Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts: Eine Untersuchung am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl [1 ed.] 9783428531264, 9783428131266

Tim Schaper widmet sich - am Beispiel des Europäischen Haftbefehls - der Frage der Verfassungsmäßigkeit der justiziellen

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Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts: Eine Untersuchung am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl [1 ed.]
 9783428531264, 9783428131266

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Schriften zum Europäischen Recht Band 144

Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts Eine Untersuchung am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl

Von Tim Schaper

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TIM SCHAPER

Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 144

Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts Eine Untersuchung am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl

Von Tim Schaper

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-13126-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Sie berücksichtigt Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung bis April 2008. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christian Starck, der die Arbeit zu jeder Zeit wissenschaftlich gefördert und meinen Lebensweg als Jurist maßgeblich beeinflusst und geformt hat. Herrn Prof. Dr. Christoph Möllers, L.L.M., danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonderer Dank gilt meiner Frau Yvonne Schaper. Ihr steter Ansporn, Ihre uneingeschränkte Geduld und Ihre Hilfe bei der Korrektur des Textes trugen maßgeblich zur Fertigstellung der Arbeit bei. Abschließend bedanke ich mich von Herzen bei meinen Eltern, Renate und Wolfgang Schaper, für ihre unendliche Unterstützung – nicht nur während dieser Promotion. Ihnen sowie Erika und Gerhard Winkler widme ich diese Arbeit. Düsseldorf, im September 2009

Tim Schaper

Inhaltsverzeichnis Einführung

19

A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Kapitel 1 Historische Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union

27

A. Anfänge der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) als Beginn der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

C. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

D. Der Vertrag von Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

E. Die Zeit zwischen Maastricht und Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

F. Der Vertrag von Amsterdam und die Vertragsrevision von Nizza . . . . . . . . . . . . I. Neuerungen rund um den Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuerungen durch den Vertrag von Nizza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34

G. Intensivierung der Zusammenarbeit durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

H. Anstrengungen für eine Neuordnung der primärrechtlichen Grundlagen nach der gescheiterten Annahme des Vertrages über eine Verfassung für Europa . . . I. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vertragsrevision durch den Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 37 38

Kapitel 2 Gegenwärtige primärrechtliche Ausgestaltung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . I. Rolle der Organe im Rechtsetzungsverfahren im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 43

8

Inhaltsverzeichnis II. Handlungsformen der Europäischen Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsame Standpunkte, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. a) EU . . . . . . . . . . . . 2. Rahmenbeschlüsse, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlüsse, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. c) EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übereinkommen, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Vergemeinschaftungstendenzen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen: Zur innerstaatlichen Wirkung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . I. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pupino . . . . 1. Die Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besprechung des Urteils in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung mit dem Verbot der unmittelbaren Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untrennbarkeit der Rechtskategorien „rahmenbeschlusskonforme Auslegung“ und „unmittelbare Wirksamkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verhältnis der Kategorien „Konformauslegung“ und „unmittelbare Wirksamkeit“ im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung durch das Pupino-Urteil auf den Bereich der dritten Säule der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortführung der Pupino-Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Advocaten voor de Wereld VZW . . . . . . . C. Ausblick auf die künftige primärrechtliche Ausgestaltung der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 46 48 48 49 50 50 50 52 53 55 57

58

60 63 64

Kapitel 3 Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung des Europäischen Haftbefehls . . . I. Der völkerrechtlich geprägte Ursprung des europäischen Auslieferungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuausrichtung des europäischen Auslieferungsrechts durch die Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl . . . . . . . III. Das Anerkennungsprinzip als Grundlage der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . 1. Gemeinschaftsrechtliches Binnenmarktrecht als Ursprungsort des Anerkennungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 68 70 72 73

Inhaltsverzeichnis 2. Verwaltungskooperation auf der Grundlage des transnationalen Verwaltungsaktes als Anwendungsfall des Anerkennungsprinzips . . . . . . . . B. Mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundene Änderungen des Auslieferungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahrensrechtliche Änderungen durch die Einführung des Anerkennungsprinzips: Abschaffung des Bewilligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materiellrechtliche Änderungen durch die Einführung des Anerkennungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Partielle Abkehr von der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . 2. Abschaffung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglichkeit des generellen Verzichts auf den Spezialitätsschutz . . . . . . 4. Einschränkung der Ablehnungs- bzw. Vorbehaltsgründe für eine Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung der generellen Vorbehaltsmöglichkeit für die Auslieferung eigener Staatsangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Vollstreckungsverweigerung auf der Grundlage eines nationalen ordre public-Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Einschränkungen bzw. Aufhebungen von Gründen für eine Vollstreckungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erweiterung des Verbots der Doppelbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der Übertragung des Anerkennungsprinzips auf den Bereich des Auslieferungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das erste Europäische Haftbefehlsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verabschiedung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der Neufassung vor dem Hintergrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 74 77 77 79 79 82 83 85 85 87 87 89 91 93 93 93 95 97 99

Kapitel 4 Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl

102

A. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundlagen im Grundgesetz für die Übertragung von Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Der Auftrag der offenen Staatlichkeit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Art. 23 GG und Art. 24 GG als Ermächtigungsgrundlagen für die Übertragung von Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

10

Inhaltsverzeichnis

B. Merkmale der Übertragung von Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Durchgriffswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltungsgrund für die Durchgriffswirkung im innerstaatlichen Recht . . . . 1. Innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl als Geltungsgrund . . . . . . . . . 2. Völkerrechtlicher Vertrag als Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 106 107 107 108 109

C. Formen von Hoheitsrechtsübertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Vertikale Hoheitsrechtsübertragung auf zwischenstaatliche Einrichtungen 110 II. Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen auf andere Staaten . . . . . . . . . . . . 112 D. Übertragung der Grundsätze auf den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hoheitsrechtsübertragung in vertikaler Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertikale Durchgriffswirkung aufgrund faktischer unmittelbarer Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende nationale Zustimmung zum Vorliegen einer vertikalen Durchgriffswirkung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Rechtsanwendungsbefehl zu einer vertikalen Durchgriffswirkung durch das nationale Europäische Haftbefehlsgesetz . . . . . . . . . b) Kein antizipierter Rechtsanwendungsbefehl durch das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hoheitsrechtsübertragung in horizontaler Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Horizontale Durchgriffswirkung in Form des transnationalen Hoheitsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl in Gestalt des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 114 114

115 115 117 120 121 122

Kapitel 5 Grundgesetzliche Grundlagen, Anforderungen und Schranken für horizontale Hoheitsrechtsübertragungen

