Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten [1 ed.] 9783428446865, 9783428046867

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Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten [1 ed.]
 9783428446865, 9783428046867

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 379

Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten

Von Karl Doehring, Albert Bleckmann Hartmut Schiedermair, Dietrich Murswiek Kay Hailbronner, Torsten Stein Georg Ress, Hannfried Walter Ludwig Hennemann und Reinhard Mußgnug

Duncker & Humblot · Berlin

Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 379

Recht

Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten

Von Karl Doehring Albert Bleckmann Hartmut Schiedermair Dietrich Murswiek Kay Hailbronner Torsten Stein Georg Ress Hannfried Walter Ludwig Hennemann Reinhard Mußgnug

D U N C K E R

&

H U M B L O T / B E R L I N

Zitiervorschlag (z.B.): T. Stein, Die A b w e h r verfassungsfeindlicher K r ä f t e v o m öffentlichen Dienst i n den Niederlanden, i n : K . Doehring u. a., Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst europäischer Staaten, Berlin 1980, S

Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04686 2

Inhaltsverzeichnis

K a r l Doehring Vorwort

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K a r l Doehring Gesamtbericht über das Recht des öffentlichen Dienstes i n Belgien, England, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden u n d der Schweiz. M i t Hinweisen auf die Hechtsordnung der DDR u n d diejenige internationaler Organisationen unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Verfassungstreue

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A l b e r t Bleckmann Radikale i m öffentlichen Dienst Belgiens

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H a r t m u t Schiedermair u n d Dietrich M u r s w i e k Zugang zum öffentlichen Dienst u n d Verfassungstreue i n England . . .

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K a y Hailbronner Treuepflicht u n d die Grenzen politischer Betätigung i m öffentlichen Dienst Frankreichs

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A l b e r t Bleckmann Radikale i m öffentlichen Dienst der Italienischen Republik

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Torsten Stein Die A b w e h r verfassungsfeindlicher K r ä f t e v o m öffentlichen i n den Niederlanden

Dienst 179

Georg Ress Die Pflicht zur Verfassungstreue i m Recht des öffentlichen Dienstes der Republik Österreich 207

6

Inhaltsverzeichnis

Hannfried Walter Die Sicherung eines loyalen öffentlichen Dienstes i n Schweden

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L u d w i g Hennemann Mangelnde Staatstreue u n d ihre rechtlichen Folgen i m öffentlichen Dienst der Schweiz 349

Reinhard Mußgnug Der Zugang zum öffentlichen Dienst i n der Bundesrepublik Deutschland 415

Autorenverzeichnis

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Vorwort Die hier dargebotene Untersuchung ging aus Überlegungen hervor, die von ihren Bearbeitern zusammen m i t der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission angestellt wurden. Allen Beteiligten — wie auch der Landesregierung von Baden-Württemberg — erschien diese rechtsvergleichende Untersuchung zweckmäßig, was i m folgenden erläutert sei. W i r danken für die Unterstützung, die w i r von der Sektion und der Regierung erhalten haben. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert die Beachtung der sog. hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG). Zu diesen Grundsätzen zählte von jeher und unbestritten die Pflicht des Beamten, seine Dienste dem Staat i n einer A r t zu leisten, die sich von privaten Dienstleistungen wesentlich durch ein besonderes Verantwortungsbewußtsein und eine besondere Verbundenheit m i t dem Staat unterscheidet; die Staatsgewalt ihrerseits ist verpflichtet, diese „Leistung" des Beamten durch besonderes Vertrauen i n seine Loyalität und durch besonderen i h m zu gewährenden Schutz zu kompensieren. Diese so aufgezeigten Grundsätze bestanden niemals um ihrer selbst willen, sondern zum Wohle der Allgemeinheit der Staatsbürger. Aus dieser Grundkonzeption folgt m i t Notwendigkeit, daß als ungeeignet für den Beamtenberuf derjenige angesehen werden muß, der sich einer Auffassung verpflichtet fühlt, welche die aktive Ablehnung der bestehenden Staatsverfassung fordert, wie das ζ . B. i n der Grundsatzerklärung der Deutschen Kommunistischen Partei unmißverständlich dargelegt ist 1 . Das Bundesverfassungsgericht hat i n einer Grundsatzentscheidung 2 diese Zusammenhänge klar aufgezeigt. Dennoch werden immer wieder die Behauptungen aufgestellt, die Entscheidungen der Gerichtsbarkeit 3 seien nicht geeignet, weiterhin bestehende Unklar1 Grundsatzerklärung der Deutschen Kommunistischen Partei, beschlossen auf dem Essener Parteitag v o m 12./13. 4. 1969, Dokumente zur parteipolitischen E n t w i c k l u n g i n Deutschland seit 1945 (Flechtheim), B e r l i n 1971, S. 209 ff. Das Programm von 1978 (Kunz / Maier / Stamme, Programme politischer Parteien i n der Bundesrepublik, 1979, S. 478 ff.) betont zwar, die D K P stehe „auf dem Boden des Grundgesetzes", bekennt sich aber i m Widerspruch hierzu nachdrücklich zum — antiparlamentarischen — Leninismus. 2 BVerfG v. 22. 5. 1975, BVerfGE 39, 334 ff.

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Vorwort

heiten zu beseitigen 4 , und es seien die Anforderungen an die Geeignetheit des Beamtenbewerbers i n der beschriebenen A r t als überzogen zu bewerten. Auch ein sog. „einfaches" Mitglied einer extremistischen oder radikalen Partei müsse zum Beamtenberuf zugelassen werden, falls ihm nicht persönliche, die Verfassung angreifende Aktivitäten nachzuweisen seien. Insbesondere w i r d behauptet, der sog. Radikalenerlaß der Ministerpräsidenten 5 stelle unvertretbar rigorose Forderungen auf, obwohl sein Inhalt nicht mehr enthält als die bisher unangefochtenen oben genannten Grundsätze des deutschen Berufsbeamtentums, wie sie seit langem i n den Beamtengesetzen niedergelegt sind. Die K r i t i k e r des geltenden Rechtszustandes stellen sich offenbar vor, daß die Verpflichtung zur Bekämpfung der Verfassung — enthalten ζ. B. i n der oben genannten Grundsatzerklärung der Deutschen Kommunistischen Partei — vereinbar sei m i t der beamtenrechtlichen Verpflichtung, die Verfassung zu schützen, obwohl die evidente Unvereinbarkeit beider Verpflichtungen schon ein Ergebnis der Logik jenseits aller politischen Erwägungen ist. A u f die so charakterisierte Kontroverse i n der deutschen Innenpolit i k und Rechtspolitik soll hier nicht näher eingegangen werden; sie ist oft und extensiv beschrieben und diskutiert worden®. Wesentlicher aber noch als die begrifflichen Verzerrungen der Rechtslage, wie sie u. a. durch die Erfindung des Schlagworts von den „Berufsverboten" produziert wurden, war für die hier vorgelegte Untersuchung die Feststellung, daß Stimmen aus dem Ausland den Chor der politischen K r i t i ker des Systems der Bundesrepublik verstärken 7 . Daß das kommunistische Ausland der Bundesrepublik die „Berufsverbote" vorwirft, ist selbstverständlich, denn man sieht sich dort um die Möglichkeit der stillen Unterwanderung unseres freiheitlichen Systems gebracht. Die 3 Vgl. B V e r w G v. 6. 2. 1975, B V e r w G E 47, 330 ff.; B V e r w G v. 26. 3. 1975, B V e r w G E 47, 365 ff. 4 Diese K r i t i k ist zusammengefaßt u n d unterstützt von E. Denninger, V e r fassungstreue u n d Schutz der Verfassung, W D S t R L , H. 37, 1979, S. 14 ff. („Unsicherheit über Grenzen u n d Methoden des Schutzes der Verfassung u n d der streitbaren Demokratie".) 5 Wiedergegeben v o n A . Steinkamm, NichtÜbernahme von Verfassungsgegnern i n den öffentlichen Dienst, i n : Rechtsstaat i n der Bewährung, Bd. 7 (hrsg. v. d. Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission), 1979, S. 80 f. 6 Dazu A. Steinkamm, S. 84 ff.; vgl. auch H. H. Klein, Mitbericht über V e r fassungstreue u n d Schutz der Verfassung, W D S t R L , S. 53 ff. u n d insbes. die S. 114 ff. wiedergegebene Diskussion; M. Kriele, Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst — unlösliches Problem? in: Extremismus i m demokratischen Rechtsstaat, hrsg. v. M. Funke, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 1978, S. 335 ff. 7 Dazu A . Enseling, Das Ausland zur Extremismus- u n d Terrorismus-Diskussion i n der Bundesrepublik Deutschland, i n : Extremismus i m demokratischen Rechtsstaat, S. 302 ff.

Vorwort

θ

westeuropäischen Staaten aber sollten Verständnis für die Rechtslage nach der geltenden Verfassung der Bundesrepublik haben, sie sollten die jüngste deutsche Geschichte beachten und die Teilung Deutschlands als einen Faktor i n Betracht ziehen, der politische Unterwanderung i n besonderem Maße ermöglicht. Dem deutschen Reich war es nicht gelungen, die Machtansprüche des Nationalsozialismus abzuwehren. Niemand nun sollte wünschen, daß die gleiche Machtlosigkeit gegenüber radikalen Bestrebungen zur Verfassungsbeseitigung — sei es von links oder von rechts — auch eines Tages das Schicksal der Bundesrepublik bestimmt. Leider besteht vielfach für diese Gefahren i m westlichen befreundeten Ausland zu wenig Verständnis 8 . Unserem Rechtssystem w i r d vorgeworfen, ein so extremes Berufsethos zu fordern, daß die Freiheit des Staatsbürgers leide, wobei übersehen wird, daß nur die Verfassungstreue des Beamten die Freiheit des Bürgers garantiert. Vor allem aber ergibt sich, daß die westlichen Demokratien, aus denen diese K r i t i k zu vernehmen ist, durchaus ihrerseits und für ihre eigenen Belange auf die Forderung nach Verfassungstreue der eigenen Beamte nicht verzichten. Wenn von der Bundesrepublik verlangt wird, man solle doch auch i m öffentlichen Dienst und i m Beamtentum die politischen Bestrebungen aller A r t und ausnahmslos dem Prozeß der demokratischen Selbstregulierung überlassen 9 , ist doch demgegenüber die Feststellung zu treffen, daß die von uns verteidigten Grundsätze in anderen vergleichbaren Rechtsordnungen m i t sehr viel einfacheren Mitteln geschützt werden, nämlich u. a. m i t der stärkeren Macht der Exekutive, die — gemessen am Rechtssystem der Bundesrepublik — auf diesem Gebiet erheblich geringerer Gerichtskontrolle unterworfen ist und sich so nicht ständig i n aller Öffentlichkeit für ihr Verhalten gegenüber Beamtenbewerbern rechtfertigen muß. Die nachfolgende Darstellung vergleichbarer Rechtssysteme westeuropäischer Staaten w i r d die Richtigkeit dieser Behauptungen nachweisen und soll die K r i t i k e r unseres Systems zum Nachdenken veranlassen. Heidelberg, i m März 1980

Karl

Doehring

8 Vgl. dazu die Diskussionsbeiträge ausländischer Juristen, i n : Rechtsstaat i n der Bewährung, S. 125 ff. 9 So H. Thoolen, Diskussionsbeitrag, i n : Rechtsstaat i n der Bewährung, S. 156 f.

Gesamtbericht über das Recht des öffentlichen Dienstes in Belgien, England, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden und der Schweiz Mit Hinweisen auf die Rechtsordnung der D D R und diejenige internationaler Organisationen unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Verfassungstreue Von K a r l Doehring

Vorbemerkung Die Gliederung des nachfolgenden Berichts hatte sowohl auffindbare Gemeinsamkeiten der zu betrachtenden Rechtsordnungen zu berücksichtigen, als auch ihre zum Teil fundamentalen Unterschiede. Darüber hinaus erschien es notwendig, als gemeinsame Ausgangsperspektive das Recht der Bundesrepublik Deutschland zu verwenden, denn an i h m und seinen gerade aus ausländischer Sicht kritisierten Besonderheiten des Beamtenrechts sollte — siehe dazu die Einleitungsbetrachtung — die Gesamtbeurteilung vergleichbarer europäischer Rechtsordnungen gemessen werden. Diese vergleichende Betrachtung beruht auf Fragestellungen, w i e sie den Bearbeitern der Einzelberichte über die genannten Staaten vorgeschlagen wurden. Die Unterschiede i n den behandelten Rechtsordnungen machten es allerdings nicht möglich, ein festes Schema für die Untersuchungen zu liefern. So ergab sich, daß zu manchen Fragen aus der Sicht der behandelten Rechtsordnungen eine A n t w o r t möglich war, andere Fragen aber nur zum Teil sinnvoll auf die verschiedenen Rechtsordnungen bezogen werden konnten, und wieder andere Fragen unbeantwortet bleiben mußten, wenn das betreffende Problem i n einer staatlichen Rechtsordnung unbekannt ist oder die besondere Struktur einer Rechtsordnung schon die Fragestellung als solche ausschloß, was allerdings — wie zu zeigen sein w i r d — relativ selten der Fall ist. Eine Gesamtwürdigung w i r d nach Behandlung der Einzelfragen vorgelegt. Hier kann aber schon soviel gesagt werden, daß jedenfalls die Natur der Sache „öffentlicher Dienst" eine fruchtbare Vergleichung der Rechtsordnungen dieser „westlichen" Demokratien zuläßt. Das gleiche gilt

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K a r l Doehring

dann auch für die Betrachtung des öffentlichen Dienstrechts i n den Europäischen Gemeinschaften und den Vereinten Nationen, wobei für letztere, da diese Organisation Staaten sehr unterschiedlicher innerstaatlicher Rechtsstruktur vereinigt, die aufzuzeigende Vergleichbarkeit m i t gerade den hier behandelten „westlichen" Rechtsordnungen überrascht. Ein ganz anderes B i l d bietet die als Beispiel verwendete Rechtsordnung des „sozialistischen" Staates DDR, die nur deshalb hier eingehender behandelt wird, weil die von ihrer Regierung vorgebrachte K r i t i k an dem System der Bundesrepublik gemessen am eigenen Regime sich dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit aussetzen muß. Die Gliederung dieses Gesamtberichts könnte den Eindruck erwekken, als ginge es um eine Allgemeinbetrachtung des Beamtenrechts und des Rechts des öffentlichen Dienstes. Es sei deshalb darauf hingewiesen, daß trotz der allgemeingehaltenen Überschriften der einzelnen Positionen das spezielle Ziel der Untersuchung, nämlich die Darstellung, wie diese Rechtsordnungen die Bewahrung der Verfassungstreue i m öffentlichen Dienst sichern, besteht und gewahrt bleibt.

Inhaltsübersicht I. Rechtsvergleichende Darstellung 1. Die allgemeinen Rechtsgrundlagen des öffentlichen Dienstes (Verfassungsrecht, Gesetzesrecht u n d Gewohnheitsrecht) 2. Allgemeine Treue- u n d Loyalitätspflichten des öffentlichen Dienstes gegenüber Staat u n d Nation 3. Besondere Treueverpflichtungen der Mitglieder des öffentlichen Dienstes, insbes. E i d u n d Gelöbnis 4. Voraussetzungen u n d Bedingungen f ü r die Zulassung zum öffentlichen Dienst, insbes. die Frage eines Anspruchs auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst u n d Entscheidung über die Einstellung 5. Personelle Überprüfung des Bewerbers bei der Einstellung i n den öffentlichen Dienst, insbes. Sicherheitsüberprüfung 6. Berücksichtigung der persönlichen, gegen den Bestand der Verfassung gerichteten Einstellung des Bewerbers f ü r den öffentlichen Dienst, insbes. Berücksichtigung extrem p o l i t i scher Anschauungen 7. Begründungszwang bei Ablehnung einer Bewerbung u m die Einstellung i n den öffentlichen Dienst 8. Gerichtsschutz gegen die A b l e h n u n g eines Bewerbers f ü r den öffentlichen Dienst : 9. Entlassung aus dem öffentlichen Dienst 10. Besonderheiten der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft u n d der Anwaltschaft 11. Besonderheiten der Lehrer- u n d Hochschullehrerschaft 12. Besonderheiten des M i l i t ä r s u n d der Polizei 13. Ergebnisse der Rechtsvergleichung

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Gesamtbericht I I . Die D D R als Beispiel für das Rechtssystem kommunistischer Staaten I I I . Internationales Beamtenrecht 1. Die Rechtslage i n den Europäischen Gemeinschaften 2. Die Rechtslage i n den Vereinten Nationen I V . Internationaler Menschenrechtsschutz u n d öffentlicher Dienst 1. Die Europäische Menschenrechtskonvention 2. Der Menschenrechtspakt der Vereinten Nationen

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I. Rechtsvergleichende Darstellung 1. Die allgemeinen Rechtsgrundlagen des öffentlichen Dienstes (Verfassungsrecht, Gesetzesrecht und Gewohnheitsrecht)

Verfassungsrechtliche Vorschriften, die der institutionellen Garantie des Berufsbeamtentums i n der Bundesrepublik Deutschland entsprechen (Art. 33 Abs. 5 GG), existieren i n den Verfassungen der hier bearbeiteten Rechtsordnungen i n gleicher A r t nicht. Ob ungeschriebene Rechtssätze, Verfassungsgewohnheitsrecht oder Grundentscheidungen über die Rechtsnatur des Staates auch dann, wenn sie expressis verbis nicht zum Ausdruck kommen, die Feststellung rechtlicher Ähnlichkeiten zulassen, muß dahingestellt bleiben. So enthält die Verfassung von Belgien keine besonderen Vorschriften. Die Verfassungen Frankreichs, Italiens und Österreichs beschränken sich auf die Garantie des Zuganges aller Staatsbürger zum öffentlichen Dienst, und das gleiche gilt für die Verfassung der Niederlande, die garantiert (Art. 5 Abs. 2), daß „jeder Niederländer für jedes öffentliche A m t ernennbar" sei. Das System des öffentlichen Dienstes der Schweiz beruht, wenn auch unterschiedlich i n Bund und Kantonen, auf Beamtenwahlsystemen, so daß schon wegen dieser Verschiedenheit die Vergleichbarkeiten, die noch zu zeigen sind, sich anders darstellen. Das gleiche gilt für Schweden, da die dortige Rechtsordnung das früher bestehende Beamtenrecht, deren Grundstruktur demjenigen der Bundesrepublik ähnlich war, trotz langer Tradition aufgehoben hat und zu einem arbeitsrechtlichen System überging. Da England über keine geschriebene Verfassung verfügt, könnten Zweifel über den Bestand eines dem deutschen Verfassungsrecht vergleichbaren Beamtentums bestehen; gerade dort aber sind aus Gründen des common law, i n seiner Eigenschaft als quasi-Verfassungsrecht, die Ähnlichkeiten am stärksten, wie auch noch zu zeigen sein wird. Andererseits bestehen bei der überwiegenden Zahl der Staaten besondere gesetzliche Regelungen einfachen Ranges. Das gilt für Belgien,

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dessen Gesetzgebung über eine weite Gestaltungsfreiheit verfügt, für Frankreich, dessen grundsätzliche Regelungen sich i n einem besonderen Beamtenstatut finden, für die Niederlande, ergänzt durch Verordnungen, und für Österreich. England kennt keine umfassende Regelung des civil service. I n Schweden bestehen nur noch Arbeitsverhältnisse zivilrechtlicher A r t , so daß der Gesetzgeber auf die rechtliche Regelung nur des Arbeitsrechts Einfluß nehmen kann. I n der Schweiz besteht eine entsprechende Gesetzgebung über das Dienstverhältnis der Beamten, die aber auf das schon erwähnte System des Wahlrechts Bezug nimmt. Die i m Recht des öffentlichen Dienstes i n der Bundesrepublik Deutschland bestehende Unterscheidung zwischen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes ist i n einigen Staaten ebenfalls feststellbar, in anderen aber unbekannt. I n dieser Beziehung einfach ist die Rechtslage i n Schweden, da dort ausnahmslos — wenn auch m i t gewissen Sonderbestimmungen für die Arbeitnehmer i m öffentlichen Dienst — Arbeitsrecht gilt. Die übrigen Staaten lassen sich i n Gruppen einteilen. Die Rechtsordnungen Belgiens, Englands und Italiens enthalten die entsprechende Unterscheidung nicht, während Frankreich, die Niederlande und Österreich zwischen Beamten und vertragsrechtlich Angestellten unterscheiden. I n Österreich ist die A r t der Beschäftigung für die Unterscheidung unbeachtlich, obwohl die Schlüsselpositionen der Staatsverwaltung durch Beamte besetzt sind. Auch i n der Schweiz ist trotz des speziellen Wahlsystems die Unterscheidung zwischen Beamten und Angestellten bekannt, wenn auch beide Gruppen gleichermaßen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. Die aufgezeigte Unterscheidung ist auch maßgebend für die Frage, inwieweit das Recht des öffentlichen Dienstes eine Beschäftigung auf Lebenszeit vorsieht. Da i n Schweden Arbeitsrecht gilt, ist auch die sachlich begründete Kündigung bzw. Befristung des Dienstes zulässig, obgleich auch die Anstellung auf Lebenszeit („mit Vollmacht") ausgesprochen werden kann. Wegen der arbeitsrechtlichen Natur des Dienstverhältnisses ist auch das Streikrecht nicht ausgeschlossen. I n der Schweiz hängt die Dauer der Tätigkeit von der Zeitspanne ab, für die der Beschäftigte gewählt wurde; die Anstellung auf Lebenszeit ist nur i n einigen Kantonen bekannt. I n den Niederlanden w i r d innerhalb der Gruppe der Beamten zwischen solchen m i t festem Dienstverhältnis und solchen m i t zeitlicher Begrenzung des Dienstverhältnisses unterschieden. Die Rechtsordnungen der übrigen Staaten scheinen insoweit keine Besonderheiten aufzuweisen, so daß vom Grundsatz der Anstellung auf Lebenszeit ausgegangen werden kann. Daß die Kategorie der i m deutschen Recht sog. politischen Beamten personeller Auswechselbarkeit zugänglich ist, scheint ebenfalls allgemein zu gelten.

Gesamtbericht

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Es ließen sich i m Hinblick auf allgemeine Grundlagen des öffentlichen Dienstes sicherlich noch weitere Unterscheidungen treffen, ζ . B. bezüglich der Frage der Geltung der Grundrechte für den öffentlichen Dienst; derartige Betrachtungen werden aber noch i m Zusammenhang m i t den weiteren einzelnen Darstellungen angestellt.

2. Allgemeine Treue- und Loyalitätspflichten des öffentlichen Dienstes gegenüber Staat und Nation

Angesichts der Tatsache, daß aus der Sicht vieler ausländischer Beobachter und K r i t i k e r offenbar als typisches Merkmal der deutschen Rechtsordnung gilt, von den Beamten eine besondere Treue zum Staat zu verlangen, erschien es angebracht, die entsprechende Frage für fremde Rechtsordnungen zu prüfen. Dabei zeigt sich, daß jede der hier behandelten Rechtsordnungen, wenn auch nicht in pathetischer Weise, so doch m i t großer Selbstverständlichkeit ebenfalls von den Mitgliedern des öffentlichen Dienstes eine seriöse Loyalität gegenüber dem Staat oder der Nation erwartet bzw. ihr Fehlen als ernsthaftes Hindernis ordentlicher Amtsausübung qualifiziert. So mag der Unterschied zur Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland mehr i m verbalen Ausdruck zu finden sein als i n der Sache selbst. Das bedeutet, daß derjenige, der seine Bereitschaft bekennt, die bestehende Staatsgewalt m i t Gewalt bekämpfen zu wollen, auch i m öffentlichen Dienst der fremden Staaten als für diesen ungeeignet betrachtet würde. Es w i r d vielfach behauptet — Einzelheiten werden noch dargestellt —, daß nicht die Gesinnung, sondern nur das Verhalten einen entsprechenden Prüfungsmaßstab für die geforderte Loyalität hergeben dürfe, doch scheint man überwiegend auch davon auszugehen, daß die Gesinnung zwar nicht unbeachtlich, aber doch ungefährlich ist, wenn sie sich nicht in einem gefährlichen Verhalten konkretisiert. Ein weiterer Unterschied zur Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland i n Bezug auf die Loyalitätspflichten des öffentlichen Dienstes ist i n dem Umstand zu finden, daß die fremden hier betrachteten Verfassungen überwiegend keine ausdrückliche Staatsziel- und Staatsgestaltungsbestimmung enthalten, während es i n der Bundesrepublik einfacher war, die Loyalität des Beamten auf eine konkrete Staats- und Regierungsform zu beziehen, wurde doch gerade das Fehlen einer solchen i m Jahre 1949 bei Erlaß des Grundgesetzes als schwerer Fehler der Weimarer Verfassung und als einer der Gründe ihres Versagens gewertet. Insgesamt aber läßt sich feststellen, daß .die Natur der Sache, nämlich die besondere Loyalitätspflicht des öffentlichen Dienstes, allgemein festgestellt werden kann.

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Die Einteilung i n abgrenzbare Typengruppen erscheint für die hier zu behandelnde Frage nicht angebracht, was sich aus den folgenden Betrachtungen ergeben wird. Es seien deshalb die entscheidenden Gesichtspunkte für jeden Staat einzeln aufgezeigt. Die Rechtsordnung Belgiens anerkennt eine Loyalitätspflicht der Beamten gegenüber dem Staat, nicht unbedingt gegenüber der amtierenden Regierung. Die Abgrenzung dieser Pflicht ist dadurch erschwert, daß eine Grenze der Verfassungsänderung, wie das Grundgesetz der Bundesrepublik sie enthält, i m positiven Recht Belgiens keinen Ausdrude gefunden hat. Jedenfalls ist das Interesse des Staates zu wahren und ein Verhalten ist zu vermeiden, das der Würde des Amtes oder derjenigen der Verwaltung abträglich sein könnte. Die Beteiligung am politischen Kampf ist dann insoweit unzulässig, als dadurch die Unparteilichkeit des Beamten zweifelhaft erscheinen könnte. Der Beamte Frankreichs genießt zwar das Recht zur politischen Meinungsäußerung, ist jedoch zur Zurückhaltung auch bei Ausübung seiner politischen Rechte gehalten. Trotz aller ihm gewährter Freiheit ist seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat und der Nation unangezweifelt, wenn auch nicht gefordert wird, ein gesinnungsmäßiges Bekenntnis zur Verfassung betont zu demonstrieren. Die Loyalitätspflicht hat vor allem die Zurückhaltung i n politischen Fragen zum Inhalt, die Neutralität bei Wahrnehmung des Amtes und die hierbei zu beachtende Funktion der konkreten Amtsstellung. Unparteilichkeit gegenüber und Unabhängigkeit von politischen Einflüssen erscheint geboten. Der Dienst für die Nation gilt als Besonderheit gegenüber dem allgemeinen Arbeitsrecht. Die Pflicht zur Treue und zum loyalen Verhalten gegenüber dem Staat bzw. der Krone ist i n England unangezweifelt, auch wenn moderne Bestrebungen die Einhaltung der Tradition beeinflußt haben mögen. Die Ausführung der jeweiligen Regierungspolitik ist Pflicht jedes Mitgliedes des civil service. Die Kontinuität der Beamtenschaft auch bei Regierungswechsel schon verlangt, daß der öffentliche Dienst dem Staat ungeteilte Loyalität zu erweisen hat. Ähnlich wie i m Recht der Bundesrepublik Deutschland ist auch der Verfolgung von Privatinteressen des Beamten durch die Amtspflicht eine Grenze gezogen. Da i n der Verfassung Italiens eine Treuepflicht jedes Bürgers zum Staat ihren Ausdruck findet, hat man offenbar auf eine spezielle verbale Betonung besonderer Beamtenpflichten i n dieser Hinsicht verzichtet. Dennoch ist auch i n der Rechtsordnung eine gesteigerte Loyalitätspflicht des Beamten gegenüber dem Staat anerkannt, wenn w o h l auch nicht m i t der Konsequenz, wie die Rechtsordnung der Bundesre-

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publik sie enthält. Die Inhaberschaft leitender Dienstposten hat gesteigerte Pflichten zur Folge. Treuepflichten des Beamten werden i n der Rechtsordnung der Niederlande nicht ausdrücklich genannt, durchaus aber w i r d die Verpflichtung zu sorgfältiger Amtsführung betont, was sich auch auf das Ausmaß und die A r t politischer Betätigung einschränkend auswirkt. Das Maß dieser A r t unpathetischer Loyalitätspflicht bestimmt sich auch nach der Funktion des konkreten Amtes, wobei Gesinnung und Verhalten als unterscheidbar gelten. Vom Beamten w i r d erwartet, daß er staatsgefährdende Aktivitäten unterläßt und nicht Mitglied einer anti-demokratischen Vereinigung ist. Da, anders als i n der Bundesrepublik, die Verfassung als nur formelles Gesetz gilt, stellt sich die Frage der Beamtentreue nicht in gleicher Präzision. Die Rechtsordnung Österreichs ist i n ihren hier interessierenden Grundzügen derjenigen der Bundesrepublik Deutschland recht ähnlich, auch wenn eine Treuepflicht des Beamten i n der Verfassung nicht ausdrücklich enthalten ist. Die sog. Dienstpragmatik enthält die Pflicht, der Republik treu zu dienen und Verfassung und Gesetzen Gehorsam entgegenzubringen. Es bestehen Versuche, eine besondere Treuepflicht zu präzisieren, doch bisher ohne konkretes Ergebnis, obwohl die A b wehr verfassungsgefährdender Bestrebungen als Problem erkannt ist. Das Bestehen staatstreuer Gesinnung darf nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs als Voraussetzung für die Beamtenanstellung gewertet werden, wenn auch insoweit nur die Pflicht gefordert wird, der Regierung loyal zu dienen und nicht eine solche, i n besonderem Maße positiv für die Verfassung einzutreten. Die Rechtsordnung Schwedens anerkennt eine Pflicht zur Loyalität nur i m Rahmen einer funktionalen Betrachtung des öffentlichen Dienstes, was daran liegen mag, daß eine Beamtenschaft, wie schon gezeigt, als Institut nicht existiert. Diese Pflicht bezieht sich vor allem auf die Gesetzeseinhaltung. Ein Verstoß gegen diese allgemeine Loyalitätspflicht w i r d m i t allgemeinen Sanktionen beantwortet, auf die an späterer Stelle hinzuweisen ist. Vergleichbar m i t dem Recht der Bundesrepublik ist i n der Schweiz trotz des Beamtenwahlsystems ein von der Treuepflicht zum Staat geprägtes Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Beamten feststellbar. Die Treue- und Loyalitätspflicht des öffentlichen Dienstes ist gesetzlich formuliert. Es w i r d nicht als i n negativem Sinne ausreichend angesehen, wenn nur Nichtteilnahme des Beamten an revolutionären Bestrebungen festgestellt werden kann. Eine positive Einstellung zum Staat w i r d gefordert. 2 Verlassungstreue

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K a r l Doehring 3. Besondere Treueverpflichtungen der Mitglieder des öffentlichen Dienstes, insbesondere Eid und Gelöbnis

Nach dem oben gegebenen Überblick über allgemeine Treue- und Loyalitätspflichten des öffentlichen Dienstes soll i m folgenden noch auf besondere und konkretisierte Pflichten hingewiesen werden. Grundrechtsbeschränkungen für den öffentlichen Dienst i m Hinblick auf die zu fordernde besondere Loyalität sind i n einigen Staaten durchaus vorgesehen. Sehr allgemein gilt das w o h l für alle Rechtsordnungen, da eine gewisse politische Zurückhaltung i m Hinblick auf die Amtsfunktion generell gefordert wird, auch wenn grundsätzlich das Grundrecht der Freiheit etwa zur Meinungsäußerung anerkannt isit Besonders ist dabei hinzuweisen auf England, wo politische Polemik des Beamten als suspekt gilt und auch der Versuch, die eigene politische Anschauung gegen die Regierungspolitik durchzusetzen. Unbedingte Loyalität ist gefordert, auch wenn der Beamte die politische Richtung der Regierung nicht akzeptiert. Extreme Manifestation politischer Ansichten, z. B. Teilnahme an Demonstrationen, die zum Umsturz der Republik aufrufen, ist dem Beamten i n Frankreich ebenso versagt, wie „unangemessene" politische Betätigung, z. B. Verunglimpfung der Nation und überzogene K r i t i k an Regierung und Verwaltung. I n Italien sind Grundrechte des Beamten ebenfalls durch die Treueverpflichtung als beschränkbar anzusehen, obgleich bei der Güterabwägung die Grundrechte auch Vorrang genießen können. Gewisse Freiheitsbeschränkungen dieser A r t hat auch der Beamte i n der Schweiz hinzunehmen. Für die hier nicht genannten Rechtsordnungen sind Besonderheiten nicht festzustellen bzw. bildete die aufgezeigte Spannungslage kein Problem. Die Mitgliedschaft des Beamten i n politischen Parteien und Vereinigungen ist ebenfalls eine Frage, die i n manchen der behandelten Rechtsordnungen relevant wurde. So ist i n Belgien eine Vereinszugehörigkeit dann nicht zulässig, wenn der Verein dem Staat feindselig gegenübertritt. Eine früher vorgesehene Registrierung solcher Vereine ist entfallen. Die Mitgliedschaft allerdings des Beamten kann Entlassungsgrund sein. I n Italien gilt, obwohl umstritten, der Grundsatz, daß die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, deren Ziele m i t der Rechtsordnung i n Widerspruch stehen, dem Beamten nicht versagt ist. I n den übrigen hier nicht besonders genannten Rechtsordnungen scheint das Problem nicht aufzutreten oder als irrelevant zu gelten. Die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften scheint weitgehend als zulässig angesehen zu werden, während die Zulässigkeit des Streikrechts unterschiedlich gewertet wird. Da Arbeitsrecht und Beamtenrecht i n vielen Staaten un-

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kodifizierte Materien sind, können nur einige Hinweise gegeben werden. I n Frankreich ist der Beamtenstreik erlaubt, wenn auch m i t Einschränkungen für einige Kategorien des öffentlichen Dienstes; das gleiche gilt für Italien und Schweden. Von besonderem Interesse ist i m Hinblick auf eine gesteigerte Treueund Loyalitätspflicht des öffentlichen Dienstes die Frage, inwieweit an der traditionellen Pflicht zur Eidesleistung festgehalten wurde. Das ist häufiger der Fall als i m Hinblick auf die K r i t i k des Auslandes am System der Bundesrepublik angenommen werden könnte. Die Pflicht zur Eidesleistung besteht i n Belgien, England (uneinheitlich und ζ. T. ersetzt durch Treueerklärung), Italien, den Niederlanden und ζ . T. auch i n der Schweiz, während nur i n Frankreich und i n Schweden die früher auch dort bekannte Eidespflicht aufgehoben wurde. A u f Besonderheiten bei der Richterschaft ist noch einzugehen. Die Rechtsordnung Österreichs n i m m t eine Mittelstellung ein, da dort zwar die Eidespflicht aufgehoben, aber doch durch eine „Angelobung" ersetzt wurde. Man ersieht aus diesem Uberblick, daß eine besondere Treuepflicht der Beamtenschaft überwiegend auch auf diese recht traditionelle Weise noch zum Ausdruck gebracht wird. 4. Voraussetzungen und Bedingungen für die Zulassung zum öffentlichen Dienst, insbesondere die Frage eines Anspruchs auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst und Entscheidung über die Einstellung

Für die hier speziell interessierenden Fragen nach der Abwehr bzw. Nichtzulassung von Bewerbern, deren Verwendung eine Gefährdung der Verfassungsordnung bedeuten könnte, ist das Auswahlverfahren von besonderer Bedeutung. Die Systeme der einzelnen Staaten sind verschieden. So ist eine Unterscheidung von Staaten, die ein förmliches Wettbewerbsverfahren eingerichtet haben, von solchen Staaten zu treffen, die zwar eine Auswahl der Bewerber nach Geeignetheit vornehmen — was w o h l überall der Fall ist —, i n denen aber eine feste Formalisierung fehlt. I n Belgien findet ein Wettbewerb für bestimmte Gruppen des öffentlichen Dienstes statt, allerdings nicht ausnahmslos, da auch Dienstposten unter Ausübung recht freien Ermessens der entscheidenden Behörde besetzt werden können. Auch Frankreich kennt ein Wettbewerbsverfahren nach allgemeiner öffentlicher Stellenausschreibung, das sich allerdings auch nicht auf die Anstellung hoher Beamter bezieht; hier herrscht ebenfalls ein weiter Ermessensspielraum der Regierung. Die Modalitäten des Wettbewerbsverfahrens werden von den zuständigen Ministerien festgelegt. Die Entscheidung über die Zulassung zum Aus2*

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K a r l Doehring

wahlverfahren liegt bei der Regierung, die insoweit wiederum über einen Ermessensspielraum verfügt, während die Entscheidung über die i m Wettbewerb erbrachten Leistungen von einer Jury getroffen wird. Ähnliches gilt i n Italien. Auch dort kann der regelmäßig vorgesehene Wettbewerb für bestimmte Dienstposten (auswärtiger Dienst) ausgeschlossen werden. Regelmäßig aber hat derjenige, der erfolgreich den Wettbewerb abschließt, zumindest einen Anspruch auf Aufnahme i n den Probedienst. I n England werden die Bewerber durch eine Kommission ausgewählt, die dem Minister für ihre Arbeit verantwortlich ist, selbstentworfenen Richtlinien folgt und i n der Durchführung ihrer Aufgabe recht frei gestellt ist. Eine Stellenausschreibung findet auch i n den Niederlanden statt, allerdings ohne förmliches Wettbewerbsverfahren. Zuständig für die Entscheidung über die Einstellung ist die entsprechende Behörde i m Auftrag der Regierung. I n Österreich besteht zwar ein Anspruch darauf, daß die Bewerbung entgegengenommen und geprüft wird, aber die Entscheidung w i r d nicht auf Grund eines förmlichen Wettbewerbsverfahrens getroffen, sondern vom zuständigen Ressortminister, obwohl Bestrebungen für die Einsetzung unabhängiger Kommissionen vorhanden sind. Die Einstellung i n Schweden muß dem verfassungsrechtlich statuierten Gebot der Sachlichkeit entsprechen. Dabei sind Eignung und Befähigung des Bewerbers maßgebend, aber auch öffentliche Belange, wie z. B. die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die endgültige Stellenbesetzung gilt als typischer Fall der Ermessensausübung. Als Voraussetzungen, zum Beamten gewählt zu werden, gelten i n der Schweiz unter anderem Vorbildung, Tauglichkeit und Prüfungszeugnisse, also Fragen der Geeignetheit. Die Wahl erfolgt regelmäßig auf Grund von Ausschreibungen. Da i n den behandelten Rechtsordnungen w o h l durchgängig der Grundsatz des Rechts auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst besteht — besonders betont i n Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und Schweden — sind auch spezielle Diskriminierungsverbote durchaus bekannt, so insbesondere i n den Niederlanden, zumindest auf Grund der herrschenden Verwaltungspraxis, die z. B. Religionszugehörigkeiten nicht berücksichtigen darf, i n Österreich Rasse, Sprache, Religion und i n Schweden, wo regelmäßig die politische Anschauung als irrelevant gilt. W i l l k ü r erscheint durchgehend als Maßstab für unzulässige Auswahl. I m Rahmen der Vorprüfung zur Feststellung der Geeignetheit des Bewerbers w i r d überwiegend auch die bisherige Lebensführung gewürdigt. Hierauf w i r d insbesondere hingewiesen i n Belgien, i n Italien und i n den Niederlanden. Einzelheiten hierüber werden noch i m Zusammen-

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hang m i t der Überprüfungspraxis dargestellt. Das Gewicht, das der Frage der persönlichen Geeignetheit allgemein beigemessen wird, kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß vor endgültiger Anstellung weitgehend das Absolvieren einer entsprechenden Probezeit vorgesehen ist. I n Belgien ist ein Vorbereitungsdienst angeordnet, i n Frankreich eine Probezeit, deren erfolgreicher Abschluß erst die Ernennung zur Folge haben kann, i n England bestehen gleiche Voraussetzungen für die Anstellung i n einem dauernden Dienstverhältnis, Ähnliches gilt für Italien, die Niederlande und die Schweiz. Für Österreich und Schweden w i r d das gleiche angenommen werden können; die Bearbeiter dieser Staaten erwähnen das jedoch nicht ausdrücklich. Besondere Beachtung hat i m hier interessierenden Zusammenhang die Frage zu finden, ob und inwieweit ein Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst anerkannt ist, während die Frage nach dem Bestehen eines Gerichtsschutzes bei Ablehnung der Bewerbung später untersucht wird. Die besondere Bedeutung der folgenden Betrachtung ergibt sich aus der Erwägung, daß dann, wenn Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst nicht anerkannt ist, die Abweisung solcher Bewerber, bei denen die Geeignetheit i m Hinblick auf die Beachtung der Verfassung und der Gesetze zweifelhaft erscheinen könnte, sich rechtlich erheblich einfacher gestaltet bzw. auf einem erheblich erweiterten Ermessenspielraum beruhen kann. Wegen der i n dieser Beziehung bestehenden Verschiedenartigkeit der Systeme läßt sich eine Einteilung i n Gruppen nur schwer vollziehen, und es werden deshalb für jeden Staat gesondert die Hinweise gegebeni n Belgien hat der „Sieger" i n einem Wettbewerb einen Anspruch auf Aufnahme i n den Vorbereitungsdienst, nach dessen erfolgreicher Beendigung ebenfalls ein Anspruch auf Einstellung anerkannt ist. Allerdings ist eine Entfernung aus dem Vorbereitungsdienst zulässig, wenn die Unfähigkeit bzw. Ungeeignetheit des Bewerbers festgestellt werden kann. I n Frankreich besteht zwar ein Anspruch auf Zulassung zum Auswahlverfahren nicht, aber doch ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung. Nach der Zulassimg zu und Teilnahme an diesem Verfahren sind die Ablehnungsgründe aber dann eingeschränkt. Während der Probezeit ist die Entlassung wegen Ungeeignetheit zulässig. I n England w i r d jeder Rechtsanspruch auf Aufnahme i n den civil service recht strikt abgelehnt. I n Italien hat der „Sieger" i m Wettbewerb wiederum einen Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst, obwohl dann i n bezug auf die endgültige Einstellung ein weiter Ermessensspielraum der Behörde anerkannt ist. Ein Anspruch auf Einstellung besteht i n den Niederlanden nicht und wohl auch kein solcher auf fehlerfreie Ermessensausübung, wie es i n der Bundesrepublik Deutschland die Rechtslage gebietet. Auch eine zufriedenstellende Probezeit erzeugt keinen solchen Anspruch. I n

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Österreich besteht lediglich ein Anspruch auf Teilnahme an der Bewerbung, kein solcher hingegen bezüglich der Anstellung selbst. Ein A n spruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ist ebenfalls nicht anerkannt, da ein subjektives Recht auf das A m t nicht besteht. Bemerkenswert ist, daß auch i n der Rechtsordnung Schwedens kein Anspruch auf Einstellung i n den öffentlichen Dienst besteht. Auch i n dieser Rechtsordnung, die dadurch so prononciert liberalisiert worden ist, daß vom traditionellen Beamtentum zum Arbeitsrecht übergewechselt wurde, gilt die A n stellung i m öffentlichen Dienst als typisches Beispiel der Ermessensausübung der Behörden, auch wenn außergerichtliche Kontrollmöglichkeiten (Aktenöffentlichkeit, formalisiertes Verfahren, Ombudsman) vorhanden sind. Daß i n der Schweiz regelmäßig kein Einstellungsanspruch bestehen kann, ergibt sich aus dem Beamtenwahlrechtssystem. N u r bei der Wiederwahl besteht eine gewisse rechtliche Anwartschaft. Diese Ubersicht zeigt, daß trotz aller Unterschiede i n den einzelnen Systemen m i t einem Anspruch auf Annahme i n den öffentlichen Dienst zurückhaltend und überwiegend ablehnend umgegangen wird. Es ist daher zweierlei festzustellen. Das System der Bundesrepublik Deutschland, das einen entsprechenden Anspruch nicht kennt, ist insoweit doch großzügiger ausgestaltet, als es i m Gegensatz zu den meisten der aufgezeigten Rechtsordnungen doch einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Anstellung enthält. Zum anderen ergibt sich, daß die Abwehr von verfassungsgefährdenden Bewerbern i n nahezu allen behandelten Rechtsordnungen durchaus einfach vollzogen werden kann und nur dann der i m Recht der Bundesrepublik Deutschland auftretenden Problematik ausgesetzt wäre, wenn ein Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst und eine entsprechende Justiziabilität anerkannt wären. Das aber ist, was noch näher ausgeführt werden wird, auch nicht der Fall. Schon hier w i r d bemerkbar, daß — m i t Ausnahme der Rechtsordnung wohl Italiens und i n anderer Weise auch derjenigen Schwedens (vgl. die oben genannten außergerichtlichen Kontrollmöglichkeiten) — die Entscheidung der Exekutive i m Hinblick auf die Beamtenanstellung eine weniger kontrollierte und weniger begrenzte Freiheit umfaßt und dam i t auch die rechtliche Möglichkeit eröffnet, ungeeigneten w e i l „gefährlichen" Bewerbern ohne Spektakulum und i n gewisser Weise stillschweigend den Zugang zum Staatsdienst zu sperren. Bei Behandlung der Frage des Begründungszwanges und des Gerichtsschutzes w i r d dieser Unterschied zum System der Bundesrepublik Deutschland noch deutlicher gezeigt werden.

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5. Personelle Überprüfung des Bewerbers bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst, insbesondere Sicherheitsüberprüfung

Wohl i n keiner der behandelten Rechtsordnungen w i r d auf jede Würdigung des persönlichen Vorlebens des Bewerbers verzichtet, was auch durchaus als Selbstverständlichkeit erscheint. Aus einigen Staaten sind hierüber allerdings Einzelheiten kaum zu erfahren. I n Belgien sind Methode und Inhalt der Auskunftseinholung wenig transparent, obwohl ihr Effektivität zuerkannt wird. Ein gewisser Einfluß soll den Auskünften politischer Parteien zugebilligt werden. I n Italien findet offenbar außer der üblichen und normalen Kontrolle keine besondere Uberprüfung des Bewerbers statt. I n Österreich werden Recherchen durch die Staatspolizei angestellt, wobei nicht bekannt ist, inwieweit die Ergebnisse als Informationen weitergegeben werden; eine besondere Verfassungssc^utzeinrichtung besteht nicht. Auch i n der Schweiz bestehen insoweit wenig gesetzliche Regelungen. Bei Bekanntwerden extrem politisdier Anschauungen eines Bewerbers, insbesondere seiner Ablehnung der Verfassungsordnung, erfolgt keine Anstellung. Auskünfte werden i m übrigen durch die Polizei eingeholt. Eine auch praktizierte besondere Sicherheitsüberprüfung ist gegenüber einer allgemeinen Auskunftseinholung nicht scharf abgrenzbar. Bei der Besetzung hoher und deshalb einem Sicherheitsrisiko ausgesetzter Positionen werden i n England besondere und auch politische Nachforschungen angestellt, für die eine Spezialkommission zuständig ist. Politische Ansichten eines Bewerbers oder eines Beamten werden nur i n Bezug auf die Staatssicherheit als relevant angesehen. Ein besonderes Verfahren wurde als Reaktion auf Spionagetätigkeit eingerichtet. Eine Kommission entscheidet nach Anhörung des Betroffenen, und die Regierung entscheidet, welche Dienstposten als besonders schutzwürdig i n dieser Beziehung gelten, so daß ein spezielles Prüfungsverfahren auch bei geheimhaltungsbedürftigen Dienstaufgaben eingerichtet ist. Nach Anfrage bei einem Sicherheitsdienst w i r d der Betroffene angehört, allerdings ohne Rechtsbeistand. Das Ergebnis unterliegt der Geheimhaltung. Ein Gerichtsschutz besteht nicht. I n Frankreich erscheint eine allgemeine Überprüfung von einer besonderen Sicherheitsüberprüfung wiederum schwer abgrenzbar. Allgemein w i r d festgestellt, ob bisher ein Verfahren vorlag, das für die Geeignetheit des Bewerbers maßgebend sein kann. I n diesem Zusammenhang werden die für Beamte geltenden besonderen Verhaltenspflichten auch als Maßstab für die Eignungsprüfung vor der Zulassung zum Auswahlverfahren berücksichtigt. Darüber hinaus können Auskünfte eingeholt werden (Präfektur, Polizei), die der Geheimhaltung unterliegen. Die Berichte sind vertraulich, und der Betroffene hat dabei kaum Abwehrmöglichkeiten. Die Intensität der Nachforschung entspricht der Bedeutung des zu besetzenden Amtes. I n den Niederlan-

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den unterscheidet man zwischen einer allgemeinen „Vorlebensuntersuchung" und, seit 1969, einer besonderen Sicherheitsüberprüfung. Die allgemeine Auskunft w i r d m i t Hilfe der polizeilichen Führungszeugnisse eingeholt, wobei das Strafregister beachtet wird. Routinefragen nach politischer Zugehörigkeit weiden nicht gestellt. Etwa 30 € /o der Staatsbediensteten werden einer besonderen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Die Zahl w i r d durch die Ministerien festgelegt und folgt der Beurteilung, inwieweit eine Dienststellung als Vertrauensfunktion zu bewerten ist. Beachtet werden dabei staatsgefährdende A k t i v i t ä t e n und Mitgliedschaften i n Vereinigungen, deren Ziele auf die Mißachtung der Demokratie oder des Prinzips freier Wahlen gerichtet sind. Hierbei entstehende Zweifel an der Geeignetheit des Betroffenen gehen zu seinen Lasten, was jedenfalls für Vertrauensfunktionen gilt. Auch i n Schweden werden Auskünfte durch die Polizei dann eingeholt, wenn die Reichssicherheit wegen der Bedeutung des Dienstes gefährdet sein könnte. Es ist festgelegt, welche Dienststellen zur Personalkontrolle befugt sind, was sehr zahlreich der Fall ist. Voraussetzungen der besonderen Uberprüfung bildet Zugehörigkeit der i n Betracht kommenden Funktion zu einer besonderen Schutzklasse, deren Umfang jedoch der Geheimhaltung unterliegt. Bei einer besonderen Sicherheitsüberprüfung dieser A r t kann auch die politische Auffassung des Betroffenen zur Kenntnis genommen werden, auch wenn das regelmäßig nicht der Fall sein soll, und das gleiche gilt für die Frage nach verfassungsgefährdender Tätigkeit. Das Ausmaß der Recherchen richtet sich nach Funktion und Schutzklasse. Diesen sehr unterschiedlichen Systemen des Selbstschutzes der Staaten ist offenbar gemeinsam, daß überwiegend trotz der vordergründigen Behauptung, politische Anschauung dürfe i m öffentlichen Dienst keine ausschlaggebende Rolle spielen, auf Schutzvorkehrungen durchaus nicht verzichtet wird. Da die Abgrenzung des Personenkreises überwiegend unklar bleibt oder doch jederzeit verändert werden kann, besteht die entsprechende Klarheit, wie sie bisher nach dem System der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden konnte, durchaus nicht. 6. Berücksichtigung der persönlichen, gegen den Bestand der Verfassung gerichteten Einstellung des Bewerbers für den öffentlichen Dienst, insbesondere Berücksichtigung extrem politischer Anschauungen

A u f die nachfolgend zu erörternden Gesichtspunkte wurde i m Vorhergehenden schon mehrmals hingewiesen, so daß hier nur noch auf einige Besonderheiten auch i n bezug auf die Frage eingegangen werden soll, inwieweit eine politisch extreme Auffassung für die Beurteilung eines Mitglieds des öffentlichen Dienstes von Bedeutung ist.

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Da i n Belgien bei dem Auswahlverfahren wegen des formalisierten Wettbewerbssystems auch für sog. Extremisten eine gewisse Chance zu bestehen scheint, verlagert sich eine insoweit negative Beurteilung, abgesehen von der Möglichkeit der Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst wegen Unfähigkeit oder Ungeeignetheit, auf die Zeit der Dienstausübung, was sich ζ. B. auf die Frage der Beförderung auswirken kann. Da die Grundrechte trotz prinzipieller Geltung für Beamte eingeschränkt werden können, kann extremen Aktivitäten vorgebeugt werden. I n England sind Beamte unterer Ränge keinen besonderen politischen Beschränkungen i m Hinblick auf ihre Tätigkeit unterworfen, obw o h l politische Polemik vermieden werden soll und so auch bei der Ausw a h l berücksichtigt wird. Gehobenen Beamten w i r d politische Tätigkeit zwar auf lokaler, nicht aber auf nationaler Ebene gestattet, und hohe Beamte bedürfen der Erlaubnis i n jedem Falle. Regelmäßig soll allerdings die politische Auffassung bei der Frage nach der Eignung zur Anstellung keine Rolle spielen. Auch i n Frankreich soll die politische Überzeugung des Bewerbers grundsätzlich unbeachtlich sein. I n den Personalakten des Beamten darf dementsprechend kein Hinweis auf seine politischen Uberzeugungen oder seine Zugehörigkeit zu einer legalen Partei enthalten sein. Stark umstritten ist die Frage, ob Mitgliedschaft und Betätigung i n extremistischen Gruppen negativ gewertet werden dürfen. Eine solche Mitgliedschaft ist jedenfalls unschädlich, wenn die Vereinigung als „legal" zu betrachten ist und nicht von ihr die gewaltsame Bekämpfung der Staatsgewalt zu erwarten ist. Für die Beurteilung des bisherigen Lebenswandels des Bewerbers kann allerdings eine extrem politische Betätigung von Bedeutung sein, wobei der Einzelfall zu prüfen ist. Als negativ ausschlaggebend w i r d i m allgemeinen und wiederum die Bereitschaft zur Gewaltanwendung gewertet. I n Italien gilt Extremismus nicht als Hindernis für die Anstellung, solange nicht gegen Strafgesetze verstoßen wird. Andererseits können extrem politische Anschauungen und Tätigkeiten doch auch dann als Verletzung der Beamtenpflichten gewertet werden, wenn gewissenhafte Amtsführung so nicht mehr gewährleistet erscheint. Die Rechtsordnung der Niederlande erwartet vom Bewerber und Beamten die Unterlassung staatsgefährdender Aktivitäten und die Mitgliedschaft i n anti-demokratischen Vereinigungen. Eine Pflicht der Staatsgewalt, extreme Anti-Demokraten bei der Eignungsfrage anderen Bewerbern gleichzustellen, besteht sicherlich nicht, obwohl starke Zurückhaltung bei der Berücksichtigung der politischen Anschauungen des Betroffenen herrscht. Die Frage nach der Relevanz der politischen Einstellung des Bewerbers und des Beamten ist i n Österreich stark diskutiert. Zwar besteht eine Vorschrift über die Nichtzulassung von Nationalsozialisten, jedoch soll i m übrigen die politische Anschauung unbe-

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achtlich sein. Da die politischen Parteien seit der Zeit der großen Koalition über die Einhaltung des sog. Proporzes wachen, bestehen für Extremisten ohnehin kaum Chancen, i n die Beamtenschaft aufgenommen zu werden. Niemand darf i n Schweden allein wegen seiner politischen A n schauung registriert oder bei der Beurteilung benachteiligt werden, und als Eignungsvoraussetzung ist Verfassungstreue nicht gefordert. Da jedoch, wie noch zu zeigen ist, weder Begründungszwang bei Ablehnung noch Gerichtsschutz bei Ablehnung bestehen, ist eine klare Aussage darüber, inwieweit Extremismus als relevant für die Anstellungsbehörde angesehen wird, nicht möglich. I n der Schweiz ist es den Beamten untersagt, einer Vereinigung anzugehören, die den Beamtenstreik propagiert oder sich gegen Verfassung und Rechtsordnung wendet. Es kann davon ausgegangen werden, daß diese Gesichtspunkte auch für die Anstellung erheblich sind und extreme politische Anschauung nicht unbeachtet bleibt, auch wenn regelmäßig die politische Einstellung des Betroffenen nicht ausschlaggebend sein soll. Es zeigt sich so recht durchgehend, daß die politische Auffassung, so wie das Grundgesetz der Bundesrepublik es auch vorschreibt, nicht zur Diskriminierung führen darf. Da die aufgezeigten Rechtsordnungen eine klare Aussage der Verfassung über die Grenzen ihrer Abänderbarkeit, anders als i n der Bundesrepublik Deutschland, nicht enthalten, ist es w o h l i m wesentlichen das Verbot der Gewaltanwendung, das die Grenze der Toleranz gegenüber dem Extremismus bildet. Beachtlich ist aber vor allem, daß zwar von einer demonstrativ positiven Einstellung zum Schutze der Verfassung meist nicht ausdrücklich gesprochen wird, die allgemeine und überall bestehende Loyalitätspflicht jedoch i n ihrer Gesamttendenz diesem Ziel entspricht. 7. Begründungszwang bei Ablehnung einer Bewerbung um die Einstellung in den öffentlichen Dienst

Da, wie gezeigt, die meisten der hier behandelten Rechtsordnungen bezüglich der Beurteilung politischer Anschauungen von Bewerbern für den öffentlichen Dienst indifferenter erscheinen könnten als die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, könnte erwartet werden, daß die Ablehnung einer Bewerbung von der entscheidenden Behörde begründet werden müßte. Ein solcher Begründungszwang, der i n der wegen ihrer Forderung nach Verfassungstreue kritisierten Rechtsordnung der Bundesrepublik strikt vorgeschrieben ist und als unabdingbares Merkmal des Rechtsstaates gilt, würde auch dem i n den anderen Rechtsordnungen so häufig betonten Grundsatz entsprechen, daß jedermann Zugang zum öffentlichen Dienst zu gewähren sei. Überraschenderweise gilt der Grundsatz des Begründungszwanges jedoch überwiegend nicht.

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Soweit nicht i m Einzelfall die Rechtsordnung etwas anderes ergibt, besteht i n Belgien bei ablehnenden Entscheidungen der Verwaltung ein Zwang zur Begründung nicht. Da ein solcher Sonderfall für die Ablehnung einer Bewerbung i m öffentlichen Dienst nicht angenommen w i r d , besteht ein Anspruch auf Begründung auch i n diesem Falle nicht. I n Frankreich besteht ebenfalls keine Pflicht, den Bewerber bei Ablehnung über die Gründe zu informieren. Da ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in den civil service klar verneint wird, ist auch i n England die negative Entscheidung nicht zu begründen. Das gleiche gilt für die Niederlande, deren Rechtsordnung nur bei Ablehnung des Bewerbers auf Grund einer Sicherheitsüberprüfung die Bekanntgabe einer Begründung vorsieht, womit aber nicht die Möglichkeit eines Gerichtsverfahrens eröffnet wird. Wie schon bemerkt, lehnt man i n der Rechtsordnung Österreichs ein subjektives Recht auf Einstellung i n den öffentlichen Dienst ab, woraus gefolgert wird, daß eine entsprechende Begründung nicht gefordert werden kann. I n Schweden besteht ebenfalls — trotz der schon mehrfach erwähnten Liberalisierung des öffentlichen Dienstes — ein Anspruch auf Begründung einer Ablehnung nur dann, wenn ein entsprechender A n trag gestellt wird, der i n der Praxis w o h l auch nicht verweigert wird. Über die Schwierigkeit der Begründung von Entscheidungen bei Kollegialbehörden ist man sich i m klaren. Bemerkenswert ist jedoch auch, daß kein Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Stellenbesetzung besteht, was daraus resultieren mag, daß die Einstellung i n den öffentlichen Dienst als Ermessensausübung qualifiziert wird. Da i n der Schweiz davon ausgegangen wird, daß das bei der Beamtenanstellung auszuübende Ermessen lediglich dem Schutz und den Interessen des Staates zu dienen hat, und nicht demjenigen des Bewerbers, ist ein Zwang zur Begründung ebenfalls nicht anerkannt. Lediglich bei Nichtwiederwahl soll eine Begründung gegeben werden, was daran liegen mag, daß i n diesem Fall ein wenn auch begrenzter Gerichtsschutz besteht. A l l e i n i n Italien muß der Ausischluß vom Wettbewerb begründet werden, ζ . B. m i t dem Mangel guter Führung; auch bei Entlassung nach der Probezeit ist eine Begründung vorgeschrieben. Diese Ubersicht ist besonders aufschlußreich. Die vielfach erhobene Behauptung i n fremden Staaten, i n der Bundesrepublik Deutschland herrsche ein „Berufsverbot" und i n den eigenen Rechtsordnungen verfahre man großzügiger, w i r d i n gewisser Weise ad absurdum geführt, wenn man bedenkt, wieviel unproblematischer sich die Ablehung von unerwünschten Bewerbern dort gestaltet, wenn die Ermessensgründe nicht bekannt gegeben werden müssen. Dieses B i l d w i r d durch die nun folgende Betrachtung über den Gerichtsschutz weiter bestätigt werden.

