Vergessen als politische Option: Zur Einhegung interner Konflikte in der Antike 9783515135023, 9783515135061, 3515135022

Interne Konflikte bewältigten Griechen und Römer - anders als wir - nicht durch "Aufarbeitung", sondern durch

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Vergessen als politische Option: Zur Einhegung interner Konflikte in der Antike
 9783515135023, 9783515135061, 3515135022

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung: Die Irritation eines Zeitgenossen
II. Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes
1. Vergessen und interner Konflikt
2. Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae
III. Die Amnestie. Bekannte und unbekanntere Beispiele
1. Die praescribtio taciturnitatis in einer kaiserlichen Konstitution des Jahres 395 n. Chr.
2. Claudius’ Anordnung einer oblivio in perpetuum vom 25. Januar 41 n. Chr. und Ciceros Plädoyer für eine oblivio sempiterna vom 17. März 44 v. Chr.
3. Athens sogenannter Amnestiebeschluß von 403 v. Chr.
IV. Die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote
1. Zur Vergeltungsethik der Antike
2. Eine politische Option älterer Zeit: Die éklēsis des Zeus und das unversöhnliche Vergessen des Alkaios
3. Die antike „Wettbewerbskultur“
V. Eine Zwischenbilanz, oder: das politische Vergessensgebot – ein Kompromiss?
VI. Konsens und Vergessen
1. Konzepte des inneren Friedens: homónoia und concordia
2. Schweigen im öffentlichen Raum: Athen und die Aufführung der Milḗtou Hálōsis des Phrynichos um 492 v. Chr.
3. Kommunikationsabbrüche: Zwei Senatssitzungen in Rom und die beschwiegenen sententiae des Carvilius und des Helvidius Priscus, 216 v. und 69 n. Chr.
VII. Schluss. Kommunikation – Vergessen – Pazifikation
Anhang
1. Index locorum
2. Griechische und lateinische Wörter und Wendungen
3. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

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Vergessen als politische Option Zur Einhegung interner Konflikte in der Antike Frank Bernstein

Franz Steiner Verlag

Vergessen als politische Option Zur Einhegung interner Konflikte in der Antike Frank Bernstein

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13502-3 (Print) ISBN 978-3-515-13506-1 (E-Book) https://doi.org/10.25162/9783515135061

AVO PATERNO MEO NE IN OBLIVIONEM ADDVCATVR

Vorwort Vorliegende Arbeit spürt dem kollektiven Vergessen als einer politisch lancierten Verdrängung nach, stets eine politische Option in der Antike, die half, interne Konflikte einzuhegen, wenn sie nicht beizulegen waren. Sie ist angeregt durch einen irritierenden Befund, der vor dem Hintergrund unserer politischen Kultur verunsichern dürfte, denn solches Vergessen ist nicht nostri saeculi, gehört nicht in unsere Zeit. Sie ist getragen von der Überzeugung, daß die Privilegierung der Erinnerung eine rezente Errungenschaft darstellt, weniger eine kulturelle denn eine zivilisatorische Leistung, der wir uns – im außerwissenschaftlichen Bereich zumal – immer wieder aufs neue vergewissern müssen. Was läßt uns meinen, ja glauben, daß Erinnerung und die Pflege eines öffentlichen Gedächtnisses einen Normalfall darstellen? Ist nicht im Gegenteil erst im späteren 20. Jahrhundert an die Stelle des Vergessens allmählich Erinnerung getreten? Müssen wir nicht erst die tieferen politisch-kulturellen Grundlagen kollektiven Vergessens begreifen, um die befriedende Kraft des Erinnerns zu verstehen und dessen Wert zu erachten? Der Strukturwandel der Öffentlichkeit hat einen antihistorischen Moralismus verstärkt. Die auffällig zunehmenden Denkmalstürze und Umbenennungen von Straßen, Plätzen und öffentlichen Einrichtungen, um nur diese Aktionen zu nennen, zielen, so mein Eindruck, nicht auf ein berechtigtes negatives Erinnern, gleichsam auf eine Damnatio memoriae, die Gesellschaften so dringend benötigen. Sie zielen vielmehr auf eine Zerstörung von Geschichte durch Auslöschung einer Vergangenheit, die es nicht geben darf. Sie offenbaren weniger eine begründete Furcht vor der Vergangenheit denn eine irrationale Angst vor der Geschichte. Das Vergessen als kollektive Verdrängung könnte so wieder zum Normalfall werden. Mit meiner Arbeit am Vergessen hatte ich schon vor einigen Jahren begonnen, aber allmählich war ich vom Weg abgekommen. Weitere Forschungsschwerpunkte, Vortragsund Publikationsverpflichtungen, eine intensive Lehr- und Prüfungstätigkeit, auch mein politisch-administratives Engagement in der Universität haben mich immer wieder vom Gegenstand weggeführt. Zeitweilig suchte ich Trost bei Heraklit, der gesagt haben soll: „Man soll auch des Mannes gedenken, der vergißt, wohin der Weg führt.“ (FVS11 22 B 71 p. 167). – Jetzt aber, da ich diese Zeilen schreibe, wird mir überdeutlich,

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Vorwort

wie wichtig mir dieses Vorhaben war und ist, das ich ganz unzeitgemäß als drittmittelfreie Forschung betrieb. So ist allmählich – statt eines ursprünglich geplanten, großen Aufsatzes – ein kleines Buch entstanden. Sein überschaubarer Umfang läßt mich hoffen, daß es gelesen wird, vielleicht auch von Kolleginnen und Kollegen jenseits der Klassischen Altertumswissenschaften, von einem studentischen oder sogar vom ,breiten Publikum‘. Die Antike hat uns so viel zu sagen. Nicht um Vollständigkeit ging es mir, nicht um Sammlung und Ordnung aller Belege und ihrer erschöpfenden Auswertung. Es bestand die Wahl zwischen einer umfassenden Studie oder einem analytischen Essay, um einer bedenkenswerten Spur nachzugehen und größere Fragen daran zu binden, Fragen, die ihren deliberativ-tentativen, kurz: ihren suchenden Charakter nicht verhehlen. Ich habe mich für letztere Möglichkeit entschieden. Sie gab mir die Freiheit, Wesentliches zu erläutern und es nicht unter stupender Gelehrsamkeit zu begraben. Es sind gedrängte Überlegungen, die kühn große Teile der Griechischen und Römischen Geschichte in den Blick nehmen. Man möge mir nachsehen, wenn gewisse Perioden der Antike besondere Beachtung finden, andere weniger oder gar nicht. Durch die Fallbeispiele hat die Empirie die Theorie gewiß beeinflußt. Ebenso möge man mir verzeihen, daß ich bei der Dokumentation der Forschung bisweilen älteren Arbeiten den Vorzug gegeben und mich bei der Erstellung des Registers auf die Erfassung des Befundes beschränkt habe. Jedenfalls hoffe ich, die Leserinnen und Leser zumindest von der Relevanz des Problems überzeugen zu können, wenn nicht – möge man es und dieses kleine Buch einfach vergessen. In zahlreichen Vorträgen und Diskussionen konnte ich meine Überlegungen vorstellen und erproben, an den Universitäten Augsburg, Berlin (Humboldt), Bielefeld, Duis­ burg-Essen, Frankfurt am Main, Mainz, München, auch am Landesmuseum Bonn sowie an der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in München und an der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts. Die durchweg positive Resonanz der Auditorien, wie ich sagen darf, hat mich – ehrlich gesagt – überrascht und darin bestärkt, meine Fragen weiterzuverfolgen. Darüber hinaus habe ich über die Jahre auch von vielen informellen Gesprächen ungemein profitiert. So ist vielen Kolleginnen und Kollegen viel Dank abzustatten, für Einladungen zum Vortrag, für freundliche Hinweise, für die Ermunterung weiterzumachen, überhaupt für das große Interesse, das man dem Gegenstand entgegenbrachte, so auch Thomas Schaber, dem Leiter des Franz Steiner Verlags, der ohne Umschweife bereit war, dieses Buch zu veröffentlichen. Besonders hervorheben möchte ich schließlich Leonhard Schumacher, meinen Mentor seit so vielen Jahren, Uwe Walter, meinen freundschaftlich verbundenen Kollegen, nicht zuletzt Ulla Saal, meine Lebensgefährtin.

Vorwort

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Gewidmet ist dieses Buch meinem Großvater Albert Bernstein (1880–1945), der als rassifizierter Jude nach Auschwitz deportiert und schließlich in Dachau ermordet wurde. Möge er nicht vergessen werden. Duisburg am Rhein und Frankfurt am Main, im Februar 2023

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung Die Irritation eines Zeitgenossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes. . . . . . . . . . . . . . 19 1.. Vergessen und interner Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.. Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Die Amnestie Bekannte und unbekanntere Beispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1..Die praescribtio taciturnitatis in einer kaiserlichen Konstitution des Jahres 395 n. Chr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.. Claudius’ Anordnung einer oblivio in perpetuum vom 25. Januar 41 n. Chr. und Ciceros Plädoyer für eine oblivio sempiterna vom 17. März 44 v. Chr. . . . . . 33 3.. Athens sogenannter Amnestiebeschluß vom September 403 v. Chr.. . . . . . . . . . 37 IV. Die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.. Zur Vergeltungsethik der Antike. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.. Eine politische Option älterer Zeit: Die éklēsis des Zeus und das unversöhnliche Vergessen des Alkaios. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.. Die antike „Wettbewerbskultur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 V. Eine Zwischenbilanz, oder: das politische Vergessensgebot – ein Kompromiß?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 VI. Konsens und Vergessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.. Konzepte des inneren Friedens: homónoia und concordia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.. Schweigen im öffentlichen Raum: Athen und die Aufführung der Milḗtou Hálōsis des Phrynichos um 492 v. Chr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

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Kommunikationsabbrüche: Zwei Senatssitzungen in Rom und die beschwiegenen sententiae des Carvilius und des Helvidius Priscus, 216 v. und 69 n. Chr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

VII..Schluß Kommunikation – Vergessen – Pazifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1.. Index locorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.. Griechische und lateinische Wörter und Wendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

I. Einleitung Die Irritation eines Zeitgenossen

Im Horizont vieler wissenschaftlicher Disziplinen hat das hier interessierende Vergessen seinen festen Platz. Die Bemühungen der Philosophie reichen unterdessen weit über Friedrich Nietzsches Lob des Vergessens in dessen Zweiter unzeitgemäßer Betrachtung und Genealogie der Moral1 hinaus, doch er vor allem hat uns daran erinnert, daß das Vergessen das Leben feiert. Psychologie und Psychatrie verfolgen seit Sigmund Freud 2 besonders die Frage nach der Verdrängung als einem innerlichen Abwehrmechanismus, ein Ende ist nicht in Sicht. Und an der Spitze der Philologien steht mit Recht ein vielbeachtetes Buch des Romanisten Harald Weinrich zur Kunst und Kritik des Vergessens, das den schönen Titel Lethe trägt3 und über disziplinäre Grenzen hinweg stark anregte.4 Ihm sind die Arbeiten der Anglistin und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann an die Seite zu stellen, die zu einer Theorie des Vergessens und

1 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, Leipzig 1874; Nachdruck (z. B.) in: Ders., Werke in drei Bänden I, hrsg. von Karl Schlechta, München 1954, 209–285, hier bes. 212 f.; F. N., Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift, Leipzig 1887; Nachdruck (z. B.) in: Ders., Werke […] II, […] 1955, 761–900, hier bes. 799 f. – Siehe auch seine schönen Verse in den Dionysos-Dithyramben, seiner dem Zarathustra angehängten letzten Publikation, im Gedicht Die Sonne sinkt (3): „Was je schwer war, / sank in blaue Vergessenheit, – / müssig steht nun mein Kahn.“ Zitiert nach: Ders., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Vierter und letzter Theil, Leipzig 1891, 11 f.; Nachdruck (z. B.) in: Ders., Werke […] II, 1255. 2 Vgl. vor allem Sigmund Freud, Die Verdrängung, Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse 3, 1915, 129–138; Nachdruck in: Ders., Gesammelte Werke, chronologisch geordnet X: Werke aus den Jahren 1913–1917, hrsg. von Anna Freud u. a., London 1946, 248–261. 3 Harald Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, München 32000 [zuerst 1997]. Siehe auch Dens., Gibt es eine Kunst des Vergessens?, (Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen; 1) Basel 1996. – Vgl. im übrigen Dens., Privates und öffentliches Vergessen, ZIF-Mitteilungen 1, 1998, 8–20, sowie zur grundsätzlichen Orientierung seinen schönen Überblick im HWPh XI, 2001, 671–676 s. v. Vergessen, das. 4 Vgl. etwa die kleine Arbeit des Sinologen Hans-Georg Möller, Erinnern und Vergessen. Gegensätzliche Strukturen in Europa und China, Saeculum 50, 1999, 235–246.

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dessen Typologie gleichermaßen beizutragen suchen.5 Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive schließlich, um die Reihe der Beispiele zu beenden, hat Bradford Vivian auf das produktiv-reziproke Verhältnis von „memory“ und „forgetting“ eindringlich hingewiesen und damit sogar für ein Vergessen geworben.6 Aber auch die Allgemeine Geschichtswissenschaft hat sich dem Problem zunehmend gestellt – und das nicht allein ihr philosophisch und theoretisch informierter Zweig7 und nicht nur in Antithese zum vielbehandelten Komplementärkonzept der Erinnerung, das seit so langer Zeit so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Heuristische Komposita wie „Erinnerungsort“, „Erinnerungskultur“, „Erinnerungsdiskurs“ u. a. beherrschen die Sprache der Historikerinnen und Historiker, wenn sie sie nicht mitunter gar tyrannisieren. Als Historiker über das Vergessen zu sprechen scheint paradox. Ein methodischer Vorbehalt steht im Wege. Denn es ist ja gerade die Erinnerung, in welcher Form auch immer sie daherkommt, die ihn sprechen läßt. Aber: Wir wissen eben auch, wie sehr das Vergessen die Erinnerung formt, zumal dann, wenn es geschickt lanciert wird. Schließlich ermöglicht erst das Vergessen, die Verfügungsmacht über die Vergangenheit zu errichten. Und ist man damit erfolgreich, sind alle Spuren verwischt. In diesem Fall wissen Historiker nicht einmal mehr, was sie hätten wissen können. Vom buchstäblichen Vergessen kann also und soll auch nicht die Rede sein. Allenfalls partielles Vergessen, weit häufiger die Verdrängung kann die Geschichtswissenschaft aus der Überlieferung bergen. Allein, es liegen zwar transepochale Sammelbände vor,8 doch kann es nicht überraschen, daß die wesentliche Diskussion intraepochal geführt wird. Die Bemühungen der Neu(er)en Geschichte, zumal der Zeitgeschichte, kämpfen mit einem Handicap. Von den Gründen wird gleich die Rede sein. Die Historische Mediävistik hat es leichter, ja ist aufgrund ihrer zeitlichen Distanz gewissermaßen im Vorteil – genauso wie die Alte Geschichte. Auch sie hat in den jüngeren Jahren, zumal im Verbund mit ihren altertumswissenschaftlichen Geschwistern der Klassischen Archäologie und insbe-

Siehe zuletzt Aleida Assmann, Formen des Vergessens, (Historische Geisteswissenschaften. Frankfurter Vorträge; 9) Göttingen 2016 = 42018. 6 Bradford Vivian, Public Forgetting: The Rhetoric and Politics of Beginning Again, University Park, Pennsylvania 2010. 7 Eine Tour d’horizon bietet Lucian Hölscher, Geschichte und Vergessen, HZ 249, 1989, 1–17. 8 Siehe nur Yosef Hayim Yerushalmi / Nicole Loraux / Hans Mommsen / Jean-Claude Milner / Gianni Vattimo, Usages de l’oubli, Paris 1988; Günter Butzer / Manuela Günter (Hrsgg.), Kulturelles Vergessen: Medien – Rituale – Orte, (Formen der Erinnerung; 21) Göttingen 2004; Reiner Marcowitz / Werner Paravicini (Hrsgg.), Vergeben und Vergessen? Vergangenheitsdiskurse nach Besatzung, Bürgerkrieg und Revolution / Pardonner et oublier? Les discours sur le passé après l’occupation, la guerre civile et la révolution, (Pariser Historische Studien; 94) München 2009. 5

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sondere der Klassischen Philologie9, die Diskussion zu bereichern versucht und den Gegenstand zunehmend aufgeschlossen. Es überwiegen die gewiß nötigen Tiefenstudien, auf sie soll an geeigneter Stelle verwiesen werden. Hervorgehoben freilich seien die Arbeiten von Egon Flaig, der sich schon früh dem Vergessen widmete.10 Unter den nur wenigen übergreifenden Erörterungen aus althistorischer Feder stechen kleinere Arbeiten von Christian Meier hervor,11 dessen Ausführungen, so sehr sie sich auf die Griechische Geschichte konzentrierten, auch die nachantiken Epochen in den Blick nahmen und insbesondere in zeitgeschichtliche Debatten um die Jahrtausendwende eingriffen. „Im Fach“ fanden sie auffallend wenig Beachtung, meinen folgenden Überlegungen allerdings gaben sie starke Anregungen, was nicht verschwiegen werden soll. Einen Impuls prinzipieller Art aber erhielten sie durch eine erhebliche Irritation des Autors als Zeitgenossen des ausgehenden 20. und des frühen 21. Jahrhunderts. Vom ,süßen Vergessen‘, dem einige Gefährten des Odysseus durch den Genuß der „honigsüßen Frucht“ der Lotophagen

Vgl. etwa Michèle Simondon, La mémoire et l’oubli dans la pensée grecque jusqu’à la fin du Ve siècle avant J.-C. Psychologie archaïque, mythes et doctrines, (Collection d’études mythologiques) Paris 1982; Martin Hose, Die Kehrseite der Memoria oder Über Möglichkeiten des Vergessens von Literatur in der Antike, A & A 48, 2002, 1–17; Dens., Die Erforschung des Vergessens als Aufgabe der Klassischen Philologie, in: Jürgen Paul Schwindt (Hrsg.), Klassische Philologie inter disciplinas. Aktuelle Konzepte zu Gegenstand und Methode eines Grundlagenfaches, (Bibliothek der Klassischen Altertumswissenschaften. N. F. 2. Reihe; 110) Heidelberg 2002, 41–49; David Samuel Levene, ,You shall blot out the memory of Amalek‘: Roman Historians on Remembering to Forget, in: Beate Dignas / Roland Ralph Redfern Smith, Historical and Religious Memory in the Ancient World, Oxford 2012, 217–239; Katharina Wojciech, Kollektives Vergessen in Athen. Paul Ricœur und die attische Rhetorik, in: Astrid Möller (Hrsg.), Historiographie und Vergangenheitsvorstellungen in der Antike. Beiträge zur Tagung aus Anlass des 70. Geburtstages von Hans-Joachim Gehrke, Stuttgart 2019, 131–147; Verena Schulz, Die Erzeugung von ,Vergessen‘ in der römischen Historiographie, in: ebd. 149–164; Dies., tenerorum oblitus amorum (Tr. 5,7a,21). Das ,Vergessen‘ in Ovids Tristia und Epistulae ex Ponto, Gymnasium 126, 2019, 567–591; Carlos Hernández Garcés, Forgetfulness as a Narrative Device in Herodotus’ Histories, in: Katharine Mawford / Eleni Ntanou (Eds.), Ancient Memory: Remembrance and Commemoration in Graeco-Roman Literature, (Trends in Classics – Supplementary Volumes; 119) Berlin/Boston 2021, 267–290. 10 Egon Flaig, Amnestie und Amnesie in der griechischen Kultur. Das vergessene Selbstopfer für den Sieg im athenischen Bürgerkrieg 403 v. Chr., Saeculum 42, 1991, 129–149; Ders., Der verlorene Gründungsmythos der athenischen Demokratie. Wie der Volksaufstand von 507 v. Chr. vergessen wurde, HZ 279, 2004, 35–61; Ders., Politisches Vergessen. Die Tyrannentöter – eine Deckerinnerung der athenischen Demokratie, in: Butzer/Günter (2004) 101–114. Siehe auch Dens., Soziale Bedingungen des kulturellen Vergessens, in: Wolfgang Kemp / Gert Mattenklott / Monika Wagner / Martin Warnke (Hrsgg.), Vorträge aus dem Warburg-Haus III, Berlin 1999, 31–100. 11 Christian Meier, Erinnern – Verdrängen – Vergessen. Zum öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit in Geschichte und Gegenwart, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften). Berichte und Abhandlungen 3, 1997, 59–99 (vgl. schon Dens., Erinnern – Verdrängen – Vergessen, Merkur 50, 1996, 937–952). Siehe dann, in großen Teilen wiederholend, aber auch darauf aufbauend, das kleine Buch von Dems., Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit, München 2010. 9

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erlagen,12 soll eben nicht die Rede sein, vielmehr vom unmöglichen, das als Vergessen allenfalls Verdrängung sein kann. Der Historiker kann Gegenwärtigkeit(en) nur anerkennen, sonst wäre er nicht Chronist des Wandels und des Gewordenen, sondern nur ein Antiquar unreflektiertesten Sinnes. Und doch bleibt er angesichts der Geschichte bisweilen irritiert zurück, auch und gerade als Zeitgenosse. Die Einsicht, daß mahnende Erinnerung keinesfalls selbstverständlich, weniger eine kulturelle denn zivilisatorische Errungenschaft des späten 20. Jahrhunderts ist, der wir uns stets und immer wieder aufs neue vergewissern müssen, diese Einsicht verunsichert. Der Frieden, den zumindest große Teile West- und Mitteleuropas seit längerer Zeit genießen, ist prekär. Seine Prekarität beunruhigt und führt zu der Frage, welche die tieferen Gründe sind und ob es einen wirklichen Zusammenhang zwischen Erinnerung und Frieden und auch Aussöhnung gibt oder ob es sich nicht ganz anders verhält. Mit dieser Frage freilich berühre ich einen Komplex, der in unserer politischen Kultur als alles andere denn politisch korrekt gilt. Auf die Greueltaten, die im besonders tragischen 20. Jahrhundert im Zuge innerer wie äußerer Kriege und Revolutionen begangen wurden, brauche ich im einzelnen nicht zu verweisen. Gegen deren Vergessen arbeiten insbesondere die westlichen Demokratien auf unterschiedliche Weise und mit allem Recht an, sei es legislativ, sei es pädagogisch. Wie lange es tatsächlich brauchte, auch und gerade in der „Alten Bundesrepublik“,13 wird mitunter unterschätzt, wie viel wir Fritz Bauer verdanken, dem hessischen Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main seit 1956, nicht minder.14 Daß die Verdrängung der Deutschen in der frühen Nachkriegszeit, jenes „Schlußstrich-Denken“ von „Verführten“, noch in den 1980er Jahren der seinerzeit prominente Philosoph Hermann Lübbe als eine „gewisse Zurückhaltung“ mit integrierender Wirkung „in den neuen demokratischen Staat“ zu semantisieren und dadurch zu würdigen suchte, spricht für sich.15

Vgl. Hom. Od. 9,82–104 (94: μελιηδέα καρπόν). Vgl. in diesem Zusammenhang nur Ulrich Herbert, Rückkehr in die Bürgerlichkeit? NS-Eliten in der Bundesrepublik, in: Bernd Weisbrod (Hrsg.), Rechtsradikalismus in Niedersachsen nach 1945, Hildesheim 1995, 1–17; Nachdruck unter dem Titel „NS-Eliten in der Bundesrepublik“, in: U. H., Wer waren die Nationalsozialisten?, München 2021, 241–261 mit 276–278; Norbert Frei, Amnestiepolitik in den Bonner Anfangsjahren. Die Westdeutschen und die NS-Vergangenheit, Kritische Justiz 29, 1996, 484–494; Nachdruck unter dem Titel „Amnestiepolitik in den Anfangsjahren der Bundesrepublik“, in: Gary Smith / Avishai Margalit (Hrsgg.), Amnestie oder Die Politik der Erinnerung in der Demokratie, (edition suhrkamp; 2016) Frankfurt am Main 1997, 120–137. 14 Hervorgehoben seien die späten öffentlichkeitswirksamen Würdigungen: Gedenkakt aus Anlass des 50. Todestages von Fritz Bauer, 1. Juli 2018, Paulskirche, Frankfurt am Main, hrsg. vom Fritz Bauer Institut, Göttingen 2018; die jüngst, am 1. Dezember 2022, Fritz Bauer posthum verliehene Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. 15 Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewußtsein, HZ 236, 1983, 579–599; Nachdruck als: Der Nationalsozialismus im Bewußtsein der deutschen Gegenwart, in:

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Nicht „Bewältigung“, vielmehr „Aufarbeitung“ ist erst allmählich zum Leitbegriff und zur Leitidee einer verantwortungsbewußten Geschichtspolitik geronnen, so sehr auch dieses Konzept eine gewisse Vorstellung von Abgeschlossenheit transportiert. Gedenktage, aber auch Jubiläen, die sich immer finden, fixieren die mannigfaltigen Formen des Erinnerns kalendarisch und beschleunigen den oft medial inszenierten Takt des Gedenkens. Ja, eine in sogenannten Supergedenkjahren boomende Erinnerungs- und Gedächtniskultur setzt eine Disziplin wie die Zeitgeschichte zumal politisch unter Druck und diktiert ihre Themen16 – oft zu Lasten anderer Dringlichkeiten. Dies aber ist, aufs Ganze gesehen, ein Befund, der von der Geschichte – sehen wir von der jüdischen Kultur ab – nicht gedeckt wird. In der Regel nämlich, wohlgemerkt: in der Regel begegnet einem nach Kriegen, Bürgerkriegen und Revolutionen das Bemühen, Geschehenes zu vergessen, ja vergessen zu machen, häufig vor allem durch Gewährung von Straflosigkeit, um Frieden herzustellen und ihn zu sichern. Ich verweise allein auf die universalgeschichtliche Studie Krieg und Frieden im Friedensvertrag von Jörg Fisch, die weit ausgreift und zeitlich tief ansetzt.17 Diese wichtige Arbeit versammelt zahlreiche Beispiele verschiedenster Kulturen und hebt jene auffällige und irritierende, ja verunsichernde Tatsache ins Bewußtsein. Nur ein Beispiel, ein bekanntes, ein frühneuzeitliches sei angeführt. Im Westfälischen Frieden von 1648 heißt es: Sit utrinque perpetua oblivio et Amnestia omnium eorum, quae ab initio horum motuum quocunque loco modove ab una vel altera parte ultro citroque hostiliter facta sunt, […]. Auf beiden Seiten soll eine ewige Vergessenheit und Amnestie alles dessen sein, was seit Beginn dieser Vorfälle an welchem Ort und auf welche Seite hinüber und herüber an feindseligen Akten verübt worden ist, […].18

Geben wir uns aber keinen Illusionen hin. Das Vergessen, zumal als perpetua oblivio, als „ewige Vergessenheit“, konnte immer nur ein frommer Wunsch sein. Das starke Gedächtnis der Besiegten, ja der Opfer dürfte Verfügungen des Vergessens stets entgegengewirkt haben. Nicht anders wird es im griechisch-römischen Altertum gewesen

Ders., Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Graz/Wien/Köln 1989, 334–350, hier 341. 16 Siehe etwa die Bedenken von Martin Sabrow, Das Unbehagen an der Aufarbeitung, F.A.Z. vom 12. Januar 2009, Seite 25. 17 Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, (Sprache und Geschichte; 3) Stuttgart 1979. 18 Friedensvertrag von Osnabrück zwischen dem Kaiser und Schweden vom 24. Oktober 1648 (Text und Übers. nach Fisch [1979] 680).

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Einleitung

sein, in jener an äußeren wie inneren Kriegen (vielleicht auch Revolutionen) keineswegs armen Epoche.19 Die enorme Konflikthaltigkeit der Antike steht außer Frage. Arthur Geoffrey Woodhead erinnerte einmal sehr eindringlich an eine Banalität,20 die wir uns nicht oft genug ins Bewußtsein heben können: Die großen historiographischen Texte der Antike wie die von Herodot und Thukydides oder von Sallust und Livius berichten zunächst und vor allem von äußeren und inneren Konflikten. Das Epos steht nicht nach, ohnehin Vorbild für die Geschichtsschreibung, wenn Homer in der Ilias von der μῆνις, vom „Zorn“, und Vergil in der Aeneis von den arma, von den „Waffen“, singen. Die Beispiele ließen sich leicht fortsetzen. Die antiken Staaten waren Kriegergesellschaften, das Rom der Kaiserzeit zumal ein waffenstarrender, höchst effektiver Militärstaat. Kriege und mit ihnen erfahrenes Leid, physische Versehrtheit und psychische Belastung, waren allgegenwärtig, ja überhaupt unbändige Gewaltanwendung,21 und beherrschten die politisch-sozialen Ordnungen von Hellas und Rom. Und doch war „der Antike“ das kollektive Vergessen eine politische Option. Wie konnte das sein? Diese Frage bedarf zunächst einer Eingrenzung, der Gegenstand einer Abgrenzung, denn das im folgenden interessierende Vergessen kann leicht mißverstanden werden.

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Vgl. die typologischen Überlegungen von Martin Zimmermann, Antike Kriege zwischen privaten Kriegsherren und staatlichem Monopol auf Kriegführung, in: Dietrich Beyrau / Michael Hochgeschwender / Dieter Langewiesche (Hrsgg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, (Krieg in der Geschichte; 37) Paderborn/München/Wien/Zürich 2007, 51–70. Siehe Arthur Geoffrey Woodhead, Conflict and Ancient Society, in: June W. Allison (Ed.), Conflict, Antithesis, and the Ancient Historian, Columbus 1990, 1–24 mit 159–163, hier 1 f. Zum besseren Verständnis antiker Gewaltdarstellungen vgl. das wichtige Buch von Martin Zimmermann, Gewalt. Die dunkle Seite der Antike, München 2013.

II. Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes

Im Vergessen liegt eine beängstigende Kraft. Der Trost individuellen Vergessens ist unstrittig, mag es auch nur eine Verdrängung sein, die doch irgendwann mit allen schlimmen Folgen ins Bewußtsein drängt. Vielleicht – Wer kann dies wissen? – rechnet es sogar zu den sogenannten anthropologischen Konstanten und stellt ein überzeitliches Phänomen individueller Konfliktbewältigung dar. Kollektives Vergessen aber, das, wie angedeutet, als auffällige politische Option antikes Empfinden, Denken und Handeln mitbestimmte, führt – so die Evidenz der Überlieferung – weniger auf die Bewältigung außenpolitischer Versäumnisse bis Fehler als auf die Einhegung interner Konflikte in Polis und Res publica. 1. Vergessen und interner Konflikt Die Instabilität der antiken Gemeinwesen war virulent, zumal der griechischen,1 sehen wir von Spartas innerer, früh als eunomía gerühmter „Wohlordnung“ ab. Roms Geschichte scheint, vordergründig betrachtet, dagegen zu stehen. Seine innere Ordnung wurde kaum zufällig gerne mit der peloponnesischen Polis verglichen. Indes schon die „Ständekämpfe“, ferner ein mit „Krise“ überschriebenes, langes Jahrhundert der Paralyse der Republik und schließlich die von wiederholten, gewaltsamen „Vier-Kaiser-Jahren“ begleiteten Principatswechsel erinnern daran, daß ebenso die res publica Romana immer wieder von internen Konflikten erschüttert wurde. Auch wenn die Römische Geschichte in der Urbs ihr Zentrum findet, die Griechische Geschichte hingegen von einer Polyzentrik bestimmt ist, so auch keine Ordnungsmacht von Dauer aufweisen kann, Roms Entwicklung war über die großen Erschütterungen hinaus immer wie1

Vgl. im Überblick den schönen Essay von Peter John Rhodes, Instability in the Greek Cities, in: Valerij Goušchin / P. J. R. (Eds.), Deformations and Crises of Ancient Civil Communities, Stuttgart 2015, 27–46.

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Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes

der auch durch Unruhen bis Aufstände ,auf unterer Ebene‘ in den zahlreichen Städten Italias und des Imperium Romanum herausgefordert,2 was leicht übersehen werden kann. Der interne Konflikt, die στάσις, der πόλεμος ἐμφύλιος respektive die seditio, das bellum civile, war im griechisch-römischen Altertum ubiquitär – und ein anhaltendes Problem. Die Forschung hat ihm breite Aufmerksamkeit gewidmet.3 Bereits in der Antike suchte man dem Problem auf theoretischer Ebene beizukommen. In einer von inneren Unruhen bis Kriegen gequälten Welt führte die stets drängende Frage nach der Stabilität der politisch-sozialen Ordnung schon bald zu der Überlegung, ob nicht eine Mischung von Monarchie, Aristokratie und Demokratie einen Ausgleich widerstreitender Interessen und Kräfte sichern und damit einen durch jeweiligen Verfall sich vollziehenden Kreislauf der Verfassungen aufhalten könne.4 Seit Platons theoretisch hochreflektierter Durchdringung des Problems riß die Diskussion nicht 2

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Dazu etwa Thomas Pekáry, Seditio. Unruhen und Revolten im Römischen Reich von Augustus bis Commodus, AncSoc 18, 1987, 133–150, und Julia Sünskes Thompson, Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum. Die severischen Kaiser im Spannungsfeld innenpolitischer Konflikte, Bonn 1990, mit der Rezension von Peter Herz, BJ 192, 1992, 625–629. Siehe vor allem Dirk Loenen, Stasis. Enige Aspecten van de Begrippen Partij- en Klassenstrijd in Oud-Griekenland, Amsterdam 1953; Andrew Lintott, Violence, Civil Strife and Revolution in the Classical City, 750–330 BC, London/Canberra 1982; Hans-Joachim Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., (Vestigia; 35) München 1985; Shlomo Berger, Revolution and Society in Greek Sicily and Southern Italy, (Historia-Einzelschriften; 71) Stuttgart 1992; Astrid Dössel, Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5.–3. Jahrhundert v. Chr., (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 954) Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/ Wien 2003; Benjamin Gray, Stasis and Stability: Exile, the Polis, and Political Thought, c. 404–146 BC, Oxford 2015; Carsten Hjort Lange, Stasis and Bellum Civile: A Difference in Scale?, Critical Analysis of Law 4, 2017, 129–140; Henning Börm, Mordende Mitbürger. Stasis und Bürgerkrieg in griechischen Poleis des Hellenismus, (Historia-Einzelschriften; 258) Stuttgart 2019; Uwe Walter, An der Stasis teilhaben: Assoziation und Dissoziation als Handlungsmuster im griechischen Bürgerstaat, in: Friedemann Buddensiek / Sebastian Odzuck (Hrsgg.), Praxis – Handeln und Handelnde in antiker Philosophie. Akten des 6. Kongresses der Gesellschaft für antike Philosophie 2019, (Beiträge zur Altertumskunde; 397) Berlin/Boston 2023, 307–328, sowie die Sammelbände von Brian W. Breed / Cynthia Damon / Andreola Rossi (Eds.), Citizens of Discord: Rome and Its Civil Wars, Oxford/New York 2010; Henning Börm / Marco Mattheis / Johannes Wienand (Eds.), Civil War in Ancient Greece and Rome: Contexts of Disintegration and Reintegration, (Heidelberger Althisto­ rische Beiträge und Epigraphische Studien; 58) Stuttgart 2016, und von Stefan Pfeiffer / Gregor Weber (Hrsgg.), Gesellschaftliche Spaltungen im Zeitalter des Hellenismus (4.–1. Jahrhundert v. Chr.), (Oriens et Occidens; 35) Stuttgart 2021. Hingewiesen sei vor allem auf Wilfried Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, (Geschichte und Gesellschaft. Bochumer Historische Studien; 21) Stuttgart 1980 (s. auch konzise Dens., DNP VIII, 2000, 255–257 s. v. Mischverfassung, sowie – aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive – DNP RuWg XV 1, 2001, 441–447 s. v.), und Andrew Lintott, The Theory of the Mixed Constitution at Rome, in: Jonathan Barnes / Miriam Griffin (Eds.), Philosophia togata II: Plato and Aristotle at Rome, Oxford 1997, 70–85. – Zu den Voraussetzungen bleibt wichtig Jochen Bleicken, Zur Entstehung der Verfassungstypologie im 5. Jahrhundert v. Chr. (Monarchie, Aristokratie, Demokratie), Historia 28, 1979, 148–172; Nachdruck in: Ders., Gesammelte Schriften I, hrsg. von Frank Goldmann, Markus Merl, Markus Sehlmeyer und Uwe Walter, Stuttgart 1998, 68–92.

Vergessen und interner Konflikt

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ab. Vor allem ihre empirisch gesättigte und systematisierende Wiederaufnahme durch Aristoteles konnte die Idee der Mischverfassung nur zusätzlich adeln. Polybios sodann, den die Frage umtrieb, πῶς καὶ τίνι γένει πολιτείας ἐπικρατηθέντα σχεδὸν ἅπαντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουμένην […] ὑπὸ μίαν ἀρχὴν ἔπεσε τὴν Ῥωμαίων, „wie und durch welche Art von Verfassung bezwungen beinahe alle Länder der bewohnten Erde […] unter die einzige Herrschaft der Römer fielen“ (1,1,5), sah solches griechisches Ideal in Rom verwirklicht. Für ihn hat Roms Mischverfassung nicht nur die Stabilität der inneren Ordnung, sondern auch den außenpolitischen Erfolg der Urbs ermöglicht. Neue Wirkung entfalten mächtige Ideen kaum überraschend in Krisenzeiten – so auch in der von inneren Kämpfen geschüttelten Späten Republik: Kein geringerer als Cicero hat die Mischverfassungstheorie aufgegriffen und besonders im ersten und zweiten Buch seiner Schrift De re publica vor dem römischen Erfahrungs- wie Erwartungshorizont breit diskutiert – und neu akzentuiert. Seine Wirkung wiederum war und ist ungebrochen, beschäftigt bis heute die politische Theorie, wenn sie Fragen der Teilung von Macht diskutiert.5 All das ist sattsam bekannt, dieses prominente Beispiel politischen Denkens sollte allerdings daran erinnern, daß die Frage nach der Stabilität der antiken Gemeinwesen kein abstraktes Gedankenspiel war, sondern durch die Erfahrungen der Wirklichkeit diktiert wurde. Stabilität ließ sich jedoch auch auf andere Weise erreichen – beziehungsweise wiederherstellen. Im folgenden sei eine kleinere Spur der antiken politischen Ideengeschichte aufgenommen und für die griechische wie für die römische Welt verfolgt. Ihre theoretische Durchdringung kann es zwar, soweit wir sehen, bei weitem nicht mit der Mischverfassungstheorie aufnehmen, so daß selbst eine bloße Diskursrekonstruktion aussichtslos bleiben muß. Aber es finden sich zumindest Anhaltspunkte, die eine für uns verschüttete Diskussion erahnen lassen. Die an politischer Einsicht so reiche Antike hat bisweilen auf das Vergessen als aussöhnendes und friedenstiftendes Instrument gesetzt. Bei internen Konflikten tritt uns das Vergessen als politische Option entgegen. Es diente freilich weniger der Konfliktbeilegung, vielmehr der Konflikteinhegung, wie eine beiläufige Bemerkung in einer Rede des Ailios Aristeides an die Rhodier um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. ahnen läßt, die an ihre „Eintracht“, ὁμόνοια, appellierte (24 [Ῥοδίοις περὶ ὁμονοίας],41 Keil). Da so viele Übel der stásis innewohnen (τοσαῦτα ἐνεῖναι κακὰ τῇ στάσει), so der Redner, sei es vorteilhaft, […] σιωπᾶν μᾶλλον ἢ κινεῖν τὴν μνήμην ὧν ἕκαστοι πεπόνθασιν […]. […] eher zu schweigen als die Erinnerung (daran) aufzurühren, was jeder einzelne erlitten hat […].

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Siehe etwa Alois Riklin, Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006.

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Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes

Ein σιωπᾶν oder auch die σιωπή, das schließliche Schweigen über den internen Konflikt, seine kommunikative Verdrängung aus dem öffentlichen Raum, war, wie sich andeutet, die erfahrungsgesättigte Ultima ratio. Buchstäblich beigelegt konnte der interne Konflikt wohl kaum werden, allenfalls einhegen konnte man ihn, da er unterschwellig schwelte. Und so lesen wir, geradezu lehrbuchmäßig zugespitzt, in den frühkaiserzeitlichen Controversiae, in den Streitfällen des älteren Seneca (contr. 10,3,5): Optima civilis belli defensio oblivio est. Die beste Abwehr des Bürgerkrieges ist das Vergessen.