124

A. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG als Ermächtigungsgrundlage für horizontale Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Die Diskussion über die Möglichkeit horizontaler Hoheitsrechtsübertragungen auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Horizontale Hoheitsrechtsübertragung vor dem Hintergrund des Normzwecks von Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Die Elemente der Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG 130 1. Pflicht zur Wahrung demokratischer Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis

11

Pflicht zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Wahrung sozialer Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Wahrung föderativer Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Gewährleistung eines dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 135 135 136

2. 3. 4. 5. 6.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die von der „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der bundesstaatlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gliederung des Bundes in Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung . . . . . 2. Schutz vor Verlust der Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz der elementaren in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Menschenwürdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Republik- und Demokratiegebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gebot der Sozialstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zentrale Gebote der Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassender Überblick über die nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbaren Verfassungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 142 144 145 148 148 149 150 151 154 154 158 161 162 165 166

D. Verhältnis der Struktursicherungsklausel zur Verfassungsbestandsklausel . . . . . 170

Kapitel 6 Verfassungsverstöße durch die Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl

173

A. Generelle Anwendbarkeit der Verfassungsbestandsklausel auf die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundene Hoheitsrechtsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 B. Zu den einzelnen in Betracht kommenden Verfassungsverstößen . . . . . . . . . . 175 I. Verstoß gegen das Demokratiegebot und den damit verbundenen Grundsatz der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Unzulänglichkeit gubernativer Rechtsetzung bei der Einführung des Anerkennungsprinzips im strafrechtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

12

Inhaltsverzeichnis

II. III. IV. V.

VI.

2. Keine Nachholbarkeit mangelnder demokratischer Legitimation durch den nationalen Umsetzungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschränkter parlamentarischer Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Möglichkeit zur Umsetzungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen das Erfordernis maximaler demokratischer Legitimation von Rechtsetzungsakten im strafrechtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen den Menschenwürdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen Volkes und das Verbot der Entstaatlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung der mitgliedstaatlichen Identität durch die Anmaßung einer europäischen Strafrechtskompetenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigung der mitgliedstaatlichen Identität durch die Art der Kompetenzausübung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährleistung eines im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zur Gewährleistung eines generell vergleichbaren Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflicht zur Gewährleistung eines effektiven Individualrechtsschutzes . .

181 182 187 188 191 193 197 203 206 208 214 215 219

C. Folge der festgestellten Verfassungsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Kapitel 7 Konsequenzen für den Umgang mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl

225

A. Vorlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl beim Europäischen Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestandsaufnahme zur Diskussion in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung einer Prüfungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Annahme einer vollumfänglichen Prüfungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . 3. Annahme einer eingeschränkten Prüfungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätzliche Haltung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte durch nationale Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der europarechtliche Ansatz des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . 2. Der verfassungsrechtliche Ansatz des Bundesverfassungsgerichts . . . . . a) Entwicklung der Rechtsprechung bis zum Maastricht-Urteil . . . . . .

227 227 227 228 229

230 230 231 231

Inhaltsverzeichnis b) Eckpfeiler seit dem Maastricht-Urteil: Kooperationsverhältnis und Souveränitätsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überprüfbarkeit von Richtlinien als umsetzungsbedürftige Gemeinschaftsrechtsakte durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollumfängliche Überprüfbarkeit des nicht determinierten Bereichs des Umsetzungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkte Überprüfbarkeit des determinierten Bereichs . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung der für Richtlinien eingeschlagenen Vorgehensweise auf unionsrechtliche Rahmenbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 233 235 236 236 238

C. Möglichkeiten der Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Kapitel 8 Resümee und Ausblick

242

A. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Ausblick: Neuregelung auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon . . . . . . . 247 Thesenartige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AEU a. F. Anm. AöR Art. AStV Ausl. AuslÜbk-EU Bd. Bearb. Begr. ber. Beschl. BG BGBl. BGHSt BK BR-Drucks. BT-Drucks. BT-Plenarprotokoll BullEG BVerfG BVerfGE bzw. ca. CCP ders. d.h. Diss. Dok. DÖV DRiZ DVBl.

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Delegation des Rates der Europäischen Union Auslieferung Auslieferungsübereinkommen der EU Band Bearbeiter Begründer berichtigt Beschluss Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Strafsachen Bonner Kommentar Drucksache Bundesrat/Drucksache Bundesregierung Drucksache Bundestag Plenarprotokoll Deutscher Bundestag Bulletin der Europäischen Gemeinschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa Codice di procedure penale derselbe das heißt Dissertation Dokument Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt

Abkürzungsverzeichnis EAG/Euratom EGKS EG-ne bis in idem-Übk EG(V) EMRK

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Europäische Atomgemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten endg. endgültig EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit EuAlÜbk Europäisches Auslieferungsübereinkommen EuG Gericht erster Instanz EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechtezeitschrift EuGVÜ Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuHbG I Gesetz vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Erstes Europäisches Haftbefehlsgesetz) EuHbG II Zweites Europäisches Haftbefehlsgesetz vom 20.07.2006 EU-JZG Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union EuR Europarecht EU-RhÜbk EU-Rechtshilfeübereinkommen Eu-TerrÜbk Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus EU(V) Vertrag über die Europäische Union EUV Vertrag über die Europäische Union EU-VereinfAuslÜbk Übereinkommen der Europäischen Union betreffend die vereinfachte Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten EUV n. F. Vertrag über die Europäische Union neue Fassung EUZBBG Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f. folgend(e) ff. fortfolgend(e) Fn. Fußnote fortgef. fortgeführt Frankfurt a. d. O. Frankfurt an der Oder Frankfurt a. M. Frankfurt am Main Freiburg i. Br. Freiburg im Breisgau FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv/Generalanwalt(-anwältin)

16 GASP GG GS Habil-Schr. HbStR HbVerfR HChE Hrsg. i. d. F. IRG IRSG i.V. m. JA JBl. Jura JuS JZ KJ KOM lit. LMBG Marburg a. d. L. m.w. N. NJW Nr. NStZ NVwZ ÖJZ OLG PE PJZS RB-EUHb

Rdnr(n). Rs. S. scil. SDÜ Slg.

Abkürzungsverzeichnis Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Grundgesetz Gedächtnisschrift Habilitationsschrift Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Entwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee Herausgeber in der Fassung Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Schweiz) in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung Kritische Justiz Kommission litera Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen Marburg an der Lahn mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Österreichische Juristenzeitschrift Oberlandesgericht Entschließung des Europäischen Parlaments Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Rahmenbeschluss 2002/584/JI vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten Randnummer(n) Rechtssache Seite/Satz scilicet Schengener Durchführungsübereinkommen Sammlung

Abkürzungsverzeichnis Spstr. StGB StraFo StV TabKTHmV TREVI u. a. Uabs. ÜberstÜbk Übk Univ. Urt. v. verb. VerwArch vgl. VN Vorbem. WVK ZaöRV z. B. ZBJI ZEuS ZG Ziff. ZIP ZIS ZP ZP-EuAlÜbk ZRP ZStW zugl.

