsentanz von institutionalisiertem Misstrauen oder institutionalisiertem Vertrauen in Sztompkas Sinne gefasst werden. Zwar stellen sie nicht nur handelnde Akteure/Institutionalisierende dar, sondern sind hierarchisch verankert und damit selbst eine Institution. Die Differenzierung in ‚gesundes‘ und ‚ungesundes‘ Vertrauen und Misstrauen zeigt aber, dass beide Typen von Institution im Organisationskontext (nicht nur im staatlichen Kontext) empirisch etabliert sind. Organisationen scheinen in ihrer interessen- und identitätspolitischen Dimension, die sowohl auf der Ebene der Personen als auch auf der Ebene des Systems identifiziert werden kann, zu prozesshaft, zu sehr von situativen Bedingungen und vielfältigen Plausibilisierungen (z.B. in Bezug auf ihre Kontroll- und Regeltypen) charakterisiert, um die dortigen Konstrukte und Praktiken eindeutig als ‚institutionalisiertes Misstrauen‘ oder ‚institutionalisiertes Vertrauen‘ zu kategorisieren. Organisationen weisen sowohl demokratische als auch autokratische Züge auf, und Führungskräfte sind auch Personen mit eigenen Interessen; deshalb passt diese Denkfigur nicht. Ein neues mikro-, meso- und makrosoziologisches Modell organisationaler Scharnierstellen für Vertrauenswürdigkeit müsste also Elemente aller fünf vertrauenssoziologischen Konzepte aufgreifen und sie neu arrangieren. Das erfordert jedoch weitere empirische Untersuchungen, die anhand verschiedener Repräsentationsmodelle unterschiedliche Typen entwickeln. Es würde aber m.E. ermöglichen, die Bezüge zwischen Vertrauenswürdigkeit und Macht innerhalb von Organisationen genauer zu verstehen und darüber die vielfältigen situativen Bedingungen der Dar- und Herstellung von Intraorganisationsvertrauen zu erfassen und hinsichtlich ihrer theoretischen Vorannahmen und Implikationen zu systematisieren. Als Zweites gehe ich auf den Unterschied zwischen Information und Wissen ein, der in meiner Studie nicht hinreichend spezifiziert war, und schlage eine wissenssoziologische Anknüpfung an die Figur des „Wissens-Virtuosen“ von Wieland Jäger (2010) vor. Ein Forschungsresiduum meiner Untersuchung, das mit den Ausführungen zur Denkfigur der Repräsentierenden verbunden ist, bezieht sich auf die zentrale Bedeutung von Informationen und Wissen für Intraorganisationsvertrauen. In der Darstellung meiner Untersuchung habe ich meist

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von Informationen gesprochen, an einigen Stellen auch von Wissen, ohne die beiden Konzepte jedoch ausreichend zu unterscheiden oder im jeweiligen Verwendungszusammenhang zu spezifizieren. Jäger weist mit Rekurs auf Berger und Luckmann darauf hin, dass Daten, Informationen und Wissen grundsätzlich zu unterscheiden sind: „Wissen [kann] nicht getauscht werden, nur Daten sind tauschfähig. Diese müssen erst interpretiert, d.h. zu Informationen und Wissen generiert werden.“ (Ebd.: 156) Den Begriff des Wissens differenziert er mit Degele (2000) weiter in (a) informiertes Wissen, (b) riskantes Wissen und (c) Umgang mit Wissen; damit beschreibt er den Wandel von „inhaltlichen zu nichtinhaltlichen Komponenten“ (ebd.) als Aufgabe von „Wissensarbeitern“ (ebd.). Diesen Typus von Arbeitskraft (Organisationsmitglieder im Allgemeinen und Führungskräfte im Speziellen) bezeichnet er als „Wissens-Virtuosen“ (ebd.). Hier sehe ich Anknüpfungspunkte zu meiner Untersuchung, vor allem in den Kategorien ‚Steuern von Informationen‘ und ‚(mikro-)politisches Positionieren‘: Diese Denkfigur ist m.E. geeignet, um durch eine wissenssoziologische Analyse zu Intraorganisationsvertrauen die empirischen Grundlagen der Prozesshaftigkeit von Vertrauen weiterzuentwickeln. Ein besseres Verständnis des Prozesses der Entwicklung von Daten zu tauschfähigen Informationen und Wissen und seiner Beziehung zu Vertrauen könnte helfen, die Reziprozitätserwartungen (die sich nach meinen Befunden vorrangig als kommunikative Ansprüche an Offenheit und Transparenz darstellen), die unterschiedlichen Regel- und Kontrolltypen und die Verlaufstypen von Vertrauen weiter zu verdichten und so zu erklären, unter welchen Bedingungen z.B. fachliches zu persönlichem Vertrauen wird. Damit könnte eine stärker wissenssoziologisch geprägte Auseinandersetzung mit der Institutionalisierung von Vertrauen und mit Intraorganisationsvertrauen einen wichtigen Beitrag sowohl zur Vertrauens- als auch zur Organisationssoziologie leisten und helfen, mein Modell weiter zu differenzieren. Als dritten und letzten Punkt möchte ich auf die noch ausstehende vertiefende Forschung zum Konnex von Vertrauen, Organisationen und Diversität/Intersektionalität hinweisen und angesichts der nationalen wie internationalen demografischen und politischen Herausforderungen und der sich wandelnden Arbeitswelten eine solche nachdrücklich anregen. Als Ausgangspunkt dafür erscheint mir z.B. die Kategorie ‚Ein- und Ausschluss‘ sinnvoll, die sich im Bereich der Konsequenzen gebildet hat. Hier ergibt sich eine Querverbindung zu dem Forschungsprojekt zu Schwerhörigkeit, das mein Interesse zuerst auf das Phänomen Vertrauen gelenkt hatte, weil in den Interviews zum Thema Schwerhörigkeit in der Arbeitswelt Vertrauen und Misstrauen überraschend oft explizit angesprochen und problematisiert wurden (vgl. Kap. 1.2): Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass Informationen und Informationskontrolle in