Worauf gründen solche Aussagen, die auf das Vergessen als politische Option setzen? Mit anderen Worten: Gibt es in der Antike besondere mentale Dispositionen, welche solches kollektives Vergessen erzwingen, was auf eine politische Notwendigkeit führt? Dann: In welchem Verhältnis stehen Optionalität und gegebenenfalls Notwendigkeit kollektiven Vergessens zur so eigenen Konfliktunfähigkeit der politischen Kulturen Griechenlands und Roms? Schließlich: Besteht womöglich ein Zusammenhang zwischen dem Vergessen und der aus solcher Konfliktunfähigkeit resultierenden Totalität des Konsenses als eines politisch unhintergehbaren Gebots? All diese Fragen sollen die folgenden Überlegungen leiten und bestimmen die argumentative Disposition vorliegender Arbeit. Nicht als Antithese zur Erinnerung also, sondern als einem Phänomen eigener Art sei dem kollektiven Vergessen als einer politisch lancierten Verdrängung und einem Instrument der Aussöhnung (sic!) nachgespürt (von „Versöhnung“, einer uns allzu geläufigen Auffassung, die gewiß zu sehr durch die jüdisch-christliche Tradition bestimmt ist und Vorstellungen von „Vergeben“ und „Verzeihen“ einschließt, wird nicht die Rede sein). Pragmatik u n d Semantik kollektiven Vergessens, die Umsetzung jener Idee in die politische Praxis u n d ihre jeweilige Bedeutung, warum und unter welchen politisch-kulturellen Bedingungen man also in der Antike bei der Einhegung interner Konflikte auch immer wieder für das Vergessen optierte, stehen im Zentrum der Überlegungen. Durch eine Untersuchung von naheliegenden bis unvermuteten Fallbeispielen soll nicht zuletzt den durch sie aufgeworfenen Fragen nach dem politisch-kulturellen Fundament nachgespürt werden. Um so nötiger ist neben dieser Eingrenzung des Gegenstandes seine sorgfältige Abgrenzung, denn allzu schnell schieben sich vielleicht falsche Erwartungen unter.

Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae

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2. Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae Es gibt lanciertes Vergessen, das eindrucksvoll scheitert, im Gegenteil die Erinnerung verstärkt. Man denkt vielleicht an jenen Brandstifter, der im Jahre 356 v. Chr. den Arte­mis-Tempel von Ephesos auf spektakuläre Weise zerstörte, unter Folter als Motiv Ruhmsucht gestand, worauf die Ephesier den Beschluß faßten, sein Name dürfe nie wieder genannt werden.6 Und doch kennen wir den Namen des wohl oft fälschlich als Psychopathen eingestuften Pyromanen, der seine Untat sogar angeblich am Tage der Geburt Alexanders d. Gr. beging – weil sich jemand nicht daran hielt und Theopomp ihn schließlich wohl in seinen Philippikaí historíai ausdrücklich nannte: Herostratos. So brachte er es sogar zu einem Eintrag in einem einschlägigen modernen Lexikon der Onomastik.7 Auf Ruhmlosigkeit zielte dieses Vergessen der Ephesier und erinnert in gewisser Hinsicht an die römische, lange Zeit vor allem juristisch verstandene damnatio memoriae,8 besser: Damnatio memoriae, handelt es sich doch um einen modernen Ausdruck, wie schon Friedrich Vittinghoff unterstrichen hat.9

Vgl. insbesondere Val. Max. 8,14 ext. 5, freilich ohne Nennung des Namens: Illa vero gloriae cupiditas sacrilega: inventus est enim qui Dianae Ephesiae templum incendere vellet, ut opere pulcherrimo consumpto nomen eius per totum terrarum orbem dissiceretur, quem quidem mentis furorem eculeo inpositus detexit. ac bene consuluerant Ephesii decreto memoriam taeterrimi hominis abolendo, nisi Theopompi magnae facundiae ingenium historiis eum suis conprehendisset. Übrigens, soweit ich sehe, nicht in Jacobys FGrH erfaßt. – Die literarische Tradition ist breit (s. die übersichtliche Zusammenstellung der Zeugnisse in Forschungen in Ephesos I, veröffentlicht vom Österreichischen Archaeologischen Institute, Wien 1906, 262–264), doch nur wenige Zeugen nennen den Namen des Brandstifters. Vgl. die Notizen des Strab. 14,1,22 (C 640), und Ail. nat. 6,40, sowie den interessanten Bericht des Solin. 40,2–4. – Siehe generell Gerhard Plaumann, RE VIII 1, 1912, 1145–1146 s. v. Herostratos 2; Stefan Karwiese, Groß ist die Artemis von Ephesos. Die Geschichte einer der großen Städte der Antike, Wien 1995, 57–59, sowie knapp Dieter Knibbe, EPHESUS/ΕΦΕΣΟΣ. Geschichte einer bedeutenden antiken Stadt und Portrait einer modernen Großgrabung, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1998, 88 f. 7 Vgl. Pape/Benseler, Eigennamen3 I 472 s. v. Ἡρόστρατος 1. – Der Name als solcher ist im übrigen weitverbreitet. Vgl. das Belegmaterial bei Bechtel, Hist. Personennamen 192 s. v., und vor allem im LGPN I: The Aegean Islands, Cyprus, Cyrenaica 206 s. v.; II: Attica 207 s. v.; freilich nicht in III A: The Peloponnese, Western Greece, Sicily and Magna Graecia; III B: Central Greece from the Megarid to Thessaly 184 s. v.; IV: Macedonia, Thrace, Northern Regions of the Black Sea 158 s. v.; V A: Coastal Asia Minor: Pontos to Ionia 206 s. v. (hier trägt H. die Nr. 2); V B: Coastal Asia Minor: Caria to Cilicia 188 s. v.; freilich auch nicht in V C: Inland Asia Minor; noch nicht erschienen: VI: Palestine, Syria, Trans-Euphratic Regions und VII: Lower Egypt and the Fayum. 8 Siehe etwa Stephan Brassloff, RE IV 2, 1901, 2059–2062 s. v. Damnatio memoriae. 9 Friedrich Vittinghoff, Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur „damnatio memoriae“, (Neue deutsche Forschungen; 84: Abteilung Alte Geschichte; 2) Berlin 1936, 12 f., 64–66. – Vgl. zur Damnatio memoriae jetzt die wichtigen Arbeiten von Charles W. Hedrick Jr., History and Silence: Purge and Rehabilitation of Memory in Late Antiquity, Austin 2000, und von Harriet I. Flower, The Art of Forgetting: Disgrace & Oblivion in Roman Political Culture, (Studies in the History of Greece and Rome) Chapel Hill 2006 (dazu Frank BERNSTEIN, HZ 290, 2010, 745), sowie Dies., Memory Sanctions and the Disgrace of Emperors in Official Documents and Laws, in: Rudolf 6

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Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes

Als Strafe traf die Damnatio memoriae nicht nur manchen Kaiser, sondern auch römische Senatoren, wie zuletzt einmal mehr die in der Baetica aufgefundenen Bronzetafeln mit dem senatus consultum de Cn. Pisone patre eindrucksvoll dokumentieren.10 Eine Art Auslöschung öffentlicher (sic!) Erinnerung umschreiben wir mit jenem, aus der Sprache der römischen Rechtsquellen geschöpften Neologismus. Mit dem Ausdruck versuchen wir Verschiedenes begrifflich zu fassen: die Vernichtung von Schriften etwa,11 vor allem aber die Tilgung des Namens in Inschriften und auf Münzen sowie die Entfernung von Bildnissen aus dem öffentlichen (und manchmal sogar privaten) Raum, nicht zuletzt die gezielte Verstümmelung von Portraits.12 Die bisweilen mit solchen buchstäblichen Auslöschungsakten verbundene rescissio actorum, die sogenannte Aufhebung der Amtshandlungen, seien es Gewährungen von beneficia, seien es Rechtssetzungen und Gerichtsentscheidungen, gerät seltener in den Blick, ebensowenig das häufig damit einhergehende Trauerverbot und das als Strafverschärfung in Einzelfällen angewandte Bestattungsverbot, um nur die wichtigsten zusätzlichen Möglichkeiten zu nennen.13 Nun war mit all diesen Akten zwar eine Unterdrückung der Erinnerung verbunden, tatsächlich aber doch keinerlei Vergessen beabsichtigt. Im Gegenteil, ein negatives Erinnern sollte hergestellt, ein exemplum malum geschaffen werden.14 Kurz: Das Gedächtnis wurde entehrt. So ist die Damnatio memoriae doch nur Teil einer spezifischen Erinnerungskultur, die eben auch die Abolitio memoriae, die „Unterdrückung von (spezifischer) Erinnerung“, einschloß.

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Haensch (Hrsg.), Selbstdarstellung und Kommunikation: Die Veröffentlichung staatlicher Urkunden auf Stein und Bronze in der Römischen Welt. Internationales Kolloquium an der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in München (1. bis 3. Juli 2006), (Vestigia; 61) München 2009, 409–421. Siehe im übrigen bereits ihre hinführenden Gedanken in: Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture, Oxford 1996, Nachdruck 1999, 23–31, 56–59. Eck/Caballos/Fernández, SC de Cn. Pisone patre, bes. 42–47 lin. 72–108 (Text mit deutscher Übers.) = AE 1996, 885, bes. lin. 72–108 = CIL II2 5, 900 lin. 72–108. Vgl. nur AJPh 120,1 [„Special Issue“], 1999, vii–ix, 1–162 (The Senatus Consultum de Cn. Pisone Patre: Text, Translation, Discussion, ed. by Cynthia Damon and Sarolta Takács), bes. 43–63 ( John Bodel, Punishing Piso), und Flower (2006) 134–136, zu genannten lin. 72–108. Vgl. etwa Frederick H. Cramer, Bookburning and Censorship in Ancient Rome: A Chapter from the History of Freedom of Speech, JHI 6, 1945, 157–196; Wolfgang Speyer, Büchervernichtung, JbAC 13, 1970, 123–152; dann in: RAC Supplement-Lieferung 10, 2003, 171–233. Siehe zur Bildnisstrafe exemplarisch die umfassende Studie zum Kaiserportrait von Eric R. Varner, Mutilation and Transformation: Damnatio Memoriae and Roman Imperial Portraiture, (Monumenta Graeca et Romana; 10) Leiden/Boston 2004. Konzise immer noch Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht II 2, (Handbuch der römischen Alterthümer) Leipzig 31887, Nachdruck Darmstadt 1963, 1129–1132; […] III 2, Leipzig 31888, Nachdruck Darmstadt 1963, 1189–1191; Ders., Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, Nachdruck Berlin 1955, 987–990. Vgl. in diesem Zusammenhang die Bemerkungen von Flaig (1999) 66 f.; Hedrick Jr. (2000) 242; Uwe Walter, Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom, (Studien zur Alten Geschichte; 1) Frankfurt am Main 2004, 28 f., und von Timothy Peter Wiseman, Names Remembered, Names Suppressed, JRA 20, 2007, 421–428, hier 424, in seiner ausgreifenden Rezension von Flower (2006).

Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae

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In die gleiche Richtung weist eine weitere, jedoch nicht allzu bekannte Praxis, die Theodor Mommsen aus guten, nämlich rechtssystematischen Gründen der Damnatio memoriae subsumierte:15 das Niederreißen, Zerstören oder auch Schleifen des Hauses, kurz: die Hauswüstung. Sei es die in den Quellen der κατασκαφή subsumierte Wüstung,16 mit der laut Befund scheinbar immer wieder auch ein Aufgraben und damit eine Zerstörung der Gräber der Vorfahren sowie ein Bestattungsverbot einherging, sei es das domum diruere, die dirutio des Hauses,17 wie man in substantivischer Anlehnung vielleicht sagen kann,18 diese griechische wie römische Praxis kann leicht als ein Vergessensakt mißverstanden werden. Diese spezifische Handlung gegen eine elementare soziale, wirtschaftliche und auch politische Institution bedarf daher näherer Betrachtung. Was die griechische kataskaphḗ anbelangt, so hatte sie sich wohl aus einem eher informellen von der Gemeinschaft getragenen Strafritual allmählich zu einem geordneten strafrechtlichen Instrument entwickelt. Und diese Hauswüstung wurde so schließlich wohl häufig von einer ostentativen Publikation des entsprechenden Beschlusses des Gemeinwesens begleitet, sogar einer, soweit wir sehen können, öffentlichen Aufstellung auf ehernen (!) Tafeln.19 Die Absicht ist mit den Händen zu greifen: Eine negative Erinnerung sollte auf diese Weise gewiß sichergestellt werden – selbst für künftige, noch nicht eingetretene Fälle. Eine westlokrische Bronzetafel spätarchaischer Zeit, wohl aus Naupaktos, welche die Besiedlung von Land gesetzlich regelte, bewehrte das Verbot weiterer Landaufteilungen mit harter Strafandrohung:

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Mommsen (31888) III 2, 1189; Ders. (1899) 990. Siehe grundlegend W. Robert Connor, The Razing of the House in Greek Society, TAPhA 115, 1985, 79–102, bes. 80–88, 96–99, der die überlieferten Beispiele aus der Griechischen Geschichte der archaischen und klassischen Zeit zusammengestellt und übersichtlich geordnet sowie einer umsichtigen typologischen Untersuchung unterzogen hat, so daß hier auf unnötige Einzelheiten verzichtet werden kann. Vgl. zusätzlich die weitblickenden Beobachtungen von Winfried Schmitz, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland, (Klio-Beihefte; N. F. 7) Berlin 2004, 357–380, der die Hauswüstung überzeugend aus der Perspektive des Rügebrauchs diskutiert. 17 John Bodel, Monumental Villas and Villa Monuments, JRA 10, 1997, 5–35, hier 7–11, der freilich nicht den oben verwendeten Begriff gebraucht, breitet das reiche Material in einem gesonderten Abschnitt aus, überschrieben mit „Bringing down the house“. Vgl. dann vor allem die umsichtige Studie von Matthew B. Roller, Demolished Houses, Monumentality, and Memory in Roman Culture, ClAnt 29, 2010, 117–180. 18 Vgl. Georges 8 I 2189 s. v. dīrutio; OLD2 602 s. v. 19 Siehe für Athen Schol. Aristoph. Lys. 273 p. 17 Hangard (507/06 v. Chr.); Krater. FGrH 342 frg. 17 p. 204 = Schol. Aristoph. Lys. 313 a, p. 19 H. (411/10 v. Chr.); Krater. ebd., frg. 5 b, p. 201 = [Plut.] Vitae decem oratorum 1 (= mor. 834 a–b) (411/10 v. Chr.), wo darüber hinaus sogar von ὅροι, von „Grenzsteinen“, die Rede ist, welche auf dem gewüsteten Grundstück aufgestellt wurden und die Namen der ehemaligen Eigentümer festhielten; dazu Connor (1985) 81–83 (T5, T9 und T10), 84, 85 Anm. 19; Schmitz (2004) 363–366.

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hόστ|ις δὲ δαιθμὸν ἐνφέροι ἒ ψᾶφον διαφέροι ἐν πρείγαι, ἐν πόλι, ἐ|ν ἀποκλεσίαι ἒ στάσιν ποιέοι περὶ γαδαισίας, αὐτὸς μὲ|ν Fερρέτο καὶ γενεὰ ἄματα πάντα, χρέματα δὲ δαμευόσθον | καὶ Fοικία κατασκαπτέσθο κὰτ τὸν ἀνδρεφονικὸν τετθμ|όν. Wer aber eine (Land)aufteilung sonst vorschlägt oder im Rat der Alten zur Abstimmung bringt (oder) in der Polis (= damos) (oder in der) Versammlung der Ausgewählten, oder einen Aufstand erregt über Landverteilung, der soll selbst verbannt werden und seine Nachkommenschaft für alle Zeit, sein Vermögen soll konfisziert werden, und das Haus soll bis zum Erdboden zerstört werden gemäß dem Gesetz über den Mord.20

Eine deutliche Sprache spricht dieser nómos, dieses Gesetz: […] Fοικία κατασκαπτέσθο […], „[…] das Haus soll bis zum Erdboden zerstört werden […]“. Freilich können wir nur vermuten, ob in der Lokris etwa ein hóros, ein „Grenzstein“, die Wüstung markierte und die Erinnerung in abschreckender Weise festhielt, die Polis gar wie in Athen individuelle Beschlüsse an prominenter Stelle publizierte. Doch selbst ein auf die Zukunft gerichtetes Gesetz dieser Art läßt keinen Zweifel daran, daß die griechische kataskaphḗ neben einer strafrechtlichen Funktion eben auch eine erinnerungspolitische Dimension beanspruchte. Für die römische Welt indes finden sich keinerlei Parallelen, nicht einmal vergleichbare Anhaltspunkte. John Bodel vermutete daher: „[…] the intention […] appears to have been exactly the opposite: when the Romans tore down a man’s house, their aim was to erase any memory of his existence.“21 Folgen wir Cassius Dio, hat Augustus das von dem verstorbenen Ritter P. Vedius Pollio, einst Helfer und Freund, dann zur Grausamkeit neigender, lästiger Günstling,22 nach dessen Tod im Jahre 15 v. Chr. geerbte Haus auf dem Oppius niederreißen lassen, […] ὅπως μηδὲν μνημόσυνον ἐν τῇ πόλει ἔχῃ […], „[…] daß er in der Stadt kein Andenken habe […]“.23

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IG IX 12, 3, 609 lin. 9–14 (hiernach obiger Text) = Meiggs/Lewis, GHI2 13 lin. 9–14 = Koerner/ Hallof, Inschr. Gesetzestexte 47 lin. 9–14 (hiernach die Übers.) = van Effenterre/Ruzé, Nomima I 44 lin. 9–14. – Eine Abbildung bietet Jeffery, LSAG, Pl. 14,2. Bodel (1997) 8. Vgl. Dens. (1999) 59, en passant: „The razing to the ground of a condemned man’s house was well established in Graeco-Roman antiquity and regularly formed part of a systematic program of damnatio memoriae […].“ PIR2 V 323; Josef Keil, RE VIII A 1, 1955, 568–570 s. v. Vedius 8; Ronald Syme, Who was Vedius Pollio?, JRS 51, 1961, 23–30; Nachdruck in: Ders., Roman Papers II, ed. by Ernst Badian, Oxford 1979, 518–529. Cass. Dio 54,23,6. Vgl. Ov. fast. 6,643 f.: haec (sc. domus) aequata solo est nullo sub crimine regni, / sed quia luxuria visa nocere sua. – Zu den Motiven im einzelnen und zur Errichtung der Porticus Liviae auf jenem Grund s. Jochen Bleicken, Augustus. Eine Biographie, Berlin 1998, 424 f.; Dietmar Kienast, Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 52014, 416. Vgl. Platner/Ashby, Topogr. Dict. 197 s. v. Domus: Vedius Pollio, und 423 s. v. Porticus Liviae; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 140, 314 mit 315 Abb. 68 s. vv.; Clementina Panella, LTUR II, 1995, 211–212, s. v. Domus: P. Vedius Pollio; Dies., ebd. IV, 1999, 127–129 mit 440–441 Abb. 46 f., s. v. Porticus Liviae.

Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae

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Sollte also tatsächlich mit der Hauswüstung – im Unterschied zur griechischen Praxis – die Erinnerung an den Hausherrn ausgelöscht werden? Handelt es sich beim domum diruere um einen spezifisch römischen Vergessensakt? Manches spricht dafür, denkt man allein daran, daß die aristokratische domus nicht nur die Ahnenbildnisse, die imagines maiorum, sondern bald auch respektable Beutestücke, hostium spolia, beherbergte. Damit erlangte das Haus eine nicht zu unterschätzende symbolisch-kommemorative Dimension. Diese Dimension aber reichte gewiß über ‚bloße‘ repräsentative, kommunikative und kompetitive Funktionen hinaus, welche sie etwa im Rahmen allfälliger morgendlicher Begrüßungen der Klienten, also im Rahmen von salutationes, oder auch im Rahmen von Gastmählern, von convivia, erfüllte. Um es mit Sallust (Cat. 12,4) zu sagen: Römische Aristokraten […] delubra deorum pietate, domos suas gloria decorabant […], sie „[…] schmückten die Heiligtümer der Götter mit ihrer Loyalität, ihre Häuser mit Ruhm […]“. Und, was ein ausschließlich sozialgeschichtlich informierter Zugang gern übersieht, die in der domus von der ganzen familia kultisch verehrten lares als manes (und die virae) sowie vor allem die di penates als patrii di des pater familias, all jene numinosen Schützer stehen nicht zuletzt für die Kontinuität des Hauses als Hausgemeinschaft der Lebenden und Toten wie auch künftiger Generationen.24 Berücksichtigt man die ganze semantische Tiefe und auch Weite des Konzepts domus,25 verabschiedet man sich in diesem Zusammenhang von jenem unangemessenen kategorialen Gegensatz von „öffentlich“ und „privat“, scheint eine Hauswüstung also einer Auslöschung des „Hauses“ im doppelten Sinne gleichzukommen – sozial und politisch wie räumlich und materiell. Und doch stehen Zerstörung und Erinnerung auch bei der sogenannten Dirutio domus in engster Verbindung. Denn ungeachtet des oben vorgebrachten Argumentum e

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Siehe nur Annie Dubourdieu, Les origines et le développement du culte des Pénates à Rome, (Collection de l’École française de Rome; 118) Rom 1989, bes. 93–120. Vgl. insbesondere Timothy Peter Wiseman, Conspicui postes tectaque digna meo: The Public Image of Aristocratic and Imperial Houses in the Late Republic and Early Empire, in: Auct. var., L’urbs: Espace urbain et historique (Ier siècle av. J.-C. – IIIe siècle ap. J.-C.). Actes du colloque international organisé par le Centre national de la recherche scientifique et l’École française de Rome (Rome, 8–12 mai 1985), (Collection de l’École française de Rome; 98) Rom 1987, 393–413; Nachdruck in: T. P. W., Histo­ riography and Imagination: Eight Essays on Roman Culture, (Exeter Studies in History; 33) Exeter 1994, 98–115; Andrew Wallace-Hadrill, The Social Structure of the Roman House, PBSR 56, N. S. 43, 1988, 43–97 mit Pl. VI–X, bes. 44–47; Rolf Rilinger, Domus und res publica. Die politisch-soziale Bedeutung des aristokratischen „Hauses“ in der späten römischen Republik, in: Aloys Winterling (Hrsg.), Zwischen „Haus“ und „Staat“. Antike Höfe im Vergleich, (HZ-Beihefte; N. F. 23) München 1997, 73–90; Nachdruck in: R. R., Ordo und dignitas. Beiträge zur römischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, hrsg. von Tassilo Schmitt und Aloys Winterling, Stuttgart 2007, 105–122, und Karl-Joachim Hölkeskamp, Under Roman Roofs: Family, House, and Household, in: Harriet I. Flower (Ed.), The Cambridge Companion to the Roman Republic, Cambridge 2004, 113–138 mit 376–379; Elke Stein-Hölkeskamp, Das römische Haus – die memoria der Mauern, in: Dies. / Karl-Joachim Hölkeskamp (Hrsgg.), Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt, München 2006, 300–320 mit 750–751.

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Eingrenzung der Frage und Abgrenzung des Gegenstandes

silentio, daß sich darauf stützen könnte, im Unterschied zur griechischen Kultur habe es keine veröffentlichten Beschlüsse und Grenzsteine gegeben, schafft die gewüstete Stätte nicht minder ein exemplum malum im Stadtbild, zumal, wenn sie frei blieb, und selbst oder auch gerade, wenn sie ganz oder in Teilen überbaut wurde.26 Man denke nur an die aedes Libertatis, an das Tempelhaus der Kultpersonifikation der Freiheit, das im Jahre 58 v. Chr. der Volkstribun P. Clodius Pulcher auf dem palatinischen Grund von Ciceros domus diruta, dessen gewüstetem Haus, errichten ließ.27 Die Zerstörung wurde dadurch nachgerade monumentalisiert. Auf Toponyme wie Aequimelium, Argiletum oder prata Vacci, durch welche – folgen wir antiken Etymologien und Aitiologien – die Erinnerung an manche negative Beispiele gestützt wurde, sei lediglich hingewiesen.28 So zielte die Hauswüstung nicht nur in der griechischen, sondern auch in der römischen Kultur keinesfalls auf ein Vergessen. Sie sollte vielmehr ein negativ akzentuiertes Erinnern herstellen wie auch sicherstellen und mit Mommsen als eine weitere Praxis der Damnatio memoriae verstanden werden. Cum grano salis läßt sich solcher Abolitio memoriae, solcher „Unterdrückung von (spezifischer) Erinnerung“, wie wir sagten, sogar mancher dies ater subsumieren, mit dem Rom besondere, a u c h militärische Niederlagen als „Schwarzen Tag“, vielleicht besser: als „Unglückstag“ kennzeichnete.29 Der schmerzlichen, nie verwundenen clades an der Allia gegen die Gallier im frühen 4. Jahrhundert v. Chr., der die Einnahme und Plünderung Roms folgte, sollte immerwährend am 18. Quin(c)tilis respektive Juli gedacht und als kalendarisch fixierter dies Alliensis30 niemals vergessen werden – und wurde es auch nicht.31 *** 26 So auch Roller (2010) passim. 27 Franz Fröhlich, RE IV 1, 1901, 82–88 s. v. Clodius 48, hier 85; Broughton, MRR II 195 f.; Platner/Ashby, Topogr. Dict. 175 s. v. Domus: M. Tullius Cicero, und 317 s. v. Libertas (2); Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 123, 234 s. vv.; Emanuele Papi, LTUR II, 1995, 202–204 s. v. Domus: M. Tullius Cicero, hier 203; Ders., ebd. III, 1996, 188–189 s. v. Libertas (1). 28 Vgl. Platner/Ashby, Topogr. Dict. 2 s. v. Aequimelium, 53 f., s. v. Argiletum, und 198 s. v. Domus: Vitruvius Vaccus; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 3, 39, 140 s. vv.; Giuseppina Pisani Sartorio, LTUR I, 1993, 20–21 s. v. Aequimelium; Edoardo Tortorici, ebd. II, 1995, 77 s. v. Domus: Cassius Argillus, mit Dems., ebd. I, 1993, 125–126 s. v. Argiletum; Emanuele Papi, ebd. II, 1995, 215 s. v. Domus: M. Vitruvius Vaccus. Siehe auch Maltby, Lex. Anc. Lat. Etym. 50 s. v. Argiletum. 29 Siehe dazu insbesondere Georg Wissowa, RE II 2, 1896, 1922–1923 s. v. Ater dies; Jörg Rüpke, Kalender und Öffentlichkeit. Die Geschichte der Repräsentation und religiösen Qualifikation von Zeit in Rom, (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten; 40) Berlin/New York 1995, 567–575; Walter (2004) 204–207; Simon Lentzsch, Roma victa. Von Roms Umgang mit Niederlagen, (Schriften zur Alten Geschichte) Stuttgart 2019, 77–80. 30 Fasti Antiates maiores, Inscr. It. XIII 2 p. 15: […]. [Al]liens(is) die(s); Fasti Amiternini, ebd., p. 189: […]. Dies Alliensis; Fasti Antiates ministrorum, ebd., p. 208: […]. Dies Allia[e (…)] […]. 31 Vgl. zum adhortativen Wert der Niederlage auch in Rom die wichtigen Ausführungen von Oliver Stoll, Ab und (wieder) auf! Ein Beitrag zum Umgang mit Niederlagen in der römischen Kultur, in: Renate Lafer / Heimo Dolenz / Martin Luik (Hrsgg.), Antiquitates variae. Festschrift für Karl Strobel zum 65. Geburtstag, (Internationale Archäologie. Studia honoraria; 39) Rahden, Westfalen 2019, 337–345.

Die Damnatio memoriae als Abolitio memoriae

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Angesichts der Diffusität der Assoziationen mußte zunächst eine Abgrenzung vorgenommen werden. Sie machte vielleicht schon deutlich, daß die Frage nach dem Vergessen als politischer Option an wirkliche Erinnerungsverbote, besser: Vergessensgebote anknüpfen sollte. Solche politische Lethotechnik, wie man sie kontrastiv zum üblichen Begriff der Mnemotechnik nennen könnte, begrenzt unseren Gegenstand zwar erheblich, die Eigenarten und Bedingungen der Vergessensgebote aber sind verwickelt. Um so mehr bedarf es eines argumentativen Ausgangspunktes, der nicht nur die Optionalität politischen Vergessens in Fallbeispielen für die Antike insgesamt beleuchtet, sondern an den sich auch die oben aufgeworfenen Fragen nach der Notwendigkeit des Vergessens aufgrund einer etwaigen Konfliktunfähigkeit der antiken politischen Kulturen leicht knüpfen lassen. Deshalb sei als Auftakt die Aufmerksamkeit zunächst auf jenes naheliegende Vergessensgebot gelenkt, das nach internen Konflikten den inneren Frieden sichern und eine Aussöhnung ermöglichen sollte: die Amnestie, ein klassisches Steuerungsinstrument kollektiver Amnesie.

III. Die Amnestie Bekannte und unbekanntere Beispiele

Um die Bedeutungsschichten der antiken Amnestie freizulegen,1 seien im folgenden bekannte und unbekanntere Beispiele herangezogen. Dabei wählen wir die buchstäbliche Retrospektive und richten das Augenmerk zunächst auf das spätantike Imperium Romanum, um dann in großen zeitlichen Schritten über das frühkaiserzeitliche und spätrepublikanische Rom zum klassischen Athen zurückzugelangen. Blicken wir also als erstes in die Spätantike. 1. Die praescribtio taciturnitatis in einer kaiserlichen Konstitution des Jahres 395 n. Chr. Am 15. Mai des Jahres 392 wurde Kaiser Valentinian II. im Palast zu Vienna in Gallien erhängt aufgefunden.2 Am gewaltsamen Ende war sein magister militum, der Heermeister Arbogast, wohl nicht unbeteiligt. Wie dem auch sei, der Tod Valentinians rieß eine Lücke, auf die Theodosius, der Kaiser im Osten, nicht sofort reagierte. So konnte Arbogast den Flavius Eugenius am 22. August in Lugdunum zum Augustus erheben lassen.3 Den ehemaligen Lehrer der Rhetorik und damaligen höheren Hofbeamten 1

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Vgl. grundsätzlich die zeitlich weit ausgreifenden Beiträge in: Kaja Harter-Uibopuu / Fritz Mitthof (Hrsgg.), Vergeben und Vergessen? Amnestie in der Antike. Beiträge zum 1. Wiener Kolloquium zur Antiken Rechtsgeschichte, 27.–28.10.2008, (Wiener Kolloquien zur Antiken Rechtsgeschichte; 1) Wien 2013. Kienast, Kaisertabelle6 321 s. v. Valentinian II. – Dazu und zum Folgenden vgl. im Überblick Brian Croke / Jill Harries, Religious Conflict in Fourth-Century Rome: A Documentary Study, (Sources in Ancient History) Sydney 1982, 52–72; Heinz Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte III: Die Spätantike von Constantin bis Justinian, Anhang von Johannes Deissler, Darmstadt 2003, 169–173; Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian, 284–565 n. Chr., (Handbuch der Altertumswissenschaft; 3,6) München 2., vollständig bearbeitete und erweiterte Auflage München 2007, 165–168. Kienast, Kaisertabelle6 329 s. v. Usurpatoren: Eugenius.

Die praescribtio taciturnitatis in einer kaiserlichen Konstitution des Jahres 395 n. Chr.

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erkannte Theodosius jedoch nicht an. Schon bald, am 23. Januar 393,4 ließ er seinen zweiten Sohn, Honorius, zum Augustus proklamieren. Um so mehr war der Usurpator Eugenius auf weitere Unterstützung angewiesen, Unterstützung, die er in der sogenannten heidnischen Senatsaristokratie Roms fand, allen voran beim praefectus praetorio Italiae, Illyriae et Africae: Virius Nicomachus Flavianus.5 Die schon bald militärisch ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Usurpator wurde zu einem guten Teil – nicht zuletzt durch ihre Symbolsprache – zu einem Kampf zwischen Christentum und ,Heidentum‘ stilisiert. Die alten Götter indes versagten Eugenius und seinen Mitstreitern den Sieg. Am 6. September 394 konnte Theodosius sie am Frigidus, am heutigen Fluß Wippach westlich von Laibach, entscheidend schlagen. Der sich ergebende Usurpator wurde von den feindlichen Soldaten erschlagen, der Heermeister und der Praetorianerpraefekt, Arbogast und Nicomachus Flavianus, wählten den Freitod – aus sogenannter paganer Sicht war diese Wahl nur konsequent. Worauf es nun ankommt, ist Folgendes: An einer umgehenden inneren Befriedung mußte Theodosius gelegen sein, zumal der Konflikt in der Propaganda eine religiöse Dimension erlangt hatte und allenfalls mit einem äußerlichen Rückzug der ,heidnisch-restaurativen‘ Kräfte zu rechnen war. So zeigte sich der Sieger gnädig und setzte folgerichtig auf eine umfassende Amnestie,6 die natürlich auch sogenannten Heiden unter den Anhängern des Eugenius zugute kam.7 Die Publikation der sich ergänzenden kaiserlichen Konstitutionen, drei an der Zahl,8 hat Theodosius nicht mehr erlebt.

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Kienast, Kaisertabelle6 325 f., s. v. Theodosius I. PLRE 347–349 Flavianus 15. Anders als noch nach der Niederschlagung der Usurpation des Magnus Maximus im Jahre 388, als es trotz einer Amnestie „durchaus auch gezielte Bestrafungen“ (Hartmut Leppin, Überlegungen zum Umgang mit Anhängern von Bürgerkriegsgegnern in der Spätantike, in: Harter-Uibopuu/Mitthof [2013] 337–357, hier 349) vollzogen wurden. Vgl. nämlich Cod. Theod. 15,14,6; 15,14,7; 15,14,8; dazu die in der übernächsten Anm. genannte Literatur. Siehe in diesem Kontext denn auch die Bemerkungen in Ambrosius’ Leichenrede auf Theodosius (De obitu Theodosii 4): Bonus itaque Ioseph, qui formam pio muneri dedit, quem amabat pater, cuique dixit: Adiuvet te Deus meus, et benedicat te benedictione terrae habentis omnia, propter benedictionem mamillarum et vulvae, benedictiones matris tuae, et propter benedictiones patris tui [Testamentum vetus, Gen. 49,25]. Pii patris soboles bona. Celebrat ergo et iste quadragesimam patris Iacob, supplantatoris illius; et nos celebramus Theodosii quadragesimam, qui imitatus Iacob, supplantavit perfidiam tyrannorum, qui abscondit simulacra gentium; omnes enim cultus idolorum fides eius abscondit, omnes eorum ceremonias oblitteravit: qui etiam iis qui in se peccaverant, doluit quam dederat periisse indulgentiam, et veniam denegatam. Sed non negabunt filii, quod donavit pater: non negabunt, etiamsi quidam interturbare conatus sit; neque enim poterunt negare, quod in commune donavit, qui solvunt, quod singulis dedit. Cod. Theod. 15,14,9 (vom 21. April 395: Bekräftigung der privatrechtlichen Akte); 15,14,11 f. (vom 18. Mai und vom 17. Juni 395: Amnestie für Beamte des Eugenius); dazu Gerhard Rauschen, Jahrbücher der christlichen Kirche unter dem Kaiser Theodosius dem Grossen. Versuch einer Erneuerung der Annales ecclesiastici des Baronius für die Jahre 378–395, Freiburg im Breisgau 1897, 455 f. (lediglich zu 15,14,9); Otto Seeck, Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 n. Chr. Vorarbeit zu

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Die Amnestie

Schon zu Beginn des Jahres 395 ist er verstorben. Die besagten Gesetze sollte Honorius erlassen, sein bereits genannter Sohn und – nach der faktischen Teilung des Imperium Romanum – nunmehriger Kaiser des Westreiches. Die rechtlichen Verfügungen im einzelnen sind hier nicht von Belang, nur eine kleine Passage des ersten Erlasses soll uns interessieren. In der an den Stadtpraefekten Andromachus adressierten Konstitution vom 21. April des Jahres 395 heißt es am Ende (Cod. Theod. 15,14,9): […] tempus vero ipsum, ac si non fuerit, aestimetur, si quidem tunc temporis omissa aliqua praescribtio taciturnitatis etiam de illis, quae confirmavimus, non possit obponi. […] die Zeit selbst aber soll eingeschätzt werden, als ob sie nicht existiert hätte, da ja eine zur damaligen Zeit unterlassene Vorschrift des Verschweigens auch nicht für jene Dinge geltend gemacht werden kann, die wir bekräftigt haben.

Zugegeben, der Text ist etwas verwirrend. Auf den ersten Blick scheint es sich sogar um eine Contradictio in adiecto zu handeln, um einen „Widerspruch im Hinzugefügten“. Denn wie kann eine zur Zeit des Eugenius unterlassene „Vorschrift des Verschweigens“, jene praescribtio taciturnitatis, noch gedacht werden, wird just diese Zeit als nichtexistent angesehen? Schieben wir jedoch solche Überlegungen beiseite, der Text ergibt durchaus Sinn: Aus dem Schlußteil des Gesetzes spricht das offensichtliche Bemühen, die Zeit des Usurpators vergessen zu machen, gleichzeitig aber durch Bekräftigung der voranstehend aufgelisteten privatrechtlichen Akte, wie etwa Freilassungen, Rechtskontinuität und Rechtssicherheit herzustellen. Insoweit ist das hier formulierte Vergessensgebot durchaus selektiv, allerdings zielt es auf diese Weise um so mehr – und auch mit Aussicht auf Erfolg – auf eine dauerhafte Befriedung der inneren Verhältnisse. Gewiß nur mittelbar, doch schon recht anschaulich tritt uns mit dieser spätantiken Kaiserkonstitution das Vergessen als eine politische Vorstellung der Friedenstiftung vor Augen. Eine deutlichere Sprache aber, auch und gerade in lexikalischer Hinsicht, sprechen drei weitere Beispiele, die uns erst nach Rom in die Jahre 41 n. und 44 v. Chr., schließlich nach Athen ins Jahr 403 v. Chr. führen.

einer Prosopographie der christlichen Kaiserzeit, Stuttgart 1919, Nachdruck Frankfurt am Main 1964, 284, 286; R. Malcolm Errington, The Praetorian Prefectures of Virius Nicomachus Flavianus, Historia 41, 1992, 439–461, hier 439–441; Hedrick Jr. (2000) 95–98.

Claudius’ Anordnung einer oblivio in perpetuum

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2. Claudius’ Anordnung einer oblivio in perpetuum vom 25. Januar 41 n. Chr. und Ciceros Plädoyer für eine oblivio sempiterna vom 17. März 44 v. Chr. Die Rede von der iulisch-claudischen Dynastie, welche die Reihe der Principes von Augustus bis Nero als eine Einheit anspricht, suggeriert eine Kontinuität, die freilich trügt. Bereits die Erhebung des Claudius am 24. Januar 41 n. Chr.9 stellt eine erste Zäsur in der sogenannten Kaisergeschichte Roms dar, denn sie markierte den Übergang der Herrschaft von den Iulii Caesares auf die Claudii Nerones. Am 24. Januar waren der aus dem iulischen Geschlecht stammende C. Caesar – uns geläufiger unter dem Spitznamen Caligula – ermordet und Claudius, dessen Onkel aus der gens Claudia, von den Praetorianern zum Kaiser ausgerufen worden. Ihren Abschluß fand dessen Principatsübernahme allerdings erst am folgenden Tag mit der Anerkennung durch den Senat, war doch im Zuge des Herrschaftswechsels die Verfassungsfrage gestellt worden. Manche Senatoren wünschten eine Wiederherstellung der Republik, andere eine Bewahrung des Principats. So hielten sich in der antiken Erinnerung der 24. und 25. Januar des Jahres 41 als biduum, quo de mutando rei p. (sc. publicae) statu haesitatum erat, als „Zeitraum von zwei Tagen, an dem über die Veränderung der Staatsverfassung hin und her beratschlagt worden war“, wie es der Biograph Sueton griffig formulierte (Claud. 11,1). Erst am 25. Januar wurde Claudius durch Übertragung der seit Augustus einem Princeps eignenden, außerordentlichen Gewalten vom Senat anerkannt: durch die Verleihung des imperium proconsulare maius und der tribunicia potestas.10 Als dies imperii des Claudius wird wohl der 25. Januar anzusehen sein. Die dramatischen Ereignisse nach dem geglückten Attentat auf Caligula am 24. Januar bis zur schließlichen Anerkennung des Claudius am folgenden Tag sind gut, verdächtig gut bezeugt.11 Wie durch Zufall sei der Onkel des ermordeten Princeps umgehend von den Praetorianern zum Kaiser ausgerufen worden, der Senat hingegen habe sich zunächst ablehnend, vor allem zwiespältig verhalten. Die einen, allen voran die Consuln, hätten eine Rückkehr zur libera res publica gewünscht, die anderen, unter ihnen die erfolgreichen Verschwörer, zwar eine Beibehaltung des Principats, jedoch einen Kaiser aus den eigenen Reihen. Wahrscheinlich verbarg sich dahinter ein taktisches Manö-

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Kienast, Kaisertabelle6 82 f., s. v. Claudius. – Vgl. zur Principatsübernahme des Claudius aus der Fülle der Literatur nur Dieter Timpe, Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipats, (Histo­ ria-Einzelschriften; 5) Wiesbaden 1962, 77–93; Helmut Jung, Die Thronerhebung des Claudius, Chiron 2, 1972, 367–386, sowie Hartwin Brandt, Die Kaiserzeit. Römische Geschichte von Octavian bis Diocletian, 31 v. Chr. – 284 n. Chr., (Handbuch der Altertumswissenschaft; 3,11) München 2021, 164–166. Vgl. Cass. Dio/Xiph. 60,1,4; Cass. Dio 60,3,2. Dazu Frank Bernstein, Von Caligula zu Claudius. Der Senat und das Phantom der Freiheit, HZ 285, 2007, 1–18, auch und gerade zum Folgenden.