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K a r l Doehring 8. Gerichtsschutz gegen die Ablehnung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst

Bei der nun anzustellenden Betrachtung ist eine Einteilung i n Staatengruppen möglich, denn es handelt sich u m Rechtsordnungen, die keinen Gerichtsschutz bei der Ablehnung eines Bewerbers zulassen, u m solche Staaten, i n denen eine begrenzte Möglichkeit besteht und schließlich um solche Staaten, die ähnlich wie i n der Bundesrepublik Deutschland einen umfassenden Gerichtsschutz zulassen. Die Mehrheit der darzustellenden Rechtsordnungen kennt keinen oder doch nur einen äußerst eingeschränkten Gerichtsschutz. I n England kann die Einstellung i n den civil service nicht gerichtlich erzwungen werden. Nur bei ungerechtfertigter Entlassung ist Zuerkennnung eines Schadensersatzes möglich, während eine Klage auf Wiedereinstellung unzulässig wäre. Beschwerdemöglichkeiten bestehen nur vor einer Schiedsstelle. Obwohl i n den Niederlanden eine Beschwerde i m Falle der Sicherheit^ Überprüfung gegen die ablehnende Entscheidung zulässig ist, besteht gerichtlicher Schutz nicht. Da, wie schon erwähnt, i n Österreich ein subjektives Recht auf Amtsinhaberschaft strikt abgelehnt wird, kann auch die Ablehnung eines Bewerbers gerichtlich nicht angefochten werden. Das gleiche gilt bei der Entlassung aus vorläufigem Dienstverhältnis. Eine Gerichtskontrolle der Ermessensentscheidung bei Ablehnung von Einstellungen i n den öffentlichen Dienst besteht auch i n Schweden nicht. Auch bei willkürlicher Außerachtlassung des sog. Vortrittsrechts, d. h. des Rechts auf Wiedereinstellung nach Entlassung aus Arbeitsmangel, besteht nur eine verwaltungsinterne Beschwerdemöglichkeit. Zulässig ist lediglich, vergleichbar der Rechtsordnung Englands, die Forderung auf Schadensersatz bei willkürlicher Entscheidung. Da ein Begründungszwang fehlt, erscheint eine solche Forderung aber nicht aussichtsreich und ist bisher auch nicht erhoben worden. Eine verwaltungsinterne Beschwerde kann auch gegen Beschlüsse über Stellenbesetzung erhoben werden. Die hierauf ergehende Entscheidung w i r d jedoch ebenfalls nur selten begründet. Die Möglichkeit, den Ombudsman zu befassen, bildet einen letzten außergerichtlichen Behelf. I n Frankreich kann die sachliche Entscheidung über die Ungeeignetheit eines Bewerbers nicht gerichtlich überprüft werden. Ein Gerichtsschutz gegen willkürliche Entscheidung ist zugelassen, aber dadurch eingeschränkt, daß eine Begründungspflicht der Behörde nicht obliegt. Allerdings kann das Gericht die Behörde zur Darlegung ihrer Gründe auffordern, wenn Anhaltspunkte für eine unzulässige politische Diskriminierung vorliegen. I n der Schweiz besteht regelmäßig kein Gerichtsschutz i n den hier interessierenden Beziehungen, was zum Teil sogar auf ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften beruht. Allerdings ist

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die Rechtslage i n Bund und Kantonen nicht einheitlich, so daß eine generelle Aussage nicht gemacht werden kann. Die Ablehnung des Gerichtsschutzes beruht wiederum auf der Erwägung, daß das Ermessen bei der Beamtenanstellung nur der Allgemeinheit zu dienen hat. N u r bei w i l l kürlichem Ausschluß von der sog. Wiederwahl besteht i m Bund und i n einigen Kantonen die Möglichkeit der Verwaltungsbeschwerde und eines nachfolgenden Gerichtsschutzes. Die Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung über die Einstellung von Bewerbern ist i n Belgien der Verwaltungsgerichtsbarkeit zwar zugänglich, aber wegen des weiten Ermessensspielraums der Behörde sind Ermessensfehler schwer feststellbar. So ist über die Aufhebung von ablehnenden Entscheidungen durch die Gerichte nichts bekannt. Ähnliches gilt für Italien. Dort besteht ein entsprechender Gerichtsschutz, m i t dem allerdings auch das behördliche Ermessen nur eingeschränkt überprüfbar ist. Wenn man i n Betracht zieht, daß die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland drei verwaltungsgerichtliche Instanzen zur Verfügung stellt, i n denen die rechtswidrige Ablehnung eines Bewerbers geprüft werden kann bzw. die Pflicht der Behörden, einen Bewerber anzustellen, und wenn man weiter bedenkt, daß gegen die letztinstanzliche Gerichtsentscheidung bei behaupteter Grundrechtsverletzung, ζ . B. des Gleichheitssatzes, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann, ist der hier gegebene Uberblick über die Rechtsordnungen fremder Staaten erstaunlich. Es w i r d dann klar, daß i n anderen Staaten die der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfenen sog. Berufsverbote kein Problem bilden können, denn dann, wenn weder Begründungszwang der Verwaltung bei der Ablehnung eines Bewerbers besteht, noch ein der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland vergleichbarer Gerichtsschutz, kann die Behauptung schon mangels Nachweises von Fakten kaum aufgestellt werden, eine Anstellung i m öffentlichen Dienst sei aus politischen oder unsachlichen Gründen unterlassen worden. Es zeigt sich so, daß gerade das hohe Maß an Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland politische Vorwürfe eingebracht hat. 9. Entlassung aus dem öffentlichen Dienst

Die Entlassung eines Beamten oder Angestellten des öffentlichen Dienstes auf Grund von Disziplinar- oder Strafverfahren ist nach jeder Rechtsordnung vorgesehen, was w o h l auch als Selbstverständlichkeit bezeichnet werden kann. Interessanter i m hier behandelten Zusammenhang ist natürlich die Frage, welches Verhalten als Dienstvergehen und also i m äußersten Falle als Entlassungsgrund zu gelten hat. Hierauf wurden schon bei der Behandlung der allgemeinen Beamtenpflichten

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entsprechende Hinweise gegeben, so daß i m wesentlichen nur noch das formale Verfahren darzustellen ist. I n Belgien ist eine Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst wegen Unfähigkeit oder Ungeeignetheit zulässig. Eine solche negative Qualifikation kann sich aus Handlungen ergeben, die gegen die Würde des öffentlichen Dienstes verstoßen; auch die Mitgliedschaft i n einer Vereinigung, die feindselige, gegen den Staat gerichtete Ziele verfolgt, sowie Tätigkeiten, die i m Gegensatz zu Geboten der Verfassung stehen, werden als m i t der Stellung des Beamten unvereinbar betrachtet und können Veranlassung zu einem Disziplinarverfahren als Grundlage für die Entscheidung über die Entlassung geben. Ebenso ist in Frankreich die Entlassung auf Grund eines Disziplinarverfahrens dann möglich, wenn eine Dienstpflichtverletzung vorliegt, was z. B. dann der Fall ist, wenn die gebotene politische Zurückhaltung nicht gewahrt wird. Die Feststellung einer bestimmten politischen Auffassung reicht jedoch hierfür nicht aus. Gegen die Entlassungsentscheidung w i r d Gerichtsschutz gewährt, jedoch werden Zweckmäßigkeitsgründe nicht geprüft, sondern nur das Vorliegen der behaupteten Fakten und die richtige Rechtsanwendung. Die Entlassung eines Beamten i n England ist jederzeit wegen Dienstvergehens oder mangelnder Leistung zulässig. Als Dienstvergehen w i r d die nachhaltige Verletzung der Loyalitätspflicht gewertet. Zwar besteht gegen die Entlassungsentscheidung eine Beschwerdemöglichkeit, jedoch ist Gerichtsschutz ausgeschlossen, insbesondere kann eine Klage auf Wiedereinstellung nicht erhoben werden. I n Italien muß der Entlassung ein Disziplinarverfahren vorausgehen, das die schuldhafte Verletzung der Beamtenpflicht festzustellen hätte; wann eine solche vorliegt, läßt sich aus den schon gegebenen Hinweisen auf die allgemeinen Beamtenpflichten entnehmen. Bei Anstellung auf unbestimmte Zeit werden in den Niederlanden die Gründe für eine Entlassung von einem Beamtengericht geprüft. Die Entlassung ist zulässig, wenn die Gewähr für eine ordentliche Amtsführung nicht mehr besteht. Die Entlassung eines Beamten auf Probe ist zulässig. I m Falle einer nur vorläufigen Einstellung i n den öffentlichen Dienst ist i n Österreich eine Kündigung ohne Angabe von Gründen zugelassen, während bei Entlassung aus einer Dauerdienststellung Gerichtsschutz gewährt wird. I n Schweden ist eine Entlassung bei Anstellung auf Zeit nach entsprechendem Zeitablauf naturgemäß unproblematisch. Soll die Entlassung ausgesprochen werden, obwohl ein unbefristeter Arbeitsvertrag vorliegt, bedarf es eines „sachlichen" Grundes. Besteht ein solcher darin, daß dem Betroffenen ein Dienstvergehen vorgeworfen wird, ist Schutz durch die Arbeitsgerichtsbarkeit gegeben. I n der Schweiz kann die Entlassung erfolgen* wenn schuldhafte Verletzung der Dienstpflicht nachgewiesen ist. Auch ohne Verschulden kann die Entlassung ausgesprochen werden, wenn

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ζ. Β. die Voraussetzungen der Wahl entfallen sind. Erwähnt sei auch noch, daß die Entlassung wegen Mangel an Vertrauenswürdigkeit des Beamten erfolgen kann. Ein solcher Mangel kann m i t extrem politischer Betätigung begründet werden oder m i t dem Bestehen einer objektiven Gefahr für den Staat, beruhend auf persönlichen Verhältnissen des Betroffenen. Verglichen m i t der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, i n der die Beamtenentlassung unter allen Umständen i n einem mehrstufigen Gerichtsverfahren geprüft werden kann und auch der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts zugänglich ist — die Rechte der Beamten sind als Grundrechte i n der Verfassung besonders genannt und m i t der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar —, besteht i n den behandelten Rechtsordnungen ein gleich starker Gerichtsschutz nicht. Auch insoweit also ist jeder W i l l k ü r , wie sie m i t dem Schlagwort der Berufsverbote angedeutet ist, eine stärkere Kontrolle entgegengesetzt als i n den vergleichbaren anderen Rechtsordnungen. 10. Besonderheiten der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft und der Anwaltschaft

Die personelle Ergänzung der Justiz ist für die hier zu behandelnden Fragen von besonderem Interesse, denn selbstverständlich bedürfen gerade die westlichen Demokratien zur Verteidigung ihrer Verfassungen einer besonders zuverlässigen Richterschaft, deren Funktion selbstverständlich auch durch rechtsstaatliches Verhalten von Anwaltschaft und Staatsanwaltschaft unterstützt wird. Das System der Richterernennung stellt sich verschiedenartig dar, denn i n manchen Staaten sind Unterschiede zum Status des öffentlichen Dienstes kaum vorhanden, i n anderen Staaten wieder nimmt die Justiz eine deutliche Sonderstellung ein. Da Generalisierungen daher kaum vorgenommen werden können, sollen i m folgenden nur einzelne Hinweise auf das System der Staaten gegeben werden. I n Belgien werden Richter und Staatsanwälte auf Grund völlig freien Ermessens i n den Dienst eingestellt. Inwieweit Befürwortungen von dritter Seite dabei eine Rolle spielen, ist schwer abzuschätzen, eine gewisse sachbezogene Patronage scheint zu bestehen. Daß der Regierung Personen aufgezwungen werden können, deren verfassungsrechtliche Zuverlässigkeit zweifelhaft erscheint, ist nicht anzunehmen. Den Richtern in Frankreich ist i n noch stärkerem Maße als den übrigen Beamten politische Zurückhaltung auferlegt, was sich u. a. i n dem Verbot der Teilnahme an Demonstrationen und feindseligen Äußerungen gegenüber der Regierung auswirkt. Die Richterernennung i n England erfolgt ebenfalls durch freie Ermessensausübung der Regierung auf der Grundlage

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der traditionellen Prärogative der Krone. I n ein Richteramt w i r d regelmäßig nur ein verdienter A n w a l t berufen, so daß schon die Zulassung zur Anwaltschaft eine erste Voraussetzung für die Richtereinstellung bildet. Die Anwaltschaft ergänzt sich selbst, gegen die Zulassung ist Gerichtsschutz nicht gewährt, und so ist es nicht anzunehmen, daß politisch unseriöse Personen begünstigt werden. Zwar soll bei der Richterernennung die politische Ansicht des Betroffenen irrelevant sein, aber es erscheint nahezu ausgeschlossen, daß bei der soeben geschilderten Sachlage politisch extrem denkende oder handelnde Personen berücksichtigt w ü r den. I m übrigen besteht bei Nichternennung kein Gerichtsschutz. Für Italien sind Besonderheiten nicht festzustellen, lediglich sei hier darauf hingewiesen, daß nach der geltenden Rechtsordnung die Zugehörigkeit zu politischen Parteien für Richter eingeschränkt werden kann. Die Beamtengesetze der Niederlande finden regelmäßig keine Anwendung auf die Richterschaft. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt, sofern eine Anstellung auf Probe zur Zufriedenheit verlaufen ist. Die endgültige Ernennung erfolgt auf Grund von Berufungsvorschlägen. Als Voraussetzung gilt die spezielle Richterausbildung, während die A n w a l t schaft die Ausbildung selbst besorgt. Z u bemerken ist noch, daß das Richteramt nicht als Vertrauensfunktion i m Hinblick auf die oben dargestellte Überprüfung gilt. Es ist aber wohl nicht anzunehmen, daß verfassungsgefährdende Personen i n diesen überschaubaren Berufskreis eindringen können. I n Österreich besteht ein besonderes Richtergesetz, das die Richter zur Treue gegenüber der Republik verpflichtet und dazu, Verfassung und Rechtsordnung zu achten. Diese Verpflichtung ist ein Ernennungserfordernis. Rechtsanwälte haben zu geloben, Verfassung und Rechtsordnung zu beachten. Für das praktizierte System der Bewahrung des öffentlichen Dienstes vor extrem politischen Einflüssen gilt das oben schon Ausgeführte. Die Richter sind i n Schweden trotz gewisser Sonderregelungen i n das allgemeine öffentliche Arbeitsdienstrecht einbezogen. Auffällig ist, daß nur noch Richter einen Eid zu schwören haben, der das Gelöbnis einschließt, auch das Beratungsgeheimnis zu wahren. Auch bei Richtern entscheiden Regierung oder Behörde endgültig und ohne die Möglichkeit eines Gerichtsschutzes bei Ablehnung über die Einstellung. Die Ablegung entsprechender juristischer Staatsexamen ist notwendig. Für die Schweiz ergeben sich keine Besonderheiten, doch darauf sei hingewiesen, daß Eid und Gelöbnis zur Einhaltung der Pflichten vorgesehen sind. 11. Besonderheiten der Lehrer- und Hochschullehrerschaft

Was i m vorhergehenden über die Bedeutung der Richterschaft für das hier behandelte Thema ausgeführt wurde, gilt i m wesentlichen auch für die Lehrerschaft, deren Bedeutung für die Frage des Einflusses der Poli-

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t i k auch i n der Bundesrepublik Deutschland allgemein erkannt ist. Da Lehrer und Hochschullehrer weitgehend — wenn auch, wie zu zeigen ist, nicht überall — als Mitglieder des öffentlichen Dienstes anzusehen sind, sollen i m folgenden auch hier nur einige besondere Hinweise für die einzelnen Staaten gegeben werden. Für Belgien sei nur bemerkt, daß der Schuldienst als i n mancher Beziehung parteigebunden gilt, so daß bei der Herrschaft relativ gemäßigter Parteien extrem politische Einflüsse ausgeschaltet werden können. Für die Rechtsordnung Frankreichs sei bemerkt, daß eine besondere gesetzliche Regelung über die schon mehrfach erwähnte politische Zurückhaltungspflicht nicht besteht, jedoch anerkannt ist, daß Lehrer und Hochschullehrer ihre Lehre nicht einseitig ideologisch ausrichten dürfen. I n England bestehen neben einer geringen Anzahl von Privatschulen, die vom Staat unterstützt werden, überwiegend Schulen, die von den regionalen Erziehungsbehörden errichtet und unterhalten werden. Die Lehrer sind Angestellte und nicht Mitglieder der Beamtenschaft. Nach einer Probezeit erfolgt ihre Anstellung durch lokale Erziehungsbehörden oder unmittelbar durch die Schuldirektionen. Da eine Anstellung auf Lebenszeit regelmäßig nicht erfolgt, ist eine Kündigung rechtlich immer möglich und könnte wegen einer Dienstverletzung ausgesprochen werden. Als eine solche Dienstverletzung kann auch eine extreme politische Betätigung i m Unterricht angesehen werden, obwohl eine besondere Pflicht zur Verfassungstreue nicht bekannt ist. Ein Gerichtsschutz gegen Entlassung besteht ebensowenig wie bei der Beamtenschaft; eine Klage des Betroffenen könnte u. U. zur Zuerkennung eines Schadensersatzes führen. Für die Rechtsordnung Italiens sind keine Besonderheiten zu vermerken. I n den Niederlanden finden die Beamtengesetze keine Anwendung auf die Lehrerschaft; insofern bestehen besondere Vorschriften. Eine Eidesleistung ist bei der Anstellung nicht vorgesehen, und die Betätigung als Lehrer gilt nicht als Vertrauensfunktion i m Sinne der Sicherheitsüberprüfung. I n Österreich werden die Hochschullehrer nicht i n die sog. allgemeine Dienstpragmatik einbezogen und unterliegen demgemäß keiner ausdrücklich genannten Treuepflicht, was jedoch nichts daran ändert, daß sie außerhalb von Forschung und Lehre der Treueverpflichtung zur Republik i n gleicher Weise wie andere Beamte unterliegen. Für die Lehrerschaft sind keine Besonderheiten zu nennen. Z u den Dienststellen, die zur Personalkontrolle innerhalb der sog. Schutzklassen berechtigt sind, zählen i n Schweden nicht diejenigen des B i l dungswesens und also beziehen sich diese Vorschriften nicht auf Lehrer und Hochschullehrer. Weitere Besonderheiten i n dieser Beziehung sind nicht zu vermerken. I n der Schweiz erfolgt die Einstellung von Lehrern auf Grund des schon mehrfach erwähnten Beamtenwahlsystems. Besondere Regelungen ergeben sich für Lehrer daraus, daß ihre Entlassung 3 Verfassungstreue

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bei Vertrauensverlust oder wegen staatsgefährlicher Tätigkeit als zulässig gilt. Daher waren auch i n der Praxis dieser Rechtsordnung entsprechende Fälle zu erwähnen; insoweit muß auf den Einzelbericht hingewiesen werden. 12. Besonderheiten des Militärs und der Polizei

Für diese Berufsgruppen sollen hier nur noch Hinweise aus denjenigen Rechtsordnungen gegeben werden, bei denen Besonderheiten ausdrücklich i n den Berichten festgestellt wurden. I n Frankreich genießen Soldaten i m Dienst nur eingeschränkte bürgerliche Rechte. Insbesondere für politische Tätigkeit aktiver Soldaten sind recht strikte Grenzen aufgestellt, so ist z. B. die Zugehörigkeit zu politischen Gruppen oder Gewerkschaften nicht erlaubt. Offenbar geht man von dem Grundsatz strikter Neutralität der Armee aus. Auch wenn erklärt wird, daß eine politische Gesinnungsbeurteilung nicht stattzufinden habe, scheint doch zumindest das Offizierskorps auch hier enger zu fassenden Anforderungen unterworfen. Der Dienst i n der Polizei ist vergleichbar demjenigen i n der Armee, so daß sich ebenfalls eine Einschränkung politischer und gewerkschaftlicher Tätigkeit ergibt. Für aktive Soldaten, für die Polizei und den auswärtigen Dienst kann i n Italien die Zulässigkeit der Parteizugehörigkeit eingeschränkt werden. I n den Niederlanden bestehen besondere Zusatzvorschriften zum allgemeinen Beamtenrecht, die M i l i t ä r und Polizei betreffen; so ist auch für das M i l i tär die Eidesleistung vorgesehen. Gewisse Sondervorschriften für die Einstellung von Polizisten, die i n Schweden bestanden, sind aufgehoben; als Voraussetzung galt ein ordentliches Vorleben i m Sinne eines „guten Rufs" und eine positive Einstellung zur demokratischen Gemeinschaftsordnung und zu den Pflichten der ordentlichen Dienstausführung. Für die Rechtsordnung der Schweiz sei noch darauf hingewiesen, daß die Wehrdienstverweigerung bisher auch als Treuepflichtverletzung i m öffentlichen Dienst gewertet werden konnte. Bei militärischen Ausbildern w i r d die Überprüfung der Staatstreue besonders beachtet. 13. Ergebnisse der Rechtsvergleichimg

Das Ergebnis dieses Gesamtberichts läßt gewichtige Schlußfolgerungen zu, die hier i n einigen Thesen wiedergegeben werden sollen. 1. I n vielen, wenn auch nicht i n allen Staaten, scheint zwar die Sorge, verfassungsgefährdende Bestrebungen könnten den öffentlichen Dienst „unterwandern", nicht i n dem Maße zu bestehen, wie dies i n der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist; das erscheint auch verständlich aus der Sicht der Vergangenheit der deutschen Verfassungsentwicklung und aus der besonderen Lage des geteilten Deutschland. Andererseits w i r d

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aber diese Gefahr i n anderen Staaten auch nicht übersehen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, konzipiert unter Berücksichtigung der Erfahrungen m i t dem nationalsozialistischen Regime, bringt das klar zum Ausdruck, was andere Rechtsordnungen als Selbstverständlichkeiten voraussetzen. 2. Wenn so auch vielfach eine besondere Treuepflicht des Beamten und des Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu Staat und Verfassung nicht ausdrücklich betont wird, ist eine allgemeine Loyalitätsverpflichtung doch durchaus anerkannt, deren Verletzung entsprechende Konsequenzen nach sich zieht. 3. Wenn und soweit i n diesen Staaten der Schutz der Verfassung geboten erscheint, werden durchaus besondere Vorkehrungen getroffen, Personen zum öffentlichen Dienst nicht zuzulassen, die eine Gefährdung, sei es auch nur i m Hinblick auf ihre Funktionen, herbeiführen könnten. 4. I n den meisten der behandelten Rechtsordnungen ist die Freiheit der Exekutive zur Anstellung geeigneter, d.h. Verfassung und Staat fördernder Beamter, und zur Ablehnung ungeeigneter Beamter erheblich größer, als das i n der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Das hat zur Folge, daß die Abwehr verfassungsgefährdender Bestrebungen leichter, unauffälliger und i n gewisser Weise geräuschloser vor sich gehen kann. 5. Das gleiche Ergebnis w i r d unterstützt durch das überwiegende Fehlen eines Begründungszwanges bei Ablehnung eines Bewerbers als auch eines Gerichtsschutzes bei Nichteinstellung. So kann i n diesen Staaten ein durch mehrere Gerichtsinstanzen zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangter spektakulärer Fall kaum auftreten, auch wenn sich das i n einigen Fällen feststellen läßt. Jedenfalls geben die Systeme fremder Staaten überwiegend aus diesen Gründen denjenigen erheblich weniger politische Handhaben, deren Bestrebungen darauf gerichtet sind, das Eindringen von Verfassungsgegnern i n den öffentlichen Dienst zu begünstigen. I I . Die DDR als Beispiel für das Rechtssystem kommunistischer Staaten* Ein Blick auf kommunistische Verfassungen zeigt, daß Staaten, die i n besonders starkem Maße unser System ablehnen und bekämpfen, ihrerseits auch i n besonders starkem Maße ihr eigenes System schützen. Es * Die nachfolgenden Ausführungen geben Teile eines Vortrages wieder, den der Verf. v o r der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission a m 14.10.1978 i n B e r l i n gehalten hat u n d v o n der Sektion veröffentlicht w u r d e (Der freiheitliche Rechtsstaat u n d seine Gegner, M i t t e l u n d Grenzen der Abwehr, i n : Rechtsstaat i n der Bewährung, Bd. 7, 1979, S. 107 ff.) 3*

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geht also i m folgenden um das System und nicht um die Inhalte der Staatsordnungen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet die Verfassung der DDR. Die Rechtsordnung der DDR soll aus folgenden Gründen vorgeführt werden. Regierung und Partei der DDR werfen der Bundesrepublik die Durchsetzung der sog. Berufsverbote vor. Dieser V o r w u r f ist grotesk, denn zum einen ist festzustellen, daß es den Beruf des Beamten i n der DDR nicht gibt und zum anderen leugnet niemand, daß die DDR von ihren Staatsdienern nicht etwa die Toleranz gegenüber anderen politischen Anschauungen erwartet, diese Toleranz sogar ablehnt, sondern die völlige Hingabe an den Marxismus fordert. Ein Zitat aus dem führenden Staatsrechtslehrbuch der DDR 1 sei hier angeführt: „Das Denken und Handeln der Mitarbeiter des sozialistischen Staatsapparates ist von der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus bestimmt; ihre gesamte Tätigkeit ist darauf gerichtet, die Ziele des sozialistischen und kommunistischen Aufbaues zu verwirklichen." Hier ergibt sich also klar, daß durchaus eine, wenn auch völlig einseitige „Gesinnung" verlangt wird, denn das „Denken" des Staatsbediensteten soll schon den Anforderungen genügen; aber es w i r d auch nicht eine solche Gesinnung verlangt, die geeignet wäre, den Schutz der individuellen Freiheit zu verbürgen, sondern eine solche, die den Schutz des Kollektivs bezweckt. Erfüllt der Staatsdiener diese Forderung nicht, dann kann er jederzeit abberufen werden, wie es die Verfassung der DDR k l a r zum Ausdruck bringt und auch die Verordnung über das Verfahren bei der Berufung und Abberufung von Werktätigen von 19612 deutlich zeigt. Die DDR verlangt also von der Bundesrepublik die Anstellung von Kommunisten als Beamte auf Lebenszeit, entläßt selbst aber unsichere Kommunisten aus dem Staatsdienst ohne Gerichtsschutz und w i r f t dann der Bundesrepublik die Praktizierung von Berufsverboten vor. Auch Richter sind i n der DDR jederzeit abberufbar, wenn sie die genannten Forderungen nicht erfüllen. Das Gerichtsverfassungsgesetz der DDR 3 und die Verfassung 4 selbst geben darüber unmißverständlich Auskunft. Dabei haben Staatsdiener der DDR aber nicht nur die Gesetze zu vollziehen. Beamte der Bundesrepublik Deutschland haben gem. A r t . 20 des Grundgesetzes die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu garantieren. Die Staatsdiener der DDR haben diese Gesetzmäßigkeit nur i n zweiter Linie zu respektieren, denn vorrangig gelten für sie die Beschlüsse der kommunistischen Partei, wie es das schon genannte Lehrbuch der DDR 5 auch i n voller 1 Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Lehrbuch 1977, S. 438. 2 GBl. I I , 1961, S. 235. 3 Gesetz über die Verfassung der Gerichte der D D R v. 27.9.1974, GBl. I , S. 457, § 53. 4 Verfassung der D D R v. 7.10.1974, GBl. I, S. 425, A r t . 95.

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Klarheit zum Ausdruck bringt. Dabei haben diese Staatsdiener auch die Aufgabe, die „politisch ideologische Überzeugungsarbeit zur Vertiefung des sozialistischen Staats- und Rechtsbewußtseins der Bürger" zu leisten. Die Staatsdiener sollen also nicht nur eigene marxistische „Gesinnung" bieten, sondern sollen die Gesinnung der Bürger erzeugen. Das ist natürlich auch der Grund, w a r u m die kommunistische Partei der Bundesrepublik so sehr darauf dringt, daß Kommunisten auch zum Lehrerberuf zugelassen werden sollen. Der Lehrer von heute ist der Gesinnungserzeuger von morgen. Dieses kommunistische System entspricht i n der Methode der Erzeugung eines Ausschließlichkeitsanspruchs voll demjenigen des Nationalsozialismus. Wenn geäußert wird, DKP-Mitglieder sollten auch zum Lehrerberuf zugelassen werden, wenn nichts weiter als die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei ihnen nachzuweisen ist, dann müßten auch folgerichtig Neonationalsozialisten zu diesem Beruf zugelassen werden. Es mag noch einmal wiederholt sein, daß die Staatsdiener der DDR den Ausschließlichkeitsanspruch des Kommunismus vertreten müssen, denn hierzu haben sie sich verpflichtet. Gleichzeitig verlangt die DDR, daß w i r eben solche Staatsdiener zulassen müssen, die diesen Anspruch einer Ideologie m i t Ausschließlichkeit vertreten.

I I I . Internationales Beamtenrecht 1. Die Rechtslage in den Europäischen Gemeinschaften

Für die Frage der Rechtsvergleichung muß das Recht der Europäischen Gemeinschaften von besonderem Interesse sein, denn dieses Recht kann als ein Spiegel der Rechtsauffassungen der Mitglieder der Gemeinschaften gelten. Auch der Europäische Gerichtshof betont, daß eine der von i h m zu verwendenden Rechtsquellen die allgemeinen Rechtsregeln sind, deren Bestand sich aus einer Betrachtung und einer Durchschnittsbewertung der Mitgliedstaaten ergibt 6 . Wenn also die europäischen Staaten das europäische Beamtenrecht gemeinsam geregelt haben, dann muß das Ergebnis für die Rechtsauffassung i n Europa repräsentativ sein. Für die Einstellung der Bewerber u m eine europäische Beamtenanstellung ist zu beachten, daß A r t . 27 des Europäischen Beamtenstatuts 7 5

Staatsrecht der DDR, S. 448. So die Rechtsprechung des E u G H insbesondere zu der Frage der Geltung v o n Grundrechten i n Europa, zusammengefaßt i n : „Der Schutz der G r u n d rechte i n der Europäischen Gemeinschaft", B u l l e t i n der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/76, S. 8 f., wobei vor allem auf den F a l l Nold (14. 5.1974, Slg. 1974, S. 491) hinzuweisen ist. 7 Statut der Beamten, V O Nr. 31 (EWG), Th. Holz, Handbuch des Europäischen Dienstrechts, 1964, Ziff. I C . 6

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i m Hinblick auf die Qualifikation der Auszuwählenden fordert, sie hätten i n bezug auf ihre Integrität höchsten Ansprüchen zu genügen. A u f der Grundlage dieser Forderung ist ein Auswahlverfahren eingerichtet Der zuständige Prüfungsausschuß berichtet dann der Anstellungsbehörde, und i n A r t . 6 des Anhangs zum Beamtenstatut ist angeordnet, daß die Arbeiten des Prüfungsausschusses geheimzuhalten sind 8 . Der Europäische Gerichtshof prüft, anders als das i n den schon beschriebenen nationalen Rechtsordnungen überwiegend der Fall ist, ob die Anstellung rechtswidrig verweigert wurde. Schon aber eine Klage des Abgewiesenen und das Ausmaß der Prüfung durch das Gericht sind erschwert durch Geheimhaltungsvorschrift. Eine Gerichtskontrolle w i r d sich also, wie i n manchen nationalen Rechtsordnungen auch, auf die Fälle der W i l l k ü r beschränken müssen. Als zentrale Vorschrift über die Pflichten des europäischen Beamten ist A r t . 11 des Beamtenstatuts anzusehen, der lautet: „Der Beamte hat sich bei der Ausübung seines Amtes i n seinem Verhalten ausschließlich von den Interessen der Gemeinschaft leiten zu lassen." Niemand bestreitet, daß der Beamte durch sein gesamtes Verhalten die „Verfassungsordnung" der Europäischen Gemeinschaften i m Sinne der Gründungsverträge zu schützen hat und daß er für deren Einhaltung eintreten muß. Es ist i n der Substanz dieser Treuepflicht kein Unterschied zu sehen zu den Forderungen, die man i n der Bundesrepublik Deutschland an den Beamten stellt. Weiter heißt es i n A r t . 12 des Beamtenstatuts: „Der Beamte hat sich jeder Handlung, insbesondere jeder öffentlichen Meinungsäußerung zu enthalten, die dem Ansehen des Amtes abträglich sein könnte." Wenn es dann zusätzlich i n A r t . 28 des Beamtenstatuts heißt, „ Z u m Beamten darf nur ernannt werden, wer den für das A m t zu stellenden sittlichen A n forderungen genügt", dann w i r d hierunter ebenfalls eine strikte Treueund Loyalitätspflicht begriffen, was auch vom Europäischen Gerichtshof sinngemäß bestätigt wurde 9 . Wenn, wie gezeigt, diese Regelungen der „Verfassung" der Europäischen Gemeinschaften i n vollem Umfang denjenigen der Verfassung der Bundesrepublik entsprechen, ergibt sich die folgende und hier als argumentum ad absurdum zu stellende Frage: Würde die europäische Verwaltung i n Brüssel einen Bewerber einstellen dürfen, der einem Verein angehört, dessen Satzung offen die Ablehnung der Ziele der Europäischen Gemeinschaften enthält? Die Einstellung eines solchen Beamten 8 Anhang I I I , A m t s b l a t t der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C 100/38, 28. 9.1972. 9 Europäischer Gerichtshof, 14.12.1966, X I I , 672; vgl. dazu auch Ernst Brückner, Das Recht der Beamten der Europäischen Gemeinschaften, 1971, S. 16, 33.

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wäre w o h l undenkbar und ihr Vollzug wäre eine Rechtswidrigkeit. Das gleiche mutet man aber i n übertragenem Sinne der Rechtsordnung der Bundesrepublik zu, wenn man die sog. bloße Mitgliedschaft i n der D K P als Ablehnungsgrund nicht genügen lassen w i l l . Es wäre auch absurd anzunehmen, daß die Nichteinstellung eines europäischen Beamten oder seine Entlassung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn er als Mitglied eines europafeindlichen Vereins noch zusätzliche und gefährliche A k t i v i täten entfalten würde; aber auch dieser Test w i r d von den K r i t i k e r n der Rechtsordnung der Bundesrepublik verlangt. I n diesem Zusammenhang ist eine Verhandlung des Europäischen Parlaments i m Dezember 1977 von besonderem Interesse 10 . Es handelt sich u m eine Debatte über einen Fragebogen, der durch die Kommission an Bedienstete der Gemeinschaft zur Einholung einer Auskunft über ihre politische Einstellung verschickt worden war. Die Sozialistische Fraktion insbesondere hielt es für absolut verständlich, wenn auch für bedauerlich, daß solche „indiskreten" Fragen gestellt werden müßten. N u r ein Abgeordneter empörte sich m i t der Bemerkung, ob denn ein Kommunist, ein „Linker", ein Verteidiger der Freiheit und ein Verteidiger des Friedens, systematisch verdächtigt werden solle. Das sei ungerechtfertigtes Mißtrauen. Der Abgeordnete stand m i t dieser Ansicht, zumindest i m Hinblick auf Sicherheitsfragen der Europäischen Gemeinschaften, allein. Das ist auch verständlich angesichts der Tatsache, daß ζ . B. das Statut der D K P die Verpflichtung enthält, die bestehende Ordnung zu bekämpfen. 2. Die Rechtslage in den Vereinten Nationen

Systematisch i n ähnlicher Weise, wie das bei den Europäischen Gemeinschaften der Fall ist, stellt sich die Rechtsordnung der Vereinten Nationen dar. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat schon i n den Jahren 1946/47 das Recht der UN-Beamten i n seinen Grundzügen geregelt 11 . Danach muß der Beamte sein Verhalten i n voller Loyalität den Interessen der Vereinten Nationen unterordnen. Jeder Beamte hat einen Eid oder ein Gelöbnis folgenden Wortlauts abzugeben: „Ich schwöre feierlich i n voller Loyalität und gewissenhaft die m i r als internationalem Beamten übertragenen Aufgaben auszuführen, mein Verhalten den Interessen der Vereinten Nationen unterzuordnen . . . etc." Auch hier also handelt es sich u m eine Treueverpfüchtung durchaus vergleichbar derjenigen des deutschen Beamten. 10 A m t s b l a t t der Europäischen Gemeinschaften, Anhang, Nr. 224, Dez. 1977, Verhandlungen des Europäischen Parlaments, S. 413 ff. 11 Erstmals veröffentlicht als Provisional Stuff Regulations i m Yearbook of the United Nations, 1946/47, S. 86 ff.

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Ergänzt w i r d diese Regelung durch Vorschriften für das Sekretariat i m Hinblick auf die Beamtenernennung. Voraussetzung hierfür ist, daß Gewähr für die Einhaltung dieser i n der Treueverpflichtung enthaltenen Grundsätze besteht. Die Entlassung des Beamten kann bei Verletzung dieser Treuepflicht vorgenommen werden. Das für die Europäischen Gemeinschaften gewählte Beispiel soll auch hier nochmals angeführt werden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen würde w o h l keinen Bewerber anstellen dürfen, der Mitglied einer die Grundlagen der Vereinten Nationen ablehnenden oder sie bekämpfenden Vereinigung ist, und es ist wohl auch nicht daran zu denken, daß erst zusätzliche Aktivitäten die Ablehnung rechtfertigen w ü r den. IV. Internationaler Menschenrechtsschutz und öffentlicher Dienst 1. Die Europäische Menschenrechtskonvention

Die Vorschriften auch der Europäischen Menschenrechtskonvention geben einigen Aufschluß über das hier betrachtete Problem. Zwar enthält A r t . 14 M R K das Verbot der Diskriminierung wegen politischer Anschauung. Dieser „Gleichheitssatz" der M R K bezieht sich jedoch nur auf die dort ausdrücklich genannten Rechte, denn nur insoweit soll das Diskriminierungsverbot wirken 1 2 , und es handelt sich dabei nicht u m ein Gleichbehandlungsgebot umfassender A r t . Da ein Recht auf Anstellung i m öffentlichen Dienst i n der M R K nicht enthalten ist, kann sich auch das Diskriminierungsverbot wegen politischer Anschauung auf diese Fragen nicht auswirken. Daß die M R K sich m i t Fragen der Anstellung i m öffentlichen Dienst nicht befaßt, hat gute Gründe, denn es sollten durch die Konvention die Rechte des Bürgers gegen den Staat gesichert werden, während ein Eingriff i n die Staatsorganisation oder entsprechende Vorschriften nicht Inhalt dieses Vertrages sind. Darüber hinaus ist zu beachten, daß auch die i n der M R K enthaltenen Rechte von den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden dürfen, wenn anders die demokratische Ordnung nicht aufrechtzuerhalten wäre. Es besteht also das, was i m deutschen Recht als Gesetzesvorbehalt bezeichnet wird, so daß sachdienliche Einschränkungen und solche, die den Rechtsstaat schützen, auch dann zulässig wären, wenn es ein Recht auf Anstellung i m öffentlichen Dienst gäbe. 12 Dazu Karl Doehring , Non-Discrimination and Equal Treatment under the European H u m a n Rights Convention and the West German Constitution w i t h Particular Reference to Discrimination against Aliens, American Journal of Comparative L a w , vol. X V I I I , no. 2, S. 305 fï.

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Hinzuweisen ist auch darauf, daß gem. A r t . 17 M R K kein Recht dazu verwendet werden darf, die Grundsätze der M R K zu zerstören oder gar zu einem Kampf gegen die Grundrechte zu mißbrauchen. Selbst also dann, wenn es ein Recht auf Beamtenanstellung gäbe, könnte es doch nicht von Personen i n Anspruch genommen werden, welche die Grundrechte der Konvention ablehnen, w i e das bei Mitgliedern der D K P der Fall ist. Der Schluß liegt nahe, daß es den Mitgliedstaaten der M R K verboten ist, Aktivitäten zur Beeinträchtigung der Grundrechte zuzulassen. Man könnte sich also fragen, ob nicht geradezu eine Pflicht der Mitgliedstaaten bestehe, Personen von der Beamtenschaft auszuschließen, die diese Grundrechte und die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennen und die diese ihre Ablehnung offen bekundet haben. 2. Der Menschenrechtspakt der Vereinten Nationen

Die gleichen Gesichtspunkte sind maßgeblich für die Auslegung des Menschenrechtspaktes über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen 13 . Gem A r t . 25 c dieses Paktes soll zwar jedermann Zugang zu öffentlichen Ämtern haben und das ohne Rücksicht auf seine politische Anschauung, was sich durch die Verbindung von A r t . 25 m i t A r t . 2 ergibt. Der A r t . 25 enthält nun aber selbst Einschränkungsmöglichkeiten, die als „reasonable restrictions" bezeichnet sind. Daß es sich u m eine „vernünftige" Begrenzung handelt, Personen nicht zuzulassen, deren politische Anschauung die Grundrechte des UN-Paktes ablehnt, erscheint evident. Auch gilt hier das gleiche, wie es für die M R K ausgeführt wurde. A r t . 5 des Paktes bestimmt so wie A r t . 17 MRK, daß die Individualrechte aus dem Pakt nicht zu dessen Zerstörung verwendet werden dürfen. W i r d also ein Kommunist als Beamter angestellt, ist zu erwarten, daß er dem Ausschließlichkeitsanspruch des DKP-Statuts folgen w i r d und daß er also — gerade entgegen A r t . 2 des Paktes — abweichende politische Anschauungen anderer Personen selbst bekämpfen wird. Auch hier muß das Gleichbehandlungsgebot des Paktes i m Hinblick auf politische A n schauung seine Grenze dort finden, wo seine Befolgung gerade zur Zerstörung des politischen Pluralismus führen würde. So betrachtet, erscheint das System der Bundesrepublik Deutschland in voller Übereinstimmung m i t den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen.

13 Internationaler P a k t über bürgerliche u n d politische Rechte v. 19.12.1966, BGBl. I I , 1973, S. 1533.

Radikale im öffentlichen Dienst Belgiens V o n Albert Bleckmann

I . D i e Verfassungslage D a die belgische V e r f a s s u n g v o m 7. F e b r u a r 1931 s t a m m t 1 , k e n n t sie z w a r G r u n d f r e i h e i t e n , n i c h t aber d e n G e d a n k e n der s t r e i t b a r e n D e m o k r a t i e oder d e n Schutz d e r f r e i h e i t l i c h - d e m o k r a t i s c h e n G r u n d o r d n u n g d u r c h d i e B e g r e n z u n g d e r Befugnisse z u r V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g o d e r d i e besondere G a r a n t i e d e r p o l i t i s c h e n P a r t e i e n . a) D i e V e r f a s s u n g v e r a n k e r t u. a. d i e G l e i c h h e i t v o r d e m Gesetz, d i e M e i n u n g s - u n d R e l i g i o n s f r e i h e i t , die V e r s a m m l u n g s - u n d V e r e i n i g u n g s f r e i h e i t . D a b e i g e h t sie d a v o n aus, daß diese Rechte sehr w e i t g e h e n d , insbesondere d u r c h die Strafgesetze e i n g e g r e n z t w e r d e n k ö n n e n : „ A r t . 6 (1). I m Staate gibt es keine Standesunterschiede. (2). Die Belgier sind v o r dem Gesetze gleich; n u r sie allein werden zu den Z i v i l - u n d M i l i t ä r ä m t e r n zugelassen, abgesehen v o n den Ausnahmen, die f ü r Sonderfälle durch ein Gesetz festgelegt werden können." „ A r t . 14. Die Freiheit der Glaubensbekenntnisse, diejenige ihrer öffentlichen Ausübung sowie die Freiheit, die eigenen Meinungen auf jedem Gebiete zu äußern, werden gewährleistet, unbeschadet der Bestrafung der bei der Wahrnehmung dieser Freiheit begangenen Straftaten." „ A r t . 17 (1). Die Lehre ist frei; jede vorbeugende Maßnahme ist verboten; die Bestrafung der Straftaten w i r d n u r durch das Gesetz geregelt." „ A r t . 19 (1). Die Belgier haben das Recht, sich friedlich u n d ohne Waffen zu versammeln, sofern sie sich nach den Gesetzen richten, welche die Ausübung dieses Rechts regeln können, ohne sie jedoch einer vorherigen Erlaubnis zu unterwerfen. (2). Diese Bestimmung findet keine A n w e n d u n g auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche gänzlich den Polizeigesetzen unterworfen bleiben." „ A r t . 20. Die Belgier haben das Recht, Vereinigungen zu bilden; dieses Recht k a n n keiner vorbeugenden Maßnahme unterworfen werden." b) D i e L i t e r a t u r 2 u n d d i e Rechtsprechung des S t a a t s r a t s — des b e l gischen V e r w a l t u n g s g e r i c h t s 3 — g e h e n d a v o n aus, daß diese G r u n d 1 F ü r die deutsche Fassung vgl. P. C. Mayer-Tasch, Die Verfassungen Europas, 1966, S. 3; f ü r die französische Fassung, Les codes Larcier, D r o i t public, S. 14 ff. 2 André Mast, Précis de droit administratif belge, 1966, S. 108,109.

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rechte für Beamte infolge der besonderen Pflichten der Beamten eingeschränkt sind. Das gilt insbesondere für die Meinungsfreiheit. Dabei w i r d gerade bei der Meinungsfreiheit das Recht des Beamten durch die Rechtsprechung des Conseil d'Etat stark beschnitten. Der Staatsrat verwendet insoweit aber unbestimmte Generalklauseln, welche eine genaue Abgrenzung der Rechte und Pflichten des Beamten unmöglich machen. Die linke Presse anerkennt die Notwendigkeit, den Grundrechten der Beamten Schranken zu ziehen, fordert allerdings eine bestimmtere Grenzziehung, als sie i n der Rechtsprechung des Staatsrats erfolgt. Auch die Literatur hat sich bisher um eine genauere Grenzziehung der Rechte und Pflichten der Beamten nicht bemüht. c) Die Verfassung enthält neben dem zitierten A r t . 6 keine Bestimmungen über den öffentlichen Dienst und die Verwaltung. Insoweit ist also der Gesetzgeber vorbehaltlich der oben dargestellten Grundrechte i n seiner Regelungsbefugnis völlig frei. d) A r t . 131 läßt die Änderung der Verfassung i m ganzen Umfang zu. Irgendwelche verfassungsrechtlichen Grenzen sind der Verfassungsänderung nicht gezogen. Insbesondere dürfen damit auch die Grundlagen der Verfassung, die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Grundrechte usw. durch die verfassungsgebenden Organe geändert und aufgehoben werden. Diese verfassungsrechtliche Ausgangslage steht der Entwicklung des Gedankens einer besonderen Verfassungstreue der Bürger und insbesondere der Beamten entgegen, wenn sich, wie w i r sehen werden, i n der Literatur auch entsprechende Gegenäußerungen finden. II. Das Beamtenstatut 1. Begriff, Rechtsnatur und gesetzliche Regelung

a) Maurice Capart 1 legt zwei unterschiedliche Definitionen des Beamtenbegriffs vor. Nach der ersten Definition ist der Beamte eine Person, die einen „service public" ausübt, i n ihren A k t e n also den Staatsw i l l e n bildet und vertritt, durch einen einseitigen A k t (Commission) des Staates oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts i n ihrem A m t ernannt worden ist und zur Eidesleistung verpflichtet ist. A u f der anderen Seite sei nach der Definition des Kassationshofes Beamter diejenige Person, die aufgrund einer Delegation durch den König einen Teil der öffentlichen Gewalt ausübt. 3 Vgl. Jean Sarot, Conseil d'Etat, Répertoire des arrêts et avis de la section d'administration, 1948—1953, S. 57 ff., S. 177 Nr. 5 (arrêt Bogaert). 4 Maurice Capart , L e statut des agents de l'Etat, 1938, S. 1 ff.

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Das heute noch verbindliche Arrêté royal vom 2. Oktober 1937 (Beamtenstatut) 5 definiert den Staatsbeamten i n seinem A r t . 1 : „ L a qualité d'agent de l'Etat est reconnue a toute personne qui, à t i t r e définitif, porte ses services aux administrations de l'Etat." „Der Charakter eines Staatsbeamten w i r d jedem zuerkannt, der endgültig seine Dienste den Verwaltungen des Staates zur Verfügung stellt."

I m belgischen Recht gibt es also den Unterschied zwischen dem Beamten und dem öffentlichen Angestellten nicht. A l l e i n der Verwaltung auf Dauer tätigen Personen sind Beamte, auf welche das Beamtenstatut Anwendung findet. 2. Voraussetzungen der Zulassung zum öffentlichen Dienst

a) Die Zulassung zum öffentlichen Dienst ist in den A r t . 15 ff. des Beamtenstatuts geregelt: „ A r t . 15. Niemand darf zum Staatsbeamten ernannt werden, w e n n er den Zulassungsbedingungen nicht genügt u n d nicht m i t Erfolg die Zulassungsproben bestanden hat, die i n den folgenden Bestimmungen geregelt sind. A r t . 16. U m sich zu den Eingangswettbewerben zu melden, müssen die Kandidaten die folgenden allgemeinen Bedingungen erfüllen: 1. Belgier sein; 2. einen guten Lebenswandel geführt haben (être de conduite irréprochable); 3. Genuß der bürgerlichen u n d politischen Rechte; 4. sich i n Übereinstimmung m i t den Militärgesetzen befinden (Ableistung der Wehrpflicht); 5. das Höchstalter von 50 Jahren nicht überschreiten; 6. ein D i p l o m oder ein Studienzertifikat besitzen, das dem Niveau des Postens entspricht, der zu besetzen ist. . . . "

Dazu treten die Voraussetzungen des A r t . 17, nach dem die Kandidaten für den Posten physisch geeignet sein müssen, eine entsprechende Platzziffer beim Wettbewerb erreicht haben müssen und m i t Erfolg eine Vorbereitungszeit (stage probatoire) durchlaufen haben müssen. Von all diesen Voraussetzungen kann die Verwaltung nach A r t . 18 des Beamtenstatuts absehen, wenn es sich um besonders qualifizierte Kandidaten handelt (des personnes d'une haute valeur administrative, scientifique technique ou artistique). b) Für unser Thema von besonderer Bedeutung ist die Voraussetzimg des „guten Lebenswandels" (conduite irréprochable). Insoweit enthält das Beamtenstatut eine nähere Qualifizierung nicht. Auch die einschlägige Literatur ist insoweit sehr zurückhaltend. André Mast untersucht 6

Codes Larcier (Anm. 1), S. 66 ff.

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diese Voraussetzung i n seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts ζ . B. nicht, obwohl er auch das Beamtenrecht behandelt*. Auch das Lehrbuch des Verwaltungsrechts von André Buttgenbach 1 geht auf diese Fragen nicht näher ein. Seine Stellungnahme ergibt sich aber indirekt aus anderen Passagen seines Werkes. So ist er auf S. 313 der Auffassung, daß A r t . 6 der Verfassung, der den gleichen Zugang der Bürger zum öffentlichen Dienst garantiere, zwar den Gesetzgeber nicht daran hindern, Bedingungen für den Zugang zum öffentlichen Dienst etwa hinsichtlich des Alters, des Geschlechts, der Diplome usw. festzulegen, daß aber Unterschiede nach dem Stand oder der Meinung nicht möglich seien. A u f S. 317 finden sich längere Erörterungen zur Meinungsfreiheit des Beamten. Grundsätzlich habe der Beamte dieselbe Meinungsfreiheit wie der Bürger. Daraus folge, daß man von den Beamten nicht eine besondere Loyalität gegenüber der Regierung verlangen dürfe, w e i l der Beamte nicht angestellt werde, um nur einer Regierung zu dienen, sondern einem service public, das unter verschiedenen Ministerien weitergeführt werden müsse. Buttgenbach ist allerdings der Auffassung, daß der Beamte eine gewisse Zurückhaltung üben und sich enthalten müsse, öffentlich Entscheidungen zu kritisieren, die er ausführen müsse, i m übrigen sei es sicher möglich, Beamte aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, die der Meinung sind, daß die öffentlichen Institutionen durch Gewalt oder außergesetzliche M i t t e l gestürzt werden müssen. Das folge schon aus der Eidesformel. Diese Regel gelte absolut und allgemein. Auch besitze der Beamte das Recht, Gewerkschaften beizutreten, wenn deren Tätigkeit nicht ungesetzlich sei und nur die Durchsetzung der Interessen ihrer Mitglieder zum Ziele habe. Wie i m italienischen Recht ist also nach belgischem Recht auf die gesetzwidrigen M i t t e l der politischen Tätigkeit, nicht auf deren Ziele abgehoben. Eine besondere Treuepflicht des Beamten i n bezug auf die Grundlagen der Verfassung besteht also nach Buttgenbach nicht. Einen Schritt weiter geht Michel Halwyck de Heusch 8. Nach diesem Autor wurde der gute Lebenswandel bis 1945 durch einen Auszug aus dem Straf register und durch ein Leumundszeugnis der Gemeindeverwaltung nachgewiesen. Das sei völlig unzureichend. Ohne bestraft zu sein, könne jemand mehr oder weniger diskret ein „mangelhaftes" Leben führen, das i n den großen Städten der Gemeindeverwaltung unbekannt bleiben könne. Eine andere Person könne subversive Meinungen geäußert haben m i t dem Ziel, das Verfassungsregime zu zerstören, dem er dienen solle. Durch eine geeignete Untersuchung müsse die Ungeeignetheit des einen und die Gefährlichβ André Mast, Manuel de droit administratif, 1959; Précis de droit a d m i n i stratif belge, 1966. 7 André Buttgenbach, Manuel de droit administratif, 1959. 8 Michel Halwyck de Heusch, L e recrutement des agents de l'Etat, 1945, S. 34 f.

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keit des anderen festgestellt werden. Er schlägt hierfür die Einschaltung des Staatssicherheitsdienstes vor. Dieser Autor ist also i m Gegensatz zu Buttgenbach der Meinung, daß schon die Äußerung einer Auffassung, die auf den Sturz der Verfassung abzielt, die Ungeeignetheit für den öffentlichen Dienst begründet. Soweit ersichtlich, hat der Staatsrat sich m i t dieser Frage noch nicht befaßt. Er ist aber, wie w i r weiter unten zeigen werden, der Meinung, daß die Entscheidung über die Einstellung i n den öffentlichen Dienst voll i m Ermessen der Verwaltung steht und nur auf Ermessensmißbrauch h i n nachgeprüft werden kann; dabei ist auch diese Prüfung sehr beschränkt, so daß der Staatsrat bisher keine Nichtzulassung aufgehoben hat. 3. Das Verfahren der Einstellung

a) A r t . 20 des Beamtenstatuts legt für gewisse Beamtenkategorien den Wettbewerb verbindlich fest. I m übrigen kann der Wettbewerb durch das jeweils zuständige Ministerium auch für andere Fälle angeordnet werden. Es ist recht schwierig, A r t und Umfang der Posten zu bestimmen, welche nur aufgrund eines Wettbewerbs besetzt werden. Zunächst handelt es sich grundsätzlich nur um Eingangsstellen i m öffentlichen Dienst. Dabei werden die gesamte Kulturverwaltung, die Richterschaft und die Staatsanwaltschaft ohne Wettbewerb aufgrund völlig freien Ermessens der Verwaltung rekrutiert. I m übrigen besitzt die Verwaltung aufgrund des A r t . 18 des Beamtenstatuts die durch die Verwaltungsgerichte nicht überprüfbare 9 Befugnis, jede Beamtenposition i m Einzelfall dem Wettbewerb zu entziehen, indem sie diese Stelle m i t einer „besonders qualifizierten" Person besetzt. b) I m Beamtenstatut sind nur Einzelfragen des Wettbewerbs geregelt. I m übrigen ist der Wettbewerb durch ein Arrêté royal vom 17. September 196910 geordnet. (1) Die Organisation der Wettbewerbe für den Eintritt i n den öffentlichen Dienst und — eventuell — für eine Beförderung obliegt einem besonderen, vom König ernannten Beamten, dem „secrétaire permanent au recrutement", der seine Befugnisse aber an die zuständigen Ministerien oder an die Leiter der einzelnen Verwaltungszweige delegieren kann. (2) Der Wettbewerb w i r d eingeleitet durch eine öffentliche, i m Amtsblatt bekannt zu gebende Ausschreibung. 9 10

Siehe unten A n m . 22. Codes Larcier (Anm. 1), S. 109.

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(3) Die Prüfungsthemen werden von dem Minister festgelegt, der für den öffentlichen Dienst verantwortlich ist. Die Prüfung selbst w i r d von einem Ausschuß wahrgenommen, dem mehrheitlich — je nach dem Niveau der zu besetzenden Stellen — Universitätsprofessoren, Studienräte oder Direktoren der Volksschulen angehören. (4) Uber die Bewertung und die Gesamtergebnisse sagt die Verordnung nichts. Es ist aber anzunehmen, daß diese Bewertung — dem französisch-belgischen System und dem Ziel des Wettbewerbs entsprechend — rein mathematisch erfolgt. (5) Nach Ablauf der Prüfung stellt der „secrétaire permanent au recrutement" die Reihenfolge der Sieger des Wettbewerbs aufgrund deren Ergebnisses fest und prüft, ob die Kandidaten den Voraussetzungen des Eintritts i n den öffentlichen Dienst entsprechen. (6) Die siegreichen Kandidaten haben i n der Reihenfolge ihres Ergebnisses i m Wettbewerb einen rechtlichen Anspruch, i n den Vorbereitungsdienst übernommen zu werden. (7) Der Vorbereitungsdienst dauert mindestens 6 Monate. Während dieses Dienstes ist der Referendar noch nicht Beamter i m Sinne des Beamtenstatuts, das auf i h n folglich nur insoweit anwendbar ist, als dies besonders bestimmt wird. Der Referendar kann auch während des Vorbereitungsdienstes wegen Unfähigkeit (inaptitude) entlassen werden. Diese Entlassung erfolgt durch den zuständigen Minister auf Vorschlag der für den Vorbereitungsdienst zuständigen Kommission (commission des stages), die aus dem für den Vorbereitungsdienst allgemein zuständigen Beamten (maître général des stages), dem secrétaire permanent au recrutement und zwei Generalsekretären, eventuell noch zwei Personen hohen wissenschaftlichen Ansehens außerhalb der Verwaltung besteht, nach Anhörung des maître des stages, der für den Referendar zuständig ist. Außerdem kann der Referendar entlassen werden wegen jeden schuldigen Handelns während der Vorbereitungszeit, wegen jeden Verstoßes gegen seine Verpflichtungen und wegen jeden Handelns, welches die Ehre des öffentlichen Dienstes beeinträchtigt (Art. 27 quater des Beamtenstatuts). (8) Nach Ablauf der Vorbereitungszeit stellt der maître général des stages die Liste der Referendare auf, die nach seiner Ansicht zur Ernennung als Staatsbeamte geeignet sind und übersendet diese Liste an die zuständigen Minister. Die ungeeigneten Referendare werden der commission des stages bekanntgegeben. Der maître général des stages stützt seine Beurteilung auf die Personalakten, welche die Beurteilung durch das Ausbildungszentrum und

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die monatlichen Beurteilungen während der Vorbereitungszeit halten.

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ent-

Die Ungeeignetheit der Referendare w i r d durch die commission des stages erneut überprüft. Nach A r t . 31 § 1 des Beamtenstatuts „ w i r d der Referendar, der nach Ansicht des maître général des stages oder der commission des stages für den öffentlichen Dienst geeignet ist, durch den König ernannt", während die als ungeeignet qualifizierten Referendare entlassen werden. Dieser Wortlaut legt die Annahme nahe, daß die Verwaltung bei der endgültigen Ernennung zum Beamten nur die Eignung des Referendars beurteilen kann und daß die Beurteilung durch den maître général des stages bzw. durch die commission des stages für die Verwaltung bindend i s t Außerdem legt der Text des A r t . 31 § 1 die Auffassung nahe, daß die Verwaltung bei positiver Beurteilung des Referendars den Referendar zum Beamten ernennen muß, dieser also einen Rechtsanspruch auf die endgültige Ernennung besitzt. 4. Beförderung

Die Beförderung erfolgt i n der Regel ohne Wettbewerb aufgrund der Beurteilungen der Dienstvorgesetzten (signalement), kann aber ebenfalls einem Wettbewerb unterworfen werden. 5. Die Beamtenpflichten

Nach Maurice Capart 11, der soweit ersichtlich als einziger die Beamtenpflichten umfassender behandelt hat, umfaßt das Beamtenverhältnis folgende, i m Gesetz teilweise festgelegte 12 Pflichten des Beamten: a) Die Pflicht, bei jeder Gelegenheit die Interessen des Staates zu wahren. Diese Pflicht umfaßt nach Capart die Verpflichtung, m i t Fleiß zu arbeiten und sich nach A r t eines bonus paterfamilias zu verhalten. b) Die Pflicht, die Dienstpflichten pünktlich und gewissenhaft zu erfüllen. 11

Maurice Capart (Anm. 4), S. 12 ff. Vgl. A r t . 7 ff. des Beamtenstatuts, insbesondere A r t . 91: „ I i s ne peuvent se l i v r e r à aucune activité q u i est en opposition avec la Constitution et les lois du peuple belge, q u i poursuit la déstruction de l'indépendance d u pays ou q u i met en dager la défense nationale ou l'exécution des engagements de la Belgique en vue d'assurer sa sécurité. Ils ne peuvent adhérer n i prêter leur concours à u n mouvement, groupement, organisation ou association ayant une activité de même nature." 12

4 Verfassungstreue

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c) Die Pflicht, die Anordnungen des Vorgesetzten auszuführen. d) Die Pflicht zu äußerster Höflichkeit i m Dienst und m i t den Bürgern. e) Die Pflicht zur gegenseitigen Hilfe, soweit diese durch die Verwaltungsinteressen gefordert wird. f) Die Pflicht, i m Dienst und außerhalb des Dienstes A k t e zu vermeiden, welche das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung schädigen und die Ehre oder Würde des Amtes herabsetzen könnten. Nach André Mast 1 3 kann auch eine aktive Teilnahme (participation militante) an den politischen Kämpfen gegen diese Pflicht verstoßen, w e i l sie das Vertrauen der Öffentlichkeit i n die Unparteilichkeit der Verwaltung herabsetzen könnte. g) Die Pflicht, jede Tätigkeit zu unterlassen, die i m Gegensatz zu der Verfassung und zu den belgischen Gesetzen steht. Capart ist der A u f fassung, daß die Beamten nicht i m Gegensatz zu ihrem Eid einer Vereinigung angehören dürfen, die dem Staat feindselig gesonnen ist, daß sie an keiner Handlung teilnehmen dürfen, die auf die Zerstörung des Staates abzielt, daß sie keine Meinungen äußern dürfen, die auf diese Ziele gerichtet sind. Insoweit berichtet Capart über eine Reihe von Vorfällen aus den Jahren 1932 bis 1934, die heute noch Präjudizcharakter besitzen, w e i l die Verfassung und das Beamtenstatut insoweit nicht geändert worden sind. So hat der Ministerrat am 26. J u l i 1932 den Beamten verboten, Parteiembleme wie etwa Hammer und Sichel zu tragen. I m November 1933 hat der Ministerrat die Entlassung aller Beamten angedroht, die revolutionäre und antinationale Meinungen geäußert haben, und Beamte entlassen, die revolutionäre oder antinationale Handlungen begangen hatten. Dabei hat der Ministerrat am 12. A p r i l 1934 die Meinung geäußert, daß als revolutionär jede organisierte Miliz anzusehen ist. h) Die Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses. i) Das Bestechungsverbot. k) Obwohl Capart darauf nicht abstellt, stellt sicher auch der Verstoß gegen die belgischen Straf- und Polizeigesetze ein Dienstvergehen dar. Insoweit ist aber festzustellen, daß das belgische Strafgesetzbuch nur die üblichen Beamtendelikte und als politische Delikte nur das Attentat auf den König, den Widerstand gegen die Staatsgewalt, die Teilnahme am Bürgerkrieg u. ä. kennt, also nicht etwa einen Verfassungsumsturz bestraft 14 . 13 14

André Mast (Anm. 6), S. 109. Vgl. hierzu das belgische Strafgesetzbuch i n den Codes Larcier (Anm. 1).

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6. Das Disziplinarverfahren

a) Das belgische Beamtenstatut enthält eine sehr lange Reihe von Disziplinarmaßnahmen, die vom Tadel bis zur Dienstentlassung reichen und bei schuldhaftem Verstoß gegen die oben aufgezählten Beamtenpflichten verhängt werden können. Dabei hat das Beamtenstatut darauf verzichtet, bestimmte Disziplinarmaßnahmen an die Verletzung bestimmter Dienstpflichten zu binden. b) Dem französischen System entsprechend liegt die Disziplinargewalt auch für die höchsten Disziplinarstrafen ausschließlich bei der Verwaltung. Vor Erlaß der Disziplinarmaßnahme w i r d dabei auf A n trag des Beschuldigten eine Kommission eingeschaltet (chambre de recours), die sich aus einem Präsidenten, der notwendig Richter ist, aus den Generalsekretären des betreffenden Verwaltungszweiges sowie aus einem Mitglied zusammensetzt, das die Kanzleifunktionen übernimmt und nicht stimmberechtigt ist. Die Verhängung der Disziplinarmaßnahme stellt einen Verwaltungsakt dar, der der Nachprüfung durch das Verwaltungsgericht unterliegt. c) Zu beachten ist, daß unter bestimmten Voraussetzungen der Beamte automatisch, d. h. ohne Zwischenschaltung eines Disziplinarverfahrens, aus dem Dienst ausscheidet15. d) Auch ohne Disziplinarvergehen kann nach belgischem Recht ein Beamter i m öffentlichen Interesse vom Dienst suspendiert werden 16 . Diese „mise en disponibilité" soll grundsätzlich zwar nur bei Auflösung eines Verwaltungszweiges und i n ähnlichen Fällen eingreifen. Es handelt sich hierbei aber u m einen Verwaltungsakt, der vom Verwaltungsgericht nur auf détournement de pouvoir (Ermessensmißbrauch) h i n überprüft werden kann. Dabei muß der Beamte das Vorliegen eines solchen Ermessensmißbrauchs beweisen. e) Möglich ist schließlich eine Versetzung des Beamten i m öffentlichen Interesse. Hierzu gilt das unter d) Gesagte weitgehend analog.

15

Vgl. A r t . 12 ff. des Beamtenstatuts. Vgl. J. Sarot/J. Ligot/J. Coolen , Conseil d'Etat. Répertoire des arrêts et avis de la section administration, Bd. 2, 1954—1958, 1962, S. 266. 16

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I I I . Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle 1. Nach belgischem Recht brauchen Verwaltungsakte nur dann begründet zu werden, wenn das Recht dies ausdrücklich vorsieht 1®. Eine solche Bestimmung fehlt für die Ernennung oder die Ablehnung nicht 17 . Dagegen sind Disziplinarmaßnahmen zu begründen 18 . 2. Die Zulassung zum öffentlichen Dienst kann von den Konkurrenten des Bewerbers angefochten werden 19 . Der Bewerber selbst kann die Ablehnung der Zulassung, der Beamtenernennung nur anfechten, wenn er einen Rechtsanspruch auf die Ernennung besitzt 20 ; das ist nur i n ganz wenigen Fällen der Fall. A u f der anderen Seite können Disziplinarmaßnahmen jederzeit von dem Beschuldigten angefochten werden. 3. Die Einstellung i n den öffentlichen Dienst und die Ablehnung der Einstellung sind zwar keine Regierungsakte 21 , aber i m weiten Umfang der Nachprüfung des Verwaltungsgerichts entzogene Ermessensakte. Der Staatsrat hat mehrfach betont, daß die Beurteilung der Voraussetzungen des Eintritts i n den öffentlichen Dienst, insbesondere die Geeignetheit und die gute Führung, i m alleinigen Ermessen der Verwaltung liegen; der Staatsrat darf sein Ermessen dabei nicht an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen 22 . Diese Ermessensentscheidungen können nur daraufhin überprüft werden, ob ein Ermessensmißbrauch (détournement de pouvoir) vorliegt 2 3 , d. h. ob die Verwaltung durch das Gesetz nicht gedeckte Ziele angestrebt hat 2 4 . Dabei obliegt die Beweisführung dem übergangenen Kandidaten 2 5 . Folglich hat der Staatsrat soweit ersichtlich eine Nichtzulassung zum öffentlichen Dienst mangels Ermessensmißbrauchs noch niemals aufgehoben 28 . 4. Auch bei der Uberprüfung von Disziplinarmaßnahmen hält sich der Staatsrat sehr zurück 27 . Er überprüft zwar, ob der von der Behörde 17

Ebd., S. 201. Ebd., S. 101 f., 201 (arrêt Emmerechts). 19 Ebd., S. 57 if., S. 60 ff. 20 Ebd., S. 58, S. 68 (arrêt Brichard). 21 Der Begriff des Regierungsaktes ist dem belgischen Recht fremd. 22 J. Sarot / J. Ligot / J. Coolen (Anm. 16), S. 365, Nr. 14—21 (für A r t . 18 des Beamtenstatuts). 23 Ebd., S. 262. 24 Andre Mast (Anm. 6), S. 375 ff.; J. Sarot / J. Ligot / J. Coolen (Anm. 16), S. 262 ff. 25 Andre Mast (Anm. 6), S. 377; J. Sarot / J. Ligot / J. Coolen (Anm.16), S. 264 ff. 26 J. Sarot / J. Ligot / J. Coolen (Anm. 16), S. 264, zeigen auf, daß der Staatsrat v o n 1948 bis 1958 n u r i n f ü n f Fällen Verwaltungsakte wegen détournement de pouvoir aufgehoben hat. Es handelte sich dabei stets u m die Anfechtung von Beamtenernennungen, niemals u m die Anfechtung einer Nichtzulassung. 18

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angegebene Sachverhalt vorliegt 2 8 . Ebenfalls prüft er, ob dieser Sachverhalt ein Dienstvergehen enthält; dabei beläßt er der Verwaltung aber einen breiten Ermessensspielraum 29 . Teilweise prüft er auch insoweit nur, ob die Verwaltung einen détournement de pouvoir begangen hat 3 0 . Ob das betreffende Dienstvergehen die Höhe der Strafe rechtfertigt (Verhältnismäßigkeit), prüft der Staatsrat dagegen nicht 31 . IV. Die Beamteneinstellung in der Praxis I n der Praxis scheint ein relativ flexibles Verfahren Radikale vom öffentlichen Dienst weitgehend fernzuhalten. Dabei ist das ganze System nicht sehr transparent. Angesichts der Tatsache, daß ich die folgenden Informationen politisch interessierten Kreisen verdanke, sind diese Tatsachen ferner m i t einer gewissen Vorsicht zu behandeln. Es scheint, daß bestimmte, politisch wichtige und sensible Dienstzweige — vor allem das Außenministerium, das Innenministerium und das Justizministerium sowie die unter der Aufsicht des Justiz- und Innenministeriums stehende Gendarmerie nationale — vor der Einstellung i n den öffentlichen Dienst Informationen vor allem beim Staatssicherheitsdienst (sûreté de l'Etat) einholen und Mitglieder extremer Parteien ablehnen. Der Staatssicherheitsdienst sammelt und ordnet anscheinend die Daten nicht so konsequent wie die deutschen Verfassungsschutzämter, kann sich aber auf die Informationen der „agent de quartier" — das sind jeweils für einen bestimmten, kleinen Bezirk zuständige und deshalb über deren Bewohner gut informierte Polizeibeamte — stützen. I n allen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes verspricht eine Bewerbung nur dann Erfolg, wenn sie von einer demokratischen Partei unterstützt wird, die einer der drei großen „Familien" (Christlichen, Sozialen, Liberalen, eventuell auch den Regionalparteien) angehören. Dabei ist allerdings i n der Regel eine Zugehörigkeit zu einer dieser Parteien nicht erforderlich. Die Parteien unterstützen vielmehr auch Nichtmitglieder. Jedenfalls w i r d auf diese Weise weitgehend effektiv die Bewerbung extremer Parteiangehöriger ausgeschaltet, wenn es auch vorkommt, daß diese Parteien einen Extremen decken. Der Einfluß der demokratischen Parteien geht dabei so weit, daß für bestimmte Posten 27

André Mast (Anm. 6), S. 114 m i t Rechtsprechung. Ebd.; Jean Sarot (Anm. 3), S. 101 (arrêt Bolle). 29 André Mast (Anm. 6); Jean Sarot (Anm. 3), S. 178, Nr. 108. 30 J. Sarot / J. Ligot / J. Coolen (Anm. 16), S. 266. 31 André Mast (Anm. 6), S. 114, u n d die dort zitierte Rechtsprechung des Conseil d'Etat. 28

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nur ein Bewerber einer bestimmten Parteienrichtung i n Frage kommt, so daß zahlreiche Posten nach dem Parteienproporz besetzt werden. Extremisten haben allerdings eine gewisse Chance, soweit für die Besetzung der Eingangsstellen bestimmter Ministerien Wettbewerbe ausgeschrieben werden müssen. Für Extremisten besteht ferner insoweit eine gewisse Chance, i n den öffentlichen Dienst einzutreten, soweit es sich u m den Dienst der untergeordneten Körperschaften handelt, deren Vertretungsorgane von extremen Parteien besetzt sind. Das gilt auch für die Gemeindepolizei. Wenn so Angehörige extremer Links- oder Rechtsparteien auch noch gewisse Chancen haben, Eingangsstellen zu besetzen, werden sie doch i n der Regel bei einer Beförderung nicht berücksichtigt. Häufig werde ein extremer Beamter aber auch i n der Weise „versetzt", daß er i n eine andere, „ungefährlichere" Verwaltung befördert wird. V. Zusammenfassende Würdigung I n Belgien besitzen die Behörden umfangreiche Möglichkeiten, u m Extremisten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten oder aus dem öffentlichen Dienst auszuschließen. 1. Diese Möglichkeiten konzentrieren sich zunächst bei den allgemeinen Voraussetzungen des Eintritts in den öffentlichen Dienst, und hier insbesondere auf die Voraussetzung der guten Führung. I n diesem Rahmen können zunächst Bewerber, welche für den gewaltsamen Verfassungsumsturz eintreten, ausgeschlossen werden. Darüber hinaus nimmt die Lehre teilweise an, daß auch die Zugehörigkeit zu einer Partei, welche m i t demokratischen M i t t e l n den Verfassungsumsturz herbeiführen w i l l , ja sogar entsprechende Äußerungen der Kandidaten den Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst rechtfertigen. Schließlich scheint auch jede aktive Beteiligung am Parteienkampf zumindest bei bestimmten Dienstposten den Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst zu rechtfertigen. 2. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Ablehnung der Einstellung i n den öffentlichen Dienst nur i n den ganz seltenen Fällen angefochten werden kann, i n denen der Bewerber einen Anspruch auf die Einstellung besitzt. Aber selbst dann greift die verwaltungsgerichtliche Kontrolle meist nicht, da einerseits die Ablehnung der Einstellung i n den öffentlichen Dienst nicht begründet zu werden braucht, andererseits die Prüfung der „guten Führung" i m Ermessen der Verwaltungsbehörden steht; die Verwaltungsgerichtsbarkeit beschränkt sich auf die Kontrolle des détournement de pouvoir, der vom Kläger i n aller Regel

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mangels Anhaltspunkten und Beweisen nicht wie erforderlich nachgewiesen werden kann. 3. So ist, selbst wenn die Besetzung der Posten einem an sich formalisierten und nur auf die Leistung ausgerichteten Wettbewerb unterworfen ist, die Einstellung selbst sehr wenig rechtlich formalisiert. Die Verwaltung behält einen umfassenden, verwaltungsgerichtlich nicht nachprüfbaren Ermessensspielraum. Darüber hinaus ist der Wettbewerb nur i n einigen Verwaltungen generell angeordnet und kann auch dann noch i m Einzelfall durch die i m reinen Ermessen der Verwaltung stehende Ernennung qualifizierter Personen umgangen werden. 4. Bei den nicht dem Wettbewerb unterworfenen Posten greift entweder eine politische Kontrolle des Staatssicherheitsdienstes oder die Notwendigkeit einer Empfehlung durch eine der demokratischen Parteien ein, die naturgemäß Extremisten wohl nur selten gewährt wird. 5. Sollten Extremisten aber dennoch ernannt worden sein, bietet das belgische Verwaltungsrecht ein großes Arsenal an Möglichkeiten, solche Personen wieder zu entlassen: Hier sind zunächst die Versetzung und die mise en disponibilité, dann das Disziplinarverfahren zu nennen. Die ersten beiden Möglichkeiten sind i m öffentlichen Interesse eröffnet; die Verwaltungsgerichtsbarkeit beschränkt sich aber auf die Kontrolle des détournement de pouvoir, der von der betreffenden Person kaum je nachgewiesen werden kann, weil diese A k t e nicht begründet zu werden brauchen. Die disziplinarische Dienstentlassung unterliegt ebenfalls zwar der Kontrolle des Staatsrats; dabei werden aber einerseits von der Lehre Maßnahmen gegen Extremisten als zulässig angesehen, zum anderen beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die Existenz der Fakten und hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung des Sachverhalts auf den détournement de pouvoir, der vom Kläger nachzuweisen ist.

