Vermächtnis der Urzeit: Grundprobleme der Erdgeschichte 9783486777093, 9783486777086

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Vermächtnis der Urzeit: Grundprobleme der Erdgeschichte
 9783486777093, 9783486777086

Table of contents :
INHALT
I. GESCHICHTE DER ERDE
II. GESCHICHTE DES LEBENS
III. METAPHYSISCHE FRAGEN
BIBLIOGRAPHIE

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EDGAR

DACQUE

VERMÄCHTNIS D E R U R Z E I T GRUNDPROBLEME DER

Aus dem Nachlaß von Joachim

Schröder

mit einem

herausgegeben

und Manfred

Schröter,

bibliographischen

von Horst und 44

L E I B N I Z

Anhang

Kliemann Bildern

MÜNCHEN

B I S H E R

ERDGESCHICHTE

1948

V E R L A G

R . O L D E N B O U R G

VERLAG

C o p y r i g h t 1948 b y L e i b n i z V e r l a g (biaber R . O l d e n b o u r g V e r l a g ) M ü n c h e n V e r ö f f e n t l i c h t u n t e r d e r Z u l a s s u n g s - N r . U S - E - 179 d e r N a o h r i c h t e n k o n t r o l l e d e r M i l i t ä r r e g i e r u n g ( D r . M a n f r e d S c h r ö t e r u . D r . ß u d . C. O l d e n b o u r g ) A u f l a g e 5000.

Schrift: Borgis Bodoni.

Gedruckt und

gebunden

von

R . O l d e n b o u r g , G r a p h i s c h e B e t r i e b e G. m . b . H . , M ü n c h e n P r o f . D r . M a n f r e d S c h r ö t e r , g e b . a m 29. 11. 1880 i n M ü n c h e n P r o f . D r . J o a c h i m S c h r ö d e r , g e b . a m 14. 12. 1891 i n N a u m b u r g a . S. H o r s t K l i e m a n n , g e b . a m 16. 7. 1896 i n W a r n s d o r f

INHALT

I GESCHICHTE 1. 2. 3. 4. 5. 6.

DER

ERDE

Die Erdrinde als Geschichtsbuch Vorweltlicher Land• und Meereswechsel Vorweltlicher Klimawechsel Der Pulsschlag der Erde Innere Erdkräfte und Kosmos Erdgeschichtliche Zeitmaße

9 19 31 42 53 63

II GESCHICHTE 1. 2. 3. 4. 5. 6.

DES

LEBENS

Erdgeschichtliche Aufeinanderfolge der Tiere und Pflanzen Biologische und biogeographische Räume Biologische Bautypen und Baustile in den Erdzeitaltern Allgemeines zur Abstammungslehre Gesetzmäßigkeiten der Lebensentfaltung Der Mensch als Naturgestalt

. . .

74 88 103 122 134 150

III METAPHYSISCHE 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Vom Innern der Natur Einheit von Anorganisch und Organisch Metaphysik des Stammbaumes Magische Verwandtschaft von Mensch und Sagenhafte Erd- und Menschenzustände Weltzeitalter im Mythus

FRAGEN

Tier

164 175 187 199 208 219

BIBLIOGRAPHIE 1. Bücher und Beiträge zu Büchern und Sammelwerken 2. Aufsätze in Zeitschriften und Jahrbüchern 3. Aufsätze in Zeitungen

229 231 235

I

G E S C H I C H T E

D E R

E R D E

Das Anorganische, Mineralische, Kristallische ist die unterste Stufe der sich manifestierenden Natur. Die Lebenskräfte des Kosmos sind noch gebunden in das Nichtphysiognomische, es gibt noch keine Individualität und keine in sich als Einheit geschlossene Gestalt. Alle Formenbildung kann in einem mechanischen Ablauf dargestellt •werden. Dennoch erweist auch diese unterste Stufe der Natur schon ein inneres Pulsieren, dem nachzuspüren der Beginn einer Erkenntnis des inneren Lebens im Weltall ist.

1. Die

Erdrinde

als

Geschichtsbuch

Geheimnisvoll wie ein unbekanntes Land liegen vor dem Blick der meisten Memschen die Zeitalter der Vorwelt da. Nicht viele wissen, daß es eine Jahrmillionen währende Geschichte der Erde und des Lebens gibt; daß die Erdoberfläche u n d auf ihr die Lebewesen immerfort Veränderungen und Umwälzungen unterworfen waren. Die erdgeschichtliche Forschung hat festgestellt, daß sich die Erdoberfläche und der gesamte A u f b a u der Erdrinde seit unvordenklichen Zeiten veränderte u n d daß noch nie ein endgültiger fester Zustand erreicht wurde. Noch nie sind die Höhen u n d Formen der Gebirge so geblieben, wie sie zu irgendeiner Zeit einmal waren: stets haben sich in Zehntausenden und H u n d e r t t a u s e n d e n von Jahren, und auch in noch längeren Zeiträumen, die Länder und Meeresböden gesenkt u n d gehoben, hat sich das ozeanische Wasser dahin und dorthin verteilt, sind Gebirge aufgestiegen und wieder abgetragen worden, hat das Klima gewechselt zwischen Zuständen, in denen es bis an die Pole hinauf mild und warm war, u n d solchen, in denen große Klimagegensätze bestanden, die sich zuweilen bis zu Eiszeiten steigerten. Wir wissen aber nicht nur von alledem, sondern auch von untergegangenen Tier- und Pflanzenwelten, alles in wohlgeordneter zeitlicher Reihenfolge. Die vielb e r u f e n e n „vorsintflutlichen" Tiere sind gar nichts Phantastisches, sondern etwas sehr Greifbares. Allem gegenüber aber erscheint der Mensch, soweit wir bis jetzt durch F u n d e von seiner naturgeschichtlichen Existenz Kenntnis haben, wie ein Spätgeborener. Wie macht es der Erdgeschichtsforscher, um in diese vergangenen Zustände Einblick zu gewinnen, wo sie doch längst verschwunden sind? Wo liegt der Schlüssel zu den Geheimnissen der Urwelt? Die Erdrinde besteht, wie jedermann sieht und weiß, aus allerhand Materialien: Kies, Sand, Ton, Mergel, Kalk, Sandstein, Tonschiefer, Gneis, Granit, Basalt, Porphyr, auch Kohle. Diese sind lose oder fest, geschichtet oder ungeschichtet. Alles, was natürlicherweise den Boden, die Erdrinde zusammensetzt, sei es an der Oberfläche, sei es tief unten, n e n n t der Geologe ein Gestein. Jedes Gestein verdankt seine Entstehungs- u n d Lagerungsart einem bereits abgelaufenen erdgeschichtlichen Vorgang, sei es einem begrenzt örtlichen, sei es einem allgemeinen, umfassenden. Jedes 9

Material, was es auch sei, ist durch irgendeinen oder durch mehrere zusammenwirkende erdgeschichtliche Vorgänge an die Stelle gelangt, wo es heute liegt. Solcher Vorgänge gibt es im Prinzip vier: 1. Der Wasserkreislauf, der sowohl Gestein auflöst und abträgt, wie es auch niederschlägt und aufschichtet. Im weitesten Sinn gehört dazu nicht nur die beständige Arbeit des fließenden Wassers und der Niederschläge, sondern auch die gesamte Verwitterung und die Tätigkeit des Eises; 2. Die Tätigkeit des Windes. Der Wind entfaltet in vegetationslosen Gegenden gleichfalls eine abschleifende und aufschüttende Tätigkeit, insbesondere in den Wüsten, wo ganze Gebirgszüge durch die Schleiftätigkeit des sandbeladenen Windes abgefressen, Täler ausgefurcht und das Material in Form von Dünen wieder aufgehäuft wird. Die Verwitterung in den Wüsten aber vollzieht sich durch den steten Wechsel von einstrahlender Hitze und Nachtkälte; 3. Die aktive oder passive Tätigkeit der Organismen, sei es durch Mitarbeit an der Verwitterung, sei es durch Aufhäufung von Schalen und damit, besonders im Meer, durch organogene Sedimentbildung, endlich durch Kaikabscheidungen und Bauten, wie sie etwa Kalkalgen oder Korallen vollbringen; 4. Die vulkanischen Vorgänge. Unter solchen versteht man das Heraufdringen glühend geschmolzener Gesteinsmassen, des Magma, aus tieferen Zonen der Erdrinde, wobei diese Massen entweder bis auf die Oberfläche gelangen und dort explosiv oder nur quellend austreten oder sich nur in die Gesteinsschichten hineinpressen, sich ihnen einlagern, sie teilweise auch aufschmelzen und mineralisch umwandeln. Durch irgendeinen dieser vier Mechanismen ist jegliches Gesteinsmaterial der Erdrinde irgendwann einmal abgelagert worden und dorthin gelangt, wo es uns heute entgegentritt. Vieles hat aber auch, nachdem es abgesetzt war, im Lauf langer oder kurzer Zeit diemische und strukturelle Veränderungen erlitten, wie sich auch durch Ausdünstungen oder Tiefenwässer auf Spalten oder durch chemische Ausscheidungen späterhin vielfach noch Erze aussonderten oder vorhandene Gesteine durch die aufgedrungenen Magmen umgewandelt wurden. Dazu kommen nun die beständigen Hebungen und Senkungen der Länder und Meeresböden. Meeresböden mit den ihnen eingelagerten, meistens von den Ländern hereingebrachten Materialien wurden gehoben und Festland umgeformt, ja sie wurden auch 10

zu a l p i n e n G e b i r g e n a u f g e s t a u t — u n d so b e s t e h e n a n s e r e L ä n d e r großenteils aus S c h i c h t a u f h ä u f u n g e n f r ü h e r e r M e e r e bis in die höchsten B e r g e h i n a u f ; o d e r sie b e s t e h e n aus f r ü h e r e n Wüstenb i l d u n g e n , aus Fluß-, Seen- u n d S u m p f a b l a g e r u n g e n o d e r auch aus organischem o d e r v u l k a n i s c h e m M a t e r i a l u n d aus ü b e r e i n a n dergeschichteten L a g e n u n d Massen v o n a l l e d e m . Das E r g e b n i s dieser durch die J a h r m i l l i o n e n im Ä u ß e r e n u n d I n n e r e n d e r E r d r i n d e sich a b s p i e l e n d e n V o r g ä n g e n u n ist zu s e h e n im B a u d e r E r d r i n d e m i t i h r e n v e r s c h i e d e n e n M a t e r i a l i e n . So t r ä g t jegliches G e s t e i n die K e n n z e i c h e n seiner E n t s t e h u n g an sich, u n d aus diesen K e n n z e i d i e n ist seine Geschichte, sein W e r d e g a n g , m i t h i n auch d e r W e r d e g a n g des Stückes E r d r i n d e , das es z u s a m m e n s e t z t , abzulesen. So k ö n n e n wir durch E r f o r s c h u n g d e r G e s t e i n s a r t e n sagen, was f ü r ganz b e s t i m m t e Z u s t ä n d e in e i n e r G e g e n d f r ü h e r , sei es einmal, sei es n a c h e i n a n d e r h e r r s c h t e n . D e r Erdgeschichtsforscher sieht also, d a ß einst ein Meer b r a n d e t e , wo h e u t e ein stilles L a n d liegt; er sieht d e n m e h r f a c h e n Wechsel v o n F e s t l a n d u n d Meer in d e r Schichtenfolge e i n e r b e s t i m m t e n G e g e n d ; er sieht t ä t i g e Vulk a n e , wo h e u t e ein b e w a l d e t e s L a n d o d e r S e e n g e b i e t e l i e g e n ; er sieht Seen u n d W ä l d e r , wo h e u t e e i n e W ü s t e o d e r I n l a n d e i s m a s s e n sich a u s b r e i t e n . Es sind also die G e s t e i n e d e r E r d r i n d e das E r g e b n i s e n g o d e r weit u m sich g r e i f e n d e r erdgeschichtlicher V o r g ä n g e . Soweit sie nicht rein vulkanischer H e r k u n f t sind, h a b e n sie sich niedergeschlagen in R ä u m e n , wo es zu allen Z e i t e n auch ein Tier- u n d P f l a n z e n leben gab o d e r g e b e n k o n n t e . W e n n sich n u n ü b e r o d e r u n t e r Wasser M a t e r i a l i e n a u f h ä u f t e n , so g e r i e t e n vielfach, l e b e n d o d e r tot, einzeln o d e r in Massen, T i e r e u n d P f l a n z e n in die Schicht u n g e n mit h i n e i n . D e r e n Weichteile v e r w e s t e n allermeist, selten w u r d e n sie m u m i f i z i e r t o d e r h i n t e r l i e ß e n m e h r o d e r w e n i g e r deutliche A b d r ü c k e ; jedoch die H a r t t e i l e , also S k e l e t t e , P a n z e r , Schalen, b l i e b e n o f t , w e n n sie rasch e i n g e b e t t e t w u r d e n , durch Mineralisierung, P f l a n z e n meist durch V e r k o h l u n g e r h a l t e n . W e n n wir d a h e r die nichtvulkanischen G e s t e i n e d e r E r d r i n d e durchforschen, finden wir d a r i n häufig die K ö r p e r u n d R e s t e vorweltlichen Lebens. Das sind die V e r s t e i n e r u n g e n o d e r Fossilien. E i n e Verstein e r u n g , ein Fossil ist ein von N a t u r aus im G e s t e i n gleichzeitig mit dessen einstiger A b l a g e r u n g b e g r a b e n e r R e s t eines e h e m a l i g e n Lebewesens o d e r eines i h m z u g e h ö r i g e n Teiles o d e r Abdruckes, wobei die Substanz vielfach nicht m e h r u r s p r ü n g l i c h , s o n d e r n 11

mineralisiert ist, was aber nicht hindert, daß sie bis in ihre mikroskopischen Feinheiten erhalten sein kann. Die Deutung der Versteinerungen, die man ja auch in früheren Zeiten schon kannte, hat lange auf sich warten lassen. Fand man sie auf den Bergen, so meinte man wohl, einst habe das Meer an den heutigen Reliefformen so hoch hinauf gereicht; man wußte nicht, daß die Fossilien mitsamt den Schichten, aus denen sie ausgewittert waren, gleichzeitig entstanden waren und einst tief drunten vielleicht auf einem Meeresboden lagen. Fand man Knochen von großen vorweltlichen Land- oder Meerestieren, so bezog man sie auf die uralten Sagen und Mythen von Riesen und Ungeheuern. Im Mittelalter sprach man von Lusus naturae, Naturspielen, und meinte, sie seien so entstanden, wie vergleichsweise Eisblumen als scheinbare Blumen auf der Fensterscheibe. Oder man meinte, als Gott die Pflanzen und Tiere erschuf, sei der göttliche Hauch als Aura seminalis über die Gesteine hingestrichen, wobei viele Wesen, die sich bilden und zum Leben erwachen wollten, nicht zur vollen Entfaltung gekommen und noch vor ihrer Erstehung im Stein erstarrt wären. Im 18. Jahrhundert nahm man die Fossilien als wirkliche einstige Lebewesen und deutete sie als Reste des bei der biblischen Sintflut zugrunde gegangenen Lebens (Diluvianer) — bis man endlich um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert ihren wahren Charakter erkannte, damit auch diie in den Schichtungen bezeugten Erdperioden sah, aber noch meinte, die fossilen Lebewesen gehörten scharf getrennten, durch jeweilige Katastrophen ausgelöschten früheren Tier- und Pflanzenschöpfungen an. Erst zuletzt im 19. Jahrhundert kam man zu der Überzeugung eines geschlossenen stammesgeschichtlichen Zusammenhanges der ganzen organischen Welt von den ältesten Zeiten bis heute. Auch die richtige Folge der erdgeschichtlichen Zeitalter wurde erst im Lauf des vorigen Jahrhunderts erkannt. Die in den Gesteinen auftretenden Tier- und Pflanzenkörper sagen uns zugleich, in was für Lebensräumen die Gesteine, worin sie enthalten sind, einst abgesetzt wurden. Etwa einem Sandstein als solchem sehen wir es im allgemeinen nicht an, ob er in einem Meer, in einem Flußbett, in einem Süßwassersee oder in einem gelegentlich von Regengüssen überschütteten Wüstengebiet zusammengetragen wurde. Dazu verhelfen uns aber die Fossilien. Denn in einem Meeresgestein stecken eben Meerestiere und in einem Süßwassergestein Siißwassertiere oder -pflanzen. Gewiß 12

k o m m t es auch vor, d a ß v o m L a n d h e r in ein F i a c h m e e r L a n d tiere u n d - p f l a n z e n e i n g e s c h w e m m t w e r d e n , wie auch u m g e k e h r t von d e r B r a n d u n g an d e n S t r a n d g e w o r f e n e O r g a n i s m e n g e h ä u s e durch d e n W i n d w e i t l a n d e i n w ä r t s g e t r a g e n w e r d e n , u m d o r t in ein S ü ß w a s s e r b e c k e n zu g e r a t e n . A b e r es ist Sache e i n e r umsichtigen F o r s c h u n g , die p r i m ä r e E i n l a g e r u n g v o n d e r s e k u n d ä r e n zu u n t e r s c h e i d e n , u n d ein gelegentlicher Z w e i f e l w i r d durch die A r t d e r F u n d e u n d die A n s a m m l u n g auch s o n s t i g e r Fossilien in den b e t r e f f e n d e n Schichten b a l d b e h o b e n sein. So ist also die E r d r i n d e das g r o ß e Geschichtsbuch, aus dessen B l ä t t e r n m i t i h r e r s e l t s a m e n Z e i d i e n s c h r i f t w i r die V e r g a n g e n h e i t d e r E r d o b e r f l ä c h e u n d des L e b e n s ablesen k ö n n e n . A b e r h i e r s t e h e n wir n u n v o r e i n e r Schwierigkeit. D e n n sobald w i r das Buch ö f f n e n wollen, finden wir es teilweise in e i n e m schlimmen Durche i n a n d e r : seine B l ä t t e r sind m e i s t e n s z e r k n i t t e r t , zerrissen, verf a l t e t , i h r e R e i h e n f o l g e ist vielfach gestört, sie sind auch teilweise u n v o l l s t ä n d i g u n d v e r s c h w u n d e n . U m n u r d e n e x t r e m s t e n Fall h e r a u s z u g r e i f e n : E i n a l p i n e s G e b i r g e ist ein s t a r k gestörtes Stüde E r d r i n d e , w o r i n die einst m e h r o d e r w e n i g e r waagerecht lagernd e n Gesteinsschichten s t a r k d u r c h e i n a n d e r g e f a l t e t , ü b e r e i n a n d e r geschoben u n d m i t e i n a n d e r v e r k n e t e t sind, gleichzeitig a b e r , wie auch s e h r viele Scbichtsysteme d e r F l a c h l ä n d e r , durch B r ü c h e ane i n a n d e r a b g e s u n k e n . F e r n e r w u r d e zu allen Z e i t e n n e u e s M a t e r i a l a b g e l a g e r t , das ja nicht aus d e m U n g e f ä h r k a m , s o n d e r n d e n ä l t e r e n , schon v o r h a n d e n e n A b l a g e r u n g e n e n t n o m m e n w u r d e — soweit es nicht n e u aus d e r T i e f e auf v u l k a n i s c h e m W e g h e r v o r d r a n g , d a n n d e r V e r w i t t e r u n g a n h e i m f i e l u n d d e m K r e i s l a u f des Wassers als S e d i m e n t m a t e r i a l e i n v e r l e i b t w u r d e . Die w i e d e r a u f g e a r b e i t e t e n ä l t e r e n A b l a g e r u n g e n w a r e n a b e r doch selbst e i n s t die B l ä t t e r i h r e r Geschichtszeit, d e r e n M a t e r i a l somit in e i n e r n e u e n Z e i t e p o c h e zu n e u e n B e l e g b l ä t t e r n w u r d e . Das Buch m u ß also aus seinen Bruchstücken e r g ä n z t u n d gelesen w e r d e n . U n d so gilt es vor allem, diese w i e d e r richtig z u s a m m e n z u f ü g e n , sie w i e d e r in die w a h r e einstige R e i h e n f o l g e zu b r i n g e n , d a m i t w i r z u s a m m e n h ä n g e n d e T e x t e h e r s t e l l e n u n d sie lesen k ö n n e n . So k o m m e n wir zur A l t e r s f r a g e d e r Schichtungen u n d G e s t e i n e . Wir m ü s s e n von j e d e m G e s t e i n , j e d e m Bruchstück eines solchen wissen, welchem ganz b e s t i m m t e n erdgeschichtlichen Z e i t m o m e n t es a n g e h ö r t . W i r m ü s s e n f e r n e r wissen, welche e i n z e l n e n Schichtv o r k o m m e n in j e d e m L a n d u n d in j e d e r G e g e n d mit a n d e r e n 13

einzelnen Schichtvorkommen gleichzeitig abgelagert wurden. Wenn wir eine zuverlässige Geographie der Urwelt haben, wenn wir wissen und darstellen wollen, in welchen, weiteren oder engeren Gebieten der Erde zu einer ganz bestimmten früheren Zeit etwa Land und Meer, Flüsse und Seen, Wüsten oder Vulkangebirge lagen, so kann das nur erreicht werden, wenn wir auch an weit voneinander entfernten Stellen gleichalte Ablagerungen erkennen und zueinander in Beziehung setzen. An der einen Stelle war ein Meer, worin Kalkschlamm niedergeschlagen wurde; an einer anderen Stelle war ein Meer, in dem zu gleicher Zeit Sand und Geröll eingelagert wurde; an wieder einer anderen Stelle lag ein Seengebiet, worin ein feiner Tonschlamm sich absetzte. Wie stellen wir fest, welche nun erhärteten einstigen Ablagerungen im Felsgerüste der Erde gleichzeitig dagewesenen Räumen angehören, so daß wir alles zu einem richtigen geographischen Bild vereinigen können? Dazu können wir die fossilen Tier- und Pflanzenreste benützen, sie sind das einzige sichere Mittel, uns die Einordnung der Formationen zu ermöglichen. Es ist ein durchgehendes Gesetz in der Entwicklungsgeschichte des Lebens, daß sich ein fortlaufender Strom immer neuer organischer Formen über die Erde ergoß und daß in dieser unvorstellbaren Mannigfaltigkeit der Gestalten und Gestaltungen viel Gleiches und Gleichartiges zu jeweils derselben Zeit verbreitet war, Meeres- und Landorganismen; daß sich aber andererseits auch nie das Gleiche wiederholte, wenn es einmal ausgestorben oder durch die fortlaufende Entwicklung umgestaltet worden war. Viele Arten und Gattungen waren kurzlebig, viele langlebig; manche durchdauerten fast die ganze erdgeschichtliche Zeit, andere verweilten nur eine kurze Frist. Waren sie aber einmal verschwunden, so kam die gleiche Form nicht wieder. Darauf beruht es, daß man bestimmte längere oder kürzere Zeitalter und Zeitstufen mit ganz bestimmten Tier- und Pflanzenarten benennen kann. Wie wir in der menschlichen Geschichte bestimmte Zeitalter durch Dynastien oder Kulturformen bezeichnen, ganz kurze Zeiten wohl auch durch einzelne hervorragende Männer, so können wir Zeitalter und Zeitstufen, aber auch engste kürzeste Zeitphasen der Erdgeschichte mit Fossilien belegen und markieren. (Abb. 1, 2). Wir suchen zu diesem Zweck möglichst solche Formen heraus, die in einer bestimmten engeren oder weiteren Zeitphase oder Zeitstufe überall auf der Erde verbreitet waren. Solcherweise 14

gelingt es, die mit gleichen oder gleichartigen organischen Formen ausgestatteten Schichten, wo sie auch auf der Erde lagern mögen, als gleichalt zu erkennen. Es wird also damit nicht ein absolutes Alter nach J a h r e n festgestellt, sondern ein relatives. Dadurch können wir mit Bestimmtheit sagen, wo zu relativ gleicher erdgeschichtlicher Zeit etwa eine Meeresbedeckung auf der Erdoberfläche lag u n d wo nicht. Wir können sagen, wo Land lag u n d wo nicht. Wir können sagen, wo gleichzeitig Seen u n d Flüsse oder Sumpfwälder lagen. Treffen wir etwa in gleichalten Meeresablagerungen eingeschwemmte Landpflanzen oder sind die betr. Meeresschichten mit anderen seitlich verzahnt, in denen sich Landpflanzen finden, so zeigt dies unmittelbar an, daß in derselben Zeit ein Süßwassersee oder trockenes Landgebiet sich an den Meeresraum anschloß. Durch planmäßige Verfolgung der Schichtenausdehnung wird sich dann Umfang u n d Begrenzung solcher Komplexe weiterhin ergeben.

c Abb. 1. Leitfossilien verschiedener Zeiten und Zeitstufen. (Nach E. Kayser.) a) Oberkambrium: Trilobitenkrebs (Olenus); b) Obersilur: Trilobitenkrebs (Cheirurus); c) Mitteldevon: Taschel (Stringocephalus); d) Oberdevon: Ammonit (Manticoceras). 15

Abb.

2.

Leitfossilien

verschiedener Zeiten E. Kayser.)

und

Zeitstufen.

(Nach

a) Oberkarbon: Taschel (Spirifer); b) Oberste Trias, Rhät.: Muschel (Avicula); c) Mittlerer Lias: Ammonit (Amaltheus); d) Unterer Malm: Ammonit (Perisphinctes); e) Oberer Malm: Muschel (Diceras).

Man nennt die zum relativen Altersvergleidi brauchbaren Organismenformen „Leitfossilien", weil sie uns bei der Entwirrung der einstigen geographischen Zusammenhänge leiten. Durch weltweite Anwendung dieser Methode ist es gelungen, eine allgemein gültige Zeitenfolge auszumachen, trotz des Durcheinanderliegens der Blätter unseres großen Geschichtsbuches. Es ist gelungen, sie alle im Geist wieder auszuglätten, zu ordnen, so als ob sie regelrecht und unvermindert alle übereinander lägen. So ergab sich eine geologische Zeittabelle. Sie beruht wesentlich auf den Meeresablagerungen, weil solche sehr weit verbreitet sind, zahlreich übereinanderliegen und meist die besten und ausgiebigsten Fossilfunde

16

d a r b i e t e n , was b e i L a n d a b l a g e r u n g e n alles w e n i g e r z u t r i f f t . Trotzd e m ist es ü b e r die E r d e h i n g e l u n g e n , auch die a l l e r m e i s t e n L a n d a b l a g e r u n g e n zeitlich dieser T a b e l l e e i n z u g l i e d e r n , so d a ß wir h e u t e ein in vielen E i n z e l f ä l l e n e x a k t e s , sonst a b e r zureichendes Bild v o n d e r e i n s t i g e n V e r t e i l u n g des Wassers u n d L a n d e s in d e n f r ü h e r e n E r d z e i t e n b e s i t z e n : ein p a l ä o g e o g r a p h i s c h e s Bild. A m Schluß des I I . H a u p t t e i l e s ist e i n e Übersicht ijber die Erdzeita l t e r u n d die E n t f a l t u n g des L e b e n s d a r i n w i e d e r g e g e b e n . Die in dieser Z e i t t a b e l l e , auch F o r m a t i o n s t a b e l l e g e n a n n t , a u f g e f ü h r t e n N a m e n b e d e u t e n somit ausschließlich auch n u r Z e i t b e z e i c h n u n g e n , selbst w e n n sie W o r t e wie B u n t s a n d s t e i n , Muschelkalk, K r e i d e e n t h a l t e n . Diese N a m e n sind e b e n e i n z e l n e n G e s t e i n s f o r m a t i o n e n e n t n o m m e n , an d e n e n z u m e r s t e n m a l als an charakteristischen G e s t e i n e n d e r b e t r . Z e i t r a u m e r k a n n t u n d e r f o r s c h t w u r d e . And e r e , wie K e u p e r u n d Lias, sind o r t s s t ä n d i g e n B e z e i c h n u n g e n l o k a l e r A u s b i l d u n g e n d e r b e t r . Z e i t s t u f e e n t n o m m e n , w i e d e r and e r e wie A l g o n k i u m , K a m b r i u m , Silur, C e n o m a n k o m m e n v o n L a n d s c h a f t e n o d e r V o l k s s t ä m m e n , in d e r e n G e b i e t die e n t s p r e chende Z e i t s t u f e e r s t m a l i g e r k a n n t w u r d e . Trias b e d e u t e t dreigeteilte F o r m a t i o n , T e r t i ä r ist das R e s t w o r t e i n e r E i n t e i l u n g , die zuerst v o n P r i m ä r - , S e k u n d ä r - u n d T e r t i ä r f o r m a t i o n sprach. D a ß m a n d e n N a m e n „ F o r m a t i o n " gleichsetzt m i t d e r B e z e i c h n u n g Epoche o d e r P e r i o d e , k o m m t lediglich d a h e r , d a ß e b e n die Form a t i o n zugleich auch als sichtbare K ö r p e r l i c h k e i t g r e i f b a r die Zeit als solche r e p r ä s e n t i e r t . Zu gleicher Zeit w u r d e n a b e r stets die v e r s c h i e d e n a r t i g s t e n M a t e r i a l i e n abgesetzt, so wie auch h e u t e auf d e r E r d o b e r f l ä c h e das alles sich t a u s e n d f ä l t i g abspielt. Man u n t e r s c h e i d e t in d e r Erdgeschichte zunächst d r e i g r o ß e o d e r Hauptzeit- und Weltalter: Erdaltertum (Paläozoikum), Erdmittelalter (Mesozoikum) u n d E r d n e u z e i t ( N e o z o i k u m ) . J e d e s dieser W e l t a l t e r w i r d e i n g e t e i l t in m e h r e r e H a u p t p e r i o d e n , diese w i e d e r in einzelne S t u f e n . M e h r ist auf d e r T a b e l l e nicht a n g e g e b e n . I n d e s s e n ist d a m i t die F e i n h e i t d e r S t u f e n e i n t e i l u n g keineswegs e r s c h ö p f t . In d e r J u r a f o r m a t i o n beispielsweise lassen sich etwa 1 8 — 2 4 E i n z e l p h a s e n e r k e n n e n , von d e n e n j e d e durch eine b e s o n d e r e T i e r w e l t sowie e i n e n b e s t i m m t e n L a n d - u n d Meereswechsel, ja teilweise auch durch gewisse klimatische Verä n d e r u n g e n ausgezeichnet ist. Natürlich k a n n d i e A l t e r s f o l g e d e r e i n z e l n e n Schichtungen u n d ganzer F o r m a t i o n e n n u r richtig e r m i t t e l t w e r d e n , w e n n m a n in i

Dacque,

Vermächtnis

17

der Natur b e o b a c h t e t , was in ungestörter, nicht v e r f a l t e t e r und umge•S

stürzter W e i s e von Urzeit h e r nor-

SP 2

mal ü b e r e i n a n d e r liegt. (Abb. 3.) E r s t

•2 ^

durch K o m b i n a t i o n solcher im wesent-

| ¿j ^ nsuoQ

13 t? 3

Sj

jäj ° S

liehen örtlichen F o l g e n ist dann die Gesamteinordnung

auch der

gestör-

ten und g e f a l t e t e n Massen

möglich

geworden. Nachdem man e i n m a l eine gut

durchgearbeitete

künde

hatte,

war

den

weiter

möglich,

t2 "0

Schichtungen

S nÜ

tige L a g e wieder herzustellen, Ist

in

dann

S ^g

g S>

auch

Leitfossilien-

es

gestörten

die ursprünglich

beispielsweise

ein

rich-

ehemaliges

Meeresgebiet h e u t e gehoben und zu ^ -tf |

g ^

J3II07USIJOH

F e s t l a n d geworden, sind die Schichtungen

ganz

oder

größtenteils

h ä r t e t , so werden sie vom

er-

Wasser-

g -g

kreislauf und der V e r w i t t e r u n g

er-

g

griffen und zernagt. So h a b e n

wir

ü

alsdann

und

S J bjo C £ g,

T ä l e r n , an deren R ä n d e r n die vor-

e

"g a o) iT S |

ein L a n d

weltlichen

mit

Schichten

„anstehen",

also

an

Höhen

heraustreten, allen

Uneben-

h e i t e n h e r v o r t r e t e n und so auch ab-

^ .fc

gebaut werden k ö n n e n . W i r

^

auf diese W e i s e Querschnitte durch

haben

jjs

Profile geben uns die richtige R e i h e n -

die Schichtfolgen, ein „ P r o f i l " . Diese PX-JE >i03N

folge,

m

-

t

m

ihre

Gegenden gibt uns dann zunehmend

o*

nach

§ g

ständigung der F o r m a t i o n e n —

^

dies ist die reale Gegenständlichkeit

°

den

und

§ |

oben

in

Yergleichung

Kombination

-o P -o 5

18

und

» |

und u n t e n

der F o r m a t i o n s -

verschiedenen die

Vervollund

oder Z e i t t a b e l l e ,

2.

V o r w e l t l i c h e r Land-

und

M e e r e s w e c h s e l

Wollen wir die Welt ringsum mit den uns derzeit möglichen wissenschaftlichen Methoden verstehen, so müssen wir vor allem aufhören, sie uns in festen Formen vorzustellen. Wir müssen sie als ein stetiges Fließen, als ein immer erneutes Werden begreifen. Jedermann kennt eine Anzahl Vorgänge und Erscheinungen, welche uns den Wechsel des Erdbildes heutigentags veranschaulichen und, in die früheren Zeiten zurückverfolgt, uns weitausgreifende Umwandlungen verständlich machen. Vor allem sei erinnert an die vulkanische Kraft, welche in ganz kurzer Zeit, so daß Generationen es miterleben, Berge und Gebirge aufschüttet, Inseln aus dem Meer aufsteigen und sie leicht wieder in die Luft blasen oder versinken lassen kann. Oder das Meer nagt sichtbar in Jahrhunderten und Jahrtausenden mit seiner Brandung an den Küsten, bewältigt zugleich mit Hilfe der Verwitterung die härtesten Felsmassen und dringt so allgemach und sicher landeinwärts. Wir denken etwa an Helgoland, das bis zur Zeit unserer Urväter noch ein großes Gebiet war und früher mit dem Festland in Verbindung stand; oder wir denken an die Meereseinbrüche in Holland, deren einem die Zuidersee in einer Nacht ihre Entstehung verdankt; oder an die ostfriesischen Inseln und die Halligen, die nur letzte Reste des dort vom Meer verschlungenen Landes sind. Zur Zeit des Urmenschen erstreckte sich das europäische Festland noch bis zur Doggerbank, wo ehedem auch die Rheinmündung lag. Zudem sehen wir, wie alles Land unaufhörlich durch die Verwitterung und den Wasserkreislauf abgetragen wird. Was die Flüsse seit Jahrtausenden in die Niederungen und in das Meer schleppen, was sie dort an Materialien aufhäufen, wie jahraus jahrein etwa die Alpen erniedrigt werden, indem dauernd Schuttströme hinausgetragen werden — das ist ein jedermann verständlicher Vorgang in der Umgestaltung des Erdreliefs, klein zwar im Augenblick, riesengroß aber in seiner Wirkung durch die Summierung in langen Zeiträumen. Wenn die abtragenden Kräfte, die das Niveau auszugleichen streben, ungehemmt weiterarbeiten könnten, so müßten schließlich alle Gebirge verschwunden, alle Tiefen des Landes ausgefüllt un.d eine öde Gleichförmigkeit im Relief der Länder das Ergebnis sein. J a , dieser Zustand wäre im Lauf der jahrmillionenlangen Erdgeschichte schon längst erreicht, wenn nicht diesen abtragenden 19

u n d einebnenden, von außen auf den Erdball einwirkenden Gewalten andere, von innen her wirkende K r ä f t e entgegenstrebten, welche Länder heben oder senken, Meeresböden emporwölben oder noch tiefer versinken lassen und Gebirge emporfalten, und denen wir im wesentlichen das zuschreiben müssen, was uns als durchgreifender, weitgehender, heute noch keineswegs abgeschlossener erdgeschichtlicher Wechsel von Land u n d Meer erscheint. Dort, wo das Meer an die Küsten schlägt, schafft es durch deren Zerstörung und Rückwärtsverlegung allmählich einen Flachstrand. Wir stellen uns weiter vor, es werde an einer solchen Küste der Meeresspiegel gesenkt oder, was hier dasselbe ist, das Land gehoben. Dann liegt jene Küstenterrasse wie ein Gesimse hoch oben und wird nicht mehr von der Brandung berührt. Weiter u n t e n aber im jetzigen Brandungsgürtel entsteht ein neuer Strand. Tritt nach längerer Zeit noch einmal ein solcher Senkuirgs- bzw. Hebungsvorgang ein, so werden nun zwei Gesimse an der hohen Steilküste entlang laufen usf. An vielen heutigen Küsten finden wir in der Tat solche alten Strandterrassen, oft in 200—500 m über dem jetzigen Meeresstrand, so beispielsweise in Skandinavien, Schottland, Nordspanien, Nordu n d Südamerika. Die Frage ist nur, ob beim Zustandekommen dieser Erscheinung das Land sich gehoben oder der Meeresspiegel sich gesenkt hat, was in der äußeren Wirkung auf dasselbe hinauskommt. Es ist aber in den genannten Fällen zweifellos das Feste, nicht das Wasser, das die Bewegung ausführte. Denn in Skandinavien steigen die Strandterrassen, wo sie in die Täler hineinziehen, landeinwärts etwas an, was nicht sein könnte, wenn der Meeresspiegel gesunken wäre, weil dieser sich ja nur waagerecht senken oder heben kann. Sodann beobachtet man in anderen, den genannten Ländern benachbarten Gegenden zugleich die Anzeichen entgegengesetzter Bewegung; also hat auch hier der Meeresspiegel sich nicht gehoben, weil dieser nicht Niveauunterschiede nebeneinander aufweisen kann. Ein anderes Anzeichen sind die im Meer ertrunkenen Flußtäler. Ein Flußtal, also eine von einem Strom im Lauf der Jahrtausende ausgefurchte Rinne mit ihrer charakteristischen Querschnittsform in hartem oder weichem Gestein kann nicht auf dem Meeresboden entstehen, zumal nicht quer zum Festland. Sehen wir also ein Stromtal an der F l u ß m ü n d u n g sich auf dem Boden des Meeres unmittelbar fortsetzen, so ist der Schluß unausweichlich, daß es 20

ehedem über dem Meeresspiegel lag und später mit dem Umland darunter versank. Ein Beispiel hierfür ist die Kongofurche in Westafrika, die sich kilometerweit auf den untermeerischen Raum hinaus erstreckt; auch die norwegischen Fjorde, die Küstenkulissen der nordspanischen und kleinasiatischen Küste sind Flanken solcher versunkenen Flußtäler. Vielfach erkennt man auch an derselben Stelle eine doppelte Bewegung: zuerst versank das Land mit seinen Tälern, dann hob es sich wieder. Es handelt sich bei den beschriebenen Hebungen und Senkungen nur um geringe Beträge, die sich noch innerhalb der 200-m-Grenze halten. Nimmt man an, das Meer rings um Europa würde sich um 200 m senken oder das Land um ebensoviel sich heben, was bei der großen Raumausdehnung verhältnismäßig wenig wäre, so würden weite Flächen im Umkreis des jetzigen Landes trockengelegt. Die britischen Inseln wären mit dem Festland verbunden. Ost- und Nordsee würden verschwinden, abgesehen von einer schmalen Rinne um das westliche Südnorwegen herum. Würde sich dagegen das Meer nicht nur im europäischen Umkreis, sondern allgemein um 200 m heben, also das Land um soviel senken, so kämen weite Strecken Europas, der größte Teil von Nordamerika und Südamerika, Westafrika mit der Sahara, fast ganz Sibirien mit Ausnahme des östlichen Teils, ganz Rußland, Norddeutschland und Westfrankreich unter den Meeresspiegel. Ununterbrochen durch viele Jahrmillionen hindurch haben so das Land und das Meer ihre Grenzen gegeneinander verschoben. Das sehen wir an den in allen Gegenden aufgetürmten mächtigen Schichtenfolgen, die teils weit herausragen, teils tief versenkt druntenliegen, die uns nicht nur von ihrem Charakter als ehemalige Meeresböden Kunde geben und von dem, was am Meeresboden lebte, sondern eben auch mit ihrer viele Tausende Meter ausmachenden Mächtigkeit zeigen, um welche Riesenbeträge sich die Erdrinde gehoben und gesenkt haben muß. Wir sehen also große, gewaltige Bewegungen der Erdrinde, wobei aus den Meerestiefen auch die Hochgebirge zu verschiedenen Zeiten aufgestiegen sind. Die etwa unsere Kalkalpen bildenden Schichtmassen sind nichts anderes als Sand- und Kalkniederschläge, die in urweltlichen Zeiten von urweltlichen Flüssen ebenso in das Meer transportiert und von organismischen Massen durchsetzt wurden, wie es heute noch, besonders in den Flachmeeren, geschieht. Die ursprüngliche gelagerte Dicke dieser alpinen Schicht21

m a s s e n b e t r ä g t m e h r e r e t a u s e n d M e t e r . D e n n o c h h a b e n sie alle n u r F l a c h m e e r c h a r a k t e r . D a r a u s g e h t h e r v o r , d a ß das e i n s t i g e a l p i n e Meer nicht ein t i e f e r T r o g war, d e r d a n n a u f g e f ü l l t w u r d e , s o n d e r n d a ß es selbst d a u e r n d ein F l a c h m e e r v o n allerhöchstens 200 m T i e f e w a r , d a ß a b e r sein B o d e n im Lauf d e r E p o c h e n sich l a n g s a m u m soviel s e n k t e , als n u n Schichtmassen z u l e t z t darinlagen. D a n n a b e r k a m es z u r e n t g e g e n g e s e t z t e n B e w e g u n g , wodurch alles, wie e t w a i m H i m a l a j a , u m a b e r m a l s T a u s e n d e von M e t e r n , d o r t bis 9000 m, e m p o r s t r e b t e , so d a ß auch in j e n e m H ö c h s t g e b i r g e d e r E r d e , wie in u n s e r e n A l p e n , auf d e n höchsten G i p f e l n M e e r e s v e r s t e i n e r u n g e n h e r a u s w i t t e r n . Die v o r h i n geschild e r t e n jetztzeitlich b e o b a c h t b a r e n H e b u n g e n u n d S e n k u n g e n d e r M e e r e s k ü s t e n sind d a h e r n u r T e i l v o r g ä n g e ä o n e n l a n g e r , noch viel g r ö ß e r e r u n d s t ä r k e r e r B e w e g u n g e n , d i e bis in die f e r n s t e n T a g e d e r V o r z e i t zurückreichen. W i e e r s t a u n l i c h rasch dieser vorweltliche L a n d - u n d Meereswechsel o f t v o r sich ging, zeigt u n s die im vorigen Abschnitt schon erw ä h n t e J u r a z e i t , die w i r in zwei D u t z e n d e i n z e l n e Z e i t p h a s e n e i n t e i l e n k ö n n e n . W i r geben n e b e n a n zwei K ä r t c h e n , die d e n L a n d - u n d Meereswechsel in zwei h e r a u s g e g r i f f e n e n Z e i t s t u f e n veranschaulichen. (Abb. 4.) K ö n n e n w i r durch u n m i t t e l b a r e B e o b a c h t u n g u n d A u s d e u t u n g d e r A b l a g e r u n g e n u n d Schichtsysteme auf d e n u n s zugänglichen Festl a n d s g e b i e t e n die w e c h s e l n d e n L a n d - u n d M e e r e s g r e n z e n in vorweltlicher Zeit f e s t s t e l l e n , so ist es e t w a s a n d e r e s m i t d e n Flächen, die h e u t e v o n O z e a n e n ü b e r d e c k t s i n d ; u n d das sind zwei D r i t t e l d e r G e s a m t e r d o b e r f l ä c h e . Was wissen wir v o n diesen meerü b e r d e c k t e n O z e a n g e b i e t e n ? W a r e n sie auch e i n m a l ganz o d e r teilweise L a n d ? W i r erschließen dies aus b i o g e o g r a p h i s c h e n u n d aus geologischen M o m e n t e n . So l a g e r n beispielsweise in S ü d a f r i k a G e s t e i n s b i l d u n g e n aus Süßwasserseen des s p ä t e r e n E r d a l t e r t u m s u n d des f r ü h e n E r d m i t t e l a l t e r s ; sie b r e c h e n u n m i t t e l b a r am I n d i s c h e n O z e a n ab, h a b e n sich also ersichtlich einst in das A r e a l dieses Meeres h i n e i n noch f o r t gesetzt. D r ü b e n in V o r d e r i n d i e n a b e r s t e h t dieselbe F o r m a t i o n an u n d auch sie bricht am d o r t i g e n M e e r e s r a n d u n v e r m i t t e l t ab. Es l ä ß t dies also den Schluß zu, d a ß ein großes v e r b i n d e n d e s L a n d a r e a l einst b e i d e G e b i e t e v e r e i n i g t e , zumal auch die in j e n e n Form a t i o n e n b e i d e r s e i t s e r h a l t e n e n Tier- u n d P f l a n z e n r e s t e weitg e h e n d u n d teilweise völlig ü b e r e i n s t i m m e n . E b e n dies b e g e g n e t 22

Abb.

4. Paläogeograpliische

Verbreitung von Meer (fein während der Unterjurazeit

Karlen

von Europa.

(Nach

Lapparent.J

schraffiert) und Land (weiß) zeigend. Oben: (Lias); unten: tvährend der Mitteljurazeit ( Dogger).

u n s auch noch im östlichen T e i l von S ü d a m e r i k a u n d d e u t e t

die

e i n s t i g e V e r b i n d u n g mit S ü d a f r i k a an. O d e r ein a n d e r e s B e i s p i e l : In N o r d w e s t a f r i k a bricht d a s A t l a s g e h i r g e a m R a n d des A t l a n t i k plötzlich a b , seine K ä m m e s e t z e n sich a b e r a m M e e r e s b o d e n westw ä r t s w e i t e r f o r t , u n d die K a p v e r d i s c h e n I n s e l n g e h ö r e n noch zu d i e s e m v e r s u n k e n e n G e b i r g s k ö r p e r . D i e K o n g o f u r c h e als H i n w e i s auf die e i n s t i g e w e s t w ä r t s gerichtete F o r t s e t z u n g des a f r i k a n i s c h e n

Abb. 5. Die ältesten vorkambrischen Kontinentalkerne, eingezeichnet in eine heutige Erdkarte, so daß ihr Umfang gegenüber den jetzigen Kontinentalflächen und Ozeanen sichtbar ist. (Original.) K o n t i n e n t e s w u r d e b e r e i t s e r w ä h n t . F e r n e r sind in W e s t a f r i k a u n d S ü d a m e r i k a teilweise die gleichen S ü ß w a s s e r k r e b s e u n d -Schnecken anzutreffen;

sie k ö n n e n nicht

über den weiten salzigen

v e r f r a c h t e t w o r d e n sein, k a m e n auch nicht durch d e n dahin. Alles

d a s spricht f ü r d e n einstigen Z u s a m m e n h a n g

atlantischen Im

frühen

Ozean

Menschen eines

Festlandgebietes. Erdaltertum

K o n t i n e n t auf

dehnte

sich vor

der S ü d h a l b k u g e l

größer als einige d a m a l s

auf

aus

der

allem

ein

sehr

( A b b . 5 ) . E r war

Nordhalbkugel

großer ungleich

liegende

Kon-

t i n e n t a l g e b i e t e , die sich im wesentlichen auf eine sibirische L a n d masse,

auf

einen f e n n o s k a n d i n a v i s c h - w e s t r u s s i s c h e n

grönländisch-kanadischen

Kern

beschränkten.

Wirft

und

einen

man

einen

Blick auf den G l o b u s , so g e w a h r t m a n u m g e k e h r t die H a u p t l a n d m a s s e n h e u t e auf Südhalbkugel

24

jetzt

der N o r d h a l b k u g e l , w ä h r e n d d a g e g e n d a s ozeanische

Element

auf

der

vorherrscht u n d

die

K o n t i n e n t e n u r spitz z u l a u f e n d e d ü r f t i g e Teile sind. J e n e r g r o ß e alte S ü d k o n t i n e n t a b e r u m f a ß t e nicht n u r S ü d a m e r i k a , S ü d a f r i k a , M a d a g a s k a r , I n d i e n u n d A u s t r a l i e n , s o n d e r n wahrscheinlich auch noch e i n e n g r o ß e n T e i l des S ü d p o l a r g e b i e t e s . I m L a u f e des E r d m i t t e l a l t e r s wird d e r a l t e g r o ß e S ü d k o n t i n e n t durch h e r e i n d r i n g e n d e M e e r e s a r m e allmählich z e r g l i e d e r t . E r zerf ä l l t n u n z u s e h e n d s , es b e g i n n e n sich die australische, die a f r i k a nische u n d die s ü d a m e r i k a n i s c h e R e g i o n d e u t l i c h e r v o n e i n a n d e r a b z u h e b e n . U n t e r d e s s e n h a t t e sich auch das d r e i g e t e i l t e K o n t i n e n talgebiet auf d e r N o r d h a l b k u g e l u n t e r w e c h s e l n d e r E r w e i t e r u n g u n d W i e d e r v e r e n g e r u n g allmählich d e u t l i c h e r a u s g e s t a l t e t u n d streckenweise z u s a m m e n g e s c h w e i ß t . U n t e r v i e l e m H i n u n d H e r w u r d e d a n n in d e r T e r t i ä r z e i t d e r S ü d k o n t i n e n t zerstückelt, w e n n auch lange noch M a d a g a s k a r u n d V o r d e r i n d i e n z u s a m m e n h i n g e n . Die N o r d m a s s e n wuchsen völlig z u s a m m e n u n d m e h r u n d m e h r w u r d e n ü b e r a l l die h e u t i g e n U m r i s s e h e r g e s t e l l t . J e t z t a b e r , in d e r Q u a r t ä r z e i t , h e b e n u n d 'senken sich in d e r eingangs geschild e r t e n k l e i n p h a s i g e n Weise die K ü s t e n aller L ä n d e r (die l e t z t h i n g e h o b e n e n K ü s t e n w u r d e n schon g e n a n n t ) ; in sehr s t a r k e r Senk u n g b e f i n d e t sich d e r niederländisch-indische Archipel u n d vermutlich d e r ostasiatisch-japanische R a n d . Viel u n s i c h e r e r ist es d a g e g e n , was einst m i t d e m Stillen Ozean, d e m Pazifik, war. E r ist ü b e r die h a l b e E r d k u g e l a u s g e d e h n t , u n d w e n n wir v o n d e n f r ü h e r e n L ä n d e r n u n d M e e r e n sprechen, so b e d e n k e n wir viel zu wenig, d a ß wir da eigentlich n u r die eine H a l b k u g e l ins A u g e g e f a ß t h a b e n . A b e r was m i t j e n e r u n g e h e u r e n Wasserfläche d a m a l s war, als auf d e r e i n e n H a l b k u g e l die eben geschilderten V e r h ä l t n i s s e h e r r s c h t e n , wissen wir nicht m i t gleicher Genauigkeit. Nach a s t r o n o m i s c h e r L e h r e soll d e r Pazifik die N a r b e sein, welche die M o n d m a s s e bei i h r e r A b s c h l e u d e r u n g auf d e r E r d e h i n t e r l i e ß . Aus b e s t i m m t e n E r w ä g u n g e n geht h e r v o r , d a ß diese h y p o t h e t i s c h e A b s c h l e u d e r u n g , w e n n ü b e r h a u p t , erst s t a t t g e f u n d e n h a b e n k a n n , als die E r d e b e r e i t s e i n e f e s t e R i n d e b e s a ß ; es k ö n n t e also d e r G e d a n k e des L o s r e i ß e n s d e r M o n d m a s s e an d e r pazifischen Seite des E r d b a l l s wohl einige W a h r s c h e i n l i c h k e i t f ü r sich h a b e n . Doch es gibt a n d e r e r s e i t s geologische G r ü n d e , die keineswegs jenes Areal so l a n d l e e r in f r ü h e r e r Zeit erscheinen lassen, wie es sich h e u t e u n s e r e m Blick d a r b i e t e t . So b e s t e h e n die polynesischen I n s e l n vielfach aus d e m gleichen U r g e s t e i n wie die a l t e n nordischen 25

und südlichen L a n d k e r n e auf der entgegengesetzten E r d h ä l f t e . A u d i tiergeographische G r ü n d e sprechen f ü r einstige Landzus a m m e n h ä n g e über den Pazifik hinweg. So leben gleiche bizarre Echsenarten in N e u s e e l a n d und S ü d a m e r i k a ; es leben seit der Tertiärzeit die eigenartigen Beuteltiere in S ü d a m e r i k a und Australien oder teilweise dieselben Schlangenarten auf Madag a s k a r u n d in S ü d a m e r i k a . Auf den G a l a p a g o s i n s e l n , westlich von S ü d a m e r i k a , leben Riesenschildkröten, die unmöglich auf diesem kleinen Archipel entstanden sein k ö n n e n ; sie deuten auf ein vorher größeres weiteres L a n d g e b i e t . Um die Mitte der Kreidezeit kommen die Laubhölzer in N o r d a m e r i k a erstmalig auf eine Weise zum Vorschein, daß man auf eine Entstehung in pazifischem Landgebiet schließen muß. Und f ü r die jüngste Zeit deutet die Osterinselkultur mit ihren riesigen Steinfiguren gleichfalls auf einen verschwundenen L a n d k o m p l e x mit alter K u l t u r . Ein wesentliches B e w e i s m o m e n t f ü r versunkenes pazifisches L a n d endlich sind die Korallenriffe. K o r a l l e n sind kleine, miteinander verwachsene und in Massen beisammenlebende Polypen, die mächtige K a l k k l ö t z e a u f b a u e n . Sie können nur bis zu einer T i e f e von 40 m in warmem Meereswasser leben. Sinken die K ü s t e n und der Flachmeerboden, auf dem sie siedeln, so sterben sie ab, j u n g e Generationen b a u e n unentwegt über den toten L a g e n weiter. Nun hat man auf den pazifischen Koralleninseln gebohrt und dabei stellenweise bis zu tausend Meter nur K o r a l l e n k a l k durchsunken. Das bedeutet, daß sich dort der Untergrund um soviel gesenkt hat, so daß jetzt mächtige Riffklötze aus der T i e f e des Ozeans emporragen. Es hat also im Gebiet der Koralleninseln einmal L a n d und K ü s t e gegeben. Man hat, wie gezeigt, große transozeanische L a n d v e r b i n d u n g e n f ü r die Vorzeit angenommen. Doch dieser wohlbegründeten Auff a s s u n g stehen nun andere E r f a h r u n g e n gegenüber, die sich zur Lehre von der P e r m a n e n z der K o n t i n e n t e und Ozeane verdichteten und f ü r die Urzeit nur verhältnismäßig geringe Veränderungen annehmen ließen. Man steht hier vor großen und widerspruchsvollen erdgeschichtlichen Problemen, die wir kurz skizzieren wollen. Zeichnet man auf einem idealen Erddurchschnitt die T i e f e der Ozeane und die Höhe der K o n t i n e n t e in richtigem Maßstab ein, so erscheinen jene nicht als Becken und diese nicht als Buckel, sondern beide als konvexe Kugelflächen von verschiedener Höhen26

läge. Diesem Lageunterschied entspricht ein Gewichtsunterschied. Wären beide Bodenflächen, die ozeanischen und die kontinentalen, aus d e m gleichen Gesteinsmaterial a u f g e b a u t , so müßte ein u n d derselbe K ö r p e r über dem Ozean weniger wiegen als über d e m K o n t i n e n t , weil über dem ersteren eine (mit Wasser nur a u f g e f ü l l t e ) R a u m l e e r e vorhanden ist. T r o t z d e m bleibt erfahrungsgemäß das Körpergewicht über einem Ozean, einem Flachlandgebiet und einem Hochgebirge wesentlich das gleiche. E s muß sich also der E r d k ö r p e r in einem Gewichtsausgleich befinden, dahingehend, daß die größere Materialmenge in der Kontinentalschale ausgeglichen ist durch ein weniger dichtes Material mit geringerem spezifischem Gewicht, dagegen die geringere Materialmenge im ozeanischen R a u m durch ein dichteres Material von erhöhtem spezifischem Gewicht. Aus diesen und einigen anderen geophysikalischen Erwägungen gelangt man so zu der Vorstellung, daß in eine tieferliegende K r u s t e n z o n e von der Dichte und dem Charakter basaltischer Gesteine eine andere, höherliegende Kugelschale, die kontinentale, vom Charakter der Gneisgesteine mit geringerem Gewicht etwa 120 km tief eingelassen ist und 8 — 1 0 km über sie hinausragt. Unterhalb der 120 km T i e f e sind alle Gesteine gleich. Diese kontinentale K r u s t e kann sich bei Fließbewegungen und Schwereverschiebungen im tieferen U n t e r g r u n d (unter 60 km) heben oder senken, wie sich aus demselben Grund auch der Ozeanboden stellenweise, wenn auch träger, heben und senken kann. Dadurch kommt ein wechselndes Steigen und Sinken sowohl der L ä n d e r und Meerestiefen wie des Meeresspiegels zustande, es kommt zu Überflutungen (Transgressionen) oder Rückflutungen (Regressionen) über dem Kontinentalgebiet. Aber zugleich ist auch ein wirklicher Austausch von Kontinental- und Ozeanboden ausgeschlossen. K ö n n e n also doch keine so großen transozeanischen Landbrücken und K o n t i n e n t z u s a m m e n h ä n g e existiert haben, wie wir sie etwa f ü r das E r d a l t e r t u m auf der Südhalbkugel geschildert h a b e n ? Nach dem soeben Gesagten müßte das durchaus verneint werden. Aber wir sahen doch, daß gewichtige G r ü n d e dennoch f ü r solche Ozeanländer sprachen, daß also Kontinentalgebiet zu Ozeantiefen abgesenkt worden sein muß. Wir stehen somit vor einem vollkommenen Widerspruch, den wir nun weiterverfolgen müssen. Denken wir uns einmal alles Wasser von der Erdoberfläche weggenommen und betrachten wir dann das Gesamtrelief, so er27

scheinen uns die Kontinente, wie gesagt, als flache niedere Tafeln, die Ozeane als flache Narben, so wie die Blatternarben eines Gesichts. Die Kontinentalränder sinken unvermittelt zu den Ozeantiefen mit einer Steilstufe ab, die größten Ozeantiefen, die Tiefseegräben aber liegen meistens nahe bei dieser Abfallstufe und nicht draußen lin der Mitte der Ozeane, es sei denn, daß auch dort Inseln kontinentalen Charakters aufragen. Das Kontinentale ist von einem bald breiteren, bald schmäleren Streifen von etwa 200 m durchschnittlicher Tiefe umsäumt, der noch durchaus zum Gestein der Kontinenttafel gehört, dem Schelfband. Lassen wir das in Gedanken weggenommene Wasser wieder zurückströmen, so sehen wir, wie dieses Schelfband noch mitbedeckt wird. Es steht also Meerwasser noch mit auf den Rändern der Kontinente, über dem leichteren Gesteinsmaterial. Die Ozeane sind also voll Wasser, die „Narben" können es nicht einmal völlig in sich aufnehmen, es überflutet noch die kontinentalen Flächen. So unterscheidet sich echter Ozean über dem schweren Tiefengestein von den epikontinentalen, d. h. den auf dem Festlandssockel stehenden Meeren. Und nach der Annahme der Permanenztheorie sollte sich der einstige urzeitliche Land- und Meereswechsel auch nur in Epikontinentalgebieten abgespielt haben, während die echten Ozeane niemals Festland und das Festland niemals Ozeanboden gewesen wären. Für diese wahre Permanenz von Kontinent und Ozean spricht noch ein anderes Argument. Wenn nach der ersten Theorie, wonach heutiger Ozeanboden einst oben lag und Land war, es so große Landmassen gab, daß etwa Südamerika, Afrika, Indien, Australien und die dazwischenliegenden Ozeanstrecken Kontinentalflächen waren, so erhebt .sich zugleich die Frage, wo denn in früheren Zeiten das viele Meerwasser war, das heute die betreffenden Tiefen ausfüllt? Zwar sahen wir, daß früher die heute daliegenden Kontinente sehr weitgehend überflutet waren; aber diese Überflutungen waren nachgewiesenermaßen niemals von ozeanischer Tiefe, sondern es waren immer Flachmeere; sie genügten keineswegs zur damaligen Unterbringung der heutigen ozeanischen Wassermassen von tausenden Meter Tiefe. Denkt man sich die ganze Erdoberfläche eingeebnet zu einer gleichmäßigen Kugelfläche von überall gleichem Niveau, so würden die derzeitigen Wassermassen diese Kugelfläche 2640 m hoch bedecken. Das aber wäre, vom Gesteinsuntergrund abgesehen, echt ozeanische Wassertiefe. 28

Es muß daher unter Voraussetzung der gleichen Wassermenge auf der E r d e zu allen b e k a n n t e n erdgeschichtlichen Zeiten die durchschnittliche O z e a n t i e f e mehr als diese 2640 m betragen haben, weil nachgewiesenermaßen im Gebiet aller Jetztweltkontinente entweder schon L a n d oder nur Flachmeere lagen; das zeigen die Schichtungen aller Zeiten. Man müßte also eine unbedingte Permanenz der L ä n d e r und Ozeane annehmen und allen vorweltlichen Meereswechsel nur f ü r E p i k o n t i n e n t a l m e e r e gelten lassen; oder man muß annehmen, daß sich das Ozeanwasser ¡irgendwie auf noch r ä t s e l h a f t e Weise im L a u f der Zeiten vermehrt hat, wenn wirklich einst Ozeanböden L a n d waren, d. h. j e n e angenommenen großen K o n t i n e n t e über heutigem T i e f s e e a r e a l existierten. Wie man sieht, stehen sich in der großen F r a g e des urweltlichen Land- und Meereswechsels zwei grundsätzlich verschiedene Auff a s s u n g e n schroff gegenüber. Dieser k a u m zu überbrückende Widerspruch scheint nun durch die Theorie der Kontinentalverschiebungen einigermaßen lösbar zu sein. Danach sollen die in dem zähplastischen subozeanischen T i e f e n m a t e r i a l schwimmenden Kontinentalklötze bei lang in derselben Richtung a n d a u e r n d e m , selbst verhältnismäßig geringem Druck zerreißen und voneinander abtriften können und dies tatsächlich dm L a u f der Erdgeschichte getan haben. F r ü h e r e K o n t i n e n t a l z u s a m m e n h ä n g e wären dadurch erklärbar, ohne daß man die großen transozeanischen Verbindungsflächen hinzunehmen müßte. Es könnten etwa zur einstigen K o n s t i t u i e r u n g des großen alten Südkontinentes die heutigen Massen von S ü d a m e r i k a , A f r i k a , Indien, Australien und dem S ü d p o l a r l a n d dicht zusammengelegen haben und wären später auseinandergeschoben worden. Damit wäre der aus anderen, eingangs aufgezählten Gründen geforderte L a n d z u s a m m e n h a n g auf der Südkugel gleichfalls erklärt, ohne daß man Ozeanböden hinzunehmen müßte, die dann später angeblich abgesunken wären; ferner wären auch die tiergeographischen Z u s a m m e n h ä n g e verständlich. So sei ganz Amerika auch von E u r o p a - A f r i k a abgetriftet, wie die atlantischen K ü s t e n beider E r d h ä l f t e n beweisen sollen, die mit ihrer L i n i e n f ü h r u n g durchaus ineinanderpassen. H e u t e lägen also die Kontinentalteile nur anderswo als einst, aber Ozeanwasser wäre nie verdrängt gewesen, es hätte immer die gleiche P l a t z m e n g e f ü r sich zur V e r f ü g u n g gehabt. Wenn auch die ursprüngliche Idee, daß ganz Amerika von ganz Europa-Afrika abgeschwommen sei, sich nicht hat halten lassen, 29

so ist doch kein Zweifel, daß sich wirklich die oberen Krustenlagen der Erdrinde im Lauf der Zeit in ganz verschiedenen Richtungen voneinander weg oder teilweise auch aufeinander hin bewegt haben. Zu verschiedenen Erdzeitaltern sind ja große alpine Bildungen vor sich gegangen, von denen wir schon sagten, daß sie stark zusammengepreßte und verfaltete Streifen der Erdrinde seien. Unter gewissen Voraussetzungen kann man den Betrag der horizontalen Zusammenstauchung errechnen. So bekommt man für die westamerikanischen Anden eine Flächenverkürzung von einigen tausend Kilometern, für die Alpen im einfach angenommenen Fall eine solche von über tausend Kilometern. Nun gibt es aber auch viele andere derartige Gebirge, vor allem den Himalaja, die Pyrenäen, die balkanisch-kleinasiatischen Faltungen, die ostasiatischen Bögen und die Rocky Mountains in Nordamerika, aus älterer geologischer Zeit die Falten der europäischen Mittelgebirge, die zentralasiatischen Gebirge, den Ural, die Appalachen und sonst mehrere alte und uralte Gebirgsrümpfe in der Sahara, in Ostaustralien, in Südafrika, Südamerika und auch am Südpol. Es haben also immer wieder große horizontale Verschiebungen der Erdrinde durch Faltung stattgefunden. So ergibt sich als einstweilige Lösung des so widerspruchsvollen Problems des vorweltlichen Land- und Meereswechsels, daß früher zweifellos zusammenhängende Kontinentalgebiete existierten, die heute verschwunden sind, daß aber dieses Verschwinden nicht durchweg durch einen weitreichenden Abbruch von Kontinentalflächen in ozeanische Tiefen erfolgte, sondern daß solche Abbräche sich wohl in bescheidenen Grenzen hielten und zugleich waagerechte Vertriftungen stattfanden, wodurch ursprüngliche Zusammenhänge voneinander gelöst wurden. Es ist also kein strenges Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Alsauch, das die richtige Stellungnahme zur Permanenz- und Nichtpermanenzlehre kennzeichnet. Aber es kommt noch weiter hinzu, daß die Erdrinde ehedem auch noch nicht so gegensätzlich ausgeprägt war, wie sie es heute ist; daß die Epikontinentalmeere daher ausgedehnter waren und der Übergang in die Ozeantiefen sich nicht so schroff vollzog; daß mithin eine Überführung der heute so gegensätzlich ausgeprägten ozeanischen Kruste in die kontinentale noch weitgehend möglich war. Denn die jetzige starre Ausarbeitung des Erdreliefs ist ein erst mit der späten Tertiärzeit vollendetes Ergebnis der großen gebirgsfaltenden Bewegungen. 30

Ganz im Gegensatz

zu u n s e r m Wissen

über die G e o g r a p h i e

drei großen W e l t a l t e r : Erdaltertum, E r d m i t t e l a l t e r

und

der

Erdneu-

zeit, ist u n s die g e n a u e r e K e n n t n i s der G e s t a l t u n g der Erdoberfläche in d e n vorkambrischen Epochen, der Erdurzeit, noch versagt. Wir wissen, daß j e n e f r ü h e Urzeit sich in zwei g e w a l t i g e Haupte p o c h e n gliedern läßt,

in das A l g o n k i u m u n d Archaikum.

Wir

wissen weiter, daß es auch damals schon Länder u n d Meere im g e g e n s e i t i g e n Wechsel

gab; daß

auch damals

schon Flüsse

Materialien in die N i e d e r u n g e n u n d Meeresbecken daß auch damals

schon V u l k a n e

und gefaltete

über die ganze Erde h i n b e s t a n d e n .

ihre

einschütteten; Krustenstreifen

Wir e r k e n n e n weiter,

daß

auch j e n e b e i d e n U r e p o c h e n in e i n z e l n e Zeitalter zerlegbar

sind

und sind in der Lage, a n z u g e b e n , w o vermutlich die ä l t e s t e n Festl a n d s g e b i e t e lagen, die im a l l g e m e i n e n d e n e n der obigen Abb. 5 entsprechen.

Karte

(Vgl. auch K a r t e Abb. 9, S. 49.) A b e r

eine

g e n a u e r e P a l ä o g e o g r a p h i e ist uns vor a l l e m m a n g e l s e n t s p r e c h e n d erhaltener F o s s i l i e n in d e n G e s t e i n e n der A l g o n k i u m s u n d Archaikums

versagt.

3. Vorweltlicher

Klimawechsel

Unserer geschichtlichen Menschenzeit geht u n m i t t e l b a r voraus die große diluviale Eiszeit. E i n e Eiszeit ist nicht e i n e Epoche glitzernder Kälte, in der e t w a der B o d e n überall g e f r o r e n war u n d Eisoder Schneedecken Zeit sehr

sich überallhin

verbreiteter

schneeiger

erstreckten, sondern Niederschläge,

wobei

ist

eine

sich

in

b e s t i m m t e n G e b i e t e n starke Gletschermassen u n d I n l a n d e i s d e c k e n a n s a m m e l t e n u n d durch ihr Eigengewicht u n d entsprechende Gefällsverhältnisse

sich e i n s e i t i g

oder m e h r s e i t i g

ausdehnten

und

damit auch in mildere, der s e l b s t ä n d i g e n E i s b i l d u n g nicht gerade günstige G e g e n d e n g e l a n g t e n . Im Charakter der d i l u v i a l e n Eiszeit als K l i m a e r s c h e i n u n g zeigt sich u n v e r k e n n b a r ein D o p p e l t e s :

es w a r e n damals

nicht wesentlich kälter, nur die S o m m e r u m

die W i n t e r etwa

wohl

5° C k ü h l e r ;

und s o d a n n : es fielen w e i t mehr Niederschläge als h e u t z u t a g e , u n d diese Niederschläge g i n g e n

infolge

des

kühleren

Gesamtklimas

sowohl in den P o l a r z o n e n wie in d e n Hochgebirgen

größtenteils

als Schnee

Vergletsche-

nieder.

So e n t s t a n d e n

rungen der A l p e n g e b i r g e ,

die r i e s e n h a f t e n

die sich w e i t

in das Vorland

hinaus31

schoben, so auch die starke E i s a n s a m m l u n g im Polargebiet. A u s diesem wälzten sie sich herab bis weit in die gemäßigte Zone, am weitesten nach S ü d e n in N o r d a m e r i k a , etwa bis in die Gegend von St. Louis, das auf dem B r e i t e n g r a d von N e a p e l liegt; bei uns bis nach H o l l a n d und an den R a n d der deutschen Mittelgebirge, auch nach Nordrußland, über Grönland, Nordsee, Skandinavien, Ostsee hereindringend. In Sibirien ging das nordische Eis weniger weit südwärts, es macht, geradezu den Eindruck, als ob der Eispol damals sich stark gegen N o r d a m e r i k a hinunter verlagert habe. In den zwischen den Eisgebieten liegenden Zonen entstanden, insbesondere auf der Nordhalbkugel, weite S t e p p e n , der Pflanzenwuchs ließ sehr nach, überall tummelten sich Herden von Elchen, Dickhäutern und vielem anderen Getier. Aber die diluviale ist nicht die einzige Eiszeit während der Erdgeschichte. Eine sehr f r ü h e zeigt sich zu Beginn der kambrischen Epoche, am A n f a n g des Erdaltertums. Ihre Spuren und Ablagerungen erstrecken sich über die ganze E r d e und erwecken den Eindruck einer der diluvialen entsprechenden Anlage, die auf beiden Erdhalbkugeln, der nördlichen und südlichen, sich ausprägte, während, wie wir noch sehen werden, andere Eiszeitp h ä n o m e n e entschieden einseitig verteilt waren. Im Verlauf der kambrischen Zeit besserte sich das K l i m a zusehends, es erscheinen allmählich in den Meeren die ausgesprochen kalkschaligen Tiere, was physiologisch auf Wärmezunahme deutet. Wir gehen im Erdaltertum eine S t u f e höher hinauf, in die Silurzeit, und erkennen eine große Wärme über die E r d e hin, die sich bis in die Nordpolarzone geltend macht und im Z u s a m m e n h a n g damit eine geradezu ü p p i g zu nennende Entwicklung der Kalkschaler verursacht. B i s in die Nordpolarzone gehen Riffkorallen, ein F a u n e n e l e m e n t , das ganz besonders w ä r m e b e d ü r f t i g ist. (Abb. 6.) Unterstützt wurde der damalige Wärmeausgleich durch die zunehmende Verbreitung der Meeresbedeckungen seit mittelkambrischer Zeit, so daß ausgleichende Meeresströmungen ungehindert kreisen konnten. Trotzdem haben sich in der silurischen F o r m a t i o n E i s s p u r e n gefunden, jedoch untergeordneter Art. Wir werden bald sehen, daß solche Erscheinungen keineswegs einer allgemeinen Wärmelage widersprechen müssen. F ü r die Devonzeit mag etwa dasselbe gelten, obwohl vielleicht damals einige deutlichere K l i m a g e g e n s ä t z e sich entwickelten. Denn während im Norden wüstenartige, sicher nicht kühle Gegenden lagen, wovon in einem späteren Abschnitt 32

noch des Näheren zu sprechen sein wird, scheint es auf der Südhalbkugel einige E i s s t r ö m e gegeben zu haben, die im K a p l a n d noch in S p u r e n nachweisbar sein sollen. Zur Karbon- oder Steinkohlenzeit verbreitete sich über die ganze E r d e hin ein sehr mildes, treibhausartiges K l i m a , auch die nordischen Meere waren warm, in Seengebieten auf den L ä n d e r n , wie Abb. Silur-

6.

Nordische Korallen und Devonzeit. E. Kayser.)

der (IS ach

a) Einzelbecher (Omphyma); b) Tabulate, aus vielen aneinandergereihten Zellröhrchen aufgebaut ( H a l y s i t e s ) ; c) ästiger Stock (Cyathophyllum). a und b Obersilur; c Mitteldevon.

auch am R a n d der K o n t i n e n t e in ausgedehnten flachen Meereslagunen gediehen ü p p i g e Pflanzenwälder, die uns durch ihre Vertorfung die Steinkohlen geliefert haben. Dieser A u f f a s s u n g von der allgemeinen Milde des karbonischen K l i m a s widerspricht auf den ersten Blick wohl die Tatsache einer mächtigen ausgedehnten Eisbedeckung, die etwa von der Mitte der Steinkohlenzeit ab bis in die Permzeit auf dem großen Südkontinent entstand. Doch beides geht durchaus zusammen. Die feuchte A t m o s p h ä r e ließ dort auf dem wohl durchweg sehr hochgelegenen, mit Gebirgen durchzogenen L a n d Gletscherströme sich entwickeln, die sich zu mäch3

Dacque,

Vermächtnis

33

tigen

Inlandeismassen

aufstauten,

alles

Umland

bedeckten

und

auch i n d a s M e e r noch v o r s t i e ß e n . A u c h h e u t e s e h e n w i r a u f N e u seeland

unmittelbar

stehen. Zur Permzeit

neben

Ei&massen

schmolz d a n n

tropische

Waldvegetation

jenes Südeis

allmählich

ab,

w ä h r e n d a u f d e r N o r d h a l b k u g e l a u f e i n e r e b e n f a l l s z e i t w e i s e zusammenhängenden Schottland,

Landmasse

Skandinavien

kontinentalen

von

bis n a c h

K l i m a k a m , in d e m

Westamerika Rußland

über

hinein

sich d i e n o r d d e u t s c h e n

salze in e i n e m b i n n e n l ä n d i s c h e n , s t a r k v e r d u n s t e n d e n ablagern

konnten.

Diese

Grönland,

es zu

Wüstenbildung

geht

im

einem Kali-

Meeresarm

selben

Gebiet

auch noch in d i e u n t e r e T r i a s z e i t , also in d a s E r d m i t t e l a l t e r h e r über.