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Die Amnestie

ver: die Verhinderung eines unerwünschten Princeps aus dem Kreis der Verschwörer und zugleich die Vorbereitung der Anerkennung des Claudius durch den Senat. Angesichts der holprigen Principatsübernahme muß es Claudius um so wichtiger gewesen sein, die Erinnerung an jene zwei Tage zu unterdrücken. So schreibt Sueton in seiner Vita über eine beredte Reaktion des neuen Princeps, zu der es recht bald nach den turbulenten Ereignissen gekommen sein dürfte: Imperio stabilito nihil antiquius duxit (sc. Claudius) quam id biduum, quo de mutando rei p. statu haesitatum erat, memoriae eximere. omnium itaque factorum dictorumque in eo ueniam et obliuionem in perpetuum sanxit ac praestitit, […]. Nachdem die Herrschaft gesichert worden war, hielt er (sc. Claudius) nichts für wichtiger, als den Zeitraum von zwei Tagen, an dem über die Veränderung der Staatsverfassung hin und her beratschlagt worden war, aus der Erinnerung zu streichen. Für all das an diesen zwei Tagen Getane und Gesagte ordnete er deshalb Straflosigkeit und ein Vergessen für immer an – und gewährte dies auch, […].12

Alles in allem ein eindrückliches Zeugnis der clementia principis, die sicherlich nicht wenige herbeiwünschten. Die venia freilich war nicht umfassend, von der „Gnade“, hier gewiß als „Straflosigkeit“ zu verstehen,13 waren – kaum verwunderlich – die subalternen Helfer ausgenommen, auch wenn Claudius gerade ihnen viel verdankte. Bauern­ opfer mußten gefunden werden, er fand sie in den Reihen der Praetorianerkohorten, die auf einen Gnadenerlaß nicht hoffen konnten, wie Sueton im Nachsatz einräumt.14 Doch nicht die eingeschränkte venia, vielmehr die oblivio in perpetuum, das „Vergessen für immer“, führt auf die hier interessierende Frage zurück. Sueton formulierte mit Bedacht, wenn er die Anordnungen (vgl. sanxit) des Claudius mit einem Blick auf die Folgezeit mit dem durch die Kopula ac angeschlossenen zweiten Prädikat praestitit („und gewährte dies auch“) in bekräftigender, ja kommen-

12 Suet. Claud. 11,1. Vgl. – fast wörtlich übereinstimmend – Oros. 7,6,4: […] biduum illud, quo de reipublicae (sic!) statu infeliciter consultatum actumque fuerat, memoriae exemit omniumque factorum dictorumve in eo veniam et oblivionem in perpetuum sanxit. 13 Vgl. mit Hinweis auf Sen. clem. 2,7,1: Venia est poenae meritae remissio (s. auch 2,7,3), Donna W. Hurley (Ed.), Suetonius. Divus Claudius, (Cambridge Greek and Latin Classics) Cambridge 2001, 101 ad loc. 14 Vgl. nochmals Suet. Claud. 11,1: […] tribunis modo ac centurionibus paucis e coniuratorum in Gaium numero interemptis, exempli simul causa et quod suam quoque caedem depoposcisse cognouerat. Siehe dann auch Ios. ant. Iud. 19,268 f.; Cass. Dio 60,3,4, sowie die Erläuterungen von Wilhelm KIERDORF (Hrsg.), Sueton. Leben des Claudius und Nero, Textausgabe mit Einleitung, kritischem Apparat und Kommentar, (Uni-Taschenbücher; 1715) Paderborn/München/Wien/Zürich 1992, 90 ad loc., und Klaus Scherberich, Untersuchungen zur vita Claudii des Sueton, Diss. Köln 1993 (publ. 1995), 2 2000, 125 ad loc.

Ciceros Plädoyer für eine oblivio sempiterna

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tierender Weise betont.15 Ein konstruktives Verhältnis zum Senat zumal, der sich ja in Teilen klar gegen eine Principatsübernahme des Claudius gestellt hatte, mußte hergestellt werden.16 In der Tat dürfte der neue Princeps an einer dauerhaften Befriedung durch „Vergessen“ interessiert gewesen sein und sie in Form eines Edikts besonders herausgestellt haben. Dabei jedenfalls bediente sich Claudius historischer Beispiele, was Sueton zwar nicht weiter ausführt, die Parallelüberlieferung aber deutlich erkennen läßt. Bedauerlicherweise sind große Partien zu Claudius’ Regentschaft in den Taciteischen Annalen verloren, doch bei Cassius Dio und vor allem bei Orosius finden sich Spuren.17 Jener berichtet, Claudius habe dem Beispiel der Athener nachgeeifert, dieser konkretisiert es als amnestia praeclara et famosa und betont, sie habe auf Ciceros Initiative hin der römische Senat nach der Ermordung Caesars einzuführen versucht. Es überrascht nicht, daß der bekanntlich historisch versierte Claudius auf diese exempla verwies, zumal er historiae post caedem Caesaris dictatoris18 verfaßt hatte. Und damit kommen wir auf das Jahr 44 v. Chr. zu sprechen. An den Iden des März 44 v. Chr. hatten die Dolche der senatorischen Verschwörer Caesar niedergestreckt, zurück aber blieben zunächst nur Wirren und Unsicherheit.19 Ein Teil der Caesarianer indes ergriff die Initiative und suchte auf eine allgemeine Aussöhnung hinzuwirken. Noch vor Tagesanbruch des 17. März schließlich versammelte sich der Senat im Heiligtum der Tellus, dessen Sitzung der amtierende Consul M. Antonius mit einer relatio eröffnete, in der er für die Wiederherstellung der concordia, der „Eintracht“, plädierte. Nach zähem Ringen faßte man den Beschluß, die Rechtsgültigkeit der acta Caesaris, also sämtlicher Amtshandlungen Caesars anzuerkennen, sie eben nicht zu kassieren und zugleich dessen Mördern Straflosigkeit zu gewähren. An dieser Aussöhnung war auch Cicero maßgeblich beteiligt, dessen Anteil im einzelnen freilich strittig ist.20 Für unseren Zusammenhang ist ein Passus seiner Senats-

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Solche Anerkennung verrät im übrigen auch die Formulierung des Cass. Dio 60,3,5: ἐκδηλότατα γὰρ καὶ ἐν τοῖς πάντων πώποτε οὐ τῷ λόγῳ μόνον τὴν ἄδειάν σφισι […; s. die übernächste Anm.] ὑπέσχετο, ἀλλὰ καὶ τῷ ἔργῳ. Betonend etwa auch Christian Reitzenstein-Ronning, Amnestie und Verbannung in der frühen römischen Kaiserzeit, in: Harter-Uibopuu/Mitthof (2013) 251–283, hier 266. Cass. Dio 60,3,5: […] κατὰ τὸν τῶν Ἀθηναίων ζῆλον, ὡς ἔλεγεν (sc. Claudius) […]; Oros. 7,6,5. – Orosius hat in § 4 Sueton ausgeschrieben (s. o.), doch hier folgt er wohl Tacitus, wie Andreas Mehl, Orosius über die Amnestie des Kaisers Claudius: Ein Quellenproblem, RhM N. F. 121, 1978, 185–194, hier 191–194, zeigen konnte. So Suet. Claud. 42,2. Vgl. dazu und zum Folgenden Matthias Gelzer, Cicero. Ein biographischer Versuch, Wiesbaden 1969, Nachdruck 1983, 325–327, und Ulrich Gotter, Der Diktator ist tot! Politik in Rom zwischen den Iden des März und der Begründung des Zweiten Triumvirats, (Historia-Einzelschriften; 110) Stuttgart 1996, 21–25. Vgl. nämlich Gotter (1996) 24 Anm. 86 und 25 mit Anm. 93.

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Die Amnestie

rede21 von Interesse, die freilich nicht überliefert ist. Direkt zu Beginn seiner ersten Philippica aber sagt Cicero mit deutlichem Bezug (1,1,1): In quo templo, quantum me fuit, ieci fundamenta pacis Atheniensiumque renovavi vetus exemplum; Graecum etiam verbum usurpavi quo tum in sedandis discordiis usa erat civitas illa, atque omnem memoriam discordiarum oblivione sempiterna delendam censui. In diesem Heiligtum habe ich, soviel in meinen Kräften stand, den Grund für den Frieden gelegt und das alte Beispiel der Athener wieder vorgebracht; sogar das griechische Wort habe ich benutzt, dessen sich damals zur Beilegung der Zwistigkeiten jene Bürgerschaft bedient hatte, und geraten, daß jede Erinnerung an die Zwistigkeiten durch ewiges Vergessen ausgelöscht werden müsse.

So also Cicero pointiert und in gewohnter stilistischer Brillanz. Wie gesagt, es ging ihm an jenem 17. März im Senat um die Wiederherstellung der Eintracht, der concordia. Doch wie sollte man der bestehenden discordia begegnen? Cicero plädierte für ein ewiges Vergessen, für eine oblivio sempiterna, und berief sich dabei – ganz römisch – auf ein exemplum. Sein Beispiel aber bezog er nicht aus der römischen Erfahrung, vielmehr aus der Griechischen Geschichte, genaugenommen aus Athen. Und das griechische Wort, das er seltsamerweise nicht nennt, dürfte ἀμνηστία,22 vielleicht aber auch ἔκλησις gelautet haben (darauf wird zurückzukommen sein).23 In der Sache jedenfalls sprach er vom Verzicht auf Anklage und Strafvollzug und trug damit zur freilich vorläufigen Aussöhnung der Caesarianer und der Verschwörer bei. Neben Claudius’ Anordnung einer oblivio in perpetuum nach seiner holprigen Principatsübernahme sollten uns auch Ciceros Worte an das Vergessen als politische Option näher heranführen. Tiefer aber dringen wir in das Problem erst ein, wenn wir uns nun dem besagten Beispiel Athens widmen, von dem bereits zweimal die Rede war: dem sogenannten Amnestiebeschluß von 403 v. Chr., auf den Claudius verwies und Cicero in der Sache zweifellos anspielte. Schon in der Antike wurde er wohl als das Exempel schlechthin für die Befriedung eines internen Konflikts durch ein geordnetes

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Siehe dazu Vell. 2,58,4; Plut. Brut. 19,1; Cic. 42,3; HA Aur. 39,4; Oros. 7,6,5, sowie insbesondere Cass. Dio 44,22,4; 44,26,3; 44,34,1, vor allem mit der fiktiven, von ihm aber wörtlich präsentierten, stark stilisierten und insbesondere von Thukydideischen Tönen durchzogenen Rede Ciceros (44,23,1–44,33,5); dazu Fergus Millar, A Study of Cassius Dio, Oxford 1964, Nachdruck 1999, 51 f., und ausführlich Karin Sion-Jenkis, Griechisches Denken im römischen Gewand: Überlegungen zu Ciceros Amnestie-Rede nach Caesars Ermordung bei Cassius Dio (44,23–33), in: Norbert Ehrhardt / Linda-Marie Günther (Hrsgg.), Widerstand – Anpassung – Integration. Die griechische Staatenwelt und Rom, Festschrift für Jürgen Deininger zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2002, 189–206. So auch Cicero, Philippics I–II, ed. by John T. Ramsey, (Cambridge Greek and Latin Classics) Cambridge 2003, 86 ad loc. Vgl. unten unter Kap. IV. 2.

Athens sogenannter Amnestiebeschluß vom September 403 v. Chr.

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Vergessen angesehen, dann auch schon früh in der Neuzeit, wie Lemmata in Zedlers Universal-Lexicon, in jener umfangreichsten Enzyklopädie des 18. Jahrhunderts, indizieren.24 3. Athens sogenannter Amnestiebeschluß vom September 403 v. Chr. Zum besseren Verständnis sei die Ausgangssituation mit groben Strichen skizziert:25 Wohl im Juli des Jahres 404 v. Chr. wurde von der athenischen Volksversammlung unter dem Druck Spartas, dem schließlichen Sieger im Peloponnesischen Krieg, eine interemistische Kommission von dreißig Bevollmächtigten eingesetzt. Diese „Dreißig“ sollten eine neue Verfassung ausarbeiten, rissen jedoch die Macht an sich. Dieses Regiment der Oligarchen entpuppte sich sogleich als Terrorregime, dem zahlreiche Bürger, auf eine Art Schwarze Liste gesetzt, zum Opfer fielen. Den Hinrichtungen und auch weiteren sogenannten Säuberungen konnten sich manche Athener durch Flucht entziehen, und allmählich vermochten sie unter Führung der Strategen Thrasybulos, Anytos und Archinos,26 den demokratischen Widerstand zu formieren. Im Bürgerkrieg zwischen Oligarchen und Demokraten unterlag die Herrschaft der „Dreißig“ nun im folgenden Winter, doch sie machte nur einem Zehnmännergremium Platz, zwar Gegner des unterlegenen Schreckensregimes, aber nicht minder mit dem Blut der Verfolgungen besudelt. Alle Versuche, eine Einigung zu erzielen, scheiterten. Erst durch die Intervention Spartas kam es im September 403 v. Chr. zur Aussöhnung. Sie bestand zum einen darin, daß den Oligarchen im nahen Eleusis ein Sonderstaat eingeräumt wurde. Zum anderen verständigten sich die gegnerischen Parteien auf eine sogenannte allgemeine Amnestie, wobei die „Dreißig“ wie auch die „Zehn“ sowie einige bestimmte, in herausgehobener Weise mit Blut befleckte Amtsträger davon ausgenommen waren. Zweifellos, durch diese Aussöhnung blieb Athen ein langer Bürgerkrieg erspart.

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Zedler I, 1732, 1760 s. v. Amnestie; XLVII, 1746, 674 s. v. Vergessenheit, (Gesetz der). Vgl. im Detail etwa Gustav Adolf Lehmann, Die revolutionäre Machtergreifung der „Dreißig“ und die staatliche Teilung Attikas (404–401/0 v. Chr.), in: Ruth Stiehl / G. A. L. (Hrsgg.), Antike und Universalgeschichte. Festschrift Hans Erich Stier zum 70. Geburtstag am 25. Mai 1972, (Fontes et Commentationes-Supplementbände; 1) Münster 1972, 201–233; Nachdruck in: G. A. L., Forschungen zur Alten Geschichte. Kleine Schriften I, hrsg. von Bruno Bleckmann und Boris Dreyer, Stuttgart 2011, 277–309, hier 289–297; Karl-Wilhelm Welwei, Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert, Darmstadt 1999, 248–253 mit 409–411; Wilfried Nippel, Bürgerkrieg und Amnestie: Athen 411–403, in: Smith/Margalit (1997) 103–119, hier 106–109. – Wissenschaftsgeschichtlich besonders interessant ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund die früher entstandene, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte Studie von Alfred P. Dorjahn, Political Forgiveness in Old Athens: The Amnesty of 403 B. C., (Northwestern University Studies in the Humanities; 13) Evanston 1946. Kirchner, PA 7310; 1324; 2526.

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Die Amnestie

Die feinsinnigen Vereinbarungen dieser διαλύσεις, dieser „Aussöhnung“, hat Aristoteles in seiner Schrift vom Staat der Athener bewahrt.27 Hier aber ist allein entscheidend, wie man der durch das Terrorregime und durch den Bürgerkrieg gewiß tief sitzenden Verbitterung begegnete, die nichts Gutes ahnen ließ. Wie gehabt, dem Sühnegedanken sollte Genüge getan werden, indem man die „Dreißig“, die „Zehn“ und einige weitere durch eine Sonderbestimmung von einer Generalamnestie ausnahm. Von weiterer Strafverfolgung aber sah man ab, griff sogar in der Folgezeit bei Nichtbeachtung hart durch. So ließ Archinos einen Mann, der rückwirkend Klage erhoben hatte, ohne Gerichtsverhandlung durch den Rat hinrichten, um ein Exempel zu statuieren, das – so jedenfalls Aristoteles – Erfolg zeitigte.28 Besonders bemerkenswert aber ist die Formel, die im September 403 v. Chr. das Vergessen der politischen Morde besiegelte, eine Formel, die in der Athenaíōn politeía wohl wortgetreu wiedergegeben wird. Von ἀμνηστία, wie wir vielleicht erwarten und wie es etwa im späten Zeugnis des Plutarch zu finden ist,29 ist nicht die Rede. Dieses uns so vertraute Wort ist im übrigen nicht vor dem frühen 2. Jahrhundert v. Chr. belegt.30 Vielmehr lesen wir bei Aristoteles folgende Wendung: τῶν δὲ παρεληλυθότων μηδενὶ πρὸς μηδένα μνησικακεῖν ἐξεῖναι […]. wegen des Vergangenen soll es niemandem erlaubt sein, jemandem Böses nachzutragen […].31

Verkürzt lautete die Formel μὴ μνησικακεῖν, „nichts Böses nachtragen“, aber ebenso „(erlittenes) Böses vergessen“. Es dürfte nämlich kein Zufall sein, daß die lateinischsprachigen Autoren schlicht substantivisch von oblivio, „Vergessen“, sprechen,32 denn das verbale Vorderglied μηησι- führt auf μιμνήσκω, „(sich) erinnern, gedenken“.33 Das Verb μνησικακεῖν ist also zunächst einmal mit „sich des (erlittenen) Bösen erinnern“

27 Aristot. Ath. pol. 39,1–6 = Staatsverträge II2 156–158 Nr. 213 (vgl. And. 1,90; Xen. Hell. 2,4,38; 2,4,43; Diod. 14,33,6 [dieser freilich mit falscher Datierung]). Siehe im einzelnen etwa Dössel (2003) 96–111; Philipp Scheibelreiter, Atheniensium vetus exemplum: Zum Paradigma einer antiken Amnestie, in: Harter-Uibopuu/Mitthof (2013) 95–126, hier 99–113. 28 Aristot. Ath. pol. 40,2. Zur Einordnung s. nur Nippel (1997) 112–114. 29 Vgl. Plut. Praecepta gerendae rei publicae 17 (= mor. 814 b), wo es heißt: […] τὸ ψήφισμα τὸ τῆς ἀμνηστίας ἐπὶ τοῖς τριάκοντα […]. Siehe auch Plut. Cic. 42,3. 30 So im Isopolitievertrag zwischen Milet und Herakleia am Latmos von ca. 184 v. Chr., IMilet I 3, 150 lin. 36 = Syll.3 633 lin. 36 = Staatsverträge IV 152–164 Nr. 644, sowie im wohl in denselben Zeithorizont gehörenden Friedensvertrag zwischen Milet und Magnesia am Maiandros, IMilet I 3, 148 lin. 62 = Syll.3 588 lin. 62 = Staatsverträge IV 164–172 Nr. 645. Vgl. grundsätzlich Passow 5 I 1, 132 s. v. ἀμνηστία, und Liddell/Scott/Jones 84 s. v. 31 Aristot. Ath. pol. 39,6. – Auch andere literarische Zeugen gebrauchten im Zusammenhang der sogenannten Amnestie von 403 v. Chr. diese Wendung. Vgl. Isokr. 18,3; And. 1,90 f.; Xen. Hell. 2,4,43; Aischin. 2,176; 3,208; Cass. Dio 44,26,3; dazu Peter John Rhodes, A Commentary on the Aristotelian Athenaion Politeia, Oxford 1981, Nachdruck (with Select Addenda) 1993, 468 f. 32 So nämlich Nep. Thr. 3,2; Val. Max. 4,1 ext. 4, und Iust. 5,10,11. 33 Vgl. Frisk, Gr. etym. Wörterbuch II 239 s. v. μιμνήσκω; Chantraine, Dict. étym. 703 s. v.

Athens sogenannter Amnestiebeschluß vom September 403 v. Chr.

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beziehungsweise mit „des (erlittenen) Bösen eingedenk sein“ zu übersetzen, wie es schon bei Aristophanes verneinend in der wohl 411 aufgeführten Komödie Lysistrate aufscheint (vgl. 590). Folglich kann die verneinende Formel μὴ μνησικακεῖν eben auch „(erlittenes) Böses vergessen“ meinen. Für den hier interessierenden Zusammenhang nun ist Folgendes besonders wichtig: Die gemeinhin als Amnestiebeschluß bezeichnete athenische Vereinbarung vom September 403 v. Chr. stellt gewissermaßen ein politisches Vergessensgebot dar. Die politischen, wohlgemerkt: die politischen Morde sollten vergessen werden, nicht nur, um den inneren Krieg zu beenden, sondern darüber hinaus inneren Frieden zu ermöglichen. Und vielleicht wurde sogar der literarisch bezeugte, so rätselhafte, im Erechtheion befindliche Altar der Lethe, der göttlichen Personifikation des Vergessens,34 erst anläßlich dieser Vereinbarung geweiht.35 *** Für die Eigenarten und Bedingungen von Vergessensgeboten sollten uns die voranstehenden Beispiele von bekannten und unbekannteren Amnestien sensibilisieren. Aus ihnen ragt die athenische heraus. Kaum zufällig beriefen sich Cicero und Claudius auf sie. Denn: Der athenischen Amnestie war Erfolg beschieden, auch wenn Sparta den Verzicht auf Anklage, Aufnahme von Verfahren, Urteilsvollstreckung und Strafvollzug oktroyiert hatte.36 Das Lob des Andokides, das er seinen Mitbürgern wenige Jahre später aussprach, daß sie keine Rache gesucht hatten (vgl. 1,140), war vollkommen berechtigt. Denn um so bemerkenswerter war jener Erfolg, berücksichtigen wir das selbstverständliche Rachegebot in der griechischen Kultur, ja überhaupt in der Antike, das auf die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote führt.

34 Plut. Quaestiones convivales 9,6 (= mor. 741 b), der im übrigen als einziger Zeuge den βωμὸς Λήθης erwähnt und damit Lethe als in Athen kultisch verehrte Göttin bezeugt. Vgl. Wilhelm Kroll, RE XII 2, 1925, 2141–2144 s. v. Lethe 1, hier 2141. 35 Flaig (2004 a) 35 f., stellt seiner Studie voran, die Setzung des Altars sollte den einstigen Streit zwischen Athene und Poseidon um das attische Land vergessen machen (s. auch Dens. [2004 b] 102). Dafür spricht einiges, aber wie ist der Textzusammenhang (Poseidon neben Thrasybulos!) bei Plutarch (vorige Anm.) dann zu bewerten? 36 Zum Erfolg s. auch die Bemerkungen von Lehmann (1972/2011) 302 f., und Peter Funke, Homónoia und Arché. Athen und die griechische Staatenwelt vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis zum Königsfrieden (404/3–387/6 v. Chr.), (Historia-Einzelschriften; 37) Wiesbaden 1980, 8–11, 15 f., 19–25. – Siehe in diesem Zusammenhang ebenso die interessanten, ihre älteren Arbeiten aufgreifenden Überlegungen von Nicole Loraux, Das Vergessen in der Erinnerung der athenischen Demokratie, in: Gary Smith / Hinderk M. Emrich (Hrsgg.), Vom Nutzen des Vergessens, (Einstein Bücher) Berlin 1996, 79–104 (vgl. Dies., L’oubli dans la cité, TR 1, 1980, 213–242; De l’amnestie et de son contraire, in: Yerushalmi/Loraux/Mommsen/Milner/Vattimo [1988] 23–47; La cité divisée. L’oubli dans la mémoire d’Athènes, [Critique de la politique Payot] Paris 1997; dann in amerikanischer Übers. von Corinne Pache und Jeff Fort: The Divided City: On Memory and Forgetting in Ancient Athens, New York 2002), sowie, daran anknüpfend, Flaig (1991) passim, und DeNs. (1999) 67–85.

IV. Die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote Amnestien, im praktizierten Sinne, waren zunächst einmal rechtlich fixierte Verbote der Strafverfolgung, wie sie auch uns geläufig sind. Darüber hinaus, und vielleicht viel wichtiger im antiken Kontext, verpflichteten sie zugleich auf einen Verzicht auf Rache und berührten damit eine weit wirkmächtigere Ebene, weil diese im Gefühlshaushalt verankert ist und Amnestien deshalb besonderer eidlicher und ritueller Befestigung bedurften.1 Die Einhegung des Bedürfnisses nach Rache, solche Affektkontrolle, war (und ist) eine Herausforderung – für den einzelnen wie für die Gruppe. Wie geboten sie aber war, zeigt allein die antike Vergeltungsethik, der antikes Denken als Ausweg auch das Vergessen entgegensetzte. Sie gibt uns nicht nur eine erste, sondern auch eine grundlegende Vorstellung von der Notwendigkeit politischer Vergessensgebote. 1. Zur Vergeltungsethik der Antike In prinzipieller Hinsicht kennen griechische und römische Kultur keinen Unterschied, „Rache“, τιμωρία und ultio, war allgegenwärtig, die Belege sind Legion.2 Da half auch keine Christianisierung, allenfalls ,klassische‘ „Milde“, die πραότης respektive die clementia, wie sie am leichtesten noch ein Kaiser üben konnte (s. o.). Den Freunden Gutes, den Feinden Böses zu tun war des Mannes Ziel, der Freunde Feinde waren die 1 2

Dazu s. insbesondere Angelos Chaniotis, Normen stärker als Emotionen? Der kulturhistorische Kontext der griechischen Amnestie, in: Harter-Uibopuu/Mitthof (2013) 47–70. Siehe auch die generellen Beobachtungen von Gehrke (1985) 264 f. Vgl. pointiert Hans-Joachim Gehrke, DNP X, 2001, 745–747 s. v. Rache; s. auch, freilich mit Einschränkungen, da sehr eigensinnig und recht apodiktisch angesichts eines Handbuchbeitrags, Egon Flaig, Rache, in: Nadine Grotkamp / Anna Seelentag (Hrsgg.), Konfliktlösung in der Antike, (Handbuch zur Geschichte der Konfliktlösung in Europa; 1) Berlin/Heidelberg 2021, 27–36. – Für die so vielbeachtete Rache in der griechischen Kultur s. allein den grundlegenden Aufsatz von Hans-Joachim Gehrke, Die Griechen und die Rache. Ein Versuch in historischer Psychologie, Saeculum 38, 1987, 121–149; Nachdruck mit einem Nachwort in: Ders., Ausgewählte Schriften I: Politik und politisches Denken, hrsg. von Kai Trampedach und Christian Mann, Stuttgart 2019, 206–240 mit 396–399. Für die römische Welt steht, soweit ich sehe, eine Studie vergleichbarer analytischer Tiefe noch aus.

Zur Vergeltungsethik der Antike

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eigenen Feinde, Rache erzeugte Rache, ja sie konnte sogar naturrechtlich begründet werden (vgl. Cic. top. 23,90). Mit Recht läßt sich von einer „Vergeltungsethik der Antike“ sprechen, denn, wie schon unser Wort erkennen läßt, ist damit das Prinzip der Reziprozität3 berührt: Gleiches muß mit Gleichem vergolten werden. Wie wirkmächtig die Talion, solche gleiche Wiedervergeltung selbst auf höchster Ebene war, zeigen allein zwei bekannte Fälle an den Schnittstellen der Griechischen und Römischen Geschichte: Alexander III. von Makedonien konnte wie schon sein Vater Philipp II. den Feldzug gegen die Perser auch mit der Rache am Frevel an den Heiligtümern in Athen und anderswo in den Jahren 480 und 479 v. Chr. begründen und so – fast 150 Jahre später – die griechischen Alliierten mobilisieren.4 Und in aller Selbstverständlichkeit betonte Augustus in seinen reichsweit, in lateinischer wie auch griechischer Sprache publizierten Res gestae, er habe schon früh die Untat der Caesarmörder in einer Doppelschlacht (sc. bei Philippi im Jahre 42 v. Chr.) gerächt (r.g. 2 p. 5 Scheid: ultus beziehungsweise τειμω[ρ]ησάμε[ν]ος). Diesen gebotenen Akt der pietas sollte der Divi filius übrigens vierzig Jahre später mit der Dedikation des dem Mars als Ultor, als „Rächer“, vor jener militärischen Konfrontation gelobten Tempels auf dem Forum Augustum unterstreichen.5 Wir können uns leicht vorstellen, daß schnell ein verhängnisvoller Kreislauf entstehen konnte, zumal sich der Anspruch auf Vergeltung vererbte.6 Und Kriege, sei es der äußere, sei es wohl vor allem der innere, haben das tiefe Bedürfnis nach Rache noch gesteigert. In seiner „Pathologie des Bürgerkrieges“, in seiner so vielbeachteten, da überzeitlichen Analyse der stásis auf Korkyra, hat Thukydides bezeichnenderweise geschrieben: „Einen rächenden Gegenschlag zu führen wurde mehr geschätzt, als selbst vorher keinen Schlag versetzt bekommen zu haben.“7 Bei Tacitus außerdem findet sich im Kontext seiner Darstellung des von Schonungslosigkeit bestimmten „Vier-Kaiser-Jahres“ die signifikante Sentenz: „Soviel mehr ist man geneigt, ein Unrecht zu erwidern als eine Wohltat zu vergelten, wie ja Dankespflicht als Last, Befriedigung der Rache als Gewinn betrachtet wird.“8

Siehe insbesondere Walter Burkert, ›Vergeltung‹ zwischen Ethologie und Ethik. Reflexe und Reflexionen in Texten und Mythologien des Altertums, (Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Themen; 55) München 1994; Nachdruck in: Ders., Kleine Schriften IV: Mythica, Ritualia, Religiosa 1, hrsg. von Fritz Graf, (Hypomnemata. Supplement-Reihe; 2,4) Göttingen 2011, 255–278, bes. 263 f. 4 Vgl. etwa, den weiten Horizont ausziehend, Heinz Bellen, Der Rachegedanke in der griechisch-persischen Auseinandersetzung, Chiron 4, 1974, 43–67; Nachdruck in: Ders., Politik – Recht – Gesellschaft. Studien zur Alten Geschichte, hrsg. von Leonhard Schumacher, (Historia-Einzelschriften; 115) Stuttgart 1997, 1–24. 5 Kienast (52014) 241–244. 6 Dazu die Beobachtungen von Gehrke (1987/2019) 218 f. 7 Thuk. 3,82,7 (Übers. von Michael Weissenberger): […] ἀντιτιμωρήσασθαί τέ τινα περὶ πλείονος ἦν ἢ αὐτὸν μὴ προπαθεῖν […]. 8 Tac. hist. 4,3,2 (Übers. von Joseph Borst): tanto proclivius est iniuriae quam beneficio vicem exsolvere, quia gratia oneri, ultio in quaestu habetur.

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Die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote

Angesichts des Rachegebots, angesichts dieser mentalen Disposition der Griechen und Römer, war es ein großes Wagnis, den Weg des politischen Vergessens zu beschreiten – so dürfen wir ruhig sagen. Alle Erfahrung stand entgegen. Und doch beruhte wohl das Vergessen als politische Option just auf den allgegenwärtigen erschrekkenden Erfahrungen von Rache und Gegenrache. Denn wollte man diesen Kreislauf durchbrechen, war das Vergessen nötig, ja notwendig, um der Gefahr der Vergeltung zu entrinnen und eine Aussöhnung zu steuern. Diese Einsicht hat sich hie und da artikuliert. In spätseverischer Zeit etwa hat sie Cassius Dio dem Cicero in seiner oben gewürdigten Senatsrede, die nach der Ermordung Caesars für ein „ewiges Vergessen“ plädierte, mit wohlgesetzten Worten zugeschrieben, wenn er ihn unter anderem von einem κύκλος τις ἐξ ἀνάγκης […] τῶν κακῶν, von „einer gewissen Kreisbewegung der Übel infolge von Notwendigkeit“, sprechen ließ.9 Gewiß, allmählich hatten sich Rechtsinstrumente gefunden, um die unerbittliche Verkettung der Vergeltung zu durchbrechen. Das Auftreten von Schlichtern wie Zaleukos und Gesetzgebern wie Drakon, ja überhaupt das Aufkommen eines nómos-Gedankens, dann von Gesetzgebung und der Übung einer Rechtspflege10 bis hin zu modern anmutenden Instrumenten wie geordneten Schiedsverfahren11 zeugen auch von solchen Bemühungen. In einem höheren Sinne legt die Attische Tragödie Zeugnis von 9 Cic. Phil. 1,1,1; Cass. Dio 44,29,1–4 (Zitat in § 1). Vgl. oben Kap. III. 2. – Siehe in diesem Zusammenhang auch die schönen Verse Pindars im zweiten Olympischen Lied (vgl. die besondere Würdigung von Inhalt und Form von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Pindaros, Berlin 1922 = Hildesheim 31985, 244 f.), im ersten von zweien Epinikien für Theron von Akragas, des noch archaisch anmutenden Dichters, die uns zeitlich hoch hinaufführen. In O. 2,15–22, heißt es: […] τῶν δὲ πεπραγμένων / ἐν δίκᾳ τε καὶ παρὰ δίκαν, ἀποίητον οὐδ᾽ ἂν / χρόνος ὁ πάντων πατὴρ δύναιτο θέμεν ἔργων τέλος· / λάθα δὲ πότμῳ σὺν εὐδαίμονι γένοιτ᾽ ἄν. / ἐσλῶν γὰρ ὑπὸ χαρμάτων πῆμα θνάσκει / παλίγκοτον δαμασθέν, / ὅταν θεοῦ Μοῖρα πέμπῃ / ἀνεκὰς ὄλβον ὑψηλόν. […]. – „[…] Von Taten, die geschehen sind, zu Recht und wider Recht, kann auch / der Zeitgott, der Vater aller Dinge, / nicht ungetan machen das Ende; / doch Vergessen mag mit glücklichem Los kommen. / Denn unter edlen Freuden stirbt das Leid, / im Wiederaufgrollen gebändigt, / wenn Gottes Moira sendet / empor hohen Segen. […].“ (Übers. von Dieter Bremer). 10 Hans-Joachim Gehrke, Gesetz und Konflikt. Überlegungen zur frühen Polis, in: Jochen Bleicken (Hrsg.), Colloquium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Alfred Heuß, (Frankfurter Althistorische Studien; 13) Kallmünz 1993, 49–67; Nachdruck mit einem Nachwort in: Gehrke (2019) 11–29 mit 390– 393; Ders., Der Nomosbegriff der Polis, in: Okko Behrends / Wolfgang Sellert (Hrsgg.), Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, 6. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“, (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse; 3. Folge, 209) Göttingen 1995, 13–35; Nachdruck mit einem Nachwort in: Gehrke (2019) 30–54 mit 390–393; Karl-Joachim Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, (Historia-Einzelschriften; 131) Stuttgart 1999; Winfried Schmitz, „Drakonische Strafen“. Die Revision der Gesetze Drakons durch Solon und die Blutrache in Athen, Klio 83, 2001, 7–38; Ulrich Manthe, Entstehung von Konfliktlösungsinstitutionen in Rom, in: Grotkamp/Seelentag (2021) 219–232 (auch und gerade zum Zwölf-Tafel-Gesetz). 11 Kaja Harter-Uibopuu, Mediation und Schiedsverfahren im antiken Griechenland, in: Grotkamp/Seelentag (2021) 187–195; Wolfram Buchwitz, Schiedsverfahren und Mediation in Rom, in: ebd. 197–205.

Zur Vergeltungsethik der Antike

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dieser Rechtskultur ab, die Rache und Gegenrache überwinden wollte und sollte. Vor allem die Orestie des Aischylos sei genannt, aber auch manch eindringliche Passage bei den beiden anderen großen Tragikern des 5. Jahrhunderts zeugt von solchen Anstrengungen.12 Dies war zweifellos ein Fortschritt, aber wie verhält es sich mit dem Vergessen als politischer Option? Weitere Vergessensgebote in Form der Amnestie, die den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildete, sind, wenn auch nicht so breit und so gut wie der oktroyierte Beschluß Athens von 403 v. Chr., durchaus bezeugt.13 Selbst die Formel μὴ oder auch οὐ μνησικακεῖν, „nichts Böses nachtragen“, ob nun als Vereinbarung einer förmlichen Amnestie oder einer formlosen Verständigung, finden sich in der epigraphischen und literarischen Tradition zur klassischen Zeit immer wieder,14 sogar einmal, freilich erst im 3. Jahrhundert, eine verwandte Wendung, nämlich – im dorischen Dialekt – μὴ μνασιχολεῖν, etwa „nicht aufgrund von Erinnerung zürnen“.15 Auffälligerweise aber finden sich keine Zeugnisse für die Zeit vor dem 5. Jahrhundert. Die aufgrund ihrer Bezeugung ältesten Beispiele (s. o.) führen bestenfalls sogar nur in die 430er oder 420er Jahre, berücksichtigen wir die Schaffenszeit des Herodot: das von dem Historiographen mitgeteilte Angebot der Thessaler an die Phoker nach der Schlacht bei den Thermopylen, man werde ihnen „nichts Böses nachtragen“, und die Wendungen im inschriftlich überlieferten, klar datierten Bündnisvertrag zwischen Athen und den Bottiaiern, der diese in den Seebund wiedereingliederte.

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Vgl. etwa Eur. Med. 811–813, wo die Chorführerin der auf Rache sinnenden Medeia unter Hinweis auf die Gesetze der Menschen (νόμοις βροτῶν [812]) Hilfe anbietet und vor der (Un)Tat warnt. Siehe überhaupt die typologischen, feinsinig differenzierenden Ausführungen von Martin Dreher, Die Herausbildung eines politischen Instruments: Die Amnestie bis zum Ende der klassischen Zeit, in: Harter-Uibopuu/Mitthof (2013) 71–94, mit einer „Kurzliste der bezeugten Amnestien“ (86–92). Hier eine kleine Zusammenstellung von Belegen, die keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, vielmehr zeigen soll, wie verbreitet die Formel war: Angebot der Thessaler an die Phoker (480 v. Chr.): Hdt. 8,29,2. – Megara bei Wiederaufnahme von Exilierten (424 v. Chr.): Thuk. 4,74,2. – Bündnis zwischen Athen und den Bottiaiern (422 v. Chr.): Syll.3 89 lin. 15 und 20 f. = IG I3 76 lin. 15 und 20 f. = Staatsverträge II2 113–115 Nr. 187. – Samos nach einem Umsturzversuch (411 v. Chr.): Thuk. 8,73,6. – Vertrag zwischen Thasos und Neapolis (nach 411 v. Chr.): IG XII 5, 109 lin. 12 = Staatsverträge II2 143–145 Nr. 204 (freilich konjiziert). – Syrakus, genaugenommen Dionysios I., bei Wiederaufnahme von Aufständischen (404 v. Chr.): Diod. 14,9,6. – Friedensvertrag zwischen Athen und Eleusis (401 v. Chr.): Xen. Hell. 2,4,43 = Staatsverträge II2 159 Nr. 215. – Kyrene nach einer stásis (401 v. Chr.): Diod. 14,34,6. – Korinth, eidliche Zusicherung an Flüchtlinge nach Umsturz (392 v. Chr.): Xen. Hell. 4,4,5. – Dikaia in Makedonien, gegenseitige eidliche Versicherung nach stásis (ca. 364/63 Jahre v. Chr.): SEG LVII 576 lin. 73. – Vertrag zwischen Athen und Iulis auf Keos (362 v. Chr.): IG II2 111 lin. 58 und 82 f. = Syll.3 173 lin. 58 und 82 f. = Rhodes/Osborne, GHI 39 lin. 58 und 82 f. = Staatsverträge II2 246–250 Nr. 289. – &c., pp. Bislang nur belegt durch einen Volksbeschluß des arkadischen Alipheira, wohl aus dem Jahre 273 v. Chr.: SEG XXV 447 lin. 4 f. Vgl. die doch wohl zu schwache Übersetzung im Liddell/ Scott/Jones, Suppl. 210 f., s. vv. μνασιχολέω und μνησιχολέω: „harbour a grudge“.