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Spiegelstrich Strafgesetzbuch Strafverteidiger-Forum Strafverteidiger Verordnung über die Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen und über Höchstmengen von Teer im Zigarettenrauch Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violance International unter anderem/und andere Unterabsatz Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen Übereinkommen Universität Urteil vom/von verbunden(e) Verwaltungsarchiv vergleiche Vereinte Nationen Vorbemerkung(en) Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zusatzprotokoll Zusatzprotokoll zum europäischen Auslieferungsübereinkommen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zugleich

Einführung A. Gegenstand der Untersuchung Unter dem Eindruck erhöhter grenzüberschreitender Kriminalität in Europa verfestigte sich in den Mitgliedstaaten und in den Institutionen der Europäischen Union seit Anfang der neunziger Jahre der Eindruck, dass mit der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften eine erhöhte grenzüberschreitende Kriminalität einherging und dass dieser grenzüberschreitende Maßnahmen entgegenzusetzen sind.1 Immer mehr wuchs die Erkenntnis, dass die Schaffung eines effektiveren gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine unerlässliche Ergänzung zum Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes sei.2 Nachdem sich die Europäische Kommission und das Europäische Parlament aus diesem Grunde bereits Mitte der neunziger Jahre insbesondere mit der Frage auseinandergesetzt hatten, inwieweit die Möglichkeit besteht, ein gemeinsames europäisches Strafrecht zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zu entwickeln3, nahm die Herausforderung der Be1 Das Spannungsverhältnis zwischen dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen einerseits und einer im Prinzip an den Staatsgrenzen der Mitgliedstaaten halt machenden Strafverfolgung andererseits ist bereits seit dem Schengener-Übereinkommen ein wesentlicher Gegenstand europäischer Strafrechtspolitik, siehe auch Vogel, in: JZ 2005. S. 801, 802. Zum Schengener-Übereinkommen vgl. BGBl. 1993 II, S. 1010, 1902; 1994 II, S. 631; 1996 II, S. 242, 2542; 1997 II, S. 966, abgedruckt bei: Schomburg/ Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil IV: Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Währungsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen der gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen – SDÜ). 2 Vgl. statt vieler Nehm, in: DRiZ 1996, S. 41, 43; v. Bubnoff, in: ZEuS 1999, S. 393, 395; siehe auch GA Cosmas, Schlussantrag vom 16.03.1999 zu EuGH, Rs. C378/97, Slg. 1999 I-6207, Rdnr. 70 – Wijsenbeek. 3 Siehe insoweit die im März 1994 von der Kommission gestartete Offensive zur Betrugsbekämpfung, KOM (94) 92 vom 23.03.1994. Siehe auch den im Auftrag des Europäischen Parlaments unter der Leitung der französischen Professorin DelmasMarty 1997 veröffentlichten Entwurf für ein „Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“: Delmas-Marty, Corpus Juris: portant dispositions pénales pour la protection des intérêts financiers de l’Union européenne/Corpus Juris: introducing penal provisions for the purpose of the financial interests of the European Union, Paris 1997; siehe hierzu u. a. Huber, Das Corpus Juris als Grundlage eines Europäischen Strafrechts, Freiburg i. Br. 2000; vgl.

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Einführung

kämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität Ende der neunziger Jahre auch erstmals auf der Agenda des Europäischen Rates einen zentralen Platz ein.4 Er verabschiedete im Oktober 1999 auf einer Sondertagung zur Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ im finnischen Tampere einen Fünfjahresplan, der dem Thema Justiz- und Innenpolitik absoluten Vorrang einräumte5, und untermalte die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens wie folgt: „Die Bürger können von der Union zu Recht erwarten, dass sie der durch schwere Kriminalität bedingten Bedrohung ihrer Freiheit und ihrer gesetzlichen Rechte entgegenwirkt. Dies erfordert gemeinsame Anstrengungen, um unionsweit Kriminalität und kriminelle Organisationen zu verhüten und zu bekämpfen. Es müssen gemeinsame polizeiliche und justizielle Ressourcen bereitgestellt werden, um zu gewährleisten, dass es in der Union keine Verstecke für Straftäter oder die Erträge aus Straftaten gibt . . .“6

In diesen Worten kann aus heutiger Sicht der Startschuss für eine Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union gesehen werden.7 Denn trotz des traditionell ausgeprägten Vorbehalts der Nationalstaaten gegenüber der Abtretung von Kompetenzen im Bereich der Justiz- und Innenpolitik8 genießen die Politikfelder Justiz- und Inneres seit der in Cardiff und Tampere erfolgten Einigung zu einem gemeinsamen Vorgehen Priorität auf der politischen Tagesordnung der Europäischen Union. Dies ist natürlich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass insbesondere die terroristischen Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Spanien und England in den Jahren 2001, 2004 und 20059 die Bedeutung eines konzertierten Vorgehens und das Ineinandergreifen der inneren und äußeren Sicherheit immer wieder erneut auf furchtbare Weise bewusst gemacht haben.10 auch zur 1999 in Florenz überarbeiteten Fassung des Corpus Juris u. a. Rasner, Erforderlichkeit, Legitimität und Umsetzbarkeit des Corpus Juris Florenz, Berlin 2005; vgl. auch u. a. Stiegel, in: ZRP 2003, S. 172 ff.; Brüner/Spitzer, in: NStZ 2002, S. 393 ff. zum später auf dem Corpus Juris aufbauenden Grünbuch der Kommission zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endg. 4 Siehe bereits die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Cardiff vom 15. und 16. Juni 1998, Ziff. 39. 5 Siehe die Einleitung der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 15. und 16. Oktober 1999. 6 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 15. und 16. Oktober 1999, Ziff. 6. 7 Hetzer, in: Kriminalistik 2002, S. 437, 437. 8 Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 37; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 29 EUV, Rdnr. 2; Fetzer/Groß, in: EuZW 2005, S. 550, 551; Diekmann, in: NStZ 2001, S. 617, 622. 9 Anschläge vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Centre in New York und andere US-amerikanische Einrichtungen in den USA, Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid, Anschläge vom 07. Juli 2005 in London.