Abb. 7. Biogeographische Erdkarte. (Nach Diener.) Tüpfelung: Verbreitung der bezeichnenden rißbildenden Rudistenmuscheln in der damals warmen Meereszone der Oberkreidezeit. Schwarze Punkte: Verbreitung riesiger kalkschaliger mariner niederer Tiere (Nummuliten) zur Alttertiärzeit, gleichfalls die warme Zone bezeichnend, aber durch warme Meeresströmungen auch nach S (Ostafrika) und N (Japan) hinausgreifend. 34

Das ganze Erdmittelalter ist eine klimatisch sehr günstige Wärmezeit, denn auch damals wieder finden wir bis in die Polarzone die gleichen Meerestiere wie bei uns und noch weiter südlich. Die Pflanzenwelt beispielsweise zwischen Trias- und Jurazeit mit ihren reichlich wärmeliebenden Gewächsen ist in gleicher Art in England, in Süddeutschland und im Südpolargebiet vorhanden; bei uns wuchsen im fränkisch-schwäbischen Jurameer Korallenriffe. Nirgends sind damals deutliche klimatische Unterschiede feststellbar, ähnlich wie in der Silur- und Karbonzeit; vielleicht war die Unterjurazeit (Lias) im ganzen etwas kühler, nicht so volltropisch. Doch darf man es sich auch angesichts solch großer Einheitlichkeit des Klimas nicht so vorstellen, als ob auch in solchen Zeiten nicht immer eine gewisse Zonenbildung bestanden hätte; nur blieben die Wärmeunterschiede dabei stets oberhalb einer gewissen Temperaturschwelle, so daß auch die kühlen Zonen nicht, wie seit der Quartärzeit, kalt oder unfreundlich gewesen sind; die Gesamttemperierung der Erdoberfläche lag höher, ohne daß die Tropen (im heutigen Sinn) besonders viel heißer gewesen wären. Doch sind diese Dinge noch sehr undurchsichtig. Auch in der Jura- und Triaszeit gab es also gewisse zonare Unterschiede, aber sie waren mehr tiergeographischer Natur als klimatischer. Allmählich, mit der letzten Epoche des Erdmittelalters, der Kreidezeit, läßt sich eine deutlichere Entwicklung von Klimazonen erkennen, und zwar verlaufen sie zum erstenmal in der Erdgeschichte parallel den heutigen. Da zieht sich ein Gürtel von derben Kalkschalenbildnern, eine absonderliche großwüchsige Muschelgruppe (Rudisten), beiderseits des Äquators um die Erde herum (Abb. 7), im Norden sind es meistens nur kleine Krüppelformen. Teilweise stoßen sie, warmen äquatorialen Meeresströmungen folgend, noch weit nach der gemäßigten Zone der Südhalbkugel vor, im ganzen ist es aber, wie gesagt, ein zentraler äquatorialer Gürtel, den sie mit ihren Siedlungen in den Meeresgebieten bilden. Ebenso leben in diesem äquatorialen Meeresgebiet Korallen, auch bestimmte sonstige eigenartige Mollusken; sie gehen bei uns allerhöchstens nur noch bis an den Rand des alpinen Meeres, jedoch nicht weiter nordwärts. In den Polargebieten war es keineswegs kalt und unfreundlich. wie heutzutage, denn auch die nordischen Meerestiere der Kreidezeit lassen keinen Kälteeinfluß erkennen. Im Gegensatz zu den kreidezeitlichen Klimazonen wird es in der Tertiärzeit wieder bis hoch in den Norden gleichmäßig warm, bei 35

uns herrschen wieder tropische Zustände. In heute teilweise eisbedeckten Gebieten (Grönland, Spitzbergen) sind Laubhölzer und immergrüne Gewächse anzutreffen, in unseren Gegenden Palmen und Dickhäuter. Im alpinen Meer, an dessen Nord- und Südrand siedeln wieder Korallenriffe. Mit dem Ende der Tertiärzeit wird es allmählich kühler, deutliche Klimazonenbildung setzt ein, es kommt die diluviale Eiszeit, die wir eingangs geschildert haben. Seit 12 000 bis 15 000 Jahren schmilzt das Eis der letzten Eiszeitphase beständig ab, wir leben noch in den Ausläufern der Eiszeit. Sie wurde durch mehrere wärmere Zwischeneiszeiten geteilt. Ob die Eiszeit als solche bereits beendigt ist, oder ob wir wiederum nur in einer Zwischenphase leben, ist noch nicht ausgemacht, da wir über die ursächlichen und wohl sehr verwickelten Zusammenhänge solcher klimatischer Umgestaltungen noch nichts unbedingt Zuverlässiges wissen. Unser Überblick über die Entwicklung des Klimas begann mit der kambrischen Eiszeit. Sie reicht vermutlich als großes Klimaphänomen aus dem tieferen vorkambrischen Algonkium herüber. Doch auch in der algonkischen Epoche selbst, nicht nur an ihrer Schwellengrenze zum Erdaltertum, finden sich weitere Anzeichen mehr oder weniger verbreiteter Eisbildungen, so daß es scheint, als ob ganz großfristiger Klimawechsel mit Eiszeiten etwas periodisch Wiederkehrendes in der Erdgeschichte sei. Aber die Eiszeiten waren nicht alle von gleicher Intensität und hatten alle stets eine etwas andersartige Flächenanordnung als die letzte, die diluviale. Gerade die extreme Klimabildung mit gegensätzlicher zonarer Anordnung der Temperaturen war stets nur von verhältnismäßig kurzer Dauer, die meisten erdgeschichtlichen Zeitalter bieten ein mildes, sogar warmes und gleichmäßiges Klima dar. Die mittlere und obere Zeitstufe des Kambriums, das Silur, Devon und Karbon, dann wieder das Erdmittelalter mit einer gewissen geringen Einschränkung der Kreidezeit, endlich das Tertiär waren alle sehr warm und sind miteinander so langfristige Epochen, daß die wenigen ungünstigen und zudem keineswegs immer kühlen Eiszeiten dagegen kaum in Betracht kommen. Wir leben noch in einer extrem kühlen Zeit. Innerhalb solcher Epochen gab es dann gewiß auch allerhand spezielle Klimaschwankungen. So zeigt sich, wie erwähnt, zur Silurzeit eine geringe Eisbedeckung im Norden, zur Devonzeit eine solche in Südafrika, aber sie können nur untergeordneter Natur gewesen sein und deuten auf eine mehr zonare 36

Betonung des Klimas, ohne an der Tatsache der allgemeinen Wärme etwas zu ändern. Ebenso war das permokarbone Eis auf dem Südkontinent kein Hinderungsgrund für die Milde des damaligen Klimas. Eisbedeckung und feuchte Wärme können sehr wohl Hand in Hand gehen. Auch die Kreidezeit zeigt, wie ausgeführt, eine zonare Klimaanordnung, ohne daß es damals auch im Norden geradezu kalt gewesen wäre. Die Ursache, oder besser gesagt: die Ursachen des erdgeschichtlichen Klimawechsels sind im ganzen noch durchaus unbekannt. Zwar lassen sich f ü r manche klimatischen Einzelzustände, die sich auf engere oder engste Land- und Meeresräume erstrecken, hin und wieder die nächstliegenden Zusammenhänge oder Bedingungen ermitteln, so etwa veränderte Meeresströmungen bei bestimmten geographischen Veränderungen der Land- und Meeresgrenzen; aber das große umfassende Geschehen ist seiner Verursachung nach noch durchaus dunkel. Man hat mancherlei Theorien aufgestellt, die aber dennoch immer wieder nicht schlüssig sind, wenn man das Gesamtphänomen des vorzeitlichen Klimawechsels überblickt. Die Erklärungsversuche stützen sich teils auf irdisch-tellurische, teils auf kosmische Gegebenheiten. Unter den ersteren spielten Verlegungen von Ländern und Meeren, Gebirgsbildungen, andersartige Zusammensetzung der Atmosphäre, unter den letzteren Veränderungen der Sonnenwärme, Verlagerungen der Erdachse eine wesentliche Rolle. Es ist klar, daß durch den weitgehenden geographischen Wechsel in der Verteilung von Land und Meer sich auch klimatische Veränderungen ergeben mußten, aber das kann doch nicht die durchgreifende Ursache für die großen Gesamtumformungen des Klimas gewesen sein, es hat mehr die regionale Ausgestaltung der Klimabezirke beeinflußt, nicht aber das ganze Geschehen bedingt. Das gleiche gilt von den Polverschiebungen, die wir unten erörtern werden. Zweifellos hängen die großen Eiszeiterscheinungen irgendwie mit den Gebirgsbildungen zusammen. Mit jeder solchen kam es tatsächlich zu Eiszeiten (Algonkium-Kambrium, Karbon, Jungtertiär). Man könnte zum Verständnis dieses Zusammenhanges annehmen, daß durch die Gebirgsbildung eine ausgebreitete Höherhebung des Durchschnittsniveaus der Erdrinde stattfindet, daß mithin auf weiten Flächen die Niederschläge als Schnee fallen, im Gegensatz zu Zeiten mit einem flachen Erdrelief. Wäre jedoch 37

in dieser Weise die Gebirgsbildung die wahre Eiszeitursache, so ist nicht einzusehen, weshalb das Diluvialeis abschmolz, obwohl die Hochgebirge noch fortbestehen; auch wäre nicht ersichtlich, woher die warmen Zwischeneiszeiten kamen. Denn das Diluvium war keine einheitliche Eiszeit, in der zu Beginn die Eismassen wuchsen und am Ende wieder abschmolzen, sondern es hatte mindestens drei längere Zwischeneiszeiten, in denen das Klima wieder verhältnismäßig günstig und auch die Hochgebirge wieder ganz oder verhältnismäßig eisfrei wurden und auch das nordische Inlandeis sehr stark schwankte. Diese periodischen Zwischeneiszeiten fordern eine eigene Erklärung. Wüßten wir um die generelle Eiszeitursache, so könnten wir auch die Unterbrechungen erklären, und vor allem wüßten wir, was uns ja praktisch am meisten interessiert, ob heute die Eiszeit beendet ist oder ob wir nur in einer Zwischeneiszeit leben. Es muß also mindestens noch ein anderer Ursachenkomplex die Wirkung der Hochgebirgsbildung überlagern. Wir werden ihn im Abschnitt I, 5, in anderem umfassenderem Zusammenhang kennenlernen. Man hat weiter als möglich angenommen, daß der warme Golfstrom damals im Atlantik vom Polargebiet abgesperrt war. Dies als Eiszeiterklärung anzunehmen, ist viel zu einfach. Abgesehen davon, daß die Eisbedeckungen bipolar waren und auch die Hochgebirge ganz außerhalb der Golfstromwirkung Eismassen erzeugten, bringt der Golfstrom aus dem Süden außerordentlich viel Feuchtigkeit mit. Bliebe er aus, so würde es zwar im Norden kälter werden, aber mangels der zugebrachten Feuchtigkeit würde vermutlich auch das Polareis zurückgehen; denn die Kälte allein läßt das Eis nicht wachsen, sondern nur die durch die Feuchtigkeit dort vermehrten Schneeniederschläge schaffen es. Umgekehrt würde am Südpol das Inlandeis wachsen, wenn es heute dort wärmer, nicht kälter würde. Denn das Südpolareis liegt unterhalb der oberen Schneegrenze, jenseits deren es derzeit keine Niederschläge gibt. Diese aber würden sich einstellen, wenn es dort unten wärmer würde, so daß dann auch in den höheren Regionen Eis entstünde. Dieses aber müßte dann mit seinem vermehrten Drude und seiner vermehrten Masse tiefer herunterkommen und das Eis weiter in den Ozean hinausschieben. So verwickelt sind, um es nur anzudeuten, die ursächlichen Fäden nur allein der diluvialen Eiszeit. Gewiß ist aber das Ursachengewebe für frühere Eiszeiten ein ganz anderes. 38

Es gab auch eine Kohlensäuretheorie, die. besagte, daß vermehrte Kohlensäure in der Atmosphäre die Sonnenwärme stärker bindet, verminderte sie nicht mehr festhält. Vermehren konnte sie sich zeitweise durch starke Vulkanaushauchungen, vermindern durch ihre Bindung an Kohlen- und Kalkablagerungen. Starker Vulkanismus herrschte im späteren Erdaltertum und in der Tertiärzeit; Kohle und kohlensaurer Kalk in den Schalen der Meerestiere bildeten sich besonders im Karbon und wieder im Tertiär. Aber die physikalischen Voraussetzungen der Wärmebindung und -entlassung sind nicht zutreffend, und die karbone Eiszeit trat schon lange vor den starken eruptiven Ausbrüchen der Permzeit ein. Ebensowenig genügen die kosmischen Ausblicke. Man erörterte auch den Gedanken, daß zeitweise unser ganzes Sonnensystem durch nebulare Welträume gewandert und damit die Sonnenbestrahlung auf die Erde geschwächt worden sei. Ehe man die früheren großen Eiszeiten kannte und die diluviale für die einzige in der Erdgeschichte hielt, konnte man wohl auch zu der Hypothese greifen, daß die Sonne im Lauf der Tertiärzeit zu einem gelben Stern geworden sei, so daß fortan der Eiszeitzustand mit einigen Rückschlägen in vorübergehende wärmere Phasen das Los des Irdischen sein werde. Aber wenn auch diese Idee nicht zureichend ist, so gibt es doch sicher großperiodische Veränderungen der Sonnenstrahlen, die in Umsetzungen des Sonnenkörpers selbst beruhen. Die Verlagerung der Erdachse in 21 000 bis 26 000 Jahren und die veränderliche großfristige Exzentrizität der Erdbahn sollten wechselweise eine wiederkehrende Vermehrung bzw. Verminderung der Wärmeeinstrahlung auf der Süd- und Nordhalbkugel mit sich bringen. Aber die Eiszeiten, die dadurch hervorgerufen würden, müßten dann alle hunderttausend Jahre mindestens einmal eingetreten sein und zudem auf beiden Erdhälften alternierend. Davon kann keine Rede sein. Dennoch haben diese veränderlichen Einstellungen der Erde klimatisch eine gewisse Bedeutung. Davon im folgenden Abschnitt. Würde aber heute die Einstrahlung von Sonnenwärme auf die Erdoberfläche sehr zunehmen, sei es durch diese soeben erwähnten astronomischen Mechanismen, sei es durch eine stärkere Ausstrahlung des Sonnenkörpers selbst, so würden gewiß die einzelnen Zonen zuerst wärmer, aber alsbald würde sich durch die überaus starke Verdunstung der äquatorialen Meere eine dichte Wolkendecke, wie etwa auf dem Planeten Venus, über die 39

E r d e legen. Die S o n n e n h i t z e in d e n T r o p e n w ü r d e w e g g e b l e n d e t , die g e m ä ß i g t e n Z o n e n w ü r d e n w ä r m e r als b i s h e r , die P o l a r z o n e n m i n d e s t e n s m i l d . D a s P o l a r e i s w ü r d e völlig v e r s c h w i n d e n , e b e n s o die V e r g l e t s c h e r u n g d e r Hochgebirge, u n d es m ö c h t e n K l i m a z u s t ä n d e e i n t r e t e n , wie sie die m e i s t e n E r d p e r i o d e n m i t i h r e r g r o ß e n Ausgeglichenheit zeigten. Doch k a n n m a n g e r a d e so gut — u n d m a n sieht d a r a n die u n g e h e u r e Schwierigkeit des g a n z e n K l i m a p r o b l e m s •— m i t d e r Z u n a h m e d e r W ä r m e nicht n u r die w a r m e n Z e i t e n , vielm e h r im G e g e n t e i l die E n t s t e h u n g v o n I n l a n d e i s d e c k e n in den polaren Breiten u n d den Hochgebirgszonen begründen. W i r sprachen oben v o n den P o l v e r s c h i e b u n g e n . U n t e r solchen ist zweierlei zu v e r s t e h e n . E n t w e d e r k a n n sich die D r e h u n g s a c h s e d e r E r d e , d. h. d e r E r d k ö r p e r selbst v e r l a g e r n o d e r es b l e i b t dessen S t e l l u n g u n d N e i g u n g zur E r d b a h n f e s t , a b e r auf d e r E r d o b e r fläche verschieben sich die K o n t i n e n t a l t e i l e , u n d so g e r a t e n a n d e r e F l ä c h e n u n t e r den D r e h u n g s p o l wie auch in a n d e r e B r e i t e n . W i r m e i n e n h i e r zunächst die a b s o l u t e V e r l a g e r u n g d e r Achse, also des E r d k ö r p e r s m i t s a m t den P o l e n . W e n n wir sagten, es scheine, als ob zur Diluvialzeit d e r Eispol gegen N o r d a m e r i k a h i n u n t e r verschoben gewesen sei, so k a n n dies nicht die Eiszeit als solche ursächlich e r k l ä r e n , s o n d e r n n u r die besond e r e Lage d e r Eisdecken verständlich m a c h e n . Es w ä r e da erst zu e r m i t t e l n , w o h e r auf d e r ganzen E r d e die B e d i n g u n g e n zu e i n e r Eiszeit ü b e r h a u p t k a m e n , was also die ersichtliche G e s a m t a b k ü h l u n g u n d vor a l l e m die s t a r k e n Schneeniederschläge v e r a n l a ß t e , die in d e n w ä r m e r e n Z o n e n e i n e r g r o ß e n R e g e n z e i t e n t s p r e c h e n . Es l ä ß t sich also m i t P o l v e r l a g e r u n g die V e r t e i l u n g des Eises im D i l u v i u m wahrscheinlich machen, aber f ü r die f r ü h e r e n Eiszeiten versagt auch h i e r i n dieses A r g u m e n t . Schon die A r t d e r Ausd e h n u n g des k a m b r i s c h e n Eises, v o r allem a b e r die des p e r m o k a r b o n i s c h e n , w a r ja grundsätzlich ganz a n d e r s als die des diluvialen. Die k a m b r i s c h e n Eismassen s a m m e l t e n sich an vielen Stellen d e r E r d e , hauptsächlich auch in A u s t r a l i e n u n d S ü d a f r i k a , a n ; die p e r m o k a r b o n i s c h e n auf d e m g r o ß e n S ü d k o n t i n e n t allein. Man k a n n a b e r nicht a n n e h m e n , d a ß d a m a l s d o r t d e r K ä l t e p o l lag, d e m auf d e r e n t g e g e n g e s e t z t e n Seite d e r E r d e ein ebensolcher e n t s p r o c h e n h a b e n m ü ß t e ; dieser ist a b e r gar nicht zu finden, v i e l m e h r h e r r s c h t e d a m a l s auf d e r N o r d h a l b k u g e l ein trockenes W ü s t e n k l i m a , u n d zuvor das milde, f e u c h t w a r m e K a r b o n k l i m a . Abgesehen v o n allem d e m k ö n n e n wir a b e r aus astronomischen

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G r ü n d e n k a u m a n n e h m e n , d a ß sich j e m a l s d i e a b s o l u t e Lage d e r Erdachse, d a m i t d e r P o l e sehr weit verschoben h a b e , wohl a b e r k ö n n e n k o n t i n e n t a l e K r u s t e n t e i l e vor i h r e r V e r s c h i e b u n g a n d e r s zum P o l h i n o r i e n t i e r t gewesen sein. Auf G r u n d dessen n a h m m a n m i t d e r V e r s c h i e b u n g s t h e o r i e an, d a ß vielleicht h e u t i g e p o l a r e L a n d g e b i e t e , auf d e n e n m a n Schichtungen mit ü p p i g e n fossilen F l o r e n o d e r e p i k o n t i n e n t a l e Meeresschichten m i t fossilen W a r m w a s s e r t i e r e n findet, erst s p ä t e r in die P o l a r r e g i o n h i n a u s g e t r i f t e t seien, also einst w e i t e r südlich lagen. Diese E r k l ä r u n g ist auf d e n e r s t e n Blick b e s t e c h e n d , h ä l t a b e r aus f o l g e n d e m G r u n d nicht s t a n d : W e n n jetzige P o l a r l ä n d e r f r ü h e r m e h r ä q u a t o r w ä r t s sich b e f u n d e n h ä t t e n , u n d n u r deshalb j e t z t die Zeichen einstiger g r ö ß e r e r W ä r m e a u f w i e s e n , erst s p ä t e r a b e r in die K ä l t e r e g i o n g e r a t e n w ä r e n , so m ü ß t e n d a f ü r a n d e r e , j e t z t in d e r g e m ä ß i g t e n o d e r w a r m e n Z o n e l i e g e n d e L ä n d e r d a m a l s in d e r k a l t e n Z o n e gelegen h a b e n ; es m ü ß t e n d a n n e b e n in i h r e n Schichtungen einstige K ä l t e e r s c h e i n u n g e n sich nachweisen lassen. N u n ist es a b e r g e r a d e w i e d e r e n t s c h e i d e n d u n d zugleich r ä t s e l h a f t , d a ß sich in so l a n g e n E p o c h e n wie T e r t i ä r z e i t , J u r a z e i t , S t e i n k o h l e n - u n d Silurzeit ü b e r a l l , sei es im N o r d e n , sei es im S ü d e n , n u r Beweise f ü r ausg e b r e i t e t e W ä r m e f i n d e n u n d wir d a b e i n i r g e n d s auf solche f ü r K ä l t e p o l e s t o ß e n . U n d doch m ü ß t e n solche e x i s t i e r t h a b e n , weil die E r d e eine K u g e l ist u n d die S o n n e n s t r a h l e n an den P o l e n i m m e r schräg, n u r a m Ä q u a t o r senkrecht e m p f i n g . Aus allen diesen u n l ö s b a r e n W i d e r s p r ü c h e n läßt sich vielleicht d a r a u f schließen, d a ß ü b e r h a u p t in den f r ü h e r e n E p o c h e n ganz andere astronomische und planetare Verkettungen vorhanden w a r e n . W ä r e die E r d e i m m e r so zur S o n n e u n d zu i h r e n Nachbarp l a n e t e n g e s t a n d e n wie j e t z t , so h ä t t e n i m m e r z u zwei P o l a r z o n e n b e s t e h e n m ü s s e n , in d e n e n die h a l b j ä h r i g e P o l a r n a c h t h e r r s c h t e u n d wo es auch wesentlich k ü h l e r als in a n d e r e n R e g i o n e n gewesen w ä r e . Es h ä t t e nicht dasselbe Tier- u n d P f l a n z e n l e b e n in d e n h e u t i g e n P o l a r z o n e n e x i s t i e r e n k ö n n e n wie auch in a n d e r e n Z o n e n d e r E r d e , es m u ß t e a u ß e r d e m Licht auch e n t s p r e c h e n d e W ä r m e d a u e r n d d a g e w e s e n sein. N i m m t m a n n u n , u m noch e i n e n l e t z t e n möglichen H i n w e i s zu geben, zur E r k l ä r u n g d e r Eiszeit a n , die S o n n e n w ä r m e sei damals g e r i n g e r gewesen, o d e r n i m m t m a n an, die w a r m e n Meeress t r ö m u n g e n seien nicht so weit nord- bzw. s ü d w ä r t s v o r g e d r u n g e n , so g e n ü g t dies alles nicht zur E r k l ä r u n g d e r Tatsache, d a ß d a m a l s 41

reichere Niederschläge auf der ganzen Erde, also auch in den unvereist gebliebenen Gegenden sowie im Tropengürtel herrschten. Davon sprachen wir schon. Es bleibt somit nur übrig, an einen damals vorhandenen Zustrom von Wasser zu denken, also an die längst festgestellte Zublasung von Wasserstoff aus den Flecken des Sonnenkörpers — ein Vorgang, der ja stärkere meteorologische Wirkung auch heutzutage zu haben scheint. Es könnte zur Diluvialzeit durch ausgedehnte Fleckenbildung auf dem Sonnenkörper viel Wasserstoff frei geworden sein, der in Verbindung mit dem Sauerstoff der Erdatmosphäre verstärkte, absolut vermehrte Niederschläge bewirkt hätte. Aus deren Abminderung und dann neuerdings einsetzenden Wiederholung könnte so das Eiszeitphänomen mitsamt seinen Schwankungen verstanden we"rden. So drängen die wesentlichsten urweltlichen Klimaerscheinungen zu einer Bejahung der kosmischen Andersartigkeit der Beziehungen unseres Erdsternes zu seiner Umwelt. Das Klima besteht ja nicht für sich allein, sondern hängt aufs engste zusammen mit einzelnen erdgeschichtlichen und astronomischen Abläufen, wie Land- und Meereswechsel, Gebirgsbildungen, Veränderung der Achsenstellung, Sonnenzustand usf. So wird also die paläoklimatische Frage letzthin nur in einer Theorie lösbar erscheinen, worin alle diese Dinge auf einen gemeinsamen Ursachenkomplex zurückgeführt werden. Wir werden ihn im folgenden noch kennenlernen.

4.

Der

P u l s s c h l a g der

E r d e

Mehr und mehr bekommt die Naturforschung auf allen Gebieten einen Blick für das Rhythmische im irdischen Geschehen, sowohl in der anorganischen wie in der organischen Sphäre. Die Bewegungen der Großkörper im Planetenraum, das weiß man schon lange, hängen alle innig zusammen, die Einzelplaneten sind in bestimmten, allerdings in langfristigen Epochen sich ändernden Bahnen an den Umlauf um die Sonne gebunden. Der Wechsel der Exzentrizität der Erdbahn, die periodische Umstellung der Erdachse zu ihrer Bahn, das damit unmittelbar sich aussprechende Wandern des Frühlingspunktes durch die Sternbilder des Tierkreises, die Jahreszeiten, die Klimaepochen, der Mondwechsel — das alles sind rhythmisch verlaufende kosmische Vorgänge, die nun 42

in engstem und weitestem Maß auch die Zustände auf der Erde und in der Lebensentfaltung irgendwie mitbestimmen, obwohl noch sehr wenig davon richtig erkannt wurde. Nicht nur, daß in heutiger Zeit Rhythmen im Schwanken der Meere, in den Wandlungen des Wetters, in den Äußerungen des Tier- und Pflanzenlebens und in unserem menschlichen Dasein bemerkbar sind — auch in den Epochen der Vorwelt treten sie uns unverkennbar und in großzügiger Art entgegen. Länder und Meere haben ihre Plätze gewechselt, Klimate haben sich weitgehend umgestaltet und sich von einem Extrem in das andere verkehrt, Faltengebirge sind aufgestanden und wieder verschwunden, Tier- und Pflanzenwelten sind aufgeblüht und wieder vergangen oder haben sich unter unbekannten Einflüssen umgestaltet. In all diesem Wechsel und Werden, in diesem Ausharren, Ausgestalten und Wiedervergehen zeigen sich unverkennbar gewisse Perioden, verwirrend in ihrer Vielfalt, nie so, daß ein und dasselbe in gleicher Weise wiederkehren würde, denn die Natur ist nirgends Kopie; aber doch so, daß man sich fragt, ob und wo ein tieferes beherrschendes Gesetz waltet, eine führende Gewalt, bald milder, bald energischer wirkend, so das mannigfaltige Geschehen stets auch zu gewissen Wiederholungen drängend, doch immer zugleich auch Neues gebärend — die Natur ist von Rhythmen im großen und kleinen beherrscht. Da sehen wir die Meeresfluten über ein schon bestehendes Landgebiet hereindringen, das Land schwindet, das Meer erweitert seinen Besitzstand; viele Trans- und Regressionen in oft weltweiter Verbreitung wechseln in längeren oder kürzeren Zwischenräumen miteinander ab, „geokratische" Zeit weicht „thalattokratischer" Zeit. Und wenn der Ozean seine Arme eine Spanne lang dehnt, zieht er sie auch wieder zurück. Inseln tauchen auf, schließen sich allmählich zusammen zu Neuland, Meeresboden wird zu Land, aber auf diesem Neuland liegen die Schichtungen der vorausgegangenen Zeit in rhythmischem Wechsel bis ins feinste der einzelnen Schichtfolgen. Darin ruht eine vergangene, fossile Tierwelt, die schon wieder von einer neuen ersetzt ist, wenn das Meer nun abermals vorgedrungen ist. Land und Meer sind erneuert, es ist nichts mehr wie zuvor, aber es ist doch Wiederholung, ist Wiederkehr in einem anderen, neuen Zusammenhang des Ganzen, mit anderen Inhalten an Formengestaltung und Leben. So können wir es von Epoche zu Epoche durch die Jahrmillionen verfolgen: es herrscht 43

immer Rhythmus und b a u t den E r d k ö r p e r allmählich aus in wechselnden Zyklen. In allen L ä n d e r n liegen teils kleinere, teils mächtige Schichtsysteme, ehemalige Land- und Meeresablagerungen in b u n t e r F ü l l e , an denen wir jenen immerwährenden Wechsel ganz augenscheinlich, gewissermaßen versteint, vor uns haben. D a gibt es hundert- und tausendfach ü b e r e i n a n d e r f o l g e n d e B a n k u n g e n , etwa K a l k b ä n k e oder Kalk- und Mergelbänke in regelmäßigem Wechsel, oft im einzelnen von gleicher Dicke, dann wieder in mehr oder minder regelmäßigem Wechsel mit anderen B ä n k e n , Tonschiefer oder Sandstein, so wie wenn man die B l ä t t e r eines mächtigen K a r t o n p a k e t e s von der Seite her betrachten würde. Das sind die zahllosen feinen und feinsten, vielleicht oft sogar jahreszeitlichen Unterrhythmen im Gesamtumbruch des erdgeschichtlichen Geschehens. Auch in gröberem Wechsel folgen sich im F e l s g e r ü s t der E r d e periodisch v e r ä n d e r t e Gesteinsmassen als Zeugen sehr langfristiger Umsetzungen. So liegt etwa zu unterst ein ehemaliger gewachsener L a n d b o d e n , etwa ein Gneisgestein. D a r ü b e r folgt als erster Z e u g e des einstigen Meereseintritts eine strandnah abgelagerte Geröllund S a n d f o r m a t i o n , über ihr wird das Gestein mergelig, es folgt reiner K a l k als Niederschlag des inzwischen tiefer gewordenen Meeres; dann wohl ein Tonschiefer, wenig mächtig, die T r ü b e der einst größten Meerestiefe an dieser Stelle. D a n n aber geht der Zyklus rückläufig: es k o m m t wieder eine K a l k f o r m a t i o n , dann höher hinauf in Wechsellagerung mit Mergel, darüber wieder Sand und Geröll und, wenn das Profil vollständig ist, ganz obenauf eine Süßwasser- oder reine L a n d a b l a g e r u n g . Damit ist der Großzyklus geschlossen, und innerhalb dieser F o r m a t i o n nun eine stetig wiederholte Schichtung: die kleinen periodischen Rhythmen innerhalb der Zyklen. So erkennen wir im Gesteinsgerüst der E r d r i n d e überall den großen G e s a m t u m s a t z , aber auch kleines und kleinstes Schwanken oder Sichwiederholen des gleichen; wir erkennen die wechselnden Meeresvertiefungen und -verflachungen, die Trans- und Regressionen, die klimatischen Perioden mit den kleinen meteorologischen Rhythmen. U n d nicht zum wenigsten den stetigen Wechsel des einstigen Tier- und Pflanzenlebens, das fossil in den A b l a g e r u n g e n steckt. Doch alle diese Rhythmen liefen nicht mit der Präzision eines Uhrwerkes ab, sie sind nicht überall auf der E r d e im selben

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engeren oder weiteren Augenblick abgeschlossen gewesen, haben auch nicht unbedingt gleichzeitig begonnen. Das Gewebe ist meist sehr undurchsichtig g e k n ü p f t , wir können immer nur einzelne F ä d e n eine Strecke weit bloßlegen und sie verfolgen, aber dann v e r k n ü p f e n sie sich wieder mit anderen. Denn etwa bei großen, über die E r d e hinweggreifenden Meeresschwankungen gibt es naturgemäß verschiedene Widerstände oder auch da und dort besondere Erleichterungen. So k o m m t es, daß nicht überall gleichzeitig oder gleich stark das Meer sich ausdehnte, nicht überall gleichzeitig sich zurückzog; andernorts blieb es vielleicht überhaupt liegen, sei es schon beim Vordringen, sei es beim Rückzug, etwa wenn sich der B o d e n des bespülten L a n d e s hier starr, dort labil erwies. Oder bei einem allgemeinen großen Rückzug blieb da und dort das Meer in seinem neuen Besitzstand stehen. J e tiefer wir in die Einzelheiten mit solcher Betrachtung eindringen, u m so mannigfaltiger, ungleichartiger, ungleichmäßiger und auch verworrener scheint da alles zu sein, und ist es auch: die rhythmischen Zyklen erscheinen so verwischt, daß man sie geradezu in Zweifel ziehen kann. U n d doch trifft man immer wieder auf echt rhythmische Bilder auch im K l e i n g e w e b e des Teppichs, und das Ganze läßt immer wieder das Periodische unverkennbar hervorleuchten. Da beobachten wir beispielsweise eine breitflächige, über L ä n d e r hinweggreifende Umsetzung von Meer und L a n d ; aber in diesen Großvorgang hineingewoben ist ein rhythmischer örtlicher Wechsel, ohne das große Ganze des Vorganges zu hemmen, aber doch in seinem Eigenverlauf sich davon abhebend; eine Meeresstraße kommt vom Norden nach Süden herein, sie schwindet rasch wieder und kehrt nun in ostwestlicher Richtung zurück, dies mehrmals wiederholend; währenddessen hat sich weltweit eine große Trans- oder Regression um die andere vollzogen. Der Puls der E r d e schlägt im großen, aber auch im kleinen und an den einzelnen Stellen des K ö r p e r s verschieden lang und stark. Das Gewebe der R h y t h m e n ist, wie wir sagten, außerordentlich verwickelt, die Wellen koinzidieren teils, um sich zu großen ausgreifenden Wirkungen zu steigern oder durch das Interferieren sich gegenseitig abzuschwächen. Einer der a u f f a l l e n d s t e n , aber auch oftmals verwischten Rhythmen ist der Wechsel der einstigen Geosynklinalmeere. (Abb. 8.) Ein Geosynklinalmeer ist ein besonders labiler Meeresstreifen, welcher lange Zeit hindurch zu starken Absenkungen neigt und sie auch 45

mit gewissen aber

in

kürzeren

einem

schwächeren

bestimmten

Hebungen

erdgesdiichtlichen

vermischt,

dann

Augenblick

eine

rasche u n d d u r c h g r e i f e n d e H e b u n g erlebt, die im ä u ß e r s t e n

Fall

in einer Faltengebirgsbildung von alpinem C h a r a k t e r endet. Aus G e o s y n k l i n a l m e e r e n des E r d m i t t e l a l t e r s s i n d a l l e g r o ß e n F a l t u n g s zonen der Jetztwelterde am Ende der Tertiärzeit und

frühere Faltengebirgsbildungen

teilten derartigen

160 1)0120100

80

60

aus

hervorgegangen,

früheren,

anders

ver-

Meeren.

W

20

0

20

tO 60

SO WO 120 HO 160 180 160 HO 120100

80

60

10

20

Abb. 8. J etztweltliche Erdkarte mit Einzeichnung der Geosynklinalstreifen, labiler Meereszonen des Erdmittelalters, in die viel Sediment eingeschüttet wurde, aus dem sich später die alpine Faltung aufbaute. (Nach R. Staub.) Verfolgt man

nun

die

Bewegungen

solcher

Geosynklinalmeere,

s o l a n g e i h r B o d e n noch n i c h t e n d g ü l t i g a u f g e f a l t e t ist, so h a b e n sie auch

in d i e s e n

vorausgehenden

untergeordneten

ihre rhythmische Gesetzmäßigkeit. Sobald nämlich

Zuckungen

vorübergehend

d i e B ö d e n d e r s e l b e n sich h e r a u f h e b e n , v e r d r ä n g e n sie M e e r w a s s e r a u s i h r e m R a u m , u n d auf d e n u m l i e g e n d e n e r g e b e n sich d e m e n t s p r e c h e n d e

Kontinentalgebieten

Überflutungen; umgekehrt,

wenn

sich d i e G e o s y n k l i n a l b ö d e n w i e d e r s t ä r k e r v e r t i e f e n , g e h t a u f d e n umliegenden

Flächen

die

wenigstens w i e d e r seichter.

Meeresbedeckung Da aber,

zurück

oder

wie w i r schon s a g t e n ,

E r d e k e i n P r ä z i s i o n s u h r w e r k ist, so ist a u d i d i e s e r

wird die

Geosynklinal-

r h y t h m u s m i t s e i n e n k o m p l e m e n t ä r e n E r s c h e i n u n g e n k e i n auf d i e Stunde

genau

ablaufender Prozeß,

sondern

es k o m m t

u n t e r s c h i e d e n in d e r B e w e g u n g s f o l g e , in v e r s c h i e d e n e n zeigen

sich

Vorausschläge

oder

Verspätungen

b l e i b e n . Auch b e i m S c h l u ß a k t , d e m ä u ß e r s t e n

oder

zu

Zeit-

Gegenden

ein

Stehen-

Empordringen

des

Geosynklinalbodens zu einem Faltengebirge, können einzelne Areale in ihrer Lage zurückbleiben, ja sogar absinken zu noch größeren Tiefen, wie es im Gegensatz zu den herausgehobenen alpinen Faltungen des Himalaya, der Alpen, der Anden, der tiefgebliebene Nordrand von Sibirien und noch stärker die Meeresstraße zwischen Madagaskar und Ostafrika, endlich auch das Mittelmeer zeigt, das selbst ein Reststück des alten erdmittelalterlichen Geosynklinal-Mittelmeeres ist, das in der Geologensprache den klassischen Namen Tethys bekommen hat. Ist ein Gebirge aber aufgefaltet, so verschwindet die Geosynklinale, aus der es entstand, meist völlig, es legt sich anderswo eine neue an. Denn sobald ein Rindenstück des Erdkörpers gefaltet ist, wird es starr und läßt sich späterhin nicht mehr falten oder dies nur in beschränktem Maß. So war es jedenfalls seit dem frühesten Erdaltertum. Seitdem hat es mehrere große und kleinere Faltengebirgsbildungen gegeben, und deren Wiederholung ist nun gleichfalls ein großrhythmischer Vorgang auf dem Erdkörper. Abgesehen von alten archäischen und algonkischen Gebirgsbildungen, von denen die ersteren sich über die ganze Erde erstreckten, treten im Erdaltertum zwei größere Gebirgsbildungszeiten auf. Die erste zur Silurzeit, als kaledonische Faltung bezeichnet. Sie umfaßt die Gegend des heutigen Schottland, daher ihr Name, sodann Westskandinavien, überhaupt die nordischen Gegenden, ist aber auch in Amerika, Asien und Australien weitverbreitet. Sie hat um die ältesten drei nördlichen Kontinentalkerne die ersten Girlanden gelegt und damit jene Kerne erweitert und verstärkt. Besonders die heutigen mittelasiatischen Gebirge sind wieder herausgehobene und zerschnittene Wurzelmassen jener alten kaledonischen Falten. Da solche Faltungen niemals nur auf einen kurzen Zeitpunkt beschränkt waren, sondern ihre Vorläufer und Nachzügler hatten, so ist auch die kaledonische Faltung nicht im selben geologischen Augenblick abgelaufen, sondern zerfällt in eine ältere Phase am Ende des Untersilur und eine jüngere im Obersilur; und dann hat sie sogar noch im Devon örtlich ihre Nachklänge gehabt. Vielleicht kann man die letzteren auch als die frühesten Vorläufer der großen Faltungsvorgänge der Karbonzeit ansehen. Auch diese Gebirgsbildung zerlegt sich in einzelne wohlunterscheidbare Bewegungen, welche die ganze Karbonzeit über andauern und 47

sich in ihren Ausklängen auch im Perm noch bemerkbar machen. Der Ural und die Appalachen in Nordamerika sind die bedeutendsten Faltungskörper dieses Gebirgssystems, aber auch in Europa gehören die westfranzösischen Gebiete der Bretagne, weite Teile Spaniens und vor allem die ganze Masse der deutschen Mittelgebirge, wie Harz, Schwarzwald, Vogesen, dazu. Es ist die variskische Faltung, nach dem alten Land der Varisker benannt, die auch in Nordafrika sich auswirkte, und die gegen den Himalaja liegenden zentralasiatischen Ketten schuf; endlich auch die Falten Ostaustraliens, während die alte silurische Faltung auf der Südhalbkugel nur wenig erscheint, am stärkten noch in Australien, wo sie sich im Norden und im Zentrum vorfindet; auch die südamerikanischen Anden zeigen noch eingeschlossene Spuren davon. Die karbonische Faltung war ein weltweites Ereignis und durchaus mit der Intensität der spättertiären alpinen zu vergleichen, wenn auch nicht an Höhe der Formungen. Denn es macht den Eindruck, als ob jede spätere Großfaltung sich auf immer schmälere Streifen der Erdrinde erstreckte, dafür aber um so höhere Körper schuf. Auch die Geosynklinalmeere, aus denen sie alle hervorgingen, sind für jede spätere Gebirgszone immer schmäler geworden. Während nun die karbonischen Faltungen abermals durch Anlegung neuer Versteifungszonen besonders die Nordkerne hatten auswachsen und sich stabilisieren lassen, gibt die tertiäre alpine Gesamtfaltung, die schon in der Kreidezeit einen schwächeren Vorausschlag hatte, und der wir die heutigen Hochgebirge verdanken, dem allem seinen Abschluß. Auch das alpine Faltensystem ist universell, verbreiteter sogar als alle früheren. Rings um den Stillen Ozean ziehen die amerikanischen und ostasiatischen Ketten, letztere nach Neuseeland hinunterreichend und über den Südpol nach Südamerika hinübergreifend. Von Hinterindien laufen sie über den Himalaja bis nach Kleinasien, bilden die Alpen, umfassen auch die Pyrenäen und den Atlas. Damit sind zugleich die heutigen Konfigurationen der Länder und Meere wesentlich abgeschlossen. Auch die „alpinen" Bewegungen fanden nicht in einem kurzen Zeitraum nur statt, wenn auch ihre Hauptentfaltung an das Ende der Miozänzeit fällt. Wie schon erwähnt, gab es in der Oberkreidezeit eine kurzfristige, noch nicht so stark faltende Heraushebung des Ostalpenkörpers, wie auch in den gesamten Alpenkörper alte variskische Reststücke teilweise mit hineingenommen sind.

48

Abb. 9. Der Aufbau Europas durch die aufeinanderfolgenden Gebirgsfaltungen. Kaledonische Faltung zur Silurzeit: Paläo-Europa; variskische Faltung zur Karbonzeit: MesoEuropa; alpine Faltung zur Tertiärzeit: Neo-Europa. (Nach Stille 1924.) W i r d so seit d e m f r ü h e n E r d a l t e r t u m n a c h u n d n a c h d i e n ö r d l i c h e Landmasse durch die a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n Gebirgsfaltungen

auf-

g e b a u t ( A b b . 9 ) , s t e h t d e m g e g e n ü b e r d i e S ü d h a l b k u g e l , wo d a s d o r t vorhandene Der

ausgedehnte

nordische

Kontinentale

Aufbau

verläuft

wesentlich ostwestlich, der Abbau

wesentlich

mindestens

abgebaut

seit

im Südgebiet

dem

wird.

Karbon

wesentlich

nord-

südlich. B e i d e R i c h t u n g e n k r e u z e n u n d v e r z a h n e n sich i m A t l a n tik, d e r d e m g e m ä ß e i n e h ö c h s t w e c h s e l v o l l e G e s c h i c h t e h i n t e r sich h a t . Es ist d i e F r a g e ,

ob

er

teilweise

ein f ü r k ü n f t i g e

g e b i r g s b i l d u n g sich a n l e g e n d e s G e o s y n k l i n a l m e e r s e i n Wo h e u t e

der Himalaja,

die

Alpen,

die

Anden

Falten-

wird.

aufragen,

lag

e i n s t d a s G e o s y n k l i n a l m e e r d e r „ T e t h y s " , d e s s e n B o d e n im L a u f des E r d a l t e r t u m s tiefer sank, 4

Dacqué,

um

und

-mittelalters,

zuletzt

Vermächtnis

nach

wie

geschildert,

Einschüttung

all

der

tiefer

und

ungeheuren 49

Materialmengen, die von den umliegenden Ländern kamen, verfallet und emporgedrängt zu werden. Dasselbe gilt für die früheren Gebirgsbildungen. Und wenn die Faltenkörper entstanden waren, dann setzte alsbald wieder die Abtragung ein, sie wurden abgehobelt und zu flachem Hügelland; oder sie sanken wieder unter das Meer, und neue, dann aber stets flache Ingressionen lagerten über den abgetragenen Stümpfen neue Schichtungen

Abb. 10. Wiederbelebte

Wurzeln

alter

Faltengebirge.

(Z. T.

Orig.)

a) Ein abgetragenes Faltengebirge sinkt wieder unter das Meer und wird von jüngeren Schichten waagrecht überlagert; b) das ganze System wird wieder herausgehoben, durch Brüche zerschnitten, an denen c) die seitlichen Flügel absinken, der mittlere Teil herausgehoben und von den darüberliegenden Schichten entblößt wird. Er ragt nun als Wurzelstumpf, als Mittelgebirge, wieder empor. Beispiel des Harz.

waagerecht ab. Später wurde das Ganze vielfach wieder gehoben, es lagen dann über tiefen gefalteten alten Gebirgswurzeln jüngere waagerechte Schichten. Wurden die gehobenen Blöcke dann abermals vom Kreislauf des Wassers zerschnitten und durch Bruchverwerfungen zerstückelt, womöglich die späten waagerechten Schichtungen noch erodiert, so liegen heute wiederum Gebirgszüge vor unseren Augen, gefaltet wie die jungzeitlichen Alpen, aber dennoch uralt, sozusagen die orographisch wiederbelebten Wurzeln der früheren Faltengebirge. (Abb. 10.) So sind Schwarzwald, Harz, das rheinische Schiefergebirge, Thüringen, die Ardennen die posthumen karbonischen Gebirgskörper, das schottische Hochland und Skandinavien, wo das Meer in die Alpentäler als Fjorde eingetreten ist, die posthumen kaledonischen Körper. Auch unsere Alpen waren seit der Tertiärzeit schon stellenweise recht abgetragen und wurden durch spätere Hebung bzw. späteres Absinken 50

des Vorlandes noch einmal herausgehoben. Das heutige Mittelmeer ist, wie gesagt, großenteils ein versenktes Stück Alpengebiet. Eine gewisse periodische Wiederkehr zeigen auch die vulkanischen Erscheinungen in der Erdgeschichte. Auch hier gibt es Epochen starker und schwacher Auswirkung, manchmal auch anscheinend völlige Ruhezeiten. In der kambrischen Formation finden wir nur wenige Anzeichen, dann wächst der Vulkanismus mit der Silurzeit, um sich im Devon zu großer Stärke zu erheben. Im Zusammenhang mit der variskischen Gebirgsbildung tritt dann auch im Karbon der Vulkanismus in Erscheinung und steigert sich im Perm wieder sehr. Trias, Jura und Kreide waren vulkanisch ruhigere Zeiten, wenn wir auch in der Kreidezeit in Indien und Nordamerika ungeheure Deckenergüsse sich ausbreiten sehen. Ebenso zeigt das Alttertiär, dann aber besonders wieder das Jungtertiär verbreitete Paroxysmen, besonders auch in Europa (Auvergne, Vogelsberg, Rhön, Hegau), und die damaligen Vulkanberge sind sogar noch ganz oder großenteils erhalten. Dies gilt auch von den letzten quartärzeitlichen Ausläufern des Vulkanismus in unseren Gegenden (Eifel). Die Periodizität des Vulkanismus fällt nur teilweise mit den Gebirgsfaltungen da und dort zusammen; im übrigen scheint jene Kraft ihre eigenen Wege gegangen zu sein und eigenen Gesetzen zu unterliegen. Am stärksten vermengt mit vulkanischen Massen sind die Schichtfalten der südamerikanischen Anden. Auch das Klima hat, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, seine epochale Periodizität. Auch hier, wie beim Vulkanismus, der Gebirgsbildung und der Land- und Meeresverteilung, weben sich in die großklimatischen Wellen stets kleine und kleinste hinein — kurz, der Wechsel im vorweltlichen Werden der Erdoberfläche erscheint wie eine fortlaufende Reihe lang- und kurzfristiger Atemzüge der Mutter Erde, die sich auf allen geophysischen Gebieten erkennen lassen. So geht es durch die ganze Erdgeschichte hindurch, aber allmählich wird auch das Antlitz der Erde starrer, seine Furchen werden bestimmter, die Ozeane werden tiefer, die Landkerne dichter und widerstandsfähiger — dürfen wir sagen, die Mutter Erde altert? Als Gesamttatsache darf man wohl feststellen, daß die Erdkruste im Lauf der geologischen Zeiten eine Verdickung und Konsolidierung erfuhr und dabei gewiß auch ihre relative Lage zu den Drehungspolen der Erde in ostwestlicher Richtung mit vielen 4:

51

ihrer Teilstücke änderte. Es ging ferner damit Hand in Hand eine allmähliche Verschärfung und ein Steilerwerden des Kontinentalrandes, der heute ziemlich unmittelbar zur Tiefsee abfällt, während es früher noch ausgleichende Zwischenmeere gab. Vor allem aber hängt damit die Erscheinung zusammen, daß im ganzen die gewaltigen weltumspannenden Meeresüberflutungen und Rüdtflutungen abgenommen haben. So große Meeresumsetzungen wie im Erdaltertum kommen im Erdmittelalter nicht mehr vor, wenngleich auch damals noch zwei immerhin starke (Mitteljurazeit, Mittelkreidezeit) Transgressionen eintraten, während die der Tertiärzeit sehr abgemindert sind. Und auch die Faltengebirgsbildung ward mit der Zeit auf immer engere Streifen beschränkt. Zugleich aber bildeten sich mit den hoch und schroff gewordenen Kettengebirgen auch die Tiefseegräben im ozanischen Areal extrem aus. Sie haben jetzt dieselbe Tiefe wie die Faltengebirge Höhe haben — bis 10 000 Meter. Zugleich ist es in diesem Zusammenhang verständlich, daß die größten Ozeantiefen nicht weit draußen in Festlandsferne liegen, sondern sich ziemlich unmittelbar an die höchsten, die Ozeane umrandenden Landhöhen anzuschmiegen suchen und auch mitten in den Ozeanen an Inselgebiete sich herandrängen. Noch eine letzte Geschehensseite aber kommt zu allen diesen Betrachtungen hinzu. Nicht nur im äußeren, grob sichtbaren Ablauf ist ein mehr oder minder erkennbarer rhythmischer Wechsel festzustellen, sondern er gibt sich auch im feinsten Inneren der stofflichen Struktur als solcher kund. Mehr denn je hat die Durchforschung des molekularen und atomaren Aufbaues der Materie den Blick für die unendliche Weite und Vielfalt auch der dort sich vollziehenden rhythmischen Umsetzungen geöffnet. Auch da gibt es ein Pulsieren. Wir wissen von den unvorstellbar gewaltigen Kräften, die im Feinaufbau der Materie gebunden liegen; wir wissen von den Bewegungen und der Unterschiedlichkeit der feinsten Stoffteilchen, die man ja mit den Bewegungen und Strukturen des Planetensystems verglichen hat. Noch ist nicht abzusehen, ob nicht gerade aus diesem Feinbau des Stoffes selbst heraus Veränderungen der Gesteine sogar von innen her, also vielleicht Faltungen und Fältelungen oder sogar chemische Umwandlungen bewirkt werden, die dann ihrerseits durch ihre Raumbeanspruchung wieder pressende, knetende, faltende Wirkung auf die Gesamterdrinde ausüben. J a man ist versucht, weiter zu schauen 52

u n d sich zu f r a g e n , ob nicht sogar die d u r c h a u s rhythmischperiodischen B e w e g u n g e n der P l a n e t e n u m die S o n n e u n d das, was m a n die W i r k u n g d e r S c h w e r k r a f t n e n n t , g e r a d e z u ein E r g e b n i s des i n n e r s t e n A n t r i e b e s des F e i n s t o f f l i c h e n aller dieser W e l t k ö r p e r ist. S t r a h l u n g e n h i n w i e d e r u m , die aus d e m K o s m o s auf u n s e r e n E r d k ö r p e r g e l a n g e n u n d in i h n e i n d r i n g e n , m ö g e n e b e n f a l l s r h y t h m i s c h p u l s i e r e n d e K r ä f t e sein, ü b e r d e r e n A u s w i r k u n g o d e r l a t e n t e n V e r b l e i b sich noch gar nichts a u s m a c h e n , wohl a b e r Überraschendes a h n e n l ä ß t . 5. Innere

E r d k r ä f t e und

Kosmos

•Seit e i n e m J a h r h u n d e r t s t e h t die erdgeschichtliche F o r s c h u n g u n t e r d e m Gesetz des A k t u a l i s m u s . Diese L e h r e v e r t r i t t den Grundsatz, d a ß zur A u f h e l l u n g d e r U r s a c h e n vorgeschichtlicher Z u s t ä n d e u n d B e g e b e n h e i t e n nichts a n d e r e s h e r a n z u z i e h e n sei, als was wir auch h e u t i g e n t a g e s auf d e r E r d e w i r k e n s e h e n . Seien die f r ü h e r e n V o r g ä n g e noch so gewaltig u n d u m f a n g r e i c h , seien sie f ü r d e n A u g e n s c h e i n auch noch so verschieden v o n d e n h e u t i g e n , so müsse m a n doch grundsätzlich w e n i g s t e n s i m m e r w i e d e r versuchen, sie alle restlos auf V o r g ä n g e z u r ü c k z u f ü h r e n , wie sie h e u t e beobachtb a r sind. E r f a h r e n wir beispielsweise v o n d e r u r w e l t l i c h e n A u f t ü r m u n g v o n G e b i r g e n , von g r o ß e n M e e r e s ü b e r f l u t u n g e n u n d unbegreiflichen K l i m a z u s t ä n d e n , so d ü r f e n wir nicht i r g e n d e i n e unf a ß b a r e Ursache a n n e h m e n , s o n d e r n m ü s s e n v e r s u c h e n , solche Erscheinungen zwanglos aus d e r j a h r m i l l i o n e n l a n g e n H ä u f u n g j e n e r k l e i n e n u n d k l e i n s t e n E i n w i r k u n g e n a b z u l e i t e n , die sich alltäglich u n t e r u n s e r e n A u g e n noch a b s p i e l e n . Diese M e t h o d e ist eine g e s u n d e G r u n d l a g e aller erdgeschichtlichen A r b e i t u n d ä u ß e r s t f r u c h t b a r g e w e s e n ; durch sie v e r h i n d e r n wir ein allzu rasches H i n a u s g r e i f e n zu u n b e k a n n t e n K r ä f t e n , aber sie darf nicht zugleich zu e i n e r S c h e u k l a p p e f ü r w e i t e r a u s s c h a u e n d e Zus a m m e n h ä n g e w e r d e n . W e n n wir also auf die in den v o r i g e n Abs c h n i t t e n geschilderten p a l ä o g e o g r a p h i s c h e n u n d p a l ä o k l i m a t i s c h e n Z u s t ä n d e v e r w e i s e n , so ist d e r e n B e s c h r e i b u n g e i n e R e c h t f e r t i g u n g aktualistischer M e t h o d e . W e n n wir a b e r diese u r w e l t l i c h e n Geschehnisse j e t z t nicht m e h r durch aktualistische E r f a h r u n g e n ursächlich zu e r k l ä r e n i m s t a n d e sind, so w ä r e es v e r r a n n t , w o l l t e n wir nicht nach a n d e r e n P r i n z i p i e n Ausschau h a l t e n ; es w ä r e die V e r k e h r u n g e i n e r H a n d w e r k s r e g e l in eine s t a r r e W e l t a n s c h a u u n g . 53

Mit der aktualistischen Lehre schien eine ältere Auffassung aus der Anfangszeit erdgeschichtlicher Forschung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert überwunden zu sein: die Katastrophenlehre. Es war der Ursprüngliche Eindruck der Begründer der Geologie, es müßten doch im Laufe der früheren Epochen zeitweise anderweitige Kräfte als die heute tätigen das ruhige Werden und Umbilden der Erdoberfläche durchkreuzt und sich auch auf die Geschichte des Lebens erstreckt haben. Man darf sidh, wenn mau den in dieser Lehre steckenden Begriff der Katastrophe richtig verstehen will, nicht Geschehnisse darunter vorstellen, die dem Menschen als überwältigende Schrecknisse hätten entgegentreten müssen. Wenn sich etwa, wie im Abschnitt 2 gezeigt, Europa um 200 m senken und weite Strecken darum meerüberflutet würden, so wäre dies, wenn es sich in wenigen Jahrzehnten oder noch kürzer vollzöge, f ü r die menschliche Geschichte gewiß eine nachhaltige Naturkatastrophe; f ü r die Erde ist es ein geradezu nichtssagender minimaler Vorgang und ein sozusagen alltäglicher Atemzug. „Katastrophe" kann hier also nichts anderes heißen als rasdie Unterbrechung oder Steigerung des sonst gleichmäßig dahinrollenden aktualistischen Geschehens. Man sah also mit dem Aktualismus nur die Evolution, nicht die Revolution, und diese einseitige naturgeschichtliche Betrachtungsart entsprach durchaus dem beruhigten bürgerlichen Weltbild des vergangenen Jahrhunderts. Aber es steckte in der alten Katastrophenlehre doch auch noch das unbewußte Gefühl, daß es sich da nicht nur um gelegentliche Steigerung oder Beschleunigung sonst gleichmäßig verlaufender erdgeschichtlicher Vorgänge handelte, sondern auch um ein Hereindringen qualitativ anderer Kräfte. Man hat unter der Herrschaft des nur aktualistischen Denkens vergessen, daß die Erde nicht ein isolierter Körper ist, auf dem sich nur Dinge zutragen können, die allein ihm selbst entspringen. Vielmehr ist die Erde verbunden mit kosmischen Kraftquellen, und auch wenn sie wirklich oder scheinbar nur aus ihren eigenen inneren Umsetzungen die Veränderungen an ihrer Oberfläche bewirkt, so ist doch auch dieses Geschehen letzthin kosmisch verankert. Das Kennzeichen des Kosmischen aber ist Rhythmus, und dies bedeutet einen Wechsel von ruhiger Evolution und einbrechender Revolution, von ruhigem Dahinfließen und einbrechendem Aufruhr. Das Katastrophale ist notwendiger Gegenpol des Beruhigten in der Natur, und nicht anders ist es auch in der menschlichen Geschichte. / 54

W e n n d e r gleichmäßig e v o l u t i o n ä r e G a n g zeitweilig v o r h e r r s c h t , so k o m m t es zu j e n e n B e g e b e n h e i t e n , die sich aus d e m aktualistischen D e n k e n v e r s t e h e n lassen. Da a r b e i t e t die V e r w i t t e r u n g u n d d e r Wasserkreislauf g e d u l d i g u n d a n h a l t e n d , wie h e u t z u t a g e ü b e r a l l ; da s c h w a n k e n die L a n d - u n d M e e r e s g r e n z e n gemächlich h i n u n d h e r , wie h e u t z u t a g e ; da d r i n g e n da u n d d o r t geringe vulkanische Massen h e r a u s u n d b i l d e n b e s c h r ä n k t e V u l k a n f e l d e r u n d E i n z e l v u l k a n e ; da w e r d e n in l a n g f r i s t i g e n Z e i t g ä n g e n Hochgebirge a b g e n a g t , es wird in d e n T i e f l ä n d e r n u n d M e e r e n r e g e l m ä ß i g Lage u m Lage s e d i m e n t i e r t , alles wird in n o r m a l e r F o l g e abgewickelt. K o m m t a b e r d e r Augenblick d e r S t e i g e r u n g u n d d e r U n t e r b r e chung, d e r E n t l a d u n g a n g e s a m m e l t e r K r ä f t e o d e r des E i n d r i n g e n s g r o ß w e l l i g e r kosmischer Einflüsse, die sich m i t d e m irdisch eing e e n g t e n Geschehen k r e u z e n — da wird sich auch d e r E r d k ö r p e r sozusagen w i e d e r s e i n e r kosmischen N a t u r b e w u ß t , u n d es geschehen Dinge, die nicht m e h r m i t a k t u a l i s t i s c h e n V o r s t e l l u n g e n allein e r k l ä r b a r sind. D a v e r l e g e n sich rasch u n d w e l t w e i t die G r e n z e n von L a n d u n d Meer, da f a l t e n sich in k ü r z e s t e r Zeit Hochgebirge auf u n d wälzen i h r e G e s t e i n s d e c k e n ü b e r e i n a n d e r ; da tritt ein j ä h e r Klimawechsel ein, es k o m m t zu Eiszeiten nach unv e r s t ä n d l i c h e n a l l g e m e i n e n W ä r m e z e i t e n ; es s c h w a n k t die Erdachse, es v e r l e g e n sich die P o l e , die sonst n u r u n m e r k l i c h wan d e m — alles U m w ä l z u n g e n , K a t a s t r o p h e n , m ö g e n sie auch, verglichen mit d e r D a u e r menschlicher G e n e r a t i o n e n i m m e r h i n recht l a n g f r i s t i g sein. Es ist durchaus möglich, j a wahrscheinlich, d a ß a l l e r h a n d kosmische K o n s t e l l a t i o n e n im Laijf d e r j a h r m i l l i o n e n l a n g e n Entwicklung v o r h a n d e n w a r e n u n d auf die E r d e e i n w i r k t e n . Es ist durchaus möglich u n d wahrscheinlich, d a ß ü b e r h a u p t a n d e r e Nachbars c h a f t e n f ü r die e i n z e l n e n H a u p t k ö r p e r u n s e r e s P l a n e t e n s y s t e m s b e s t a n d e n u n d d a ß k e i n e s w e g s alles so e i n g e r i c h t e t war, wie es uns die k u r z f r i s t i g e n aktualistischen Z u s t ä n d e g l a u b e n lassen, die wir aus u n s e r e r wissenschaftlichen E r f a h r u n g o d e r aus d e n Aufzeichnungen d e r l e t j t e n z e h n t a u s e n d J a h r e menschlicher Geschichte allein k e n n e n . Erdgeschichtlich k o m m e n da ganz a n d e r e , u n e n d l i c h viel l ä n g e r e Z e i t r ä u m e in B e t r a c h t , die von a s t r o n o m i s c h e n Ber e c h n u n g e n ü b e r h a u p t nicht zureichend e r f a ß t w e r d e n k ö n n e n . W e n n wir n u n in dieses noch recht d u n k l e u n d unsichere Gebiet v o r s t o ß e n , so k a n n dies nicht willkürlich u n d m i t l e e r e r P h a n t a s i e geschehen, s o n d e r n es müssen T a t s a c h e n u n d G e g e b e n h e i t e n spre55

chen, welche u n s e n t s p r e c h e n d e Schlüsse auf a n d e r s a r t i g e V e r h ä l t nisse u n d E i n w i r k u n g e n d e r kosmischen U m w e l t zu z i e h e n ges t a t t e n , u m d a r a u s manches zu k l ä r e n , was f ü r die erdgeschichtliche F o r s c h u n g b i s h e r ursächlich noch in D u n k e l g e h ü l l t bleibt. So könn e n wir f r a g e n : Ist das P l a n e t e n s y s t e m ü b e r h a u p t so stabil, wie es u n s e r derzeitiges so b e r u h i g t e s W e l t b i l d a n n e h m e n m ö c h t e ? Bef a n d es sich zu allen Z e i t e n , w e n i g s t e n s v o m E r d a l t e r t u m ab, in d e m h e u t i g e n v e r m e i n t l i c h e n D a u e r z u s t a n d , ü b e r d e n wir doch n u r so k u r z f r i s t i g e E r f a h r u n g e n h a b e n ? In d e r Schule l e r n t m a n , d a ß die E r d e m i t i h r e n Geschwistern, d e n P l a n e t e n , u m die S o n n e l a u f e , alle verschieden schnell, so d a ß e t w a ein J u p i t e r j a h r zwölf E r d e n j a h r e d a u e r e . E i n z e l n e P l a n e t e n h a b e n e i n e n o d e r m e h r e r e M o n d e , die i h r e r s e i t s ähnlich u m i h r e H e r r e n p l a n e t e n l a u f e n sollen, wie diese u m die S o n n e . Alle Plan e t e n u n d M o n d k ö r p e r s t ü n d e n u n t e r sich durch die U m l a u f s b e w e g u n g e n bzw. die A n z i e h u n g s k r a f t wie ein g e o r d n e t e r Mechanism u s m i t großer, stets gleichbleibender P r ä z i s i o n in Z u s a m m e n h a n g . Man l e r n t auch, d a ß die S o n n e d e r E r d e W ä r m e u n d Licht s p e n d e , wodurch L e b e n auf dieser g e d e i h e n k ö n n e . Die K u g e l f o r m d e r E r d e b e d i n g e an d e n P o l e n ein flaches, am Ä q u a t o r ein senkrechtes A u f t r e f f e n d e r S o n n e n s t r a h l e n — d a h e r die s t r e n g z o n a r e A n o r d n u n g des Klimas, das sich durch die u n g l e i c h m ä ß i g e Vert e i l u n g von L a n d u n d Meer, durch die L u f t - u n d M e e r e s s t r ö m u n gen im e i n z e l n e n verschieden ausgestalte. Die A n z i e h u n g des Mondk ö r p e r s auf die E r d e b e d i n g e e i n e n sechsstündigen Wechsel v o n E b b e u n d F l u t ; s t e h e d e r Mond g e n a u in d e r R i c h t u n g E r d e — S o n n e (Voll- u n d N e u m o n d ) , so gebe es eine Springflut, im e r s t e n u n d l e t z t e n M o n d v i e r t e l d a g e g e n die schwache N i p p f l u t . Das sind so die wesentlichen B e z i e h u n g e n i n n e r h a l b des P l a n e t e n systems, die h e u t e g a n g u n d gäbe sind. A b e r sie b e d e u t e n doch n u r ein Schema, b r a u c h b a r n u r , solange m a n dieses Augenblicksbild e b e n als ein d a u e r n d e s ansieht, o h n e sich k l a r zu m a c h e n , d a ß es n u r ein k u r z f r i s t i g e s Glied e i n e r u n g e h e u r e n Umse^ung ist; so wie die geschichtlich überschaubaren Erdz u s t ä n d e n u r ein v e r m e i n t l i c h d a u e r n d e s Glied in d e n ä o n e n l a n g e n erdgeschichtlichen U m s e g u n g e n sind. Wie das Lichtbild ein sich d r e h e n d e s R a d scheinbar r u h i g s t e h e n d zeigt, so ist auch das derzeit in d e n Schulen v e r m i t t e l t e W e l t b i l d n u r die s t a r r e W i e d e r g a b e eines B e w e g u n g s b i l d e s . In dieses stabile W e l t b i l d , das sich wie der geologische Aktualis-

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mus weltanschaulich durchaus in die Geisteslage des ausgehenden 18. und des 19. J a h r h u n d e r t s einfügt, kamen doch gewisse Zweifel, als man sich mit d e m U m l a u f des Mondes und dem Charakter seiner Oberfläche näher befaßte. Nach der einen, angelsächsischen Theorie hätte sich unser Mond einmal von dem E r d k ö r p e r abgelöst und entfernt. Im A n f a n g s z u s t a n d eilte er rasch um die E r d e , a b e r die E r d e drehte sich auch wesentlich rascher u m sich selbst als heute. Dies war die Zeit ungeheurer Gezeitenbewegungen in den Weltmeeren und sogar in der elastischen, noch nicht wie heute so sehr versteiften Erdrinde. Der Mond blieb sehr bald gegenüber dieser raschen E r d d r e h u n g zurück, ü b t e B r e m s w i r k u n g auf den Erdball aus, dieser wieder beschleunigte rückwirkend den Mondu m l a u f ; das L ä n g e n v e r h ä l t n i s von T a g und Monat änderte sich stetig, mit dem Ergebnis, daß sich der Mond auf einer Spiralbahn immer weiter von der E r d e entfernte, was sich bis heute, allmählich verlangsamt, aber noch fortsetjt. Auch heute noch l ä u f t der Mondkörper hinter der E r d d r e h u n g nach, d a r u m geht er täglich eine S t u n d e später auf. Der E n d z u s t a n d wird sein, daß der Mond ebenso rasch u m l ä u f t , wie die in ihrer Selbstumdrehung noch weiter abgebremste E r d e treidelt. In diesem Augenblick wird das Verhältnis M o n d — E r d e stabil geworden sein, die beiden Weltkörper bewegen sich nachher f ü r alle Zeiten so, als ob sie starr miteinander verbunden wären. Wir nannten dieses Weltbild „angelsächsisch", weil es ebenso wie der ebenfalls angelsächsische A k t u a l i s m u s und der gleichfalls angelsächsische Darwinismus alles unter dem Gesichtspunkt der endlich zu erreichenden weltumfassenden Stabilität und der mechanischen H ä u f u n g kleinster Wirkungen versteht. Die entgegengesetzte, ebenso gut b e g r ü n d b a r e und neuzeitlichen Vorstellungen entsprechendere Weltschau führt zu einem k a t a s t r o p h a l e n Weltbild. F ü r sie ist zunächst der Mond ein von der E r d e e i n g e f a n g e n e r Weltkörper, vielleicht ein ehemaliger kleiner Nachbarplanet aus Märsnähe, vielleicht auch nur das Bruchstück eines solchen. Nicht von der E r d e e n t f e r n e er sich, nicht zur gegenseitigen Stabilität als D o p p e l k ö r p e r strebten sie beide, sondern der Mond schraube sich mehr und mehr an die E r d e heran, aber nicht mehr zuletjt als geschlossenes Ganzes, sondern aufgelöst und ausgezogen zu einem Spiralring, der sich mit der Erde vereinigen, seine Substanz dem Erdkörper einverleiben werde. Die G r u n d l a g e f ü r eine solche Anschauung besteht einmal darin, daß der gemeinsame Schwerpunkt 57

d e s j e t z i g e n Systems E r d e — M o n d noch ganz im E r d k ö r p e r selbst liege; s o d a n n , d a ß d e r M o n d b e r e i t s jetjt schwache E i f o r m h a b e , m i t d e r s p i t j e r e n H ä l f t e d e r E r d e z u g e w a n d t , u n d dies d e n A n f a n g des A u s e i n a n d e r z i e h e n s b e d e u t e . W a s f ü r K a t a s t r o p h e n d a m i t d e r E r d e noch b e v o r s t e h e n , b r a u c h t nicht a u s g e f ü h r t zu w e r d e n . Ist d e r M o n d , wie es e i n e T h e o r i e w a h r h a b e n will, ein Eisozean ü b e r e i n e r S t e i n k u g e l , so w e r d e n sich zuerst u n g e h e u r e E i s h a g e l u n d W a s s e r f l u t e n auf die E r d e s t ü r z e n , d a n a c h S t e i n h a g e l u n d Riesenbrocken, die das M e e r a u f s c h ä u m e n lasssen u n d G r o ß f l u t e n h e r b e i f ü h r e n : das b e r u h i g t e W e l t b i l d ist v e r s c h w u n d e n u n d d i e Gem e i n s a m k e i t , die S t a b i l i t ä t des v e r e i n i g t e n Erd- u n d M o n d k ö r p e r s w i r d erst j e n s e i t s solcher kosmischen U m w ä l z u n g e n liegen. E i n w e i t e r e r g r o ß e r Z w e i f e l an d e m stabil g e d a c h t e n W e l t s y s t e m , in d e m wir angeblich l e b e n u n d das sich auch in d e n erdgeschichtlichen Z e i t e n nicht g e ä n d e r t h a b e , u n d zugleich eine w e i t e r e Bes t ä t i g u n g d e r s o e b e n g e b r a c h t e n M o n d t h e o r i e ist die T a t s a c h e , d a ß einige N a c h b a r p l a n e t e n m e h r e r e M o n d e h a b e n , die keineswegs nach d e r angeblichen N o r m als einstige A b s c h l e u d e r u n g s p r o d u k t e ä q u a t o r i a l u m l a u f e n , s o n d e r n u n g l e i c h m ä ß i g e , exzentrische o d e r auch die B a h n i h r e s P l a n e t e n q u e r e n d e W e g e g e h e n . So h a t S a t u r n z e h n verschieden u m l a u f e n d e T r a b a n t e n , J u p i t e r h a t acht, einige v o n zwei- bis d r e i j ä h r i g e r , a b e r auch acht- u n d z e h n j ä h r i g e r U m l a u f s z e i t , u n d e i n e r ist sogar rückläufig. Alle solchen P l a n e t e n m o n d e — die B e i s p i e l e sind d a m i t noch nicht e r s c h ö p f t — m a c h e n gewiß nicht d e n E i n d r u c k v o n einst a b g e s c h l e u d e r t e n Massen ihres H e r r e n gestirns, v i e l m e h r d e n v o n recht spätzeitlichen E i n f ä n g l i n g e n u n d F r e m d k ö r p e r n , die sich vielleicht noch m i t i h r e m H a u p t k ö r p e r v e r e i n i g e n w e r d e n . U n d selbst w e n n sie A b s c h l e u d e r u n g s s t ü c k e ihres P l a n e t e n t r o t j d e m w ä r e n , so w ü r d e n doch g e r a d e die jetjigen Z u s t ä n d e an i h n e n deutlich zeigen, d a ß dies nachträglich in Uno r d n u n g g e r a t e n e B e z i e h u n g e n sind u n d d a ß vor noch nicht allzul a n g e r Zeit — wir m e i n e n das W o r t im erdgeschichtlichen Sinn — ganz wesentliche S t ö r u n g e n das P l a n e t e n s y s t e m b e t r a f e n . W o h e r a b e r s t a m m e n möglicherweise solche E i n f ä n g l i n g s m o n d e ? Sind es aus d e m f r e i e n W e l t r a u m a u ß e r h a l b u n s e r e s P l a n e t e n systems h e r e i n g e d r u n g e n e R i e s e n m e t e o r e , also g e w i s s e r m a ß e n vom H i m m e l g e f a l l e n e F r e m d k ö r p e r ? Noch vor z w e i h u n d e r t J a h r e n hat es die P a r i s e r A k a d e m i e h o h n l a c h e n d zurückgewiesen, als die Meld u n g v o n e i n e m ausgiebigen M e t e o r f a l l aus d e m S ü d e n des L a n d e s e i n t r a f , d a ß m a n d e m A b e r g l a u b e n huldige, es k ö n n t e n „ S t e i n e "

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vom H i m m e l f a l l e n ; j e t z t wird das n i e m a n d m e h r b e z w e i f e l n . U n d auch diese S t e i n e k o m m e n aus d e m f r e i e n W e l t r a u m , nicht n u r aus d e m P l a n e t e n r a u m selbst. A b e r wir b r a u d i e n nicht so weit h i n a u s z u g r e i f e n , u m solche Massen, die zu M o n d e n w e r d e n k ö n n t e n , a n z u n e h m e n : in u n s e r e r n ä c h s t e n N ä h e liegt ein planet a r e r K ö r p e r k o m p l e x , dessen E n t d e c k u n g u n d V e r s t e h e n u n s e r e m b e r u h i g t e n W e l t b i l d e i n e n a b e r m a l i g e n Stoß g e b e n m u ß . Die P l a n e t e n sind in b e s t i m m t e r G e s e t z m ä ß i g k e i t nach G r ö ß e , Schwere u n d E n t f e r n u n g i m S o n n e n s y s t e m a n g e o r d n e t . N u n f e h l t nach dieser R e g e l zwischen Mars u n d J u p i t e r ein V o l l p l a n e t ; s t a t t s e i n e r h a t m a n d o r t eine b e d e u t e n d e Z a h l g r o ß e r u n d k l e i n e r T r ü m m e r "von teilweise sehr e d i i g e r G e s t a l t w a h r g e n o m m e n . Sie s t a m m e n v e r m u t l i c h v o n j e n e m gesuchten, e h e m a l s i n t a k t e n Vollp l a n e t e n , d e r durch ä u ß e r e o d e r i n n e r e Ursachen z e r s p r u n g e n ist. Die m e i s t e n dieser T r ü m m e r l a u f e n noch m e h r o d e r w e n i g e r in d e r B a h n des a l t e n V o l l p l a n e t e n u m die S o n n e , a b e r die Gesamtb a h n ist gegen die d e r a n d e r e n P l a n e t e n geneigt. E i n z e l n e g e h e n exzentrisch bis weit ü b e r die J u p i t e r b a h n , a n d e r e r s e i t s bis ü b e r die E r d b a h n , sie q u e r e n d , h i n a u s . Vor w e n i g e n J a h r e n ist w i e d e r ein solcher k l e i n e r P l a n e t e n s p l i t t e r in n u r drei M o n d e n t f e r n u n g e n bei d e r E r d b a h n b e o b a c h t e t w o r d e n , ein w e i t e r e r w a r bis auf drei S t u n d e n seiner F l u g z e i t an u n s h e r a n g e k o m m e n . W ä r e e r hereing e s t ü r z t , h ä t t e nicht n u r die Erdoberfläche, s o n d e r n auch die menschliche „ W e l t g e s c h i c h t e " h e u t e ein a n d e r e s Gesicht. Es ist also sehr wohl möglich, d a ß aus diesem R e s e r v o i r die M o n d e d e r N a c h b a r p l a n e t e n ganz o d e r z u m Teil s t a m m e n u n d d a ß v i e l l e i d i t e i n m a l d e r K e r n u n s e r e s T r a b a n t e n von d a h e r k a m u n d e i n g e f a n g e n w u r d e . Das ist noch nicht s p r u c h r e i f . A b e r d i e Erdgeschichte o f f e n b a r t u n s aus d e n f r ü h e r e n J a h r m i l l i o n e n , w o h i n die B e r e c h n u n g e n d e r A s t r o n o m i e nicht zu d r i n g e n verm ö g e n , e b e n j e n e „ k a t a s t r o p h a l e n " V e r ä n d e r u n g e n , die i r g e n d w i e nicht auf das aktualistische, s o n d e r n e b e n auf ein a n d e r e s planetares u n d l u n a r e s W e l t b i l d d e u t e n : g r o ß e w e l t w e i t e U m s e t z u n g e n von M e e r u n d L a n d , P o l v e r l a g e r u n g e n , u n v e r s t ä n d l i c h e Klimazus t ä n d e auch an d e n P o l e n , K o n t i n e n t a l v e r s c h i e b u n g e n , möglicherweise V e r m e h r u n g des W a s s e r h a u s h a l t e s — k u r z U m s e t z u n g e n , die ganz u n v e r s t ä n d l i c h e U r s a c h e n z u s a m m e n h ä n g e g e h a b t h a b e n müssen. So wäre es auch gar nicht ausgeschlossen, d a ß die E r d e zeitweise noch a n d e r e g r ö ß e r e o d e r k l e i n e r e T r a b a n t e n h a t t e , die vielleicht 59

sich m i t i h r auf d i e eine o d e r a n d e r e Weise v e r e i n i g t e n , wie wir es oben als M o n d a u f l ö s u n g s c h i l d e r t e n . A b e r es k ö n n t e n auch g a n z e Stücke o d e r S p l i t t e r e i n g e f a l l e n sein. E i n solcher k l e i n e r Weltr a u m s p l i t t e r h a t in A r i z o n a ein Loch v o n 1,3 k m D u r c h m e s s e r geschlagen, d e r M e t a l l k ö r p e r liegt in g e r i n g e r T i e f e u n d soll als Nickeleisen a b g e b a u t w e r d e n . Aus d e r G e g e n d des Baikalsees w i r d von e i n e m ä h n l i c h e n E i n s t u r z b e r i c h t e t . N e u e r d i n g s w u r d e versucht, auch ein e i g e n a r t i g e s geologisches P h ä n o m e n , d e n k r e i s r u n d e n , e t w a 20 k m im D u r c h m e s s e r b e t r a g e n d e n Rieskessel u m N ö r d l i n g e n so zu d e u t e n . Auch d o r t k ö n n t e ein W e l t k ö r p e r eingeschlagen u n d d e n T i e f e n v u l k a n i s m u s explosiv gemacht h a b e n , w o d u r c h dieser F l a c h k r a t e r a u s g e s p r e n g t w u r d e . Das Ries ist j e d e n f a l l s auf eine einmalige großvulkanische Explosion zurückzuführen. W e n n solche B e t r a c h t u n g e n auch keineswegs schon schlüssig sind, so k n ü p f e n sie doch an T a t s a c h e n an, die sich solcherart in e i n e n v e r n ü n f t i g e n Z u s a m m e n h a n g b r i n g e n lassen u n d eben d a d u r c h auch e i n e gewisse erdgeschichtliche Wahrscheinlichkeit g e w i n n e n . J e d e n falls aber ist die Erdgeschichte wesentlich a n d e r s v e r l a u f e n , als m a n g e m e i n h i n , b e f a n g e n v o m A k t u a l i s m u s , l e h r t , u n d auch das scheinbar in s e i n e m d e r z e i t i g e n Mechanismus so b e s t ä n d i g e P l a n e t e n s y s t e m zeigt a l l e r h a n d V e r h ä l t n i s s e , die f ü r seine h e u t i g e G e s t a l t u n g k e i n e sehr l a n g e D a u e r a n n e h m e n lassen. Das Buch d e r N a t u r ist i m m e r noch f e s t versiegelt. O h n e h i n geben ja n e u e r e t h e o r e t i s c h e Versuche, d e n R a u m zu v e r s t e h e n , a l l e r h a n d Ausblicke, die auch dessen N a t u r u n d W e s e n keineswegs so beziehungslos, so q u a l i t ä t s l o s u n d so nach allen S e i t e n g e r a d l i n i g durchf a h r b a r zeigen, s o n d e r n eine in sich geschlossene, in sich g e k r ü m m t e A u s d e h n u n g als möglich bezeichnen, wodurch w i r zu e i n e m g r u n d l e g e n d a n d e r e n W e l t b i l d k o m m e n k ö n n t e n , als es u n s e t w a die euklidische G e o m e t r i e jetjt noch v e r m i t t e l t . Die E r d e ist ein kosmischer K ö r p e r u n d als solcher auch in i h r e n f e i n s t e n i n n e r e n S t r ö m u n g e n u n d S t r u k t u r e n gewiß nicht beziehungslos gegen a n d e r e W e l t k ö r p e r , d e r e n K r ä f t e u n d S t r a h l u n g e n a b g e k a p s e l t . Alle kosmischen U m s e t z u n g e n in den a n d e r e n Plan e t e n k ö r p e r n , wie v o r a l l e m im S o n n e n k ö r p e r , m ü s s e n sich u n b e d i n g t auch im E r d i n n e r n b e m e r k b a r m a c h e n o d e r in Wechselw i r k u n g m i t i h m s t e h e n . O h n e h i n g r e i f t die geologische F o r s c h u n g zur E r k l ä r u n g d e r g r o ß e n U m s e t z u n g e n auf gewisse R h y t h m e n des E r d i n n e r n zurück u n d wird vielleicht von da aus w i e d e r d e n Zu-

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sammenhang mit dem kosmischen Geschehen finden, wie es uralte Lehre gewesen ist. Man nahm noch bis vor wenig Jahren an, daß die Erde im Inneren, recht wenig tief unter der Kruste noch von ihrer Entstehung her glutflüssig sei, sich aber im Lauf der langen erdgeschichtlichen Zeit fortschreitend abgekühlt und zusammengezogen habe; aus diesem Vorgang wurden dann alle geologischen Umänderungen der Erdoberfläche, wie Hebung und Senkung, Bruchbildung und Gebirgsfaltung abgeleitet. Doch das ist eine zu einfache Laboratoriumsvorstellung, die weder durch die Kenntnis der Radioaktivität der Tiefengesteine noch durch die Ergebnisse der Erdbebenforschung ausgezeichnet war. Die ersten Bedenken gegen diese Theorie brachten Experimente, die zu Beginn des Jahrhunderts mit glühend geschmolzenen Gesteinsmassen unter großem Druck gemacht wurden. Es ergab sich, daß deren Abkühlung und schließliche Zusammenziehung keineswegs in einer normal fallenden Temperaturkurve verlief, sondern periodisch von Ausdehnungen, und zwar von plötzlich einsetzenden Umkristallisierungen und Volumenvermehrungen begleitet war. Sodann wurde das Radium entdeckt, bei dessen Zerfall unter Druck geradezu eine Wärmezunahme, nicht Abnahme im Erdinnern stattfinden muß. Mittlerweile hatte man auch durch die Beobachtung der den Erdkörper durchsetzenden Erdbebenwellen ein deutlicheres Bild vom Aufbau des ganzen Planeten, wie auch von dem der Gesteinsrinde selbst gewonnen. Diese ist in den obersten 60 km fest, darunter bis zu einer Tiefe von 120 km plastisch. Diese tiefere Zone steht unter ungeheurem Belastungsdruck, befindet sich in einem steten Spannungszustand und hat trotz ihres Gesteinscharakters die Neigung zu fließen, abgesehen von den stetig sich dort vollziehenden chemischen und strukturellen Umsetzungen, welche die Gesteine unausgesetzt, wenn auch in langfristigen Perioden durchkneten. Dabei wird Wärme gebunden und entbunden, und dieses Fließen und Quellen, dieses Zusammenballen und Sichausdehnen bewegt nun die obere Gesteinszone auf und nieder, wie sie dabei auch waagerecht verschoben und gefaltet wird. Diese Erkenntnis hat sich nun neuerdings zu einer noch vollkommeneren Theorie verdichtet. Aus dem Erdinnern geht durch den radioaktiven Zerfall dauernd ein Wärmestrom durch die Gesteinskruste nach außen. Der äußere 61

Gesteinsmantel aber ist immerhin undurchlässig genug, um diese Ausstrahlung nur in einem viel geringeren Maß zu erlauben als die Wärmeaufspeicherung im Inneren zunimmt, und diese wächst im Lauf der geologischen Zeit. Das führt zu einer erhöhten Plastizität der Tiefenzone, ja teilweise zu einer Aufschmelzung der festen Gesteinssphäre von unten her. Die Folge sind bedeutende Fließbewegungen mit ihren Auswirkungen: Land- und Meereswechsel, Gebirgsauffaltung und magmatischen Ergüssen. Rasch wird durch solche Vorgänge die bis dahin aufgespeicherte Wärme nach außen abgestrahlt, die Erdrinde erkaltet wieder mehr, wird fester, der thermische Zyklus ist abgeschlossen. Nun stehen, wie im Abschnitt 3 betont, die Eiszeiten ersichtlich mit der periodischen Faltengebirgsbildung in Zusammenhang. Vor jeder Gebirgsbildungszeit mußte aber auch eine allgemeine Temperaturerhöhung auf der ganzen Erde infolge der erhöhten Wärmestrahlung eingetreten sein. Das ist in der Tat so gewesen; aber dann nach der Auffaltung und Wiederverfestigung der Erdkruste kam, indem die Gebirge entstanden waren, eine allgemeine Abkühlung an der Erdoberfläche zustande, weil die in der Tiefenzone vorhandene Wärmeaufspeicherung nun einstweilen aufgebraucht war. Ist aber der Wärmestrom nach außen wieder schwach geworden, so können sich, besonders in niederen Breiten und Gebirgskörpern oder Hochländern Eismassen ansammeln. Durch diese wird die Oberflächentemperatur des Bodens im Eisgebiet weiter vermindert, die Kruste kühlt sich unter dem Eis noch stärker ab. Durch diesen Gegensatz zwischen Außen und Innen aber wird die tiefere radioaktive Wärmestrahlung alsbald wieder mit stärkerem Ausgleichsdrang nach oben in Fluß gebracht; es wird, wie man sagt, das Temperaturgefälle stärker. Der eisbedeckte Boden wird so von innen her erwärmt, und das Eis strömt, durch die Erwärmung von seiner Basis losgetaut, nach auswärts unter seinem eigenen Druck, es gelangt in eisfeindliches Gebiet, schmilzt rasch ab, die gesamte Eisdecke vermindert sich, ebenso damit seine die Atmosphäre abkühlende Wirkung: es erfolgt ein bedeutender Eisschwund und Eisrückgang. Ist dies geschehen und der Boden wieder wärmer geworden, so ist auch das Temperaturgefälle zwischen Außen und Innen wieder abgemindert und die Eisbildung kann von neuem beginnen. Dieses Spiel rhythmischer Eisvorstöße und -rückzüge geht so lange weiter, bis die radioaktive Wärmestrahlung aus der Tiefe wieder so stark 62

g e w o r d e n ist, d a ß e r n e u t e W ä r m e z e i t e n m i t w e i t g e h e n d e m T e m p e r a t u r a u s g l e i c h e i n s e t z e n . D a n n sind auch die f r ü h e r e n G e b i r g e inzwischen w i e d e r a b g e t r a g e n , d e r G r o ß p r o z e ß e i n e r s t a r k e n H i t z e a n s a m m l u n g u n t e r d e r ä u ß e r e n G e s t e i n s k r u s t e ist w i e d e r in v o l l e m G a n g , u n d a b e r m a l s b a h n t sich eine n e u e R e v o l u t i o n m i t n e u e r G e b i r g s f a l t u n g d e n Weg u n d v o l l e n d e t sidi. Doch b e i j e d e r G e b i r g s f a l t u n g k o n s o l i d i e r t sich, wie wir s a h e n , die ä u ß e r e E r d k r u s t e m e h r u n d m e h r ; die l e t z t e in d e r Spätt e r t i ä r z e i t h a t die K o n t i n e n t a l m a s s e n völlig stabilisiert u n d ausg e b a u t u n d h a t als k o m p l e m e n t ä r e B i l d u n g die T i e f s e e a u s g e p r ä g t . N u n sind k e i n e G e o s y n k l i n a l m e e r e m e h r da wie f r ü h e r , d i e k ü n f tige H i t z e a n s a m m l u n g wird sich vielleicht nicht m e h r in e i n e r n e u e n u n i v e r s e l l e n F a l t u n g L u f t schaffen k ö n n e n , es w i r d so zu e i n e r allmählich die ä u ß e r e G e s t e i n s r i n d e e i n s c h m e l z e n d e n Erh i t z u n g k o m m e n . Diese a u f s c h m e l z e n d e H i t z e w i r k u n g a b e r w i r d sich inzwischen durch e r n e u t e n v e r s t ä r k t e n V u l k a n i s m u s aust o b e n . O h n e h i n scheint die d u r c h s c h l a g e n d e v u l k a n i s c h e K r a f t schon in d e r l e t z t e n E r d z e i t , seit d e m F r ü h t e r t i ä r z u g e n o m m e n zu h a b e n , d e n n es scheint, d a ß richtige, nach a u ß e n t r e t e n d e vulkanische Essen in f r ü h e r e n P e r i o d e n nicht v o r h a n d e n w a r e n , s o n d e r n d a ß es sich f r ü h e r n u r u m e i n f a c h e Ausflüsse h a n d e l t e , die sich als Decken a u s b r e i t e t e n , vielleicht g r ö ß t e n t e i l s sogar schon im Schichtgefüge u n t e r d e r Oberfläche e r s t a r r t e n . Es wird also in k o m m e n d e r erdgeschichtlicher Zeit zunächst ein e r h ö h t e r A u ß e n v u l k a n i s m u s e i n s e t z e n , e h e es zu i m m e r s t ä r k e r e r E r h i t z u n g auch des g e s a m t e n E r d b o d e n s u n d d a n n zur A u f s c h m e l z u n g d e r R i n d e , also zuletzt zu e i n e m u n i v e r s e l l e n V u l k a n g e s c h e h e n k o m m t . Die E r d e w i r d nicht im K ä l t e t o d , e t w a durch E r l ö s d i e n d e r Sonnens t r a h l u n g u n t e r g e h e n , s o n d e r n in d e r F e u e r s g l u t — u n d das wird die letzte d e r g r o ß e n r h y t h m i s c h e n K a t a s t r o p h e n d e r Erdgeschichte sein.