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Die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote

Vordergründig betrachtet, führt der Befund der Quellen also nicht wesentlich weiter als jenes athenische Vergessensgebot von 403 v. Chr. zurück. So vermutete man, es handele sich beim, wie wir es nennen: Vergessen als politischer Option um eine Neuerung jener Zeit.16 Eine solche Vermutung aber erscheint sofort fragwürdig, blicken wir weiter zurück. Die archaische Dichtung bietet Anhaltspunkte. 2. Eine politische Option älterer Zeit: Die éklēsis des Zeus und das unversöhnliche Vergessen des Alkaios Bereits in der Homerischen Odyssee findet sich eine Spur, die uns zugleich auf den verhängnisvollen Kreislauf der Vergeltung zurückführt. Denn dieses Epos ist nicht nur eine grandiose Erzählung von der schließlichen „Heimkehr“ des Helden nach schier endlosen Irrfahrten, also ein νόστος ohnegleichen, es thematisiert auch die lang vorbereitete Rache des Odysseus an den Freiern, die Penelope, seine Frau, bedrängten, die Haus und Hof zu versaufen, ja seine Machtstellung zu rauben drohten.17 Die Odyssee feiert die Rache und gipfelt in ihr. Gegen Ende, im 24. Gesang, hat sich Odysseus an den unverschämten Freiern gerächt, die Angehörigen der Ermordeten jedoch sinnen sogleich auf Gegenrache. Ithaka droht im Blut zu versinken. In dieser ausweglosen Situation nun sucht Athene Rat bei Zeus, und der Göttervater beschließt: ἐπεὶ δὴ μνηστῆρας ἐτίσατο δῖος Ὀδυσσεύς, ὅρκια πιστὰ ταμόντες ὁ μὲν βασιλευέτω αἰεί, ἡμεῖς δ᾽ αὖ παίδων τε κασιγνήτων τε φόνοιο ἔκλησιν θέωμεν· τοὶ δ᾽ ἀλλήλους φιλεόντων ὡς τὸ πάρος, πλοῦτος δὲ καὶ εἰρήνη ἅλις ἔστω. Nachdem es der göttliche Odysseus die Freier büßen ließ, soll man verläßliche Eidesopfer schlachten, daß er als König herrsche immer. Doch wollen wir hinwieder ein Vergessen des Mordes an den Söhnen wie den Brüdern setzen, und sie sollen einander befreundet sein wie vorher, und es soll Reichtum und Friede in Fülle sein!18

Gewiß, trotz des göttlichen Beschlusses kommt es noch einmal zum Kampf, der Blitz aber, den Zeus schließlich schleudert, läßt Odysseus endlich einhalten. Und Athene läßt die verfeindeten Männer die Treueide schwören, welche die Odyssee beschließen und die das befriedende Vergessen stiften. 16 So Meier (1996) 940 f.; Ders. (1997) 67 (vgl. 70 f.); andeutend Ders. (2010) 17 f. mit 101 f. 17 An diese leicht zu übersehende Akzentuierung der Odyssee, die sich ja auch in der Komposition zeigt, hat Gehrke (1987/2019) 228, eindringlich erinnert. 18 Hom. Od. 24,482–486 (Übers. von Wolfgang Schadewaldt).

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Allein die ἔκλησις, das „(gesetzte) Vergessen“, macht dem Blutbad ein Ende, denn es ist Zeus, der es „setzt“ (vgl. θέωμεν).19 Wenn auch durch göttlichen Ratschluß und göttliches Eingreifen verfügt, die Menschen von Ithaka finden durch diese éklēsis den (dauerhaften)20 Frieden – das Wort übrigens ein Hapax legomenon, ein substantivisches Derivat von ἐκλανθάνεσθαι,21 das Cicero vielleicht bei der Vorbereitung jener Amnestierede auch (sic!) im Sinn hatte, als er jenes Graecum verbum offenkundig nicht nennen wollte.22 Ob nun in diesem Verbalabstraktum „ein neuer politischer Fachausdruck“23 zu sehen ist oder nicht, lassen wir diese lexikalischen Beobachtungen auf sich beruhen, wir können es aufgrund des fehlenden Befundes, der durch Vergleich eine valide Einschätzung ermöglichte, ohnehin nicht überprüfen. Für uns stellt sich vielmehr die Frage: Inwieweit bieten diese Verse der Odyssee einen historischen Reflex auf geglückte oder zumindest unternommene Versuche, auf ähnliche Weise Konflikte beizulegen? Wir wissen nicht, ob die Griechen der Zeit um 700 v. Chr., als wohl die Odyssee schriftlich fixiert wurde, durch solche Eide ein befriedendes Vergessen bekräftigten, noch wissen wir überhaupt, ob in archaischer Zeit jemals der Ausweg des Vergessens tatsächlich beschritten worden ist. Gelegenheiten gab es in jener von stáseis, von inneren Kämpfen und Kriegen erschütterten Periode genug. Was hier jedoch im Mythos gespiegelt wird, ist ein erster, auch ideengeschichtlich24 wichtiger Anhaltspunkt. Denn in die Vorstellungswelt war das Vergessen als politische Option offensichtlich längst eingedrungen. Noch aber konnten die Menschen das Heft nicht selbst in die Hand nehmen. Darauf wird zurückzukommen sein. Der Befund des Epos wirft noch manche Frage auf,25 zumal der weitere Blick führt uns auf zusätzliche Probleme. In Hesiods Theogonie etwa, worauf lediglich hingewiesen sei,

Vgl. in diesem Zusammenhang Hom. Il. 4,82–84, sowie Martin Schmidt, LfgrE II [1984 (11. Lieferung)] 505 s. v. ἔκλησις: „[…] Verb.abstr. + τίθημι hier nicht nur Umschr. des (kausat.) Verbs (,wir wollen vergessen machen‘), sondern verstärkend wie Edikt: wir wollen ein Vergessen setzen (= ,weitere Rache od. Strafe verbieten‘) […].“ 20 Folgen wir Howard Jones, Homeric Nouns in –sis, Glotta 51, 1973, 7–29, hier 13: „[…] the –sis abstract serves to present the condition of ,forgetting‘ as a continuing one.“ 21 Passow 5 I 2, 839 s. v. ἔκλησις (unbefriedigend Liddell/Scott/Jones 512 s. v.); s. auch Joseph Russo / Manuel Fernández-Galiano / Alfred Heubeck, A Commentary on Homer’s Odyssey III: Books XVII–XXIV, Oxford 1992, 413 ad loc. 22 Vgl. oben Kap. III. 2. zu Cic. Phil. 1,1,1. 23 Walter Porzig, Die Namen für Satzinhalte im Griechischen und im Indogermanischen, (Untersuchungen zur indogermanischen Sprach- und Kulturwissenschaft; 10) Berlin 1942, 193. 24 Vgl. die Beobachtungen zur Rolle des Zeus von Hartmut Erbse, Beiträge zum Verständnis der Odyssee, (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte; 13) Berlin/New York 1972, 140 (auch und gerade zur Komposition), sowie von Dems., Untersuchungen zur Funktion der Götter im homerischen Epos, (ebd.; 24) Berlin/New York 1986, 242 f., 254–256. 25 Vgl. das von Gerry C. Wakker, LfgrE II [1991 (14. Lieferung)] 1627–1631 s. v. λανθάνω, λήθω; 1682 s. v. ληθάνω; 1682 s. v. λήθη, Λήθη; 1688 s. v. λησμοσύνη, zusammengestellte Material. 19

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lesen wir von den Töchtern der Nacht, der Nyx, unter diesen Nachtwesen auch Eris, die Personifikation des Streits (211–225). Eris ihrerseits, so heißt es weiter, gebar zahlreiche Kinder, darunter den Ponos, die „Mühsal“, den Limos, den „Hunger“, die Algea, die „Schmerzen“, die Machai, die „Kämpfe“, die Phonoi, die „Morde“, und weitere üble Ausgeburten, darunter aber ebenso die Lethe (226–232). Die Nachkommen der Eris sind gewiß als buchstäbliche Folgen des Streits zu verstehen,26 so auch die Lethe, denken wir daran, wie zerstörerisch das Vergessen als Vergessenheit sein kann. Und doch irritiert Lethe im Kreise solcher Geschwister, die allesamt – in vortheoretischer Manier – deutlich negative Qualitäten verkörpern (sollen). Denn im Unterschied zu den anderen, oben genannten Kindern der Eris ist sie, wie wir längst wissen, ambivalent, genauso wie ihre Mutter,27 birgt sie doch, obwohl bei Hesiod ein Streitwesen und als Enkelin der Nyx eine nächtige Gewalt, zugleich eine friedenstiftende Kraft, wie wir an einem letzten Beispiel der archaischen Dichtung verfolgen wollen. Das Epos sollte uns weiter sensibilisieren, seine mythische Sprache aber bleibt seltsam dunkel und abstrakt. Die Frage nach dem ‚Sitz im Leben‘ drängt sich auf. Die archaische Lyrik freilich bietet eine deutlichere Spur und führt zu Alkaios von Mytilene auf Lesbos. Unter den Liedern des Alkaios finden die στασιωτικὰ ποιήματα (so Strab. 13,2,3 [C 617]) das besondere Interesse des Historikers. Denn diese „Bürgerkriegslieder“ führen unmittelbar zu den langwierigen Kämpfen der Aristokratie, die Mytilene in den Jahrzehnten vor und nach 600 v. Chr. erschütterten und wechselnde Tyrannenherrschaften hervorbrachten.28 Alkaios war als Angehöriger der Elite selbst an diesen stáseis beteiligt, repräsentiert folglich den in archaischer Zeit nicht seltenen Typus des aristokratischen Sängers und Kämpfers. Besonders seine sogenannte Stasisdichtung richtete 26

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Siehe Hermann Fränkel, Drei Interpretationen aus Hesiod, in: Festschrift für Richard Reitzenstein zum 2. April 1931 dargebracht, hrsg. von Eduard Fraenkel und Hermann Fränkel, Leipzig/Berlin 1931, 1–22; dann überarbeitet in: H. F., Wege und Formen frühgriechischen Denkens. Literarische und philosophiegeschichtliche Studien, hrsg. von Franz Tietze, München 21960, 316–334, hier 321. Vgl. Dens., Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts, München 31969, Nachdruck (Beck’sche Sonderausgaben) 1976, 114. Vgl. nämlich die Charakterisierung der Eris als gute und schlechte in Hesiods Werken und Tagen (11–26), die zu der in der Theogonie nicht in Widerspruch steht, wie Michael Theunissen, Hesiods theogonische Eris, in: Paul van Tongeren / Paul Sars / Chris Bremmers / Koen Boey (Eds.), Eros and Eris: Contributions to a Hermeneutical Phenomenology. Liber Amicorum for Adriaan Peperzak, (Phaenomenologica; 127) Dordrecht/Boston/London 1992, 11–23, zeigen konnte. Vgl. im Überblick Helmut Berve, Die Tyrannis bei den Griechen I: Darstellung; […] II: Anmerkungen, München 1967, I 91–95 mit II 572–575, und Loretana de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 313–330. Siehe auch Oswyn Murray, Early Greece, (Fontana History of the Ancient World) London 21993; dann in deutscher Übers. und Bearbeitung von Kai Brodersen: Das frühe Griechenland, (dtv-Geschichte der Antike; 1) München 51995, hier 198–202.

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sich an die im Symposion versammelten ἑταῖροι, „Gefährten“, und sollte zur Stärkung der Gruppe als einer gleichgesinnten Kampfgemeinschaft beitragen.29 Uns gewähren somit die Lieder des Alkaios – im Unterschied etwa zur Geschichtsschreibung – die bedenkenswerte Innensicht eines Zeitzeugen, deren ausgesprochene Subjektivität uns zum politischen Empfinden und Denken eines archaischen Aristokraten führt.30 Wir wollen unser Augenmerk auf ein Lied richten, das sicherlich in eine spätere Phase der schweren Auseinandersetzungen in Mytilene gehört. Es sind im besonderen Verse der zweiten und dritten Strophe, die für unsere Frage von Interesse sind: κῆνος δὲ παώθεις Ἀτρείδα [ ]̣ ̣ [ δαπτέτω πόλιν ὠς καὶ πεδὰ Μυρσί [̣ λ]ω̣[ θᾶς κ᾽ἄμμε βόλλητ᾽ Ἄρευς ἐπιτ ̣ ύχε ̣ ̣ [ τρόπην· ἐκ δὲ χόλω τῶδε λαθοίμεθ ̣ ̣ [· 10 χαλάσσομεν δὲ τὰς θυμοβόρω λύας ἐμφύλω τε μάχας, τάν τις Ὀλυμπίων ἔνωρσε, δᾶμον μὲν εἰς ἀυάταν ἄγων Φιττάκωι δὲ δίδοις κῦδος ἐπήρ[ατ]ο̣ν.̣ Doch er, verschwägert nun mit dem Atreidenhaus, mag nun fressen die Stadt, so wie mit Myrsilos, bis uns andern der Krieg wieder Erfolg beschert (?). Dann vergessen wir ganz unseren alten Groll, 10 lassen vom Streite ab, der da am Herzen zehrt, und dem häuslichen Kampf, wie ihn ein Himmelsgott entfachte und unser Volk in die Irre trieb, doch dem Pittakos jetzt köstliche Würde gab.31

Auf die verwickelten, vor allem philologischen Probleme, die diese Verse enthalten, wollen wir nicht eingehen.32 Zum besseren Verständnis reicht Folgendes zu wissen: Im Kampf unterlegen, befanden sich Alkaios und seine Hetairie nicht zum ersten Mal 29 30 31 32

Zu dieser Funktion s. die wichtige Arbeit von Wolfgang Rösler, Dichter und Gruppe. Eine Untersuchung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Beispiel Alkaios, (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste; 50) München 1980. Vgl. Elke Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, 82 f. Alk. frg. 70 v. 6–13 p. 145 Lobel/Page = P. Oxy. X 1234 frg. 2 v. 6–13 (vgl. damit frg. 70 v. 6–13 p. 49 Liberman) (Übers. von Hermann Fränkel [31969] 220). Vgl. dazu den Kommentar von Denys L. Page, Sappho and Alcaeus: An Introduction to the Study of Ancient Lesbian Poetry, Oxford 1955, 235–240, sowie die Einzelinterpretationen von Rösler (1980) 159–170, und, aus sprechakttheoretischer Perspektive, von Agnes von der Decken, Sprachliches Handeln in der archaischen Lyrik. Sprechakte und ihre außertextuelle Welt in der polisbezogenen Lyrik des Kallinos, Tyrtaios, Alkaios, Solon und Theognis, (Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne; 22) Stuttgart 2022, 171–181.

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im Exil. Der im letzten Vers namentlich genannte Pittakos, einst verbündet, vielleicht sogar Anführer der Alkaiischen Kampfgemeinschaft, war zum bekriegten Tyrannen Myrsilos übergelaufen und hatte nach dessen Tod die Macht an sich gerissen. Seine Alleinherrschaft suchte Pittakos durch Einheirat in das alte Geschlecht der Penthiliden zu sichern, und möglicherweise machte ihn der dāmos, das Volk von Mytilene, sogar zum Aisymneten, zum „Schlichter“,33 beauftragte ihn jedenfalls, die Verhältnisse zu ordnen, worauf der letzte Vers anspielen dürfte und weshalb man ihn später zu den Sieben Weisen zählte.34 Dies also ist die Ausgangssituation, in der Alkaios sein Lied an die Gefährten richtet. Man will sich nicht geschlagen geben, man sinnt auf eine gewaltsame Rückkehr. In Vers 8 heißt es: „bis uns […] der Krieg wieder Erfolg beschert“. Bemerkenswert ist aber nun, daß dieser Gedanke an den bewaffneten Widerstand nicht etwa vertieft wird, nein, vielmehr formuliert Alkaios eine gänzlich anders akzentuierte Aussicht, die sich auf die Zeit nach dem Sieg über Pittakos bezieht.35 In den Versen 9–11 lesen wir: „Dann vergessen wir (λαθοίμεθ ̣ )̣ ganz unseren Groll, / lassen vom Streite ab, der da am Herzen zehrt, / und dem häuslichen Kampf (ἐμφύλω […] μάχας) […].“ Zweifellos hören wir hier, wie Max Treu einmal geschrieben hat,36 „in der Kampfdichtung noch nicht Dagewesenes“. Die Aussicht auf ein Ende der stáseis in Mytilene ist mit dem schließlichen Vergessen verknüpft. Doch spricht hier Ermüdung, gar Resignation? – Diese Frage läßt sich m. E. eindeutig verneinen. Denn dem Vergessen geht ja der Sieg voraus, Alkaios artikuliert folglich eine positive Vorstellung, die zum Frieden in Mytilene führt. Deutlich fassen wir also mit seinen Versen das Vergessen als politische Option, ja buchstäblich, denn seine Worte sind ja weniger Können denn Wollen. Beim politischen Vergessen handelt es sich also tatsächlich um eine Option älteren Datums. Nicht erst das 5., das „Klassische Jahrhundert der Griechen“ hat diese Möglichkeit konstruktiver Konflikteinhegung für sich entdeckt, wie vermutet wurde (s. o.). Bereits für die archaische Zeit läßt es sich nachweisen, so daß von einem Vergessen als politischer Option mit Recht für die gesamte Antike gesprochen werden kann. Die zuletzt betrachteten Alkaiischen Verse indes weisen uns zugleich den Weg, wenn wir zusätzliche Überlegungen zur Notwendigkeit des politischen Vergessens anstellen.

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Vgl. Aristot. pol. 3,14,1285 a 33–40; dazu Aristoteles, Politik II, übers. und erläutert von Eckart Schütrumpf, (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung; 9,2) Berlin 1991, 543 ad loc. – Siehe in diesem Zusammenhang auch Diog. Laert. 1,75. Dazu vgl. de Libero (1996) 324–326; Hölkeskamp (1999) 219–221, 225 f. Siehe die Beobachtungen von Rösler (1980) 167–169. Alkaios, griechisch und deutsch hrsg. von Max Treu, (Tusculum-Bücherei) München 21963 = 31980, 114.

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Als wir nach den Erfahrungen fragten, auf denen das politische Vergessen beruhte, kamen wir auf die Vergeltungsethik zu sprechen. Wollte man den Kreislauf von Rache und Gegenrache durchbrechen, war das Vergessen nötig, so sagten wir. Als ein Mittel zur Einhegung von internen Konflikten stellten wir im besonderen die Amnestie neben die allgemeine Nomothesie, die Gesetzgebung, und betonten ihren gleichermaßen befriedenden Charakter. Verordnetes Vergessen war also als geordneter Kommunikationsabbruch nicht nur ordnender Natur und damit erwartungsgerichtet, sondern auch und vor allem erfahrungsgesättigt. Und doch sollten wir uns mit dieser Feststellung nicht zufriedengeben. Blicken wir tiefer in den mentalen Haushalt der Griechen und auch der Römer, könnte man meinen, daß neben der Vergeltungsethik ein weiteres Charakteristikum uns die Notwendigkeit politischen Vergessens vielleicht (noch) besser begreifen läßt: die permanente Konkurrenz der maßgeblichen politisch-sozialen Gruppen, die alles bestimmende Rivalität der Aristokraten, der ἄριστοι respektive der nobiles, untereinander, um eine Vorrangstellung zu erreichen. Eine Skizze zumindest lohnt sich, denn sie kann verdeutlichen, daß die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote in den Überbietungszwängen der Eliten zwar nur bedingt zusätzliche Erklärung findet, daß vor diesem Hintergrund aber vielmehr ein ganz anderer, eigens zu diskutierender Aspekt in den Blick gerät. 3. Die antike „Wettbewerbskultur“ Wie sehr ist seit Jacob Burckhardts pointierter Herausstellung des „Agonalen“37 unser Fokus auf eine den Griechen eigene kompetitive Haltung gerichtet, wie wenig rechnen wir mit kooperativem Geist. Dasselbe gilt cum grano salis für die Römer. Wenn diese Perspektivierung nicht so alt wäre, könnte man leicht den ideologiekritischen Verdacht hegen, es hätten sich solcher Betonung des Wettbewerbs neoliberale Vorstellungen unserer Leistungsgesellschaft untergeschoben. Die Forschung spricht von einer „Wettbewerbskultur“ respektive „Culture of Competition“, von einem „agonalen Gedanken“, „Geist“ oder „Impuls“, sogar von solchem „Ethos“, auch „Prinzip“, ebenso überhaupt von „Konkurrenz“ und „Konkurrenzdenken“ wie auch von einer „kompetitiven Mentalität“ oder „Tugend“.38 37 Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte IV, hrsg. von Jacob Oeri, Basel 1902, Nachdruck (Gesammelte Werke; 8) 1957, bes. 84–90. 38 Vgl. nur Hermann Strasburger, Der Einzelne und die Gemeinschaft im Denken der Griechen, HZ 177, 1954, 227–248; Nachdruck mit einer Vorbemerkung in: Fritz Gschnitzer (Hrsg.), Zur griechischen Staatskunde, (Wege der Forschung; 96) Darmstadt 1969, 97–122; Nachdruck mit einem „Nachbericht des Autors“ in: H. S., Studien zur Alten Geschichte I, hrsg. von Walter Schmitthenner und Renate Zoepffel, (Collectanea; 42,1) Hildesheim/New York 1982, 423–448 mit 524, hier 435–438 („Der agonale Gedanke“, „Der agonale Impuls“ [436]); Helmut Berve, Vom agonalen

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Für die griechischen Verhältnisse bringt ein häufig zitierter Vers der Ilias dieses aristokratische Selbstverständnis auf den Punkt: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων. / „Immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen.“39 Wir können uns leicht vorstellen, daß das Streben nach ἀρετή, das Streben nach „Tugend“, besser: „Best­ heit“, ein Sprengsatz war, denn ἄριστος unter den ἄριστοι, „Bester“ unter den „Besten“, konnte nur einer sein. Hier fassen wir denn auch eine der Wurzeln der Tyrannis, als sich ein einzelner an die Spitze der Polis stellte und durch diese Monopolisierung adliger Herrschaft andere Mitaristokraten buchstäblich verdrängte. Es sei an das Beispiel von Mytilene erinnert (s. o. Kap. IV. 2.). Auch für die römischen Verhältnisse finden sich leicht entsprechende Belege, die das explosive Potential von virtus, am besten: „Mannhaftigkeit“, aber auch dignitas, „Rang“, spürbar machen. Verwiesen sei nur auf die in diesem Zusammenhang beredte und deshalb vielbeachtete Sarkophaginschrift des L. Cornelius Scipio, jenes Consuls von 259 v. Chr., wo es heißt: Honc oino ploirume cosentiont R[omane] | duonoro optumo fuise viro | Luciom Scipione. / „Diesen einen Lucius Scipio halten die meisten Römer übereinstimmend für den besten (aller) guten Männer.“40 Solcher Überbietungsge­ stus förderte auch in Rom Konflikte innerhalb der politischen Klasse, indem er den einzelnen nobilis vor allem auf sich selbst verwies und in die politische Arena stellte,

Geist der Griechen, in [Erstdruck eines Vortrags aus dem Jahre 1965]: Ders., Gestaltende Kräfte der Antike. Aufsätze und Vorträge zur griechischen und römischen Geschichte, zweite, stark erweiterte Auflage anläßlich des 70. Geburtstages des Verfassers hrsg. von Edmund Buchner und Peter Robert Franke, München 1966, 1–20; Karl-Joachim Hölkeskamp, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jhdt. v. Chr., Stuttgart 1987, 212 („,kompetitive[n] Tugend‘“); Stein-Hölkeskamp (1989) 137 („Konkurrenzdenken“); vgl. 192; Leonhard Burckhardt, Vom ,Agon‘ zur ,Nullsummenkonkurrenz‘: Bemerkungen zu einigen Versuchen, die kompetitive Mentalität der Griechen zu erfassen, Nikephoros 12, 1999, 71–93; Bruno Bleckmann, Die römische Nobilität im Ersten Punischen Krieg. Untersuchungen zur aristokratischen Konkurrenz in der Republik, (Klio-Beihefte; N. F. 5) Berlin 2002; Karl-Joachim Hölkeskamp, Konsens und Konkurrenz. Die politische Kultur der römischen Republik in neuer Sicht, Klio 88, 2006, 360–396; Ingomar Weiler, Wider und für das agonale Prinzip – eine griechische Eigenart? Wissenschaftsgeschichtliche Aspekte und Grundsatzüberlegungen, Nikephoros 19 (= Festschrift für Wolfgang Decker II), 2006, 81–110; Nick Fisher, The Culture of Competition, in: Kurt A. Raaflaub / Hans van Wees (Eds.), A Companion to Archaic Greece, (Blackwell Companions to the Ancient World: Ancient History) Malden, Massachusetts/Oxford/Chichester, West Sussex 2009, 524–541; Christoph Ulf, Zur ,Vorgeschichte‘ der Polis. Die Wettbewerbskultur als Indikator für die Art des politischen Bewusstseins, Hermes 139, 2011, 291–315, sowie die Beiträge in: Jan B. Meister / Gunnar Seelentag (Hrsgg.), Konkurrenz und Institutionalisierung in der griechischen Archaik, Stuttgart 2020. 39 Hom. Il. 6,208, und 11,784 (Übers. von Wolfgang Schadewaldt). Es handelt sich um die Mahnung des Hippolochos an den Sohn Glaukos, bzw. es ist Peleus, der das Wort an seinen Sohn Achilleus richtet. – Diesen Homerischen Vers hatte im übrigen auch Cicero, wen wundert’s, schon früh zu seiner Maxime gemacht. Vgl. Q. fr. 3,5,4, freilich leicht abgewandelt: πολλὸν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων. 40 CIL I2 2, 8/9 lin. 3–5 = VI 1286/1287 lin. 3–5 = ILS 2/3 lin. 3–5 = ILLRP2 310 lin. 3–5 = Schumacher, Röm. Inschr.2 163 lin. 3–5 (Übers. von Leonhard Schumacher); Broughton, MRR I 206.

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buchstäblich auf den Kampfplatz führte. So kann es auch nicht überraschen, daß in der „Erzählung“ von der „Krise“ der Römischen Republik die Selbstbezogenheit der Aristokratie unter den diskutierten Ursachen und Gründen einen prominenten Platz einnahm und einnimmt. Der Egoismus, ja Solipsismus einer permanent um Rang und Prestige kämpfenden Führungsschicht habe letztlich die Ordnung gesprengt. Rücksichtslose und tatkräftige Machtmenschen wie Marius, Sulla, Pompeius oder Caesar verkörperten so doch nur ein einst produktives, nunmehr jedoch destruktives Wettbewerbsethos.41 Vergleichen wir griechische und römische Verhältnisse, so stellt die Nomothesie schon der griechischen Frühzeit, so stellen auch viele Gesetze im republikanischen Rom vor allem den Versuch dar, der Agonalität Grenzen zu ziehen, um die Aristokratie als Kollektiv zu befrieden. Hervorgehoben sei einerseits die wegen ihres Authentizitätsgrades vielbeachtete und vieldiskutierte Inschrift von Dreros auf Kreta wohl aus der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr., ein oft als „Verfassungsgesetz“ angesprochener Text, wonach dem als kósmos bezeichneten Amtsträger ein strafrechtlich bewehrtes Iterationsverbot auferlegt wird.42 Andererseits seien etwa die leges annales oder auch die leges sumptuariae beziehungsweise entsprechende plebiscita oder auch nur gescheiterte rogationes genannt, welche eine Ämterlaufbahn schufen und regelten respektive Aufwandsbeschränkungen fixierten.43 Satzungen und Gesetze dienten eben auch der Entschärfung, Begrenzung, ja Einhegung jener „Wettbewerbskultur“, welche die frühe Polis stets und die Römische Republik schon bald gefährdete. Alles das gemahnt, wohlgemerkt: gemahnt an einen Ausgleich, wenn nicht sogar an die Vorstellung des Kompromisses. Gewiß, die Geschichte der griechischen Polis in archaischer und klassischer Zeit wie die der Römischen Republik stellen zwar gewichtige, vor allem formative Peri41

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Ein Zwischenruf sei erlaubt: Der pointierte, um nicht zu sagen: dominant-dominierende Elitediskurs der jüngeren Forschung hat jenem alten Argument neues Gewicht verliehen. Indem er solches Selbstverständnis der politischen Klasse stärker ins Bewußtsein hob, hat er durch Betonung seiner strukturellen Unüberwindbarkeit freilich die Perspektive verengt, hat er vor allem aber einer der Kontroverse um jene „Krise“ immanenten Teleologie nolens volens das Wort geredet. Meiggs/Lewis, GHI2 2 = Koerner/Hallof, Inschr. Gesetzestexte 90 = van Effenterre/ Ruzé, Nomima I 81 = Gagarin/Perlman, Laws of Ancient Crete Dr1 (vgl. Jeffery, LSAG 310 f. und 413 mit Taf. 59,1 a). Siehe dazu neben den Kommentierungen in den Editionen auch Gehrke (1993/2019) 15 f. (und passim mit weiteren Beispielen), sowie ausführlich Gunnar Seelentag, Das archaische Kreta. Institutionalisierung im frühen Griechenland, (Klio-Beihefte; N. F. 24) Berlin/ Boston 2015, 139–163. Vgl. z. B. mit Dokumentation die Nummern in: Elster, Gesetze MRR 20, 98, 112, 141, 143, 160, 163, 164, 190, 195, 208, und Gesetze SRR 19, 57, 75, 133, 134, 144. Vgl. dazu insbesondere die Arbeiten von Hans Beck, Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, (Klio-Beihefte; N. F. 10) Berlin 2005, und von Ernst Baltrusch, Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit, (Vestigia; 41) München 1989.

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oden der Antike dar, sie lassen aber leicht übersehen, daß die von der Forschung so betonte „Wettbewerbskultur“ in ihrer Wirkung unter den politischen Rahmenbedingungen des Hellenismus und der Kaiserzeit gedämpft wurde. Die sich nach Alexander erhebenden territorialen Monarchien und dann seit Augustus der alles beherrschende Principat ließen den traditionellen Überbietungszwängen der Eliten zwar Raum, verwiesen sie freilich auf eine gewissermaßen untere Ebene. Die „Wettbewerbskultur“ mit all ihren verheerenden Folgen für die einst souveränen Poleis und den römischen Freistaat wich einer harmlosen, aber nützlichen „Selbstdarstellung“ der Honoratioren respektive der Senatoren und Ritter, die sich etwa in Bauten und anderen Stiftungen wie auch in Veranstaltungen von Spielen, überhaupt Festen artikulierte und die man, angelehnt an den griechischen Begriff für „Wohltäter“, εὐεργέτης, spätestens seit einer vielbeachteten Studie von Paul Veyne 44 mit dem Neologismus „Euergetismus“ anspricht.45 Die eigentliche, das heißt: die politisch wirkmächtige Repräsentation aber war Sache der hellenistischen Könige und der römischen Kaiser – und vor allem war sie konkurrenzlos, konkurrierte allenfalls mit den Vorgängern. *** In der „Wettbewerbskultur“ findet die Notwendigkeit politischer Vergessensgebote allenfalls in Teilen eine zusätzliche Erklärung, so ist neben der oben herausgestellten gewichtigen Rolle der antiken Vergeltungsethik wenigstens festzuhalten. Nur unter der Rahmenbedingung kollektiv geführter Staaten mag das agonale Moment ein politisches Vergessen bei der Einhegung interner Konflikte zusätzlich empfohlen haben. Und doch führte der gedankliche Umweg auf eine weitere Spur: die Frage, ob sich hinter dem Vergessen nicht möglicherweise die Vorstellung eines Kompromisses verbirgt. Diese Frage ist von einiger Wichtigkeit, läßt sich vor allem zusätzlich begründen, bilanzieren wir zunächst unsere Beobachtungen zur antiken Amnestie und zu den älteren Vergessensgeboten.

44 Paul Veyne, Le pain et le cirque. Sociologie historique d’un pluralisme politique, (L’Univers historique; 18) Paris 1976; dann in gekürzter deutscher Übers. von Klaus Laermann (Text) und Hans Richard Brittnacher (Anmerkungen): Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike, (Theorie und Gesellschaft; 11) Frankfurt am Main/New York/Paris 1988. 45 Vgl. zur Karriere des Konzepts die konzise Doxographie von Florian Rudolf Forster, Die Polis im Wandel. Ehrendekrete für eigene Bürger im Kontext der hellenistischen Polisgesellschaft, (Die hellenistische Polis als Lebensform; 9) Göttingen 2018, 16–30.

V. Eine Zwischenbilanz, oder: das politische Vergessensgebot – ein Kompromiß?

Jene kaiserliche Konstitution des Jahres 395 n. Chr., der wir uns als erstem Beispiel der Amnestie zuwandten (Kap. III. 1.), war als selektives Vergessensgebot in gewisser Weise um Ausgleich bemüht und stellte doch keinen Kompromiß dar. Um die inneren Verhältnisse zu befrieden, bekräftigte Theodosius zwar die zur Zeit des besiegten Usurpators Eugenius erfolgten privatrechtlichen Akte, suchte allerdings zugleich, ihn vergessen zu machen. Ähnlich verfuhr man im Rom der Jahre 41 n. und 44 v. Chr. (Kap. III. 2.), als Claudius – unser zweites Beispiel – Caligulas Mördern, wenn auch eingeschränkt, Straflosigkeit gewährte beziehungsweise der Senat – unser drittes Beispiel – beschloß, einerseits die Rechtsgültigkeit sämtlicher Amtshandlungen Caesars anzuerkennen, andererseits dessen Mördern Straffreiheit einzuräumen. In seiner Anordnung respektive in seinem Plädoyer hatten der Princeps und Cicero in ihren Senatsreden ein dauerhaftes/ewiges Vergessen als Steuerungsinstrument der Aussöhnung beschworen, wobei Claudius natürlich vornehmlich seine holprige Principatsübernahme vertuschen mußte. Doch bereits mit dem vierten Beispiel, mit Athens sogenanntem Amnestiebeschluß von 403 v. Chr. (Kap. III. 3.), begegnete uns ein Vergessen, das ein Dritter verfügen mußte, da eine Einigung unmöglich war. Sparta hatte den unüberwindlich verfeindeten athenischen Oligarchen und Demokraten jene Amnestie diktiert. Auf eine Unüberwindlichkeit der Gegensätze wiesen auch das fünfte und sechste, die der archaischen Zeit angehörenden Beispiele (Kap. IV. 2.): die ἔκλησις des Göttervaters, Zeus’ „(gesetztes) Vergessen“, schließlich und vor allem die Verse des Alkaios von Mytilene, denn das Vergessen als politische Option wird aus der Sicht des freilich noch zu erringenden Sieges formuliert. Im politischen Vergessen zeigt sich gewissermaßen noch die Unversöhnlichkeit des Siegers, eine Unversöhnlichkeit, wie sie der antiken „Wettbewerbskultur“ eigen ist (Kap. IV. 3.). Ist das ein Zufall? Oder dürfen wir folgern, daß das Vergessen dann zur politischen Option wird, wenn der Kompromiß unmöglich ist? – In dieser Ausschließlichkeit möchte ich die Frage verneinen. Das Vergessen war nicht nur dann eine politische Option, ja sogar Ultima ratio, wenn der Dissens unüberwindlich erschien. Nein, es wurde

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auch dann favorisiert, wenn um den Konsens gerungen wurde, wie wir anhand des Senatsbeschlusses nach Caesars Ermordung sahen. Aber ist es Zufall, daß unsere Beispiele – da, wo sie eine selbsttätige Aussöhnung erkennen lassen – sich auf Rom beschränken, oder sind diese Beispiele einfach nur schlecht gewählt und suggerieren, daß die Griechen zum Kompromiß eben aufgrund tieferer mentaler Dispositionen nicht fähig waren? – Zu entgegnen wäre auf jeden Fall, daß der Rachegedanke (Kap. IV. 1.) auch römisches Empfinden bestimmte, daß auch die Römer bei Konflikteinhegungen bisweilen das Vergessen benötigten, um den Kreislauf der Vergeltung zu durchbrechen. Zu entgegnen wäre ferner, daß auch in Hellas sich der einzelne zunehmend vor der Gruppe bewähren mußte, denken wir nur an das kollektivistische Sparta der Spartiaten oder an die Entwicklung in Athen hin zu einer jeden Bürger fordernden (direkten) Demokratie. Vielleicht sollte man die Frage anders stellen. Denn dem Konzept „Kompromiß“, das unser politisches Empfinden, Denken und Handeln so sehr bestimmt, diesem Konzept unterliegt eine spezifische, auf Pluralismus und Dialog setzende Konfliktfähigkeit, die vielleicht manchen selbstverständlich erscheint, uns bei näherem Hinsehen aber als ein allzu rezentes Charakteristikum u n s e r e r politischen Kultur entgegentritt. Als „Kompromiß“ bezeichnen wir ein Übereinkommen oder auch eine Übereinkunft auf der Grundlage gegenseitiger Zugeständnisse. Das Wort bezeichnet mithin den „Ausgleich“, bisweilen auch, zumal im Rechtsleben, den „Vergleich“ widerstreitender Interessen. Dialogbereitschaft, aber auch Dialogfähigkeit bilden prinzipielle Voraussetzungen einer Haltung, die den Konflikt nicht perhorresziert, sondern auf die Angleichung unterschiedlicher Standpunkte als konstruktive Regelung zielt und im Kompromiß ein für alle Seiten akzeptables Ergebnis sieht. So setzt jede politische Ordnung, die auf Pluralismus gründet, auf das Verfahren des Kompromisses, um gegensätzliche Interessen durch partiellen Verzicht „auszugleichen“. Konstitutiv ist das Verfahren in Systemen, in denen die politische Willensbildung Parteien obliegt. Es versteht sich von selbst, daß parlamentarische Demokratien den Kompromiß in besonderer Weise privilegieren (und auch privilegieren sollten, wie etwa die deutschen Wahlergebnisse auf kommunaler, Länder- und Bundesebene in jüngerer Zeit nahelegen). Überspitzt formuliert der politische Publizist Joachim Fest: „Man muß daran erinnern, daß die bürgerliche Demokratie nicht zum wenigsten die Ordnung des Kompromisses ist.“1 In diesem pointierten Wort deutet sich allerdings ein Problem an. Etymologie, Wort- und Begriffsgeschichte helfen zu verstehen.

1

Der lange Abschied vom Bürgertum. Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler im Gespräch mit Frank A. Meyer, Berlin 2005, 133.

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Es besteht kein Zweifel, daß das Wort „der“ oder zunächst auch noch „das Compromiss/Kompromiß“ dem lateinischen Participium perfecti passivi compromissum entlehnt wurde.2 Seit dem 15. Jahrhundert begegnet es als juristischer Terminus in der Bedeutung von „Vergleich in einem Rechtsstreit“. Die Herkunft des Wortes aus der Sprache der römischen Rechtsordnung ist evident und weist auf das private Schiedsgericht (compromissum), bei dem sich streitende Parteien gegenseitig versprachen, sich der Entscheidung eines selbstgewählten Schiedsrichters zu unterwerfen.3 Das Verb compromittere in der spezifischen Bedeutung „übereinkommen, sich dem Spruch des arbiter zu fügen“4 liegt dem Substantiv folglich zugrunde. In die politische Sprache aber ist das Wort offenbar erst im 19. Jahrhundert allmählich eingedrungen. Einschlägige Referenzwerke verweisen unisono auf einen Passus bei Leopold von Ranke.5 In seinem vielbeachteten Werk Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation heißt es etwa in der 4. Auflage aus dem Jahre 1867: „So stand es am Anfang des Jahres 1525; ein Compromiß oder die Verlängerung des Waffenstillstandes ließ sich nicht mehr erwarten […].“6 Ob solcher, erweiterter Wortgebrauch „zuerst bei Ranke“7 festzustellen ist, wie einmal betont wurde, sei dahingestellt. Was sich aber wohl sicher sagen läßt, ist, daß die Verwendung des Wortes noch nicht selbstverständlich war, daß es, wie betont, im 19. Jahrhundert erst allmählich in die politische Sprache Eingang fand. Es kann daher nicht überraschen, daß man im Grimm’schen Wörterbuch einen Eintrag s. v. „Kompromiß“ oder auch „Compromiss“ vergeblich sucht, sammelten und erklärten doch die beiden Archegeten der Germanistik deutsche Worte und Wörter. Allenfalls „Ausgleichung“, abgeleitet vom lateinischen exaequatio, findet sich, jenes für unsere Ohren altertümliche Wort, das erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch „Ausgleich“ ersetzt wurde.8 Auffällig ist darüber hinaus, daß die Gebrüder Grimm duch ihre Worterklärung erkennen lassen, wie wenig die Vorstellung eines Kompromisses die politische Sprache ihrer Zeit erobert hatte. Gleichberechtigt stellen sie zwei

2 Vgl. Kluge, Etym. Wörterbuch25 520 s. v. Kompromiss. 3 Siehe grundsätzlich Franz Wieacker, Römische Rechtsgeschichte. Quellenkunde, Rechtsbildung, Jurisprudenz und Rechtsliteratur I: Einleitung, Quellenkunde. Frühzeit und Republik, (Handbuch der Altertumswissenschaft; 10,3,1,1) München 1988, 261, sowie Christine Lehne-Gstreinthaler, Schiedsgerichtsbarkeit und außergerichtliche Konfliktbereinigung im klassischen römischen Recht, in: Guido Pfeifer / Nadine Grotkamp (Hrsgg.), Außergerichtliche Konfliktlösung in der Antike. Beispiele aus drei Jahrtausenden, (Global Perspectives on Legal History; 9) Frankfurt am Main 2017, 141–168. 4 Vgl. Georges 8 I 1372 s. v. com-prōmitto; s. auch OLD2 420 s. v. 5 Paul, Dt. Wörterbuch9 478 s. v. Kompromiß; Klaus-Dieter Osswald, HWPh IV, 1976, 941–942 s. v. Kompromiß, hier 942. 6 Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation II, Leipzig 41867, 332. 7 Paul, Dt. Wörterbuch9 478 s. v. Kompromiß. – Zweifeln läßt schon der dortselbst angegebene Beleg aus dem Grenzboten vom 20. Juli 1849: „als in Frankfurt der K. geschlossen war, aus welchem die Reichsverfassung hervorging“. 8 Vgl. Paul, Dt. Wörterbuch9 77 s. v. ausgleichen.