A. Gegenstand der Untersuchung

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Auf der Grundlage des in Cardiff und Tampere beschlossenen gemeinsamen Vorgehens gegen die für jedermann offensichtlich wachsende Bedrohung und vor dem Hintergrund eines wachsenden parteiübergreifenden Bewusstseins, die grenzüberschreitende strafrechtliche Zusammenarbeit einfacher und effektiver gestalten zu müssen11, haben nun die Rechtsetzungsorgane der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in den letzten Jahren einen bunten Strauß grenzüberschreitender Maßnahmen verabschiedet.12 Auch wenn der Betrachter dem aufgrund der Flut nationaler und europäischer Regelungen mittlerweile relativ unübersichtlich anmutenden Regelwerk im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit fast hilflos gegenüberstehen mag,13 ist doch erkennbar, dass mit der Masse neuer europarechtlicher Vorgaben auch ein deutlicher Wandel in der Form der Zusammenarbeit verbunden ist: die Übertragung des aus dem Bereich des Gemeinschaftsrechts bekannten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten auf den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.14 Zwar fand sich dieses Prinzip auch im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit in bereits früher erlassenen Rechtsakten, da es in gewisser 10 So fand am 21. September 2001, zehn Tage nach den Anschlägen in den USA, eine Sondertagung des Europäischen Rates in Brüssel statt, auf dem ein Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedet wurde, siehe Schlussfolgerungen des Vorsitzes Ziff. 1 ff.; vgl. diesbezüglich auch DRiZ 2002, Informationen, S. 1; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 29 EUV, Rdnr. 14. 11 Auch aufgrund der Ermahnung durch prominente Persönlichkeiten aus der juristischen Fachwelt, vgl. anstatt vieler Sieber, in: ZRP 2000, S. 186, 187 und Hassemer, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal, S. 11, 15. 12 Vgl. nur für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit u. a. das EU-Rechtshilfeübereinkommen 2000/C 197/01 vom 29.5.2000 (EU-RhÜbk), ABl. 2000 Nr. C 197, S. 3; BGBl. 2005 II, S. 650; den Beschluss 2000/642/JI vom 17.10.2000 über Vereinbarungen für eine Zusammenarbeit zwischen den zentralen Meldestellen der Mitgliedstaaten beim Austausch von Informationen, ABl. 2000 Nr. L 271, S. 4; den Rahmenbeschluss 2001/220/JT vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. 2001 Nr. L 82, S. 1; das Zusatzprotokoll vom 16.10.2001 zum EU-RhÜbk 2001/C 326/01, ABl. 2001 Nr. C 326, S. 2; BGBl. 2005 II, S. 661; den Beschluss 2002/187/JI vom 28.02.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002 Nr. L 63, S. 1, geändert durch Beschluss des Rates vom 18.06.2003, ABl. 2003 Nr. L 245, S. 44 und den Rahmenbeschluss 2005/222/JI vom 24.2.2005 über Angriffe auf Informationssysteme, ABl. 2005 Nr. L 69, S. 1. Für eine komplette Übersicht der Maßnahmen im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen insbesondere in Bezug auf einzelne Straftatbestände betreffend den Bereich Drogenkriminalität, Betrug und Korruption, Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit siehe das Handbuch des Europäischen Rechts – Systematische Sammlung mit Erläuterungen, Teil I A 14, Stand: 503. Lieferung – Oktober 2007. 13 Ähnlich auch Esser, in: ZEuS 2004, S. 289, 297. 14 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Cardiff, Ziff. 39; Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere, Ziff. 33 ff.

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Einführung

Hinsicht im in Art. 1 EG-ne bis in idem-Übk15 und Art. 54 SDÜ16 verankerten transnationalen Doppelbestrafungsverbot auftaucht. Im Unterschied zu diesen Regelungen ist mit der in den letzten Jahren erfolgten Übertragung des Prinzips nun jedoch eine neue Qualität der zuvor stets rechtshilferechtlich geprägten Zusammenarbeit in Strafsachen zum Zwecke einer effektiveren Strafverfolgung eingeleitet worden17 und nicht nur lediglich ein allgemeiner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in der transnationalen justiziellen Zusammenarbeit.18 Vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von erlassenen Rechtsakten, die mittlerweile zur Vertiefung der justiziellen Zusammenarbeit auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung beruhen19, stellt sich immer wieder die Frage, ob und inwieweit diese neuere Form der Zusammenarbeit rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gerecht wird. So ist zu bedenken, dass eine Verstärkung der Sicherheit regelmäßig mit einer Beschränkung der Freiheit der Bürger einhergeht.20 Aus diesem Grund sehen sich auch die europäische und die nationalen Gerichtsbarkeiten seit einiger Zeit mit diversen Verfahren befasst, in deren Mittelpunkt die Überprüfung von Maßnahmen stehen, die im Rahmen der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit auf der Grundlage des Anerkennungsprinzips verabschiedet worden sind.21 Nicht weniger beschäftigt sich die juristi15 Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung vom 25. Mai 1987, BGBl. 1998 II, S. 2226; 2002 II, S. 600, abgedruckt bei: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil III E. 16 Zum Schengener Durchführungsübereinkommen vgl. die Ausführungen oben in der Einleitung, A., Fn. 1. 17 Plachta/van Ballegooij, in: Blekxtoon/van Ballegooij, pp. 13, 29; Vogel, in: JZ 2001, S. 937, 937; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 11; Hecker, § 12, Rdnr. 20, 33; Seitz, in: NStZ 2004, S. 546, 546; Ambos, § 12, Rdnr. 59; Vennemann, in: ZaöRV 63 (2003), S. 103, 120. 18 Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil IV, Art. 54 SDÜ, Rdnr. 44; Rohlff, S. 118 f. 19 Rahmenbeschluss 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002, ABl. 2002 Nr. L 190, S. 1; Rahmenbeschluss 2003/577/JI vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003 Nr. L 196, S. 45; Rahmenbeschluss 2005/214/JI vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. 2005 Nr. L 76, S. 16; Beschluss 2005/876/JI vom 21. November 2005 über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister, ABl. 2005 Nr. L 322, S. 33; Rahmenbeschluss 2006/783/JI vom 06. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. 2006 Nr. L 328, S. 59. 20 Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen der Staatsaufgabe „Sicherheit“ und dem freiheitlichen Rechtsstaat als Verfassungsgrundsatz Calliess, in: ZRP 2002, S. 1, 5; Di Fabio, in: NJW 2008, S. 421, 422; Müller, in: FAZ vom 29.09.2004, S. 1. 21 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309 – Pupino; EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237 ff. = EuZW 2007, S. 373 ff. – Advocaten voor de Wereld VZW; vgl. auch zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Europäi-