6. Erdgeschichtliche

Zeitmaße

Die d r e i g r o ß e n W e l t a l t e r : E r d a l t e r t u m , E r d m i t t e l a l t e r u n d Erdn e u z e i t , u m f a s s e n nach u n s e r e n h e u t i g e n S c h a l u n g e n viele H u n d e r t e von J a h r m i l l i o n e n . Doch ist das E r d a l t e r t u m , wie die T a b e l l e ausweist, nicht die f r ü h e s t e Epoche, aus d e r wir von erdgeschichtlichen V o r g ä n g e n K e n n t n i s h a b e n ; v i e l m e h r g e h t d e m E r d a l t e r 63

tum, wie schon kurz geschildert, eine Großepoche voraus, das Algonkium, dessen G e o g r a p h i e zwar noch in ziemliches Dunkel gehüllt ist, obwohl wir wissen, daß auch damals L ä n d e r und Meere wechselten, daß es Gebirge, Vulkane und Flüsse, Seen und Wüsten, j a wahrscheinlich zwei Eiszeiten gab. Aber auch d e m Algonkium gehen noch Zeiten voraus, als Archaikum zusammengefaßt, dessen mächtige G e s t e i n s k o m p l e x e so sehr zu kristallinen Massen umgewandelt sind, daß man nur nach langem B e m ü h e n teilweise erkannte, daß dies nicht aus Glutfluß erstarrte Gesteine sind, sondern vielfach einstige richtige Sedimentgesteine. Also auch schon in jenen fernen Zeiten gab es L ä n d e r und Meere und alles andere, wie später auch. Die algonkische und archäische F o r m a t i o n deuten durch die Mächtigkeit ihrer Schichtungen und die ersichtlich großen Unterbrechungen in der Gestaltung der Erdoberfläche in jenen Epochen auf so große Zeiträume, daß der Beginn des E r d a l t e r t u m s , von dem an wir erst eine genauere Geographie haben, schon ein verhältnismäßig s p ä t e r Abschnitt im Dasein der E r d e und, wie wir noch sehen werden, auch des Lebens ist. Wir blicken so in eine unendlich f e r n e Vergangenheit. Ist aber nun der aus den tiefsten G e s t e i n s f o r m a t i o n e n ersichtliche Beginn des Archaikums die älteste, d. h. die wahre Urzeit der E r d e gewesen? Liegt dort das hypothetische Zeitalter der einstigen Glutflüssigkeit? Denn nach allgemein geophysikalischen Erwägungen muß j a der E r d k ö r p e r einmal glutflüssig gewesen sein, und erst allmählich wohl entstand die f e s t e Gesteinskruste. U n d nun ist wirklich die archäische Epoche längst nicht die f r ü h e s t e Oberflächenperiode unseres Planeten gewesen. Aber auch von der ersten festen K r u s t e , von der ersten A n l a g e der Meeresbecken und K o n t i n e n t e sehen wir in der Gesteinsrinde nichts mehr — das alles ist längst a u f g e a r b e i t e t und in der T i e f e wieder eingeschmolzen worden, wir müssen uns mit gewissen K o m b i n a t i o n e n begnügen. Wie mag nun der Hergang gewesen sein? Wie auf einem riesigen glühenden L a v a s t r o m , aber unter dem ganz anderen Einfluß einer noch dichten, chemisch reichlich durchgeschwängerten schweren A t m o s p h ä r e müssen sich in der frühesten Zeit zuerst da und dort Ansätze zu einer schladtigen Krustenbildung gezeigt haben. Aber noch war darunter alles in Wallung und stärkster Umsetzung, so daß jene ersten streckenweise ausgeschiedenen Ansätze festereil Gesteins immer wieder umgetrieben 64

u n d m i t G l u t f l u ß eingedeckt w u r d e n , auch w e n n sie als leichteres M a t e r i a l auf d e m noch u n e r s t a r r t e n M a g m a s c h w a m m e n . A b e r i n f o l g e ganz ungleicher A b k ü h l u n g u n d d e r sich b a l d a u s b i l d e n d e n M a t e r i a l u n t e r s c h i e d e b e g a n n e n n u n unterschiedliche Schollen v o n v e r s c h i e d e n e r Masse u n d G r ö ß e sich zu b i l d e n . Die schweren Stücke t a u c h t e n m e h r e i n , die l e i c h t e r e n h o b e n sich m e h r e m p o r , erk a l t e t e n auch rascher u n d w u r d e n v o n u n t e n h e r rascher m i t E r s t a r r u n g s m a t e r i a l u n t e r b a u t . So m ö g e n die S e n k u n g s f e l d e r zur U r a n l a g e s p ä t e r e r O z e a n b ö d e n , die H e b u n g s f e l d e r zu j e n e r d e r K o n t i n e n t e g e w o r d e n sein. i m m e r w i e d e r a b e r w u r d e n diese u n t e r s c h i e d l i c h e n V e r f e s t i g u n g e n , auch als sie schon e i n e beträchtliche Dicke h a t t e n , auf w e i t e Ausd e h n u n g h i n an i h r e n a n e i n a n d e r s t o ß e n d e n - R ä n d e r n v o n d e m glutflüssig aus d e r T i e f e h e r v o r b r e c h e n d e n M a g m a d u r c h s e t z t , es t r a t e n u n g e h e u r e Massenergüsse u r v u l k a n i s c h e n M a t e r i a l s h e r v o r , l e g t e n sich ü b e r die K r u s t e n t e i l e u n d v e r d i c k t e n sie a b e r m a l s . A b e r i n d e m dies u n g l e i c h m ä ß i g geschah, e r g a b e n sich b e d e u t e n d e Schwerp u n k t s v e r l a g e r u n g e n ; diese f ü h r t e n i m m e r w i e d e r zu H e b u n g e n u n d S e n k u n g e n , auch zu Z e r r e i ß u n g e n , wobei sich auch verschieden bewegliche K r u s t e n s t r e i f e n v o n s t a r r e r e n a b h o b e n . Endlich aber m u ß t e n nach l a n g e n J a h r m i l l i o n e n doch alle K r u s t e n t e i l e soviel F e s t i g k e i t erreicht h a b e n , d a ß die v u l k a n i s c h e n A u s b r ü c h e o d e r gar die W i e d e r e i n s c h m e l z u n g g r ö ß e r e r Schollen u n t e r b l i e b o d e r w e n i g s t e n s so e i n g e s c h r ä n k t w u r d e , d a ß n u n die e n d g ü l t i g e Abkühlung der E r d h a u t eintrat. I n d e s s e n noch war, wie schon a n g e d e u t e t , die A t m o s p h ä r e a n d e r s z u s a m m e n g e s e t z t als h e u t e . Sie w a r wohl in d e r H a u p t s a c h e eine dichte schwere W a s s e r d a m p f h ü l l e , a b e r d u r c h s e t z t v o n vielerlei G a s e n u n d Stoffgemischen, so d a ß v o n ihr d a u e r n d eine s t a r k e diemische B e e i n f l u s s u n g d e r G e s t e i n e a u s g e h e n m u ß t e . Mit d e r z u n e h m e n d e n A b k ü h l u n g auch dieses G a s m a n t e l s d e r E r d e gab es N i e d e r s c h l ä g e ; die mechanischen E i n w i r k u n g e n auf die K r u s t e w a r e n h e f t i g . Gleichzeitig d a m i t k a m es nicht n u r zu e i n e r langs a m e n E n t g a s u n g d e r L u f t , s o n d e r n auch zu e i n e r U r v e r w i t t e r u n g in e i n e r v o n d e r h e u t i g e n noch sehr v e r s c h i e d e n e n Weise. Blieb auch d e r B o d e n i m m e r noch b e w e g t , riß er gelegentlich auf große o d e r k u r z e Strecken h i n w i e d e r a u f , b r a c h e n auch i m m e r w i e d e r h i e r u n d d o r t v u l k a n i s c h e Massen h e r v o r — endlich w a r es doch so weit, d a ß sich d e r dichte a t m o s p h ä r i s c h e W a s s e r d a m p f in d e n S e n k e n niederschlug u n d e r s t m a l i g ein noch sehr mineralreiches j

Dacque,

Vermächtnis

65

Urwasser, ein Urmeer bilden konnte. Sobald aber Wasser sich solcherart angesammelt hatte, begann auch der regelmäßige Urkreislauf des flüssigen Elementes. Es kamen die ersten Ausnageformen regelrecht rinnender Bäche und Ströme zustande: die Gestaltung der Erdoberfläche war jetzt nicht mehr nur von den inneren Gewalten und den äußeren Abkühlungsvorgängen des Gesteins bestimmt, und ward vervollständigt durch die erste mechanische und chemische Sedimentbildung, unter heftigen Wetterstürmen und in trockenen Regionen vielleicht schon durch ausgiebige Windwirkung. Als ein nicht zu übersehender Umstand müssen sich diese ganze Zeit über auch Achsenschwankungen des Erdkörpers geltend gemacht haben, was wiaderum zu weitgreifenden Meeresumlagerungen führen mußte. Heute ist der Erdkörper in einem sehr stabilen Gleichgewicht, wir sahen, daß je länger, um so weniger ein Austausch von ozeanischem und kontinentalem Krustengebiet vor sich gehen konnte. Damals jedoch müssen sich infolge der noch äußerst heftigen Eigenumsetzungen auch der tieferen magmatischen Massen und der damit verbundenen Gewichtsverschiebungen nicht nur die Schollen der Erdrinde leicht bewegt haben, senkrecht und waagerecht, sondern aus dem allem müssen sich auch Störungen des Gleichgewichts im gesamten Erdkörper, also Achsenschwankungen ergeben haben. Freilich, wenn wir uns so ein gewiß recht unzureichendes Bild jeneifrühen Urzeit machen, so haben wir dabei noch nicht bedacht, was im vorigen Abschnitt für die historisch-geologische Zeit erörtert wurde: daß in jenen urfernen Zeiten eben ganz andere Verhältnisse im Planetensystem herrschten. Die Monde, speziell der Erdmond, waren, sofern wir die Abschleuderungstheorie gelten lassen, noch nidit von ihren Planeten entlassen. Stammt der Erdmond vom Erdkörper, so gibt es Anhaltspunkte, daß auch dies erst geschah, als die Erde schon eine Kruste hatte. Und anfänglich stand der Trabant noch auf lange, lange Epochen hinaus der Erde sehr nahe, war in so inniger Wechselwirkung mit ihr, daß diese eine viel größere Umdrehungsgeschwindigkeit um sich selbst hatte. Eine intensive Ebbe- und Flutbewegung durchwanderte fortgese^t nicht nur die Urmeere, sondern auch das glutflüssige Erdinnere, so daß der gesamte Erdboden dauernd in wellenförmiger Bewegung war. Zugleich aber mußten die von den Gezeiten getriebenen Meere mit einer ganz regelmäßigen Hin- und Her66

bewegung die Flachländer überfluten und wieder freigeben. Dabei wollen wir gar nicht davon reden, daß, wie gezeigt, möglicherweise andere d a u e r n d e oder gelegentlich e i n g e f a n g e n e T r a b a n t e n die E r d e begleiteten, im L a u f der Z e i t r ä u m e wohl auch mit dem E r d k ö r p e r vereinigt wurden. Dies aber mußte immer wieder von k a t a s t r o p h a l e r Wirkung auch auf die Verteilung der K o n t i n e n t e und Weltmeere sein, wie es auch abermals zu Achsenschwankungen und dadurch wieder zu neuer U n r u h e in der Ausgestaltung der Oberfläche führen mußte. Aber mit alledem bewegen wir uns keineswegs auf sicherem Boden und können nur allgemein sagen, daß lange vor der Entstehung auch der ältesten, heute noch in der E r d r i n d e zugänglichen Gesteine eine Frühzeit gewesen sein muß, in der sich der ganze Entwicklungslauf von einer ehedem glutflüssigen Oberfläche zu einer allmählich sich verfestigenden K r u s t e abspielte, bis endlich, abermals nach langer Zeit, die stabileren Z u s t ä n d e einer archäischen Epoche eingetreten waren. Wie weit aber j e n e f r ü h e s t e Urzeit zurückliegt, wie lange sie dauerte, läßt sich auch schätzungsweise nicht angeben. Von jener ersten endgültigen K r u s t e aber gibt es kein Gesteinsmaterial mehr: entweder liegt es viel zu tief drunten, um j e f ü r uns sichtbar zu werden, oder es ist, noch wahrscheinlicher, schon längst vor der Ausbildung der zugänglichen archäischen F o r m a t i o n völlig a u f g e a r b e i t e t worden. Denn die uns b e k a n n t e n ältesten archäischen Gesteine sind nichts weniger als A u f b e r e i t u n g e n einer ersten K r u s t e ; wir befinden uns mit dem, was uns als archäische Gesteinsbildungen in der Erdrinde begegnet, bereits in einer viel jüngeren Epoche der Erdgeschichte. Wissen wir somit nicht, was f ü r einen Charakter die frühesten F o r m a t i o n e n hatten, und wissen wir ebensowenig, wie lange die gesamte Erdgeschichte seit der ersten Oberflächenerstarrung währt, so können wir dagegen versuchen, aus den wirklich überlieferten greifbaren Gesteinsmaterialien der späteren F o r m a t i o n e n Anhaltspunkte zu gewinnen, u m vor allem einmal die Dauer der drei l e g t e n Weltalter: E r d a l t e r t u m , Erdmittelalter und Erdneuzeit sowie vielleicht der beiden vorausgehenden, Algonkium und Archaikum, zu ermitteln oder wenigstens abzuschätzen. Es seien einige der bisher angewandten Methoden angegeben und beleuchtet. Das scheinbar exakteste Verfahren besteht in einer durch den Zerfall radioaktiver Mineralien gewonnenen Zeitbestimmung. Alle 67

Radium und Thor enthaltenden Mineralien sind magmatischer Herkunft. Ihr Zerfall führt zur Ausscheidung hauptsächlich von Helium und Blei. Ersteres verflüchtigt sich, aber letzteres bleibt im Mineral erhalten. Man kennt die Menge Blei, die sich in einer bestimmten Zeiteinheit in einem radioaktiven Material ausscheidet; aus der in einem solchen Zerfallsmineral vorhandenen relativen Bleimenge läßt sich daher der Entstehungszeitpunkt des einst unzersetzten Gesteins nach Erkaltung des Glutflusses feststellen. Allerdings ergeben sich bei einzelnen Vorkommen oft unterschiedliche Zahlen, die jedoch bei den großen Zeitausmaßen nicht sehr ins Gewicht fallen. Weiß man nun, aus welcher bestimmten geologischen Formation das Material stammt, also wann der Glutfluß selbst hervorkam, so hat man damit auch die Anzahl der Jahre, um welche jene Epoche zurückliegt. Daraus hat sich nachstehende, derzeit wohl verläßlichste Tabelle ergeben: Dauer der Erdgeschichte seit Beginn des Tertiär 60 Mill. Jahre

Dauer der einzelnen Zeiten: Tertiär 60 Mill. Jah

Kreide Jura Trias

140 175 200

Kreide Jura Trias

Perm Karbon Devon Silur Kambrium

240 310 350 450 540

11

11

11

11

11

)?

11

11

11

11

11

11

11

11

11

11

Perm Karbon Devon Silur Kambrium

Dauer der vorkambrischen Epochen (Algonkium + 1400 Millionen Jahre.

80 35 25 40 70 40 100 90

11

11

Ii

i.

11

Ii

11

11

11

11

11

11

11

Ii

Archaikum)

Dauer des Erdaltertums: 340 Mill. Jahre Dauer des Erdmittelalters: 140 „ „ Dauer der Erdneuzeit: 60 Ein anderes Verfahren will aus der Mächtigkeit der Sedimentgesteine das absolute Alter und die Zeitlänge einzelner Epochen errechnen. Man sucht die Durchschnittsdauer bestimmter heutiger Ablagerungsvorgänge zu ermitteln und durch entsprechenden Vergleich und Multiplikation die Ablagerungsdauer früherer Sediment68

formationen zu gewinnen. Dieses Verfahren wurde nun mit der Bleimethode kombiniert und trotz der Unsicherheit der Voraussetzungen und der gewiß sehr unterschiedlichen Einzelumstände bei Ablagerung von Schichtgesteinen älterer Zeit ähnliche Zahlen gewonnen. Dagegen war man früher mit anderen, auf Grund der Sedimentation angestellten Berechnungen zu wesentlich niedrigeren Jahreszahlen gelangt und gab für das Erdaltertum beispielsweise nur 17—18 Millionen Jahre an. Wieder andere, auf kleine Schichtpakete sich erstreckende Berechnungen haben überraschend kurze Fristen für deren Ablagerung ergeben, so für die Absetzung der lithographischen Oberjuraschiefer in Franken (vgl. S. 101) mit ihren rund 25 m Mächtigkeit nur etwa 500 Jahre, so daß man danach die ganze Dauer der Jurazeit nur mit äußerstenfalls 300 000 Jahren zu berechnen hätte. Aber das ist doch wohl bei weitem zu wenig; haben wir doch allen Grund, die Dauer der Formationen nicht nur nach einem örtlichen Anhäufungsvorgang von Sediment zu beurteilen. Denn auch in einer Epoche wie der Jurazeit haben sich noch andere Vorgänge abgespielt, wie etwa gewisse schwächere Gebirgsbildungen; sodann zeigen sich sogar innerhalb einzelner engster Phasen mehrere Rückzüge und erneutes Wiedervordringen des Meeres; endlich wurden auch viele Schichtvorkommen noch innerhalb derselben engeren Zeitstufe wieder abgetragen, so daß auch geschlossen vorliegende Pakete keineswegs immer die ganze Zeit einer solchen Stufe repräsentieren. Die Frist, die der Niagarafall seit dem Ende der diluvialen Eiszeit zum Ausnagen seiner bei Lewiston endigenden Schlucht brauchte, soll nach dem Maß der heutigen Erosion 7000, nach anderer Berechnung 35 000 Jahre währen. Das Mittel dieser beiden Zahlen, also etwa 15000 Jahre, entspricht seinerseits wieder sehr gut den Berechnungen, die man in Schweden für die seit dem Abschluß der letzten Eiszeitphase verflossene Zeit durch Abzählen der jahreszeitlich bedingten rhythmischen Schichtlagen von Bändertonen am Rande des abschmelzenden nordischen Eises ermitteln konnte. Neuerdings lieferten jetzt besser fundierte Berechnungen über die Einstrahlung der Sonnenwärme eine anscheinend exaktere Grundlage zur Erkennung der gesamten Eiszeitdauer. Durch den periodischen Wechsel der Achsenstellung der Erde und der Exzentrizität der Erdbahn ergeben sich langfristige Klimaschwankungen. Eine 69

Strahlungskurve wurde damit für die letzten 600 000 Jahre errechnet. Sie enthält vier Abkühlungstiefpunkte, und diesen entsprechen die nachgewiesenen vier Hauptphasen der Eiszeit, die durch wärmere Zwischenperioden getrennt waren. Nach und nach aber hat man elf Eiszeitphasen erkannt, und auch diese drücken sich als teilweise untergeordnetere Schwankungen in jener Strahlungskurve aus. So gelangte man zu einer Zeitlänge von 600000 bis 800 000 Jahren für das ganze Diluvium. Alle die vorstehend erörterten Verfahren sind nicht unbestritten geblieben. Gegen die Berechnung aus dem radioaktiven Zerfall wird eingewendet, daß in keiner Weise für so lange Zeiträume die Gleichmäßigkeit des Vorganges sichergestellt sei. Gerade wie sich ergab, daß bei der früher angenommenen allmählichen Abkühlung glühender geschmolzener Gesteinsmassen nicht eine gleichmäßig fortschreitende Zusammenziehung erfolgt, sondern auch gegenteilige plößlich einsehende Unterbrechungen sich einschalten und die Struktur wie das Volumen des Materials verändern, so kann man auch den atomaren Umbildungsprozeß nicht ohne weiteres als gleichmäßig annehmen, der sich bei der Umwandlung eines radioaktiven Minerals in so langen Zeiten und unter erdgeschichtlich so wechselnden Umständen abspielt. Wir wissen auch nicht, ob nach Abkühlung eines Magmas die radioaktive Tätigkeit nicht anfänglich ungeheuer rasch oder sehr verzögert ablief; wir wissen ferner nicht, wie die untersuchten Stoffe zu ihrem Radiumgehalt kamen, ob und wie sie später damit auch infiziert oder dessen beraubt wurden; endlich ob sich der Zerfallsvorgang nicht periodisch beschleunigt oder verlangsamt. Ferner fällt es auf, daß überall dort, wo es gelang, für bestimmte, wirklich greifbare Schichtmassen genauere Berechnungen durchzuführen, wie oben beiläufig erwähnt, die Zahlen verhältnismäßig sehr kurze Ablagerungsfristen angeben. Derartige Berechnungen kamen für das Erdaltertum auf höchstens 12 Millionen Jahre, für die ganze Zeit seit dem Kambrium bis heute im Minimum auf 25—30, im Maximum auf 60—70 Millionen Jahre. Nach der gegenseitigen Sedimentmächtigkeit der drei Zeitalter verhalten sie sich wie 1 2 : 5 : 2 . J e nach der Gesamtzahl muß man also dieses Verhältnis auf die einzelnen Epochen umlegen. Danach werden im allgemeinen für das Tertiär 3—5 Millionen Jahre angegeben, für das Erdmittelalter etwa 12 Millionen, für das Erdaltertum 25 Millionen Jahre. 70

Faßt man die mit der Radiummethode festgelegte Gesamtdauer der Erdgeschichte seit Beginn der durch Gesteine wirklich nachweisbaren archäischen Epoche zusammen und vergegenwärtigt man sich die gegenseitige Länge der einzelnen Zeitalter und Perioden, so kommt man zu überraschenden Vorstellungen insbesondere über die Entfaltung des Lebens, die wir im folgenden Hauptteil beschreiben. Setjt man die erdgeschichtliche Zeit seit dem Beginn des greifbaren Archaikums gleich einem Jahr, dann sind 100 Millionen Jahre = 18 Tage + 4,5 Stunden; 1 Million Jahre = rd. 4.5 Stunden. So entspricht die Zeitlänge der gesamten vorkambrischen Epochen mit ihren angeblich 1460 Millionen Jahren der Zeit vom 1. Januar bis 23. September. Mit diesem Tag erst beginnt das Erdaltertum. In diesem Zeitpunkt aber treffen wir in den kambrischen Schichten eine niedere Meerestierwelt, die bis zur Organibationshöhe der Krebsgestalt vollendet ist. Das Ende der kambrischen Epoche als unterste Hauptstufe des Erdaltertums fällt auf den 9. Oktober. Dann erscheinen die ersten Fische; am 27. desselben Monats, im Devon, die ersten LandpflaDzen; an der Wende von Devon zum Karbon, am 5. November, die Amphibien und Reptilien. Am Ende der Triaszeit, d. i. der 21. November, treten die ersten niedersten Säugetiere auf; nach weiteren 35 Millionen Jahren, am 5. Dezember, der Urvogel im oberen Drittel der Jurazeit. Die Kreidezeit endigt am 20. Dezember; zwischen dem 5. und 20. Dezember kommen die bedecktsamigen Blütenpflanzen und die Laubhölzer in der Weltflora hinzu; die meisten Reptilien und völlig die Ammonshörner als wesentlichste Tiergruppen des Erdmittelalters verschwinden, inzwischen sind die höheren Säugetiere auf den Plan getreten. Mit der Tertiärzeit entfalten sich diese völlig und reichlieh — es sind die legten 10 Tage des angenommenen Jahres. Der Mensch als solcher, soweit man ihm nicht auch die Menschenaffen zuzählen will, also der altsteinzeiiliche Eiszeitmensch, erschien vor 600000 Jahren: es bedeutet die letzten 2,5 Stunden des ausklingenden Jahres. Der Vollmensch (Homo sapiens L.) kam vor 90 000 Jahren, somit in der letzten halben Stunde; die von ihm bisher unmittelbar bekannte, nicht mehr nur sagenhafte Kulturgeschichte gehört den letzten 1,5 Minuten des Jahres an. So überaus anschaulich auch dieser Vergleich für die unter den angegebenen, bestrittenen Voraussetjungen errechnete Länge der erdgeschichtlichen Epochen sein mag, so bringt er uns doch nur 71

das gespenstige Bild des mechanischen Zeitbegriffs nahe, wie ihn die Physik als Abstraktum lediglich zur mechanistischen Darstellung des Naturgeschehens anwendet. Aber dieseij Zeitbegriff entbehrt des Wesentlichen: der Fülle des wirklichen Naturgeschehens. So sehen wir zugleich an diesem Beispiel, was es mit der mechanistischen Darstellung der Natur, der Naturgeschehnisse überhaupt auf sich hat. Sie geben ein leeres Weltbild. Die wahre wesensvolle Wirklichkeit — u n d Geschichte ist immer wesensvoll — verflüchtigt sich zu einem entleerten Schema. Vielleicht ist es auch so mit der zahlenmäßigen Errechnung von Sternentfernungen und Lichtjahren in einem qualitätslos an sich existierend gedachten leeren Raum. Es ist mathematisch nach den gemachten Vorausseßungen durchaus richtig und logisch, wie die oben geschilderte Vergleichsuhr auch, dennoch ist es in dieser logisch-mathematischen Unanfechtbarkeit ganz und gar n a t u r f r e m d , naturunwirklich, denn es f a ß t nicht den Wesenszustand des Kosmos u n d der Weltkörper. Zudem gelten auch die mathematischen Folgerungen selbst nur u n t e r bestimmten fiktiven Voraussetjungen so lange, als man auf dem Boden der euklidischen Geometrie steht, die ganz eine Abstraktion bleibt, wenn sie sich auch praktisch anwendbar erweist. Das uns sichtbare Weltall k a n n ein unendliches, aber doch umgrenztes, in sich zurücklaufendes Wesen haben. Wie ein nur zweidimensional empfindendes Geschöpf, das auf der Außenfläche eines Globus nach allen Seiten sich bewegen könnte, ohne dabei an ein Ende zu kommen, dennoch sich in einem All befände, das durchaus begrenzt ist u n d in sich geschlossen zurückkehrt, so könnte es auch analog mit unserem Weltall sein, von dem wir die allein uns derzeit mögliche dreidimensionale Anschauung haben, das sich allerseits geradlinig endlos unserem Blick u n d Empfindungsvermögen darstellt und dennoch in seinem Wesen begrenzt sein könnte. Mit diesem in sich zurückkehrenden Bild des Universums ist man aber zu weiteren, hier nur eben andeutbaren Vorstellungen gelangt. Doch wir wollen nicht einer k ü n f t i g e n Astronomie vorgreifen, sondern nur im Anschluß an die oben dargestellte geologische Uhr den Unterschied einer wesenhaften und einer wesensleeren Zeit- und Raumauffassung umrissen haben.

72

II

G E S C H I C H T E

D E S

L E B E N S

Das Organische, Biologische ist die mittlere Stufe der Natur. Die Lebenskräfte sind nicht mehr verhüllt, sondern manifestieren sich in einheitlichen Gestalten, von denen jede Individualität hat und nur als Ganzheit, bestehen kann. Hier kann wohl der Versuch einer mechanistischen Darstellung der Vorgänge und Formbildungen gemacht werden, doch dies trifft nicht mehr das Wesen des Gegenstandes. Das Werden ist seiner innersten Art nach unumkehrbar, es ist Geschichte. Das Lebendige im Gesamtkosmos ist gelöst und zu großer Freiheit entlassen.

1.

E r d g e s c h i c h t l i c h e der

T i e r e und

A u f e i n a n d e r f o l g e P f l a n z e n

Die unendliche Mannigfaltigkeit des Tier- und Pflanzenreiches, nicht nur des heutigen, sondern auch des damit natürlich verbundenen urweltlichen, läßt sich auf eine größere Zahl von Grundorganisationen zurückführen. So reich audi im einzelnen die Gestaltungen sein mögen, so sind sie doch alle festgebannt in bestimmte Baupläne. Fast alle Grundformen begegnen uns noch in der heutigen Schöpfung, die urweltlichen Lebewesen gliedern sich größtenteils zwanglos in sie ein, nur wenige andere erloschene haben in früheren Erdperioden gelebt. Auch sind manche Grundformen heute nur noch in spärlichen Resten mit wenigen Gattungen oder Arten vertreten, früher aber boten sie eine weit größere Mannigfaltigkeit. Überhaupt ist das, was uns heute insbesondere an Landtieren, höheren und niederen, entgegentritt, in seiner Vielheit nur ein Restbestand dessen, was ehedem schon über die Erde dahinging. Wenn wir etwa das Tierreich als Stufenleiter von Niederem zu Höherem betrachten und die allerhand Grundformen und Baupläne der Einzelligen, der Leibeshöhlentiere, der Würmer, Weichtiere, Gliedertiere, Fische, Amphibien, Reptilien und Säugetiere nach Maßgabe ihres verschiedenen Organisationsgrades aneinanderreihen, um so das ideale Bild einer zunehmenden Vervollkommnung zu gewinnen, so ist es bemerkenswert, daß auch im Verlauf der erdgeschichtlichen Zeitalter die Organisationsstufen des gesamten Tier- und Pflanzenreiches in einer dementsprechenden zeitlichen Reihenfolge hervortreten. So zeigen sich in den frühen Zeiten des Erdaltertums nur niedere Meerestiere, unter diesen vielfach auch zuerst die niedersten Spezialtypen; .dann kommt das Wirbeltier als Fisch, dann als Amphib und Reptil, später als niederorganisiertes beuteltierhaftes Säugetier, zulegt als höheres Plazentalsäugetier. Audi innerhalb dieser nacheinander erscheinenden Grundtypen kommen zuerst die primitiveren Organisationen, teilweise auch ganz andersartige, die es heute längst nicht mehr gibt, zuletjt die höheren, vollendeteren. So sind die einzelnen Erdzeitalter durch das erstmalige Erscheinen bestimmter Grundgestalten und ihrer Spezialabwandlungen gekennzeichnet, die stete Erneuerung der organischen Formen ist ein 74

Wesenskennzeichen der einzelnen Erdperioden und deren Unterstufen. Bestimmte Charaktergestalten, G r u p p e n oder nur Gattungen kommen den einzelnen Epochen zu (vgl. S. 162), so wie f ü r die der menschlichen Kulturgeschichte bestimmte Herrscher oder Reiche bezeichnend sind. Wir können auch etwa von der Zeit der Ägypter, der Griechen u n d Römer sprechen oder von einem Zeitalter des Perikles oder Cäsar, auch wenn es sich um Zeitbezeichnung bei ganz anderen, e n t f e r n t e n Völkern handelt. So können wir sagen: zur Zeit Casars war in Indien dies und das — und ebenso können wir von irgendeiner bei uns entdeckten fossilen Gattung sagen, daß zu ihrer Zeit in Ostasien oder Amerika dies u n d jenes geschah. Kommen wir von unten her an die Schwelle des Erdaltertums (Kambrium), so treffen wir dort zum erstenmal auf eine deutlich erkennbare Meerestierwelt. Die meisten Klassen des niederen Tierreiches sind bereits vollentwickelt vorhanden: Quallen, Würmer, Schwämme, Seesterne, Mollusken, Molluskoideen sowie Trilobiten und Krebse. Diese beiden letjteren sind bis dahin das Höchste, was die Natur an Gestalten hervorgebracht hat; höhere Formen, wie Wirbeltiere, also Fische, gab es damals noch nicht; wenn sie vorhanden waren, so k ö n n t e das nur in skelettlosen Gestalten gewesen sein, die wegen ihrer hinfälligen Substanz keine fossilen Reste hinterließen. Die Trilobiten (Abb. 1 a, b) als ganz besondere Charaktertiere der drei älteren Stufen des Erdaltertums (Kambrium, Silur, Devon) sind äußerst vielgestaltig und ausschließlich Meeresbewohner gewesen. Zur kambrischen Zeit machen die meisten den Eindruck von Überbleibseln viel älterer, unbekannter, vermutlich algonkischer Ahnen, während sie in der darauf folgenden Silurzeit viele neue Austriebe erhalten, wobei auch noch besonders zahlreiche extreme Spezialgestalten erscheinen. Überhaupt nimmt mit der Silurzeit das Meeresleben einen großen Aufschwung, es setzt eine schon seit dem Mittelkambrium begonnene üppige Entfaltung der niederen marinen Kalkschaler ein. Eine besonder" Abb. 11. Graptolithenkolonie, hydrozoenartige Meerestiere, ausf ü r die Silurzeit charakteristische schließlich für die Silurzeit Gruppe, vermutlich ein eigener charakteristisch.

Tierstamm, sind die Graptolithen, schwimmende oder bäumchenartig festgewachsene hydrozoenartige Kolonien bildende Tiere. (Abb. 11.) Sie kommen in keiner anderen Formation vor; man kann das Silur also geradezu die Graptolithenzeit nennen. Auch der erste Skorpion wurde im Silur entdeckt. Diese Zeit bedeutet, wie gesagt, einen großen Aufschwung des Lebens, zumal auch die ersten sicher deutbaren echten Fische hinzukamen. Es sind teils haifischartige, wenn auch noch absonderliche Formen; dann Panzerfische, die später im Devon eine vordringliche Erscheinung 6ein werden, ebenso wie eigentümliche krebsartige Gestalten, die Merostomen. (Abb. 30.) Während in der kambrischen Pflanzenwelt nur niederste Meeresalgen vertreten waren, werden sie in den Silurmeeren reicher, echte Kalkalgen kommen hinzu, möglicherweise gab es auch schon allerniederste Landpflanzen, aber das ist fraglich. Das alles entfaltet sich im Devon noch bunter, so daß man vom Kambrium her eine fortschreitende Üppigkeit der Lebewelt wahrnimmt; natürlich sterben auch viele Spezialzweige der niederen Tiere dazwischen immer wieder aus, andere aber treten um so zahlreicher und formenfreudiger hervor. Als bezeichnendes Ele-

Abb. 12. Alteste krautartige niedere, noch an das Wasser gebundene Gewächse der Devonzeit ('S ach Kidston u Lang.)

hin im Karbon bis Perm und in der unteren

Trias

ihre

entfaltung erleben sollen.

Haupt(Abb.

19, S. 8 3 . )

Auch das sind z e i t b e z e i c h n e n d e C h a r a k t e r t i e r e f ü r

die

drei s o e b e n g e n a n n t e n F o r m a t i o n e n . D e u t l i c h t r i t t die L a n d p f l a n z e n w e l t m i t d e m D e v o n e r s t m a l i g hervor.

(Abb.

12.)

Es

sind

niederorganisierte

krautartige

Gewächse

( P s i l o p h y t e n f l o r a ) , bis E n d e des M i t t e l d e v o n g e h e n d , o h n e e i g e n t liche B l a t t b i l d u n g ; d a n n v o m O b e r d e v o n ab f a r n a r t i g e u n d schach-

Abb. 13. Uramphib des späteren Erdaltertums, von größe, mit Scheitelauge und Molchhabitus. (Nach

SalamanderWalther.)

t e l h a l m f ö r m i g e G e s t a l t e n , e r s t e r e m i t L a u b b i l d u n g , t e i l w e i s e schon baumartig

auswachsend

(Archaeopterisflora),

die

sozusagen

die

E i n l e i t u n g f ü r die k o m m e n d e e n t f a l t e t e K a r b o n f l o r a b i l d e n . Die Karbonzeit bietet gegenüber

der

im M e e r zunächst

Devonzeit,

spezialisierungen

nur

wiederum

nichts w e s e n t l i c h einige

niederer Meerestiere, aber

Neues

besondere

die A r t e n

und

AusGat-

t u n g e n ä n d e r n sich f o r t l a u f e n d . D a g e g e n n i m m t die an das W a s s e r gebundene Landpflanzenwelt

e i n e n ganz g r o ß e n Aufschwung.

Sie

b e s t e h t aus e c h t e n F a r n e n m i t m e h r e r e n U n t e r g r u p p e n , d a n n aus B ä r l a p p g e w ä c h s e n u n d S c h a c h t e l h a l m e n , die a l l e v i e l f a c h zu g r o ß e n B ä u m e n a u s w a c h s e n . D a z u noch C o r d a i t e n , b a u m g r o ß e F a r n e

mit

markreichem S t a m m und Nadelholzstruktur, mit einer K r o n e

aus

bandförmigen

Blättern

und

mit

Blüten

wie

zweizeilige

Ähren.

A n d e u t u n g e n von e c h t e n N a d e l h ö l z e r n l i e g e n vor. E i n e g e n a u e B e 77

Schreibung der Lebensgemeinschaft u n d der F o r m e n der Karbonpflanzenwelt gibt Abschnitt II, 2. Auf d e m L a n d v e r m e h r e n sich zur K a r b o n z e i t die A m p h i b i e n in noch ganz altertümlichen G r u p p e n (Abb. 13), die mit den h e u t i g e n k a u m s t a m m v e r w a n d t gewesen sein d ü r f t e n ; das erste R e p t i l erscheint, womit die Tierwelt erstmals das trockene Land erobert,

Abb.

14. Säugetierartig gestaltetes Südafrika. (Nach

Altreptil der Broili-Schröder.)

Perm-Triaszeit.

w ä h r e n d die A m p h i b i e n noch ganz an das S u m p f l a n d g e b u n d e n bleiben. Aus dem K a r b o n ist auch eine reiche, gewiß auch schon f r ü h e r e x i s t i e r e n d e I n s e k t e n w e l t ü b e r l i e f e r t , auch die erste Spinne u n d die ersten Süßwasserschnecken. Die P e r m z e i t b r i n g t in vielen Teilen der E r d e eine V e r a r m u n g der Meerestierwelt, es ist Umschwungzeit, wobei manche zuvor reich e n t f a l t e t e G r u p p e n z u r ü c k t r e t e n oder ganz verschwinden, wie etwa die r i f f b i l d e n d e n K o r a l l e n , so gut wie völlig auch die Trilob i t e n u n d viele alte Muschel- u n d Schneckengruppen des Meeres, ebenso viele Geschlechter der A m m o n s h ö r n e r . Dagegen w e r d e n die Fische, besonders der schon zuvor entwickelte T y p u s der Schmelzschupper (Abb. 25, S. 107) stark v e r m e h r t , die G r u p p e der Amphibien wird reichhaltiger, ebenso die der R e p t i l i e n , wobei sogar äußerlich s ä u g e t i e r h a f t e G e s t a l t e n u n t e r i h n e n a u f t r e t e n ; auch die erste echte Schildkröte erscheint. Die P f l a n z e n w e l t e r f ä h r t mit der P e r m z e i t n e u e n Zuwachs, vor allem durch das n i e d e r o r g a n i s i e r t e Nadelholz, das in der Karbonzeit k a u m erst a n g e d e u t e t war. Noch b e s t e h t die alte Karbonflora zuerst f o r t , aber das Nadelholz entwickelt sich jetjt mit dem Typus der A r a u k a r i e n sehr stark, womit n u n die P f l a n z e n w e l t erstmalig a u ß e r h a l b des Feuchten das trockene Land selbst gewinnt ( G y m n o s p e r m e n ) . Es k o m m e n die ersten, danach im E r d m i t t e l a l t e r stark e n t f a l t e t e n Ginkgoazeen sowie diesen v e r w a n d t e f r e m d a r t i g e r e 78

Typen auf der Südhalbkugel* die Glossopteriden, mit langen bandförmigen Blattnadeln hinzu. (Abb. 20, S. 90.) Am Ende des P e r m und zu Beginn der Trias lebte auf dem großen, noch unzerlegten Südkontinent, teilweise bis Rußland hinüberreichend, eine eigentümliche Reptilgesellschaft, die, wie schon beiläufig bemerkt, teilweise säugetierartige Merkmale besaß. (Abb. 14.) Diese, auch teilweise in Schottland verwandt a u f t r e t e n d e n Typen sterben am Ende der Untertriaszeit aus, es erscheint d a f ü r die jüngere Gruppe der Schrecksaurier, die im Faunenbild des ganzen Erdmittelalters den wesentlichsten Zug ausmachen. Wir kommen hinüber in das Erdmittelalter. Manche zuvor bezeichnenden Tier- u n d Pflanzenformen sind mittlerweile ausgelöscht, so vor allem der Typus des Trilobitenkrebses, jenes Charaktertiereß des ganzen Erdaltertums, dessen letjte verschwindende Reste noch Karbon und P e r m lieferten. Das Erdmittelalter ist die Epoche der H a u p t e n t f a l t u n g des Reptils, der Echse. In unvorstellbarer Gestaltungskraft entwickelt es sich, es wimmelt überall auf den Ländern von ihnen, sie besiedeln in kleinen u n d großen, aber auch allergrößten Gestalten alle Gegenden, schicken viele Vertreter auch in das Meer und in die L u f t . Die auffallendsten Typen sind, wie

Abb. 15. Schrecksaurier (Tyrannosaurus) der Kreidezeit, Nordamerika. Kurze Vorderbeine, starke Hinterbeine, halb aufrechter Gang. Daneben der Jetztweltmensch zum Größenvergleich. (Nach Osborn.) 79

Abb. 16. Flugechse (Rhamphorhynchus) mit Steuerschwanz, aus der Oberjurazeit. Etwa größe. (Nach Stromer.)

langem Tauben-

W i e h e u t e die F l e d e r m a u s ein Säugetier ist, das durch den E r w e r b einer ten

flügelartigen,

Haut

fliegen

zwischen den verlängerten F i n g e r n ausgespannkann,

so entstanden

damals

fliegende

deren F l u g h a u t an dem stark vergrößerten, a r m h a f t

Echsen,

gewordenen

vierten F i n g e r der V o r d e r e x t r e m i t ä t ausgespannt war. (Abb. 16.) Und, wie gesagt, auch in das Meer drang das R e p t i l ein, wo es durch

Anpassung

an

das Wasserleben

allerhand

Umwandlungen

erfuhr, so wie Wal und Delphin heutigentages reine M e e r b e w o h n e r geworden sind und im Zusammenhang damit äußerlich Gestalt b e k a m e n .

erste vogelartige R e p t i l ,

das befiedert

war, aber schlecht

k o n n t e und mit seinen vier b e k r a l l t e n E x t r e m i t ä t e n oder F e l s w ä n d e n

fischartige

(Abb. 17.) Zu gleicher Zeit erscheint auch das

hochkletterte

und

sich

von

da

an

fliegen Bäumen

beutehaschend

mit einem Rüttelflug in die L u f t warf. (Abb. 18.) Säugetiere sind im E r d m i t t e l a l t e r , mit Ausnahme der O b e r k r e i d e z e i t , nur in un-

80

scheinbaren

Formen

dage-

wesen u n d s p i e l e n im F a u n e n bild j e n e r Epochen keine merkenswerte

Rolle.

Am

des

Beginn

be-

Erdmittel-

a l t e r s , in der T r i a s z e i t , l e b t e n noch

neben

wähnten,

jenen

oft

schon

er-

säugetierhaften

Altreptilien amphibische Stegokephalen

(S.

tum

weiter,

her

Gegenden große

76)

vom in

Alter-

unseren

insbesondere

Molche

(Abb. 19.) U m

durch

bezeichnet. die M i t t e

E r d m i t t e l a l t e r s , . in

der

jurazeit, kommt dann

des

Oberdas er-

wähnte vogelartige Reptil und deutet

die

stehung das d a n n Epoche der

erstmalige

des

Vogellebens

des

Erdmittelalters, vollentwickelt

erscheint.

Auch

Säugetiere

als

men,

die

denen

heute

kamen

noch

Gattungen im

frühen

a l t e r hinzu.

Danach

heute

noch

schen

Beutlern

den

in

Meeren

nicht

Scheinfor-

Monotremen,

beuteltierhafte

In

primitive

solche,

säugerähnliche

legende

an,

erst m i t der l e t j t e n

Kreidezeit,

nur

Ent-

zwei

von eier-

existieren, Erdmitteltritt

das

Säugetier

auf,

den

australi-

repräsentiert. hat

sich

seit

dem E r d a l t e r t u m die F i s c h w e l t stark

entwickelt,

fremdartigen Typen

die sind

alten ver-

s c h w u n d e n ; die schon iin P e r m reichlich v o r h a n d e n e n Schmelzschupper,

6

Dacque,

dann

auch von

Vennächtiiis

Abb. 17. Fischechse rus) der Unterjurazeit. mener Anpassungstypus stigen Landvier füßlers Meeresleben. (Nach

(IchthyosauVollkomdes einan das Hauff.)

der

81

Jurazeit ab die echten Knochenfische, worunter Sprotte und Hering die ersten Gattungen sind, beherrschen den Plan. Gegen Ende des Erdmittelalters erscheinen mit den legten Schrecksauriern in der Oberkreidezeit auf den Ländern extreme Gestalten, in den Meeren entarten die bis dahin unglaublich zahl- und formenreichen Ammonshörner mit zweckwidrigen Schalen: dann kommt das große Sterben in die Tierwelt, vieles Bisherige erlischt Abb. 18. Urvogelgestalt, mit vier vollständigen, bekrallten Extremitäten. Schlechter Flieger. Oberjurazeit. (Nach Suinnerton.)

ganz (Schrecksaurier, Ammoniten), vieles setjt sich in geringen Resten in die Tertiärzeit noch fort. Das zuvor unscheinbare Säugetier in Beutlergestalt, von der Oberkreide ab aber auch das höhere plazentale Säugetier treten die Weltherrschaft der erdmittelalterlichen Echsen an und enfalten sich nun in der Erdneuzeit in mindestens ebensolcher Mannigfaltigkeit wie jene zuvor. (Abschnitt II, 5.) Eine neue Flora kommt auf: die Laubhölzer und die bedecktsämigen Blütenpflanzen, somit alles das, was wir gewöhnlich Blüten u n d Blumen nennen. Sie entstehen auf einem westlich von Amerika liegenden pazifischen Kontinentalgebiet, wandern von dort nach Uramerika u n d über das damit zusammenhängende Nordasien auch nach Europa, von da nach Afrika. Wie immer in der Erdgeschichte, geht die E n t f a l t u n g der Pflanzenwelt jener der Tierwelt voraus, u n d schon mit dem Beginn der Tertiärzeit ist die Flora wesentlich die heutige geworden, während das Säugetier erst in den Anfängen seiner Entwicklung steht. Es ist ja klar, daß erst eine entsprechende Flora bestehen mußte, ehe die vielen sich davon nährenden Landtiere a u f t r e t e n konnten. So ging auch im Erdaltertum der Besiedlung des Landes durch die V i e r f ü ß l e r die Ausbildung geeigneter Gewächse voraus. Die Meerestierwelt ist im Tertiär ebenfalls wesentlich die heutige, nur eben entsprechend den andersartigen Klimazuständen auch anders auf der Erde verteilt. Dagegen beobachten wir nun in mannigfachen Entwicklungsreihen, wie nach und nach alle speziellen 82

äSKsäÄÄffijMsj a

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/46b. 19. Riesenlurcli der Triaszeit (Metoposaurus) mit starkem Kehlbrustpanzer und gedecktem Schädel (Stegokephale.) Lebte in Sümpfen der Keuperzeit in unseren Gegenden. Körperlänge über 1 m. (Nach Fraas.)

S ä u g e t i e r f o r m e n h e r v o r t r e t e n und aus p r i m i t i v e n F r ü h f o r m e n zu den späteren und h e u t i g e n A r t e n u n d G a t t u n g e n w e r d e n . I n s b e s o n d e r e die Dickhäuter sowie die Paar- u n d U n p a a r h u f e r , auch die W a l e l i e f e r n die prächtigsten F o r m e n r e i h e n (Abb. 3 4 — 3 6 , S. 1 4 0 — 1 4 1 ) , in d e n e n wir e t w a die E l e f a n t i d e n , die K a m e l i d e n , u n d P f e r d e sich zu ihren h e u t i g e n G e s t a l t u n g e n

die

Rinder

ausspezialisieren

sehen. (Abschnitt II, 5.) Was h e u t e noch v o n j e n e r tertiären Säugel i e r w e l t lebt, ist ein v e r h ä l t n i s m ä ß i g

geringer Rest. So w i e

das

Reptil am E n d e des Erdmittelalters stark reduziert wurde, so mit 83

dem E n d e und teilweise schon während der Spättertiärzeit auch das Säugetier. Denn es k o m m t nun wieder ein abnormer Zustand und ein Aussterben über die E r d e : die diluviale Eiszeit. Die warme Alttertiärzeit gab auch Anlaß zum Entstehen der Braunkohlen. Auch sie sind in Moor- und S u m p f w ä l d e r n abgelagert, aber nicht, wie jene der Steinkohlenzeit, durch niederorganisierte harzlose Pflanzenbestände, sondern durch einen Vegetationsbestand, der bald aus Gräsern, H e i d e und Schilf, bald wieder aus richtigem Wald mit teilweise harzreichen Nadelhölzern bestand. Es gibt da gewisse Florenzyklen, die teils mit wechselnden Grundwasserständen, teils mit klimatischen Schwankungen zusammenhingen. Am a u f f a l l e n d s t e n , wenn auch zeitlich am raschesten jeweils vorübergehend, waren die Hochwaldbestände, die vielfach an die nordamerikanischen Wasser- und S u m p f w ä l d e r der Swamps erinnern und auch entsprechende biologische Erscheinungen zeigten. Die B r a u n k o h l e kann nie, wie die K a r b o n k o h l e , zu Anthrazit werden, weil sie, wie gesagt, größtenteils harzhaltigen B ä u m e n ihre E n t s t e h u n g verdankt. Harzreiche B ä u m e standen auch im norddeutschen alttertiären Bernsteingebiet. Der Bernstein ist das reichlich ausgeflossene Harz jener B ä u m e und hat uns eine ungemein reichhaltige fossile Tierwelt, insbesondere Insekten, in mum i e n h a f t vollständiger E r h a l t u n g geliefert. Wie auf Seite 62 geschildert, hatte die diluviale Eiszeit mehrere wärmere Zwischeneiszeiten, in denen das Eis völlig schwand, um später wieder zu wachsen und in die mittlerweile eisfrei gewordenen Gegenden vorzustoßen. Entsprechend verlegten sich auch die S t e p p e n g e b i e t e oder wurden von wachstumsreicheren Gebietszuständen abgelöst. Mit diesen eiszeitlichen Vor- und Rückzügen und den damit H a n d in H a n d gehenden klimatischen Veränderungen wanderten auch die Säugetiere, die L a n d m o l l u s k e n , die Insektenwelt entsprechend hin und her, nach Süden sich zurückziehend während der Eisvorstöße, nach Norden zurückkehrend in den Zwischenphasen, dabei stets wieder mit neuen Arten auftretend. U n d nun in dieser Gesamtepoche findet sich erstmalig auch der fossile Mensch, zuerst Gestalten mit einigen abseitigen Körpereigenschaften, und erst später mit dem E n d e der Eiszeit bzw. nach deren Abschluß der Vollmensch unserer Art. Wir begannen die vorstehende Schilderung des urweltlichen Tierund Pflanzenlebens bei der unteren Schwelle des E r d a l t e r t u m s , wo uns zum erstenmal ein sicher deutbares Meerestierleben be-

84

gegnete; es war, wie wir sahen, bis zur H ö h e der Krebsorganisation entwickelt. Es ist aber klar, daß dies nicht das früheste wirkliche L e b e n der E r d e sein kann. Denn nach unseren allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnissen muß dieser vollen E n t f a l t u n g niederer T i e r g r u p p e n schon eine sehr lange, noch f r ü h e r e Entwicklungszeit v o r a u s g e g a n g e n sein, damit jene immerhin schon weit voneinander entfernten, teilweise stark ausspezialisierten Äste und Zweige des L e b e n s b a u m e s zu unterkambrischer Zeit scheinbar plötzlich in Erscheinung treten konnten. Diese Entwicklung ist in der dem E r d a l t e r t u m vorausgehenden präkambrisch-algonkischen Zeit zu suchen. In der B r e t a g n e gibt es eine der algonkischen Zeit angehörige Wechsellagerung von kohlehaltigen Schiefern u n d Sandsteinen; die kohlige Substanz ist organischer H e r k u n f t ; ob von Tieren oder Pflanzen stammend, bleibt ungewiß. Aber es sind kleinste Einzellerskelette ( R a d i o l a r i e n ) und N a d e l n von Kieselschwämmen darin. B e i d e F o r m e n beweisen, daß damals in präkambrischer Zeit mindestens diese beiden niederen T i e r g r u p p e n stammesgeschichtlich schon wohl getrennt waren. Ausgiebigere F u n d e haben die im Süßwasser abgelagerten Beltschiefer in Montana geliefert: Grünalgen, Würmerspuren, chitinöse Panzerstücke, wahrscheinlich zu krebsartigen Tieren gehörend, kleinste gestreckte Mollusken(?)schälchen u. dgl. Im P r ä k a m b r i u m F i n n l a n d s f a n d e n sich ausgefüllte Wurmröhren oder schwammartige K ö r p e r , auch kohlige B i l d u n g e n ; in N o r d a m e r i k a ferner baumkuchenartige geschichtete Kalkkrustenkuchen mit zelliger Feinstruktur. Letztere sind teilweise mächtige riffarlige Gebilde und werden als K a l k r i n d e n besonderer Algenpflanzen der F r ü h m e e r e angesprochen, ähnlich denen, welche s p ä t e r und heute noch auf dem Meeresgrund, übrigens auch im Süßwasser Krustenriffe bauen. In den algonkischen Gesteinen N o r d a m e r i k a s hat man auch Grünalgenzellen entdeckt. Ebenso deuten Marmorkalke auf das Vorhandensein von Lebewesen, denn K a l k b i l d u n g in den Meeren ist unbedingt an ausscheidendes niederes Organismenleben g e k n ü p f t . Alles das beweist, daß schon in algonkischer Zeit die verschiedenen Äste und Zweige des organischen Reiches entfaltet waren, wenn auch das meiste nur schwer oder nicht deutbar ist. Im übrigen muß man zur Erklärung des Fehlens deutlicher Fossilien in der algonkischen F o r m a t i o n annehmen, daß damals die Fähigkeit zur Kalkschalenbildung auch bei möglicherweise schon 85

existenten Mollusken noch nicht entwickelt war; auch die unterkambrische Tierwelt zeigt j a , wie geschildert, noch wesentlich hornschalige, chitinöse Tierkörper. Infolgedessen mögen auch in der algonkischen Epoche manche G r u p p e n schon dagewesen sein, die nackthäutig und eben deshalb fossil nicht erhaltungsfähig waren. Wir müssen den ältesten Lebewesen nackte, vielfach nur protoplasmatische Körperbeschaffenheit zuschreiben, wenige aber, wie jene Radiolarien und Schwämme aus der B r e t a g n e , hatten Kieselgerüste, die anderen bestenfalls chitinöse Außenseiten. So erhebt sich die F r a g e , ob das L e b e n denn ü b e r h a u p t erst mit dem Algonkium a u f t r a t oder nicht auch schon früher, im Archaikum, dagewesen w a r ? Die Gesteine der archäischen F o r m a t i o n sind stark umgebildet, metamorphosiert, in die feinste K l e i n s t r u k t u r hinein durchknetet (S. 64). Durch die o f t tiefe Versenkung im L a u f nacharchäischer Zeiten und die späte, durch Bruchverschiebungen und Gebirgsfaltungen erst wieder veranlaßte Heraushebung, ferner durch die in der T i e f e wirkende Hitze sind völlige Umknetungen, Ummineralisierungen in den einstigen Ursedimenten vor sich gegangen, so daß man sie vielfach gar nicht von echt vulkanischen, ebenfalls umgewandelten kristallinen Massen unterscheiden kann. Selbst wenn also einmal deutliche Fossilien in den archäischen Schichten a u f b e w a h r t gewesen wären, würden diese danach völlig verschwunden sein. Aber auch ohne dies sind vermutlich die archäischen Lebewesen allergrößtenteils, wie die algonkischen, nackt gewesen und daher von vornherein k a u m fossil erhalten worden. Dennoch hat auch das archäische Gestein da und dort R e s t e organischen L e b e n s geliefert. D a gibt es undeutliche kohlige, nußförmige G e b i l d e ; es gibt K o h l e n selbst, es gibt auch Marmorkalke. B e i d e s geht zweifellos auf Organismenansammlungen zurück. Marmor, also kohlensaurer K a l k , ist auch in den heutigen Meeren an die Tätigkeit niederer Organismen g e k n ü p f t , die ihn aus dem Meerwasser ausscheiden und zum chemischen Niederschlag bringen, sofern er nicht unmittelbar aus der A n s a m m l u n g makroskopischer Organismenschalen besteht oder von K o r a l l e n a u f g e b a u t wird. So deutet die Anwesenheit von Marmorkalken im Archaikum, auch wenn sie nunmehr kristallin umgewandelt sind, mindestens auf das damalige Vorhandensein von B a k t e r i e n hin. Diese aber sind j a selbst keine ursprünglichen Lebewesen, sondern bilden einen abseitig ausgestalteten Zweig des allgemeinen pflanzlichen 86

Lebens — und so hätte deren Anwesenheit zur Voraussetzung, daß noch primitiveres Leben ihnen damals vorausging bzw. gleichzeitig existierte. Wir müssen uns also vorläufig mit der Erkenntnis begnügen, daß Leben schon im Archaikum da war, vielleicht reichlich und mannigfaltig, wenn auch auf niedersten Stufen; mehr zu sagen ist bisher nicht möglich. Wie aber, so kann man noch fragen, begann wohl das Leben auf Erden? Nach der einen Lehre sollte es schon frühzeitig in Keimen von anderen Weltkörpern durch den Strahlungsdruck des Lichtes oder durch Meteore, die andere planetare Lufthüllen durchstreiften, von dort mitgenommen und in die Erdatmosphäre gebracht worden sein, freilich nur in Form kleinster bakterieller Körperchen oder Viren, die sich sowohl als kristallischer Feinstaub wie in organischem Zustand auch in den höchsten Regionen einer planetaren Gashülle befinden konnten. Eine andere und wohl näherliegende Lehre sprach von Urzeugung aus anorganischem Stoff auf der Erdoberfläche selbst, unter andersartigen chemisch-physikalischen Bedingungen. Doch wir können uns keinen rechten Begriff von solchen Vorgängen machen; soweit dies möglich ist, wird es im Abschnitt III, 2 noch dargelegt, denn hierzu bedarf es Überlegungen tieferer Art, als sie die einfache alte Urzeugungslehre anstellte. Dagegen läßt es sich wahrscheinlich machen, daß das Wasser überhaupt, sei es das Meereswasser, sei es das Süßwasser, der Ursprungsherd alles Lebens war; denn alle niedersten Tiere finden sich zuerst und grundsätzlich im Meer und sind ihrem ganzen Wesen nach auf dieses eingestellt. Vor allem, das ist sicher, mußten sich Wesen entwickeln, denen es möglich war, durch einfache Spaltung und Zersetzung aus der umgebenden anorganischen Stoffwelt die für den Aufbau ihres Körpers nötigen Substanzen zu gewinnen. Erst auf dieser biologischen Grundlage konnte dann niederstes Pflanzenleben als solches, etwa in Gestalt von einzelligen Algen, sich entwickeln. War diese Stufe erreicht, dann stand für ein niederstes tierisches Leben die Existenzmöglichkeit bereit; ist es doch das physiologische Kennzeichen des Tierwesens schlechthin, daß es nur auf organischer, also ursprünglich pflanzlicher Nährsubstanz aufbauen kann. So kam es zu einer stammesgeschichtlichen Zweiteilung in ein ursprüngliches niederstes Pflanzenreich und Tierreich und erst von da aus war die Bahn frei zu der Entfaltung des Lebens, wie es die Epochen der Erdgeschichte uns zeigen. 87

Es w ü r d e u n s nichts h e l f e n , n u n u n s e r e n Geist, u n s e r e P h a n t a s i e spielen zu lassen, u m solche f r ü h e s t e n u r w e l t l i c h e n O r g a n i s m e n in i h r e r F o r m g e s t a l t u n g d a r z u s t e l l e n u n d zu beschreiben. Es b l i e b e leeres ästhetisches Spiel, selbst w e n n wir u n s d a b e i s t r e n g an gewisse a n a t o m i s c h e u n d physiologische F o r m b i l d u n g s g e s e t z e , die s p ä t e r e n b e k a n n t e n L e b e w e s e n e n t n o m m e n sind, h i e l t e n . Was w ü r d e es uns viel sagen, w e n n wir e i n e n „ U r s c h l e i m " o d e r amöb o i d e S c h l e i m k l ü m p c h e n o d e r B a k t e r i e n u n d V i r e n als A n f a n g s e t z t e n ; o d e r w e n n wir i h n e n die F ä h i g k e i t zuschrieben, sich, w e n n auch n u r durch e i n f a c h e o d e r m e h r f a c h e T e i l u n g f o r t p f l a n z e n o d e r gar sich d e r v e r ä n d e r l i c h e n U m g e b u n g durch F o r m u m p r ä g u n g o d e r verschiedenes R e a g i e r e n a n p a s s e n u n d sich in G e n e r a t i o n e n h ö h e r e n t f a l t e n zu k ö n n e n u n d so aus d e m Anf a n g s p l a s m a endlich eine d u r c h d a u e r n d e K ö r p e r f o r m u n d ein u n t e r seinesgleichen als „ A r t " l e b e n d e s U r t i e r zu w e r d e n ? 2. Biologische

und

biogeographische

Räume

Unzählige Scharen von L e b e w e s e n , von G a t t u n g e n u n d A r t e n des Pflanzen- u n d Tierreiches sind im Lauf der Z e i t e n ü b e r die Erdoberfläche d a h i n g e g a n g e n . Sie k a m e n u n d v e r s c h w a n d e n w i e d e r , sie e n t f a l t e t e n sich, e r o b e r t e n sich i h r e n L e b e n s r a u m u n d w u r d e n w i e d e r v e r d r ä n g t o d e r s t a r b e n aus, a n d e r e t r a t e n an i h r e S t e l l e ; l e t z t e Ü b e r r e s t e zogen sich in W i n k e l zurück u n d f r i s t e t e n d o r t noch l ä n g e r e o d e r k ü r z e r e Zeit im Schatten n e u a u f k o m m e n d e r Geschlechter, v e r a r m t an A r t e n , ein u n t e r g e o r d n e t e s K ü m m e r dasein. V o n vielen organischen G e s t a l t e n wissen wir ein b e s t i m m t e s L e b e n s g e b i e t zu bezeichnen, in d e m sie erstmalig a u f t r a t e n , i h r e n U r b e z i r k , enger o d e r w e i t e r . Von da b r e i t e t e n sie sich langsam o d e r schnell aus u n d g e l a n g t e n in a n d e r e R ä u m e , je nach den i h n e n g e b o t e n e n Land- o d e r M e e r e s v e r b i n d u n g e n u n d vielfach im Z u s a m m e n h a n g m i t d e r e n Wechsel. D a b e i w a n d e l t e n sie sich meist nach d e m i h n e n i n n e w o h n e n d e n L e b e n s g e s e t z u m , teils so, wie es dieses e r f o r d e r t , teils auch in A n p a s s u n g an die E r f o r d e r n i s s e d e r U m w e l t . So v e r d r ä n g t e n sie ä l t e r e , eingesessene a u s e n t w i c k e l t e F o r m e n , n a h m e n d e r e n L e b e n s p l ä t z e ein o d e r f ü l l t e n die d e r a b s t e r b e n d e n o d e r a b g e s t o r b e n e n aus — bis d a n n , n a c h d e m i h r e e i g e n e n Ausgestaltungs- u n d E n t w i c k l u n g s m ö g l i c h k e i t e n e r s c h ö p f t w a r e n , auch ihre S t u n d e schlug u n d n e u e l e b e n s k r ä f t i g e G e s t a l t e n auftraten.

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Zugleich mit dieser nie unterbrochenen U m g e s t a l t u n g und Bewegung des wie ein Strom ruhelos dahinflutenden L e b e n s veränderten sich aber auch die L e b e n s r ä u m e selbst, änderte sich stetig die Erdoberfläche, änderten sich die L e b e n s b e d i n g u n g e n im engeren K r e i s oder weltweit. Da tauchten etwa Meeresböden auf und wurden zu L ä n d e r n und Gebirgen; L ä n d e r und Gebirge wurden abgetragen und sanken unter das Meer oder sie wurden zerteilt durch M e e r e s a r m e ; oder Meeresbecken wurden durch L a n d z u n g e n und Archipele zerlegt; wo heute Ozeantiefen gähnen, lag einst sonnenbeschienenes L a n d , wo heute Eiswüsten sich erstrecken, gab es einst ü p p i g e Vegetation — und so mußte sich a a s L e b e n im weiten oder engen K r e i s fort und fort neuen Bedingungen angleichen. Im allgemeinen haben u m s p a n n e n d e K a t a strophen, die f ü r das G e s a m t l e b e n der E r d e schädlich oder tödlich hätten werden können, seit dem E r d a l t e r t u m die E r d e nicht betroffen, wohl aber häufig einzelne Gebiete. I m m e r blieb der L e b e n s b a u m als Ganzes, immer auch die L e b e n s r ä u m e bewohnbar. U n d wenn auch da und dort sogar k r ä f t i g e Ä s t e und Zweige, die nach und nach in sich überaltert waren, bei Einzelstürmen abgeknickt wurden, riß dennoch der L e b e n s f a d e n als Ganzes niemals ab, der G r u n d s t a m m als solcher wurde nie geknickt. Aus dem fortwährenden Strom von neuen F o r m e n des organischen Reiches, dem steten Sichumbilden und Absterben ergaben sich nun zu allen Zeiten engere oder weitere Lebensgemeinschaften, innerhalb deren wie in einem Urwald gegenseitige Begünstigung, aber zugleich der K a m p f ums Dasein herrschte. So wie heute überall Tierwelten oder V e g e t a t i o n e n und beides zusammen in vielen sozialen Gemeinschaften, freundlichen und feindlichen, stehen, war es zu j e d e r Zeit in der Erdgeschichte. I m m e r wieder wurde indes durch das A u f t r e t e n neuer Mitspieler das Gleichgewicht und die Zusammensetzung vorhandener Lebensgemeinschaften gestört, verändert, ja aufgelöst. I m m e r f o r t änderte sich die Erdoberfläche, das K l i m a ; auch dadurch k a m e n die Lebensgemeinschaften aus ihrem vielleicht einmal kurze Zeit erreichten Gleichgewicht — kurz, ein vielfältiges Spiel der Natur. Bildeten sich längere Zeit keine neuen Gestalten aus und vor allem keine solchen, die entscheidend den in einer Lebensgemeinschaft vorhandenen gefährlich waren, oder blieben die äußeren U m s t ä n d e längere Zeit hindurch dieselben, so p r ä g t e sich in solchen R ä u m e n alsbald ein gewisser stabiler T y p u s einer Lebens89

Gemeinschaft aas. Etwas Derartiges haben wir am Ende des Erdaltertums. Zur Perm- und teilweise noch hinüberreichend in die Untertriaszeit war auf dem großen, von Südamerika bis Indien reichenden Südkontinent eine gewisse tier- und pflanzengeographische Stabilität eingetreten, nachdem die ältere Flora der Steinkohlenzeit durch das Aufkommen des primitiven NadelH ü l holzes und die Landtierwelt durch mächtige Zunahme der Reptilien abgeändert, z. T. verdrängt und ausgestorben war. Zugleich war diese neu eingerichtete geographische Provinz noch von einer besonderen, teils zykadeen-, teils faruartigen Pflanzenwelt besiedelt, die nach ihrer auffälligsten Gattung mit langen zungenförmigen Blättern „Glossopterisflora" heißt. (Abb. 20.) Diese Tier- und Pflanzenprovinz erstreckte sich noch in das russische Gebiet nördlich der Dwina, wo nicht nur Abb. 20. Glossoptens, ein charakteristisches, den südafrikanische Charakterformen jener Farnen verwandtes oder eigenartigen Reptilwelt, sondern auch ginkgoazeenartiges Nadeldie Glossopterisflora lebte. Andererseits holz des Südkontinentes am Ende des Erdalterhat diese im südlichen Ostafrika mit tums. (Nach Gothan.J einer damaligen nordischen, ganz anders gearteten, durch das primitive Nadelholz gekennzeichneten Pflanzenwelt in Berührung gestanden. Das Gebiet ist damit deutlich biogeographisch umgrenzt. Nun kam das Erdmittelalter. Da gehen floristische Umänderungen vor sich, derart, daß allmählich die Zykadophyten und die erwähnten nadelholzartigen Gewächse überhandnehmen. Dadurch verwischt sich die vorher beschriebene pflanzengeographische Situation, der Zonengegensatz von nördlicher Pflanzenwelt und Glossopterisflora ist ausgelöscht, und nun wird die Flora der ganzen Welt so gleichförmig, wie nie zuvor (S. 35). Wiederum ist nach dieser einschneidenden Änderung eine neue Stabilisierung eingetreten. Aber dann beginnen von der Mitte der Kreidezeit ab 90

als n e u e r T y p u s die p f l a n z e n , z u d e m auch u n d w i e d e r u m wird f ü h r t . Es ist wie die

L a u b h ö l z e r u n d die b e d e c k t s a m i g e n B l ü t e n h ö h e r o r g a n i s i e r t e N a d e l h ö l z e r zu erscheinen, alles in n e u e L e b e n s g e m e i n s c h a f t e n übergemenschliche Geschichte.