Zugang zum öffentlichen Dienst und Verfassungetreue in England Von Hartmut Schiedermair und Dietrich Murswiek

Inhaltsübersicht A. Der Civil

Service

I. F u n k t i o n u n d S t r u k t u r des C i v i l Service I I . Verfassungsrechtliche Leitvorstellungen f ü r den C i v i l Service I I I . Der rechtliche Status der C i v i l Servants 1. Das Rechtsverhältnis i m allgemeinen 2. Die allgemeinen Pflichten des C i v i l Servant a) Verpflichtung zur Amtstreue u n d allgemeine Verhaltensregeln S. 65 — b) Politische Neutralität S. 65 3. Die Folgen v o n Pflichtverstößen I V . Rekrutierung V. Sicherheitsüberprüfung

59 59 62 63 63 65

67 68 69

V I . Diensteid

73

V I I . Resümee

73

B. Die Richter

74

I. Z u r S t r u k t u r der englischen Gerichtsbarkeit I I . Rekrutierung 1. Auswahlbehörden 2. A u s w a h l k r i t e r i e n a) Voraussetzungen f ü r die Berufung ins Richteramt S. 77 — b) Der Zugang zum Anwaltsberuf S. 79 3. Auswahlverfahren

74 75 75 77

80

I I I . Der rechtliche Status der hauptamtlichen Richter

81

I V . Resümee

81

C. Die Lehrer

83

I. Z u r S t r u k t u r der englischen Schulorganisation I I . Der rechtliche Status der Lehrer 1. Das Rechtsverhältnis i m allgemeinen 2. K ü n d i g u n g

83 85 85 85

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I I I . Rekrutierung 1. A u s w a h l k r i t e r i e n 2. Aus w ä h l verfahren

87 87 89

I V . Independent Schools

89

V. Resümee D.

Gesamtergebnis

89 90

England 1 kennt für die Beschäftigten i m öffentlichen Dienst — verstanden als Dienst für den Staat oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts2 — kein einheitliches Dienstrecht. Vielmehr weisen die Arbeitsbedingungen und rechtlichen Regelungen der Beschäftigungsverhältnisse für die verschiedenen Gruppen des öffentlichen Dienstes erhebliche Unterschiede auf. Die größte Gruppe öffentlicher Bediensteter, die i m Diensite der Krone beschäftigt sind, ist der C i v i l Service. Der Civil Service ist der Verwaltungsapparat Großbritanniens. Die offizielle Definition des C i v i l Servant, des i m Civil Service Beschäftigten, lautet: Er ist ein „Diener der Krone (der kein politisches oder Justizamt bekleidet), der gänzlich und unmittelbar m i t vom Parlament bewilligten Geldern bezahlt w i r d und i n einer zivilen Stellung i n einem Regierungsdepartment arbeitet" 3 . Z u m C i v i l Service gehören demnach nicht die folgenden Gruppen: — Minister und Inhaber anderer politischer Ämter, die von Mitgliedern des Unterhauses (House of Commons) oder des Oberhauses (House of Lords) bekleidet werden — Richter und andere Inhaber von Justizämtern — Angehörige der Streitkräfte (nahezu V2 Million) — Angestellte des Nationalen Gesundheitswesens, die in Krankenhäusern und i m Gesundheitsdienst i n ganz Großbritannien arbeiten (ca.

800 000) — die i n den Lokalverwaltungen Beschäftigten (ca. 2V2 Millionen), darunter insbesondere die Lehrer — die i n den verstaatlichten Industrien Beschäftigten (ca. 2 Millionen), i m wesentlichen: Kohle, Gas, Elektrizität, Stahl, Eisenbahn und ein 1 Der folgende Bericht bezieht sich auf die Rechtsverhältnisse i m Vereinigten Königreich von Großbritannien u n d N o r d i r l a n d insoweit, als sie dort einheitlich sind, u n d beschränkt sich ansonsten auf die Darstellung der Rechtslage i n England. Deshalb w i r d durchgehend von „England" gesprochen. 2 W. Thieme, Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., 1975, Sp. 1653—1656. 3 ζ . B. The British Civil Service (Central Office of Information Reference Pamphlet 1922) 1974, 2nd imp., 1975, p. 1; T o m l i n Commission (1929—31), Cmd. 3909; Priestley Commission (1953—55), Cmd. 9613.

England

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Teil des Straßentransports, öffentlicher Luftverkehr und Flughäfen, das Postwesen, Atomenergie, die Bank von England 4 . Der Civil Service umfaßt zwar sowohl den Home C i v i l Service als auch den Diplomatischen Dienst (Diplomatie Service). Der Diplomatische Dienst ist jedoch getrennt vom Home Civil Service organisiert 5 und w i r d auch i n der weiteren Darstellung nicht berücksichtigt. Der C i v i l Service umfaßt diejenige Gruppe öffentlich Bediensteter i n England, die sich nach Aufgabengebiet und rechtlicher Stellung am ehesten von allen m i t dem deutschen Berufsbeamtentum vergleichen läßt. Da der Zugang zum öffentlichen Dienst i n Deutschland vor allem für Bewerber um Beamtenstellen umstritten ist, soll hier vor allem der Zugang zum Civil Service dargestellt werden (Α.). Außerdem w i r d die Rechtslage für zwei Gruppen öffentlich Bediensteter beschrieben, die ebenfalls von der öffentlichen Diskussion u m den Zugang i n Deutschland betroffen sind: die Richter (B.) und die Lehrer (C.). A. Der Civil Service I . Funktion und Struktur des Civil Service

Die C i v i l Servants sind i n den verschiedensten Funktionen tätig, von der unmittelbaren Beratung und Unterstützung der politischen Führung über die Verwaltung bis hin zu Bürohilfskräften und rein manuellen Berufen. Eine rechtliche Unterscheidung zwischen Beamten und Angestellten gibt es innerhalb des C i v i l Service nicht. Hinsichtlich seiner rechtlichen Stellung, insbesondere der Altersversorgung 6 , und hinsichtlich seiner besonderen Pflichten gegenüber dem Staat ähnelt der Status des Civil Servant mehr dem des deutschen Beamten als dem des Angestellten. Deshalb w i r d „ C i v i l Servant" gewöhnlich m i t „(Staats-)Beamter" übersetzt und „ C i v i l Service" m i t „Berufsbeamtentum" 7 . Man unterscheidet aber zwischen „industrial" und „non-industrial staff", also zwischen solchen Beschäftigten, die i n Betrieben tätig sind, und allen übrigen 8 — eine Unterscheidung, die ihrem Gegenstand nach der deutschen Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten 9 entspricht. Die 4 Z u m Ganzen vgl. Ν. M . Haie, Großbritannien. Landesbericht, i n : K a i s e r / M a y e r / U l e : Recht u n d System des öffentlichen Dienstes. Studienkommission f. d. Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 1, 1973, S. 93 f. 5 The British Civil Service (Fn. 3), p. 7; Halsbury's Laws of England, 4th ed. Vol. 8 (Constitutional L a w b y Lawson / Davies), 1974, para. 1300. « Hale (Fn. 4), S. 112, 150 ff. 7 ζ . Β . Κ . Loewenstein, Staatsrecht u n d Staatspraxis von Großbritannien. Bd. 1: Parlament, Regierung, Parteien, 1967, S.457, 460; Haie (Fn. 4), S. 93. 8 Haie (Fn. 4), S. 109 f. 9 Vgl. A. Söllner, Arbeitsrecht, 6. Aufl., 1978, S. 31 f.

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zwischen beiden Gruppen bestehenden Unterschiede i n den Anstellungsbedingungen werden nach und nach abgebaut 10 . Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die nicht-industriellen Civil Servants, sofern nicht anders vermerkt. Der britische Civil Service besteht aus rund 700 000 Personen 11 , davon etwa 500 000 „nicht-industriellen" und 200 000 „industriellen" Civil Servants 12 . Die „industriellen Beamten" sind als gelernte oder ungelernte Arbeiter vor allem i n Munitionsfabriken, Marinewerften, i m Ministerium für Umweltfragen oder m i t der Instandhaltung der Regierungsgebäude beschäftigt 13 . Die 700 000 C i v i l Servants sind auf folgende Bereiche verteilt 1 4 : 50 000 Zentralverwaltung (direkte Unterstützung der Minister bei Entwicklung der Regierungspolitik) 270 000 erbringen i n zivilen Dienststellen unmittelbar Leistungen für die Allgemeinheit 50 000 Handels- und Kreditanstalten 50 000 allgemeine Hilfsdienste für andere Regierungsstellen 280 000 Verteidigungssektor, davon 11 000 Zentrale, 110 000 Instandhaltung und Versorgung, 75 000 bei der Defence Procurement Executive (andere Versorgungsangelegenheiten einschließlich Forschungslaboratorien und Munitionsfabriken), 80 000 i m Command and Support Service (medizinische Betreuung, Erziehung, Ausbildung), 3500 i m Meteorologischen Dienst A n der Spitze der nichtindustriellen Beamten steht eine besondere Gruppe von etwa 800 C i v i l Servants, die i m Topmanagement und der Ausarbeitung der Regierungspolitik beschäftigt sind. Sie sind i n einer einheitlichen „offenen Struktur" — d.h. ausschließlich nach Eignung, ohne Abhängigkeit von Laufbahn oder akademischer Vorbildung — organisiert. A u f den anderen Ebenen sind die Beamten i n Kategorien und innerhalb dieser Kategorien i n Berufsgruppen eingeteilt. Während früher ein sehr gegliedertes Klassensystem bestand, wurden jetzt vier neue Kategorien gebildet, denen 60 °/o der nichtindustriellen Beamten Großbritanniens angehören. Die übrigen nichtindustriellen Beamten sollen einer dieser Kategorien oder — sofern das nicht möglich ist — zusätzlich zu gründenden Kategorien zugeordnet werden. 10 11 12 13 14

Haie (Fn. 4), S. 112. Zahlen: Stand 1971. Haie (Fn. 4), S. 109 f.; The British Haie (Fn. 4), S. 112. Haie (Fn. 4), S. 110 f.

Civil Service (Fn. 3), p. 1.

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England

Zur allgemeinen Kategorie gehört die größte der Berufsgruppen, die Verwaltungsgruppe, m i t etwa 263 000 Beschäftigten. I n dieser Gruppe gibt es zehn Dienstgrade. Mindestqualifikation für die Einstellung ist ein abgeschlossenes Studium oder eine entsprechende Qualifikation. Die Einstellung erfolgt normalerweise nur auf einen der vier untersten Dienstgrade. Die Aufgaben reichen von Formulierung der Politik, Koordination und Verbesserung des Regierungsapparats, Kontrolle der Abteilungen des öffentlichen Dienstes (höhere Dienstränge) über die Ausführung der laufenden Regierungsgeschäfte i n dem von der Regierungspolitik vorgegebenen Rahmen (mittlere Grade) bis zu laufenden Verwaltungstätigkeiten und Büroarbeiten (clerical-officer-Grade). Neben der Verwaltungsgruppe gehören zur allgemeinen Kategorie noch die ökonomen-Gruppe (260 Mitarbeiter), die Information Officer Group (Öffentlichkeitsarbeit, 1300 Mitarbeiter) und die Statistiker-Gruppe (400 M i t arbeiter). I n der Kategorie wissenschaftliche Forschung sind 16 000 Wissenschaftler beschäftigt, 60 °/o davon i m Verteidigungsministerium. Zur Professional and Technology Category gehört die „professionelle und technologische" Gruppe m i t etwa 38 000 i n speziellen, hauptsächlich technischen Berufen ausgebildeten C i v i l Servants, wie Architekten, Ingenieure, Atomtechniker, Landvermesser oder technische Zeichner, die vor allem i m Verteidigungsministerium und i m Ministerium für Umweltfragen beschäftigt sind. Zur selben Kategorie zählt die 500 Mitarbeiter starke Illustrator Group, die für die Erhaltung der i m Behördenbereich vorhandenen Kunstwerke zuständig ist. I n der Training Category sind etwa 5000 Beamte m i t Lehraufgaben auf den verschiedensten Sektoren beschäftigt. Daneben sind noch die Hilfskräfte, darunter rund 23 000 Stenotypistinnen und 26 000 Putzfrauen, Boten usw. zu erwähnen 15 . Es gibt in England keine umfassende gesetzliche Regelung der Struktur des C i v i l Service und der Beschäftigungsbedingungen seiner Angehörigen. Den inneren Zusammenhalt und die Einheitlichkeit seiner Standards verdankt der C i v i l Service vor allem dem Umstand, daß ein einziges Ministerium als zentrale Überwachungs- und Koordinationsinstanz für den C i v i l Service zuständig ist. Früher war das Schatzamt die Zentralinstanz für den gesamten C i v i l Service, die insbesondere Rekrutierungsverfahren, Einstufung, Dienstbezüge und Arbeitsbedingungen der den Departments zugewiesenen Civil Servants bestimmte und ihre dienstliche Tätigkeit überwachte. Seit 1968 hat das C i v i l Service Department diese Funktion übernommen. Es steht unter der Aufsicht des Premierministers als Minister für den C i v i l Service. Die Verantwortlichkeit für die Tagesgeschäfte des Departments 15

Sämtliche Angaben nach The British

Civil Service (Fn. 3), pp. 8 ff.

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ist auf einen senior minister delegiert. Offizieller Chef des Civil Service ist der permanent secretary des Civil Service Department 16 . I I . Verfassungsrechtliche Leitvorstellungen für den Civil Service

Der Civil Service dient der Ausführung der Regierungspolitik. U m diesen Zweck unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie m i t wechselnden Regierungen erfüllen zu können, ist der Civil Service nach den Prinzipien der ministeriellen Verantwortung, der Kontinuität, der politischen Unparteilichkeit und der offenen Rekrutierung konstituiert 1 7 . Die Ausführung der vielfältigen Staatsaufgaben erfordert einen umfangreichen und sachverständigen Beamtenapparat, der schon aus praktischen Gründen nicht m i t jedem Regierungswechsel ausgetauscht werden kann. I n England hat man sich deshalb für das Prinzip der Kontinuität i n der Weise entschieden, daß beim Wechsel eines Ministers oder der gesamten Regierung sämtliche Beamte, bis hinauf zu den Permanent Secretaries — den höchsten Beamten eines Ministeriums — i m A m t bleiben 18 . M i t den Ministern wechseln nur die Parliamentary Secretaries und u. U. Parliamentary Private Secretaries, die aber nicht zum Civile Service gehören 19 . Da die Beamten Ministern m i t verschiedenen politischen Ansichten dienen müssen, ist die politische Neutralität des Berufsbeamtentums m i t dem Prinzip der Kontinuität notwendig verbunden und w i r d als Wesensmerkmal der britischen Verwaltung betrachtet 20 . Der für die Politik und ihre Durchführung verantwortliche Minister muß sich darauf verlassen können, daß die Beamten i m Sinne seiner Politik arbeiten, auch wenn sie persönlich anderer Ansicht sind. Nur i n Sonderfällen, die üblicherweise durch Gesetz statuiert sind, tragen Beamte für einzelne Handlungen die alleinige Verantwortung unter Ausschluß des Ministers. Dabei handelt es sich oft u m quasi-richterliche Tätigkeiten 2 1 , für die parteipolitische Neutralität i n besonderem Maße geboten ist 2 2 . Auch das Prinzip der offenen Rekrutierung 2 3 nach Grundsätzen der sachlichen Eignung als Gegensatz zum Patronage- und Beutesystem entspricht der Verbindung von parlamentarischer Demokratie und Kontinuität des Beamtenapparats.

16 17 18 19 20 21 22 23

The British Civil Service (Fn. 3), p. 14; Haie (Fn. 4), S. 102. Haie (Fn. 4), S. 104 ff. Haie (Fn. 4), S. 105, 121. Vgl. Loewenstein I (Fn. 7), S. 460. The British Civil Service (Fn. 3), p. 31; Loewenstein I (Fn. 7), S. 473. Haie (Fn. 4), S. 105. Näher zur politischen Neutralität unten I I I . 2. b). Z u r Rekrutierung unten I V .

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I I I . Der rechtliche Status der Civil Servants

Die Rechtsstellung der britischen Beamten ist nicht i n kodifizierten Gesetzen geregelt. Sie ist zum größten Teil durch Tradition und durch das common law bestimmt. Viele Fragen sind i n Vereinbarungen m i t den Arbeitnehmervertretungen geregelt, die aber keine Gesetzeskraft besitzen 24 . I n jüngster Zeit w i r d der C i v i l Service teilweise i n die allgemeine Arbeitsgesetzgebung einbezogen. Das wichtigste dieser Gesetze ist das Gesetz über die Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Industrial Relations A c t von 1971), das 1974 ersetzt wurde durch den Trade Union and Labour Relations Act. 1. Das Rechtsverhältnis

im allgemeinen

Die C i v i l Servants sind i m Dienste der Krone beschäftigt. Das Recht zur Ernennung und Entlassung der Beamten w i r d von der königlichen Prärogative abgeleitet 25 . Die Mehrzahl der C i v i l Servants sind auf Dauer m i t Pensionsberechtigung angestellt. Nach ein oder zwei Probejahren erhalten sie i n der Regel das „permanent appointment", d. h. sie können damit rechnen, ihren Arbeitsplatz bis zur Erreichung des Pensionsalters zu behalten 28 . Zwischen der Krone und den Beamten besteht weder ein Vertragsverhältnis noch ein besonderes Statusverhältnis, wie es dem deutschen Beamtenrecht entspricht. Vielmehr versehen die Civil Servants ihren Dienst „during the pleasure of the Crown". Das heißt, daß die Krone ihnen gegenüber grundsätzlich keine Rechtspflichten hat und sie insbesondere nach Belieben und ohne Angaben von Gründen entlassen darf 2 7 . Dieser den Beamten völlig ungesichert lassenden Rechtslage steht allerdings eine Praxis gegenüber, die offenbar kaum zu Beanstandungen Anlaß gibt und deshalb auch keine Forderung nach rechtlicher Absicherung der Stellung der Civil Servants hervorruft. Insbesondere hält sich der Staat an die für ihn nicht verbindliche Gesetzgebung über Arbeitsbedingungen, soweit sie für den Staatsdienst entsprechend anwendbar ist, und willkürliche Entlassungen kommen nicht vor 2 8 . Die weder auf Vertrag noch auf Gesetz, sondern auf Herkommen beruhende lebenslängliche Anstellung der Beamten w i r d i n der Praxis nicht durch Entlassungen nach Gutdünken durchbrochen. Schon seit langem werden permanent officials betrachtet als „holding office during good behaviour" 2 9 . 24

Loewenstein I (Fn. 7), S. 471; Hale (Fn. 4), S. 113 f. Loewenstein I (Fn. 7), S. 510, 504 f.; S. A. de Smith, Constitutional and administrative law, 3rd ed. Rev. b y H. Street, B. de Smith, R. Brazier, 1977, p. 190. 26 The British Civil Service (Fn. 3), p. 25; Hale (Fn. 4), S. 120. 27 Halsbury 8 (Fn. 5) para. 1303. 28 Loewenstein I (Fn.7), S.472; Hale (Fn.4), S.113f.; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303. 29 Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303; Loewenstein I (Fn. 5), S. 472. 25

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Sie können also auf einen sicheren Arbeitsplatz bis zum Mindestpensionsalter vertrauen, sofern sie nicht durch ein Dienstvergehen ihre Entlassung provozieren. Aber auch inefficiency (mangelnde Leistung) und Krankheit können zur Entlassung führen. Ein nicht i n der Person des Beamten liegender Entlassungsgrund liegt vor, wenn sich für i h n keine Verwendung mehr findet 30. Bei verminderter Leistungsfähigkeit kann jetzt auch statt Entlassung eine vorzeitige Versetzung i n den Ruhestand erfolgen 31 . Dem Umstand, daß der C i v i l Servant auch heute noch de iure „during pleasure of the Crown" beschäftigt ist und „at pleasure" entlassen werden kann, entspricht es, daß es keinerlei gerichtlichen Rechtsschutz gegen Entlassungen gibt 3 2 . Diese Auffassung w i r d auch von de Smith vertreten, der i m übrigen meint, die Ableitung des Ernennungs- und Entlassungsrechts aus der königlichen Prärogative würde dem Vertragscharakter des Rechtsverhältnisses zwischen C i v i l Servant und Krone nicht entgegenstehen 33 . Früher hatte der Civil Servant nicht einmal die Möglichkeit, wegen Gehaltsrückständen, Pensionszahlung oder Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Entlassung gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen 34 . Wegen ungerechtfertigter Entlassung konnte er selbst dann vor Gericht nicht erfolgreich sein, wenn er einen Vertrag vorweisen konnte, i n dem die Krone versprach, i h r Recht, ihn zu entlassen, einzuschränken 35 . Insoweit ist aber die Rechtsstellung des Beamten durch den Industrial Relations Act (1971) verbessert worden 3 6 . Jetzt hat der C i v i l Servant das Recht, wegen ungerechtfertigter Entlassung Klage zu erheben 37 . Damit ist die Situation eines Civil Servant derjenigen eines i n der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmers' angeglichen. Zwar kann der C i v i l Servant nicht verlangen, weiter beschäftigt zu werden, aber er kann Entschädigung für ungerechtfertigte Entlassung verlangen und gerichtlich durchsetzen (vor einem industrial tribunal) 3 8 . Das industrial tribunal kann auch die Empfehlung aussprechen, ihn wieder einzustellen 39 . 30

Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303; Hale (Fn. 4), S. 120. Hale (Fn. 4), S. 121. 32 Halsbury 8 (Fn. 5) para. 1303; de Smith (Fn. 25), p. 194. 33 de Smith (Fn. 25), p. 190; de S m i t h läßt letztere Frage offen. 34 Loewenstein I (Fn. 7), S. 471 ; gegen die Rechtsprechung m i t beachtlichen Argumenten de Smith (Fn. 25), p. 190 f. 35 Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303 m. w . Ν . 36 Vgl. Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303. 37 ss. 101, 106, 22; jetzt Sch. 1 s. 4, 17, 33 Trade U n i o n and Labour Relations Act. 1974. 38 Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1303. 39 Industrial Relations A c t ss. 22—4,106,116—119,162. Jetzt Sdì. 1. s. 4—6,17, 33 Trade U n i o n and Labour Relations A c t 1974. 31

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2. Die allgemeinen Pflichten des Civil Servant a) Verpflichtung zur Amtstreue und allgemeine Verhaltensregeln — „Die erste Pflicht des Civil Servant ist es, zu jeder Zeit und i n allen Lagen, wenn der Staat ein Anrecht auf seine Dienste hat, dem Staat seine ungeteilte Treue zu erweisen 40 ." — C i v i l Servants dürfen ihre privaten Interessen ihren Amtspflichten nicht vorziehen. Sie müssen vermeiden, daß zwischen diesen ein Widerspruch auftritt. Sie dürfen ihre amtliche Stellung nicht zu ihrem privaten Vorteil ausnützen 41 . — Civil Servants sollen keine privaten Tätigkeiten ausüben, die den C i v i l Service i n einen schlechten Ruf bringen können 42 oder die sie i n Abhängigkeit zu Dritten bringen könnten 43 . — Sie müssen politische Polemik vermeiden 44 . — Sie dürfen Informationen oder Erfahrungen, die sie i m Dienst erworben haben, nicht ohne Genehmigung weitergeben 45 . b) Politische Neutralität Es wurde schon erwähnt, daß die politische Neutralität eine der bedeutendsten Grundlagen des britischen Civil Service ist. Z u den wesentlichsten Dienstpflichten des britischen Beamten gehört es, der jeweiligen Regierung m i t unbedingter Loyalität zu dienen, gleichgültig, ob er m i t der (partei-)politischen Richtung der Politik, die er auszuführen hat, einverstanden ist oder nicht, und er darf keinesfalls seine eigenen politischen Vorstellungen gegen die Regierungspolitik i n seiner Amtsführung zur Geltung bringen 4 6 . U m mögliche Konflikte zwischen politischem Engagement und Dienstpflichten des C i v i l Servant von vornherein so weit wie möglich auszuschließen und vor allem, u m das größtmögliche Vertrauen sowohl der politischen Führung als auch der Öffentlichkeit i n die Unparteilichkeit der Dienstausübung zu gewährleisten, gibt es für den öffentlichen Dienst Regeln, die die politische Betätigung beschränken. So darf kein C i v i l Servant Mitglied des Parlaments (House of Commons) sein 47 . I m übrigen 40

C i v i l Service Code para. 9870, zit. Cmd. 7057 (1978). Ebd. 42 Ebd. 43 Vgl. The British Civil Service (Fn. 3), p. 32. 44 Haie (Fn. 4), S. 121. 45 Haie (Fn. 4), S. 122; The British Civil Service (Fn. 3), p. 32. 46 Loewenstein I (Fn. 7), S. 473 f.; Committee on Political Activities Servants , Cmd. 7057 (1978), p. 22, 41. 47 House of Commons Disqualification A c t 1976. 41

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of Civil

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ist das Ausmaß der politischen Betätigungsfreiheit der C i v i l Servants abgestuft nach ihrem Dienstrang, denn man geht davon aus, daß Loyalitätskonflikte aus Gründen der politischen Überzeugung auf den unteren Rängen kaum auftreten werden, während die Gefahr u m so größer wird, je näher der Beamte der politischen Spitze des Ministeriums steht. Deshalb ist der C i v i l Service i n drei Gruppen eingeteilt: — Die „politisch freie" Kategorie. I h r gehören die „industriellen" C i v i l Servants sowie die „non-office grades" (nicht i m Büro beschäftigten C i v i l Servants wie vor allem Putzfrauen und Boten) an. Ihre politische Betätigimg unterliegt keinen Beschränkungen 48 . — Die „politisch beschränkte" Kategorie. Z u ihr gehören die Ränge vom executive officer („Durchführungsbeamter") an aufwärts sowie die „professionellen", wissenschaftlichen und technischen Klassen. Sie dürfen sich auf nationaler Ebene überhaupt nicht betätigen; das Department kann ihnen auf Antrag die politische Betätigung auf lokaler Ebene gestatten 49 . — Die „mittlere" Kategorie. Dazu gehören alle übrigen Bediensteten. Abgesehen von einer Kandidatur zum Parlament 5 0 kann den Angehörigen dieser Kategorie die Erlaubnis zu politischer Betätigung auf nationaler und lokaler Ebene erteilt werden. Ob die Erlaubnis ausgesprochen wird, hängt davon ab, welche A r t von Dienststellung sie einnehmen. Für gewisse Gruppen von Beschäftigten kann das zur ständige Department „en bloc" eine allgemeine Betätigungserlaubnis aussprechen 01. Der Bericht des Committee on Political Activities of C i v i l Servants von 1978 hat einige Reformvorschläge unterbreitet, die darauf abzielen, die Möglichkeiten der politischen Betätigung zu erweitern und insbesondere die „politisch beschränkte" Kategorie auf eine kleine Gruppe von Spitzenbeamten einzugrenzen 52 . Diese Reformvorschläge ändern jedoch nichts an der Pflicht zur imparteilichen Amtsausübung. Vielmehr ist die politische Neutralität des Civil Service weiterhin unumstrittenes Fundament für den öffentlichen Dienst i n England 53 . Nach den Vorschlägen des Komitees sollen die Beschränkungen insoweit gelockert werden, als sie nicht erforderlich scheinen, u m die Neutralität des Civil Service zu sichern 54 . 48 49 50 51 52 53 64

Cmd. 7057 (1978), p. 2, 50; The British Civil Service (Fn. 3), p. 31. Cmd. 7057 (1978), p. 2, 51; The British Civil Service (Fn. 3), p. 31. The Servants of the C r o w n (Parliamentary Candidature) Order 1960. Cmd. 7057 (1978), p. 2—3, 50—52; The British Civil Service (Fn. 3), p. 31. Cmd. 7057 (1978), p. 47. Ebd., p. 41. Ebd.

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3. Die Folgen von Pflichtverstößen Disziplinarstrafen sind der offizielle Verweis, Aussetzung oder Verw i r k u n g von Jahreszulagen, Geldstrafe oder Schadensersatz, Strafversetzung, einstweilige Amtsenthebung m i t Gehaltsverlust, Degradierung, Versetzung i n den Ruhestand m i t gekürztem Ruhestandsgehalt, Entlassung ohne Pension oder Abfindung. Die verschiedenen Strafen sind nicht zwingende Folgen aus bestimmten Disziplinartatbeständen, sondern für jeden Fall w i r d i n Anbetracht aller erheblichen besonderen Umstände entschieden 55 . Die Entscheidung trifft bei schweren Dienstvergehen der Leiter des Ministeriums; er kann einen Disziplinarausschuß zur Beratung heranziehen. Der betroffene Bedienstete kann vor dem Ausschuß erscheinen. Er kann sich der Unterstützung einer zweiten Person bedienen. Diese darf ein Vertreter seines Arbeitnehmerverbandes sein 56 . Gegen die Disziplinarentscheidung kann der Civil Servant Beschwerde einlegen. Von i m einzelnen unterschiedlichen Regelungen i n den verschiedenen Ministerien abgesehen ist folgender Beschwerdeweg einzuhalten: Zunächst hat sich der Beschwerdeführer m i t dem Leiter seiner Sektion, Abteilung oder Einheit i n Verbindung zu setzen, zuerst mündlich, dann vielleicht schriftlich. W i r d der Beschwerde nicht abgeholfen, kann der Bedienstete der Personalabteilung seinen F a l l vortragen oder seinen Verband (Gewerkschaft) ersuchen, die Angelegenheit für ihn zu verfolgen. Wenn dabei noch kein befriedigendes Ergebnis erzielt wird, kann er beim Leiter des Ministeriums Berufung einlegen. Anders i m Falle der Entlassung oder der vorzeitigen Zwangspensionierung: Über solche Fälle entscheidet die Berufungsstelle für den Staatsdienst 57 (Civil Service Appeal Bord). Dieses Schiedsgericht spricht eine Empfehlung aus 58 . Wegen ungerechtfertigter Entlassung kann der C i v i l Servant — wie oben (III. 1.) erwähnt — den Fall vor ein industrial tribunal bringen, das i h m aber nur eine Entschädigung zusprechen, nicht jedoch den Staat zur Wiedereinstellung verpflichten kann. I m übrigen gibt es keinen gerichtlichen Rechtsschutz für Disziplinarangelegenheiten.

55

"

57 58

5*

Haie (Fn. 4), S. 123. Haie (Fn. 4), S. 122 f. Haie (Fn. 4), S. 123, 116. Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1309.

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H a r t m u t Schiedermair u n d Dietrich M u r s w i e k I V . Rekrutierung

Für die Auswahl der Bewerber u m die Stellung eines Beamten auf Lebenszeit („permanent" oder „established officer") ist die Kommission für den Staatsdienst (Civil Service Commission) zuständig. Diese Kommission ist dem C i v i l Service Department eingegliedert. Ihre Mitglieder sind hinsichtlich ihrer Aufgaben auf dem Gebiet der Einstellungs- und Weiterbildungspolitik ihrem Minister verantwortlich. I n bezug auf die Auswahl der Beamten selbst aber handeln sie als unmittelbare Amtsträger der Königin und sind i n dieser Eigenschaft völlig frei von ministeriellem Einfluß. A u f diese Weise soll die Bewerberauslese vor jedem Verdacht der Patronage und politischen Einseitigkeit geschützt werden 59 . Die Kommission legt m i t Zustimmung des Civil-Service-Ministers i n allgemeinen Richtlinien die Einstellungsbedingungen für die verschiedenen Beamtengruppen fest. I n diesen Bestimmungen sind insbesondere die Voraussetzungen i n bezug auf fachliche, gesundheitliche und charakterliche Eignung, Vorbildung, Altersgrenzen und Staatsangehörigkeit normiert 6 0 . Von seltenen Ausnahmen abgesehen kann eine feste Anstellung i m Staatsdienst nur erhalten, wer ein Eignungszeugnis (Certificate of Qualification) der C i v i l Service Commission vorweisen kann. Die Entscheidung über den Zugang zu den höheren Stufen w i r d von der Kommission selbst getroffen. Uber den Zugang zu den niederen Stufen entscheiden die Ministerien, die aber nach den Regeln der Kommission verfahren müssen. Die Entscheidung über eine Bewerbung w i r d i n der Regel durch ein Gremium von mindestens zwei Personen getroffen 61 . Je nach dem angestrebten Eingangsamt hat sich der Bewerber einer eingehenden schriftlichen und mündlichen Prüfung m i t Tests und Interviews oder nur einem Prüfungsgespräch zu unterziehen 62 . Soziale Herkunft und politische Einstellung der Bewerber werden nicht berücksichtigt. Nur wenn Positionen m i t hohem Sicherheitsrisiko zu besetzen sind, werden gegebenenfalls Nachforschungen über die Vertrauenswürdigkeit von Bewerbern gemacht, die schon ausgewählt, aber noch nicht ernannt sind. Diese Nachforschungen können auch politische Bindungen umfassen 68 . Das Auswahlverfahren selbst beeinflussen sie i n keiner Weise. Auch ist für diese Nachforschungen nicht die Civil Service Commission zuständig 64 . 59 Haie (Fn. 4), S. 128, 129 f.; The British Civil Service (Fn. 3), p. 15; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1300. 60 Hale (Fn. 4), S. 128 f. 61 Hale (Fn. 4), S. 131. 62 The British Civil Service (Fn. 3), pp. 17 f.; Haie (Fn. 4), S. 129. 63 Haie (Fn. 4), S. 130. Näher dazu unten V. " Ebd.

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Die Anstellung der ausgewählten Bewerber erfolgt durch die M i n i sterien. Diese bestimmen auch die Zahl der zu besetzenden Stellen. Die Auswahlmethode w i r d demgegenüber von der Kommission festgelegt, und die Auswahl w i r d von der Kommission oder unter ihrer Aufsicht durchgeführt. I n der Regel werden offene Stellen ausgeschrieben. Vorschriften über Inhalt und Umfang der Ausschreibungen gibt es jedoch nicht 65 . Einen Rechtsanspruch auf Aufnahme i n den Civil Service gibt es nicht. Gegen die Entscheidungen der C i v i l Service Commission gibt es kein Rechtsmittel 66 . V. Sicherheitsüberprüfimg

Die politischen Anschauungen des C i v i l Servant interessieren den Staat normalerweise nicht, solange er i m Dienst nicht gegen den Grundsatz der politischen Neutralität verstößt und i m übrigen die Beschränkungen der politischen Neutralität beachtet 67 . Wie schon erwähnt (oben IV.) bleibt deshalb bei der Einstellung von Beamten die politische Überzeugung grundsätzlich außer Betracht. Ausnahmen hiervon gibt es lediglich unter dem Gesichtspunkt der Staatssicherheit, insbesondere der Gefahr des Geheimnisverrats. Von Positionen i m öffentlichen Dienst, die ihrer Natur nach von vitaler Bedeutung für die Staatssicherheit sind, sollen Personen ferngehalten werden, deren Zuverlässigkeit zweifelhaft erscheint 68 . Selbst Kommunisten und Faschisten werden nicht vom Staatsdienst generell, sondern nur von solchen Tätigkeiten ausgeschlossen, die für die Staatssicherheit — insbesondere wegen hoher Geheimhaltungsstufen — besonders relevant sind 69 . U m die personelle Sicherheit i m öffentlichen Dienst zu gewährleisten, gibt es i n England zwei Verfahren: die „purge procedure" und das „positive vetting". Die „purge procedure" („Säuberungsverfahren") wurde 1948 eingeführt als Reaktion auf einige bedeutende Spionagefälle 70 . Die Regierung hatte dabei betont, daß diese Maßnahme ausschließlich aus Sicherheitsgründen ergriffen worden sei und sich der Staat um die politischen A n sichten nicht kümmere 71 . Die „purge procedure" dient dazu, Kommuni65

Haie (Fn. 4), S. 130 f. Haie (Fn. 4), S. 115. ß7 The British Civil Service (Fn. 3), p. 33; Wade / Phillips, Constitutional and Administrative L a w , 9th ed. 1977, p. 266. 68 The British Civil Service (Fn.3), p. 33; Wade / Phillips (Fn. 67), p. 226; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1310. β9 The British Civil Service (Fn. 3), p. 33; Security Procedures in the Public Service, Cmd. 1681 (1962), p. 14; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1310. 70 de Smith (Fn. 25), p. 191 f. 71 Cmd. 1681 (1962), p. 14. M

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sten, Faschisten bzw. solche C i v i l Servants, die Verbindungen zu kommunistischen oder faschistischen Kreisen pflegen oder m i t ihnen sympathisieren, von solchen Positionen i m öffentlichen Dienst fernzuhalten, die ihrer Natur nach „von vitaler Bedeutung für die Staatssicherheit" sind 72 . Welche Posten derart sicherheitsrelevant sind, w i r d von den Leitungen der einzelnen Departments entschieden. Dabei steht die Verhütung des Geheimnisverrats i m Vordergrund 7 3 . Wenn aus der Sicht des Departments, i n dem ein Civil Servant einen sicherheitsrelevanten Posten bekleidet oder sich u m einen bewirbt, dieser Civil Servant wegen seiner Beziehungen zu kommunistischen 74 Organisationen ein Sicherheitsrisiko ist, steht es zunächst i m Ermessen des zuständigen Ministers, ob er die „purge procedure" gegen den Beamten anwenden w i l l . Ist der Minister aufgrund der vom Geheimdienst (Secret Service) oder aus anderen Quellen erhaltenen Informationen überzeugt, daß er einschreiten solle, w i r d zunächst der betroffene Civil Servant davon informiert. Man teilt i h m diejenigen Einzelheiten bezüglich der gegen i h n vorgebrachten Behauptungen mit, die man enthüllen kann, ohne Quellen des Geheimdienstes zu offenbaren 7®. Dann w i r d er gefragt, ob er die Behauptungen bestätigt oder bestreitet. Bestreitet er, so kann er seinen Standpunkt schriftlich dem Minister unterbreiten. Hält dieser die Behauptungen aufrecht, kann der C i v i l Servant die Sache vor einen ständigen Beratungsausschuß, die „Drei Ratgeber" (Three Advisers) bringen. Die Three Advisers erheben Beweis i n Abwesenheit von Vertretern des Department oder des Security Service und laden den betroffenen Civil Servant ein, persönlich vor ihnen zu erscheinen. Er darf auch Dritte bitten, als Zeugen über seine Vergangenheit, seine Zuverlässigkeit und seinen Charakter auszusagen 76 . Der Ratschlag, den der Ausschuß dem Minister gibt, bindet diesen nicht; er w i r d nicht bekanntgegeben 77 . Nachdem der Minister den Bericht der Three Advisers erhalten hat, überdenkt er nochmals seine Anordnungen. Wenn er sie aufrechterhalten w i l l , erhält der C i v i l Servant eine letzte Gelegenheit, seine Auffassung darzulegen. Wenn er damit nicht durchdringt, w i r d er versetzt i n eine oder behalten i n einer A b teilung, die nicht m i t Staatsgeheimnissen zu t u n hat (non-secret branch), i n seinem eigenen Department. Ist das nicht möglich, w i r d er i n eine non-secret branch eines anderen Departments versetzt. N u r wenn auch eine solche Beschäftigung für i h n nicht gefunden werden kann, w i r d er 72

Cmd. 1681 (1962), p. 14. Cmd. 1681 (1962), p. 14. 74 Oder faschistischen — aber der Faschismus ist f ü r England heute k e i n Problem. 75 Cmd. 1681 (1962), p. 14; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1310. 76 Cmd. 1681 (1962), p. 14; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1310. 77 de Smith (Fn. 25), pp. 192 f. 73

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vor die Alternative gestellt, zurückzutreten oder entlassen zu werden; beides hat den Verlust der Pensionsansprüche zur Folge 78 . Seit 1952 müssen sich alle Civil Servants, die m i t besonders geheimr haltungsbedürftiger Arbeit beschäftigt sind, einem besonderen Prüfungsverfahren, dem „positive vetting", unterziehen. Dieses Verfahren hat das Ziel, die allgemeine Integrität der betroffenen Person festzustellen. Angewendet w i r d es auf alle Personen, die aufgrund ihrer Dienststellung regulären und konstanten Zugang zu als höchst geheim eingestuften Verteidigungsinformationen und -materialien oder zu den entsprechend hoch klassifizierten Kernkraftinformationen haben; außerdem auf Under-Secretaries und Anwärter auf Beförderung i n diesen Dienstrang unabhängig von der konkreten Position, die sie einnehmen, w e i l alle Civil Servants auf dieser Stufe Zugang zu höchst geheimen Informationen haben können 79 . Folgende Nachforschungen werden angestellt: — Anfrage beim Security Service, ob negative Erkenntnisse über den Betroffenen vorliegen (das heißt i n der Praxis, ob Beziehungen oder Sympathien zu Kommunisten oder andere subversive Aktivitäten bekannt sind) — standardisierte Sicherheitsfragebogen (Darin w i r d der Betroffene u. a. gefragt, ob er irgendwelche Beziehungen oder Symphatien zu kommunistischen oder faschistischen Organisationen hat oder gehabt hat.) — Briefe an zwei vom Betroffenen genannte Personen, i n denen u m Informationen über seine Zuverlässigkeit und seinen Charkter gebeten wird — einie Felduntersuchung über Charakter und persönliche Umstände 80 Werden sicherheitsrelevante politische Beziehungen oder Sympathien festgestellt, so kann der betroffene Civil Servant sich wie bei der purge procedure an die Three Advisers wenden. Der Unterschied zwischen beiden Verfahren besteht insoweit nur darin, daß die Gruppe der von der Untersuchung Betroffenen beim positive vetting präziser eingegrenzt ist und daß i m Gegensatz zur purge procedure i n jedem Fall nachgeforscht wird, also das Verfahren nicht nur einsetzt, wenn zufällig schon Verdachtsmomente bekannt sind 81 . Demgegenüber sind die Three Advisers nicht zuständig für die Beurteilung nichtpolitischer Umstände, die i m Rahmen des positive vetting ebenfalls zur Feststellung eines 78 Außer w e n n ein Beamter über 50 Jahre f r e i w i l l i g zurücktritt. Cmd. 1681 (1962), p. 14. 78 Cmd. 1681 (1962), p. 15. 80 Ebd. 81 Cmd. 1681 (1962), pp. 15, 18.

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Sicherheitsrisikos führen können Trunksucht, Drogenmißbrauch) 82 .

(wie homosexuelle

Beziehungen,

Das Verfahren vor den Three Advisers entspricht nicht den rechtsstaatlichen Verfahrensregeln, die i m gerichtlichen Verfahren üblich sind (natural justice). Der Civil Servant darf sich nicht durch einen Rechtsanwalt oder durch sonst jemanden vertreten lassen. Er darf nur einen Freund mitbringen, wenn er seine Eröffnungsstellungnahme abgibt. Er kann auch nicht an die anonymen und unsichtbaren Informanten Fragen stellen 83 . Daß der Spruch der Advisers ihm nicht bekanntgegeben wird, wurde schon erwähnt. Gerichtlichen Rechtsschutz gegen die endgültige Entscheidung des Ministers gibt es nicht 8 4 . I n der Literatur wurde dieses Verfahren als „eine Verhöhnung der Verfahrensgerechtigkeit (justice), wie Engländer sie gewohnt sind", bezeichnet 85 . Dennoch w i r d es ganz überwiegend gerechtfertigt m i t dem Hinweis auf die Notwendigkeiten der Staatssicherheit 8®, die politische Gesamtsituation Großbritanniens, die es verhindere, daß dieses Verfahren den Betroffenen einer Hexenjagd aussetze87, und auf die geringe Anzahl der Betroffenen 88 : I n den ersten dreizehn Jahren seit Einführung des speziellen Sicherheitsprogramms wurden nur 24 Beamte aus Sicherheitsgründen entlassen, weitere 24 wurden veranlaßt, um ihre Entlassung zu bitten, und 83 wurden an eine Stelle versetzt, die nicht m i t geheimem Material zu t u n hat 8 9 . Die Sicherheitsverfahren wurden i m Auftrag der Regierung von der Radcliffe Commission überprüft. Die Kommission hat i n ihrem Bericht 90 die Verfahren i m wesentlichen gutgeheißen und nur periphere Änderungen vorgeschlagen. Einerseits soll die Uberprüfung effektiver gemacht werden; andererseits sollen Vorkehrungen für den Transfer von Beamten von sicherheitsempfindlichen zu nicht sicherheitsempfindlichen Departments getroffen werden, damit möglichst kein Beamter aus Sicherheitsgründen entlassen werden muß 9 1 . Die Sicherheitsprüfungen werden nicht nur auf Beamte angewendet, sondern auch auf Angehörige von Privatfirmen, die aufgrund eines Ver82 Insoweit sind die Möglichkeiten der Rechtsverteidigung noch geringer. Cmd. 1681 (1962), pp. 15, 18. 83 de Smith (Fn. 25), p. 192 f.; Halsbury 8 (Fn. 5), para. 1310. 84 Wade / Phillips (Fn. 67), p.268. 85 H. Street , Freedom, the I n d i v i d u a l and the L a w (4th ed.), p. 247. 86 de Smith (Fn. 25), p. 193; Wade / Phillips (Fn. 67), p. 523. 87 Wade / Phillips (Fn. 67), ebd. 88 de Smith (Fn. 25), p. 193. 89 Joelson, Public L a w , 1963, pp. 56—57. 90 Security Procedures in the Public Service (Fn. 69), Cmd. 1681 (1962). 91 Ebd., p. 23.

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träges ihrer Firma m i t der Regierung bei ihrer Arbeit m i t Geheimsachen i n Berührung kommen®2. V I . Diensteid

Die Spitzen der Exekutive (Minister, Lord Chancellor usw.) haben einen Treueid zu leisten. I m übrigen ist die Frage der Eidespflicht i m öffentlichen Dienst nicht einheitlich, sondern je nach Amtsstellung unterschiedlich geregelt. Während i n der Armee, die nicht zum Civil Service gehört, ein Eid i n der Regel erforderlich ist, t r i f f t dies für viele Positionen i m C i v i l Service nicht zu. I m Regelfall w i r d heute eine Treueerklärung anstelle eines Eides abgegeben93. V I I . Resümee

Beim Zugang zum Civil Service spielt die politische Anschauung des Bewerbers grundsätzlich keine Rolle. Sie w i r d nur unter Gesichtspunkten der Staatssicherheit — und das heißt vor allem: der Spionageabwehr 9 4 — berücksichtigt, nicht jedoch unter Gesichtspunkten des Verfassungsschutzes. Deshalb hindert die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei nicht an der Ernennung des Bewerbers zum C i v i l Servant; nur erhält ein kommunistischer Civil Servant keine Position, die für die Staatssicherheit von vitaler Bedeutung ist. Vom Bewerber zu fordern, daß er die Gewähr bietet, jederzeit für die Verfassung einzutreten, erscheint aus folgenden Gründen i n England nicht als erforderlich: Der Civil Servant ist zu umfassender Staatstreue verpflichtet, insbesondere zu unparteilicher — politisch neutraler — Amtsausübung. Bei Verletzung dieser Pflicht (etwa dadurch, daß er i m Dienst politisch agitiert) kann er entlassen werden; und gegen die Entlassung gibt es keinen gerichtlichen Rechtsschutz, sondern nur die Möglichkeit, wegen ungerechtfertigter Entlassung Entschädigung durchzusetzen. Eine Dienstpflichtverletzung, die die Entlassung rechtfertigt, ist zwar nicht die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei, aber der Mißbrauch der Amtsstellung i m Sinne dieser (oder irgendeiner anderen) Partei. Ein Dienstvergehen wäre auch der Verstoß gegen die abgestuften politischen Betätigungsverbote. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß i n England Restriktionen beim Zugang zum Civil Service nicht nötig sind, w e i l die Entlassung des Civil Servant jederzeit möglich ist. I m übrigen unterscheidet sich die verfassungspolitische Situation Englands von derjeni92

Wade ! Phillips (Fn. 67), p. 267. Halsbury 8 (Fn. 5), paras. 1110, 1112, 1113. M de Smith (Fn.25), pp. 191 f.; Wade / Phillips (1962), p. 1. 93

(Fn. 67), p.522; Cmd. 1681

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gen der Bundesrepublik wesentlich. Die Bundesrepublik lebt m i t der historischen Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik und ihrer Ablösimg durch die NS-Diktatur und i m Angesicht des totalitären Systems i n der DDR. Demgegenüber stellt sich die englische Verfassungsgeschichte als eine relativ kontinuierliche Fortentwicklung der Freiheitsrechte, der „rule of law" und der Demokratie dar, und die Erfahrung einer Aufhebung der rechtsstaatlichen Freiheitsverbürgerungen, die durch den Beamtenapparat infiltrierende Freiheitsfeinde mitverursacht sein könnte, ist den Engländern aus ihrer jüngeren Vergangenheit fremd. Auch i n der gegenwärtigen politischen Realität Englands spielen verfassungsfeindliche Kräfte praktisch keine Rolle, während sie i n der Bundesrepublik — vor allem i m Bildungsbereich und i n der Publizistik — ein erhebliches Gewicht haben. Deshalb ist es für die Stabilität der freiheitlichen Verfassung Englands ohne praktische Bedeutung, daß diese Verfassung nicht — wie das Grundgesetz i n A r t . 79 Abs. 3 — ihre Fundamentalprinzipien für unabänderlich erklärt.

B. Die Richter Probleme m i t der Verfassungstreue der Richter oder der Berücksichtigung der Verfassungstreue beim Zugang zum Richteramt gibt es in England nicht. Das ist schon i n der gegenüber der Bundesrepublik ganz andersartigen Struktur der Gerichtsverfassung und der daraus folgenden andersartigen Richterauswahl begründet. I. Zur Struktur der englischen Gerichtsbarkeit

Die englische Gerichtsverfassung ist keiner rationalen Konstruktion, sondern einer jahrhundertealten Tradition entsprungen. Daraus resultiert nicht nur ihre auch für englische Juristen kaum durchschaubare Kompliziertheit, sondern auch die sich von anderen westlichen Staaten deutlich unterscheidende Stellung des englischen Richters. A u f Einzelheiten der Gerichtsverfassung einzugehen, besteht hier kein Anlaß. Entscheidend sind für unseren Zusammenhang folgende Gesichtspunkte: Während die deutsche Justiz behördenmäßig organisiert ist und das deutsche Richtertum nach seiner geschichtlichen Entwicklung ein durch Weisungsfreiheit und Unabsetzbarkeit ausgezeichneter Teil des Staatsbeamtentums ist, der aus dem Beamtenstatus erst durch Art. 98 GG herausgelöst wurde, ist der englische Richter Standesperson 95 . Die Autorität der englischen Rechtsprechung ist die Autorität des englischen Richterstandes. Dementsprechend ist die Zahl der englischen Richter nach oben h i n gesetzlich begrenzt 9®, und die Gesamtzahl der englischen Berufs95

E. Forsthoff,

Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 129.

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richter ist ungleich geringer als die Zahl der Berufsrichter i n allen anderen westlichen Ländern 9 7 : Während z.B. i n der Bundesrepublik ζ . Z . über 15 500 Berufsrichter i m Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschäftigt sind 98 , gibt es i n England m i t Wales nur rund 230 Berufsrichter i n der ordentlichen Gerichtsbarkeit, dazu noch etwa 150 nebenberufliche Richter 99 . Ein Heer von Standespersonen i n den Maßstäben kontinentaleuropäischer Beamtenkategorien wäre eben eine Absurdität 1 0 0 . Für die geringe Zahl der englischen Berufsrichter gibt es, zum Teil hieraus folgend, auch noch andere Gründe: Die Zahl der gegen erstinstanzliche Urteile eingelegten Rechtsmittel ist gegenüber anderen Staaten äußerst gering 101 . Das mag zum Teil an den sehr hohen Prozeßkosten liegen. Aber auch i n der ersten Instanz kommt es i n Zivilsachen niur i n den seltensten Fällen zu einem streitigen Urteil. Die meisten Verfahren — weit über 90 °/o! — enden durch Anerkenntnis, Versäumnis oder anderweitig 1 0 2 . Und m i t der überwiegenden Zahl der erstinstanzlichen Strafsachen (über 70°/o) sind Berufsrichter überhaupt nicht befaßt: Sie werden von Laienrichtern, den „Friedensrichtern" entschieden 108 . Während i n der Bundesrepublik Ausbildung und Laufbahn der Richter der Ausbildung und Laufbahn des Verwaltungsjuristen gleichen bzw. ähneln, gibt es i n England überhaupt keine Rkhterlaufbahn 1 0 4 und nicht die Möglichkeit, die „Befähigung zum Richteramt" durch eine bestimmte Ausbildung zu erwerben. Die A r t der Richterrekrutierung i n England entspricht vielmehr der besonderen Stellung der Richter als Standespersonen und insbesondere der geringen Zahl der Berufsrichter* Π . Rekrutierung

1. Auswahlbehörden Die Gerichtsbarkeit ist i n England Bestandteil der königlichen Prärogative. Wesentliche Bedeutung für die Praxis hat dies jedoch längst nicht mehr, da die Queen weder selbst richterlich tätig werden darf, 96

K . Loewenstein, Staatsrecht u n d Staatspraxis v o n Großbritannien. Bd. I I , Justiz, Verwaltung, Parteien, 1967, S. 35 f., 40. 97 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 50. 98 Stand: 1.1.1979, Statistisches Jahrbuch 1979 f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 1979. 99 U. Kayser, Die A u s w a h l der Richter i n der englischen u n d amerikanischen Rechtspraxis, 1969, S. 57. 100 Forsthoff (Fn. 95). 101 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 48 f. 102 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 48. 103 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 50. 104 de Smith (Fn. 25), p. 357.

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noch irgendeine gerichtliche Organisationshoheit hat 1 0 5 . Die Zugehörigkeit der Gerichtsbarkeit zur Prärogative kommt noch darin zum Ausdruck, daß die Gerichte i m Namen des Königs bzw. der Königin Recht sprechen und daß die Richter von der Königin ernannt werden 106 . Dieser Ernennungsakt ist aber nur eine Formalität. Die eigentliche Entscheidung über die Ernennung t r i f f t das zuständige Kabinettsmitglied 1 0 7 . Das ist hinsichtlich der Besetzung der höchsten Richterämter, der titulierten Richter am High Court oder der Richterstellen am Court of Appeal oder am House of Lords der Premierminister, der sich hinsichtlich seines Ernennungsvorschlages m i t dem Lord Chancellor ins Einvernehmen setzt 108 . Es gibt i n Großbritannien keine — etwa den deutschen Justizministerien entsprechende — Behörde, die über die Ernennimg von Richtern entscheidet. Die zentrale Figur für die Auswahl der Richter ist vielmehr der Lord Chancellor, der selber dem Kabinett angehört, aber kein Ministerium leitet, der aber auch hohe richterliche Ämter bekleidet und Sprecher des House of Lords ist 1 0 9 . Er w i r d vom Premierminister ausgewählt und zieht sich bei einem Regierungswechsel aus seinen Ämtern zurück 110 . Das A m t zählt zu den bedeutendsten und angesehensten i n Großbritannien 111 . Der Lord Chancellor setzt die Friedensrichter (Laienrichter) ein; dabei folgt er gewöhnlich dem Vorschlag eines örtlichen Advisory Commitee 112 . Vor allem ist er für die Ernennung fast aller Berufsrichter verantwortlich 1 1 3 ; und auch i n den Fällen, i n denen der Prime Minister für die Entscheidung zuständig ist, kommt es praktisch nicht vor, daß jemand gegen den Willen des Lord Chancellor ernannt w i r d 1 1 4 . Der gesamte Stab des Lord Chancellor's Office besteht — abgesehen von einigen kleineren Beamten und Schreibkräften — aus weniger als 20 Personen — ausschließlich barristers. Das erlaubt dem Lord Chancellor, die volle Verantwortung für alle Ernennungen zu übernehmen 115 . Besondere Befähigungsvoraussetzungen für die Ernennung zum Lord Chancellor bestehen rechtlich nicht. I n der Praxis hat jedoch nur ein erfolgreicher Anwalt, der sich auch i n der politischen Arena bewährt haben muß, Aussicht auf Berufung i n dieses A m t 1 1 6 . 105

Loewenstein I I (Fn. 96), S. 1 ff. Loewenstein I I (Fn. 96), S. 2; Kayser (Fn. 99), S. 63. 107 Kayser (Fn. 99), S. 63 f. 108 Kayser (Fn. 99), S. 64 f. 109 Kayser (Fn. 99), S. 65, 64, 68 f. 110 E r bleibt aber als Ex-Lord-Chancellor ex-offico-Richter an einigen Gerichten. Kayser (Fn. 99), S. 71. 111 Kayser (Fn. 99), S. 67 ff. 112 Kayser (Fn. 99), S. 65. 113 Kayser (Fn. 99), S. 66 ff. 114 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 7. 115 Kayser, (Fn. 99), S. 73. 116 Kayser (Fn. 99), S. 72, 73. 109

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2. Auswahlkriterien a) Voraussetzungen für die Berufung ins Richteramt Berufsrichter kann i n England nur werden, wer zuvor i n der juristischen Praxis als Rechtsanwalt tätig gewesen ist. Es gibt also nicht den Beruf des Richters, den man über eine bestimmte Ausbildung anstreben kann, sondern der angehende Jurist kann nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung nur den Beruf des Anwalts ergreifen — gegebenenfalls i n der Hoffnung, später einmal i n ein Richteramt berufen zu werden 117 . Der Anwaltsstand ist i n England i n zwei Berufe aufgeteilt, den Beruf des barrister und den des solicitor. Die barristers haben das Monopol des Auftretens vor den oberen Gerichten. Sie haben keinen unmittelbaren Kontakt zum rechtsuchenden Publikum. Wer sich j u r i stisch beraten oder sich anwaltschaftlich vor Gericht vertreten lassen w i l l , muß sich zunächst an einen solicitor wenden. Die solicitors sind für den Umgang m i t den Klienten zuständig. Vor den unteren Z i v i l - und Strafgerichten sowie vor den Verwaltungstribunalen können die solicitors selbst auftreten, während sie für die Prozeßführung vor den oberen Gerichten ihre Klienten an einen barrister weiterverweisen müssen. Der solicitor hat den Prozeß derart vorzubereiten, daß ihn der barrister ohne Rücksprache m i t dem Mandanten führen kann. Umgekehrt darf der barrister keinerlei Klientenwerbung betreiben. Er kann nur tätig werden, nachdem ein solicitor den Klienten an ihn verwiesen hat und darf nach den Standesgepflogenheiten m i t dem Klienten selbst nur i n Gegenwart des solicitor Rücksprache nehmen. Als barrister kann sich also wirtschaftlich nur der über Wasser halten, wer sich vor den kritischen Augen der solicitors i n der Praxis bewährt; und wer sich durch erfolgreiche Praxis bei den solicitors einen guten Namen macht, kann sehr gut verdienen 118 . Entsprechend der Aufgabenverteilung ist die Anzahl der barristers viel geringer als die der solicitors: I n ganz England gibt es etwa 2000 bis 3000 barristers 119 , dagegen über 20 000 solicitors 120 . Innerhalb der barrister-Klasse gibt es eine weitere Hierarchie: Von den gewöhnlichen barristers, den juniors ( = junior councels), unterscheidet man die Queen's (oder King's) Councels. Letztere müssen mindestens zehn Jahre als barristers praktiziert haben. Der Durchschnitt liegt i n der Praxis bei über 20 Jahren. Sie werden von der Krone auf Rat des Lord Chancellor ernannt, der sie auf Antrag aus den i n der Praxis besonders bewährten juniors auswählt 1 2 1 . A u f diese 117 Kayser (Fn. 99), S. 75, 89; Loewenstein I I (Fn. 96), S. 7; E. Cohn, Richter, Staat u n d Gesellschaft i n England, 1958, S. 14. 118 Z u m ganzen vgl. Loewenstein I I (Fn. 96), S. 8 ff.; Kayser (Fn. 99), S. 75 ff. 119 Kayser (Fn. 99), S. 80. 120 Stand 1966 nach Kayser (Fn. 99), S. 86). 121 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 10; Kayser (Fn. 99), S. 82 f.