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Organisationen die zentralen und in politischen ‚Spielen‘ am stärksten umkämpften Ressourcen bilden. Mit diesen Ressourcen verbindet sich aufseiten der Mitglieder die Angst, am verfügbaren Wissen nicht teilzuhaben oder die Kontrolle darüber zu verlieren und dadurch womöglich aus der Organisation ausgeschlossen zu werden, und aufseiten der Organisation die Befürchtung, keinen Zugriff auf das Wissen ihrer Mitglieder oder der Konkurrenz zu haben; beides ist eine ernsthafte Bedrohung. Mit diesem Befund lässt sich nun erklären, dass die kommunikative Asymmetrie in der Hörenden-Schwerhörigen-Interaktion fast zwangsläufig zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Vertrauen und Misstrauen führen muss. Angesichts der Erkenntnis, dass der Verlust der Informationskontrolle in Organisationen eine zentrale und existenzielle Bedrohung ist, erscheint zudem Angst als polarer Gegensatz zu Vertrauen (vgl. Kap. 2.2.2.1) auch für den Kontext von Organisationen anschlussfähig. Vertrauen und Diversität zukünftig stärker aufeinander bezogen zu beforschen, als ich es in meiner Untersuchung leisten konnte, ist nicht nur für die Dimension der Behinderung wünschenswert. Ich möchte hierfür beispielhaft die Dimension Geschlecht heranziehen: In der repräsentativen Studie6 „Brücken und Barrieren für Frauen zu Führungspositionen“ identifiziert der Soziologe Carsten Wippermann (2010) auf der Basis narrativer Tiefeninterviews mit Männern drei Muster von Plausibilisierungen, die den Einschätzungen zu Karrierechancen von Frauen zugrunde liegen.7 Gemeinsam ist diesen drei Mustern, dass zwar Gründe dafür genannt werden können, warum Frauen nicht in Spitzenpositionen gelangen, jedoch nicht dafür, warum Frauen eine solche erfolgreich erreichen. Zusammen wirken die drei Muster wie mehrdimensional verschränkte Sperren in Organisationen: Werden Frauen einer als bedeutsam konstruierten Anforderung gerecht, fallen sie unter das Verdikt, eine andere zentrale Anforderung nicht zu erfüllen. Diese in Organisationen etablierten Denkmuster erzeugen einen mehrfach abgesicherten sozialen Ausschluss und eine geringe und sehr selektive Durchlässigkeit, die von den Interessen derer abhängt, die von einem Einschluss profitieren. Die Informanten in meiner Untersuchung waren ausschließlich Män6

Wippermann hat im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend untersucht, ob und ggf. wodurch oder in welcher Weise Frauen beim Aufstieg in Spitzenpositionen diskriminiert werden.

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Ein konservatives Muster geht davon aus, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts weniger in der Lage seien, erfolgreich in Toppositionen zu gelangen und sich dort zu etablieren; ein emanzipiertes Muster meint, dass Frauen angesichts der vorherrschenden männlichen Machtrituale chancenlos seien; ein individuelles Muster nimmt an, dass das Geschlecht keine Rolle spiele, es aber nicht genügend authentische und hinreichend flexible Frauen gebe (vgl. Wippermann 2010: 45ff.).

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ner, und die Befunde legen nahe, dass geschlechterspezifische Ähnlichkeiten und Denkmuster die Konstrukte und Praktiken von Vertrauen erheblich beeinflussen – ich erinnere beispielhaft an die Semantiken der ‚Buddys‘ und des ‚Biertrinkens‘. Meine Befunde in Verbindung mit denen von Wippermann legen nahe, dass Frauen in Organisationen hinsichtlich des Zugangs zu Informationszirkeln und damit der Teilhabe an Vertrauensbeziehungen vor deutlich größeren Barrieren stehen als Männer. Ein stärkerer Einbezug vertrauenssoziologischer Befunde im Allgemeinen und meiner Befunde im Speziellen wäre m.E. instruktiv, um über das – durchaus wichtige – beschreibende Potenzial von Konzepten des organisationalen Ausschlusses (v.a. glass ceiling und leaky pipeline) hinauszugelangen. Da sich im Phänomen Vertrauen Fachliches und Persönliches, das Sachliche und das Soziale im Kontext von Organisationen verbinden, liegt hier ein wichtiges vertrauenssoziologisches, aber auch ein organisationssoziologisches Erkenntnispotenzial.

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Soziologie Uwe Becker

Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3056-5 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker

Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart. 11,99 E (DE), 978-3-8376-3040-4 E-Book PDF: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)

Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5

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Soziologie Carlo Bordoni

Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Sybille Bauriedl (Hg.)

Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9

Mathias Fiedler, Fabian Georgi, Lee Hielscher, Philipp Ratfisch, Lisa Riedner, Veit Schwab, Simon Sontowski (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Jg. 3, Heft 1/2017: Umkämpfte Bewegungen nach und durch EUropa April 2017, 236 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3571-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de