A. Gegenstand der Untersuchung

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sche Fachliteratur seit längerem intensiv mit der Frage der Zulässigkeit einzelner Vorhaben zur grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung.22 Auch die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union leisten. In Anbetracht der Vielzahl der im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erlassenen Rechtsakte, die eine Behandlung sämtlicher Maßnahmen unmöglich macht, soll die Konzentration in dieser Untersuchung der Frage gelten, inwieweit die Vertiefung der Zusammenarbeit im Auslieferungsrecht durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl23 rechtlich zu bewerten ist. Dass sich in den vergangenen Jahren neben einer Reihe von Aufsätzen24 bereits zahlreiche Arbeiten mit rechtlichen Fragen hinsichtlich der Einführung des Europäischen Haftbefehls beschäftigt haben25, steht dabei einer weiteren Untersuchung der mit diesem Rechtsakt verbundenen rechtlichen Wirkungen nicht im Wege.

schen Haftbefehls insbesondere die Entscheidungen des Polnischen Verfassungsgerichts, Rs. P 1/05, vom 27.04.2005, deutsche Fassung verfügbar unter http://www.try bunal.gov.pl/eng/summaries/wstep_gb.htm; des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07. 2005, siehe BVerfGE 113 (273 ff.); des Obersten Gerichtshofs der Republik Zypern, Rs. 294/2005, vom 07.11.2005, englische Fassung verfügbar im Ratsdokument 14281/ 05; des spanischen Verfassungsgerichts, Rs. 292/05, vom 10.11.2005, englische Zusammenfassung verfügbar unter www.eurowarrant.net und des tschechischen Verfassungsgerichts, Rs. ÚS 66/04, vom 03.05.2006, englische Fassung verfügbar unter http:// www.eurowarrant.net. Für weitere Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten siehe auf der Seite www.eurowarrant.net die Rubrik Country Info/Case Law. 22 Vgl. u. a. Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltung und Rechtsschutz in Deutschland, 1998; Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, 2001; Kämper, Polizeiliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, 2001; Kraus-Vonjahr, Der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa, 2002; Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, 2003; Juppe, Die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen in Europa: historische Grundlagen – aktuelle und zukünftige Problembereiche, 2007. 23 Rahmenbeschluss 2002/584/JI vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RB-EUHb), ABl. 2002 Nr. L 190, S. 1 ff., in Kraft getreten am 07. August 2002. 24 Eine umfangreiche aber längst nicht abschließende Aufzählung findet sich bei Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV. 25 Hervorzuheben sind vor allem die folgenden Bearbeitungen: von Bubnoff, Der Europäische Haftbefehl, 2005; Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, 2006; Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, 2007; Murschetz, Auslieferung und europäischer Haftbefehl: kontinental-europäische und anglo-amerikanische materielle Prinzipien des Auslieferungsrechts im Vergleich zum europäischen Haftbefehl und dessen Umsetzung in Österreich, 2007 und zuletzt Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl: Im Vergleich zu seiner Rechtsstellung im traditionellen Auslieferungsverfahren. Zugleich eine Untersuchung zur Rechtsnatur des Rahmenbeschlusses, 2008.

24

Einführung

Im Gegensatz zu den bisher veröffentlichten Beiträgen zu diesem Thema steht im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung die Erörterung der Frage, inwieweit mit der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Bereich des Auslieferungsrechts die Übertragung von Hoheitsrechten verbunden ist und inwieweit eine solche Hoheitsrechtsübertragung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen europarechtlichen Vertragslage26 den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes entspricht. Den Anlass für diese Fragestellung bietet nicht zuletzt die nach wie vor ungeklärte Vorrangfrage zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Recht über die Europäische Union. Denn obwohl der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Pupino im Juni 200527 erstmals eine integrationsfreudige Auslegung von Rahmenbeschlüssen vorgeschrieben hat und obwohl damit dem Instrument des unionsrechtlichen Rahmenbeschlusses eine bisher nicht gekannte innerstaatliche Wirkung zuzuschreiben ist, hat es das Bundesverfassungsgericht bei der Nichtigerklärung des Umsetzungsgesetzes28 zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Juli 200529 sorgsam vermieden, die veränderten Vorgaben des Europäischen Gerichthofs für den Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit zu einer Konfrontation zwischen nationalen und unionsrechtlichen Bestimmungen führen zu lassen.30 Dadurch jedoch, dass der Europäische Gerichtshof den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Mai 2007 nach einer Vorlage des belgischen Schiedshofs in dem Verfahren Advocaten voor de Wereld VZW für gültig erklärt hat31, ist nunmehr die Situation entstanden, dass das Verhältnis des na26 Vertrag über die Europäische Union von Amsterdam vom 2.10.1997, in Kraft getreten am 01.05.1999, BGBl. 1998 II, S. 387; ber. 1999 II, S. 416; geändert durch den Vertrag von Nizza vom 26.02.2001, BGBl. 2001 II, S. 1667; geändert durch die Akten zum Beitrittsvertrag vom 16.04.2003, BGBl. 2003 II, S. 1410 und vom 25.04.2005, ABl. 2005 Nr. L 157, S. 203. Die letzte geänderte Fassung ist am 01.01.2007 in Kraft getreten. 27 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309 – Pupino, vgl. im Einzelnen die Ausführungen in Kapitel 2, B., I.–III. 28 Gesetz vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EuHbG), BGBl. 2004 I, S. 1748, in Kraft getreten am 23. August 2004. Im Folgenden: Erstes Europäisches Haftbefehlsgesetz oder EuHbG I. 29 Urteil vom 18.07.2005, BVerfGE 113 (273 ff.). Das überarbeitete Europäische Haftbefehlsgesetz vom 20.07.2006 ist am 02.08.2006 in Kraft getreten, BGBl. 2006 I, S. 1721. Im Folgenden: Zweites Europäisches Haftbefehlsgesetz, EuHbG II oder einfach Europäisches Haftbefehlsgesetz. 30 Vgl. statt vieler Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 206; ders., in: StV 2005, S. 681, 683; Masing, in: NJW 2006, S. 264, 264; v. Unger, in: NVwZ 2005, S. 1266, 1268; Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S, 453, 453; Hackner, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 193, 195; Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 30.

B. Gang der Untersuchung

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tionalen Verfassungsrechts zum Europarecht endgültig auch im unionsrechtlich geprägten Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen von Unklarheit bestimmt wird.32 Daher ist in Anbetracht dieser Umstände eine weitere Beschäftigung mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl als der Sache nach dienlich und sinnvoll anzusehen.