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Ernennung gibt es keinen Rechtsanspruch, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes. Die Gesamtzahl der i n England und Wales praktizierenden Queen's Councels beträgt etwas über 200 122 . Das Personal für die hohen Richterämter w i r d ausschließlich aus der barrister-Klasse rekrutiert. Einen laufbahnmäßigen Anstieg aus unteren zu höheren Richterämtern gibt es nicht 1 2 3 . Für die weitaus überwiegende Zahl der Richterämter ist gesetzlich festgelegt, wie viele Jahre anwaltschaftliche Praxis der Anwärter mindestens vorweisen muß. Für die höchsten Ämter w i r d eine Mindestzeit von 15 Jahren Tätigkeit als barrister verlangt, für andere Richterposten sind 5, 7 oder 10 Jahre barrister-Zeit vorgeschrieben. Für eine Reihe von Richterämtern sind auch solicitors m i t einer Mindestpraxis von 5, 7 oder 10 Jahren zugelassen 124 . Maßstab für die Auswahl der Berufsrichter ist die Bewährung i m Anwaltsberuf. Der Lord Chancellor wählt nur solche Anwälte zur Ernennung zum Richter aus, die i n ihrer Praxis überdurchschnittliche Fähigkeiten gezeigt haben. Beurteilungsgrundlage hierfür ist die langjährige anwaltschaftliche Tätigkeit, die i n der Ernennungspraxis die gesetzlichen Mindestanforderungen weit übersteigt. I m Durchschnitt w i r d zium Richter erst ernannt, wer schon mehr als das Doppelte oder sogar das Dreifache der gesetzlichen Mindestzeit als A n w a l t praktiziert hat 1 2 5 . Bei der Besetzung von Ämtern, für die auch solicitors zugelassen sind, w i r d i n der Regel den barristers — die die größere Gerichtspraxis aufweisen — der Vorzug gegeben 126 . Bei der Besetzung hoher Richterämter haben erfolgreiche Queen's Councels die größten Chancen 127 . Häufig werden hauptamtliche Richterstellen m i t Anwälten besetzt, die zuvor (schon i m Nebenamt Richter gewesen sind; so hat der Lord Chancellor eine noch breitere Beurteilungsgrundlage 128 . Für die Besetzung von Stellen an den beiden höchsten englischen Gerichten, dem Court of Appeal und dem House of Lords, werden demgegenüber vorzugsweise Personen ausgewählt, die schon als hauptamtliche Richter am High Court (für das House of Lords auch am Court of Appeal) tätig waren 1 2 9 . Neben reiner juristischer Sachkunde sind Menschenkenntnis, Urteilsvermögen, Charakter und weitere Gesichtspunkte, die die „richterliche Persönlichkeit" ausmachen, für die Entscheidung maßgebend 130 . 122

Kayser (Fn. 99), S. 82. de Smith (Fn. 25), p. 357. »* Kayser (Fn. 99), S. 87 ff. 126 Kayser (Fn. 99), S. 92 ff. 12e Kayser (Fn. 99), S. 94. 127 Kayser (Fn. 99), S. 95 ff. 128 Kayser (Fn. 99), S. 100. 129 Kayser (Fn. 99), S. 101 f. 123

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Die politischen Ansichten des Kandidaten spielen für die Ernennung grundsätzlich keine Rolle 1 3 1 . Wer sich jedoch aktiv für die Revolution einsetzt, entspricht nicht dem Richterbild, von dem der Lord Chancellor sich bei seiner Auswahl leiten läßt 1 3 2 . b) Der Zugang zum Anwaltsberuf Da alle Richter aus dem Anwaltsstand rekrutiert werden, soll noch kurz der Zugang zum Anwaltsberuf dargestellt werden. Ein Universitätsstudium ist weder für den Beruf des barristers noch für den solicitors vorgeschrieben 138 . Barrister kann nur werden, wer einem der vier Inns of Court als Student angehört hat. Die Inns sind vom Staat unabhängige nichtrechtsfähige Vereinigungen. Sie bestehen aus den Studenten, den barristers und den Masters of the Bench. Diese setzen sich aus den M i t gliedern der Richterschaft und barristers von Rang zusammen, verwalten die Inns, üben die disziplinare Gerichtsbarkeit über Studenten und barristers aus und verfügen über das uneingeschränkte Recht der Selbstergänzung 1 * 4 . Über die Zulassung als Student entscheiden die Masters of the Bench. Gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Ablehnung gibt es nur bei ausdrücklicher Einverständniserklärung der Inns. Praktisch ist das aber kaum jemals vorgekommen 185 . Voraussetzung für die Zulassung sind bestimmte Schulkenntnisse und die Vorlage zweier Referenzen veranitwortungsbewußter Persönlichkeiten, die dem Bewerber bescheinigen, daß er „a person of respectability" ist 1 8 6 . Das acht Terms dauernde Studium an der I n n (vier Terms pro Jahr) besteht darin, daß der Student pro Term an drei gemeinsamen Abendessen i n den Hallen der Inns — vom einleitenden Tischgebet bis zum Dankgebet — teilzunehmen hat 1 8 7 . Wie der Student sich die Kenntnisse für die Abschlußprüfung — das Barexamen — verschafft, ist seine Sache. Die Inns bieten zwar Kurse und Vorlesungen an. Die meisten Studenten gehen aber nach Oxford oder Cambridge und schließen dort m i t einem akademischen Grad ab; sie werden dann vom theoretischen Teil des Barexamens befreit und bereiten sich noch ein knappes Jahr auf den praktischen Teil der Prüfung vor 1 8 8 . 130

Kayser (Fn. 99), S. 102 f. Kayser (Fn. 99), S. 121 if., ebenso 127 if. 182 Vgl. de Smith (Fn. 25), p. 356. 188 Kayser (Fn. 99), S. 75 f. Kayser (Fn. 99), S. 77 f. 185 Kayser (Fn. 99), S. 78. 18β Kayser (Fn. 99), S. 67; Regs. 2 et seq., 1st, 2nd sch. der Consolidated Regulations, abgedr. i n : Council of Legal Education, Calender 1965—1966. 187 Kayser (Fn. 99), S. 78; Regs. 10 et seq. 181

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Voraussetzung für das Praktizieren als barrister ist außerdem, daß die Inns den Juristen „an die Bar rufen". Darüber entscheiden wieder die Benchers, ohne daß bei Nichtzulassung gerichtlicher Rechtsschutz gegeben wäre. Die Richter können nur als Gäste der Inns angerufen werden 139 . Wer solicitor werden w i l l , muß von der L a w Society, einer Standesvertretung unter Aufsicht der Richter 140 , als zur Ausbildung geeignet zugelassen werden. Neben einer gewissen Allgemeinbildung muß er seine charakterliche und sonstige Eignung durch zwei Referenzen nachweisen. Nach der Lehre bei einem solicitor muß er sein Examen ablegen 141 . Die Lehrzeit (5 Jahre) ist nach einem m i t Examen abgeschlossenen Universitätsstudium um 2 bis 3 Jahre kürzer 1 4 2 . 3. Auswahlverfahren Anwälte, die Richter werden wollen, können sich beim Lord Chancellor bewerben. Das ist auch erwünscht, damit kein zur Übernahme des Amtes bereiter qualifizierter barrister übersehen wird. Bewerbungen für Ämter am High Court und den gleichrangigen und höheren Gerichten sind jedoch unüblich; wer sichergehen w i l l , niemals u m Übernahme eines Richteramts am High Court gebeten zu werden, braucht sich nur darum zu bewerben 143 . Der Lord Chancellor, der i n aller Regel selber jahrelang der Bar angehört und eine ihrer profiliertesten Persönlichkeiten gewesen ist, kennt nicht nur aus seiner eigenen forensischen Tätigkeit die Eigenschaften, die ein guter Richter haben sollte, sondern er kennt aus seiner Vergangenheit als A n w a l t auch sehr viele Mitglieder der barristerKlasse und kann sie aus persönlicher Anschauung beurteilen. Findet er Zeit, seine richterlichen Aufgaben i m House of Lords wahrzunehmen, kann er sich auch dort über die Qualität der führenden Anwälte ein Urteil bilden. I m übrigen informiert sich der Lord Chancellor bei seinem Permanent Secretary sowie bei den Richtern, die die i n Betracht kommenden barristers täglich erleben 144 . 138

Kayser (Fn. 99), S. 78 f. Kayser (Fn. 99), S. 79. 140 Kayser (Fn. 99), S. 85; Halsbury" s L a w of England, 3rd ed. Vol. 36 (Solicitors by Lund/Turner), pp. 9 et seq. 141 1957 Solicitors Act. S. 3; 1965 Solicitors Act. S. 2; L a w Society Student Regulations. 142 Kayser (Fn. 99), S. 85. 143 L . Goddard, Politics and the B r i t i s h Bench, i n : 43 J. A m . Jud. Soc., 1959, pp. 124 et seq., p. 132. 144 Kayser (Fn. 99), S. 103 f. 139

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Die politische Neutralität des Lord Chancellor bei den Richterernennungen ist i n der englischen Öffentlichkeit unbestritten. Sie ist soziologisch dadurch abgesichert, daß der jeweilige Lord Chancellor sich an seinen i n dieser Hinsicht vorbildlichen Vorgängern messen lassen muß und seine persönliche Reputation nicht nur i n der Öffentlichkeit, sondern auch i n seinem Inn, dem er weiterhin als Bencher angehört und i n dessen Hallen er — soweit er Zeit dafür hat — an den gemeinschaftlichen Essen teilnimmt, aufs Spiel setzen würde, wenn er sich bei einer Benennung von politischen Gesichtspunkten leiten ließe 145 . Daß es bei der beschriebenen Struktur der englischen Gerichtsbarkeit einen Rechtsanspruch auf Ernennung zum Richter oder gar gerichtlichen Rechtsschutz bei der Ablehnung einer Bewerbung nicht geben kann, versteht sich von selbst. I n England hat das offenbar noch niemand als Mangel empfunden. I I I . Der rechtliche Status der hauptamtlichen Richter

Die hauptamtlichen Richter sind „during good behaviour" angestellt, „but upon the address of both houses of Parliament i t shall be lawfull to remove them" 1 4 6 . Es ist streitig, ob darunter zwei alternative Entlassungsmöglichkeiten zu verstehen sind, oder ob die Krone die Entlassung nur auf die Abberufungsadresse beider Häuser des Parlaments bei Vorliegen der Voraussetzung des „misbehaviour" aussprechen darf. Der Wortlaut spricht dafür, daß die Krone die Entlassung bei misbehaviour aussprechen darf — also wegen einer Verfehlung des Richters i n der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit oder wegen eines solchen Verhaltens i n seinem Privatleben, das m i t der richterlichen Tätigkeit nicht vereinbar ist 1 - 7 — o d e r wenn die Parlamentskammern dies aus irgendeinem Grunde verlangen 148 . I n der Praxis w i r d ein Richter jedoch nur wegen misbehaviour auf Grund einer Parlamentsadresse abberufen. Seit dem Act of Settlement (1701) ist das nur einmal (1830) vorgekommen. I m 20. Jahrhundert hat es noch keine Abberufungsadresse gegeben 149 . I V . Resümee

Die Struktur der englischen Gerichtsbarkeit und daraus folgend der Zugang zum Richteramt unterscheiden sich von der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit so fundamental, daß sich Parallelen hinsichtlich des 145

Kayser (Fn. 99), S. 129 f. So der A c t of Settlement 1701 u n d die neueren Gesetze, die i h n m i t leicht abweichenden Worten ersetzten, vgl. de Smith (Fn. 25), p. 362 f. 147 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 14 f.; de Smith (Fn. 25), p. 363. 148 de Smith (Fn. 25), p. 363 m. w . N. 149 de Smith (Fn. 25), p. 363. 14e

6 Verfassungstreue

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Ausschlusses von Verfassungsfeinden nicht ziehen lassen. I n England gibt es dieses Problem aus folgenden Gründen gar nicht: Schon die äußerst geringe Zahl englischer hauptamtlicher Richter bedingt eine Einstellungsregelung, die das Auswahlermessen des Lord Chancellor rechtlich nicht bindet. Für freiwerdende Richterposten stehen so viele geeignete Kandidaten zur Verfügung, daß Extremisten zwanglos und ohne Begründung unberücksichtigt bleiben können. Dazu kommt, daß den Richterernennungen i n England häufig — bei den hohen Richtern immer — keine Bewerbung zugrunde liegt, so daß sich das Problem der „Ablehnung" überhaupt nicht stellt. W i r d ein Bewerber abgelehnt, so erfolgt dies i m Unterschied zur Bundesrepublik ohne Begründung und ohne die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung. Da „Richter" i n England kein Beruf ist, sondern man nur aus dem Anwaltsberuf heraus zum Richter berufen werden kann, stellt sich dort für abgelehnte Bewerber auch das Problem der Berufsfreiheit nicht. Besondere Überprüfungsmaßnahmen hinsichtlich der Verfassungstreue sind i n England nicht nötig, da der Lord Chancellor m i t der langjährigen Praxis des Bewerbers als A n w a l t eine hervorragende Grundlage für die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit hat und da nur solche Anwälte zum Richter ernannt werden, an deren Integrität kein Zweifel besteht. Da Beurteilungsmaßstab nicht nur das juristische Fachwissen ist, sondern die Gesamtpersönlichkeit, braucht „Verfassungsfeindlichkeit" nicht als besonderes Entscheidungskriterium hervorgehoben zu werden, sondern politische Wirrköpfe und Extremisten entsprechen von vorneherein nicht dem B i l d der Richterpersönlichkeit, das für die Ausw a h l maßgebend ist. Das hat nach dem englischen Verständnis nichts m i t politischer Benachteiligung zu tun, sondern m i t dem Selbstverständnis der englischen Justiz: Der Richter soll eine ausgeglichene, über jeden Zweifel an seiner Unparteilichkeit erhabene Persönlichkeit sein — Eigenschaften, die man bei einem Revolutionär eben nicht erwarten kann. Schließlich sei auch nochmals darauf hingewiesen, daß schon der Zugang zum Anwaltsberuf — insbesondere zu dem des barrister — als eine Voraussetzung für eine spätere Berufung zum Richter eine Zulassung voraussetzt, die anhand von Referenzen über das Charakterb i l d ausgesprochen wird, und deren Ablehnung gerichtlich nicht nachprüfbar ist. Die Standesmoral der englischen Anwälte setzt schon an dieser Stelle Schranken gegen diejenigen, die das englische Rechtssystem etwa revolutionär beseitigen wollen. Es ist allerdings nicht bekannt, daß es praktisch zu Ablehnungen aus solchen Gründen kommt.

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C. Die Lehrer I . Zur Struktur der englischen Schulorganisation

I n England ist der Zentralstaat für die Regelung des Erziehungswesens zuständig. So sind die Grundzüge des Erziehungssystems i m Education A c t (1944), abgeändert und ergänzt durch eine Reihe weiterer Gesetze, festgelegt, und auf der administrativen Seite ist das Department of Education and Science m i t dem Secretary of State for Education and Science an der Spitze m i t der Überwachung und Entwicklung des Erziehungswesens betraut 1 5 0 . Dennoch gibt es keine dem Zentralstaat zugeordneten und von i h m verwalteten Schulen. Die staatlichen Schulen werden vielmehr vom Local Government unterhalten und verwaltet 1 5 1 . Die „Lokalverwaltung" entspricht nicht etwa der deutschen kommunalen Selbstverwaltung, sondern ist besser m i t „territorialer" oder „regionaler" Verwaltung zu übersetzen, da es sich u m Selbstverwaltung i n Bezirken (counties, boroughs) handelt 1 5 2 . Für die Verwaltung des Schulwesens zuständig sind die county councils bzw. county borough councils als lokale Erziehungsbehörden (local education authorities) 153 . I m englischen Schulwesen spielen Privatschulen traditionell eine wesentlich größere Rolle als i m Schulwesen der Bundesrepublik 154 . Der rechtliche Status der von Privatleuten oder nichtstaatlichen Institutionen eingerichteten Schulen ist i n England aber je nach Gattung der privat errichteten Schule sehr unterschiedlich. Viele dieser privaten Schulen werden nämlich vom Staat, genauer: den lokalen Erziehungsbehörden, unterhalten, und der Staat hat bei der Verwaltung und Führung dieser Schulen einen erheblichen Einfluß. Für die rechtlichen Regelungen, die für die unterschiedlichen Schularten gelten — insbesondere auch für die Rechtsverhältnisse der Lehrer — ist deshalb nicht die Unterscheidung zwischen „staatlichen" und „privaten" Schulen maßgeblich, sondern die Unterscheidung zwischen „maintained schools" und allen übrigen Schulen (nonmaintained schools") 155 . „Maintained schools" ( = „unterhaltene Schulen") sind alle Schulen, die von den lokalen Erziehungsbehörden unterhalten werden. Das sind zunächst alle „staatlichen" Schulen, also alle Schulen, die von den lokalen Erziehungsbe150

G. R. Barreil, Teachers and the L a w , 4th ed. 1975, p. 33 f. Loewenstein I I (Fn. 96), S. 142. 152 Loewenstein I I (Fn. 96), S. 131 f. 153 Taylor / Saunders , The N e w L a w of Education, 7th ed. 1971, p. 8. 1969 gab es 163 local education authorities i n England u n d Wales, ebd. 154 Zahlen zur Geschichte bei Taylor /Saunders (Fn. 153), pp. 22 f., 39 f. 155 Halsbury' s Laws of England, 4th ed., Vol. 15 (Education b y Taylor/Saunders), 1977, para. 70. 151

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hörden errichtet werden. Unter diesen Begriff können alle Schularten fallen (primary, middle, secondary schools, nursery schools, special schools)156. Die vom Staat errichteten primary und secondary schools heißen county schools 167 . Z u den maintained schools gehören aber auch die voluntary schools („freiwilligen Schulen"). Diese werden von den lokalen Erziehungsbehörden unterhalten, wurden aber von privaten Institutionen (ζ . B. Religionsgesellschaften, city companies, educational trusts) errichtet 158 . Unter den voluntary schools unterscheidet man — hauptsächlich nach der finanziellen Selbstbeteiligung an der Unterhaltung — zwischen controlled, aided and special agreement schools 159 . Z u den Schulen, die nicht von einer lokalen Erziehungsbehörde unterhalten werden (non-maintained schools), gehören vor allem die indépendant schools und die direct grant schools 160 . Direct grant schools („direkt unterstützte Schulen") sind Privatschulen, die nicht von den lokalen Erziehungsbehörden, sondern unmittelbar vom Staatssekretär für Erziehung und Wissenschaft finanziell unterstützt werden 1 6 1 . Direct grant schools waren vor allem grammar schools (Gymnasien) 102 , denen jetzt aber die Unterstützung durch den Staatssekretär entzogen werden soll; sie werden entweder i n maintained schools umgewandelt oder müssen ohne staatliche Unterstützung auskommen 168 . Independent schools („unabhängige Schulen"), manchmal auch „private schools" genannt, sind Privatschulen, die keinerlei finanzielle Unterstützung seitens des Staates erhalten 164 . Auch die „public schools" sind Privatschulen, z. T. direct grant, ζ. T. independent schools 165 . Heute sind rund 9 4 % der Schulen maintained schools; nur rund 6 °/o sind echte Privatschulen (independent schools)166.

156

Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 74, 71, 72, 73. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 75; Barrell (Fn. 150), p. 73. 158 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 76; Barrell (Fn. 150), p. 73; Taylor I Saunders (Fn. 153), p. 23. 159 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 77; Barrell (Fn. 150), pp. 74 ff. 180 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 80. Daneben noch die nichtstaatlichen special schools (Sonderschulen) u n d assisted schools, Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 80, 83. 1β1 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 81; Barrell (Fn. 150), p. 59. lß2 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 81, daneben auch nursery schools (Kinderschulen, Vorschulen), s. Halsbury 15 (Fn. 155), ebd. 183 Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 81 f. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 126; Barrell (Fn. 150), p. 73. 185 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 296. Besondere rechtliche Regelungen gelten n u r f ü r 7 public schools, auf die sich die Public schools Acts (1868—1873) beziehen; Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 296 ff. 186 Stand 1978. 157

England

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I I . Der rechtliche Status der Lehrer

1. Das Rechtsverhältnis

im allgemeinen

Es gibt i n England keine beamteten Lehrer. Alle Lehrer werden i m Angestelltenverhältnis auf Vertragsbasis 167 beschäftigt 168 . A l l e Lehrer werden zuerst auf Probe angestellt. Die Probezeit beträgt — je nach fachlichen Voraussetzungen — ein oder zwei Jahre 169 . Die lokale Erziehungsbehörde empfiehlt, ob die Probezeit als erfolgreich anzusehen, ob sie u m ein halbes Jahr zu verlängern oder ob der Lehrer nicht weiter als qualifizierter Lehrer 1 7 0 zu beschäftigen ist 1 7 1 . Die Entscheidung t r i f f t der Staatssekretär 172 . M i t nur wenigen Ausnahmen werden die Lehrer an den maintained schools bei den lokalen Erziehungsbehörden angestellt. Diese Behörden sind i h r Vertragspartner 173 . Die Lehrer an aided schools werden zwar von den managers bzw. governers dieser Schulen angestellt; m i t diesen schließen die Lehrer auch den Dienstvertrag. Doch ist i m Normalfall für den Vertragsschluß die Zustimmung der lokalen Erziehungsbehörde vorgesehen. Ohne Einfluß auf die Anstellung von Lehrern an aided schools ist die Erziehungsbehörde nur hinsichtlich der Religionslehrer 1 7 4 . 2. Kündigung Die Dienstverträge der britischen Lehrer sehen die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung durch jeden der beiden Vertragspartner vor 1 7 5 . 167 Ausnahme: die sieben public schools, auf die sich die Public schools Acts beziehen. Dort ist der headmaster (Schulleiter) „ a t pleasure of the governing body", die Lehrer „at pleasure of the headmaster" beschäftigt. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 297. — Anstelle eines schriftlichen Vertrages genügt bei L e h rern, die bei einer lokalen Erziehungsbehörde angestellt werden, a u d i das A n stellungsprotokoll dieser Behörde; Halsbury 15 (Fn. 155), para. 214. 168 Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 214 if.; Barrell (Fn. 150), pp. 105 f. 169 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 214; Barrell (Fn. 150), p. 92. 170 M i t wenigen Ausnahmen werden an britischen Schulen n u r „qualified teachers" beschäftigt; Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 191 f.; zur Qualifikation s. u. I I I . 1. 171 Barrell (Fn. 150), p. 92. 172 Barrell (Fn. 150), p. 92. 17S Barrell (Fn. 150), pp. 105, 77, 78. Die ed. auth. können die Befugnis zum Vertragsschluß an die Verwaltungsorgane der einzelnen Schulen (managers oder governors) delegieren. Ed. Act. 1944 s. 24 I ; Taylor ! Saunders (Fn. 153), p. 129. 174 Barrell (Fn. 150), pp. 75, 106. Religionslehrer, die konfessionellen Religionsunterricht gem. den Bestimmungen der nichtstaatlichen Schulgründer auf A n t r a g der Eltern geben sollen, können bei controlled and special agreement schools nicht gegen den W i l l e n der Schulmanager eingestellt werden, s. Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 221 ff. 175 Barrell (Fn. 150), pp. 105, 118.

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Die Bewährung des Lehrers i n der Probezeit führt also nicht dazu, daß er eine m i t dem Beamten auf Lebenszeit vergleichbare Stellung erlangt, sondern bedeutet nur, daß er seinen durch die erfolgreiche Absolvierung der Lehrerausbildung erreichten Status eines „qualifizierten Lehrers" behält, der für die Beschäftigung als Lehrer — von wenigen Ausnahmen abgesehen — Voraussetzung ist 1 7 6 . Wenn die formellen Kündigungsvoraussetzungen 177 eingehalten werden, kann der Lehrer also jederzeit entlassen werden 1 7 8 . Außerdem sehen die Dienstverträge die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grunde vor 1 7 9 . M i t Aussicht auf Erfolg kann ein Lehrer rechtliche Schritte gegen die K ü n d i gung nur dann unternehmen, wenn die Kündigung „ultra vires" oder arglistig (in bad faith, „mala fide") erfolgt ist. Da die Entscheidung über die Kündigung i m Ermessen der lokalen Erziehungsbehörde steht, kann der Kläger diese Einwände nur i n seltenen Fällen beweisen 180 . Eine K ü n digung, die ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgt, ist unwirksam 1 8 1 . Trotz dieser sehr geringen Möglichkeiten, eine Kündigung zu verhindern, ist die Stellung der britischen Lehrer nicht ungesichert. Für die Lehrer gelten nämlich wie für alle anderen Arbeitnehmer die K ü n d i gungsschutzbestimmungen des Trade Union and Labour Relations Act 1974. Nach diesen Bestimmungen kann der Lehrer vor einem Industrietribunal auf Feststellung klagen, daß er „unfair" entlassen wurde und die Kündigung eine „unfair industrial practice" darstellt 1 8 2 . I n diesem Verfahren muß der Arbeitgeber beweisen, daß die Kündigung aus einem der folgenden Gründe gerechtfertigt ist: mangelnde Fähigkeiten oder Qualifikationen, persönliches Fehlverhalten, fehlende Beschäftigungsmöglichkeit (Personalüberfluß) oder Verstoß der Beschäftigung gegen ein Gesetz. „Fähigkeit" bezieht sich i n diesem Zusammenhang auf die fachliche Fertigkeit, Geeignetheit auf die Gesundheit oder andere physische oder geistige Qualitäten, während „Qualifikation" alle erheblichen (akademischen) Grade, Diplome oder andere berufliche Qualifikationen umfaßt 1 8 3 . I n unserem Zusammenhang ist entscheidend, daß entlassen werden kann, wer seine Dienstpflichten verletzt, insbesondere, wer sich weigert, einer rechtmäßigen Anordnung seiner Vorgesetzten nachzukom178

Barrell (Fn. 150), p. 92; Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 191 f. Frist (i. d. R. 2 Monate auf den 31.12. oder 30.4. oder 3 Monate auf den 31. 8.) u n d Form, s. Barrell (Fn. 150), pp. 105 ff. 178 Barrell (Fn. 150), p. 118. 179 Barrell (Fn. 150), pp. 117 f. 180 Barrell (Fn. 150), p. 118, vgl. z. B. auch Roberts v. Hopwood (1925), A C 578; G i l l v. Leyton Corporation (1933), Education, 14 A p r i l ; L C T 103. 181 Malloch v. Aberdeen Corporation (1971), 2 A l l ER 1278. 182 Schedule 1.4. 183 Schedule 1.6; s. auch Barrell (Fn. 150), p. 121. 177

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men 1 8 4 . Die britischen Lehrer sind gehalten, den Unterricht parteipolitisch neutral durchzuführen. Einseitige politische Indoktrination ist unzulässig. Verstößt ein Lehrer gegen diese Grundsätze, so muß er zumindest dann m i t seiner Entlassimg rechnen, wenn er sein pflichtwidriges Verhalten fortsetzt, nachdem er von seinen Vorgesetzten aufgefordert wurde, die einseitige politische Beeinflussung der Schüler zu unterlassen. Auch i n diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Klage vor dem Industrietribunal nur zu Schadensersatzansprüchen, nicht aber zur Unwirksamkeit der Kündigung und zur Weiterbeschäftigung führt 1 8 5 . I m Falle von persönlichem Fehlverhalten oder aus anderen wichtigen Gründen kann ein Lehrer bis zur Entscheidung über seine Entlassung suspendiert werden 1 8 6 . Suspendierung und Entlassung werden von der lokalen Erziehungsbehörde ausgesprochen; gewisse Ausnahmen bestehen für Religionslehrer an aided schools 187 . Ι Π . Rekrutierung

2. Auswahlkriterien Voraussetzung für die Anstellung als Lehrer ist, daß der Bewerber den Status eines „qualified teacher" hat 1 8 8 . Diesen Status erwirbt man m i t dem erfolgreichen Abschluß der britischen Lehrerausbildung 189 . „Qualified teacher" ist, wer vom Staatssekretär für Erziehung und Wissenschaft als „qualified teacher" anerkannt und von i h m nicht später wieder disqualifiziert worden ist 1 9 0 . Der Staatssekretär entzieht die Qualifikation, wenn der Lehrer sich i n der Probezeit nicht bewährt 1 9 1 , oder wenn der Staatssekretär zu der Überzeugung kommt, daß der Lehrer wegen Fehlverhaltens oder Begehung einer Straftat als Lehrer nicht oder nur i n beschränktem Umfang geeignet ist. I n letzterem Fall ordnet 1 M

Dazu Barrell (Fn. 150), pp. 121 f. iss Trade U n i o n and Labour Relations A c t 1974, Sch. I 17.

18e

Halsbury 15 (Fn. 155), para. 220; Barrell (Fn. 150), p. 117. Ed. A c t 1944 s. 24 I (1), (2). 188 Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 191 f. — Ausnahmen werden n u r zugelassen f ü r Lehrer, die v o r dem 1.4.1945 i m Dienst waren, f ü r Lehrer an nursery schools (Kindergärten), die einen Kindergärtnerkurs absolviert haben, für „Student teachers" (Zeitverträge max. 2 Jahre) u n d unter bestimmten Voraussetzungen f ü r Kunstlehrer u n d ähnliche Fachlehrer, s. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 192. 189 Ausländische Lehrerausbildung u n d gewisse andere Qualifikationen können v o m Staatssekretär f ü r Erziehung u n d Wissenschaft als gleichwertig anerkannt werden, s. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 191. 190 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 191. 191 s. ο. I I . 1. 187

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er an, daß der Lehrer nur i n einem näher bestimmten Ausmaß beschäftigt werden darf 1 9 2 . Wenn ein Lehrer wegen schwerer dienstlicher Versäumnisse, Fehlverhaltens oder Begehung einer Straftat entlassen w i r d oder aufgrund eines solchen Umstands selber kündigt, muß diese Tatsache dem Staatssekretär mitgeteilt werden 1 9 3 . Somit kann die Entlassung wegen Verletzung von Dienstpflichten durch eine lokale Erziehungsbehörde dazu führen, daß der Lehrer auch bei anderen lokalen Erziehungsbehörden keine Anstellung mehr finden kann. Der Staatssekretär trifft die Entscheidung über die Rücknahme der Anerkennung persönlich. Er macht auch von der Möglichkeit Gebrauch, Lehrern die Anerkennung wieder zuzusprechen 194 . Voraussetzung für die Anstellung als Lehrer ist neben dem Status des „qualified teacher" nur die erforderliche Gesundheit 195 . Darüber hinaus gibt es keine allgemeinen Einstellungsvoraussetzungen. Insbesondere w i r d nicht verlangt, daß der Bewerber die Gewähr bieten müsse, jederzeit für die Grundsätze der bestehenden Verfassung einzutreten. Andererseits ist gesetzlich festgelegt, aus welchen Gründen ein Bewerber nicht abgelehnt bzw. ein Lehrer nicht entlassen oder disqualifiziert werden darf. So bestimmt das Erziehungsgesetz, daß kein Lehrer an einer maintained school wegen seiner religiösen Ansichten oder seiner Teilnahme oder Nichtteilnahme an einem Gottesdienst abgelehnt werden darf 1 9 6 . Der Sex Discrimination Act (1975) und der Race Relations A c t (1976) verbieten jede Diskriminierung i m Schulwesen aus Gründen des Geschlechts oder der Rasse197. Ein gesetzliches Verbot der Diskriminierung aus Gründen der politischen Uberzeugungen gibt es dagegen nicht. Liegen die allgemeinen Eignungsvoraussetzungen vor, so w i r d die Auswahl unter mehreren Bewerbern um eine freie Stelle nach fachlicher und persönlicher Eignung getroffen.

192 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 214. Schools Regulations 1959, Sch. I I . (Substituted by S. I. 1968, No. 1281). 193 Halsbury 15 (Fn. 155), para. 214; Barrell (Fn. 150), p. 124. Schools Regulations 1959, Sch. I I . 5 (Substituted b y S. I 1968 No. 1281). 104 So die A n t w o r t auf eine parlamentarische Anfrage, Barrell (Fn. 150), p. 125. 195 Das Department of Education and Science fordert eine medizinische Untersuchung vor der ersten Einstellung. Schools Regulations 1959, Sch. I I . 1., Taylor / Saunders (Fn. 153), pp. 404 f. 196 Education A c t 1944, s. 30. Das g i l t nicht f ü r Lehrer an aided schools u n d f ü r „reserved teachers" (Religionslehrer) an controlled oder special agreement schools, s. 30. Siehe auch Halsbury 15 (Fn. 155), para. 193; Barrell (Fn. 150), p.112. 197 Halsbury 15 (Fn. 155), paras. 181 ff. D i s k r i m i n i e r u n g von Frauen schon verboten durch Ed. A c t 1944, s. 24 (3).

England 2.

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Auswahlverfahren

Die meisten freien Stellen werden i n der pädagogischen Fachpresse ausgeschrieben 198 . Auf die schriftliche Bewerbung 1 9 9 h i n findet ein Einstellungsgespräch (interview) statt. Es kommt i n der Praxis gelegentlich vor, daß der Bewerber bei diesem Gespräch nach seiner religiösen· 200 oder politischen Uberzeugung gefragt wird, obwohl diese Überzeugungen keine Einstellungskriterien sind. I n der Regel aber w i r d nach den politischen Ansichten des Bewerbers weder gefragt noch recherchiert. Es ist kein Fall bekannt, i n dem die religiöse oder politische Überzeugung eines Bewerbers als Grund für die Ablehnung angegeben wurde. Da sich ein sachfremder Ablehnungsgrund praktisch nie nachweisen läßt, gibt es praktisch auch keinen Rechtsschutz gegen ungerechtfertigte A b lehnung. I V . Independent Schools

Die „unabhängigen Schulen" (independent schools), also die eigentlichen Privatschulen, müssen an ihre Lehrer die gleichen Qualifikationsanforderungen stellen wie sie für die Lehrer an staatlichen Schulen gelten, wenn sie vom Staatssekretär für Erziehung und Wissenschaft als „efficient" anerkannt werden wollen 2 0 1 . I m übrigen aber nehmen sie die Einstellungen und Entlassungen von Lehrern selbst vor, benötigen dafür keine staatliche Genehmigung und sind nur an die für alle Arbeitgeber geltenden rechtlichen Bestimmungen gebunden. Sie können sowohl die religiöse als auch die politische Uberzeugung des Bewerbers berücksichtigen. V. Resümee

Der rechtliche Status der britischen Lehrer unterscheidet sich vom Status der bundesdeutschen Lehrer wesentlich dadurch, daß erstere i m Angestelltenverhältnis beschäftigt werden und zwar nicht auf Lebenszeit, sondern m i t der Möglichkeit der ordentlichen — allerdings sachlich zu rechtfertigenden — Kündigung. Die außerordentliche Kündigung ist i m Vergleich zur Entfernung aus dem Dienst i m förmlichen Disziplinarverfahren sehr einfach durchzuführen. Somit ist in England das Bedürfnis nach einer gründlichen Prüfung des Bewerbers vor der Einstellung nicht so groß wie in Deutschland. Deshalb findet eine Prüfung der politischen Überzeugung des Bewerbers i n England — jedenfalls offiziell — nicht statt. Da eine Verpflichtung zur Treue zur bestehenden Verfassung 198 199 200 201

Barrell (Fn. 150), p. 102. Barrell (Fn. 150), p. 103. Barrell (Fn. 150), pp. 112 f. Halsbury 15 (Fn. 155), para. 197.

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nicht besteht, kann es auf die verfassungskonforme oder revolutionäre Gesinnung des Bewerbers auch nicht ankommen. Verboten ist es nur, die Schüler — gleichgültig i n welcher Richtung — politisch zu indoktrinieren. Abgelehnt werden kann (und muß w o h l auch) ein Revolutionär nur dann, wenn er seine revolutionäre Gesinnung unter Verstoß gegen Strafgesetze betätigt. Inwieweit es i n der Praxis üblich ist, Bewerber abzulehnen, deren revolutionäre Gesinnung bekannt ist, die sich jedoch nicht strafbar gemacht haben, läßt sich kaum feststellen, da solche Umstände als Gründe für die Ablehnung nicht genannt werden. D. Gesamtergebnis I m Unterschied zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthält die — ungeschriebene — britische Verfassung keine Fundamentalnormen, die wie die Grundsätze des A r t . 79 I I I GG der legalen Verfassungsänderung ausdrücklich entzogen sind. Der Souveränität des Parlaments sind i n dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt 202 . Hieraus folgt, daß man von den Beamten und Angestellten nicht fordern kann, jederzeit für bestimmte materielle Verfassungsgrundsätze einzutreten. Für England gibt es das Problem einer Revolution m i t legalen M i t t e l n nicht, und jemand, der eine Änderung von Verfassungsgrundsätzen durch parlamentarische Mehrheitsentscheidung erstrebt, kann nicht als Verfassungsfeind angesehen werden. Revolutionär ist nur, wer einen Umsturz m i t illegalen Mitteln herbeiführen w i l l . Wer sich zur Durchsetzung seiner politischen Ziele illegaler M i t t e l bedient, hat auch i n Großbritannien keine Chance auf Einstellung i n den öffentlichen Dienst. Der Verstoß gegen Strafrechtsnormen disqualifiziert ihn. Dasselbe gilt für den Mißbrauch der Amtsstellung zur Verfolgung (revolutionärer) politischer Ziele; nur setzt ein Verstoß gegen Dienstpflichten naturgemäß voraus, daß der Delinquent zuvor i n den öffentlichen Dienst eingestellt worden ist. I m Vergleich zur Bundesrepublik sind also die Fälle problematisch, i n denen ein Bewerber eine revolutionäre Gesinnung (im engeren britischen Sinne) hat, aber diese Gesinnung noch nicht durch illegale Aktionen betätigt hat. Soll die Anstellungsbehörde aus der bekannten Gesinnung schließen, daß der Bewerber seine Amtsstellung für seine politischen Ziele mißbrauchen und somit seine Dienstpflichten verletzen wird? Ob i n der Praxis dieser Schluß gezogen w i r d und Bewerber aus diesem Grunde abgelehnt werden, läßt sich kaum feststellen, da A b lehnungen entweder nicht begründet oder i n der Begründung politische Gründe — falls sie eine Rolle spielen — nicht genannt werden. Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Anstellungsbehörde gibt es nicht. Rechtlich hat man das Problem i n England so geregelt, daß Bewerber 202

Vgl. Loewenstein

I I (Fn. 96), S. 65 ff.

England

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m i t bekannter revolutionärer Gesinnung, d. h. praktisch vor allem M i t glieder der kommunistischen Partei, grundsätzlich eingestellt werden und nur solche Positionen nicht erhalten dürfen, die für die Staatssicherheit relevant sind. Dementsprechend werden diesbezüglich nur solche Personen überprüft, die sich für sicherheitsrelevante Posten bewerben. Die Mitgliedschaft i n einer kommunistischen Partei steht also insbesondere der Anstellung als Lehrer nicht entgegen. A u f der anderen Seite werden die Lehrer i m Angestelltenverhältnis m i t der Möglichkeit der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung beschäftigt, und auch die Beamten (Civil Servants) können i m Falle von schwerwiegenden Dienstpflichtverletzungen durch Entlassung ohne ein kompliziertes Disziplinarverfahren und m i t nur sehr beschränktem Rechtsschutz aus dem Dienst entfernt werden; Entlassungsgrund ist auch die Verletzung der Verpflichtung zur Neutralität. Hinsichtlich der hauptamtlichen Richter ist eine besondere Uberprüfung der Verfassungstreue nicht nötig, w e i l es den „Beruf" des Richters — vergleichbar m i t dem Richter i n der Bundesrepublik — nicht gibt und w e i l das Rekrutierungssystem dafür sorgt, daß nur Persönlichkeiten zum Richter ernannt werden, an deren absolut dem geltenden Recht verpflichteter Gesinnung kein Zweifel besteht. Somit ergibt sich das Gesamtbild, daß der Zugang zum Richteramt für Revolutionäre i n England schwieriger als i n der Bundesrepublik, nämlich praktisch unmöglich ist; daß Mitglieder einer revolutionären Partei es andererseits i n England leicht haben, i n nicht sicherheitsrelevante Positionen des C i v i l Service oder i n den Schuldienst eingestellt zu werden. Dem nicht beschränkten Zugang zum öffentlichen A m t entspricht die Möglichkeit der i m Vergleich zur Bundesrepublik sehr einfachen Entlassung und der i m Verhältnis zur Bundesrepublik erheblich geringere Rechtsschutz.

Treuepflicht und die Grenzen politischer Betätigung im öffentlichen Dienet Frankreiche Von Kay Hailbronner Inhaltsübersicht I. Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts i n Frankreich I I . Die Loyalitätspflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes ..

94 96

1. Gesetzliche Grundlagen

96

2. Die Loyalitätspflicht gegenüber Staat u n d Nation

98

3. Mitgliedschaft u n d Betätigung i n einer extremistischen Partei oder Vereinigung

101

I I I . Die Beschränkung politischer Betätigung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes

112

1. Der Begriff der obligation de réserve

112

2. Der I n h a l t der obligation de réserve i n der Rechtsprechung .. a) Die Äußerung „antinationaler" politischer Meinungen S. 114 — b) Andere Formen „unangemessener" politischer Betätigungen S. 116

114

3. Die obligation de réserve bei besonderen Beamtenkategorien . a) Soldaten S. 120 — b) Polizeibeamte S. 123 — c) Richter u n d Staatsanwälte S. 125 — d) Beamte i m Auslandsdienst S. 127 — e) Lehrer u n d Hochschullehrer S. 128

120

4. Obligation de réserve u n d gewerkschaftliche Betätigung I V . Der Zugang zum öffentlichen Dienst

130 133

1. Auswahlverfahren, Ernennung u n d Einweisung i n das A m t . .

133

2. Die Überprüfung von Bewerbern f ü r den öffentlichen Dienst ..

137

3. Der Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst u n d die Grundsätze gerichtlicher Überprüfung

144

V. Die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst

151

V I . Französischer Landesbericht — Zusammenfassung

153

Literaturübersicht

157

Anmerkung: E i n T e ü der dieser A r b e i t zugrunde gelegten Gesetzestexte u n d Gerichtsentscheidungen ist außerdem abgedruckt i n der von der Direction Générale de l ' A d m i n i s t r a t i o n et de la Fonction Publique herausgegebenen 20bändigen Sammlung „Statut de la Fonction Publique, Textes et Jurisprudence", L a Documentation Française, Paris 1976—1978.

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Abkürzungen AJDA CE Conci. Chron. D J JCA JCP JO Note obs. Ree. RPDA RA RDP S. TA

Actualité Juridique Droit Administratif Conseil d'Etat r= Conclusion (Schlußantrag des Jeweiligen Regierungskommissars im gerichtlichen Verfahren) = Chronique = Recueil Dalloz Sirey = Jurisprudence = Juris Classeur Administratif = Juris Classeur Périodique — La semaine juridique = Journal Officiel = Anmerkung = Anmerkung = Recueil des décisions du Conseil d'Etat = Revue pratique de droit administratif = Revue Administrative α Revue du droit public et de la science politique en France et à l'étranger Sirey = Tribunal Administratif = =

=

I. Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts in Frankreich Wie das deutsche Recht geht auch das französische Recht davon aus, daß für den öffentlichen Dienst (fonction publique) besondere Regeln des öffentlichen Rechts gelten, die sich vom Arbeitsrecht i n den Voraussetzungen der Anstellung und der Rechte und Pflichten i n wesentlichen Punkten unterscheiden. Die französische Konzeption der fonction publique geht auf eine lange verwaltungsrechtliche Tradition zurück. Die Besonderheit des öffentlichen Dienstes ist i n der Vorstellung begründet, daß der Dienst für die Nation nicht m i t einer gewöhnlichen Arbeit vergleichbar ist. M i t dem Eintritt i n den öffentlichen Dienst beschließt der Amtsträger, seine Arbeitskraft dem Staat zur Verfügung zu stellen. Der Staat gewährt ihm andererseits eine Karriere und besondere soziale Sicherungen. Trotz der auch i n Frankreich zu beobachtenden vielfachen Annäherungen zwischen öffentlichem Dienst und Arbeitsrecht, insbesondere bezüglich der Besoldung und der sozialen Rechte, ist diese Grundkonzeption nach wie vor unumstritten 1 . I m Jahre 1946 wurde erstmalig die Rechtsstellung des Amtsträgers gesetzlich geregelt. Das „Statut Thorez", benannt nach dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei, auf dessen Initiative das Gesetz zustande kam, bestimmte 13 Jahre lang die Rechtsstellung des öffentlichen Dienstes. I m Jahre 1959 wurde es durch die Regierungsverordnung vom 4. 2.1959 2 über die Neuregelung der Rechtsstellung der 1 Vgl. J. Rivero, Vers la fin du droit de la fonction publique?, D 1947, Chron 149; M. Long, L a fonction publique en France, i n : L . Fougère , L a fonction publique, 71 ff. 2 Ordonnance Nr. 59—244 d u 4 février 1959 portant refonte d u statut génér a l des fonctionnaires.

Frankreich

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Amtsträger (Beamtenstatut) abgelöst, die heute die wichtigste Rechtsgrundlage für den öffentlichen Dienst darstellt. Die allgemeinen Grundsätze des Statuts von 1959 werden durch zahlreiche spezielle Regelungen ergänzt, die für besondere Kategorien von Amtsträgern erlassen worden sind. Daneben ist für die Ausgestaltung des öffentlichen Dienstrechts die Rechtsprechung des Conseil d'Etat (CE) von entscheidender Bedeutung. Nach A r t i k e l 1 des Statuts sind Funktionäre i m Sinne des Statuts „Personen i n dauernder Beschäftigung, denen ein A m t i n den staatlichen Zentralverwaltungen, deren Außenstellen oder öffentlich-rechtlichen Einrichtungen verliehen wurde". Das Merkmal der Verleihung eines Amtes (vorbehaltlich gewisser Unterschiede m i t dem Beamtenbegriff vergleichbar) schließt die auf vertraglicher Basis beschäftigten „Agents contractuels" und die „Agents auxiliaires" von der Anwendbarkeit des Statuts aus. Als „Agents publics" sind auf sie aber allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsätze über den öffentlichen Dienst anwendbar, soweit sie hoheitliche Aufgaben wahrnehmen 3 . Das Statut von 1959 gilt nicht für die Arbeiter i m öffentlichen Dienst (vorwiegend beschäftigt i m Verteidigungswesen). Für sie gelten besondere Regeln des öffentlichen Rechts, die sich bezüglich der Kündigung weitgehend an das Arbeitsrecht anlehnen, i m übrigen aber eine größere Arbeitsplatzsicherheit garantieren. Das Statut von 1959 ist darüber hinaus nicht anwendbar auf verschiedene Amtsträger, die spezialgesetzlichen Regeln unterliegen. I m wesentlichen handelt es sich dabei um das Personal der gesetzgebenden Körperschaften, die Richter, Polizeibeamten, Soldaten, Lehrer und Gemeindebeamten. Der CE hat i n ständiger Rechtsprechung festgelegt, daß beim Fehlen von spezialgesetzlichen Bestimmungen die früher geltenden Rechtsvorschriften weiter anwendbar sind 4 . Das bedeutet jedoch nicht die völlige Unanwendbarkeit der Bestimmungen des Beamtenstatuts. Einige grundlegende Vorschriften des Beamtenstatuts sind auf alle Beamten anwendbar. Das gilt vor allem für die i n unserem Zusammenhang besonders wichtige Vorschrift des Verbots der Erwähnung politischer Ansichten i n der Personalakte sowie für die sozialen Rechte 3 CE v. 20. März 1959, Lauthier, Ree. 198; vgl. dazu de Laubadère, D 1960, 280 ff.; die wachsende Z a h l v o n „agents non titulaires" hat zu einer Reihe von Maßnahmen der Regierung geführt, diese Personen i n den öffentlichen Dienst zu überführen. Außerdem ist durch verschiedene Regierungsdekrete die Anstellung, Beförderung, Besoldung u n d Disziplin dieser Personen näher geregelt worden. I h r e Rechtsstellung w i r d dennoch allgemein als unbefriedigend geregelt angesehen, w e i l sie weder den arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen noch den öffentlich-rechtlichen Regeln über Amtsträger v o l l unterliegen. So können ζ . B. die „agents non titulaires" aus dienstlichem Interesse jederzeit gekündigt werden (vgl· dazu Silvera I Salon, Nr. 48). 4 CE v. 2. J u l i 1954, Grau A J D A 1954 I I , 413.

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der Beamtenschaft 5 . Vorbehaltlich besonderer Vorschriften, auf die i m Laufe der Untersuchung noch näher einzugehen sein wird, sind daher auf diese Personengruppen auch die allgemeinen Grundsätze über das öffentliche Dienstrecht anwendbar. Eine Sonderstellung n i m m t das Personal von öffentlichen Einrichtungen kommerziellen Charakters (service et établissements publics à caractère industriel ou commercial) ein. Seit der Entscheidung des T r i bunal des Conflits i m Fall „Bac d ' E L O K A " vom 22.1.1921 e ist anerkannt, daß vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen auf diese Personen Arbeitsrecht anwendbar ist und Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis demnach von den Zivilgerichten entschieden werden. Eine i m Beamtenstatut vorgesehene Verordnung zur Festsetzung der Kriterien, welche Einrichtungen als „à caractère industriel ou commercial" zu gelten haben, ist, soweit ersichtlich, bisher nicht erlassen worden. I m Jahre 1959 sind das französische Fernsehen R. T. F. und die Tabak- und Zündholzverwertung (S.E.I.T.A.) i n „établissements publics à caractère industriel ou commercial" umgewandelt worden. Den bisherigen Amtsträgern wurde dabei ein Wahlrecht zwischen ihrem bisherigen Status und dem Arbeitsrecht eingeräumt. Umgekehrt wurde durch Gesetz vom 23.12.1964 für das Personal zweier Einrichtungen kommerziellen Charakters (Caisse national des marchés und Office national des forêts) die Anwendbarkeit des öffentlichen Dienstrechts bestimmt. Insgesamt rechnet man ca. 2 940 000 Personen zum öffentlichen Dienst. Diese Zahl schlüsselt sich auf i n 1 557 000 staatliche Zivilbeamte (titulaires), 310 000 Soldaten, 800 000 Gemeindebeamte und Angestellte, 166 000 staatliche Angestellte und 107 000 Arbeiter. Demnach gehören ca. 12 °/o der Bevölkerimg dem zivilen öffentlichen Dienst an. Der weitaus größte Anteil der i m öffentlichen Dienst Beschäftigten entfällt dabei auf den Bereich des Erziehungsministeriums (ca. 828 000 Personen), gefolgt vom Postministerium m i t 348 000 Personen und Finanz- und W i r t schaftsministeriums m i t 149 000 Personen 7 . I I . D i e Loyalitätspflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes 1. Gesetzliche Grundlagen

I m Beamtenstatut von 1959 ist keine den deutschen Beamtengesetzen vergleichbare Pflicht des Beamten, sich zu den Grundsätzen der Verfassung zu bekennen und jederzeit für deren Erhaltung einzutreten, 5 6 7

CE ν. 4. Februar 1955, Massoni, Ree. 71; vgl. Silvera J Salon, Nr. 82. Vgl. Silvera / Salon, Nr. 43. Vgl. Silvera / Salon, Nr. 8.

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enthalten. I n Literatur und Rechtsprechung w i r d übereinstimmend hervorgehoben, daß der französische Beamte dieselbe politische Meinungsfreiheit und i n weitem Umfang auch dasselbe Maß an politischer Betätigungsfreiheit habe wie jeder andere Bürger*. Das Beamtenstatut legt i n A r t . 13 fest, daß i n die Personalakten des Beamten keine Hinweise auf seine politischen, philosophischen und religiösen Überzeugungen aufgenommen werden dürfen. Die verfassungsrechtliche Grundlage für die politische Meinungsfreiheit der Beamten w i r d i n der Verweisung der Verfassung von 1958 auf die Präambel der Verfassung von 1946 gesehen, die ihrerseits auf die Menschenrechtsdeklaration von 1789 Bezug nimmt 9 . Nach A r t . 6 der Deklaration von 1789 steht allen Bürgern der Zugang zu öffentlichen Ämtern i n gleicher Weise ohne andere Unterscheidung als der nach ihren Fähigkeiten und Eignungen offen. Die Präambel der Verfassung von 1946 legt fest, daß niemand i n seiner Tätigkeit wegen seiner politischen Überzeugungen oder wegen seines Glaubens benachteiligt werden darf. Dementsprechend begründet die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst prinzipiell keine Minderung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte. Beamte einschließlich der Soldaten können wählen und gewählt werden. Besondere Regeln bestehen für die Inkompatibilität zwischen A m t und Mandat und die Beurlaubung des Beamten für den Wahlkampf, auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht Der Conseil d'Etat hat allerdings klargestellt, daß die dem Beamten erlaubte Teilnahme am Wahlkampf nicht von der auf Grund der Anstellung gebotenen Zurückhaltungspflicht entbindet 10 . Die Konzeption, daß der Beamte i m Grundsatz dieselben politischen Rechte wie der Bürger hat, erklärt sich aus der Geschichte. Man sieht den heutigen Rechtszustand als das Ergebnis einer historischen Entwicklung von der Kaiserzeit über die Regierung Vichy bis zur IV. Republik. Der durch eine Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Monarchen bzw. Staatschef gebundene Beamte erkämpft sich i n der Republik seine politische Freiheit. Er betrachtet sich als i m Dienste des Staates, nicht einer bestimmten Regierung stehend. Das bedeutet freilich nicht die ungebundene politische Freiheit des Beamten. Unterschieden w i r d w i e i m deutschen Recht zwischen der Treuepflicht gegenüber der Regierung und der Treue des Beamten gegenüber dem Staat. Als allgemein anerkannter Grundsatz gilt für den französischen Beamten eine Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Staat und der Nation (loyalisme national). Diese Pflicht kann allerdings nicht unbesehen der i m deutschen Beamtenrecht 8 Vgl. z B. G. Morange, D 1953, Chron. 154; R, Bourdoncle, Fonction P u b l i que, 18 ff.; E. Ayoub, L a fonction publique, 193 ff. 9 K r i t i s c h dazu R. Pelloux, Préface zu Bourdoncle, Fonction Publique, V I . 10 CE v. 10. März 1971, Jannès, Ree. 202; CE ν. 13. J u n i 1928> Charton, Ree. 735.

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geforderten Verfassungstreue gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist der Beamte auch i m Hinblick auf seine politische Betätigung außerhalb des Dienstes einer Zurückhaltungspflicht (obligation de réserve) unterworfen. A u f die Bedeutung dieser Pflicht w i r d später noch einzugehen sein. Von dem Grundsatz, daß der Beamte gegenüber seiner Regierung keine Treuepflicht hat, gilt eine Ausnahme für die hohen Staatsfunktionäre. Sie werden i n Abweichung vom Beamtenstatut nach dem freien Ermessen der Regierung ernannt und entlassen 11 . Von ihnen w i r d auch erwartet, daß sie die Politik der Regierung mittragen und von der Richtigkeit dieser Politik überzeugt sind. Daher dürfen auch in ihren Dienstakten Hinweise zu politischen Meinungen niedergelegt werden. I n einem Dekret vom 21. 3.1959 12 sind die wichtigsten Ämter niedergelegt, die nach freiem Ermessen der Regierung besetzt werden. Dazu gehören ζ. B. die leitenden Verwaltungsbeamten in allen Verwaltungszweigen, die Präfekten und Unterpräfekten, die Botschafter und die Akademierektoren. Diese Liste ist nach der Rechtsprechung des CE nicht erschöpfend. Der CE n i m m t ein politisches A m t i m Sinne des Dekrets auch dann an, wenn es sich um eine sonstige hohe Verwaltungsfunktion handelt, bei der der Amtsinhaber quasi an der Regierungsgewalt teil hat 1 8 . Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn er der Regierung direkt unterstellt ist. Der CE hat als „politische Beamte" i n diesem Sinne angesehen die Direktoren staatlicher Forschungs- und Kultuseinrichtungen und den Präsidenten des Verwaltungsrats der Rundfunkanstalt ORTF. I n der Literatur ist dies nicht unbestritten, insbesondere i m Hinblick darauf, daß dadurch i m praktischen Ergebnis die einer Organisation gewährte Unabhängigkeit beseitigt werden kann 1 4 . 2. Die Loyalitätspflicht gegenüber Staat und Nation

I n Rechtsprechung und Literatur ist weitgehend anerkannt, daß der französische Beamte dem Staat und der Nation gegenüber zu einer gewissen Loyalität verpflichtet ist 15 . Gelegentlich w i r d auch ausdrücklich vom „loyalisme envers la Nation et le régime constitutionnel" gespro11 R. Catherine , Le Fonctionnaire français, 132 ff.; E. Ayoub , L a fonction publique, 194; Silvera / Salon, Nr. 144, 225 f. 12 JO v. 22. März 1959. 13 CE v. 13. März 1953, Teissier, Ree. 133, D 1953, 735; CE v. 1. Oktober 1954, Guille Ree. 496; R A 1954, 512. 14 Vgl. D. Loschak, Publications de la Faculté de D r o i t et d'Economie d'Amiens, 1973, 19. 15 A. Plantey, T r a i t é pratique, Nr. 524; Silvera / Salon, L a fonction publique, Nr. 143; E. Ayoub , L a fonction publique, 200; R. Catherine , Le Fonctionnaire français, 130 f.; ablehnend Ch. Fourrier , L a liberté d'opinion, 360 f.

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chen 10 . Bereits das Dekret vom 1. und 2. März 1848, durch das die Verpflichtung zur Ableistung eines Treueeides für die Beamten abgeschafft worden ist, spricht von der „vorbehaltlosen Ergebenheit jedes Republikaners gegenüber seinem Vaterland" und der Pflicht des Beamten, „dem Vaterland ergeben zu dienen" 17 . Die Loyalitätspflicht des Beamten w i r d demnach als eine besondere Ausprägung derjenigen Pflicht angesehen, die jeder Bürger gegenüber dem republikanischen Staat und seinen Institutionen schuldet 18 . Wenn die Loyalitätspflicht für den Beamten dennoch mehr Beschränkungen m i t sich bringt, so ist dies i n seiner Funktion, die Gesetze i m Geiste der republikanischen Verfassung durchzuführen, begründet. Niemand ist, wie der ehemalige Premierminister Debré 1960 ausführte, verpflichtet, i n den öffentlichen Dienst einzutreten. Entschließt sich aber jemand zum Staatsdienst, so verpflichtet er sich zur „Achtung der Nation" („déférence nationale") 19 . I n ähnlicher Weise hat der französische Staatspräsident Pompidou in einer Rede i m Jahre 1973 die Zurückhaltungspflicht der Beamten gegenüber ihrer politischen Meinungsfreiheit hervorgehoben. Er schließt m i t den Worten: „Eine Republik, i n der nicht jeder und besonders die Staatsdiener ihre Ehrenpflicht beachten würden, die demokratische Institution zu verteidigen und ihre Autorität anzuerkennen, wäre kaum dauerhaft 20 ." Die rechtliche Bedeutung der Loyalitätspflicht gegenüber Staat und Nation kann freilich m i t der deutschen Konzeption des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht gleichgesetzt werden. Die Loyalitätspflicht w i r d i n der Rechtsprechung als Anwendungsfall der noch darzulegenden obligation de réserve behandelt 21 . Dies erklärt sich daraus, daß auch die Loyalitätspflicht nach französischem Verständnis dem Beamten grundsätzlich nur eine Zurückhaltung i n der äußeren Kundbarmachung (manifestation) seiner politischen Überzeugung auferlegt. Sie bedeutet dagegen grundsätzlich kein Erfordernis gesinnungsmäßiger Übereinstimmung des Beamten m i t dem republikanischen Staat und seinen Institutionen. Vielmehr w i r d dem Beamten die Freiheit zugestanden, auch politische Auffassungen zu haben, die den i n der Verfassung niedergelegten Grundprinzipien des Staatswesens widersprechen. Er darf sich daher jeder nicht verbotenen politischen 1β

J. Rivero, A J D A 1977, 583. Vgl. R. Catherine, 130. 18 G. Morange, D 1953, Chron. 153; Vincent, R A 1973, 143. 19 Rede v o n Premierminister Debré am 2. Oktober 1960 i n Metz, zitiert nach R. Catherine, 151 f. 20 Z i t i e r t i n D 1974, Chron. 254. 21 Anders J. Rivero, der die Treuepflicht gegenüber der Nation u n d der Verfassung ausdrücklich von der Zurückhaltungspflicht unterscheidet, ohne allerdings die rechtliche Bedeutung der Treuepflicht aufzuzeigen, vgl. A J D A 1977, 581 ff. 17

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Partei und Organisation seiner Wahl anschließen, einschließlich solcher Gruppen, die für die Umgestaltung der demokratischen Institutionen und des geltenden Regierungssystems eintreten 22 . Dieses Recht scheint nicht m i t denjenigen Stimmen i n der Literatur vereinbar zu sein, die grundsätzlich die Loyalitätspflicht als eigenständige Pflicht betonen und eine „revolutionäre Berufung" m i t der Ausübung staatlicher Funktionen für unvereinbar halten. R. Catherine, Mathiot u. a. entnehmen der Treuepflicht gegenüber dem Staat nicht nur die Pflicht zu korrekter Ausführung der Gesetze, sondern auch darüber hinausgehend ein Mindestmaß an positiver Einstellung gegenüber dem Staat, seiner Wertordnung und seinen Institutionen 2 3 . Die Treuepflicht gegenüber Staat und Nation umfaßt nach Catherine die Verpflichtung auf ein kulturelles Erbe. Der Staat w i r d als der juristische Ausdruck des „sentiment national", als das Frankreich angesehen, wie es von seinen Bürgern m i t seiner geschichtlich überkommenen Zivilisation geschaffen worden ist. Er stellt daher die rhetorische Frage: „Comment pourrait-on honnetement avoir brigué un poste dans l'Etat tout en pensant que cet Etat ne représente pas un ensemble de valeurs appelant, exigeant un minimum de respect et de fidélité 2 4 ?" Damit ist seine Schlußfolgerung verbunden, daß derjenige, der aus ideologischen Gründen die Qualität des kulturellen Erbes ablehnt, für den der Staat nur ein „bourgeoiser Staat" ist, der nicht die gesellschaftliche Gesamtheit der Nation verkörpert, nicht i n den Staatsdienst eintreten kann. „On ne peut pas a la fois renverser l'Etat et sa Constitution et accepter d'en être le salarié 25 ." Auch die Vertreter dieser — dem deutschen verfassungsrechtlichen Denken vergleichbare — Grundkonzeption leiten daraus jedoch keine Pflicht zum positiven Bekenntnis gegenüber dem republikanichen Staat und seinen Institutionen ab. Vielmehr entfaltet die Loyalitätspflicht rechtliche Wirkung nur in bezug auf die Ausübung der Funktion, die durch die Betätigung einer verfassungsfeindlichen Gesinnung beeinträchtigt werden kann. Was dem Beamten verboten ist, schreibt G. Jèze, ist die Manifestation, die äußere Demonstration feindseliger Gesinnung gegenüber dem Prinzip oder der Regierungsform der Republik 2 6 . Jedoch soll diese Loyalität zu vermuten sein, wenn eine Manifestation i n diesem Sinne nicht vorliegt 2 7 . Die Loyalitätspflicht reduziert sich daher auch 22 So das Resümee von R. Catherine, Le Fonctionnaire français, 56, u n d Lagrange, i n : Der öffentliche Dienst i n Frankreich, 31. 28 R. Catherine, Le Fonctionnaire français, 135 ff.; A. Mathiot, S. 1954, 3, 99. 24 R. Catherine , Le Fonctionnaire Français, 136. 25 R. Catherine , L e Fonctionnaire Français, 149. 2e Les principes généraux d u droit administratif, Paris 1926, 90 ff.; vgl. R. Catherine , 149.

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nach dieser Konzeption praktisch auf eine Form der Zurückhaltungspfiicht bei der Äußerung der politischen Meinungen. Die „bloße Einstellung" des Beamten gegenüber dem republikanischen Staat und seinen Institutionen ist rechtlich unerheblich, solange sie nicht i n einer den öffentlichen Dienst berührenden Weise „nach außen" kundbar gemacht wird. Die Loyalitätspflicht w i r d zu einer A r t Pflicht, radikale Äußerungen zu unterlassen 28 . Z u demselben Ergebnis kommen auch diejenigen Autoren, die ausschließlich auf die Zurückhaltungspflicht des Beamten abstellen und eine Beschränkung der Meinungsfreiheit einschließlich des Rechts der Meinungsäußerung nur dann zulassen, wenn das „gute Funktionieren des öffentlichen Dienstes" beeinträchtigt wird. Die eigentliche Kontroverse kreist u m die Voraussetzungen, unter denen eine Verletzung der Zurückhaltungspflicht angenommen werden kann, und u m die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Befugnis der Behörde, i h r ungeeignet erscheinende Bewerber vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Die A b grenzung zwischen erlaubter Meinungsfreiheit und unerlaubter „ Manifestierung" der Meinung bestimmt entscheidend den Bereich freier politischer Betätigung des französischen Beamten. 3. Mitgliedschaft und Betätigung in einer extremistischen Partei oder Vereinigung

Abgesehen von noch darzulegenden Ausnahmen für bestimmte Kategorien von Staatsdienern hat jeder Beamte das Recht, sich jeder legalen Partei oder politischen Vereinigung seiner Wahl anzuschließen, auch wenn diese den revolutionären Umsturz der bestehenden Staatsform anstrebt. Die Mitgliedschaft i n einer extremistischen Partei als solche w i r d daher grundsätzlich noch nicht als m i t dem öffentlichen Dienst unvereinbare politische Betätigung angesehen. Diese i m rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegend gemachte Feststellung 29 w i r d von der Rechtsprechung jedenfalls für die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) bestätigt. I m berühmten Fall Barel 8 0 hatte sich der CE m i t der Nichtzulassung mehrerer Kandidaten zum Auswahlverfahren für die Ecole National d'Administration (ENA), der Verwaltungshochschule, aus der traditionell die leitenden französischen 27

Duez I Debeyre, Traité de droit administratif, 1952. A. de Laubadère , Traité Elémentaire de D r o i t Administratif, 1957, 697 f. 29 Auch R. Catherine hält de lege lata die Mitgliedschaft v o n Beamten i n einer extremistischen Partei f ü r zulässig, solange derartige Parteien offiziell toleriert w ü r d e n (vgl. R A 1953, 458); vgl. auch P. Pierot, Le Statut de l ' I n s t i tuteur public, 198 f. 30 CE v. 28. M a i 1954, Barel, Ree. 308 (S. 1954, 3.97 [note A. Mathiot1); D 1954, J. 594 (note G. Morange); RDP 1954, 509 (conci. Letourneur, note M . Waline); A J D A 1954 I I , 396 (note Long); R A 1954, 393 (note Liet- Veaux). 28

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Verwaltungsbeamten hervorgehen, zu beschäftigen. Die Kandidaten führten dies auf ihre politischen Überzeugungen bzw. auf ihre Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei zurück. Sie stützten sich auf undementierte Zeitungsberichte, nach denen ein Regierungsmitglied erklärt habe, kommunistische Kandidaten könnten nicht zum Auswahlverfahren für die ENA zugelassen werden. Die Regierung habe die Pflicht sicherzustellen, daß die ENA-Kandidaten gegenüber den republikanischen Institutionen absolut loyal seien. I m Prozeß berief sich die Regierung auf ihr Recht, Kandidaten vom Auswahlverfahren fernzuhalten, ohne die Gründe dafür darlegen zu müssen. Aus Gründen, die noch i m Zusammenhang m i t dem Recht auf Zulassung zum öffentlichen Dienst darzulegen sein werden, ging der CE davon aus, daß die von den Kandidaten geltend gemachten Behauptungen bezüglich der Gründe für ihren Ausschluß zutreffen. Er hob die Entscheidung der Regierung auf, w e i l sie ausschließlich auf den politischen Meinungen der Kandidaten beruhe und damit das Prinzip des gleichen Zugangs aller Franzosen zum öffentlichen Dienst verletze. Damit wurde zugleich klargestellt, daß die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei als solche noch keinen Grund zum Ausschluß vom öffentlichen Dienst darstellt, sondern zu dem auch den Staatsbeamten zustehenden Bereich der Meinungsfreiheit zu rechnen ist. Diese Auffassung w i r d bestätigt durch die kurz darauf erfolgende Entscheidung des CE i m Fall Guille 3 1 . Der Akademieinspektor Guille, Mitglied der K P F und kommunistischer Stadtrat, war seines Amtes enthoben worden, nachdem er wegen seiner i n der Lokalpresse veröffentlichten Vorschläge von zwei Abgeordneten der Nationalversammlung heftig angegriffen worden war. Die Behörde berief sich auf das Interesse des Dienstes, das durch seine Betätigung für die Kommunistische Partei beeinträchtigt werde, machte aber i m übrigen kein Dienstvergehen geltend. Der CE wies darauf hin, daß die gegen Guille ergangene Entscheidung mangels Anwendbarkeit der für politische Beamte geltenden Grundsätze nur wegen eines Dienstvergehens erfolgen könne. Da dieses nicht vorläge, entbehre die Amtsenthebung jeder rechtlichen Grundlage. Besonderes Interesse verdienen i m Fall Guille die Ausführungen des Regierungskommissars Laurent zum Verhältnis zwischen der Meinungsfreiheit und dem Interesse an dem guten Funktionieren des öffentlichen Dienstes. Er betont, daß die bloße Zugehörigkeit zu einer nicht verbotenen Partei außerhalb des Sonderbereichs der politischen Beamten als solche keine Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten darstelle und deshalb keine Rechtfertigung für Disziplinarmaßnahmen sein könne. Davon zu trennen sind jedoch nach seiner Auffassung Ver31

CE v. 1. Oktober 1954, Guüle, R A 1954, 512 (conci. Laurent).

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Setzungen i m dienstlichen Interesse aus Gründen der Zugehörigkeit des Beamten zu einer politischen Partei. Grundsätzlich soll allerdings das Interesse des öffentlichen Dienstes keine „politische Konformität" des Beamten erzwingen können. Das sei aber der Fall, wenn die Zugehörigkeit zu einer legalen politischen Partei als solche schon i m Interesse des öffentlichen Dienstes eine Versetzung rechtfertigen könne. Anders ist nach seiner Meinung die Rechtslage, wenn i n einer gespannten politischen Atmosphäre durch die bekannte politische oder konfessionelle Haltung eines Beamten eine Unruhe unter den Bürgern oder den Kollegen des Beamten entstehen könnte. Hier kann die Behörde auch ohne Verletzung einer Dienstpflicht den Beamten versetzen, um das gute Funktionieren des Dienstes wieder herzustellen. Die Regierung hat von dieser Befugnis der Versetzung politisch unliebsamer Beamter und Richter verschiedentlich Gebrauch gemacht. Obwohl durch A r t . 48 und 49 des Beamtenstatuts für die Versetzung verfahrensrechtliche und materiellrechtliche Voraussetzungen zu beachten sind, dürfte das von den Verwaltungsgerichten nur eingeschränkt nachprüfbare Interesse am guten Funktionieren des Dienstes in begrenztem Rahmen eine Abschiebung von Beamten, die als Anhänger extremistischer Parteien oder Organisationen bekannt sind, ermöglichen. Guillois hat daher die Möglichkeit der Regierung zur Versetzung als Auffanginstrument bezeichnet, um die auf disziplinarischem Wege nicht durchsetzbaren Interessen des Dienstes durchzusetzen 32 . Die Affäre Barel hat eine seit Beginn der 50er Jahre schwelende Diskussion um die Vereinbarkeit von öffentlichem Dienst m i t der M i t gliedschaft i n der Kommunistischen Partei neu entfacht. I n den Jahren 1948 bis 1951 wurden mehrere Regierungsvorschläge diskutiert, Kommunisten vom Dienst i n der nationalen Verteidigung, der Polizei und den Atomenergiebehörden fernzuhalten 33 . I m Jahre 1952 hatte die französische Regierung den Ministerrat über einen vertraulichen Gesetzesentwurf informiert, der die weitgehende Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft i n der Kommunistischen Partei oder von ihr beherrschter Organisationen m i t dem öffentlichen Dienst vorsah 34 . Die Presseinformationen über diesen Entwurf führten zu einem weitverbreiteten Protest von Gewerkschaften, Beamtenverbänden und Abgeordneten verschiedener politischer Parteien 35 . Die Arbeiten an dem Entwurf wurden daraufhin eingestellt. Weitere nichtoffizielle Gesetzesvorschläge i m Jahre 1957 von Seiten des Centre National des Indépendants, die eine Unvereinbarkeit 32

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A. Guillois, i n : Festschrift f ü r A. Mestre, 319. Vgl. dazu M. Waline, R A 1958, 5. Vgl. C. Fourrier , L a liberté d'opinion, 221 ff.; A. Mathiot, S. 1954, 3. 99. Fourrier , ebd.; Jeglin, Der Sonderstatus des Beamten, 132 ff.