U n u n t e r b r o c h e n , w o h l seit die E r d e eine f e s t e K r u s t e h a t u n d Meere sich auf ihr n i e d e r s c h l u g e n , u n d seit d e m e r s t e n A u f t r e t e n des L e b e n s in f r ü h e s t e n Z e i t e n ist dieses u n e n t r i n n b a r m i t bes t i m m t e n räumlich a n g e o r d n e t e n L e b e n s b e d i n g u n g e n verkettet gewesen. Schon als die e r s t e n L e b e n s f o r m e n e n t s t a n d e n , sind sie an das Salz- o d e r Süßwasser, an die Lichtzone o d e r die d ü s t e r e T i e f e n z o n e d e r Meere, an die T i e f l ä n d e r o d e r H o c h l ä n d e r , an W a s s e r l ä u f e u n d K l i m a r e i c h e g e b u n d e n gewesen. W a n d e l t e n sich die L e b e w e s e n u m , so m u ß dies i m m e r im H i n b i i d t auf die äußer e n L e b e n s m ö g l i c h k e i t e n geschehen sein, auch w e n n sich das L e b e n ganz nach eigenen i n n e r e n G e s e h e n e n t w i c k e l n sollte. D e n n eine F o r m o h n e B e z i e h u n g zu e i n e r b e s t i m m t e n B e t ä t i g u n g in e i n e r B e s t i m m t e n U m w e l t k a n n es niemals gegeben h a b e n . Das L e b e n ist, w e n n m a n so sagen d a r f , geographisch o r i e n t i e r t . F ü r die ä l t e s t e n Z e i t e n f e h l t uns noch völlig d e r Ü b e r b l i c k ; aber seit d e r k a m b r i s c h e n Epoche, wo wir z u m e r s t e n m a l eine voll deutb a r e T i e r w e l t v o r u n s h a b e n , ist das L e b e n ü b e r die ganze E r d e v e r b r e i t e t gewesen, wenigstens in den M e e r e n ; was d a m a l s mit d e r B e s i e d e l u n g d e r L ä n d e r war, wissen wir nicht, v e r m u t l i c h war e n sie noch d u r c h a u s tier- u n d p f l a n z e n l e e r . U n d seit der k a m b r i schen Epoche b e o b a c h t e n w i r auch e i n w a n d f r e i die geographische V e r t e i l u n g u n d U n t e r s c h i e d l i c h k e i t d e r L e b e w e s e n , wir h a b e n zu j e d e r Z e i t u n d meist recht deutliche b i o g e o g r a p h i s c h e P r o v i n z e n . Diese gingen vielfach m i t K l i m a z o n e n H a n d in H a n d . Schon die k a m b r i s c h e u n d silurische M e e r e s t i e r w e l t b i e t e t deutliche geographische U n t e r s c h i e d e . I m westlichen u n d m i t t l e r e n Norda m e r i k a b e s t a n d eine „pazifische" M e e r e s p r o v i n z , im Osten dagegen eine „ a t l a n t i s c h e " , die l e t j t e r e noch nach E n g l a n d u n d Skandinavien herübergehend; Grönland, Island und Nordostamerika m u ß F e s t l a n d gewesen sein, an dessen S ü d r a n d sich die Flachw a s s e r t i e r w e l t zwischen b e i d e n M e e r e s p r o v i n z e n bis zu e i n e m gewissen G r a d d u r c h d r i n g e n k o n n t e . Es sind b e s t i m m t e T r i l o b i t e n u n d K a l k s c h a l e r f o r m e n , durch welche sich b e i d e M e e r e s p r o v i n z e n u n t e r s c h i e d e n . Das gilt f ü r das K a m b r i u m , a b e r die e n t s p r e c h e n d e n V e r h ä l t n i s s e setjten sich in d e r Silurzeit noch f o r t , u n d h i e r ist f e s t g e s t e l l t , d a ß sich von W e s t a m e r i k a n o r d w ä r t s zum P o l u n d 91

darüber hinaus nach N o v a j a Semlja herunter die „pazifische" Tierprovinz erstreckte, hier also hart an die „ a t l a n t i s c h e " anstieß; andererseits reichte die erstere bis nach China. Solche Meeresprovinzen, wenngleich anders angeordnet, lassen sich auch f ü r die K a r b o n z e i t , dann f ü r das Erdmittelalter nachweisen. So bestand in der Triaszeit eine nordische, die sich von einer mediterranen abhob. In der J u r a z e i t gab es ebenfalls eine mediterrane, nordwärts eine mitteleuropäische, darüber eine nordische Provinz. Die mediterrane war im Süden wiederum von einer afriko-madagassischen und einer indischen Subprovinz begleitet, es bestand auch eine eigene südamerikanische. Sie sind alle durch bestimmte A m m o n i t e n f a u n e n und sonstige besonders kennzeichnende Gattungen bestimmt, die nordische durch eine Muschelart, die spiegelbildlich auch in S ü d a m e r i k a wiederkehrt, wobei auch zugleich klimatische Zonen einigermaßen hervortreten. O f t senden biogeographische Provinzen oder Zonen auch noch anderswohin ihre A u s l ä u f e r ; so schickt die nordische des J u r a nach Süßrußland ihre charakteristische Muschelform. B e s o n d e r s wenn Strömungen aus der warmen Zone in die kühleren eindringen oder umgekehrt. Ein schönes Beispiel h i e r f ü r bieten dickschalige marine Einzeller mit gekammerten Gehäusen, die Nummuliten der Eozänzeit, die im Gegensatj zu sonstigen kalkschalentragenden Einzelligen, den meist nur gut stecknadelkopfgroßen F o r a m i n i f e r e n , groschen- bis talergroß wurden. Sie gehen wie die im Abschnitt I, 3 erwähnten derbschaligen Rudistenmuscheln der Kreidezeit in einem Wärmegürtel um die ganze E r d e , stießen aber auch über F o r m o s a nach J a p a n und vom Mittelmeer bis nach M a d a g a s k a r und S ü d a f r i k a vor. (Abb. 7, S. 34.) Die frühesten K o n t i n e n t e bis gegen E n d e des E r d a l t e r t u m s waren durchaus wüstenartig, nicht nur in Trockengebieten, sondern auch dort, wo dauernd genug Niederschläge fielen, u m unter heutigen U m s t ä n d e n eine volle Pflanzenbedeckung und daher auch ein entsprechendes Tierleben zu gewährleisten. Während aber heute Wüsten nur entstehen, wo der Mangel entsprechender Niederschläge und der Bodenfeuchtigkeit keinen Pflanzenwuchs und daher so gut wie kein Tierleben gestattet, war die einstige Wüstenhaftigkeit der F r ü h k o n t i n e n t e durch das entwicklungsgeschichtlich noch fehlende Pflanzenleben veranlaßt. Denn bis über die Mitte des Erdaltertums gab es noch keine Gewächse, die außerhalb der sumpfigen Flächen und der Seengebiete hätten existieren können. Daher war 92

alles ü b r i g e L a n d p f l a n z e n l e e r . Diese U r w ü s t e n , wie m a n sie n e n n t , h a t t e n somit e i n e n r a p i d e w i r k e n d e n W a s s e r k r e i s l a u f , die zerstört e n G e s t e i n e b l i e b e n i n f o l g e des F e h l e n s h u m o s e r V e r w i t t e r u n g u n d B o d e n a u f b e r e i t u n g wesentlich u n z e r s e t j t , u n d so e r g a b sich d a r a u s die m e r k w ü r d i g e E r s c h e i n u n g , d a ß in d e n a l t e n S e d i m e n t f o r m a t i o n e n , sowohl des L a n d e s wie d e r Meere, in die sie einges c h ü t t e t w u r d e n , ein f a s t u n z e r s e t j t e s G e s t e i n s m a t e r i a l ü b e r l i e f e r t ist, das sich m i t e i n e m b e s o n d e r e n p e t r o g r a p h i s c h e n C h a r a k t e r als sog. G r a u w a c k e n b i l d u n g k e n n z e i c h n e n l ä ß t . I n s p ä t e r e n F o r m a t i o n e n , v o n d e r P e r m z e i t an, gibt es p r a k t i s c h k e i n e G r a u w a c k e n m e h r , d e n n d a m a l s k a m e n m i t d e m N a d e l h o l z u n d d e n Ginkgoazeen die l a n d b e s i e d e l n d e n Gewächse mächtig a u f , u n d v o n da ab sind die L ä n d e r m i t n o r m a l e n Niederschlägen k e i n e W ü s t e n m e h r gewesen, s o n d e r n h a t t e n eine h u m o s e V e r w i t t e r u n g . Da sich, wie a u s e i n a n d e r g e s e t j t , die W o h n p l ä t j e u n d L e b e n s u m s t ä n d e stetig v e r ä n d e r t e n , m u ß t e sich auch das stets wechselnde L e b e n i m m e r z u räumlich a n d e r s v e r t e i l e n . Dies geschah in doppelt e r W e i s e : flächenhaft u n d s o d a n n i n n e r h a l b desselben Gebietes in dessen v e r s c h i e d e n e L e b e n s z o n e n , also auch in H ö h e n - u n d T i e f e n s t u f e n . D e n n es m u ß t e n nicht n u r i m m e r f o r t n e u e L ä n d e r s t r e c k e n o d e r M e e r e s a r e a l e b e s i e d e l t u n d bisherige, die v e r s c h w a n d e n , verlassen w e r d e n ; s o n d e r n auch i n n e r h a l b d e r L ä n d e r u n d Meere wechselten die H ö h e n - u n d T i e f e n l a g e n , die T e m p e r a t u r e n u n d L i c h t v e r h ä l t n i s s e , es e n t s t a n d e n in d e n M e e r e n n e u e S t r ö m u n g e n , auf den L ä n d e r n n e u e W e t t e r b a h n e n ; a l l e d e m m u ß t e durch Neue i n d r i n g e n o d e r F l u c h t sowie durch F o r m e n u m w a n d l u n g i m m e r w i e d e r e n t s p r o c h e n w e r d e n . W a r etwa ein b e s t i m m t e s Meereswohngebiet bis d a h i n tief u n d w u r d e es an d e r s e l b e n Stelle flach, wie auch u m g e k e h r t , so m u ß t e dies n o t w e n d i g auf die räumliche Vert e i l u n g d e r O r g a n i s m e n w i r k e n o d e r durch F o r m ä n d e r u n g e n bea n t w o r t e t w e r d e n . Wechsel des Salzgehaltes, W a s s e r s t r ö m u n g e n , L i c h t b e s t r a h l u n g , auch A u s s t e r b e n von N a h r u n g s t i e r e n , E i n d r i n g e n v o n K o n k u r r e n t e n — das alles ist u n t e r Ä n d e r u n g des Lebensr a u m e s zu v e r s t e h e n . J e d e G r u n d f o r m d e r T i e r w e l t , w e n i g e r d e r P f l a n z e n w e l t , ist mit i h r e r B a u a n l a g e auf ein b e s t i m m t e s M e d i u m h i n geschaffen u n d eingestellt. D e r Fisch f ü r das Wasser, d e r V i e r f ü ß l e r f ü r das L a n d , Schwämme, K o r a l l e n , S t a c h e l h ä u t e r , M o l l u s k e n fÜT F l a c h m e e r . Ü b e r h a u p t sind die n i e d e r e n T i e r e d e r G r u n d a n l a g e u n d d e m Urs p r u n g nach d u r c h g e h e n d M e e r e s b e w o h n e r , die h ö h e r e n v o m Vier93

füßler ab durchgehend L a n d b e w o h n e r ; bei den Fischen ist es fraglich, ob sie grundsätjlich zuerst f ü r das fließende Wasser, also Flüsse des L a n d e s , oder f ü r das Meer entwickelt waren. Der Fisch kann mechanisch nur in schneller Strömung, zugleich in einem vom B o d e n unabhängigen Z u s t a n d begriffen werden. Ein einfach wurmförmiges Urchordatentier, dessen Wirbelsäule noch ein weicher, vom Nervenbündel begleiteter Strang war, entwickelte sozusagen gegen die Wasserströmung seine K ö r p e r g e s t a l t und Flossen, also seine eigentlichen Fischorgane. Die Fischflossen kommen nicht etwa von L a n d t i e r e x t r e m i t ä t e n her, die sich zu solchen umgewandelt hätten, sondern sind ursprüngliche Eigenbildungen. Audi treten die ältesten Fische in meernahen brackischen und Süßwasserschichten auf. U n d ein Forscher sagt, das Erscheinen der Fische sei eines der abruptesten und dramatischsten Geschehnisse in der Geschichte des L e b e n s . Viele Lebewesen wechselten im L a u f e der Zeit auch ihr Crundelement, auf das hin sie ursprünglich zu ihrer Grundorganisation gekommen waren. E s ist ein in der Geschichte des L e b e n s häufig wiederholter Vorgang, daß vor allem Meerestiere in Brack- und Süßwasser, j a auf das Trockene gelangten. Man kann wohl sagen, daß mit A u s n a h m e vielleicht vieler Infusorien sämtliche niederen, d. h. wirbellosen T i e r e des L a n d e s bzw. Süßwassers ausschließlich aus dem Meer als ihrem Ursprungsgebiet zu verschiedenen Zeiten, manche auch wiederholt in diese L e b e n s r ä u m e k a m e n . Die ganze Land- und Süßwassermolluskengesellschaft sowie die K r e b s e sind so zu deuten; f ü r die Fische, wie gesagt, ist es fraglich. D a u e r n d im Meerwasser blieben die Tascheln, die Stachelhäuter und Kopffüßer (p. p. A m m o n i t e n ) , im E r d a l t e r t u m die Trilobiten. Dagegen scheinen die Merostomen des frühen E r d a l t e r t u m s (S. 115) aus dem Süßwasser in das Meer eingewandert zu sein, ohne jedoch das Süßwasser völlig zu verlassen. Sicher gibt es auch Einwanderungen von echten L a n d t i e r e n , nicht Süßwassertieren, in das Meer, wofür die Meerechsen des Erdmittelalters, in der Erdneuzeit die Wale und Delphine das a u f f a l l e n d s t e Beispiel sind. Auch eine Eroberung der L u f t durch das L a n d t i e r liegt in den mittelalterlichen Flugechsen, danach in den neuzeitlichen F l e d e r m ä u s e n vor. In der Karbonzeit waren die beflügelten Insekten primär Wasserlarven und gingen unmittelbar aus dem Wasser heraus schußartig in die L u f t . Und fliegende Fische sind zwar dauernd an das Wasser gebunden, aber auch sie schießen, indem sie die großen Flossen schirmartig 94

ausbreiten, streckenweise aus dem Wasser hervor. Daß gewisse Fische h e u t e auf das Land gehen oder als Lungenfische eine jahreszeitliche Ruheperiode auf dem Trockenen zubringen, ist eine schon in der Devonzeit beobachtete Erscheinung auf dem alten roten Nordland, von dem nachher noch die Rede sein v i r d Ein bezeichnender Fall von Umstellung aus einem Großlebensraum auf einen anderen ist die Besiedlung der Tiefsee, die nach unsrer bisherigen Kenntnis erst um die Mitte des Erdmittelalters begann, weil man aus der Tiefsee u n t e r vielen altertümlichen Gattungen bisher nur solche, die zur Jurazeit noch in den oberen lichtdurchflossenen Meeresregionen hausten, nächstdem aber kreidezeitliche Gestalten herausgeholt hat. Zahlreiche Glasschwämme, Seelilien, Seeigel, Krebse u n d Fische jurassischer u n d kreidezeitlicher Herk u n f t , ja teilweise in derselben Gattung w a n d e r t e n nach und nach in die dunkle Region h i n u n t e r und in deren ungeheuren Wasserdruck. Bemerkenswerterweise geschah dies ohne wesentliche Änderung der K ö r p e r f o r m u n d der Organe, es müssen also lediglich physiologische Umstellungen in ihrem Körpergefüge dabei vor sich gegangen sein. Es ist aber merkwürdig, daß es dabei eine Art „prophetischer" Formen gab, die schon besonders ausgebildet waren, um geeignete Bewohner der Tiefseeregion zu werden. So gingen von den erdmittelalterlichen Meereskrebsen nur solche in die Tiefsee, die zuvor schon die Augen mehr oder weniger rückgebildet hatten, da sie im Schlamm lebten u n d auch schon zum Schlammfressen umgebildete Mundwerkzeuge h a t t e n . Ein vielerörtertes biogeographisches Problem ist es, ob das einst warme Nordpolargebiet f ü r viele, sicher nicht f ü r alle Tiergruppen der Ausgangspunkt gewesen sei. F ü r manche Gruppen von niederen Tieren gibt es jedenfalls eine „Polflucht" schon seit dem Erdaltertum, f ü r die höheren Tiere scheint die Frage verwickelter zu sein. Bei den Korallen etwa ist es ganz eindeutig, die zur Silurzeit hoch im Norden und sonst überall auf der Erde verbreitete Riffe bauten. Im Erdmittelalter finden wir sie in Mitteleuropa, nicht mehr im Norden, in der Kreidezeit nur noch bis zum Nordrand des ostalpinen Meeres, auch noch im Alttertiär ebendort; dann aber ziehen sie sich völlig in den Süden zurück, soweit der warme Golfstrom sie nicht noch nördlich des 30. Breitegrades (Bermudas) gedeihen läßt. Dasselbe gilt von beschälten Tintenkraken (Nautiliden S. 141) und charakteristischen erdmittelalterlichen Muscheln. Indessen mag die Erscheinung lediglich auf die zuneh95

m e n d e Abkühlung der N o r d g e b i e t e ü b e r h a u p t zurückführbar sein. Die alten Panzerfische, dann die ältesten Amphibien (Stegokephalen) und die Lungenfische dürften in diesem Sinn nordischen Ursprungs und Polflüchter sein. Die Lungenfische lebten im Erdaltertum im Norden, in der Triaszeit noch in unseren Breiten, in der K r e i d e z e i t außer in N o r d a m e r i k a nur noch in Ägypten und in der Erdneuzeit, bis heute in drei F o r m e n f o r t d a u e r n d , nur noch in tropischen Gewässern der Südkontinente. Wie schon geschildert, b e s t a n d e n von jeher sowohl auf dem L a n d wie in den Meeren unterschiedliche Lebenszonen. Im Meer die Küsten- und B r a n d u n g s r e g i o n , dann die küstennahe und sich weiter hinaus erstreckende Flachsee, noch mit lichtem Wasser, endlich jenseits der Kontinentalschwelle die düstere und dunkle T i e f s e e ; auf den L ä n d e r n die Niederungen und die Gebirge, die F l ü s s e und Seen, die S ü m p f e , Moore und Wüsten. In allen diesen Regionen lagern sich, sobald ü b e r h a u p t aufgeschüttet und nicht nur abgetragen wird, bestimmte Sedimente a b : Brandungs- oder Flußgeröll, Sande, K a l k e , Mergel, Tonschlamm usw. Man nennt die durch solche regionale Unterschiede gekennzeichnete Sedimentverschiedenheit „ F a z i e s " , d. h. Aussehen, Gesicht. Neben dieser rein anorganischen, petrographischen Fazies gibt es aber auch eine floristische und faunistische Fazies, insofern in solchen Sedimenten auch Fossilien sind und durch ihren Charakter zugleich auf die Lebensverhältnisse der betreffenden R ä u m e hinweisen. Es gibt auch Yerschwemmungen von Tieren und Pflanzen in andere petrographische Fazies, wenn seinerzeit durch Meeresströmungen oder F l ü s s e etwa L a n d p f l a n z e n oder Leichen von L a n d t i e r e n in das Meer hinausgeflößt oder innerhalb des Meeres etwa Molluskenschalen oder Fischleichen anderswohin durch die Strömung verfrachtet und einer ihnen im L e b e n f r e m d e n faunistischen F a z i e s zugeteilt wurden. F ü r die Silurzeit sind die hydrozoenartigen Graptolithen (S. 76) charakteristisch. Sie sind fossil in einer besonderen F a z i e s erhalten, in schwarzen Schiefern. Diese bedeuten jeweils, wo sie auch a u f t r e t e n , eine tiefere ruhigere Meereszone, als es die sonstige silurische Kalk- und Grauwackenfazies anzeigt. Überall auf der Erde, wo sich silurische Meeresablagerungen finden, stellen sich auch anschließend oder zwischengeschaltet die schwarzen Graptolithenschiefer ein. Auffallend ist, daß sich die in feinsten Zeitstufen innerhalb der Schwarzschieferformation verteilten Grapto96

l i t h e n k o l o n i e n ü b e r a l l auf d e r E r d e gleichsinnig u m w a n d e l t e n . D a s f ü h r t zu d e m P r o b l e m d e r gleichartigen u n d gleichsinnigen Umb i l d u n g ganzer L e b e n s g e m e i n s c h a f t e n ü b e r d i e E r d e h i n , w o b e i sich nicht n u r , wie w i r es o b e n b e t r a c h t e t e n , diese G e m e i n s c h a f t e n durch das Z u w a n d e r n o d e r A u s w a n d e r n n e u e r F o r m e n v e r ä n d e r t e n , s o n d e r n w o b e i die v o r h a n d e n e n G a t t u n g e n o d e r A r t e n sich in gleichsinniger Weise genetisch u m b i l d e t e n . So m a c h e n ersichtlich in d e r J u r a z e i t die in allen M e e r e n reichlich v e r b r e i t e t e n A m m o n i t e n in den v e r s c h i e d e n e n b i o g e o g r a p h i s c h e n P r o v i n z e n ( I n d i e n u n d indischer Archipel, O s t a f r i k a , S ü d a m e r i k a , E u r o p a , N o r d g e b i e t m i t R u ß l a n d ) solche p a r a l l e l e n , u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r sich v o l l z i e h e n d e n U m b i l d u n g e n durch, w o m i t nicht gesagt ist, d a ß sich nicht auch gleizeitig Ein- u n d A u s w a n d e r u n g e n vollzogen. Das Licht b e d e u t e t e i n e n m a ß g e b e n d e n F a k t o r im H a u s h a l t d e r l e b e n d e n N a t u r . U n t e r d e n T i e r e n gibt es zwei in i h r e r Lichte m p f i n d l i c h k e i t bzw. i h r e m L i c h t b e d ü r f n i s b e s o n d e r s e n t g e g e n g e s e t j t e T y p e n : L i c h t f e s t e u n d Lichtflüchter. Die e r s t e r e n b e d ü r f e n zu i h r e r E x i s t e n z voller S o n n e n b e s t r a h l u n g , die I e ^ t e r e n gehen ihr aus d e m W e g e . Zu d e n L i c h t f e s t e n g e h ö r e n v o r allem die K o r a l l e n , Muscheln, Schnecken, H a i e u n d V e r w a n d t e , Vögel u n d S ä u g e t i e r e ; zu d e n Lichtflüchtern S t a c h e l h ä u t e r , Ammoniten, Knochenfische, viele R e p t i l i e n . Bei d e n ü b r i g e n T i e r g r u p p e n ist das B e d ü r f n i s v e r t e i l t . Manche h a b e n i h r e E m p f i n d l i c h k e i t f ü r das e i n e o d e r a n d e r e ü b e r w u n d e n u n d sich, wie oben geschildert, aus d e r Lichtzone in die nächtliche T i e f s e e z u r ü c k g e z o g e n ; das Umgek e h r t e f a n d nicht s t a t t . Sobald die I n t e n s i t ä t d e r L i c h t s t r a h l u n g in d e n erdgeschichtlichen Z e i t e n s c h w a n k t e , m u ß t e dies K r i s e n in d e r V e r t e i l u n g d e r T i e r f o r m e n h e r b e i f ü h r e n , wie auch die f o r m b i l d e n d e K r a f t in d e n O r g a n i s m e n d a d u r c h n e u e I m p u l s e e r h i e l t o d e r auch H e m m u n g e n , S t ö r u n g e n e r l i t t . D i e s e r Wechsel v o n langu n d k u r z w e l l i g e r S t r a h l u n g s e n e r g i e a b e r w i r k t e sich stets auf d e r ganzen E r d e gleichzeitig aus, u n d so h a b e n wir h i e r e i n e n wichtigen F a k t o r d e r U m g e s t a l t u n g ganzer L e b e n s g e m e i n s c h a f t e n auf d e r g a n z e n E r d e in d e r s e l b e n Zeit. W i r b e t r a c h t e n noch einige L e b e n s r ä u m e aus d e r U r w e l t in k u r z e n E i n z e l b i l d e r n , a n k n ü p f e n d an die G r a p t o l i t h e n in den schwarzen silurischen Schiefern. Schwarze Meeresschiefer l a g e r n auch in der D e v o n f o r m a t i o n des R h e i n l a n d e s u n d des H u n s r ü c k . Sie sind s t a r k g e f a l t e t , d e n n sie g e h ö r e n d e m a l t e n variskischen G e b i r g s k ö r p e r an, d e r auch das rheinische Schiefergebirge mit u m f a ß t . (S. 48.) 7

Dacque, Vermäditnis

97

Aus diesem Gestein werden Dachplatten und Schultafeln hergestellt. In der genannten Gegend enthält dieser, in einem lichten ruhigen Flachmeer a b g e s e g t e feine Schiefer eine reiche und seltene fossile Tierwelt, aus der wir auf den Charakter jenes einstigen L e b e n s r a u m e s schließen können. Die Fossilien sind in Schwefeleisen erhalten und lassen sich wegen ihrer H ä r t e mit einer Messingbürste durch Wegreiben des Gesteins unversehrt herauskratjen. Es finden sich Seesterne aller Art, Seelilien von zartestem B a u , die sich auf ihren langen Stielen wiegten, K r e b s e , Trilobiten, spinnenartige F o r m e n , Fische, darunter auch dünngepanzerte, F u ß s p u r e n von allerhand B o d e n g e t i e r . Auch sonst noch erfahren wir einiges aus der Art der Erhaltung jener Fossilien. Da gibt es Seesterne, deren Arme nach dem T o d nach einer Richtung umgelegt sind: es wird aus solch einem F u n d unmittelbar die einstige schwachströmende Wasserbewegung noch sichtbar, welche diese leichten K ö r p e r entsprechend in ihrer T o d e s l a g e einregelte. So beredt ist der scheinbar doch so tote Stein! Wir haben aus der Devonzeit auch Kenntnis von einem interessanten L a n d g e b i e t und dessen klimatischer und biologischer Ausgestaltung, auf dem sich a u f f a l l e n d bunte, meist rote Sandsteine und Schiefer ablagerten: das „ a l t e rote N o r d l a n d " . E s erstreckte sich von K a n a d a her über den Nordatlantik, Grönland, Irland, E n g l a n d und Schottland nach Skandinavien bis Nordostrußland und hatte eigenartige klimatische Verhältnisse: eine Urwüste, aber mit vielen Niederschlägen, durch die sich abwechselnd große, meist unregelmäßige F l u ß l ä u f e und Seen bildeten, die dann wieder austrockneten. In den Trockenzeiten wehte der Wind den zusammengeschwemmten S a n d auseinander, trug ihn in die austrocknenden Seenbecken, schuf anderswo Dünen, die dann bei wieder einsehenden Regenzeiten abermals umgelagert wurden. Dann entstanden wieder breite F l u ß l ä u f e und Seen. Dazwischen gab es auch vulkanische Ausbrüche, insbesondere in den Gegenden des heutigen Schottland; die vulkanischen L a v e n aber wurden gleichfalls wieder a u f g e a r b e i t e t und den Sedimenten einverleibt. Das R o t e L a n d ging stellenweise in Deltaflächen über, die abwechselnd dem Meer und dem L a n d angehörten; in Nordamerika sind die zugehörigen Schichtungen als Ablagerungen eines sehr seichten lagunären, zuweilen trockenliegenden Meeresgebietes, ebenfalls mit Deltabildungen entwickelt. In den Flüssen, Seen und L a g u n e n aber lebte eine vielfältige, teils an Süßwasser, teils an Brackwasser 98

a n g e p a ß t e T i e r w e l t ; so d i e t e i l w e i s e m e t e r l a n g w e r d e n d e n

krebs-

a r t i g e n M e r o s t o m e n ( A b b . 30, S. 116), a l l e r h a n d Fische, schwer gepanzert

(Abb. 21), dabei

auch L u n g e n f i s c h e . W i r e r w ä h n t e n

z u v o r schon, sie l e b e n h e u t e noch u n t e r

ganz

ähnlichen

sie

Bedin-

g u n g e n in s ü d l i c h e n G e b i e t e n . Sie h a b e n e i n e z u r L u n g e u m g e b i l d e t e S c h w i m m b l a s e ; s e ^ t T r o c k e n h e i t e i n , so v e r k r i e c h e n sie sich

Abb. 21. Panzerfisch der Devonzeit aus dem alten roten Nordland. (Nach Traquair.) in L ö c h e r , s i n k e n in D a u e r s c h l a f u n d a t m e n d a n n m i t d i e s e r H i l f s l u n g e s t a t t m i t d e n K i e m e n . D a m a l s auf d e m r o t e n N o r d l a r i d ers c h i e n e n sie z u m e r s t e n m a l u n d s t e l l e n so e i n M u s t e r b e i s p i e l

dar

f ü r d e n Z u s a m m e n h a n g v o n U m w e l t u n d O r g a n i s a t i o n e i n e r zu i h r gehörigen Tiergestalt. Im schottischen Altrotgebiet hat m a n torfm o o r a r t i g e S c h i c h t u n g e n g e f u n d e n . Es s i n d m u l m i g - k o h l i g e L a g e n , e n t s t a n d e n in S ü m p f e n u n d s t e h e n d e n G e w ä s s e r n , in d e n e n sich e i n e t e i l s s c h i l f a r t i g e , in h ö h e r e n

Lagen

schon m e h r

farnartige

F l o r a a n g e s i e d e l t h a t t e , aus d e r e n V e r t o r f u n g j e n e L a g e n h e r v o r g i n g e n : es s i n d d i e ä l t e s t e n

als solche sicher e r k e n n b a r e n

Land-

p f l a n z e n . (S. 77.) D i e K a r b o n - o d e r S t e i n k o h l e n z e i t h a t i h r e n N a m e n v o n d e n damals

sehr

ausgedehnten

sich u n t e r e i n e m

üppigen

allgemein

Seen- u n d

milden Klima

Sumpfwäldern,

hauptsächlich

auf

N o r d h a l b k u g e l u n d t e i l w e i s e in d e r Ä q u a t o r i a l z o n e u m d i e z o g e n u n d sich auch in K ü s t e n n i e d e r u n g e n , L a g u n e n u n d

Erde weiten

F l u ß m ü n d u n g e n a n s i e d e l t e n . ( A b b . 22.) D r a n g z e i t w e i s e d o r t M e e r e i n , so schuf

es b r a c k i s c h e Ä s t u a r e , b r a c h t e

auch

die der

das

Schlamm

m i t u n d d e c k t e d i e s t a r k v e r t o r f t e n W ä l d e r d a m i t zu, g e l e g e n t l i c h auch

Meeresmuscheln

liebende

Flora

mit

wieder

einbettend.

von

neuem.

In

Dann

wuchs

die

wasser-

jahrtausendelanger

Ver-

m o o r u n g d e r i m m e r z u a b s t e r b e n d e n u n d sich i m m e r z u e r n e u e r n d e n Pflanzenwelt

entstanden

auf

diese

Weise

die

Steinkohlenlager,

nicht d i e B r a u n k o h l e n l a g e r , d e n n d i e s e s i n d e r s t t e r t i ä r e n 7*

Alters. 99

Die wesentlich aus Bärlappen, Schachtelhalmen und F a r n e n bestehende Steinkohlenvegetation war tropisch dicht, urwaldmäßiges Gestrüpp aus sonstigen Gewächsen bestehend, dazwischen — wenn das Wort Gestrüpp hier angemessen ist, da noch keine höheren Pflanzen, die solches im heutigen Sinn bilden konnten, vorhanden waren. Die ganze Vegetation bestand doch mehr aus einzeln emporschießenden, wenn auch ganz dichtstehenden Stengeln, Kräutern und Bäumen der erstgenannten Abb. 22. Landschaft der Steinkohlenzeit mit farnartigen, bärlappartigen Bäumen und großen Schachtelhalmen. Charakteristisches Vegetationsbild der damaligen Zeit.

TyPen-

Auch

darf

m a n

sich

bei solchem Reichtum der Formen und Pflanzenindi.. . . ... . . viduen keine übertriebene Vorstellung von der Schattigkeit oder gar dem Dunkel eines Steinkohlenwaldes machen, denn auch die genannten großen Bäume und baumartigen Gewächse hatten keineswegs eine so dichte Verzweigung wie etwa Nadelhölzer oder Laubbäume der späteren Floren. In diesen Lebensräumen gab es noch keine Vögel, nur Insekten, ausgestorbene fremdartige Gruppen, besonders libellenartige Formen, teilweise von Riesengröße, bis 70 cm Flügelspannweite und mit gestreckten Flügeln niedergehend. Auch die ersten Spinnen mit starker Körpergliederung sind dagewesen. Weiterhin gab es schon kleine amphibische Tiere, meist nur von Salamandergröße, auch äußerlich blindschleichenartig gestaltet, und außerhalb der Kohlenwälder auch Echsen, Reptilien. Das Grab zweier Lebensräume aus dem Erdmittelalter, ein inniges Ineinandergreifen eines Meeres und eines Landgebietes zeigend, liegt im fränkischen J u r a . Dort sind die höchsten Glieder der hellen Kalke teilweise als Korallenmassen entwickelt, zwischen 100

d e n e n , s e i t w ä r t s a n g e g l i e d e r t , sich f e i n e K a l k s c h i e f e r von höchster R e i n h e i t u n d f e i n s t e m K o r n h i n l a g e r n . Die K o r a l l e n k a l k e sind einstige Riffe, wie sie h e u t e in d e n südlichen w a r m e n M e e r e n , w e n n auch in viel g e w a l t i g e r e n D i m e n s i o n e n a u f g e b a u t w e r d e n . An j e n e n R i f f e n d e r O b e r j u r a z e i t , die auf tropische W ä r m e d e u t e n , l e b t e n , wie an d e n h e u t i g e n , zahllose M e e r e s t i e r e , Fische, K r e b s e , Muschelii, Schnecken, A m m o n s h ö r n e r , Tascheln, Seelilien, Seeige! usw., meist dickschalige F o r m e n , weil an allen Riifen B r a n d u n g herrscht, was dicke d e r b e K a l k s c h a l e n bei d e n M i t b e w o h n e r n erf o r d e r t . Am E n d e d e r J u r a z e i t , als die K o r a l l e n b a u t e n ausgewachsen w a r e n , v e r l a n d e t e das Gebiet des f r ä n k i s c h e n Meeres stellenweise, es t r a t e n I n s e l n h e r a u s , zwischen d e n e n sich flache L a g u n e n h i n z o g e n . In diese Meeresflächen w u r d e n vom L a n d h e r Staubmassen geweht, zeitweise t r a t das Meer s t ä r k e r h e r e i n , a r b e i t e t e die unterdessen als K a l k s c h l a m m a b g e s e t z t e n Materialien a u f , s p ü l t e selbst vom L a n d w e i t e r e s Material weg u n d sedimentierte alles in feiner r h y t h m i s c h e r Schichtung. Das sind die b e r ü h m t e n Lithographieschief e r g e w o r d e n . In i h n e n finden sich n u n in w u n d e r b a r e r Erhalt u n g sowohl Meeres- wie Landtiere d u r c h e i n a n d e r gemischt, letjt e r e vom W i n d u n d d e n ü b e r s p ü l e n d e n M e e r e s w o g e n in das Sediment mit hereingebracht: a l l e r h a n d I n s e k t e n , wie Wasserr e i t e r , Schaben, Libellen, k l e i n e Kammechsen, fliegende Echsen, d e r U r v o g e l ; von M e e r e s t i e r e n Seesterne, Seelilien, Ammonsh ö r n e r , K r e b s e aller Art, Fische in g r o ß e r M a n n i g f a l t i g k e i t , daiu n t e r H a i e u n d z . T . auch riesen 4bb. 23. Plane mit der Fuß- und große F o r m e n von Schmelzschuppern.

auch

Heringe

und

kleine

Schwanzspur malus)

in

eines

den

Kalkschiefern

Krebses

(Li

lithographischen

von

Franken

101

Sprotten,

die

oft

in

Scharen

Audi trifft man zuweilen

die K a l k s c h i e f e r p l a t t e n

bedecken.

auf die K ö r p e r h ö h e r e r und

niederer

T i e r e , die den Augenblick ihres V e r e n d e n s noch in e b e n

hinter-

lassenen Spuren oder ersichtlich im T o d e s k a m p f b e i m Eingedecktwerden durch die im Schlamm gemachten Bewegungen

erkennen

lassen. (Abb. 23.) E i n anschaulicher L e b e n s r a u m des Süßwassers der j ü n g e r e n T e r t i ä r zeit ist

die alte T h e r m e von

Steinheim

in W ü r t t e m b e r g .

Dort

k a m zur Miozänzeit eine warme Quelle zutage, um die sich ein großer S e e bildete. Das warme Wasser w i m m e l t e von

Schnecken

und n i e d e r e m G e t i e r , es s a m m e l t e n sich aber auch die S ä u g e t i e r e der tropisch warmen W ä l d e r ringsum an dem Wasser zur T r ä n k e und gingen dort offenbar durch E i n s i n k e n

im schlammigen

Ufer

zugrunde, so daß man in den K a l k a b s ä t z e n ihre K n o c h e n Da

gab

es Dickhäuter,

Zebras,

Riesenschweine,

findet.

Zwerggazellen,

T a p i r e und pumaartige R a u b t i e r e ; Vögel n i s t e t e n am U f e r . I n Nordamerika, in den unbedeckten G e b i e t e n der B a d l a n d s , Nebraskas, D a k o t a s , M o n t a n a s , hat man in u n g e h e u e r Aufschlüssen Alten

Welt

ganze

zusammenhängende

nirgends

herauskommen,

Profile,

und k a n n

ausgedehnten

wie

sie

dort

in

der

durch

die

h a l b e T e r t i ä r z e i t hindurch an Ort und S t e l l e die wechselnde Geschichte

ablesen.

mittleren gestört

So

Tertiärzeit:

etwa eine

in

der

White-River-Formation

der

1 0 0 m mächtige wohlgeschichtete

un-

lagernde F o l g e von f e i n e n und groben S a n d s t e i n e n

und

T o n s c h i e f e r n . Die Ablagerungen sind geschaffen von großen, vielfach wie der Hoangho in China über weite G e b i e t e ihren verlegenden

Strömen.

I n den Aufschichtungen finden sich

schnecken und Schildkröten, es entstanden

Lauf Land-

auch große S e e n

mit

Pflanzenwuchs, die dann wieder v e r s u m p f t e n . S t e p p e n müssen sich ausgedehnt h a b e n , denn es darunter,

kenntlich

als

finden

gute

sich teilweise auch

Läufer.

Die

ostwärts

Säugetiere fließenden

wechselnden Wasseradern schwemmten ganze T i e r h e r d e n fort und begruben

sie

anderswo,

Krokodile

kamen

herbei,

sich an

den

v e r e n d e n d e n T i e r e n gütlich zu tun. I n den S e e a b l a g e r u n g e n m a n K r u s t e n von K a l k a l g e n

und Süßwassermollusken. Es müssen

anderwärts auch W ä l d e r oder S a v a n n e n gestanden h a b e n , man

sieht

in

den

trifft

Sedimenten

noch

denn

aufrechtstehende

Baum-

s t ü m p f e . U r p f e r d e , Dickhäuter, eine zwischen Hirsch und

Giraffe

stehende G a t t u n g , U r r a u b t i e r e , aber auch ausgefüllte von

102

Nagern

sind

daraus

beschrieben.

Die

ganze

Grabgänge

Formation

ist

g e k r ö n t von v u l k a n i s c h e n T u f f e n . Solche sind auch in e i n e r d i e White-River-Schichten u n t e r l a g e r n d e n F o r m a t i o n , den B r i d g e r B e d s zu s e h e n , wo sich zwischen u n d ü b e r ä l t e r e n Süßwassers e d i m e n t e n V u l k a n a s c h e n e i n l a g e r n u n d eine u n g e m e i n zahlreiche Säugetiergesellschaft fossil einschließen — ein Bteweis, wie h i e r normale Landschafts- und Lebenszustände katastrophal beendet w u r d e n : ein urweltliches P o m p e j i d e r organischen N a t u r . Beispiele solcher örtlichen K a t a s t r o p h e n in d e r V o r z e i t gibt es m e h r e r e , die teils auf vulkanische Ereignisse, a b e r auch auf plötzlich e i n b r e c h e n d e W e t t e r s t ü r z e o d e r M e e r e s ü b e r f l u t u n g e n zurückg e h e n . I n d e r Triaszeit ist in Südtirol durch e i n e n vulkanischen Ausbruch soviel A s c h e n m a t e r i a l in das Meer e i n g e s c h ü t t e t w o r d e n , vielleicht das Meereswasser auch durch d a b e i a u s s t r ö m e n d e s Gas k u r z f r i s t i g so v e r g i f t e t w o r d e n , d a ß n u n die s e d i m e n t i e r t e Tuffschicht eine reiche, am M e e r e s b o d e n m i t e i n e m Schlag v e r n i c h t e t e fossile n i e d e r e T i e r w e l t e n t h ä l t . In d e r U n t e r k r e i d e z e i t w u r d e bei B e r n i s s a r t in Belgien eine H e r d e riesiger Schrecksaurier durch eine W e t t e r k a t a s t r o p h e mit plötzlicher W i l d b a c h e n t s t e h u n g in eine Schlucht h i n e i n g e s c h w e m m t , so d a ß d o r t an e i n e r einzigen, verh ä l t n i s m ä ß i g e n g b e g r e n z t e n Stelle eine M a s s e n a n h ä u f u n g der S k e l e t t e sich f i n d e t . In d e r P l i o z ä n z e i t ist bei P i k e r m i in A t t i k a durch e i n e n a u s g e d e h n t e n S t e p p e n b r a n d eine v i e l f ä l t i g e Säuget i e r w e l t o f f e n b a r an e i n e n S t e i l r a n d in w i l d e r P a n i k geflüchtet, u n d d o r t h a b e n sich die T i e r e in b u n t e m D u r c h e i n a n d e r d e r Gatt u n g e n gegenseitig selbst in den A b g r u n d g e d r ä n g t , wo sie mit z e r b r o c h e n e n K n o c h e n n u n in einem u r w e l t l i c h e n M a s s e n g r a b liegen.

3. Biologische in

Bautypen den

und

Baustile

Erdzeitaltern

E i n v o r a u s g e h e n d e r Abschnitt b r a c h t e die zeitliche A u f e i n a n d e r folge d e r h a u p t s ä c h l i c h s t e n Tier- u n d P f l a n z e n g e s t a l t e n w ä h r e n d d e r Erdgeschichte zur A n s c h a u u n g . A b e r nicht n u r durch die vielen einzelnen, bestimmt ausgeprägten Gattungen und Ordnungen sowie durch d e r e n wechselnde V e r g e s e l l s c h a f t u n g sind die Epochen u n d S t u f e n der Erd- u n d Lebensgeschichte bezeichnet, s o n d e r n 103

auch durch gewisse B a u s t i l e , die sich in weiterem oder engerem F o r m e n k r e i s bei der Ausgestaltung des Gesamtlebens jeweils bem e r k b a r machen. Zunächst sind es B a u s t i l e und Formbildungen, die sich nur auf der G r u n d l a g e eines bestimmten Materials verwirklichen lassen. Wie sich in der Menschheitsgeschichte Hauptepochen einer bestimmten Materialverwendung voneinander abheben, so auch in der Geschichte des organischen Reiches. Die urgeschichtliche Menschheit, soweit dies durch naturhistorische F u n d e genügend aufgehellt ist, bediente sich zu ihrer Werkzeug- und Waffenkunst vornehmlich des Steines. Die Altsteinzeit zeigt die Verwendung roh zugeschlagener F e u e r s t e i n e ; eine jüngere Epoche der Steinzeit liefert wohlgestaltete geschliffene Stücke. Dann folgt ein großer Schritt vorwärts, wodurch das L e b e n der Menschheit ein anderes Gesicht gewann: es gelang die Bearbeitung des Metalls, zuerst der Bronze, dann des Eisens. Die dritte Epoche, vermutlich nicht weniger einschneidend das Gesicht der K u l t u r verändernd, wird die der K u n s t s t o f f e sein; sie beginnt mit unserer Zeit. Es ist klar, daß mit j e d e r neu einsetzenden Materialverwendung allerlei technisch möglich wurde, was zuvor unmöglich war, auch wenn der G r u n d p l a n und die Verwendungsidee eines Werkzeuges oder Gerätes allemal dieselbe blieb, wie die des H a m m e r s aus Stein oder aus Eisen. So können wir auch in der Geschichte des organischen Reiches einmal einen frühen Ü b e r g a n g in der Materialverwendung beobachten und daran zugleich sehen, wie sich die Ausgestaltung bestimmter K ö r p e r und Organe damit änderte. Es ist die Zeitwende von der noch biologisch ziemlich unbekannten Epoche des Algonkiums in das E r d a l t e r t u m . D a m a l s bauten die niederen Meerestiere — nur solche sind uns dort bekannt — ihre Schalen und Panzer wesentlich nur aus Hornsubstanz a u f ; die Imprägnierung mit K a l k oder gar die ausschließliche Verwendung desselben zu Kalkschalen k a m so gut wie nicht vor. Erst mit Beginn einer neuen Zeitstufe in der Frühzeit des Erdaltertums setzte ziemlich plötzlich und reichlich die Verwendung des kohlensauren K a l k e s ein, und von diesem Augenblick an entfalteten sich zuvor nur unscheinbar gebliebene niedere T i e r g r u p p e n besonders ü p p i g , während die hornschaligen mit wenigen Ausnahmen stark zurücktraten. Vor allem gelang es den Mollusken und Molluskenähnlichen sowie den Riffbildnern als den besonders charakteristischen K a l k t r ä g e r n , ihre Körpergestal104

tung auf eine zuvor u n g e a h n t e H ö h e zu bringen und neben reichen

Vermehrung

Körpergröße wendung

ihrer

individuell

der

Arten

und

Kunstbauten

so zu steigern, wie

Hornsubstanz

mangels

auch

es zuvor bei

entsprechender

der die Ver-

Standfestig-

k e i t noch nicht möglich war. Es gibt in der Erdgeschichte

wohl

noch

m e h r e r e solcher Ände-

rungszeiten der M a t e r i a l b e n ü t z u n g , vor allem i n n e r h a l b

einzelner

F o r m g r u p p e n , wenn auch vielleicht nicht so in die Augen f a l l e n d wie die oben beschriebene Zeit. I n a l l e r ä l t e s t e r , vorkambrischer Zeit a b e r vollzog sich bei Schwämme)

den allerniedersten

Tieren

(Einzeller

und

eine starke V e r w e n d u n g der K i e s e l s ä u r e . So ist das

Erscheinen des W i r b e l t i e r e s als L a n d v i e r f ü ß l e r um die M i t t e E r d a l t e r t u m s vor allem an die V e r w e n d u n g

des

des

phosphorsauren

K a l k e s beim A u f b a u des S k e l e t t s g e k n ü p f t . V o r h e r gab es allenfalls

nur

Knorpelskelette,

die

uns

aber

nur

in

letzten

Nach-

klängen fossil bei ältesten L a n d t i e r e n ü b e r l i e f e r t sind. D i e Bauweise mit phosphorsaurem K a l k f ä l l t ihrerseits zusammen mit dem Zeitpunkt

der

ungeheuren

Waldvermoorungen

der

Steinkohlen-

zeit sowie der gleichzeitigen s t a r k e n B i n d u n g k o h l e n s a u r e n K a l k e s in den M e e r e s s e d i m e n t e n , große Mengen

was b e d e u t e t ,

Kohlensäure

entzogen

daß damals

wurden;

der

darüber

Luft wurde

schon bei der E r k l ä r u n g der Eiszeiten gesprochen. (S. 39.) E i n w e i t e r e r M a t e r i a l ü b e r g a n g i n n e r h a l b e i n e r engen Gruppe, bei den Fischen, zeigt sich um die M i t t e des E r d m i t t e l a l t e r s . I m Erda l t e r t u m waren deren baut;

Innenskelette

erst im E r d m i t t e l a l t e r

Innenskelettbildung; logisch ä l t e r sind

aus K n o r p e l s u b s t a n z

erfolgte

aufge-

der Ü b e r g a n g zu k a l k i g e r

sie h i n k e n , obwohl sie als G r u n d f o r m

als

die V i e r f ü ß l e r ,

hinter

diesen

geo-

wesentlich

nach. Die alten K n o r p e l f i s c h e starben dann fast gänzlich aus. F r e i lich l e b e n

ursprünglichere

Materialbenützer

jeweils in

späteren

E p o c h e n oder h e u t e noch mehr oder weniger zahlreich fort. Man darf sich nicht vorstellen, daß mit dem Übergang aus der einen in die andere Materialepoche

alles aussterben

m ü ß t e , was

noch

im ä l t e r e n Zustand verharrt oder nie ü b e r ihn hinauswächst; wie auch im Bronze-

und

Eisenzeitalter

der Menschheit

noch

stein-

zeitliche V ö l k e r e x i s t i e r t e n und bis h e u t e e x i s t i e r e n k ö n n e n , wenn sie noch nicht mit unserer Zivilisation in B e r ü h r u n g

gekommen

sind. Das ändert a b e r nichts an der Tatsache, daß doch in ganz bestimmten

Zeitaugenblicken

der Entstehungs-

und

schwerpunkt für b e s t i m m t e biologische Bauweisen

Ausbildungsliegt. 105

M a n k a n n die erdgeschichtlich a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n G r u n d f o r m e n d e s T i e r r e i c h e s n i c h t n u r als G a t t u n g e n u n d A r t e n , s o n d e r n i m H i n b l i c k auf d i e F o r m g e s t a l t u n g des K ö r p e r b a u e s Wieder

mag

hier

ein k u r z e r Vergleich

mit

dem

auch

betrachten.

menschlichen

K u l t u r s c h a f f e n im P r i n z i p n a h e b r i n g e n , was wir m e i n e n . Es

gibt

Abb. 24. Darstellung eines ältesten Vierfüßlerkörpers, waagrechte Brückengestalt, das grundsätzliche Gegenteil des aufrechten Menschenkörpers. (Nach W. K. Gregory.) —

von der kunsthistorischen

die

Tempel

Mykene; später

es

eine

archäische

gibt

dann

beim

Richtigkeit abgesehen — Bauweise,

eine

christlichen

klassisch

Dom

wie

die

von

griechische

die romanische,

etwa

und

die

für

Kreta

und

römische;

gotische,

die

d e r R e n a i s s a n c e u n d d i e des B a r o c k s . J e d e r d i e s e r B a u s t i l e k o m m t e i n e r g a n z b e s t i m m t e n , ziemlich scharf u m r i s s e n e n , auch m i t

den

s o n s t i g e n K u l t u r v e r h ä l t n i s s e n e n g v e r b u n d e n e n Z e i t e p o c h e zu, w o er allein „ e c h t " war. Auch h e u t e

haben

w i r noch m i t t e n

unter

d e n B a u t e n s p ä t e r e n Stils d i e d e r f r ü h e r e n A r t e n , j a w i r k ö n n e n s o g a r d i e f r ü h e r e n B a u w e i s e n w e i t e r f ü h r e n , a b e r d a n n ist es n i c h t m e h r z e i t g e m ä ß — d a s W o r t „ Z e i t " g a n z aus d e r T i e f e g e n o m m e n , als A u s d r u c k

für

metaphysische

Notwendigkeiten

der

äußeren

G e s t a l t u n g . W ä h r e n d a b e r d i e s t i l h a f t e F o r m g e b u n g sich w a n d e l t e , blieb die B i n d u n g an die i n n e r e Idee b e s t e h e n . Ein T e m p e l

ist

i n d e r I d e e e i n T e m p e l , ob w i r i h n in L u x o r o d e r auf d e r A k r o polis

oder

als H o l z b a u

in

den

Eichenwäldern

Urgriechenlands

f i n d e n ; e i n christlicher D o m e b e n s o . U n d d a s alles gilt in

über-

t r a g e n e m S i n n auch f ü r j e n e m e r k w ü r d i g e T a t s a c h e , d a ß i m organischen

Reich

während

des

Verlaufs

der

Erdzeitalter

u n d Zweige der Pflanzen u n d Tiere ebenso manchen erfahren

haben

Grundbaustilen Da

sich

von

vorneherein

in

Äste

verschiedenen

darstellen.

ist b e i s p i e l s w e i s e

harte 106

bzw.

die

Stilwandel

das W i r b e l t i e r ,

oder weiche, v o m

Hals

bis

gekennzeichnet

zur Schwanzspitze

durch

die

waagerecht

durchziehende

Wirbelsäule,

über

ihr,

gleichsinnig

laufend,

der

Z e n t r a l n e r v e n s t r a n g des R ü c k e n m a r k s . V o r n e s e t z t sich d i e W i r b e l s ä u l e in d e n e b e n s o w a a g e r e c h t l i e g e n d e n S c h ä d e l f o r t , v i e l l e i c h t auch

dieser

aus W i r b e l e l e m e n t e n

mit

gleichzeitigen

Deckenver-

k n ö c h e r u n g e n h e r v o r g e g a n g e n ; e r e n t h ä l t d a s V o r d e r e n d e des z u m Gehirn erweiterten Zentralnervenstranges.

Senkrecht zur Wirbel-

säule aber stehen, mit ihr durch Schulterblatt u n d

Beckengürtel

v e r b u n d e n , die E x t r e m i t ä t e n , die F ü ß e selbst sind sohlengängerisch. M a n k a n n gewisse A l t a m p h i b i e n des E r d a l t e r t u m s als ziemlich r e i n e V e r t r e t e r dieses U r t y p u s der B a u w e i s e —

das W o r t nicht

streng

z e i t l i c h g e m e i n t — a n s e h e n . ( A b b . 24.) D i e s e s i d e a l e W i r b e l t i e r ist a b e r in ganz v e r s c h i e d e n e n

Baustilen

möglich u n d v o r h a n d e n . Z u n ä c h s t als Fisch, w o b e i d i e E x t r e m i t ä t e n als F l o s s e n , d. i. als R u d e r o r g a n e , nicht als F ü ß e e r s c h e i n e n ; ist d i e f ü r d a s W a s s e r t y p i s c h e W i r b e l t i e r f o r m , d i e n u n wieder in den

einzelnen Untergruppen

stilen oder Zeitsignaturen Erdaltertum

mit

mit besonderen

es

ihrerseits Zeitbau-

a u s g e s t a t t e t w i r d . So e t w a i m f r ü h e n

Hautpanzerungen,

dann

vom

oberen

t u m a n u n d das h a l b e E r d m i t t e l a l t e r h i n d u r c h m i t

Erdalter-

Schmelzschup-

p u n g ( A b b . 2 5 ) ; v o n d a a n m i t F e i n s c h u p p e n , wie d i e K n o c h e n fische. Aber stände

es g i b t auch h e u t e noch e i n

zeigendes,

wohl

rückgebildetes

ganz niedere

wurmförmiges

FormzuFischchen

Abb. 25. Typus eines schmelzschuppigen Fisches (Lepidotus) der Jurazeit. Innenskelett noch knorpelig. (Nach E. Kayser.) (Branchiostoma),

ohne

Extremitäten,

lung oder Verknöcherung, durchaus

ein

ohne

jegliche

Verknorpe-

a b e r s o n s t in s e i n e r g a n z e n

Uranlage

Wirbeltier.

Das oben beschriebene Urlandtier macht dann

im weiteren

Ver-

lauf d e r E r d g e s c h i c h t e a l l e r h a n d A b w a n d l u n g e n d u r c h , es e r s c h e i n t a l s R e p t i l , als n i e d e r e s u n d z u l e t z t als h ö h e r e s S ä u g e t i e r .

Aber 107

es gibt auch da wieder i n n e r h a l b gewisser G r u p p e n spezielle Zeitsignaturen.

So wird ein T e i l der permisch-triassischen

Reptilien

um die Z e i t , als das f r ü h e s t e S ä u g e t i e r sich a n d e u t e t , sehr stark mit s ä u g e t i e r h a f t e n M e r k m a l e n ausgestattet, es b e k o m m e n solche F o r m e n die Tracht des Säugetieres, ohne solche zu sein oder in sie wesensmäßig

sich j e umzubilden.

(Abb.

14,

S. 7 8 . ) Als

um

die M i t t e des E r d a l t e r t u m s das s u m p f b e w o h n e n d e L a n d t i e r erschien und

dabei

in

der

allgemeinen K ö r p e r g e s t a l t

der Habitus

des

Lurch- und Molchtieres h e r v o r t r a t , n a h m e n L a n d t i e r e , die von Natur aus k e i n e A m p h i b i e n , sondern Echsen waren, dennoch die Lurchund Molchhaltung fliegenden

im K ö r p e r b a u

an. Als im E r d m i t t e l a l t e r

rechtgehende Echsen im S k e l e t t und Schädel an;

die

Echsen und der Urvogel a u f k a m e n , n a h m e n h a l b auf-

Füße, Beckenbau,

zahnlose K i e f e r

Vogeleigenschaften

mit Hornschnäbeln

sind

solche M e r k m a l e . Wir haben

den Grundtypus

des Fisches geschildert.

Wenn

nun

a b e r sich Fische gelegentlich so u m w a n d e l t e n , daß sie, wie j e n e r Devonfisch im A l t r o t l a n d (S. 9 9 ) , eine zum Lungensack gewandelte Schwimmblase b e k a m e n und andere ihre Vorderflossen wie B e i n e zum K r i e c h e n an L a n d b e n ü t z t e n , so b l i e b e n sie doch im Grunde „Fisch". Umgekehrt:

wenn Landechsen

oder L a n d s ä u g e t i e r e

f ü r das Meeresleben u m g e s t a l t e t e n , so b e k a m e n des

Erdmittelalters,

Wale,

Delphine

der

sie

sich

(Fischechsen

Erdneuzeit)

äußerlich

geradezu täuschend die Fischgestalt übergezogen ( A b b . 17, S. 8 1 ) , e b e n als den typischen B a u s t i l für das M e e r e s l e b e n des Wirbelt i e r e s ; a b e r in i h r e r G r u n d a n l a g e b l i e b e n sie durchaus das, was ihre A h n e n am L a n d waren, nämlich Echsen und S ä u g e t i e r e , sie b e h i e l t e n ihre L u n g e n , aber sie wurden morphologisch und physiologisch so weit umgeprägt, als es unbedingt für die neue Lebensweise und damit f ü r die W e i t e r e x i s t e n z der Gruppe nötig war. D i e Natur brachte

da bei

eigenartige Anpassungen

den

erdmittelalterlichen

Fischechsen

hervor. Die Landechsen legen E i e r , die

o h n e Pflege der Ausbrut durch die S o n n e überlassen werden. Die E i e r der Fischechsen würden nach dem Abwurf in das M e e r zugrunde gegangen sein. D a h e r u n t e r b l i e b hier der Abwurf beschälter E i e r , die J u n g e n wurden nur von f e i n e n H a u t h ü l l e n umgeben und zur Z e i t des Abwurfs in einen rückwärtigen R a u m des Mutterleibes h i n e i n g e b o r e n , der offenbar mit dem f r e i e n Meerwasser in

Ver-

bindung stand. V o n dort streckten sie die Schwänze zuerst hinaus, bis durch deren Bewegungen

108

die zweiflügelige F l o s s e

voll

aus-

gebildet war. Dann wurden sie völlig ausgestoßen und konnten nun bei Verlassen des Mutterleibes sofort frei im Meer leben. Oder eine andere Anpassung: Die Wirbelsäule der Fischechse ist ersichtlich in den unteren Schwanzlappen abgeknickt. Das h a t t e bei dem steifen torpedoartigen Körper, dessen gestreckter Schädel starr auf dem kurzen Hals aufsaß, die praktische Bedeutung, daß bei nur geringer, vielleicht mehr vibrierender Bewegung der Schwanzflosse der untere Lappen fortgesetzt einen stärkeren Druck

Abb. 26. a und b Prinzip der radialen Fiinfstrahligkeit beim Stachelhäuter. (Nach Zittel.) a) Seeigel (Cidaris); b) Seelilie rinus), der Stiel sehr verkürzt gegeben. Oberjurazeit.

(Apioc• wieder-

e r f u h r als der obere, wodurch die Schnauze mechanisch über die Wasseroberfläche herausgehoben blieb. Die Tiere konnten somit, da sie L u n g e n a t m e r waren und nur zum Tauchen und Schwimmen unter Wasser Luft einnahmen, in Ruhestellung unbekümmert atmen. Wieder andere Grundbaustile haben etwa die Gliedertiere, also die Insekten und Krebse und ihre vielgestaltigen ausgestorbenen Repräsentanten (Trilobiten, Merostomen usw.), bei denen ganz im Gegensatz zum Wirbeltier das durchgehende „ R ü c k e n m a r k " von Anfang an auf der Bauchseite liegt, also ein „Bauchmark" ist. Dementsprechend gibt es auch keine Wirbelsäule, auch nicht eine nur weiche stranghafte, und auch die Extremitäten sind wie die Flügel bei Insekten nur Ausstülpungen der Körperhaut und vom Bauchmark her innerviert. Ähnlich verhält es sich bei den Würmern. Wieder anders ist der Bau der Stachelhäuter (Seesterne, Seeigel, Seelilien). (Abb. 26.) Diese sind in der Grundanlage fünfstrahlig 109

radiär, wiederholen in j e d e m der fünf Körperabschnitte d i e s e l b e « inneren Organe, wenn auch, um die Einheitlichkeit des Organismus fertigzustellen, manches einheitlich z u s a m m e n g e n o m m e n ist, wie etwa der E i n g a n g und Auslauf des inneren Wassergefäßsystems. Die Arme des Seesterns sind beim Seeigel in eine kalkige K ö r p e r k a p s e l hineingenommen, bei den mit ihrem Stil festgewachsenen Seelilien sind sie zu mehr oder weniger langen und verzweigten Armen erweitert, mit denen die Tiere ihre Nahrung beiholen. A u d i d i e Schwämme und K o r a l l e n sind radiär gebaut. Von den Würmern ableitbare, f ü r alle F o r m a t i o n e n bezeichnende Schalenträger unter den niederen Tieren sind die Tascheln (Brachiopoden) und die Muscheln. B e i d e gehören grundverschiedenen Ästen des niederen Tierreiches an, aber es liegt bei beiden die A n l a g e eines den K ö r p e r völlig umhüllenden K a l k g e h ä u s e s vor. Dasselbe ist zweiklappig. Aber bei den Tascheln (Abb. 1 c, 2 a) bedecken die beiden K l a p p e n Rücken- und Bauchseite, bei den Muscheln (Abb. 2 e) dagegen rechte und linke F l a n k e . Bei den Schnecken besteht typischerweise nur ein Gehäuse, aber bei den ältesten war es, ehe die Spiralröhre kam, nur eine einfache Mütze, unter deren Schutz sich das Weichtier an den harten B o d e n kauerte. Nun gibt es bei den genannten Gehäuseträgern gleichsinnige Abwandlungen, die von j e d e m mit derselben Baustilforin beantwortet werden, wobei aber wiederum die Grundorganisation als solche erhalten bleibt, trotz aller äußeren Gleichheit, die erzielt wird. Indem die Tiere die eine ihrer zwei K l a p p e n am B o d e n festlöten, wächst der K ö r p e r mit der anderen empor, die festgelötete wuchert und bildet alsbald einen gestreckten Sockel, so daß er zu einer konisch hornförmigen Gestalt auswächst, bei der die mit e m p o r g e n o m m e n e K l a p p e als Verschluß dient, su wie bei vielen Schnecken der Gehäusedeckel. Es ist die F o r m der im Abschnitt I, 3 beschriebenen Rudistenmuscheln. Es gibt sogar einen tertiärzeitlichen K r e b s , der mit dem Rückenpanzer festwächst, ebenso damit emporwuchert und gleichfalls die „ R u d i s t e n f o r m " annimmt. Aber selbst bei solch weitgehenden Modifikationen der ursprünglichen F o r m a n l a g e bleibt die Grundorganisation, wie erwähnt, durchaus erhalten, und die Embryonalzustände aller dieser G r u p p e n geben den deutlichen Hinweis auf ihre bestimmte Stammeszugehörigkeit. Es gibt aber auch Grundorganisationen, die nicht auf diese Weise sekundär, sondern schon primär f ü r das Festgewachsensein ange110

legt sind. Es sind die H y d r o z o e n , die S c h w ä m m e u n d die K o r a l l e n . Die b e i d e n l e t z t e r e n h a b e n d a h e r vom U r s p r u n g h e r schon d i e H o r n - o d e r Beücherform, die sich die zuvor b e s c h r i e b e n e n Schalenträger b e i m F e s t w a c h s e n erst durch U m b i l d u n g e r w e r b e n . Ein M i t t e l d i n g sind die H y d r o z o e n des Süßwassers u n d Meeres, d e r e n grundsätzlich b ä u m c h e n a r t i g e s Angewachsensein durch Q u a l l e n b i l d u n g abgelöst w i r d . Es b i l d e n sich an i h r e n Z w e i g s p i t z e n

Abb. 27. Urinsekt der Karbonzeit, mit vorderen festen Tragflächen und nicht zusammenklappbaren Flügeln. (Nach Handlirsch.)

K n o s p e n , die danach f r e i w e r d e n u n d als s e l b s t ä n d i g e r a d i ä r e Glocken f r e i h e r u m f l o t t i e r e n , L a r v e n a u s s e n d e n , die sich alsbald wieder f e s t s e t j e n u n d n e u e r d i n g s zu B ä u m c h e n auswachsen. F ü r das Schwimmen u n d Fliegen gibt es f ü r die e i n z e l n e n G r u p p e n d e r T i e r w e l t gleichfalls, je nach d e r G r u n d o r g a n i s a t i o n u n d teilweise auf b e s t i m m t e Z e i t a l t e r v e r t e i l t , verschiedene Baustile. Die fliegenden I n s e k t e n d e r S t e i n k o h l e n z e i t (Abb. 27) h a b e n einige b e s o n d e r e E i g e n t ü m l i c h k e i t e n , es w a r e n libellenähnliche F o r m e n . Sie h a t t e n an den v o r d e r e n K ö r p e r a b s c h n i t t e n noch s t a r r e Tragflächen, u n d die beweglichen F l ü g e l selbst k o n n t e n sie in R u h e s t e l l u n g nicht auf dem R ü c k e n bzw. s e i t w ä r t s z u s a m m e n legen, s o n d e r n m u ß t e n wie ein F l u g z e u g m i t g e s t r e c k t e n F l ü g e l n zur R u h e n i e d e r g e h e n . Sie k a m e n wahrscheinlich u n m i t t e l b a r als L a r v e n aus dem Wasser, u n d in diesem Augenblick e n t s p a n n t e n 111

sie i h r e n F l u g a p p a r a t , d e r d a n n in d i e s e r F o r m b e s t e h e n b l i e b . Es r e p r ä s e n t i e r t - dies d e n ä l t e s t e n Z u s t a n d .

Erst später,

frühestens

v o n d e r P e r j n z e i t a b , k o m m t d a n n als j ü n g e r e Z e i t f o r m e n b i l d u n g das

uns

heute

Flugbau

gewohnte

„normale"

Insekt

mit

entsprechendem

auf.

Abb. 28 a. Extrem entwiclcelter Flugdrache der Oberkreidezeit aus Nordamerika, 7 m Flügelspannweite: Lebensbild. (Nach Abel.) Beim Wirbeltier k o m m e n im Erdmittelalter Flugechsen, an

deren

Vorderextremität der vierte Finger armstark entwickelt war, vor. ( A b b . 16, S. 80.) A n i h m e n t l a n g e r s t r e d e t e sich e i n e

Flughaut,

d i e sich a n d e r K ö r p e r f l a n k e n o c h h i n a b z o g u n d bis zu d e n O b e r schenkeln

reichte.

Der

Körper

war

fein

flaumig

behaart.

Die

B e i n c h e n w a r e n d ü n n u n d z a r t , w u r d e n auch n i e m a l s w i e b e i d e n Vögeln

zum Stehen

oder H ü p f e n benützt, vielmehr hingen

sich

die Tiere bei R u h e s t e l l u n g mit d e m Kopf nach u n t e n wie Fledermäuse

daran

auf.

die etwas ü b e r klammerten Dieser

Mit

den

die Wurzel

bekrallten des

übrigen

verstärkten

sie sich v i e l l e i c h t n u r v o r ü b e r g e h e n d

allgemeine

Flugtiertypus

der

Vorderfingern,

vierten

vorragten,

irgendwie

erdmittelalterlichen

h a t t e d a n n noch s e i n e s p e z i e l l e n A b w a n d l u n g e n : d i e

an.

Echse

schwanzlose

F o r m mit Rüttelflug u n d die mit langem sehnig versteiftem Ruderschwanz, die elegant

fliegende

G e s t a l t . L e t z t e r e k o n n t e auch d u r c h

Z u s a m m e n l e g e n d e r H a u t f l ü g e l b o o t a r t i g auf d i e M e e r e s o b e r f l ä c h e niedergehen.

112

Eine

bizarre

Ausgestaltung

sind

am

Ende

der

Kreidezeit die großen Flugdrachen mit 7 m Flügelspannweite, der gesamte F l u g a p p a r a t ebenso gebaut wie bei den vorigen, aber mit ganz kleinem Körper im Verhältnis zur Flügelgröße und einem langen unbezahnten breiten storchenartigen Schnabel, als dessen Gegengewicht ein rückwärtiger Knochenkamm erscheint. Die aus dem Meerwasser aufgenommene Nahrung wurde in einem leichten Kehlbrustsack anverdaut und konnte daher rasch durch den kleinen

Abb. 28 b. Skelett

des extrem entwickelten Vgl. Abb. 28 a.

Flugdrachen.

Körper gehen, der nicht mit einem Magen und langein Gedärme beschwert war. (Abb. 28 a, b.) Die andere, alsbald erscheinende vollkommenere Lösung des Flugproblems des Wirbeltieres bahnte der Urvogel an. Dieses älteste befiederte Wesen der Jurazeit (Archaeopteryx) w a r ein taubengroßes, extrem spezialisiertes Reptil mit noch voll bekrallten vier Extremitäten, an den Armen die Federflügel, Beine und Schwanz ebenfalls befiedert. Mit den kralligen Füßen erkletterte es Felsen und Bäume, warf sich, wenn es in der Luft eine Beute erblickte, von dort herab mit unbeholfenem Flattern. (Abb. 18, S. 82.) Die K i e f e r waren bezahnt, die Wirbelsäule mit der Beckenregion noch nicht zu einer festen Knochenpartie verschmolzen, der Schwanz noch aus Knochenwirbeln bestehend, die vier Füße noch vollständig vorhanden — das alles sind echte Echseneigenschaften gegenüber den späteren echten Vögeln, mit denen es das Gefieder, die gewölbte Schädelkapsel, die hohlen Knochen u. a. gemeinsam hat. Erst mit der Kreidezeit kommt dann die volle Lösung der S

Dacque,

Vermächtnis

1X3

V o g e l g e s t a l t als n e u e Z e i t f o r m e n b i l d u n g . D e r V o g e l ist das grundsätzlich a u f das F l i e g e n , also das L e b e n i n d e r L u f t

eingestellte

V i e r f ü ß l e r w e s e n , w ä h r e n d es die Echsen

und der Urvogel

o p t e r y x n u r in e i n e r menden Weise

Archae-

vorausneh-

waren.

E b e n dies gilt auch von der F l e d e r m a u s als e i n e m S ä u g e t i e r . S i e übernimmt Lösung

gewissermaßen

zur

Flugproblems

von

ihres

d e r e r d m i t t e l a l t e r l i c h e n E c h s e die Hautflügel,

die

gleichfalls

an

den F l a n k e n u n d ü b e r die O b e r schenkel

ausgespannt

bei

Fledermäusen

den

sind.

Hinterbeine

zart, nur zum

hängen

bei

wie

jenen

der K ö r p e r gleichfalls haart,

nur

ist

das

Auch

sind

die Auf-

geeignet, flaumig

ganze

be-

Hand-

s k e l e t t , nicht b l o ß ein F i n g e r , zur Aufnahme gert,

der F l u g h a u t

ähnlich

Tuchüberzug

wie

verlän-

Gestänge

eines

und

Schirmes.

Es

ist also, wir w i e d e r h o l e n es, diese A r t der A u s g e s t a l t u n g i m G e g e n satz zum V o g e l die B e h e l f s l ö s u n g und

Stilform

sprünglich

für

dem

das

Flug

nicht

ur-

zugedachte

Wirbeltier und eben eine sekundäre

des BeAbb. 29. Rekonstruktion lemnitentieres b, mit dem harten, im Körperende eingebetteten Kalkstachel a. Oben am Hals die Mündung des Trichterorgans zum Ausstoßen des Wassers. Nächstverwandt den Ammoniten und Nautiliden. Jura- und Kreidezeit. (Nach Abel.)

Anpassung,

Schwimmen

des

Fisches

eine

andersartigen gegangen

Formen

a u f d e m W e g ü b e r die Echse

oder

sondern ist

die

hervor-

sein, a b e r g e w i ß den

Archaeopteryx,

vermutlich

Funktion,

nicht

fliegende

unmittelbar

Vierfüßlern. die

unmittelbar

aus s e i n e m G r u n d b a u sich e r g i b t . W e n n m a n sich v o r s t e l l e n

114

pri-

der „ e c h t e " V o g e l t y p u s aus e i n s t

aus u n b e k a n n t e n Das

nicht

m ä r e A n l a g e . F r e i l i c h d ü r f t e auch

will,

w i e die Fischgestalt geschichtlich einmal aus einer p r i m i t i v e n W i r b e l t i e r f o r m wie dem oben g e n a n n t e n Branchiostoma a l l e n f a l l s e n t s t a n d e n sein könnte, so mag eine Überlegung Plat} finden, wie w i r sie im vorigen Abschnitt (S. 94) schon anzustellen Gelegenheit f a n d e n . Bei n i e d e r e n T i e r e n k o m m e n a n d e r e B a u t y p e n f ü r das Schwimmen zur A n w e n d u n g , so bei Krebsen u n d Trilobiten einerseits B o r s t e n f ü ß e , andererseits seitliche R u d e r p a d d e l n . Hautflügel, die aus der Umformung des Fleischfußes hervorgingen, zeichnen flottschwimmende, mit der Kreidezeit erstmals erschein e n d e Meerschnecken mit g l a s k l a r e n d ü n n e n R ö h r e n g e h ä u s e n aus. Die seit dem E r d m i t t e l a l t e r e n t f a l t e t e n T i n t e n k r a k e n haben ein Trichterorgan, das, mit Wasser vollgepumpt, r a k e t e n a r t i g dieses auspufft und so den Körper in entgegengesetzter Richtung weitertreibt. (Abb. 29.) Dieses Organ kommt auch den einstigen Ammonshörnern zu, die, mit den T i n t e n k r a k e n nächstverwandt, meist flottschwimmende Tiere des f r e i e n Meerwassers waren. Ein schönes Beispiel, wie man aus dem Körperbau und dem f ü r bestimmte Lebensweisen angemessenen Baustil auf das Leben ausgestorbener fossiler, also heute nicht mehr u n m i t t e l b a r in ihrer B e t ä t i g u n g beobachtbarer Tiere schließen k a n n , bieten die silurischen Merostomen, von denen im vorigen Abschnitt als Bewohnern des alten roten Nordgebietes die R e d e war. Unter vielen ihresgleichen g r e i f e n wir die umstehend abgebildeten vier T y p e n heraus. (Abb. 30.) Die erste ist eine normale bodenbewohnende Form mit entsprechenden Kriechfüßen. Ihr Schwanzstachel dient beim Rückwärtsgehen zur Zerfurchung des Schlammbodens, aus dem sie ihre Nahrung holte. Die zweite Form hat sehr ausgedehnte Füße, ersichtlich nicht zum einfachen Kriechen eingerichtet, sondern dazu dienend, im ausgebreiteten Zustand als S p e r r w e r k gegen das rasche V e r s i n k e n im Schlammboden zu wirken. Die Art lag also mehr träge da und ist wenig g e l a u f e n , hat sich wohl nur langsam kriechend schiebend fortbewegt. Die dritte Form macht auf den ersten Anblick den Eindruck eines rasch durch das Wasser dahinschießenden Krebses, dessen E x t r e m i t ä t e n fast ganz reduziert sind, bis auf die hintersten, die zu kurzen k r ä f t i g e n R u d e r p a d d e l n umgebildet sind. Die beiden Großaugen liegen am Vorderrand des Kopfes, ganz so, wie ein rasch dahinschwimmendes Tier sie braucht. Dagegen waren die Augen des vorher e r w ä h n t e n Bodenliegers entsprechend nach oben gerichtet und auf der Schädeloberseite zu115

sammengerückt. B e i dem erstbeschriebenen normal kriechenden T i e r aber lagen sie halb randständig, weil sie in dieser Stellung sowohl f ü r das langsame Vorwärtskriechen wie f ü r das Stilliegen am besten brauchbar waren. Die vierte Gestalt endlich erscheint

Abb. 30. Vier Typen von Merostomen, krebsartigen Süßund Brackwassertieren der Silurund Devonzeit. Abwandlungen ein und derselben Grundform zu verschiedenen Lebensweisen. (Nach Clarke und Ruedemann.) a) Beweglicher Bodenbewohner, mit dem Schwanzstachel den Schlamm rückwärts durchfurchend, Augen halb mittelständig; b) träge liegender Bodenbewohner, Augen dementsprechend oben zusammengerückt; c) flotter, pfeilgerade eilender Schwimmer, Stachel nur noch der Körperzuspitzung dienend, Augen randständig; d) nach allen Richtungen aufund niedergehender Schivimmer, Schwanz ein senkrecht verstellbares Steuer, lange Greifscheeren.

nach ihrem K ö r p e r b a u gleichfalls als Schwimmtier, aber der in einer Spitze zulaufende K ö r p e r ist hier distal mit einem aufund abwärts beweglichen Steuerblatt versehen, so daß ganz ersichtlich die Schwimmbewegung rasch nach oben und unten umgestellt werden konnte, das Tier also gewiß nicht p f e i l g e r a d e durch das Wasser schoß, sondern in fortwährend sich ändernden Wellenbewegungen. Dem entsprechen nun die langen Greifscheren, mit 116

denen es seine B e u t e e r g a t t e r t e . Zu diesem Zweck m u ß t e eben die V o r w ä r t s b e w e g u n g d a u e r n d rasch u m g e s t e l l t w e r d e n k ö n n e n . A u d i hier l i e g e n die A u g e n sinngemäß ganz vorne. So v e r r ä t die B a u a r t des Körpers beim selben Grundtyp doch die verschiedenartigsten L e b e n s w e i s e n des merostomen Krebstieres als solchem, aber alles ist trog seiner Verschiedenheit i n n e r h a l b derselben e n g e r e n Grundorganisation beschlossen. Die verschiedenen B a u f o r m e n entsprechen oft verschiedenen biologischen Grundtendenzen in der Natur. So ist eine ganz besonders a u f f a l l e n d e Zeitsignatur i m E r d m i t t e l a l t e r , zuerst schwach b e g i n n e n d in der Triaszeit, dann i m J u r a sich vollendend, das Sicherheben des V i e r f ü ß l e r s über den Boden. W a r e n bis dahin die Kriechtiere und Lurche mit ihrem Gleichgang auf allen V i e r e n in ziemlich wagrechter L a g e der Ausdruck f ü r die biologische Zeitsignatur des an den Boden gebannten W i r b e l t i e r e s gewesen — es sei an die schon beschriebene altertümliche Grundform des Vierf ü ß l e r t i e r e s (Abb. 24, S. 106) erinnert —, so k a m e n mit dem Beginn des E r d m i t t e l a l t e r s i m Körperbau der Echsen die ersten Anzeichen zum Vorschein, daß das L a n d t i e r in gewissen Gruppen sich zum Erheben des Körpers rüstete. Es w e r d e n die Hinterbeine stärker, länger, die W i r b e l s ä u l e richtet sich auf, der lange starke Schwanz dient zur S t ü g e bei dieser H a l t u n g . Aber die Strebung ging weiter. Denn als Ausdrude der höchstmöglichen Erhebung über den Boden erobert nun der R e p t i l s t a m m auch die L u f t durch die Ausbildung der Flugechse, zulegt des Urvogels, wie w i r sie beschrieben haben. Überdies nehmen die Bodenbewohner in der gleichen Zeit, wie e b e n f a l l s schon a n g e d e u t e t , V o g e l m e r k m a l e im Skelett und Schädelbau an. Es gab u n t e r ihnen aber auch Bodenbewohner mit hohlen Knochen, die wohl sehr flüchtig waren und hoch springen konnten, vielleicht ihre L u f t s p r ü n g e noch durch seitliche H a u t f a l t e n zwischen Oberarm, Oberschenkel und F l a n k e n u n t e r s t ü g e n d , die beim Sprung durch Streckung der E x t r e m i t ä t e n ausgespannt wurden und das H e r a b g l e i t e n in längerem Bogen wohl e r l a u b t e n . J e n e r Erhebung über den Boden, die mit der Ausbildung des Flugtieres endete, steht sozusagen polar das H i n a b g e h e n von einigen Echsengruppen u n t e r den Boden gegenüber. Die Schildkröte, am F r ü h b e g i n n des E r d m i t t e l a l t e r s a u f t r e t e n d , b e d e u t e t gewissermaßen ein sich in eine Höhle einbauendes Kriechtier, sie bleibt aufs engste und schwerfälligste an den Boden angepreßt. Das ist 117

e i n e s p e z i e l l e B a u a r t , die n u n auch r e i n als P a n z e r b i l d u n g verknöcherte

Hautbedeckung

von

einigen

anderen

durch

Echsenformen

d e r s e l b e n Z e i t n a c h g e a h m t w u r d e , b e i s p i e l s w e i s e von e i n e r M c e r echse, die so wie e i n e S c h i l d k r ö t e

aussieht.

(Abb. 31.)

Abb. 31. Schildkrötenartiges Meerreptil (Placochelys) Triaszeit mit Panzerung; keine Verwandtschaft mit Schildkröten. Beispiel einer Zeitformenbildung. Jaekel.)

weitere

Hinabgehen

der E c h s e n

unter

den

Boden

Aber

das

der echten (Nach

vollzieht

sich

durch die E n t s e n d u n g m e h r e r e r R e p t i l s t ä m m e in das M e e r , es k o m m e n die schon b e s c h r i e b e n e n M e e r e c h s e n . D a finden wir n e b e n d e r vollendeten

Fischgestalt

auch

längliche,

aalartige

Formen,

die

schließlich auch zu e i n e r A r t g r o ß e r S e e s c h l a n g e w e r d e n o d e r zu F o r m e n mit t o n n e n f ö r m i g e m R u m p f , starken, großen Ruderpaddeln u n d s e h r l a n g e n s c h l a n g e n a r t i g e n H ä l s e n . Das alles als g e g e n p o l a r e B e w e g u n g gegen das E r h e b e n in die L u f t : das H i n a b g e h e n in das Meer. Diese beiden biologischen T e n d e n z e n von den

Halbaufrech-

t e n m i t i h r e n R i e s e n g e s t a l t e n bis zu den F l u g d r a c b e n d e r K r e i d e 118

z e i t e i n e r s e i t s u n d bis zu d e n S e e s c h l a n g e n a n d e r e r s e i t s b e d e u t e n F o r m s t i l e e i n e r l a n g e n Zeit, d i e h i e r i n z u m F a b e l h a f t e s t e n geh ö r e n , d e m w i r ü b e r h a u p t i m B e r e i c h des h ö h e r e n L e b e n s in d e r Erdgeschichte b e g e g n e n . W i e f ü r die e i n z e l n e n E r d z e i t a l t e r u n d k ü r z e r e Z e i t p e r i o d e n bes t i m m t e Tier- u n d P f l a n z e n g a t t u n g e n b e z e i c h n e n d sind, so auch b e s t i m m t e B a u s t i l e bei n i e d e r e n u n d h ö h e r e n T i e r e n . Schon zuvor w u r d e n e i n i g e B e i s p i e l e h i e r f ü r g e n a n n t : die S ä u g e t i e r h a f t i g k e i t v o n R e p t i l i e n u n d die V o g e l h a f t i g k e i t d e r h a l b a u f r e c h t g e h e n d e n S c h r e c k s a u r i e r , d i e i n den Z e i t e n des Erscheinens d e r S ä u g e t i e r e bzw. V ö g e l sich b e i h e t e r o g e n e n G r u p p e n a u s p r ä g t . Ebenso w i r d d i e P l a t t e n p a n z e r u n g d e r S c h i l d k r ö t e n e n t s p r e c h e n d v o n verschied e n e n T y p e n gleichzeitig m i t g e m a c h t . Es w e r d e n auch von bes t i m m t e n H a u p t ä s t e n des T i e r r e i c h e s zu b e s t i m m t e n Z e i t e n gew i s s e E n t w i c k l u n g s s t u f e n d u r c h l a u f e n . So ist d e r d e n Ammonsh ö r n e r n u n m i t t e l b a r v e r w a n d t e S t a m m der m i t l u f t k a m m e r i g e r Schale a u s g e s t a t t e t e n N a u t i l i d e n i m f r ü h e s t e n E r d a l t e r t u m zuerst g e r a d e g e s t r e c k t , d a n n w e r d e n die G e h ä u s e g e b o g e n , d a n n a l l m ä h lich mehr Spiral, a b e r noch ni£ht völlig geschlossen, bis sich d a n n d i e U m g ä n g e a n e i n a n d e r l e g e n , sodann sich m e h r zu u m g r e i f e n b e g i n n e n , bis endlich der j e w e i l s Ietjte U m g a n g die v o r h e r i g e n v ö l l i g u m f a ß t . M a n h a t die g e r a d e g e s t r e c k t e n „ O r t h o c e r a s " ben a n n t , die e i n g e r o l l t e n „ N a u t i l u s " . (Vgl.. S. 142.) J e t z t w e i ß m a n , d a ß dies k e i n e geschlossenen G a t t u n g e n sind, sondern Entwickl u n g s s t a d i e n , die von v i e l e n v e r s c h i e d e n e n Z w e i g e n d i e s e r Gruppe ziemlich gleichzeitig d u r c h l a u f e n w e r d e n . Auch f ü r die Meeresk r e b s e des E r d m i t t e l a l t e r s ist d a s u n a b h ä n g i g g l e i c h z e i t i g e Durchl a u f e n solcher F o r m s t a d i e n e r w i e s e n . B i s ins k l e i n s t e d e r K ö r p e r b i l d u n g k a n n m a n solche Zeitsignat u r e n oft v e r f o l g e n . Die ä l t e s t e n G l a s s c h w ä m m e b a u e n n u r aus e i n f a c h e n sich k r e u z e n d e n F ä d e n i h r K i e s e l g e r ü s t a u f , d i e spät e r e n b e k o m m e n m e h r a c h s i g e N a d e l n , noch s p ä t e r w e r d e n kunstv o l l u n d sozusagen m i t g r ö ß t e r technischer V o l l e n d u n g konstrui e r t e G i t t e r g e r ü s t e g e b a u t . Die Meeresschnecken des f r ü h e s t e n E r d a l t e r t u m s b i l d e n auf i h r e m G e h ä u s e e i n f a c h e S p i r a l r i p p e n aus, d i e Q u e r r i p p e n sind noch v e r h ä l t n i s m ä ß i g grobe A u f b l ä t t e r u n g e n der A n w a c h s l a m e l l e n , a b e r schon in d e r S t e i n k o h l e n z e i t h a b e n d i e M e e r s c h n e c k e n auch v o l l e n d e t e Q u e r r i p p e n . Die K n o t e n u n d S t a c h e l n auf d e n G e h ä u s e n der devonischen Schnecken sind als h o h l e R ö h r e n e n t w i c k e l t , die v o r a u s g e h e n d e n der S i l u r z e i t be119

stehen nur in der Zuspitzung der genannten Aufblätterungen; die späteren aber zementieren die Röhrenknoten von innen her fest aus. Die Ammonshörner haben, wie der Nautilus, eine dicht luftgekammerte feine spiralige Schale. Die Kammerwände der frühesten sind einfach geknickt, die der zu Anfang des Erdmittelalters folgenden Gattungen vielfach gebogen; die der sodann bis ans Ende des Erdmittelalters folgenden Typen haben äußerst verwickelte, ästchenartig hin und hergefaltete Wände. (Abb. 1 d, 2 c.) Nach diesem Baustil kann man, wie auch bei 'den obengenannten Schnecken, genau das Alter von Gesteinsschichten feststellen, auch wenn man nur ein Bruchstück einer Schale darin findet, so wie der Archäologe aus einer Pfeilspitze oder einer Topfscherbe oder nur aus einem Ornament das menschheitsgeschichtliche Alter festzustellen vermag. Es macht den Eindrudk, als ob die Natur eben in einer gewissen Zeit nur in einer bestimmten Fähigkeit der Formgebung verharre, andere technisch-organische Feinheiten noch nicht ausgebildet habe und nur in einer ganz bestimmten Weise bauen könne; auch hier wäre der Vergleich mit dem menschlichen zeitbedingten Können angebracht. Es ist nicht so, als ob jeweils eine Zeitsignatur oder ein Zeitbaustil sich nun durchweg auf alle Gruppen gleicherweise erstrecken würde. Denn es gibt immerzu nicht nur einen, sondern gleichzeitig in anderer Richtung mehrere, ja viele Baustile, je nachdem, was man da an Eigentümlichkeiten ins Auge faßt; es gibt da stets alle möglichen Übergangsstadien. Greift man, wie in den genannten Beispielen, eines heraus, so sieht man dieses bei einer bestimmten Anzahl Gattungen voll verwirklicht, andere Gattungen haben es weniger deutlich, sie nehmen dafür an einem anderen Zeitmerkmal stärker teil und sind für dieses die vollständigeren Zeugen. Das geht weiter, so daß wir zu allen Zeiten Gattungen haben, in denen sich auch mehrere Signaturen überschneiden- und so ein Gemisch aus allen möglichen Formgebungen entsteht. Auch gibt es zeitliche Vorausnahmen und Nachschläge — die Natur arbeitet nicht schematisch. Noch ein wichtiges Ergebnis bringt dieses Zeitformengesetj mit sich; man kann daraus auf das erdgeschichtliche Entstehungsalter von Tierformen schließen, die, mit solchen früheren Zeitmerkmalen behaftet, sich in der heutigen oder in späteren urweltlichen Zeiten finden. Hierfür ein gutes Beispiel. In der zweiten Hälfte des Erdaltertums bis in die untere Triaszeit hinein war bei damals neu 120

e n t w i c k e l t e n R e p t i l i e n ein d r i t t e s kleineres Auge auf dem dach e i n e

Schädel-

charakteristische

Zeit-

s i g n a t u r ; a l l e R e p t i l i e n u n d Amp h i b i e n j e n e r P e r i o d e b e s i t j e n es. (Abb.