B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten zum Zwecke der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich des Auslieferungsrechts beginnt zur Einführung mit einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Der Schilderung des historischen Hintergrundes (Kapitel 1) folgt in Kapitel 2 eine Darstellung der primärrechtlichen Ausgestaltung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Europäischen Recht vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Vertragswerkes der Europäischen Union. Besonderen Raum soll dabei die Untersuchung der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen als Handlungsform im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen einnehmen, um sich die mit diesem Instrument verbundenen und im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand maßgeblichen Rechtswirkungen zu vergegenwärtigen. Vorgenommen werden soll an dieser Stelle darüber hinaus eine kurze Betrachtung der Veränderung der primärrechtlichen Grundlagen der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon.33 Aufgabe von Kapitel 3 ist es, sich die rechtliche Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die mit seinem Erlass einhergehenden Veränderungen im Auslieferungsrecht vor Augen zu führen. In diesem Zusammenhang soll auch ein kurzer Blick auf die Probleme der Umset-

31 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2240 = EuZW 2007, S. 373, 377 – Advocaten voor de Wereld VZW. 32 Vgl. auch Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 391. 33 ABl. 2007 Nr. C 306, S. 1, unterzeichnet durch die Staats- und Regierungschefs am 13.12.2007; durch Art. 1, 2 und 5 des Vertrages von Lissabon wurden der Vertrag über die Europäische Union (EU) und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) geändert, wobei der EGV in Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU) umbenannt wurde. Bei rechtzeitiger Ratifizierung des Vertrages durch alle Mitgliedstaaten ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens der 01.01. 2009 (siehe Art. 6 des Vertrages).

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Einführung

zung des Rahmenbeschlusses in Deutschland geworfen werden. Im Mittelpunkt des Interesses dieses Kapitels steht jedoch die Frage, inwieweit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung aus dem Gemeinschaftsrecht auf das Auslieferungsrecht und damit auf den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen übertragen worden ist. Auf der Grundlage der in Kapitel 2 und 3 dargestellten Eigenschaften von Rahmenbeschlüssen im Allgemeinen und dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Besonderen beschäftigt sich das Kapitel 4 mit der Frage, ob der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl einen ersten Fall von Hoheitsrechtsübertragung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darstellt. Dazu wird zunächst erörtert, was vor dem Hintergrund des Grundgesetzes unter der Übertragung von Hoheitsrechten zu verstehen ist und welche Formen von Hoheitsrechtsübertragungen unterschieden werden können, um daran anschließend zu überprüfen, inwieweit im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl von einer Hoheitsrechtsübertragung auszugehen ist. Kapitel 5 widmet sich der Darstellung, welche verfassungsrechtlichen Grundlagen, Anforderungen und Schranken das Grundgesetz für die Übertragung von Hoheitsrechten vorsieht und in welchem Verhältnis die einzelnen Grenzen für Hoheitsrechtsübertragungen zueinander stehen. Darauf aufbauend steht in Kapitel 6 die Frage im Mittelpunkt, ob durch die Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl gegen verfassungsrechtliche Anforderungen oder Grenzen für eine Hoheitsrechtsübertragung verstoßen worden ist und welche Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes anzunehmen sind. Schließlich widmet sich Kapitel 7 der Überlegung, welche Lösungsmöglichkeiten bestehen, wenn die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses mit Verfassungsverstößen zusammentrifft, die in diesem selbst begründet sind. Von Interesse ist dabei insbesondere, inwieweit das Bundesverfassungsgericht als nationales Gericht befugt ist, die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen zu überprüfen und gegebenenfalls für unanwendbar zu erklären. Beendet wird die Untersuchung in Kapitel 8 zunächst mit einem Resümee der festgestellten Ergebnisse. Darüber hinaus stellt sich zum Abschluss der Untersuchung die Frage, die Vornahme welcher Änderungen im Auslieferungsrecht vor dem Hintergrund der gegenwärtigen geltenden Rechtslage sinnvoll erscheinen würde und welche Veränderungen und gegebenenfalls Verbesserungen das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon mit sich brächte.

Kapitel 1

Historische Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union Mit der Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf den Bereich des Auslieferungsrechts durch die Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und mit der damit einhergehenden Übertragung einer Methode der Zusammenarbeit, die ehemals nur im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft Anwendung fand, hat der Europäische Rat einen Paradigmenwechsel vollzogen.1 Um diese Tatsache besser nachvollziehen zu können, soll an dieser Stelle zunächst ein Blick auf die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen unter dem Dach der Europäischen Union von ihrem Beginn bis zum heutigen Tage geworfen werden. Dadurch wird deutlich, welch rasante und gewaltige Veränderungen die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union in jüngerer Zeit im Vergleich zum eher schleppenden Beginn der Zusammenarbeit insbesondere durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung erfahren hat.

A. Anfänge der Zusammenarbeit Obwohl es den Gründungsmitgliedern der heutigen Europäischen Union2 nach dem Ende des zweiten Weltkrieges durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)3 im Jahre 1952 und durch die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom)4 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)5 im Jahre 19586 nicht nur um eine wirtschaft1 Hecker, § 12, Rdnr. 33; Seitz, in: NStZ 2004, S. 546, 546; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 11; Ambos, § 12, Rdnr. 59 spricht von einem Qualitätssprung. 2 Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg. 3 Vertrag vom 18.04.1951, BGBl. 1952 II, S. 445 ff., in Kraft getreten am 23.07. 1952, so genannte „Montanunion“, seit 24.7.2002 außer Kraft getreten. 4 Vertrag vom 25.03.1957, BGBl. 1957 II, S. 1014. 5 Vertrag vom 27.12.1957, BGBl. 1958 II, S. 1. 6 Der EWG und der Euratom-Vertrag (Römische Verträge) traten am 01.01.1958 in Kraft.