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zwischen bestimmten Beamtenkategorien (Offiziere, Polizei und Sicherheitsbeamte, Diplomatischer und Konsularischer Dienst, Richter, Lehrer) m i t der Mitgliedschaft i n der K P F vorsahen 3 *, wurden gleichfalls nicht weiterverfolgt. Die große Mehrheit der Beamtenschaft sprach sich gegen eine Inkompatibilitätsvorschrift aus, w e i l darin eine Bedrohung der demokratischen Rechte des Beamten gesehen wurde. Nachdem die Regierung nach dem Scheitern ihrer Gesetzesvorschläge versuchte, i m Fall Barel m i t administrativen Maßnahmen eine Inkompatibilität für Angehörige der Kommunistischen Partei durchzusetzen, wurde — zu Recht oder zu Unrecht — darauf hingewiesen, daß der Ausschluß von Kommunisten die Gefahr der Beschränkung allgemeiner politischer Rechte der Beamtenschaft m i t sich brächte. Der Satz: „Was heute für Kommunisten gilt, kann morgen auf Freimaurer, Neutralisten, Protestanten, Juden usw. angewandt werden", wurde als Argument weit verbreitet 8 7 . Auch die verfassungsrechtliche Literatur war gegenüber den Regierungsplänen überwiegend kritisch eingestellt, wenngleich i n der Diskussion nicht immer hinreichend deutlich zwischen dem m i t einer Loyalität gegenüber der Regierung verbundenen vielfach beschworenen politischen Konformismus und einer Treue gegenüber der Verfassimg unterschieden wurde 3 8 . Es fehlte freilich auch nicht an prominenten Gegenstimmen, die darauf hinwiesen, daß die Freiheit des Beamten nicht so weit gehen dürfe, i n politischen Organisationen aktiv zu sein, deren Ziel der Umsturz des demokratischen Staates sei, wenn sich nicht der Staat selbst zerstören wolle. R. Bourdoncle wies auf das Demokratieprinzip hin, das bisher zu einseitig unter dem Aspekt der politischen Rechte des Beamten gesehen worden sei. Eine demokratische Verwaltung bedeute vielmehr aus dem Blickwinkel der Bürger eine strikte politische Neutralität, die m i t einer ideologischen Bindung an Parteien unvereinbar sei. Er schlug — über die Regierungspläne hinausgehend — die Wiedereinführung eines Treueeides auf die Verfassung und die gesetzliche Inkompatibilität m i t der Mitgliedschaft i n einer politischen Partei schlechth i n oder wenigstens dann vor, wenn diese als antirepublikanisch oder subversiv zu qualifizieren sei3·. R. Pelloux vertrat i n seiner K r i t i k an der Entscheidung Barel ebenfalls die Ansicht, daß ein demokratisches Regime diejenigen vom öffentlichen Dienst fernhalten müsse, die auf seinen Umsturz hinarbeiten 40 . Ähnlich argumentierte R. Catherine m i t 86

R. Bourdoncle, Fonction publique, 182. Vgl. A. Mathiot, S. 1954, 3.99. 38 Besonders deutlich bei Ch. Fourrier , 74 ff.; vgl. aber auch C. Biays, D 1954, Chron. 105 ff. 39 R. Bourdoncle, Fonction publique, 187 ff. 204. 40 R. Pelloux, Préface zu R. Bourdoncle, Fonction publique, V I f.; vgl. auch die kritische Vorbemerkung v o n Ch. Eisenmann zu Ch. Fourrier, L a liberté d'opinion, Χ . 37

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dem Risiko des „Trojanischen Pferdes", das Anhänger extremistischer Organisationen für den Staat bedeuteten 41 . Theoretisch könnten die daraus resultierenden Gefahren zwar m i t einem Verbot antinationaler Parteien, einer Inkompatibilitätsvorschrift für Angehörige des öffentlichen Dienstes oder einem Treueeid gegenüber den grundlegenden Institutionen der Republik gemindert werden, wobei für jede Beamtenkategorie die Grenzen politischer Betätigungsfreiheit gesondert festgelegt werden müßten. Derartige Vorschläge de lege ferenda bezeichnet Catherine freilich als „hypothetisch" angesichts dessen, daß es paradox sei, den Zugang zum öffentlichen Dienst den Anhängern einer politischen Partei zu verweigern, deren Mitglieder i m Parlament, zahlreichen offiziellen Institutionen und sogar i n den Kommissionen der nationalen Verteidigung vertreten seien. Mangels anderweitiger gesetzlicher Vorschriften dürften daher Sanktionen, gestützt auf präzise Fakten, nur auf Dienstverfehlungen gegründet werden. Andere prominente Verfassungsrechtler haben sich gegen die Einführung einer Inkompatibilität für Anhänger extremistischer Parteien ausgesprochen. Die Äußerung von Morange, daß „die Beschränkung der Meinungsfreiheit durch systematische Fernhaltung von Gegnern des Rerierungssystems vom öffentlichen Dienst zwar eine unbestreitbare Schwäche des republikanischen Staates beseitigen würde, i h n aber gleichzeitig seiner Größe und seines Daseinsgrundes berauben würde", w i r d von vielen Autoren auch i n der neueren Literatur zustimmend zitiert 4 2 . Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheiten de lege ferenda besteht weithin Einigkeit darüber, daß i m geltenden französischen Recht die Mitgliedschaft i n einer extremistischen Partei als solche noch keinen Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst rechtfertigt. Vielmehr soll die Parteimitgliedschaft noch zu dem Bereich der jedem Beamten zustehenden Meinungsfreiheit gehören. Nur gelegentlich ist in der Literatur die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die Mitgliedschaft i n einer extremistischen Partei, ähnlich wie die noch zu behandelnde öffentliche Manifestation einer politischen Uberzeugung, eine m i t dem Charakter des öffentlichen Dienstes unvereinbare politische Betätigung darstellen kann, die generell Zweifel an einer loyalen Amtserfüllung begründet. Ein Anlaß zu dieser Frage bestand um so mehr, als der CE i n einer cause célèbre i m Jahre 1912, bei der es u m das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates ging, eben diesen Schluß gezogen hat. I m Fall Bouteyre 43 war über einen 41

R. Catherine, D u loyalisme des fonctionnaires, i n : R A 1953, 457 ff. D 1953, Chron. 153 ff.; i m gleichen Sinne M . Waline, RDP 1954, 509 ff.; J. Vincent, R A 1973, 142; A. Guillois, Festschrift f ü r A . Mestre, 318. « CE v. 10. M a i 1912, Bouteyre, Ree. 553; RDP 1912, 470 (note Jèze); S. 1912, 3. 145 (note Hauriou ). 42

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Priester zu entscheiden, der zum Auswahlverfahren als Gymnasiallehrer nicht zugelassen wurde. Der CE rechtfertigte die Nichtzulassung m i t dem Hinweis auf das Ermessen des Ministeriums bei der Ernennung von Beamten und das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Unterrichts. Er folgte damit dem Vorschlag des Regierungskommissars Helbronner, der i n seinen bis heute grundlegenden Schlußanträgen die Unterscheidung zwischen (unerlaubter) Diskriminierung wegen politischer Meinungen und erlaubter Fernhaltung vom öffentlichen Dienst wegen politischer Betätigung darlegt 44 . Die Überzeugung des Kandidaten darf nach seiner Auffassung erst dann für die Entscheidung über die Zulassung zum öffentlichen Dienst berücksichtigt werden, wenn sie eine m i t der Ausübung öffentlicher Funktionen unvereinbare Betätigung darstellt (actes et manifestations jugés par leur nature contraires à l'exercise des fonctions publiques). Eine solche Betätigung sieht Helbronner aber bereits i n der Priestereigenschaft, die zwar nicht notwendig zum Ausschluß führe, aber dem Minister das Ermessen gebe, derartige Personen als Lehrer nicht zuzulassen. Der i n der Literatur nicht unumstrittene Schluß von der Priestereigenschaft auf die nichtloyale Amtsausübung, die unwiderlegbar vermutet wird 4 5 , läßt sich, — wie Bourdoncle und Guillois dargelegt haben 46 — auf das Bekenntnis zum Programm einer extremistischen Partei übertragen, wenn — wie i m Falle der K P F — die Parteimitgliedschaft die aktive Betätigung notwendig umfaßt. Das — vom Fall Bouteyre aus betrachtete — inkonsequente Verhalten des CE im Fall Barel wurde u. a. darauf zurückgeführt, daß der CE i n einer politisch heftig umstrittenen Frage nicht die Rolle eines Ersatzgesetzgebers habe spielen wollen, andererseits auf die unentschlossene Haltung der Regierung, die sich selbst nicht auf die Mitgliedschaft der Kandidaten in der K P F berief, sondern i m Verfahren die A b weisung als eine ihr zustehende freie Ermessensentscheidung bezeichnete. Darüber hinaus dürfte die i m Vergleich zum Jahre 1912 gewandelte Dimension des Problems und ein gewachsenes Verständnis für die Individualgrundrechte von Bedeutung sein. I m Fall Bouteyre steht in einer Zeit, i n der die Auseinandersetzung m i t der katholischen Kirche noch i m vollen Gang war, das staatliche Interesse am Prinzip der weltanschaulichen Neutralität des Unterrichts noch i m Vordergrund, während i n späteren Entscheidungen stärker auf die individuelle Gewissensund Religionsfreiheit abgestellt werden kann. I n den Entscheidungen Pasteau vom 8.12.1948 47 und Jamet vom 3. 5.1950 48 betont der CE daher 44

RDP 1912. 453. Vgl. dazu A. Guillois, i n : Festschrift f ü r A. Mestre, 300 m i t Nachweisen aus der L i t e r a t u r A n m . 1. 49 R. Bourdoncle, Fonction Publique, 178 ff.; A. Guillois, i n : Festschrift für A. Mestre, 300; vgl. auch Liet-Veaux, R A 1954, 393. 47 RDP 1949, 73 (note Waline); S. 1949, 3. 41 (note Rivero). 45

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auch, daß die religiöse Überzeugung einer Sozialhelferin bzw. der Anschluß einer Lehrerin an eine konfessionelle Gruppe nicht ausreichen, um generell Zweifel an ihrer weltanschaulichen Neutralität bei der Diensterfüllung zu begründen und damit eine gesetzlich nicht vorgesehene Inkompatibilität zu schaffen 49. Das Verwaltungsgericht Paris hat daher auch i n seiner Entscheidung vom 7. 7.1970 die Auffassung vertreten, daß ein Geistlicher zu einem Auswahlverfahren für Lehrer zugelassen werden kann. Allerdings betont das Verwaltungsgericht, daß das Auswahlverfahren nicht nur für Lehrer an höheren Schulen bestimmt gewesen sei, sondern zugleich eine professionelle Qualifikation bestätigt habe, die die Ausübung des Lehrerberufs an staatlich konzessionierten privaten Schulen ermöglichte 50 . Ayoub zitiert eine gutachtliche Äußerung des Conseil d'Etat aus dem Jahre 1972, wonach für die Lehrer an höheren Schulen (im Gegensatz zu Grundschulen) keine allgemeine Unvereinbarkeit zwischen dem Priesterberuf und dem A m t eines Lehrers anzunehmen ist 51 . Eine gewisse Relativität der politischen Bedeutung der Loyalitätspflicht unter veränderten Bedingungen zeigt sich auch, wenn die Grenzen politischer Betätigung von Beamten vor und nach dem II. Weltkrieg in die Untersuchung einbezogen wird, wobei der Sonderfall der Regierung Pétain hier außer Betracht bleiben kann. Nach den Wahlen von 1936 fühlte sich die Regierung der Front Populaire durch rechtsradikale Gruppierungen bedroht. Kandidaten für bestimmte Verwaltungsfunktionen wurden auf Grund der Regierungspraxis nur eingestellt, wenn sie sich (auf der Grundlage von Polizeiberichten) zur Demokratie bekannten. Mitglieder verschiedener Organisationen und Parteien der extremen Rechten wurden vom Auswahlverfahren für den öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Teilweise geht der Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst auch auf ein Verbot der betreffenden Organisation zurück, i n Anwendung eines bis heute gültigen Gesetzes vom 10.1.1936, das dem Präsidenten die Befugnis gibt, durch Dekret Vereinigungen oder Gruppierungen aufzulösen, die gewaltsam die republikanische Regierungsform beseitigen wollen 5 2 . Nach dem Zusammenbruch der Militärregierung Pétains und der Wiedererlangung der republikanischen Legalität wurde ungeachtet der i m Beamtenstatut von 1946 niedergelegten Meinungsfreiheit der Beamten eine Politik der Säuberung des öffentlichen Dienstes (épuration) von denjenigen Beamten verfolgt, die als nicht aus48

Ree. 1950, 247. Ebenso schon CE ν. 25. J u l i 1939, Beis, Ree. 524; vgl. dazu R. Pierot, Statut de l'Instituteur Public, 247 ff. 50 Z i t i e r t bei Silvera / Salon, Nr. 210, Anm. 1. 51 E. Ayoub, L a fonction publique, 84, 92 f. 52 Vgl. R. Bourdoncle, Fonction publique, 156. 49

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reichend demokratisch zuverlässig galten. Nach der Beschreibung Mathiots wurde eine präventive Eliminierung von Personen praktiziert, die schlicht als verdächtig galten, bis sich der politische Trend der Mehrheit wieder mehr der Rechten zuneigte 53 . I n einer Verordnung der provisorischen Regierung vom 9. 8.1944 wurde die Mitgliedschaft i n verschiedenen Organisationen und Parteien, die m i t der deutschen Besatzungsmacht zusammengearbeitet hatten (Milice Française, Rassemblement National Français, Partie Populaire Française, Légion Française), für strafbar erklärt. Für den Ausschluß vom öffentlichen Dienst w a r eine formelle Mitgliedschaft nicht erforderlich, sondern es genügte eine Teilnahme an der A k t i v i t ä t dieser Gruppen 54 . Darüber hinaus war nach der Rechtsprechung automatisch vom Zugang zum öffentlichen Dienst ausgeschlossen, wer wegen eines Delikts der „nationalen UnWürdigkeit" (Teilnahme an nationalen Organisationen, die den Feind unterstützt hatten, die nationale Einheit und die Freiheitsrechte angegriffen hatten) gemäß den Verordnungen vom 26. 6.1944 und 26.12.1944 bestraft worden war 5 5 . Auch die Amnestiegesetzgebung vom 6. 8.1953 führte nicht zu einer Wiedereinstellung i n den öffentlichen Dienst, sondern lediglich zu einer Löschung der K r i m i n a l - und Dienststrafen 56 . Andererseits hat der CE i n den Entscheidungen Bei vom 2. 5.1947 und Paoli vom 14. 2.1947 57 dargelegt, daß alle Umstände eines Falles i n die Betrachtung einzubeziehen sind. I m Fall Paoli wurde daher die Mitgliedschaft i n einer der in der Verordnung vom 9.8.1944 erwähnten Vereinigung nicht als ausreichender Grund für einen Ausschluß vom Dienst angesehen, w e i l der Betreffende i n Unkenntnis der politischen Ziele der Organisation gewesen sei und sich von der Ausübung einer aktiven Teilnahme zurückgezogen habe. I m allgemeinen hat die Rechtsprechung allerdings i m Bereich der „épuration" eine Verletzung der Loyalitätspflicht m i t der Folge disziplinarischer Maßnahmen bereits dann angenommen, wenn ein Beamter m i t der Besatzungsmacht „kollaboriert" hatte oder zu ihren Gunsten Propaganda getrieben hatte. Zwar sollten i m allgemeinen rein private Äußerungen keine disziplinarischen Sanktionen nach der Säuberungsverordnung vom 27. 6.1944 rechtfertigen 59 . Als ausreichend für die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst bzw. Nichteinstellung w i r d jedoch die öffentliche Äußerung von Sympathie für die Politik der Kollaboration oder die Feindstaaten erachtet 59 . 59

A. Mathiot, S. 1954, 3. 97; Bourdoncle, L a fonction publique, 15. Vgl. R. Pierot, Le Statut de l'Instituteur public, 193; Bourdoncle, 77 ff. 55 CE ν. 4. Dezember 1953, Gaillard, Ree. 527. M CE ν. 1. Dezember 1963, Dimier, A J D A 1963 I I , 640; vgl. zum Ganzen A. Plantey, Traité Pratique, Nr. 252. 57 Vgl. R. Pierot, Le Statut, 193. 58 CE v. 9. Januar 1948, Gilbert, Ree. 11; ebenso CE V. 7. November 1947, Rivière, Ree. 410. M

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Die Ereignisse i n Algerien i n den Jahren 1961/62 haben erneut zu einer Betonung des Loyalitätsgedankens geführt. Zivilbeamte und Soldaten bestimmter Kategorien wurden zu einer Quittierung des Dienstes gezwungen, wenn ihr allgemeines Verhalten nicht ausreichend zu gewährleisten schien, daß sie erforderlichenfalls Störungen der öffentlichen Ordnung i n der gebotenen Weise begegnen würden 6 0 . Ein Beschluß vom 24.4.1961, gestützt auf die Ausnahmebefugnisse des Präsidenten nach A r t . 16 der Verfassung, sah die sofortige formlose Entlassung jedes Beamten oder Soldaten vor, der an einem subversiven Unternehmen gegen die Regierung oder die Gesetze der Republik m i t w i r k t e oder hierzu ermutigte 6 1 . Abgesehen von diesen Sondersituationen bedeutet die Loyalitätspflicht nach französischem Verständnis jedoch i m wesentlichen die Pflicht, sich jeder offenen Manifestation der Illoyalität zu enthalten. Ein positiver Beweis der Loyalität w i r d dagegen nicht verlangt 6 2 . Rechtlicher A n knüpfungspunkt ist also normalerweise die m i t der Loyalitätspflicht unvereinbare äußere Manifestierung einer „illoyalen oder antinationalen" Gesinnung, nicht die politische Gesinnung als solche. Entscheidend für das Maß politischer Freiheit des Beamten ist daher die Bestimmung der m i t dem A m t verbundenen Zurückhaltungspflicht (obligation de réserve) i n der Erscheinungsform der Loyalitätspflicht. Sie bildet zugleich den Maßstab für den Zugang zum öffentlichen Dienst. Wenn die neuere Rechtsprechung des CE, beginnend m i t dem Fall Barel, nur den Schluß zuläßt, daß die Mitgliedschaft i n der Kommunistischen Partei als solche den Ausschluß vom öffentlichen Dienst nicht rechtfertigt, so ist damit allerdings noch nichts über die Grenzen der politischen Betätigung des Beamten gesagt. Hier gelten — wie zu zeigen sein w i r d — nach verschiedenen Funktionen abgestufte Verhaltenspflichten innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes, die eine Kontrolle extremistischer politischer Betätigung ermöglichen. Nur m i t Vorbehalt kann der Schluß von der Entscheidung Barel auf die Mitgliedschaft i n anderen extremistischen Vereinigungen und Pärteien gezogen werden. Die Einbeziehung der Parteimitgliedschaft i n den Bereich der auch den Beamten zustehenden Meinungsfreiheit gilt nur für legale Vereinigungen und Parteien. Allerdings hat sich der CE i n der Anwendung des bereits erwähnten Gesetzes vom 10.1.1936 auf 59 CE v. 21. Februar 1947, Carricaburu, Ree. 69; CE ν. 18. J u l i 1947, Pidion, Ree. 637; CE ν. 6. Januar 1950, Brévié, Ree. 6; weitere Nachweise bei Ph. Biays, D 1954, Chron. 109 ff. u n d Bourdoncle, Fonction publique, 76 ff. 60 CE v. 13. J u l i 1965, Gauthier, Ree. 436; vgl. A. Plantey, Traité Pratique, Nr. 254. β * CE v. 8. Februar 1963, de Mari, A J D A 1963 I I , 430; CE v. 9. J u n i 1967, Mallein, A J D A 1968 I I , 249. e2 A. Plantey, Traité Pratique, Nr. 257; ebenso J. Y. Vincent , R A 1973, 144 ff.

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linksradikale Organisationen sehr zurückhaltend gezeigt. I n der Entscheidung Boussei, Dorey u. a. vom 21. 7.1970 83 annullierte er die Auflösung dreier trotzkistischer Vereinigungen, die i m Anschluß an die Betätigung dieser Organisation bei den Unruhen von 1968 verfügt worden war. Für vier Organisationen wurde dagegen die Auflösung aufrechterhalten, w e i l sie bewaffnete Auseinandersetzungen auf der Straße provoziert hatten. Der CE hielt das Erfordernis des Zieles eines gewaltsamen Umsturzes der republikanischen Staatsform für nicht erfüllt. Offenbleibt, ob das Erfordernis der Gewaltanwendung oder das des Umsturzes der republikanischen Staatsform nicht als erfüllt angesehen wurde. I m Jahre 1936 hatte der CE es i m Falle Pujo* 4 noch für ausreichend gehalten, daß die Vereinigung die Möglichkeit der Gewaltanwendung ihrer Zielsetzung nach nicht ausschließt, was auch für die drei trotzkistischen Organisationen zutraf. Darüber hinaus war i n der Mitte der 30er Jahre der politische Generalstreik als Form der Gewaltanwendung angesehen worden. Offenbar wollte man von dieser Rechtsprechung abrücken, wenn man nicht annimmt, daß der CE auch die von den linksradikalen Organisationen erstrebte Staatsform als republikanisch ansehen wollte 6 5 . Die Regierung hatte in diesem Fall ferner vorgetragen, daß eine Staatsform nur dann als republikanisch angesehen werden kann, wenn sie sich auf das allgemeine Wahlrecht und den Respekt der bürgerlichen Freiheiten gründet. Dieselbe Frage stellt sich i m Hinblick auf die politischen Parteien. Die französische Verfassung von 1958 kennt keinen dem Grundgesetz vergleichbaren Bestand von unveränderlichen Verfassungsprinzipien. Nach A r t i k e l 89 ist allerdings — wie bereits i n der Verfassung von 1946 — die republikanische Staatsform für unveränderlich erklärt. Darüber hinaus schreibt A r t i k e l 4 der Verfassung vor, daß die politischen Parteien die Prinzipien der nationalen Souveränität und der Demokratie anerkennen müssen. Die Reichweite der i n A r t i k e l 4 der Verfassung für die politischen Parteien niedergelegten Erfordernisse ist mangels besonderer Vorschriften über das Verbot von Parteien unklar. I n der Praxis w i r d — soweit ersichtlich — eine Unterscheidung zwischen legal und verfassungswidrig nicht gemacht 66 . Solange nicht eine Auflösung nach dem Gesetz vom 10.1.1936 über Vereinigungen m i t dem Ziel des ge« D 1970, J. 633 ff. (note Broutin). S. 1936, 3. 42. 65 Vgl. Broutin, D 1970, J. 634. ββ Die L i t e r a t u r ist allerdings i n der Frage der Mitgliedschaft des Beamten i n politischen Parteien teilweise auffallend vorsichtig u n d betont, daß die Freiheit der Mitgliedschaft n u r f ü r solche Parteien gelte, die gemäß A r t . 4 der Verfassung die Prinzipien der nationalen Souveränität u n d der Demokratie respektieren (vgl. z.B. Plantey, Traité Pratique, Nr. 524, 293; Silvera / Salon, L a fonction publique, Nr. 141).

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waltsamen Umsturzes der republikanischen Staatsform verfügt wird, w i r d von der Legalität auszugehen sein. Ob die Regierung darüber hinaus, gestützt auf die i n A r t i k e l 4 für die politischen Parteien niedergelegten Erfordernisse, die Legalität einer Partei bestreiten könnte, ist fraglich. Einschlägige Praxis ist nicht vorhanden. Fourrier begründet seine These, daß auch eine politische Partei, die i n Opposition zum republikanischen und freiheitlichen Regime steht, rechtmäßig ist und demgemäß sich jeder Beamte v o l l in einer derartigen Partei betätigen kann, damit, daß das französisches Verfassungsdenken vom Begriff der „Legalität" und nicht von dem der „Legitimität" beherrscht werde 67 . Nach der französischen Konzeption gehe die freiheitliche Demokratie das Risiko einer Meinungs- und Vereinigungsfreiheit auch für extreme Parteien ein, um der Gefahr zu begegnen, der Orthodoxie und der institutionellen Erstarrung zu verfallen. Zwingend ist dieser Schluß angesichts dessen, daß auch nach A r t i k e l 4 der französischen Verfassung sich die politischen Parteien zu gemeinsamen grundlegenden Prinzipien bekennen müssen, nicht. Dennoch ist — wie bereits dargelegt — i n der französischen Praxis kein Versuch gemacht worden, der Kommunistischen Partei die Rechtmäßigkeit zu bestreiten. Gelegentlich wurde zwar erwogen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Partei für „subversiv" von der Regierung m i t Zustimmung des Parlaments erklärt werden könnte 68 . Derartige Uberlegungen blieben jedoch i m Bereich der Rechtspolitik. Die Frage, was „republikanische Regierungsform" i m Sinne von A r t i k e l 89 und „nationale Souveränität" und „Demokratie" i m Sinne von A r t i k e l 4 der französischen Verfassung bedeuten, bleibt ungelöst 69 . Unter veränderten politischen Bedingungen könnte möglicherweise auch bei den französischen politischen Parteien die Frage nach der „Legitimität" gestellt werden. Wie auch diese Frage theoretisch zu entscheiden sein mag, für die K P F ist niemals ernsthaft bezweifelt worden, daß sie eine legale Partei wie alle anderen Parteien ist und deshalb die gleichen Rechte genießt. Für die rechtliche Beurteilung ist von zweitrangiger Bedeutung, daß die K P F sich i n verschiedenen Texten in neuerer Zeit zu den bürgerlichen Freiheitsrechten, der Parteienpluralität und dem allgemeinen Wahlrecht bekannt hat 7 0 . Entscheidend ist vielmehr die festverankerte Stellung 67

Beiträge zur Konfliktforschung, 1974, 116 ff. R. Bourdoncle, Fonction Publique, 160 ff. 89 Vgl. dazu R. Bourdoncle, D 1960, Chron. 239; J. Chatelain, L a nouvelle Constitution et le régime politique de la France, 1959, 237 ff. 70 Vgl. Le Monde v. 25./26. Februar 1968, 6; darauf stellt R. Pierot, Le Statut de l'Instituteur Public, 194 ff. entscheidend ab; vgl. ferner Eurocommunisme, Problèmes Politiques et Sociaux v o m 20. Januar 1978, 23 ff. 68

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der K P F i m französischen Parteiensystem seit vielen Jahrzehnten, ihre Rolle i m Widerstand und ihre Unterstützung i n der Bevölkerung und in den Gewerkschaften. Die K P F w i r d weithin als eine normale „Partei" angesehen, die sich prinzipiell in ihrer nationalen und repbulikanischen Gesinnung nicht von anderen Parteien unterscheidet. Die soziologischen und politischen Gründe für diese gegenüber den kommunistischen Parteien i n der Bundesrepublik Deutschland durchaus verschiedene Stellung der K P F können hier nicht näher dargelegt werden 71 . Die rechtsvergleichende Betrachtung hat jedoch i m Auge zu behalten, daß derartige Unterschiede bestehen und gegebenenfalls zur Erklärung verschiedener Praktiken m i t heranzuziehen sind. I I I . Die Beschränkung politischer Betätigung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes 1. Der Begriff der obligation de réserve

Der französische Beamte ist kraft seiner Funktion als Organ des Staates zur Zurückhaltung i n der politischen Auseinandersetzung und zu Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet 72 . Daraus ergibt sich einmal eine strikte Neutralitätspflicht gegenüber den Bürgern i n der Wahrnehmung des Amtes. Sie ist die notwendige Folge der Gleichberechtigung aller Bürger vor der Verwaltung 7 3 . Der Staatsdiener hat sich insoweit vor jeder Propaganda für oder gegen eine Partei oder eine Konfession zurückzuhalten. Das Tragen politischer Insignien i n Ausführung seiner Funktion ist ebensowenig erlaubt wie die Verteilung von Flugblättern, der Anschlag von politischen Stellungnahmen i n den Amtsräumen oder die Abgabe von allgemeinpolitischen Stellungnahmen, auch wenn sie anläßlich von professionellen oder gewerkschaftlichen Versammlungen i n den Amtsräumen erfolgt 74 . I m Fall Guille hat der Regierungskommissar Laurent dargelegt, daß der Staat von Beamten verlangen kann, daß er sich bei der Amtsausübung jeder Handlung enthält, die geeignet wäre, Zweifel nicht nur an seiner Unabhängigkeit, sondern auch an seiner Loyalität gegenüber den Institutionen und sog a r — angesichts der dem Beamten obliegenden Gehorsamspflicht — gegenüber der Regierung zu wecken 75 . Außerhalb seiner Amtsausübung genießt der Beamte dagegen i m Grundsatz dieselben politischen Rechte wie jeder andere Bürger, wie 71

Literaturangaben i n F A Z v. 20. M a i 1978, 11. Vgl. statt vieler R. Bourdoncle, D 1960, Chron. 237 ff.; J. Y. Vincent, 1973, 142 ff. 73 J. Rivero, A J D A 1977, 580. 74 R. Catherine , Le fonctionnaire français, 145 ff. 75 R A 1954, 512; zum Sachverhalt vgl. unten S. 102. 72

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das bereits für den Fall der Mitgliedschaft i n einer politischen Partei dargelegt wurde. Die Rechtsprechung hat jedoch stets angenommen, daß auch insoweit das Privatleben des Beamten nicht völlig von der Amtsausübung getrennt werden kann. Dies gebietet eine gewisse Zurückhaltung des Beamten auch i n seiner privaten politischen Betätigung. Durch die äußere Manifestation seiner politischen Überzeugungen kann er dem öffentlichen Dienst Schaden zufügen und Unruhe unter den Bürgern hervorrufen. Eine Verletzung seiner obligation de réserve begründet ein Dienstvergehen, das die Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen kann 7 6 . Die Pflicht zur Zurückhaltung knüpft an die direkte Teilnahme am service public administratif an, geht also über den engeren Bereich der Verwaltung hinaus 77 . Die obligation de réserve ist als ungeschriebener Grundsatz des französischen Beamtenrechts von der Rechtsprechung entwickelt worden. Die begriffliche Abgrenzung der obligation de réserve von der Pflicht des Gehorsams, der Verschwiegenheit und der Neutralität i m Dienst ist freilich i n der Rechtsprechimg und Literatur häufig unklar. Die Literatur vertritt überwiegend die Auffassung, daß die obligation de réserve für die Dienstausübung nicht anwendbar ist 7 8 . I n der Funktionswahrnehmung — w i r d gesagt — verfügten die Beamten über keinerlei Freiheit, ihre politische Meinung zu äußern. Sie unterlägen demnach nicht nur einer Zurückhaltungspflicht, sondern einer strikten Neutralitätspflicht 79 . Die Rechtsprechung nimmt demgegenüber eine scharfe Trennung zwischen obligation de réserve und Neutralitätspflicht nicht vor. Sie stellt entscheidend darauf ab, ob die dem Beamten vorgeworfenen Handlungen m i t seinem A m t und den dienstlichen Interessen vereinbar sind oder nicht, ohne daß i n jedem Fall klargestellt würde, ob die Handlung i n der Amtsausübung oder außerhalb des Dienstes vorgenommen wurde. I n einigen Entscheidungen w i r d von der obligation de réserve gesprochen, die jedem Beamten i n seiner Amtsausübung obliege 80 . Vincent schließt daraus, daß die Neutralitätspflicht sich nur auf das dienstliche Verhalten des Beamten gegenüber dem Bürger bezieht, während eine (bloße) Zurückhaltungspflicht auch i m Dienst gegenüber der Verwaltung und den Vorgesetzten bestehe 81 . Soweit ersichtlich werden aber keine 7β

So Laurent, R A 1954, 512. M. Piquemal, Le fonctionnaire, 176, m i t zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen A n m . 37. 78 Vgl. z. B. J. Rivero , A J D A 1977, 580. 79 G. Morange, D 1953, Chron. 153 ff.; P. Biays, D 1954, Chron. 105; weitere Nachweise bei J. Y. Vincent, R A 1973, 274 A n m . 97. 80 Vgl. z. B. CE v. 4. Dezember 1968, Ministre des Affaires sociales, Ree. 623. 81 R A 1973, 274. 77

8 Verfassungstreue

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großen Unterschiede i n den Rechtsfolgen aus dieser begrifflichen Unterscheidung abgeleitet. I m folgenden w i r d daher ein weiter Begriff der obligation de réserve, wie er i n der Rechtsprechung angewendet wird, zugrunde gelegt. Sein Hauptanwendungsbereich liegt i n der politischen Betätigung außerhalb der Dienstausübung. I n einigen Fällen, insbesondere i n Verbindung m i t beleidigenden Äußerungen, entfaltet er jedoch in der Rechtsprechung Bedeutung auch für die dienstliche Zurückhaltungspflicht innerhalb der Amtsausübung. Andererseits liegt das Hauptgewicht der Beschränkung politischer Betätigung i n der Amtsausübung i n der Neutralitätspflicht, da das dienstliche Verhalten i n der Regel auf die Beziehungen zum Bürger bezogen ist. Insbesondere für die Lehrer entfaltet die Neutralitätspflicht spezifische Bindungen, auf die später noch einzugehen ist. Eine gesetzliche Regelung der m i t der obligation de réserve verbundenen Beschränkungen politischer Betätigung findet sich bei einigen Kategorien von Beamten, wie ζ . B. den Richtern, Soldaten und Beamten, die i m Ausland i n der kulturellen, technischen und wissenschaftlichen Kooperation tätig sind. Daraus resultieren zum Teil über die allgemeine Zurückhaltungspflicht hinausgehende Schranken i n der politischen Betätigungsfreiheit, die an späterer Stelle zu behandeln sind. Gesetzlich geregelt sind schließlich einige besondere Fälle der Verletzung der für alle Beamten geltenden Zurückhaltungspflicht. Nach einer Verordnung vom 28. 9. I960 82 kann jeder Staatsdiener (fonctionnaire), ob beamtet oder angestellt, der sich seinen militärischen Dienstpflichten entzogen hat oder der die Dienstverweigerung oder Desertion entschuldigt oder dazu auffordert, provisorisch bis zur endgültigen disziplinarischen K l ä rung seiner Lage vom Dienst suspendiert werden 83 . Nachfolgend w i r d an Hand der Rechtsprechung eine Verdeutlichung des Inhalts der obligation de réserve vorgenommen. Anschließend w i r d die rechtliche Situation einiger besonderer Beamtengruppen dargestellt. 2. Der Inhalt der obligation de réserve in der Rechtsprechung a) Die Äußerung

„antinationaler"

politischer

Meinungen

I n der berühmten Entscheidung Defrance vom 25.1.1935 84 hatte der CE über eine disziplinarische Dienstaltersreduzierung zu entscheiden, 82

JO v. 29. September 1960. Vgl. dazu Silvera / Salon, L a fonction publique, Nr. 150; kritisch zur V e r ordnung M. Waline, RDP 1967, 157; G. Morange, Les principes généraux du droit sous le V ème Republique, RDP 1960, 1188; vgl. dagegen CE v. 13. J u l i 1966, Fédération de l'Education Nationale, RDP 1967, 152 (note Waline) = A J D A 1967, 51 (obs. Silvera ). 83

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die darauf gestützt war, daß ein Angestellter der Marineartillerie i n einer politischen Versammlung ausgerufen hatte: „Die rote Fahne w i r d die schändliche Trikolore niederschmettern." Der CE verwarf das Rechtsmittel, w e i l er diese Äußerung für unvereinbar m i t den Dienstpflichten des Angestellten hielt. I n der Literatur w i r d diese Entscheidung als Beleg für eine Loyalitätspflicht gegenüber der Nation angesehen, die den öffentlichen Bediensteten verbietet, „antinationale" Meinungen zu äußern 85 . I n diesem Zusammenhang ist eine weitere Entscheidung des CE von Bedeutung. I m Fall Vrécord 8® vom 5.11.1952 hielt der CE die Disziplinarbestrafung eines Schuldirektors aufrecht, der entgegen den i h m erteilten Instruktionen sich geweigert hatte, an den offiziellen Feierlichkeiten der Gemeinde i m Gedenken an den Waffenstillstand vom 11.11.1918 teilzunehmen. Beide Entscheidungen zeigen, welche Bedeutung der Nation als Schutzobjekt politischer Meinungsäußerung zugewiesen wird. I n der Literatur w i r d daher auch nicht selten die „Loyalitätspflicht gegenüber dem Vaterland" hervorgehoben 87 . I m Sinne der bereits dargelegten Unterscheidung zwischen Meinungsfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung knüpft die m i t der Loyalität gegenüber der Nation verbundene Zurückhaltungspflicht auch hier an die äußere Manifestierung der Meinung an, die als m i t den Dienstpflichten unvereinbar angesehen wird. Diese Rechtsprechung w i r d m i t der bereits dargestellten Gesetzgebung und Praxis i n der „épuration" fortgesetzt. I n diesen Zusammenhang gehört auch die Sondergesetzgebung während des Algerienkrieges, die u. a. zu der bereits erwähnten Verordnung vom 18. 9.1960 über die Aufforderung zum militärischen Ungehorsam geführt hat. Über diesen Sondertatbestand hinaus hat die Verwaltung m i t Billigung der Rechtsprechung m i t Disziplinarmaßnahmen reagiert, wenn Beamte sich öffentlich entgegen der Regierungspolitik für die Unabhängigkeit überseeischer Territorien ausgesprochen haben. Ein typisches Beispiel hierfür ist die disziplinarische Bestrafung des Kolonialverwaltungsbeamten Beville 8 8 , der an einem Kongreß für die Unabhängigkeit der Territorien in privater Eigenschaft teilgenommen hatte. Das Element der Loyalität gegenüber der Nation vermischt sich hier m i t der allgemeinen Zurückhaltungspflicht des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn.

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CE v. 25. Januar 1935, Debrance, Ree. 105. Vgl. z.B. M. Piquemal, L e fonctionnaire, 170; Silvera / Salon, L a fonction publique, Nr. 143. 88 CE v. 5. November 1952, Vrécord, Ree. 487. 87 Vgl. G. Morange, D 1955, J. 690. 88 CE v. 8. Januar 1964, Beville, Ree. 15; A J D A 1964, 444; vgl. auch CE ν. 8. März 1968, Plénel, A J D A 1968, 247 u n d 223. 85

8*

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Außer den erwähnten Fällen lassen sich i n „Normalzeiten" freilich kaum Fälle nachweisen, i n denen eine Verletzung der spezifischen Loyalitätspflicht der Nation den Anlaß eines Ausschlusses vom öffentlichen Dienst bildet. Dies dürfte allerdings nicht zuletzt darin begründet sein, daß die Loyalität gegenüber der Nation i m dargestellten Sinne für alle politischen Parteien und Vereinigungen, einschließlich der Kommunistischen Partei, ein allgemein akzeptiertes Rechtsgut darstellt. Sollte sich diese Einschätzung der Nation i m allgemeinen Bewußtsein ändern, würde die Rechtsprechung davon nicht unbeeinflußt bleiben. b) Andere Formen „unangemessener"

politischer

Betätigungen

Der häufigste Anwendungsfall der obligation de réserve ist die Äußerung abfälliger Meinungen i n unangemessener Form über andere Beamte, eigene und fremde Dienststellen oder die Politik der Regierung, I m Fall Ville d'Armentières 89 sah der CE eine Verletzung der Dienstpflichten, die zur Entlassung berechtigt, darin, daß der Generalsekretär eines Bürgermeisteramtes den Bürgermeister i n Zeitungsartikeln heftig angegriffen hatte. Ähnlich verhält es sich i m Fall des Chefingenieurs Jannes 90 , der i m Rahmen der Wahlkampagne 1968 die Amtsführung seines Ministers heftig, wenn auch nicht beleidigend angegriffen hatte. Der CE betonte, daß zwar alle Beamten wie jeder Bürger das Recht hätten, sich an Wahlveranstaltungen zu beteiligen. Jedoch hätten sie dabei eine Zurückhaltungspflicht zu wahren. Der Chefingenieur habe seine Amtsstellung ausgenutzt, u m seinen Angriffen mehr Gewicht zu geben. A n gesichts der Tatsache, daß er i m betreffenden Wahlkreis weder Wähler noch Kandidat gewesen sei, habe er seine Dienstpflichten durch die heftige unangemessene Attacke auf seinen Minister verletzt. Auch i m Fall Lamare 9 1 ging es um eine Form indirekter K r i t i k der Amtsführung. Lamare, ein Arbeitsinspektor, hatte bei der Personalversammlung eines öffentlichen Unternehmens erklärt, daß er intern gegen beabsichtigte Kündigungen Stellung genommen habe. I n diesem Verhalten sah der CE eine Verletzung seiner Zurückhaltungspflicht. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Beamte nach außen die Einheit des öffentlichen Dienstes zu wahren hat. Seine internen Vorschläge und seine K r i t i k an der Amtsführung sind grundsätzlich an die vorgesetzte Dienststelle zu richten, nicht an die Öffentlichkeit. Es kommt dem Beamten, wie Staatssekretär Maland darlegt 92 , nicht zu, Entscheidungen ihrer Verwaltung öffentlich i n Frage zu stellen. 89 CE v. 11. J u l i 1939, V ü l e d'Armentières, Ree. 468; vgl. a u d i CE v. 9. J u l i 1965, Pouzenc, A J D A 1966, 179. 90 CE v. 10. März 1971, Jannes, Ree. 202; A J D A 1971, 622 (note Silvera); D 1972, J. 735 (note Guibal). 91 CE v. 4. Dezember 1968, Lamare, Ree. 623; vgl. auch D 1974, Chron. 254.

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Der Zusammenhang m i t den dienstlichen Interessen, die auch außerhalb der Dienstausübung eine Zurückhaltung bei der politischen Betätigung gebieten können, w i r d auch i n einer Reihe weiterer Fälle deutlich. I m Falle Magnin 9 3 hatte ein Polizeibeamter i n Z i v i l außerhalb seines Dienstes i n der Nähe seines Kommissariats Flugblätter verteilt, i n denen das Vorgehen der Polizei bei einem Streik heftig kritisiert wurde. Der CE hielt die Dienstsuspendierung für 6 Monate aufrecht, da das Verhalten des Beamten m i t seiner Stellung als Polizeibeamter nicht vereinbar sei. Dieselbe Schlußfolgerung zog der CE i m Fall Coquand* 4 , als eine Postbeamtin vor dem Postamt Flugblätter an die Angestellten verteilt hatte, i n denen zu einem politischen Streik aufgefordert wurde. Beide Fälle zeichnen sich durch einen unmittelbaren Bezug der politischen Betätigung zur dienstlichen Tätigkeit aus, i m ersteren Fall bereits dadurch, daß die K r i t i k auf die polizeiliche Tätigkeit gerichtet war, der zweite Fall durch die räumliche Nähe zum Dienst und den Adressatenkreis der Streikaufforderung. Die Rechtsprechung hat unter gewissen Voraussetzungen auch dort eine Verletzung der obligation de réserve bejaht, wo der Beamte die Politik der Regierung oder die politischen Institutionen i n unangemessener Form kritisiert hat. So wurde ζ . B. i m Falle Le Nulzec 95 ein angestellter Mitarbeiter des Präfekten entlassen, der wiederholt öffentlich die Politik der französischen Regierung angegriffen hatte. I m Falle Melerò 9 6 hatte ein städtischer Polizeibeamter i n einem von i h m geleiteten Journal eine dem Präsidenten der Republik beleidigende Karikatur veröffentlicht und wurde aus diesem Grunde disziplinarisch gemaßregelt. I n beiden Fällen scheint die unangemessene Form der K r i t i k maßgeblich für die Verletzung der Zurückhaltungspflicht gewesen zu sein, wenngleich i m Fall Le Nulzec die Entscheidung des CE lediglich auf die Tatsache der öffentlich wiederholten Angriffe auf die Regierungspolitik hinweist. Rivero ist der Ansicht, daß i n derartigen Fällen die obligation de réserve weniger der Sicherung des „bon fonctionnement de service" dient, als vielmehr der überkommenen Idee der Majestätsbeleidigung, d. h. dem Respekt gegenüber denjenigen, die gegenwärtig die staatliche Souveränität verkörpern 9 7 . Tatsächlich ist — wie auch i m Fall Melerò — kaum eine dienstliche Verknüpfung vorhanden, wenn z. B. ein Konservator antiker Stätten gemaßregelt wird, weil er i n der lokalen Presse die Politik des Verteidigungsministeriums heftig an92 03 94 95 9β 07

L e Monde v. 1. Februar 1973, zitiert nach Vincent, R A 1973, 146. CE v. 20. Februar 1952, Magnin, Ree. 117. CE v. 12. Oktober 1956, Coquand, Ree. 362. CE v. 8. Januar 1965, Le Nulzec, Ree. 13. CE v. 10. Januar 1969, Melerò, A J D A 1969, 366 (obs. Silvera). J. Rivero , i n : A J D A 1977, 581.

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gegriffen hat 9 8 . M i t der Zurückhaltungspflicht i m öffentlichen Dienst nicht vereinbar ist auch die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration außerhalb des Dienstes. Dieser Schluß läßt sich aus der Entscheidung des CE vom 27. 5.1955 i m Fall Kowalewski 9 9 ziehen, wobei als zusätzliches Element dieses Falles zu berücksichtigen ist, daß die i n der Folge entlassene Postbeamtin entgegen der Weisung des M i n i sters an einer ungenehmigten Demonstration gegen die deutsche Wiederaufrüstung teilgenommen hatte und somit bereits gegen die Gehorsamspflicht verstieß 100 . Die dargelegten Fälle aus der Rechtsprechung dürfen freilich nicht zu dem Schluß verleiten, als sei dem Beamten die öffentliche K r i t i k der Regierungspolitik schlechthin untersagt. Aufschlußreich ist i n diesem Zusammenhang eine parlamentarische Anfrage bezüglich der publizistischen Betätigung von Lehrern vom 6. 6.1972 101 . Die Anfrage geht davon aus, daß Lehrer grundsätzlich berechtigt seien, publizistisch oder i n Interviews K r i t i k an der Regierung zu üben. Allerdings müsse der Lehrer i n seiner Äußerung sowohl auf die Reputation der Erziehungseinrichtung achten als auch ein gewisses Maß an Zurückhaltung gegenüber den Institutionen und der allgemeinen Politik der Regierung üben. Das Maß der Zurückhaltungspflicht bemesse sich nach der ausgeübten Funktion und dürfe keinesfalls so weit gehen, daß die freie Meinungsäußerung unterdrückt werde. I n seiner A n t w o r t auf diese Anfrage bestätigt der zuständige Staatssekretär das Recht des Beamten, sich frei i n Zeitungsartikeln oder Interviews zu äußern. Traditionell habe er allerdings der Leitung der Schule vorher seine Absicht anzuzeigen. I m übrigen dürfe sich der Inhalt eines Interviews nicht auf Angelegenheiten des Dienstes, dem der Beamte angehöre, beziehen 102 . Der Hinweis der parlamentarischen Anfrage darauf, daß sich die Zurückhaltungspflicht nach der ausgeübten Funktion richte, zeigt ein für das Verständnis der obligation de réserve wichtiges Element auf, das i n der Rechtsprechung des CE wiederholt betont worden ist. Die Zurückhaltungspflicht bemißt sich nach der spezifischen Funktion, die der Beamte ausübt. Je nach der Stellung des Beamten kann die obligation de réserve zu einer weitgehenden Beschränkung i n der außerdienstlichen politischen Betätigung führen. Der Fall Teissier 103 macht dies besonders 98

Berichtet v o n M. Piquemal, Le fonctionnaire, 178. CE v. 27. M a i 1955, Kowalewski, Ree. 297, D 1955, J. 687 (note Morange). 100 Vgl. J. Rivero , A J D A 1977, 580; G. Morange , D 1955, 690. 101 T e x t der Anfrage i n der v o m Innenministerium 1976/78 herausgegebenen 20bändigen Materialiensammlung „ S t a t u t de la fonction publique", 05 F 01400; vgl. dazu Silvera / Salon, Nr. 147. 102 JO v. 5. Oktober 1952 = Statut 05 E 01300. 103 c e v. 13. März 1953, Teissier, Ree. 133, D 1953, J. 738. 99

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deutlich. Teissier, Direktor des nationalen Forschungszentrums CNRS und Professor an der Sorbonne, der i n der Résistance der Kommunistischen Partei beigetreten war, wurde i m Januar 1950 von seinem A m t als Direktor des CNRS entlassen. Anlaß dazu w a r eine an die Behörden gerichtete Resolution einer Universitätsvereinigung, der Teissier als Ehrenpräsident angehörte. I n der Resolution wurde die Ausweisung verschiedener polnischer Lehrer aus Frankreich als „skandalös" und als „abscheuliche Provokation" bezeichnet. Als Teissier zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, ob er den Inhalt der Resolution billige, erklärte er, daß er weder an der Ausarbeitung der Resolution beteiligt gewesen sei noch die Resolution unterzeichnet habe. I m übrigen sei seine Meinung über den Inhalt der Resolution seine eigene Angelegenheit. Darin sah die Regierung eine Dienstpflichtverletzung. Regierungskommissar Donnedieu de Fabres wies i m Verfahren darauf hin, daß Teissier auch nach den für hohe Beamte geltenden Grundsätzen aus Gründen politischer Opportunität hätte entlassen werden können 104 . Die Regierung hatte ihre Maßnahmen jedoch auf eine Dienstverfehlung gestützt. Für diesen Fall gelten die Grundsätze der Rechtsprechung über die obligation de réserve. Die Rechtsprechung — führt Donnedieu de Fabres aus — habe jedoch immer den Umfang der Zurückhaltungspflicht nach der Funktion bemessen. Je wichtiger das ausgeübte A m t sei und je mehr Hoheitsbefugnisse damit verbunden seien, desto mehr dürfe die Regierung von einem Amtsinhaber, der die Regierungspolitik mißbillige, erwarten, daß er sich i n der Kundgabe seiner K r i t i k zurückhalte. Teissier werde in der Öffentlichkeit kraft seiner Eigenschaft als Ehrenpräsident der Vereinigung m i t der Resolution identifiziert. Wenn Teissier sich davon nicht ausdrücklich distanziere, müsse i h m der Inhalt der Erklärung zugerechnet werden. Die Ablehnung der Distanzierung begründe daher eine m i t seinem A m t unvereinbare regierungsfeindliche Manifestation i n ungehöriger Form, die seine politische Meinungsfreiheit i m übrigen unangetastet lasse. Der CE billigte diese Argumentation und wies die Klage von Teissier ab. Die i n der Literatur vertretene Ansicht 1 0 5 , daß der Klage von Teissier möglicherweise stattgegeben worden wäre, wenn er ein untergeordneter Beamter gewesen wäre, w i r d durch die Entscheidung des CE i m Fall Hocde10® gestützt. Hocde bewarb sich um die Einstellung als Facharbeiter bei der zentralen Luftfahrtverwaltung, nachdem er das Auswahlverfahren bestanden hatte. Der zuständige Staatssekretär lehnte seine Einschreibung i n die Einstellungsliste ab m i t der Begründimg, Hocde habe 104 105 106

D 1953, J. 735 ff. Vincent, R A 1973, 276. CE v. 3. Januar 1962, Hocde, Ree. 3, A J D A 1962 I I , 365.

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regelmäßig die kommunistische Wochenschrift Humanité-Dimanche, die zu denjenigen Publikationen gehöre, die i n militärische Einrichtungen nicht eingeführt werden dürfe, verkauft. Der CE stellte fest, daß das Hocde vorgeworfene Verhalten seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst, wenn er bereits Beamter wäre, nicht rechtfertigen würde. Dementsprechend sei auch seine Nichteinschreibung unzulässig. Silvera und Salon sehen i n dieser Entscheidung eine Bestätigung der Relativität der obligation de réserve 107 . Rangmäßig höheren Beamten wäre nach ihrer Auffassung eindeutig dasselbe Verhalten als Dienstpflichtverletzung ausgelegt worden. Neben der Stellung des Beamten i n der Verwaltungshierarchie sind die A r t seiner Tätigkeit und der Ort seiner politischen Betätigung für die Bestimmung des Umfangs seiner Zurückhaltungspflicht von Bedeutung. A u f einige besonders wichtige Kategorien von Beamten, für die teilweise Sonderregelungen gelten, w i r d i m folgenden eingegangen. I m Anschluß daran ist die für Frankreich besonders wichtige Frage der gewerkschaftlichen Tätigkeit von Beamten zu untersuchen. 3. Die obligation de réserve bei besonderen Beamtenkategorien

a) Soldaten Das Gesetz vom 13. 7.1972 über die Rechtsstellung von Soldaten 108 enthält eine Reihe bedeutsamer Einschränkungen politischer Betätigung von Soldaten. Die Soldaten genießen nach A r t i k e l 6 grundsätzlich die bürgerlichen Rechte, jedoch i m Rahmen der i m Gesetz vorgesehenen Einschränkungen. Die Meinungs-, Gewissens- und Glaubensfreiheit w i r d garantiert. Ausgeübt werden können diese Freiheiten jedoch nur außerhalb des Dienstes und i m Rahmen der durch den militärischen Dienst gebotenen Zurückhaltung. Insbesondere müssen aktive Soldaten die vorherige Genehmigung des Ministers einholen, wenn sie öffentlich politische Fragen auf werf en wollen oder sich über eine ausländische Macht oder internationale Organisation äußern wollen. Die Einführung von Publikationen aller A r t i n militärische Einrichtungen, die die Moral oder Disziplin der Truppe schädigen könnten (die Liste der verbotenen Publikationen w i r d von der Regierung aufgestellt; dazu gehören kommunistische und anarchistische Schriften), ist verboten. A k t i v e Soldaten dürfen keinen Gruppierungen oder Vereinigungen politischen Charakters angehören. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur, wenn sie sich als Kandidaten für die Wahl aufstellen lassen, für die Dauer des 107 108

Silvera / Salon, Nr. 145. JO v. 14. J u l i 1972.

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Wahlkampfes. Verboten ist die Bildung gewerkschaftlicher oder beruflicher Gruppierungen, die Zugehörigkeit zu derartigen Gruppierungen und die Beteiligung an einem Streik. Soldaten, die Mitglieder politischer oder gewerkschaftlicher Vereinigungen vor ihrem Dienstantritt waren, werden nicht zum Austritt verpflichtet; sie müssen sich jedoch jeder politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung während ihrer M i l i t ä r zeit enthalten. Entsprechende Schranken gelten auch für Wehrdienstverweigerer 109 . Das Gesetz von 1972 hält entgegen den Widerständen einiger Parlamentarier 1 1 0 i m wesentlichen an dem bereits vor 1972 bestehenden Rechtszustand fest. Die Freiheit politischer Meinungsäußerung bleibt zwar i m Prinzip garantiert, w i r d jedoch so weitgehenden Beschränkungen unterworfen, daß das Prinzip als Ausnahme angesehen werden kann 1 1 1 . Damit w i r d an einen traditionellen Grundsatz des französischen Rechts angeknüpft, der bereits in einem parlamentarischen Dekret vom 12.12.1790 seinen Ausdruck findet: „ N u l corps armé ne peut exercer le droit de délibérer; la force armée est essentiellement obéissante." Dahinter steht die Vorstellung einer strikten Neutralität der Armee i n der politischen Auseinandersetzung. Eine ministerielle Rundverfügung drückt dies i n dem Satz aus, daß ein Soldat keine andere Verpflichtung eingeht als die seines Dienstes und daß er keinen anderen Befehlen gehorcht als denen seiner Vorgesetzten 112 . Diese Konzeption der Armee ist i n der Praxis nicht ohne Auswirkung auf die Kontrolle der politischen Einstellung von Soldaten geblieben. Zwar gilt auch für Soldaten der Grundsatz der Meinungsfreiheit. Ein ministerielles Rundschreiben vom 13. M a i 1948 bestätigt ausdrücklich, daß jeder Soldat, welchen Rang er auch bekleidet, ein Recht auf Respektierung seiner Meinungen habe und nicht für seine Ideen bestraft oder schlecht benotet werden dürfe. Ein Gesetz vom 22. 4.1905 sieht vor, daß vor der Ergreifung disziplinarischer Maßnahmen alle militärischen und zivilen Beamten das Recht haben, i n ihre Personalakten, einschließlich der dienstlichen Beurteilungen, Einblick zu nehmen. Diese Vorschrift geht auf den berühmten Karteiskandal der Armee i m Jahre 1904 zurück, der dadurch hervorgerufen wurde, daß systematisch i n der Armee durch eine geheime Behörde Unterlagen über die politische und religiöse Einstellung jedes Offiziers gesammelt würden und entsprechende Konsequenzen für die Beförderung daraus gezogen würden. Als Anhalts109 Vgl. K. Hailbronner , i n : The legal position of conscientious objectors to m i l i t a r y service i n the member states of the Councü ob Europe, Europarat Dok. AS / J u r (28) 24 v o m 5. Oktober 1976, 21 f. 110 Vgl. JO, Débats Assemblée Nationale d u 3. 5.1972, 1241. 111 Vincent , R A 1973, 276. 112 Z i t i e r t bei Vincent , R A 1973, 147.

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punkte für die geforderte republikanische Einstellung und religiöse Neutralität wurden dabei Vorgänge aus dem Privatleben, dem Verhalten der Kinder usw. herangezogen, die dem betreffenden Soldaten niemals mitgeteilt wurden. Nach der Enthüllung dieser Vorgänge wurde i n der anschließenden parlamentarischen Diskussion i m Jahre 1904 von den Rednern der Regierung wie auch der Opposition unterstrichen, daß die Regierung „unbestritten" das Recht besitze, von ihren Offizieren eine absolute Loyalität gegenüber den republikanischen Institutionen zu verlangen und zu diesem Zweck über die politische Haltung der Offiziere Erkundigungen einzuholen. Aus den parlamentarischen Beratungen ergibt sich, daß die von der Regierung praktizierte Methode zwar mißbilligt wurde, nicht aber das Prinzip der Unvereinbarkeit des Offiziersberufs m i t revolutionärer Gesinnung 113 . Diese Rechtslage hat sich jedoch durch die Garantie der Meinungsfreiheit für Soldaten geändert. Demnach dürfen auch i n den Personalakten keine Hinweise auf die politische Einstellung von Soldaten enthalten sein. Sénéchal kommt allerdings i n seiner 1964 erschienenen ausführlichen Untersuchung zu den politischen Rechten der Offiziere zum Ergebnis, daß unzweifelhaft nach wie vor Informationen gesammelt würden, wenngleich i n anderer Form und i n anderen Methoden 114 . Er bezieht sich hierfür u. a. auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahre 1952, bei der ein kommunistischer Abgeordneter auf die Existenz politischer Bewertungen i n den Dienstakten von Offizieren an Hand konkreter Vorgänge hingewiesen hat. Einen Beleg für die Praxis der Sammlung von Informationen zur politischen Einstellung von Offizieren sieht Sénéchal auch i n der Affäre des Leutnants Hey 1 1 5 , bei der u. a. ein Vorgesetzter auf Grund verschiedener Indizien (Treffen m i t Mitgliedern der Kommunistischen Partei, russischer Sprachkurs, lobende Äußerungen über die UdSSR) zum Ergebnis kam, daß der Offizier m i t Kommunisten i n Verbindung stehe, falls er nicht selbst Kommunist sei 116 . Darüber hinaus besitzt die Regierung m i t dem Recht der freien Versetzung von Offizieren ein wirksames Disziplinierungsinstrument, das nur i n beschränktem Maße gerichtlicher Kontrolle unterliegt. I m Falle einer Versetzung aus dienstlichen Gründen gilt seit der Entscheidung des CE vom 28.1.1955 i m Falle Anaud 1 1 7 auch nicht das Erfordernis der vorherigen Mitteilung aller i n den Personalakten befindlichen Unterlagen, sondern lediglich die Verpflichtung zur Konsultation m i t den 113 JO, Chambre débats du 19.11.1904, 2273, 2275; zitiert nach M . Sénéchal , Droits politiques, 114 ff. 114 Sénéchal , 116 ff. 115 Vgl. CE v. 21. Januar 1960, Rey, Ree. 50. 110 Sénéchal , 117. 117 CE v. 22. Januar 1955, Anaud, Ree. 52.

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paritätischen Ausschüssen, die jedoch i n der Armee nicht bestehen. Sénéchal sieht hierin die nahezu unbeschränkte Befugnis der Regierung, einen wegen seiner politischen Überzeugungen als unzuverlässig angesehenen Offizier an einen untergeordneten Posten zu versetzen, bei dem keinerlei Chance zur Bewährung und Beförderung besteht. Bestätigt sieht sich Sénéchal durch die A n t w o r t auf eine parlamentarische A n frage vom A p r i l 1956, welche Maßnahmen die Regierung gegen Offiziere zu gedenken unternehme, welche m i t der kommunistischen Ideologie sympathisierten. Der Minister entgegnete, daß i n keinem Falle einer Degradierung (perte de grade) die politischen Uberzeugungen berücksichtigt würden. I n der Dienstpostenzuweisung und der Verwendung der Soldaten befasse sich die militärische Führung (dagegen) offensichtlich m i t Überlegungen der militärischen Sicherheit 118 . Sénéchal sieht hierin das Zugeständnis einer tolerierten Praxis, die — wie die Sammlung von Unterlagen — der Mehrheit der Bürger als vollständig normal erscheine. Er kommt zum Ergebnis, daß für den Bereich der Armee ein tiefer Graben zwischen der rechtlichen Bedeutung der freien Meinungsäußerung und der allseits akzeptierten Praxis bestehe. Es werde offen zugegeben, daß insbesondere von den Offiziersschulen Bewerber ferngehalten würden, die kommunistischer Ansichten verdächtigt würden. Die französische Lage unterscheide sich insofern von der anderer Länder, die offen Kommunisten von öffentlichen Ämtern fernhalten würden, nur dadurch, daß jene sich auf das geltende Recht stützen könnten, während i n Frankreich i m Widerspruch zu A r t i k e l 34 der Verfassung dasselbe Ergebnis durch die Praxis erreicht werde. Eine gerichtliche Kontrolle dieser Praxis scheitere daran, daß die Betroffenen i n der Regel aus Furcht vor Repressalien angesichts eines i n vieler Beziehung w i l l kürlichen Disziplinarrechts den Klageweg nicht beschreiten würden 1 1 9 . Nach seiner Auffassung ist zwar die Meinung vertretbar, daß bestimmte Meinungen, d. h. Ideologien totalitärer Tendenz m i t dem Offiziersberuf unvereinbar seien. Es bedürfe dazu jedoch einer unzweideutigen Regelung einer Inkompatibilität, die i m geltenden Recht nicht enthalten sei. Auch Sénéchal analysiert allerdings das positive Recht i n der Weise, daß der Offizier eine Verpflichtung zur Loyalität habe, die zwar nicht so weit gehe, die inneren Uberzeugungen vorzuschreiben, die aber jede äußere Manifestation extremistischer Auffassungen verbiete 120 . b)

Polizeibeamte

Nach dem Gesetz vom 28. 9.1948 kann die Rechtsstellung von Polizeibeamten, die der Polizeipräfektur unterstehen, sondergesetzlich geregelt 118 119 120

JO, Assemblé Nationale débats d u 8. 4.1956, 4047; vgl. Sénéchal , 119. Sénéchal 104 ff. Sénéchal , 230.

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werden 1 2 1 . Darüber hinaus enthält das Gesetz zwei für die politische und gewerkschaftliche Betätigung der Polizeibeamten wichtige Bestimmungen. Einmal w i r d auch dem Polizeibeamten ausdrücklich das Recht der Koalitionsfreiheit zugestanden. Allerdings ist dem Polizeibeamten jede gemeinschaftliche Diensteinstellung sowie jeder kollektive A k t von Disziplinlosigkeit untersagt. Darüber hinaus haben sich Polizeibeamte jeder öffentlichen Handlung, Geste, Äußerung oder Kundgebung zu enthalten, die das Korps, dem sie angehören, i n Verruf bringen könnten oder die öffentliche Ordnung stören könnten. I m übrigen gelten für die außerdienstliche politische Betätigung des Polizeibeamten die dargelegten allgemeinen Grundsätze der obligation de réserve. Fälle einer Disziplinierung von Beamten wegen Überschreitung der Zurückhaltungspflicht sind außer i m oben erwähnten Fall Magnin vor allem i m Hinblick auf gewerkschaftliche Tätigkeit bekanntgeworden. I m Fall Rouve 122 hat der CE deutlich gemacht, daß auch i m Falle eines Polizeibeamten der Spielraum freier gewerkschaftlicher Betätigung durch das staatliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Disziplin nicht übermäßig eingeschränkt werden darf. Rouve war entlassen worden, w e i l er i n seiner Eigenschaft als Funktionär der Polizeigewerkschaft gewerkschaftliche Stellungnahmen gegen seine beabsichtigte Entlassung an die Presse weitergegeben hatte. Der CE gab der Klage statt m i t der Begründung, daß die Stellungnahme der Verteidigung professioneller Interessen gedient habe und i m übrigen nicht unangemessen i n der Formulierung gewesen sei. Die Entscheidung fügt sich i n die Tendenz der Rechtsprechung ein, zwischen dem Recht der gewerkschaftlichen Betätigung und den Interessen des Dienstes einen Ausgleich zu suchen (dazu unter 3.). Besondere Einschränkungen gelten darüber hinaus für die politische und gewerkschaftliche Betätigung i n den Amtsräumen. So ist nach einem Bescheid des Polizeipräfekten vom 21. 4.1968 i n den Amtsräumen der Polizei die Abfassung, der Druck, die Ausstellung oder Verbreitung von allen Zeitungen, Periodika, Flugblättern oder sonstigen Publikationen, die einen politischen Charakter haben oder die die Disziplin beeinträchtigen könnten, verboten 123 . Eine Untersuchung politischer Rechte von Polizeibeamten, die auch die Praxis m i t einbeziehen würde, wie sie von Sénéchal für den Bereich der Streitkräfte vorgelegt worden ist, fehlt — soweit ersichtlich — bislang für den Bereich der Polizei. Es steht zu vermuten, daß ähnliche Prinzipien wie i m Bereich der Armee gelten, jedenfalls für diejenigen i " Vgl. D 1948, J. 360. 122 CE v. 25. M a i 1966, Rouve, Ree. 361, D 1967, J 6 (conci. Rigaud). 123 Vgl. dazu CE ν. 14. März 1958, Etienne, Ree. 167; CE v. 28. Januar 1972, Fédération générale des Syndicats de la police C.G.T., Ree. 89.

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Dienststellen der Polizei, die für den Schutz der inneren Sicherheit tätig sind. Hier dürfte weitgehend eine Betätigung für extremistische Parteien ein ausreichender Grund sein, Bewerber fernzuhalten. Das geltende französische Recht über den Beurteilungsspielraum der Behörde bei der Zulassung von Bewerbern bietet dafür hinreichende Möglichkeiten (vgl. unten IV.). Verwaltungsvorschriften für die Verfassungsschutzbehörden und ähnliche Dienststellen sind allerdings regelmäßig nicht öffentlich zugänglich. So unterliegen ζ . B. nach A r t i k e l 2 eines Gesetzes vom 3. 2.1953 die Angehörigen der Dokumentationsbeschaffung und Spionageabwehr (SDECE) besonderen nicht öffentlich bekanntgemachten Vorschriften. I m Fall Doh 1 Ä 4 hat der CE gebilligt, daß das Statut dieses Personenkreises von den disziplinarrechtlichen Vorschriften des Beamtenstatuts abweicht. c) Richter und Staatsanwälte Nach A r t i k e l 10 der Verordnung über die Rechtsstellung der Richter i n der Fassung vom 29. 7.1967 ist der Richterschaft jede feindselige Äußerung gegenüber dem Prinzip oder der Regierungsform der Repub l i k ebenso verboten wie jede politische Demonstration, die m i t der auf Grund ihres Amtes gebotenen Zurückhaltung unvereinbar ist 1 2 5 . Die Bedeutung dieser Bestimmung ist i n der Literatur umstritten. Fourrier sieht i n A r t i k e l 10 ein Verbot regierungsfeindlicher Äußerungen, das für die anderen Beamtenkategorien nicht bestehe. Dessen ungeachtet sei auch m i t diesem Gebot nicht die Aufforderung verbunden, sich in aktiver Form für die verfassungsmäßige Ordnung zu engagieren. Dem stehe die i n der zweiten Regel geforderte politische Abstinenz, die sich nur auf die Äußerung der Meinung beziehe, entgegen. Damit werde fast wörtlich die Formulierung eines Gesetzes aus dem Jahre 1883 übernommen, das damals bezweckt habe, Disziplinarhandhaben gegen royalistisch und klerikal eingestellte Richter zu schaffen, die öffentlich gegen die junge Republik opponiert hätten. Dennoch entspreche die zweite Regel nur äußerlich der allen Beamten auferlegten Zurückhaltungspflicht. Sie gehe i n Wahrheit noch einen Schritt weiter auf dem Wege zu einer totalen politischen Abstinenz 126 . Diese Interpretation findet allerdings i n der Literatur keine Unterstützung. Vincent weist zutreffend darauf hin, daß sich die Zurückhal124 CE v. 13. Oktober 1967, Doh, Ree. 374, A J D A 1968, 302; vgl. auch Silvera I Salon, Nr. 47. 125 Ordonnance No. 58—1270 ν. 22. Dezember 1958 (JO v. 23. Dezember 1958); geseztlich geregelt zuletzt durch Gesetz v. 29. J u l i 1967 (JO v. 30. J u l i 1967); eine entsprechende Pflicht besteht nach dem Dekret v. 30. J u l i 1963 f ü r die Mitglieder des Conseil d'Etat. 126 Beiträge zur Konfliktforschung 1974, 113 f.; vgl. auch ders., L a liberté d'opinion, 372 ff.