32.)

denen

Vierfüßlern

mehr lebt

Bei

später

ausgebildet h e u t e noch

ist

entstanes

nicht

worden.

Nun

auf

Neuseeland

e i n e k l e i n e b i z a r r e E c h s e , die j e n e s Organ

noch

vollentwickelt,

von

e i n e r d ü n n e n H a u t ü b e r k l e i d e t , im Schädeldach wir auch

trägt.

für

Daher

die

wissen

was f ü r ein O r g a n das Loch

auf

dem

Der

Schädeldach

Spezialstamm

Abb. 32. Schädel eines permischen Amphibs mit kleinem Scheitelauge. Größe etwa 2:1. (Nach Jaekel.)

Frühreptilien, enthielt.

jener

neuseeländi-

schen E c h s e a b e r ist bis h i n a b in die u n t e r e T r i a s z e i t durch F u n d e b e l e g t . W i r k ö n n t e n , auch

ohne

diese F u n d e , nach d e m O r g a n b e s t i m m t s a g e n , d a ß i h r S t a m m in einiger

Abwandlung

bis

in

das

Ende

des

Erdaltertums

zurück-

r e i c h e n m u ß . M a n k a n n aus d e m V o r h a n d e n s e i n von O r g a n e n o d e r B a u s t i l e n f r ü h e r e r E p o c h e n b e i s p ä t e r e n F o r m e n das erdgeschichtliche A l t e r e r s c h l i e ß e n , auch w e n n k e i n e v e r m i t t e l n d e n , nach rückwärts w e i s e n d e n F u n d e v o r l i e g e n . Es ist w e i t e r b e z e i c h n e n d ,

daß

v o r der M i t t e des E r d a l t e r t u m s , in d e r S i l u r z e i t , b e i F i s c h e n dieses o b e r e A u g e n i c h t , wie b e i d e n s p ä t e r e n E c h s e n u n d zwischen

den

Scheitelknochen

lag,

also

ein

Amphibien,

„Scheitelauge"

war,

s o n d e r n als ein „ S t i r n a u g e " sich zwischen d e n S t i r n k n o c h e n b e f a n d . (S. 2 1 6 . )

H i e r ist also das Z e i t m e r k m a l

W e i s e v e r w i r k l i c h t , u n d Schädel

in w i e d e r e i n e r a n d e r e n

mit Stirnauge

e i n e weit f r ü h e r e E p o c h e als die m i t

gehören

somit

in

Scheitelauge.

D i e Z e i t f o r m e n b i l d u n g ist nicht das einzige b e s t i m m e n d e

Moment

zur H e r v o r r u f u n g von g l e i c h a r t i g e n G e s t a l t e n , die g e n e t i s c h nicht n ä h e r z u s a m m e n g e h ö r e n . D i e N a t u r s c h e i n t v i e l m e h r das

Bedürf-

nis zu h a b e n , i m m e r w i e d e r in n e u e n Z e i t a l t e r n biologisch gleichw e r t i g e u n d g l e i c h a r t i g e G e s t a l t e n zu schaffen, die i m m e r

wieder

von a n d e r e n G r u n d o r g a n i s a t i o n e n h e r v e r w i r k l i c h t w e r d e n m ü s s e n . So

werden

Krebsen

die F o r m e n

und

der

krebsartigen

alten

Trilobitenkrebse

Gestalten

abgelöst;

die

von

späteren

paläozoischen 121

k a p s e i f ö r m i g e n U r s t a c h e l h ä u t e r von e r d m i t t e l a l t e r l i c h e n Seeigeln; die G r a p t o l i t h e n v o n s p ä t e r e n H y d r o z o e n , die m i t t e l a l t e r l i c h e n Fischechsen v o n W a l e n , D e l p h i n e n u n d Seelöwen, die f r ü h e n u n d späteren Beuteltiere von den höchstorganisierten Säugetieren. E i n e S ä u g e t i e r s c h i l d k r ö t e erscheint im q u a r t ä r z e i t l i c h e n Rieseng ü r t e l t i e r , s t a t t d e r Flugechsen d e r J u r a z e i t k o m m e n die fliegend e n S ä u g e t i e r e u n d vieles a n d e r e . Auch h i e r d u r c h e r g e b e n sich k o n v e r g e n t e F o r m b i l d u n g e n , die aber, wie b e t o n t , etwas ganz and e r e s sind als die z u v o r b e s p r o c h e n e n Z e i t f o r m e n b i l d u n g e n . Die N a t u r v e r f o l g t die v e r s c h i e d e n s t e n Wege, u m zu i h r e m g r o ß e n F o r m e n r e i c h t u m zu g e l a n g e n , a b e r es geht nicht ins U f e r l o s e , sond e r n zugleich b i n d e t sie sich an b e s t i m m t e G e s t a l t u n g e n , die f ü r b e s t i m m t e Lebenszwecke sich b e w ä h r t e n . Alles aber, was h e r v o r k o m m t , entwickelt sie aus d e m G e s a m t s t r o m des organischen Lebens, dessen F a d e n noch nie abgerissen ist, seit ü b e r h a u p t das L e b e n auf d e r E r d e erschien.

4. Allgemeines

zur

Abstammungslehre

T i e r e wie P f l a n z e n , das g e s a m t e organische Reich l ä ß t sich mit allen l e b e n d e n u n d u r w e l t l i c h e n A r t e n als eine S t u f e n l e i t e r d e r O r g a n i s a t i o n e n d a r s t e l l e n . Man e r h ä l t so das Bild eines vielfach v e r z w e i g t e n u n d im e i n z e l n e n v e r ä s t e l t e n B a u m e s . D a b e i n e h m e n die e i n f a c h s t e n G e s t a l t u n g e n die u n t e r s t e n Ä s t e u n d Zweige ein, die v o r g e s c h r i t t e n e r e n die m i t t l e r e n , die h ö h e r e n s t e h e n w e i t e r oben u n d die höchsten ganz oben in den l e g t e n Spitjen. Alle diese G r u n d o r g a n i s a t i o n e n sind n u r in F o r m wirklicher jetjiger o d e r e i n s t i g e r T i e r e u n d P f l a n z e n v o r h a n d e n , u n d alle diese G a t t u n g e n u n d A r t e n h a b e n in i h r e r Weise eine spezielle A u s g e s t a l t u n g geh a b t , so d a ß in Wirklichkeit die e i n z e l n e n O r g a n i s a t i o n s t y p e n allesamt in die S e i t e n ä s t e u n d -zweige eingeschrieben w e r d e n m ü s s e n , w ä h r e n d d e r G r u n d s t a m m , zu d e m sie g e h ö r e n , wie erst recht d e r gedachte S t a m m des ganzen B a u m e s n u r ein ideales Gebilde, ein Symbol ist. E s ist nicht so, d a ß im Lauf d e r Erdgeschichte die organischen Ges t a l t e n g e n a u in der R e i h e n f o l g e h e r v o r g e t r e t e n w ä r e n , wie sie in d e m B a u m s c h e m a a n g e o r d n e t sind. Auch die n i e d e r e n u n d n i e d e r s t e n h a b e n g e w i s s e r m a ß e n i h r e n E i g e n s t a m m b a u m u n d h a b e n in d i e s e m zu allen Z e i t e n ihre e i g e n e n n e u e n S e i t e n ä s t e , g r ö ß e r e 122

und

kleinere,

ausgetrieben,

haben

sich

in

ihren

Spezialformen

m e h r oder weniger lang fortgesetzt, teils sich umwandelnd,

teils

ihre f r ü h e r e F o r m b e w a h r e n d , viele sind auch inzwischen wieder ausgestorben. Das gilt f ü r alle Grundorganisationen und für die Gruppen

innerhalb

derselben.

Aber

im großen

ganzen

gesehen,

sind doch die h ö h e r e n G e s t a l t e n stufenweise hinzugekommen, zuletzt der Mensch. So e r k e n n e n wir e i n e b e s t i m m t e Ordnung in der mit

dem

Zeitverlauf

Hand

in

Hand

gehenden

fortschreitenden

Organisationshöhe — und dies e b e n legt den G e d a n k e n nahe, daß der L e b e n s b a u m sich real durch die physiologische U m b i l d u n g der n i e d e r e n Organisationszustände in die h ö h e r e n und höchsten entf a l t e t , das L e b e n zusammenhängend Das ist der I n h a l t

entwickelt

habe.

der Abstammungs- oder natürlichen

Entwick-

lungslehre: Alle organischen G e s t a l t e n sollen von A n f a n g an, da überhaupt L e b e n auf der E r d e erschien, sich in zusammenhängenden K e t t e n und f o r t g e s e ^ t e r Umwandlung in natürlicher Zeugung e n t f a l t e t h a b e n , also allesamt irgendwie v o n e i n a n d e r

abstammen.

V i e l e Äste des B a u m e s sind im L a u f der Z e i t e n abgestorben, viele gehen von f r ü h e n und f r ü h e s t e n Z e i t e n h e r durch bis in die J e ^ t zeit, sind noch frisch von alten Z e i t e n h e r ; andere sind spät erst durch Austrieb gebliebenen

von H a u p t ä s t e n

Stamm

her

oder vom

hinzugekommen.

allerdings Dieser

unsichtbar

angenommene

große Z u s a m m e n h a n g sollte sich dadurch erweisen, daß man nach und nach aus den einzelnen eidgeschichtlichen Epochen S t u f e um S t u f e i m m e r wieder neue und bezeichnende G a t t u n g e n und Arten wirklicher Pflanzen und T i e r e zutage brächte, um sie dann streng in

dieser

ihrer

schließenden mit

der

zeitlichen

Reihenfolge

Formenketten

oben f o r m u l i e r t e n

zu m e h r

zusammenzureihen. Abstammungslehre

und Denn

mehr

sich

wenn

seine volle

es

Rich-

tigkeit h a t , müssen j a die urweltlichen Organismen in ihren Generations- und A r t f o l g e n zugleich die l e i b h a f t i g e n A h n e n der jeweils später a u f t r e t e n d e n F o r m e n sein. Zur paläontologischen

B e g r ü n d u n g der natürlichen

Entwicklungs-

lehre k a n n man vor allem a n f ü h r e n , daß stets zu dem Z e i t p u n k t , wo neue G r u n d f o r m e n erscheinen, gleichzeitig oder auch kurz zuvor

bei

schon

bisher

existierenden

Gruppen

sich

Gestaltungen

zeigen, die sich mit vielen ihrer Eigenschaften dem neuen Organisationstyp

nähern

und

so

geradezu

wie

stammesgeschichtliche

Ü b e r g ä n g e von den früheren älteren Zuständen zu den neuen, also wie echte A h n e n erscheinen. Man kann sie somit als B e w e i s e stam123

mesgesehichtlicher

Ausgangspunkte

später

getrennter

a n s e h e n . So gibt es um die M i t t e des E r d a l t e r t u m s mit

gewissen

amphibischen

Körpermerkmalen

Gruppen

Fischformen

und

gleichzeitig

damit k o m m e n echte A m p h i b i e n in V o l l e n d u n g schon zum

Vor-

s d i e i n ; oder am E n d e des E r d a l t e r t u m s und zu B e g i n n des Erdm i t t e l a l t e r s gibt es R e p t i l i e n mit S ä u g e t i e r m e r k m a l e n , wobei kurz darauf die ersten n i e d e r e n Säugetiere erscheinen. E s sei w e i t e r an das vogelartige J u r a r e p t i l , den „ U r v o g e l " , erinnert (S. 1 1 2 ) ; gleich nach ihm k o m m e n die typischen V ö g e l . D i e ältesten H u f t i e r e der T e r t i ä r z e i t sind fünfzehig, im G e b i ß primitiv und so beschaffen, daß man die späteren Paar- und U n p a a r h u f e r aus ihnen „ a b l e i t e n " k a n n . Solche Erscheinungen

sind, wie gesagt, starke Stütjen

für

den realen genetischen Zusammenhang k l e i n e r und großer Gruppen

des Lebensreiches,

letjthin

also

für

den

gesamten

Stamm-

baum. Sind so die großen Äste nach rückwärts morphologisch der a n g e n ä h e r t wisser

und ihre Abzweigungsstellen

Richtung

bezeichnet,

so k ö n n e n

auch

aneinan-

v o n e i n a n d e r in geinnerhalb

engerer

G r u p p e n durch Auswählen b e s t i m m t e r wirklicher G a t t u n g e n

oder

A r t e n gradweise Steigerungen und zulegt w e i t e r g e h e n d e Umwandlungen

dargestellt

werden.

Dies

geschieht

mittels

Stufenreihen.

Man greift aus a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n S t u f e n der E r d z e i t a l t e r Gattungen heraus, die gewissermaßen formal als V o r s t u f e n e i n e r später in b e s t i m m t e r Richtung v o l l e n d e t e n Gestalt anzusprechen sind. Ob sie wirklich v o n e i n a n d e r a b s t a m m e n , ist dabei zunächst nebensächlich; es sind F o r m e n , die lediglich n u r unterschiedliche kommenheitsgrade

hinsichtlich

eines

„idealen

Voll-

Anpassungstypus"

b e d e u t e n ; es ist die damit erzielte F o r m e n r e i h e (Abb. 3 3 ) also eine Stufenleiter,

keine

Stammreihe.

Wenn

etwa

die

in

Abb.

33 b

dargestellte e r d m i t t e l a l t e r l i c h e Fischechse in der Liaszeit den höchsten V o l l k o m m e n h e i t s g r a d

der Anpassung

eines von

Landtieren

a b s t a m m e n d e n V i e r f ü ß l e r s und L u n g e n a t m e r s an das völlige Meeresleben darstellt, so ist etwa die Gestalt des in der Trias lebenden Nothosaurus rein ideell die V o r s t u f e , der „ V o r l ä u f e r " Echse,

auch

wenn

kein

unmittelbares

dieser

Abstammungsverhältnis

zwischen beiden b e s t e h t . Wohl aber wird durch solche R e i h e n immerhin der W e g bezeichnet, auf dem möglicherweise in einst wirklich l e b e n d e n F o r m e n sich die Umwandlung eines L a n d t i e r e s in eine Fischechse vollzog. Die wirkliche, die physiologisch genetische Entwicklung k a n n allerdings auch ganz anders v e r l a u f e n sein. 124

Abb. 33. Stufenreihe

von einem Landreptil (Nach Fraas.)

zu einem

Meersaurier.

a) Nothosaurus der Triaszeit, noch Landbewohner, aber auch in das Meer gehend, Füße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen; b) Plesiosaurus der Unterjurazeit, vollkommen an das Meerleben angepaßte Gestalt, Extremitäten völlig dem Wasserleben angepaßt.

Eine

engere

Stufenreihe

o h n e sicheren

realen

Abstammungswert

ist auch die v o n A f f e , M e n s c h e n a f f e , E i s z e i t m e n s c h u n d V o l l m e n s c h . Auch das ist e i n e A n e i n a n d e r r e i h u n g v o n G e s t a l t e n , zu d e n e n m a n in d e n e i n z e l n e n geologischen S t u f e n o d e r b e i gleichzeitig l e b e n d e n Gattungen

einzelne

einanderreihen

kann,

Formrepräsentanten ohne daß damit

auswählen

und

m e h r als e i n rein

sie

an-

begriff125

licher Beweis o d e r eine f o r m a l e F o r m e n k e t t e v o r g e f ü h r t w ü r d e . Z u verlässiger im Sinn echter S t a m m e s v e r b i n d u n g sind s o d a n n Form e n r e i h e n , d e r e n e i n z e l n e G l i e d e r im geologischen A l t e r s t r e n g a u f e i n a n d e r f o l g e n . N u r w e n n m a n G l i e d e r e i n e r solchen F o r m e n k e t t e vorzeigen k a n n , darf m a n sie als w a h r e S t a m m r e i h e ausgeb e n . Die Z e i t r e i h e darf d a b e i nicht a b r e i ß e n o d e r w e n i g s t e n s durch v o r h a n d e n e Lücken in d e n e i n a n d e r f o l g e n d e n P a r t i e n nicht wied e r a b g e l e n k t sein, s o n d e r n j e d e s f o l g e n d e Einzelglied o d e r Kett e n s t ü c k m u ß eine gleichgerichtet b l e i b e n d e , sei es geringere, sei es s t ä r k e r e , a b e r e i n d e u t i g e F o r t b i l d u n g des F r ü h e r e n b r i n g e n . Als Beispiele h i e r f ü r k ö n n e n gewisse e r d m i t t e l a l t e r l i c h e A m m o n i t e n r e i h e n u n d einige t e r t i ä r z e i t l i c h e H u f t i e r r e i h e n gelten. E i n e E i n s c h r ä n k u n g d e r Schlüssigkeit u n d Geschlossenheit solcher S t a m m r e i h e n , sowohl e n g e r e r , wie w e i t g e s p a n n t e r , sind die h ä u f i g d a b e i a u f t r e t e n d e n S p e z i a l i s a t i o n s k r e u z u n g e n . N e h m e n wir e t w a die P f e r d e r e i h e in d e r T e r t i ä r z e i t , so g e h t eine U m w a n d l u n g aus d e n p r i m i t i v e n vielaehi'gen kleinwüchsigen A n f a n g s f o r m e n des A l t t e r t i ä r s zu d e m e i n h u f i g e n großwüchsigen s p ä t t e r t i ä r e n P f e r d b e s o n d e r s a u f f a l l e n d an d e r E x t r e m i t ä t u n d gleichzeitig im G e b i ß vor sich. W ä h l t m a n n u n die in d e n T e r t i ä r s t u f e n zeitlich g e n a u a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n G a t t u n g e n bzw. A r t e n nach d e m M e r k m a l d e r f o r t s c h r e i t e n d e n F u ß u m w a n d l u n g aus, so ergibt sich die R e i h e A B C D E ; w ä h l t m a n sie aber nach dem Gebiß aus, so ergibt sich e t w a die R e i h e ACBED. I m e i n e n M e r k m a l also ist die Art B u n d D das V o r s t a d i u m zu C u n d E ; im a n d e r e n aber ist die A h n e n u n d N a c h k o m m e n f o l g e v e r s t e l l t , die Spezialisierung v o n F u ß u n d G e b i ß l ä u f t nicht z u s a m m e n gleichmäßig w e i t e r , s o n d e r n sie sind ü b e r k r e u z t . Das b e e i n t r ä c h t i g t n u n d e n B e w e i s w e r t d e r s t a m m e s geschichtlichen K e t t e , a b e r dennoch sind solche R e i h e n z w e i f e l l o s g u t e A b s t a m m u n g s l i n i e n , u n d m a n b r a u c h t sich durch solche e n g e n U b e r k r e u z u n g e n d e r E i g e n s c h a f t e n wohl nicht d a r i n b e i r r e n zu lassen, h i e r von w a h r e r A b s t a m m u n g zu sprechen. Wir f ü h r e n n u n w e i t e r e M o m e n t e an, die vor e i n e r allzu einf a c h e n u n d s c h e m a t i s i e r e n d e n A u f f a s s u n g des V e r l a u f s d e r wirklichen Stammesgeschichte im e i n z e l n e n wie im a l l g e m e i n e n w a r n e n . Da f ä l l t die im vorigen Abschnitt b e s p r o c h e n e Z e i t f o r m e n b i l d u n g ins Gewicht. Durch das A u f t r e t e n von Z e i t b a u s t i l e n w ä h r e n d d e r erdgeschichtlichen Epochen w e r d e n zuweilen Übergangsformen zwischen e i n z e l n e n G r u n d o r g a n i s a t i o n e n h e r g e s t e l l t , die jedoch n u r f o r m a l - m o r p h o l o g i s c h e r , nicht stammesgeschichtlicher N a t u r 126

sind. Wir e r i n n e r n an die s ä u g e t i e r a r t i g e n R e p t i l i e n d e r P e r m Triaszeit sowie an d e n Urvogel. G e w i ß ist es, äußerlich b e s e h e n , möglich, wie v o r h i n e r w ä h n t , d a r a u s gewisse F i n g e r z e i g e zu entn e h m e n , a b e r in eine echte S t a m m r e i h e g e h ö r e n sie nicht. D e n n es h a t sich a u s n a h m s l o s e r g e b e n , d a ß solche durch Z e i t f o r m e n b i l d u n g geschaffenen Ü b e r g a n g s t y p e n i m m e r einseitig a u s e n t w i e k e l t e R e p r ä s e n t a n t e n von L i n i e n sind, die in e i n e n b l i n d e n d i g e n d e n Seitenzweig d e r g r ö ß e r e n G r u p p e n , zu d e n e n sie g e h ö r e n , zu verweisen s i n d ; so n e u e r d i n g s durch e i n g e h e n d e U n t e r s u c h u n g an reichem M a t e r i a l w i e d e r die s ä u g e t i e r h a f t e n P e r m - T r i a s e c h s e n ; zud e m t r a g e n diese gar nicht durchaus M e r k m a l e n i e d e r e r S ä u g e r an sich, die u n m i t t e l b a r nach i h n e n erscheinen, s o n d e r n die von höheren S ä u g e r n , die erst lange danach, im T e r t i ä r , a u f t r e t e n . Schon dies macht sie zu A h n e n e r d m i t t e l a l t e r l i c h e r S ä u g e t i e r e untauglich. Nicht als ob n u n j e d e „ Ü b e r g a n g s f o r m " u n b e d i n g t n u r m i t d e m „ G e s e t j d e r Z e i t s i g n a t u r e n " e r k l ä r t w e r d e n m ü ß t e — es so aufzuf a s s e n , w ä r e m i ß v e r s t ä n d l i c h ; aber d a ß Z e i t f o r m e n b i l d u n g e n zwingen, die w a h r e n von den scheinbaren stammesgeschichtlichen Überg a n g s f o r m e n zu u n t e r s c h e i d e n u n d nicht einfach n u r R e i h e n damit zu b i l d e n , die m a n d a n n als genetische S t a m m b ä u m e , s t a t t n u r als f o r m a l e anspricht, ist selbstverständlich. E i n e w e i t e r e Schwierigkeit liegt mit f o l g e n d e r T a t s a c h e vor. Man n a h m anfänglich, als die S t a m m b a u m l e h r e a u f g e s t e l l t w u r d e , als selbstverständlich an, d a ß d e r Z u s a m m e n h a n g des L e b e n s b a u m e s m i t allen seinen Ä s t e n u n d Zweigen u m so e i n d e u t i g e r hervort r e t e n w ü r d e , j e reichlicher u n d e i n d r i n g e n d e r die urweltlichen F o r m e n b e k a n n t u n d je geschlossener sie in i h r e r zeitlichen Abfolge a n e i n a n d e r g e f ü g t w e r d e n k ö n n t e n . A b e r auch da ergab sich alsbald eine u n e r w a r t e t e E i n s c h r ä n k u n g . D e n n je w e i t e r m a n in d e r z a h l e n m ä ß i g e n u n d m o r p h o l o g i s c h e n K e n n t n i s d e r urweltlichen L e b e w e s e n k a m , je besser m a n die U r s p r ü n g e d e r e i n z e l n e n F o r m e n k e n n e n l e r n t e , u m so u n d u r c h s i c h t i g e r , u m so verwickelter w u r d e n die Zweige u n d Äste des a n g e n o m m e n e n e i n f a c h e n Stammb a u m e s , sowohl im g r o ß e n wie im k l e i n e n . U n d so erscheint uns h e u t e das g e s a m t e Lebensreich m i t allen seinen m a n n i g f a l t i g e n , von j e h e r q u e l l e n d e n u n d s p r i e ß e n d e n G e s t a l t e n n u r noch als Ganzes, schematisch sozusagen, wie d e r e i n f a c h e S t a m m b a u m d e r T h e o r i e , bei g e n a u e r e m Z u s e h e n a b e r wie ein l e b e n d i g e r B o d e n voll v e r s c h i e d e n e r Sträucher u n d Büsche, die sich zu e i n e m meist u n d u r c h d r i n g l i c h e n Dickicht verschlingen; u n d e b e n das sich In127

e i n a n d e r s c h l i n g e n w i r d durch die stetig w i r k e n d e Z e i t f o r m e n b i l d u n g b e w i r k t . M a n k ö n n t e , u m es zu v e r e i n f a c h e n , höchstens v o n e i n e m Strauch m i t v i e l e n dicht s t e h e n d e n , m e h r o d e r w e n i g e r parallel a u f s t r e b e n d e n , teilweise sich auch q u e r e n d e n u n d abbiegend e n R u t e n sprechen, w o f ü r m a n d e n t r e f f e n d e n A u s d r u c k „ S t a m m s t r a u c h " g e p r ä g t h a t . W e n n dieser S t a m m s t r a u c h tief d r u n t e n vielleicht s e i n e n K n o t e n h a t , in d e m alle diese zahllosen R u t e n in e i n e m K o m p l e x z u s a m m e n l a u f e n , v o n wo sie also zeitlich i h r e n A u s g a n g n a h m e n , so m u ß dieser in d e r algonkisch-archäischen Zeit liegen. Die w a c h s e n d e K e n n t n i s u r w e l t l i c h e r G a t t u n g e n u n d A r t e n u n d F o r m e n r e i h e n u n d S t a m m r e i h e n h a t , wie gesagt, das alte Baumbild als zu e i n f a c h u n d u n z u r e i c h e n d erwiesen. Freilich, w e n n m a n sich i d e e l l e G e s t a l t e n k o n s t r u i e r t , sog. U r f o r m e n , wie es u m die M i t t e des v o r i g e n J a h r h u n d e r t s in d e r Sturm- u n d D r a n g z e i t geschah, u n d w e n n m a n sie in d e n E n t w i c k l u n g s g a n g ü b e r a l l d o r t einsetjte, wo die D e s z e n d e n z nicht schlüssig w e r d e n wollte, so k a n n m a n alles beweisen. Doch es k a n n sich ja f ü r d e n empirisch v e r f a h r e n d e n N a t u r f o r s c h e r nicht u m die Schaffung v o n Idealbild e r n h a n d e l n — das w ä r e ja M e t a p h y s i k — , auch nicht u m Erf ü l l u n g ideeller V o r s t e l l u n g e n , s o n d e r n u m ganz realistisch greifb a r e F o r m e n u n d V o r g ä n g e . So a b e r , wie m a n den S t a m m b a u m gewöhnlich a u f f a ß t , ist er nichts a n d e r e s als die bildliche Dars t e l l u n g d e r L i n n e s c h e n S y s t e m a t i k . Das ist i m m e r h i n , wie sich zeigte, eine f r u c h t b a r e V o r s t e l l u n g , sozusagen eine heuristische T h e s e , u m zu e r k e n n e n , wie die r e a l e genetische E n t w i c k l u n g im Lauf d e r E r d z e i t a l t e r nach dieser S y s t e m a n o r d n u n g v e r l i e f ; aber e b e n diese T h e s e zu b e w e i s e n , ist erst die A u f g a b e , k e i n v o n vornh e r e i n gewisses D o g m a . Es k o m m t noch w e i t e r h i n z u u n d ist ein H i n w e i s auf die Richtigk e i t des Bildes vom S t a m m s t r a u c h , d a ß m i t d e r f o r t s c h r e i t e n d e n D u r c h f o r s c h u n g d e r F o r m a t i o n e n auf Fossilien z u s e h e n d s die Tieru n d P f l a n z e n s t ä m m e sowie die E i n z e l ä s t e i m m e r w i e d e r als ä l t e r sich erweisen, als m a n b i s h e r a n z u n e h m e n b e r e c h t i g t w a r . E i n auff a l l e n d e s Beispiel, das auch zeigt, wie w e n i g gewisse a n g e n o m m e n e S t a m m - o d e r Ü b e r g a n g s f o r m e n o f t f ü r die w a h r e genetische Herk u n f t b e w e i s e n u n d wie sehr sie als Z e i t f o r m e n b i l d u n g e n anzus e h e n sind, b i e t e t n e u e r d i n g s die Schildkröte. Sie w a r ein J a h r h u n d e r t lang n u r aus d e r Triaszeit b e k a n n t , in d e r P e r m z e i t aber f a n d m a n ein ähnliches R e p t i l m i t erst in den A n f a n g s s t a d i e n ver128

breiterten und noch nicht zu einem völlig geschlossenen Panzer erweiterten Rippen. Diese Gestalt galt unbesehen als der primitive Ahne der späteren triassischen Chelonier. Und nun ist neuerdings eine voll entwickelte Schildkröte auch im Perm gefunden worden. So ist es sehr wohl denkbar, daß auch das Wirbeltier in unverknöcherter, skelettloser Frühgestalt schon mit Beginn der kambrischen Zeit lebte, obwohl wir es erstmalig bisher als Fisch im Silur antreffen; denn die ältesten Wirbeltierstadien müssen vermutlich wie das Branchiostoma gewesen sein (S. 107); sie konnten aber wegen ihrer Skelettlosigkeit nicht fossil werden, auch kaum, wenn sie knorpelig waren. Findet man aber künftig einmal in kambrischen Feinschiefern den Abdruck eines solchen Wesens, so wird damit auch der untere Zusammenlauf des Stammstrauchs mit allen seinen Hauptästen endgültig als algonkisch-archäisch erwiesen sein. Mit alledem sind wir, das sei ausdrücklich festgestellt, nicht der Meinung, die angeführten Tatsachen und Schwierigkeiten dahin auszulegen, daß nun der theoretisch angenommene allgemeine Zusammenhang des Lebens auf der Erde nicht einheitlich und die gesamte natürliche Entwicklungsidee unbedingt hinfällig sei; wohl aber ist das Problem verwickelter, als es gemeinhin aufgefaßt und dargestellt wird. Zugleich aber muß man doch im Auge behalten, daß in der frühesten Urzeit auf verschiedenen Wegen die frühesten Organismen sich gestalteten. Insbesondere wenn man an die natürliche Urzeugung des Lebens auf der Erdoberfläche selbst glaubt — man braucht keineswegs eine Zufuhr von Keimen aus fremden Atmosphären anzunehmen (S. 87) —, liegt es gar nicht außerhalb der Möglichkeit, daß an den verschiedensten Stellen solche Lebenssynthesen vor sich gingen, der Stammbaum also von vornherein eben kein geschlossener Baum, ja nicht einmal ein Stammstraudi, sondern ein Nebeneinander verschiedenster, aus eigener Wurzel aufbrechender Büsche und Sträucher war. Das ist kein Widerspruch zu dem Bestreben, immer wieder von neuem in den fossil überlieferten Formen und Reihen nach den Umbildungsvorgängen und -gesetjen zu forschen und sie auch von den heute Lebenden aus in die Vergangenheit zu projizieren. Die entwicklungsgeschichtliche Stammbaumforschung macht ihrerseits häufig noch den methodischen Fehler, nur die fertigen Formen, seltener aber den Verlauf der Keimlings- und Frühzustände miteinander zu vergleichen. Zu einem Lebewesen gehört aber das 9

Dacque,

Vcrmädunis

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Ganze seiner individuellen Formerscheinung, u n d gerade die Frühzustände offenbaren häufig, auf welchem möglichen stammesgeschichtlidien Weg sich die fertige Gestalt entwickelt haben mag. Sehen wir doch an den Populationen der Lebenden, daß in Individuen wie in Arten sogar latente Fähigkeiten der Formgebung stecken, die nur gelegentlich u n d u n t e r bestimmten äußeren Bedingungen, sonst aber nicht sichtbarlich verwirklicht werden oder sich am selben Individuum sogar ausschließen. Oftmals sind die Frühzustände f ü r die Zugehörigkeit zu einer gewissen Grundorganisation sogar bezeichnender als die des Ausgewachsenen, das sich in seiner Formbildung sogar außerordentlich weit vom klaren Ursprungsbild e n t f e r n e n k a n n ; wir verweisen auf die im Abschnitt II, 3 a n g e f ü h r t e n Formkonvergenzen der Festsitjenden. Umgekehrt kann allerdings auch der Frühzustand mancher Meerestiere, die bei der Fortpflanzung Larven aussenden, eben in diesen ganz andere, sekundäre Ausprägungen besitzen, die geradezu ein falsches Grundformenbild vortäuschen. Es muß also mindestens der ganze Zusammenhang der individuellen E n t f a l t u n g überblickt werden, damit man ein leidlidi klares Bild bekommt, von weldien Formbildungsfolgen die körperliche Erscheinung einer Art beherrscht wird. Und da verweist uns die N a t u r eben auf die frühembryonalen Keimprodukte u n d auf die Struktur der Keimzellen selbst, der Keimbahn. Es ist das große Gebiet der Genetik. Hier aber deutet alles auf Umprägungen und sprunghafte Mutationen, auch im kleinen, u n d oft melden sich spätere große Umprägungen schon in den frühesten Keimlingszuständen an und h ä u f e n sich dort, ehe sie an fertigen Wesen gereifter heraustreten. Man k a n n an den Gehäusen f r ü h e r e r Ammonshörner nachweisen, daß eine später an erwachsenen Tieren, also an neuen Arten oder Gattungen, scheinbar unvermittelt a u f t r e t e n d e Neuformung längere Zeit, d. h. in mehreren Generationen schon auf frühesten Jugendstadien vorausgenommen wird. Dann aber, zu irgendeinem Zeitpunkt, geht das so vorgebildete und meist unsichtbar bleibende neue Frühstadium plötjlich auf das ganze Gehäuse über, und nun steht wie sprunghaft die neue Form als Ganzes da. In Wirklichkeit ist dies aber keine absolute Neuschöpfung, wie man sieht, sondern nur eine f r ü h e r e Verhüllung der umgeprägten Eigenschaften. Doch da man in den Schichtungen allermeist nur reifere oder ausgewachsene Individuen findet, so erscheint dem Paläontologen 130

die n e u e G a t t u n g s p r u n g h a f t e n t s t a n d e n . D a h e r ist es z u r sicheren A u f s t e l l u n g von w a h r e n S t a m m r e i h e n n o t w e n d i g , soweit a n g ä n g i g auch die f r ü h e n Z u s t ä n d e d e r A r t e n bzw. I n d i v i d u e n zu betracht e n . Z w a r v e r s a g t da das p a l ä o n t o l o g i s c h e M a t e r i a l vielfach, doch bei A m m o n i t e n u n d K o r a l l e n liegen die V e r h ä l t n i s s e b e s o n d e r s günstig, u n d g e r a d e ü b e r die Stammesgeschichte dieser b e i d e n G r u p p e n n i e d e r e r T i e r e sind w i r auch a m b e s t e n u n t e r r i c h t e t . Wir m ü s s e n in d i e s e r Hinsicht also alle u n s e r e H o f f n u n g auf die V e r e r b u n g s f o r s c h u n g , die G e n e t i k s e ß e n , a b e r i h r e doch e b e n auf allerengste kleinste Formumbildungen gerichteten Ergebnisse müssen sich f ü r g r o ß e gedankliche E r w e i t e r u n g e n d e n sachlichen E r g e b n i s s e n d e r biologischen V o r w e l t f o r s c h u n g u n t e r w e r f e n . Die eigentliche E v o l u t i o n vollzieht sich nicht u n m i t t e l b a r am f e r t i g e n T i e r , s o n d e r n in d e r von G e n e r a t i o n zu G e n e r a t i o n durch die J a h r h u n d e r t t a u s e n d e sich f o r t s e i e n d e n K e i m b a h n , an d e r die wirklichen I n d i v i d u e n bzw. A r t e n sozusagen wie P e r l e n auf e i n e r Schnur a u f g e r e i h t sind, wobei freilich die Schnur u n d die P e r l e n l e b e n d i g eines sind, die P e r l e n a b e r die ins Sichtbare herausges t e l l t e n F o r m a u s p r ä g u n g e n d e r P o t e n z e n d e r Schnur, also d e r durch alle d u r c h z i e h e n d e n K e i m b a h n . Nicht n u r die I n d i v i d u e n sind im naturgeschichtlichen Sinn etwas Reales, s o n d e r n auch die „ A r t " , zu d e r sie g e h ö r e n ; in diesem F a l l dasselbe wie „ G a t t u n g " , w e n n m a n die A r t e t w a s u m f a s s e n d e r n i m m t . Diese R e a l i t ä t erweist sich äußerlich schon d a r i n , d a ß d i e N a c h k o m m e n , a b g e s e h e n von i h r e r i n d i v i d u e l l e n V a r i a n t e , im wesentlichen stets d e n E l t e r n u n d V o r f a h r e n gleichen; alles t r ä g t in sich seine „ A r t " u n d v e r e r b t sie auf d i e N a c h f a h r e n . A b e r die R e a l i t ä t g e h t noch w e i t e r . W i r e n t n e h m e n e t w a e i n e m e n g e r e n L e b e n s r a u m die V e r t r e t e r e i n e r d a r i n e i n h e i m i s c h e n A r t . D a n n g e h e n wir m i t i h r in ein a n d e r e s G e b i e t , wo g l e i d i f a l l s die n a t ü r lichen B e d i n g u n g e n zum G e d e i h e n dieser A r t g e g e b e n sind, u n d f i n d e n d o r t dieselbe F o r m , a b e r m e h r o d e r w e n i g e r a b g e ä n d e r t . W i r v e r p f l a n z e n b e i d e V e r t r e t e r wechselseitig in die b e t r a c h t e t e n G e b i e t e u n d b e m e r k e n , wie sie alsbald i h r e F o r m gegenseitig auswechseln. Es gibt a b e r auch n a h v e r w a n d t e A r t e n , die nicht auf d i e s e Weise e i n e n F o r m a u s t a u s c h vollziehen. A u ß e r d e m b e o b a c h t e t m a n auch d a u e r h a f t e plötjliche F o r m ä n d e r u n g e n , M u t a t i o n e n gen a n n t . Es zeigt sich also, d a ß U m ä n d e r u n g e n von A r t e n möglich sind, die nicht a n d a u e r n , u n d solche, die a n d a u e r n u n d sich f o r t p f l a n z e n . So k a n n m a n sagen, d a ß v e r w a n d t e A r t e n durch Z e u g u n g s*

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a u s e i n a n d e r o d e r aus e i n e r g e m e i n s a m e n G r u n d f o r m h e r v o r g e h e n . Das ist d e r e i n f a c h s t e P f e i l e r d e r n a t ü r l i c h e n A b s t a m m u n g s lehre. I n d e n e i n e A r t r e p r ä s e n t i e r e n d e n I n d i v i d u e n liegt zweierlei v o r : 1. die F ä h i g k e i t , i h r e F o r m a n die N a c h k o m m e n w e i t e r z u g e b e n ; 2. d i e F ä h i g k e i t , selbst a n d e r s a r t i g zu w e r d e n u n d a n d e r s a r t i g e N a c h k o m m e n h e r v o r z u b r i n g e n . S o d a n n k ö n n e n wir e i n e n ä u ß e r e n u n d e i n e n i n n e r e n A r t z u s t a n d u n t e r s c h e i d e n . Die ä u ß e r e ( p h ä n o typische) A r t ist j e n e r F o r m z u s t a n d , d e r sich i n d e m k o n k r e t e n f e r t i g e n I n d i v i d u u m u n d seiner sichtbaren I n d i v i d u a l e n t f a l t u n g d a r s t e l l t ; die i n n e r e (genotypische) A r t ist e i n e f o r m b i l d e n d e u n d f o r m e r m ö g l i c h e n d e P o t e n z , die in den I n d i v i d u e n v a r i a b e l zum A u s d r u c k k o m m t . Die genotypische A r t liegt in d e r K e i m b a h n , sie ist an die E r b m a s s e d e r K e i m z e l l e n g e b u n d e n u n d wird von G e n e r a t i o n zu G e n e r a t i o n w e i t e r g e g e b e n . Man" k a n n diese P o t e n z m i t i h r e n v i e l g e s t a l t i g e n Möglichkeiten symbolisiert s e h e n in den E r b m a s s e t e i l c h e n ; zugleich ist sie e t w a s I m m a t e r i e l l e s . H i e r liegt die G r e n z e zwischen naiv realistischer u n d m e t a p h y s i s c h e r D e u t u n g des A r t b e g r i f f s . Z u r w e i t e r e n V e r d e u t l i c h u n g des U n t e r s c h i e d e s von ä u ß e r e r p h ä n o typischer A u s g e s t a l t u n g u n d i n n e r e r P o t e n z m a g auch die T a t sache d i e n e n , d a ß E i g e n s c h a f t e n , die sich im rein K ö r p e r l i c h e n g e r a d e z u ausschließen, doch in d e r „ A r t " e n t h a l t e n sein k ö n n e n . D a gibt es e t w a im E r d m i t t e l a l t e r die d o p p e l k l a p p i g e n Tascheln, d e r e n G e h ä u s e r a n d w ä r t s s t a r k g e f a l t e t ist. Man b e o b a c h t e t n u n in ein u n d d e r s e l b e n e n g e n g u t e n A r t u n t e r Geschwistern derselben P o p u l a t i o n alle Ü b e r g ä n g e v o n g e f a l t e t e n zu g l a t t e n Schalen. Es b e s t e h t also zu gleicher Zeit bei d e r A r t die Fähigk e i t , g e f a l t e t u n d die, glatt zu sein, o b w o h l b e i d e s sich an ein u n d d e m s e l b e n , die „ A r t " innerlich e n t h a l t e n d e n I n d i v i d u u m in d e r ä u ß e r e n Wirklichkeit völlig ausschließt, d e n n k e i n e s k a n n zugleich glatt u n d g e f a l t e t sein. Was a b e r ist im i n n e r e n A r t b e z i r k geschehen, w e n n die ä u ß e r e A r t sich plötjlich o d e r l a n g s a m v e r w a n d e l t ? H a t sich da die P o t e n z zur G e s t a l t u n g gleichfalls g e w a n d e l t ? Wenn Schmetterlinge die F a r b z e i c h n u n g wechseln, sobald sie u n t e r a n d e r e klimatische B e d i n g u n g e n k o m m e n , o d e r w e n n Frösche bei b e s o n d e r e r E r n ä h r u n g e i n e n k ü r z e r e n D a r m b e k o m m e n , so ist die E i g e n s c h a f t im A r t i n n e r e n nicht s t a t t rot b l a u g e w o r d e n oder s t a t t l a n g d a r m i g kurzd a r m i g , s o n d e r n die F ä h i g k e i t , die P o t e n z zu e i n e m F ä r b - oder 132

Gestaltwechsel ist vorhanden und spricht sich nun in andersartigen materiellen Strukturen aus. Es stecken also in den Arten die Möglichkeiten zu entsprechenden körperlichen Formänderungen in bezug auf die Umwelt, aber die Potenz bleibt, was sie ist. Man kann somit sagen, das innere Artbild bleibt unverändert, während das äußere sich ändert. Aber solche Eigenschaften wie die soeben von Schmetterlingen und Fröschen angeführten können sich jederzeit wieder in die alten Zustände zurückbegeben. Wie steht es aber bei mutativen plötzlichen Formänderungen, die mit ihrer neuen Ausbildung dauernd erblich bleiben? Hier wird man durchaus sagen können, daß auch die innere Potenzstruktur sich umgebildet hat. Ob aus sich oder durch Einwirkung äußerer Verhältnisse? Das ist noch eine Streitfrage. Was man bisher an künstlichen Mutationen hervorrufen konnte, reicht nicht aus, das Problem zu entscheiden. Damit begegnen wir wieder einer grundsätzlichen Schwierigkeit der Abstammungstheorie. Wenn sich noch so viele äußere Arten in der geologischen Zeit voneinander abzweigten, so ist es doch durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß sich in dem inneren Wesen der Art, das ja auch seine Tiefenschichtungen haben muß, gar nichts Wesentliches änderte, sondern daß nur wie in einem Kaleidoskop die Steinchen umgruppiert wurden, aber nach Menge und Art ganz dieselben blieben, wenn auch zuvor verdeckte hervorgeholt oder offenliegende verdeckt wurden, so daß unendlich viele Figuren bei jeder geringsten oder auch starken Drehung und Erschütterung sich wieder in ganz grundverschiedenen Bildtypen, morphologischen Grundorganisationen sozusagen, offenbarten. Es ist somit denkbar, daß nicht nur artliche, sondern auch gattungsmäßige, ja noch größere und schließlich die legten Grundorganisationen des Tier- und Pflanzenreiches bewirkende Umprägungen lediglich auf der Mobilisierung durchaus in der organischen Ursubstanz schon eingeborener Poteazen beruhen und daß durch die Jahrmillionen in der ewig weitergegebenen Keimbahn weder etwas hinzugekommen, noch qualitätsmäßig verändert worden ist. Das wäre die gesuchte wahre, lebendig physiologische Einheit des Lebensstammbaumes. Das ist möglich, es muß aber nicht so sein. Ist es anders, dann bleibt nur der Schluß übrig, daß zu den vorhandenen Erbpotenzen im Lauf der erdgeschichtlichen Zeit epigenetisch neue Potenzk r ä f l e hinzukamen. Wie? das ist ein Rätsel. Aber Rätsel ist da 133

alles. Entweder steckte schon in den primitivsten organischen Bildungen archäischer Zeit jegliche Potenz zu jeglicher späteren Lebensform, auch der höchsten, dem Säugetier u n d dem Menschen, u n d alles wurde e n t f a l t e t durch die Mobilisierung latenter Teilk r ä f t e ; oder es ist auf irgendeine Weise die Fähigkeit zu höheren Formbildungen im Lauf der Zeiten hinzugekommen. Aber das eine wie das andere ist ein völliges Rätsel, wie die Entstehung des Lebens selbst, u n d hier liegen vorläufig die Grenzen unserer Erkenntnis. Es ist Aufgabe der Genetik, dies k ü n f t i g zu klären, falls es an dem Material, das die h e u t e lebenden Organismen bieten, und mit den kleinen engen Artbeobachtungen ü b e r h a u p t möglich ist. Glauben wir also als realistische Naturforscher an den wesensmäßigen Zusammenhang des ganzen Lebensbaumes, so sind doch die Wege, auf denen er sich entfaltete, nichts weniger als geklärt.

5. Gesetzmäßigkeiten

der

Lebensentfaltung

Wir haben im Abschnitt II, 2 von den Entstehungszentren und den Wanderungen der Tier- u n d Pflanzengruppen gesprochen. Wenn irgendwo neu aufgetretene Pflanzen- und Tiergestalten sich im Gebiet ihrer Entstehung oder in neu besiedelten Gegenden vermehrten, änderte sich zugleich ihre Form, sie trieben neue Arten hervor. Eben damit eroberten sie sich die neuen Lebensplätje und schufen sich selbst innerhalb derselben neue Lebensmöglichkeiten; sie spezialisierten ihre K ö r p e r f o r m e n und Organe, nützten damit die vorhandenen Umweltbedingungen stärker, aber audi einseitiger aus. Es liegt in der N a t u r des Lebewesens, durch solche Vermehrungen, Umbildungen, Vermannigfaltigungen u n d Spezialausbildung der Organe neue Lebensbedürfnisse zu erfüllen, ja sie gewissermaßen selbst hervorzurufen und so allerhand Erfordernissen gerecht zu werden, welche die anfänglichen, im ganzen einfacher ausgeprägten Arten derselben Stammgruppen nodi nicht zu erfüllen wußten. So stand das Leben und seine Ausgestaltung von jeher in engstem Zusammenhang, in engster Wechselwirkung zur irdischen Umwelt, von der es Förderung u n d Gedeihen, aber auch Leid, Tod, Untergang e r f u h r . Doch Tod u n d Untergang kommen nicht nur von außen an das Leben heran: es liegt im Wesen des Lebens, auf134

zublühen, Frucht zu tragen u n d unterzugehen. Das Leben ist Rhythmus, die E n t f a l t u n g wie der Abstieg ist ein zyklisch geschlossenes Geschehen —• wie Jugend, Reife, Altern u n d Sterben des einzelnen Wesens. Es ist ein Kreislauf aus dem unbekannten Dunkel der inneren H e r k u n f t in die Helle äußeren Sichgestaltens und wiederum in das u n b e k a n n t e Dunkel des Vollendeten, das f ü r unseren am Äußeren h a f t e n d e n Blick einen verhüllten Innenbezirk der N a t u r bildet, aus dessen Tiefen immer wieder neues Leben quillt. Betrachtet man die Art und Weise, wie sich die Folge der Lebewesen u n d ihre F o r m e n k e t t e n durdi die Zeitalter der Vorwelt darbieten, so gibt es Gesetzmäßigkeiten, die sich in der Evolution aller Gruppen zu allen Zeiten gleicherweise wiederholen. Das vordringlichste und am meisten in die Augen springende Ordnungsgesetz im gesamten organischen Reich ist die im Vorherigen sdhon dargelegte Aufeinanderfolge immer höherer Typen im Lauf der Erdgeschichte; wir brauchen es nicht noch einmal zu beschreiben. Es ist der Gesamtaufstieg des Lebensreiches, seine Bereicherung mit immer höheren Grundorganisationen u n d die Vermannigfaltigung der vorhandenen durch Ausbildung neuer Typen u n d innerhalb derselben neuer natürlicher Gruppen und Ordnungen, bei gleichzeitiger Weiterausgestaltung oder Abstoßung der alten. Sind gewisse Grundanlagen einmal in bestimmten Gattungen in der Zeit erschienen, einerlei nun, wie sie entstanden u n d woher sie kamen, so macht sich vom ersten Augenblick ihres Auftretens ab in zeitlich geordneten Folgen von weiteren neuen Arten eine zunehmende Spezialisation der Körper- u n d Organausgestaltung geltend. Die ältesten Arten einer natürlichen, genetisch einheitlichen Gruppe, sei sie groß oder klein, sind im Vergleich mit den späteren des gleichen Grundformenkreises oder Spezialstammes durchweg einfacher, primitiver. Was dabei „primitiv", was „vorgeschritten" oder „spezialisiert" heißt, erkennt man rein erfahrungsmäßig dadurch, daß man die zusammengehörigen Arten einer fortschreitenden Zeitreihe miteinander vergleicht. Da zeigt sich eben, daß die f r ü h e r e n und frühesten solcher Reihen in allem noch einfacher gestaltet sind als die späteren u n d spätesten derselben Formenkette. Es ist aber nicht so, daß die jeweils frühesten Formen etwa unbestimmt, schemenhaft wären, denn das kann es in der Natur ü b e r h a u p t nicht geben, weil jegliche Art, und sei 135

sie n o d i so einfach, i m m e r i r g e n d w i e a u s g e b i l d e t e ® r g a n e h a b e n m u ß , m i t d e n e n sie auf die U m w e l t eingestellt ist. D e n n k e i n e lebt im l e e r e n R a u m , s o n d e r n in e i n e r i h r z u k o m m e n d e n Umw e l t , u n d e b e n dies b e d e u t e t ein A n g e p a ß t s e i n an diese m i t bestimmten Form- u n d Organbildungen. Die Anfangsgestaltung wird, solange d e r L e b e n s f a d e n d e r F o r m e n r e i h e nicht a b r e i ß t , durch f o r t g e s e t z t e A u s b i l d u n g nadh e i n e r o d e r vielen R i c h t u n g e n i m m e r einseitiger a u s g e p r ä g t , w i r d f ü r m a n n i g f a c h e r e , im e i n z e l n e n zugleich speziellere L e b e n s f u n k t i o n e n geeignet. Das e b e n ist u n d b e d e u t e t das f o r t l a u f e n d e E n t s t e h e n n e u e r A r t e n , v o n d e n e n j e d e in e i g e n t ü m l i c h e r Weise a u s g e b i l d e t w i r d . W i r e r i n n e r n an das im A b s c h n i t t I I , 3 g e g e b e n e Beispiel d e r f ü r die v e r s c h i e d e n s t e n L e b e n s f u n k t i o n e n s p e z i a l i s i e r t e n M e r o s t o m e n , die v o n e i n e r gemeins a m e n , p r i m i t i v e n , noch nicht so einseitig s p e z i a l i s i e r t e n G r u n d form ausgehen. Sobald sich solche E v o l u t i o n e n i h r e m E n d e n ä h e r n — k e i n e g e h t u n b e g r e n z t w e i t e r — k a n n w i e d e r eine gewisse P r i m i t i v i t ä t v o n d e n l e t z t e n G l i e d e r n d e r R e i h e z u r Schau gestellt w e r d e n , es gibt W i e d e r a n n ä h e r u n g e n an a h n e n h a f t e F o r m z u s t ä n d e , die einst v o n d e r G r u p p e e n t w i c k l u n g s m ä ß i g ü b e r w u n d e n w a r e n . Solche w i e d e r h e r g e s t e l l t e P r i m i t i v i t ä t ist a b e r nicht m e h r ein e r n e u t e r l e b e n s t r ä c h t i g e r A u s g a n g s z u s t a n d , s o n d e r n b e d e u t e t ein A u s g e s c h ö p f t s e i n , ein M ü d e w e r d e n d e r F o r m b i l d u n g s k r a f t , es ist e n t l e e r t e P r i m i t i v i t ä t , die E r b m a s s e ist a u f g e b r a u c h t . D a n n s t i r b t die K e t t e aus o d e r es p f l a n z e n sich die l e t z t e n G l i e d e r noch einige Zeit f o r t , b r i n g e n aber k e i n e l e b e n s v o l l e n n e u e n N a c h f a h r e n mehr hervor. Zu e i n e m e n t s p r e c h e n d e n E n d z u s t a n d f ü h r t auch die m i t f o r t s c h r e i t e n d e r S p e z i a l e v o l u t i o n in e i n e r n a t ü r l i c h e n F o r m e n k e t t e m e i s t e n s sich e i n s t e l l e n d e A u s b i l d u n g v o n R i e s e n f o r m e n . W a s als „ R i e s e n f o r m " e i n e r G r u p p e zu bezeichnen ist, w i r d , wie das „ p r i m i t i v " u n d „ s p e z i a l i s i e r t " , nicht nach a l l g e m e i n e n Vorstell u n g e n b e s t i m m t , s o n d e r n ergibt sich w i e d e r u m u n m i t t e l b a r aus d e m Vergleich d e r A n f a n g s - u n d E n d g l i e d e r e i n e r Entwicklungsr e i h e m i t e i n a n d e r . So ist es ein Gesetz, d a ß a m A n f a n g d e r S t a m m - o d e r F o r m e n r e i h e meist k l e i n e G e s t a l t e n s t e h e n , die allmählich durch g r ö ß e r e ersetzt w e r d e n . K o m m e n d a n n die ganz g r o ß e n , die R i e s e n f o r m e n , so zeigt u n s dies e n t w e d e r die b e r e i t s a b g e l a u f e n e Zeit d e r H a u p t e n t f a l t u n g an oder es b e d e u t e t schon den U n t e r g a n g selbst, das A u s s t e r b e n . Ganz zuletzt k a n n aber 136

auch die K ö r p e r g r ö ß e noch e i n m a l zurückschlagen, was d a n n gleichfalls ein atavistischer Z u g ist. Die G r ö ß e n z u n a h m e i n n e r h a l b e n g e r o d e r w e i t e r , genetisch e i n h e i t l i c h e r G r u p p e n ist a b e r nichts a n d e r e s als ein S o n d e r f a l l d e r zuvor b e s c h r i e b e n e n Spezialisation der Organe und Formen. Alle solchen Gesetzmäßigkeiten im Ablauf n a t ü r l i c h e r F o r m e n r e i h e n b e d e u t e n ja n u r die E n t f a l t u n g e i n e r d e r G r u n d f o r m mitgeg e b e n e n E r b a n l a g e . Die L e b e w e s e n b e s c h r e i t e n aus i n n e r e n G r ü n d e n diesen E v o l u t i o n s w e g . Bleiben sie sich selbst ü b e r l a s s e n , d. h. k ö n n e n sich die i n n e r e n P o t e n z e n i h r e m e i g e n e n R h y t h m u s g e m ä ß e n t f a l t e n , b l e i b e n i h n e n s t ö r e n d e , a b l e n k e n d e , f r e m d e Einflüsse f r e m d , ist die U m w e l t d e m n o r m a l e n Ablauf i h r e r G e s t a l t u n g günstig, so t r e t e n j e n e G e s e t z m ä ß i g k e i t e n g e o r d n e t h e r v o r . A b e r das L e b e n b e g e g n e t vielfach auch f e i n d l i c h e n ä u ß e r e n Einflüssen, u n d diese e r f o r d e r n o f t m a l s spezielle A n p a s s u n g e n u n d F o r m a u s b i l d u n g e n , e n t g e g e n d e m von i n n e n h e r b e s t i m m t e n A b l a u f . So geschieht es, d a ß gelegentlich auch schon in d e n F r ü h s t a d i e n d e r F o r m e n r e i h e n einseitige A u s s p e z i a l i s i e r u n g e n von O r g a n e n erz w u n g e n u n d so auch viel f r ü h e r R i e s e n f o r m e n a u s g e b i l d e t w e r d e n , worauf d a n n s p ä t e r e n t w e d e r Rückschläge in w i e d e r k l e i n e r e Ges t a l t e n e r f o l g e n o d e r die G r u p p e ü b e r h a u p t vorzeitig u n d nach a n d e r e r R i c h t u n g in „ f e h l g e s c h l a g e n e n A n p a s s u n g s r e i h e n " abgel e n k t wird, ja sogar e b e n d a d u r c h alsbald a u s s t i r b t . Als ein w e i t e r e s u m f a s s e n d e s L e b e n s g e s e t z erscheint die Unmöglichkeit e i n e r R ü c k e n t w i c k l u n g auf ein A u s g a n g s s t a d i u m , von d e m aus noch e i n m a l in d e r gleichen Weise wie z u v o r eine Neue n t w i c k l u n g a u s g e h e n k ö n n t e . Das L e b e n ist ein geschichtlicher P r o z e ß , u n d ein solcher l ä ß t sich, da e r durchaus schöpferisch ist, nicht u m k e h r e n . Die organische E v o l u t i o n ist u n u m k e h r b a r , weil sie k e i n Mechanismus wie ein n u r die leere a b s t r a k t e „ Z e i t " ang e b e n d e s U h r w e r k ist, dessen Zeiger j e d e r z e i t auf die f r ü h e r e S t u n d e z u r ü c k g e d r e h t w e r d e n k ö n n e n . W e n n e i n m a l eine Art da war, so k o m m t sie n i e in gleicher Weise u n d mit d e m s e l b e n F o r m i n h a l t w i e d e r . Wir sagten zuvor, d a ß eine w i e d e r e i n s e t z e n d e P r i m i t i v i t ä t T o d b e d e u t e t , nicht A u s g a n g s p u n k t f ü r eine abermalige E v o l u t i o n sei. E b e n s o k ö n n e n O r g a n e , die e i n m a l rückgebildet w u r d e n , s p ä t e r nicht w i e d e r in gleicher Weise u n d von n e u e m sich a u s b i l d e n . O f t t r e t e n solche R e d u z i e r u n g e n o d e r völlige A b s t o ß u n g e n von O r g a n e n ein. Ist eine von solcher R ü c k b i l d u n g b e t r o f f e n e G r u p p e 137

noch lebensfähig, ist ihr Erbgut noch nicht aufgebraucht und wird im Lauf der weiteren Evolution das verlorengegangene Organ wieder notwendig, so wird es auf einem anderen Weg entwickelt. Ist, um ein Beispiel zu nennen, ein ehemals fünfzehiger Fuß bereits durch fortgeschrittene Spezialisation auf einen drei- oder zweizehigen reduziert und bedarf später eine Gattung wieder eines breit auftretenden sohlengängerigen Fußes, so werden nicht die fünf einstigen Zehen wiederhergestellt, sondern statt dessen wird ein Haut- und Hornballen ausgebildet, der dann praktisch denselben Dienst tun muß, wie der einstige breit aufsetzende vielzehige Fuß. Oder es haben Meerschildkröten des Erdmittelalters durch Rückbildung den Panzer verloren, er ist unwiederbringlich dahin, aber in der Tertiärzeit wird er von neuem benötigt. Dann bekommen sie ihn nicht durch Wiederauswachsen des alten Panzers aus dem Knochenskelett wie ehedem, sondern es wird ihnen aus der Haut ein harter Ledersack geschaffen, der nun dem Körper die 'notwendige abermalige feste Umhüllung bietet und zugleich den Vorteil hat, durch .seine größere Beweglichkeit den einstigen starren Knochenpanzer, der dem Schwimmen im Meerwasser ungünstig war, zweckmäßig zu ersetzen. Ein weiteres organisches Gesetz ist das der zunehmenden Entwicklungsschnelligkeit, und dieses herrscht sowohl bei dem Hervorkommen der in immer kürzeren Fristen aufeinander folgenden höheren Grundorganisationen des Gesamtlebensbaumes (Abschnitt II, 1) wie auch innerhalb der engeren, sich spezialisierenden Formenfolgen, die im Vorstehenden besprochen sind. .Was das erstere betrifft, so haben sich in der unendlich langen Zeit der vorkambrischen Erdepochen die niederen Tierstämme entfaltet. Demgegenüber kommt erst spät mit dem Silur, möglicherweise auch mit dem Kambrium (S. 76) das fischartige Wirbeltier auf. Im Karbon — die Epochen des Erdaltertums waren kurz gegen die vorkambrischen, aber lang gegenüber denen des Erdmittelalters, und diese lang gegenüber denen der Tertiärzeit — erst kommt das vierfüßige Landtier als Amphib und Reptil; in der Trias das niederste Säugetier, in der Oberkreide das höhere, und in geradezu drängender Eile entfalten sich in der Tertiärzeit alle seine weitgehend verschiedenen Untertypen und Gruppen weit rascher als die Reptilien im Erdmittelalter. So auch die Pflanzen: Bis zum Devon währt es überhaupt, daß die ersten, noch ans Wasser gebundenen Kräuter bis zu den Farnen sich ent138

wickelten; im P e r m (Oberkarbon?) kommen die ersten Nadelhölzer hinzu, u n d schon in der Mittelkreide — kurz gegenüber den alten Zeiten — ist der gewaltige Schritt zum Laubholz u n d den Bedecktsämigen getan. Man vergleiche f ü r diese allgemeine Schnelligkeitszunahme in der organischen Welt die im Absdinitt I, 6 besprochene geologische Jahresuhr. Aber diese Beschleunigung betrifft nicht nur den großen Gang der Evolution des Lebensbaumes, sondern auch den Ablauf der Spezialisationsreihen. Bei Verfolgung derselben durch die feineren Zeitstufen sieht man die primitiveren Stadien der Reihen stets sehr langsam sich in ihrer Formgestaltung vorwärtsschieben; es macht geradezu den Eindrudc, als tue sich die gestaltende Naturk r a f t anfänglich noch recht schwer, über sich selbst hinauszugehen, gerade wie die Technik des Menschen sich lange Zeiten auf einer verhältnismäßig einfachen Stufe hält u n d k a u m Fortschritte zu machen weiß. Aber allmählich kommt es in der Formenbildung zu einer größeren Schnelligkeit, was sich zugleich auch in der rascheren Größenzunahme zeigt. Ist dann aber einmal eine gewisse Schwelle der Ausbildung überschritten, vor der zuerst jede Errungenschaft mühsam erreicht wurde, so kommt es alsbald zu einer sogar o f t erschreckenden Raschheit in der Auswerfung neuer Spezialanpassungen. Ist der H ö h e p u n k t erreicht, wo in einer oder vielen Richtungen die besten, wenn auch einseitigsten Ausbildungen gelungen sind, dann schießt sehr oft die Spezialisierung, statt haltzumachen, noch über das Ziel hinaus. Es kommt zu Übertreibungen, die aus der biologischen Nützlichkeit in ebensolche Schädlichkeit ausschlagen, es kommen bizarre oder übertrieben große einseitigste Organübersteigerungen zum Vorschein u n d übertriebene Riesenformen der Gesamtgestalt. Auch das bedeutet raschesten Tod u n d Untergang, während jene Gruppen, die bei Erreichung der bestmöglichen Anpassung einhalten, auch lange in ihrer Vollkraft noch weiterleben. Wundervolle Beispiele hierf ü r bietet die Evolution der Rüsselträger (Elefantiden im weiteren Sinn), der P a a r h u f e r und der U n p a a r h u f e r ( P f e r d e im weiteren Sinn) in der Tertiärzeit. (Abb. 34—36.) Die Natur ist keineswegs immer die gütige Mutter, die ihre Wesen nur zum Besten lenkt u n d mit allem Wünschenswerten ausstattet, es herrscht in ihr eine ebenso heftig bejahende wie auch wegwerfende und zerstörerische Dämonie. Ist nicht die ganze Evolution, wie wir sie mit den Reihen kennzeichneten, eben gerade 139

der Todesweg mitten durch alle Lebensfülle? Was ist das unbewußte Ziel all der vielen Gestaltungen, die in der Erdgeschichte hervorsprießen? Alles, was sich e n t f a l t e t in der äußeren Natur, bezeichnet Wege des Hinstrebens eben auf äußeren Lebensgewinn, auf Selbstbehauptung u n d Ausnützung aller nur erreichbaren Lebensmöglichkeiten im Kampf ums Dasein. Es ist immer bio-

a

b

Abb. 34. Umbildung des Camelidenschädels aus kleinen Formen mit vollzähligem Gebiß und gestrecktem Schädel im Alttertiär, bis zum heutigen Kamel mit reduziertem Gebiß und gehobenem Schädel. Gesetz der Größenzunahme. (Nach Scott.)

logischer Fortschritt, der zustande kommt durch die Um- und Ausgestaltung, um das Leben jeweils mit möglichst vielseitiger Artenbildung vorwärts zu treiben, von denen jede ihre besonderen Eigenheiten ausprägt, sich damit biologischen Erfordernissen angleicht u n d oft zu ganz erstaunlichen Höchstleistungen, zu Rekorden f ü h r t . Aber eben diese Lebensfülle ist ja zugleich ein Einseitigwerden, ein Sichverrennen in Seitenwege, in Sackgassen der 140

Entwicklung, eine Abnahme der L e b e n s k r a f t zur Ausprägung neuer Grundgestaltung. Und kommen dann für die solcherweise einseitig ausgebildeten F o r m e n andere Lebensverhältnisse von außen heran, die nun eine erneute Formenbildung erfordern, so ist die Umbildungsfähigkeit ausgeschöpft, es kommt die Degeneration und das Ende.

Abb. form

35. Primitive fünfzehige Huftierextremität, des Säugetieres, Zehen noch gleichmäßig tertiärzeit. ( Original.)

einfachste ausgebildet,

FußAlt-

Abb. 36. Umwandlung des mehrzehigen ursprünglichen Unpaarhuferfußes der Frühtertiärzeit in den einzelligen Pferdefuß der Quartärzeit. Gesetz der zunehmenden Spezialisation. (Nach Romer.) Es gibt in der Erdgeschichte ein wundervolles Beispiel für Entstehung, Entwicklung,

Aufblühen,

sogar mehrfaches

Aufblühen,

dann aber auch Abstieg und Untergang einer geschlossenen Tiergruppe, die auf diesem ihrem Entwicklungsweg auch einen großen Seitenast treibt, dann selbst in normaler Spezialisierung am guten Ende haltmacht,

während d e r ausgetriebene

große Seitenast

rascher Entfaltung

zu

unglaublichem

dann

in

widerspruchsvolle Formgestaltungen

aber

zuletzt

Formenreichtum

in

gelangt, und

Übertreibungen sich verliert und untergeht. Es sind die mit Luftgekammerten Spiralschalen ausgestatteten, mehrmals (S. 97, erwähnten Meeresmollusken

der Nautiliden und

130)

Ammonshörner,

deren Lebensgeschichte wegen des beispielhaften Wertes hier kurz geschildert sei. Die ältesten Nautiliden

des frühen Erdaltertums hatten

gerade-

gestreckte Gehäuse. (Abb. 37.) Allmählich biegen sich diese ein, 141

w e r d e n m e h r u n d m e h r e i n g e r o l l t , bis im K a r b o n F o r m e n m i t a n e i n a n d e r g e l e g t e n U m g ä n g e n erscheinen, d a n n v o n d e r Trias ab solche, die sich zu u m g r e i f e n b e g i n n e n , zuletzt ganz e i n g e r o l l t e , b e i d e n e n d e r l e t z t e U m g a n g jeweils alle f r ü h e r e n u m f a ß t . F r a g t m a n nach d e m biologischen Sinn dieser U m b i l d u n g u n d Spezialis i e r u n g d e r einst völlig g e r a d e g e s t r e c k t e n , in die völlig k o m p a k t

Abb. 37. Schematische Darstellung der allmählichen Einrollung des Nautilidengehäuses, beginnend mit dem geradegestreckten Orthocerastyp der Silurzeit bis zum eingerollten Typ der Karbonzeit und zum Endstadium des Nautilus (seit der Jurazeit bis heute) mit völlig einander umschließenden Umgängen. (Original.)

e i n g e k u g e l t e G e h ä u s e f o r m , so gibt es v e r s c h i e d e n e H i n w e i s e . Die ä l t e s t e n g e r a d e g e s t r e c k t e n ( O r t h o c e r e n ) w a r e n ä u ß e r s t zerbrechlich. Sie k o n n t e n n u r im f r e i e n r u h i g e r e n M e e r w a s s e r schweben u n d schwimmen, a b e r wohl k a u m auf den B o d e n , noch w e n i g e r zwischen F e l s e n o d e r in u n r u h i g e s K ü s t e n w a s s e r g e h e n , auch nicht am B o d e n kriechen. D e n n gar zu leicht brach das bis zu e i n e r grob s t e c k n a d e l k o p f g r o ß e n A n f a n g s k a m m e r zugespitzte G e h ä u s e dabei 142

ab; der Lebensraum, die Lebensmöglichkeit war beschränkt u n d das Tier gefährdet. Durch die allmähliche Einrollung und das zuletzt erzielte globulöse Gehäuse wurde die Standfestigkeit der Schale ungemein gesteigert; es war jetzt sozusagen ein geschlossener Fachwerkbau geworden, widerstandsfähig gegen starke äußere mechanische Beanspruchung. Zugleich wurde Baumaterial gespart, indem das kugelige Volumen bei geringerer Schalenoberfläche viel mehr Gas in den L u f t k a m m e r n bergen k o n n t e als jene Erstgestalt, die mit ihrer langen konischen F o r m gerade die ist, die bei denkbar größter Oberfläche u n d Wändeausdehnung den verhältnismäßig geringsten Gasinhalt bergen konnte. So hat hier die N a t u r durch die Umbildung etwas geleistet, was der genialste Ingenieur nicht besser h ä t t e schaffen können. Der völlig eingerollte, schon in der Jurazeit so vollendete Nautilus aber lebt heute noch. Als die Nautiliden gerade das Stadium der ersten weitgewundenen Einrollung erreicht h a t t e n , etwa am Beginn der Devonzeit, entließ der Stamm einen neuen großen hoffnungsreichen Zweig, die dünnschaligeren Ammoniten. (Abb. 1 d.) Diese bekamen die Gehäuseeinrollung schon als volles Erbgut mit, also das, was vom Nautilidenstamm erst langsam erworben worden war. Nun entfaltete sich dieser große starke Ast in unvorstellbarer Formenmannigfaltigkeit während des ganzen Erdaltertums u n d Erdmittelalters, nicht ohne eine Aussterbekrisis an der Grenze Trias/Lias durchzumachen, wo alle erdaltertümlichen Formen erlöschen, nur ein feiner Zweig in den Jura herüberkommt u n d nun abermals eine zweite riesenhafte Blütezeit von ihm aus einsetzt. Aber mit der Kreidezeit kommen atavistische Ermüdungserscheinungen auf. Das alte nützliche Erbgut der völligen Einrollung der Umgänge wird teilweise aufgegeben (Abb. 38), es kommen wieder losgelöste uhrfederförmige Spiralgehäuse auf, also verlassene Frühstadien des Nautilusstammes. Ja die Schalen werden schneckenförmig, was f ü r das freie Flottieren im Meerwasser, das den A m m o n s h ö m e r n wesensmäßig nach ihrem Schalenbau zukommt, durchaus unzulänglich ist, sie werden also kriechende Bodenbewohner. Ja es scheint, daß sich sogar einzelne Gattungen mit den Saugarmen des Weichkörpers am Boden fest verankerten und dann ganz unregelmäßig wuchernde Gehäuse bekamen — durch u n d durch biologisch unzweckmäßige, der ganzen Lebensbestimmung des Ammonitentypus widersprechende F o r m e n ; e6 kommen auch atavistische Gattungen mit wieder primitivem Bau der inneren 143

Scheidewände auf. Dann aber erscheinen Riesengestalten, eine hat einen weit über 2 m gehenden Durchmesser — und nun stirbt auf der ganzen Erde der Ammonitenstamm völlig aus, keine Gattung geht mehr in die Tertiärzeit hinüber. Der alte Nautilus aber mit seiner ruhigen geordneten Umbildung, die kein bizarres Spiel verfolgte, hat sich bis zur Stunde noch in einigen Arten erhalten.

Abb.

38.

Aus der Art geschlagene Ammonshörner vom Ende des Erdmittelalters. (Nach Kayser und Abel.) a) Uhrfederartige Spiralform (Ancyloceras), Unterkreide; b) Schneckenhaus form (Heteroceras), am Boden kriechende Form; c) wahrscheinlich mit dem Weichkörper verankerte Form (Hamitoceras), daher luftgefüllte Schale unregelmäßig ivachsend; b u. c Oberkreidezeit.