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Bedeutungszusammenhänge nebeneinander: „[…] endliche ausgleichung aller zwi­ ste; ausgleichung der wolle eines vlieszes.“9 Dieser begriffsgeschichtliche Befund ist allzu bezeichnend. Die politische Sprache hat das Substantiv „Kompromiß“, aus der juristischen Sprache kommend, erst spät aufgegriffen. Das heute allgegenwärtige Wort und sein stets eingeforderter Sinn stehen in einem tiefen Zusammenhang mit unserer politischen Kultur. Es scheint berechtigt, ja zwingend, kein Versehen, daß es in dem Standardwerk Geschichtliche Grundbegriffe kein Lemma erhalten hat.10 Um so gespannter darf man sein, ob es im entstehenden, großangelegten Werk Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen. Lexikon zur historischen Semantik in Deutschland einen Eintrag finden wird.11 Nun könnte man mit Ferdinand de Saussure einwenden, daß jedes sprachliche Zeichen aus einem Signifikat und einem Signifikant bestehe, aus einem Bezeichneten und einer Bezeichnung. Insofern sei der Kompromiß auch ein Kompromiß gewesen, bevor man ihn so genannt habe. Aber dieser Einwand wäre nachgerade sophistisch. Natürlich muß man auf jene wichtige Unterscheidung nicht verweisen, um zu wissen, daß es in der Antike vielleicht doch die Vorstellung des „Kompromisses“ gegeben hat. Ähnlich verhält es sich bekanntlich mit der Vorstellung der „Reform“ oder eines „Reiches“ – auch wenn institutionelle Anpassungen, seien es (Er)Neuerungen oder auch Wiederherstellungen, kurz: steuernde Veränderungen der politisch-sozialen und administrativen Systeme im griechisch-römischen Altertum ohne Zweifel leicht zu finden sind, solche „Praxis ohne Begriff “ unstrittig ist; auch wenn bestimmte konstitutive Faktoren das Imperium Romanum, zunächst einmal nur der Herrschaftsraum Roms, wohl erst seit der Kaiserzeit als ein „Römisches Reich“ ansprechen lassen.12 Mit allem Recht operiert der Historiker mit Konzepten jenseits der Quellensprache, ja, er bedarf solcher Kategorien, Aussageformen, wenn er nicht sprachlos bleiben will. Die Verwendung analytischer Begriffe zwingt nicht zur Verteidigung, verpflichtet allerdings zur Überprüfung semantischer Unterschiede, denn begriffliche Unschärfen zeichnen viel zu oft ein schräges Bild.

9 Jacob Grimm / Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch I, Leipzig 1854, 876 s. v. Ausgleichung. 10 Um so weniger vermißt man das Wort im altertumswissenschaftlichen OCD oder in DNP, Sachlexika, die – im Unterschied zur RE – auch sogenannte Dachartikel enthalten. 11 Siehe URL: https://www.zfl-berlin.org/projekt/das-20-jahrhundert-in-grundbegriffen.html [zuletzt aufgerufen am 05.09.2022]. Vgl. die Einordnung von Thomas Thiel, Ein Zeitalter wird besichtigt. Das Zentrum für Literaturforschung bringt das zwanzigste Jahrhunder auf den Begriff, F. A. Z. vom 31. August 2022, Seite N 4. – Aus philosophischer Perspektive hat sich dem Gegenstand jüngst Véronique Zanetti, Spielarten des Kompromisses, (suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 2374) Berlin 2022, genähert. 12 Uwe Walter, Praxis ohne Begriff? ,Reformen‘ in der Antike, in: Björn Onken / Dorothea Rohde (Hrsgg.), In omni historia curiosus: Studien zur Geschichte von der Antike bis zur Neuzeit. Festschrift für Helmuth Schneider zum 65. Geburtstag, (Philippika; 47) Wiesbaden 2011, 111–127, und Frank Bernstein, Das Imperium Romanum – ein ‚Reich‘?, Gymnasium 117, 2010, 49–66.

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Eines dürfte der wort- und begriffsgeschichtliche Exkurs verdeutlicht haben. Entstehung und schließliche Durchsetzung des Konzepts „Kompromiß“ zeigen, wie sehr es in einer politischen Kultur verankert ist, die auf Pluralismus und Dialog gründet, ja eine „Streitkultur“ pflegt, und deshalb das Ziel einer unumschränkten Verwirklichung eines Anspruchs zugunsten einer Übereinkunft auf der Grundlage gegenseitiger Zugeständnisse aufgibt. Sieger und Besiegte soll es nicht geben. Es fragt sich, ob und inwieweit solche Vorstellungen mitschwingen, überträgt man den Begriff auf antike Ereignisse. Um ein bekanntes Beispiel zu geben: Der sorgsam vorbereitete Akt der sogenannten Restitutio rei publicae des Jahres 27 v. Chr., jene im Januar in mindestens zwei Senatssitzungen inszenierte „Wiederherstellung des Gemeinwesens“, goß die Position des Kriegsherrn Oktavian, dessen Macht auf den ihm verpflichteten Legionen beruhte, in neue Formen und rundete sie durch feinsinnige Ehrungen ab.13 Mit neuem Beinamen sogar, als Augustus ging er aus diesem Staatsakt hervor.14 Althistoriker sehen in diesem Akt eine Art Geburtsstunde des Principats. Diese „Wiederherstellung des Gemeinwesens“ bezeichnete und bezeichnet man mit gewissem Recht als Kompromiß,15 obwohl sie das Übereinkommen zwischen dem neuen mächtigen Einzelnen und der alten ohnmächtigen Aristokratie doch nur als gegenseitigen Respekt in Szene setzte. Niemand sollte das Gesicht verlieren. Um einen Kompromiß im besagten Sinne handelte es sich gewiß nicht. Andere Setzungen, nicht zuletzt die unmißverständliche Lagerung der Macht, andere Einsichten, nicht zum wenigsten die allgemeine Erschöpfung nach dem langen Bürgerkrieg, andere Überzeugungen, keinesfalls die Privilegierung eines Pluralismus, diktierten jenen, sagen wir es ruhig: Ausgleich der Interessen, der verbreiteter Periodisierung zufolge den Beginn der Römischen Kaiserzeit markiert. Es sind vor allem die Überzeugungen, ja die sublimen Haltungen, die auf den wesentlichen Unterschied zwischen Antike und Moderne führen. Ein Gedankenspiel mag diesen Sachverhalt verdeutlichen. Einer an prominenter Stelle publizierten Definition zufolge bildet der Kompromiß „[…] die verfahrensmäßige Grundlage jeder politischen Ordnung, die sich staatsphi13 14

15

Kienast, Kaisertabelle6 54 s. v. Augustus. Vgl. im Überblick Frank Bernstein, Der Anfang: Das vermeintliche Kaisertum des Augustus, in: Hartmut Leppin / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hrsgg.), Kaisertum im ersten Jahrtausend. Wissenschaftlicher Begleitband zur Landesausstellung „Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter“, Regensburg 2012, 17–54 mit 391–393 Taf. 1 a, 2, hier 37–42. Vgl. vor allem Walter Schmitthenner, Augustus’ spanischer Feldzug und der Kampf um den Prinzipat, Historia 11, 1962, 29–85; Nachdruck in: Ders. (Hrsg.), Augustus, (Wege der Forschung; 128) Darmstadt 1969 = 21985, 404–485, hier 414, 477; Kienast (52014) 91 f.; Brandt (2021) 40 f. – Siehe in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Peter Sattler, Augustus und der Senat. Untersuchungen zur römischen Innenpolitik zwischen 30 und 17 v. Christus, Göttingen 1960, 36–57.

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losophisch auf Pluralismus gründet […], während politische Systeme auf antagoni­ stischer […] oder dezisionistischer […] Grundlage den K. […] ablehnen müssen.“16 Wenn auch, wie angedeutet, ein politisches System wie das der Römischen Republik zu einer Art Kompromiß fähig war, so gründete es doch keinesfalls auf einem irgend gearteten Pluralismus. Daraus aber zu folgern, daß das republikanische System Roms eine antagonistische oder dezisionistische Grundlage hatte, wäre ein klassischer Zirkelschluß per definitionem, darüber hinaus absurd. Und doch führt dieses Gedankenspiel in die für den hier zu verfolgenden Zusammenhang entscheidende Richtung. Es ist eben die auf Pluralismus und auf Dialog setzende Konfliktfähigkeit moderner Eigenart, die bei aller Konflikthaltigkeit den politischen Kulturen der Antike fremd war und die Frage nach der Notwendigkeit kollektiver Vergessensgebote in einen weiteren, viel größeren Zusammenhang stellt. Diese gewiß kaum überraschende Beobachtung, freilich leicht zu übersehende Tatsache beinhaltet allerdings eine wesentliche Voraussetzung: Pluralismus und Dialog erfordern die Fähigkeit, auch nach Kompromißfindung belastende, sogar quälende Standpunkte öffentlich und auf Dauer auszuhalten, eine Tugend, die bisweilen nicht umsonst regelrecht eingeschärft werden muß, nichtsdestotrotz nicht angezweifelt wird. Durch solcherlei Disziplinierung der Affekte sucht moderne Konfliktfähigkeit einen Neuanfang mit all seinen Hypotheken zu setzen. Solche Konfliktbewältigung ist idealiter weit davon entfernt, das Gedächtnis der Öffentlichkeit von quälenden Erinnerungen freizuhalten und Kritik zu unterdrücken. Anders aber, wie gezeigt, die Antike, wenn sie auf das kollektive Vergessen setzte, um der Vergeltungsethik zu begegnen. Nicht nur einstweilige Befriedung war das Ziel, es artikuliert sich darin zugleich ein politisches Ideal, dessen sublime Haltung im kollektiven Vergessen seinen vielleicht tiefsten Ausdruck findet. *** Für die Griechen hat Oswyn Murray einmal, genaugenommen: zweimal konstatiert: „the purpose of politics was unity not compromise.“17 Und für die Römer dürfte diese Feststellung ebenso gelten, naheliegender Weise in der Kaiserzeit, als ein Monarch die politischen Verhältnisse kontrollierte, aber auch und gerade in republikanischer Zeit, als ein noch aristokratisches, nicht bloß adliges Kollektiv im Senat sein institutionelles herrschaftliches Zentrum fand, wo – nur vordergründig betrachtet – Politik ausgehan16 Hans-Otto Mühleisen, Staatslexikon in 5 Bänden. Recht · Wirtschaft · Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg/Basel/Wien 71987, III 606–609 s. v. Kompromiß, hier 607. Vgl. die anders, m. E. unnötig enger akzentuierte Bestimmung in der neu bearbeiteten 8. Auflage von Marianne Heimbach-Steins, Staatslexikon8 online, s. v. Kompromiss, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kompromiss [zuletzt aufgerufen am 04.01.2023]. 17 Oswyn Murray, Cities of Reason, Archives européennes de sociologie 28, 1987, 325–346 (darin „comments“ von Mogens Herman Hansen, 341–344), hier 340; Ders., Cities of Reason, in: Ders. / Simon Price (Eds.), The Greek City: From Homer to Alexander, Oxford 1990, 1–25, hier 21.

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delt, nein, vielmehr „unity, not compromise“ hergestellt werden sollte und mußte. Mit anderen Worten: Es ist die Frage nach dem Zusammenhang von Konsens und Vergessen, auf den all die voranstehenden Erwägungen führen.

VI. Konsens und Vergessen Nicht der Kompromiß, sondern der Konsens, in der politischen Sprache unserer Zeit seltsamerweise oft (auch absichtsvoll) mit dem Kompromiß verwechselt, war das Ziel aller inneren Politik in der Antike. Diese Feststellung resultiert aus unseren letzten Überlegungen. So aber erhebt sich die Frage: Ist das politische Vergessensgebot nur ein Ausdruck der Totalität von Konsens und von Dissens im Empfinden, Denken und Handeln der Griechen und Römer? Konsens und Dissens sind keine asymmetrischen Gegenbegriffe, welche, wie etwa Christ und Heide, das Gegenüber herabwürdigen sollten. Reinhart Koselleck hat Eigenart und Wirkung solcher Denkfiguren eindrucksvoll beschrieben.1 Ihre vielmehr strikte Symmetrie bezeichnet im Gegenteil ihre Alternativlosigkeit und damit eine Art von Totalität. Also besser gefragt: Ist das politische Vergessensgebot nicht nur ein, sondern sogar der tiefste Ausdruck der Totalität von Konsens und von Dissens im Empfinden, Denken und Handeln der Griechen und Römer? Die Unhintergehbarkeit des Konsenses in der Antike könnte aus einer zusätzlichen, weiteren Perspektive Rolle, Gewicht und Eigenart des Vergessens bei Bemühungen um Einhegung interner Konflikte deutlicher werden lassen. Allerdings soll der Begriff, der sprachlich auf die römische Welt verweist,2 im folgenden als analytisches Instrument viel weiter verstanden werden. Der buchstäbliche consensus kennzeichnete als herrschaftsideologisches Konzept und herrschaftspolitischer Akt, also weit über eine bloß rechtlich fixierte Qualität hinaus, vor allem die politische Kultur der Kaiserzeit.3 Der auf außerordentlichen, von Ämtern entlehnten Gewalten sowie außerordentli1 Reinhart Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, in: Harald Weinrich (Hrsg.), Positionen der Negativität, (Poetik und Hermeneutik; 6) München 1975, 65–104; Nachdruck in: R. K., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1979, Nachdruck (suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 757) 1989, 211–259. 2 Erinnert sei an das archaisch-lateinische cosentire, das uns bereits im Elogium auf L. Cornelius Scipio begegnete (s. o. Kap. IV. 3.). 3 Vgl. immer noch die kritische, vor dem zeitgeschichtlichen Horizont um so bemerkenswertere Studie von Hans Ulrich Instinsky, Consensus universorum, Hermes 75, 1940, 265–278; Nachdruck

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chen Ehrungen und Würden ruhende Principat setzte als monarchische Herrschaftsform auf charismatisch gestützte Gefolgschaft, durchaus im Weber’schen Sinne,4 und suchte sich in der „Übereinstimmung“ oder auch „Zustimmung“ stets zu begründen (Dissens fand selbstredend keine Gnade). Von solchem Konsens soll hier nicht die Rede sein, so auch genausowenig von der ὁμολογία. Die weiteren Überlegungen setzen vielmehr an anderen, wenn man so will: Konsensbegriffen an, an den lexikalisch-semantisch naheliegenden Konzepten der „Eintracht“, griechisch ὁμόνοια, lateinisch concordia. Damit aber sind in prinzipieller Weise die so eigenen antiken Friedensvorstellungen berührt, die zum Verständnis des Vergessens bei der Einhegung interner Konflikte beitragen dürften. Es ist wohl kein Zufall, daß der kaiserzeitliche Autor Iustin zum oben (Kap. III. 3.) behandelten, sogenannten Amnestiebeschluß Athens vom September 403 v. Chr. im historischen Präsens schrieb (5,10,10 f.): Atque ita per multa membra civitas dissipata in unum tandem corpus redigitur, et ne qua dissensio ex ante actis nasceretur, omnes iure iurando obstringuntur, discordiarum oblivionem fore. Und so wurde die in viele Glieder zerstreute Bürgerschaft endlich zu einem Körper gemacht, und damit nicht irgendeine Uneinigkeit aus dem zuvor Getanem erwachse, wurden alle eidlich verpflichtet, daß es ein Vergessen der Zwistigkeiten gebe.

Die Friedensvorstellungen in Hellas und Rom unterstreichen, wie zu zeigen sein wird, zunächst einmal nur von einem weiteren Gesichtspunkt aus – nämlich über die angesprochene Vergeltungsethik und „Wettbewerbskultur“ der Eliten hinaus (s. o. Kap. IV. 1. und 3.) – die Konfliktunfähigkeit der antiken politischen Kulturen. Und doch lohnt es, weiter auszuholen. Denn jene Vorstellungen helfen vielleicht zu verstehen, wie sehr womöglich der für uns in den Konzepten homónoia und concordia faßbare Konsens, nicht nur als politisches Ideal, sondern vor allem als unhintergehbares Gebot ein Vergessen in der politischen Praxis empfahl, das nicht nur präemptisch, also verhütend (wie bislang beobachtet), sondern auch präventiv, also vorbeugend, wirken sollte.

4

(mit Nachträgen) in: Hans Oppermann (Hrsg.), Römische Wertbegriffe, (Wege der Forschung; 304) Darmstadt 1967, 209–228. Vgl. Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, Preußische Jahrbücher 187, 1922, 1–12; Nachdruck in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckel­mann, Tübingen 31968, 475–488; Neuedition in: M. W., Wirtschaft und Gesellschaft: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Teilband 4: Herrschaft, hrsg. von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll, (Max Weber-Gesamtausgabe; I 22,4) Tübingen 2005, 726–742.

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1. Konzepte des inneren Friedens: homónoia und concordia „Frieden“ ist bekanntlich ein diffuses Konzept und rechnet zu den buchstäblichen Geschichtlichen Grundbegriffe[n].5 So haben die Antonyme Frieden und Krieg (wie auch Krieg und Frieden, was einen anderen Akzent setzt) selbstverständlich in der Forschung angesichts der Konflikthaltigkeit der Antike stets große Aufmerksamkeit gefunden, was keines Nachweises bedarf. Die Allgegenwärtigkeit des Krieges zumal steht außer Frage. Und ob, wie nicht allein Pessimisten zu sagen pflegen, der Frieden nur die Abwesenheit des Krieges ist, ob dieser vielmehr einen Naturzustand darstellt, jener nur eine glückliche Unterbrechung, dieser immer wiederkehrende Gedanke war auch der Antike nicht fremd.6 Die zwischenstaatlichen Friedensschlüsse und Friedensverträge der Antike – wie oft geschlossen, um bald gebrochen zu werden – sind Legion und scheinen im Umkehrschluß solche Ansicht zu bestätigen. Frieden als ein Begriff des Völkerrechts aber ist für den hier interessierenden Zusammenhang nicht von Belang, wenn wir nach dem politischen Vergessensgebot als vielleicht tiefstem Ausdruck der Totalität von Konsens und von Dissens fragen. Und doch helfen die im Kontext äußerer Friedensregelungen begegnenden, uns allzu vertrauten Konzepte und ihre wechselnden Semantisierungen einzugrenzen: εἰρήνη und pax.7 5 Wilhelm Janssen, GG II, 1975, 543–591 s. v. Friede. 6 Siehe vor allem Plat. nom. 1,625 e–626 a, und für die Moderne insbesondere Bruno Keil, ΕΙΡΗΝΗ. Eine philologisch-antiquarische Untersuchung, (Berichte über die Verhandlungen der Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse; 68,4) Leipzig 1916, 7–10, und Arnaldo Momigliano, Liberty and Peace in the Ancient World, in [Erstveröffentlichung eines Vortragsmanuskripts aus dem Jahre 1940]: Ders., Nono contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, ed. a cura di Riccardo Di Donato, (Storia e letteratura; 180) Rom 1992, 483–501; dann in deutscher Übers. von Andreas Wittenburg: Freiheit und Frieden in der antiken Welt, in: A. M., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung I: Die Alte Welt, hrsg. von Wilfried Nippel, Stuttgart/Weimar 1998, 239–255 mit 397–404, hier 243 f., Einschätzungen, denen man – so jedenfalls Ernst Baltrusch – nicht mehr folgen will. Vgl. E. B., Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike; 7) München 2008, 22 f., 105 f.; s. aber 103 die Hinweise auf andere Stimmen der Forschung, die allerdings die jeweilige zeitgeschichtliche Bedingtheit vermissen lassen. 7 An Literatur mangelt es nicht. Siehe ,nur‘ Otto Waser, RE V 2, 1905, 2128–2134 s. v. Eirene 2; Keil (1916); Harald Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke. Untersuchungen zum neunzehnten Buch der Civitas Dei, (Neue Philologische Untersuchungen; 3) Berlin 1926, Nachdruck Berlin/Zürich 1965, 167–205; Carl Koch, RE XVIII 4, 1949, 2430–2436 s. v. Pax; Helmut Berve, Friedensordnungen in der griechischen Geschichte. Festrede, gehalten in der öffentlichen Jahressitzung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München am 3. Dezember 1966, München 1967; Italo Lana, La pace nel mondo antico, SDHI 33, 1967, 1–18; Dietmar Kienast, Der Friedensgedanke in der griechischen Geschichte und das Problem eines allgemeinen Friedens, in: Auct. var., Frieden in Geschichte und Gegenwart, hrsg. vom Historischen Seminar der Universität Düsseldorf, (Kultur und Erkenntnis; 1) Düsseldorf 1985, 11–23; Nachdruck mit einem Nachtrag in: D. K., Kleine Schriften, hrsg. von Raban von Haehling, Otfried von Vacano und Ruprecht Ziegler, Aalen 1994, 123–138; Hatto H. Schmitt, Friedenssicherung im griechischen Völkerrecht, in: Helmut Kreutzer (Hrsg.), Wendepunkte. Acta Ising 1982, München 1983, 31–44; Erika Simon, LIMC III 1, 1986, 700–705 s. v. Eirene (mit III 2, 540–542); Andreas Graeber, Friedensvorstellung und Friedensbegriff bei den Grie-

Konzepte des inneren Friedens: homónoia und concordia

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Varros Schrift Pius de pace, einer von zahlreichen logistorici, der vielleicht im Kontext des Friedens von Misenum zwischen Oktavian, M. Antonius und Sex. Pompeius im Jahre 39 v. Chr. entstanden ist,8 zumindest in denselben Zeithorizont wie Vergils berühmte Vierte Ecloge gehören dürfte, ist nicht überliefert. Kenntnis von ihr verdanken wir einer Bezugnahme des Buntschriftstellers Gellius; die Stelle verrät freilich nichts über den Inhalt.9 Augustin indes griff wohl den Varronischen Text in De civitate Dei auf. Jene Überlegungen des spätrepublikanischen Gelehrten ließen den spätantiken Bischof von Hippo Regius in einer ausgreifenden Passage erstmals – so weit wir sehen – eine Friedensidee formulieren, die griechisch-römisches und christliches Denken zu versöhnen suchte.10 Abgesehen von dem so immerhin mittelbar greifbaren Varronischen Werk, das vielleicht auch nur eine anlaßbezogene Schrift wie die bekannten Reden des Andokides und des Isokrates „Über den Frieden“11 war, keine antike Schrift

chen bis zum Peloponnesischen Krieg, ZRG 109, 1992, 116–162; Greg Woolf, Roman Peace, in: John W. Rich / Graham Shipley (Eds.), War and Society in the Roman World, (Leicester-Nottingham Studies in Ancient Society; 5) London/New York 1993, 171–194; Erika Simon, LIMC VII 1, 1994, 204–212 s. v. Pax (mit VII 2, 134–138); Lorna Hardwick, Concepts of Peace, in: Janet Huskinson (Ed.), Experiencing Rome: Culture, Identity and Power in the Roman Empire, London 2000, 335–368; Gabriele Thome, Zentrale Wertvorstellungen der Römer II: Texte – Bilder – Interpretationen, (Auxilia) Bamberg 2000, 85–116 („pax: Vom Vertrag zum Friedenszustand“); Hannah Cornwell, Pax and the Politics of Peace, Oxford 2017; AK Münster 2018 (Frieden), passim, sowie die zahlreichen zusammenfassenden, vor allem den weiten Bedeutungshorizont abschreitenden Arbeiten von Kurt A. Raaflaub. Vgl. im einzelnen K. A. R., Introduction: Searching for Peace in the Ancient World, in: Ders. (Ed.), War and Peace in the Ancient World, (The Ancient World: Comparative Histories) Malden, Massachusetts/Oxford/Carlton, Victoria 2007, 1–33; Dens., Conceptualizing and Theorizing Peace in Ancient Greece, TAPhA 139, 2009, 225–250 = Dens., Friedenskonzepte und Friedenstheorien im griechischen Altertum, HZ 290, 2010, 593–619; Dens., Peace as The (sic!) Highest End and Good? The Role of Peace in Roman Thought and Politics, in: Günther Moosbauer / Rainer Wiegels (Hrsgg.), Fines imperii – imperium sine fide? Römische Okkupationspolitik und Grenzpolitik im frühen Principat. Beiträge zum Kongress ,Fines imperii – imperium sine fide?‘ in Osnabrück vom 14. bis 18. September 2009, (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption; 14) Rahden, Westfalen 2011, 323–338 = Dens., Der Friede als höchstes Ziel und Gut? Zum Friedensideal im antiken Rom, in: Robert Rollinger / Gundula Schwinghammer / Brigitte Truschnegg / Kordula Schnegg (Hrsgg.), Altertum und Gegenwart: 125 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck. Vorträge der Ringvorlesung Innsbruck 2010, (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft; N. F. 4) Innsbruck 2012, 237–271; Dens., Abhorring War, Yearning for Peace: The Quest for Peace in the Ancient World, in: Ders. (Ed.), Peace in the Ancient World: Concepts and Theories, (The Ancient World: Comparative Histories) Malden, Massachusetts/Oxford/Chichester, West Sussex 2016, 12–42; Dens., Greek Concepts and Theories of Peace, in: ebd. 122–157. 8 Vgl. Barry Katz, Varro, Sallust, and the Pius aut de pace, C & M 36, 1985, 127–158, hier 144–157, bes. 156 f.; Giuseppe Zecchini, Il „Pius de pace“ di M. Terenzio Varrone, in: Marta Sordi (ed.), La pace nel mondo antico, (Pubblicazioni della Università Cattolica del Sacro Cuore. Contributi dell’Istituto di storia antica; 11 = Scienze storiche; 36) Mailand 1985, 190–202, hier 200 f. 9 Varr. logist. frg. 64 p. 65 Bolisani = Gell. 17,18,1. 10 August. civ. 19,11–13; dazu immer noch Fuchs (1926) 16–72, insbesondere dann 150–154. 11 And. 3 passim, anläßlich der Friedensverhandlungen in Sparta im Jahre 392/91; Isokr. 8 passim, vor dem Friedensschluß zwischen Athen und den Bundesgenossen des Jahres 355 (Staatsverträge II2 288 f., Nr. 313) gehalten.

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Περὶ εἰρήνης oder De pace ist bekannt, die von einem übergreifenden, theoretischen Standpunkt aus das Problem anging. Dieser Befund überrascht, denken wir an die breiten theoretischen Interessen und großen intellektuellen Leistungen „der Alten“, zumal das Ideal einer umfassenden eirḗnē im Äußeren wie im Inneren sich schon früh artikulierte und schließlich auch als eine so verstandene pax entfaltete. Seltsamerweise aber, wie sich so andeutet, hat der griechische Friedensbegriff seine Bedeutungsweite bewahrt und erst in einem zweiten Schritt auch eine rechtliche Bedeutung erlangt. Der lateinische Begriff hingegen, zunächst ein juristischer Terminus, hat sich erst allmählich geweitet und die Vorstellung eines allgemeinen Friedenszustandes bezeichnet. Dieser seltsam umgekehrte Weg von Bedeutungserweiterungen sei wenigstens mit starken Strichen skizziert, denn dieser sprachgeschichtliche Hintergrund läßt deutlicher erkennen, wann und warum gerade die Konzepte homónoia und concordia in der politischen Sprache von Hellas und Rom den inneren Frieden besonders akzentuierten und in welchem Zusammenhang mit dem Vergessen sie als Konsensbegriffe möglicherweise stehen. Ein umfassender Begriff von eirḗnē, der den äußeren wie den inneren Friedenszustand bezeichnete, scheint bereits in den ältesten Schriftzeugnissen deutlich auf. Streng antithetisch verwandt, stehen eirḗnē und pólemos in der Homerischen Ilias und in den Werken und Tagen des Hesiod einander gegenüber.12 In dessen Theogonie jedoch ist Eirene, der personifizierte Frieden, Mitgarantin des inneren Gedeihens: „Blühend“ (τεθαλυῖαν) wie ihre Schwestern Eunomia, die Wohlordnung, und Dike, die Gerechtigkeit, kaum zufällig Töchter der Themis und des Zeus, ist sie eine der Horen, αἳ ἔργ’ ὠρεύουσι καταθνητοῖσι βροτοῖσι, „die das Tun und Treiben der sterblichen Menschen betreuen“.13 Allmählich löste das Wort eirḗnē den bei zwischenstaatlichen Friedensschlüssen verwandten Begriff der σπονδαί ab, einen Ritualbegriff, der wörtlich „Weihegüsse“ bezeichnete, also Trankspenden an die Götter, durch die eine Beendigung von Kriegshandlungen markiert wurden (und die auch auf die ἐκεχειρία,14 den „Zustand, in dem die Hände zurückgehalten werden“15, den durch Waffenstillstand sogenannten 12 Hom. Il. 2,797; andeutend 9,403; Hes. erg. 227 f. 13 Hes. theog. 901–903 (Zitat 903 in der Übers. von Albert von Schirnding). – Daß solcher „Frieden“ noch lange dem Ideal der „Wohlordnung“ nahegestanden hat, scheint neben Pind. O. 13,6–10 (hier wieder die drei Schwestern), auch aus P. 5,66 f., hervorzugehen: Der Dichter konnte mit dem Ausdruck ἀπόλεμον […] εὐνομίαν den inneren Frieden umschreiben. So erklärt sich vielleicht auch, wie Keil (1916) 41 Anm. 1 (vgl. 5 f. Anm. 1), ansprechend vermutet hat, der, vordergründig betrachtet, irritierende Eintrag der Suda, s. v. Εὐνομία (3595) p. 459 Adler II: Εὐνομία εἰρήνη. 14 Manfred Lämmer, Der sogenannte Olympische Friede in der griechischen Antike, Stadion 8–9, 1982–1983, 47–83, hier 51. Siehe auch Maria Theotikou, Die ekecheiria zwischen Religion und Politik. Der sog. „Gottesfriede“ als Instrument in den zwischenstaatlichen Beziehungen der griechischen Welt, (Geschichte; 118) Berlin 2013, bes. 32–41. 15 Vgl. Frisk, Gr. etym. Wörterbuch I 476 s. v.: „Zusammenbildung aus ἔχειν χεῖρας mittels des ab­ straktbildenden Suffixes -ία […]“. Siehe auch Chantraine, Dict. étym. 329 s. v.

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Olympischen Frieden verpflichteten).16 Wann freilich das Wort über einen allgemeinen Friedenszustand hinaus auch den Friedensschluß beziehungsweise Friedensvertrag bezeichnete, ist hier nicht von Belang. Die Voraussetzungen für eine Bedeutungserweiterung zeichneten sich im 5. Jahrhundert v. Chr. ab. Spätestens der Peloponnesische Krieg dürfte eine Zäsur gesetzt haben, ein besonders „erschütternder“ Krieg,17 welcher im übrigen die Ansicht, daß Demokratien zum Frieden neigen, als eine Mär entlarvt.18 Die überaus leidvolle Erfahrung dieses grossen und andauernden Konfliktes hat dem Wort eirḗnē und den mit ihm verbundenen Hoffnungen wohl zu neuer und besonderer Prominenz verholfen. Davon zeugen allein zwei rotfigurige attische Vasenbilder des Reichen Stils, die Eirene, identifiziert durch Beischriften, zeigen.19 Davon zeugt aber auch neben anderen Bühnenstücken vor allem die dramatische Bearbeitung in Aristophanes’ gleichnamiger, im Jahre 421 v. Chr. aufgeführter Komödie, die mit der Errichtung eines Altars für Eirene einen Akzent setzt.20 Einen geordneten Poliskult freilich sollte Eirene in Athen erst nach einem Sieg über Sparta im Jahre 375 erhalten: Das berühmte statuarische Werk des Kephisodot – die Göttin als κουροτρόφος, als „Jünglingsnährende“, mit dem Knaben Ploutos auf dem Arm, dem personifizierten Reichtum, hier wohl besser: Wohlstand –, aufgestellt auf der Agora, war vielleicht (sic!) ihr Kultbild.21 Die erschöpfte und weiterhin von Kriegen gequälte griechische Staatenwelt des 4. Jahrhunderts schließlich konzipierte kaum

Vgl. dazu vor allem Ernst Baltrusch, Symmachie und Spondai. Untersuchungen zum griechischen Völkerrecht der archaischen und klassischen Zeit (8.–5. Jahrhundert v. Chr.), (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte; 43) Berlin/New York 1994, 92–94, 99–104, 155, und im Überblick Dens. (2008) 24–26 und 105 f. mit Literaturreferat. 17 Vgl. Thuk. 1,1,2: κίνησις […] μεγίστη. 18 Vgl. insbesondere Eric Robinson, Reading and Misreading the Ancient Evidence for Democratic Peace, Journal of Peace Research 38, 2001, 593–608, und die sich anschließende Debatte: Spencer R. Weart, Remarks on the Ancient Evidence for Democratic Peace, ebd. 609–613; E. R., Response to Spencer Weart, ebd. 615–617. 19 Vgl. die verschollene Pelike, ehemals Paris, Sammlung Raoul-Rochette, sowie den Kelchkrater des Dinosmalers, Wien, Kunsthistorisches Museum 1024, Sammlung Lamberg 189 (CVA Österreich, Wien [3], p. 11 f. [Fritz Eichler], Taf. 105, hier bes. 3); dazu Ingeborg Scheibler, Götter des Friedens in Hellas und Rom, AW 15,1, 1984, 39–57, hier 48 mit 44 Abb. 9 f.; Simon (1986) 704 Nr. 11 f. mit 542 Abb. 11. 20 Aristoph. Pax 938, 942. – Bezeichnenderweise bleibt Eirene im Unterschied zu Polemos, der diese in eine tiefe Höhle warf (223) und so gefangen hält, das ganze Stück lang stumm, ja passiv. Vgl. grundsätzlich S. Douglas Olson, Aristophanes: Peace, ed. with Introduction and Commentary, Oxford 1998, xxxix–xlii, sowie 113 f. ad 221–226. 21 Vgl. Isokr. 15,109 f.; Philoch. FGrH 328 frg. 151 p. 142 = Did. in Demosth. 10,34 col. 7,62–71; Nep. Timoth. 2,2 f.; Paus. 1,8,2; 9,16,2, sowie die am besten erhaltene römische Marmorkopie des verlorenen, bronzenen Werkes in München, Glyptothek 219 (s. etwa die gelungene Abb. in: Raimund Wünsche, Glyptothek München. Meisterwerke griechischer und römischer Skulptur, München 2005, 78 f.); dazu Scheibler (1984) 48 f.; Simon (1986) 701, 703 Nr. 8 mit 541 Abb. 8; Robert Parker, Athenian Religion: A History, Oxford 1996, 229 f.; Emma J. Stafford, Worshipping Virtues: Personification and the Divine in Ancient Greece, London/Swansea 2000, 173–184 mit 193–196. – Zur Eirene als κουροτρόφος θεά vgl. schon Eur. Bakch. 419 f. 16

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zufällig mit der Idee der κοινὴ εἰρήνη den „Allgemeinen Frieden“.22 Seine Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts, der Autonomie, dann der völkerrechtlichen Gleichstellung und der Dauerhaftigkeit, in mehreren multilateralen Friedensverträgen stipuliert, angefangen vom sogenannten Königsfrieden von 386 bis hin zum Korinthischen Bund von 338/37 v. Chr.,23 haben in der Neuzeit bekanntlich vielerlei angestoßen – nicht zuletzt die Gründung des Völkerbundes respektive der Vereinten Nationen. Schon vor der Idee einer koinḗ eirḗnē aber hatte sich mit der Vorstellung der homónoia längst ein neuer politischer Begriff Bahn gebrochen, der insbesondere den inneren Frieden neu umschrieb. Mit dem Wort ὁμόνοια24 artikulierte sich vielleicht im Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. zum ersten Male ein spezifisches politisches Konzept der Eintracht, das als Antonym von στάσις den inneren Frieden beschwor.25 Der Anfang solcher Politisierung des Begriffs ist im einzelnen nicht auszumachen,26 jedenfalls appellierte man im Zuge der Rebellion der Flotte vor Samos und des oligarchischen Umsturzes des Jahres 411 in Athen ganz selbstverständlich an die homónoia.27 Es fehlen eindeutige Belege, aber die Schrekkensherrschaft der „Dreißig“, dann der „Zehn“, die erst durch das oben (Kap. III. 3.) behandelte Fallbeispiel der sogenannten Amnestie von 403 ein Ende finden sollte, dürften Wegmarken gewesen sein. Auch sie werden zu solchen solidarisierenden Appellen geführt und das Bewußtsein von dem elementaren Wert des Solidarbegriffs geschärft haben, der für die Polis als Bürgerstaat so zentral war.28

Siehe vor allem Martin Jehne, Koine Eirene. Untersuchungen zu den Befriedungs- und Stabilisierungsbemühungen in der griechischen Poliswelt des 4. Jahrhunderts v. Chr., (Hermes-Einzelschriften; 63) Stuttgart 1994, und Ernst Baltrusch, Frieden und Selbstbestimmung. Die Koine-Eirene-Verträge des 4. Jahrhunderts v. Chr., GWU 70, 2019 (Heft 5/6: Friedensschlüsse), 237–260. 23 Staatsverträge II2 188–192 Nr. 242; 222–224 Nr. 265; 227–229 Nr. 269; 229 f., Nr. 270; 253–255 Nr. 292; 319 f., Nr. 331, freilich mit einem Fragezeichen zu versehen; III 3–14 Nr. 403. 24 Vgl. grundsätzlich Johannes Zwicker, RE VIII 2, 1913, 2265–2268 s. v. Homonoia 1; Hans Kramer, Quid valeat ὁμόνοια in litteris Graecis, Diss. Univ. Göttingen 1915; Athanasios Moulakis, Homonoia. Eintracht und die Entwicklung eines politischen Bewußtseins, (Schriftenreihe zur Politik und Geschichte) München 1973; H. Alan Shapiro, LIMC V 1, 1990, 476–479 s. v. Homonoia (mit V 2, 332–333). 25 Dazu und zum Folgenden insbesondere Kramer (1915) 18–21, 26 f., 38–42, und Jacqueline de Romilly, Vocabulaire et propagande ou les premiers emplois du mot ὁμόνοια, in: Alfred Ernout (éd.), Mélanges de linguistique et de philologie grecques offerts à Pierre Chantraine, (Études et commentaires; 79) Paris 1972, 199–209, hier 199–201. Vgl. – freilich mit gewissen Einschränkungen – Moulakis (1973) 19–23. Siehe auch die prinzipiellen Bemerkungen von Gehrke (1985) 357 f. 26 Die interessanten Fragmente des Demokrit (FVS11 68 B 250 p. 195, und B 255 p. 196 f.) sind zeitlich nicht recht einzuordnen. 27 Thuk. 8,75,2; 8,93,3. Vgl. im letzteren Zusammenhang die Rede Περὶ ὁμονοίας des am Umsturz beteiligten und deshalb hingerichteten Sophisten Antiphon (FVS11 87 B 44 a–71 p. 356–366). – Vielleicht (sic!) gehören auch die bemerkenswerten Ausführungen des Thrasymachos (FVS11 85 B 1 p. 322 f.) in diesen Kontext, wenn sie nicht auf 404/03 führen. 28 Vgl. die vorherige Anm. 22

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In der Folgezeit erhielt das Schlagwort immer größereres Gewicht: Die Redner des 4. Jahrhunderts erinnerten an den Gegensatz von innerem Krieg und Eintracht, bezogen sich dabei auch auf die Machtergreifung der „Dreißig“ und den sich anschließenden Bürgerkrieg von 404/03, oder propagierten die homónoia ebenso als gemeingriechischen Wert gegen äußere Feinde;29 in seiner Huldigung des Sokrates konnte Xenophon in ihr „das größte Gut für die Poleis“ erkennen;30 in Olympia, einer Mitte in jener polyzentrischen Welt, wurde ihr vielleicht schon im Jahre 364 in der Altis ein Altar errichtet, im Hellenismus jedenfalls erhielt die Homonoia als personifizierte Göttin in vielen Poleis Kult.31 All diese Aspekte indizieren nicht nur einen Bedeutungszuwachs, sondern unterstreichen auch das zunehmende Gewicht dieses politischen Schlagworts der Griechen, wenn sie bei ihrer unablässigen Abwehr interner Konflikte um Eintracht rangen. Allein das Zeugnis kaiserzeitlicher Münzen ist Legion.32 Schutz gewährte den griechischen Staaten am Ende nur die Ὁμόνοια Σεβαστή, die Concordia Augusta. Damit berühren wir bereits die römische Welt. Vor einer entsprechenden Skizze der Entwicklung des römischen Konzepts der Eintracht sei indes die Aufmerksamkeit auch hier zunächst auf den allgemeinen Friedensbegriff gelenkt. Die pax war, wie oben bereits angedeutet, zunächst und ausschließlich ein Rechtskonzept und konnotierte erst spät als ein Zustandsbegriff neben dem äußeren auch den inneren Frieden. So konnte ein antiker Grammatiker ihre Etymologie durch die Bestimmung a pactione, auf das „Übereinkommen“, die „Übereinkunft“, auch den „Vertrag“ zurückführen (was die moderne Sprachwissenschaft im übrigen teilt),33 so kann ein heutiger Romanist die pax ganz elementar als „ein[en] geordnete[n] Zustand, ein[en] Regelungsmechanismus“ bestimmen.34 Solche Bedeutung bezeugt etwa bereits das

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U. a. Lys. 18,17: […] νυνὶ δὲ πάντες ἂν ὁμολογήσαιτε ὁμόνοιαν μέγιστον ἀγαθὸν εἶναι πόλει, στάσιν δὲ πάντων κακῶν αἰτίαν […] (s. auch Isokr. 18,44, und 68 [bereits 402/01 gehalten (mit Rückbezug auf 404/03)]); And. 1,140, und Demosth. 20,12 (mit Rückbezug auf 404/03); Isokr. 12,13 (gemeingriechischer Wert; vgl. schon die von Gorgias gegen Ende des 5. Jh.s in Olympia gehaltene Rede Περὶ ὁμονοίας, FVS11 82 B 8 a, p. 287). 30 Xen. mem. 4,4,16: ἀλλὰ μὴν καὶ ὁμόνοιά γε μέγιστόν τε ἀγαθὸν δοκεῖ ταῖς πόλεσιν εἶναι […]. 31 Vgl. Shapiro (1990) 477, sowie insbesondere Wolfgang Messerschmidt, Prosopopoiia. Personifikationen politischen Charakters in spätklassischer und hellenistischer Kunst, (Arbeiten zur Archäologie) Köln/Weimar/Wien 2003, 53–60, 182 f. (Katalog), 230–238 (Testimonia) (s. insbesondere 54 f., 236 T 15, zum möglichen Kult der Homonoia in Olympia). 32 Siehe nur die von Shapiro (1990) 477 f. mit 332 f. Abb. 5, 7–9, 12, 15–20, 23–25, 28 f., 31, zusammengestellten Belege seit spätklassischer Zeit. 33 Sinnius Capito, GRF [Funaioli], frg. 10 p. 461 = Fest. p. 260 Lindsay, s. v. Pacem; so verkürzt denn Paul. exc. Fest. p. 261 L. , s. v. Pax: Pax dicta est a pactione (vgl. Maltby, Lex. Anc. Lat. Etym. 458 s. v. pax, auch 440 s. v. pactum, mit weiteren Belegen); Walde/Hofmann, Lat. etym. Wörterbuch5 II 231 s. v. pacīscō; Ernout/Meillet, Dict. étym.4 473 s. v. pacō. 34 Christian Baldus, Vestigia pacis: Der römische Friedensvertrag als Struktur und Ereignis, Historia 51, 2002, 298–348, hier 347.