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tungspflicht auf die republikanische Staatsform bezieht. Damit w i r d seiner Auffassung nach i n feierlicher Form an die allen Staatsbeamten obliegende Loyalitätspflicht gegenüber den republikanischen Institutionen appelliert, während i m übrigen unter Anerkennung der Freiheit der Meinungsäußerung das Prinzip der Zurückhaltungspflicht betont werde 1 2 7 . I m übrigen schließt auch Fourrier aus der Formulierung dieser Bestimmung i m Gegensatz zu der früheren Fassung der Zurückhaltungspflicht i m Gesetz vom 30. 8.1883 (Verbot jeder feindseligen Manifestation oder Demonstration gegenüber der republikanischen Staatsform), daß die Richter frei einer legalen politischen Partei angehören könnten oder sich i n anderer Weise politisch betätigen dürften, vorausgesetzt, daß die Betätigung nicht als Manifestation der Feindseligkeit erscheine 128 . Der Vorbehalt der Zurückhaltungspflicht bei der politischen Demonstration verweist darauf, daß die Justiz sich nicht i n die politische Arena begeben soll. Die Aufgabe des Richters und Staatsanwalts besteht i n der Rechtsanwendung, nicht i m politischen Kampf. Daher soll sich nach einer Formulierung von Generalstaatsanwalt Monnet der Richter der politischen Parteinahme enthalten, i n dem Fall, wo die Parteinahme Feindseligkeit zwischen den Bürgern impliziere 1 2 9 . Von gewerkschaftlicher Seite w i r d das Konzept politischer Neutralität der Justiz i n neuerer Zeit heftig bekämpft 1 3 0 . Die Rechtsprechung hält jedoch nach wie vor an einer weitgehenden Zurückhaltungspflicht des Richters fest. I m Fall Obrego 131 hatte der CE i m Jahre 1972 über eine Klage von mehreren Richtern zu entscheiden, die dienstlich verwarnt worden waren, w e i l sie als Mitglieder einer Richtergewerkschaft i n einem Brief an den Gerichtspräsidenten gegen die Ablösung eines Richters m i t „ungehörigen Formulierungen" protestiert hatten und den Protest an die Anwälte weitergeleitet hatten. Der CE bestätigte entgegen dem Vorschlag der Regierungskommissarin Grevisse, daß dieses Verhalten eine Verletzung der Zurückhaltungspflicht darstelle, und wies die Klage ab. Aus dieser Entscheidung ist i n der Literatur allgemein der Schluß abgeleitet worden, daß der Richter auch i n der gewerkschaftlichen Betätigung erheblichen Beschränkungen 127

Vincent, R A 1973, 277. Nach Fourrier klaffen allerdings die Rechtsprinzipien u n d die V e r w a l tungspraxis i n bezug auf die freie Meinungsäußerung des Beamten u n d insbesondere des Richters auseinander. E r meint daher, bei einem dem deutschen F a l l „Götz" vergleichbaren französischen F a l l sei die Zulassung zum Richter „durchaus nicht sicher" (vgl. Beiträge zur Konfliktforschung 1974, 119). 129 Z i t i e r t bei Fourrier , L a liberté d'opinion, 374; vgl. a u d i Vincent, R A 1973, 277. 130 Nachweise bei Vincent, R A 1973, 277; der Vorschlag, die Neutralitätspflicht des Richters durch Rundschreiben zu definieren, w u r d e v o n der Ge131 CE v. 1. Dezember 1972, Obrego, Ree. 771, A J D A 1973, 41 (conci. Grevisse, 37 ff.). 128

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i n der Äußerung seiner Meinung unterliegt. Daß dies i n gleicher Weise für die politische Betätigung gilt, zeigt die Suspendierung vom Dienst einer Staatsanwältin und Vizepräsidentin der Richtergewerkschaft, die nach Zeitungsmeldungen ihre „Beunruhigung" über die Auslieferung von Claus Croissant zum Ausdruck gebracht hatte. Der Richterdisziplinarausschuß hielt nach A r t . 43 der Verordnung über die Rechtsstellung der Richter eine „Verletzung der Standespflichten, der Ehre, des Taktgefühls oder der Würde" für gegeben und schlug eine Versetzung m i t gleichzeitiger Dienstaltersherabsetzung vor 1 3 2 . d) Beamte im Auslandsdienst Ein Gesetz vom 13. 7.1972 verpflichtet die zivilen Bediensteten der kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit m i t fremden Staaten auf die Beachtung der Zurückhaltungspflicht, die sich aus der Ausübung ihrer Funktionen auf dem Territorium eines fremden Staates und dem Charakter ihrer Mission ergeben. Insbesondere haben sie sich jeder Handlung oder Äußerung zu enthalten, die den französischen Staat, die lokale öffentliche Ordnung oder die Beziehungen Frankreichs zu fremden Staaten stören könnten. I m Falle einer Verletzung dieser Pflichten können sie ohne vorhergehendes Verfahren von ihrem A m t enthoben und disziplinarisch bestraft werden 1 3 3 . Die Bestimmungen dieses Gesetzes reflektieren eine besondere Empfindlichkeit gegenüber der politischen Betätigung von Beamten i m Ausland. Eine Reihe von Entscheidungen des CE belegt, daß bereits vor dem Gesetz von 1972 und über den dort angesprochenen Personenkreis hinaus an die Pflicht zur Zurückhaltung bei politischer A k t i v i t ä t von Beamten i m Ausland, soweit sie auf die französische Außenpolitik bezogen ist, besonders strenge Maßstäbe angewendet werden. Bereits i m Fall Bouzanquet i m Jahre 1935 hatte der CE auf die Zurückhaltungspflicht eines Beamten hingewiesen, die sich aus seiner Situation i n Tunesien ergebe 134 . Dieser Grundsatz wurde i n der berühmten Affäre Plenel 1 3 6 bestätigt. Plenel, Akademieinspektor auf Martinique, hatte öffentlich die französische Antillenpolitik gebrandmarkt und sich für die Loslösung der überseeische Territorien ausgesprochen. Er wurde auf einen anderen Dienstposten innerhalb Frankreichs versetzt. Während eines vorgeblichen Krankheitsurlaubs begab er sich nach Algerien, u m dort an einem Kolloquium über audiovisuelle Medien teilzunehmen. Dort kritisierte er 132

L e Monde v. 12./13. Februar 1978, 22. Vgl. Silvera / Salon, Nr. 146; ähnliche Pflichten gelten f ü r die Ableistung des zivilen Ersatzdienstes i n der Entwicklungshilfe (Gesetz v. 6. J u l i 1966, JO v. 7. J u l i 1966). 134 CE ν. 11.1.1935, Bouzanquet, Ree. 44. 135 CE v. 8. März 1968, Plenel, Ree. 168, A J D A 1968, 247 f. 133

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i n einem Interview erneut heftig die französische Politik. Seine auf Band aufgezeichnete K r i t i k wurde von einer algerischen Zeitung ohne seine Genehmigung abgedruckt. Der CE rechtfertigte seine disziplinarische Herabstufung zum Gymnasiallehrer u. a. m i t der Erwägung, daß Plenel seine Zurückhaltungspflicht verletzt habe, indem er keine Vorrichtungen dagegen getroffen habe, daß seine K r i t i k an der Regierungspolitik verbreitet werde 1 3 6 . Die Schlußanträge der Regierungskommissar i n Grevisse 137 zeigen auf, daß die von Plenel gemachten Äußerungen möglicherweise keinen Anlaß zu disziplinarischer Maßregelung gegeben hätten, wenn sie nicht i n einem fremden Land erfolgt wären, i n dem die öffentliche Meinung gegenüber der französischen Politik besonders sensibel war. Die aus der Entscheidung Plenel folgende gesteigerte Zurückhaltungspflicht zeigt erneut die Abhängigkeit des Inhalts der obligation de réserve nicht nur von der Funktion des Beamten, sondern auch von seiner Situation 1 3 8 . Daß die Zurückhaltungspflicht für Beamte i m Ausland dennoch nicht zu einer Loyalitätspflicht gegenüber der Regierung führt, wie dies i n der Literatur behauptet worden ist 1 5 9 , zeigt andererseits der Fall Leblanc 140 , i n dem eine disziplinarische Bestrafung eines Zollinspektors i n Marokko wegen der Unterzeichnung eines Aufrufs an den Präsidenten, Verhandlungen zur Beendigung des Algerienkrieges aufzunehmen, aufgehoben wurde. Der CE stützt die Annullierung der Disziplinarmaßnahme darauf, daß Leblanc an der Veröffentlichung des Aufrufs nicht mitgewirkt habe und daß die Formulierung des Aufrufs als solche keine Verletzung der Zurückhaltungspflicht begründete. e) Lehrer und Hochschullehrer I m Gegensatz zu den vorangegangenen Personengruppen existiert für Lehrer und Hochschullehrer keine besondere gesetzliche Festlegung der Zurückhaltungspflicht außerhalb des Dienstes. Insoweit gelten die ungeschriebenen Grundsätze der Rechtsprechung. Die Praxis der Disziplinarausschüsse stellt darauf ab, ob das dienstliche Interesse durch eine außerdienstliche politische Betätigung beeinträchtigt worden ist. Dies ist nach einem von Paysant berichteten F a l l 1 4 1 bei einer Teilnahme eines Lehrers an einer verbotenen politischen Kundgebung abgelehnt worden. Demgegenüber zählt Fourrier i n seiner Untersuchung von 1957142 zahl138

Ebd. Vgl. die Chronique i n A J D A 1968, 224. 138 Vincent, R A 1973, 278; vgl. auch die Chronique, A J D A 1968, 225. 139 J. TouscoZy L a situation j u r i d i q u e des coopérants techniques et la j u r i s prudence française, RDP 1970, 300. 140 CE v. 13. J u l i 1966, Leblanc, Ree. 476, A J D A 1967, 106 f. 141 A J D A 1966, I, 297. 157

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reiche Fälle auf, i n denen nach seiner Auffassung Lehrer wegen ihrer politischen Gesinnung gemaßregelt, entlassen oder versetzt worden seien. Er kommt zum Ergebnis, daß von 1949 bis 1953 mehrere Professoren wegen kommunistischer Ansichten entlassen bzw. nicht zum öffentlichen Dienst zugelassen worden seien. Zugleich stellt er allerdings fest, daß wegen der stärkeren gewerkschaftlichen Organisation der Lehrer, der stärkeren Anteilnahme der öffentlichen Meinung und der Rolle der Disziplinarausschüsse die Anzahl der verhängten Disziplinarmaßnahmen i m Verhältnis zu den eingeleiteten Verfahren erheblich zurückgehe 143 . Eine besondere Situation besteht für Lehrer insoweit, als sie auf Grund ihrer Funktion i n besonderem Maße zur Neutralität und Zurückhaltung i n der Amtsausübung verpflichtet sind. I m französischen Schulwesen hat dabei der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität (laiceté) stets eine besondere Rolle gespielt 144 . Schullehrer sind daher verpflichtet, die religiösen Überzeugungen ihrer Schüler zu respektieren. M i t der Neutralitätspflicht ist eine christliche Missionierungsabsicht ebensowenig vereinbar wie eine Hinführung zum Atheismus. Vom Schuldienst w i r d ausgeschlossen, wer m i t diesen Prinzipien nicht übereinstimmt. Dies hat in dem bereits erwähnten Fall Bouteyre 1 4 5 i m Jahre 1912 dazu geführt, daß ein Priester nicht als Lehrer zum Auswahlverfahren zugelassen wurde. I n späteren Entscheidungen hat der CE entscheidend auf das Verhalten des Lehrers abgestellt. Die private religiöse Überzeugung ist unerheblich, solange sie nicht zu einem m i t der Neutralität unvereinbaren Verhalten führt. I m Fall Connet wurde deshalb der Ausschluß eines Lehrers vom Auswahlverfahren für Schulinspektoren annulliert, weil sein Unterricht keinerlei Anlaß zu K r i t i k bot14®. I n neuerer Zeit w i r d das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität stärker unter dem Aspekt der politischen Betätigung von Lehrern bedeutsam. Es ist allgemein anerkannt, daß Schullehrer die leicht beeinflußbaren Schüler nicht einseitig m i t politischem Gedankengut indoktrinieren dürfen. Das Ziel des Unterrichts hat die Erziehung zur freien politischen Entscheidung zu sein 147 . Der Spielraum des Lehrers bei der Darstellung und K r i t i k an den politischen Ideen und den republikanischen Institutionen variiert allerdings je nach der Schulart. Für Hochschullehrer besteht nach einem Gesetz vom 12.11.1968 148 völlige Unabhängigkeit und vollständige Freiheit i n der Lehr- und Forschungstätigkeit, m i t dem 142 143 144 14f i 148 147 148

Ch. Fourrier , L a liberté d'opinion d u fonctionnaire, 292 ff. Ebd., 298. R. Pierot, L e Statut de l ' I n s t i t u t e u r Public, 274 ff. Oben S. 105. CE v. 4. M a i 1948, Connet, S. 1949, 3. 42 (note Rivero). Pierot, Le Statut de l'Instituteur Public, 275. JO v. 13. November 1968.

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Vorbehalt, daß diejenige Zurückhaltung gewahrt wird, die entsprechend den Traditionen der Universität und den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes nach den Prinzipien der Objektivität und Toleranz geboten ist. Ein Rechtslehrer ist daher ζ . B. nicht auf die Lehre des geltenden Rechts und die Beschreibung der republikanischen Institutionen verwiesen, sondern er kann und muß eine Analyse der Zweckmäßigkeit der geltenden Institutionen und der Rechtspraxis unternehmen 149 . Verboten ist ihm die einseitige Propagierung einer Ideologie 150 . Die Freiheit der Unterrichtsgestaltung variiert je nach der A r t der Lehrfunktion. Grundsätzlich gilt für Lehrer an Schulen die Pflicht, die Lehrpläne strikt einzuhalten. Pierot kommt i n seiner Untersuchung über die Rechtsstellung von Lehrern von 1972 zum Ergebnis, daß i m pädagogischen Bereich eine große Freiheit der Methodenwahl bestehe. Die Lehrer seien lediglich an die Lehrpläne und den Stundenplan gebunden. I m Gegensatz zum allgemeinen öffentlichen Dienst sei das hierarchische Prinzip bei Lehrern nur schwach ausgeprägt. Die Kontrolle durch den staatlichen Schulinspektor, insbesondere bei den Grundschulen, beschränke sich auf gelegentliche Besuche. Da es keine Schuldirektoren bei Grundschulen gebe, habe der Lehrer eigentlich keine Vorgesetzten und sei i n seiner Unterrichtsgestaltung daher weitgehend unkontrolliert 1 5 1 . Entsprechendes gelte i n noch stärkerem Maße für die Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen. 4. Obligation de réserve und gewerkschaftliche Betätigung

Wegen des relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades der französischen Beamten und der starken politischen Ausrichtung der wichtigsten französischen Gewerkschaft C.G.T. zur Kommunistischen Partei (die Mehrheit der Parteiführer gehört der K P F an) 1 5 2 kommt der Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung der Beamten i m Hinblick auf die Zurückhaltungspflicht besondere Bedeutung zu. Das Beamtenstatut erkennt i n A r t i k e l 14 allen Beamten das Recht gewerkschaftlicher Betätigung zu 1 5 3 . Ausnahmen bestehen nur für Soldaten 154 und Präfek149

G. Morange, D 1953, Chron. 153; vgl. auch die A n t w o r t des Ministers auf eine schriftliche Anfrage, JO débats Assemblée Nationale ν. 1. März 1953. 150 Vincent, R A 1973, 275. 151 R. Pierot, Le Statut de l'Instituteur Public. 152 Vgl. M . Fromont, Französischer Landesbericht f ü r das Internationale K o l l o q u i u m über die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers, M a x - P l a n c k I n s t i t u t f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht, J u l i 1978. — Z u r gewerkschaftlichen Organisierung der Beamten vgl. die Übersicht v o n Kesler, R A 1978, 137 ff. 1δ3 Dies g i l t auch f ü r Richter u n d Polizeibeamte; vgl. CE ν. 1. Dezember 1972, Obrego, Ree. 771, A J D A 1973, 31, 37 (conci. Grevisse); D 1973, J. 190 (note Robert); JCP 1973, 17324; RDP 193, 516 (conci. Grevisse).

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ten 1 5 5 . Eine ministerielle Verfügung vom 19. 9.1970 gibt Gewerkschaftsfunktionären das Recht, Amtsräume außerhalb der Dienstzeiten für Personalzusammenkünfte zu verwenden 156 . A u f Anschlagstafeln darf das Personal über die Gewerkschaftsarbeit informiert werden. Gewerkschaftsbroschüren dürfen zu Beginn und zu Ende der Arbeitszeiten verteilt werden. Schließlich ist auch eine teilweise oder völlige Freistellung vom Dienst zur Wahrnehmung gewerkschaftlicher Mandate vorgesehen. Einschränkungen sind allerdings für besondere Personengruppen wie ζ. B. Polizeibeamte vorgeschrieben 157 . Kein Beamter darf für seine Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Gewerkschaft irgendwelche Nachteile i n bezug auf Einstellung, Beförderung und Dienstpostenzuweisung erleiden. Ausdrücklich niedergelegt ist dieser Grundsatz i m Gesetz über die Rechtsstellung der Kommunalbeamten vom 28.4.1952. Geschützt ist aber auch die gewerkschaftliche Betätigung. Sie bildet als solche keinen Grund für eine disziplinarische Bestrafung oder Nichtzulassung zum Dienst. Allerdings muß es sich um gewerkschaftliche Tätigkeit, d. h. u m Verteidigung gemeinsamer beruflicher Interessen, handeln. Allgemeinpolitische Tätigkeit w i r d durch die Gewerkschaftsfreiheit nicht geschützt. I m vieldiskutierten Fall Frischmann 158 hat der CE i m Jahre 1962 daher die Klage eines Postbeamten abgewiesen. Frischmann hatte i n seiner Eigenschaft als Generalsekretär der Postgewerkschaft m i t der DDR-Gewerkschaft FDGB i m Jahre 1951 i n Ost-Berlin ein Abkommen geschlossen, wonach die Vertragspartner die Arbeiter der französischen Postdienste aufriefen, „zu verhindern, daß die Post- und Telefondienste für die materielle oder moralische Vorbereitung des Krieges benutzt würden". Die Regierung sah als Zweck dieser Vereinbarung die Störung des normalen Funktionierens des Postdienstes unter gewissen Umständen an und entließ Frischmann. Der CE Schloß sich diesem Argument an und verwies auf die Abhängigkeit der nationalen Verteidigimg vom Fernmeldewesen. Frischmann habe sich unter Überschreitung der Grenzen gewerkschaftlicher Betätigung i n einer Weise politisch betätigt, die das normale Funktionieren des Postdienstes zu stören geeignet sei. 154

A r t . 10 des Gesetzes v o m 13. J u l i 1972. A r t . 18 des Dekrets v o m 14. März 1964 u n d A r t . 15 des Dekrets v o m 27. J u l i 1964. 156 JO v. 21. September 1970, 8627; vgl. dazu Silvera , L'exercice des droits syndicaux dans la fonction publique, R A 1971, 46. 157 Die gewerkschaftliche Betätigung von Polizeibeamten w i r d darüber h i n aus unter dem Aspekt dienstlicher Notwendigkeiten beschränkt, vgl. CE ν. 29. Januar 1960, Fédération nationale des Syndicats de police de France et d'Outre-mer, Ree. 70. 158 CE v. 8. J u n i 1962, Frischmann, Ree. 382, A J D A 1962 I I , 443; D 1962, J. 492 (note Dubouis). 165

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Die Rechtsprechung hat stets betont, daß die i m Fall Frischmann niedergelegten Kriterien nicht zu eng verstanden werden dürfen, da anderenfalls unter Hinweis auf die Disziplin und das Funktionieren des Dienstes jede effektive gewerkschaftliche Betätigung unmöglich gemacht werden könnte 1 5 9 . Aus diesem Grunde w i r d den Gewerkschaftsfunktionären ein breiter Handlungs- und Äußerungsspielraum eingeräumt. Für zulässig gehalten w i r d nicht nur die Übergabe eines Protestbriefes gegen die Entlassung eines Funktionärs an den Minister durch einen Beamten i n seiner Eigenschaft als Gewerkschaftssekretär 160 , sondern auch die Anbringung eines Streikaufrufs i n den Amtsräumen 1 ® 1 oder die Organisation eines einstündigen Streiks 162 . Andererseits darf auch nicht zur Teilnahme an einer kollektiven Dienstverweigerung aufgerufen werden 1 6 3 oder eine beleidigende Stellungnahme verbreitet werden. I m Fall Pastré 164 hat der CE deshalb die disziplinarische Bestrafung eines Gefängnisbeamten gebilligt, der auf einem Kongreß einen von ihm redigierten und veröffentlichten Gewerkschaftsbericht verlesen hatte, in dem zur totalen Solidarität m i t einem Gefangenen aufgerufen wurde und behauptet wurde, der Faschismus habe wieder die Führung des Landes übernommen. Die Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung w i r d von der Rechtsprechung nicht als allgemeiner Rechtfertigungsgrund für die Abweichung von der allgemeinen beamtenrechtlichen Zurückhaltungspflicht angesehen 165 . Daß die Ausübung eines Gewerkschaftsmandats den Gewerkschaftsfunktionär nicht von seiner allgemeinen Dienstpflicht und insbesondere seiner Zurückhaltungspflicht suspendiert, hat der CE i m Fall Pastré dargelegt. Andererseits w i r d bei der Ausübung gewerkschaftlicher Tätigkeit i m Vergleich zu gewöhnlichen Beamten ein m i l derer Maßstab angelegt. Das belegt ζ . B. ein Vergleich des Falles Coquand (Kündigung wegen Verteilung von Flugblättern, die zu einem verbotenen Streik aufrufen) 166 m i t dem Fall der m i t ihrer Klage erfolgreichen Gewerkschaftsfunktionärin Puttland, die in Amtsräume eingedrungen war, u m zu einer nicht genehmigten Versammlung aufzuru159 Y g i Regierungskommissar Rigaud, D 1967, 7; i m gleichen Sinne Regierungskommisar Heumann i m F a l l Boddaert, R P D A 1956, 105. 160 CE v. 18. M a i 1956, Boddaert, Ree. 213. 161 CE v. 18. Februar 1955, Bernot, Ree. 97. i«2 T A Paris v. 29. J u n i 1955, Redon, Ree. 46 (zitiert bei Vincent, R A 1973, 280). 1β3

CE v. 1. Dezember 1967; Bö, Ree. 458; A J D A 1968, 413. CE v. 17. Januar 1956, Pastré, Ree. 505. 165 Vgl. Plantey, Traité pratique, Nr. 560; Dubouis, D 1962, 493 ff.; Sivera / Salon, Nr. 169. ™ CE v. 12. Oktober 1956, Coquand, Ree. 362; vgl. oben S. 26. 164

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fen 167 . Diese Grundsätze gelten allerdings nur für Gewerkschaftsfunktionäre i n Ausübung ihres Mandats. Wie der Fall Obrego gezeigt hat, können Richter wegen ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft keine Privilegierung i n ihrer politischen Betätigung beanspruchen. I m übrigen gilt, daß die Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung des Beamten weder von der Pflicht, den ordnungsgemäßen Dienstablauf 1 6 8 und die Disziplin des Dienstes nicht zu beeinträchtigen 169 , noch von der allgemeinen — oben erörterten — Loyalitätspflicht gegenüber der Nation entbindet 1 7 0 . IV. Der Zugang zum öffentlichen Dienst 1. Auswahlverfahren, Ernennung und Einweisung in das A m t 1 7 1

Der Zugang zum öffentlichen Dienst i n Frankreich w i r d vom Prinzip des Auswahlwettbewerbs (concours) beherrscht. A r t i k e l 19 des Beamtenstatuts schreibt für alle Laufbahngruppen das Auswahlverfahren vor, das i n einer schriftlichen oder mündlichen Prüfung oder i n der Bewertung der dienstlichen Fähigkeiten (im Falle von Beamten, die sich für ein höheres A m t bewerben) bestehen kann. Die Modalitäten der verschiedenen Auswahlverfahren werden vom Ministerium festgelegt. I m allgemeinen werden die zu vergebenden Stellen bzw. die Ausbildungsplätze öffentlich ausgeschrieben. Eine weisungsunabhängige und unparteiliche Jury legt i n einer Liste die Klassifizierung der Bewerber i m Auswahlverfahren fest. Die Jury besteht aus von der Regierung ernannten Beamten des Dienstes, für die der Wettbewerb ausgeschrieben ist, und Professoren oder Lehrern. Nach A r t i k e l 18 des Beamtenstatuts erfolgen die Ernennungen durch die Behörde nach der Reihenfolge, i n der sich die Bewerber i m Auswahlverfahren qualifiziert haben 172 . Die eigentliche Zugangsschwelle zum öffentlichen Dienst bildet somit das Auswahlverfahren. Uber die Zulassung eines Bewerbers zum Auswahlverfahren entscheidet die Regierung innerhalb bestimmter recht187

CE v. 29. März 1963, Dlle. Puttland, Ree. 222, A J D A 1963, 565. CE v. 18. Januar 1963, Perreur, Ree. 34; A J D A 1963, 371 (conci. Méric). i«9 Vgl. CE v. 14. März 1958, Etienne, Ree. 167; allerdings erfordert die Ausübung gewerkschaftlicher Rechte nach Dubouis wenigstens f ü r die außerdienstliche Tätigkeit eine gewisse Dispensierung von der Zurückhaltungspflicht, vgl. D 1962, J. 493 ff. ito Morange, D 1955, J. 687; Waline, R A 1958, 5; Dubouis, D 1962, J. 494. 168

171 Vgl. zum folgenden Plantey, Traité pratique, Nr. 775 ff.; Silvera / Salon, L a fonction publique, Nr. 209 ff.; E. Ayoub, L a fonction publique, 81 ff. 172 Ygi £ Levy , Landesbericht Frankreich, i n : Recht u n d System des öffentlichen Dienstes, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Band 1, 64.

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licher Grenzen. I n der Literatur ist umstritten, inwieweit der Regierung ein Ermessen zusteht, ihr als nicht geeignet erscheinende Bewerber vom Auswahlverfahren auszuschließen. Darauf ist beim Zugangsrecht für den öffentlichen Dienst noch näher einzugehen. Nach A r t i k e l 13 der Verfassung ernennt der Staatspräsident die zivilen und militärischen Beamten. I n einem Organgesetz und spezialgesetzlichen Regelungen ist die Delegation dieser Befugnis an den Premierminister, die Minister und untergeordnete Dienststellen geregelt 173 . Vor einer Ernennung muß sich die Behörde vergewissern, daß die Ernennung allen einschlägigen Vorschriften entspricht. Die Behörde hat insbesondere darauf zu achten, ob eine freie Stelle vorhanden ist. Es besteht jedoch keine Verpflichtung, eine freie Stelle zu besetzen. Ungeachtet der Ergebnisse des Auswahlverfahrens kann die Behörde eine Stelle unbesetzt lassen, wenn dies i m Interesse des Dienstes geboten ist. Entgegenstehende Zusagen sind nach ständiger Rechtsprechung ungültig 1 7 4 . Die Behörde kann die Ernennung eines bestimmten Bewerbers ungeachtet der Ergebnisse des Auswahlverfahrens dann verweigern, wenn erst nachher Gründe bekannt werden, die den Ausschluß eines Beamten rechtfertigen würden 1 7 5 . Der CE hat an das Vorliegen solcher Gründe strenge Voraussetzungen gestellt. I m Fall Diallo 1 7 6 hatte ein Bewerber das Auswahlverfarhen zur Aufnahme i n die Ecole de la France d'Outremer bestanden und war dennoch nicht ernannt worden, w e i l nach A u f fassung des Ministers Diallo nicht die Qualitäten aufwies, die von einem Beamten seiner Stellung erwartet werden müßten. Der CE gab der Klage statt m i t dem Hinweis darauf, daß die vom Minister vorgebrachten Gründe nicht zu denjenigen gehörten, die den Ausschluß eines Beamten vom öffentlichen Dienst rechtfertigten. Daraus folgt, daß nach der Zulassung zum Auswahlverfahren die Behörde nur noch i n eingeschränktem Maße die Ungeeignetheit eines Bewerbers geltend machen kann. Die Zulassung zum Auswahlverfahren setzt grundsätzlich die Eignung des Bewerbers voraus, die nach der Qualifizierung des Kandidaten nur noch auf Grund seines späteren Verhaltens während der Probezeit oder seiner Ausbildung bestritten werden kann. Nach Bestehen des Auswahlverfahrens werden die Bewerber i n der Regel i n ein Probebeamtenverhältnis unterschiedlicher Dauer als „stagaires" berufen. Nach Bestehen der Probezeit werden sie i n ein be173

Silvera / Salon, Nr. 231. 174 c e v. 30. J u n i 1950, Burère; zit. bei Silvera / Salon, Nr. 223.

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CE v. 5. November 1954, Coste, Ree. 574, A J D A 1954, I I , 498. i™ CE v. 4. Januar 1961, Diallo, A J D A 1961, 358 (obs. Silvera ); vgl. auch die vorausgegangene Entscheidung T A Paris v. 17. Februar 1960, A J D A 1960, I I ,

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stimmtes A m t ihrer Laufbahn eingewiesen (titularisation). M i t dem A k t der Ernennung i n ein dauerndes Beamtenverhältnis und der Einweisung i n ein A m t untersteht der Bewerber nunmehr uneingeschränkt dem Beamtenstatut. Allerdings sind auch auf Probebeamte die Bestimmungen des Beamtenstatuts anwendbar, soweit dies i h r Dienstverhältnis erlaubt oder keine sondergesetzlichen Regeln bestehen. Derartige Regeln sind i n einem Dekret vom 13. 9.1949 enthalten. Das Dekret sieht u. a. vor, daß die Dauer der Probezeit durch besondere Vorschriften für einzelne Fachrichtungen geregelt w i r d 1 7 7 . Als Probebeamte i m Sinne des Dekrets sind auch die Studenten der staatlichen Verwaltungshochschulen anzusehen, aus denen sich bestimmte Kategorien höherer Beamter rekrutieren. Die Titularisation w i r d nach Beratung m i t den paritätischen Verwaltungskommissionen 178 vorgenommen. Sie erfolgt aber nicht automatisch nach Ablauf der Probezeit. Vielmehr kann die Probezeit verlängert werden oder der Probebeamte kann wegen unzureichender Leistungen entlassen werden. Die Feststellung der Behörde, daß der stagaire sich als beruflich nicht hinreichend qualifiziert erwiesen hat, kann i m Verwaltungsprozeß nicht überprüft werden 1 7 9 . Es handelt sich hierbei um keine Disziplinarmaßnahme m i t der Folge, daß der Probebeamte auch keinen Anspruch darauf hat, über seine Personalakten und seine dienstlichen Bewertungen informiert zu werden 1 8 0 . Das schließt die Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens wegen Dienstvergehen nicht aus. I n diesem Falle sind alle Verfahrensvorschriften einschließlich des Erfordernisses der vorherigen Mitteilung der Personalakten anzuwenden. Vor der Titularisation hat die Behörde neben der beruflichen Eignung zu prüfen, ob der Probebeamte alle gesetzlichen und untergesetzlichen 177

Vgl. Ayoub, 27 if.; Silvera / Salon, Nr. 248. Die bei jedem Verwaltungszweig eingerichteten Verwaltungskommissionen setzen sich aus einer gleichen Anzahl von Vertretern der V e r w a l t u n g u n d gewählten Vertretern der Bediensteten, die zumeist gewerkschaftlich orientiert sind, zusammen. Die Kommissionen haben Beratungsfunktionen insbesondere bei Fragen der Beförderung u n d bei Disziplinarverfahren. Das oberste Beratungsorgan ist der aus 32 Beamten u n d 32 Bediensteten bestehende « Conseü Supérieur de la Fonction Publique ». Die Mitglieder des Conseil werden v o m Ministerrat ernannt, wobei den „repräsentativsten H Gewerkschaften bezüglich der Bediensteten ein Vorschlagsrecht zusteht. Der Conseü Supérieur k a n n i n Fragen des Dienstrechts der Regierung Vorschläge unterbreiten. Außerdem k a n n er i n Fragen disziplinarischer Natur, der Beförderung, der Beurteilung, der Diensteinstellung u n d der Entlassung angerufen werden (vgl. D. Levy , i n : Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 1, 50 ff.). 179 CE v. 9. Januar 1963, Amicel, A J D A 1963, 426. 180 CE v. 27. A p r i l 1960, Lesage, A J D A 1960, 240; CE ν. 2. Oktober 1970, Rudeaux, Ree. 1075; CE ν. 27. November 1970, Anisset, Ree. 716; vgl. auch Silvera / Salon, Nr. 246; Ayoub, 27 A n m . 13. 178

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Voraussetzungen seiner Einstellung erfüllt. Die Ernennung zum stagaire verleiht aber keinen Anspruch auf Titularisation, wenn die obengenannten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind 181 . Die Behörde ist also nicht verpflichtet, den Probebeamten endgültig i n den öffentlichen Dienst durch Titularisation zu übernehmen. Die Beurteilung über die professionelle Eignung durch die Behörde kann durch das Verwaltungsgericht außer i m Falle eines offensichtlichen Bewertungsfehlers nicht überprüft werden 1 8 2 . Allerdings w i r d i n der Praxis ein Probebeamter nur selten wegen Ungeeignetheit nicht übernommen; darüber hinaus verfügt er über eine Reihe rechtlicher Garantien, die ihn vor w i l l k ü r licher Behandlung schützen. So besteht ζ . B. grundsätzlich ein Recht darauf, die Probezeit vollständig abzuleisten. Vor Ablauf der Probezeit kann eine Entlassung nur i n den disziplinarrechtlich vorgesehenen Formen, d. h. unter Einhaltung des Erfordernisses der Mitteilung der Personalakte, erfolgen 183 . Ein Teil der Beamten des höheren Dienstes rekrutiert sich aus A b solventen staatlicher Verwaltungs- und Technischer Hochschulen für den öffentlichen Dienst. Die Zulassung zur Ausbildung erfolgt nach dem eingangs geschilderten Auswahlverfahren. M i t der Zulassung w i r d der Schüler zum stagaire ernannt. Er unterscheidet sich vom Probebeamten insofern, als seine Zuweisung zu einer bestimmten Dienststelle für die Dauer der Ausbildung aufgeschoben wird. Die Bedeutung der speziell für die Ausbildung des öffentlichen Dienstes eingerichteten Verwaltungshochschulen für die leitenden Beamtenfunktionäre kann kaum überschätzt werden. Die Grand Corps 184 rekrutieren sich i m wesentlichen aus der Ecole Nationale d'Administration (ENA) und der Ecole Polytechnique. Allerdings werden nur die Besten endgültig i n die Grand Corps aufgenommen, während die Mehrheit Funktionen i n der allgemeinen Verwaltung m i t erheblich geringeren Aufstiegschancen und Sozialprestige übernimmt. Die Zulassung ist wie bei den Probebeamten, die sofort eine Ausbildungsstage bei der Behörde ableisten, i m wesentlichen am Nachwuchsbedarf für den öffentlichen Dienst orientiert. Neben den oben erwähnten Hochschulen bestehen für besondere Verwaltungszweige Hochschulen und Fachschulen des öffentlichen Dienstes auf den 181 CE v. 15. Februar 1963, T u r i n , Ree. 91, A J D A 1963, 426; CE ν. 25. Oktober 1972, Bureau d'Aide Sociale de Montferran-Saves, Ree. 668. 182 Ayoub, 26, 117; Silvera / Salon, Nr. 246; CE ν. 9. Januar 1963, Amicel, A J D A 1963, 426. iss c e v > 29. November 1972, Dame Baysse, Ree. 757; CE ν. 21. Februar 1973, Larribe, Ree. 162. 184 Der öffentliche Dienst Frankreichs gliedert sich i n „Corps", die aus Beamten gleicher Laufbahn u n d F u n k t i o n bestehen. Die Grand Corps sind Elitegruppen f ü r die Spitzenpositionen der allgemeinen oder technischen V e r w a l t u n g (vgl. zur Rolle der Grand Corps i m französischen öffentlichen Dienst, i n : Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 1, 63 ff.).

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Gebieten der Steuern, Zölle, öffentliches Rechnungswesen, Polizei, Gesundheit, zivile Luftfahrt 1 8 5 . Zur Rekrutierung der höheren Verwaltungsbeamten sind außerdem 1966 regionale Verwaltungsinstitute geschaffen worden, die eine praktische und theoretische zweijährige Ausbildung durchführen. Auch die Schüler dieser Institute und Fachschulen werden bereits m i t der Aufnahme „Probebeamte" und beziehen ein Gehalt. Die Ausbildung endet m i t der Verleihung eines Diploms, das zur Teilnahme an Auswahlverfahren, die für Absolventen eines Jurastudiums vorgesehen sind, berechtigt. Den Absolventen steht i n der Reihenfolge ihrer Klassifizierung der Zugang zu denjenigen Ämtern offen, für die sie sich m i t dem Diplom qualifiziert haben. I n diesem Fall schließt sich die Titularisation unmittelbar an die Beendigung der Ausbildung an. Das Durchlaufen besonderer Ausbildungsgänge im öffentlichen Dienst, sei es i m Rahmen der staatlichen Hochschule oder bei einer Verwaltung, ist — soweit ersichtlich — für eine Berufsausübung außerhalb des öffentlichen Dienstes weder auf Grund von Rechtsvorschriften noch tatsächlich erforderlich. Die Verwaltungshochschulen und Verwaltungsinstitute dienen ausschließlich der Rekrutierung der Beamten des öffentlichen Dienstes. Berufsethos und Karriereerwartungen der Schüler der Verwaltungsschulen sind auf den öffentlichen Dienst ausgerichtet. Dementsprechend müssen sich die Schüler für eine bestimmte Zeitdauer zum Staatsdienst verpflichten. 2. Die Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst

Vor der Zulassung zum Auswahlverfahren hat die Behörde zu prüfen, ob der Bewerber die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ernennung erfüllt. Dazu gehören nach A r t i k e l 15 des Beamtenstatuts die französische Staatsangehörigkeit, die bürgerlichen Ehrenrechte, ein anständiger Lebenswandel (bonne moralité), die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten und die physische Eignung. Die Behörde ist aber bei der Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht verpflichtet, den Bewerber zum Auswahlverfahren zuzulassen. Vielmehr steht ihr ein Beurteilungsspielraum darüber zu, ob ein Bewerber für die erstrebte Anstellung geeignet ist 1 8 6 . A u f den Umfang und die gerichtliche Überprüfbarkeit dieser Befugnis w i r d unter 3. einzugehen sein. Bereits die obengenannte Voraussetzung des anständigen Lebenswandels kann der Behörde Gründe liefern, extremistische Bewerber abzulehnen. So vermag nach der Auffassung von Fourrier ein Kandidat, 185

Silvera / Salon, Nr. 253. Silvera / Salon, Nr. 210; Regierungskommissar Letourneur i m F a l l Barel, RA 1954, 397 (mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). 186

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der einer illegalen Organisation nahesteht, nicht die Voraussetzung des Besitzes der bürgerlichen Rechte und der guten Lebensführung zu erfüllen, wenn er i n diesem Zusammenhang straffällig geworden sei 187 . Fourrier weist ferner auf ein Gesetz vom 8. 6.1970 188 hin, wonach diejenigen Personen, die an Aktionen teilgenommen haben, i n deren Verlauf es zu physischen Gewalttätigkeiten oder zur Zerstörung oder Beschädigung von Eigentum gekommen ist, bestraft werden können. Dieses Gesetz erleichtere den Ausschluß von extremistischen Amtsbewerbern. I m übrigen liefert der Begriff des anständigen Lebenswandels kaum präzise Kriterien für die behördliche Prüfungsbefugnis und ermöglicht auf diese Weise einen Ausschluß, der i n Wahrheit auf anderen Motiven beruht. Dies hat schon i m Jahre 1930 den Regierungskommissar Ettori im Fall Grego zu der Bemerkung veranlaßt, daß durch den Begriff der moralité der Wert des Auswahlverfahrens beseitigt werden könnte und an die Stelle einer Fassade der Legalität sich die W i l l k ü r ausbreiten könne 189 . Allerdings läßt die neuere Gerichtspraxis nicht erkennen, daß über den Begriff der moralité politisch unerwünschte Bewerber vom öffentlichen Dienst ferngehalten wurden. Praktisch wichtiger als die Überprüfung der „bonne moralité" eines Bewerbers ist die Prüfung der Geeignetheit eines Bewerbers 1 für ein öffentliches Amt. Die Befugnis der Behörde, ihr ungeeignet für den öffentlichen Dienst erscheinende Kandidaten vom Auswahlverfahren auszuschließen, erstreckt sich auf die Prüfung, ob die Kandidaten den oben dargestellten Anforderungen der obligation de réserve genügen. Allerdings darf diese Prüfung der Geeignetheit nicht i n die Kompetenz der Jury des Auswahlverfahrens eingreifen. Geeignetheit ist daher i m Sinne der Eignung zum öffentlichen Dienst zu verstehen, während den i m Auswahlverfahren zu testenden professionellen Fähigkeiten und Kenntnissen durch die Beurteilung der Behörde nicht vorgegriffen werden darf 1 9 0 . Die Behörde untersucht, ob ein vorausgegangenes Verhalten vorliegt, das, wenn die Kandidaten Beamte gewesen wären, eine Verletzung der Zurückhaltungspflicht begründet hätte. Die durch die obligation de réserve aufgestellten Verhaltenspflichten bei der politischen Betätigung haben also eine zentrale Bedeutung nicht nur für die Disziplin des Beamten, sondern auch als Maßstab für die Eignungsprüfung vor der Zulassung zum Auswahlverfahren. I m Fall Barel 1 9 1 hat der CE ausdrücklich bestätigt, daß die Behörde i m Rahmen dieses Prüfungsverfahrens Betätigungen und Kundbarmachungen (manifestations) berücksich187

188

Beiträge zur Konfliktforschung 1974, 105.

RDP 1972, 49 (mit Anm. Duffar).

189

CE v. 16. M a i 1930, Grego, Ree. 521; vgl. dazu Dabezies, RDP 1967, 1146. wo c e v. 8. Oktober 1965, Marfaing, Ree. 497; vgl. Ayoub, 101. 191

Vgl. oben S. 101 f.

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tigen dürfe, die der Zurückhaltungspflicht zuwiderlaufen, wobei allerdings nach dem Prinzip des gleichen Zugangs ein Kandidat nicht wegen seiner politischen Ansichten vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden dürfe. Regierungskommissar Letourneur begründet diese Prüfung m i t der allgemeinen Befugnis der Exekutive, das gute Funktionieren des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Dem liegt die Erwartung zugrunde, daß ein Bewerber sich nach seiner Ernennung als unfähig erweisen wird, die für einen Beamten gebotene Zurückhaltung zu wahren, wenn er sich früher i n unangemessener Weise betätigt hat. Hierin liegt der Ansatzpunkt für die K r i t i k eines Teils der Literatur. Die Anknüpfung an die für Beamte geltende Zurückhaltungspflicht w i r d als eine Form rückwirkender Belastung angesehen. Die politische Zügelung der jungen Generation i m Hinblick auf ein späteres öffentliches A m t ermutigt nach Auffassung von Vincent politischen Konformismus und führt zur intellektuellen Trägheit 1 9 2 . Die Rechtsprechung hat i n mehreren Entscheidungen an der Befugnis der Verwaltung festgehalten, die Eignung eines Bewerbers i m Hinblick auf Verstöße gegen die obligation de réserve zu überprüfen. I m Fall Caire 1 9 3 hat das Pariser Verwaltungsgericht den Ausschluß eines Kandidaten von der ENA gerechtfertigt, der vor seiner Bewerbung eine Protestversammlung aus Anlaß eines Generalstreiks gegen Maßnahmen der Regierung i n Ausübung ihrer durch das Parlament gewährten Notstandsbefugnisse geleitet hatte. Besonderes Aufsehen hat i m Jahre 1962 die Affäre Walion 1 9 4 hervorgerufen. Walion hatte i m Jahre 1960 als Delegierter einer kommunistisch orientierten Studentenvereinigung an einem Treffen i n Tunis m i t algerischen Studentenverbänden, bei denen auch algerische Rebellenführer anwesend waren, teilgenommen. I n einer Erklärung kritisierte er heftig die damalige Haltung der französischen Regierung zur Algerien-Frage. Er wiederholte diese K r i t i k auf späteren Versammlungen in Lausanne und Poitiers. Als er sich 1961 zur ENA bewarb, wurde er zum Auswahlverfahren nicht zugelassen. Dasi Pariser Verwaltungsgericht wies die Klage Wallons ab, m i t dem Hinweis darauf, daß der Zugang zur ENA zugleich den Zugang zu den höchsten Verwaltungsfunktionen eröffne. Der festgestellte Sachverhalt erlaubt nach Auffassung des Gerichts nicht den Schluß, daß Wallon wegen seiner politischen Ansichten ausgeschlossen worden sei. I m übrigen könne die Zweckmäßigkeit der behördlichen Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers nicht gerichtlich überprüft werden. Die öffentliche K r i t i k an dieser Entscheidung 195 hat später dazu geführt, daß Wallon 192

J. Y. Vincente, i n : R A 1973, 273; vgl. auch Dabezies, RDP 1967, 1144 ff. 193 T A Paris v . 21. Februar 1962, Caire, A J D A 1962, 364 f. (obs. Silvera). 194 195

T A Paris v. 20. J u n i 1962, Wallon, A J D A 1962, 691. Vgl. die Nachweise bei Dabezies, RDP 1967, 1143 Anm. 39.

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schließlich doch zur ENA zugelassen wurde und nach erfolgreicher Absolvierung der Ausbildung i n die Inspection Générale de Finances aufgenommen wurde, wobei der Aspekt der Änderung der französischen Algerienpolitik nicht ganz ohne Bedeutung für diese Entwicklung sein dürfte 1 9 6 . Die Rechtsprechung läßt nicht erkennen, ob an die obligation de réserve für Bewerber zum Auswahlverfahren weniger strenge Anforderungen gestellt wurden als an Beamte i m Hinblick auf die Verletzung ihrer Dienstpflichten. I m Fall Hocde 197 argumentiert der CE damit, daß die dem Bewerber zum Vorwurf gemachte Verteilung von Flugblättern auch keine Pflichtverletzung begründet hätte, wenn der Bewerber bereits Beamter gewesen wäre. Dies deutet darauf hin, daß prinzipiell für Bewerber der gleiche Maßstab angelegt wird. Dieser Schluß w i r d auch von der Entscheidung des CE i m Fall Lingois 1 9 8 nahegelegt. Lingois war nicht zum Auswahlverfahren zugelassen worden, w e i l er an einer verbotenen Kundgebung teilgenommen hatte. Der CE wies die Klage unter Hinweis auf den behördlichen Beurteilungsspielraum ab. Die Rechtsprechung und Literatur lassen freilich keine eindeutige Aussage darüber zu, ob an die Prüfung der Geeignetheit eines Bewerbers nicht i m Hinblick auf die obligation de réserve mildere Maßstäbe angelegt werden müssen, als dies bei Beamten der Fall ist. Darauf weist eine Äußerung des Regierungskommissars Letourneur i m Fall Barel hin, wonach die Grundsätze der obligation de réserve leichter auf Bewerber anzuwenden seien, die bereits Beamte seien, als auf Studenten, die sich für das Auswahlverfahren bewerben würden. Für die letzteren könnten die für Beamte geltenden Grundsätze nur m i t Vorsicht angewendet werden 1 9 9 . Dennoch verbleibt der Behörde i m Rahmen der oben dargestellten Prüfung der Eignung eines Bewerbers ein i m Vergleich zur deutschen Rechtslage breiter Spielraum, ihr ungeeignet erscheinende Bewerber vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Welcher Verfahren sich die Behörde zur Durchführung der Prüfung der Eignung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst bedient, ist gesetzlich nicht geregelt. Die i n der Rechtsprechung entschiedenen Fälle lassen mittelbar erkennen, daß die Behörde, die über die Zulassung eines Bewerbers zu entscheiden hat, auf Informationen der Polizei- und anderer Sicherheitsbehörden zurückgreift, u m die Eignung eines Bewerbers festzustellen. Fourrier bemerkt, die Verwaltung begnüge sich sehr häufig bei der Aufstellung der Liste zugelassener Bewerber nicht m i t 198 197 198 199

Silvera / Salon, Nr. 214. CE v. 3. Januar 1962, Hocde, Ree. 3, A J D A 1962, I I , 365; vgl. oben S. 119. CE v. 29. J u l i 1953, Lingois, Ree. 413; D 1954, J. 99 (note Morange). Vgl. RDP 1954, 528 (conci. Letourneur).

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der Nachprüfung, daß der Bewerber kein Straf register habe; vielmehr lasse sie durch die Präfekturbehörde des Departements, i n dem der Kandidat wohne, Auskünfte einziehen, die dann häufig das eigentliche Motiv für die Nichtzulassung abgäben 200 . Selbst dann, wenn der Prüfungsausschuß einen Kandidaten passieren lasse, könne die Behörde auf Grund für ihn ungünstiger Auskünfte seine Ernennung verweigern. Präzisere Angaben darüber, welche Angaben über welche A r t von Bewerbern eingeholt würden, sind freilich nur schwer zu erhalten. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit zwischen einer speziellen Sicherheitsüberprüfung und einer allgemeinen Eignungsprüfung i n der Praxis unterschieden wird. Das Informations- und Uberprüfungswesen w i r d in der Regel m i t dem Schleier des Geheimnisses umgeben, ohne daß die Betroffenen erfahren, durch welche Behörden und i n welcher Weise sie überprüft werden 2 0 1 . Dabezies berichtet von einem Fall, wonach zwei bereits dem Corps des Ingenieurs d'Armement (Waffenwesen) zugeteilten Schülern der Ecole Polytechnique ungeachtet ihrer Ernennung der Zugang zu bestimmten Geheimdokumenten vom militärischen Sicherheitsdienst verweigert wurde. Er verweist auf eine ministerielle Verfügung vom 6. 8.1954, wonach die zugelassenen Bewerber für die Offiziersschule der Luftwaffe einer Sicherheitsprüfung unterliegen und i m Falle negativer Ergebnisse durch den Staatssekretär des Armeeministeriums von der Liste gestrichen werden können 202 . I m F a l l Chartrain 2 0 3 wurde, gestützt auf dieses Verfahren, der Ausschluß eines1 Kandidaten durch den CE gerechtfertigt, ohne daß sein Einwand, er werde aus politischen Gründen diskriminiert, vom CE näher überprüft wurde. Danach ist zu vermuten, daß bei Bewerbern, die Zugang zu bestimmten geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen haben, eine besondere Sicherheitsüberprüfung stattfindet, ohne daß das Verfahren dieser Uberprüfung — soweit ersichtlich — i n öffentlich zugänglicher Weise bekanntgemacht worden wäre. Die Literatur befaßt sich kaum mit der Frage der Überprüfung von Bewerbern. I n der Regel w i r d i n den einschlägigen Monographien über den öffentlichen Dienst lediglich auf das Ermessen der Behörde und den Umfang der gerichtlichen Uberprüfung bei der Einstellung eingegangen, während das Uberprüfungsverfahren als solches 200

Fourrier , Beiträge zur Konfliktforschung 1974, 107. Die Wochenzeitung „ L e Canard Enchaîne" berichtete i m August 1978, daß neben dem militärischen Geheimdienst SDECE u n d der Organisation f ü r Spionage u n d Gegenspionage DST eine dem Premierminister unterstellte Behörde G I C (Groupement Interministériel de Controle) i n großem Umfang die Telefone von Politikern, Journalisten u n d leitenden Beamten überwache. Die Sozialisten, Gaullisten u n d Kommunisten haben daraufhin die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses über die Abhörpraxis v e r langt (vgl. F A Z v o m 19. August 1978). 202 Dabezies, RDP 1967, 1150; vgl. auch Sénéchal , Droits Politiques, 96 ff. 203 CE v. 11. J u n i 1958, Chartrain, Ree. 333. 201

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unerörtert bleibt. Dies erklärt sich einerseits aus der Geheimhaltung dieser Vorgänge, andererseits aus dem Mangel an veröffentlichten Verfahrensregeln. Die nachfolgenden Bemerkungen sind daher i m wesentlichen auf einige Praxisberichte i n der Literatur und eigene Erkundigungen gestützt. Die A r t der Überprüfung differiert nach dem vorgesehenen A m t und der Dienststelle, bei der die Anstellung erfolgen soll. Bestimmte Ministerien wie ζ . B. das Finanzministerium verfügen über ihr eigenes Netz von Außendienstbeamten, die Informationen über die Eigenschaften der Bewerber einziehen. Bei diesem Verfahren stehen nach Meinung von Dabezies politische Aspekte nicht i m Vordergrund. Die Informationen würden i n Form von „Berichten" eingeholt. Ein Kandidat w i r d auf Grund dieser Berichte u. U. überredet, von seiner Bewerbung Abstand zu nehmen, wenn er nicht die nach Meinung der Behörde erforderliche Eignung aufweist. Der Normalfall ist jedoch nach den Schilderungen von Dabezies und Lavau der, daß die Uberprüfung diversen Polizeidiensten übertragen wird, die ohne Befragung des Bewerbers auf Grund von anonymen Gewährsleuten vertrauliche Berichte anfertigen 204 . Dies versetze den Bewerber u. U. i n eine schwierige Lage, da er sich gegen derartige Informationen nur schwer zur Wehr setzen könne, zumal die Geheimhaltung, die die Aktivitäten und Informationsquellen derartiger Dienststellen umgebe, i n der Regel ein Grund dafür sei, daß die Verwaltung ihre Entscheidungen nicht begründe. Die auf Grund dieser Untersuchungen gesammelten Informationen werden i n Karteien gespeichert und können u. U. zur Ablehnung eines Bewerbers führen, ohne daß der Bewerber die entscheidenden Gründe für die Ablehnung erfährt. Hinzu kommt nach Meinung von Dabezies ein professionelles Bedürfnis der Sicherheitsbehörden, möglichst jedes Indiz, jede Äußerung und jede Handlung auszuwerten und schriftlich niederzulegen. Die wenigen Autoren, die sich m i t dem Verfahren der Überprüfung von Bewerbern befaßt haben, kommen daher zum Ergebnis, daß in der Praxis eine gewisse „Lücke" zwischen den rechtsstaatlichen Prinzipien des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst und dem Verfahren und der Zielrichtung des Sicherheitsdienstes festzustellen sei 205 . Dies gelte u m so mehr, als der Richter — konfrontiert m i t den Problemen der Sicherheit der nationalen Verteidigung, der Geheimhaltung und dem Schutz der Informationsquellen der Sicherheitsdienste — sich regel204

Dabezies, RDP 1967, 1147; Lavau, JCP 1953, I, 1128. Dabezies, RDP 1967, 1148; Lavau, JCP 1953, I, 1128; Bourdoncle empfiehlt aus diesem Grunde die E i n f ü h r u n g eines Treueeids auf die Verfassung als rechtsstaatlich korrektes Verfahren (Fonction Publique, 187). 205

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mäßig darauf beschränke, die Existenz einer Untersuchung zur Kenntnis zu nehmen, ohne den Gehalt der Fakten zu überprüfen. Die Uberprüfung von Bewerbern dient dem Ausschluß ungeeigneter Kandidaten. Da nach der dargelegten Grundkonzeption die politische Meinung eines Bewerbers, einschließlich seiner Parteizugehörigkeit — ausgenommen bei besonderen Beamtengruppen —, rechtlich keinen zulässigen Grund abgibt, ihn vom öffentlichen Dienst auszuschließen, hat sich die Überprüfung auf dasjenige politische Verhalten eines Bewerbers zu beschränken, das möglicherweise seine mangelnde Eignung i m Hinblick auf die dem Beamten obliegende Zurückhaltungspflicht i m politischen Bereich aufzeigen könnte. Daher kann eine Angabe über die Zugehörigkeit zu einer Partei, einer legalen politischen Organisation, oder einer Gewerkschaft von Bewerbern i n der Regel nicht verlangt werden. I n gleicher Weise scheidet auch die Angabe des Bewerbers über seine Einstellung zur Verfassung aus. Allerdings w i r d i n der Praxis des Überprüfungsverfahrens eine scharfe Trennung kaum vorgenommen werden. Die Zugehörigkeit zu einer als subversiv angesehenen politischen Organisation dürfte i n der Regel jedenfalls bei sicherheitsempfindlichen Ä m t e r n ausreichender Grund sein, Informationen über einen Bewerber zu sammeln und zu speichern 208 . Allerdings ist zu berücksichtigen, daß nach A r t . 18 des Beamtenstatuts i n den Personalakten des Beamten keinerlei Hinweise auf seine politischen oder weltanschaulichen Ansichten enthalten sein dürfen. Diese Bestimmung steht zwar nicht schlechthin der Sammlung von Informationen i m Rahmen eines Uberprüfungsverfahrens entgegen 207 . Sie verbietet aber der Behörde, derartige Informationen i n die Personalakte aufzunehmen und sie damit dem weiteren Werdegang des Beamten zugrunde zu legen. I n gleicher Weise kann aber auch die Verweigerung der Einstellung nicht auf die politische Meinung des Bewerbers gestützt werden. Daraus folgt, daß sich die Behörde, soweit sie sich auf eine schriftliche Begründung einer Ablehnungsentscheidung einläßt oder über das Ergebnis der Überprüfung einen Bericht anfertigt, der i m Streitfall den Gerichten vorgelegt wird, nicht auf die i m dargelegten Sinne freie politische Meinung eines Bewerbers, seine Zugehörigkeit zu einer Partei oder Gewerkschaft stützen darf, wenn sie sich nicht dem Vorwurf der unzulässigen Diskriminierung aussetzen w i l l . Eine unzulässige Erwähnung der politischen Ansichten führt allerdings nicht automatisch zur Aufhebung einer behördlichen Verfügung, 206

Dabezies, RDP 1967, 1148. Die Auffassung Fourriers , der CE habe die Unzulässigkeit „ h a l b a m t licher Erkundigungen" über die Ansichten eines Bewerbers i m F a l l Barel festgestellt, findet i n der Entscheidung — w i e Fourrier i n d i r e k t zugesteht — keine Stütze (Beiträge zur Konfliktforschung 1974, 109). 207

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durch die ein Bewerber vom Auswahlverfahren ausgeschlossen wird. I m Falle des Postbeamten Frischmann 208 , der für seine Gewerkschaft ein Abkommen m i t dem Ost-Berliner FDGB abgeschlossen hatte und deshalb gekündigt worden war, wurde vor den Verwaltungsgerichten die Klage u. a. damit begründet, die Behörde habe unzulässigerweise i n einem Bericht die kommunistischen Uberzeugungen des Beamten beschrieben und sie i n einer Note der Personalakte angefügt 209 . Der CE hat dieses Argument verworfen m i t der Begründung, daß die unzulässige Erwähnung einer politischen Gesinnung nur dann zur Aufhebung der Entscheidung führen könne, wenn sie die Entscheidung beeinflußt habe. Damit w i r d an eine Rechtsprechung angeknüpft, wonach ein Verfahrens- oder Formfehler, der ohne Einfluß auf die angefochtene Entscheidung ist, keinen Aufhebungsgrund darstellt 2 1 0 . Jedoch kann die Erwähnung politischer Ansichten die Vermutung begründen, daß die Behörde ihre Befugnisse überschritten hat 2 1 1 , m i t der Konsequenz einer gewissen Umkehrung der Beweislast. Die Verwaltung muß nunmehr darlegen, daß ihr Verhalten auf einem von der Rechtsordnung gebilligten Grund beruht. Kann sie einen derartigen Grund darlegen, so ist unerheblich, ob sie ihre Entscheidung auf andere unzulässige Erwägungen gestützt hat. Entscheidend ist, ob der rechtlich zulässige Grund die behördliche Entscheidung i m Ergebnis rechtfertigt. Entsprechendes dürfte auch für Verfahrensfehler bei der Einstellung von Bewerbern gelten. Es liegt auf der Hand, daß durch diese Rechtsprechung der mit A r t i k e l 18 bezweckte Schutz der politischen Gesinnung des Beamten im Einzelfall durchbrochen werden kann 2 1 2 . 3. Der Anspruch auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst und die Grundsätze gerichtlicher Überprüfung

Die Verfassung von 1958 garantiert m i t ihrer Verweisung auf die Menschenrechtsdeklaration von 1789 und die Präambel der Verfassung von 1946 den gleichen Zugang aller Bürger zu öffentlichen Ämtern entsprechend ihrer Befähigung. Die neuere Rechtsprechung des CE und des Conseil Constitutionnel hat den Bestimmungen der Präambel unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit zuerkannt und damit die frühere Diskussion um die juristische Bedeutung der Präambelbestimmungen beseitigt 213 . Nach A r t i k e l 34 bleibt es dem Parlament vorbehalten, durch 208

S. 131. 209 210 211

202. 212

CE v. 8. J u n i 1962, Frischmann, Ree. 382, D 1962, J. 492 ff.; vgl. oben Ebd. Vgl. Dubouis, D 1962, J. 494 ff. CE v. 26. Oktober 1960, Rioux, Ree. 558; CE ν. 22. März 1961, Enard, Ree. Dubouis, D 1962, J. 495.

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Gesetz die Regeln über die grundlegenden Rechte der zivilen und m i l i tärischen Beamten zu erlassen. Die unter 1. dargestellten Vorschriften über das Auswahlverfahren, die Ernennung und Einweisung i n ein A m t füllen diesen verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen aus. Die Behörde verfügt über einen Beurteilungsspielraum bei der Prüfung der Geeignetheit eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst. Die Rechtsprechung hat es daher stets abgelehnt, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme i n den öffentlichen Dienst ein Recht auf Zugang zum Auswahlverfahren zu gewähren 214 . Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen besteht eine Einstellungsfähigkeit (aptitude légale), d. h. eine A r t Chance, i n den öffentlichen Dienst eingestellt zu werden. Die verschiedenen Regierungskommissare vermeiden daher i n ihren Schlußanträgen vor dem CE stets die Formulierung, daß ein Zugangsrecht bestehe. Wichtiger als die terminologische Frage, inwieweit sich Recht und Chance juristisch unterscheiden, ist jedoch das zugrunde liegende Problem des behördlichen Ermessens. Der Behörde w i r d die Befugnis eingeräumt, aus Gründen der Opportunität einen ihr ungeeignet erscheinenden Bewerber nicht zum Auswahlverfahren zuzulassen. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Bewerber u m ein öffentliches A m t der behördlichen W i l l k ü r schutzlos ausgesetzt wäre. Die Behörde hat bei der Ausübung ihres Beurteilungsspielraums die rechtlichen Grenzen zu beachten und darf einen Bewerber insbesondere nicht wegen seiner politischen Meinungen vom öffentlichen Dienst ausschließen. Bis heute ist allerdings umstritten, inwieweit der behördliche Beurteilungsspielraum reicht und i n welchen Grenzen die Entscheidung der Behörde, einen Kandidaten wegen mangelnder Eignung vom Auswahlverfahren auszuschließen, gerichtlich überprüft werden kann. Der Regierung ist immer wieder der Vorwurf gemacht worden, daß Bewerber wegen ihrer politischen Gesinnung ausgeschlossen worden seien. Dieser V o r w u r f hat, wie der Fall Barel zeigt, auch zu erfolgreichen A n fechtungsklagen geführt. I n der Regel w i r d die Absicht politischer Diskriminierung allerdings nicht leicht nachzuweisen sein, da Ablehnungsentscheidungen weder begründet zu werden brauchen noch an ein sonstiges Verfahren (Anhörung i m Rahmen einer Uberprüfung) gebunden sind 2 1 4 a . Die Durchsetzung eines Anspruchs, nicht wegen politischer A n 213 Vgl. z. B. Dabezies, RDP 1967, 1138 (mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). 214 Ayoub, 100; Letourneur, R A 1954, 397; Silvera / Salon, Nr. 210. Nach Drucklegung der A r b e i t wurde das Gesetz Nr. 79—587 v o m 11. J u l i 1979 (JO v. 12. 7. 1979, S. 1711) erlassen, das i n einer Reihe von F ä l len eine Pflicht der V e r w a l t u n g zur Begründung ihrer Entscheidungen v o r sieht. Nach A r t . 1 müssen u. a. Entscheidungen, die eine Begünstigung v e r weigern, auf die der Bürger einen Rechtsanspruch bei E r f ü l l u n g der gesetzlichen Voraussetzungen hat, begründet werden. Da ein Rechtsanspruch auf

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sichten vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen zu werden, ist damit entscheidend von der Kontrolldichte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abhängig. Regierungskommissar Letourneur hat i m Fall Barel die Kontrollbefugnisse der Verwaltungsgerichte bei der Zulassung von Bewerbern zum Auswahlverfahren i n folgender Weise beschrieben: Die Ausübung des Beurteilungsspielraums, der der Behörde bei der Prüfung der Zulassung von Bewerbern eingeräumt ist, kann nur i n dreifacher Hinsicht gerichtlich überprüft werden: einmal darauf hin, ob die Entscheidung i m Interesse des Dienstes erfolgt ist, zum anderen, ob die Entscheidung auf einen von der Rechtsordnung mißbilligten Grund gestützt ist, und schließlich, ob die angeführten Fakten unzutreffend sind 2 1 5 . Von besonderer Bedeutung ist für die Praxis der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle insbesondere die Frage, inwieweit die Gerichte die Behörden zur Aufklärung des Sachverhalts bzw. zur Darlegung der Gründe des Ausschlusses eines Bewerbers veranlassen können. Da die Behörde nicht verpflichtet ist, ihre Entscheidung zu begründen, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bewerber nachweisen kann, daß er aus einem rechtlich unzulässigen Grund, ζ . B. wegen seiner politischen Ansichten, abgelehnt worden ist. Die Rechtsprechung des CE hat sich i n zahlreichen Fällen damit begnügt zu erklären, daß die Behörde i n Ausübung ihrer Befugnisse gehandelt habe, i m Interesse des Dienstes zu prüfen, ob der Bewerber die erforderlichen Voraussetzungen erfülle. Dahinter verbirgt sich die Tendenz, der Behörde als der Hüterin des ungestörten Verwaltungsablaufs einen weiten Spielraum zu geben, Kandidaten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Mangels besonderer Vorschriften obliegt es der Verwaltung und nicht den Verwaltungsgerichten zu beurteilen, ob ein Bewerber für den öffentlichen Dienst passend ist oder nicht. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich damit i m wesentlichen auf diejenigen Fälle, i n denen die Behörde erkennbar von falschen Fakten ausgegangen ist oder aber eine gesetzliche Vorschrift mißachtet hat. Der Nachweis, daß die Ablehnung aus rechtlich nicht zulässigen Gründen erfolgt ist, kann aber — wie i m Fall Guille — praktisch nur gelingen, wenn die Verwaltungsbehörde ihre Gründe bekanntgibt oder wenn diese aus den Umständen der Entscheidung — wie i m Fall Barel — abgeleitet werden können 21 ·. Diese für den Bewerber u m ein öffentliches A m t schwache Rechtsposition gegenüber der Verwaltung w i r d i n der Literatur überwiegend Zulassung zum Auswahlverfahren — w i e oben dargelegt — nicht besteht, dürfte durch das neue Gesetz eine Begründungspflicht bei Ablehnungsentscheidungen nicht eingeführt worden sein (vgl. zum Gesetzentwurf Assemblée Nationale, Nos. 352, 766, 991, 1ère Session 1978/79). 215 R A 1954, 388 (mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). 218 Lavau, JCP 1953, I, 1128; Morange, D 1953, Chron. 157.