Ein mit dieser zweiten Blüteperiode der Ammoniten gleichzeitig hervortretender Zweig der Schalenkephalopoden sind die mit innerer Schale versehenen Belemniten, die als Hauptcharakteristikum einen dicken Kalkstachel tragen. (Abb. 29, S. 114.) Auch sie bevölkern in rascher Explosion der Formen Zeitstufe um Zeitstufe die Meere der Jura- und Kreidezeit und sterben gleichzeitig mit den Ammonshörnern trotz ihres Formenreichtums am Ende der Kreidezeit völlig aus, möglicherweise bleibt noch eine einzige Gattung bis in das früheste Tertiär erhalten. Auch bei ihnen gab es zwischenhinein einige Abschwächungsperioden und erneute Blütezeiten. Soweit dieses anschauliche Beispiel einer großen, durch zwei lange Weltalter sich hinziehenden und vielseitig sich entwickelnden Gruppe. Gewiß ist alles, was wir zu allen Zeiten an Gattungen und Arten 144

blühen u n d gedeihen sehen, der kraftvolle Ausdrude des im Wesen des Organischen liegenden Unbegreiflichen, der Erbpotenzen, die sich durch Körpergestaltungen Ausdruck verschaffen, nach den eigenen, ihnen innewohnenden Gesetzen. Es ist f ü r alle organischen Formen sozusagen die in der äußeren Natur zu erfüllende Aufgabe, das Ausleben ihres Wesens, was Sinn und Zweck ihres Daseins ausmacht. Aber eben dadurch wird allmählich auch das Erbgut erschöpft — u n d die große Frage ist, wie dennoch immer wieder Neues, Höheres, Zukunftsträchtiges aufbricht, wenn alles sichtbar gewordene greifbare Leben eben durch seine äußere E n t f a l t u n g immer wieder und wieder den Leidensweg des Einseitigwerdens u n d des Todes geht? Eine die ganze Abstammungs- oder natürliche Entwicklungslehre entscheidend beherrschende Frage ist es daher, ob aus den stets vorhandenen Spezialisierungsreihen nur die einseitige Ausbildung von Organen u n d Gesamtgestalten hervorspringt, oder ob die Reihen, die wir nun einmal als echte Stammreihen im engeren Sinn ansprechen dürfen, etwa auch zugleich der Weg sind, auf dem neue Grundorganisationen hervorgehen oder hervorgehen können, gleichgültig ob man als solche Grundorganisationen nun engere oder weitere Bautypen ins Auge f a ß t . Wenn wir in der Erdgeschichte neue Grundorganisationen auftauchen sehen, so tragen sie in sich immer Eigenschaften, die sich in vorausgehenden Spezialevolutionen teilweise auch finden. Sie schöpfen also offenbar aus den f r ü h e r e n Errungenschaften der anderen, vorausgehenden. Aber dennoch ist das Neue, Höhere nie eine einfache Fortsetzung u n d Steigerung des Alten, Ausgelebten, sondern es bedeutet grundsätzlich eine neuartige Urkombination, Urkonstruktion, Urveranlagung. Es ist sozusagen ein neuer Baugedanke, nicht aber eine W e i t e r f ü h r u n g von Spezialisationen, sondern eine neue Idee der Gesamtanlage. Glauben wir auch nach dem heutigen Stand unserer Erkenntnis an den wesensmäßigen inneren Zusammenhang des Lebensbaumes — und damit k n ü p f e n wir wieder an das Ende des vorigen Abschnittes an —, so scheint uns doch der Weg, auf dem sich solch grundsätzlich Neues entfaltet — einerlei ob in engerem oder weiterem Kreis — nichts weniger als geklärt. Es sind Umprägungen, Neukonstruktionen von innen heraus; wir haben das schon dargestellt. Alles Ausentwickelte vergeht, und das Neue kommt — wir haben zunächst keinen treffenderen Ausdruck d a f ü r — aus der unsichtio

Dacque,

Vermächtnis

145

baren Tiefe des in der Keimbahn laufenden, von der äußeren Form unabhängigen Lebensstromes. Das Ergebnis dieser sachlichen paläontologischen Erfahrung ist, daß sich in der Entfaltung des organischen Reiches zwei mindestens nach außen verschiedene Formbildungsgesetze rhythmisch begegnen und miteinander wirken: periodische, rasch sich vollziehende Neuprägung und langsame evolutionäre Abwandlung. Erst indem eine Neuprägung entsteht, können auch wieder auf ihrer Grundlage Spezialisationsreihen sich auftun, nicht umgekehrt. Neue Grundformen, mit neuen Grundpotenzen ausgestattet, bedeuten also gegenüber dem ausgelebten Vergehenden neue Kraft zum Leben. Das erstmalige Auftreten des Neuen oder Höheren und die dann einsetzende Reihenbildung stellt sich in zwei Phasen dar. Die erste ist ein plötzliches explosives Erscheinen und eine formenreiche Aufspaltung sprunghaft erscheinender engerer oder weiterer Spezialtypen der Grundgestalt, der „Urform". Diese Untertypen sind wenig stabil und zugleich primitiv in ihrer Art, sie haben noch keine bestimmte Anpassungsrichtung eingesdilagen. Nur wenn bei diesen explosiv herausgetretenen Untertypen günstige Formen vorliegen, werden sie sich halten und den Weg der Ausspezialisierung beschreiten können. Es setjt also sofort mit ihrem Erscheinen eine Selektion, eine natürliche Auslese ein. Die Überlebenden treten nun in die zweite Phase ein: die der zunehmenden Spezialisation, wie wir sie beschrieben haben. Hierin gibt es dann enge, stammbaummäßige Reihen, wie die der oben genannten Elefantiden oder Unpaarhufer; es gibt auch weitgliederige, mehr als Stufenreihen aufzufassende Umwandlungen, wie die der Nautiliden und Ammoniten. Es gibt Zerteilungen, Neuaustreibung von Ästen und Zweigen, es gibt Parallelbildung mehrerer Zweige in gleicher Richtung, es gibt mehrfaches Seitenaustreiben fortbestehender Seitengrundformen (Iteration) usw. Diese Reihen alle lassen sich äußerlich aufzeigen; für das Hervorkommen grundsätzlich neuer Ausprägungen aber gilt dies nidit. Trotzdem wird man kaum zweifeln, daß auch die Neuprägung im engeren oder weiteren Maß auf physiologischem Weg aus der Keimbahn der Generationen hervorgeht und daß es sich, wie S. 133 beschrieben, in diesem Werdegang um keimlingshaft verhüllte Vorgänge allenfalls handelt. Auch hier verweisen wir auf das am Schluß des letzten Abschnittes Gesagte. Diese von anderer Seite

146

b e s t r i t t e n e Z w e i p h a s e n l e h r e b e d e u t e t die A n e r k e n n u n g p o l a r e i S p a n n u n g des L e b e n s . P o l a r e S p a n n u n g a b e r b e d e u t e t statischen u n d d y n a m i s c h e n R h y t h m u s , d e r sich periodisch in explosiv neup r ä g e n d e m u n d e v o l u t i o n a l w e i t e r l a u f e n d e m Wechsel ä u ß e r t — u n d R h y t h m u s ist das W e s e n des L e b e n d i g e n . D e r g e s a m t e S t a m m b a u m des L e b e n s , seine E n t f a l t u n g u n d A u s g e s t a l t u n g durch die E r d z e i t a l t e r s t e h t u n t e r diesem p o l a r e n S p a n n u n g s - u n d E n t s p a n nungsgesetz. W i r beschrieben im I. Teil das r h y t h m i s c h e Geschehen in den geologischen E n t w i c k l u n g s g ä n g e n u n d U m w a n d l u n g n d e r E r d o b e r fläche. Auch im A u f t r e t e n d e r organischen F o r m e n gibt es r h y t h mische B e w e g u n g e n , die m a n durch Vergleiche des A u f t r e t e n s u n d d e r E n t f a l t u n g e i n z e l n e r organischer G r u p p e n in d e n v e r s c h i e d e n e n E r d z e i t a l t e r n e n t n e h m e n k a n n . So e n t s p r i c h t das T e r t i ä r biologisch d e m K a r b o n : in b e i d e n Z e i t a l t e r n eine ü p p i g e V e g e t a t i o n , d o r t g e t r a g e n v o n n i e d e r e n T y p e n bis z u r H ö h e eines F a r n e s , h i e r v o n h o c h o r g a n i s i e r t e n L a u b h ö l z e r n u n d B e d e c k s a m i g e n ; in b e i d e n E p o c h e n s t a r k e E n t f a l t u n g v o n L a n d t i e r t y p e n : A m p h i b i e n bzw. P l a z e n t a l s ä u g e r n ; in d e n M e e r e n riesige einzellige Kalkschaler ( F u s u l i n e n , N u m m u l i t e n ) , in b e i d e n viel L a n d b i l d u n g u n d Gebirgsf a l t u n g , wie a l l g e m e i n e s W a r m k l i m a . I n D e v o n u n d K r e i d e ein N e u a u f k o m m e n von Landpflanzen, dort den frühesten niedersten, h i e r d e n s p ä t e s t e n h ö c h s t e n ; in b e i d e n e x t r e m e A m m o n i t e n . Auch E i n z e l g r u p p e n e r s e t z e n sich w ä h r e n d d e r E r d z e i t a l t e r r h y t h misch. I m U n t e r s i l u r wechseln an e i n e r b e s t i m m t e n Z e i t g r e n z e u n t e r d e n g e r a d e g e s t r e c k t e n N a u t i l i d e n (s. o b e n ) zwei g r u n d v e r schiedene S c h a l e n t y p e n ; in d e r o b e r s t e n T r i a s s t u f e v e r d ü n n t sich, wie e r w ä h n t , d e r seit d e m O b e r s i l u r b r e i t f l i e ß e n d e S t r o m d e r A m m o n s h ö r n e r bis auf e i n e G a t t u n g ; im O b e r s i l u r k o m m e n die e r s t e n echten A m m o n s h ö r n e r a u f , nach d e r Trias-Juraschwelle die B e l e m n i t e n (s. o b e n ) . Es b e s t e h t i r g e n d w i e e i n e i n n e r e p o l a r e B e z i e h u n g , ein r h y t h m i s c h e s E r s c h e i n e n u n d V e r s c h w i n d e n v o n Tier- u n d P f l a n z e n g r u p p e n w ä h r e n d d e r E r d z e i t a l t e r , es sind k o m p l e m e n t ä r e V o r g ä n g e im Spiel. Die e r s t e n Meeresmuscheln im f r ü h e n E r d a l t e r t u m w a r e n n u r B o d e n b e w o h n e r , gleichzeitig k o m m e n die N a u t i l i d e n , die n u r s c h w a m m e n ; s p ä t e r im K a r b o n b i l d e n die Muscheln auch leicht s c h w i m m e n d e F o r m e n aus, d a f ü r w e r d e n die einst n u r s c h w i m m e n d e n N a u t i l i d e n durch i h r e Einr o l l u n g auch zu k r i e c h e n d e n B o d e n b e w o h n e r n . A m E n d e d e r K r e i d e z e i t s t e r b e n m i t d e n Schrecksauriern u n d M e e r s a u r i e r n die 10*

147

Ammoniten u n d Belemniten auf der ganzen Erde aus, an der Wende vom Erdaltertum zum Erdmittelalter bis dahin sehr formenreiche Gruppen der beschälten Tascheln (Brachiopoden), die Trilobiten u n d die vierstrahligen Korallen; alle werden durch entsprechende neue Gruppen u n d Bautypen ersetzt, so die Trilobiten durch die moderneren Krebsformen (Garnelen, Krabben). Worauf aber b e r u h t das Aussterben? Wir sprachen oben schon vom Erlöschen der Erbmasse u n d ihrer formschaffenden Potenzen. Wir sagten auch, daß das Leben ü b e r h a u p t zyklischen Charakter habe u n d immer wieder von Geburt zum Tod aus inneren Gründen gelange. Beim Einzelindividuum verstehen wir es unmittelbar — aber gilt dies auch f ü r die Stämme u n d Äste des Tier- u n d Pflanzenreiches, ja f ü r die Gattungen und Arten? Man muß, um es zu verstehen, einen erweiterten und vertieften Begriff der organischen Gestalt sich zu eigen machen. Daß ein Einzelwesen Gestalt hat, ist uns unmittelbar verständlich; daß aber die Art und Gattung Gestalt hat, ist dem Denken ungewohnter, doch auch hier besteht eine solche, aber in einem die Individuen in einem höheren lebendigen Strom erblickenden, durchaus naturwirklichen Sinn, nicht bloß im abstrakten Begriff. So haben auch die Äste, die Stanlmreihen u n d Spezialisationsreihen ihre in sich geschlossene stammesgeschichtliche Gestalt. Die ganze derartige K e t t e ist eine „phyletisdie" Einheit u n d wie alles Leben der Einzelform n u n auch dem Zyklus von Entstehen, Reifen, Altern u n d Sterben unterworfen. Es ist der natürliche Gang des Lebens, u n d es liegt daher im Wesen der gesamten Entwicklung, sowohl der Arten wie der höheren Einheiten, der Gruppen, also der Äste des Lebensbaumes, ja endlich des Lebensbaumes selbst, zu entstehen u n d zu sterben. Vielleicht wird auch einmal der gesamte Lebensbaum, als umfassendste, phyletisdie Gestalt genommen, sein Aussterben haben, vermutlich wenn seine höchste Grundform, der Mensch, seinen Entwicklungsgang vollendet u n d in äußerster Spezialisierung seine Erbmasse aufgebraucht haben wird. Es gibt verschiedene Wege des Aussterbens der Formen u n d Formenreihen in der erdgeschichtlichen Zeit. Das eine ist das Verschwinden der Arten dadurch, daß sie sich zu neuen umbilden; das ist aber dann nur ein Scheinsterben, in Wirklichkeit vorwärtsschreitendes Leben. Sodann gibt es ein Aussterben durch Katastrophen, wenn bestimmte engere Lebensräume ausgelöscht werden, in denen sich noch die legten Vertreter einer Gattung oder eines 148

Spezialstammes, einer Gruppe oder Ordnung des Tier- oder Pflanzenreiches befinden und an Zahl und räumlicher Ausdehnung bereits reduziert sind, was eben auf ein schon in Gang befindliches Aussterben aus inneren Gründen ihrer Evolution, die abgelaufen ist, deutet. Und diese inneren Gründe sind zu suchen, um endlich das phyletische Aussterben verständlich zu machen. Dazu gibt es folgende Theorie. Die Spezialisationsreihen als wahre Stammreihen endigen, wie gezeigt, mit zunehmendem Größenwachstum der Arten, also der die Arten repräsentierenden Individuen. Individuen hören erfahrungsgemäß mit der Geschlechtsreife auf, zu wachsen. Riesenwachstum aber tritt dort ein, wo die Entwicklung und Tätigkeit der Geschlechtsdrüsen hinter der Gesamtentfaltung des Organismus zurückbleibt. Die Geschlechtsdrüsen nun hängen mit einigen anderen innersekretorischen Drüsen zusammen, die den Breiten- und Höhenwuchs des Individuums regeln und sich gegenseitig hemmen oder fördern können; sie unterstehen alle der Herrschaft der Geschlechtsdrüsen. Lassen diese nach, so werden auch die anderen in ihrer Wirksamkeit betroffen. Das Entstehen von Riesenformen in einer Stammreihe ist Ausdruck für eine Entwicklungshemmung der Geschlechtsdrüsen, somit ein Nachlassen der Fortpflanzungskraft. Dies muß unter gleichzeitiger schwächender Beeinflussung der damit gekoppelten Drüsen zum Aussterben führen. Aber dies hinwiederum ist verkettet mit der Eigenschaft der kolloidalen physiologischen Substanzen, aus dem feinstrukturellen Zustand in den der groben Dispersion überzugehen, womit eine Auflockerung und ein Nachlassen der Oberflächenenergie verbunden ist. Das Altern der Organismen ist gerade an diesen Stoff geknüpft, die Kolloide werden beim Altern wasserärmer. Auch kettenartige organische Verbindungen sind aktiver als ringförmige, erstere suchen stets in diese entropisch überzugehen; daß dies verhindert wird, ist eben die Aktivität des Lebens. Nun treten gerade bei stammesgeschichtlich gealterten Gruppen, wie es an Pflanzen festgestellt wurde, auch komplexe chemische Ringverbindungen auf, d. h. Alkaloide von hoher Stabilität. Aber damit wird die Reaktionsfähigkeit des Zellplasma verringert, es erfolgt das entwicklungsgeschichtliche Altern und Sterben. Es ist also die Auflösung des physiologischen Gleichgewichts, die sich in der phyletischen Reihe wirksam erweist. Wie die Kleinheit des Individuums in seiner Frühphase mit anderen primitiven Formmerkmalen verbunden erscheint, so sind mit dem Riesen149

Wachstum zugleich g r e i s e n h a f t e M e r k m a l e u n d einseitige Überspezialisationen v e r b u n d e n . U n d so ist das endliche A u s s t e r b e n auch der l e b e n s k r ä f t i g s t e n Stamm- u n d Spezialisationsreihe ein durch das E r l ö s d i e n i n n e r e r K r ä f t e b e w i r k t e r Vorgang, u n d wie b e i m I n d i v i d u u m ist auch der Lebenszyklus der „phyletischen G e s t a l t " von i n n e n h e r a u s einmal abgeschlossen. Auch d a r a u s geht hervor, d a ß der Abschluß einer Spezialisationsreihe nicht der Ausgangsp u n k t f ü r eine n ä c h s t h ö h e r e G r u n d o r g a n i s a t i o n sein k a n n , sond e r n d a ß diese auf einem a n d e r e n Weg e n t s t e h e n m u ß .

6. Der

Mensch

als

Naturgestalt

Es gibt eine Anzahl sehr schwerwiegender G r ü n d e f ü r die Ann a h m e einer sehr u n m i t t e l b a r e n Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t von Mensch u n d Menschenaffe. Zunächst ist der allgemeine K ö r p e r b a u , der B a u p l a n , die G r u n d o r g a n i s a t i o n ein- u n d dasselbe. Beide sind von G r u n d aus a u f r e c h t g e h e n d e Gestalten, der Mensch am vollkomm e n s t e n ; sie sind grundsätzlich V i e r h ä n d e r , nicht V i e r f ü ß l e r , ihre A u g e n sind nach v o r n e gerichtet u n d sie gehören derselben Blutg r u p p e an. Einige der Menschenaffen sind mit uns n ä h e r v e r w a n d t als u n t e r sich; Gorilla u n d Schimpanse h a b e n mit dem Menschen gewisse K ö r p e r m e r k m a l e gemeinsam, durch die sie sich etwa vom O r a n g - U t a n oder d e m Gibbon unterscheiden. A m nächsten steht u n s der Schimpanse, u n d wohl kein Besucher eines zoologischen G a r t e n s wird sich eines eigenartigen G e f ü h l s gerade gegenüber dieser Tiergestalt e r w e h r e n k ö n n e n . Sind solche T i e r e u n s e r e A h n e n oder gar h e r a b g e s u n k e n e F r ü h m e n s c h e n ? Es w a r die ursprüngliche A n n a h m e der allgemeinen Abstammungslehre, daß der Mensch ü b e r die S t u f e der Menschenaffen von nied e r e n a f f e n a r t i g e n F o r m s t a d i e n h e r seinen naturgeschichtlichen Ausgang g e n o m m e n h a b e . Es wäre gegen diese H y p o t h e s e , die sich aus f o r m a l e n morphologischen G r ü n d e n wohl v e r t r e t e n läßt, auch h e u t e noch nichts e i n z u w e n d e n , w e n n sich nicht mit entsprechend schwerwiegenden G r ü n d e n d a r t u n ließe, d a ß sämtliche uns bek a n n t e n Menschenaffen bei aller im B a u p l a n g r u n d l e g e n d e n Übere i n s t i m m u n g doch h i n w i e d e r u m in vielen entscheidenden Merkm a l e n als einseitige Spezialisierungen seitab von der vollen Menschengestalt bzw. ü b e r sie h i n a u s g e t r i e b e n sind. Wie aber im vorausgehenden K a p i t e l schon dargelegt, ist es aus paläontologisch 150

eindeutig festgestellten Gründen unmöglich, daß eine bereits seitab entwickelte Gattung innerhalb der Stammreihe desselben Grundplanes der Ahne einer primitiveren und wieder eigens spezialisierten Gattung sein kann. Der Mensch aber ist ursprünglicher gebaut als sämtliche jetjtlebenden und, soweit sie überhaupt bekannt, auch vorweltlichen Menschenaffenformen, die alle zweifellos der gleichen Grundorganisation angehören. Wo der Mensch vorgeschrittener, oder sagen wir, selbst eigenartiger spezialisiert ist, sind es Merkmale, wie die Vergrößerung der Gehirnkapsel, die Gehirngestaltung, die Rückbildung des Kieferapparates, die Ausbildung des Kinns. Aber in anderem wieder ist der Mensch einfacher, ursprünglicher innerhalb der gemeinsamen Grundorganisation als die Menschenaffen. Die Hand des Menschen ist von einer nicht zu überbietenden Ursprünglichkeit ihrer Anlage. (Abb. 39.) Die vollkommen unbeeinträchtigte Fünffingerigkeit kann gar nicht einfacher gedacht werden. Bei den Säugetieren, z. B. bei den frühesten alttertiären Huftieren, ist die völlig ausgebildete fünfzehige Extremität (Abb. 35) das Anfangs- und Ausgangsstadium für alle späteren Abwandlungen in die Vier-, Drei- und Zweizehigkeit (Paarhufer) oder Einzehigkeit (Unpaarhufer). (Vgl. S. 139.) Die Hand der Menschenaffen dagegen ist durchweg durch das Klettern einseitig spezialisiert. (Abb. 40.) Oder die Augenstellung: Der Mensch hat als ein-

Abb. Abb.

39. Menschenhand tung m der Reihe 40.

Spezialisierte, des

und Menschenfuß als Menschenaffe — Mensch.

einseitig Menschenaffen.

an

einfachste (Nach

das Klettern angepaßte (Nach Romer.)

GestalRomer.) Hand

151

ziges „Säugetier" vollkommen stereoskopisch nach vorne eingestellte Augen; bei allen sonstigen Säugern aber stehen die Augen mehr oder weniger seitwärts. Wären die Menschenaffen ein stammesgeschichtliches Zwischenstadium vom Säugetier zum Menschen, so müßten ihre Augen noch um ein weniges seitwärtiger stehen als die des Vollmenschen; statt dessen sind sie noch enger gegen die Nasenwurzel hin zusammengerückt, also über den Menschen hinaus spezialisiert. Seit Aufstellung der Abstammungstheorie hat man viele „primitive" fossile Menschengestalten entdeckt, die alle der Steinzeit angehören. Die gesamte Steinzeit liegt im späteren, mit ihren bisher erkennbaren Anfängen höchstens im mittleren Diluvium. Man unterscheidet von oben nach unten eine Jungsteinzeit, eine Mittelsteinzeit u n d eine Altsteinzeit; sie werden nach den darin aufgef u n d e n e n Menschenwerkzeugen und teilweise den Menschenresten selbst eingeteilt. Die bekannteste mittelsteinzeitliche Menschengestalt ist der Neandertalertypus, nicht ganz als Vollmensch in unserem Sinn anzusprechen, mit derbem Schädel, über den Augen mit Knochenwülsten, fliehender Stirn u n d mangelndem Kinn, die Körperhaltung mehr vorwärts gebeugt. Etwas f r ü h e r zu datieren ist ein Unterkiefer aus den Neckarsanden bei Heidelberg, der Heidelbergmensch (Abb. 41), mit zwar vollmenschlichem Gebiß, aber im Kieferbau doch weniger vollmenschlich als der Neandertaler. Noch etwas älter ist u. a. der anatomisch u n t e r dem Neandertaler stehende Pekingmensch (Abb. 42), auch der südafrikanische Rhodesiamensch, und ihnen voraus geht der vielberufene Pithecanthropus von Java, vielleicht eine Menschengestalt, aber im Gebiß primitiver. Dieser gehört in die älteste Stufe der diluvialen Eiszeit. Seine Schädelkalotte steht zwischen einem hypothetischen Vormenschen und einem pekingartigen Menschen. Eine andere Art, die Karmelform aus Syrien, ist nicht so differenziert und spezialisiert wie der Neandertaler, also vollmenschlicher und daher uns ähnlicher. Schon dadurch scheidet der letjtere aus der unmittelbar zum Vollmenschen hin gehenden Stammbahn aus. Gehen wir aber zurück vor die Eiszeit, in die Tertiärepoche, so begegnet uns eine schimpansenartige Form in Südafrika mit einigen menschenh a f t e n Merkmalen. Die tertiärzeitlichen Reste von Menschenaffen sind, weil zu unvollständig, nicht auswertbar. Niedere Gattungen im Alttertiär, von denen eine seinerzeit allzu voreilig als „ A h n e sämtlicher Simiiden u n d H o m i n i d e n " angesprochen wurde, haben 152

sich inzwischen gleichfalls als auf eigener B a h n spezialisierte Gattungen erwiesen. Alle eiszeitlichen Menschenarten gelten, wenigstens formal, als „ V o r l ä u f e r " , das will sagen, als wirkliche natürliche Ahnen von Vollmenschen oder mindestens als Nächstverwandte von wirklichen Ahnen. Sie gehen ihm, den F u n d e n gemäß, einstweilen noch zeitlich voraus, sie zeichnen sich im ganzen durch „ n i e d e r e Org a n i s a t i o n " aus. Hier begegnen wir einer Verwechslung der beiden Grundbegriffe „ h ö h e r " und „niederer", „primitiv" und „ s p e z i a l i s i e r t " . Die fossiAbb. 41. Unterkiefer von Heidellen Frühmenschen gehören berg, sehr starke Knochenbildung, aber rein menschliches Gebiß. nicht einer niedereren GrundEiszeit. (Nach Wiegers-Weinert.) organisation an als der VollAbb. 42. Schädel des altsteinund Jetztmensch, sondern gezeitlichen Pekingmenschen, Eishören zur selben wie er. Aber zeit. Starke Knochenwülste über innerhalb dieser gemeinsamen den Augen, niedere Schädelkalotte. (Nach Romer.) Grundorganisation sind sie gegenüber dem in eigner B a h n vorgeschrittenen, aber im Grundplan doch eben noch ganz ursprünglichen Vollmenschen spezialisiert. Wir haben es also mindestens mit einem S t a m m a s t voller Spezialisationskreuzungen (S. 126) zu tun, aber mit keinem echten Stammbaum. Das eben Dargelegte gewinnt nun erhöhte B e d e u t u n g , wenn wir die individuelle Entwicklung des Menschenwesens vom Keimlingszustand her betrachten und ihn sowohl mit seinem eigenen ausgewachsenen und A l t e r s s t a d i u m wie mit der Jugendgeschichte d e r Menschenaffen vergleichen. (Abb. 43.) Da ergibt sich, daß der jugendliche Vollmensch eben vollmenschlicher ist als der erwachsene, was sagen will, daß er die ideale U r f o r m reiner repräsentiert als der alternde und alte Mensch. Sein Schädel ist gewölbter, sein Gesicht idealisierter, es fehlen noch die A n d e u t u n g e n von Knochen153

wülsten über der Nasenwurzel und den Augen, wie sie der alte hat. Und nun sehen wir auch, daß die Jungen der Menschenaffen, vollends die des Schimpansen, aber auch die entfernteren, im erwachsenen Zustand schon weit tierhafteren (Gorilla, Orang-Utan), gleichfalls vollmenschlichere Gestalt und vor allem Schädelform

(Orig.) Abb. 43. Skelett von Mensch und Menschenaffe. Mensch, Junges des Gorilla, Gorilla. Schädel und Gebiß beim Jungen menschenähnlicher als beim Alten.

haben als die ausgewachsenen Individuen. Die oberen Vorderextremitäten sind im Verhältnis noch nicht so lang, das Gebiß noch menschenähnlicher, der besonders für die Affen bezeichnende Edizahn noch nicht so entwickelt; der Schädel vollkommen gewölbt, hochstirnig; die Augen- und Schädelwülste sind noch nicht zu sehen. Aber noch überraschender wirkt es, wenn uns beim Steinzeitmenschen abgeschwächt dasselbe begegnet: auch dort ist der Jugendliche idealer vollmenschlich als der Erwachsene, an dem sich manche, dem Affenstadium näherkommenden Merkmale zeigen. 154

Wollen wir dies im Geiste der gewöhnlichen Abstammungslehre auswerten, so bedeutet es, daß die vergleidiende Morphologie und die individuelle Entwicklungsgeschichte, soweit sie überhaupt Beweismittel f ü r wahre natürliche Stammesgeschichte sind, dartun, daß Crundanlage und Frühzustand des Vollmenschen der Ausgangspunkt sowohl für den erwachsenen, also „späteren" Menschenzustand, wie auch für den dem Menschen nächststehenden Tierzustand und endlich für den „niederen" Eiszeitmenschen sind. Mithin kommt das höchste Säugetier, der Menschenaffe, von der „Urform" des Vollmenschen her, nicht dieser von ihm. Der „frühere" Menschenzustand ist vollmenschlicher als der des Eiszeitlers. Der heutige Mensch aber zeigt in seiner individuellen Entwicklung, daß er immer noch nicht jenes Formstadium erreicht hat, das er seiner frühesten Anlage nach in sich trägt. Kann, wie im Abschnitt 11,5 gezeigt, das Primitive nicht vom Spezialisierten stammen, so kann zwar in derselben Stammreihe auf das Spezialisierte wieder ein scheinbar Primitives noch einmal folgen, aber das ist ein impotenter Rückschlag ohne Inhalt, erbleer, nicht mehr zukunftsträchtig. Wir sagten aber, der jetjige Vollmensch sei in vielem primitiver als der Eiszeitmensch. Wir dürfen aber nicht etwa diese „Primitivität" des Vollmenschen atavistisch deuten. Denn wir haben wahrlich keinen Grund, den Vollmenschen für atavistisch gegenüber dem Altsteinzeitler oder dem Menschenaffen zu halten. Eine Formenreihe Affe-Menschenaffe-FrühmenschVollmensch aufzustellen, ist reiner Formalismus, aber kein Stammbaum im wahren Sinn und ist angesichts der paläontologisch begründeten Erkenntnis der wirklichen Entwicklungsgesetz um ein halbes Jahrhundert des Denkens und der naturgeschichtlichen Erfahrung veraltet. Ein weiteres Moment, das verbietet, den Vollmenschen unmittelbar über den Eiszeitmenschen vom Menschenaffen abzuleiten, ist die Ausbildung des Eckzahnes. Dessen große Stärke ist sowohl ein Kennzeichen für die Menschenaffen wie für die niederen Affen. Der alte Unterkiefer von Mauer müßte einen besonders starken Eckzahn haben, da er zeitlich wesentlich früher steht als andere Menschenformen; aber er zeigt ein sehr reines vollmenschliches Gebiß. Auch die jugendlichen Menschenaffen haben ein solches, wie schon erwähnt. Was aber das Gebiß der niederen Affen betrifft, so ist es fraglich, ob es in seiner Anordnung überhaupt dem Menschenaffen- und Menschengebiß entspricht, da möglicherweise der 155

Affeneckzahn ein vorgeschobener vorderer Backenzahn ist. Immerhin d ü r f t e auch das Gebiß der niederen Affen aus einer Gebißform mit einfachem Eckzahn hervorgegangen sein. Doch das sind sehr verwickelte Spezialfragen. Aber sehen wir nun einmal ab von dem formalen Aneinanderreihen von allerhand Arten, fossilen u n d lebenden, zu Stufenreihen, die jedoch keine echten Stammreihen sind; sehen wir ab vom Verschwimmen der Formgestaltungen ineinander und besinnen wir uns auf das Wesensmäßige der naturhistorischen Menschengestalt, auf ihren Grundplan, so erweist sie sich als eine eigene Uranlage^ in die, wie oben gesagt, der Eiszeitler u n d die Menschenaffen durchaus miteingeschlossen sind. Alle irgendwie b e k a n n t e n heutigen oder urweltlichen Säugetiere, die nicht in diese Grundanlage mit eingeschlossen sind, sind von Grund aus Vierfüßler. Die Extremitäten des Menschen aber sind in ihrer Grundanlage nicht Füße, sondern Hände. Die Hand aber ist gerade das wesentlich Menschenhafte, abgesehen von anderem, wovon nachher die Rede. Auch der Menschenfuß ist seiner Anlage nach eine Hand, mindestens kein V i e r f ü ß l e r f u ß . Es ist daher ein grundsätzlicher methodischer Fehler, wenn man eine Hand aus einem V i e r f ü ß l e r f u ß „ableiten" will, sei es formal, sei es genetisch; man k a n n sie n u r vergleichen. Formulieren wir die morphologische Grundidee der Menschengestalt, so können wir bildlich sagen: Die Grundkonzeption in der Natur, als der Mensch wurde, ist ein Lebewesen, dessen „ U r f o r m " darin besteht, daß es einen schöpferischen Verstand hat, dazu Träger eines Vollhirnes ist u n d einer H a n d , mit völlig aufrechtem Gang und genau stereoskopisch stehenden Augen. Nun tritt dieses Wesen hinein in die physische Welt als „ A r t " , es muß auf dem irdischen Boden im Raum sich bewegen, muß gehen, greifen. Es wäre eine Natnrwidrigkeit, wenn es mit vier H ä n d e n zur Welt käme, also als Nicht-Vierfüßler die vier H ä n d e notgedrungen wie ein Vierfüßler zum Laufen benützen müßte. So tritt in natürlicher Anpassung der Formzustand ein, den wir an der physischen Menschengestalt wirklich sehen: die H i n t e r h ä n d e sind zu einem in eigenem Grundplan liegenden Fuß, nicht zu einem V i e r f ü ß l e r f u ß umgebildet. Dieser Menschenfuß ist also eine modifizierte H a n d , und dieses Gebilde ist stammesgeschichtlich niemals ein Vierfüßlerf u ß gewesen. Dagegen waren alle Vierfüßlerfüße, die wir aus der Geschichte des Lebens kennen, schon von Grund aus Füße. Bildet 156

sich die Uranlage der Menschenhand zu einem „ F u ß " um, so bringt dies einen Scheinfuß hervor, wenn wir den V i e r f ü ß l e r f u ß sozusagen als den „echten", wahren F u ß ansehen; bildet sich, etwa durch Klettern, der V i e r f ü ß l e r f u ß zu etwas Handartigem um, so bringt dies eine Scheinhand hervor, wenn wir die H a n d des Menschen als die „echte", wahre H a n d ansehen. Durch diese beiden, sich in der Natur überkreuzenden Vorgänge entstehen n u n bei wirklichen Lebewesen Übergangsbildungen und verleiten bei einem n u r äußerlichen V e r f a h r e n dazu, anzunehmen, diese formal ineinander übergehenden Bildungen seien Beweisstücke f ü r die „ A b s t a m m u n g " des Menschen vom Vierfüßler. So sind Mensch u n d V i e r f ü ß l e r allein schon nach diesem Merkmal verschiedene Grundanlagen der organischen Gestalt, mögen sie biologisch und physiologisch und auch in einzelnen morphologischen Merkmalen noch soviel Gemeinsames haben. Im Menschen liegt eine neue Grundkombination vorausgegangener Eigenschaften vor, die Menschengestalt ist eine neue Grundanlage der organischen Natur. Verglichen mit sämtlichen wirklichen, nicht hypothetischen Säugetieren erscheint der Mensch in mancher Hinsicht, nicht durchweg, sogar als ein in der vollen Ausspezialisierung gehemmtes Wesen, er bleibt, wie dies auch gelegentlich im Tierreich zu sehen, auf einem Frühzustand stehen und wächst mit diesem zu einem fertigen geschlechtsreifen Wesen aus. Nur dadurch ist es möglich, daß sich sein hervorragendstes Merkmal, der aufrechte Gang u n d das Großhirn mitsamt der Hand, so eindeutig und unbeeinträchtigt halten. Zugleich wird es auch erklärlich, weshalb gerade der Mensch, verglichen mit allen Tieren, eine so lange unbeholfene Jugendzeit durchmacht, während jene ihr allgemeines Grundstadium rasch durchlaufen u n d sofort in die einseitige Entwicklung ihrer Spezialbildung hineingehen. Man k ö n n t e allerlei Momente a n f ü h r e n , um die Täuschung in stammesgeschichtlicher Hinsicht zu kennzeichnen, denen eine bloß formale Morphologie immer wieder unterliegt. Aber das eine ist wohl gewiß: die Menschenaffen sind in den Menschenbauplan einzubeziehen, sie erweisen sich aber als einseitig abgewandelte, ja in mancher Hinsicht überspezialisierte Abkömmlinge einer Grundform, die bei ihrem naturgeschichtlichen A u f t r e t e n sofort in eine Anzahl Zweige wohl explosiv auseinandertrat und sofort auch, nach Abstoßung der zum Menschenaffen f ü h r e n d e n Linien, den Voll157

mensdienstamm hervorkommen ließ. Es muß dies immerhin schon erdgeschichtlich f r ü h e r als in der Eiszeit gewesen sein. Der Mensch wurde daher naturgesdiichtlidi nicht Mensch, weil sich ein Affenstamm einmal ausentwickelte in irgendeiner Anpassung an die Umwelt. Es ist vielmehr, wie einmal ein f r ü h e r e r Anthropologe sagte, das große Wunder, daß der Mensch sich ohne diese Anpassung in der äußeren N a t u r b e h a u p t e n konnte. Das zeigt, daß er von der Grundwurzel her eben „Mensdi" mit den zur Beherrschung der Umwelt dienenden geistigen u n d körperlichen Eigenschaften war und jener mehr t i e r h a f t e n Körperspezialisationen nicht bed u r f t e . U n d ein neuerer Anthropologe sagt: „Wenn es nicht vor der Menschwerdung schon Wesen gegeben hätte, die imstande waren, mit Bewußtsein Handlungen auszuführen, die von der Gemeinschaft verstanden wurden u n d zur Besserung ihrer Lebensverhältnisse f ü h r e n k o n n t e n , dann wäre auch tro§ aller körperlichen Vorbedingungen niemals das geistige Wesen ,Mensdi' e n t s t a n d e n . " Heißt das aber etwas anderes, als daß schon in seinem physischen Urzustand der Mensdienstamm spezifisch menschlich war? Aus der durchaus in der Grundanlage „menschlichen" Urwurzel spaltete sich, wie betont, sofort einerseits das Menschenaffenwesen, andererseits das urtümlich Vollmenschenhafte ab. Wie nun diese Stammform selber aussah, wissen wir nicht, aber auf keinen Fall war sie ein Baumbewohner im Sinn des Klettertiers, selbst wenn sie der physischen Sicherheit wegen auf Bäumen wohnte. Denn sie war jedenfalls kein Vierfüßler, auch kein Vierfüßlerabkömmling, der kletterte, u n d auch kein primitiver Affe, auch kein Menschenaffe, d e r kletterte. U n d das f ü h r t uns zur Betrachtung des letjten entscheidenden Merkmales, des von Grund aus a u f r e d i t e n Ganges. Hierzu ist eine in zweifacher Hinsicht grundsätjliche Unterscheidung zu machen. Ebenso wie das Gehen ist das Klettern des Vierfüßlers u n d das des Menschenaffen etwas Grundverschiedenes. Der kletternde Vierfüßler bleibt im Grund ein Läufer, dessen F ü ß e oft nur zu einem Scheinklettern handartig angepaßt sind. Das echte Klettern aber, sofern wir diesen Begriff unserem eigenen turnerischen Können entnehmen, ist ein Umgreifen mit der H a n d und dem hierzu geeigneten opponierbaren Daumen und, wenn es zugleich u n t e r Hinzunahme der F ü ß e geschieht, mit der sekundär wieder opponierbaren großen Zehe. Deshalb können die Menschenaffen echt klettern im menschlichen Sinn, u n d zwar vollkommener 158

als der Mensch, weil sie Hand und Handfuß völlig einseitig zu dieser Klettertätigkeit umgebildet, ausspezialisiert haben und ihr Skelett entsprechend umgeprägt ist. Wir, die Menschen, sind darin ursprünglicher, ja sogar völlig unberührt geblieben. Weil aber, wie dargelegt, das Ursprünglichere nicht vom Fortgeschrittenen abstammen kann, kann auch der Mensch weder vom Menschenaffen abstammen, noch kann er zuvor selbst ein Klettertier gewesen sein. Unsere Hand ist unbeeinträchtigt geblieben von dieser Entwicklung, und sie hätte, da es keine Umkehrbarkeit der Entwicklung zum Anfangsstadium, außer einem atavistisch degenerativen, gibt, niemals wieder Menschenhand werden können, wenn sie je einmal an das Klettern angepaßt gewesen wäre. Der Mensch ist somit von seiner Uranlage, seiner „Urform" her von Grund aus das aufrechtgehende Wesen. „Gehen" im menschlichen Sinn kann allein der Mensch, kein Menschenaffe und kein Vierfüßler, auch der oft wie menschenartig gehende Bär nicht, dessen Extremitäten zugleich mit denen des Seehundes noch am meisten formal menschenähnlich, aber im Grund immer noch Füße sind. Auch etwa aufreditgehende Echsen früherer oder heutiger Zeit haben kein rechtes Aufrechtgehen an sich, denn es sind nur aufgerichtete, aber nicht in der Grundanlage des Körpers aufrechtgestellte Wesen. Der Mensch unterscheidet sich in seiner Körperform grundsätzlich von allem Yierfüßertum durch die Lage seiner durchgehenden Körperachse. Diese ist beim Vierfüßler von allem Anfang an wagrecht, läuft bei den ursprünglichsten Formen nach vorne in die wagrechte Schädelachse aus und se§t sich nach rückwärts ebenso in den vielgliederigen Schwanz fort. (Abb. 24, S. 106.) Die Extremitäten sind senkrecht dazu gelagert. Durchaus und vom Ursprung her anders steht es mit der Menschengestalt. Ihre Körperachse ist durchaus lotrecht, die Extremitäten sind zu dieser Richtung nicht quer, sondern parallel eingefügt, der Schädel steht senkrecht zur Höhenachse und der kleine scheinbare Schwanzstummel ist überhaupt seinem Wesen nach keine Wirbelsäulenverlängerung, also kein tierischer Schwanz, sondern das über dem Becken etwas abgebogene Ende der Vollwirbelsäule. Es ist in alledem derselbe grundsätzliche Unterschied, wie wir ihn für die Menschenhand gegen den Vierfüßerfuß angegeben haben. Der Mensch ist also auch hierin von eigener Grundanlage, und die dazugehörenden Menschenaffen sind mit ihrer Vorwärtsbeugung der 159

Wirbelsäule vom lotrechten Menschenskelett herkommende Überspezialisierungen, nicht dessen Vermittler zum vierfüßigen Säugetier. Dies .gilt abgeschwächt auch von den „primitiven" Eiszeitmenschen. Man kann auch, da diese beiden Typen selbst gegenüber der Grundanlage abspezialisiert sind, nicht den Nachweis einer „Erwerbung des aufrechten Ganges" beim Menschen aus dem Vierfüßler fordern und die gebücktere Haltung des Eiszeitlers und vollends des Menschenaffen gewissermaßen als stammesgeschichtlichen Übergangszustand hierfür ansehen. Die Gebißform, aber auch die Stellung der Zahnreihen hat eine hinweisende Bedeutung für die stammesgeschichtliche Stellung des Menschen zu den Vierfüßlern und damit für die mögliche zeitliche Herkunft seiner Gestalt. Es haben nämlich alle Reptilien, nicht nur die heutigen, sondern auch die der Vorzeit, auswärts geneigte Zahnreihen, alle Säugetiere einwärts geneigte; der Mensch allein hat vollkommen aufrechtstehende. Danach würde der Mensch vor alle Säugetiere treten, und diese vermitteln nicht etwa zwischen ihm und jenen tieferstehenden Vierfüßlern. Am ehesten schließt er sich hierin an die erdgeschichtlich frühen Amphibien an, wie sich ja auch nur bei diesen sehr alten Wesen Andeutungen eines opponierbaren Daumens finden; aber auch diese Gestalten sind nicht in den wahren Menschenstamm mit hereinzubeziehen, sie waren eben einseitig ausgebildete Amphibien. Das Hervorkommen des Menschen in der äußeren Natur bedeutete eine neue Grundform und damit eine neue Potenz, er schuf sich selbst eine neue, vorher nicht dagewesene Umwelt, eben gemäß seinem Grundbauplan. Wir können vorläufig nur mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, daß eine höhere, sehr menschenhafte Grundform der naturgeschichtliche Stammvater des heutigen Vollmenschen und auch schon des Eiszeitmenschen -war. Diese Grundform ist zu suchen. Wir können uns heute nicht mehr mit einer rein idealistischen Morphologie begnügen, denn wir wissen augenfällig um die Entfaltung und Entwicklung des Lebens in der Zeit. Aber wir dürfen auch nicht fortgesetzt den umgekehrten „idealistischen" Fehler begehen, uns durch formale Konstruktionen und Reihenbildungen echte Stammbäume vorzutäuschen. Beides ist einseitig und wird dem wirklichen Werdegang des Organischen nicht gerecht. Das ist nun kein besonderes Ergebnis der Forschung über den Zusammenhang von Mensch und Tier, sondern ist dem Sinn nach 160

das gleiche, was m a n f ü r alle wirklich d a g e w e s e n e n G a t t u n g e n u n d G r u n d f o r m e n des Tierreiches i m m e r w i e d e r f a n d : der S t a m m b a u m als Ganzes b e s t e h t n u r durch f o r m a l e r d a c h t e A h n e n , nicht aus wirklichen A r t e n . Wir s t e h e n m i t d e r F r a g e nach d e r Säugetierh e r k u n f t des Menschen d a h e r vor d e m s e l b e n R ä t s e l , vor d e r s e l b e n E r f a h r u n g , welche die p a l ä o n t o l o g i s c h e F o r s c h u n g f ü r alle ü b r i g e n Aste u n d Zweige des Tier- u n d P f l a n z e n r e i c h e s m a c h t e : n i e m a l s liegen u n s wirkliche, n a t u r g e g e b e n e erwachsene F o r m e n vor, die so beschaffen gewesen w ä r e n , d a ß m a n m i t i h n e n auch n u r innerh a l b e n g e r e r G r u p p e n e i n e n d u r c h g e h e n d e n S t a m m b a u m , geschweige d e n n e i n e n solchen f ü r das g e s a m t e Lebensreich aufb a u e n k ö n n t e . W e n n wir d a h e r sagen, d e r Mensch e n t s p r a n g d e m h ö h e r e n „ S ä u g e t i e r s t a m m " , so m a g dies bildlich insoweit richtig sein, als wir u n s b e w u ß t b l e i b e n , d a ß sich seine M o r p h o l o g i e ideell mit j e n e r d e r h ö h e r e n S ä u g e t i e r e u n d schließlich auch noch m i t a l l e r h a n d n i e d e r e n V i e r f ü ß l e r n in B e z i e h u n g setjen l ä ß t ; aber es ist naturhi6torisch falsch, w e n n wir d a m i t sagen wollen, er sei wirklichen e h e m a l i g e n o d e r h e u t e noch l e b e n d e n S ä u g e t i e r e n , die wir n e n n e n k ö n n t e n , also etwa b e s t i m m t e n A f f e n u n d Menschenaffen e n t s p r o s s e n . Soweit die F r a g e nach d e r stammesgeschichtlichen H e r k u n f t d e r n a t ü r l i c h e n Menschengestalt. N a c h d e m diese a b e r e i n m a l sich zu d e m e n t f a l t e t h a t t e , was wir an fossilen u n d urgeschichtlich überl i e f e r t e n M e n s c h e n g e m e i n s c h a f t e n sehen, s t a n d sie — biologisch — durchaus u n t e r d e n N a t u r g e s e ^ e n u n d h a t t e im K a m p f m i t d e r U m w e l t sich zu b e w ä h r e n . Doch b e s t e h t ein U n t e r s c h i e d zwischen Mensch u n d Tier, zwischen Menschen- u n d T i e r e n t w i c k l u n g . I n d e r T i e r w e l t e n d e n die E n t w i c k l u n g s r e i h e n m i t d e m A u s s t e r b e n , es k o m m e n n e u e G a t t u n g e n , d e r Mensch jedoch bleibt physisch im wesentlichen dieselbe G a t t u n g . E r wird nicht ersetzt durch n e u e organische G e s t a l t e n , s o n d e r n er erscheint, k a n n m a n sagen, in n e u e n seelisch-geistigen T y p e n , er e r n e u e r t sich aus seiner I n n e n welt. Seine Geschichte ist d a r u m nicht Tiergeschichte, s o n d e r n Schicksal, D r a m a , T r a g ö d i e .

Ii

Dacque,

Vermächtnis

161

E rd - und

lebensgeschichtliche

Z e i 11 ab e 11 e

(Die verschiedene Höhe d e r R u b r i k e n b e d e u t e t n i c h t die relative Zeitlänge d e r Stufen)

Alt- | JungTertiär

ErdQuartär neuzelt nach den Tieren T e r t i ä r (Känozoikum)

Alluvium Diluvium O Pliozän Miozän V A Oligozän Eozän Paleozän

Kreid e Erdmittelalter nach den Tieren (Mesozoikum)

Unter | OberKreide

Danien Senon Turon Cenoman A Oault Neokom Malm (Weißer J u r a ) Dogger

Jura

(Brauner Jura) Lias (Schwarzer J u r a ) R h ä t (Infralias) Keuper

Trias

Muschelkalk Buntsandstein

Perm O V

Zechstein Rotliegendes Oberkarbon

Erdaltertum nach den Tieren (Paläozoikum)

Karbon A

Unterkarbon V Oberdevon Devon V

Mitteldevon Unterdevon

Erdneuzeit nach Üppige E n t f a l t u n g den der höheren Säugetiere Pflanzen (NeoAussterben d e r gr. Schrecksaurier u. d. A m m o n s h ö r n e r p h y t i kum E r s t e höhere Säugetiere E r s t e b e d e c k t s a m i g e Blütenpflanzen u n d Laubhölzer Höhere Nadelhölzer Große Schrecksaurier, Riesenflugdrachen E r s t e s Vogelwesen Große Schrecksaurier Beuteltierartige Säugetiere E r s t e Knochenfische Auftreten frühester niederer Säugetiere Aussterben der A l t f o r m e n der Amphibien Riesenlurche A u f t r e t e n d e r Zykadeen Starke E n t w i c k l u n g der Amphibien u n d Echsen E r s t e Nadelhölzer Üppige Pflanzenwälder (blütenlose Sporenpflanzen) Amphibien E r s t e Reptilien Alteste L a n d p f l a n z e n Älteste A m p h i b i e n

Silur A

Obersilur Untersilur

Kambrium

Mittelkambrium

Algonkium

OV

S p ä t e Urzeit der E r d e

Leben v o r h a n d e n

Archaikum A V

F r ü h e Urzeit der Erde

Leben v o r h a n d e n , fast u n d e u t b a r

O

ErdUrzeit

Mittelkarbon

Geschichtliche Menschenzeit R ü c k g a n g der gr. Säugetiere Älteste fossile Menschenreste Niedere Tierwelt u n d die Pflanzenwelt wesentlich wie heute Wenig Reptilien

Oberkambrium Unterkambrium

Älteste fischartige Wirbeltiere Alteste deutliche Meerestierwelt, n u r niedere Tiere

Erdmittelalter nach den Pflanzen (Mesophytikum)

Erdaltertum nach den Pflanzen (Paläophytikum)

Ungeheuer lange Zeiträume

O b e d e u t e t Eiszeiten A b e d e u t e t stärkere Geblrgsfaltungen V bedeutet stärkeren Vulkanismus

162

III

M E T A P H Y S I S C H E

F R A G E N

Das Metaphysische ist die höchste Stufe der Natur und der Naturerkenntnis. Metaphysik der Naturforschung ist keine philosophische Begriffsklitterung, sondern der Ausdruck für eine Schau auf das Wesenhafte sowohl der anorganischen wie der organischen Vorgänge und Gestalten. Dieses Wesenhafte kann jedoch nur durch Vergleiche und in Symbolen ausgesprochen und dargestellt werden, weil auch die gegenständliche Natur selbst nur als Symbol erscheint. Es ist die unbequemste Betrachtungsart, weil sie zu einer Denkweise zwingt, bei der nichts auf der Hand liegt, sondern alles oft paradox erscheint.

1. Vom

Innern

der

Natur

Die nächstliegende Aufgabe bei der Erforschung der Natur ist, die sinnfälligen Erscheinungen und ihre Abfolge in Zeit und Raum festzustellen, unbekümmert um die Frage, inwieweit unsere Sinne ein der Außenwelt entsprechendes Bild wirklich vermitteln. Solche Fragen sind erkenntnistheoretischer Art und bleiben innerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Naturforschung außer Betracht; wir nehmen die Sinnenwelt schlechthin als die Wirklichkeit, die sie in ihrer Weise unbedingt ist. Aber selbst innerhalb einer so realistischen Wissenschaft wie der Physik, ist diese Wirklichkeit inzwischen zu einem Problem geworden, als man erkannte, daß auch die Vorgänge im Experiment selbst vom Wesen des Beobachters abhängen und daß die greifbare Materie gar nicht Materie im gewöhnlichen Sinn ist. Es gibt noch eine andere Seite der Wirklichkeit, die nicht weniger realistisch ist: die metaphysische. Sie zeigt, daß die sinnenhaften Erscheinungen zugleich Symbole einer wesenhaften Innenwelt sind, die sich darin darstellt und auswirkt. Es ist das innere Band der äußeren Geschehnisse, sozusagen ihr Gestaltungsquell. Die gewöhnliche wissenschaftliche Methode, die sich auf die greifbare Form als solche beschränkt, vollends die mechanistische Auffassung auch der organischen Naturformen, kommt als solche nicht an jene wesenhafte Innenwelt heran; und doch gibt erst diese Innenseite dem äußeren Geschehen seinen Sinn, wie in der menschlichen Geschichte nicht die äußeren Geschehnisse schlechthin Wesen und Sinn ausmachen, sondern das, was sich in ihnen als Innenwelt, als Seele spiegelt und ausspricht. Von außen nur besehen, hat die Geschichte keinen Sinn, auch die Naturgeschichte nicht. Von einer metaphysischen Sphäre als einem Wesensteil echter Naturforschung ist freilich das Religiöse wohl zu unterscheiden. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, das Metaphysische mit dem religiösen Innenstand des Menschen zu verwechseln, wie es auch unzulässig ist, in die naturwissenschaftliche Methodik etwa religiöse Gefühlsmomente zu übertragen. Gewiß wird die religiöse Überzeugung letjthin auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in sich zu verankern trachten, aber bei der Feststellung sinnfälliger Tatsachen hat jene nicht das Wort. Es war ersichtlich ein Unglück f ü r Wissenschaft und Religion gleicherweise, als man der 164

a u f k e i m e n d e n realistischen Naturforschung verwehrte, eine Theorie des U m l a u f s der E r d e um die Sonne zu schaffen, einerlei, ob diese wissenschaftliche L e h r e von Dauer sein wird oder nicht; sie entspricht j e d e n f a l l s dem neuzeitlichen Weltgefühl und dessen Denkmöglichkeiten. Ebenso ist es ein Unglück gewesen, auch die F r a g e nach der naturgeschichtlichen H e r k u n f t der Menschengestalt von A n f a n g an religiös und irreligiös zu belasten. Eine ganz unzureichende, dem uralten Mythus in keiner Weise gerecht werdende A u f f a s s u n g der biblisdien Schöpfungslehre griff der sachlichen Untersuchung der natürlichen Entwicklungslehre vor, und dies geschah bis in Einzelheiten hinein, indem sogar die K o n s t a n z der Tier- und Pflanzenarten dogmatisch b e h a u p t e t wurde. Was in aller Welt aber hat der von beiden Seiten völlig verkannte Wortlaut des im alten Schöpfungsmythus festgelegten urtümlichen Weltbildes mit einer diesseitig gerichteten Naturforschung zu tun? Im alten biblischen Mythus wird die Erschaffung eines Weltzustandes erzählt, der w e s e n h a f t über der irdisch-zeitlichen Natur steht und ihre jenseitige Grundlage bildet, also einen durchaus metaphysischen Sinn hat. Das in j e n e m Mythus erzählte Sechstagewerk hat nichts, wie man oft k r a m p f h a f t darzutun versuchte, mit dem Verlauf geologischer Epochen zu t u n ; die „sechs T a g e " der biblischen Geschichte sind durchaus als Offenbarungen der S c h ö p f e r k r ä f t e im unergründlichen Dasein Gottes gedacht, wie gesagt, ein durchaus vornatürlicher Weltzustand. Wenn es dort etwa heißt: „ E s werde Licht", so wird damit nicht die Entstehung des physischen Sonnenballs unseres astronomischen Planetensystems gemeint, sondern die geistleibliche U r s o n n e n h a f t i g k e i t , also eine Wesenheit, die in ganz anderen D a s e i n s z u s a m m e n h ä n g e n steht als das, was wir jetjt mit unserem naturwissenschaftlichen Weltbild uns vorstellen. Was wir über die E n t f a l t u n g des Tier- und Pflanzenlebens in den Erdzeitaltern wissen, ist nicht das, was der Schöpfungsmythus uns sagen will; sondern dieser befaßt sich mit der schöpferischen Urwesenheit, den U r g e s t a l t u n g s k r ä f t e n und den Urgestalten des Lebensreiches in metaphysischer Hinsicht. Die Paradieswelt ist nicht die irgendwie einmal in der geologischen Zeitenfolge dagewesene Idealwelt voller H a r m o n i e , sondern ist ein Innenzustand lange vor und über aller irdischen Gegebenheit. Man vermengt also zwei grundverschiedene Daseinswelten sinnlos miteinander, wenn man den Versuch macht, die Normen der Naturforschung dem biblischen Mythus unterzuordnen. Aber ebenso 165

töricht ist das L e u g n e n d e r i n n e r e n B e r e c h t i g u n g u n d W a h r h e i t d e r m y t h i s c h e n Weltschau vom S t a n d p u n k t d e r doch geistig seht e i n s e i t i g e n n e u z e i t l i c h e n N a t u r w i s s e n s c h a f t . V i e l m e h r ist es zu einer allgemeinen Erkenntnis u n d einer vollfülligen Weltanschauu n g u n b e d i n g t n o t w e n d i g , sich auch ü b e r die möglichen t r a n s z e n dentalen Grundlagen unserer Naturbetrachtung und Naturforschung k l a r zu w e r d e n . M e t a p h y s i k ist die selbstverständliche erkenntnistheoretische G r u n d l a g e z u r w a h r e n T i e f e n e r k e n n t n i s d e r N a t u r ; sie ist d e r G e g e n p o l z u r s i n n e n f ä l l i g e n A u ß e n s e i t e . Das M e t a p h y s i s c h e ist d e r v e r s t a n d l i c h zu e r f a s s e n d e W e s e n s k e r n d e r D i n g e u n d , s o f e r n wir nach r e i n e r E r k e n n t n i s s t r e b e n , ein nicht m i n d e r wichtiges Erk e n n t n i s g e b i e t wie das grobsinnliche, das w i r gewöhnlich allein als das r e a l e a n s e h e n . Die an die N a t u r h e r a n g e b r a c h t e m a t e r i e l l e F o r s c h u n g s m e t h o d e , b e s o n d e r s die mechanistische A u f f a s s u n g d e r N a t u r v o r g ä n g e , ist e b e n eine b e s t i m m t e b e g r e n z t e A r t des Sehens, aber nicht die einzig mögliche. Die mechanistische M e t h o d e l i e f e r t e i n e n b e s t i m m t e n Ausschnitt d e r Dinge, gibt u n s praktisch auch „ t e c h n i s c h e " Möglichkeiten an die H a n d ; a b e r auch die m e t a p h y sische B e t r a c h t u n g h a t i h r e in sich geschlossene, in d e r N a t u r des G e g e n s t a n d e s l i e g e n d e M e t h o d i k . U n d o h n e diese m e t a p h y s i s c h e Schau, o h n e diesen m e t a p h y s i s c h e n S e k t o r bleibt aller wissenschaftliche E r f a h r u n g s k r e i s Stückwerk u n d b r i n g t d e m Menschengeist k e i n e E r f ü l l u n g . D e r A u s d r u c k „ ä u ß e r e " u n d „ i n n e r e " N a t u r darf n u n nicht d a h i n m i ß v e r s t a n d e n w e r d e n , als ob eine a u s e i n a n d e r n e h m b a r e Zweih e i t in den D i n g e n läge. Sie sind durchaus Eines, aber e b e n desh a l b nicht n u r ein S i n n e n f ä l l i g - M a t e r i a l e s . J e d e N a t u r e r s c h e i n u n g k a n n physisch u n d m e t a p h y s i s c h a u f g e f a ß t w e r d e n , a b e r es bleibt geschlossene E i n h e i t . Es ist eine P o l a r i t ä t , auch in d e r Betracht u n g , u n d d e r eine P o l o h n e d e n a n d e r e n ist u n d e n k b a r . Löst m a n sie grundsätjlich, s t a t t n u r methodisch v o n e i n a n d e r los, will m a n allgemein weltanschaulich n u r den e i n e n P o l etwa g e l t e n lassen, so ist es eine B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r Wirklichkeit. Man m u ß , u m dies zu e r k e n n e n , w i e d e r an die Menschengeschichte d e n k e n : Sieht m a n in ihr n u r d e n sich e n t f a l t e n d e n Geist, wie es eine b e r ü h m t e P h i l o s o p h i e g e t a n , so f ü h r t das z u l e g t zu e i n e m b l u t l o s e n S c h e m e n ; u n d wird das aufs L e b e n ü b e r t r a g e n , so v e r d ö r r t die Seele; sieht m a n n u r die ä u ß e r e S i n n e n w e l t , so b e k o m m t m a n e i n e n mechanischen Ablauf von allem Möglichen, es e n d e t in „ t e c h n i s c h e r " Bar-

166

b a r e i . N u r beides z u s a m m e n , das Physische u n d das sind erst die g e h a l t v o l l e Wirklichkeit. M a n k a n n g e t r e n n t e r f o r s c h e n , a b e r m a n m u ß u n e n t w e g t die S p h ä r e n im A u g e h a b e n , u n d d e r ganze d e n k e n d e Mensch m u ß d a r ü b e r s t e h e n .

Metaphysische, «ie m e t h o d i s c h Einheit beider und erlebende

Die W i s s e n s c h a f t wird nicht, wie m a n i m m e r w ä h n t , geschädigt, w e n n wir. u n s nicht n u r physischer, s o n d e r n auch m e t a p h y s i s c h e r B e t r a c h t u n g b e f l e i ß i g e n ; a b e r sie w i r d geschädigt u n d e n d e t im Begriffsscholastizismus, w e n n m a n ¡sich n u r u n d ausschließlich d e r e r s t e r e n b e d i e n t u n d d a b e i in n a i v e r V o r e i n g e n o m m e n h e i t gar nicht m e r k t , wie m a n m i t allen n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n G r u n d begriffen schon auf m e t a p h y s i s c h e m B o d e n s t e h t . Die f ü r d e n Aufb a u u n d F o r t s c h r i t t sachlicher F o r s c h u n g g e f ä h r l i c h e n K ö p f e sind nicht j e n e , welche k l a r u n d sicher d e r M e t a p h y s i k b e r e c h t i g t e n R a u m schaffen, s o n d e r n j e n e , welche i m m e r f o r t v o n d e r „einzig e x a k t e n mechanistischen M e t h o d e " r e d e n u n d nicht e r k e n n e n , wie sie m i t allen möglichen G r u n d b e g r i f f e n , o h n e die sie gar nicht o p e r i e r e n k ö n n t e n , d a u e r n d A n l e i h e n bei d e r M e t a p h y s i k m a c h e n , von ihr g e n ä h r t w e r d e n u n d es doch nicht w a h r h a b e n wollen. Die W a h r h e i t ist, d a ß auch die mechanistische naturgeschichtliche F o r s c h u n g d e r m e t a p h y s i s c h e n Ausschau u n d B i n d u n g nicht entr a t e n k a n n . Es gibt gar k e i n e W i s s e n s c h a f t , die nicht aus m e t a physischem U r g r u n d e n t s p r u n g e n w ä r e u n d i m m e r z u sich i n m i t t e n e i n e r ebenso m e t a p h y s i s c h e n wie physischen W e l t b e w e g t . Schon allein, d a ß wir k e i n e n F o r s c h u n g s p l a n , k e i n P r o b l e m a u f r o l l e n k ö n n e n , das nicht v o n e i n e r I d e e u n d I d e e n s c h a u a u s g e h t — auch die D i n g e selbst f ü h r e n v o n sich aus fortgesetzt an die G r e n z e n d e r M e t a p h y s i k . Es ist nicht w a h r h a f t wissenschaftlich, dogmatisch zu l e u g n e n , d a ß j e d e W i s s e n s c h a f t nicht n u r historisch, s o n d e r n auch in d e r täglichen W e i t e r a r b e i t u n a u s g e s e t z t an m e t a p h y sische G r u n d l a g e n u n d F o l g e r u n g e n g e r a t e n m u ß ; — w a h r h a f t wissenschaftlich ist es, u n u n t e r b r o c h e n diese m e t a p h y s i s c h e n Urg r ü n d e u n d Seinsgesetze a u f z u z e i g e n u n d sich im rechten Augenblick auch mit i h n e n auseinanderzusetzen, s t a t t i h n e n m i t Scheuk l a p p e n aus d e m W e g zu g e h e n . Wir sprechen nicht gegen die mechanistische M e t h o d e als solche in d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t , s o n d e r n n u r gegen den I r r t u m , dieser mechanistische Ausschnitt u n s e r e r E r k e n n t n i s sei d e r u m f a s s e n d e K r e i s u n d löse die P r o b l e m e . Wir sprechen also dagegen, d a ß sie zum u m f a s s e n d e n W e l t a n s c h a u u n g s b i l d gemacht wird. Die mecha167

nistische B e t r a d i t u n g s m e t h o d e b e w ä h r t sidi gewiß a m u n m i t t e l b a r s t e n auf a n o r g a n i s c h e m G e b i e t , jedoch auch h i e r b l e i b t durchaus die ganze E i n s c h r ä n k u n g b e s t e h e n ; sie deckt n u r bis zu e i n e m gewissen G r a d die E r s c h e i n u n g e n des O r g a n i s c h e n ; a b e r sie v e r s a g t in b e i d e n G e b i e t e n völlig, w e n n es sich u m die F r a g e des wesenh a f t e n Z u s a m m e n h a n g e « d e r Geschehnisse h a n d e l t . U n d u m den ist es u n s im G e b i e t d e r r e i n e n E r k e n n t n i s doch zu t u n . H a b e n wir n u r technische Zwecke im Auge, so m a g es g e n ü g e n , mechanistische Z u s a m m e n h ä n g e a u f g e d e c k t zu h a b e n . A b e r selbst in d e r technischen Z w e c k s p h ä r e gelingt es gar nicht, w e i t e r z u k o m m e n , w e n n nicht Sinn u n d E r w a r t u n g des Forschers d e n t i e f e r e n Zusammenhängen offenstehen. Man k a n n e i n e n O r g a n i s m u s auf zweierlei Weise b e t r a c h t e n : entw e d e r als aus T e i l e n u n d E i n z e l o r g a n e n a u f g e b a u t o d e r als ein in sich geschlossen w i r k e n d e s Ganzes, w o r i n die Teile nicht von sich aus a u f e i n a n d e r zielen, s o n d e r n wo alles v o m G a n z e n h e r in die Teile w i r k t . So ist es, w e n n wir das W e s e n des Geschehens vom G a n z e n h e r e r f a s s e n . D a w e r d e n w i r nicht m e h r v o n e i n e r Einwirkung einzelner Teile aufeinander reden, sondern begreifen, d a ß ein ganzer O r g a n i s m u s als solcher b e s t e h e n m u ß , d a m i t überh a u p t die als T e i l e b e t r a c h t e t e n E i n z e l b e z i r k e in i h m in l e b e n d i g e r W e c h s e l b e z i e h u n g b l e i b e n u n d nach a u ß e n sich b e t ä t i g e n bzw. in E r s c h e i n u n g t r e t e n k ö n n e n . Die N a t u r b e s t e h t d e s h a l b n i e aus „ ä u ß e r e n E i n w i r k u n g e n " , noch gar aus b l o ß e n H ä u f u n g e n u n d Zus a m m e n s e ^ u n g e n , s o n d e r n ist ü b e r a l l vergleichsweise wie ein O r g a n i s m u s . D a m i t soll nicht gesagt sein, d a ß sie so ist wie ein tierisches o d e r pflanzliches W e s e n ; a b e r sie h a t in i r g e n d e i n e m Sinn i n n e r e , l a t e n t e L e b e n d i g k e i t , u n d es ist die Ä u ß e r u n g solcher L e b e n d i g k e i t , w e n n i r g e n d w o u n d i r g e n d w i e im W e l t a l l o d e r auf e i n e m S t e r n , also auch auf d e r E r d e etwas geschieht, u n d sei es auch n u r das Z u s a m m e n r o l l e n der Kiesel in e i n e m Gebirgsbach. Man v e r s t e h e nicht falsch, was wir d a m i t sagen w o l l e n , d a ß in der g e s a m t e n N a t u r d e r i n n e r e Z u s t a n d herrsche wie in e i n e m Organismus. W e n n wir auch bei u n s e r e m b e s c h r ä n k t e n Blick in die N a t u r viele V o r g ä n g e gar nicht a n d e r s als „ t o t " im Sinn des N u r m e c h a n i s c h e n b e g r e i f e n k ö n n e n , so ist d e n n o c h ü b e r a l l die i n n e r e L e b e n d i g k e i t des G a n z e n da u n d wird von uns d e s h a l b nicht e r k a n n t , weil wir nicht den Überblick ü b e r das G a n z e h a b e n . Es b e s t e h e n also zwischen allen D i n g e n u n d Geschehnissen i n n e r e E n t s p r e c h u n g e n , 168

und nirgends im Weltall kann irgend etwas vorgehen, was nicht in allem anderen eben seine innere Entsprechung fändet Ebenso wie in einem Organismus jede noch so geringe Veränderung in irgendeinem Organ notwendig überall seine Mit- und Gegenwirkung findet, auch wenn dies praktisdi für unsere Sinneswahrnehmung nicht gleich deutlich wird: so ist es auch mit der Natur als Ganzem. Sagt doch schon der alte Yarenius: Wenn ein Teildien des Ozeans sich bewegt, bewegt sich der ganze Ozean — was bei ihm allerdings nur medianisch gemeint war. Wenn sich gewiß das Heben des Armes mittels der Muskeln und Sehnen als ein mechanischer Vorgang beschreiben läßt, so zeugt dennoch dieser mechanische Vorgang von einer inneren Einheit und Lebendigkeit, die trog und in allem Medianismus, der zweifellos besteht, vorhanden ist und die es erst ermöglicht, daß überhaupt der mechanische Vorgang des Armhebens, also der Muskelarbeit stattfinden kann. Die Naturforschung ist sich erkenntnistheoretisch nicht klar darüber geworden, daß sogar ein Begriff wie die Schwerkraft, um überhaupt legten Sinn zu bekommen, mechanisdi allein nicht durchaus faßbar ist, nämlich soviel und so wenig wie das Armheben als mechanischer Vorgang; sie hat eben auch innere Entsprechungen zur Voraussetjung. Als der Begriff Schwerkraft aufgestellt und auf die Bewegungen der Planeten, ja sogar der Sterne angewendet wurde, dachte man sich den Raum als etwas Absolutes, das auch ohne Körper existent wäre; man dachte ihn leer und setjte, um überhaupt verstehen zu können, wie die Schwerkraft auf große kosmische Entfernungen zu wirken vermöge, einen angenommenen Stoff, der doch wieder nicht Stoff sein sollte, den Äther, als Vermittler ein. Aber der tiefere Sinn der Schwerkraftwirkung kann nur der sein, daß man mit dem Wort und den hinzugenommenen Hilfsvorstellungen etwas umschrieb, wofür man noch keine Denkmöglichkeit hatte: die innere Fernwirkung. Was das heißen soll, macht folgende Überlegung klar. Es ist unvorstellbar, daß zwei durch einen wirklich leeren Raum getrennte Körper irgendwie aufeinander einwirken könnten, wenn sie in keiner mechanischen oder stofflichen Weise miteinander verbunden sind und so in Berührung stehen. Ist aber die Natur irgendwie eine lebendige Einheit, vergleichsweise wie ein Organismus, so besteht auf ganz anderem Weg als nur dem äußerlichen eine gegenseitige Beeindruckung und Verbindung von innen her. 169

W e n n wir d e n K o s m o s als ein in sich wesendes, innerlich geschlossenes Ganzes e r k e n n e n , s e h e n wir auf e i n m a l , was sich z u t r ä g t , auch w e n n es sich mechanisch d e u t e n l ä ß t . D a gibt es nichts Unv e r b u n d e n - E i n z e l n e s m e h r , das sich m i t a n d e r e m E i n z e l n e n n u r v o n a u ß e n s t i e ß e u n d also mechanisch b e r ü h r t e . Die A s t r o n o m i e l e h r t beispielsweise, d a ß sich die F i x s t e r n e des W e l t r a u m e s in solchen Z w i s c h e n r ä u m e n v o n e i n a n d e r h a l t e n , d a ß es ein g r o ß e r Z u f a l l w ä r e , w e n n zwei solcher S t e r n e a u f e i n a n d e r s t i e ß e n . D e n noch erblicken wir ein solches Ereignis gelegentlich am Nachth i m m e l o d e r m ü s s e n aus sonstigen Anzeichen w e n i g s t e n s schließen, d a ß es geschehen sei. A b e r dabei ist gar nicht e r w o g e n , d a ß i n n e r e E n t s p r e c h u n g e n im K o s m o s b e s t e h e n , a b g e s e h e n v o n d e r räumlichen A n z i e h u n g o d e r N i c h t a n z i e h u n g . Die g r ö ß t e n W e l t k ö r p e r m ö g e n , vergleichsweise gesprochen, n u r so groß sein, wie ein p a a r K n a b e n s c h u s s e r auf e i n e m R a u m f e l d so groß w i e E u r o p a : sie w e r d e n a u f e i n a n d e r t r e f f e n , w e n n dies durch die i n n e r e n Lebensb e z i e h u n g e n des K o s m o s „ o r g a n i s c h " b e s t i m m t ist. D a r u m geschieht nichts, was nicht ü b e r a l l seine E n t s p r e c h u n g e n h ä t t e , u n d die F r a g e ist n u r , ob u n d wie wir diese b e m e r k e n k ö n n e n . Insof e r n steckt auch in d e n B e g r i f f e n S c h w e r k r a f t u n d A n z i e h u n g ein solches v e r h ü l l t e s E l e m e n t . Wir b e g r e i f e n , was es h e i ß e n will, w e n n wir v o n e i n e m A u f e i n a n d e r w i r k e n v ö n i n n e n h e r auch im gesamtkosmischen Geschehen u n d d a m i t auch i m erdgeschichtlichen sprechen. N u r aus d e m Bes t e h e n solcher i n n e r e n E n t s p r e c h u n g e n in d e r g e s a m t e n N a t u r w i r d es auch verständlich, w a r u m die W e l t ein K o s m o s u n d k e i n Chaos ist. W ä r e alles n u r mechanisch, w ä r e alles n u r H ä u f u n g u n d A n e i n a n d e r g r e n z u n g v o n t o t e m Stoff, es w ä r e längst alles u n a b änderlich unbeweglich, alle l e b e n d i g e E n e r g i e w ä r e in g e b u n d e n e l a t e n t e E n e r g i e v e r w a n d e l t , d e r E r s t a r r u n g s t o d des W e l t a l l s w ä r e e i n g e t r e t e n , wobei auch gar nicht e i n z u s e h e n ist, wie d e n n überh a u p t j e etwas e n t s t a n d e n w ä r e . N i m m t m a n d e n K o s m o s aber als ein innerlich Ganzes, d a n n k a n n n i r g e n d s sich e t w a s e r e i g n e n , was sich nicht im selben Augenblick auch schon in allem a n d e r e n Geschehen a u s w i r k t o d e r a u s z u w i r k e n b e g i n n t . W i e ein O r g a n i s m u s nicht d e n k b a r ist, in d e m sich allein d e r A r m b e w e g t o d e r d e r Magen v e r d a u t , s o n d e r n wie dies alles in e i n e m i n n e r e n Zusamm e n h a n g m i t allem a n d e r e n Geschehen im K ö r p e r s t e h t , so k a n n auch im W e l t a l l nichts v o r sich g e h e n , was nicht ü b e r a l l von ents p r e c h e n d e n Z u s t ä n d e n u n d Z u s t a n d s ä n d e r u n g e n b e g l e i t e t ist. 170