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

liche Zusammenarbeit zu deren Selbstzweck, sondern auch um sicherheitspolitische Interessen ging7, führte die justizielle Zusammenarbeit zu Beginn der europäischen Integration ein Schattendasein. Wesentliche Impulse für die justizielle Zusammenarbeit wurden in dieser Zeit nur im Rahmen der völkerrechtlichen Zusammenarbeit über den im Jahre 1949 gegründeten Europarat8 gesetzt, wie zum Beispiel die beiden in den 50er Jahren verabschiedeten Auslieferungs- und Rechtshilfeübereinkommen.9 Eine darüber hinaus gehende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Römischen Verträge scheiterte an der unterschiedlich stark ausgeprägten Bereitschaft der einzelnen Staaten, Souveränitätseinschränkungen im Rahmen grenzüberschreitender Kooperationen in Strafsachen hinzunehmen.10 Zwar ergaben sich im Jahre 1962 erste Ansätze zur Entwicklung einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts auf Gemeinschaftsebene, die vom Erfordernis einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegebenenfalls auch durch strafrechtliche Maßnahmen ausgingen. So wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht, den Sanktionssystemen der Mitgliedstaaten und der Stellung von Gemeinschaftsbeamten in nationalen Strafverfahren befasste. Mangels Willens zur politischen Einigung mussten diese Arbeiten aber Mitte der sechziger Jahre wieder eingestellt werden.11 Einzige gemeinsame politische Maßnahme der damaligen EG-Staaten bis zum Ende der sechziger Jahre sollte vor diesem Hintergrund die Verabschiedung des völkerrechtlichen Übereinkommens von Neapel im September 1967 bleiben, mit dem den zuständigen nationalen Zollbehörden die Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe auferlegt wurde.12 Diese erfolgte jedoch sowohl außerhalb der Zusammenarbeit der Staaten im Rahmen des Europarates als auch außerhalb des institutionellen Rahmens der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. 7

Oppermann, § 1, Rdnr. 19; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 74. Gründungssatzung vom 05.05.1949; Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat durch Gesetz vom 08.07.1950, BGBl. 1950, S. 263, Vollmitgliedschaft der Bundesrepublik seit 02.05.1951, siehe Bekanntmachung vom 16.09.1953, BGBl. 1953 II; S. 558. 9 Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), BGBl. 1964 II, S. 1369; 1976 II, S. 19778; 1982 I, S. 2071; 1994 II, S. 299, abgedruckt bei: Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II A; Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EuRhÜbk), BGBl. 1964 II, S. 1369; 1386, 1976 II; S. 1799, 1982 I, S. 2071, abgedruckt bei: Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II B. 10 Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 30 EUV, Rdnr. 28. 11 Jour-Schröder/Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Vorbem. Zu den Artikeln 29 bis 42 EU, Rdnr. 14. 12 Übereinkommen zwischen den damaligen EG-Staaten vom 07.09.1967 über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen, BGBl. 1969 II, S. 65; 1970 II, S. 987, später ersetzt durch das so genannten Neapel II-Übereinkommen vom 18.12. 1997, ABl. 1998 Nr. C 24, S. 1. 8

B. Die EPZ als Beginn der Zusammenarbeit

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B. Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) als Beginn der Zusammenarbeit Ein Umdenken zu einer stärkeren Zusammenarbeit wurde erstmals auf der Haager Gipfelkonferenz der Regierungschefs der EG-Staaten im Dezember 1969 deutlich. Neben Willensbekundungen zu anderen Themen13 äußerten die Regierungschefs die Absicht, durch zwischenstaatliche Kooperation in Form von Information und regelmäßiger Konsultation eine Angleichung der Außenpolitik der Mitgliedstaaten herbeizuführen.14 Damit war die so genannte Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) – wenn auch zunächst nur im Bereich der Außenpolitik – geboren und in Bewegung gesetzt.15 Die in Den Haag eingeschlagene Richtung setzte sich in den folgenden Jahren, insbesondere auf der Pariser Gipfelkonferenz von 1974, in gleicher Weise fort. Dort wurde die Europäische Politische Zusammenarbeit offiziell dem Europäischen Rat und damit einem „Organ“ der Mitgliedstaaten übertragen. Weiter angekurbelt wurde die politische Zusammenarbeit auf Europäischer Ebene im darauf folgenden Jahr durch den britischen Außenminister Tindemans, der den verstärkten Aufbau einer einheitlichen Außen- und Innenpolitik anmahnte. Daran anknüpfend veranlasste der Europäische Rat von Rom Ende 1975 die Erstellung eines Arbeitsprogramms, um die Zusammenarbeit auf den Gebieten Inneres und Justiz zu verbessern. Auf der Grundlage dieses Arbeitsprogramms wurden verschiedene Arbeitsgruppen, die so genannten TREVI-Arbeitsgruppen, geschaffen, die die Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und inneren Sicherheit garantieren sollten.16 Ferner konnte erreicht werden, dass alle EG-Mitgliedstaaten dem Europarats-Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus17 beitraten und dieses in der Folgezeit auch ratifizierten.

13 Weitere Themen auf dem Gipfel waren die Finanzverfassung der Gemeinschaft mit eigenen EG-Einnahmen, die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion und die Prüfung direkter Wahlen zum Europäischen Parlament. 14 Everling, in: FS Oppermann, S. 163, 167. 15 Oppermann, § 1, Rdnr. 27. 16 Gruppe I: Terrorismusbekämpfung (seit 1975); Gruppe II: Öffentliche Ordnung, Polizeitechnik, Ausbildung (seit 1975); Gruppe III: Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Rauschgifthandels (seit 1985); später noch: TREVI 92: Koordination der Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Binnenmarktprogramms und die Ad hoc Gruppe Europol (seit 1991). Siehe auch zu den TREVI-Arbeitsgruppen Brübach, S. 6 ff.; Gleß/Lüke, in: Jura 1998, S. 70, 71 f. 17 Europäisches Übereinkommen vom 27.01.1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (EuTerrÜbk), BGBl. 1978 II, S. 321; 1978 II, S. 907; 1989 II, S. 857, abgedruckt bei: Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II A 3.

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

C. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) Ein weiterer Wendepunkt in der Absicht, auf politischen Feldern zusammenzuarbeiten, lag in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Jahr 1986. Basierend auf einem deutsch-italienischen Entwurf aus dem Jahr 198118, der ein enges Zusammenwirken der Europäischen Gemeinschaften, der EPZ und des Europäischen Parlaments zur Errichtung der Europäischen Union vorsah und der bereits in einer feierlichen Deklaration des Europäischen Rates zur Europäischen Union im Jahre 1983 teilweise umgesetzt worden war,19 gab sie der seit Anfang der 70er Jahre eingerichteten intergouvernementalen Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) im Bereich der Außenpolitik erstmals eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage.20 Gemäß Art. 1 Abs. 1 EEA sollten die drei Gemeinschaften und die EPZ von nun an gemeinsam zu konkreten Fortschritten auf dem Wege zur Bildung einer Europäischen Union beitragen. In der Folgezeit wurden zahlreiche völkerrechtliche Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft erarbeitet und größtenteils auch unterzeichnet. 21 Außerdem wurden verschiedene Arbeitsgruppen mit dem Ziel gegründet, Teile der Justiz- und Innenpolitik fortzuentwickeln. So wurde beispielsweise auf Initiative des französischen Staatspräsidenten Mitterrand 1989 eine Koordinierungsgruppe zur Bekämpfung der Drogenkriminalität (CELAD) eingesetzt.22 Ferner begannen die Organe der Europäischen Gemeinschaft, sich im Bereich der Innenpolitik insbesondere mit dem Asylrecht zu befassen.23 Schließlich kam man dem Ziel, die nationalen Vorschriften anzugleichen, um einen einheitlichen grenzenlosen Binnenmarkt erreichen zu können, mit der Verabschiedung des Schengener Durchführungsübereinkommens24, das den Abbau von Personenkontrollen zum Gegenstand hatte, im Jahre 1990 erheblich näher. 18