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heftig kritisiert. Konstatiert w i r d ein Widerspruch zwischen dem Prinzip des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ä m t e r n und den Befugnissen der Verwaltung. Die Anstrengungen, durch gerichtliche Kontrolle von Organisation und Verfahren von Auswahlwettbewerben den gleichen Zugang zu sichern, werden als sinnlos betrachtet, solange die Behörde m i t einem Federstrich weithin unkontrolliert einen Bewerber von der Liste streichen könne. Dabezies stellt i n seiner ausführlichen Untersuchung von 1967 i m Anschluß an Vedel fest, daß der Mangel an gesetzlichen Regeln über die Zulassung von Bewerbern zu einem juristischen Niemandsland geführt habe, das Mißbräuche der Verwaltung um so eher fördere, als der CE einerseits besorgt sei, sich nicht i n das Funktionieren des öffentlichen Dienstes einzumischen, andererseits die Behörde u m jeden Preis an ihrem Vorrecht festhalte, Bewerber zum Auswahlverfahren zuzulassen oder nicht zuzulassen 217 . Von der i n der Literatur verbreiteten Tendenz, den Umfang verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gegenüber dem behördlichen Beurteilungsspielraum stärker auszuweiten, ist freilich auch der CE nicht unbeeinflußt geblieben. Der kritische Punkt effektiver gerichtlicher Kontrolle ist die Überprüfung einer vom ausgeschlossenen Bewerber behaupteten unzulässigen Diskriminierung durch die Behörde. Hierfür hat der CE i m Fall Barel Grundsätze aufgestellt, die den Rechtsschutz des ausgeschlossenen Bewerbers erweitert haben. I m Fall Barel waren von mehreren Zeitungen undementiert behördliche Äußerungen wiedergegeben worden, wonach Kandidaten, die der Kommunistischen Partei angehörten oder ihr naheständen, nicht i n die ENA aufgenommen werden könnten. I m Parlament hat die Regierung jedoch abgestritten, daß Barel und die anderen Bewerber aus politischen Gründen abgelehnt worden seien. Der CE hat daraufhin die Regierung zur Vorlage der „Dossiers" aufgefordert, was von der Regierung m i t dem Bemerken abgelehnt worden ist, es gebe keine Dossiers in der Angelegenheit. Diese Verfahrensweise und der vom CE gezogene Schluß, daß die vom Kläger behauptete Diskriminierung wegen seiner politischen Ansichten den Entscheidungen der Regierung zugrunde liege, w i r d allgemein i n der Literatur als neue Etappe zu einem erweiterten Rechtsschutz angesehen 218 . Wenn der K l ä ger ernsthafte Fakten vorbringt, die eine gewisse Vermutung für rechtlich unzulässige politische Diskriminierung begründen, kann das Gericht die Behörde zur Darlegung ihrer Entscheidungsgrundlagen auffordern und aus einem eventuellen Stillschweigen entsprechende Schlüsse ziehen. Damit w i r d weder das Recht der Verwaltung durchbrochen, ihre Entscheidungen nicht zu begründen, noch ihre Befugnis, die Kandida217 P. Dabezies, i n : RDP 1967, 1140; ähnlich Lavau, JCP 1953, I, 1128; Loschak, Le droits politiques, 20 f. » · Vgl. z. B. Dabezies, RDP 1967, 1141; Silvera / Salon, Nr. 211.

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temliste für das Auswahlverfahren nach eigenem Ermessen aufzustellen. I m Ergebnis kann das Gericht somit eine erweiterte Prüfung, die sich auf die von der Behörde zugrunde gelegten Fakten bezieht, vornehmen, wenn die hinreichend präzisen Behauptungen des Klägers eine solche Kontrolle rechtfertigen. War diese erweiterte Kontrollbefugnis noch auf die Darlegung von Fakten gestützt, die die Vermutung unzulässiger politischer Diskriminierung entgegen der Behauptung der Verwaltung begründeten, so ging das Pariser Verwaltungsgericht i m Jahr 1961 i m F a l l Vicat-Blanc 1 1 9 noch einen Schritt weiter. Auch i n diesem Fall ging es u m die Zulassung zum Auswahlverfahren der ENA. I m Gegensatz zum Fall Barel waren aber die Behauptungen des Bewerbers, der Ausschluß erfolge wegen seiner politischen Uberzeugungen, vage und konnten nicht durch äußere Anhaltspunkte gestützt werden. Die Regierung berief sich auf i h r Recht, die Gründe der Nichtzulassung nicht mitzuteilen. Das Pariser Verwaltungsgericht forderte die Behörde auf, das Dossier über den Fall vorzulegen. Als das von der Regierung abgelehnt wurde, gab das Gericht der Klage statt m i t der Begründung, die vom Kläger vorgebrachten Behauptungen einer politischen Diskriminierung hätten als bewiesen zu gelten. I n der Revisionsinstanz vor dem CE wies der Regierungskommissar Sauzet darauf hin, daß dieses Vorgehen über die Entscheidung i m Fall Barel hinausgehe, da Vicat-Blanc keine präzisen Angaben gemacht habe, u m seine Behauptung der politischen Diskriminierung zu untermauern. Dennoch hat der CE das U r t e i l des Verwaltungsgerichts bestätigt, m i t dem Hinweis darauf, daß der Richter von der zuständigen Verwaltung die Vorlage aller Dokumente verlangen könne, wenn der Bewerber ausdrücklich vorgebracht habe, er sei wegen seiner politischen Ansichten ausgeschlossen worden 2 2 0 . Die Bedeutung dieser Entscheidung ist i n der Literatur umstritten. Silvera erklärt die Entscheidung damit, daß der CE eine Diskussion über die richterliche Befugnis, die Verwaltung zur Preisgabe der Gründe ihrer Entscheidung aufzufordern, vermeiden wollte 2 2 1 . Dagegen w i r d eingewendet, daß es wenig wahrscheinlich sei, daß der CE angesichts des Aufsehens, das die Entscheidung des Pariser Verwaltungsgerichts hervorgerufen habe, die Gelegenheit versäumen würde, seine eigene Position in dieser Frage für die Zukunft darzulegen 222 . Die Entscheidung des CE i m Fall Chartrain 2 2 3 i m Jahre 1958 begnügt sich andererseits m i t 219 T A Paris v. 6. November 1959, Vicat-Blanc, A J D A 1959, I I , 359 (note Silvera). 220 CE v. 21. Dezember 1960, Vicat-Blanc, A J D A 1961, I I , 167 (note Silvera ). 221 Silvera , A J D A 1961, I I , 168. 222 Sénéchal , Droits Politiques, 101. 223 CE v. 11. J u n i 1958, Chartrain, Ree. 333; A J D A 1958, I I , 391 (conci. Long).

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der Wendung, daß Chartrain, Bewerber zur Offiziersschule der L u f t waffe, i n Anwendung der der Behörde vorbehaltenen Befugnisse von der Liste gestrichen worden sei und daß vom Kläger nicht vorgebracht sei, daß diese Entscheidung auf einen rechtlich unzulässigen Grund gestützt sei oder auf unrichtigen Fakten beruhe. Diese Aussage konnte sich nur auf die Substantiierung des Vorbringens beziehen, da Chartrain offensichtlich i m Verfahren geltend gemacht hatte, die Streichung von der Liste sei wegen seiner politischen Ansichten erfolgt. Der CE hielt es jedoch nicht für notwendig, i n diesem Fall die Behörde zur Darlegung ihrer Entscheidungsgründe aufzufordern. Regierungskommissar Long sieht den entscheidenden Unterschied zum Fall Barel denn auch darin, daß präzisere Angaben von Chartrain und Anhaltspunkte für eine Überschreitung der behördlichen Befugnis hätten vorliegen müssen, u m die i m Fall Barel geforderte Instruktion zu verlangen 224 . Möglicherweise liegt der unterschiedlichen Rechtsprechung auch ein höheres Maß behördlicher Opportunität beim Zugang zu militärischen Institutionen zugrunde, wenngleich auch für militärische Institutionen unzweifelhaft das Prinzip des gleichen Zugangs zur Anwendung kommt 2 3 5 . Eine Bestätigung findet diese Auffassung i m Fall Rioux 2 2 6 , der vom CE wenige Wochen vor dem Fall Vicat-Blanc entschieden wurde. Rioux, ein vertraglicher Bediensteter des Verteidigungsministeriums, wurde ohne schriftliche Begründung angeblich deshalb gekündigt, w e i l er Sekretär einer „Volksuniversität" sei und wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten. Der CE verfuhr hier wie i m Fall Barel, wobei er ausdrücklich betonte, daß Rioux präzise Angaben gemacht habe, die ernsthafte Vermutung für eine Diskriminierung aus politischen Gründen befürchten ließen. Die Kündigung wurde w i e i m Fall Barel annulliert, nachdem die Behörde dem Ersuchen, alle einschlägigen Dokumente, Berichte usw. vorzulegen, nicht nachgekommen war. Hätte die Behörde sich dagegen auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Vorgänge, die die nationale Verteidigung betreffen, wie i m Fall Coulon 2 2 7 berufen, wäre die Kündigung möglicherweise aufrechterhalten worden. Folgt man der Ansicht Dabezies, daß sich die Rechtsprechung m i t der Entscheidung Vicat-Blanc „auf dem Wege" zu einer Erweiterung der Kontrollbefugnis befindet, derart, daß die Behörde i n der Mehrheit der Fälle verpflichtet wird, die Gründe ihrer Entscheidung dem Richter bekanntzugeben, so ändert dies nichts an dem Grundsatz, daß der Behörde 224

A J D A 1958, I I , 391. Vgl. Sénéchal , D r o i t Politiques, 103 ff. 228 CE v. 26. Oktober 1960, Rioux, Ree. 558; A J D A 1961, I I , 168 (conci. Chardeau); vgl. Sénéchal , 103 ff. 227 CE v. 11. März 1955, Coulon, Ree. 149; RDP 1955, 955; D 1955, J 555 (noté de Soto et Léauté). 225

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die Prüfung der allgemeinen Eignung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst obliegt und daß der Ausschluß eines Kandidaten nur dann annulliert werden kann, wenn entweder auf Grund der eigenen Einlassung der Behörde oder auf Grund von Indizien das Gericht zu der Überzeugung gelangt, ein Bewerber werde wegen seiner politischen A n sichten diskriminiert. Damit w i r d der Behörde ein i m Vergleich zur deutschen Hechtslage ungleich größerer Spielraum eingeräumt, „unpassende" Bewerber vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, daß es bei dem Problem der Zulassung zum Auswahlverfahren nicht nur um den erstmaligen Eintritt i n den öffentlichen Dienst geht, sondern auch um die Karriere des Beamten. Sind auch traditionell Beförderung i n der Laufbahn i m Sinne des Beamtenstatuts und Teilnahme am „internen Auswahlverfahren" für Beamte, die i n eine höhere Beamtenkategorie oder ein anderes Corps überwechseln, zu trennen, so t r i t t praktisch und rechtlich 228 das Auswahlverfahren — wie Dabezies dargelegt hat 2 2 9 — heute i n weiten Bereichen an die Stelle der Beförderung. Dies ist von grundlegender Bedeutung für die Rechtsstellung des Beamten. Während nämlich die Beförderimg durch das i m Beamtenstatut niedergelegte Verfahren der Aufstellung von Eignungslisten und Beförderungstabellen unter M i t w i r k u n g paritätisch zusammengesetzter Kommissionen eine willkürliche Beförderung oder einen Ausschluß von der Beförderung durch die Behörde weitgehend ausschließen, gilt bei der indirekten Beförderung i m Auswahlverfahren der weite Beurteilungsspielraum der Behörde. W i r d i n Betracht gezogen, daß bei manchen Ämtern, wie ζ . B. Armeeoffizieren, das Durchlaufen gewisser Stationen wie etwa der „Ecole Supérieure de Guerre" von wesentlicher Bedeutung ist, so w i r d deutlich, daß m i t der Befugnis, ungeeignete Bewerber von der Liste eines Auswahlverfahrens zu streichen, verhindert werden kann, daß Beamte, die extremistischer Ideologie verdächtigt werden, i n höhere Ämter aufrücken. Die allgemein als unzureichend angesehene Rechtsposition eines Bewerbers für ein öffentliches A m t hat zu verschiedenen Verbesserungsvorschlägen i n der Literatur geführt 2 3 0 . Besondere Aufmerksamkeit fand vor allem die Äußerung von Regierungskommissar Letourneur i m Fall Barel, zukünftig ein System zu konzipieren, i n dem die Bewerber, die bestimmte rechtlich vorgeschriebene Voraussetzungen erfüllen, einen 228 Das Beamtenstatut sieht nunmehr auch neben dem traditionellen Beförderungsverfahren (Beförderungslisten) die Beförderung i m Dienstgrad durch concours oder Examen vor (Art. 28). 229 P. Dabezies, i n : RDP 1967, 1180 ff.; vgl. auch die Debatte über einen Gesetzesentwurf i m Journal des débats, Assemblée Nationale v o m 28. A p r i l 1965, 903 ff. 230 Vgl. z. B. Dabezies, RDP 1967, 1134 ff. (mit weiteren Nachweisen).

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Rechtsanspruch auf Zulassung zum Auswahlverfahren erhalten 2 * 1 . I n einem derartigen System würde die Ausübung dieser Rechte nicht mehr einer Ermessensentscheidung der Behörde unterliegen. Zwar wäre auch ein solches Recht nicht grenzenlos und müßte insbesondere m i t den Interessen des öffentlichen Dienstes verknüpft werden. Demnach könnte ein Bewerber ausgeschlossen werden, der als unerwünscht oder gefährlich für das ordnungsgemäße Funktionieren der Verwaltung anzusehen wäre. Diese Entscheidung würde aber nach Letourneur den Charakter einer Rechtsbeschränkung annehmen mit der Folge, daß die Gründe des Ausschlusses dem Betroffenen mitgeteilt werden müßten. Trotz der breiten Zustimmung, die diese Äußerung i n der Literatur gefunden hat 2 8 2 , ist die Vorstellung eines Rechtsanspruchs auf Zulassung zum Auswahlverfahren bis heute eine Zukunftsvorstellung geblieben. V. Die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst Ein Beamter kann aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten verletzt hat. Eine politische Betätigung des Beamten kann entsprechend den oben erörterten Grundsätzen eine Dienstpflichtverletzung darstellen, während die politische Meinung, einschließlich einer mangelnden „Verfassungstreue", keine disziplinarischen Sanktionen erlaubt. Die Entlassung wegen eines Dienstvergehens kann vorbehaltlich besonderer Bestimmungen nur auf Grund eines Disziplinarverfahrens verfügt werden. Nach dem Beamtenstatut kommt die Disziplinargewalt der Ernennungsbehörde zu. Jedoch können schwerwiegendere Sanktionen nur verhängt werden, nachdem die paritätische Verwaltungskommission, bestehend aus einer gleichen Anzahl von Vertretern der Verwaltung und des Personals, i n ihrer Eigenschaft als Disziplinarkommission den Fall untersucht hat und eine Stellungnahme abgegeben hat. Eingeleitet w i r d das Verfahren durch einen Bericht der Behörde an die Disziplinarkommission, der das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten darzustellen hat. Die Behörde kann ausnahmsweise dann, wenn ein schweres Dienstvergehen vorliegt, den Betroffenen vorläufig vom Dienst suspendieren. Der Beamte hat das Recht auf Einsicht i n seine Personalakte und sämtliche angefügten Dokumente, sobald das Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Eine umfangreiche Rechtsprechung belegt, daß dieses Recht von großer praktischer Bedeutung ist 2 3 3 . Der CE hat strenge Maßstäbe an die Einhaltung dieser Vorschrift gestellt und Diszi231

RDP 1954, 553, (conci. Letourneur). G. Morange, D 1954, J. 594; Burdeau, Long, A J D A 1954, 398. 283 Vgl. Silvera / Salon, Nr. 368 ff. 232

Libertés publiques, 1961, 196;

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plinarmaßnahmen aufgehoben, wenn diese Verfahrensvoraussetzung mißachtet wurde. Der beschuldigte Beamte kann sich vor der Disziplinarkommission schriftlich und mündlich äußern, die Vernehmung von Zeugen verlangen und sich durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten lassen. Die Disziplinarkommission ist nicht auf die von der Behörde vorgebrachten Fakten angewiesen, sondern kann eine eigene Untersuchung anordnen. Das Verfahren endet m i t einem Entscheidungsvorschlag an die Behörde. Wenn die Behörde i n Abweichung von diesem Vorschlag die Entlassung oder stufenweise Versetzung, Herabstufung i m Dienstgrad oder den zeitweiligen Ausschluß vom A m t verfügt, kann der Betroffene das höchste Mitwirkungsorgan i m öffentlichen Dienst, den Conseil Supérieur de la Fonction Publique anrufen. Dieser empfiehlt nach einer Prüfung des Gesamtkomplexes, ob der Beschwerde des Betroffenen stattzugeben ist bzw. die verhängte Sanktion zu mildern ist. Der Minister kann diesem Vorschlag nachkommen oder es bei der bis^ herigen Entscheidung belassen. Von der Entlassung wegen Verletzung der dienstlichen Pflichten ist die Entlassung wegen beruflicher Unfähigkeit zu unterscheiden. Nach A r t i k e l 52 des Beamtenstatuts kann ein Beamter wegen „insuffisance professionnelle" entlassen werden, wenn er nicht i n einem anderen A m t beschäftigt werden kann und noch kein Pensionsrecht erworben hat. Die berufliche Unfähigkeit basiert auf der mangelnden Eignung, die übertragene Funktion wahrzunehmen, ohne daß die Frage einer Pflichtverletzung auftaucht 234 . Wie i m Falle einer disziplinarischen Kündigung ist die Mitteilung der Personalakte und die M i t w i r k u n g des paritätischen Verwaltungsausschusses erforderlich. Gegen die disziplinarische Kündigung bzw. die Entlassung kann das Verwaltungsgericht m i t der Behauptung angerufen werden, die Behörde habe ihre Befugnisse überschritten (détournement de pouvoir). Das Verwaltungsgericht überprüft die Entscheidung grundsätzlich darauf hin, ob die zuständige Behörde gehandelt hat, ob Formvorschriften eingehalten worden sind und ob die Behörde i m Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt hat 2 3 5 . Die Entlassung w i r d annulliert, wenn die vorgetragenen Fakten sich als unzutreffend erweisen oder wenn die Behörde aus dem Sachverhalt falsche rechtliche Schlüsse zieht, ζ . B. ein Verhalten als Verletzung der obligation de réserve ansieht, das tatsächlich i n den Bereich der dem Beamten vorbehaltenen Meinungsfreiheit fällt. I n gleicher Weise w i r d bei der Entlassung wegen beruflicher Unfähigkeit nachgeprüft, ob das allgemeine Verhalten des Beamten derart ist, daß es seine 234

Silvera I Salon, Nr. 442; CE ν. 31. M a i 1968, Dame Duperré, Ree. 346; CE v. 28. Februar 1962, Leandri, A J D A 1962, I I , 633. 235 Ausführlich dazu Salon, Délinquance et Repression, 262 ff.

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Entlassung rechtfertigt, insbesondere i m Vergleich m i t den Aufgaben, die ein Beamter seiner Stellung erfüllen müßte^ 36 . Dagegen w i r d die Zweckmäßigkeit einer behördlichen Entscheidung ebensowenig nachgeprüft wie die Angemessenheit der verhängten Sanktion 2 3 7 . Eine grundsätzlich stärkere Position des Betroffenen i m Vergleich zu der eines Bewerbers für ein Auswahlverfahren ergibt sich daraus, daß nach A r t i k e l 31 des Beamtenstatuts Disziplinarmaßnahmen begründet sein müssen 288 . Allerdings gilt dieses Erfordernis nicht bei denjenigen Beamtengruppen, für die das Beamtenstatut nicht anwendbar ist, wie ζ . B. Soldaten 239 . Der CE hat darüber hinaus entschieden, daß die Behörde eine andere als die ursprüngliche Begründung nachschieben kann.

VI. Französischer Landesbericht — Zusammenfassung A. Grundlagen

1. I m Statut über den öffentlichen Dienst von 1959 ist keine den deutschen Beamtengesetzen vergleichbare Pflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes (fonction publique) vorgesehen, sich zu den Grundsätzen der Verfassimg zu bekennen und jederzeit für deren Erhaltung einzutreten. Die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst soll prinzipiell keine Minderung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte bewirken. Dies gilt auch für die Zugehörigkeit zu Organisationen m i t verfassungsfeindlicher Zielsetzung, sofern es sich nicht um Organisationen m i t m i l i tanter Zielsetzung handelt, die nach einem Gesetz vom 10.1.1936 durch Dekret des Präsidenten aufgelöst worden sind. Abgeleitet w i r d diese Konzeption aus der Garantie der politischen Meinungsfreiheit und dem Grundsatz des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst i n der französischen Verfassung sowie aus A r t . 13 des Beamtenstatuts, wonach i n die Personalakten des Beamten keine Hinweise auf seine politischen, philosophischen und religiösen Überzeugungen aufgenommen werden dürfen. I n mehreren Entscheidungen hat der CE dargelegt, daß die Mitgliedschaft i n der Kommunistischen Partei kein Grund ist, Bewerber vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Z u beachten ist jedoch, daß es i n der Praxis durch andere rechtliche Instrumente teilweise ermöglicht wird, verfassungsfeindliche Bewerber vom öffentlichen Dienst fernzuhalten bzw. aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. 236

vgl. Silvera I Salon, Nr. 442 (mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Plantey , Traité pratique, Nr. 1648. 238 Plantey, Nr. 1618. 239 c e v. 13. Oktober 1967, Ministère des Armées, Ree. 374; Piquemal, Le fonctionnaire, 263. 237

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2. Eine Sonderregelung gilt für die hohen Staatsfunktionäre. Sie werden i n Abweichung vom Beamtenstatut nach freiem Ermessen der Regierung ernannt und entlassen. Von ihnen w i r d auch erwartet, daß sie die Politik der Regierung mittragen. B. Die Pflichten des Beamten gegenüber Staat und Nation

1. I n Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß der französische Beamte dem Staat und der Nation gegenüber zu einer gewissen Loyalität verpflichtet ist. Die Loyalitätspflicht w i r d jedoch nicht als Erfordernis gesinnungsmäßiger Übereinstimmung m i t der republikanischen Ordnung verstanden, sondern als eine Verpflichtung zur Zurückhaltung i n der Kundbarmachung (manifestation) der politischen Überzeugungen (obligation de réserve). Das Problem, daß ein Beamter, der die Verfassung innerlich ablehnt, keine Gewähr für eine loyale Amtsausübung bietet, w i r d in der Literatur gelegentlich aufgeworfen, aber in der Regel dahin beantwortet, daß eine Loyalität zu vermuten sei, wenn eine Manifestation i m dargelegten Sinne nicht vorliegt. 2. Die aus der obligation de réserve und ihrem Unterfall, der obligation de loyalisme, resultierenden Pflichten differieren je nach A r t der dem Beamten übertragenen Funktionen und dem Ort seiner Tätigkeit. Sie können u. U. außerordentlich weit reichen. So ist ζ . B. von der Rechtsprechung als Verletzung der Loyalitätspflicht die Beschimpfung der Trikolore oder die Nichtteilnahme an den Gedenkfeierlichkeiten zum Waffenstillstand von 1918 angesehen worden. Allgemein kann gesagt werden, daß die Manifestierung einer illoyalen oder antinationalen Gesinnung den Beamten untersagt ist. Dasselbe gilt schlechthin für „unangemessene" politische Betätigung, die i n der K r i t i k an der Regierungspolitik, i n der Verteilung von Flugblättern außerhalb des Dienstes, i n der Nichtdistanzierung von einer Resolution oder politisch motivierter Beleidigung von Vorgesetzten oder Kollegen liegen kann. Je wichtiger das ausgeübte A m t ist und je mehr Hoheitsbefugnisse damit verbunden sind, desto mehr darf die Regierung von einem Amtsinhaber erwarten, daß er sich i n seiner politischen Betätigung zurückhält. C. Die Pflichten bei besonderen Beamtenkategorien

1. Aktive Soldaten A k t i v e Soldaten dürfen weder Gruppierungen oder Vereinigungen politischen Charakters noch gewerkschaftlichen Gruppen angehören. Sie müssen die Genehmigung des Ministers einholen, wenn sie öffentlich

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politische Fragen aufwerfen wollen oder sich über eine ausländische Macht oder internationale Organisationen äußern wollen. Die Einführung von Publikationen aller A r t i n militärische Einrichtungen, die die Moral oder Disziplin der Truppe schädigen könnten, ist verboten. Praktisch resultiert daraus eine weitgehende Kontrolle der politischen Einstellung von Offizieren. Obwohl grundsätzlich auch für Soldaten gilt, daß i n ihren Personalakten keine Vermerke über ihre politische Einstellung vorhanden sein dürfen, kommt eine Untersuchung von 1964 zum Ergebnis, daß nach wie vor Unterlagen über die politische Betätigung gesammelt würden. Darüber hinaus verfügt die Regierung m i t dem Instrument der freien Versetzung über ein Disziplinierungsinstrument. 2. Polizeibeamte Grundsätzlich gelten hier die allgemeinen Grundsätze über die Zurückhaltungspflicht. Ausdrücklich ist festgelegt, daß sich Polizeibeamte jeder öffentlichen Handlung, Geste, Äußerung oder Kundgebung zu enthalten haben, die die öffentliche Ordnung stören könnte. Besondere Einschränkungen gelten für politische und gewerkschaftliche Betätigung i n den Amtsräumen. 3. Richter und Staatsanwälte Der Richterschaft ist jede feindselige Äußerung gegenüber dem Prinzip oder der Regierungsform der Republik verboten ebenso wie jede politische Demonstration, die m i t der auf Grund ihres Amtes gebotenen Zurückhaltungspflicht unvereinbar ist. Beispiele sind der Protest von Richtern gegen die Ablösung eines Kollegen m i t „ungehörigen" Formulierungen oder die Suspendierung einer Staatsanwältin, die ihre „Beunruhigung" über die Auslieferung von Klaus Croissant zum Ausdruck gebracht hatte. 4. Beamte im Auslandsdienst Hier hat die Rechtsprechung i m Hinblick auf die Zurückhaltungspflicht besonders scharfe Anforderungen gestellt, die sich zum Teil aus der französischen Kolonialpolitik ergeben haben.

5. Lehrer und Hochschullehrer Hier existiert keine besondere Regelung. Allgemein w i r d angenommen, daß dem Lehrer die einseitige Propagierung einer Ideologie verboten ist.

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6. Gewerkschaftliche

Betätigung

Angesichts der starken kommunistischen Beherrschung der französischen Gewerkschaften kommt der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit der französischen Beamten große Bedeutung zu. Grundsätzlich gewährt die gewerkschaftliche Tätigkeit dem Funktionär gewisse Privilegien. Dadurch darf aber keine Gefahr einer Störung des Funktionierens des öffentlichen Dienstes verursacht werden. Beispiel ist der A b schluß eines Abkommens m i t dem FDGB, wonach die französischen Postbediensteten aufgerufen werden sollten zu verhindern, daß die Post und Telefondienste für die moralische oder materielle Vorbereitung des Krieges benützt würden. D. Einstellungsanspruch und Einstellungsverfahren

1. Der Zugang zum öffentlichen Dienst w i r d vom Auswahlprinzip beherrscht. Die eigentliche Schwelle bildet aber die Zulassung zum Auswahlverfahren, über die die Regierung entscheidet. Es besteht kein A n spruch auf Zulassung. Die Regierung hat einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum, i h r ungeeignet erscheinende Bewerber vom öffentlichen Dienst auszuschließen. 2. Vor der Zulassung zum Auswahlverfahren prüft die Behörde, ob der Bewerber geeignet ist und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ernennung erfüllt. Von besonderer Bedeutung ist hier wiederum die obligation de réserve. Die Behörde prüft, ob ein vorausgegangenes Verhalten vorliegt, das, wenn die Kandidaten Beamte gewesen wären, eine Verletzung der Zurückhaltungspflicht begründet hätte. 3. Grundsätzlich braucht die Behörde ihre Ablehnung nicht zu begründen. Dementsprechend sind die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt. Die Ablehnung w i r d aufgehoben, wenn der Kandidat nachweist, daß er wegen seiner politischen Ansichten, ζ . B. wegen seiner Mitgliedschaft i n der KP, nicht zugelassen wurde. Ausnahmsweise hat das Gericht die Möglichkeit, die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung zu verpflichten, wenn objektive Anhaltspunkte gegeben sind, die auf eine Ermessensüberschreitung der Behörde schließen lassen. 4. I m Rahmen der Prüfung der Geeignetheit zieht die Behörde über die Polizeibehörde und andere besondere Informationsbehörden Auskünfte ein. Daneben ist zu vermuten, daß für besondere Beamtenkategorien spezielle Sicherheitsüberprüfungen stattfinden. Sie sind überwiegend geheim.

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E. Praxis D i e U n t e r s u c h u n g e n z u r o b l i g a t i o n de réserve s o w i e d i e dargelegte P r a x i s u n d Rechtsprechung z u r E i n s t e l l u n g lassen e r k e n n e n , daß t e i l weise u n t e r a n d e r e m E t i k e t t eine F e r n h a l t u n g v o n V e r f a s s u n g s f e i n d e n i m öffentlichen D i e n s t s t a t t f i n d e t . Dies m u ß f ü r j e d e B e a m t e n k a t e g o r i e d i f f e r e n z i e r t b e u r t e i l t w e r d e n . A l l e r d i n g s i s t z u beachten, daß M i t g l i e d e r der K P i n n i c h t u n e r h e b l i c h e m U m f a n g i m öffentlichen D i e n s t , insbesondere i n d e r L e h r e r s c h a f t , t ä t i g sind. D a b e i m u ß die i m V e r g l e i c h zu deutschen k o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i e n g r u n d s ä t z l i c h andere S t e l l u n g der K P i m französischen P a r t e i e n w e s e n b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n .

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Radikale im öffentlichen Dienet der Italienischen Republik Von Albert Bleckmann

I . D i e Verfassungslage 1. Die Verfassungstexte a) D i e italienische V e r f a s s u n g v o n 1948 1 h a t , d e m V o r b i l d d e r V e r fassung d e r W e i m a r e r R e p u b l i k folgend, G r u n d f r e i h e i t e n u n d soziale Rechte i n ü b e r r e i c h e m M a ß v e r a n k e r t . F ü r unser T h e m a v o n besonderer B e d e u t u n g s i n d d a b e i d i e Rechte a u f M e i n u n g s f r e i h e i t , a u f V e r e i n i g u n g s f r e i h e i t , a u f G e w e r k s c h a f t s f r e i h e i t , a u f S t r e i k f r e i h e i t u n d das Recht a u f gleichen Z u g a n g z u m öffentlichen D i e n s t . D a b e i f ä l l t auf, daß e i n i g e dieser G r u n d r e c h t e d i e D i s k r i m i n i e r u n g g l e i c h aus w e l c h e n p o l i tischen G r ü n d e n v e r b i e t e n . Diese G r u n d r e c h t e l a u t e n : „ A r t . 3 (1). A l l e Staatsbürger genießen dieselbe soziale Achtung u n d sind vor dem Gesetze gleich, ohne Unterscheidung nach Ansichten sowie persönlichen u n d sozialen Verhältnissen." „ A r t . 16 (1). Jeder Staatsbürger k a n n sich vorbehaltlich der durch Gesetz aus Gründen der öffentlichen Gesundheit oder Sicherheit generell festgesetzten Beschränkungen i n jedem T e i l des Staatsgebiets frei bewegen u n d aufhalten. Keinerlei Beschränkung darf aus politischen Gründen verfügt w e r den." „ A r t . 17 (1). Die Staatsbürger haben das Recht, sich friedlich u n d ohne Waffen zu versammeln. (2). F ü r Versammlungen, auch an der Öffentlichkeit zugänglichen Orten, ist keine vorherige Benachrichtigung erforderlich. (3). V o n Versammlungen an öffentlichen Orten müssen die Behörden vorhergehend benachrichtigt werden." „ A r t . 18 (1). Die Staatsbürger haben das Recht, sich zu Zwecken, die den einzelnen strafrechtlich nicht verboten sind, frei u n d ohne besondere Ermächtigung zusammenzuschließen. (2). Verboten sind Geheimverbände u n d Vereinigungen, die, auch indirekt, politische Zwecke mittels quasi-müitärischer Organisationen verfolgen." 1 Die i m folgenden zitierte deutsche Fassung der italienischen Verfassungsbestimmungen ü b e r n i m m t die Übersetzung bei P. C. Mayer-Tasch, Die V e r fassungen Europas, 1966, S. 248 ff. F ü r die italienische Fassung vgl. L . Elia / G. Guarino, Codice costituzionale della Repubblica Italiana, vol. primo, S. 3 ff.

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„ A r t . 21 (1). Jedermann hat das Recht, die eigene Meinung i n W o r t u n d Schrift u n d jeder sonstigen Weise frei zu äußern u n d zu verbreiten. A r t 22. Niemand k a n n aus politischen Gründen seiner Rechtsfähigkeit, seiner Staatsangehörigkeit u n d seines Namens beraubt werden." „ A r t . 24 (1). E i n jeder k a n n zum Schutze seiner eigenen Rechte u n d seiner rechtmäßigen Interessen das Gericht i n Anspruch nehmen." „ A r t . 39 (1). Die Rüdung von Gewerkschaften ist frei. (2). Den Gewerkschaften darf keine andere Verpflichtung auferlegt werden als die Eintragung bei den örtlichen oder zentralen Behörden nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. (3). Bedingung f ü r die Eintragimg ist, daß die Gewerkschaftsstatuten eine innere Ordnung auf demokratischer Grundlage gewährleisten. (4). Die eingetragenen Gewerkschaften sind juristische Personen. A u f G r u n d einer einheitlichen ihrer Mitgliederzahl entsprechenden Vertretung können sie kollektive Arbeitsverträge schließen m i t allgemeinverbindlicher W i r k u n g f ü r diejenigen, die den Arbeitskategorien angehören, auf die sich der Vertrag bezieht." „ A r t . 40. Das Streikrecht w i r d ausgeübt i m Rahmen der Gesetze, die es regeln."

b) Der öffentliche Dienst ist i n der italienischen Verfassung nur i n wenigen Grundzügen geregelt. Es fehlt insbesondere eine umfassende Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Beachtlich ist aber der Versuch, die Unparteilichkeit der Verwaltung zu sichern. Daneben findet sich eine Klausel, die den Italienern gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst gewährleistet. „ A r t . 51 (1). A l l e Staatsbürger beiderlei Geschlechts haben unter den gleichen Bedingungen nach Maßgabe der gesetzlich festgelegten Erfordernisse Zugang zu den öffentlichen Ä m t e r n u n d Wahlämtern." „ A r t . 97 (1). Die Organisation der Behörden w i r d nach gesetzlichen V o r schriften derart geregelt, daß ein guter Geschäftsgang u n d die Unparteilichk e i t der V e r w a l t u n g gesichert sind. (2). I n der Geschäftsordnimg der Behörden werden die Zuständigkeitsbereiche, die Aufgaben u n d die persönliche V e r a n t w o r t i m g des Beamten festgelegt. (3). Der Zugang zu den Ä m t e r n der öffentlichen V e r w a l t u n g erfolgt, vorbehaltlich der gesetzlich geregelten Fälle, auf dem Wege des Wettbewerbs." „ A r t . 98 (1). Die öffentlichen Beamten stehen ausschließlich i m Dienste der Nation. (2). Soweit sie Parlamentsmitglieder sind, dürfen sie n u r auf G r u n d ihres Dienstalters befördert werden. (3). Das Recht des Beitritts zu politischen Parteien k a n n f ü r Angehörige des Richterstandes, f ü r aktive Berufsmilitärs, f ü r Polizeibeamte u n d -agenten sowie f ü r diplomatische u n d konsularische Vertreter i m Ausland gesetzlich eingeschränkt werden."

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c) D i e i t a l i e n i s c h e V e r f a s s u n g h a t , u n s e r e m A r t . 21 G G e n t s p r e d i e n d , d i e p o l i t i s c h e n P a r t e i e n verfassungsrechtlich geschützt. D a b e i k o m m t insbesondere auch d e r G e d a n k e der s t r e i t b a r e n D e m o k r a t i e j e d e n f a l l s i n Ansätzen zum Ausdruck: „ A r t . 49. A l l e Bürger haben das Recht, sich frei zu Parteien zusammenzuschließen, u m i n demokratischer Weise bei der Bestimmung der nationalen P o l i t i k mitzuwirken." „ A r t . 18 (1). Die Staatsbürger haben das Recht, sich zu Zwecken, die den einzelnen strafrechtlich nicht verboten sind, frei u n d ohne besondere E r mächtigung zusammenzuschließen. (2). Verboten sind Geheimverbände u n d Vereinigungen, die, auch indirekt, politische Zwecke mittels quasi-militärischer Organisationen verfolgen." „Übergangs- u n d Schlußbestimmungen, A r t . X I I (1). Die Reorganisation der aufgelösten faschistischen Partei ist i n jeglicher F o r m verboten. (2). I n Abweichung von A r t . 48 werden durch Gesetz f ü r die v e r a n t w o r t lichen Häupter des faschistischen Regimes Beschränkungen des aktiven u n d passiven Wahlrechts f ü r die Dauer von nicht mehr als 5 Jahren nach dem I n k r a f t t r e t e n der Verfassung verfügt. A r t . X I I I (1). Die Mitglieder u n d Nachkommen des Hauses Savoyen haben k e i n Wahlrecht u n d können keine öffentlichen Ä m t e r u n d Wahlämter bekleiden. (2). Den ehemaligen Königen des Hauses Savoyen, ihren Gemahlinnen u n d ihren männlichen Nachkommen sind das Betreten des Staatsgebiets u n d der Aufenthalt i n i h m verboten. (3)

"

d) D i e i t a l i e n i s c h e V e r f a s s u n g v e r a n k e r t schließlich a u c h G r u n d p f l i c h t e n d e r Staatsangehörigen. V o n besonderer B e d e u t u n g f ü r u n s e r T h e m a ist A r t . 54 d e r Verfassung, d e r eine i m deutschen Recht sehr u m s t r i t t e n e a l l g e m e i n e V e r f a s s u n g s t r e u e d e r I t a l i e n e r festlegt: „ A r t . 54 (1). A l l e Bürger haben die Pflicht, der Republik die Treue zu bewahren u n d die Verfassung u n d die Gesetze zu beachten. (2). Die Bürger, denen öffentliche Ä m t e r anvertraut sind, haben die Pflicht, sie pflichtbewußt u n d ehrenhaft auszuüben u n d i n den v o m Gesetz festgelegten Fällen einen E i d abzulegen." 2. Die V e r w i r k l i c h u n g der Verfassungstexte D i e italienische V e r f a s s u n g e n t h ä l t h i n s i c h t l i c h des G e d a n k e n s der streitbaren Demokratie widersprüchliche Ansätze: a) Sie gestattet M e i n u n g b e i der b l i k Deutschland w ä r e d e r A r t . 54, u Verfassungstreue

zunächst e i n m a l eine A u s l e g u n g , d i e d e r herrschenden I n t e r p r e t a t i o n des Grundgesetzes i n d e r B u n d e s r e p u n a h e k o m m t . A u s g a n g s p u n k t e i n e r solchen A u s l e g u n g der alle Italiener auf die R e p u b l i k u n d die Verfassung

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verpflichtet. Diese Bestimmung könnte i n der Tat als Leitidee aufgefaßt werden, welche den Grundrechten, der Parteiengarantie und dem A n spruch auf Zulassung zum öffentlichen Dienst Schranken zieht. Dabei wäre zu beachten, daß die allgemeine Verfassungstreue bei den Beamten durch die auch i m italienischen Verwaltungsrecht stark unterstrichene besondere Treuepflicht der Beamten zum Staat noch verstärkt wird. A r t . 54 würde dann auch die i n A r t . 97 f. verankerte Unparteilichkeit der Verwaltung i n dem Sinne präzisieren, daß die Unparteilichkeit der Verwaltung einer politischen und rechtlichen Ausrichtung an den Grundgedanken der Verfassung nicht entgegensteht. Unter der Leitidee des A r t . 54 der italienischen Verfassung würde auch A r t . 49 i n dem Sinne ausgelegt werden müssen, daß er — durch A r t . X I I der Schlußbestimmungen gegenüber faschistischen Parteien sowieso stets gestattete — Maßnahmen gegen Parteien zuläßt, welche die Republik und die Verfassung umstürzen wollen. Diese Auslegung würde noch verstärkt, wenn man A r t . 49 nicht als für die Parteien eingreifende lex specialis zu der für alle Vereinigungen geltenden Bestimmung des A r t . 18 versteht, sondern A r t . 18, insbesondere die Schranken der Vereinigungsfreiheit, die aus den Strafgesetzen resultieren, auch auf die politischen Parteien anwendet. Dann kann jegliche Partei verboten werden, deren Aktivitäten dem weit gezogenen Strafgesetz zuwiderlaufen. b) Aber auch die umgekehrte Auslegung, welche der italienischen Verfassung jede Deutung als streitbare Demokratie entzieht, bleibt rechtlich möglich. Bei dieser Interpretation muß allerdings dem A r t . 54 jede normative Bedeutung versagt werden. Das ist möglich, w e i l eine auf eine Verfassungsänderung zielende politische Initiative nicht notwendig als Verstoß gegen die Verfassung i m Sinne des A r t . 54 verstanden zu werden braucht und die A r t . 138 und 139 der italienischen Verfassung jede Verfassungsänderung zulassen. N u r die republikanische Staatsform kann danach nicht Gegenstand einer Verfassungsänderung sein. Es kommt hier also darauf an, was man unter der „republikanischen Staatsform" versteht. I m weiteren Sinne umfaßt A r t . 139 die Grundlagen der italienischen Verfassung, i n einem engeren Sinne nur den Ausschluß der Monarchie. Folgt man der zweiten Auffassung, w i r d dem A r t . 54 fast jede normative Bedeutung abgesprochen. Dann müssen aber angesichts des Verbots jeder politischen Diskriminierung etwa i n A r t . 16 und 22 der Verfassung die Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bei der Auslegung der Verfassung das Übergewicht erhalten. Dieses Ubergewicht würde dann auch dazu führen können, die Schranken der Vereinigungen in A r t . 18 nicht auf politische Parteien i m Sinne des A r t . 54 anzuwenden.

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Hinsichtlich des öffentlichen Dienstes würde dann der Grundsatz der streitbaren Demokratie ausscheiden. Auch hier könnten damit die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ein so großes Gewicht erlangen, daß die Treuepflicht der Beamten zur Verfassung i n den Hintergrund tritt. Als einzige Gewährleistung der Verfassung bliebe dann noch die Unabhängigkeit der Verwaltung. Diese kann, wie A r t . 98 (2) festlegt, für bestimmte Dienstzweige das Verbot der Zugehörigkeit zu jeglicher politischer Partei fordern. Diese Regelung w i r d aber nicht unmittelbar i n der Verfassung verankert; sie muß durch ein Gesetz festgelegt werden. Zusammen m i t den Grundfreiheiten und dem Gleichheitssatz und m i t dem Fehlen des Grundsatzes der streitbaren Demokratie könnte sich sogar durch Umkehrschluß aus A r t . 98 ergeben, daß einerseits das Verbot der Zugehörigkeit nur zu einer bestimmten Partei durch die Verfassung ausgeschlossen ist und daß andererseits das Gesetz die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, gleich welcher A r t , nicht i n anderen als i n A r t . 98 vorgesehenen Dienstzweigen ausschließen darf. c) I n der Praxis scheint sich i m italienischen Verfassungsrecht bisher weder das eine noch das andere dieser beiden Modelle der Verf assungsauslegung durchgesetzt zu haben. Hervorzuheben ist, daß weder die Rechtsprechung noch die umfangreiche italienische Verfassungsliteratur die Frage untersucht haben, ob dem italienischen Verfassungsrecht das eine oder andere Modell zugrunde liegt. Die A r t . 54, 48 und 18 sind bisher kaum i n diesem Sinne diskutiert worden. Die Lehre befaßt sich punktuell m i t dem Status der politischen Parteien und den Pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Dabei scheint insgesamt gesehen der i n der Verfassung nur angedeutete Gedanke der streitbaren Demokratie fast ganz zugunsten eines rein liberalen Modells aufgegeben worden zu sein: (1) Die italienische Literatur über die Rechtsstellung der politischen Parteien steckt noch i n ihren Anfängen. So untersucht Alfonso Τ esauro i n der 3. Auflage seines „Manuale d i diritto pubblico" (1973, S. 195) den Begriff und die Funktionen der politischen Parteien noch eher unter soziologischen Aspekten. Er vertritt rechtlich u. a. die Ansicht, es bestehe ein Rechtsanspruch auf Beitritt zu den politischen Parteien. I m übrigen meint er, die Schranken des A r t . 18 der Verfassung fänden auch auf politische Parteien Anwendung. Carlo Cereti (Corsi d i diritto costituzionale italiano, 1953, S 139 ff.) ist ebenfalls der Auffassung, A r t . 18 fände auch auf politische Parteien Anwendung. Salvadore Foderaro (Manuale d i diritto pubblico, 1971, S. 296 ff.) ist insoweit nicht recht klar. Er stellt zwar seine Ausführungen zu den politischen Parteien i n den größeren Rahmen des A r t . 18, meint aber auf S. 297: 11*

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„Das Recht auf Vereinigimg muß v o n dem i n A r t . 49 der Verfassung garantierten Recht über die Vereinigung i n politischen Parteien unterschieden werden, w e i l die Parteien besondere Ziele verfolgen u n d i h r Handeln auf der allgemeinen Ebene eine besondere öffentliche Bedeutung hat. Deshalb können die politischen Parteien auch einem anderen Rechtsregime unterworfen w e r den als die Vereinigungen."

Immerhin kommt hierin nicht ganz klar zum Ausdruck, daß A r t . 49 eine lex specialis zu A r t . 18 für die politischen Parteien ist. Die umfangreichsten und w o h l auch tiefgreifendsten Ausführungen zur Verfassungslage der politischen Parteien finden sich bei Paolo Biscaretti di Ruffia ( D i r i t t o costituzionale, 1965, S. 764 ff.). D i Ruffia ist ebenfalls der

Ansicht, A r t . 18 sei m i t seinen Beschränkungen auf politische Parteien anwendbar. Die Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes 2 hat sich m i t dem Verhältnis des A r t . 49 zu A r t . 18 der italienischen Verfassung noch nicht ausdrücklich befaßt. Die Tendenz scheint aber dahin zu gehen, einerseits zwar A r t . 18 m i t seinen Schranken auf die politischen Parteien anzuwenden 3 , andererseits aber diese Schranken der Vereinigungsfreiheit selbst wieder zu begrenzen. So führte das Verfassungsgericht i n seiner Entscheidung vom 12. J u l i 1967 (n. 114) aus: „ M i t A r t . 18 der Verfassung, welcher die Vereinigungsfreiheit der Bürger garantiert u n d dabei n u r die geheimen Vereinigungen u n d die Vereine v e r bietet, welche — selbst mittelbar — politische Ziele m i t militärischen Organisationen verfolgen, sind die Bestimmungen des A r t . 215 des Gesetzes v o n 1 9 2 6 . . . , die erlassen wurden, u m die Ausübung jeglicher Tätigkeit zu v e r bieten, welche der Präfekt als k o n t r ä r zur »nationalen Staatsordnung' u n d zu den »politischen Organen des Staates 1 ansieht, nicht vereinbar. I n einem freiheitlichen S t a a t . . . w i r d die Freiheit v o n Vereinigungen, auch w e n n sie sich die Änderung der bestehenden politischen Institutionen zum Ziele setzen, w e n n diese Ziele n u r m i t demokratischen M i t t e l n verfolgt werden, durch die V e r f a s s u n g . . . garantiert."

Damit umfaßt die Vereinigungsfreiheit auch Vereine, die sich die Änderung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziele setzen und etwa eine Diktatur des Proletariats errichten wollen, wenn sie nur ihre Ziele m i t demokratischen Mitteln verfolgen. Verboten werden kann also nur die Anwendung von Gewalt. So hat etwa der italienische Verfassungsgerichtshof i n einer Entscheidung vom 17. A p r i l 1969 (n. 84) den kollektiven Boykott durch eine Vereinigung als verfassungsrechtlich unzulässig angesehen.

2 Vgl. den K o m m e n t a r aufgrund der italienischen Rechtsprechung v o n Emilio Naso, L a costituzione italiana nell'interpretazione della Corte costituzionale, Bd. 1, A r t . 18, S. 372 ff. 3 Corte costituzionale, 16. 3.1962, n. 19.

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Nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung steht die Zulässigkeit politischer Parteien nach A r t . 18 der italienischen Verfassung also unter dem Vorbehalt des italienischen Strafrechts. Insoweit haben nun folgende Vorschriften des italienischen Strafgesetzbuches besondere Bedeutung 4 : „ A r t . 270 (Umstürzlerische Vereinigungen). — Wer i m Staatsgebiet V e r einigungen anregt, gründet, organisiert oder leitet, die darauf abzielen, gewaltsam die D i k t a t u r einer sozialen Klasse über die anderen zu errichten oder gewaltsam eine soziale Klasse zu beseitigen oder sonst gewaltsam die i m Staat bestehende wirtschaftliche oder soziale Ordnung zu stürzen, w i r d m i t Gefängnis v o n fünf bis zu zwölf Jahren bestraft. Derselben Strafe unterliegt, w e r i m Staatsgebiet Vereinigungen anregt, gründet, organisiert oder leitet, die die gewaltsame Beseitigung jeder politischen u n d rechtlichen Ordnung der Gesellschaft zum Z i e l haben. Wer sich an solchen Vereinigungen beteiligt, w i r d m i t Gefängnis v o n einem bis zu drei Jahren bestraft. Die Strafen werden f ü r diejenigen erhöht, die nach A n o r d n u n g der A u f lösung solche Vereinigungen erneut gründen, sei es auch unter falschem Namen oder i n verschleierter Form. A r t . 271 (Staatsfeindliche Vereinigungen). — Wer, abgesehen von den i m vorhergehenden A r t i k e l vorgesehenen Fällen, i m Staatsgebiet Vereinigungen anregt, gründet, organisiert oder leitet, die eine Tätigkeit planen oder entfalten, die darauf abzielt, das Nationalgefühl zu zerstören oder zu schwächen, w i r d m i t Gefängnis von einem bis zu drei Jahren bestraft. Wer sich an solchen Vereinigungen beteiligt, w i r d m i t Gefängnis von sechs Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Der letzte Absatz des vorhergehenden A r t i k e l s w i r d angewendet." „ A r t . 272 (Umstürzlerische oder staatsfeindliche Propaganda oder Verherrlichung). — Wer i m Staatsgebiet Propaganda treibt f ü r die gewaltsame E i n f ü h r u n g der D i k t a t u r einer sozialen Klasse über die anderen oder f ü r die gewaltsame Beseitigung einer sozialen Klasse oder sonst f ü r den gewaltsamen Umsturz der i m Staat bestehenden wirtschaftlichen oder sozialen Ordnung, oder w e r Propaganda f ü r die Aufhebung jeder politischen u n d rechtlichen Ordnung der Gesellschaft treibt, w i r d m i t Gefängnis v o n einem bis zu fünf Jahren bestraft. W i r d die Propaganda betrieben, u m das Nationalgefühl zu zerstören oder zu schwächen, so ist die Strafe Gefängnis v o n sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Denselben Strafen unterliegt, w e r die i n den vorhergehenden Bestimmungen umschriebenen Taten verherrlicht." A r t . 273 (Unerlaubte Gründung von Vereinigungen m i t internationalem (Charakter). — Wer ohne Genehmigung der Regierung i m Staatsgebiet V e r einigungen, Verbände oder Einrichtungen m i t internationalem Charakter oder Abteilungen derselben anregt, gründet, organisiert oder leitet, w i r d m i t Gefängnis bis zu sechs Monaten oder m i t Geldstrafe . . . bestraft. 4 M a x - P l a n c k - I n s t i t u t f ü r ausländisches u n d internationales Strafrecht, Freiburg, I l codice penale italiano, Das Italienische Strafgesetzbuch, i n : Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher i n deutscher Übersetzung, 1969.

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Ist die Genehmigung auf G r u n d unwahrer oder unvollständiger Angaben erlangt worden, so ist die S t r a f e . . . " „ A r t . 274 (Unerlaubte Beteiligung an Vereinigungen m i t internationalem Charakter). — Wer sich i m Staatsgebiet an Vereinigungen, Verbänden oder Einrichtungen m i t internationalem Charakter oder an Abteilungen derselben, f ü r die die Genehmigung der Regierung nicht erteilt worden ist, beteiligt, w i r d m i t Geldstrafe . . . bestraft." „ A r t . 283 (Anschlag auf die Verfassung des Staates). — Wer eine T a t begeht, die darauf abzielt, die Verfassung des Staates oder die Regierungsform m i t M i t t e l n zu ändern, die v o n der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates nicht zugelassen sind, w i r d m i t Gefängnis nicht unter zwölf Jahren bestraft." „ A r t . 284 (Bewaffneter Aufstand gegen die Staatsgewalten). — W e r einen bewaffneten Aufstand gegen die Staatsgewalten vorbereitet, w i r d m i t lebenslangem Zuchthaus, u n d w e n n es zu dem Aufstand k o m m t , m i t lebenslangem Zuchthaus bestraft. Diejenigen, die an dem Aufstand teilnehmen, werden m i t Gefängnis von drei bis zu fünfzehn Jahren bestraft, u n d die i h n leiten, m i t lebenslangem Zuchthaus. Der Aufstand g i l t auch dann als bewaffnet, w e n n die Waffen n u r an einem Verwahrungsort bereitgehalten werden." „ A r t . 285 (Verwüstung, Plünderung u n d Blutbad). — Wer zum Zweck eines Anschlags auf die Staatssicherheit eine T a t begeht, die darauf abzielt, i m Staatsgebiet oder i n einem T e i l desselben eine Verwüstung, Plünderung oder ein B l u t b a d anzurichten, w i r d m i t lebenslangem Zuchthaus bestraft." „ A r t . 286 (Bürgerkrieg). — Wer eine T a t begeht, die darauf abzielt, den Bürgerkrieg i m Staatsgebiet ausbrechen zu lassen, w i r d m i t lebenslangem Zuchthaus bestraft." D a diese B e s t i m m u n g e n n i c h t a u f das Z i e l e i n e r p o l i t i s c h e n V e r ä n d e r u n g allein, sondern v o r a l l e m auf die hierbei angewendeten undemokratischen, g e w a l t s a m e n M i t t e l abheben, d ü r f t e n sie m i t d e r o b e n ges c h i l d e r t e n Rechtsprechung des i t a l i e n i s c h e n Verfassungsgerichtshofs ü b e r e i n s t i m m e n . I n der T a t h a t d e r Verfassungsgerichtshof e t w a d e n E i n w a n d d e r V e r f a s s u n g s w i d r i g k e i t des ersten Absatzes des A r t . 272 d u r c h seine E n t s c h e i d u n g v o m 6. J u l i 1966 (n. 87) zurückgewiesen. D a gegen h a t e r d u r c h sein U r t e i l v o m selben T a g e d i e V e r f a s s u n g s w i d r i g k e i t des z w e i t e n Absatzes des A r t . 272 festgestellt. (2) D i e Z u l a s s u n g l i n k e r oder rechter E x t r e m i s t e n z u m ö f f e n t l i c h e n D i e n s t h ä l t sich, w i e w i r später i m e i n z e l n e n zeigen w e r d e n , i n diesem d u r c h das P a r t e i e n r e c h t gezogenen R a h m e n . Politische T ä t i g k e i t e n , d i e eine g r u n d l e g e n d e V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g anstreben, f ü h r e n n u r d a n n z u m Ausschluß aus d e m öffentlichen D i e n s t , w e n n sie gegen d i e S t r a f gesetze verstoßen, d i e sich selbst w i e d e r i m R a h m e n d e r V e r f a s s u n g h a l t e n müssen. D e r G e d a n k e d e r besonderen T r e u e p f l i c h t des B e a m t e n , d e r auch i n d e r i t a l i e n i s c h e n Gesetzgebung, Rechtsprechung u n d L i t e r a -

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tur vertreten wird, hat also nicht dieselben Konsequenzen wie i m deutschen Recht. Ein gewisser Ausgleich w i r d durch den Gedanken der politischen Unparteilichkeit der Verwaltung erzielt. Einerseits bestehen durchaus disziplinarische Möglichkeiten bis zur Entfernung aus dem öffentlichen Dienst, wenn der Beamte innerhalb oder außerhalb des Dienstes Meinungen vertritt oder aber Handlungen begeht, die m i t seiner Treuepflicht nicht vereinbar sind, etwa als Richter oder Beamter versucht, i m „Marsch durch die Institutionen" die Gesetze i m Sinne einer revolutionären Doktrin auszulegen. A u f der anderen Seite hatte schon A r t . 98 (3) der Verfassung die politische Unabhängigkeit gewisser Dienstzweige durch das Verbot des Beitritts zu jeder Partei gesichert. Danach kann das Recht des Beitritts zu politischen Parteien für Angehörige des Richterstandes, für aktive Berufsmilitärs, für Polizeibeamte und -agenten sowie für diplomatische und konsularische Vertreter i m Ausland gesetzlich eingeschränkt werden. I m A r t . 1 des Gesetzesdekrets vom 24. A p r i l 1945 (n. 205, Geesetz vom 17. M a i 1945, n. 205), das hinsichtlich der Parteien auch nach Erlaß der Verfassung weitergilt, heißt es darum: „1. Dem zivilen u n d militärischen Personal der V e r w a l t u n g der öffentlichen Sicherheit w i r d verboten, politischen Parteien oder Gewerkschaften anzugehören, selbst w e n n diese keinen politischen Charakter besitzen."

II. Das Beamtenrecht 1. Begriff und Rechtsnatur des Beamtenverhältnisses

a) Folgt man der Begriffsbestimmung von Guido Zanobini 5, ist der Beamte (funzionario pubblico) eine Person, die eine öffentliche Funktion i m Dienst des Staates oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Dienstes ausübt. Die Unterscheidung zwischen den Beamten und den öffentlichen Angestellten i m deutschen Sinn ist damit dem italienischen Recht fremd. Neben den — alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes i m engeren Sinn — umfassenden Beamten gibt es allerdings noch die „salariati degli enti pubblici", die Arbeiter und Angestellten der staatlichen Industrieunternehmen, die dem Arbeitsrecht und nicht dem Beamtenrecht unterworfen sind. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Beamten i m obigen Sinn, und zwar i n erster Linie auf die Staatsbeamten. Insoweit ist das Beamtendekret von 1923 durch das Gesetz vom 20. Dezember 1954 (n. 1181 — Delega al Governo per la emanazione delle norme relative al nuovo statuto degli impiegati civili e degli a l t r i dipendenti dello Stato) und durch das Dekret vom 10. Ja5 Guido Zanobini , Corso d i d i r i t t o amministrative, vol. terzo, L'organizazione amministrata, 4. A u f l . 1955, S. 243 ff.

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nuar 1957 (n. 3 — testo unico delle disposizioni concernenti lo statuto degli impiegati c i v i l i dello Stato) ersetzt worden. Dieses Beamtenstatut findet auf Beamte der untergeordneten juristischen Personen des öffentlichen Rechts und insbesondere auf Gemeindebeamte weitgehende analoge Anwendung. b) Das Dienstverhältnis (rapporto d'impiego) w i r d nach Zanobini 8 durch folgende Elemente charakterisiert: Es unterliegt zunächst einmal dem öffentlichen Recht. Es ist i n der Begründung und Fortsetzung ein auf freiwilliger Unterwerfung beruhendes Dienstverhältnis. Dieses Dienstverhältnis ist drittens höchst persönlich, w e i l der Staat ein besonderes Vertrauen i n die Person seiner Beamten setzen muß. Es ist viertens ein bilaterales Verhältnis, i n dem sich gegenseitige Rechte und Pflichten zwischen dem Staat und dem Beamten bilden. Umstritten ist, ob das Dienstverhältnis durch Vertrag oder einseitigen Hoheitsakt begründet wird. 2. Voraussetzungen der Zulassung zum öffentlichen Dienst

Das Dekret von 1957 legt eine Reihe von Voraussetzungen des Eintritts i n den öffentlichen Dienst fest 7 , die auch i m weiteren Verlauf des Beamtenverhältnisses vorliegen müssen 8 . a) Die erste Voraussetzung ist die italienische Staatsangehörigkeit und der Genuß der politischen Rechte. Nach dem Wahlgesetz fallen die politischen Rechte insbesondere bei einer Reihe strafrechtlicher Verurteilungen fort. Hierauf braucht nicht näher eingegangen zu werden, weil die strafrechtlichen Verurteilungen auch i m Rahmen der guten Führung (s. u.) zu berücksichtigen sind 9 . b) Ein gewisses Mindest- und Höchstalter, das für die einzelnen Verwaltungen unterschiedlich festgelegt ist 1 0 . «Ebd., S. 262 ff. 7 Capo I I Ammissione agli impieghi: 2. requisiti generali. — Possono accedere agli impieghi c i v i l i dello Stato coloro che posseggono i seguenti requisiti generali: (1) cittadinanza italiana; (2) età non inferiore agli anni 18 e non superior e a i 32. G l i ordinamenti delle singole Amministrazioni possono, tuttavia, r i d u r r e i l l i m i t e superiore. Per le categorie d i candidati a c u i favore leggi speciali prevedono deroghe, i l l i m i t e massimo non può superare, anche i n caso d i cumulo d i benefici, i quaranta a n n i d i età ο i quarantacinque per i m u t i l a t i e g l i i n v a l i d i d i guerra e per coloro ai q u a l i è esteso la stesso beneficio: (3) buoa condotta; (4) idoneità fisica all'impiego; 8 9

G. Zanobini (Anm. 5), S. 272.

Vgl. ebd., S. 273. 10 Vgl. ebd., S. 271.

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c) Der Nachweis der für die verschiedenen Posten geforderten Titel und Studien 11 . d) Physische und psychische Gesundheit 12 . e) I n unserem Zusammenhang besonders wichtig ist der Nachweis der guten bürgerlichen und sittlichen Führung (regolare condotta civile e morale) 13 . Dieser Voraussetzung liegt eine doppelte Zwecksetzung zugrunde, die bei der Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs zu beachten ist: Einmal kann die schlechte Führung der Beamten die Verwaltung i n den Augen der Öffentlichkeit selbst diskriminieren, zum anderen muß die Verwaltung auf die Moral und die Treue ihrer Beamten vertrauen können 14 . Das spräche an sich für die Möglichkeit, politische Extremisten vom öffentlichen Dienst auszuschalten. A u f der anderen Seite ist zu beachten, daß das Urteil der anstellenden Verwaltungsbehörde über die gute Führung des Kandidaten von einer höheren Verwaltungsbehörde oder vom Gericht grundsätzlich nicht nachgeprüft werden kann 1 5 . (1) Das Dekret von 1923 sah ursprünglich die gute „bürgerliche, moralische und politische" Führung vor. Das Dekret von 1957 hat die politische Führung gestrichen und verlangt nur noch die gute moralische und bürgerliche Führung 1 6 . Diese Streichung beruht auf dem Gedanken, daß jede Diskriminierung, welche auf die politische Ideologie des Kandidaten gestützt wird, m i t dem Grundrecht auf freie Vertretung der politischen Meinung unvereinbar wäre 1 7 . Damit stellt das Gesetzesdekret von 1957 den Extremisten aber keinen Freibrief aus. Wie w i r gleich sehen werden, kann nach dem Dekret i n der Auslegung der herrschenden Lehre jede strafrechtliche Verurteilung berücksichtigt werden, auch wenn sie politisches Handeln betrifft. 11

Vgl. ebd., S. 275. Vgl. ebd., S. 275. 13 Z u m folgenden vgl. G. Zanobini (Anm. 5); S. 274; Pietro Virga, I l pubblico impiego, vol. primo, 1973, S. 209; Conte , I l requisito d i buona condotta nei concorsi, i n : Rass. leg. com. 1935, S. 1869; Sforza , Buna condotta e pubblici concorsi, ebd., 1938, S. 1708; Ο. P. Ancora della buona condotta, i n : Riv. amm. 1941, S. 54; Bandinelli, I l requisito della buona condotta per l'ammissione ai pubblici uffici, Nuova Rass. 1947, S. 1089; Grossi , L a problematica della buona condotta nell'ordinamento italiano, Arch. guir. 1959, S. 103; derselbe, Buona condotta, i n : Enc. dir., V, S. 655; Balocchia, L a buona condotta, Mail. 1960; derselbe , I l requisito dell'ottima condotta, Foro amm. 1962, I, S. 255; Paudice, I l requisito della buona condotta e l'ammissione a pubblico impiego, Iustitia, 1969, S. 304. 14 G. Zanobini (Anm. 5), S. 274. 15 Ebd., S. 274. Diese Auffassung beruht allerdings auf dem W o r t l a u t des Dekrets von 1923; sie k a n n möglicherweise nach dem Dekret v o n 1957 nicht mehr gehalten werden. 18 Siehe oben A n m . 13. 17 Virga (Anm. 13), S. 209 u n d die dort zitierte Literatur. 12

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(2) Die gute Führung w i r d durch die Verurteilung wegen strafrechtlicher Delikte ausgeschlossen. Dieses Strafurteil muß i n Rechtskraft erwachsen sein. Allerdings fehlt die gute bürgerliche Führung auch dann, wenn das gerichtliche Urteil den Sachverhalt nicht klären konnte und Zweifel übrig blieben. Auch hebt die Begnadigung oder Amnestie den Makel der strafrechtlichen Verurteilung nicht auf 18 . Fehlt eine strafrechtliche rechtskräftige Verurteilung, kann die Verwaltungsbehörde den Kandidaten vom öffentlichen Dienst aufgrund einer eigenen Subsumtion des politischen Handelns des Bewerbers unter die Strafvorschriften nicht ausschließen. (3) Die gute Führung w i r d schließlich durch ein „skandalöses" privates moralisches Handeln ausgeschlossen19. 3. Die Verfahrensbestimmungen für den Eintritt in den öffentlichen Dienst

Nach A r t . 97 (3) der Verfassung erfolgt der Zugang zum öffentlichen Dienst vorbehaltlich der gesetzlich geregelten Fälle auf dem Wege eines Wettbewerbs 20 . a) Dieser Wettbewerb soll einerseits das gleiche Zugangsrecht der Bürger zu den öffentlichen Ämtern, andererseits i m Interesse des Staates die Ernennung der besten Kandidaten sichern. Daraus folgt, daß ein Gesetz — das immer nur bestimmte Kategorien von Dienstposten, nicht eine Beamtenstelle i m Einzelfall vom Wettbewerb ausschließen kann — den Wettbewerb nur ausschließen kann, wenn übergeordnete öffentliche Interessen diesen Ausschluß verlangen und dadurch die Unparteilichkeit der Verwaltung nicht beeinträchtigt wird 2 1 . Diese Ausnahmen sind relativ selten und betreffen etwa die Ernennung zu leitenden Beamten, zu Botschaftern, zu Angehörigen des Staatsrats und des Rechnungshofes 22 . A u f der anderen Seite legt die Verfassung kein bestimmtes Modell des Wettbewerbs fest, so daß sich i n der Praxis verschiedene Systeme finden 23. b) Virga werbs:

18 19 20 21 22 23 24

24,

unterscheidet zwischen folgenden Modellen des Wettbe-

Ebd., S. 211. Ebd., S. 212. Z u m folgenden vgl. ebd., S. 271 ff.; Virga (Anm. 13), S. 225 ff. Vgl. Virga (Anm. 13), S. 228. Vgl. ebd., S. 231. Vgl. ebd., S. 227 ff. Vgl. ebd., S. 227.