Man b r a u c h t d e s h a l b nicht d e n K o s m o s als ein R i e s e n l e b e w e s e n im irdischen Sinn zu n e h m e n : das w ä r e w o h l eine v e r z e r r t e Vorstell u n g ; a b e r er h a t i n n e r e L e b e n d i g k e i t , ist nicht ein M e d i a n i s m u s schlechthin, w o r i n sich alles n u r v o n a u ß e n s t ö ß t , schiebt, t r e n n t und vereinigt. Es bleibt also, w e n n wir zu e i n e r r e c h t e n N a t u r e r k e n n t n i s u n d den in d e r N a t u r w a l t e n d e n K r ä f t e n u n d B e z i e h u n g e n v o r d r i n g e n wollen, i m m e r n u r übrig, stets in d e m s i n n f ä l l i g e n mechanischen Geschehen die W e n d u n g des D e n k e n s u n d A n s c h a u e n s auch nach d e r m e t a p h y s i s c h e n Seite h i n zu m a c h e n u n d m e t h o d i s c h die inn e r e n B e z i e h u n g e n a u f z u s u c h e n . Diese B e z i e h u n g e n b e r u h e n auf d e r i n n e r e n L e b e n d i g k e i t d e r g a n z e n N a t u r u n d m ü s s e n , weil es da« K e n n z e i c h e n des W e s e n h a f t - L e b e n d i g e n ist, n o t w e n d i g auch R h y t h m u s zeigen. (Abschnitt 11,5.) A b e r nicht R h y t h m u s im t o t e n mechanischen Sinn, wie i h n ein U h r w e r k h a t u n d wie m a n sich e t w a auch die P l a n e t e n b e w e g u n g v o r s t e l l t . So wenig wie der, d e r n u r auf den m e t r o n o m i s c h e n G a n g eines Musikstückes h ö r t u n d es auf die ä u ß e r e T a k t e i n t e i l u n g h i n a n s i e h t , i r g e n d e t w a s vom W e s e n des d a r i n A u s g e s p r o c h e n e n , also v o n d e r Musik selbst e r f ä h r t , so wenig w e r d e n wir e t w a s v o m W e s e n des N a t u r g e s c h e h e n s e r f a h r e n , w e n n wir n u r nach e i n e m mechanischen R h y t h m u s , n u r nach der d r e i d i m e n s i o n a l e n R ä u m l i c h k e i t , n u r nach d e r l i n e a r e n Zeitlichkeit d e r Geschehnisse f r a g e n . Mechanisch k ö n n e n wir die N a t u r n u r d a n n d e u t e n , w e n n wir sie zerlegen u n d losgelöst vom G a n z e n die einzelnen Erscheinungen herausnehmen. W e n n wir die i n n e r e b e z i e h u n g s v o l l e E i n h e i t l i c h k e i t d e r N a t u r erblicken u n d u n s v o n diesem l e i t e n d e n G e s i c h t s p u n k t f ü h r e n lassen, so ist dies also nicht, wie m a n zuweilen h ö r t , eine u n n ü t j e Ablenk u n g v o n e i n e m r a t i o n a l e n , die D i n g e u n v o r e i n g e n o m m e n bet r a c h t e n d e n V e r f a h r e n , w o m i t wir die D i n g e z u e r s t „ z e r l e g e n " , d a n n w i e d e r „ z u s a m m e n s e t j e n " , s o n d e r n es ist ü b e r h a u p t d e r einzige Weg, das s t o f f h ä u f e n d e Wissen zu e i n e m l e b e n d i g e n Bildungsbesitj u n s e r e s Geistes zu machen. Alle W i s s e n s c h a f t , alles Gewinn e n v o n T a t s a c h e n g r ü n d e t sich, wir d e u t e t e n es schon an, auf das B e w u ß t s e i n des i n n e r e n e i n h e i t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g e s des Vielen u n d seiner M a n n i g f a l t i g k e i t bei i n n e r e r lebendig-schöpferischer E i n h e i t l i c h k e i t d e r N a t u r . Das b e d e u t e n d s t e u n d ü b e r z e u g e n d s t e Beispiel in d e r n e u e r e n Wissenschaftsgeschichte h i e r f ü r ist K e p l e r , d e r die Gesetje d e r P l a n e t e n b e w e g u n g nicht e t w a auf rechnerische Weise schlechthin f a n d , s o n d e r n dessen Geist g e r a d e z u in 171

religiöser H i n g a b e aus d e m i n n e r e n Schauen u n d G l a u b e n an die H a r m o n i e d e r g ö t t l i d i e n G e s e k e im W e l t a l l zu j e n e r E r k e n n t n i s k a m u n d erst danach sie rechnerisch d a r z u s t e l l e n v e r s t a n d . Es ist d e r Forschungs- u n d E r k e n n t n i s w e g vieler t i e f e n Geister der Menschheit, so zu e r l e b e n u n d zu d e n k e n ; auf solchen Einblicken in das I n n e r e d e r N a t u r b e r u h t l e t j t h i n alle echte W i s s e n s c h a f t . O h n e h i n : was sind „ T a t s a c h e n " ? Es ist nicht so einfach, eine auch n u r gewöhnliche s i n n e n f ä l l i g e T a t s a c h e f e s t z u s t e l l e n . Das Allereinfachste l ä ß t sich g a r nicht a u s s p r e c h e n , ja nicht e i n m a l richtig s e h e n , w e n n sich m e i n Geist nicht schon v o n v o r n h e r e i n auch d e r richtigen D e u t u n g d e r T a t s a c h e o d e r des G e g e n s t a n d e s b e w u ß t gew o r d e n ist. W i r k ö n n e n nicht e i n m a l s a g e n : „ H i e r s t e h t ein Tisch, ein S t u h l " , w e n n u n s nicht zuvor schon d e r ganze Z u s a m m e n h a n g u n d die B e z i e h u n g e n k l a r sind, die ein solches O b j e k t e b e n zum Tisch o d e r zum S t u h l m a c h e n ; d e n n o h n e dies w ä r e es ein und e f i n i e r b a r e s Ding, u n d es w ä r e auch gar nicht e n t s t a n d e n , w e n n nicht auch d e r V e r f e r t i g e r d e n ganzen l e b e n d i g e n Z u s a m m e n h a n g g e w u ß t h ä t t e , in d e m die Stücke e b e n als Tisch u n d S t u h l „Bed e u t u n g " h a b e n . Sie d e u t e n auf etwas, das sie d e m W e s e n nach sind — u n d erst m i t dieser B e d e u t u n g zugleich ist es möglich, die Tatsache des G e g e n s t a n d e s richtig zu s e h e n als das, was sie ist. Es wird nicht n u r gegen die M e t a p h y s i k , s o n d e r n f a l s c h v e r s t a n d e n e r w e i s e auch gegen die mechanistische N a t u r f o r s c h u n g viel gee i f e r t . Sie ist gewiß nicht, wie m a n so o f t h ö r t , „gegen d e n G e i s t " , s o n d e r n sie ist sehr geistvoll u n d scharf im Geist. M a n m u ß a b e r u n t e r s c h e i d e n zwischen e i n e r materialistisch-mechanistischen Weltu n d L e b e n s a n s c h a u u n g als G r u n d l a g e d e r menschlichen G e m e i n schaft u n d S e e l e n h a l t u n g , u n d e i n e r materialistisch-mechanistischen F o r s c h u n g s m e t h o d e . G e g e n die Ietjtere e t w a s e i n z u w e n d e n , ist töricht. Auch ihr G e g n e r w i r d sich k a u m d e r Einsicht verschließen, d a ß sie u n s bei r e c h t e r H a n d h a b u n g K u l t u r g ü t e r schenkt, wovon sich f r ü h e r e Z e i t e n k a u m etwas t r ä u m e n l i e ß e n . D a ß w i r m i t elektrischen B a h n e n f a h r e n o d e r schmerzlos o p e r i e r t w e r d e n o d e r elektrisches Licht s t a t t schwacher r u ß e n d e r Ö l l a m p e n b r e n n e n , ist auch d e m recht, d e r nicht m i t d e r b l o ß mechanistischen Auswertung unserer Forschung und einer entsprechenden Lebenshaltung e i n v e r s t a n d e n ist. U n d h i e r liegt d e r A n g e l p u n k t : W e n n wir die mechanistisch e r r u n g e n e n E r k e n n t n i s s e u n d G ü t e r H e r r u n d Däm o n u n s e r e s Daseins w e r d e n lassen, wir u m i h r e t w i l l e n die tief e r e n L e b e n s w e r t e , die Seele v e r k ü m m e r n o d e r gar m o r d e n , so ist 172

das e b e n d e r z u l e g t sinnlose W a h n des sich selber i r r e f ü h r e n d e n Menschengeistes, es ist menschlicher Z u s a m m e n b r u c h aber i m m e r h i n : s c h a r f e r Geist. U n t e r d e r ausschließlichen H e r r s c h a f t des kausalmechanischen D e n k e n s will m a n k e i n e a n d e r e W e l t s p h ä r e m e h r erleben als eine, worin alles Geschehen ein i m m e r w ä h r e n d e s U m s e t j e n u n d Uml a g e r n g e g e b e n e r Stoff- u n d E n e r g i e m e n g e n u n d i h r e r S p a n n u n g e n ist. Was u n t e r diesem B l i c k p u n k t geschieht, ist ein ewig unschöpferisches B e w e g e n . Es k a n n da gar nichts Neues, nichts U r g r ü n d i g e s m e h r im K o s m o s a u f b r e c h e n , es wird ein ewiges E i n e r l e i , es ist t r o g m i l l i a r d e n f a c h e r V a r i a t i o n e n die V e r k ö r p e r u n g u n e n d l i c h e r L a n g e w e i l e , ob sich S t e r n n e b e l u n d S o n n e n d a b e i b e g e g n e t e n u n d a u s b r a c h e n , n e u e W e l t s y s t e m e sich in J a h r m i l l i o n e n b i l d e t e n oder ein K r i s t a l l im B e r g i n n e r n wuchs. D e r Begriff des E n t s t e h e n s u n d W e r d e n s des Vergänglichen wird a b e r ein a n d e r e r , w e n n wir unseren Blick zur I n n e n s e i t e des Geschehens w e n d e n . Schon u m die J a h r h u n d e r t w e n d e k a m e n d e r mechanistischen F o r s c h u n g auf i h r e m u r e i g e n s t e n G e b i e t selbst n e u e Z w e i f e l an d e r d u r c h d r i n g e n d e n B e d e u t u n g m a t e r i a l i s t i s c h e r u n d mechanistischer E r k e n n t n i s . Es t r a t e n N a t u r e r s c h e i n u n g e n u n d - z u s a m m e n h ä n g e a u f , die d e m gew o h n t e n D e n k e n z u w i d e r l i e f e n . D e n e r s t e n A n s t o ß gab g e r a d e die doch so durch u n d durch mechanistische P h y s i k mit i h r e n g r o ß e n E r f o l g e n , mit der E n t d e c k u n g d e r r a d i o a k t i v e n S u b s t a n z e n , aus d e n e n e l e m e n t a r e M a t e r i e e n t s t e h t , o h n e d a ß d i e Quelle selbst q u a n t i t a t i v a b n i m m t , a b g e s e h e n von a n d e r e n weltanschaulich neua r t i g e n , aus d e r A t o m p h y s i k sich e r g e b e n d e n E r w ä g u n g e n u n d Erkenntnissen. F ü r Leibniz, den g r o ß e n U n i v e r s a l p h i l o s o p h e n , d e r f ü r u n s e r e Zeit noch e b e n s o zu e n t d e c k e n ist, wie wir soeben P a r a c e l s u s als Arzt e n t d e c k e n , w a r jegliches s e l b s t ä n d i g b e s t e h e n d e Stoffgebilde im K e r n eine l e b e n d i g e M o n a d e . Auch die d e n k b a r k l e i n s t e r ä u m lich-materielle G e g e b e n h e i t ist i r g e n d w i e von i n n e n h e r „ F o r m " , ist D a r b i e t u n g u n d Ausdruck schöpferisch e i n m a l i g e r K r a f t ä u ß e r u n g . Das ist im G e g e n s a g zur mechanistischen A u f f a s s u n g geradezu eine l e b e n d i g e o d e r auch s y m b o l h a f t e N a t u r l e h r e . E n t s c h e i d e n d d a r a n ist nicht, m i t welchen W o r t e n wir dies sprachlich auszud r ü c k e n v e r m ö g e n ; e n t s c h e i d e n d a b e r ist es, zu wissen, d a ß es ein H e r v o r t r e t e n von N a t u r e r s c h e i n u n g e n gibt, d e r e n W e s e n nicht das Q u a n t i t a t i v e ist, s o n d e r n ein m e t a p h y s i s c h e r K e r n , d e r sich mechanistischer U m s c h r e i b u n g seinem Wesen nach e n t z i e h t . Die Dinge ] 73

liegen da in e i n e r Weltschicht, die wir m i t mechanistisch-quantit a t i v e n A r b e i t s w e r k z e u g e n nicht g r e i f e n k ö n n e n . W e n n wir d e n K o s m o s n u r als eine in M i l l i a r d e n B a l l u n g e n u n d S p l i t t e r mechanisch v e r t e i l t e Masse a n s e h e n , so v e r s t e h e n wir nicht seine w a h r e N a t u r . D e m Wesen nach a b e r ist alle Stoffb i l d u n g in i h r e r G e s t a l t u n g ein monadisch B e s t i m m t e s , im Sinn d e r Leibnizschen G r u n d i d e e . J e d e r Geschehenszug ist schöpferisches Geschehen, nichts ist W i e d e r h o l u n g , K o p i e o d e r n u r m e d i a nische V a r i a n t e . K o p i e gibt es n u r im technischen V e r f a h r e n d e r menschlichen Maschine; nicht e i n m a l im H a n d w e r k gibt es K o p i e , s o n d e r n es gibt in d e r N a t u r , im W e l t a l l ü b e r h a u p t n u r originale m o n a d i s c h e B e w i r k u n g , im U n b e w u ß t s e i n d e r k l e i n s t e n Erschein u n g nicht a n d e r s wie im G e s a m t k o s m o s u n d auf h ö c h s t e r f r e i e r B e w u ß t h e i t s s t u f e in d e r menschlichen P e r s ö n l i c h k e i t . Ein Wissensgebiet, auf d e m diese E r k e n n t n i s h i e r noch w e i t e r d a r z u l e g e n ist, ist die Entwicklungsgeschichte des L e b e n s durch d i e J a h r m i l l i o n e n d e r Vorzeit. Das ganze Lebensreich aller Z e i t e n macht, wie schon a u s f ü h r l i c h gezeigt (Abschnitt 11,4), d e n E i n d r u c k eines z u s a m m e n h ä n g e n d e n B a u m e s , d e r sich verzweigte, u n d alle je d a g e w e s e n e n organischen F o r m e n m ö g e n sich z e u g u n g s m ä ß i g a u s e i n a n d e r entwickelt h a b e n , bis zuletzt die höchste Organisat i o n s s t u f e , d e r Mensch, d a r a u s h e r v o r g e g a n g e n ist. Auch dieser g r o ß a r t i g e V o r g a n g sollte mechanistisch a u s g e d e u t e t w e r d e n , es sollte sich alles durch q u a n t i t a t i v e s H i n z u k o m m e n u n d W e g n e h m e n v o n E i g e n s c h a f t e n e r g e b e n h a b e n , was da w u r d e u n d noch w i r d . Es f e h l t e die Schau auf die i n n e r e l e b e n d i g e E i n h e i t des G e s a m t l e b e n s , auf die i n n e r e B e d e u t u n g . D e n n w e n n das L e b e n d e r E r d e durch die J a h r m i l l i o n e n h i n d u r c h ein w a h r e r lebendiger B a u m war, so k o n n t e dies n u r sein, weil ein zeitlos-urbildh a f t e s Ganzes e x i s t i e r t e , dessen Ausdrude, dessen ä u ß e r e l e b e n d i g e Symbole die in allen erdgeschichtlichen Z e i t e n erschienenen Einzelg e s t a l t e n w a r e n . Es ist also das W e r d e n d e r o r g a n i s d i e n N a t u r nicht eine a u f h ä u f e n d e V e r m e h r u n g von E i g e n s c h a f t e n u n d Form e n , s o n d e r n ein g r o ß m o n a d i s c h e s W e r d e n , ein schöpferischer P r o z e ß . Ist a b e r ein L e b e w e s e n i r g e n d w i e verständlich als S u m m e k ö r p e r l i c h e r M e r k m a l e , selbst d a n n , w e n n wir bis ins a l l e r f e i n s t e h i n e i n es a n a l y s i e r e n k ö n n t e n ? Wir k ö n n e n es mechanistisch t u n , u n d das ist erfolgreich, a b e r es ist w i e d e r u m n u r ein S e k t o r d e r B e t r a c h t u n g , nicht das W e s e n h a f t - G a n z e . So m a g uns d a r a n 174

abermals klar werden,

weshalb

hier

kausal-

mechanisches D e n k e n nicht l e t z t h i n Wesentliches e r k e n n t , also die Ur-Sache v e r f e h l t . W i e bei allem W e r d e n v o n G e s t a l t u n g e n , ganz b e s o n d e r s d e r organischen G e b i l d e , ist ü b e r die ä u ß e r e Fests t e l l u n g h i n a u s d e r Blick auf die i n n e r e t r a g e n d e u n d schaffende L e b e n d i g k e i t zu richten, d a m i t u n s nicht die S c h ö p f u n g zu e i n e m l e e r e n G e h ä u s e w e r d e , aus d e m u n s zuletzt die Ö d e a n g r i n s t . Nie u n d n i r g e n d s k a n n e i n e F o r m e n t s t e h e n u n d sich als G e s t a l t e n b i l d u n g ä u ß e r n , w e n n nicht das I n n e r l i c h - L e b e n d i g e , das G a n z e als M o n a d e da ist u n d e r k a n n t w i r d . U n t e r d e r H e r r s c h a f t ausschließlich mechanistischen D e n k e n s u n d Forschens, s o f e r n m a n seine E r g e b n i s s e z u r m a ß g e b e n d e n Leb e n s a n s c h a u u n g macht, v e r l i e r t m a n d e n Blick d a f ü r , d a ß in j e d e m Augenblick das D a s e i n v o n i n n e n h e r sich e r n e u e r t . Es ist noch i m m e r „ S c h ö p f u n g s t a g " . Es geschieht nichts n u r als U m w a n d lung v o n a u ß e n h e r , w e n n es nicht seine i n n e r e n E n t s p r e c h u n g e n in e i n e m G a n z e n h a t ; so w e n i g wie ein E i n z e l i n d i v i d u u m e r s t e h e n u n d l e b e n k ö n n t e , w e n n es nicht m e t a p h y s i s c h m i t d e r G e m e i n schaft v e r b u n d e n w ä r e , aus d e r es w i r d u n d zu d e r es seine i n n e r e L e b e n s b e z i e h u n g h a t , auch w e n n es äußerlich als E i n z e l p e r s o n erscheint. So h a t , wie wir es j e t z t v e r s t e h e n , das s i n n e n f ä l l i g e W e l t b i l d u n d F o r s c h e n seinen ganz b e s t i m m t e n A u f t r a g , seinen abgeg r e n z t e n E r k e n n t n i s k r e i s im Menschengeist; es ist H a n d w e r k s z e u g , ist D i e n e r , nicht H e r r . Es g e h ö r t e i n e r b e s t i m m t e n E r k e n n t n i s schicht a n , ist a b e r nicht b e f ä h i g t , d e n u m f a s s e n d e n Gesichtskreis d e r Lebens- u n d W e l t a u f f a s s u n g u n s zu schenken. V i e l m e h r ist die d a m i t f e s t g e s t e l l t e W e l t selbst ein Symbol i n n e r e r h ö h e r e r L e b e n d i g k e i t , schöpferischer W i r k l i c h k e i t , w o r i n alles wurzelt, w o r a u s alles quillt, v e r m ö g e dessen allein es Sinn b e k o m m t u n d ewig neu ist. Es ist wie m i t d e r menschlichen Geschichte, die w i r in so g r o ß a r t i g e r , a b e r auch f u r c h t b a r e r Weise e r l e b e n : auch h i e r ist nicht das W e s e n h a f t e , was sich äußerlich z u t r ä g t , s o n d e r n w e s e n h a f t u n d e n t s c h e i d e n d ist d a r a n d e r Sinn, d e r Urseeleng r u n d , aus d e m alles fließt u n d u m deswillen allein die E n t scheidungen f a l l e n .

2. Einheit

von

Anorganisch

und

Organisch

Es gilt als das Ziel des n a t u r p h i l o s o p h i s c h e n M a t e r i a l i s m u s , j e d e E r s c h e i n u n g , j e d e G e s t a l t u n g u n d V e r ä n d e r u n g d e r anorganischen 175

und organischen Natur auf körperliche Einwirkungen von außen, zugleich auf ebenso erzielte Umlagerung von Atomteilchen und Atomgruppierungen zurückzuführen. Auch die feinsten internen chemischen Veränderungen werden so gedacht, und die chemische Affinität der Stoffe wird gleichfalls als von außen her geschehende gegenseitige Verdrängung oder Vereinigung angesehen. Gelänge dieser Nachweis überall, so wäre die Natur erklärt, es bliebe nichts mehr an Geheimnissen übrig. Aber man ist, wie im vorigen Abschnitt schon dargelegt, gerade auf dem physikalischen Forschungsgebiet zu Erscheinungen und zu Erkenntnissen gelangt — und die Biologie mit ihrem Bemühen, alle Lebenserscheinungen in das Mechanische umzubiegen, hinkt hier gewaltig hinter der Physik nach —, daß man von der Möglichkeit sprach, auch das Atom als ein in seiner Struktur irgendwie Lebendiges aufzufassen. Wie gleichfalls schon angedeutet, wird man aber dieses Lebendige nicht als ein Organismisches nehmen, sondern man wird in dem Wort nur eine Andeutung jenes autonom treibenden, gestaltenden, erhaltenden Etwas sehen, jenes ursprünglichen Naturzustandes, der sowohl zur Bildung mechanisch-chemischer wie Such organismischer Stoffzustände und Substanzbildungen führt. Und gerade im Hinblick auf diese „Lebendigkeit" ist mau — wiederum in der Physik und nicht in der Biologie — zu solch bedeutsamen Erwägungen gelangt wie die, ob nicht gerade eben das innerste Wesen aller Substanz „Leben" sei. Denn wenn der Weltprozeß nur mechanisch abliefe, müßte schließlich alle Bewegung sich zur Totenstarre umgewandelt haben. Alle vorhandene aktive Energie trachtet, sich in latente umzuwandeln: es ist das Gesetz der Entropie. Ihr steht gegenüber die Ektropie, jene Naturkraft, welche dem entropischen Abfall entgegenwirkt und ihn in sein Gegenteil kehrt, d. i. die latente Energie in aktive umsetzt. Diese Naturkraft ist das Leben. Bei ihm allein liegt die Fähigkeit, den Erstarrungstod der Welt zu überwinden. Darum konnte die Physik auch erwägen, ob nicht fortwährend Materie im Weltall neu entstehen und vergehen könne, und das wäre möglicherweise ein kosmischer Lebensprozeß. Dies wirft nun ein gewisses Licht auf die vielerörterte Frage nach der irdischen Entstehung des Lebens, d. h. organismischer primitivster Formen (Abschnitt 11,1.) Man spricht davon, daß die ursprünglichste Form der Lebewesen Bakterien gewesen sein könnten und das pflanzliche Chloro176

p h y l l die f r ü h e s t e E i w e i ß s y n t h e s e . Das ist g e w i ß unrichtig,

denn

die B a k t e r i e n sind, wie die schleimigen tierischen A m ö b e n , Organismen mit einer längeren Entwicklungsgeschichte und schon v o n beträchtlicher

Spezialisation.

Pflanzliches L e b e n m u ß t e

jeglichem

tierischen vorausgehen, denn e i w e i ß a u f b a u e n d sind wesentlich die Pflanzen

u n t e r dem Lichteinfluß,

die T i e r e

dagegen

chemische L e b e w e s e n , die ihren K ö r p e r erst durch

sind

geo-

Einverleibung

schon gebildeter reduzierter organischer V e r b i n d u n g e n

aufbauen.

Nun gibt es aber auch eine anorganische S y n t h e s e u n t e r der Einw i r k u n g des Lichtes, w o b e i die Möglichkeit

einer a u t o n o m e n

Ei-

w e i ß e n t s t e h u n g v o n besonderer B e d e u t u n g f ü r unsere F r a g e ist: auch ohne V e r m i t t l u n g von O r g a n i s m e n

gibt es eine

Reduktion

von K o h l e n s ä u r e in Zucker. B e i der u n g e h e u r e n G r ö ß e und Kompliziertheit der E i w e i ß m o l e k ü l e besteht eine scharfe G r e n z e zwischen

Molekül,

Kristallkern

und K o l l o i d t e i l c h e n

a u ß e r d e m reihen sich die E i w e i ß m o l e k ü l e

kaum

mehr,

gern zu G r u p p e n

mit

gesetzmäßiger S t r u k t u r zusammen, w o b e i die r e g e l m ä ß i g e Wiederholung

als K r i s t a l l k e i m

erscheint. B e i

der Z u s a m m e n r o t t u n g

zu

k o l l o i d a l e n T e i l d i e n k o m m e n dann sogenannte „flüssige K r i s t a l l e " zustande

als scheinbar organismische

Bildungen.

Es gibt

Samen

von T i n t e n k r a k e n , die geradezu wie solche anorganischen K o l l o i d e oder

Kristallkeime

tausendfach sichtbar

erscheinen,

kleinere

gemacht

Virus,

und

das

werden konnte,

das Eigentümlichste

nur das

mit

dem

gewisse

ist

das

Ultramikroskop Blattkrankheiten

h e r v o r r u f t und sowohl als organische Z e l l e wie als K r i s t a l l p u l v e r a u f t r e t e n k a n n . W i r befinden uns nach dem derzeitigen S t a n d der K e n n t n i s s e i r g e n d w i e in der N ä h e der G r e n z e von

Anorganisch

und Organisch. J e d e n f a l l s sind es „ P f l a n z e n " gewesen, d. h. niederste Organismen, in deren K ö r p e r die Lichtsynthese der Kohleh y d r a t e , wie Zucker und Stärke einerseits, der E i w e i ß a u f b a u

an-

dererseits noch g e t r e n n t e V o r g ä n g e waren. Doch es sind das alles noch sehr verwickelte und undurchsichtige Dinge, und der wesentliche Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem k a n n nicht überbrückt w e r d e n durch a l l e r h a n d Analogien, die sich auf den F e i n b a u beider Substanzen b e z i e h e n und die einerseits Organismisches gelegentlich wie Anorganisches umgekehrt organischen

erscheinen Virus

lassen. Auch das K r i s t a l l p u l v e r des

wird, w e n n

das V i r u s selbst g e w i ß ein

und sonst Lebe-

wesen ist, eben nur scheinbar anorganischer K r i s t a l l sein, höchstens 12

Dacque,

Vermächtnis

177

wenn jenes ein endgültiges Zerfallsprodukt des Virus wäre, das sich nicht mehr in Leben zurückverwandeln kann. Die mechanistische Entwicklungslehre dachte, daß zu irgendeiner f r ü h e n erdgeschichtlichen Zeit in einem geeigneten Augenblick u n t e r geeigneten stofflidien Mischverhältnissen u n d bei bestimmten Wärmegraden aus anorganisch-diemischen Wandlungen, wie den oben angedeuteten, organische Substanzen sich gebildet hätten, deren molekulare Strukturen gerade so waren, daß sie primitivstes Organismisches darstellten. Es war damals die B e r u f u n g auf die künstliche Herstellung von Harnstoff und andere Synthesen „organischer" Substanzen, womit man jene Urzeugungstheorie zu stü^en suchte. So k ö n n t e die Natur zu frühurweltlicher Zeit bei den damals großen Hitzegraden und den rasdien Stoffumsetjungen im geeigneten Augenblick der Abkühlung der ersten festen Kruste (S. 64) ein natürliches Laboratorium gewesen sein, worin die Herstellung des „Organischen" aus Anorganischem gelang. Man braucht sich bloß einmal zu vergegenwärtigen, was im denkbar minimalsten Grad zu einem organismischen Wesen gehört, damit es eben ein solches u n d nicht bloß eine „organische" Substanz sei. Es k ö n n t e in seiner Körperlichkeit noch so formlos sein wie eine hypothetische Uramöbe u n d noch so labil in der Gestalt, es müßte aber dennoch Eigenschaften haben, die es gestatten, in ihm organisches Leben zu sehen. Zunächst müßte ein innerer individueller Zusammenhang bestehen, eine innere Ganzheit herrschen, die einem Kristall u n d Kolloidklümpchen nicht zukommt; es m ü ß t e ein einheitliches physiologisches Subjektsgefühl, wenn auch unbewußter Art herrschen. Selbst wenn ein solches primitivstes Lebewesen etwa aus koloniehaft auseinander hervorgewucherten, also undeutlich individualisierten Anlagen bestünde, müßte jenes Zusammenhangsgefühl herrschen. Es müßte eine wenn audi unbewußte Empfindung f ü r Nahrungsaufnahme, ja auch Nahrungsunterscheidung vorhanden sein, selbst wenn diese E r n ä h r u n g nur in einer Assimilation durch die Außenseite, osmotisch durch die Körperoberfläche, durch Oxydation bzw. Reduktion auf der Körperoberfläche, endlich auch durch schleimige Umfließung der Nahrungsmaterie zustande käme. Das Lebewesen müßte eine d u m p f e Empfindung f ü r den Zustand der Sättigung haben und dies als physiologische Reaktion zur Geltung bringen; es müßte entsprechenden Stoffwechsel haben, durch wahre Assimilation der Nahrung, nicht nur durch quantitative A u f n a h m e körperlich wachsen oder 178

sich ergänzen; es müßte sich, wenn auch nur durch einfache Teilung, vermehren, die Teilstücke müßten durch Regeneration wieder zu je einem Ganzen auswachsen. Und endlich müßte jenes Urwesen ein dem individuell-organischen Zustand entsprechendes Verhalten zu seiner Umwelt haben. Schon dieses Wenige zeigt die völlige Unvereinbarkeit und wesensmäßige Andersartigkeit des Organismischen gegenüber dem Anorganischen, denn schon beim denkbar primitivsten Organismus herrscht das Principium individuationis — ein mit keinen mechanistischen Denk- und Vorstellungsmitteln auflösbares Geschehen, das zum Anorganischen in einem wurzelhaften Gegensatj steht. Wir haben mit jeder noch so primitiv gedachten Lebensbildung sofort das ganze Problem, die ganze Fülle des Organisch-Lebendigen uns gegenüber und sind dem Verständnis, wie es wurde, um nichts nähergerückt, selbst wenn wir auch scheinbar „Übergangsformen" gelegentlich finden und wenn das früheste Lebewesen auch nur wie ein gallertiger Schleim oder ein kristallisch aussehendes Kolloid sich dargestellt haben würde. Es kommt auf das Innere, Wesenhafte an. Aber noch mehr ergibt sich, um sofort die erkenntnismäßigen Schwierigkeiten ins Grenzenlose wachsen zu lassen. Legen wir einer solchen hypothetischen Urgestalt nichts bei als jene aufgezählten primitivsten Lebensäußerungen und betrachten wir sie im Besitj derselben immerhin als Vollorganismus, so erhebt sich sofort nun die Frage: Wie konnte sich so etwas in rascher oder endlos langsamer Umbildung weiterentwickeln, um vielleicht nach Jahrmillionen ein primitives Leibeshöhlentier, später ein primitiver Wurm usw. zu werden? Entweder lag die Fähigkeit dazu als Potenz schon von Anfang an in der Konstitution seiner organischen Substanz und diese Fähigkeit entwickelte sich dann in äußeren Formenbildungen; oder es hat sich das ebenso unausdenkliche Wunder vollzogen, daß eine solche Urform durch Zufallsvarianten bzw. Mutationen und deren natürliche Auslese (Abschnitt 11,5) im Lauf der Zeiten zu alledem wurde, was die spätere Natur an niederen und höheren Typen bietet. Kurz, wir sehen, wie heillos man sich mit diesen äußerlichen, mechanistisch gedachten Anschauungen und Versuchen in das unbegründete — nicht etwa in das begründete — Wunder verrennt. Das Erscheinen des organischen Zustandes ist ein Urphäüomen im Goethe-Schopenhauerschen Sinn, verstandlich auf dem unmittelbaren Weg unauflösbar, ist Gegebenheit 179

schlechthin, ist Qualitas occulta, die zusammentrifft mit dem unergründlichen Wesen des Lebens selbst. Es gibt keine unmittelbare Brücke vom Anorganischen zum Organismischen. Bei der mechanistischen Urzeugungstheorie kommt noch ein sprachlicher Fehler hinzu: die Verwendung des Wortes „organisch". Wenn von organischen Stoffen im Sinne der Chemie gesprochen wird, so darf man dies nicht gleichsehen mit „organismisch". Denn auch chemisch-organische Substanzen sind durchaus anorganische und nicht selbst biologische Zentren. Eine chemischorganische Substanz ist kein Organismus, auch wenn die Organismen spezifisch solche hervorbringen. Zu glauben, weil man synthetisch Harnsäure oder Chlorophyll oder am Ende sogar Eiweiß im Laboratorium herstellen könne, sei man auch der Herstellung des Lebens auf der Spur, ist absurd. Und selbst wenn chemischorganische Substanzen auf der vermuteten f r ü h e s t e n heißen Erdrinde sich einmal bildeten, so war auch dies kein primitivstes Leben. Hier also liegen zwei nicht unmittelbar auseinander ableitbare physische Naturzustände vor, die nur durch metaphysische Betrachtung erkenntnismäßig geklärt werden können. Die äußerlich unvereinbaren Gegensätje müssen in einer höheren Einheit ihre Verbindung finden. Und worin liegt diese? Wir müssen auf einen Innenzustand, einen „ U r z u s t a n d " der Substanz schließen — dieses Wort keineswegs nur im Vergangenheitssinn, sondern zugleich durchaus gegenwärtig genommen —. auf einen Urzustand, der sich aufspaltet und damit aus seiner Laienz in die gewöhnliche sinnenfällige Wirklichkeit, also in physische Stoff- und Formzustände übertritt und einerseits als anorganische Materie (das Wort p u n im weitesten Sinn gebraucht), andererseits als Organismisches, und sei es noch so primitiv, erscheint. Es ist das, was beiden zum Ursprung dient, worin sie gemeinsam wurzeln, ohne darin noch getrennt zu sein, in dem sie als in ihrer höheren Einheit beschlossen liegen. Wir wollen dieses Ursprunghafte das „Urlebendige" nennen und darin jenes unseren Sinnen verhüllte innere Leben sehen, das wir im vorigen Abschnitt dem Gesamtkosmischen zugeschrieben haben. Es ist grundsätzlich ein den ganzen Kosmos Umfassendes, das aller konkret physischen Erscheinung u n d Vielgestaltigkeit, sowohl anorganischer wie organismischer, zugrunde liegt. Es ist ein anderer Stoffzustand. Indem dieser aus seiner Latenz heraustritt, aus seiner unseren Sinnen unzugänglichen Potentialität zur Aktivität hervor180

bricht, spaltet sich seine innere Einheitlichkeit und Einheit auf u n d erscheint so als eine Natur im äußeren Betracht. Die Biologie gibt den Grundsatj der strengsten inneren Einheitlichkeit der Gesamtnatur preis, wenn sie zwei Zustände, die sich nun einmal mit keiner D e n k k r a f t unmittelbar in der Außenwelt wesensmäßig ineinander ü b e r f ü h r e n lassen, trotzdem unmittelbar hypothetisch miteinander v e r k n ü p f t u n d dabei doch nur formale, nicht wesensmäßige Verbindungen herstellt. Das aber macht sie, wenn sie unbedingt auf der Außenlinie das Organismische aus dem Anorganischen historisch und gegenwärtig abzuleiten sucht. Auch die vitalistische Lehre kommt über diesen mechanistischen I r r t u m nicht hinaus, denn sie setjt über das Anorganische einen neuen u n b e k a n n t e n Faktor, und läßt ebenso aus dem unorganischen Stoff durch Dominanz dieser Lebenskraft organismische Gebilde erstehen. Eine andere, ältere Theorie war da tiefsinniger: sie dachte sich alle Substanz ursprünglich als organismisch u n d leitete daraus das Anorganische ab. Tatsächlich sehen wir ja auch immerzu aus dem Zerfall oder durch die aktive Lebenstätigkeit der Organismen unorganische Substanz entstehen; wir brauchen, um ein ganz großes Beispiel zu haben, n u r an die felsenbildende Wirkung von Korallen oder Kalkalgen zu denken. Doch mit jener Theorie war wieder nur eine Umkehrung der mechanistischen Urzeugungslehre gegeben, denn nun nahm man das wirklich Anorganische gewaltsam als Organismisches, der gleiche Denkfehler, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Es ist f ü r alle folgerichtige Forschung unerläßlich, ein unbedingt festzuhaltendes Forschungsprinzip anzuerkennen u n d danach unbeirrt zu verfahren. Ein anderes Prinzip — darin sind wohl alle einig — gibt es heute nicht als dieses eine: u n t e r allen Umständen die Idee der inneren Einheit bei all der äußeren Mannigfaltigkeit des Naturgeschehens und der Naturzustände zu wahren. Wahrt man sie aber, so ist es undenkbar, daß man erfahrungsgemäß Unvereinbares auf unmittelbarem Weg gewaltsam verbindet; sondern da eben muß man nach einem Dritten suchen, das beides in sich schließt oder — entwicklungsgeschichtlich ausgedrückt — zu beidem werden kann, sich in beidem gleichzeitig zum Ausdruck bringt. Man kann daher bei solcher erkenntnistheoretischen Strenge nicht Hypothesen beitreten, welche das Organismische aus dem Anorganischen historisch entstehen lassen; auch nicht Hypothesen, 181

welche das Organismische n u r durch H i n z u k o m m e n i r g e n d e i n e r a n d e r e n d o m i n a n t e n N a t u r k r a f t e r k l ä r e n . B e i d e s ist, biologisch g e s e h e n , M a t e r i a l i s m u s . D e n n es ist u m nichts besser, zu sagen, es k a m i r g e n d w a n n e i n m a l e t w a s h i n z u , was d e n a n o r g a n i s c h e n Stoff z u m O r g a n i s m u s g e s t a l t e t e ; o d e r zu sagen, dieser Stoff gestalt e t e sidi v o n selbst e i n m a l zum Organismischen. I m e r s t e r e n F a l l r u f t m a n n u r e i n e n D e u s ex m a c h i n a h e r b e i , wo M e n s c h e n h i l f e nicht w e i t e r r e i c h t , weil u n s e r V e r s t a n d da ein u n ü b e r w i n d l i c h e s H i n d e r n i s findet; im l e t j t e r e n F a l l legt m a n in d e n a n o r g a n i s c h e n Stoff e t w a s h i n e i n , was i h m nach aller naturgeschichtlichen E r f a h r u n g an sich w e s e n s f r e m d ist. D e r Weg z u r L ö s u n g u n s e r e s P r o b l e m s u n d das einzig b r a u d i b a r e n a t u r p h i l o s o p h i s c h e D e n k p r i n z i p liegt h e u t e d a r i n , sowohl das A n o r g a n i s c h e im w e i t e r e n Sinn wie auch d a s Organismische als zwei gleich n o t w e n d i g e , sich in i h r e m Sein u n e n t w e g t gegenseitig b e d i n g e n d e p o l a r e D a r s t e l l u n g e n eines ü b e r g e o r d n e t e n a n d e r e n zu b e g r e i f e n . W i e w e d e r ein S u b j e k t o h n e O b j e k t , noch das Umgek e h r t e d e n k b a r ist, o d e r wie d e r l e b e n d i g e Leib u n d das Seelenh a f t e in i h m n u r in u n d m i t e i n a n d e r b e s t e h e n u n d k e i n Seelenh a f t e s o h n e gleichzeitige K ö r p e r l i c h k e i t , noch das U m g e k e h r t e d e n k b a r ist — so auch Anorganisches nicht o h n e Organismisches u n d dieses nicht o h n e j e n e s . B e t r a c h t e n wir es n u n zeitlich-naturgeschichtlich. D e n k e n wir uns, es sei i r g e n d w a n n e i n m a l d e r Augenblick e i n g e t r e t e n , wo aus d e m U r z u s t a n d d e r M a t e r i e auf i r g e n d e i n e m W e l t k ö r p e r o d e r gleichzeitig auf vielen, die wir nicht k e n n e n , O r g a n i s m e n a u f t r a t e n , so m u ß n o t w e n d i g z u v o r ein ganz a n d e r s a r t i g e r S u b s t a n z z u s t a n d d a g e w e s e n sein. Es m u ß n o t w e n d i g ein nach h e u t i g e n B e g r i f f e n vorstofflicher Z u s t a n d geherrscht h a b e n , d e r sich w e s e n m ä ß i g von allem Stoff u n t e r s c h i e d , w o r i n wir j e ^ t die N a t u r w a h r n e h m e n und verstehen können. Denn unsere Sinnenhaftigkeit, womit allein wir die W e l t , allen Stoff — organismischen wie a n o r g a n i schen — w a h r n e h m e n , ist ja selbst das E r g e b n i s e i n e r schon vollz o g e n e n A b s p a l t u n g des A n o r g a n i s c h e n wie des O r g a n i s m i s c h e n aus d e m U r z u s t a n d . W e n n das Anorganische u n d das Organismische nicht von i n n e n h e r l e b e n d i g v e r b u n d e n , also eine b e s t ä n dig p o l a r e w e c h s e l w i r k e n d e E i n h e i t in d e r ä u ß e r e n u n v e r e i n b a r e n Z w e i h e i t w ä r e n , so w ü r d e k e i n O r g a n i s m u s j e i m s t a n d e gewesen sein, eine v e r m e i n t l i c h n u r anorganische, lebenslose U m w e l t phy182

siologisch und mit Sinnen a u f z u n e h m e n ; es gäbe kein Mittel, zu sehen, zu hören, zu riechen usw. So stehen wir vor der Alternative: E n t w e d e r sind Organismisches und Anorganisches, also mineralische S p h ä r e , auseinandergefallen in zwei getrennte N a t u r q u a l i t ä t e n , deren Grenze, wie wir sahen, unübersteigbar wäre; oder sie sind immerfort noch lebendige Einheit. Sind sie ü b e r h a u p t Einheit — einen anderen Forschungsgrundsatj gibt es nicht — , so müssen sie innere Einheit, d. h. lebendige Einheit sein. J e d e s muß das notwendige K o r r e l a t des anderen sein, weil sie in einem polaren Verhältnis stehen, eines kann ohne das andere weder gedacht werden noch wirklich bestehen, sie müssen zwei gleichzeitige und gleichwertige Ausdrucksseiten ein und desselben Innen- und Urzustandes, eben des Urlebendigen sein. Was aber kann, naturwissenschaftlieh zu E n d e gedacht, dieses seinem Wesen nach sein? Es kann, soweit unsere E r f a h r u n g reicht, nur das sein, was wir als eine andere N a t u r s p h ä r e kennen, wenn auch selten anschaulich erleben und nur mit einer anderen Art Sinnenhaftigkeit gelegentlich a u f n e h m e n . E s sind Z u s t ä n d e und Gestaltungsbilder, die weder mit der alltäglich uns zum Bewußtsein k o m m e n d e n Zeit und Räumlichkeit noch mit den gewohnten Vorstellungen von Stofflichkeit eins sind. Aber wir kennen sie und wissen, daß sie existieren als Substrat alles physischen Geschehens. Sie sind unserem Menschentum, so wie es j e § t ist, wenig zugänglich. Wir haben die S i n n e n h a f t i g k e i t d a f ü r entweder fast verloren, oder sie ist vom gewöhnlichen Wachbewußtsein stets überdeckt. Wenn sie im T r a u m uns zugänglich wird, bringen wir sie selten anschaulich mit herüber; oder wenn wir sie mit herüberbringen, kleidet sie sich im Bewußtsein und der wachen Vorstellung sofort eben in die solchem Bewußtsein allein gemäßen F o r m e n von Zeit und R a u m , Materie und Leben. Alle Erscheinungen des Hellsehens, des Vorausschauens, des Materialisierens, der U m g e s t a l t u n g des Körperlichen im Z u s a m m e n h a n g mit Visionen, der Levitation und was es sonst noch geben m a g — das alles sind die äußersten Spitzen des Schleiers, der f ü r uns um jene andersartige, wenn auch durchaus n a t u r h a f t e Zuständlichkeit gebreitet ist. Hier haben wir also den „ U r z u s t a n d " der physischen Körperlichkeit vor uns, den „ U r s t o f f " , woraus Anorganisches u n d Organismisches als zwei Seiten desselben Wesens quellen. Immer ist dieser Urstoff und Urzustand da; er ist nicht nur dagewesen. Niemals 183

kann er etwa nur in grauer Vergangenheit dagewesen und dann verschwunden sein. Immer ist Natur die gleiche, in ihrem Wesen und in ihren Kräften. So ruht auch heute alles Organismisdxe und Unorganische immer auf diesem Untergrund, dem im Seelischen das ebenfalls dem gewöhnlichen Wachbewußtsein Entzogene entspricht. Jeden Augenblick stellt sich Anorganisches und Organismisches neu daraus dar; jeden Augenblick sind diese beiden Stoffund Weltzustände dessen Ausdruck und Manifestation, und sind bedingt von innen her gleichzeitig und aus derselben Quelle. Das nun gibt un6 einen Erkenntnisgrund für die eingangs erwähnte Möglichkeit einer gegenwärtig sich noch vollziehenden Neuentstehung von Materie im Weltall. Es gibt uns einen Erkenntnisgrund für die Denkmöglichkeit eines lebendigen Wesenskernes der Stoffatome, die ohnehin keine sichtbaren Realitäten, sondern Wirkungszustände und Wirkungssymbole sind. Es gibt uns auch Klarheit über einige andere Fragen der Naturgeschichte. Vor allem darüber, wie es geschehen konnte, daß in der erdgeschichtlichen Entwicklung des organischen Reiches immerfort zugleich mit neuen Umweltzuständen auch neue Organismentypen kamen und als solche mit einemmal da waren; weshalb die anorganische Umwelt stets auch den neukommenden Organismentypen, den wechselnden Tier- und Pflanzengesellschaften entsprach, die sich doch selbst wieder aus zahllosen Typen zusammense^ten. Es ist ja eigentlich ein Wunder ohnegleichen, wieso etwa Jahrmillionen hindurch die klimatischen und sonstigen Zustände an der Erdoberfläche sich immer gerade in den dem Leben zuträglichen und sogar, physikalisch betrachtet, äußerst engen Grenzen hielten, innerhalb deren überhaupt Organismen existieren konnten. Nie ist die Lebenskette, der Lebensstrom trotj all den gewaltigen Umsetzungen von Land und Meer, Hochgebirgen und Tiefländern, Wärmezeiten und Eiszeiten jemals abgerissen. Warum ist, wenn wirklich die anorganische Umwelt innerlich unabhängig vom Organismenwerden wäre, denn nie der Wärmegrad von etwa 50 Grad dauernd erreicht oder überschritten worden; warum ist das Klima nie dauernd unter den Gefrierpunkt abgesunken, jenseits dessen ein solches Leben überhaupt nicht mehr hätte existieren können? Wohl deshalb, weil sich auch die anorganische Natur nie anders gestaltete als nur in steter, von innen her bedingter Beziehung zum Organismischen, ebenso wie umgekehrt. Nicht etwa die anorganische Umwelt war da und änderte sich allein für sich, dann 184

mußte sich erst das Leben wandeln, sich „anpassen", wie der entwicklungsgeschichtliche Ausdruck lautet, sondern beides wurde und wird in engster Korrelation miteinander und zueinander, aus dem ursprünglichen Zustand heraus als dessen zweiseitig sich darbietende Spiegelung, aber von innen her durchaus als Eines sich gestaltend. Es mag sein, daß diese Harmonie des inneren Geschehens wieder und wieder gestört werden konnte — die Erdgeschichte legt auch davon reichlich Zeugnis ab. Aus dieser Unterbrechung der polaren Gegenseitigkeit gingen dann eben audi im äußersten Fall die Katastrophen hervor (Abschnitt 11,2); aber als Ganzes ist eine volle Gegenseitigkeit da. Es soll nun gewiß nicht geleugnet werden, daß es Anpassungsvorgänge äußerer Art gibt, also über Generationen sich erstreckende Umwandlungen von Organismen infolge äußerlich rasch oder allmählich sich ändernder Lebensbedingungen; wir können es sowohl an vorweltlichen Artenreihen wie an lebenden Formen sehen (Abschnitt 11,5), es besteht einfach die Tatsache, daß alle noch lebensfähigen Organismen bzw. Arten an ihre Umwelt und ihre Lebensnotwendigkeiten angepaßt sind. Aber das grundsätjliche Angepaßtsein der organismischen Grundformen ist von sich aus ein urtümlich gegebener Zustand, der bedeutet, daß die neu erschienenen Gestalten eben wegen der mitgebrachten Formung und Organbildung so oder so in der Umwelt leben, nicht sekundär von der zuerst existierenden Umwelt geformt oder zur Umformung gezwungen worden sind. Diese in der organismischen Gestalt liegende immanente Zweckmäßigkeit ist ein Urphänomen, es ist die nicht äußerlich durch Anpassungsvorgänge und spezialisierende Reihenbildung sich manifestierende „Urform" — auch dieses Wort nicht nur im Zeitlichen, sondern im wesenmäßig gegenwärtigen Sinn verstanden. Denn die „Urform" lebt dauernd in jeder noch so späten Art. Es ist das, was wir ausführlich als Unterschied zwischen Spezialisationsreihen und Grundorganisationen herausgearbeitet haben. J e n e r von grundaus gegebenen immanenten Zweckmäßigkeit der organismischen Gestalt steht gegenüber die äußere akzidentelle Zweckmäßigkeit, die sich in physiologisch-morphologischen Anpassungsvorgängen durch engere oder weitere Zeitstufen hindurch kundgibt und dies wiederum auch in einem äußeren Zusammenhang mit der Umwelt. Da passen sich vorhandene Arten an, wenn die Umwelt sich ändert oder man sie künstlich in eine neue Um185

weit v e r s e t j t , sie zeigen i h r e n speziellen e n g s t e n G e s t a l t u n g s wechsel, v e r m ö g e dessen sie i h r e n L e b e n s r a u m e r w e i t e r n o d e r sich f ü r e i n e n e n g s t e n K r e i s spezialisieren. Solche v o n a u ß e n h e r ges c h e h e n d e A n p a s s u n g ist a b e r n i e m a l s g e e i g n e t , e i n e n e u e G r u n d f o r m zu p r ä g e n , sie f ü h r t nicht zu e i n e r n e u e n „ U r f o r m " , die stets a u t o n o m v o n i n n e n h e r a u f b r i c h t u n d v o n sich aus i h r e U m w e l t mitbringt. M a n b e o b a c h t e t in d e r Erdgeschichte ganz deutlich, d a ß nicht e t w a die g r o ß e n Umsetzungen v o n L a n d u n d Meer o d e r die g r o ß e n Geb i r g s b i l d u n g e n u n d V u l k a n e p o c h e n das L e b e n b e s o n d e r s umges t a l t e t e n , s o n d e r n d a ß die g r u n d l e g e n d e n E r n e u e r u n g e n u n d H ö h e r f ü h r u n g e n des B a u m e s sich e b e n s o in r u h i g e n Z e i t e n vollzogen. I n W i r k l i c h k e i t v e r s t e h e n wir es jetjt a n d e r s : Es sind nicht d e m L e b e n a u f g e z w u n g e n e A n p a s s u n g e n , durch die d e r g e s a m t e B a u m h e r a n w u c h s , s o n d e r n durch d e n i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g v o n a n o r g a n i s c h e r u n d O r g a n i s m e n w e l t h a b e n sich Erd- u n d Lebensgeschichte i n e i n a n d e r a b g e s p i e l t . Die i n n e r e N a t u r s p h ä r e m a n i f e s t i e r t sich in n e u e n G e s t a l t u n g e n u n d U m g e s t a l t u n g e n b e i d e r S p h ä r e n gleichsinnig, gleichzeitig. V o r h a n d e n e s a b e r , schon D a s e i e n d e s t r a t in n e u e G e s t a l t u n g ein, erschien in n e u e m Zeitg e w a n d , u n d so wechselten u n d g e s t a l t e t e n sich die F o r m e n u n d Z u s t ä n d e d e r E r d o b e r f l ä c h e u n d des L e b e n s . W e n n w i r also jetjt m i t dieser n e u e n E r k e n n t n i s von e i n e r Gleichzeitigkeit des W e r d e n s im Organismischen wie i m A n o r g a n i s c h e n r e d e n , so ist es nicht m e h r j e n e innerlich u n h a l t b a r e V o r s t e l l u n g , d a ß etwa O r g a n i s m e n aus a n o r g a n i s c h e m Stoff h e r v o r g i n g e n , sond e r n es ist eine n o t w e n d i g e Zweiseitigkeit alles physischen Werd e n s u n d Seins aus u r l e b e n d i g e m U n t e r g r u n d h e r a u s . W i e ein O r g a n i s m u s als solcher n i e m a l s existiert o h n e die g e s a m t e n psychischen F e l d e r , die i h m v e r m ö g e seiner O r g a n i s a t i o n u n d als Ausdrude d a f ü r , d a ß er eben L e b e w e s e n ist, z u k o m m e n , e b e n s o w e n i g k a n n u n d k o n n t e j e m a l s im W e l t a l l etwa aus u r a t o m h a f t e n Zus t ä n d e n a n o r g a n i s c h e r Stoff v o n d e r A r t u n s e r e r chemischen Elem e n t e o d e r V e r b i n d u n g e n w e r d e n , o h n e d a ß zugleich sein K o r r e lat, das Organismische, m i t e n t s t a n d , mit gesetjt w a r . Es gibt da k e i n e Bezugslosigkeit des e i n e n zum a n d e r e n . Das eine ist o h n e das a n d e r e nicht n u r nicht d e n k b a r , s o n d e r n auch nicht e x i s t e n t . Auch in d e r g r a u e s t e n U r z e i t m u ß im physischen K o s m o s i m m e r n o t w e n d i g u n d v o n i n n e n h e r Organismisches h e r v o r g e t r e t e n sein, sobald Anorganisches je h e r v o r t r a t . Es m u ß stets ein schwesterlich-

186

brüderliches E n t s t e h e n g e w e s e n sein. Mithin k a n n auch das stoffliche Weltall, wie es u n s e r e n wachen S i n n e n zugänglich ist, nie von anorganischer M a t e r i e als solcher allein e r f ü l l t g e w e s e n sein. Ehe anorganische Materie ward,

war nur vorphysischer

Weltzu-

s t a n d . U n d als a n o r g a n i s c h e M a t e r i e w a r d , war auch Organismischeg da. Dies

allein

heißt,

Einheit der N a t u r "

mit d e m

Begriff

wissenschaftlich,

„Einheit

des

Weltalls,

erkenntnistheoretisch

Ernst

machen. M a n spricht wohl zuweilen v o n „ k o s m i s c h " , wenn m a n seine Verl e g e n h e i t v e r b e r g e n m u ß d a r ü b e r , d a ß m a n zwar e t w a s u m j e n e n i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g im Weltall weiß, a b e r doch nicht

recht

weiß, was m a n weiß. Mit der gleichen V e r l e g e n h e i t h a t m a n in der materialistischen chen. N u n ,

wahrer

Naturphilosophie Monismus

ist

von

immer

„monistisch"

gespro-

kosmischer

Monismus.

„ K o s m i s c h " a b e r h e i ß t : innere, l e b e n d i g e E i n h e i t d e r

sichtbaren,

der s i n n e n h a f t w a h r n e h m b a r e n N a t u r , d e r a n o r g a n i s c h e n wie der organischen. D i e s e n u r im S i n n e a u f e i n a n d e r s t o ß e n d e r A t o m e zu d e n k e n , ist hohl u n d l e e r ; es s a g t nichts, was u n s e i n e m V e r s t e h e n der N a t u r n ä h e r b r ä c h t e . Wir a b e r gebrauchen d a s Wort „ k o s m i s c h " u n d d a s Wort „ m o n i s t i s c h " nun in voller E r k e n n t n i s d e s s e n , d a ß eine innere, eine l e b e n d i g e E i n h e i t b e s t e h t zwischen organismischer u n d anorganischer Welt in i h r e m S e i n u n d i h r e m W e r d e n . Auch „ l e b e n d i g " w ä r e nur ein hohles

Wort, wenn

es nicht

würde, daß ein u r s p r ü n g l i c h e r , ein u r l e b e n d i g e r

bedeuten

Wirkungszustand

da ist, w o r a u s d a u e r n d n o t w e n d i g u n d d a u e r n d gleichzeitig b e i d e s quillt, u n d v e r m ö g e d e s s e n allein es z u t r i f f t , daß etwa d e r Sternh i m m e l auch die organismische u n d menschliche N a t u r s p i e g e l t : d e r Makrokosmos den Mikrokosmos, und

3. Metaphysik

umgekehrt.

des

Stammbaumes

Was ist eine U r f o r m ? D a s Wort ist m e h r d e u t i g . Z u m e r s t e n versteht

man

darunter

die

realistischen

Anfangsgestaltungen

des

f r ü h e s t e n L e b e n s der E r d z e i t a l t e r , aus d e r e n F o r t e n t w i c k l u n g der ganze Stammbaum schichtlichen

hervorsproßte;

Anfangsformen

sodann

einzelner

im

speziellen

Hauptäste

und

die

ge-

Gruppen

des Tier- u n d Pflanzenreiches. Solche U r f o r m e n w ä r e n somit Primit i v b i l d u n g e n , d e r e n E i g e n s c h a f t e n d e r a r t w a r e n , daß aus ihnen alle spätere Mannigfaltigkeit

einer solchen G r u p p e „ a b g e l e i t e t "

wer187

den könnte. Diese Ableitung kann formal-morphologisch, sie kann auch genetisch-evolutionär gemeint sein. Im letzteren Fall deckt sich das Wort Urform mit dem entwicklungsgeschichtlichen Begriff Stammvater. Die U r f o r m e n wären danach greifbare Wesen, die gegebenenfalls auch fossil überliefert sein könnten. Das Wort Urform hat aber nicht nur diese doppelte realistischphysisdhe Bedeutung, sondern auch eine metaphysische. Eine metaphysische Urform ist ein naturgeschichtlich nicht unmittelbar greifbares Wesen, sondern in diesem nur als ihrem Symbol zu erschließen. Ist sie deshalb nur gedankliche Idealität? Nimmt man sie nur als das, so würde auch die natürliche Entwicklungslehre nur ein ideelles Bild der Lebensentfaltung bieten, nicht ein realistisches. Das Suchen nach Urformen oder nach der Urform wäre somit entweder reiner Begriffsidealismus oder es ist lebendige, nicht nur ideelle Metaphysik. Als Ausdruck von etwas LebendigMetaphysischem ist sie eine Lebensentelediie, eine Urpotenz, eine Ur-Sache, die in allen äußerlich wirklich erscheinenden Wesen da ist, in den ersten primitiven Formen des Gesamtlebensbaumes nicht weniger wie in den letjten, höchsten, also auch dem Menschen bzw. in den einzelnen enger gefaßten Gruppen als Spezialurform. Nimmt man mit der gewöhnlichen Entwicklungslehre an, es habe einmal naturgeschichtlich sichtbare Urformen gegeben, so müßten es nach allgemein stammesgeschichtlichen Vorstellungen neutrale Arten gewesen sein, die in ihrem primitiven Formzustand nur unausgesprochene Körpereigenschaften besessen h ä t t e n . Solche gab es freilich nie; denn, wie wir schon einmal sagten, k o n n t e kein sichtbares Wesen auch nur einen Tag lang existieren, wenn es nicht schon bei seinem ersten Erscheinen von sich aus auf die Erfordernisse der Umwelt eingestellt gewesen wäre. Diese Einstellung aber bestimmte sich aus der „ U r f o r m " , und damit kommen wir an ihre innere Wirklichkeit heran. Die „ U r f o r m " ist eine innere formbestimmende Potenz in äußeren sinnfälligen Arten u n d Gattungen. Die Grund- oder Urform hat von sich aus u n d in sich den Sinn u n d die Möglichkeit, die Arten vom ersten Augenblick ihres äußeren Werdens an so zu gestalten, daß sie dauernd in der f ü r Alle gemeinsamen Umwelt lebensfähig sind. Die Umwelt aber existiert nidit nur an sich, sondern wird auch dadurch mitbestimmt, daß jede lebensfähige organische Form von sich aus eine Struktur und Organbildung hat, gemäß deren ihr in der allge188

meinen Umwelt eine besondere Lebensweise zukommt. Das vierfüßige Wirbeltier etwa ist von seiner „Urform" her als Vierfüßler bestimmt, aber es ist nicht aus irgendwelchen neutralen Fischen oder dgl. zu einem zunächst ebenso neutralen Ur-Vierfüßler geworden, indem ihm von außen her etwas zugetan oder es umgeprägt wurde. Wenn es von Fischen wirklich abstammen sollte (S. 124), so waren sowohl diese Fische wie jene Gestalten, die daraus als erste Vierfüßler entsprangen, nach außen hin doch wieder in besonderer Weise spezialisierte Wesen, nicht selbst neutrale „Urformen". J e d e r Organismus kann als reine Gestalt an sich gesehen werden, er kann zugleich auch als Anpassung an die Umwelt verstanden werden. Die reine Gestalt ist eine idealistische Form, ein Bauplan; die Anpassung bedeutet ihr Eingestelltsein auf die natürliche Umwelt. Der waagerechtachsige Vierfüßler ist ein bestimmter Bauplan (S. 106), aber so, wie er in wirklichen Arten lebt, ist die gesamte Körperform wie deren einzelne Teile und Organe zugleich eine Anpassung an die Umwelt. Die „Urform" aber ist nicht eine ideelle Abstraktion aus so und so vielen verschiedenen Vierfüßlern, sondern ist die Grundpotenz, aus der die Gesamtgestaltungen des Vierfüßlers lebendig hervorgehen. Diese Urpotenz oder Urform ist eine nicht äußerlich sinnenfällige, sondern innere höhere Wirklichkeit im wörtlichsten Sinn, sie ist metaphysische Realität in allen Arten und Gattungen etwa einer Stammreihe oder des Gesamtlebensbaumes, die alle als ihr Symbol bestehen, und ist in den ersten frühesten wie in den legten spätesten in mannigfaltiger Weise manifestiert. Was ist nun die metaphysische „Urform", die grundlegend metaphysische Urpotenz des Gesamtlebensbaumes? Der Mensch. Wie ist das zu verstehen? Wir wollen es genauer darlegen. Um Metaphysisches zu begreifen in seiner Realität, muß man gewissermaßen es in paradoxe Sätze fassen, weil wir alle inneren Beziehungen nur mit Hilfe äußerer Bilder aussprechen können; wir müssen der äußeren Natur Bezeichnungen entnehmen und müssen sie in übertragenem Sinn verstehen. Und dadurch erscheinen sie, wörtlich genommen, paradox. Es ist weiter zu beachten, daß im Metaphysischen das in der Zeit sinnenfällig Spätere dem Wesen nach das Zuvorbestehende, Ursprunghafte sein kann. Es ist also ein in sich zurückkehrendes Denken. Nur dadurch läßt sich das Nachfolgende verständlich machen. 189

Alle einst o d e r h e u t e l e b e n d e n , also äußerlich wirklichen, nicht konstruktiv erdachten Lebewesen müssen am Gesamtlebensbaum als Ä s t e u n d Zweige g e s e h e n w e r d e n , w ä h r e n d d e r d u r c h g e h e n d e S t a m m selbst u n s i c h t b a r b l e i b t , als K e i m b a h n (S. 131) vielleicht bezeichnet w e r d e n k a n n o d e r höchstens, wie das die f r ü h e r e E n t w i c k l u n g s l e h r e vielfach t a t , h y p o t h e t i s c h e f o r m a l e N a m e n b e k o m m t . D e r l e b e n s v o l l e Z u s a m m e n h a n g d e r wirklichen A r t e n , nämlich d e r gesuchte S t a m m des B a u m e s , b l e i b t so durchweg eine n i r g e n d s m i t physischen G e s t a l t e n b e l e g t e I d e a l i t ä t . D e r S t a m m b a u m r e p r ä s e n t i e r t also lediglich e i n e i d e a l e S y s t e m a t i k u n d gibt diese bildlich w i e d e r , a b e r er zeigt nicht d e n n a t u r h i s t o r i s c h g e g e n s t ä n d l i c h e n Zusammenhang der G r u p p e n oder der Grundorganisationen engerer o d e r w e i t e r e r A r t . (Abb. 44.) W e n n wir d e r S y s t e m a n o r d n u n g e i n e geschichtliche R e a l i t ä t als genetisches W e r d e n zuschreiben, so t r a g e n wir e t w a s h i n e i n , was n a t u r h i s t o r i s c h sichtbar nicht geg e b e n ist. Es ist a b e r m e t a p h y s i s c h g e g e b e n . W i r d ü r f e n d e n Menschenast im Bild nicht so zeichnen, als ob er aus d e m T i e r h e r v o r g i n g e , s o n d e r n m ü s s e n , u m g e k e h r t , seine A n f a n g s f o r m als d e n G r u n d s t a m m a n g e b e n , aus d e m Seitenzweige h e r v o r t r i e b e n , die allesamt tierische o d e r auch m e h r menschenartige, a b e r d u r c h w e g t i e f e r s t e h e n d e G e s t a l t e n sind u n d n u n d e m g e m ä ß als seitlich aus d e r M e n s c h e n b a h n A b i r r e n d e erscheinen, u n d zwar m i t Einschluß des J e t z t w e l t m e n s c h e n selbst. E b e n a b e r dieses S t a m m b a u m b i l d k a n n m a n ganz folgerichtig u n d sogar m i t e i n g e h e n d e r a n a t o m i s c h e r B e g r ü n d u n g auf alle G a t t u n g e n des Tierreiches, die j e l e b t e n , also auf den g e s a m t e n G r o ß s t a m m b a u m a u s d e h n e n , weil j e d e s wirkliche h e u t i g e o d e r urweltliche T i e r d e m h ö c h s t o r g a n i s i e r t e n Geschöpf, d e m Menschen, g e g e n ü b e r n o t w e n d i g als einseitig spezialisiert erscheint. Das Ziel u n d d e r l e t z t e Ast des G e s a m t l e b e n s b a u m e s , entwicklungsgeschichtlich gesprochen, ist d e r Mensch. Also sind sämtliche wirklichen T i e r e , von d e n e n k e i n e s in seinen u n m i t t e l b a r e n S t a m m b a u m g e h ö r t , auf d e m W e g z u m Menschen schon zu f r ü h s e i t w ä r t s abg e l e n k t e Zweige. J e f r ü h e r also in d e r Erdgeschichte organische F o r m e n a u f t r a t e n , u m so n i e d e r e r , d. h. u m so e i n s e i t i g e r t i e r h a f t , u m so m e n s c h e n f r e m d e r m ü s s e n sie g e g e n ü b e r d e m E n d z w e i g gewesen sein. U n d das zeigt jedes B l a t t d e r Erdgeschichte ganz e i n d e u t i g : j e f r ü h e r in d e r Z e i t desto w e n i g e r m e n s c h e n h a f t . I n s b e s o n d e r e auch die geologisch v e r s c h i e d e n a l t e r i g e n Menschenaffen sind u m so weniger m e n s c h e n ä h n l i c h , je f r ü h e r sie in der 190

Abb. 44. Baumförmige Darstellung des Tierreiches, angeordnet nach der Organisationshöhe der Grundbaupläne; in den Ästen und Zweigen belegt mit wirklichen Lebewesen, während die Stammwurzeln der Hauptgruppen sowie der zentrale innere Stamm keine sinnenfällige, sondern nur metaphysische Realität hat

191

Zeit erschienen. Weiter der f r ü h e Steinzeitmensch und die h e u t e noch ihm nächst ähnlichen niederen Rassen (Australier, Neukaiedonier) sind schon wesentlich vollmenschenhafter als jene Affen; u n d der alte ausgewachsene Mensch unserer Rasse ist auch schon wieder etwas a f f e n h a f t e r in bezug auf den idealen Volltypus. Vom Standpunkt des Naturforschers ist nun gar nichts dagegen zu sagen, daß sich genetisch-wirklich einmal oder mehrmals Tier aus dem spezifischen Menschenstamm abspaltete. Es k a n n sehr wohl sein, daß die Menschenaffen einseitig in ihrer Bahn abgewandelte Spezialzweige des Urmenschenstammes sind; wir sprechen auch den fossilen „primitiven" Steinzeitmenschen unbedingt als zum echten Menschenstamm gehörig an; aber er ist, wie wir im Abschnitt 11,6 ausführten, eine Überspezialisation über den Vollmenschen hinaus seitwärts. Entwerfen wir daher wieder einen dies darstellenden Stammbaum, der Wirklichkeitswert, nicht bloß formalen Sinn hat, so sind alle höheren Säugetierwesen mitsamt den Menschenaffen, den Eiszeitmenschen und, wie bemerkt, auch dem Jetztmenschen, aus einer höheren, nicht niedrigeren Grundund Urform abzuleiten. Es ist also eine wahre Deszendenz. Jetzt sehen wir sozusagen ein doppelsinniges, ein geradezu paradoxes Abstammungsverhältnis vor uns. Denn einerseits erkannten wir, daß sowohl der „primitivere" Steinzeitmensch wie die jetjigen „ p r i m i t i v e n " Rassen, aber auch die ausgewachsenen Individuen unserer höheren Rasse immer noch nicht völlig an jenes ideale Formenstadium herangekommen sind, das wir als höchsten Formzustand der wahren Urform „Mensch" ansehen d ü r f e n ; andererseits erkannten wir, daß der Mensch, mit der gesamten organischen Natur offenbar ausging von einer höchsten Urform, zu deren Verwirklichung er seiner ganzen Uranlage nach bestimmt und b e r u f e n ist. Diese Urform ist also sowohl Ursprung wie Ziel! Die naturhistorische Menschenentwicklung stellt sich somit dar als ein ursprünglicher Ausgang u n d Abstieg aus höherer metaphysischer Gestalt, wie sie auch dorthin zurückführt. Die Entwicklung ist ein geschlossener Zyklus. Die tierische Entwicklung um den Menschen herum und die ihm zeitlich erdgeschichtlich vorausgegangene ist zugleich die naturhistorisch vollzogene Abstoßung der tierischen Potenzen jener metaphysischen Urform und dient der allmählichen Wiedergewinnung seiner urgründigen, ursprünglichen höheren und höchsten Urgestalt. 192

Je weiter also in der Zeit die Entwicklung des organischen Reiches fortschritt, um so idealmenschenähnlicher ward das Tierische, das entstand. So kommt es, daß die erdgeschichtlich ältesten frühesten Wesen, wie wir sagten, am wenigsten menschenartig waren, daß später mehr und mehr die höheren Organisationsstufen sich a u f t a t e n , daß wiederum u n t e r diesen die menschenähnlichsten zuletzt erschienen, u n d daß die physische Menschengestalt unserer Art erst ganz zuletzt sichtbar wird. Alles aber ist Auseinanderlegung, Abspaltung aus der Urpotenz, der „Urform Mensch". Will man nun an der Grundidee der natürlichen Entwicklung festhalten — und man wird es als Naturforscher doch wohl müssen — so kommt man notwendig dazu, den Menschen als „ U r f o r m " überhaupt allem Lebendigen zugrunde zu legen. Und zwar, um es noch einmal zu wiederholen, in folgendem Sinn: Keine irgend uns b e k a n n t e jetztweltliche oder urweltliche Gattung und Form ist so gestaltet, daß man sie in den Stammbaum des Menschen als des höchsten Geschöpfes hereinnehmen könnte. Alles ist seitab entwickelt von der Bahn zu dieser Höhe. Ist aber alles seitab entwickelt und besteht dennoch, wie wir glauben, ein entwicklungsmäßiger, naturgeschichtlicher Zusammenhang zwischen allen Lebewesen und dem Menschen, d a n n ist eben der Mensch als das zuletzt höchste eben zugleich auch die durchgehende „ U r f o r m " des organischen Reiches. Da wir gesehen haben, daß etwa die Menschenaffen, also Tier vom Menschen herkommt, nicht er von ihm, so haben wir das Recht, an einer natürlichen Entwicklungslehre festzuhalten, wenn es auch nicht die alte Stammbaumtheorie sein kann. Es ist also anzunehmen, daß sich Tierisches immer menschenähnlicher gezeigt hat, je später am idealen Stammbaum es seitwärts entsproßt ist. Darum erscheinen im Lauf der erdgeschichtlichen Epochen ganz folgerecht immer menschenähnlichere Tiere; zuletzt die Menschenaffen, dann ganz vor kurzem der noch etwas pithekoidere Eiszeitmensch, die Australier usw. Wenn man also ü b e r h a u p t an dem naturhistorischen Prinzip der Entwicklung festhält — u n d man muß dies meines Erachtens —, so ist die Lehre, daß das Tierreich der auseinandergelegte „Mensch" ist, ein den wissenschaftlich gegebenen Tatsachen besser angepaßter Ausdruck als die bisherige Stammbaumlehre, wonach der Mensch ein spätes Ergebnis, womöglich noch eine Art Zufallsprodukt sei. 15

Dacque, Vermäditniß

193

Nur indem man die tiefere erkenntnistheoretische Erfassung der Abstammungslehre völlig vernachlässigte, konnte man übersehen, daß mit der seinerzeitigen Einführung des Begriffes Entwicklung, insbesondere einer Entwicklung des Höheren aus dem Niederen, auch die uralte Idee vom Menschenwesen als dem inneren Sinn, der innersten Potenz der Entwicklung notwendig als Bild in den Gang naturwissenschaftlicher Betrachtung mit übernommen war. Konnte man doch nicht sinnvoll behaupten, das Höhere stamme real vom Niederen ab, ohne zugleich klar zu sehen, daß das Höhere seiner vollen Potenz nach schon in dem Niederen lebendig bestehen, wenn auch noch nicht sofort offenbart sein müßte. Gibt es überhaupt eine naturgeschichtliche organische Lebensentwicklung durch die Zeiten der Urwelt bis hierher, so muß notwendig die höchste und vollendetste Form zugleich Sinn und Inhalt der „Urform" dieser ganzen Lebensentwicklung sein. Damit aber mündet die naturgeschichtliche Entwicklungslehre erkenntnismäßig klar wieder mit reicheren Kenntnissen in die Metaphysik ein, aus der sie mit allen ihren Begriffen von „höher und niederer", „primitiv und vollkommen", „Entwicklung und Fortschritt", „Art, Gattung und Urform" überhaupt kam. Es ist eigentümlich und verrät unbewußt etwas Richtiges, wenn man die realistische Abstammungslehre alsbald „Deszendenztheorie" nannte, als sie aufkam. Dieses Wort bedeutet, daß die Entwicklung des Lebens wesensmäßig nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten, also von einem höheren Gesamtzustand aus geschah. Äußerlich gewiß geht es in der sinnenfälligen Erscheinung von unten nach oben, wesenhaft aber von oben nach unten. Wäre man innerlich ganz überzeugt, daß zuerst primitivste Wesen lebten, die nichts in sich hatten als nur diese Primitivität, dann aber durch „Hinzukommen" neuer Eigenschaften immer „mehr" wurden, Höheres wurden, in immer höhere Organisationen eintraten, so hätte man doch eigentlich von „Aszendenztheorie" sprechen müssen. Es ist aber erkenntnistheoretisch eine unmögliche Vorstellung, daß sich aus etwas wirklich „Niederem" j e ein wirklich „Höheres" entfalten konnte. Das wesenhaft Niedere kann nicht das wesenhaft Höhere hervorbringen; nur das Umgekehrte ist möglich." Was sollte denn in dem wirklich Niederen entfaltet werden? Das wird nur dann möglich, wenn das Höhere seiner ganzen Potenz nach in dem Niederen mitenthalten ist. Hier darf 194

nicht die formal niedere, äußere sinnenfällige Form mit dem entwicklungsfähigen Wesenskern , in ihr verwechselt werden. Die Frage spitjt sich also dahin zu: Waren in den ersten Lebewesen der Erde, sofern alles eines Stammes ist, schon die Potenzen zu den höheren und zum höchsten der Wesen, dem Menschen, enthalten? Hier stehen wir vor dem legten großen Problem der Abstammungslehre, das man immer beiseitesetzte. Und doch kann die Tiefgründigkeit der natürlichen Entwicklungsfrage gar nicht erfaßt werden, wenn man auf dieses Problem mit seinen letzten Folgerungen nicht eingeht. Denn das naiv realistische Hantieren mit äußeren Formen und dem vermeintlichen „Hinzukommen" stofflich gebundener Eigenschaften, wie die Aneinanderreihung von Arten zu „Stammbäumen", dringt gar nicht bis zu dem letzten Kern der ganzen Frage vor. Waren schon in den ersten Lebewesen die Potenzen der späteren mitenthalten, so muß der gesamte Lebensbaum die Entelediie der Gattung „Mensch" in sich dauernd mitgeführt haben. Dann aber ist, wie wir mehrfach wiederholten, alles, was an Tierformen im Lauf der Zeften auf Erden erschien, Ableger aus dem metaphysischen Grundstamm, der Urform .,Mensch". Der Wesenskern des Menschseins ist die längst gesuchte Wurzel des Lebensbaumes und ist sein mit äußeren sinnfälligen Arten nicht belegbarer Stamm. So muß man sich weiter vor Augen halten, daß vielleicht gerade Einfachheit der Gestaltung zugleich auch die größere und immer größere Vervollkommnung in sich birgt und selbst so im Wesen schon die Vollkommenheit und Vollendung einschließt; daß die volle Offenbarung der „Urform" auch am Ende steht und vielleicht gerade erst dort am klarsten sich manifestiert; daß der Mensch um so vollendeter, um so reiner menschlich und zugleich um so ursprünglicher erscheint, je später er aus diesem natürlichen Entfaltungsprozeß hervortritt; endlich daß es kein innerer Widerspruch ist, von einer Gestalt höchster Oi-ganisationshöhe und eben doch zugleich größter Einfachheit zu sprechen. Doch darf kein Mißverständnis aufkommen, wenn man sagt, die organische Welt habe sich aus dem Stamm des Menschen abgespalten und in ihrer jeweils eingeengten Weise einseitig abgezweigt. Man darf es sich nicht so vorstellen, als ob die physische Menschengestalt immer in der Außenwelt dagewesen sei und nun zeugungsmäßig, genetisch Tier hervorgebracht hätte: es mag so sein, ins'3*

195

besondere im Fall der Menschenaffen, die mindestens aus einer schon sehr menschenhaften Wurzel sich abspalteten; doch ist das noch unbestimmt. Weiter ist der I r r t u m fernzuhalten, daß die aus der Erdgeschichte b e k a n n t e n Gattungen und Arten der Organismen unmittelbar die ehemalige Form des Menschen als solche darstellten; oder daß der Mensch durch diesen Auseinanderlegungsund Abspaltungsvorgang selbst schließlich übriggeblieben wäre wie eine Art Verdünnung der Erbmasse. Das wäre äußerlich und höchst oberflächlich. Denn das Werden der N a t u r ist kein quantitativer Prozeß u n d das Werden des Menschen keine Subtraktion — so wenig wie eine Addition, obwohl man dies gemeint hat, als man darwinisch dachte. Wohl aber ist alle N a t u r Auswirkung metaphysischer Potenzen, u n d so gesehen ist auch der organische Entwicklungsvorgang Auswirkung der im Menschen beschlossenen K r ä f t e . H a t t e also der Mensch zu irgendeiner erdgeschichtlichen Zeit etwas Amphibienhaftes oder etwas Krebshaftes oder sonst dergleichen k ö r p e r h a f t an sich, so war dies nicht die Amphibiengestalt, die Krebsgestalt, wie wir sie fossil in der Erdgeschichte so oder so k e n n e n ; sondern diese selbst sind die aus dem Metaphysischen hervorgetretenen Manifestationen seiner metaphysischen Urform, sind lebendige Symbole f ü r sein aus dem Urgrund der Natur hervortretendes Wesen, das sich nun in der physischen Welt ebenso k ö r p e r h a f t entwickelt und teilweise auch einseitig auf eigener Bahn ausbildet wie die übrigen Tierwesen. Entwicklungsgeschichtlich ausgedrückt also h e i ß t dies: Es mußte sich aus dem schon in den physischen Anfangszuständen des Lebensreiches grundsätzlich bestimmten Urstamm genetisch Tierisches immer deutlicher, immer menschenähnlicher abtrennen, abspalten, damit immer reiner u n d reiner, immer unbelasteter vom Tierischen, immer urbildmäßiger die physische Menschengestalt, wie wir sie am Ende der Zeiten kennen, erscheine. Deshalb kommt der Vollmensch erst am Ende, obwohl die Entelechie Mensch die organische Urform selber ist. Man muß somit, wie schon angedeutet, durchaus in diesem paradox erscheinenden Doppelsinn zu denken wissen, um dem Entwicklungsproblem in seiner ganzen Tiefe gerecht zu werden; mit dem äußerlichen Realismus u n d Empirismus ist es nicht getan. Das sieht nun alles so aus, als ob damit der stärkste Widerspruch gegen die realistische Abstammungslehre angemeldet sei und wir diese in eine idealistische Formenlehre oder eben nur in 196

M e t a p h y s i k ü b e r f ü h r e n w o l l t e n . A b e r wie eingangs schon e r w ä h n t , h a n d e l t es sich h i e r nicht u m ein EntweTJer-Oder, s o n d e r n u m ein Sowohl-Alsauch. D e n n P h y s i k u n d M e t a p h y s i k als E r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t e n sind zwei n o t w e n d i g z u s a m m e n g e h ö r i g e P o l e d e r E r k e n n t n i s ; k e i n e r k a n n o h n e den a n d e r e n e x i s t i e r e n . Wir wollen also nicht die n a t ü r l i c h e E n t w i c k l u n g s l e h r e b e s e i t i g e n , s o n d e r n sie zum B e w u ß t s e i n i h r e s e i g e n e n u n d w e s e n t l i c h e n I n h a l t e s f ü h r e n . H a t sie doch selbst, w e n n auch o h n e es deutlich zu b e m e r k e n u n d es e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h ganz durchschaut zu h a b e n , im G r u n d e s t e t s dasselbe g e m e i n t , was wir h i e r d a r l e g t e n . Sie sagt: D e r Mensch h a t sowohl in seiner Keimesgeschichte wie auch als erdgeschichtliche A r t e n r e i h e viele S t a d i e n , u n d zwar v o m u r s p r ü n g lich einzelligen T i e r ab d u r c h l a u f e n . Es g e h t also d e r S t a m m b a u m u n d d a m i t d e r M e n s c h e n s t a m m bis auf das „ U r t i e r " zurück. A b e r — so sagte sie w e i t e r — nicht ein h e u t i g e s Säugetier, nicht ein h e u t i g e r Fisch, nicht ein h e u t i g e r W u r m , nicht ein h e u t i g e r E i n z e l l e r sind A h n e d e s Menschen, s o n d e r n irgendwelche, noch u n b e k a n n t e vorweltliche S t a d i e n o d e r G a t t u n g e n . N u n k e n n e n wir a b e r , wie schon gesagt, gar k e i n e vorweltlichen G a t t u n g e n u n d k e i n e n T y p , d e n m a n f ü r den M e n s c h e n a h n e n a n s p r e c h e n k ö n n t e ; alle sind sie aus d e r i d e a l e n S t a m m b a h n h e r a u s g e t r e t e n , alle sind sie einseitig spezialisierte „Sackgassen", die nicht w e i t e r h i n a u f f ü h r t e n . Sie sind, p r o j i z i e r t auf die h y p o t h e t i s c h e Gesamts t a m m b a h n , die ja die des Menschen ist, alle einseitig a b g e i r r t . W o sind also in d e r Erdgeschichte u n d u n t e r den r e a l e n , nicht h y p o t h e t i s c h k o n s t r u i e r t e n F o r m e n die A h n e n des Menschen? N u n , sie e x i s t i e r e n u n d e x i s t i e r t e n gar nicht in F o r m wirklicher T i e r e . Mit a n d e r e n W o r t e n : D e r „ M e n s c h " , d. h. die E n t e l e c h i e Mensch, ist d e r u m f a s s e n d e G r u n d s t a m m , die „ U r f o r m " , die durch alles f o r t b e s t e h t u n d die gegen das E n d e d e r Zeit m e h r u n d m e h r sich m a n i f e s t i e r t . Die ganze T i e r w e l t zeigt a u s e i n a n d e r g e l e g t alles, was d e r M e n s c h e n s t a m m , von seiner U r f o r m h e r p o t e n t i e l l , entelechisch e n t h ä l t . Es ist also — u n d die alte S t a m m b a u m l e h r e e n t h i e l t u n b e w u ß t d e n s e l b e n Sinn — d e r Mensch die grundsätzliche U r f o r m deshalb, weil er das H ö c h s t e ist. Die T i e r w e l t , wie sie wirklich ist u n d war, ist aus d e r M e n s c h e n b a h n o d e r d e r B a h n zum J e t z t m e n s c h e n einseitig h e r a u s g e t r e t e n , abspezialisiert, ü b e r s p e z i a l i s i e r t . I n aller n a t u r h i s t o r i s c h e n organischen E n t w i c k l u n g liegt d e r Mensch; aber nicht zuletzt u n d zufällig, s o n d e r n grundsätzlich u n d von A n f a n g 197

an. Wenn es jemals eine physisch-physiologische „ U r f o r m " in ältester, erdgeschichtlicher Zeit gab, war es die Urform des Menschen u n d deshalb die der Tiere und zuletzt auch der Pflanzen. Die Entwicklung des Lebensreiches ist, metaphysisch und physisch gesehen, die Offenbarung der Entelechie des Menschen. Das ist die lebensvolle Metaphysik der natürlichen Entwicklungsfrage. Der Mensch ist die potentielle wirkliche innere G r u n d f o r m des Lebensreiches u n d doch als äußere sinnfällige Gattung, soweit wir es bisher durch die Fossilfunde beurteilen können, die zeitlich späteste Gattung des gesamten Lebensbaumes. Aber wir müssen uns wiederum in einem Paradoxon bewegen: jene innere höchste Grundform, jene „ U r f o r m " hat niemals als solche in der äußeren Natur als physische Art gelebt und lebt auch nicht als heutiger Mensch physisch. So wenig wie je in irgendwelchen erdgeschichtlichen Zeitepochen und Lebensräumen irgendeine heutige oder fossile Grund- oder Urform in der Natur sichtbar wurde, sondern wie alle wirklichen Lebewesen stets mehr oder weniger einseitig spezialisiert war, ebensowenig hat in der äußeren Natur jemals die Menschenurform als solche existiert, sie ist durchaus metaphysisch, aber in allen Menschenarten anwesend. Und so war sie eben doch in einem höheren Betracht stets wirklich und ist es bis zur Stunde. Vielleicht ist aber der Vorgang der Entwicklung auch heute noch nicht abgeschlossen. Es k ö n n t e sein, daß die noch mögliche höhere physische Menschenform uns, wie wir sind, ebenso einmal als Seitenzweig hinterläßt, wie es schon mit den Menschenaffen u n d den neandertaloiden Frühmenschen geschah, und sich dann vielleicht als Vollendung des Gesamtstammbaumes schließlich enthüllt. Durch solche Betrachtungen erscheint die natürliche Entwicklungslehre mit dem mythischen Untergrund verbunden, von dem nicht nur alle religiösen, sondern alle urwissenschaftlichen Überzeugungen von jeher ausgegangen und im weiteren Verlauf immer wieder befruchtet worden sind. Wir haben durch diese Darlegung die äußerlich kausale mit der innerlich finalen Betrachtung nun in Einem beisammen, wo sie sich nicht mehr widersprechen, sondern sinnvoll stütjen u n d zusammenschließen. Wir können alle Geschichte des Lebens auf der Erde durchaus realistisch nehmen und dennoch sehen, wie die ganze E n t f a l t u n g ein lebendiges, nicht nur ein formell ideelles Symbol des Menschenwerdens ist. Wir unterscheiden zwischen der sinnenhaften äußeren Gegexi198

ständlichkeit und dem, was sie lebendig darstellt, wovon sie Ausdruck, Manifestation, wofür sie lebenswirkliches Symbol ist. Wir müssen, philosophisch ausgedrückt, aus dem plumpen Realismus einer äußerlich mechanischen Entwicklungs- und Abstammungslehre zum Sinn, zur Bedeutung der Art hinsichtlich der Menschenurform kommen. Das Äußere, die Individuen, die Arten, die Reihen, welche über die Bühne der Erdgeschichte dahingingen, sind dafür Symbol. Damit drängt alle Beschreibung und Erklärung organischer Formen, wie zuletjt überhaupt alle Erforschung der Natur, zu einer Symbolik. Die ganze neuzeitliche Abstammungslehre ist, ohne es zu wissen, eine besondere Art metaphysischer Symbolik von der Entstehung und Entfaltung des Lebens auf der Erde. Und da nach dieser Lehre in ihren verschiedenen Abarten der Mensch, sei es als letjte Spitje, sei es als alter Stamm, sei es, wie wir meinen, als innerlich zentraler Stamm dieses Lebensganges erscheint, so ist jene Lehre — in modernem Zeitgewand — zugleich eine neue Form, eine neue Umschreibung und Wahrnehmung des uralten Mythus vom Werden des Menschen. Ein neuerer Schriftsteller hat wohl recht, wenn er sagt: „ J e d e spätzeitliche Wissenschaft am Ende einer Kultur gibt die erneute Wiederholung und Bestätigung uralter naturphilosophisch-religiöser Überzeugungen in neuem, intellektualistischem Gewand." Wir erkennen, daß auch die moderne Abstammungslehre, zu Ende gedacht, den Menschen wieder in die zentrale Stellung hineinrückt, aus der man ihn — gerade durch die Abstammungslehre — verstoßen glaubte.