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Zwölf-Tafel-Gesetz als Vertragshandlung im Privatrecht, ebenfalls für eine frühere Zeit der Komiker Plautus, wenn er den erzielten Vertragszustand zwischen streitenden Parteien in der Familie als pax benennt.35 Es ist aber vor allem die außenpolitische Dimension dieses Begriffs, welche seine Wurzel im Recht unterstreicht und zugleich die pax keinesfalls als einen äußeren Frieden an sich erweist, vielmehr als ein Instrument bedingungsloser Unterwerfung entlarvt. Die pax als Friedensvertrag nach Beendigung eines Krieges ist eine einseitige Gewährung Roms. Die berühmte Wendung in den Res gestae des Augustus, es sei parta victoriis pax, der Frieden sei „durch Siege hervorgebracht“,36 führt auf den Punkt: Der vertraglich hergestellte Friedensschluß war diktiert von Sieg und Anerkennung von Überlegenheit. Die Unterlegenen begaben sich nach Kapitulation (deditio) „in ein Treueverhältnis zum römischen Volk“ (in fidem populi Romani). Wie auch immer dieser Akt und seine Konsequenzen zu verstehen sind,37 die Formel schützte die Besiegten nicht notwendig vor Mißhandlungen. Rechtsbegriffe sind das eine, die Praxis das andere. Der im Vertragswesen geborene pax-Gedanke hat im Außenpolitischen sein Gewaltpotential ganz und gar entfaltet. Die für die Festigung seiner Stellung als Princeps so wichtigen Eroberungen hat Augustus in seinem „Tatenbericht“ selbstverständlich als Pazifizierungen benennen können. Nur wir meinen im wiederholten Gebrauch des Verbs pacare38 Zynismus zu hören. Die Vergemeinschaftung der Pax mit Mars und Victoria und anderen Gottheiten in einer Weihinschrift der Hohen Kaiserzeit (CIL XIII 8812 = ILS 3094) ist ganz selbstverständlich. Die pax war nichts anderes als Befriedung durch Unterwerfung,39 war – so Kurt Raaflaub treffend – „im Grunde ein imperialistisches Konzept“40. Vor diesem und keinem anderen Hintergrund sind die vielzitierten Verse des Vergil in seiner Aeneis zu lesen, die von Roms imperialer Mission der Lenkung der Völker und der Auferlegung eines wohlverstanden, gesitteten

35 Vgl. lex XII tabularum, Roman Statutes 40 frg. 1,6 f., p. 578 und 594 (vgl. Flach/von der Lahr, Gesetze 26 frg. 1,6 f., p. 118; im übrigen mit dem alten semantischen Gehalt des Verbs pacare [s. OLD2 1410 s. v. pacō: „To come to an agreement, agree on.“; vgl. im übrigen Georges 8 II 1458 f., s. v. pango (hier am Ende)]); Plaut. Mer. 953–955; dazu die eingehende Besprechung von Thome (2000) 86 f. 36 Aug. r.g. 13 p. 12 Scheid. Vgl. die in seinem Lob auf Augustus von Vell. 2,89,6, verwandte Wendung: […] pacatusque victoriis terrarum orbis […]. 37 Vgl. das Literaturreferat von Baltrusch (2008) 109 f., 123 f. 38 Aug. r.g. 25,1, und 26,2 p. 19, 21 Scheid. 39 Nur in ihrem Verhältnis zu den Göttern verkehrten sich die Vorstellungen, konnten sich die Römer sogar unterordnen. Die pax de(or)um war immer heikel, deren ira stets zu befürchten. Diese besondere pax bedurfte unablässiger Sicherung durch Prüfung des Willens der Gottheiten und deren Kultes und zeigt so eine Um- und Rücksicht, welche die pax auf menschlicher Ebene nicht kannte. So zeigt sich einmal mehr die im römischen Friedensbegriff transportierte Anerkennung von Überlegenheit, hier natürlich der Götter. 40 Raaflaub (2011/2012) 239.

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„Friedens“ singen.41 In der Zeit des Epikers, ein Zeitgenosse der ausgehenden Republik und des sich erhebenden Principats, scheint sich allerdings ein Wandel des alten Begriffs vollzogen zu haben, scheint pax nun a u c h die Bedeutung von innerem Frieden angenommen zu haben. Nachdem der Krieg als Bürgerkrieg in die res publica selbst eingedrungen war, als der Sieger Oktavian die bella civilia „ausgelöscht“ hatte, wie er, der sie doch selbst wieder entfacht hatte, bezeichnenderweise schrieb (r.g. 34,1 p. 24 Scheid: exstinxeram), inaugurierte er als Augustus eine Politik des Friedens. Aus dem Kriegsherrn war ein Friedensfürst geworden, den die Dichter nicht müde wurden zu feiern.42 Die nach Maßgabe des Princeps verfolgte pax Romana war eine pax Augusta, im Äußeren wie im Inneren: Die dreifache Schließung des Ianustempels, der aedes des Gottes der Anfänge und der Durchgänge, deren Schließung nach angeblich altem Vorbild bei Frieden im ganzen Imperium Romanum erfolgte, feierte die alte parta victoriis pax (s. o.), nun freilich vom siegreichen Princeps „hervorgebracht“.43 Bezeichnenderweise wurden dessen „Siege“, welche den Frieden erzwungen hatten, in der in den östlichen Provinzen des Imperium Romanum publizierten griechischen Übersetzung des „Tatenberichts“ beschwiegen und durch eine für die Provinzialen unverfänglichere Wendung umschrieben.44 Vor allem aber ist auf die im Jahre 9 v. Chr. auf dem Marsfeld (!) dedizierte Ara Pacis Augustae hinzuweisen.45 Der monumentale Friedensaltar oszillierte zwischen alter und erweiterter Bedeutung,46 lenkte freilich mit seinem beziehungsrei41 Verg. Aen. 6,851–853: Tu regere imperio populos, Romane, memento / – hae tibi erunt artes –, pacique imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos. – Wie sich solche pax für die Unterlegenen darstellte, wie sehr sie doch nur ein nomen falsum war, sollte Tacitus in einer berühmten Stelle dem Calgacus in den Mund legen. Vgl. Agr. 30,5: auferre trucidare rapere falsis nominibus imperium atque ubi solitudinem faciunt pacem appellant (sc. Romani). 42 Vgl. etwa Verg. Aen. 1,286–291; Hor. carm. 4,15 passim; Ov. fast. 4,407 f. 43 Aug. r.g. 13 p. 12 Scheid: [Ianum] Quiri[num, quem cl]aussum ess[e maiores nostri voluer]unt, cum [p]er totum i[mperium po]puli Roma[ni terra marique es]set parta victoriis pax, cum, pr[iusquam] nascerer, [a condita] u[rb]e bis omnino clausum [f]uisse prodatur m[emori]ae, ter me princi[pe senat]us claudendum esse censui[t]. 44 Siehe Aug. r.g. 13 p. 12 Scheid, den Genetivus absolutus: […] εἰρηνευομένης τῆς ὑπὸ Ῥωμαοις πάσης γῆς τε καὶ θαλάσσης […]; dazu Alison E. Cooley, Res Gestae Divi Augusti: Text, Translation, and Commentary, Cambridge 2009, 158 ad loc.; Cornwell (2017) 19, 199 f. Nur vermerkt in: Res gestae Divi Augusti. Hauts faits du Divin Auguste, texte établi et traduit par John Scheid, (Collection Budé) Paris 2007, xxxi. 45 Vgl. Platner/Ashby, Topogr. Dict. 30–32 s. v. Ara Pacis Augustae; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 287–289 s. v. Pax Augusta, Ara; Mario Torelli, LTUR IV, 1999, 70–74 mit 424–426 Abb. 17–22 s. v. Pax Augusta, sowie den schönen Führer von Orietta Rossini, Ara Pacis, Mailand 2 2007. Siehe vor allem Erika Simon, Ara Pacis Augustae. Der Altar der Friedensgöttin Pax Augusta in Rom, (Ponte fra le culture; 3) Dettelbach 2010. 46 Vgl. nämlich die Begründung für die periodisch am 30. Januar zu vollziehende supplicatio, die das Feriale Cumanum, ein Festkalender aus Cumae, anläßlich der Dedikation notiert (Inscr. It. XIII 2 p. 279): Das Dankfest galt „der Herrschaft des Caesar Augustus, des Wäch[ters] | [des Imperium Romanum“, dem imperio Caesaris Augusti custo[dis] | [i(mperi) R(omani) – – – – – – ]. Siehe dazu auch die Bemerkungen von Stefan Weinstock, Pax and the ,Ara Pacis‘, JRS 50, 1960, 44–58

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chen Bilderschmuck auf der Marmorumhegung, nicht zuletzt mit dem vielleicht als Tellusrelief anzusprechenden Sinnbild, den Betrachter auf die Vorzüge eines inneren, beruhigenden Friedens, den die domus Augusta, ikonographisch in ritueller Prozession vereint, garantierte. Die Worte eines begnadigten senatorischen Proskribierten sind beredt: „Nachdem die Welt befriedet, das Gemeinwesen wiederhergestellt war, waren uns ruhige und glückliche Zeiten vergönnt.“47 So hatte man mit der Kaiserzeit die Freiheit gegen den Frieden getauscht, so möchte man sagen. Doch mit dieser Einschätzung sitzt man einem elitären Diskurs auf, wie er sich in der senatorischen Geschichtsschreibung artikulierte. Die alte Führungsschicht konnte den Verlust der libertas nicht verwinden (oder tat wenigstens so), die Untertanen aber, seien es ,die kleinen Leute‘ in der Urbs oder in den Städten Italias, seien es die Provinzialen im Imperium Romanum, dürften die Segnungen der pax Augusta geschätzt haben48 – Segnungen wie etwa der Schutz des Lebens und des Eigentums oder die Freizügigkeit, zu denen die griechische wie auch die hellenistische Welt außerstande (gewesen) waren.49 Waren in der griechischen Vorstellung eirḗnē und eunomía, die „Wohlordung“, verwandt (s. nochmals Hes. theog. 901–903), so verband sich in der römischen Vorstellung die pax nun zunehmend mit der securitas, mit der „Sicherheit“ (als ein von den Kaisern zu garantierender Zustand50). Mit Recht sollte

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mit Taf. V–IX, hier 49. – Vielleicht spielte auch das Templum Pacis, später Forum Pacis genannt, das der siegreiche und eine neue Dynastie begründende Vespasian nach dem Jüdischen Krieg 75 n. Chr. dedizierte (Suet. Vesp. 9,1; Ios. bell. Iud. 7,5,7,158–162; Cass. Dio 65,15,1, u. a.; Platner/ Ashby, Topogr. Dict. 386–388 s. v. Pax, templum; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 286–287 mit Abb. 65 f., s. v. Pax, Templum; Filippo Coarelli, LTUR IV, 1999, 67–70 mit 427–430 Abb. 23– 29 s. v. Pax, templum; Roberto Meneghini, Die Welt zu Gast bei Pax. Das templum pacis in Rom, in: AK Münster 2018 [Frieden], 157–171), mit den Schattierungen des Friedensbegriffs. Vgl. Scheibler (1984) 54; Johanna Leithoff, Macht der Vergangenheit. Zur Erringung, Verstetigung und Ausgestaltung des Principats unter Vespasian, Titus und Domitian, (Schriften zur politischen Kommunikation; 19) Göttingen 2014, 58, 203 f.; Cornwell (2017) 191–194. CIL VI 1527 d, e, lin. 25 f.: Pacato orbe terrarum, res[titut]a re publica quieta deinde n[obis et felicia] | tempora contigerunt. Übers. von Dieter Flach, Die sogenannte Laudatio Turiae. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar, (Texte zur Forschung; 58) Darmstadt 1991, 60 lin. 25 f. – Vgl. dann in Tiberischer Zeit das von Phrasen beherrschte Lob des Ritters Velleius Paterculus 2,89,3–6, der wenig überraschend 2,126,2–5, mit ähnlichen Worten dem Nachfolger im Principat huldigt. Siehe in diesem Zusammenhang etwa Strab. 6,4,2 (C 288), und, wenn auch allzu enkomiastisch auf Augustus, darüber hinaus polemisch gegen Caligula gerichtet, den bezeichnenden Passus bei Philon aus Alexandreia (leg. ad Gaium 147) oder, selbst unter Abzug der genrespezifischen Lobhudelei, den Preis auf das friedenstiftende Rom bei dem Redner Ailios Aristeides (26 [Εἰς Ῥώμην],69–71 Keil). Vgl. den emphatischen Beitrag von Michael Stahl, Einheit in Vielfalt: Die Friedensordnung des Imperium Romanum als erste und letzte Einheit Europas, in: Roberto Cotteri (ed.), L’Europa multiculturale. Atti del XXIV convegno internazionale di studi italo-tedeschi, Merano, 11–13 maggio 1998, Merano 1998, 686–692. Dazu Hans Ulrich Instinsky, Sicherheit als politisches Problem des römischen Kaisertums, (Deutsche Beiträge zur Altertumswissenschaft; 3) Baden-Baden 1952.

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schon bald der ältere Plinius die pax festa oder auch die inmensa maiestas pacis preisen.51 So konnte pax schließlich, um die Skizze zu beenden, auch den inneren Frieden bezeichnen. Und so wurde sie auch auf kaiserzeitlichen Münzen in Bild und Legende immer wieder propagiert.52 Als Kernbegriff aber hatte sich concordia längst etabliert.53 Die concordia als Konzept des inneren Friedens54 spiegelt die wechselvolle Geschichte der Republik – nicht zuletzt in der literarischen Gestaltung. Wenn Cicero immer wieder die concordia ordinum beschwor,55 damit allerdings lediglich die soziale Oberschicht, Senatoren und Ritter, ansprach, so zeigt auch dieses Schlagwort nur, wie sich einem politischen Programm Wunschdenken untermischte. Wenn Sallust im alten Rom die concordia maxuma sah (Cat. 9,1; vgl. hist. 1,11), so entsprach solche bewußt archaisierende Pointierung doch nur der Niedergangskonzeption seiner Historiographie. Den concordia-Gedanken der allmählich zerfallenden Republik reprojizierte man folgerichtig in die Zeit der sogenannten Ständekämpfe. Die erbaulich-schöne Rede des Menenius Agrippa über die Glieder und den Magen anläßlich der secessio von 494 v. Chr.,56 welche die concordia zwischen Patriziern und Plebejern ermöglichte (so Liv. 2,33,1), ist zweifellos ein solcher Reflex. Die Eintracht, so reicht festzuhalten, wurde besonders in Krisenzeiten betont. Davon zeugen neben Münzprägungen des Jahres 62 v. Chr. und der Fülle an Emissionen in den folgenden Jahrzehnten und Jahr-

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Vgl. Plin. nat. 2,46(45),117; 14,1(1),2, bzw. 27,1(1),3. Siehe nur – unter systematischen Gesichtspunkten – die von Simon (1994) 208 f. (vgl. 210 f.) mit 136–138 Abb. 16–20, 22 f., 28, 31–36, 39, 41, 43–45, 47–49, zusammengestellte Auswahl. So ist auch die durch die pax als Vertrag hergestellte concordia als geläufige Vorstellung bereits bei Plautus deutlich zu greifen. Vgl. Am. 957–962, mit Thome (2000) 87, und Cornwell (2017) 33 Anm. 86. Solche Vorstellung von vertraglich gesicherter „Eintracht“ muß geläufig gewesen sein, sonst hätte der Dichter sie für sein Bühnenstück nicht verwenden können. Dazu grundsätzlich Emil Aust, RE IV 1, 1900, 831–835 s. v. Concordia 5; Eiliv Skard, Zwei religiös-politische Begriffe: Euergetes – Concordia, (Avhandlinger utgitt av Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo. II. Historisk-Filosofisk Klasse; 1931,2) Oslo 1932, 67–106 (vgl. den Teilnachdruck [mit ausgesparten Partien und ohne Anhang] als: Concordia, in: Oppermann [1967] 173–208); Paul Jal, „Pax civilis“ – „Concordia“, REL 39, 1961, 210–231, bes. 218–231; Barbara Levick, Concordia at Rome, in: Robert A. G. Carson / Colin M. Kraay (Eds.), Scripta nummaria Romana: Essays Presented to Humphrey Sutherland, London 1978, 217–233 mit Taf. 22–24; Tonio Hölscher, LIMC V 1, 1990, 479–498 s. v. Concordia (mit V 2, 333–340); Philippe Akar, Concordia. Un idéal de la classe dirigeante romaine à la fin de la République, (Histoire ancienne et médiévale; 122) Paris 2013. Siehe auch Stefan Weinstock, Divus Julius, Oxford 1971, 260–266; Leonhard Alexander Burckhardt, Politische Strategien der Optimaten in der späten römischen Republik, (Historia-Einzelschriften; 57) Wiesbaden 1988, 70–85. Vgl. statt vieler Stellen immer noch die grundlegende Studie von Hermann Strasburger, Concordia Ordinum. Eine Untersuchung zur Politik Ciceros, Diss. Univ. Frankfurt am Main 1931, Nachdruck Amsterdam 1956; Nachdruck mit einem „Nachbericht des Autors“ in: Ders. (1982) I 1–82 mit 520. Insbesondere Liv. 2,32,8–12, und Dion. Hal. ant. 6,83,1–6,87,1, bes. 6,86,1–5; s. auch Flor. 1,17,23,1 f.; Plut. Cor. 6,3–5.

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hunderten57 vor allem die Tempeldedikationen der zu einer Gottheit hypostasierten Concordia.58 Offenbar schon früh zur Kultpersonifikation gereift,59 soll der Concordia bereits 367 v. Chr., also im Zuge des sogenannten Ständeausgleichs, M. Furius Camillus eine erste aedes auf dem Forum errichtet haben, der curulische Aedil Cn. Flavius nur eine aedicula aerea dann im Jahre 304 in area Volcani oder in Graecostasi, nun aber gegen den Willen des um Kontrolle des öffentlichen Kultes bemühten Senats.60 Wie auch immer die Verläßlichkeit dieser Nachrichten zu beurteilen ist, an der Existenz eines 216 dedizierten Tempelbaus auf der capitolinischen arx besteht kein Zweifel: Auch wenn es an eindeutiger archäologischer Evidenz mangelt, die literarische Bezeugung der aedes, welche der Praetor L. Manlius Vulso im Jahre 219 während einer Meuterei der Truppen in Gallien gelobt hatte,61 verdient Vertrauen. Die Errichtung dürfte, wie

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Vgl. den Denar des L. Aemilius Lepidus Paullus, RRC I 441 Nr. 415,1, II Taf. LI Nr. 3, eines Unterstützers Ciceros, ferner dessen Emissionen gemeinsam mit L. Scribonius Libo, RRC I 442 Nr. 417,1 a–1 b, II Taf. LI Nr. 5 (1 a), sowie in Auswahl das von Hölscher (1990) 480–484, 486–488, 490– 492 mit 333–336 Abb. 1, 3, 5, 10 f., 13–15, 19–21, 23 f., 26–29, 31–33, 35, 37, 40, 45, 49, 52–55, 58–60, 66, 69, und 338–340 Abb. 91, 93–96, 98–100, 103, 106–110, 136, 156, präsentierte, reiche Material. Dazu im Überblick Platner/Ashby, Topogr. Dict. 137 f., s. v. Concordia, aedes, 138 s. v. Concordia, aedicula, 138 s. v. Concordia, aedes, 138 s. v. Concordia Nova, 138–140 s. v. Concordia, aedes, templum; Degrassi, Inscr. It. XIII 2 p. 398–400, 406 f., 486; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 98–100 s. v. Concordia, Aedes (1–3), 100 s. v. Concordia, Aedicula, 100 s. v. Concordia Nova; Hölscher (1990) 488 f., Nr. 117–124, 493; Angela Maria Ferroni, LTUR I, 1993, 316–320 mit 469, 471–473 Abb. 182, 185–188 s. v. Concordia; Dies., ebd. 320–321 s. v. Concordia, aedicula; Dies., ebd. 321 s. v. Concordia Nova; Giuseppe Gianelli, LTUR I, 1993, 321 mit 399 Abb. 70 s. v. Concordia in Arce, aedes, und insbesondere Skard (1932) 72, 81, 102–105; Levick (1978) 218–221, 223–225; J. Rufus Fears, The Cult of Virtues and Roman Imperial Ideology, in: Wolfgang Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung II 17,2, Berlin/New York 1981, 827–948 mit Pl. I–XXI, hier 833 f., 840–843 u. ö.; Adam Ziolkowski, The Temples of Mid-Republican Rome and Their Historical and Topographical Context, (Saggi di storia antica; 4) Rom 1992, 21–24, 228 f., 242–244; Eric M. Orlin, Temples, Religion and Politics in the Roman Republic, (Mnemosyne Supplements; 164) Leiden/New York/Köln 1997, 154 f., 163–165, 170, 182 f., 199 f.; Anna J. Clark, Divine Qualities: Cult and Community in Republican Rome, (Oxford Classical Monographs) Oxford 2007, 54–56, 121–123, 133 f.; Akar (2013) 18–27. Vgl. die Gefäßinschrift CIL I2 4, 2883: Cucordia pocolo(m) (s. Taf. 14 Abb. 1–3) unbekannter Herkunft aus dem ersten Drittel des 3. Jh.s, die wie bei anderen Pocula deorum den Götternamen im besitzanzeigenden Genetiv bietet (hier freilich verschrieben); dazu Rudolf Wachter, Altlateinische Inschriften. Sprachliche und epigraphische Untersuchungen zu den Dokumenten bis etwa 150 v. Chr., (Europäische Hochschulschriften. Reihe 15: Klassische Sprachen und Literaturen; 38) Bern/Frankfurt am Main/New York/Paris 1987, 464–468 mit Abb. 466; Dan-el Padilla Peralta, Divine Institutions: Religions and Community in the Middle Roman Republic, Princeton/Oxford 2020, 204 f., 248. Camillus: Ov. fast. 1,639–644; Plut. Cam. 42,4–6. NB: Ausgerechnet bei Livius und Dionysios von Halikarnassos findet sich keine Spur. – Cn. Flavius: Liv. 9,46,6 f. (aedem Concordiae in area Volcani); Plin. nat. 33,1(6),19 (aediculam aeream […] in Graecostasi); Broughton, MRR I 168. Liv. 22,33,7 f.; 23,21,7; Fasti Antiates maiores, Inscr. It. XIII 2 p. 4: Concord(iae) in Capit(olio), und Fasti Praenestini, ebd., p. 119: Concordiae in Arce, jeweils zum 5. Februar; Broughton, MRR I 238 (wahrscheinlich sogar praetor peregrinus; s. ebd. 240 Anm. 4). – Vgl. die von Liv. 26,23,4, zum Jahre 211 (Blitzeinschlag im Giebel); 39,56,6, und 40,19,2, zu den Jahren 183 und 181 (Blutregen in area

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Eric Orlin ansprechend schreibt, „a renewed concordia amongst the Romans as they united to face Hannibal“62 dokumentiert haben. Darüber hinaus stellt sich die aedes in arce in die Reihe der zahlreichen Tempeldedikationen für Kultpersonifikationen wie etwa Honos oder Virtus in dieser Zeit, welche die politischen Wertvorstellungen der Nobilität spiegeln. (Der Pax wurde bezeichnenderweise kein Tempel geweiht – dieser Gedanke drängt sich auf –, was im Umkehrschluß unterstreicht, daß sie noch lange keinen inneren Frieden repräsentieren konnte.) Mehr bekannt ist über den (? Neu)Bau (s. o.) auf dem Forum, am Fuße des Clivus Capitolinus, durch den Consul L. Opimius im Jahre 121, den er nach der blutigen Verfolgung der Anhänger des jüngeren Gracchus im Auftrag des Senats errichten ließ.63 Durch diesen Concordiatempel sollte nach dem Massaker die durch die Elite wiederhergestellte Eintracht besonders betont werden, tatsächlich aber verhöhnte der Bau die zahlreichen Toten. Anonyme Zeitgenossen sollen ein bezeichnendes Graffito unter der Stiftungsinschrift angebracht haben: „Die Tat der Tollheit schafft den Tempel der Eintracht.“64 Tiberius, der spätere Princeps, ließ ihn zwischen 7 v. und 10 n. Chr. in seinem und seines Bruders Drusus Namen restaurieren und weihte die aedes der Concordia Augusta.65 Die drängende, aber so schwierige Nachfolgefrage im Principat, welche die neue Monarchie besonders herausforderte, könnte der Anlaß gewesen sein wie auch die späte Fertigstellung des Tempels erklären. Wie dem auch sei, die Tempeldedikationen unterstreichen jedenfalls, ein Kult der Concordia wurde gerade in Zeiten fehlender, zumindest gefährdeter Eintracht intensiviert. Davon zeugt nicht zuletzt der wohl nicht ausgeführte Senatsbeschluß über den Bau eines Tempels für die Concordia Nova und eines ihr gewidmeten Jahresfestes zu Ehren Caesars – ausgerechnet im Jahre 44.66 Bezeichnend ist im übrigen auch, daß sich der Senat bei internen Konflikten de-

Concordiae; vgl. Obseq. 4, zum Jahre 181), verzeichneten Prodigien, die sich auf die aedes in arce beziehen dürften. 62 Orlin (1997) 154. 63 Cic. Sest. 67,140; Varr. ling. 5,148; 5,156; Fasti Antiates maiores, Inscr. It. XIII 2 p. 15: Concor]diae, und Fasti Pinciani, ebd., p. 47: Concor(diae) [– – –], jeweils zum 22. Quintilis bzw. 22. Juli; Ov. fast. 1,639 f.; Plut. C. Gr. 17,8; App. civ. 1,26,120; August. civ. 3,25 f.; Broughton, MRR I 520. 64 Plut. C. Gr. 17,8: „ἔργον ἀπονοίας ναὸν ὁμονοίας ποιεῖ.“ 65 Ov. fast. 1,639–650; Fasti Praenestini, Inscr. It. XIII 2 p. 115, und Fasti Verulani, ebd., p. 161, jeweils zum 16. Januar; Suet. Tib. 20; Cass. Dio 55,8,2; 56,25,1. Siehe auch die 34–37 n. Chr. in Rom emittierten Sesterzen, BMC Emp. I 137 Nr. 116, Taf. 24,14; I 139 Nr. 132–134, Taf. 25,4 f. und 7, mit Darstellung der Fassade des Tempels auf der Rs. (vgl. ebd., cxxxviii). – Vgl. in diesem Zusammenhang den als Teil der (auf dem Grund des niedergerissenen Hauses des P. Vedius Pollio errichteten) Porticus Liviae (dazu s. o. Kap. II. 2.) nach 15 von Augustus veranlaßten und von Livia und Tiberius im Jahre 7 v. Chr. dedizierten Concordiatempel: Ov. fast. 6,637–648; Suet. Aug. 29,4; Cass. Dio 54,23,6, mit 55,8,2. 66 Vgl. Cass. Dio 44,4,5: νεών τε Ὁμονοίας καινῆς, ὡς καὶ δι’ αὐτοῦ εἰρηνοῦντες, οἰκοδομῆσαι, καὶ πανήγυριν αὐτῇ ἐτησίαν ἄγειν ἔγνωσαν. Siehe dazu die bedenkenswerte Einordnung von Weinstock (1971) 265 f.

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monstrativ immer wieder im Concordiatempel zu versammeln pflegte.67 – Halten wir hier ein und kehren zur Ausgangsfrage zurück. Die voranstehenden Skizzen zu den griechischen und römischen Friedensbegriffen sollten aus einer erweiterten Perspektive verdeutlichen, daß homónoia und concordia als Konzepte des inneren Friedens ihre ganze Bedeutung und Wirkung vor allem in Krisenzeiten entfalteten, daß sie als appellierende Konsensbegriffe die Bewältigung von internen Konflikten begleiteten und so befrieden sollten. Daß sie dabei aber auch Dissens unterdrücken sollten, belegt zumal die zynisch anmutende Dedikation des Concordiatempels nach den blutigen Verfolgungen der Anhänger der Gracchen. Wie sehr die Konsensbegriffe griechischer und römischer „Eintracht“ also bei konkreten Akten der Einhegung von internen Konflikten als politisches Ideal die politische Praxis steuerten, ist unstrittig, wie sehr aber gerade homónoia und concordia das in Krisen so notwendige Vergessen empfahlen, kann vor diesem Hintergrund leichter überprüft werden. Wir betonten eingangs die Symmetrie von Konsens und Dissens, ihre polare Totalität, und knüpften daran die Frage, ob nicht womöglich das politische Vergessensgebot der tiefste Ausdruck der Totalität von Konsens und von Dissens im Empfinden, Denken und Handeln der Griechen und Römer ist. In der Tat finden sich Spuren, die darauf deuten, Spuren politischen Vergessens, deren Eigenart vor diesem Hintergrund erst verständlich wird und über die präemptive Lethotechnik der Amnestie hinaus das seltsam anmutende und uns fremdgewordene kollektive Beschweigen68 als eine erfolgreiche präventive Einhegung von internen Konflikten zeigt. „Schweigen“, ja „Stillschweigen“ begegnete uns bereits als eine Empfehlung des Aristeides an die Rhodier (σιωπᾶν) und als vorgeschriebene taciturnitas in jener spätantiken Kaiserkonstitution des Jahres 395.69 Nun weiten wir die Perspektive, nehmen das politische Vergessen als stilles Einverständnis wie auch als Kommunikationsabbruch in den Blick. Kollektives Vergessen konnte immer nur ein politisches Verdrängen sein, dies sei unterstrichen. Buchstäblich vergessen wurde nichts. Wie auch? Erfahrenes Leid und schmerzliche Verluste, seelische Belastungen durch quälende Erinnerungen lassen sich nicht wegdekretieren. Der Umgang aber mit emotionalen Bedrängnissen, ja Erschütterungen im öffentlichen Raum war in der Antike offensichtlich grundverschieden zu heute und stellt die oben betonte Notwendigkeit politischen Vergessens in der

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Siehe die von Platner/Ashby, Topogr. Dict. 139 s. v. Concordia, aedes, templum, zusammengestellten Belege. Vgl. in diesem Kontext auch Fest. p. 470 Lindsay, s. v. Senacula. Vgl. in diesem Zusammenhang die treffenden Beobachtungen von Jürgen Kaube, Schweigen wir drüber, F. A. S. vom 30. September 2012, Seite 63. Aristeid. 24 (Ῥοδίοις περὶ ὁμονοίας),41 Keil; Cod. Theod. 15,14,9; s. o. Kap. II. 1. bzw. III. 1.

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Antike (Kap. IV. bes. 1.) in einen weiteren Kontext. Und sprechen wir von Emotionen, so gerät wie von selbst das antike Theater in den Blick. Es ist kein Zufall, daß die Frage nach dem Zusammenhang von Konsens und Vergessen zunächst in die Frühgeschichte der Attischen Tragödie führt. 2. Schweigen im öffentlichen Raum: Athen und die Aufführung der Milḗtou Hálōsis des Phrynichos um 492 v. Chr. Vor Aischylos, Sophokles und Euripides, jenen drei großen Tragikern des 5. Jahrhunderts v. Chr., behaupteten Pioniere wie Thespis, Choirilos, Phrynichos und Pratinas die Szene. Soweit wir wissen, war es Phrynichos, der neben anderen Neuerungen zum ersten Mal zeitgenössische Ereignisse inszenierte und damit, wie wir sagen, die Zeitgeschichte auf die Bühne holte.70 Im Rahmen der Städtischen oder auch Großen Dionysien zu Beginn jenes Jahrhunderts, vielleicht (sic!) im Frühjahr des Jahres 492 v. Chr.,71 gelangte ein Stück mit dem Titel Μιλήτου Ἅλωσις zur Aufführung, in dem der Dichter Milets Eroberung thematisierte. Damit hatte er die Einnahme jener bedeutenden Stadt an der Westküste Kleinasiens und die Deportation ihrer Bewohner durch die Perser im Jahre 494 v. Chr.72 zum tragischen Spiel gemacht, hatte das buchstäblich tragische Ende jener Polis, längstens Handelsmittelpunkt der ionischen Griechen, jüngst Zen­ trum des Ionischen Aufstands, dramatisch bearbeitet – und wohl auch verarbeitet. Dies läßt der Bericht des Herodot, des wichtigsten und ausführlichsten Zeugen dieses Theaterereignisses,73 vermuten: Ἀθηναῖοι μὲν γὰρ δῆλον ἐποίησαν ὑπεραχθεσθέντες τῇ Μιλήτου ἁλώσι τῇ τε ἄλλῃ πολλαχῇ καὶ δὴ καὶ ποιήσαντι Φρυνίχῳ δρᾶμα Μιλήτου Ἅλωσιν καὶ διδάξαντι ἐς δάκρυά τε ἔπεσε τὸ θέητρον καὶ ἐζημίωσάν μιν ὡς ἀναμνήσαντα οἰκήια κακὰ χιλίῃσι δραχμῇσι, καὶ ἐπέταξαν μηκέτι μηδένα χρᾶσθαι τούτῳ τῷ δράματι. Die Athener zeigten ihren außerordentlichen Schmerz über die Eroberung Milets auf vielfältige Weise, unter anderem auch auf diese: Phrynichos dichtete ein Drama Milets 70

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Vgl. zu Phrynichos im Überblick Kirchner, PA 15008; Albrecht von Blumenthal, RE XX 1, 1941, 911–917 s. v. Phrynichos 4; Bernhard Zimmermann, Die attischen Tragiker, in: Ders. (Hrsg., unter Mitarbeit von Anne Schlichtmann), Handbuch der griechischen Literatur der Antike I: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit, (Handbuch der Altertumswissenschaft; 7,1) München 2011, 555–610, hier 558–561. So die weitverbreitete Vermutung: Snell/Kannicht, TrGF I2 p. 74 ad frg. 4 b. – Zum Problem der Datierung vgl. allerdings weiter unten. Dazu Vanessa B. Gorman, Miletos, the Ornament of Ionia: A History of the City to 400 B. C. E., Ann Arbor, Michigan 2001, 143 f.; Alan M. Greaves, Miletos: A History, London/New York 2002, 132. Vgl. noch Kallisth. Olynth. FGrH 124 frg. 30 p. 650 = Strab. 14,1,7 (C 635); Plut. Praecepta gerendae rei publicae 17 (= mor. 814 b); Schol. Aristoph. vesp. 1490 a, p. 230 Koster, und fast wortgleich Ail. var. 13,17; Amm. 28,1,4; für weitere Spuren s. Snell/Kannicht, TrGF I2 p. 69 ad test. 2.

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Eroberung, und als er es zur Aufführung brachte, brach das Theater in Tränen aus; darauf verurteilten die Athener ihn, weil er sie an eigenes Unglück erinnert habe, zu 1000 Drachmen und ordneten an, dieses Drama dürfe niemand mehr benutzen.74

Die Athener waren vom Schicksal der ionischen Polis tief ergriffen und gaben ihrem Schmerz „auf vielfältige Weise“ Ausdruck. Die Tragödie des Phrynichos aber, nicht minder Ausdruck jenes Schmerzes, erregte größtes Aufsehen, entfesselte die Gefühle, δάκρυα, „Tränen“, wurden vergossen, schreibt Herodot, schließlich waren die Athener selbst noch vor wenigen Jahren in die von Milet angeführte Aufstandsbewegung gegen die Perser verwickelt, hatten sich im Frühjahr 498 m. E. ziemlich bescheiden und auch glücklos militärisch engagiert, weiterer Hilfsgesuche sich jedoch nicht angenommen;75 waren sie doch darüber hinaus, wie sie vorgaben und offenbar auch glaubten, mit den Milesiern nicht nur stammesverwandt, sondern sogar mit allen ionischen Griechen, da Athen deren Mutterstadt gewesen sein soll.76 Wohl ein nicht kleiner Teil des Demos, der Bürgerschaft von Athen, der sich wie gewöhnlich im Theater versammelt hatte, weinte also bitterlich ob des großen Unglücks der einst prächtigen Stadt. Aufgewühlt, geradezu von Trauer überwältigt muß das Publikum gewesen sein. Und doch hatte der Tragiker mit seinem Werk offensichtlich eine Grenze überschritten, denn er wurde mit einer Geldstrafe belegt. Damit nicht genug: Darüber hinaus verfügten die Athener, daß niemand das Drama erneut aufführen dürfe. Dieses Verbot wird nur verständlich, denken wir an die sogenannten Dementheater und an die Ländlichen Dionysien, weitere Spielorte und Feste Attikas in jener Zeit,77 die weitere Gelegenheit geboten hätten, ein Publikum emotional aufzuwühlen. Es ist wohl kein Zufall, daß von einem χρᾶσθαι τούτῳ τῷ δράματι, von einem „Benutzen dieses Dramas“ die Rede ist. Worin aber lag der Skandal? Phrynichos hatte doch den Nerv getroffen, mit seinem Bühnenstück den Athenern ermöglicht, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, ihren Schmerz zu leben, ihrer Trauer über die Eroberung Milets Ausdruck zu verleihen, wie auch wir es heute zunehmend öffentlich üben. Die Milḗtou Hálōsis des Dichters hatte ihre wohl kathartische Wirkung im Rahmen des sinnlich-rauschhaften Festes für Dionysos entfaltet, im Rahmen jenes Poliskultes, der doch durch Zuweisung reservierter Zeit der Ekstase Raum verschaffen, durch die Formgewalt des Ritus aber triebhafte 74 75 76 77

Hdt. 6,21,2 (Übers. nach Musa tragica 3 test. 2 p. 41) = Phryn. trag. TrGF I2 3 test. 2 p. 69. Welwei (1999) 29–31 mit 348–350. Siehe schon Sol. frg. 4 a, v. 2 p. 143 West 2 = frg. 4 v. 2 p. 105 Gentili/Prato 2 = Aristot. Ath. pol. 5,2, mit Frank Bernstein, „Ionische Migration“ vs. „Große Kolonisation der Griechen“: Kategorien und Konsequenzen, Historia 68, 2019, 258–284, hier 275 f. Hans Rupprecht Goette, Die Architektur des klassischen Theaters unter besonderer Berücksichtigung Athens und Attikas, in: Zimmermann (2011) 474–484, hier 480 f.; Arthur Pickard-Cambridge, The Dramatic Festivals of Athens, revised by John Gould and David M. Lewis, Oxford 1968, Nachdruck (with a Supplement and Corrections) 1988, 42–54 mit Addenda 361.