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(1) Auswärtige und interne Wettbewerbe. Bei den auswärtigen Wettbewerben sind die Kandidaten zugelassen, welche die entsprechenden allgemeinen Voraussetzungen erfüllen. Bei den internen Wettbewerben können nur Personen kandidieren, die i m öffentlichen Dienst beschäftigt sind oder die darüber hinaus i m öffentlichen Dienst eine bestimmte Stellung bekleiden. (2) Die Wettbewerbe können sich ferner auf bestimmte Dienstzweige beschränken oder mehrere Dienstzweige umfassen. Sie können auf nationaler oder lokaler Ebene stattfinden. (3) Die Entscheidung kann anhand der erworbenen Diplome oder aufgrund eines besonderen Examens gefällt werden. Sie kann auch eine Mischung beider Systeme verbinden. c) Der Wettbewerb läuft i n gesetzlich bestimmten Verfahrensabschnitten ab: (1) Eröffnet w i r d er durch eine i m Amtsblatt veröffentlichte Ausschreibung. Hierin muß angegeben werden: Die A r t und die Anzahl der zu vergebenden Posten, die einzureichenden Unterlagen, die Frist für die Bewerbung, Ort und Zeit der Examen, das Programm der Examen. Die Ausschreibung muß mindestens zwei Monate vor dem Examen stattfinden. Die Ausschreibung w i r d als ein Verwaltungsakt angesehen, der vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden kann, wenn er rechtswidrige Bedingungen enthält oder sonst fehlerhaft ist 2 5 . (2) Der Bewerber muß innerhalb der festgesetzten Frist seine Bewerbung m i t den erforderlichen Unterlagen einreichen. (3) Nach Ablauf der Bewerbungsfrist prüft die zuständige Verwaltungsbehörde die Bewerbungen und die Unterlagen. Liegen die generellen Erfordernisse des Eintritts i n den öffentlichen Dienst und die speziellen Voraussetzungen für die entsprechende Position vor, w i r d die Verwaltung den Kandidaten zum Wettbewerb zulassen. Dabei handelt es sich u m einen von den anderen Bewerbern anfechtbaren Verwaltungsakt, dessen Rechtswidrigkeit das ganze anschließende Verfahren rechtswidrig macht 2 ·. Die Verwaltung muß durch einen Verwaltungsakt einen Kandidaten vom Konkurs ausschließen, wenn die generellen Voraussetzungen für den Eintritt i n den öffentlichen Dienst oder die speziellen Voraussetzungen für den betreffenden Posten nicht vorliegen oder die Unterlagen lückenhaft sind. Da es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt, muß die Verwaltung ihren A k t begründen. Dies gilt insbesondere hin25 2

Vgl. G. Zanobini (Anm. 5), S. 282. « Vgl. ebd., S. 284.

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sichtlich der Voraussetzung der guten Führung, wenn das Urteil der Verwaltung hierüber auch nur beschränkt gerichtlich nachgeprüft werden kann. Der nicht zugelassene Kandidat kann den Verwaltungsakt der Nichtzulassung anfechten, allerdings nur innerhalb einer relativ kurzen Frist. Das Ergebnis des Wettbewerbs kann er nur anfechten, wenn er zum Wettbewerb zugelassen wurde oder vor dem Ablauf des Examens die Nichtzulassung aufgehoben wurde 2 7 . Selbst wenn der Kandidat aber die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt i n den öffentlichen Dienst und die speziellen Voraussetzungen für den betreffenden Posten erfüllt, konnte die Verwaltung nach dem Dekret von 1953 durch einen zu begründenden Verwaltungsakt aufgrund freien, durch die Verwaltungsgerichte nicht überprüfbaren Ermessens die Zulassung zum Wettbewerb ausschließen28. Hierin ist von der Lehre ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst und auf Gerichtsschutz gesehen worden; die Gerichte sind dieser Ansicht allerdings nicht gefolgt 29 . Trotzdem hat das neue Beamtenstatut diese Möglichkeit gestrichen. Seit 1957 ist also der Bewerber, der die gesetzlichen Anforderungen für den Eintritt i n den öffentlichen Dienst und die speziellen Voraussetzungen des betreffenden Postens erfüllt, durch Verwaltungsakt zum Wettbewerb unter der Kontrolle der Verwaltungsgerichte automatisch zuzulassen. (4) Die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen w i r d durch Verordnungen bestimmt. Sie setzen sich aus Personen zusammen, die der betreffenden Verwaltung nicht angehören. Hier gelten die allgemeinen Vorschriften über die Befangenheit. Beim Verfahren müssen stets alle Mitglieder der Kommission mitwirken. Fehler i n der Zusammensetzung und hinsichtlich der einzelnen Akte der Kommission können allerdings nur i m Rahmen der Anfechtung des Endergebnisses des Wettbewerbs gerügt werden 30 . (5) Fällt die Entscheidung aufgrund der bisherigen Diplome, muß die Prüfungskommission zunächst generell das Verfahren und die Grundsätze der Bewertung festlegen, bevor es die einzelnen Diplome prüft. Eine Verletzung dieser Regel begründet die Anfechtbarkeit des Ergebnisses. A u f diese Weise soll verhindert werden, daß nach Kenntnis der Namen der Kandidaten i m Einzelfall die Entscheidung sich nicht mehr nach sachlichen, sondern nach persönlichen Kriterien richtet 31 . Bei den 27 28 29 30 31

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,

S. 284. S. 284. S. 284. S. 285. S. 286.

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schriftlichen Arbeiten garantieren minuziöse Regeln die Anonymität der Kandidaten. Die Bewertung der einzelnen Arbeiten und die Gesamtnoten werden rein mathematisch errechnet; soziale Plus- oder Minuspunkte, eine i m Ermessen der Kommission liegende, sich auf die Gesamtbeurteilung der Persönlichkeit des Kandidaten stützende Verbesserung oder Verschlechterung des Gesamtergebnisses gibt es nicht. (6) I m Anschluß an die Prüfung setzt die unabhängige Kommission nach den Ergebnissen die Reihenfolge der Kandidaten fest. Die Sieger des Wettbewerbs besitzen einen Anspruch auf eine Ernennung auf den ausgeschriebenen Posten 32 . d) Dieses Verfahren garantiert grundsätzlich, daß die Ernennung zu öffentlichen Ämtern nur aufgrund der Leistungen erfolgt. U m politisch unbeliebte Kandidaten auszuschließen, besitzt die Verwaltung bei der Zulassung nur geringe Möglichkeiten. Um so wichtiger ist die sich an die Ernennung anschließende Probezeit: 4. Die Probezeit der Beamten

Die i m Wettbewerb siegenden Kandidaten werden nämlich zunächst nur auf Probe ernannt. Die Probezeit schwankt in den einzelnen Verwaltungen und Gerichtszweigen, darf aber 6 Monate nicht unterschreiten. Während dieser Probezeit erhält der Beamte noch kein Gehalt, sondern nur ein Stipendium. Er ist auf der anderen Seite allen Beamtenpflichten unterworfen. Während der Probezeit w i r d meist eine intensive Ausbildung vorgenommen. Insoweit ähnelt die Probezeit unserer Referendarzeit. Nach Ablauf der Probezeit kann die Verwaltung die Probezeit verlängern (Regel: Verlängerung u m weitere sechs Monate), eine endgültige Ernennung aussprechen oder den Beamten entlassen. Dabei ist unklar, ob diese Entlassung nur erfolgen darf, wenn der Beamte sich als ungeeignet erwiesen hat — und was in diesem Fall unter der „Eignung" zu verstehen ist — oder ob die Verwaltung bei dieser Entlassung völlig frei ist. Zanobini meint, die Entlassung sei zwar zu begründen, dürfe von den Verwaltungsgerichten aber nicht nachgeprüft werden 33 . Richtiger Ansicht w i r d man aufgrund des Wortlauts des Gesetzes und des Dekrets 34 w o h l annehmen müssen, daß die endgültige 32

Vgl. ebd., S. 287 ff. Vgl. ebd., S. 290. 34 Dekret von 1957, A r t . 19: Periodo d i prova. — I l periodo d i prova ha la durata d i sei mesi. L'impiegato i n prova svolge le mansioni affidategli nei v a r i servizi a i q u a l i viene applicato e frequenta i corsi d i formazione i s t i t u i t i dall'Ammistrazione. 33

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Ernennung nur verweigert, die „Entlassung" nur ausgesprochen werden darf, wenn der Beamte sich als ungeeignet erwiesen hat. Dabei muß wohl auf die generellen und speziellen Voraussetzungen des Eintritts in den öffentlichen Dienst und der Besetzung der betreffenden Stelle abgehoben werden. Auch w i r d man angesichts der Lückenlosigkeit des italienischen Verwaltungsgerichtsschutzes 35 den Verwaltungsgerichten die Nachprüfung dieses Verwaltungsakts nicht entziehen können, wobei aber wahrscheinlich der Verwaltung ein breiter Beurteilungsspielraum wie i m deutschen Recht verbleibt. Für die Berücksichtigimg der politischen Auffassungen und Handlungen des Beamten bleibt dann nur i m Rahmen der Strafgesetze Raum. 5. Der Eid der Beamten

Bei der Ernennung zum Beamten muß der Kandidat folgenden Eid ablegen: „ I c h verspreche, der Republik t r e u zu sein, ihre Verfassung u n d die Gesetze des Staates gesetzesgemäß zu befolgen, meine Amtspflichten i m I n t e r esse der V e r w a l t u n g zum öffentlichen W o h l zu erfüllen." 6. Die Pflichten der Beamten

Die Pflichten der Beamten sind i m Beamtengesetz nicht abschließend geregelt. Sie ergeben sich zum Teil aus dem Beamtengesetz, teils aber auch aus dem Amtseid und dem Disziplinarrecht. Nach Zanobini kann die Gesamtheit dieser Pflichten gesetzlich nicht festgelegt werden, sondern diese sind zum großen Teil i n Sittennormen verankert, welche die gesamte moralische Persönlichkeit des Beamten prägen müssen 36 . I m einzelnen hat der Beamte folgende Pflichten 37 : a) Die Pflicht, dem A m t die ganze Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Compiuto i l periodo d i prova, l'impiegato consegue la nomina i n ruolo con decreto del Ministro, previo giudizio favoravole del Consiglio de amministrazione, fondato anche sulle relazioni dei capi servizi a i q u a l i è stato applicato e sull'esito dei corsi eventualmente frequentati. N e l caso d i giudizio sfavorevole, ü periodo d i prova à prorogato d i a l t r i sei mesi, a l termine dei quali, ove i l guidizio sia ancora sfavorevole, i l Ministro dichiara la risoluzione del rapporto d i impiego con decreto motivato. I n t a l caso spetta all'impiegato una indemnità pari a due mensilità del trattamento relativo al periodo d i prova. 35 36 37

Vittà , D i r i t t o amministrativo. G. Zanobini (Anm. 5), S. 293. Z u m folgenden ebd., S. 293 ff.

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b) Die Pflicht zu einer gewissenhaften Wahrnehmung der Amtsgeschäfte. Diese „diligenza" umfaßt die Gewissenhaftigkeit bei der Erfüllung jeder Pflicht, die dem B i l d einer „guten Verwaltung" entspricht. Jede Verletzung von Rechts- und Verwaltungsverordnungen, von technischen Regeln kann eine solche Pflichtverletzung beinhalten 38 . Diese Pflicht w i r d offensichtlich auch dann verletzt, wenn der Beamte die Rechtsordnung nicht nach anerkannten Methoden, sondern nach seiner politischen Ideologie auslegt. c) Die Treuepflicht (dovere della fedeltà). Diese muß nach Zanobini 39 als der aufrichtige und tiefe Wille definiert werden, stets i m Interesse der Verwaltung zu walten und von ihr jeden Schaden, jede Gefahr abzuwenden. Diese Pflicht folgt nach Zanobini aus den A r t . 54 und 98 der italienischen Verfassung, welche die allgemeine Treuepflicht gegenüber der Republik und der Verfassung festlegen und bestimmen, daß der öffentliche Dienst ausschließlich der Nation dient. Legt man diesen Zweck der Treuepflicht zugrunde, müßte eigentlich auch das politische Verhalten der Staatsbeamten durch die Treuepflicht erfaßt werden, wenn insoweit nicht die Grundrechte auch i m öffentlichen Dienst Vorrang haben. Nach Zanobini 40 umfaßt die Treuepflicht dagegen das Verbot, Gewerkschaften oder politischen Parteien anzugehören, selbst dann nicht, wenn diese den „Direktiven der Regierung oder der Rechtsordnung zuwiderlaufen". Allerdings ist diese Frage i m italienischen Recht noch nicht stark diskutiert worden. Eine vertiefte Untersuchung des Verhältnisses der Treuepflicht des Staatsbürgers, der verstärkten Treuepflicht des Beamten zu den Grundrechten des Beamten kann zu dem Ergebnis gelangen, daß der Beamte sich i m Dienst und außerhalb des Dienstes gegenüber der Republik und den Grundlagen der Verfassung loyal verhalten muß. Aus der Treuepflicht werden von der Literatur 4 1 folgende Einzelpflichten abgeleitet: 38

Ebd., S. 195. Ebd., S. 297. 40 Ebd., S. 299. 41 Ebd., S. 297; Virga, (Anm. 13), S. 319. Vgl. auch Treves, Fondamento giurido del dovere d i fedeltà dei funzionari ed impiegati pubblici, Studi sassaresi 1933, S. 423, Mazzeo, I l dovere de fedeltà dei pubblici dipendenti, i n : Riv. giur. scuola, 1967, S. 51. Die Lehre ist e i n m ü t i g der Auffassimg, daß die Treuepflicht das Recht der politischen Meinungsäußerung u n d Handlungsfreiheit nicht einschränkt. Vgl. Virga (Anm. 13), S. 329; Balocchi, L a libertà d i opinione del funzionario, Studi sen. 1957, S. 478; Bon Valsassina, L a libertà d i opinione del funzionario, Giur. it. 1957, I V , S. 65; D'Eufemia, Sulla libertà d i opinio e politica del funzionario, Probi, pubbl. amm. 1961, n. 2, S. 15; Pizzorusso, A p p u n t i per lo studio della libertà d i opinione dei funzionari, ambito suggitivo del problema, Riv. t r i m . dir. pubbl. 1971, S. 1607. 39

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— Die Pflicht, das Dienstgeheimnis zu wahren, die auch strafrechtlich abgesichert ist. — Die Pflicht, die übertragenen Aufgaben nur i m Interesse der öffentlichen Verwaltung auszuüben. — Das Verbot einer feindseligen Stellung zur Verwaltung: etwa herabsetzende Äußerungen über die Verwaltung und die Vorgesetzten, öffentliche Insubordination oder die öffentliche Aufforderung hierzu. d) Die Pflicht zu einem guten bürgerlichen und moralischen Verhalten (il dovere di bunoa condotta civile e morale) innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes und der Öffentlichkeit. Dabei umfaßt das gute bürgerliche Verhalten die Einhaltung der Verbotsgesetze, insbesondere der Straf- und Polizeigesetze. Der Verstoß gegen bestimmte Strafgesetze, welche das Vaterland und die staatlichen Gewalten schützen, gegen die guten Sitten, gegen das Bestechungsverbot usw. hat die automatische Entfernung des Beamten aus dem öffentlichen Dienst ohne vorheriges Disziplinarverfahren zur Folge 42 . 7. Das Disziplinarverfahren

Die schuldhafte Verletzung der oben aufgezählten Beamtenpflichten zieht i n der Regel ein Disziplinarverfahren nach sich. Dabei sieht das Gesetz den Tadel, die Gehaltskürzung, die Suspendierung vom Dienst (höchstens 6 Monate) und die Dienstentlassung vor. Die Eigenart des italienischen Disziplinarrechts liegt nun darin, daß jede dieser Maßnahmen nur bei Vorliegen bestimmter Pflichtverletzungen gestattet ist. Dabei ist insbesondere die Dienstentlassung an folgende Voraussetzungen gebunden 43 : 42

Vgl. A r t . 85 des Dekrets von 1957. A r t . 84 des Dekrets v o n 1957: Destituzione. — L a destituzione à i n f l i t t a : a) per a t t i i q u a l i rivelino mancanza del senso dell'onore e del senso morale; b) per a t t i che siano i n grave contrasto con i doveri d i fedeltà dell'impiegato; c) per grave abuso d i autorità e d i fidicia; d) per dolosa violazione dei doveri d i ufficio che abbia portato grave pregiudizio allo Stato, ad enti pubblici od a p r i v a t i ; e) per illecito uso ο distrazione d i somme amministrate ο tenute i n disposito, ο per connivente tolleranza d i abusi commessi da impiegati dipendenti: f) per richiesta ο accettazione d i compensi ο benefici i n relazione ad affari t r a t t a t i dall'impiegato per ragioni d'ufficio; g) per gravi a t t i d'insubordinazione commessi pubblicamente ο per accitamento all'insubordinazione; h) per gravi a t t i d'insubordinazione comessi pubblicamente ο per eccidamento all'insubordinazione; i) per istigazione agli a t t i d i c u i alla lettera e dell'art. 81. 43

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a) Akte, welche den Mangel an Ehre und Moral offenbaren; b) Akte, welche die Treuepilicht des Beamten verletzen; c) wesentliche Verletzungen der Dienstpflichten, welche dem Staat oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts schweren Schaden verursacht haben; d) schwerer Mißbrauch der Autorität oder der Treue; e) bestimmte finanzielle Delikte; Das Verfahren braucht hier i m einzelnen nicht dargestellt zu werden, weil es weitgehend dem deutschen Disziplinarrecht entspricht. Insbesondere können die Gerichte die Entscheidungen der Verwaltung i n vollem Umfang kontrollieren. I I I . Abschließende Würdigung Zusammenfassend möchte ich die Lage i n Italien dahin konkretisieren, daß die für unser Thema entscheidenden Rechtsfragen noch weitgehend offen sind. Das gilt nicht nur für das grundlegende Problem, ob die Italienische Republik eine wehrhafte Demokratie darstellt oder nicht, sondern auch für die sich hieraus ableitenden Einzelfragen der Stellung der Extremisten i m öffentlichen Dienstrecht. Der Eintritt i n das Berufsbeamtentum ist zwar durch das Wettbewerbssystem weitgehend i n dem Sinne formalisiert, daß die Bewerber m i t den besten Leistungen ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Einstellung oder Tätigkeit die frei gewordenen Stellen erringen können. Doch gibt es in diesem System eine Reihe von Einbruchstellen, i n derem Rahmen die parteipolitische Einstellung und Tätigkeit der Kandidaten durchaus berücksichtigt werden können. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß die leitenden Posten nach freiem, unkontrollierbarem Ermessen beisetzt werden. Für die Polizeikräfte ist ferner die Zugehörigkeit zu jeder politischen Partei verboten. Selbst bei den dem Wettbewerb unterworfenen Posten gibt es ferner Ausnahmen vom System. Zunächst müssen die Zulassung zum Wettbewerb und die Einstellung verweigert werden, wenn der Kandidat rechtskräftig durch ein Strafgericht verurteilt worden ist. Hier greift das alte Strafgesetzbuch m i t seinen zahlreichen, das demokratische Verfahren i m politischen Kampf schützenden Bestimmungen ein, wenn auch Zielsetzungen, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung umstürzen wollen, durch die Strafgesetze nicht erfaßt sind und nach der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofs auch ansonsten verfassungsrechtlich zulässig sind. Darüber hinaus könnte die auch i m italienischen Verfassungsrecht und Verwal12 Verfassungstreue

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tungsrecht bekannte besondere Treuepflicht des Beamten zum Staat und zur Verfassung, die auch i m Amtseid zum Ausdruck kommt, zum Ausschluß von Bewerbern führen, die nicht „auf dem Boden der italienischen Verfassung stehen". Der rechtspolitisch notwendige Freiraum der Verwaltung bei der Einstellung i n den öffentlichen Dienst w i r d ferner i n einem gewissen Umfang dadurch gewährleistet, daß die siegreichen Kandidaten i m Wettbewerb zunächst nur für eine relativ kurze Probezeit eingestellt werden und die Verwaltung bei der endgültigen Einstellung offensichtlich noch einen relativ weiten und zum Teil unüberprüfbaren Ermessensspielraum besitzt. Auch nach der endgültigen Einstellung des Beamten bietet das Disziplinarrecht bei einer Verletzung der Treuepflicht noch gewisse Möglichkeiten der Entfernung aus dem öffentlichen Dienst. Das ist zumindest bei strafrechtlichen Verurteilungen der Fall. Aber auch i m übrigen läßt sich heute noch die Absicht vertreten, daß eine Verletzung der Treuepflicht auch bei der Zugehörigkeit und bei der Tätigkeit für Parteien angenommen werden kann, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen 44 .

44 Dafür spricht auch der W o r t l a u t des A r t . 13 des Dekrets von 1957: „Comportamento i n servizio. — L'impiegato deve prestare t u t t a la sua opera nel disimpegno delle mansioni che g l i sono affidate curando, i n conformità delle leggi, con düigenze e nel miglior moro, l'interesse dell'Amministrazione per i l pubblico bene. L'impiegato deve conformare la sua condotta al dovere d i servire esclusivamente la Nazione, d i osservare lealmente la Costituzione e le altre leggi e non deve svolgere a t t i v i t à incompatibil con l'anzidetto dovere. . . . " Insbesondere der Abs. 2 ist hier v o n Bedeutung: „Der Beamte muß sein Verhalten nach der Pflicht ausrichten, ausschließlich der Nation zu dienen, gesetzmäßig die Verfassung u n d die anderen Gesetze zu befolgen; er darf keine Tätigkeit ausüben, die m i t dieser Pflicht unvereinbar ist." D a r i n könnte i n der T a t eine Treuebindung an die Verfassung gesehen werden.

Die Abwehr verfaeeungsfeindlicher Kräfte vom öffentlichen Dienet in den Niederlanden V o n Torsten Stein

Inhaltsübersicht I. Übersicht über die bestehenden Vorschriften I I . Die S t r u k t u r des öffentlichen Dienstes i n den Niederlanden I I I . Das Einstellungsverfahren 1. Die Einstellungsbehörden 2. Die Regelungen über den Zugang 3. Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst? I V . Die Einstellung zum Staat u n d seiner Verfassung V. Der Diensteid

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V I . Die Überprüfung des Bewerbers 1. 2. 3. 4.

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Die Vorlebenuntersuchung Die Sicherheitsüberprüfung Die Mitgliedschaft i n anti-demokratischen Organisationen . . Gehen Zweifel zu Lasten des Bewerbers?

V I I . Rechtsschutz

188 188 190 195 197 198

1. Werden Ablehnungen begründet?

198

2. Gerichtliche Überprüfung

198

V I I I . Ausbildungsverhältnisse

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I X . Die Entlassung aus dem Dienstverhältnis X . Die Einstellung der Öffentlichkeit zum Radikalenproblem X I . Zusammenfassende W e r t i m g

200 203 204

Vorbemerkung D i e S p e z i a l l i t e r a t u r z u m P r o b l e m des Z u g a n g s v o n a n t i - d e m o k r a t i schen K r ä f t e n z u m ö f f e n t l i c h e n D i e n s t i s t i n d e n N i e d e r l a n d e n a u ß e r o r d e n t l i c h g e r i n g , w a s e i n H i n w e i s d a r a u f sein mag, daß dieses P r o b l e m e n t w e d e r n i c h t sehr groß ist oder n i c h t als solches e m p f u n d e n w i r d . E n t sprechende G e r i c h t s e n t s c h e i d u n g e n f e h l e n aus noch d a r z u l e g e n d e n G r ü n d e n völlig. Die Niederlande sind darüber hinaus ein L a n d m i t einer 12*

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— auch i m Bereich des öffentlichen Dienstrechts — langen und nicht unterbrochenen Rechtstradition, so daß sowohl die beamtenrechtlichen Normen als auch die Gesamtdarstellungen des Beamtenrechts eine ganze Reihe von Jahren zurückliegen und i n eine Zeit fallen, i n der die i n dieser Untersuchung zu behandelnden Fragen sich nicht oder doch nur sehr begrenzt stellten. Wie immer i n diesen Fällen, paßt sich die Praxis den neuen Problemstellungen an, ohne daß diese Praxis aus den weitgehend unverändert gebliebenen Normen oder der Literatur ohne weiteres abgelesen werden könnte. Der Bearbeiter ist daher sehr dankbar für die Auskünfte, die er i m niederländischen Innenministerium bekommen konnte. Wo immer Angaben tatsächlicher A r t nicht i n einer Anmerkung nachgewiesen werden, beruhen sie auf diesem Gespräch i m Oktober 1978. Der Bericht ist i m wesentlichen i m Dezember 1978 abgeschlossen worden. I. Übersicht über die bestehenden Vorschriften Besondere Vorschriften m i t Bezug auf die Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst sowie die Möglichkeiten der Entlassung von Beamten wegen Zweifeln an ihrer Verfass sungstreue finden sich i n der gemäß A r t . 125 des Beamtengesetzes (Ambtenarenwet 1931) erlassenen Allgemeinen Staatsbeamtenverordnung (Algemeen Rijksambtenarenreglement 1931), die unter anderem die Voraussetzungen für eine Anstellung, die Pflichten der Staatsbeamten und die Entlassungsmöglichkeiten festlegt. Das Beamtengesetz regelt demgegenüber i m wesentlichen nur die Rechtsprechung i n Beamtensachen. Die Vorschriften der Staatsbeamtenverordnung gelten für die Reichsbeamten. Provinzen, Gemeinden, Wasserwirtschaftsverbände, Deich- und Moorgenossenschaften werden i n A r t . 125 Abs. 2 Beamtengesetz ermächtigt, eigene Regelungen i m Verordnungswege zu treffen. Die Ausführung dieser Ermächtigung unterliegt der Aufsicht durch die Krone (Art. 126 Beamtengesetz). Da die entsprechenden Verordnungen dieser Verwaltungskörperschaften auf der einen Seite sachlich weitgehend m i t den Regelungen für die Reichsbeamten übereinstimmen 1 , auf der anderen Seite aber kaum zugänglich veröffentlicht sind, beschränkt sich diese Untersuchung i m wesentlichen auf die Reichsbeamten. A u f Richter 2 sowie Lehrer jeglicher Kategorie 3 findet die Allgemeine Staatsbeamtenverordnung — zumindest in ihren hier interessierenden 1 Jeukens i n : Kaiser/Mayer/Ule, Recht u n d System des öffentlichen Dienstes i n Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan u n d den Niederlanden (Baden-Baden 1973), S. 288. 2 A r t . 1 Abs. 2 Beamtengesetz; A r t . 2 Abs. 1, f Staatsbeamtenverordnung i. V. m. A r t . 180 Abs. 2 Grundgesetz; Wet op de Rechterlijke Organisatie (Staatsblad 1972, Nr. 463). 3 A r t . 2 Abs. 2 a, Staatsbeamtenverordnung.

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Regelungen — keine Anwendung 4 . Für Polizeibeamte des Reiches5 und der Gemeinden 6 sowie für Militärpersonal 7 gelten zusätzlich besondere Vorschriften. Soweit die allgemeine Staatsbeamtenverordniung anwendbar ist, schreibt sie seit einer entsprechenden Ergänzung aus dem Jahre 1969 i n ihrem A r t . 8 vor der Einstellung für alle Bewerber eine sogenannte „Vorlebenuntersuchung" (antecedentenonderzoek), für Bewerber für „Vertrauensfunktionen" zusätzlich eine Sicherheitsüberprüfung (veiligheidsonderzoek) vor, deren Durchführung i n einer besonderen Verfügung aus dem Jahre 1969 geregelt ist 8 . Inhalt und Ausmaß dieser Untersuchungen werden später i m einzelnen dargestellt. Weiterhin eröffnet die Staatsbeamtenverordnung i n den A r t i k e l n 95 und 97 b die Möglichkeit, einen Beamten nach Ablauf der Probezeit bzw. dann zu entlassen, wenn Anlaß für Zweifel daran besteht, ob er seine Pflichten unter allen Umständen getreulich erfüllen wird 9 . II. Die Struktur des öffentlichen Dienstes in den Niederlanden Das niederländische Recht kennt die Unterscheidung zwischen Beamten und Angestellten m i t bürgerlich-rechtlichem Arbeitsvertrag. A n gestellte finden sich i n allen Dienstzweigen und bei allen Personalkategorien, bilden jedoch die Ausnahme 10 . Die Fälle, i n denen eine Einstellung auf Grund eines zivilrechtlichen Arbeitsvertrages erfolgen kann, sind i n A r t . 4 des „Erlasses über Arbeitsverträge" (arbeidsovereenkomstenbesluit 1931)11 festgelegt: Bewerber unter 21 Jahren, Bedienstete auf Probe, eindeutig zeitlich begrenzte Aufgaben, Vertretung, Ausbildungsverhältnisse, Tätigkeit i n neuartigen Funktionen oder m i t starker Fluktuation, Tätigkeit bis zum Vorliegen aller beamtenrechtlichen Ernennungsvoraussetzungen, Tätigkeit bis zu drei Monaten für diejenigen, deren Vorlebenuntersuchung noch nicht abgeschlossen ist. I n der Regel ist eine Tätigkeit i m öffentlichen Dienst auf Grund zivilrechtlichen 4

A r t . 1 u n d 2 Staatsbeamtenverordnung. Ambtenarenreglement Rijkspolitie 1975 (Staatsblad 1976, Nr. 239). 6 Ambtenarenreglement Gemeentepolitie 1958 (Staatsblad 1957, Nr. 547). 7 Voorschriften betreffende de Rechtstoestand v a n het M i l i t a i r Personeel der Zeemacht en der Landmacht (Staatsblad 1973, Nr. 377—378). 8 Verfügung v o m 14. 10.1969 (Staatscourant 1969, Nr. 209). 9 Z u den Einzelheiten siehe u n t e n V I , 2 u n d 3 sowie I X . 10 Jeukens (Anm. 1), S. 291 f., 308 f.; Donner, Nederlands Bestuursrecht, Bd. 1, 4. A u f l . 1974, S. 166. 11 Staatsblad 1931, Nr. 354 m i t nachfolgenden Änderungen. Der Erlaß ist i n A r t . 134 Beamtengesetz vorgesehen; auch hier haben Provinzen u n d Gemeinden eigene, sachlich k a u m abweichende Vorschriften erlassen. 5

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Arbeitsvertrages auf eine Dauer von zwei Jahren begrenzt. Für eine Einstellung über drei Monate hinaus sieht auch der „Erlaß über Arbeitsverträge" die Durchführung einer Vorlebenuntersuchung (Art. 7) und — für den Fall der Übertragung von Vertrauensfunktionen — eine Sicherheitsüberprüfung vor, die nach den für die Beamten geltenden Bestimmungen vorgenommen werden. Insgesamt ist die Rechtsstellung der Angestellten derjenigen der Beamten nach 1945 mehr und mehr angeglichen worden 1 2 . Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gelangen nur insoweit zur Anwendung, als der „Erlaß über Arbeitsverträge" es ausdrücklich anordnet, was i m wesentlichen nur hinsichtlich der Vorschriften über die Entlassung der Fall ist (Art. 58). Entlassen werden kann ein Arbeitnehmer gemäß A r t . 1639 ρ des Bürgerlichen Gesetzbuches unter anderem dann, wenn er i n erheblichem Maße die Eignung für die i h m übertragene A r beit vermissen läßt oder er gröblich die Pflichten vernachlässigt, die ihm der Arbeitsvertrag auferlegt. Die Pflichten des Angestellten sind i m Erlaß über Arbeitsverträge festgelegt, der Bestandteil des jeweiligen A r beitsvertrages wird 1 8 . Nach A r t . 34 Abs. 2 des Erlasses ist der Angestellte insbesondere verpflichtet, sich jeglicher Betätigung zu enthalten, die die innere Ordnung oder die Sicherheit des Staates gefährden oder schädigen könnte. Wegen der relativ begrenzten Zahl der Fälle, i n denen Angestellte m i t zivilrechtlichem Arbeitsvertrag i m öffentlichen Dienst beschäftigt werden können, der regelmäßigen zeitlichen Beschränkung solcher Tätigkeit und der Tatsache, daß die Einstellungsvoraussetziungen und Dienstpflichten der Angestellten weitgehend denen der Beamten entsprechen, werden die zivilrechtlich Angestellten i n der weiteren Untersuchung nicht gesondert berücksichtigt. Nicht zum öffentlichen Dienst zählen die Bediensteten der niederländischen Eisenbahnen AG, der privatrechtlich organisierten Kommunalund Provinzbetriebe und der Unterrichtseinrichtungen m i t privaten Trägern 14 . Das Arbeitsverhältnis des Personals derartiger Einrichtungen beruht auf privatrechtlichem Arbeitsvertrag. Der Inhalt der Arbeitsverträge der Bediensteten privater Unterrichtsanstalten ist jedoch durch besondere gesetzliche oder Subventionsregelungen vorgegeben und dabei weitgehend an die beamtenrechtlichen Vorschriften für Lehrer an staatlichen Schulen angeglichen 15 . 12 13 14 15

Jeukens (Anm. 1), S. 292. A r t . 11 Abs. 1 des Erlasses über Arbeitsverträge. Jeukens (Anm. 1), S. 282. Jeukens (Anm. 1), S. 283.

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Bei den Beamten w i r d unterschieden zwischen Beamten „ i n festem Dienstverhältnis" (vaste dienst) oder „auf Zeit" (tijdelijke dienst) 16 . Nur Richter, der Generalanwalt beim Obersten Gericht (Höge Raad) und die Mitglieder des Rechnungshofes werden auf Lebenszeit angestellt 17 . Die Fälle, i n denen eine Anstellung auf Zeit erfolgen kann, sind i n A r t . 6 der Staatsbeamtenverordnung aufgezählt. Sie entsprechen i m wesentlichen denen, i n denen der Abschluß eines zivilrechtlichen Arbeitsvertrages möglich ist. Die Anstellung auf Zeit kann auf bestimmte oder unbestimmte Zeit lauten, Unterschiede ergeben sich daraus allenfalls für die Möglichkeit der Entlassung 18 . Der Übernahme eines Beamten i n den „festen Dienst" geht i n aller Regel eine Anstellung auf Probe voraus. Der Beamte ist dann „auf bestimmte Zeit" angestellt. Die Probezeit dauert regelmäßig zwei, maximal drei Jahre (Art. 6 Allgemeine Staatsbeamtenverordnung). Nach A b lauf dieser Probezeit gilt der Beamte als „ehrenvoll entlassen", sofern das Dienstverhältnis nicht i n ein „festes" umgewandelt oder tatsächlich trotz Fristablaufes fortgesetzt wird. I m letzteren Fall w i r d es als „Einstellung auf unbefristete Zeit" betrachtet 19 . Verläuft die Probezeit unbefriedigend, kann der Beamte auch vor ihrem Ende entlassen werden 20 . I I I . Das Einstellungsverfahren 1. Die Einstellungsbehörden

Die Einstellung der Staatsbeamten erfolgt durch oder i m Namen der Krone, zumeist durch den zuständigen Minister bzw. die dazu ermächtigte nachgeordnete Behörde i n Ubereinstimmung m i t dem jeweiligen Stellenplan (formatie) 21 . Stellen werden öffentlich ausgeschrieben, sofern keine Kandidaten i m eigenen Dienst zur Verfügung stehen 22 . Einheitliche Auswahlkriterien gibt es nicht 2 3 , insbesondere ist die Einstellung nicht abhängig von dem Ergebnis eines Auswahlwettbewerbes (vergelijkend onderzoek) 24 . Bestimmte vorbereitende Schritte für eine Ein18

A r t . 5 Staatsbeamtenverordnung. A r t . 180 Abs. 2 u n d 193 Abs. 4 Grundgesetz. 18 Siehe dazu unten I X . 19 Jeukens (Anm. 1), S. 309; Donner (Anm. 10), S. 173. 20 Dazu i m einzelnen u n t e n I X . 21 Donner (Anm. 10), S. 172. 22 U m festzustellen, ob dies der F a l l ist, müssen Vakanzen zunächst dem Innenminister angezeigt werden, der bis zu sechs Kandidaten vorschlagen k a n n (Besluit Coördinatie Rijkspersoneelsangelegenheden v o m 25. 6. 1958). 23 Jeukens (Anm. 1), S. 322. 24 Donner (Anm. 10), S. 172; Jeukens (Anm. 1), S. 322. Ausnahmen bilden die Finanzverwaltung u n d der Auswärtige Dienst. E i n Auswahlwettbewerb 17

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Stellung werden zentral unter der Verantwortung des Innenministeriums durchgeführt: die Stellenausschreibung, die Vorleben- und Sicherheitsüberprüfung, eine psychologische Untersuchung über die Eignung des Bewerbers und die amtsärztliche Untersuchung 25 . Richter 20 , Hochschullehrer 27 und Offiziere^ 8 werden durch die Krone ernannt, Gymnasiallehrer 29 durch das Kultusministerium, Lehrer an Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen sowie das Personal der Vorschulen (Kindergärten) durch die Gemeinden 30 . Bei Richtern und Hochschullehrern gibt es Berufungsvorschläge m i t drei bzw. zwei Namen durch den Präsidialrat bzw. die Kuratoren der Universität. 2. Die Regelungen über den Zugang

a) I n A r t . 5 Abs. 1 der niederländischen Verfassung (Grundgesetz) ist bestimmt: „Jeder Niederländer ist für jedes öffentliche A m t ernennbar" (ieder Nederlander is tot elke landsbediening benoembar). Die Bedeutung dieser Vorschrift w i r d unterschiedlich beiurteilt. Zum Teil w i r d darin i n Gegenüberstellung zu A r t . 5 Abs. 2, der Ausländer grundsätzlich vom öffentlichen Dienst ausschließt, lediglich eine Betonung der Tatsache gesehen, daß die niederländische Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den Zugang zum öffentlichen Dienst ist 5 1 . Manche begreifen sie vor dem Hintergrund historischer Gegebenheiten als Verbot der unterschiedlichen Behandlung nach Stand und Herkunft, andere — insoweit scheint Einigkeit zu bestehen — als Ausschluß der Unterscheidung nach der Religionszugehörigkeit, die neben A r t . 183 der Verfassung, der solches ausdrücklich untersagt, i m Grunde überflüssig sei 32 . Zum Teil w i r d auch gesagt, A r t . 5 Abs. 1 enthalte ganz allgemein ein Diskriminierungsverbot bei der Ernennung von Staatsbeamten 33 , wieder andere sehen w i r d auch durchgeführt, w e n n die Gemeindeverwaltung u n d die Schulaufsichtsbehörde keine Einigkeit über den einzustellenden Lehramtsbewerber erzielen (Art. 36 Abs. 3 Lager-Onderwijswet). Vgl. auch Van der Pot/Donner, Handboek v a n het Nederlands Staatsrecht, 9. Aufl., 1973, S. 341. 25 Jeukens (Anm. 1), S. 322. 26 A r t . 180 Grundgesetz. 27 A r t . 65 Wet op de Wetenschappelijke Onderwijs. 28 A r t . 6 ff. Besluit Rechtstoestand M i l i t a i r Personeel Landmacht. 29 A r t . 32 Abs. 2 u n d 39 Wet op de Voortgezet Onderwijs. 30 A r t . 36 Lager-Onderwijswet u n d A r t . 25 f. Kleuteronderwijswet. 31 Kranenburg, Nederlands Staatsrecht (1958), S. 387. 32 Vgl. Van der Pot/Donner (Anm. 24), S. 474, die aber ζ . B. bei i m übrigen gleicher Qualifikation die Bevorzugung desjenigen Bürgermeisterkandidaten, der der Religionsgemeinschaft der meisten Gemeindebürger angehört, f ü r zulässig halten. Siehe ferner Oud, Het Constitutioneel Recht v a n het K o n i n k r i j k der Nederlanden, Bd. 2 (1970), S. 706 ff.; Stellinga, Grondtrekken v a n het Nederlands Staatsrecht (1953), S. 20 u n d 76. 33 Jeukens (Anm. 1), S.321.

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darin speziell das Verbot des Ausschlusses vom öffentlichen Dienst auf Grund der Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Gruppierungen, jedenfalls sofern es dabei eine gewisse Automatik geben sollte 34 . A u f der anderen Seite w i r d aber auch betont, daß A r t . 5 der Verfassung nicht die Verpflichtung enthalten kann, eine Person i n den öffentlichen Dienst einzustellen, deren erkennbares Ziel es ist, die Demokratie zu untergraben 35 . b) I n A r t . 8 und 9 der Allgemeinen Staatsbeamtenverordnung sind die Voraussetzungen festgelegt, ohne deren Vorliegen eine Anstellung i m öffentlichen Dienst nicht möglich ist: Die „Vorlebenuntersuchung" darf keine Bedenken hinsichtlich der Pflichterfüllung durch den Bewerber i n dem zu besetzenden A m t ergeben, und er muß gesundheitlich — durch amtsärztliche Untersuchung festgestellt — geeignet sein für die i h m zu übertragende Aufgabe. Für Lehrer schreiben die jeweiligen Schulgesetze neben der amtsärztlichen Untersuchung lediglich die Einreichung eines Strafregisterauszuges und eines polizeilichen Führungszeugnisses vor3®. c) Von einer bestimmten — gegebenenfalls nach Laufbahnen verschiedenen — Vorbildung ist der Zugang zum allgemeinen Verwaltungsdienst nicht abhängig. Die Einstellungbehörde setzt i m Einzelfall die für die zu besetzende Stelle erforderlichen Vorkenntnisse fest und beurteilt nach ihrem Ermessen, welche Fähigkeiten einer für den jeweiligen Posten vorauszusetzenden Ausbildung gleichzusetzen sind 37 . Lediglich für Richter ist eine abgeschlossene juristische Ausbildung 3 8 und für Lehrer der Besitz eines Diploms (acte van bekwaamheid) 39 gesetzlich vorgeschrieben. 3. Anspruch auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst?

Ein Anspruch auf Aufnahme i n den öffentlichen Dienst besteht nicht, weder als voller Rechtsanspruch noch als Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Eine dem A r t . 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland oder dem § 7 Beamtenrechtsrahmengesetz entsprechende Bestimmung ist dem niederländischen Recht unbekannt. Da A r t . 5 der niederländischen Verfassung so selbstverständliche Voraussetzungen bzw. Einschränkungen, wie Eignung und Befähigung, nicht erwähnt 4 0 , kann i h m keine über das allgemeine Diskriminierungsverbot 34

Van der Horst, Ambtenaar en Grondrechten (1967), S. 114 u n d 162. Bellekom, Berufsverbot vergelijking: B R D — Nederland i n : Wetenschap en Samenieving 1977, H e f t 9/10, S. 29 ff. (39). 36 z. B. A r t . 129 Lager-Onderwijswet. 37 Jeukens (Anm. 1), S. 321. 38 A r t . 35, 48, 64 u n d 86 Wet op de Rechterlijke Organisatie. 39 A r t . 129 Lager-Onderwijswet. 40 Oud (Anm. 32), S. 706; Kranenburg (Anm. 31), S. 387. 35

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hinausgehende Bedeutung beigemessen werden. „Die Einstellung i n den öffentlichen Dienst unterliegt Beschränkungen, die i n objektiven Eignungsvoraussetzungen und mehr oder weniger objektivierten Eignungskriterien m i t Bezug auf die politische Überzeugung, d. h. die politische A k t i v i t ä t der einzustellenden Person liegen 41 ." Ein solcher Anspruch auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst entsteht auch nicht nach einer bestimmten Ausbildung i n oder außerhalb des öffentlichen Dienstes. Es gibt keine spezifische staatliche Ausbildung für den allgemeinen Verwaltungsdienst, die Vermittlung der i n der allgemeinen inneren Verwaltung erforderlichen Kenntnisse ist der Praxis der jeweiligen Dienststelle überlassen 42 . Erfüllt der Beamte i n der regelmäßig einer dauernden Anstellung vorausgehenden Probezeit nicht die in ihn gesetzten Erwartungen, so kann das Dienstverhältnis vor Ablauf der Probezeit aufgelöst werden (Art. 95 Staatsbeamtenverordnung); m i t Ablauf der Probezeit gilt der Beamte i n jedem Falle als „ehrenvoll entlassen", wenn das Dienstverhältnis nicht fortgesetzt w i r d 4 3 , ohne daß aus dem zufriedenstellenden Verlauf der Probezeit ein Anspruch auf dauernde Einstellung entstünde. Gleiches gilt etwa auch für die Gerichtsreferendare, wenn auch die Entlassung am Ende der Ausbildung praktisch die Ausnahme darstellt 4 4 . Auch die Annahme, die betreffenden Vorschriften, insbesondere A r t . 5 der Verfassung, beinhalteten jedenfalls einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der Prüfung der Eignung eines Bewerbers, hätte kaum praktische Konsequenzen, w e i l jede Möglichkeit fehlt, einen solchen Anspruch zu realisieren. Es gibt keine Vorschriften über die Transparenz des Auswahlverfahrens oder einen Begründungszwang bei Ablehnungen 45 , gerichtlichen Schutz kann ein abgewiesener Bewerber i n keinem Falle i n Anspruch nehmen. I V . Die Einstellung zum Staat und seiner Verfassung Eine dem § 4 Abs. 1 Nr. 2 des deutschen Beamtenrechtsrahmengesetzes bzw. dem § 52 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes entsprechende ausdrückliche Vorschrift, der zufolge ein Beamter sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und für deren Erhaltung er eintreten muß — bzw. ein Bewerber die entsprechende Gewähr für ein solches 41

Bellekom (Anm. 35), S. 43. Jeukens (Anm. 1), S. 328. 43 Jeukens (Anm. 1), S. 309. 44 V o r m i n g en selectie van magistraten, Rechtskundig Weekblad 1976, 2465 (2476). 45 Jeukens (Anm. 1), S. 322; eine Ausnahme, auf die noch einzugehen ist, besteht i m Rahmen der „Sicherheitsüberprüfung". 42

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aktives Eintreten bieten muß —, ist dem niederländischen Beamtenrecht fremd. A r t . 50 Abs. 1 der Allgemeinen Staatsbeamtenverordnung bestimmt als Amtspflicht des Beamten lediglich i n allgemeiner Form: „Der Beamte ist gehalten, die sich aus seinem A m t ergebenden Pflichten sorgfältig und geflissentlich zu erfüllen und sich so zu verhalten, wie es sich für einen guten Beamten geziemt." Von dieser Verhaltensnorm w i r d auch die politische Betätigung des Beamten beherrscht. Sie enthält zumindest die Forderung an den Beamten, sich der bestehenden Rechtsordnung gegenüber loyal zu verhalten, und schränkt seine Möglichkeiten, sich öffentlich m i t ihr auseinanderzusetzen, ein 46 . I n der Literatur w i r d hierzu festgestellt 47 , daß es i n den Niederlanden weniger auf die innere Überzeugung als vielmehr auf die Funktion des Beamten ankomme, Überprüfungen der Verfassungstreue würden demgemäß nicht bei allen Beamten, sondern nur bei solchen m i t „Vertrauensfunktionen" 4 8 vorgenommen, und der Umfang der Prüfung werde unter Sicherheitsgesichtspunkten bestimmt durch die Bedeutung dieser Funktion. Dabei überwiege der „passiv-negative" Aspekt: Der Verzicht auf staatsgefährdende Aktivitäten und die Mitgliedschaft in oder die Unterstützung von Gruppierungen, die Ziele verfolgen, die m i t demokratischen Grundsätzen unvereinbar sind, sei alles, was vom Bewerber gefordert würde 4 9 . Insgesamt erscheint die Frage der Treue zur „Verfassung" i n den Niederlanden schon deshalb eine nicht so bedeutende Rolle zu spielen, weil die Verfassung mehr die Kompetenzen i m Staate verteilt, als fundamentale Grundlagen für das staatliche Handeln zu formulieren, wie ζ. B. das unabänderliche Prinzip der freien demokratischen Grundordnung. Die niederländische Verfassung geht von einer demokratischen Staatsform aus, unterstellt sie, ist aber nicht ihre Basis 50 . Die Frage an den Bewerber: „Wie hältst Du es m i t der Verfassung?", stellt sich daher nicht i n dem gleichen Maße, wie etwa i n der Bundesrepublik. Das schließt nicht aus, vom Bewerber eine positive Einstellung zur demokratischen Staatsform zu verlangen, auch wenn sich diese nicht am Text der Verfassung kristallisiert. Gemessen an den einschlägigen Normen und Stellungnahmen i n der Literatur scheint aber i n den Niederlanden eine ausdrücklich positive Einstellung zum Staat und seiner Verfassung auch nicht unausgesprochen verlangt zu sein, Neutralität und der Verzicht auf seine Bekämpfung zu genügen. Derartige Aussagen müssen jedoch unter dem Vorbehalt gemacht werden, daß die Ablehnung von Bewer46

Jeukens (Anm. 1), S. 285, 312 f.; Donner (Anm. 10), S. 176. Vlasblom, Beperkte benoembaarheid, Tijdschrift voor Openbaar Bestuur 1976, S. 435 ff. 48 Dazu i m einzelnen unten V I , 2. 49 Vlasblom (Anm. 47), S. 437. 50 Bellekom (Anm. 35), S. 38. 47

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bern wegen „Ungeeignetheit" i n aller Regel nicht begründet wird, so daß der Mangel einer positiven Einstellung zum Staat und seiner demokratischen Grundform i n dem einen oder anderen Falle (mit) ausschlaggebend sein könnte, wenn eine solche positive Einstellung als Teil der Eignung für eine bestimmte Funktion angesehen werden muß. V. Der Diensteid Für die Staatsbeamten bestimmt A r t . 51 der Allgemeinen Staatsbeamtenverordnung, daß sie den i m Zusammenhang m i t der Ablehnung eines Eides oder Gelöbnisses bestehenden Vorschriften Genüge t u n müssen. Der Wortlaut des Eides ist geregelt durch königlichen Beschluß Nr. 293 vom 23. Aug. 1920. Der Eid enthält u. a. das Gelöbnis der Treue gegenüber der Königin, der Verfassimg und den übrigen Reichsgesetzen. Entsprechend müssen die Reichs- und Gemeindepolizeibeamten vor A n t r i t t ihres Amtes u. a. einen Treueeid leisten auf die Krone, das Grundgesetz und die Reichsgesetze51, Richter müssen u. a. schwören, der Krone die Treue zu halten und das Grundgesetz zu bewahren und zu befolgen 52 . Soldaten geloben Treue gegenüber der Krone und Gehorsam gegenüber den Gesetzen und müssen sich darüber hinaus verpflichten, sich keiner Gruppierung anzuschließen, deren Ziele und Handlungen unvereinbar sind m i t den Pflichten des Militärs 5 3 . Für Lehrpersonal scheint das Ablegen eines Eides oder Gelöbnisses nicht vorgesehen zu sein. Wesentlich mehr Bedeutung als diesem Teil des Diensteides w i r d aber offenbar dem sogenannten „Säuberungseid" beigemessen, demjenigen Teil der Eidesformel, i n dem der Beamte schwört, seine Anstellung weder unmittelbar noch mittelbar durch Geschenke oder entsprechende Versprechen, an wen es auch sei, erlangt zu haben. V I . Die Überprüfung des Bewerbers 1. Die Vorleben Untersuchung

Wie schon mehrfach angesprochen, erfolgt die Einstellung eines Bewerbers i n den öffentlichen Dienst für eine längere Zeit als drei Monate nur dann, wenn nach der Beurteilung der Anstellungsbehörde eine Vorlebenuntersuchung keine Bedenken ergeben hat 5 4 . Die Durchführung der 51 A r t . 3 Ambtenarenreglement Gemeentepolitie 1958 bzw. A r t . 3 Ambtenarenreglement Rijkspolitie 1975. 52 A r t . 29 Wet op de Rechterlijke Organisatie. 55 Vgl. A r t . 6 f. des Besluit Rechtstoestand M ü i t a i r Personeel der Zeemacht. 54 A r t . 8 Staatsbeamtenverordnung.

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Vorlebenuntersuchung richtet sich seit dem 1. 3.1970 nach einer Verfügung des Innenministers 55 . Bis zu diesem Zeitpunkt war die Uberprüfungspraxis offenbar sehr „undurchsichtig" 56 . Die Untersuchung w i r d durch die Anstellungsbehörde eingeleitet und umfaßt zunächst — i n Verbindung m i t der Beurteilung der Geeignetheit des Bewerbers für die betreffende Funktion — a) die Verifizierung und gegebenenfalls Ergänzung der vom Bewerber erfragten Angaben und b) das Einholen eines Strafregisterauszuges (justitiele antecedenten) und eines Leumunds- bzw. polizeilichen Führungszeugnisses 57 . Die „vom Bewerber erfragten Angaben" betreffen — soweit sie i n dem Bewerbungsformular des Innenministeriums festgelegt sind — i m wesentlichen allgemeine Angaben zur Person, die genossene Ausbildung und frühere berufliche Tätigkeiten, die Ableistung des Wehrdienstes u n d die Krankenversicherung. Fragen zur Mitgliedschaft i n politischen Parteien oder Vereinigungen sind darin ebensowenig enthalten, wie formularmäßige Erklärungen zur Verfassungstreue oder der Einstellung zur staatlichen Grundordnung. Man steht i n den Niederlanden auf dem Standpunkt, daß positive Antworten auf solche Fragen auch kaum geeignet seien, die tatsächliche Haltung des Bewerbers zu belegen. Das „Verifizieren und Ergänzen" der Angaben des Bewerbers umfaßt nach Auskunft der zuständigen Behörden i n der Hauptsache die Überprüfung der behaupteten Zeugnisse und Diplome sowie eventuell Referenzen. Die Verfassungstreue sei nicht Gegenstand dieser Erkundigungen. M i t allen seriösen Bewerbern, bei denen ausweislich der schriftlichen Bewerbungsunterlagen eine gewisse Chance der Einstellung besteht, w i r d ein persönliches Gespräch geführt. Was Gegenstand dieses Gesprächs oder auch der Untersuchung durch den „Reichspsychologischen Dienst" 5 8 ist, läßt sich naturgemäß nicht belegen. 55

Verfügung v o m 14. 10. 1969, Staatscourant Nr. 209. Bellekom (Anm. 35), S. 40. 57 Maßgebend ist hierfür das Gesetz über Führungszeugnisse (Wet op de justitiele documentatie en op verklaringen omtrent het gedraag v o m 15. 8. 1955). 58 I n seiner Schrift über den Inländischen Sicherheitsdienst („De BVD. Samenzweren tegen ambtenaren, Studenten, journalisten, dominées en andere democraten", Uitgeverij V a n Gennep 1978), die die Zeitschrift „ V r i j Nederland" a m 11. 11. 1978 auszugsweise abgedruckt hat, behauptet R. van Meurs u. a., daß bei der Untersuchung durch den Reichspsychologischen Dienst, der sich jeder Bewerber zu unterziehen hat, politisch unzuverlässig erscheinende Bewerber bereits ausgefiltert würden, ohne daß ihnen die w a h r e n Gründe bekannt würden. Den Grad der O b j e k t i v i t ä t dieser Publikation, die sich i n diesem Abschnitt insgesamt sehr kritisch m i t der Einstellungs- u n d Überprüfungspraxis i n den Niederlanden auseinandersetzt, k a n n der Bearbeiter nicht beurteilen. 59

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Torsten Stein 2. Die Sicherheitsüberprüfung

Soll der Bewerber eine sogenannte „Vertrauensfunktion" erhalten, w i r d zusätzlich und nur dann, wenn nicht schon die Vorlebenuntersuchung i m übrigen Bedenken gegenüber einer Einstellung ergeben hat 5 9 , eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt 60 . Von der Einleitung der Sicherheitsüberprüfung w i r d der Bewerber durch Aushändigung eines Fragebogens i n Kenntnis gesetzt. Der Fragebogen umfaßt Angaben über die Adressen der letzten zehn Jahre, die Eltern, die Geschwister, den Ehepartner oder sonstige Personen, m i t denen der Bewerber zusammenwohnt sowie dessen Eltern und Geschwister. Ferner w i r d nachgefragt nach den besuchten Bildungseinrichtungen, nach früheren Arbeitgebern, nach Auslandsreisen, Verwandten i m Ausland und Referenzen. Angaben über die Zugehörigkeit zu Parteien oder Vereinigungen fehlen auch hier. Unter „Vertrauensfunktion" w i r d nach der Definition i n A r t . 3 der Verfügung vom 14.10.1969 eine Funktion verstanden, die die Möglichkeit eröffnet, der Sicherheit oder anderen wichtigen Belangen des Staates zu schaden oder das ordnungsgemäße Funktionieren einer lebenswichtigen („vitaal") Abteilung eines Ministeriums oder einer nachgeordneten Dienststelle, eines Betriebes oder einer Einrichtung zu gefährden. Derartige Vertrauensfunktionen finden sich i n allen Verwaltungszweigen. Jeder Minister legt i m Benehmen m i t dem Innenminister für sein Ressort und die nachgeordneten Dienststellen, Einrichtungen und Betriebe die Vertrauensfunktionen fest. Nach einer für das Haushaltsjahr 1975 aufgestellten Tabelle 01 beträgt der Anteil der Vertrauensfunktionen i n der allgemeinen Reichsverwaltung 30,9% oder 68 415 von 221 255 Stellen. Für die einzelnen Ministerien lauten die Zahlen: Staatskanzlei (Algemeene Zaken) Auswärtiges A m t Verteidigung Justiz Inneres (ohne Verfassungsschutz) Unterricht u n d Wissenschaften Finanzen 59

62 °/o 100 % 100 °/o 7,2 °/o 27,6 °/o 0,3 °/o 2,5 °/o

Vlasblom (Anm. 47), S. 437; Bellekom (Anm. 35), S. 41 f. Die gleiche Sicherheitsüberprüfung w i r d dann vorgenommen, w e n n einem schon eingestellten Beamten oder Angestellten erstmals eine oder eine andere Vertrauensfunktion übertragen werden soll (Art. 71 a Staatsbeamtenverordnung u n d A r t . 4 6 b Arbeitsvertragsbeschluß i . V . m i t der Verfügung des Innenministers v o m 10. 5. 1976, Staatscourant Nr. 167). 61 Handelingen Tweede Kamer, Z i t t i n g 1974—1975, S. 5550. 80

Niederlande Wohnungswesen u n d Raumordnung Verkehr u n d Wasserbau (ohne Post) Post Wirtschaft Landwirtschaft u n d Fischerei Soziales Kultur Gesundheit u n d Umweltschutz

191 32.3 % 12,8 °/o 39.4 °/o 9,9 °/o 1,2 °/o 2,6 °/o 3 °/o 6,1 °/o

Die Einordnung einer Stelle unter „Vertrauensfunktionen" steht w o h l überwiegend i m Zusammenhang m i t dem Zugang zu Verschlußsachen. I n der Praxis w i r d unterschieden nach a)-, b)- und c-Vertrauensfunktionen m i t der entsprechenden Möglichkeit der Kenntnisnahme von streng geheimen, geheimen bzw. vertraulichen oder nur für den Dienstgebrauch bestimmten Vorgängen® 2. Nach Angaben des Innenministers i m Parlament bestehen bei den Gemeinden (ohne Gemeindepolizei) keine, bei den Provinzverwaltungen etwa 70 „Vertrauensfunktionen" 6 3 . I n der entsprechenden Debatte ist mehrfach kritisiert worden, daß der Prozentsatz der Vertrauensfunktionen, insbesondere i m Bereich der Post und des Wohnungswesens, zu groß sei 64 . A m 31. 8. 1976 ist eine Kommission zur Neubewertung der Vertrauensfunktionen eingesetzt worden, deren abschließender Bericht noch aussteht. Die bisher bei den Ministerien m i t Ausnahme der Ressorts Auswärtiges, Verteidigung, Finanzen und Post durchgeführten Untersuchungen dieser Kommission haben zu einer Reduzierung der dort ausgewiesenen Vertrauensfunktionen um mehr als die Hälfte von 8063 auf 3370 geführt. Bei den Ministerien des Auswärtigen und der Verteidigung, bei denen bislang sämtliche Stellen als Vertrauensfunktion angesehen werden, soll versucht werden, künft i g jeweils 15 °/o der Positionen aus dieser Kategorie auszunehmen. Die Kommission hat u. a. festgestellt, daß die zum Teil als unnötig empfundene hohe Zahl der Vertrauensfunktionen m i t der Praxis der Einstufung von Vorgängen und A k t e n als Verschlußsachen zusammenhängt. Auch zur Überprüfung dieser Praxis soll eine besondere Kommission eingesetzt werden 65 . Ein Antrag, die Uberprüfung vor Einstellung insgesamt zu ersetzen durch die Möglichkeit der späteren Entlassung bei deutlichen Zweifeln Bellekom (Anm. 35), S. 43. « 3 Handelingen Tweede Kamer, Z i t t i n g 1974—1975, S. 5435. 64 So a u d i der Ausschuß f ü r die Sicherheits- u n d Nachrichtendienste, Tweede Kamer, Z i t t i n g 1974—1975, Bijlage 13 405, Nr. 1. 65 Siehe zum Vorstehenden den Bericht der Ständigen Kommission f ü r die Nachrichten- u n d Sicherheitsdienste v o m 30. 11. 1979, Tweede Kamer, Z i t t i n g 1979—1980, Bijlage 15 936, Nr. 1 i n Ziff. 4, S. 3—5.

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an der Zuverlässigkeit des Beamten hat i m Jahre 1975 keine Mehrheit i m Parlament gefunden 6®. Richterliche und Lehrtätigkeit gelten offenbar nicht als Vertrauensfunktion. Sicherheitsüberprüfungen i m formalen Sinn finden hier nicht statt. Die Sicherheitsüberprüfung w i r d i n jedem Falle der Besetzung einer Vertrauensfunktion durchgeführt und nicht nur dann, wenn dazu besonderer Anlaß besteht. Sie ist darauf gerichtet festzustellen, ob es Fakten oder Umstände gibt, die bei der Anstellungsbehörde Zweifel daran entstehen lassen können, ob es eine ausreichende Garantie dafür gibt, daß der Bewerber i n der Vertrauensfunktion seine Dienstpflichten als Beamter unter allen Umständen getreulich erfüllen w i r d (Art. 4 der Verfügung vom 14.10.1969). Dabei werden, sofern dies für die Beurteilung der Geeignetheit des Bewerbers für die betreffende Funktion unter Sicherheitsgesichtspunkten von Belang ist, die folgenden Gegebenheiten berücksichtigt: Teilnahme an oder Unterstützung von staatsgefährdenden Aktivitäten; Mitgliedschaft i n oder Unterstützung von Organisationen, die Ziele verfolgen bzw. zur V e r w i r k lichung ihrer Ziele M i t t e l einsetzen, die unvereinbar sind m i t den Grundsätzen der demokratischen Rechtsordnung 67 ; persönliche Verhaltensweisen und Umstände; Vorstrafen und Leumundszeugnis (Art. 5 der Verfügung). Was i m einzelnen unter „staatsgefährdender A k t i v i t ä t " verstanden wird, ist nicht ausdrücklich definiert. I n diesem Zusammenhang w i r d verwiesen einmal auf die A r t . 92—107 a des Strafgesetzbuches (Straftaten gegen die Staatssicherheit), zum anderen auf die Umschreibung des Aufgabenbereiches der Sicherheitsdienste. Die Straftaten gegen die Staatssicherheit umfassen i m wesentlichen Anschläge gegen die Krone und den Staats- oder Ministerrat, Hochverrat, Spionage, Veröffentlichung geheimer Informationen und ähnliches 68 . Zu den Aufgaben des Inländischen Sicherheitsdienstes (Binnenlandse Veiligheidsdienst) gehört i n erster Linie „das Gewinnen von Erkenntnissen über Organisationen, Gruppierungen und Personen, gegenüber denen — gemessen an ihren Zielsetzungen oder tatsächlichen Aktivitäten — die ernsthafte Vermutung besteht, daß sie eine Gefahr bilden für das Fortbestehen der demokratischen Rechtsordnung des Staates oder daß von A n t r a g des Abg. Van Gorkum (Anm. 63), S. 5427, 5479. Sofern diese M i t t e l Gewaltanwendung bzw. Gesetzesverletzungen beinhalten, w i r d schon der I n h a l t der Strafregisterauskunft die Einstellung verhindern, so daß eine Sicherheitsüberprüfung nicht mehr erforderlich sein w i r d (Vlasblom [Anm. 47], S. 437). 68 Vgl. das Niederländische Strafgesetzbuch, Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher i n deutscher Ubersetzung, Bd. 98 (1977). 97

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ihnen Schäden für die Sicherheit oder andere wichtige Belange des Staates zu erwarten sind" 6 9 . A u f diese Aufgabenstellung w i r d auch dann hingewiesen, wenn es um die Beschreibung derjenigen Vereinigungen geht, deren Ziele oder Aktivitäten „unvereinbar m i t den Grundsätzen der demokratischen Rechtsordnung" sein können. Wesentlich soll sein, ob die Vereinigung gegen eines der Elemente agitiert, die die Demokratie ausmachen, wie ζ . B. das Mehrparteiensystem, freie Wahlen und die Ablösung der Regierung durch die Opposition nach Wahlen. Dabei komme es nicht daraiuf an, ob derartige Zielsetzungen ausdrücklich genannt würden oder sich i n den Statuten der Vereinigung fänden; das Gedankengut der Vereinigung insgesamt werde gewertet. Offizielle Listen solcher Vereinigungen gibt es nach den Angaben des Innenministers vor dem Parlament 7 0 nicht, sie wurden auf Ersuchen des Parlaments i m Jahre 1970 eingezogen 71 . Dies veranlaßte einen Abgeordneten i n derselben Sitzung zu der Frage, wie und vor allem von wem denn dann über den anti-demokratischen Charakter einer Vereinigung geurteilt werde, ob von jedem einzelnen Beamten des Verfassungsschutzes, von dessen Leiter oder von dem Minister 7 2 . Der M i n i ster wies i n seiner A n t w o r t darauf hin, daß das Parlament nun einmal die Aufhebung der Liste von Vereinigungen gewollt habe, bei denen die Mitgliedschaft a priori als unvereinbar m i t dem Beamtenstatus angesehen wurde. Einen Automatismus gebe es i n dieser Frage nicht mehr, es komme vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles und die Beurteilung an, zu der die Anstellungsbehörde (und nicht der Sicherheitsdienst) hinsichtlich des anti-demokratischen Charakters einer Organisation gelange. Der Minister stellte in diesem Zusammenhang auch fest, daß der bloße Bezug von Schriften oder die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen noch nicht als „Unterstützung einer anti-demokratischen Vereinigung" angesehen würden. Nur schwer eindeutig zu umschreiben ist auch der Begriff der „persönlichen Umstände und Verhaltensweisen" in Art. 5 der Verfügung vom 14.10.1969. I m niederländischen Parlament ist wiederholt die Mehrdeutigkeit dieser Bestimmung und ihr subjektiver Charakter hervorgehoben worden. Nach Ansicht der Regierung könnte aber auf diesen Begriff nur sehr schwer verzichtet werden 73 . Hier w i r d von den 89 A r t . I I I , 1 des königlichen Beschlusses über die Aufgaben, Organisation u n d Arbeitsweise der Nachrichten- u n d Sicherheitsdienste v o m 5. 8. 1972, Staatsblad Nr. 437. Der „Inländische Sicherheitsdienst" (Binnenlandse Veiligheidsdienst) entspricht den deutschen Verfassungsschutzämtern. 70 Handelingen Tweede Kamer, Z i t t i n g 1974—1975, S. 5363. 71 Vgl. dazu auch unten V I , 3. 72 Frage des Abg. V a n der L e k (Anm. 70).

13 Verfassungstreue

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Behörden immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich um eine umfassende „Risikodeutung" für die i m Einzelfall zu besetzende Funktion handele. Zu den persönlichen Umständen könnten beispielsweise auch zählen Alkoholismus, hohe Verschuldung, Geschwätzigkeit 74 . Die Sicherheitsüberprüfung w i r d auf Antrag der Einstellungsbehörde vorgenommen durch oder unter Verantwortung des Inländischen Sicherheitsdienstes, gegebenenfalls auch der militärischen Nachrichtendienste der Land- bzw. Seestreitkräfte. Der Umfang der Überprüfung w i r d m i t Rücksicht auf die Bedeutung der zu besetzenden Vertrauensfunktion unter Sicherheitsgesichtspunkten einvernehmlich zwischen der Anstellungsbehörde und den Sicherheitsdiensten festgelegt (Art. 6 der Verfügung). Die Bewertung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung obliegt der Einstellungsbehörde 75 . Hegt sie Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bewerbers m i t der Folge, daß er ihrer Meinung nach nicht geeignet ist für die zu besetzende Stelle, so setzt sie den Bewerber davon schriftlich und unter Angabe der von ihr angestellten Erwägungen i n Kenntnis (Art. 7 und 8 der Verfügung). I n der Zeit vom 1. März 1970 bis zum 15. Mai 1975 soll eine solche Mitteilung und damit eine Ablehnung nur i n fünf Fällen erfolgt sein 76 . Hinsichtlich der insgesamt vom Inländischen Sicherheitsdienst durchgeführten Sicherheitsüberprüfungen gehen die Zahlenangaben auseinander. Bellekom geht von jährlich etwa 4000 Uberprüfungen aus 77 ; dem entspricht die Angabe des Innenministers i n einem Brief an das Parlament vom 14. 2. 197578, wo die Fälle m i t 6 bis 7