4.

Magische

Verwandtschaft

von

Mensch

und

Tier

Schon ein uraltes Fabelbild, ein Tierkörper mit Menschenangesicht, stellt uns vor die ewige Frage: „Was ist der Mensch?" Wir wissen ja, daß wir von Natur aus einen tierverwandten Körper haben, daß aber der Geist, der uns urbildhaft innewohnt, darüber hinaus zu streben trachtet in ein Reich der Befreiung auB allen Gebundenheiten des sterblichen Daseins. Und doch sehen wir uns immer und immer wieder, seit die Welt steht, an das Tierhafte gebunden. Schon in ältesten Mythen und Sagen, später in den mythenhaften Märchen treten uns tierhafte Gestalten entgegen, mit denen 199

der Mensch spricht, die er scheut und die ihn verfolgen oder die er b ä n d i g t : am Himmel der große Drache, der riesige Stier, auf E r d e n die drohende eherne K u h , die böse Schlange, unter der E r d e der L i n d w u r m und die tragende Schildkröte. A b e r auch phantastische Gestalten, etwa die beflügelten Greife, die ehernen Vögel, die krallenbewehrten schönen Sirenen, die fischleibtragenden N i x e n : überall wimmelt es in der Vorstellung früher Menschen von solchen teils wie wirklich anmutenden, teils phantastischen Tierbildern. Doch wollte man meinen, dies seien nur F r ü h p h a n t a s i e n eines unreifen Menschentums, so wird man bald eines anderen belehrt, wenn man auf hoher K u l t u r s t u f e stehende Völker des Altertums gewahrt und sie ausgesprochene Tierkulte als höchst e r n s t h a f t e Daseinsangelegenheit pflegen sieht, die sie geradezu als Mittelpunkt ihres religiösen und staatlichen L e b e n s betrieben. Blicken wir nur einmal zurück zu den herrlichen S t ä d t e n und Tempelanlagen der Babylonier, Assyrer, Ägypter, Chinesen und Inder, wo die L e b e n s k r ä f t e der kosmischen und irdischen Götter geradezu als Tiergestalten oder Menschengestalten mit Tiergesichtern dargestellt und kultisch verehrt werden. Oder gehen wir hinüber nach Mittel- und S ü d a m e r i k a , wo bis zur Entdeckung und Eroberung durch die Spanier vom 15. zum 16. J a h r h u n d e r t noch die gewaltige Maya- und Toltekenkultur bestand mit ihren großartig aufgebauten B e r g s t ä d t e n und den mit unvorstellbarem Goldreichtum ausgestatteten T e m p e l n — hochkultivierte Völker, so wie hier in der Alten Welt einst die Babylonier und Ägypter, in noch unaufgehelltem Z u s a m m e n h a n g mit ihnen stehend: auch bei jenen Westvölkern ist die Sonnenreligion unterbaut und durchzogen von f a b e l h a f t e n Tiergestalten und tierhaften D ä m o n e n , die teils als Abscheu erweckende Wesen dargestellt sind, teils aber auch Königen gleichen, denen man opferte, denen ihr religiöses Brauchtum galt. Oder erinnern wir uns, wie das Volk Israel in seiner frühgeschichtlichen V e r f a s s u n g hin- und hergerissen ist zwischen seinem Eingott J e h o v a und den heidnischen T i e r g ö t t e r n ; wie sie am Sinai in der Wüste sich ein Götterbild, das goldene K a l b machen, es umtanzen, es kultisch verehren und H i l f e von ihm in der Not der Wüste heischen; wie sie so mit der Tiergestalt Zauber treiben, nicht anders wie alle die genannten Völker des A l t e r t u m s ; oder wie sie dem Moloch huldigen, wo diesem Stiergott sogar Menschen200

o p f e r dargebracht werden. In was f ü r A b g r ü n d e menschlichen Denkens u n d L e i d e n s blicken wir d a ! Aber nicht nur das Tier selbst und die untermenschliche Naturwirkung wird unter dem B i l d solcher Wesenheiten verehrt und als Tiergottheit erfaßt, sondern auch das Weltall, der K o s m o s , die Sternenwelt und ihre geheimnisvollen Zeichen werden teilweise als T i e r e erkannt. Das ist eine der Grundlagen uralter Astronomie und Astrologie gewesen. Der Sternenkreis, den die Sonne während des J a h r e s durchläuft und in dem der stetig sich verlegende Schnittpunkt ihrer B a h n mit j e n e m der E r d b a h n in 2 1 0 0 0 bis 2 6 0 0 0 J a h r e n u m l ä u f t — auch diese Sternenbilder erscheinen als Tierwesenheiten, haben T i e r n a m e n bekommen. Ihre Beziehungen zum irdischen und menschlichen Dasein wurden den Damaligen irgendwie nur erkennbar und bewußt als t i e r h a f t e Wesen. Was bedeutet das alles? Worauf beruht es? Von allen Wesen der N a t u r steht dem Menschen entwicklungsgeschichtlich das höhere Tier am nächsten, seelisch und körperlich, und so ist auch die Naturseele des Menschen eine mit der Tierseele verbundene Wesenheit. So m a g es geschehen, daß dem naturnahen Frühmenschen die Wallungen und Wirkungen der N a t u r vor allem als Tiergestaltungen in seiner eigenen Seele erschienen, die vielfach menschliche Eigenschaften hatten, denn eben dies ist zugleich die Grundform seines unbewußten Empfindens und Erlebens der Natur, eine G r u n d f o r m , in die er seine Eindrücke unbewußt kleidet. Wenn uns Spätmenschen, die in einem anderen Licht der Erkenntnis wandeln, solche uralten Beziehungen unerklärlich sind, so d ü r f e n wir diese nicht nach unserer Art zu denken und zu forschen beurteilen wollen. Die Frühmenschen standen ersichtlich der N a t u r noch näher als wir, was nur besagen soll, daß sie seelenh a f t noch unmittelbarer mit dem Weben und Wirken des Alls verk n ü p f t waren und deshalb umittelbarer erlebten als wir. Schopenhauer hat d a f ü r den Begriff des Natürlich-Somnambulen geprägt. Der Mensch war mehr t r a u m h a f t unbewußt mit dem ebenfalls unbewußten Schaffenswesen der Naturseele verbunden. Dieses aber vermittelte seinen nur langsam zum Hellbewußtsein erwachenden Sinnen so gewaltige Eindrücke, daß er nur in übermächtigen Bildern f a s s e n konnte, was ihm so aus dem Innern der N a t u r an Unaussprechlichem und verstandlich U n f a ß b a r e m zukam. Er schaute gewissermaßen wie in einen wasserdurchzogenen Urwald, sah darin Unendliches, Unzählige® an Gestaltung und Auswirkung, an Wer201

den und Vergehen — so wie wir jetjt in unseren Träumen, über die wir nicht Herr sind, endlos wechselnde Bilder und unverständlich« Zustände vor uns sehen, denen wir mit dem Verstand nicht beikommen und die wir auf uns wirken lassen müssen, ob wir es wollen oder nicht. Erwachen wir dann, so stehen wir nachhaltig unter der Wirkung solcher Träume, obwohl sie weder von uns geschaffen noch denkerisch verarbeitet sind, die daher in unserer äußeren Verstandeswelt ganz unwirklich erscheinen und von denen wir trotjdem beeindruckt, ja gefesselt sind. Auch da ist oft Unaussprechliches und Unverstandenes in eindrucksvolle Bilder gegossen. So, aber in noch viel tiefgründigerem Maß, konnte auch der mythenschaffende Frühmensch nur in Bildern seine traumhaft geschauten Eindrücke aus dem Weben der Natur in sein Wachbewußtsein herüberbringen. Die Frühmenschen waren natursichtig. Sie erkannten, unmittelbar seelisch erlebend, gewisse Grundzustände und Grundkräfte im Walten der Natur und sahen, wie die verschiedenen Gestaltungen auf gemeinsamen inneren Beziehungen und Entsprechungen zueinander beruhten und wie man daher aus dem Zustand und der Veränderung des einen die des anderen ablesen kann. Darauf beruht alle Naturmagie. Unter diesem stetigen Einfluß ihrer Erkenntnis standen sie eben in magischer, nicht mechanischer Beziehung zu diesen Naturkräften, die sie sich zunutje machten, denen sie aber auch nachgehen und in mancher Hinsicht zu Willen sein mußten. Darauf beruhte ihre ganze Lebenshaltung, der Kult von Göttern und Dämonen, die Behandlung der Naturgeister. Diese magische Welt- und Seelenverfassung endet bei den vorchristlichen Religionen in hohen Götterkulten; in primitiver Gestalt zeigt sie sich aufs innigste in den echten Märchen; in dämonisch bedrängter Form bei den niederen Naturvölkern. Dies alles brachten sie, da die Natur von ungeheurer unberechenbarer Gewalt und in ihrem Wirken von überwältigender Mannigfaltigkeit ist, in bestimmte „religiöse" Regeln und Formulierungen, Verhaltungsvorschriften. Sie erkannten in den Naturerscheinungen ringsum, wie weiterhin auch in den einzelnen Sternen und Sterngruppen, den Ausdruck lebendiger kosmischer Kräfte, die sich als Orte und Festpunkte für ein seelisch-lebendiges „Koordinatennet}" erwiesen und von denen aus sich nun alle Geschehnisse fassen und eingliedern lassen. Für das Wesen des Tierkulteä 202

nun ist es bezeichnend, daß in

den Mythen und mythenhaften Sagen aller Urvölker immer wieder bestimmte Grundtypen des Tierischen auftreten, gewisse „Archetypen" der Tiergestalten, wie Schlange, Drache, Vogel u. dgl. Aber indem der Frühmensch natursiditig die inneren Bewegungen und Wallungen der Natur in solchen ungewollt sich einstellenden Traumsymbolen erblickte, erkannte er zugleich auch das wirkende Kräftewesen der Natur und nannte diese Wirkungen mit ihren „Namen", was nichts anderes heißt, als daß er mit dem Erkennen dieser ihrer Wesenheit und Wirkungsweise sie irgendwie fassen, sie an sich ziehen konnte. Dies ist die noch unergründete Wirklichkeit magisch-religiöser Tierkulte und ist, vergleichsweise gesprochen, nichts anderes, als wenn wir mit unserem Intellekt Naturkräfte erkennen und technisch „bannen", um sie ums dienstbar zu machen oder ihre Gewalt abzuwehren, uns dagegen zu schütjen. Das tat der naturnahe Frühmensch mit einem seelenhaften Einfühlen, also auf natursichtigem Weg. Waren die Kräfte, die er vornehmlich in Form von Tiergestalten sah, übermenschlich und elementar, so faßte er sie mit Kultpraktiken und sprach von ihnen in mythenhaften Erzählungen. Und so sehen wir hier gewiß keine unvernünftigen und bloß schreckhaft gepeitschten Wilden und Primitivmenschen, die solches erkannten, aber sie standen dennoch dauernd unter der Bedrohung durch die Götter. Die magische Erkenntnis tierhafter Gestalten und K r ä f t e in der Natur, wovon wir oben ausgingen, bedeutet nun für die heidnischen Völker eine auf den verschiedensten Kulturstufen wiederkehrende spezielle Art von „Religiosität": den Totemismus. Totem bedeutet Tierahne, was besagen will, daß sich der heidnischmagische Mensch abhängig weiß oder sich mit Absicht abhängig macht von bestimmten Tierwesenheiten, deren K r ä f t e er an sich zu ziehen bemüht ist. Die Totemvölker nennen bestimmte reale Tiere ihre „Ahnen". Zum Verständnis dieses Ahnenverhältnisses ist etwas Grundsätjliches zu beachten, das unserem gewöhnlichen Denken fremd ist. Wenn Totemvölker ihre „Abstammung" auf Tiere, seltener auf Pflanzen, insbesondere Bäume zurückführen, so ist das mit einem nicht ganz treffenden modernen Wort genannt: Wahlverwandtschaft. Wo wir von Verwandtschaft und Abstammung sprechen, sei es im allgemeinen naturgeschichtlicheii Sinn, sei es im engen Kreis der Familie oder des Einzelmenschen, nehmen wir dies als einen durch körperlichen Zusammenhang in der Keimbahn gegebenen Zustand. Das Körperliche setjt sich da 203

zwangshaft gebärend fort, es gibt keine f r e i e Wahl. Es erfolgt auch kein willkürlicher Abbruch von der Ahnengestalt bis zum letjten N a c h k o m m e n ; wird unterbrochen, so ist alles unwiederbringlich dahin. Doch es gibt auch eine andere Art Verwandtschaft und Abstammung, und das ist die seelische. Diese kann auch ein Sichfinden und Zusammenwachsen des nicht unmittelbar körperlich Zusammengehörigen sein, es muß nur eine irgendwie n a t u r h a f t e Wesensverwandtschaft und eine Gleichheit in irgendeiner lebendigen und ausschlaggebenden Wirklichkeit vorhanden sein. Da treffen sich zwei körperlich grundverschiedene Wesen von grundverschiedener B l u t s h e r k u n f t , sie haben aber n a t u r s e e l e n h a f t eine irgendwie sie aneinander bindende Gemeinschaft und empfinden oder erleben diese so stark, daß sie mit Naturgewalt zueinander getrieben werden, sich als unbedingt zusammengehörig v o r k o m m e n und dies auch von innen her wirklich sind. Das sind aber nicht ästhetische oder sentimentale G e f ü h l e , sondern es ist völliger R e a l i s m u s , nur auf einem anderen Lebensgebiet, als es unsere stets nur auf die bloße K ö r p e r f o r m absehende naturgeschichtliche A u f f a s s u n g von natürlicher Verwandtschaft versteht. Diese naturseelenhaften Gleichheitsmomente sind nun in bestimmten F ä l l e n beim magisch veranlagten Menschen so entscheidend, daß über alle sonstigen körperlich-natürlichen B i n d u n g e n oder Trennungen hinweg, oder zugleich mit ihnen, die natursichtig erkannten oder erfühlten seelischen Gleichheitswesen zueinander stehen, sich vereinigen, aus einem höheren Bezirk f ü r einander bestimmt, j a vielleicht lebensnotwendig a u f e i n a n d e r angewiesen, und so eine innere V e r m ä h l u n g und Gemeinschaft suchen und auch wirkungsmäßig zustande bringen. Aus solcher Vereinigung entsteht nun aber keineswegs nach außen ein grobsinnlicher Körper, es entsteht vielmehr eine gleichartige innere s e e l e n h a f t e Gestalt. Aus solcher Sicht und S p h ä r e kommt daher auf magischnatursichtigem Weg auch ein« B i n d u n g von Mensch und Tier zus t a n d e , die sich alsbald in der Ü b e r t r a g u n g der n a t u r h a f t e n K r ä f t e etw.a des Tieres auf den Einzelnen, auf die S i p p e oder den K l a n im äußeren L e b e n kundgibt. Gewiß haben sich Naturvölker niemals darüber getäuscht, daß das K o m m e n eines K i n d e s auch auf den natürlichen V a t e r physiologisch zurückgeht. Dennoch sagen sie von einem Mann, er stamme von dem oder j e n e m Tierwesen ab. Wenn es lächerlich klingt, daß

204

ein H ä u p t l i n g v o m B l a u e n Nil einem Forscher versicherte, seine Schwiegermutter sei ein R e p t i l gewesen; oder wenn vor einem Dorf im Fluß ein K r o k o d i l geschossen wurde und alsbald im Dorf sich L ä r m erhob, weil ein Mann im gleichen Augenblick tot u m g e f a l l e n war, der mit jener Tierart in einem totemistischen Z u s a m m e n h a n g stand, so ist dies alles f ü r unsere gewöhnliche Denkweise nichts als törichter A b e r g l a u b e — und doch ist es naturseelenhiafte Wirklichkeit. Diese sehr lebendige Wirklichkeit ist nun bei magisch gerichteten Naturvölkern f ü r die Beurteilung der Eigenschaften ihrer S i p p e , ihres Volkstums o f t m a l s entscheidender als die selbstverständlich a b l a u f e n d e n sonstigen bidlogischen Gegebenheiten und selbst auch die körperliche A b s t a m m u n g . Wir überzeugten uns im vorausgehenden Abschnitt, daß das Menschenwesen die innere Vollpotenz des gesamten organischen Reiches, insbesondere des Tierreiches ist; daß somit die organische N a t u r die spezielle E n t f a l t u n g der allgemeinen Urpotenz Mensch bedeuten will. Das darf, wie wir sagten, nicht dahin mißverstanden werden, daß der physische Mensch paläontologisch als erstes Lebewesen in der äußeren N a t u r a u f g e t r e t e n wäre und danach Ast um Ast des L e b e n s b a u m e s aus sich entlassen hätte. Vielmehr ist hier das S y m b o l h a f t e als innerste Wirklichkeit in seiner vollen Wucht zu erfassen. Denn, wie wir sagten: um Metaphysisches anschaulich zu machen, muß man übertragen reden, so daß es dem äußeren Dasein gegenüber geradezu widersinnig erscheinen kann, denn das Metaphysische läßt sich nur wie ein Ais-Ob darbieten. So steht der Mensch unmittelbar von innen her in naturträchtigmetaphysischer Verbindung mit dem Tier, mit der gesamten organischen Welt. Alles, was die T i e r g a t t u n g zeigt, liegt im Grund zus a m m e n g e f a ß t im Wesen des Menschen. Die Tierseelen, die Gattungsseelen der organischen Gestalten sind also einseitig ausgeprägte und e n t f a l t e t e Menschenpotenzen. U n d eben darum erkennt der naturverankerte, natursichtige Mensch in ihnen alles das in spezialisierten Zügen, was er selbst nur mehr allgemein, daher nicht ins einzelne so wirksam in seiner eigenen Brust, in seinem n a t u r s e e l e n h a f t durchpulsten K ö r p e r trägt. Wenn nun im einzelnen Menschen oder in der S i p p e und im Volk gewisse L e b e n s p o t e n z e n vordringlich auszubilden sind, sei es aus biologischen, sei es aus kulturellen Gründen, und nun bei bestimmten Tieren in vorzüglicher Weise entwickelt erscheinen, so ruft er diese Tierart sich zu H i l f e , er tritt in das totemistische Verhält205

nie zu ihr ein, er kultiviert auf magische Weise deren Seelen- und Körperkräfte für sich. Wir stehen vor dieser Tatsache nicht nur bei Naturvölkern, sondern auch bei Hochkultivierten früherer Zeit. Dies alles aber beruht auf dem alles magische Wirken beherrschenden Gesetj von Gleich und Gleich. Will der magische Mensch also gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften bei sich fördern, steigern oder gesund bewahren, so trachtet er, die Naturseele einer bestimmten Tierart sich geneigt zu machen, er behandelt sie mit kultischen Praktiken, um sie an sich zu ziehen und sie für die Übertragung jener K r ä f t e auf sich wirksam zu machen. Nicht anders macht es auch der vergeistigtere Heide mit seinen hohen und niederen Göttern — heidnische Religiosität ist immer Zweckkult, und wo dieser innerhalb der „christlichen" Sphäre auftaucht, ist es immer entarteter „Gottesdienst". Der natursichtige Mensch hält sich beim Totem an das einzelne Tier, aber er sieht in ihm nicht dessen äußere greifbare Gestalt allein, sondern indem er die übergeordnete Gattungsseele darin hegt, verhält er sich naturfromm zu ihm und verhält sich kultisch zu ihm wie zu seinem eigenen körperlichen Ahnen. So tritt er in ein lebendiges „Verwandtschaftsverhältnis" zu ihm, erfährt von ihm eine Stärkung und Steigerung ganz bestimmter, ihm lebenswichtiger Beziehungen und Betätigungen, er verflicht seine Existenz mit ihm auf Leben und Tod, verdankt ihm deren Fortdauer oder Bewährung, und damit ist das Tier bzw. der betreffende Tiergott wirklich sein „Erzeuger". Verbindet sich in dieser Weise ein bestimmter Mensch oder eine Menschengruppe mit einer bestimmten Tierart und impft sich der Mensch das Tierbhit unter bestimmten kultischen Handlungen ein, so wird dem Menschen ein Machtzuwachs zuteil an bestimmten Eigenschaften, die jenes Tier vorzugsweise kennzeichnen. So verbrüdert sich der Totemdiener einem Tiger, einem Krokodil. Es hat 6ich aus dem Menschen ein gewisses Seelenteil abgespalten und dieses Seelenteil ist dem betreffenden Tier nun verbunden. Das Tier führt nun dauernd für das Leben dem Menschen eine seiner artlichen Eigenschaften zu, er stammt nun allein oder mit seiner Sippe von dieser Tiergattung — nicht von dem äußeren Einzeltier — ab. Vielleicht ist es ein Rest totemistischer Bezeichnung, wenn wir für unser Pech im Leben einen „Sündenbock" suchen oder einen Mitbruder Kamel oder Schwein nennen. Wir projizieren unsere Vorstellung von einem gewissen Seelenbezirk des anderen 206

in ein Tier hinein, und umgekehrt. Wir haben uns aber eingangs klargemiacht, daß die naturhafte Körperlichkeit des Menschen und damit »ein« Naturseele unmittelbar an das Tierreich anknüpft, ihm also von innen her verbunden ist. Es ist daher begreiflich, daß ihn auch innere Bahnen zu ihm weisen. Der magische Mensch aber ersah und erlebte diese Bahnen und damit die Verwandtschaft unmittelbar und kommt so zu seinen Tiergötterpotenzen und ihrer kultischen Behandlung. Die Ägypter unterschieden ihre Götter geradezu dtirch Tierköpfe und Tiergesichter. So werden den Tieren selbst und den von ihnen repräsentierten übergeordneten Götterpotenzen Tempel gebaut, Opfer gebracht, je nachdem, was man von ihnen erreichen will und kann. Opfer aber bedeutet für den natursichtigen Menschen nicht nur äußeres Dreingeben von Geld und Gut, sondern ganze Hingabe des Seelischen selbst; die äußeren Hingaben allein sind magisch wirkungslos. Das äußere Eigentum aber ist beim Frühmenschen innig verbunden mit dem kultisch-religiösen Gut, wie überhaupt jede Handlung und jedes Ding im götterhaften Zusammenhang steht. Endlich kommt es ja auch zu Menschenopfern, die man insbesondere den untermenschlichen zerstörerischen Naturgewalten darbringt. Und eben diese werden hinwiederum als verzerrte Tiergestalten erschaut, und ihnen muß der Heide gar oft verzweifelt dienen, damit die Sippe, der Klan, das Volk nicht an ihnen verderbe. Das sind tiefe, noch sehr verdeckte Dinge, die hier nur angedeutet werden können. Aus dem Heidentum hat sich in unsere Jahrhunderte noch mancherlei an magischen Volksbräuchen herübergerettet und lebt hier noch weiter in Form von Volksfesten und Spielen, wenn es auch längst nicht mehr die magische Wirkung zeitigt, die es bei den ehemals natursiditigen Menschen hatte. Wenn wir Tiermaskeraden mit ekstatischen Tänzen und dämonisch tierischer Verkleidung, das Perchtenlaufen um die Dreikönigszeit erleben, so sind es alte kultische Reste, die wir auch in der Südsee und bei afrikanischen Volksstämmen noch vorfinden. Und wenn wir uns in unserer religiösen Vorstellungswelt der vergangenen Jahrhunderte umsehen, so müssen wir uns bald verwundert fragen, ob auch da der tierisch-magische Zauber wohl noch lebendig war. In romanischen wie gotischen Domen starren uns allerhand Gestalten an, Teufelsmasken, Höllenkinder, Tierleiber, tierisch-menschliche Gestalten. Das war gewiß keine neckische Zier, auch nicht Spott : 207

sondern ©in Ausdruck f ü r den geheimnisvollen Zusammenhang der Menschenseele mit infernalischen Naturgewalten, die eben als tierische Wesenheiten erscheinen. Es sind Archetypen in der menschlichen Seele, die da noch geistern in einer Zeit, wo man es nicht mehr erwarten sollte. Und noch legt uns der Osterhase die Eier und bringt uns Storch Adebar die Kinder. Wenn wir aber in der modernen Wissenschaft seit einem J a h r h u n d e r t eine natürliche Abstammungslehre haben, die sich in weltanschaulich entscheidender denkerischer Arbeit mit dem wurzelhaften Zusammenhang von Tier u n d Mensch befaßt, so geht es ja im Grunde auch hier, bewußt und unbewußt, um die uralte erschütternde Frage der Sphinx mit ihrem Tierleib u n d ihrem Menschenangesicht, die uns h e u t e noch wie vor Jahrtausenden anstarrt und Antwort auf die Frage heischt: „Was f ü r ein Wesen bist du, o Mensch?" So werden uns Dinge klar und wirklich, die wir längst schon glaubten verlachen zu müssen, als abstruses, kindlich törichtes Zeug. Es klingt f ü r einen neuzeitlichen Menschen fast wie Aberwitj, wenn man durch solches Eingehen in den Geist f r ü h e r e r Zeiten gewahr wird, daß solche f ü r unseren Verstand unauflöslich und unvollziehbar erscheinenden Dinge und Wesenheiten zu einer echten Wirklichkeit erstehen. Es ist die magische Welt, die magische Weltseite, die sich da erschließt, eine andere Weltschau mit anderem Wirklichkeitsgefühl als unsere mechanistische Denkweise sie uns eröffnet. Was wir bei Naturvölkern, die j e ^ t allerdings ausgerottet oder durch Zivilisation ihrer alten Fähigkeiten entkleidet, verdorben und entseelt worden sind, gerade noch an Magie und Naturreligion zu entdecken vermochten, sind legte verschwimmende Reste einer ehemals auch in Hochkulturen ausgebreiteten lebenskräftigen Wirklichkeitswelt, die mit der Natur in einem lebendig-seelischen Zusammenhang stand u n d ihre wahrhaftigen Götter hatte.

5. Sagenhafte

Erd-

und

M ens chenzuständ

e

Daß die Menschheit eine lange Geschichte hinter sich hat, gehört zu den allgemeinen Vorstellungen auch derer, welche diese Geschichte nicht studiert haben; aber wie lange, in J a h r h u n d e r t e n u n d J a h r t a u s e n d e n ausgedrückt, dieses Menschendasein schon währt, darüber herrschen auch in der Wissenschaft verschiedene 208

Meinungen. Da

spricht m a n zunächst v o n v i e l e n

Jahrtausenden,

aber man ist doch erstaunt, daß schon sechstausend Jahre vor unserer

Z e i t r e c h n u n g im

Volkskulturen

Zweiströmeland

des E u p h r a t

und

Tigris

b e s t a n d e n , die so entwickelt w a r e n , daß sie noch

eine w e i t f r ü h e r e E n t s t e h u n g s z e i t

voraussehen, und daß wir

so

alles in a l l e m bald v o n lacht- bis z e h n t a u s e n d J a h r e n sichergestellter menschlicher V o l l k u l t u r e n t f a l t u n g w e r d e n sprechen d ü r f e n . W i r sind damit an einen Z e i t p u n k t herangerückt, vor dem

kul-

turell ein völliges D u n k e l liegt. D e n n wir k ö n n e n unmöglich die W u r z e l n j e n e r g e n a n n t e n V o l l k u l t u r e n u n m i t t e l b a r an Nacheisder dunkle Muttergrund treibt und entfaltet sich um ihn, gebiert und schlingt ein. Aber alles Entstehen und Werden und Sterben ist ein Kreislauf des Lebens, das selbst vom Vatergott ausgeht und sich aus seiner Kraft nur halten und bestehen kann. Gott und Natur — wörtlich die Gebärerin — polar zueinander ausgerichtet. Gott die Mitte, die Natur der immer mehr und mehr wachsende, sich ausdehnende Umkreis aus den Strahlungen des Schöpfers. Doch der Gott der Mitte ist nicht wesensgleich der sich entfaltenden Schöpfung. Ihn, den Überräumlichen, selbst Ausdehnungslosen, wird man nur als den Jenseitigen finden. 219

er ist nicht seihst „ v o n dieser W e l t " , sie ist sein Schleier, sein G e w a n d , ist Umkreis und U m l a u f , nicht Wesensmitte. Unerbittlich muß der Mensch seinen P l a t z einnehmen, gemäß dem vorrückenden Zeiger der Weltenuhr, von wo aus er immer mehr des Guten und B ö s e n ansichtig wird, es aber nicht beherrschen u n d von sich aus nicht zum Gott der Mitte vordringen kann. Weil aber so die Schöpfung und in ihr alles Menschentum seit A n f a n g der Welt auf das R a d des K r e i s l a u f e s gebunden ist, darum erwacht, j e weiter sich alles auslebt, die große Sehnsucht nach der unbewegten Mitte. I n d e s s e n wird sich der Weltengang erfüllen, d e r Aon neigt sich zu seinem E n d e , indem er in seine äußerste Gottf e r n e a u s l ä u f t . Von sich aus kann der Umkreis nicht mehr den Weg zurück zum Gott der Mitte finden; es muß der S t a r k e kommen, der dem Weltenrad Halt gebietet und es zurückwendet zum ewigen V a t e r . Dieser große Weltenäon nun ist rhythmisch geteilt in Z e i t l ä u f t e , die, obwohl z u s a m m e n h ä n g e n d , doch in sich wieder geschlossene K r e i s e sind, wie eine Spiralbahn. Ein solcher K r e i s ist ein Weltenjahr, dieses aber wieder unterteilt in Weltenmonate. Nur diese können wir geschichtlich einstweilen überblicken. Sie beruhen in ihrem Wechsel auf der periodisch, in Zeiträumen von 21 000 bis 26 000 J a h r e n sich verlagernden Erdachsenstellung beim U m l a u f der E r d e u m die Sonne. In einer solchen astronomischen P e r i o d e durchläuft der Frühlingsp.unkt einmal vollständig das B a n d des Tierkreises. N u n ist nach mythischer L e h r e der Tierkreis ein reales F e l d kosmischer K r ä f t e und von ihm ausgehender Wesenheiten. Deren Wirkung und A u s g e s t a l t u n g wird aber durch die P l a n e t e n , den Mond und die Sonne f ü r die im Mittelpunkt ruhende E r d e abgewandelt. Es ist dabei gleichgültig, ob wir ein ptolemäisches oder kopernikanisches oder sonst ein zukünftiges Weltbild polarer Art haben. Durch den Umlauf des F r ü h l i n g s p u n k t e s kommen innerhalb jener rund 25 000 J a h r e immer wieder andere Sternbilder des äquatorialen Tierkreises zur Dominanz, die E r d e gelangt nach und nach etwa aus dem Zeitalter des K r e b s e s in das der Fische, in das des Wassermanns usw. Das sind die zwölf W e l t e n m o n a t e ; der ganze U m l a u f aber ist ein Weltenjahr. U n d solche W e l t e n m o n a t e und Weltenjahre, vielleicht Weltenjahrtausende, füllen den Schöpfungsäon. So wie dieser, hat auch j e d e s Weltenjahr und j e d e r Weltenmonat sein Auf und Nieder, seine seelisch-geistige Struktur, erlebt die Auswirkung seiner 220

p o l a r e n G e g e n s ä t z e im G u t e n wie i m B ö s e n . Solche Z e i t e n des Auf u n d N i e d e r schildern die M y t h e n v i e l e r V ö l k e r , auch die germanisch« Mythologie k e n n t sie in i h r e n k r ä f t i g e n B i l d e r n v o n s o n n i g e n lichten G ö t t e r - u n d M e n s c h e n z e i t e n u n d d e n d ü s t e r e n A b s t i e g s z e i t e n m i t d e n die W e l t b e d r ä n g e n d e n W a s s e r f l u t e n u n d F e u e r b r ä n d e n . U n d so l ä u f t schließlich das All zu seiner eschatoIoigischen Lage aus, wo die „ T i e r e des H i m m e l s " a u s b r e c h e n u n d die W e l t ü b e r f l u t e n o d e r v e r b r e n n e n w e r d e n . D e r K r e i s l a u f des Ä o n s selbst ist die s i n n f ä l l i g e A u ß e n s e i t e zu d e m g r o ß e n seelischgeistigen P r o z e ß , d e r sich in i h m vollzieht u n d aus d e m g e h e i m e n L e b e n des Schöpfers s t a m m t . U n d so gibt es auch f ü r den e n g e r e n Z y k l u s eines W e l t e n j a h r e s e i n e mythische D a r s t e l l u n g seelischgeistiger E p o c h e n d e r Menschheit selbst, sozusagen eine SeelenGeistesgeschichte d e r Menschheit als die I n n e n s e i t e zu d e m ä u ß e r e n geschichtlichen G e s c h e h e n s a b l a u f . E i n s t seien die Menschen selig u n d f r i e d s a m gewesen, sie l e b t e n in e i n e r glücklicheren N a t u r , d i e . i h n e n s p e n d e t e , wessen sie bed u r f t e n , da i h r e K ö r p e r nicht Not noch K r a n k h e i t k a n n t e n . A b e r an i h r e m H e r z e n n a g t e d e r W u r m , wie an d e r W u r z e l d e r Weltesche Yggdrasil. Sie b e g a n n e n zu m i ß b r a u c h e n , was i h n e n gütige G ö t t e r w e s e n s c h e n k t e n , sie w o l l t e n selbst nach i h r e m Sinn die N a t u r k r ä f t e l e n k e n u n d f a n d e n d e n Weg, sie in d i e H a n d zu bek o m m e n . Es w a r d e r B e g i n n kultischer Magie. Da zog sich die Seele d e r N a t u r v o r i h n e n zurück u n d w a r d k a r g gegen des Menschen B e d ü r f e n . E r a b e r e m p f a n d u m sich die E n g e des Lebensr a u m e s u n d k a m in B e d r ä n g n i s . So v e r b l a ß t e allmählich das g o l d e n e N a t u r b i l d , die F r e i h e i t des L e b e n s b e g a n n zu weichein, das g o l d e n e Z e i t a l t e r w a r v o r ü b e r . E i n a n d e r e r N a t u r z u s t a n d t a t sich a u f , es k a m das s i l b e r n e Zeita l t e r . Doch auch im s i l b e r n e n Z e i t a l t e r w a r e n Mensch u n d N a t u r noch nicht so b e s c h w e r t von Sorge u n d Not u n d T o d wie h e u t e , a b e r die E i g e n s u c h t wuchs, u n d die N a t u r w a r f e i n d s e l i g gegen d e n Menschen. M e h r u n d m e h r brach das E i g e n b e w u ß t s e i n h e r v o r , d i e f r ü h e r e L e b e n s g e m e i n s c h a f t des g o l d e n e n Z e i t a l t e r s war dah i n , u n d aus d e r A b g r e n z u n g d e r Menschen g e g e n e i n a n d e r u n d gegen die N a t u r e n t s p r a n g n o t g e d r u n g e n d e r B e g i n n eines K a m p f e s , e i n e r Selbstsuchung, e i n e r Selbstsucht, die n u n zu Ause i n a n d e r s e t z u n g e n f ü h r t e , wie die zwischen K a i n u n d Abel. Noch einfach w a r e n die W a f f e n in diesen K ä m p f e n , meist u n m i t t e l b a r d e r N a t u r selbst e n t n o m m e n , es w a r noch k e i n ausgedachtes 221

Können mit im Spiel; wie sie sich trafen, wie die Gegner aufeinanderstießen, so wurde auch der Streit ohne Umschweife ausgetragen. Der Mythos berichtet weiter von der darauffolgenden ehernen Zeit. Alles, was das silberne vom goldenen Weltalter unterschied, steigerte sich nun zusehends ins Schlimme. Nun kam das Zeitalter der geschichtlichen Kriege. Waffen wurden geschmiedet zuerst aus Stein, dann aus Erz. Völker bildeten sich, die sich planmäßig gegeneinander stellten und den Raum und die Schätze des Bodens sich streitig machten. Noch hatten sie Waffen nur in der Hand des Mannes, noch nidit die Maschinen der Zerstörung. Die Götter, einst im goldenen Zeitalter den Menschen gewogen und für alle die gleiche Gunst hegend, sonderten sich nun gleichfalls gegeneinander ab, schufen sich in den Volkskörpern ihre leiblichen Darstellungen und trieben die Völker in den Kampf. Es nahm zu der rechnende Verstand, die Unmittelbarkeit des Blicks in die lebendigen Naturzusammenhänge begann zu schwinden, das magische Vermögen steigerte sich, aber begann audi zu entarten, auch die Göttergewalten wurden mehr und mehr feindselig gegen den Menschen. Nun suchte der Mensch mit zunehmendem Verstand sich ein größeres Wohlergehen zu schaffen, das ihm die Naturseelengewalten nicht mehr freiwillig gewährten. Nicht mehr wie im goldenen und silbernen Zeitalter konnte der Mensch nun sich ernähren und Behausung finden. Mit Mühe und Schweiß mußte er dem Boden die Frucht abringen, er mußte der Kälte und den Unbilden der Witterung begegnen. Krankheit und Schmerzen mehrten sich, und die Menschen unter sich bereiteten sich Hungersund Feuersnot. Noch aber war die Menschheit in einer großen Gemeinsamkeit eingestellt auf die Scheu vor den Göttern; noch ehrten sie dieselben Grundgesetze des Daseins, noch war es nicht der von der Naturseele losgelöste Intellekt, der sie beherrschte. Ungeschriebenen, aber dem Leben unmittelbar entströmenden Grundgesetzen beugten sie sich alle, und der reine Nützlichkeitsverstand durfte noch nicht in alle Bezirke des Lebens bedingungslos einbrechen, es gab im Leben noch heilige Bezirke. Sie bauten Tempel und wußten um die heilige Hand des großen Schicksals. Es war die Zeit heroischen Daseins im Angesicht der Götter und Toten. Dann bauten sie den Turm von Babel, es kam die Sprachen222

Scheidung u n d die Sprachenverwirrung, d a n n k a m das eiserne Zeitalter. Es bringt die lieblose S o n d e r u n g der Wesen g e g e n e i n a n d e r in i m m e r a u s g e p r ä g t e r e r F o r m . Nun gibt es K ä m p f e , seelisdie u n d physische, u m die nackten m a t e r i e l l e n I n t e r e s s e n , die ein seelenlos g e w o r d e n e r I n t e l l e k t b e s t i m m t . Es gibt eine sich i m m e r m e h r s t e i g e r n d e Technik, die n u r möglich ist, w e n n die G ö t t e r g e w a l t e n aus d e r N a t u r v e r t r i e b e n sind. Was ist es n u n mit diesen Z e i t a l t e r n u n d E p o c h e n ? Wie sollen wir sie v e r s t e h e n ? Verlief so das urgeischichtliche u n d geschichtliche Leben der Menschheit? O d e r sind es n u r F a b e l n u n d P h a n t a s i e n ? Sind es, i n d e m m a n vom goldenen u n d silbernen Z e i t a l t e r spricht, vielleicht n u r bildreiche D a r s t e l l u n g e n u n s e r e r eigensten Sehnsucht nach glücklicher g o l d e n e r Zeit, m i t t e n in den N ö t e n der Jahrh u n d e r t e u n d J a h r t a u s e n d e ? N u n , diese „ Z e i t a l t e r " , einerlei, wie u n d ob sie sich urgeschichtlich in dieser R e i h e n f o l g e d a r s t e l l t e n , sind ja auch i m m e r f o r t da, m i t t e n u n t e r uns, zu allen Z e i t e n ; d e n n es sind Seelenbezirke des Menschen, wie er zu allen Zeiten leibt u n d lebt, die er als einzelner, wie als Volk, wie als Menschheit in sich trägt, sein Gut u n d Böse, sein Lieben u n d Hassen, seine r e i n e u n d seine v e r d e r b t e N a t u r , sein e r k e n n e n d e r u n d sein selbstsüchtiger Geist. U r a l t e M y t h e n erzählen uns vom einstigen P a r a d i e s , worin die Schöpfung ganz im Willen Gottes stand, u n d m i t t e n in ihr als die V o l l e n d u n g der Mensch. Durch das unheilige Sichabwenden von G o t t e s L e b e n s g e b o t aber sei diese ursprüngliche Paradiesschöpfung v e r k e h r t u n d gebrochen w o r d e n ; seitdem herrsche in der Welt der Geist des V e r n e i n e r s u n d wirke sich aus bis ans E n d e der Tage, d e m W e l t u n t e r g a n g . D a n n aber w e r d e durch das K o m m e n des S t a r k e n , des Gottessohnes, alles zum V a t e r eingehen u n d es w e r d e eine n e u e , v e r k l ä r t e , geheiligte Schöpfung e r s t e h e n . Ist es u r a l t e s Wissensgut u m d e n Menschengeist, das uns da v e r m i t t e l t ist? A u d i der Mythos u n s e r e r eigenen Vorf a h r e n erzählt eben dies in a n d e r e n B i l d e r n . A u d i da wird der Mensch v e r f ü h r t , die Schuld wird g e h ä u f t , an der Wurzel der Weltesche nagt der G i f t z a h n , u n d einst wird das Weltall in B r a n d geraten, bis n e u e , s t ä r k e r e G ö t t e r am H i m m e l a u f z i e h e n u n d eine n e u e N a t u r werde. Diese L e h r e n n u n sind in i h r e m u r a l t e n W a h r h e i t s g e h a l t nur zu v e r s t e h e n aus j e n e r a n d e r e n mythischen G r u n d ü b e r z e u g u n g der Menschheit: d a ß der Mensch in sich die Q u a l i t ä t u n d P o t e n z e n 223

d e r N a t u r k r ä f t e t r ä g t u n d d a ß er so in e i n e m i n n e r e n l e b e n d i g e n Z u s a m m e n h a n g mit d e m K o s m o s s t e h t . Alles, was im M e n s c h e n l e b t u n d w e s t u n d v o r sich g e h t , b e w u ß t u n d noch m e h r u n b e w u ß t , h a t im K o s m o s seine E n t s p r e c h u n g e n u n d u m g e k e h r t . Es sind a b e r die S e e l e n k r ä f t e des Menschen K e r n u n d G e s t a l t e r d e r „ W e l t g e s c h i c h t e " u n d d e r N a t u r . Die N a t u r v e r h ä l t sich gegen d e n M e n s c h e n , wie d e r Mensch sich seelisch zu i h r v e r h ä l t , b e w u ß t u n d u n b e w u ß t . D e r Mensch a b e r , i n d e m er sein i n n e r s t e s W e s e n e r k e n n t , e r k e n n t d a r i n zugleich auch das W e s e n u n d W e r d e n des K o s m o s , des S c h ö p f u n g s a b l a u f s , d e r „Geschichte". Mit d e r L e h r e v o n d e n a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n Z e i t a l t e r n w e r d e n u n s d a h e r nicht schlechthin ä u ß e r e Geschichtsabläufe, als v i e l m e h r „ S c h i c h t u n g e n d e r Seele", i n n e r e V o r g ä n g e u n d Z u s t ä n d l i c h k e i t e n des M e n s c h e n w e s e n s als solche n a h e g e b r a c h t u n d bildlich verdichtet. D e n n alles das, was die e i n z e l n e n W e l t z e i t a l t e r in i h r e m W e s e n k e n n t l i c h macht, sind ja e b e n seelisch-geistige K r ä f t e u n d W i l l e n s r e g u n g e n d e r M e n s c h e n b r u s t durch alle E p o c h e n ihres Daseins. W o w i r h i n b l i c k e n in d e r Geschichte u n d Urgeschichte — ü b e r a l l f i n d e n wir diese E i g e n s c h a f t e n u n d Z u s t ä n d e l e b e n d i g w i r k s a m , o d e r w i r s e h e n sie in j e d e m V o l k n a c h e i n a n d e r a u f t r e t e n . Es gab, soweit wir zurückzuschauen v e r m ö g e n , stets a l t e u n d j u n g e V ö l k e r , a l t e u n d j u n g e K u l t u r e n ; es gab A u f s t i e g u n d N i e d e r g a n g , L e b e n u n d S t e r b e n . U n d e b e n diese E p o c h e n ihres L e b e n s g a n g e s durch die J a h r h u n d e r t e u n d J a h r t a u s e n d e stellen sich teils n a c h e i n a n d e r , teils m i t e i n a n d e r v e r w o b e n , als Seelenu n d G e i s t e s z u s t ä n d e d a r , die d e r Mythos „ Z e i t a l t e r " n e n n t , u n d die es in e i n e m u m f a s s e n d e r e n m e t a p h y s i s c h e n Sinn auch waren. Es sind i m m e r d i e s e l b e n Dinge, die uns in d e n U r m y t h e n d e r Menschheit b e g e g n e n ; es sind d i e s e l b e n Dinge, die in b i l d e r r e i c h e r u n d teilweise so a n m u t i g e r F o r m aus den Märchen h e r v o r l e u c h t e n : i m m e r sind es die K r ä f t e im M e n s c h e n w e s e n selbst, die n u n a b e r i h m e b e n s o in d e r S c h ö p f u n g d r a u ß e n begegnien, m i t d e n e n e r es zu t u n h a t . Es ist U r w i s s e n d e r Menschheit u m sich selbst u n d die N a t u r . Was die A l t v o r d e r e n G ö t t e r n a n n t e n , ist diese vielfach a b g e s t u f t e G e w a l t seelisch-geistiger K r ä f t e in d e r g e s a m t e n S c h ö p f u n g , im K o s m o s wie im Menschen. Wir blicken also m i t j e n e r Z e i t a l t e r l e h r e durch u n s selbst in den Sinn d e r Geschichte. Das ist es auch, was trotj d e r scheinbaren ä u ß e r e n U n w i r k l i c h k e i t d e n n o c h die echten M y t h e n u n d Märchen so a n z i e h e n d macht, d a ß 224

wir i m m e r w i e d e r , t r o t z u n s e r e s so n ü d i t e r n g e w o r d e n e n D e n k e n s , h i n l a u s c h e n als auf eine ü b e r u n s s t e h e n d e W a h r h e i t . D e n n d e r Sinn d e r Geschichte, d e r N a t u r - wie d e r Menschengeschichte, ist j a nicht d a s , was äußerlich schlechthin sich z u t r ä g t u n d a n e i n a n d e r r e i h t , s o n d e r n ist das d a r i n v e r h ü l l t e , a b e r auch d a r i n sich offenb a r e n d e W e s e n . U n d wollen wir diese W e s e n s w i r k l i c h k e i t aussprechen, so k a n n es n u r geschehen in B i l d e r n u n d Gleichnissen. I n u n s e r e r geschichtlichen Zeit sind wir w i e d e r m i t e i n e m W e l t e n m o n a t zu E n d e : d e m F i s c h e z e i t a l t e r , das u m die M i t t e des 2. J a h r h u n d e r t s vor u n s e r e r Z e i t r e c h n u n g b e g a n n u n d u m die M i t t e u n s e r e s J a h r h u n d e r t s 6ein E n d e findet, wo d e r F r ü h l i n g s p u n k t in das S t e r n b i l d des W a s s e r m a n n s e i n g e t r e t e n sein wird. Man k ö n n t e versucht sein, auf die M e n t a l i t ä t d e s k o m m e n d e n W e l t e n m o n a t s e i n e n Blick zu w e r f e n u n d B e t r a c h t u n g e n anzustellen, die sich aus d e r schon j e t z t in d e r Ü b e r g a n g s p e r i o d e sich ank ü n d i g e n d e n G e i s t e s s t r u k t u r d e r Geschichte e r g e b e n . V o n welchen Seelen- u n d G e i s t e s z u s t ä n d e n m a g das n e u e Z e i t a l t e r ein Ausdruck w e r d e n ? Welche M e t a p h y s i k wird s e i n e r P h y s i k e n t s p r e c h e n ? Doch wir sind h i e r nicht zum P r o p h e t e n b e r u f e n u n d wollen es auf sich b e r u h e n lassen u n d d e m M y t h u s bis ans E n d e w e i t e r f o l g e n . D e r u n b e w e g l i c h e G o t t d e r M i t t e wird, w e n n die Zeit e r f ü l l t ist u n d sich d e r g a n z e Sinn des W e l t e n l a u f s o f f e n b a r t h a t , w i e d e r e i n z i e h e n , was a u s g e s a n d t w a r d . D i e W e l t s t r e b t e in i m m e r g r ö ß e r e m U m l a u f z u r G o t t e s f e r n e ; doch e b e n dieses S t r e b e n wird zugleich d e r Weg sein, auf d e m d e r G o t t aus sich selbst zur Eigene r k e n n t n i s k o m m t u n d seine E r f a h r u n g e n aus d e r S c h ö p f u n g s a m m e l t . E r selbst e r l e b t d a r i n die F ü l l e seines W e s e n s , a b e r auch die g r o ß e L i e b e . D e n n e r n i m m t die in die G o t t f e r n e ausg e l a u f e n e W e l t , d e r e r i h r e F r e i h e i t gab, w i e d e r in sich a u f , wo sie v e r k l ä r t wird. J e d e r solcher E r f a h r u n g s ä o n aber b i l d e t die G r u n d l a g e f ü r den n ä c h s t e n , d e r h e r v o r k o m m e n wird, w e n n die E r f a h r u n g e n des v e r g a n g e n e n in G o t t , d e m Schöpfer, a u s g e r e i f t , v e r a r b e i t e t sein w e r d e n . Es ist also im K l e i n e n wie im U m f a s s e n d G r o ß e n nicht n u r ein e i n f a c h e r , in sich z u r ü c k l a u f e n d e r Zyklus, s o n d e r n zugleich ein H ö h e r g e h e n des U m l a u f e s , wie wir s a g t e n : e i n e Spirale. So b l e i b t k e i n e s d e r g r o ß e n W e l t e n j a h r e u n d auch k e i n e r d e r Ä o n e n dasselbe, es ist n i e b e g r e n z t e , i m m e r n e u e , i m m e r schöpferisch w a c h s e n d e u n d f ü l l e n d e göttliche K r a f t , die zur A u s w i r k u n g u n d S e l b s t g e s t a l t u n g g e l a n g t , sich o f f e n b a r t u n d aus sich selber wird. Zeit in i h r e m A b l a u f , W e l t e n d a s e i n , so ii

Dacque,

Vermächtnis

225

sagten wir zuvor schon einmal, ist nirgends medianischer Ablauf, sondern ist lebendige Erfüllung, u n d jede Sekunde hat zugleich auch k ü n f t i g e neuschaffende Bedeutung. Nichts geht verloren, nichts ist Glied eines sich wiederholenden Leerlaufee. Das ist der Sinn der Weltzeitalter mit ihrem Auf u n d Nieder, mit ihrem Licht u n d Dunkel, ihrem Gut u n d Böse: daß E r f ü l l u n g sei u n d so in Gott zurückkehrende u n d wieder ausstrahlende Schöpfung fort u n d fort. Indem die Gottheit dereinst zum Schöpfer ward, m u ß t e 6ie aus ihrer Eigenseligkeit, ihrer Eigenbeschauung heraustreten u n d sich begrenzen. Dieses Sicheingrenzen war das Erleben des großen Nein als Gegenspiel zum großen Ja der eigenen in sich ruhenden Existenz. Es wurde sich die zum Schöpfer werdende Gottheit des Gegenpols zum schaffenden J a bewußt. Die Schöpfung wurde möglich, indem das endlos strömende Ja selbst sich eingrenzte u n d eben durch diese Grenzung Form gab den Dingen u n d K r e a t u r e n . Das ist der ursprünglich heilige Sinn des Nein in Gott, das erst zum Bösen wurde, indem es sich, wie der Mythus lehrt, verselbständigte als leerer kalter Geist u n d ausbrach in den eigenen Verneinungswillen. Aber eben die Auswirkung dieses Gegensatzes von Gut und Böse, von Ja um des Ja willen u n d von Nein um des Nein willen: das ist der Leidensgang der Schöpfung u n d des Menschen u n d ist zugleich der Weg zur Läuterung u n d Erlösung in volle geistige Freiheit.

226

DIE B Ü C H E R UND

VON

Eine

EDGAR

bibliographische von

AUFSÄTZE

DACQUE

Übersicht, Horst

Kliemann

bearbeitet

1. B Ü C H E R

UND

UND

BEITRÄGE

ZU

BÜCHERN

SAMMELWERKEN

1. Der Deszendenzgedanke u n d seine Geschichte vom A l t e r t u m bis zur Neuzeit. — München: Reinhardt 1903. 119 S. 8° 2. Mitteilungen ü b e r den Kreidecomplex von Abu Roash bei Cairo. Mit Fig. u. 3 Taf. — Stuttgart: Schweizerbart 1903. S. 335—397. 4° - Paläontographica. Beitr. z. Naturgesch. d. Vorzeit. Hrsg. u. K. A. v. Zittel. Bd. 30, Abt. II, Lief. 5 3. Wie man in J e n a naturwissenschaftlich beweist. — Stuttgart: Kielmann 1904. 28 S. 8° 4. E r d k r ä f t e u n d Erdgeschichte. Mit 32 Abb. — Oldenburg: Stalling (1910). 156 S. KI.-80 = Unteroffizier-Bibliothek Bd. 26/27 5. Paläontologie, Systematik und Deszendenzlehre. Mit 17 Abb. In: Die Abstammungslehre. Jena: Fischer 1911. S. 169—197 6. A u f n a h m e des Gebietes um den Schliersee u n d Spitzingsee in den oberbayer. Alpen. Mit e. Beitrag v. H. Imkeller. Mit 1 färb. Taf. u. 1 färb. Karte — München: Riedel 1912. 69 S. Gr.-8° = Landeskundl. Forschungen, hrsg. v. d. geograph. Gesellsch. i. München (Aus: Mitt. d. geogr. Ges. i. München). Heft 15 7. Die fossilen Schildkröten Ägyptens. Mit Abb., 2 Taf., 2 Bl. Erklärungen und 4 Kartenskizzen — Jena: Fischer 1912. S. 275—337. 40 = Geolog, u. paläontolog. Abhandlungen. Hrsg. v. E. Koken. N. F. Bd. 10, Heft 4 8. J u r a f o r m a t i o n . In: Handwörterbuch d. Naturwissenschaften. Jena: Fischer 1913. Bd. 5, S. 607—622 9. E r d k r ä f t e u n d Erdgeschichte. Mit 32 Abb. — Oldenburg: Stalling 1914. 156 S. 160 = Jung-Deutsdiland-Bücher Bd. 10 10. Grundlagen u n d Methoden der Paläogeographie. Mit 79 Abb. u 1 Karte — Jena: Fischer 1915. VII, 499 S. Gr.-8° 11. Geographie der Vorwelt (Paläogeographie). Mit 18 Abb. — Leipzig: Teubner 1919. 104 S. KI.-80 = Aus Natur und Geisteswelt. Bd. 619. 12. Geologie. 2 Teile. Berlin: Vereinigg. wissensch. Verleger 1920. KI.-8" = Sammlung Gösdien Nr. 13, 846 I. Teil. Allgemeine Geologie. Mit 75 Abb. 128 S. II. Teil. Stratigraphie. Mit 56 Abb. a. 7 Taf. 135 S. Teil 1: 2. Aufl. 1922; 3. verb. Aufl. mit 73 Abb. 124 S. 1927. Teil II: Neudruck 1924 13. Vergleichende biologische F o r m e n k u n d e der fossilen n i e d e r e n Tiere. Mit 345 Abb. — Berlin: Borntraes;er 1921. VIII, 777 S. Gr.-8° 14. Biologie der fossilen Tiere. Mit 25 Abb. •— Berlin: de Gruyter & Co. 1923. 92 S. KI.-80 = Sammlung Göschen Nr. 861 15. Geologija. Avtor. perevod s posi. nem. izd. s dopolu. otnositelno Rossii A: la. Brusova. Pod. red. Prof. Dimitrija N. Aretemeva. — Berlin: Nauka i Shisn 1923. KI.-80 = Russkoe izdnie Biblioteki Gesen Bd. 104, 105 1. 130 S., IL 53 Abb., 7 Taf., 142 S. 229

16. Urwelt, Sage und Menschheit. Eine naturhistor.-metaphys. Studie. Mit Abb. — München: Oldenbourg 1924. XII, 359 S. 8» 2. Aufl. 1924 ( X I , 360 S.); 3. erg. Aufl. 1925 ( X I , 366 S.); 4 Aufl. 1927; 5. Aufl. 1928; 6. Aufl. 1931; 8. Aufl. 1938 17. J u r a f o r m a t i o n . Mit 23 Abb. — In: Grundzüge der Geologie Bd. II. Stuttgart: Schiveizerbart 1926. S. 341—384 18. N a t u r u n d Seele. Ein Beitrag zur mag. Weltlehre — München: Oldenbourg 1926. 201 S. 8° 2. Aufl. 1927; 3. Aufl. 1928 19. Paläogeographie. Mit 21 Abb. — Wien: Deutidee 1926.VIII,196S.4'> — Enzyklopädie d. Erdkunde. Tl. 4 20. Relief, Bau und E n t s t e h u n g der Alpen. Mit 10 Abb. In: Die Alpen. Berlin: Grieben-Verlag 1926. S 7 21. Leben als Symbol. Metaphysik e. Entwicklunglehre. — München: Oldenbourg 1928. V, 254 S. 8° 2. Aufl. 1929 22. Das fossile Lebewesen. Eine Einführung in d. Versteinerungskunde. Mit 93 Abb. — Berlin: Springer 1928. VII, 184 S. Kl.-8« = Verstand/. Wissenschaft Bd. 4 23. Die E r d z e i t a l t e r . Mit 396 Abb. u. 1 färb. Tafel — München: Oldenbourg 1930. XI, 565 S. 4» 2. Aufl. 1935 24. Spuren der Vorwelt. Gesammelte Aufsätze — (München: Beck 1930). 139 S. Lex.-8° = 49. Buch der Rupprecht-Presse zu München 25. Vom Sinn der E r k e n n t n i s . Eine Bergwanderung — München: Oldenbourg 1931. 196 S. 8° 26. Paläogeographie u n d Paläoklimatologie. In: Handwörterbuch der Naturwissenschaften. 2. Aufl. Jena: Fischer 1932. Bd. 7 S. 609—628 27. Natur und Erlösung. — München: Oldenbourg (1933) 145 S. 8° = Schriften der Corona Bd. 4 28. Wirbellose des J u r a . Mit 48 Taf. — Berlin: Borntraeger 1933/34. 502 S. Gr.-8° = Leitfossilien. Hrsg. v. Georg Gürich. Lief. 7 29. U r w e l t k u n d e Süddeutschlands. Mit einer allgemeinen geologischen Einführung. Mit 52 Abb. — München: Beck (1934). VII, 174 S. 8° — Deutsche Landschaftskunde in Einzeldarstellungen. Hrsg. v. Edgar Dacqué und E. Ebers. Bd. 1 30. Vom W e r d e n des Erdballs. Mit 6 Abb. — Leipzig: Reclam (1934). 78 S. KI.-80 = Reclams Univers.bibliothek Nr. 7270 2. Aufl. 1940 31. Organische Morphologie u n d Paläontologie. Mit 27 Abb. — Berlin: Borntraeger 1935. VIII, 476 S. 4° 32. Deutsche Naturanschauung. (Aufsätze) von Hans André, Arm. Müller, Edgar Dacqué. Mit 33 Abb. — München: Oldenbourg 1935. 192 S. 8o Enthält von Dacqué: Völkergeist, Zeitgeist und Wissenschaft. 33. Versteinertes Leben. Fossilien in 116 Orig. Aufn. i^. m. 16 Zeichn. — Berlin: Atlantis-Verlag (1936) 131 S. 4» 230

34. Aus der Urgeschichte d e r E r d e u n d des Lebens. Tatsachen und Gedanken. Mit 46 Abb. u. 1 Titelbild. — München: Oldenbourg 1936. 230 S. 8o 35. Das verlorene P a r a d i e s . Zur Seelengeschichte des Menschen. — München: Oldenbourg 1938. 451 S. 8° 2. Aufl. 1940 36. Das Bildnis Gottes. (Ein Spruch-Brevier.) — Leipzig: Insel-Verlag 1939. 180 S. 8o 37. Die F a u n a der Regensburg-Kelheimer O b e r k r e i d e (mit Ausschluß der Spongien und Bryozoen). Mit 17 Tafeln — München: Bede 1939. 218 S. 4° = Abh. d. Bayer. Ahad. d. Wissensch. Mathem.-naturwiss. Abt. N. F. Tieft 45 38. Der Mensch im unendlichen All. — München: Gerber 1940. 15 S. KI.-80 = Münchener Lesebogen Nr. 17 Aus einer Sendereihe des Münchener Rundfunks: „Von deutscher Frömmigkeit." 39. Die Urgestalt. Der Schöpfungsmythus neu erzählt. — Leipzig: InselVerlag 1940. 189 S. 8°. 3. u. 4. Taus. 1940. E r w e i t e r t e Ausgabe 1943. 229 Seiten. 40. Die Geologie d e r M u r n a u e r Gegend. In: Max Dingler, Das Murnauer Moos. — München: Gerber 1941. S. 21—26 41. Wirbellose der Kreide. Mit 52 Taf., 5 Abb. — Berlin: Borntraeger 1942. 102 S. 4° = Leitfossilien. Begr. v. Gg. Gürich, hrsg. von E. Dacque. Lfg. 8 42. Aus den T i e f e n der N a t u r . — Büdingen: Pfister & Schwab. (Im Druck.) 43. Weltzeitalter im Mythus. — M ü n c h e n : Leibniz Verlag 1947. 8 S. 4" Vorabdruck aus „Vermächtnis der Urzeit". 44. Vermächtnis der Urzeit. — München: Leibniz Verlag 1948. 236 S. 8°

2. A U F S Ä T Z E

IN

ZEITSCHRIFTEN

UND

JAHRBÜCHERN 45. Einiges ü b e r den Gattungs- u n d Artbegriff. Mit 2 Taf. In: Mitteilungen der Pollichia, naturivissensch. Vereins der Rheinpfalz 60 (1903) Nr. 18. S. 1—36 46. Sittlichkeit u n d Entwicklungslehre. In: Freistatt 5 (1903) Nr. 25 47. Z u r Geschichte des Abstammungsgedankens. In: Wartburgstimmen 2 (1904) S. 398—403 48. Paläontologie u n d Stammesgeschichte. In: Wartburgstimmen 2 (1904) H. 11. S. 237—240 49. Beiträge zur Geologie des Somalilandes. In: Beitr. z. Geol. u. Paläont. Österreich-Ungarns u. d. Orients 17 (1905) I. Untere Kreide. Mit 2 Taf. S. 7—20 II. Oberer Jura. Mit 5 Taf. S. 119—159 231

50. Zur systematischen Speziesbestimmung. Mit 2 Tafeln. In: Neues Jahrbuch f . Mineralogie, Geol. u. Paläont. Beil. Band 22 (1906) S. 639—685 51. J u r a u n d Kreide in O s t a f r i k a . Von Edgar Dacque und E. Krenkel. Mit 4 Abb. In: Neues Jahrbuch f . Mineralogie, Geol. u. Paläont. Beil. Band 28 (1909). H. 1. S. 150—232 52. Dogger u n d Malm aus O s t a f r i k a . Mit 6 Taf. u. 18 Abb. In: Beitr. z. Geol. u. Paläont. Österreich-Ungarns u. d. Orients 23 (1910) S. 1—62 53. Der J u r a in der Umgebung des lemurischen K o n t i n e n t s . Mit 1 Kartenskizze. In: Geolog. Rundschau 1 (1910) H. 3 S. 148—168 54. Die S t r a t i g r a p h i e des m a r i n e n J u r a an den R ä n d e r n des P a z i f . Ozeans. Mit 3 Abb. In: Geolog. Rundschau 2 (1911) H. 8. S. 464—98 55. Das A m m o n s h o r n u n d seine Verwandten. In: Kosmos 10 (1913) S. 332—37 56. Paläogeographische K a r t e n und die gegen sie zu e r h e b e n d e n Einwände. Mit 1 Abb. In: Geolog. Rundschau 4 (1913) H. 3. S. 186—206 57. Paläogeographie als Gegenstand d e r Forschung und Lehre. In: Aus der Natur 9 (1912/13). S. 749—753 Vortr. geh. a. d. 22. Hauptvers. d. Ver. z Förderung d. math. u. naturwiss. Unterrichts 58. Neue Beiträge zur K e n n t n i s des J u r a in Abessynien. Mit 3 Taf. In: Beitr. z. Paläont. u. Geologie Österreich-Ungarns u. d. Orients. Bd. 27 (1915). S. 1—17 59. Ü b e r die E n t s t e h u n g eigentümlicher Löcher im Eocänkalk des Fajüm, Ägypten. Mit 6 Abb. u. 1 Taf. In: Geolog. Rundschau 6 (1915) Heft 4/6. S. 193—201 60. K o n t i n e n t e und Meere in der Urgeschichte der Erde. In: Ber. d. Senckenberg. naturforsch. Ges. 50 (1920) S. 162 61. Land u n d Meer in der Vorzeit. In: Umsdiau 24 (1920). S. 553—539 62. Land- u n d Meereswechsel in der Erdgeschichte. In: Natur 14 (1922) S. 161—168 63. Geheimnisse der Vorzeit. In: Psychische Studien 51 (1924). S. 528—532 6 4 Urwelt, Sage u n d Menschheit. In: Umschau 28 (1924) H. 45. S. 865—70 65. Fossile Riffbildungen. In: Natur 17 (1925). S. 49—58 66. S a m m e l r e f e r a t ü b e r die Frage nach d. vorweltlichen Land- und Meereswechsel und den Polverschiebungen. In: Ztschr. f . induktive Abstammungsund Vererbungslehre 37 (1925). S. 271—285 67. Märchen, Sagen und Mythen. In: Rig 1 (1925/26) H. 1. S. 3—8 68. Tiefsee u n d Faltengebirge. In: Aus Natur und Museum 55 (1925). S. 339—351, 377—384 69. Die Metaphysik der Abstammungslehre. In: Natur und Kultur 23 (1926). S. 2 70. Astrologie. In: Die Astrologie 9 (1927) S. 137—142 71. Klimagestaltung, Kosmos u n d Lebensentwicklung. In: Südd. Monatshefte 24 (1927) Heft 9 (Sonderheft „Astrologie"). S. 182—187 72. Mensch als Maß. In: Natur und Kultur. 24 (1927). S. 105—109 73. N a t u r und Seele. In: Seelenprobleme 1 (1927). S. 45 74. Natursichtigkeit. In: Zeitschrift f . Parapsychologie 2 (1927). S. 93—99 232

75. Erdgeschichte u n d rhythmisches Geschehen. In: Jahrb. f . kosmobiolog. Forschung I (1928). S. 29—34 76. Leben als Symbol. In: Annalen, Zürich 2 (1928). S. 81—94 77. Der Mensch als U r f o r m , in: Die Kreatur 3 (1929/30). S. 223—235 78. Die ältesten fossilen Organismen. In: Natur und Kultur 25 (1928). Nr. 1 u. 2. S. 3—8, 41—47 79. U m s t r i t t e n e P r o b l e m e der Geologie. In: Schlüssel zum Weltgeschehen 4 (1928). S. 52—58 80. Die Ursinnessphäre. In: Die Kreatur 2 (1928). Heft 3 81. Wesen der E r k e n n t n i s . In: Schlüssel zum Weltgeschehen 4 (1928). S. 159 82. Urgeschichtliche Z u s a m m e n h ä n g e zwischen Mensch u n d Tier. In. Südd. Monatshefte 25 (1927128). Heft 12. S. 911—13 83. Zur Einheit von Anorganisch und Organisch. In: Jahrb. f . kosmobiolog. Forschg. II (1929). S. 71—81 84. Erdgeschichte in kosmischer V e r b u n d e n h e i t . In: Schlüssel zum Weltgeschehen 5 (1929). S. 20 85. Das Gesetz der biologischen Baustile. In: Der Bücherwurm 15 (1930). S. 159. Audi in „Nalur und Kultur" 27 (1930). S. 424 86. Korallen. Hochtouristik auf ehemaligem Meeresboden (Mit 10 Abb.). In: Koralle 5 (1929/30). S. 390—94 (6a. Riesen der Vorwelt. Mit 7 Abb. nach Gemälden von Charles R. Knight in der R. Graham Hall des Field Museum of Natural History, Chicago. In: Die Koralle 5 (1929/30). H. 11. S. 505—10 87. Dämonie der Menschennatur. In: Hain der Isis 1 (1930). S. 196—201 88. Entwicklung u n d Fortschritt in d e r N a t u r . In: Deutsche Rundschau 57 (1930/31). Heft 10. S. 30—37 89. Erdgeschichtliches Geschehen. In: Die Woche 32 (1930). Nr. 36. S. 1057—58 90. Wo sind die ersten Lebewesen e n t s t a n d e n ? In: Das deutsche Buch 10 (1930). S. 199 Audi in „Natur und Kultur" 28 (1931). S. 339 91. E v o l u c i o n y progreso en la naturaleza. In: Revista de occidente, Madrid 31 (1931). S. 1—20 92. Grundsätzliches zur menschlichen Stammesgeschichte. In: Die literarische Welt 7 (1931). Nr. 20 93. Das I n n e r e der Erde. In: Reclams Universum 48 (1931). S. 505 94. Mensch u n d Tier. In: Deutscher Almanach für das Jahr 1931. Leipzig: Reclam. S. 94—109 95. Natur und Paradies. In: Christentum und Wirklichkeit 22 (1931). S. 236—240 96. Von der Sintflut. In: Die Woche 33 (1931). Nr. 35. S. 1152—53 97. P r o f . Dr. Gustav Steinmann. In: Deutsches biograph. Jahrbuch 11 für das Jahr 1929 (1932). S. 292—295 98. Entwicklungslehre als anthropologisch-metaphysisches Problem. In. Blätter für deutsche Philosophie 6 (1932). S. 75—93 99 Lebensform und T o d e s f o r m der Hochschulwissenschaft. In. Deutsche Rundschau 58 (1931/32). H. 2. S. 88—95 233

100. Vom Sinn des N a t u r e r k e n n e n s . In: Corona 3 (1932/33). Heft 2 und 3. S. 173—191, 326—358 101. Die Tiere erobern die L u f t (Flugtiere der Vorwelt). In: Reclams Universum 49 (1932/33). H. 2. S. 59—62 102. Die U r f o r m des Lebens. In: Leipziger Illustrirte Zeitung 178 (1932). Nr. 4550. S. 600 u. 624 103. Was sagt die Tierwelt ü b e r die f r ü h e r e Gestalt der K o n t i n e n t e . In: Natur und Kultur 29 (1932). S. 419 104. Die Einheit von E r d e u n d Weltall. Rhythmus und Katastrophen im Weltgeschehen (Mit 2 Abb.). In: Reclams Universum 50 (1933/34). H. 19. S. 701—03 105. Der Geist im Gericht. In: Corona 4 (1933134). Heft 1 und 2. S. 51 bis 71, 167—195 106. Ist u n s e r Weltbild richtig? Kosmos und Erdrelief. In Reclams Universum 50 (1933). S. 170 Auch in „Die Propyläen" (Beil. d. Münchener Ztg.) 31 (1934). S. 209/11 107. Völkergeist und Wissenschaft. In: Deutsche Zeitschrift (Der Kunstwart) 47 (1933). H. 1. S. 24—32 108. Wärmezeit u n d Eiszeit des Kosmos. In: Reclams Universum 50 (1933). S. 593 Auch in „Die Propyläen" (Beil. d. Münchener Ztg.) 31 (1934). S. 297—299 109. Wie denken wir uns die E n t s t e h u n g des Planetensystems? In: Reclams Universum 50 (1933). S. 132 Auch in „Die Propyläen" (Beil. d. Münchener Zeitung) 31 (1934). S. 169/70 110. Esencia y evolucion d e la vida. In: Revista de occidente, Madrid 34 (1934). S. 30—61 111. Medianismus u n d inneres Wesen. In: Idealismus, Jahrbuch, Zürich 1 (1934). S. 102—115 112. Urgeschichte der W e s t m a r k . In: Die Westmark I. Geburt der Kohle. Die Steinkohlenzeit im Pf alz-Saar gebiet. 1 (1933/34). H. 4. S. 187—89 2. Die Wüstenzeit am Ende des Erdaltertums. 1 (1933134). H. 10/11. S. 571/73 3. Triaszeit in der Westmark. 2 (1934135). H. 11. S. 611—13 4. Die Tertiär- und Diluvialzeit 3 (1935/36). H. 4. S. 202—04 113. Urgestaltung. In: Deutsches Bildungswesen 2 (1934). S. 333—345 114. Völkergeist, Zeitgeist u n d Wissenschaft. In: Ständisches Leben 4 (1934). S. 493—506 115. Wesen u n d Entwicklung des Lebens. In Europaische Revue 10 (1934). H. 5. S. 286—297 116. s. Nr. 112, 4 117. Was die Schiefertafel erzählt. Mit 9 Abb. In: Bibliothek d. Unterh. u. d. Wissens 59 (1935). Bd. 7 S. 133—147 118. Vom Wesen des Vogels. Mit 9 Abb. In: Bibliothek d. Unterh. u. d. Wissens 59 (1935). Bd. 4. S. 131—142 234

119. A u ß e n u n d I n n e n der organischen Entwicklung. In: Corona 6 (1936). Heft 2 und 3. S. 129—162, 331—336 120. Ü b e r homöogenetische G a s t r o p o d e n f o r m e n . In: Centraiblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie Abt. B. 1936. Nr. 12. S. 533—46 121. Dem Genius Schopenhauers. In: Die Säule 17 (1936). Heft 4. S. 101—106 122. K a n n sich das K l i m a der E r d e n o d i entscheidend ä n d e r n ? In Koralle. N. F. 4 (1936) Nr. 48. S. 1652—53 123. Naturentwicklung u n d Menschentum. In: Die Säule 17 (1936). Heft 1. S. 8—13 124. Sinn u n d Wesen. In: Corona 7 (1937). Heft 1. S. 30—35 125. Seele vor Gott. In: Corona 7 (1937). Heft 5. S. 564—567 126. Die innere Begegnung. In: Corona 8 (1938). Heft 6. S. 569—582 127. Epochen der Geschichte. In: Corona 8 (1938). Heft 2. S. 129—150 128. Die astrologische Symbolwelt. I n : Neues Deutschland 10 (1940). Nr. 14 129. Zum 75. Todestage Albert Oppels. Mit Bildnis. In: Zeitschr. d. dtsch. geolog. Gesellsch. 92 (1940). Heft 10. S. 600—602 130. Das große T r a u m g e s i d i t . In: Corona 9 (1940). Heft 5 und 6. S. 481 bis 493, 603—622 131. Physik u n d Metaphysik in d e r Entwicklungslehre. In: Europäische Revue 17 (1941). S. 557—565 132. Entwicklungsgesetz des Lebens. In: Telos, der Volkswart, Prag 18 (1942). S. 155 133 P r o b l e m e der Paläontologie. In: Hippokrates 13 (1942). S. 543 134. S a g e n h a f t e Weltzeitalter. In: Volk und Welt 23 (1942). Heft 6. S. 13 135. Pulsschlag der Erde. In: Volk und Welt 24 (1943). Heft 5. S. 15—20 Auch in Frankfurter Zeitung vom 1. 1. 1943

3. A U F S Ä T Z E

IN

ZEITUNGEN

136. Darwinismus u n d Lamarckismus. In: Die Propyläen (Beil. d. Münchener Ztg.) 3 (1906) 137. Bau der A l p e n k ö r p e r . In: Münchner N. Nachrichten v. 22. 2. 1921 138. Natursichtigkeit als ältester Seelenzustand. In: Münchner N. Nachrichten v. 4. 7. 1924 139. U m Darwinismus. Zur Frage der Abstammungslehre. In: Münchner N. Nachrichten v. 4. 9. 1925 140. Was ist uns Abstammungslehre. In: Münchner N. Nachrichten v. 29.130. 9.1925 141. Erdgeschichte aus u n s e r e r bayer. H e i m a t . In: Die Propyläen (Beil. d. Münchener Ztg.) 22 (1925). S. 241 u. 251 142. Die vorweltlichen Flugtiere. Wie sich ihr Flugvermögen entwickelte. In: Münchner N. Nachrichten v. 24.125. 6. 1926 143. Welteislehre u n d Erdgeschichtsforschung. In Frankfurter Ztg. v. 19. 11. 1926 235

144. A s t r o l o g i e . In: Münchner N. Nachrichten v. 28. 5. 1927 145. E r d z e i t a l t e r u n d F o l g e d e r T y p e n . In: Münchner N. Nachrichten v. 26. 8. 1927 146. D e r Zeitbegriff in der E r d g e s c h i d i t e . In: Münchner N. Nachrichten 1929 147. D a s große S t e r b e n vor d e r T e r t i ä r z e i t . In: Chemnitzer Tageblatt u. Anzeiger v. 7. 6. 1930 148. N a t u r g e s e t j u n d Menschenleben. In: Münchner N. Nachrichten v. lO.fll. 2. 1931 149. G e d e n k e n an M a x Schlosser. In: Münchner N. Nachrichten vom 14. 10. 1932 150. R e l i g i ö s e r M y t h u s u n d A b s t a m m u n g s l e h r e . In: Die Propyläen (Beil. der Münchener Zeitung) 30 (1933). S. 259 151. E n t s t e h u n g des P l a n e t e n s y s t e m s . In: Die Propyläen (Beilage der Münchener Zeitung) 31 (1934). S. 169 152. An d e r Q u e l l e d e r Märchen, S a g e n u n d Mythen. I n : Die P r o p y l ä e n ( B e i l a g e d. M ü n d i e n e r Ztg.) 33 ( 1 9 3 6 ) . N r . 23. S. 1 7 7 — 7 9 153. B e r u h i g t e s u n d k a t a s t r o p h a l e s W e l t b i l d . In: Die Propyläen (Beil. d. Mündiener Ztg.) 34 (1937). S. 169 154. D e r E n t w i c k l u n g 6 g e d a n k e in d e r N a t u r . In: Magdeburger Zeitung v. 1.3.1937 (1938?) 155. S a g e n h a f t e W e l t z e i t a l t e r . In: Münchner N. Nachrichten v. 20. 2. 1942 156. U b e r die E n t s t e h u n g d e r K o h l e . In: Brüsseler Ztg. v. 21. 4. 1942 (?)

236

WERK

UND

WIRKUNG

Eine Rechenschaft. Aus der nachgelassenen Selbstbiographie von E d g a r

Dacque

Erscheint im Herbst 1948

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GEISTIGE

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NATUR UND

SEELE

Ein Beitrag zur magischen Weltlehre 1926

L E B E N ALS

SYMBOL

Metaphysik einer Entwicklungslehre 1928

DIE

ERDZEITALTER 1930

VOM S I N N

DER

ERKENNTNIS

Eine Bergwanderung 1931

NATUR

UND

ERLÖSUNG

Aufsähe 1933

DEUTSCHE

NATURANSCHAUUNG

Aufsäge von Hans Andre, Arm. Müller, Edgar Dacque 1935

AUS

DER

URGESCHICHTE UND DES

DER

ERDE

LEBENS

Tatsachen und Gedanken 1936 DAS V E R L O R E N E

PARADIES

Zur Seelengesdiithte des Mensdhen 1938 * In der Zeitschrift „Corona" erschienen folgende Aufsäge von E d g a r D a c q u e : VOM

SINN

DES

NATURERKENNENS

Jahrgang 3, H e f t 2 und 3 DER

GEIST

IM

GERICHT

Jahrgang 4, H e f t 1 und 2 AUSSEN

UND

INNEN

DER

ORGANISCHEN

ENTWICKLUNG Jahrgang 6, H e f t 2 und 3 SINN UND

WESEN

Jahrgang 7, H e f t 1 SEELE

VOR

GOTT

Jahrgang 7, H e f t 5 DIE

INNERE

BEGEGNUNG

Jahrgang 8, H e f t 6 EPOCHEN

DER

GESCHICHTE

Jahrgang 8, H e f t 2 DAS

GROSSE

TRAUMGESICHT

Jahrgang 9, H e f t 5 und 6

Sämtliche Neuauflagen

Werke der

und

Zeitschriftenhefte

Werke

befinden

sich in

sind

vergriffen. Vorbereitung.