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Spontaneität eingrenzen sollte. War es nicht genau das, worauf die Tragödie zielte, ja im institutionell gebändigten Rahmen eines hohen Festes der Polis zielen sollte? Es ist die Begründung, die Herodot anführt (und uns auf die oben [Kap. III. 3. und IV. 1] gewürdigte Formel μὴ oder auch οὐ μνησικακεῖν, „nichts Böses nachtragen“, zurückverweist), die ein tieferes Verständnis ermöglicht: […] ὡς ἀναμνήσαντα οἰκήια κακὰ […], „[…] weil er (sc. Phrynichos) sie (sc. die Athener) an eigenes Unglück erinnert habe […].“ Man kann dieses Zeugnis unterschiedlich lesen.78 Die immer wieder traktierte Frage, ob die Tragödie möglicherweise die Politik des Themistokles, vielleicht Archon des Jahres 493/92 v. Chr., unterstützen sollte,79 sei ausdrücklich ausgeklammert – schon aus methodischen Gründen: Einerseits muß ein etwaiges künstlerisches Eingreifen des Phrynichos in die Tagespolitik mangels irgendwelcher Zeugnisse Vermutung bleiben, andererseits droht ein klassischer Zirkelschluß, da das von der Forschung postulierte Aufführungsdatum der Tragödie, Frühjahr 492 v. Chr., auf Kombination mit dem Archontat des Themistokles beruht, das seinerseits umstritten ist.80 Über den Inhalt des Dramas wissen wir nämlich nichts Genaueres. Nicht einmal ein Vers ist etwa durch antikes Zitat überliefert. Auch die wenigen Fragmente unbestimmter Dramen des Phrynichos81 bieten keinerlei Anhaltspunkt für eine Zuweisung. Andere Fragen – zumal im hier interessierenden Zusammenhang – drängen sich auf und führen m. E. weiter. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß das Ereignis gewiß ein ernstzunehmendes Indiz für die Macht des Theaters in der Antike darstellt. Irgendwie muß der Dichter mit seinem Drama etwas Unsagbares gesagt haben. Hatte Phrynichos vielleicht Diskussio­ nen angestoßen, daß die Athener auf irgendeine Weise durch ihr Verhalten zum Fall Milets beigetragen haben? Hatte sein Drama womöglich sogar die vorgebliche Mutterstadt der ionischen Polis an deren vernachlässigte Pflicht zur Rache bei gleichzeitiger Ohnmacht erinnert?82 Eine von der Forschung kaum beachtete, beiläufige Notiz des spätantiken Historiographen Ammianus Marcellinus scheint darauf hinzudeuten. Er schreibt: […] paulisperque iucunde auditus, cum coturnitatis stilus procederet lacrimosus, indignatione damnatus est populi arbitrati non consolandi gratia, sed probrose monendi, quae pertulerat

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Siehe vor allem die Interpretation von David Rosenbloom, Shouting „Fire“ in a Crowded Thea­ ter: Phrynichos’s Capture of Miletos and the Politics of Fear in Early Attic Tragedy, Philologus 137, 1993, 159–196, der ich nicht folgen kann. 79 Vgl. etwa Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, (Studienhefte zur Altertumswissenschaft; 2) Göttingen 31972, 60. 80 Siehe dazu insgesamt nur die Bemerkungen von Frank Kolb, Polis und Theater, in: Gustav Adolf Seeck (Hrsg.), Das griechische Drama, (Grundriß der Literaturgeschichten nach Gattungen) Darmstadt 1979, 504–545, hier 538 f. 81 Vgl. Phryn. trag. TrGF I2 3 frg. 13–24 p. 77–79. 82 So Chaniotis (2013) 52 f., ohne freilich auf die Ammianstelle (s. nächste Anm.) zu verweisen.

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amabilis civitas nullis auctorum adminiculis fulta, hos quoque dolores scaenicis adnumerasse fabulis insolenter. […] Zunächst hörten die Athener mit Freuden zu. Als aber die Darstellung der jammervollen Szenen in erhabener Rede fortschritt, empörte sich das Volk und verurteilte den Dichter in der Annahme, er habe unverschämterweise diese Leiden in einem Schauspiel dargestellt, nicht um die Athener zu trösten, sondern um vorwurfsvoll an das Unglück der befreundeten Stadt zu erinnern, die ihre Gründer (sc. die Athener) ohne Hilfe ließen.83

So sehr diese Nachricht angesichts der desolaten Überlieferungslage willkommen sein dürfte, so unvereinbar mit der sonstigen Tradition ist der Akzent, den Ammian setzt. Empörung, von einer indignatio der Athener ist pointiert die Rede, Empörung aber läßt nicht weinen, die emotionale Berührung muß tiefer gegangen sein. Von den Tränen der Athener ist neben Herodot auch anderer Stelle die Rede.84 Und so kann auch eine moderne Einschätzung, die sich nicht einmal an Ammians Akzentuierung anlehnt, sondern sich auf Herodots Begründung beruft, keineswegs überzeugen. Wohl kaum fanden die Athener das Drama „geschmacklos und auch peinlich“85. Die emotionale Berührung, die Phrynichos hervorgerufen hatte, ging tiefer, „ging den Zuschauern unter die Haut, Trauer und Wut waren nachhaltig und beunruhigend aufgerührt“86, wie einmal Christian Meier, das Timbre des Herodoteischen Berichts feinfühlig erfassend, geschrieben hat. Mit einem Wort: Das Publikum war emotional erschüttert! Anders können wir die Reaktionen nicht erklären. Und die Tragödie des Phrynichos muß aufrührende Diskussionen ausgelöst haben, öffentliche und wohl auch anhaltende Diskussionen des Demos entfacht haben, in denen vielleicht sogar Kritik laut wurde, die es offenbar zu unterdrücken galt. Das Theater der Polis diente auch der Disziplinierung der Affekte, setzte auf maßvolle Entfesselung der Gefühle. Im tragischen Spiel wurden Konflikte durchgespielt, damit aber auch eingehegt und kontrolliert. War Phrynichos’ Stück also vielleicht doch nur zu gut, da es unbändige Trauer hervorrief? Waren es zumal die Lieder, für die der Tragiker wohl besonders stand,87 Lieder, die den Athenern im Ohr blieben und zu sehr „unter die Haut“ gingen, wie es Musik nur vermag? Entscheidender dürfte sein, daß er den Schmerz über den Fall Milets in die Öffentlichkeit gezerrt hatte, öffentlich

Amm. 28,1,4 (Übers. von Wolfgang Seyfarth). Siehe auch ebd. den anschließenden Satz: erat enim Atheniensium colonia Miletus deducta inter Ionas alios per Nileum filium Codri, qui fertur pro patria bello se Dorico devovisse. 84 Schol. Aristoph. vesp. 1490 a, p. 230 Koster; Ail. var. 13,17. 85 Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie, (Uni-Taschenbücher; 1745) Göttingen 2 2003, 84. 86 Christian Meier, Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, München 22004, 234. Siehe auch die weiteren anregenden Überlegungen von Dems., Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, 76; Dems. (1997) 63 f., und Dems. (2010) 15–17. 87 Vgl. Aristoph. vesp. 219 f.; av. 748–751. 83

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„an eigenes Unglück erinnert“ hatte. Damit dürfte er gegen eine Art Comment verstossen haben, denn einleitend betont Herodot in seinem Bericht: „Die Athener zeigten ihren außerordentlichen Schmerz über die Eroberung Milets auf vielfältige Weise (τῇ […] ἄλλῃ πολλαχῇ) […].“ Wir wissen leider nicht mehr, haben keinerlei genauere Vorstellung, wie sie ihrem Schmerz Ausdruck verliehen. Doch diese beiläufige Notiz läßt keinen Zweifel daran, daß man sich zum Schmerz bekannte. Allerdings deutet der Herodoteische Kontext darauf hin, daß es ein stillschweigendes Einvernehmen über die Art des Umgangs mit diesem Leid gegeben haben muß. Von homónoia, den wir als einen Konsensbegriff der inneren Befriedung bestimmten, ist leider nicht die Rede. Es zu sagen oder zu schreiben war wahrscheinlich auch noch nicht möglich, wie die Wort- und Begriffsgeschichte nahelegt (s. o. Kap. VI. 1.), weder im frühen 5. Jahrhundert noch zum viel späteren Zeitpunkt, als Herodot seinen Text verfaßte beziehungsweise veröffentlichte.88 Doch finden sich bei ihm durchaus Lexeme wie ὁμοφρονέειν, „einträchtig sein“, oder ὁμολογέειν, „übereinstimmen“, respektive ὁμολογίη, „Übereinstimmung“,89 auch wenn im Einzelfall natürlich semantische Schattierungen zu beachten sind. Die Annahme eines stillen Einverständnisses jedenfalls ist sachlich begründet. Nur so wird verständlich, weshalb Phrynichos bestraft wurde, weshalb sein Drama nicht ein weiteres Mal auf die Bühne gebracht werden durfte. Phrynichos hatte jenes stille Einverständnis, diesen Konsens, offensichtlich gestört, die Athener genötigt, ihre quälenden Erinnerungen öffentlich auszuhalten, was nicht möglich war. Denn es waren dieselben Athener, die ihren großen Schmerz „auf vielfältige Weise“ bekannten und doch das Verbot der Wiederauffühung aussprachen und damit die Erinnerung im öffentlichen Raum selbst unterdrückten. Öffentlich sollte der Fall Milets beschwiegen werden, solch kollektives Vergessen war wohl das Äußerste des politisch Möglichen. Es ist bezeichnend, daß der Tabubruch dem Phrynichos nicht geschadet hat. Später, im Frühjahr des Jahres 476 v. Chr., inszenierte er die Φοίνισσαι, die Phoinissen,90 eine Tragödie, die allerdings auf die Niederlage der Perser bei Salamis Bezug nahm. Der Konsens über den Umgang mit οἰκήια κακά, mit „eigenem Unglück“, war durch kollektives Beschweigen, durch Verdrängung schmerzvoller Erinnerung aus dem öffentlichem Raum wiederherstellt worden, ein Neuanfang gesetzt.

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Obwohl man den Gebrauch des Wortes gerade bei Herodot fast schon erwartet. Vgl. auch Kramer (1915) 12: Es finde sich nicht, „quamquam per totum opus id spectat […], quantopere gentes Graecae differant a barbaris et qua virtute nationes occidentales omnibus viribus coniunctis libertatem suam defenderint ab orientalibus. quae occasio verbi ὁμόνοια adhibendi melior dari potest hac?“ ὁμοφρονέειν: Hdt. 7,229,1; 8,3,1; 8,75,3. – ὁμολογέειν: 1,23; 1,142,4; 2,4,1; 2,18,2; 2,86,3; 4,154,1; 5,75,3; 5,87,1; 6,33,3; 6,52,1; 6,54; 8,94,4; 8,108,3; 8,140 β 3; 8,141,1; 8,143,1 f.; 8,144,3; 9,7 α 2–β 1; 9,13,1; 9,88. – ὁμολογίη: 4,201,2; 7,139,4; 8,52,2; 8,141,1 f. Phryn. trag. TrGF I2 3 frg. 8–12 p. 75–77.

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Konsens und Vergessen

Das politische Ideal der Eintracht führte auf die Frage nach dem Zusammenhang von Konsens und Vergessen. Öffentlichkeit war ein Störfaktor, Diskussion noch mehr, wie das Beispiel jenes Theaterereignisses aus dem frühen 5. Jahrhundert vor allem zeigen sollte. Reden ist Silber, Schweigen Gold. Wenn kollektives Vergessen auch auf Entla­ stung zielte, nicht nur von quälenden Erinnerungen, so mochte kollektives Beschweigen auch politische Prozesse befrieden. Konflikte sind häufig geradezu virulent, bedürfen sorgsamer Therapie. Längst Pandemie, nicht erst Epidemie, um im Bild zu bleiben, ist der Status, der zum Handeln zwingt. Es sind zwei seltsame Episoden aus der Römischen Geschichte, zwei bemerkenswerte Senatssitzungen aus republikanischer und Kaiserzeit, die diesen Gedanken überprüfen und jene Frage nach dem Zusammenhang von Konsens und Vergessen aus einem weiteren Blickwinkel beleuchten sollen. 3. Kommunikationsabbrüche: Zwei Senatssitzungen in Rom und die beschwiegenen sententiae des Carvilius und des Helvidius Priscus, 216 v. und 69 n. Chr. Nachdem bei den verheerenden Niederlagen zu Beginn des Zweiten Punischen Krieges, besonders in der Schlacht von Cannae, auch zahlreiche Senatoren gefallen waren, wurde dieses Problem gegen Ende des Jahres 216 v. Chr. im Senat auf allgemeinen Wunsch zur Sprache gebracht (Liv. 23,22,1–4). Aufschlußreich ist die von Livius breit und wohl auch zutreffend91 geschilderte Debatte (23,22,4–9), die selbstverständlich von den ranghöchsten Mitgliedern des Rates geführt wurde, und zwar von den Consularen Sp. Carvilius Maximus Ruga, cos. I 234, II 228, T. Manlius Torquatus, cos. I 235, II 224, und Q. Fabius Maximus Verrucosus, cos. I 233, II 228.92 So unterbreitete Carvilius den Vorschlag, jeweils zwei von den Senatoren akzeptierten Latinern ex singulis populis Latinorum das römische Bürgerrecht zu verleihen und diese für die Gefallenen in den Senat aufzunehmen (§§ 4 f.). Viele patres indes zeigten sich indigniert, und wir dürfen vermuten, daß sie die sententia des Carvilius sogar für degoutant hielten; Manlius verwies sogar auf das exemplum seines Ahnen, der gedroht hatte, jeden Latiner, den er in der Curia sehe, von eigener Hand zu töten (§§ 6 f.).93 Die Senatsdebatte wurde schließlich durch die Stellungnahme des Fabius Maximus, des 91 92 93

Vgl. nämlich die überzeugenden Argumente von Francis X. Ryan, Rank and Participation in the Republican Senate, Stuttgart 1998, 295–297. Broughton, MRR I 223 f., 228, 231. Es handelt sich um T. Manlius Imperiosus Torquatus, cos. III 340 (Broughton, MRR I 135), den Livius an früherer Stelle (vgl. 8,5,7) Ähnliches sagen läßt. – Auch Val. Max. 6,4,1 a, der seine exempla von dicta graviter aut facta (vgl. 6,4 praef.) mit dem jüngeren Manlius eröffnet, erwähnt jenen harschen Ausspruch, weicht in seinem Bericht jedoch von der Livianischen Darstellung erheblich ab: Zum einen macht er ihn zum Sohn des Consuls von 340, zum anderen habe es dem größeren Teil des Senats gefallen, principes Latinorum in ordinem suum sublegi.

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nachmaligen Cunctator, niedergeschlagen (§§ 8 f.). Bezeichnenderweise soll er gesagt haben (§ 9): […] eam unius hominis temerariam vocem silentio omnium exstinguendam esse et, si quid unquam arcani sanctive ad silendum in curia fuerit, id omnium maxime tegendum, occulendum, obliviscendum, pro non dicto habendum esse. […] diese unbedachte Äußerung eines einzelnen Mannes müsse durch das Schweigen aller ausgelöscht werden und, falls jemals irgendetwas Geheimes oder auch Heiliges zu beschweigen in der Curie gewesen ist, müsse dies von allem besonders verdeckt, verborgen, vergessen, für etwas nicht Gesagtes gehalten werden.

Der Vorschlag des Carvilius war angesichts der schwierigen militärischen Situation, in der sich Rom befand, nicht abwegig, schließlich hätte eine Aufnahme ausgewählter principes in den Senat nicht nur die alte Verbindung mit den Latinern gestärkt, sondern sie im Unterschied zu anderen bereits übergelaufenen Verbündeten von einem möglichen Anschluß an Hannibal abhalten können.94 Doch die Zeit war für eine solche Integration lokaler Eliten, die bekanntlich Rom später auszeichnen und stärken sollte, noch lange nicht reif. Die patres folgten Fabius und faßten den Beschluß, eine sofortige, d. h. außerordentliche Senatsergänzung durch einen Dictator sine magistro equitum herbeizuführen,95 nicht – wie üblich – die lectio senatus der Censoren abzuwarten. Der Vorstoß des Carvilius jedoch wurde kaum „besonders verdeckt, verborgen, vergessen, für etwas nicht Gesagtes gehalten“. Wie hätte sonst Livius von jener Senatssitzung so ausführlich berichten können? Für den hier interessierenden Zusammenhang ist vielmehr entscheidend, daß wir mit der sententia des Fabius einen Kommunikationsabbruch fassen, der akzeptiert wurde und keine Rücksicht auf die Meinung einer Minderheit nahm. Egal, wie nun Carvilius, einst Mitconsul des Fabius (s. o.), dastand, sein Vorschlag wurde für den Moment der Senatssitzung vergessen, ja, wie Livius seinen Bericht beschließt: Ita eius rei oppressa mentio est (23,22,9), „so wurde die Erwähnung dieser Angelegenheit unterdrückt.“ Was wir mit Fabius’ Worten greifen, ist keine bloße Ziehung eines Schlußstrichs unter eine unerwünschte Auseinandersetzung im Senat, womit – wie wir vielleicht sagen würden – ein fauler Kompromiß verhindert wurde. Nein, durch das Äußerste des politisch Möglichen, durch „das Schweigen aller“ verfolgte Fabius wohl drei Ziele: Erstens sollten die Latiner nicht unnötig verärgert, wie er selbst betonte (23,22,8), 94 So auch Rachel Feig Vishnia, The Carvilii Maximi of the Republic, Athenaeum 84, 1996, 433– 456, hier 447. 95 Liv. 23,22,10 f.; vgl. Fasti consulares Capitolini, Inscr. It. XIII 1 p. 47; Plut. Fab. 9,4; dazu Ulrich Tammler, Der römische Senat in der Zeit des Zweiten Punischen Krieges (218–201), Diss. Univ. Bonn 1971, 160–162; Herbert Heftner, Der Aufstieg Roms. Vom Pyrrhoskrieg bis zum Fall von Karthago (280–146 v. Chr.), Regensburg 1997, 244–246. Die Echtheit einer daraus abgeleiteten lex de dictatore creando wird allerdings angezweifelt. Vgl. Elster, Gesetze MRR 205 f., Nr. 91.

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Konsens und Vergessen

oder gar zum Abfall von Rom bewegt werden, stand doch längst ihre Forderung, in den Senat aufgenommen zu werden, im Raum (vgl. 23,22,6: postulatum) und fand im Senat vielleicht mehr Unterstützung, als der Livianische Bericht suggeriert; zweitens ermöglichte seine sententia, unbelastet einen vollkommen anderen Weg zur Lösung des Problems zu beschreiten, zu der es ja dann mit der außerordentlichen Senatsergänzung aus der Reihe verdienter römischer Bürger durch den Dictator M. Fabius Buteo kommen sollte, wie Livius im Anschluß ausführlich darstellt;96 und drittens und vor allem stellte Fabius die concordia der Senatoren wieder her, ihre „Eintracht“, den in der angespannten Situation so nötigen Konsens, der durch ein beschweigendes Vergessen ermöglicht worden war. Niemand verlor sein Gesicht, auch Carvilius wohl nicht.97 Die von Livius so eindringlich geschilderte Debatte, die durch ein beschweigendes Vergessen abrupt beendet wurde, solcher Kommunikationsabbruch mitten im politischen Prozeß, war kein Einzelfall. Er scheint sogar für den Senat eine nicht ungewöhnliche Option gewesen zu sein, wie ein weiteres Beispiel nahelegt, das auf eine grundlegende Sitzung in der Frühen Kaiserzeit führt. Wir müssen etwas ausholen, um besser zu verstehen. Der mit der Wiedererrichtung der Monarchie in Rom vollzogene politische Systemwechsel war für das altehrwürdige institutionelle Zentrum der Aristokratie, nunmehr nur Adel, eine tiefe Zäsur, das Verhältnis von Princeps und Senatoren stets heikel (s. auch oben Kap. III. 2.), die nach Verlust der auctoritas senatus im diskursiven Spiel immer wieder beschworene „Freiheit“ doch nur Sorge um die libertas senatus.98 Dieses ohnmächtige Ringen verstärkte sich um so mehr, als die Herrschaft der iulisch-claudischen Dynastie mit dem Freitod Neros im Juni 68 n. Chr. ihr Ende fand und der Senat sich in einem turbulenten „Vier-Kaiser-Jahr“, in jenem longus et unus annus (vgl. Tac. dial. 17,3), rasch wechselnden Nachfolgern gegenübersah. T. Flavius Vespasianus, der 96 97

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Liv. 23,22,10–23,23,8; Broughton, MRR I 248. Daß wir bis zu seinem Tod im Jahre 211 (Liv. 26,23,7) nichts mehr von ihm hören (vgl. Friedrich Münzer, RE III 2, 1899, 1630–1631 s. v. Carvilius 10) und deshalb annehmen dürfen, Carvilius sei nach der Senatssitzung politisch kaltgestellt worden, wäre allenfalls ein schwaches Argumentum e silentio. Es ist vielmehr ein anderer Punkt zu berücksichtigen: Der Einfluß des Zeitgenossen, Senators und Historiographen Q. Fabius Pictor (vgl. Pol. 3,9,4), jenes Archegeten dieser Gattung in Rom, auf die Traditionsbildung zu jenen Jahren ist unstrittig, nährt sogar den Verdacht, daß ein politischer Gegner seines Gentilgenossen, seines Cousins, bei ihm nur so viel Beachtung wie nötig fand. Vgl. ähnlich Feig Vishnia (1996) 448, und prinzipiell in diesem Zusammenhang Matthias Gelzer, Römische Politik bei Fabius Pictor, Hermes 68, 1933, 129–166; Nachdruck in: Ders., Kleine Schriften III, hrsg. von Hermann Strasburger und Christian Meier, Wiesbaden 1964, 51–92; Nachdruck in: Viktor Pöschl (Hrsg.), Römische Geschichtsschreibung, (Wege der Forschung; 90) Darmstadt 1969, 77–129, hier bes. 111. Vgl. zur libertas senatus immer noch die konzisen Bemerkungen von Chaim Wirszubski, Libertas as a Political Idea at Rome during the Late Republic and Early Principate, Cambridge 1950, Nachdruck 1960; dann in deutscher Übers. von Gerhard Raabe: Libertas als politische Idee im Rom der späten Republik und des frühen Prinzipats, Darmstadt 1967, 168–170.

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legatus Augusti pro praetore exercitus in Iudaea, hatte sich schließlich durchgesetzt: Bereits am 1. Juli 69 in Alexandria von den Truppen als Imperator akklamiert und obwohl schon bald von weiteren Heeresteilen anerkannt, kam es doch erst am 20. Dezember 69 mit der Einnahme Roms durch die Flavianer zur Entscheidung.99 Vespasian folgte Vitellius und wurde in absentia vom Senat auf dessen Sitzung vom 21. oder vom 22. Dezember durch Übertragung der außerordentlichen Gewalten eines Princeps en bloc, durch Übereignung des imperium proconsulare maius und der tribunicia potestas bestätigt.100 In diesen Kontext gehört die berühmte, als „Bestallungsgesetz“ angesprochene lex de imperio Vespasiani.101 Auf besagter Sitzung aber wurde auch ein weiterer, für Rom nicht minder wichtiger Punkt thematisiert: der Wiederaufbau des kurz zuvor in Flammen aufgegangenen Tempels des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Capitol. Am 19. Dezember 69 war es dort zum erbitterten Kampf zwischen Vitellianern und Flavianern gekommen, von beiden Parteien eingesetzte Brandsätze könnten dabei das hölzerne Gebälk der aedes entzündet haben (eine gezielte Brandstiftung ist nicht auszuschließen), das Feuer hatte das Tempelhaus schließlich ganz zerstört.102 Dieser Brand des capitolinischen Heiligtums war alles andere als ein Kollateralschaden im Zuge des Kampfes um den Principat, er hatte eine ungeheure symbolische Bedeutung: Das capitolinische Heiligtum war nicht nur ein „Erinnerungsort“, das diese Bezeichnung verdient, wie die beziehungsreiche Taciteische Würdigung der sedes Iovis Optimi Maximi in der Gestalt eines Nekrologs eindringlich zeigt,103 es war so viel mehr. Wohl und Wehe Roms hingen an der pax beziehungsweise an der ira de(or)um, erst recht, als

PIR2 F 398; Kienast, Kaisertabelle6 99–101 s. vv. Vitellius, Vespasian. – Zur Principatsübernahme des Vespasian vgl. im Überblick etwa Timpe (1962) 119 f.; Brandt (2021) 229 f., 236–238. 100 So notierte Tac. hist. 4,3,3, später bloß: […] senatus cuncta principibus solita Vespasiano decernit […]. Vgl. 4,6,3: […] eo […] die, quo de imperio Vespasiani censebant (sc. senatores) […]. 101 CIL VI 930 = 31207 = ILS 244 = Roman Statutes 39 = Schumacher, Röm. Inschr.2 20. – Ob nun auf derselben Sitzung durch senatus consultum veranlaßt oder erst später, es brauchte noch die förmliche Verabschiedung durch einen Comitialakt des populus. So dokumentiert das Formular der Bronzetafel die „gemeinsame bzw. sich ergänzende Aktion von Senat und Volk“. Vgl. überhaupt Leonhard Schumacher, Herrschaftsübertragung im frühen Prinzipat: Die Rolle von Senat, Volk und Heer bei der Kaisererhebung, Index 15 [= Hommages à Gérard Boulvert], 1987, 315–332; Nachdruck in: Ders., Historischer Realismus. Kleine Schriften zur Alten Geschichte, hrsg. von Frank Bernstein, (Studien zur Alten Geschichte; 26) Göttingen 2018, 127–144, hier 129 f., 136 (Zitat), 142. 102 Vgl. insbesondere Ios. bell. Iud. 4,11,4,645–649; Suet. Vit. 15,3; Dom. 1,2; Tac. hist. 3,71,1–4; Cass. Dio/Xiph. 64,17,3; s. auch Plin. nat. 34,7(17),38; Plut. Popl. 15,2; Oros. 7,8,7, u. a. – Für eine Brandstiftung der Vitellianer sprechen sich Iosephus (ebd. § 649), der ältere Plinius, Sueton (nur Vit. 15,3) und Cassius Dio bei Xiphilinos aus. Für einen Funkenflug durch die Brandsätze beider Parteien und damit zugleich gegen eine Brandstiftung der Flavianer plädiert Tacitus (ebd. § 4; vgl. zur Schuldfrage auch die skeptische Notiz 3,75,3). 103 Tac. hist. 3,72,1–3; dazu vor allem Harriet I. Flower, Remembering and Forgetting Temple Destruction: The Destruction of the Temple of Jupiter Optimus Maximus in 83 BC, in: Gregg Gardner / Kevin L. Osterloh (Eds.), Antiquity in Antiquity: Jewish and Christian Pasts in the Greco-Roman World, (Texts and Studies in Ancient Judaism; 123) Tübingen 2008, 74–92, hier 89–92. 99

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Konsens und Vergessen

nun kein geringerer als Iuppiter Optimus Maximus unbehaust war, die Hauptgottheit des Staates und damit Garant aller Ordnung, der in einer dreizelligen aedes gemeinsam mit den Göttinnen Iuno und Minerva auf der südlichen Höhe des Capitols seit Jahrhunderten die res publica beschützt hatte.104 Rom und Reich drohten Instabilität. So sollen Druiden im Tempelbrand sogar ein Fanal, das Ende der römischen Herrschaft erkannt haben. Es ist einerlei, ob dieser Nachricht Glaubwürdigkeit zukommt oder nicht,105 sie dürfte auf jeden Fall als Ausdruck von allzu verständlichen römischen Ängsten zu werten sein. Es kann daher nicht überraschen, daß sich die patres auf ihrer ersten Sitzung nach der Einnahme Roms neben der Bestätigung Vespasians (s. o.) und vielen weiteren zu erörternden Punkten, wenn auch nicht explizit den Wiederaufbau des niedergebrannten Tempels, so doch die Wiederherstellung des verwüsteten Hügels beschlossen: […] restitui Capitolium placuit.106 Im Verlauf der Sitzung meldete sich wiederholt C. Helvidius Priscus zu Wort, der Schwiegersohn des ob seiner Konsequenz berühmten und von Nero verfolgten P. Clodius Thrasea Paetus.107 Er war eine nicht minder schillernde Gestalt, von der älteren Forschung gern als Vertreter einer sogenannten Stoischen Senatsopposition bezeichnet.108 Wie dem auch sei,109 Helvidius Priscus wußte einmal mehr Unruhe zu stiften. Nun schaltete er sich in die Aussprache über eine gebotene Ausgabenbeschränkung aus dem aerarium ein und anempfahl dem Senat, nicht dem Princeps, die Entscheidung über die Finanzen des Staates; eine drohende, möglicherweise fatale Umfrage unter den patres konnte durch die Interzession eines Volkstribunen gestoppt werden (Tac. hist. 4,9,1 f.). Damit nicht genug: Seine Einlassung hatte Helvidius mit einem besonders delikaten Vorschlag verbunden: Des so wichtigen Projekts der bereits beschlossenen Wiederherstellung des Capitols und damit der Instandsetzung des Iup104 Vgl. Platner/Ashby, Topogr. Dict. 297–302 s. v. Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus, aedes; Richardson, Jr., New Topogr. Dict. 221–224 s. v.; Gianluca Tagliamonte, LTUR III, 1996, 144–148 s. v. […] templum (fino all’a. 83 a. C.); Stefano De Angeli, ebd. 148–153 s. v. […] (fasi tardo-repubblicane e di età imperiale); Frank Bernstein, REAMR, 2016, 497–499 s. v. Jupiter. – Siehe im übrigen jetzt Karolina Kaderka / Pier Luigi Tucci, The Capitoline Temple of Jupiter. The Best, the Greatest, but not Colossal, MDAI(R) 127, 2021, 146–187. 105 Vgl. zu Tac. hist. 4,54,2, nur die Hinweise auf die uneinige Forschung von Gerhard J. Baudy, Die Brände Roms. Ein apokalyptisches Motiv in der antiken Historiographie, (Spudasmata; 50) Hildesheim/Zürich/New York 1991, 26 mit 55 Anm. 104, der seinerseits die Historizität der Nachricht nicht bezweifelt. Vgl. zum weiteren Zusammenhang Leithoff (2014) 43–48. 106 Tac. hist. 4,4,2. Vgl. insgesamt zur Sitzung seinen ausholenden Bericht 4,3,3–4,4,3, und 4,6,3–4,10, der auch (sic!) auf Senatsprotokollen basieren dürfte, auf jenen in ann. 15,74,3, einmal erwähnten commentaria senatus. Siehe zur Quellenfrage Ronald Syme, Tacitus I, Oxford 1958, Nachdruck 1963, 187 f., sowie grundsätzlich Dens., Tacitus: Some Sources of His Information, JRS 72, 1982, 68–82; Nachdruck in: Ders., Roman Papers IV, ed. by Anthony Richard Birley, Oxford 1988, 199–222. 107 Tac. hist. 4,4,3; 4,6,3–4,7,3; PIR2 H 59; C 1187. 108 Alexander Gaheis, RE VIII 1, 1912, 216–221 s. v. Helvidius 3, hier 217, 220; Wirszubski (1950/1967) 182–186; Jürgen Malitz, Helvidius Priscus und Vespasian. Zur Geschichte der ,stoischen‘ Senatsopposition, Hermes 113, 1985, 231–246. 109 Siehe vor allem die gut begründete Skepsis von Leithoff (2014) 88 f.

Kommunikationsabbrüche

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pitertempels solle sich der Senat unter Verwendung von öffentlichen Geldern annehmen, Vespasian nur unterstützen – natürlich ein für den notorisch störenden Mann bezeichnender, da besonders provokanter Vorschlag, waren doch Bau und Renovierung der großen Heiligtümer Roms seit Augustus Sache des Kaisers und, nicht zuletzt, waren doch Flavianer an der Zerstörung des Capitols beteiligt gewesen. Eine Aussprache, eine Umfrage gar gab es nicht, denn (4,9,2): eam sententiam modestissimus quisque silentio, deinde oblivio transmisit: fuere qui et meminissent. Dieses Votum ließen gerade die Besonnensten durch Schweigen (oder adverbiell: stillschweigend) unbeachtet, dann überging es Vergessen: Es gab (freilich diejenigen), die sich erinnern sollten.

Virtuose brevitas zeichnet Tacitus bekanntlich aus. Auffällig knapp, durch eine Ellipse und Subjektswechsel (steht doch oblivio im Nominativ)110 bei gleichzeitiger subtiler Bedeutungsverschiebung des Prädikats verstärkt, hat Tacitus in diesem, ihm so eigenen Stil einen Kommunikationsabbruch durch Beschweigen in politisch sensibler Situation festgehalten. Eine womöglich gefährliche Zustimmung zur sententia des Helvidius genauso wie eine peinliche, im Gehorsam vorauseilende Entgegnung auf sie blieben dem Senat erspart. Denn wie der Historiograph unmittelbar im Anschluß an seine Darstellung der Sitzung schreibt, war es in den so schwierigen Tagen nach der Einnahme Roms durch die Flavianer, „als es Zwietracht unter den patres, Zorn bei den Besiegten, bei den Siegern keine Geltung, nicht Gesetze, nicht einen Princeps in der Bürgerschaft gab“,111 ungewiß, womit nach der Ankunft Vespasians in der Urbs zu rechnen war. Bei aller discordia inter patres, zumindest in einer für Rom und sein Imperium lebenswichtigen Frage herrschte Eintracht unter den Senatoren. Ein vorbeugendes Vergessen hatte einen zu erwartenden Konflikt mit dem erwarteten Herrscher eingehegt. Das beschwiegene Votum des Helvidius artikulierte im Umkehrschluß, daß der prestigeträchtige Wiederaufbau ganz und gar in der Hand des neuen Princeps liegen sollte. Allein, die unerfreuliche Angelegenheit fand ein Nachspiel. Selbstverständlich nahm sich Vespasian der Aufgabe an. Die aufwendige Renovierung sollte nach der ,Befriedung‘ Iudaeas im Jahre 70 aus dem fiscus Iudaicus finanziert werden, aus einer neu geschaffenen Kasse. Das hieß, die alte Jerusalemer Tempelsteuer in Höhe eines halben Schekels floß nun als jährliche Abgabe aller Juden von zwei De­

110 Siehe auch Heinz Heubner, P. Cornelius Tacitus, die Historien. Kommentar IV: Viertes Buch, (Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern) Heidelberg 1976, 30 ad loc., und sich anschließend Guy E. F. Chilver, A Historical Commentary on Tacitus’ Histories IV and V, completed and revised by Gavin B. Townend, Oxford 1985, 30 ad loc. 111 Tac. hist. 4,11,1: […] cum discordia inter patres, ira apud victos, nulla in victoribus auctoritas, non leges, non princeps in civitate essent, […].

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Konsens und Vergessen

naren, ob in Iudaea oder in der Diaspora, an das capitolinische Heiligtum.112 Noch vor der Plünderung und Schleifung Jerusalems im Spätsommer oder frühen Herbst des Jahres 70 fand die Instandsetzung unter dem als curator restituendi Capitolii eingesetzten L. Iulius Vestinus am 21. Juni durch wohlbedachte Sühnerituale einen Auftakt.113 Ausgerechnet Helvidius sprach dabei das so wichtige Gebet an Iuppiter, Iuno und Minerva, die capitolinische Trias, und dürfte damit die Bitte um das Wohlergehen Roms, des Reiches und des Hauses des Princeps, der domus Augusta, verbunden haben, wie wir es aus anderen Gebetsformeln der Kaiserzeit, etwa aus den detaillierten Protokollen der Saecularfeiern,114 kennen. Überdies reinigte er das Areal durch suovetaurilia, ein besonderes apotropäisches Tieropfer, denn Vespasian war immer noch nicht in Rom angelangt. Dies war allerdings nicht bloße Düpierung des renitenten Senators, sondern dessen Pflicht als Praetor, des höchsten, in Rom anwesenden Amtsträgers. Die sehr wahrscheinlich noch amtierenden consules ordinarii, Vespasian und sein Sohn Titus,115 konnten nicht zugegen sein,116 die beiden ersten suffecti des Jahres 70 traten ihren Consulat wohl erst am 1. Juli an.117 Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß der widerspenstige Helvidius, der noch vor einem halben Jahr das Bauprojekt federführend dem Senat überantworten wollte, an die Leine gelegt werden sollte, schließlich hätte auch ein Amtskollege die rituellen Handlungen vollziehen können, kein geringerer als der junge Domitian etwa, seit dem 1. Januar 70 praetor urbanus, sogar consulari potestate.118 Vergessen war Helvidius’ Votum vom Dezember 69 nicht. Seltsam, daß Tacitus, der sein Augenmerk bekanntlich allzu gern auf das Verhältnis von Princeps und Senatoren richtete und dabei geradezu genüßlich die vestigia morientis libertatis (ann. 1,74,5), die „Spuren der sterbenden Freiheit“, notierte, wirklich seltsam, daß der scharfe Kritiker der Monarchie sich jeder Bemerkung enthalten hat. Eine Andeutung jedoch könnte sich in jener oben bereits zitierten Wendung verbergen: fuere qui et meminissent, „es gab (freilich diejenigen), die sich erinnern sollten.“ 112 Vgl. Testamentum vetus, Ex. 30,13; Ios. bell. Iud. 7,6,6,218; Cass. Dio/Xiph. 65,7,2. Zur Bezeichnung der Kasse s. Suet. Dom. 12,2. 113 PIR2 I 622; Tac. hist. 4,53,1–4; s. dazu umsichtig Alexander Heinemann, Jupiter, die Flavier und das Capitol. Oder: Wie man einen Bürgerkrieg gewinnt, in: Börm/Mattheis/Wienand (2015) 187– 235, hier 193–200. 114 Acta Augustea, lin. 92–99 p. 26 Schnegg; 105 f., p. 28; 117 f., 121 f., p. 30; 125–131 p. 30–32; 136 f., p. 32; 141–146 p. 34. – Acta Severiana 93–96 p. 300–302; 124–136 p. 304–306; 138–142 p. 306; 157 f., 163 f., 166 p. 308; 172 f., p. 310; 181 f., p. 310–312; 185–188 p. 312–314; 225–227 p. 320–322; 231 f., p. 322. 115 Kienast, Kaisertabelle6 102, 105 s. vv. Vespasian, Titus. 116 Erst später sollte der Princeps in einem demonstrativen Akt sogar selbst Hand anlegen (vgl. Suet. Vesp. 8,5, und Cass. Dio/Xiph. 65,10,2) und damit die eigentliche Arbeit am Wiederaufbau in Gang setzen. Zur Einordnung im Verhältnis zu den Sühneritualen vom 21. Juni 70 vgl. David Wardle, Vespasian, Helvidius Priscus and the Restoration of the Capitol, Historia 45, 1996, 208–222. 117 Vgl. die Argumente von Werner Eck, Korrekturen und Präzisierungen zu Daten von Konsuln vom 1.–3. Jahrhundert, ZPE 223, 2022, 207–218, hier 207. 118 Tac. hist. 4,3,4; PIR2 F 259; Kienast, Kaisertabelle6 108 s. v. Domitian. – Freilich könnte er bereits vor dem 21. Juni aus Rom nach Germanien abgereist sein. Vgl. Tac. hist. 4,68,3.

Kommunikationsabbrüche

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Auch die gewiß kleine, aber für den kaiserzeitlichen Senat bezeichnende Episode in jenen heiklen Tagen nach der Principatsübernahme des Vespasian zeigt, daß das Vergessen als Beschweigen den um Eintracht ringenden patres unter besonders konfliktträchtigen Umständen eine Option war und blieb. Ein radikaler Kommunikationsabbruch, der – dieses Wort sei erlaubt – in unserer von Überkommunikation bestimmten politischen Kultur undenkbar ist, befriedete für den Moment die politisch angespannte Situation. Sie blieb schwierig, gewiß, doch zumindest ein Problem war gebannt. Nicht alle ließen sich so ausräumen, aber an das erfolgreiche Vergessen sollte man sich erinnern, wie schon die durch Tacitus überlieferte Senatssitzung vom Dezember 69 bezeugt. *** Die Eintracht, ὁμόνοια respektive concordia, war das Ziel aller inneren Politik in der Antike, kaum zufällig zu sogenannten begrifflichen Gottheiten hypostasiert. Schon von daher war das Vergessen nicht nur eine selbstverständliche politische Option, sondern eine politische Notwendigkeit bei gewissen Konfliktkonstellationen. Die vor­anstehenden Beispiele sollten verdeutlichen: Es ist eines, ein kollektives Vergessen durch eine rechtlich bewehrte Amnestie zu setzen und nur darauf hoffen zu können, daß die Opfer Ruhe halten. Es ist allerdings etwas vollkommen anderes, ein kollektives Vergessen durch ein kollektives Beschweigen, auf das man sich lediglich verständigen kann, zu erreichen. Dieser informelle Akt setzt eine hohe Bereitschaft selbst von schärfsten Dissidenten zur Unterwerfung unter einen Konsens voraus, wie zuletzt das Beispiel des Helvidius Priscus zeigte. So ist der Kommunikationsabbruch initiatorischer wie transitorischer Natur, denn er setzt und ermöglicht zugleich einen unbela­ steten Neuanfang.

VII. Schluß Kommunikation – Vergessen – Pazifikation Es ging um das kollektive Vergessen, insbesondere um das politische, das auf einer Entscheidung oder auch Vereinbarung beruht, folglich kommunikativer Natur ist. Es wurde als Verdrängung verstanden, ohne damit die tiefenpsychologische Bedeutung des Verlagerns übler Erinnerung ins Unbewußte zu berühren, wie es allein individuellem Erinnerungsunvermögen eigen sein kann. So stand das politisch lancierte Vergessen als ein b e w u ß t e s Verdrängen im Blickpunkt unserer Überlegungen. Solches Vergessen zielte auf problematische Erinnerung, sei es die Untat, sei es das Unsagbare. Sie sollte ruhen, keinesfalls in der Öffentlichkeit zirkulieren, sie wurde nur aus der Kommunikation verbannt, denn buchstäblich vergessen wurde nichts. Ob und inwieweit kollektives Vergessen das leidende Individuum entlasten konnte, steht auf einem anderen Blatt. Dieses Vergessen aber war als politisches Gebot ein Akt der internen Pazifikation. Ein- und Abgrenzungen waren nötig. Die Damnatio memoriae in all ihren Formen war als Abolitio memoriae, als „Unterdrückung (spezifischer) Erinnerung“, kein Vergessen, auch keine Verdrängung, sondern zielte auf ein negatives Erinnern, das kommunikativ wachgehalten wurde. Das politische Vergessensgebot hingegen, sei es als Amnestie, sei es als Schweigen im politischen Raum und als still vereinbarter Kommunikationsabbruch, mit dem wir die Untersuchung beendeten, war bei Bemühungen um innere Befriedung nicht nur die Ultima ratio, sondern die optima defensio, die „beste Abwehr“ des inneren Konflikts. Dieses Seneceische Wort (contr. 10,3,5), das uns eingangs auf die Spur brachte, dürfte nun in seiner Schärfe verständlicher sein und weist im Umkehrschluß einmal mehr auf die Konfliktunfähigkeit der politischen Kulturen der Antike. Das politische Vergessensgebot fand in den so eigenen Vorstellungen vom inneren Frieden seine letzte Begründung, in den Idealen der homónoia beziehungsweise der concordia. Der Kompromiß lag außerhalb des Horizonts, selbst leichtester Dissens schien unerträglich und wurde vielleicht sogar als ein Scheitern von Politik betrachtet. Die Totalität des Konsenses war unhintergehbar. Gewinnung und Bewahrung des politisch Möglichen in inneren Konfliktsituationen waren diktiert von prinzipiellen

Schluß

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Stabilisierungsnöten. Stabilität der Verhältnisse hieß Konsens – und verhieß nur der Konsens. Denn die Verbindlichkeit der Ordnung war in Hellas und Rom weit mehr als im Alten Orient und Ägypten (und auch wieder gegen Ende der Antike und danach) nicht zuvorderst religiös, sondern sozial und politisch konstituiert. Politisches Handeln findet im besten Falle im politischen Denken seine Begründung, vor allem aber doch wohl im vorpolitischen Empfinden, das von grundsätzlichen Einstellungen, Haltungen, ja Affekten bestimmt ist. Die antike Unerbittlichkeit angesichts devianter Standpunkte ist uns zutiefst fremd. Versöhnung war nicht möglich, allenfalls Aussöhnung. Sie brauchte das politisch lancierte Vergessen, ja sie war notwendig, sei es als Amnestie kommandiert, sei es irgendwie kommunikativ vereinbart, denn es war als Gebot und Wille zutiefst erfahrungsgesättigt. Insofern sind Erinnerung und Vergessen natürlich selbst im hier thematisierten Zusammenhang verschränkt. Interne Konflikte konnten, wenn auch nicht beigelegt, so doch zumindest eingehegt und damit kontrolliert werden. So ist das kollektive Vergessen als Verdrängung aus der Kommunikation zweierlei: Es ist erstens als eine präemptive Maßnahme zu verstehen, die ein Wiederaufleben der Konflikte zu verhüten suchte; es ist zweitens auch als präventiver Eingriff anzusehen, der vorbeugen sollte – und zwar in Hellas wie auch in Rom. Auffällig bleibt, daß uns das Vergessen bei den Griechen als Kultpersonifikation, als Λήθη, zwar selten, aber doch begegnet. Eine Gottheit Oblivio, solche religiöse Hypo­stasierung, keine poetische Schöpfung, sucht man vergeblich, obwohl Rom bekanntlich recht früh politische Wertvorstellungen personifizierte und kultisch verehrte. Weist solcher Befund etwa auf Differenzen? Oder handelt es sich lediglich um ein kaum belastbares Argumentum e silentio? Wie dem auch sei, ein kontrastives Bild der politischen Kulturen in Hellas und Rom jedenfalls, wie vielleicht erwartet, konnte nicht gezeichnet werden. Feine Nuancen von Unterschieden, die sich hier und da und zumal im Laufe der Zeit gewiß feststellen lassen, ändern doch nichts am großen Ganzen. Egal ob Polis oder Res publica, egal ob Monarchie hellenistischer oder römischer Eigenart, egal wie sich die soziale Ordnung gestaltete, der Antike war das Vergessen eine politische Option. Die vorgelegten Fragen und Überlegungen verhehlten nicht ihren suchenden Charakter. Sie waren einem erklärungsbedüftigen Phänomen antiker Kommunikation, einer irritierenden Variante interner Pazifikation gewidmet, irritierend, weil wir das politisch lancierte Vergessen in seiner Eigentlichkeit und in seinen Bedingungen aufgrund unserer politischen Kultur gar nicht verstehen, allenfalls aus einer dezidiert historischen Perspektive, die jedwede Differenz ernstnimmt, erklären können. Anders als wir setzten Griechen und Römer auf Verdrängung statt auf „Aufarbeitung“. Der Kommunikationsabbruch zumal, der bewußte Verzicht auf den weiteren Dialog, den wir im politischen Prozeß stets beschwören und in Gang halten wollen, ist inakzepta-

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Schluß

bel, nicht einmal erwägbar, ja im Zuge des strukturellen Wandels der Öffentlichkeit in einem Zeitalter massenmedialer Aufmerksamkeit sogar (fast) unmöglich. Die antike Totalität von Konsens und Dissens im politischen Empfinden, Denken und Handeln ist (und bleibt hoffentlich) angesichts des modernen Ideals von Pluralismus und Anerkennung jeder noch so kleinen Minorität Geschichte. Um nicht mißverstanden zu werden: Solche politischen Überzeugungen finden sich natürlich nur in einem kleineren Teil der Welt, selbst nicht überall in der „westlichen“. Um so dankbarer sollten wir sein. Nicht wenigen ist das Vergessen keine politische Option mehr.

Anhang 1. Index locorum NB: Die juristischen Quellen, teils literarisch, teils epigraphisch bezeugt, bilden der Einfachheit halber, auch um Doppelnennungen zu vermeiden, keine eigene Rubrik. So sind die Belegstellen im Corpus der Staatsverträge je nach Bezeugung rubriziert, die des Zwölf-Tafel-Gesetzes und des Codex Theodosianus den literarischen, inschriftlich überlieferte Gesetze, auch so tradierte senatus consulta, den epigraphischen Zeugnissen zugeordnet. Literarische Zeugnisse: Ail. nat. 6,40: 236. var. 13,17: 7573; 7884. Aischin. 2,176: 3831. – 3,208: 3831. Alk. frg. 70 v. 6–13 p. 145 Lobel/Page: 47 f. frg. 70 v. 6–13 p. 49 Liberman: 47 f. Ambr. De obitu Theodosii 4: 317. Amm. 28,1,4: 7573; 77 f. And. 1,90: 3827. – 1,90 f.: 3831. – 1,140: 39; 6729. – 3 passim: 63.

Antiphon Soph. FVS11 87 B 44 a–71 p. 356–366: 6627. App. civ. 1,26,120: 7363. Aristeid. 24 (Ῥοδίοις περὶ ὁμονοίας),41 Keil: 21; 74. – 26 (Εἰς Ῥώμην),69–71: 7048. Aristoph. av. 748–751: 7887. Lys. 590: 39. Pax 223: 6520. – 938: 6520. – 942: 6520. vesp. 219 f.: 7887. Aristot. Ath. pol. 5,2: 7676. – 39,1–6: 3827. – 39,6: 38.      – 40,2: 3828. pol. 3,14,1285 a 33–40: 4833.

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Anhang

Aug. r.g. 2 p. 5 Scheid: 41. – 13 p. 12: 68 f. – 25,1 p. 19: 6838. – 26,2 p. 21: 6838. – 34,1 p. 24: 69.

Eur. Bakch. 419 f.: 6521. Med. 811–813: 4312. – 812: 4312.

August. civ. 3,25 f.: 7363. – 19,11–13: 63.

Fest. p. 260 Lindsay, s. v. Pacem: 6733. – p. 470 s. v. Senacula: 7467.

Cass. Dio 44,4,5: 7366. – 44,22,4: 3621. – 44,23,1–44,33,5: 3621. – 44,26,3: 3621; 3831. – 44,29,1: 42. – 44,29,1–4: 429. – 44,34,1: 3621. – 54,23,6: 26; 7365. – 55,8,2: 7365. – 56,25,1: 7365. – 60,3,2: 3310. – 60,3,4: 3414. – 60,3,5: 3515; 3517. – 65,15,1: 7046. Cass. Dio / Xiph. 60,1,4: 3310. – 64,17,3: 83102. – 65,7,2: 86112. – 65,10,2: 86116. Cic. Phil. 1,1,1: 36; 429; 45. Q. fr. 3,5,4: 5039. Sest. 67,140: 7363. top. 23,90: 41.

Flor. 1,17,23,1 f.: 7156. Gell. 17,18,1: 639. Gorg. FVS11 82 B 8 a, p. 287: 6729. HA Aur. 39,4: 3621.

Demokr. FVS11 68 B 250 p. 195: 6626. – B 255 p. 196 f.: 6626.

Hdt. 1,23: 7989. – 1,142,4: 7989. – 2,4,1: 7989. – 2,18,2: 7989. – 2,86,3: 7989. – 4,154,1: 7989. – 4,201,2: 7989. – 5,75,3: 7989. – 5,87,1: 7989. – 6,21,2: 75–79. – 6,33,3: 7989. – 6,52,1: 7989. – 6,54: 7989. – 7,139,4: 7989. – 7,229,1: 7989. – 8,3,1: 7989. – 8,29,2: 43. – 8,52,2: 7989. – 8,75,3: 7989. – 8,94,4: 7989. – 8,108,3: 7989. – 8,140 β 3: 7989. – 8,141,1: 7989. – 8,141,1 f.: 7989. – 8,143,1 f.: 7989. – 8,144,3: 7989. – 9,7 α 2–β 1: 7989. – 9,13,1: 7989. – 9,88: 7989.

Demosth. 20,12: 6729.

Heraklit. FVS11 22 B 71 p. 167: 7.

Did. in Demosth. 10,34 col. 7,62–71: 6521.

Hes. erg. 11–26: 4627. – 227 f.: 64. theog. 211–225: 46. – 226–232: 46. – 901–903:   64; 70.

Cod. Theod. 15,14,6: 316. – 15,14,7: 316. – 15,14,8: 316. – 15,14,9: 318; 32; 74. – 15,14,11 f.: 318.

Diod. 14,9,6: 4314. – 14,33,6: 3827. – 14,34,6: 4314. Diog. Laert. 1,75: 4833. Dion. Hal. ant. 6,83,1–6,87,1: 7156. – 6,86,1–5: 7156.

Hom. Il. 2,797: 64. – 4,82–84: 4519. – 6,208: 50. –    9,403: 64. – 11,784: 50. Od. 9,82–104: 15 f. – 9,94: 1612. – 24,482–486:   44 f.

Index locorum

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Hor. carm. 4,15 passim: 6942.

Oros. 7,6,4: 3412; 3517. – 7,6,5: 3517; 3621. – 7,8,7: 83102.

Ios. ant. Iud. 19,268 f.: 3414. bell. Iud. 4,11,4,645–649: 83102. – 4,11,4,649:   83102. – 7,5,7,158–162: 7046. – 7,6,6,218: 86112.

Ov. fast. 1,639 f.: 7363. – 1,639–644: 7260. – 1,639– 650: 7365. – 4,407 f.: 6942. – 6,637–648: 7365. – 6,643 f.: 2623.

Isokr. 8 passim: 63. – 12,13: 6729. – 15,109 f.: 6521. – 18,3: 3831. – 18,44: 6729. – 18,68: 6729.

Paul. exc. Fest. p. 261 Lindsay, s. v. Pax: 6733.

Iust. 5,10,10 f.: 61. – 5,10,11: 3832. Kallisth. Olynth. FGrH 124 frg. 30 p. 650: 7573. Krater. FGrH 342 frg. 5 b, p. 201: 2519. – frg. 17 p. 204: 2519. lex XII tabularum Flach/von der Lahr, Gesetze 26 frg. 1,6 f.,    p. 118: 67 f. Roman Statutes 40 frg. 1,6 f., p. 578 und 594:   67 f. Liv. 2,32,8–12: 7156. – 2,33,1: 71. – 8,5,7: 8093. – 9,46,6 f.: 7260. – 22,33,7 f.: 7261. – 23,21,7: 7261. – 23,22,1–4: 80. – 23,22,4 f.: 80. – 23,22,4–9: 80–82. – 23,22,6: 82. – 23,22,6 f.: 80. – 23,22,8: 81. – 23,22,8 f.: 80 f. – 23,22,9: 81 f. – 23,22,10 f.: 8195. – 23,22,10–23,23,8: 8296. – 26,23,4: 7261. – 26,23,7: 8297. – 39,56,6: 7261. – 40,19,2: 7261. Lys. 18,17: 6729. Nep. Thr. 3,2: 3832. Timoth. 2,2 f.: 6521. Obseq. 4: 7361.

Paus. 1,8,2: 6521. – 9,16,2: 6521. Philoch. FGrH 328 frg. 151 p. 142: 6521. Phil. leg. ad Gaium 147: 7048. Phryn. trag. TrGF I2 3 test. 2 p. 69: 7674. – frg. 8–12 p. 75– 77: 7990. – frg. 13–24 p. 77–79: 7781. Pind. O. 2,15–22: 429. – 13,6–10: 6413. P. 5,66 f.: 6413. Plat. nom. 1,625 e–626 a: 626. Plaut. Am. 957–962: 7153. Mer. 953–955: 68. Plin. nat. 2,46(45),117: 7151. – 14,1(1),2: 7151. – 27,1(1),3: 7151. – 33,1(6),19: 7260. – 34,7(17),38: 83102. Plut. Brut. 19,1: 3621. Cam. 42,4–6: 7260. Cic. 42,3: 3621; 3829. Cor. 6,3–5: 7156. C. Gr. 17,8: 73; 7363. Fab. 9,4: 8195.

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Anhang

Popl. 15,2: 83102. Praecepta gerendae rei publicae 17 (= mor.    814 b): 38; 7573. Quaestiones convivales 9,6 (= mor. 741 b): 3934. [Plut.] Vitae decem oratorum 1 (= mor. 834 a–b): 2519. Pol. 1,1,5: 21. – 3,9,4: 8297. P. Oxy. X 1234 frg. 2 v. 6–13: 4731. Sall. Cat. 9,1: 71. – 12,4: 27. hist. 1,11: 71. Schol. Aristoph. Lys. 273 p. 17 Hangard: 2519. – 313 a,    p. 19: 2519. Aristoph. vesp. 1490 a, p. 230 Koster: 7573;   7884. Sen. clem. 2,7,1: 3413. – 2,7,3: 3413. Sen. (maior) contr. 10,3,5: 22; 88. Sinn. GRF [Funaioli], frg. 10 p. 461: 6733. Sol. frg. 4 a, v. 2 p. 143 West2: 7676. frg. 4 v. 2 p. 105 Gentili/Prato2: 7676. Solin. 40,2–4: 236. Staatsverträge II2 156–158 Nr. 213: 3827. – 159 Nr. 215: 4314.

Strab. 6,4,2 (C 288): 7048. – 13,2,3 (C 617): 46. – 14,1,7 (C 635): 7573. – 14,1,22 (C 640): 236. Suda s. v. Εὐνομία (3595) p. 459 Adler II: 6413. Suet. Aug. 29,4: 7365. Claud. 11,1: 33–35. – 42,2: 3518. Dom. 1,2: 83102. – 12,2: 86112. Vesp. 8,5: 86116. – 9,1: 7046. Vit. 15,3: 83102. Tac. Agr. 30,5: 6941. ann. 1,74,5: 86. – 15,74,3: 84106. dial. 17,3: 82. hist. 3,71,1–4: 83102. – 3,71,4: 83102. – 3,72,1–3:    83103. – 3,75,3: 83102. – 4,3,2: 41. – 4,3,3: 83100. – 4,3,3–4,4,3: 84106. – 4,3,4: 86118. – 4,4,2: 84106. – 4,6,3: 83100. – 4,6,3–4,7,3: 84107. – 4,6,3–4,10: 84106. – 4,9,1 f.: 84. – 4,9,2: 84– 86. – 4,11,1: 85. – 4,53,1–4: 86113. – 4,54,2: 84105. – 4,68,3: 86118. Testamentum vetus Gen. 49,25: 317. Ex. 30,13: 86112. Thrasym. FVS11 85 B 1 p. 322 f.: 6627. Thuk. 1,1,2: 6517. – 3,82,7: 41. – 4,74,2: 4314. – 8,73,6: 4314. – 8,75,2: 6627. – 8,93,3: 6627. Val. Max. 4,1 ext. 4: 3832. – 6,4 praef.: 8093. – 6,4,1 a: 8093. – 8,14 ext. 5: 236. Varr. ling. 5,148: 7363. – 5,156: 7363. logist. frg. 64 p. 65 Bolisani: 63.

Index locorum

Vell. 2,58,4: 3621. – 2,89,3–6: 7047. – 2,89,6: 6836. – 2,126,2–5: 7047. Verg. Aen. 1,286–291: 6942. – 6,851–853: 68 f. ecl. 4 passim: 63.

95

Xen. Hell. 2,4,38: 3827. – 2,4,43: 3827; 3831; 4314. –   4,4,5: 4314. mem. 4,4,16: 67.

Epigraphische Zeugnisse: Acta Augustea lin. 92–99 p. 26 Schnegg: 86114. – 105 f., p. 28: 86114. – 117 f., p. 30: 86114. – 121 f., p. 30: 86114. – 125–131 p. 30–32: 86114. – 136 f., p. 32: 86114. – 141–146 p. 34: 86114. Acta Severiana 93–96 p. 300–302 Schnegg: 86114. – 124– 136 p. 304–306: 86114. – 138–142 p. 306: 86114. – 157 f., p. 308: 86114. – 163 f., p. 308: 86114. – 166 p. 308: 86114. – 172 f., p. 310: 86114. – 181 f., p. 310–312: 86114. – 185–188 p. 312–314: 86114. – 225–227 p. 320–322: 86114. – 231 f., p. 322: 86114.

Fasti Amiternini, Inscr. It. XIII 2 p. 189: 2830. Antiates maiores, Inscr. It. XIII 2 p. 4: 7261. –   p. 15: 2830; 7363. Antiates ministrorum, Inscr. It. XIII 2 p. 208:   2830. consulares Capitolini, Inscr. It. XIII 1 p. 47: 8195. Pinciani, Inscr. It. XIII 2 p. 47: 7363. Praenestini, Inscr. It. XIII 2 p. 115: 7365. –    p. 119: 7261. Verulani, Inscr. It. XIII 2 p. 161: 7365. Feriale Cumanum Inscr. It. XIII 2 p. 279: 6946.

AE 1996, 885 lin. 72–108: 24.

Gagarin/Perlman, Laws of Ancient Crete Dr1: 51.

CIL I2 2, 8/9 lin. 3–5: 50. I2 4, 2883: 7259. II2 5, 900 lin. 72–108: 24. VI 930: 83. – 1286/1287 lin. 3–5: 50. – 1527 d,    e, lin. 25 f.: 70. – 31207: 83. XIII 8812: 68.

IG

CVA Österreich, Wien [3], p. 11 f.: 65. Eck/Caballos/Fernández, SC de Cn. Pisone patre 42–47 lin. 72–108: 24. van Effenterre/Ruzé, Nomima I 44 lin. 9–14: 25 f. – 81: 51.

I3 76 lin. 15: 43. – 76 lin. 20 f.: 43. II2 111 lin. 58: 4314. – 111 lin. 82 f.: 4314. IX 12, 3, 609 lin. 9–14: 25 f. XII 5, 109 lin. 12: 4314.

ILLRP2 310 lin. 3–5: 50. ILS 2/3 lin. 3–5: 50. – 244: 83. – 3094: 68. IMilet I 3, 148 lin. 62: 3830. – 150 lin. 36: 3830. Koerner/Hallof, Inschr. Gesetzestexte 47 lin. 9–14: 25 f. – 90: 51.

96

Anhang

Meiggs/Lewis, GHI2 2: 51. – 13 lin. 9–14: 25 f. Res gestae Divi Augusti s. o. unter den literarischen Zeugnissen s. v. Aug. Roman Statutes 39: 83. Rhodes/Osborne, GHI 39 lin. 58: 4314. – 39 lin. 82 f.: 4314. Schumacher, Röm. Inschr.2 20: 83. – 163 lin. 3–5: 50.

SEG XXV 447 lin. 4 f.: 43. LVII 576 lin. 73: 4314. Staatsverträge II2 113–115 Nr. 187: 43. – 143–145 Nr. 204:   4314. – 246–250 Nr. 289: 4314. IV 152–164 Nr. 644: 3830. – 164–172 Nr. 645:   3830. Syll.3 89 lin. 15: 43. – 89 lin. 20 f.: 43. – 173 lin. 58: 4314. – 173 lin. 82 f.: 4314. – 588 lin. 62: 3830. – 633 lin. 36: 3830.

Numismatische Zeugnisse: BMC Emp. I 137 Nr. 116: 7365. – 139 Nr. 132–134: 7365.

RRC 441 Nr. 415,1: 71 f. – 442 Nr. 417,1 a–1 b: 71 f.

Griechische und lateinische Wörter und Wendungen

2. Griechische und lateinische Wörter und Wendungen ἀμνηστία/amnestia 17; 35 f.; 38.

obliviscor 81.

ἐκλανθάνομαι 45.

occulo 81.

ἔκλησις 36; 44 f.; 53.

pro non dicto habeo 81.

λανθάνω 47 f.

silentio exstinguo 81.

Λήθη 39; 46; 89.

silentium 81; 85.

μηδὲν μνημόσυνον ἔχω 26.

sileo 81.

μὴ μνασιχολέω 43.

σιωπάω 21 f.; 74.

μὴ bzw. οὐ μνησικακέω 38 f.; 43; 77.

σιωπή 22.

mentionem opprimo 81.

taciturnitas 32; 74. praescribtio taciturnitatis: 32.

Oblivio 89. oblivio 22; 38; 61; 85. perpetua: 17. in perpetuum: 34; 36. sempiterna: 36.

tegeo 81.

97

98

Anhang

3. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis NB: Die Zitate aus und die Belegangaben zu den antiken Autoren folgen den einschlägigen Editionen der Bibliotheca Teubneriana oder der Collection Budé oder auch der Oxford Classical Texts und werden deshalb im Folgenden nicht gelistet. Die Paragraphenzählung bei Stellenangaben aus Plutarchs Doppelbiographien folgt also Zieglers textkritischer Edition in der BT. Die Fragmentsammlungen werden bei Gattungssammlungen wie bei Jacobys FGrH (s. u.) nach dem Titel zitiert, bei Sammlungen der Fragmente einzelner Autoren oder bei Scholien zur leichteren Auffindbarkeit mit der Paginierung und unter Angabe des Herausgebers. Bis auf geringe Ausnahmen, die selbsterklärend sind, sind die Abkürzungen für die antiken Autoren nach Liddell/Scott/Jones, p. xvi–xxxviii, bzw. im Suppl., p. x–xx (s. u.), und nach dem OLD2, p. xviii–xxix (I) bzw. vi–xvii (II) (s. u.), aufzulösen. Wenn nicht anders angegeben, stammen die gebotenen Übersetzungen der griechisch- und lateinischsprachigen Zeugnisse von mir. In die Bibliographie wurden nur mehrfach zitierte Arbeiten aufgenommen. Reihentitel sind durchgängig ausgeschrieben. Neben den nach der Bibliographie L’Année philologique I ff., Paris 1928 ff., aufzulösenden Abkürzungen der Zeitschriften wurden noch folgende Siglen für Anthologien, spezielle Corpora und Referenzwerke wie Lexika und Prosopographien verwendet: AK Münster 2018 (Frieden) Achim Lichtenberger / H.-Helge Nieswandt / Dieter Salzmann (Hrsgg.), Eirene/Pax. Frieden in der Antike [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Archäologischen Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 28. April – 2. September 2018], Dresden 2018. BMC Emp. I Harold Mattingly, Coins of the Roman Empire in the British Museum I: Augustus to Vitellius, London 1923, Nachdruck 1965. Broughton, MRR Thomas Robert Shannon Broughton, The Magistrates of the Roman Republic I–III, (Philological Monographs Published by the American Philological Association; 15,1–3) Cleveland, Ohio 1951–1952 [I–II]; 1960 (Supplement), Nachdruck Ann Arbor, Michigan 1968; 1986 [III]. Bechtel, Hist. Personennamen Friedrich Bechtel, Die historischen Personennamen des Griechischen bis zur Kaiserzeit, Halle 1917, Nachdruck Hildesheim 1964. Chantraine, Dict. étym. Pierre Chantraine, Dictionnaire étymologique de la langue grecque. Histoire des mots I–IV 2, Paris 1968–1980, Nachdruck (mit einem Supplément) 1999. CIL Corpus Inscriptionum Latinarum I ff. [verschiedene Herausgeber und Bearbeiter], Berlin u. a. 1863 ff. CVA Corpus Vasorum Antiquorum [zahlreiche Bearbeiter, Bände und Faszikel], [verschiedene Erscheinungsorte] 1922 ff.

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

99

Degrassi, Inscr. It. XIII 1 bzw. XIII 2 Inscriptiones Italiae XIII: Fasti et elogia 1: Fasti consulares et triumphales, cur. Atilius Degrassi, Rom 1947. – […] 2: Fasti anni Numani et Iuliani. Accedunt ferialia, menologia rustica, parapegmata, cur. A. D., ebd. 1963. DNP bzw. DNP RuWg Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike I–XII 2, hrsg. von Hubert Cancic und Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 1996–2002. – […] XIII–XV 3: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, in Verbindung mit H. C. und H. S. hrsg. von Manfred Landfester, ebd. 1999–2003. Eck/Caballos/Fernández, SC de Cn. Pisone patre Werner Eck / Antonio Caballos / Fernando Fernández, Das senatus consultum de Cn. Pisone patre, (Vestigia; 48) München 1996. van Effenterre/Ruzé, Nomima Henri van Effenterre / Françoise Ruzé, Nomima. Recueil d’inscriptions politiques et juridiques de l’archaïsme grec I–II, avec la collaboration de Hélène Nicolet et Micheline van Effenterre, (Collection de l’École française de Rome; 188) Rom 1994–1995. Elster, Gesetze MRR Marianne Elster, Die Gesetze der mittleren römischen Republik. Text und Kommentar, Darmstadt 2003. Elster, Gesetze SRR Marianne Elster, Die Gesetze der späten römischen Republik. Von den Gracchen bis Sulla (133– 80 v. Chr.), (Studien zur Alten Geschichte; 28) Göttingen 2020. Ernout/Meillet, Dict. étym.4 Alfred Ernout / Antoine Meillet, Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots, Paris 41959, Nachdruck (mit Ergänzungen und Korrekturen von Jacques André) 1985. F. A. S. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. F. A. Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung. FGrH Felix Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, drei Teile in vierzehn Bänden, Berlin, dann Leiden 1923–1958. Flach/von der Lahr, Gesetze Dieter Flach, Die Gesetze der frühen römischen Republik. Text und Kommentar, in Zusammenarbeit mit Stefan von der Lahr, Darmstadt 1994. Frisk, Gr. etym. Wörterbuch Hjalmar Frisk, Griechisches etymologisches Wörterbuch I–III, (Indogermanische Bibliothek. II. Reihe: Wörterbücher) Heidelberg 21973 [I]; 31991 [II]; 21979 [III]. FVS11 Die Fragmente der Vorsokratiker I–III, griechisch und deutsch von Hermann Diels, elfte Auflage hrsg. von Walther Kranz, Zürich/Berlin 1964. Gagarin/Perlman, Laws of Ancient Crete Michael Gagarin / Paula Perlman, The Laws of Ancient Crete, c. 650–400 BCE, Oxford 2016. Georges 8 Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch I–II, 8., verbesserte und vermehrte Auflage von Heinrich Georges, Hannover 1913 (I); 1916–1919 (II), Nachdruck Darmstadt 1995.

100

Anhang

GG Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland I–VII, Stuttgart 1972– 1992. – […] VIII 1–2: Register, bearbeitet von R. K. und Rudolf Walther, ebd. 1997. GRF Grammaticae Romanae Fragmenta I, collegit recensuit Hyginus Funaioli, Leipzig 1907. – Grammaticae Romanae Fragmenta Aetatis Caesareae I, accedunt volumini Funaioliano addenda, collegit recensuit Antonius Mazzarino, Turin 1955. HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie I–XII, hrsg. von Joachim Ritter, dann Karlfried Gründer, schließlich auch Gottfried Gabriel, Basel 1971–2004. – […] XIII: Register, hrsg. von Margarita Kranz in Verbindung mit G. G. und Helmut Hühn, ebd. 2007. IG Inscriptiones Graecae I ff. [verschiedene Herausgeber und Bearbeiter], Berlin u. a. 1873 ff. ILLRP Inscriptiones Latinae liberae rei publicae I2–II, curavit Atilius Degrassi, (Biblioteca di Studi Superiori; 22 bzw. 40) Florenz 1965 (I2) bzw. 1963 (II). ILS Inscriptiones Latinae selectae I–III 2, ed. Hermannus Dessau, Berlin 1892–1916, Nachdruck Zürich 1997. IMilet I 3 Georg Kawerau / Albert Rehm unter Mitwirkung von Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen / Mark Lidzbarski / Theodor Wiegand / Erich Ziebarth, Milet. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899 III: Das Delphinion in Milet, Berlin 1914. Inscr. It. s. o. unter Degrassi, Inscr. It. XIII 1 bzw. XIII 2 Jeffery, LSAG Lilian Hamilton Jeffery, The Local Scripts of Archaic Greece: A Study of the Origin of the Greek Alphabet and Its Development from the Eighth to the Fifth Centuries B. C., Revised Edition with a Supplement by Alan W. Johnston, (Oxford Monographs on Classical Archaeology) Oxford 1990 [, 423–481 („Supplement 1961–1987“)]. Kienast, Kaisertabelle6 Dietmar Kienast, Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie, Darmstadt 6., von Werner Eck und Matthäus Heil überarbeitete und aktualisierte Auflage 2017. Kirchner, PA Prosopographia Attica I–II, ed. Iohannes Kirchner, Berlin 1901–1903. Kluge, Etym. Wörterbuch25 Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet von Elmar Seebold, 25., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin/Boston 2011. Koerner/Hallof, Inschr. Gesetzestexte Inschriftliche Gesetzestexte der frühen griechischen Polis, aus dem Nachlaß von Reinhard Koerner hrsg. von Klaus Hallof, (Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte; 9) Köln/Weimar/Wien 1993. LfgrE Lexikon des frühgriechischen Epos I–IV [in 25 Lieferungen], begründet von Bruno Snell, mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der UNESCO und der Joachim-Jungius-

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

101

Gesellschaft, Hamburg, dann im Auftrag der Akademie der Wissenschaften in Göttingen vorbereitet und hrsg. vom Thesaurus Linguae Graecae, Göttingen 1955–2010. LGPN Peter Marshall Fraser / Elaine Matthews (Eds. [und zahlreiche weitere Teilherausgeber]), A Lexicon of Greek Personal Names I: The Aegean Islands, Cyprus, Cyrenaica, Oxford 1987. – […] II: Attica, ebd. 1994. – […] III A: The Peloponnese, Western Greece, Sicily and Magna Graecia, ebd. 1997. – […] III B: Central Greece from the Megarid to Thessaly, ebd. 2000. – […] IV: Macedonia, Thrace, Northern Regions of the Black Sea, ebd. 2005. – […] V A: Coastal Asia Minor: Pontos to Ionia, ebd. 2010. – […] V B: Coastal Asia Minor: Caria to Cilicia, ebd. 2013. – […] V C: Inland Asia Minor, ebd. 2018. Liddell/Scott/Jones Henry George Liddell / Robert Scott, A Greek-English Lexicon, Revised and Augmented throughout by Henry Stuart Jones with the Assistance of Roderick McKenzie and with the Cooperation of Many Scholars, Oxford 91940. Liddell/Scott/Jones, Suppl. Peter Geoffrey William Glare (Ed., with the Assistance of A. A. Thompson), Greek-English Lexicon: Revised Supplement, Oxford 1996. LIMC Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae I–VIII [Doppelbände: Text/Tafeln], […] Register [Doppelband: Index der Museen und Sammlungen / Index der mythologischen Figuren, der Autoren und der Inschriften], Zürich/München 1981–1999; […] Supplementum 2009 [Doppelband: Text/Tafeln], Düsseldorf 2009. LTUR Lexicon topographicum urbis Romae I–VI, a cura di Eva Margareta Steinby, Rom 1993–2000. Maltby, Lex. Anc. Lat. Etym. Robert Maltby, A Lexicon of Ancient Latin Etymologies, (ARCA. Classical and Medieval Texts, Papers and Monographs; 25) Leeds 1991. Meiggs/Lewis, GHI2 Russell Meiggs / David Lewis (Eds.), A Selection of Greek Historical Inscriptions: To the End of the Fifth Century B. C., Revised Edition, Oxford 1988. Musa tragica Bardo Gauly / Lutz Käppel / Rainer Klimek-Winter / Helmut Krasser / Karl-Heinz Stanzel / Volker Uhrmeister (Hrsgg., unter Mitwirkung von Richard Kannicht), Musa tragica: Die griechische Tragödie von Thespis bis Ezechiel. Ausgewählte Zeugnisse und Fragmente griechisch und deutsch, (Studienhefte zur Altertumswissenschaft; 16) Göttingen 1991. OLD2 Oxford Latin Dictionary I–II, Second Edition, ed. by Peter Geoffrey William Glare, Oxford 2012, Nachdruck (with Corrections) 2016. Pape/Benseler, Eigennamen3 Wilhelm Pape / Gustav Eduard Benseler, Wörterbuch der griechischen Eigennamen I–II, Braunschweig 31911, Nachdruck Graz 1959. Passow 5 Franz Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache I 1–II 2, neu bearbeitet und zeitgemäß umgestaltet von Valentin Christian Friedrich Rost / Friedrich Palm / Otto Kreussler / Karl Keil / Ferdinand Peter / Gustav Eduard Benseler, Leipzig 5. Auflage 1841 (I 1); 1847 (I 2); 1852 (II 1); 1857 (II 2), Nachdruck Darmstadt 2004.

102

Anhang

Paul, Dt. Wörterbuch9 Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kämper-Jensen, Tübingen 1992. PIR2 Prosopographia Imperii Romani saec. I. II. III. Partes I–VIII 2, iteratis curis ed. Edmund Groag / Arthur Stein / Leiva Petersen / Klaus Wachtel / Matthäus Heil / Werner Eck / Johannes Heinrichs, Berlin [/Leipzig/New York/Boston] 1933 (I); 1936 (II); 1943 (III); 1952– 1966 (IV); 1970–1987 (V); 1998 (VI); 1999 (VII 1); 2006 (VII 2); 2009 (VIII 1); 2015 (VIII 2). Platner/Ashby, Topogr. Dict. Samuel Ball Platner, A Topographical Dictionary of Ancient Rome, Completed and Revised by Thomas Ashby, Oxford 1929. PLRE I Arnold Hugh Martin Jones / John Robert Martindale / John Morris, The Prosopography of the Later Roman Empire I: A. D. 260–395, Cambridge 1971. RE Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswisenschaft I 1–X A, neue Bearbeitung hrsg. von Georg Wissowa / Wilhelm Kroll / Karl Mittelhaus / Konrat Ziegler / Walter John, Stuttgart 1893–1972. – […] Supplementband I–XV, ebd., dann München 1903–1978. REAMR The Routledge Encyclopedia of Ancient Mediterranean Religions, ed. by Eric Orlin with Lisbeth S. Fried, Jennifer Wright Knust, Michael E. Pregill, and Michael I. Satlow, New York/ London 2016. Rhodes/Osborne, GHI Peter John Rhodes / Robin Osborne (Eds.), Greek Historical Inscriptions, 404–323 BC: With Introduction, Translations, and Commentaries, Oxford 2003. Richardson, Jr., New Topogr. Dict. Lawrence Richardson, Jr., A New Topographical Dictionary of Ancient Rome, Baltimore/ London 1992. Roman Statutes Michael H. Crawford (Ed.), Roman Statutes I–II, (Bulletin of the Institute of Classical Studies Supplements; 64) London 1996. RRC Michael H. Crawford, Roman Republican Coinage I: Introduction and Catalogue; […] II: Studies, Plates and Indexes, Cambridge 1974. Schumacher, Röm. Inschr.2 Leonhard Schumacher, Römische Inschriften. Lateinisch/Deutsch, ausgewählt, übersetzt, kommentiert und mit einer Einführung in die lateinische Epigraphik, (Universal-Bibliothek; 8512) Stuttgart 22001. Staatsverträge II2 bzw. III bzw. IV Hermann Bengtson unter Mitwirkung von Robert Werner, Die Staatsverträge des Altertums II: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700 bis 338 v. Chr., München 21975. – Hatto H. Schmitt, Die Staatsverträge des Altertums III: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 338 bis 200 v. Chr., ebd. 1969. – R. Malcolm Errington, Die Staatsverträge des Altertums IV: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von ca. 200 v. Chr. bis zum Beginn der Kaiserzeit, unter redaktioneller Mitarbeit von Isabelle Mossong, ebd. 2020.

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

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Interne Konflikte bewältigten Griechen und Römer – anders als wir – nicht durch „Aufarbeitung“, sondern durch Verdrängung: Politisch verordnetes kollektives Vergessen war eine Option, die Aussöhnung und inneren Frieden stiften sollte und konnte. Amnestien etwa waren eine präemptive Maßnahme, um ein Wiederaufleben von Konflikten zu verhüten, Kommunikationsabbrüche zielten auf Prävention. Dieser analytische Essay versammelt prinzipielle Überlegungen zum kollektiven Vergessen sowie dessen Formen und stellt es in den größeren Kontext besonderer mentaler Dispositionen. Die

ISBN 978-3-515-13502-3

9 783515 135023

Antike brauchte das Vergessen. Seine Optionalität steht im engsten Zusammenhang mit der Konfliktunfähigkeit der politischen Kulturen in Hellas und Rom. Alles mündet daher in die These, dass das kollektive Vergessen in den so eigenen antiken Friedensvorstellungen seine letzte Begründung findet. Im Vergessensgebot begegnet uns der tiefste Ausdruck der Totalität von Konsens und Dissens im politischen Empfinden, Denken und Handeln der Griechen und Römer, kannten sie doch nicht den Kompromiss. Interne Konflikte konnten nicht beigelegt, allenfalls eingehegt werden – durch das Vergessen.

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