Genscher-Colombo-Plan vom 04.11.1981. Stuttgarter Erklärung vom 19.06.1983, BullEG Nr. 6-1983, S. 26 ff. 20 Stern, in: FS Oppermann, S. 143, 155. 21 Übereinkommen vom 25.05.1987 über die Anwendung der Europaratskonvention von 1983 über die Überstellung von verurteilten Personen, ABl. 1987 Nr. L 169, S. 29; Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung vom 25. Mai 1987, siehe oben, Einführung, A., Fn. 15; Übereinkommen vom 26.05.1989 betreffend die Vereinfachung und Modernisierung zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen, BGBl. 1995 II, S. 969; 1997 II, S. 1689; Übereinkommen vom 13.11.1991 über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen, BGBl. 1997 II, S. 1351. Vgl. hinsichtlich des Ratifizierungsstandes die Internet-Seite des Rates http://www.consilium.europa.eu. 22 Siehe zum Maßnahmenprogramm der CELAD Brübach, S. 35. 23 Brübach, S. 19. 24 Siehe die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 1. Grundlage des Durchführungsübereinkommens war das Schengener Abkommen vom 14.06.1985, in dem bereits Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande den schritt19

D. Der Vertrag von Maastricht

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D. Der Vertrag von Maastricht Eine rechtliche europäische Grundlage für eine justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen schufen die Mitgliedstaaten erstmals mit der Gründung der Europäischen Union 1992 durch den Vertrag von Maastricht25, der sich selbst „als eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“ bezeichnete. Indem die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gemäß Art. B des Vertrages zum „festen Ziel“ und die Zusammenarbeit in Strafsachen gemäß Art. K.1 des Vertrages zur „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ der Mitgliedstaaten erklärt wurde, erhielt die bis dahin nur auf formlosen, intergouvernementalen Mechanismen beruhende grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen nun eine zusammenhängende völkerrechtliche Grundlage in einem einheitlichen institutionellen Rahmen.26 Die zum damaligen Zeitpunkt so genannte intergouvernementale Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) bildete von nun an den so genannten dritten Pfeiler der Europäischen Union. Dabei handelt es sich um eine Kennzeichnung, die zurückzuführen ist auf das Bild von der Union als Säulen- bzw. Tempelmodell, in dem die supranationalen Europäischen Gemeinschaften (erste Säule) sowie die zwei intergouvernemental bestimmten Säulen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, zweite Säule) und der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS, dritte Säule) unter dem Dach des Unionsvertrages vereint sind.27 Die Regelungen über die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit als dritte Säule bildeten den Teil VI des Vertrages. Der Umfang der Zusammenarbeit ergab sich aus Art. K.1 des Vertrages. Demnach waren die Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit verpflichtet, wenn es sich um Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse handelte. Hierunter fielen u. a. die Einwanderungspolitik, die justizielle Zusammenarbeit, die Zollpolitik und die polizeiliche Zusammenarbeit. Handelndes Organ im Bereich der so genannten ZBJI war nach dem Vertrag von Maastricht der Rat für die Union gemäß Art. K.3 des Vertrages im Wege der Organleihe. Nach Absatz 2 der Vorschrift standen dem Rat so genannte gemeinsame Standpunkte28, gemeinsame Maßnahmen29 und Übereinkommen30 als Handlungsweisen Abbau der Grenzkontrollen vereinbart hatten, ABl. 2000 Nr. L 239, S. 13; GMBl. 1986, S. 79. 25 Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992, in Kraft getreten am 01.11.1993, BGBl. 1992 II, S. 1253; geändert durch Beitrittsvertrag vom 24.6.1994, BGBl. 1994 II, S. 2022; für die Fassung des Beschlusses vom 01.01.1995 siehe ABl. 1995 Nr. L 1, S. 1; ber. in ABl. 1997 Nr. L 179, S. 12. 26 Vgl. Art. C I des Vertrages. 27 Vgl. zur Drei-Säulen-Terminologie anstatt vieler Oppermann, § 6, Rdnr. 1; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnrn. 72 ff. 28 Art. K.3 Abs. 2 lit. a). 29 Art. K.3 Abs. 2 lit. b).

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

instrumente zur Verfügung. Jedoch sollte es im Hinblick auf die Rechtsnatur der Zusammenarbeit auch nach Maastricht bei einer rein zwischenstaatlichen Form der Zusammenarbeit bleiben.31 Dies ergab sich bereits daraus, dass die Verabschiedung von Maßnahmen im Bereich der ZBJI weiterhin gemäß Art. K.4 Abs. 3 des Vertrages unter dem Erfordernis der Einstimmigkeit stand, so dass es der Union auch weiterhin verwehrt blieb, im Bereich der ZBJI einen von den Mitgliedstaaten unabhängigen Willen zu bilden.

E. Die Zeit zwischen Maastricht und Amsterdam Nach dem Vertrag von Maastricht wurden die Bemühungen um eine noch engere Rechtsunion fortgesetzt. Auf zahlreichen Konferenzen wurde über eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der beiden intergouvernemental geprägten Säulen diskutiert. Insbesondere in seinem Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 28. April 1997 kam der Rat erstmalig zu der Feststellung, dass die justizielle Zusammenarbeit auf ein der polizeilichen Zusammenarbeit vergleichbares Niveau gebracht werden muss. Vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse über die Zunahme grenzüberschreitender krimineller Strukturen sollten schnell und effektiv Konsequenzen gezogen werden, um die Möglichkeit zu schaffen, gegebenenfalls in staatenübergreifenden Ermittlungshandlungen gegen einzelne Angehörige krimineller Organisationen vorzugehen, gegen sie gerichtsverwertbare Beweise zu sammeln und sie daraufhin strafrechtlich zu verurteilen. Auf dieser Grundlage verabschiedete der Rat zahlreiche Maßnahmen im Bereich der dritten Säule, und trieb so die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres ein gutes Stück voran.32 Es zeigte sich, dass seit der Verabschiedung 30

Art. K.3 Abs. 2 lit. c). Schweitzer/Hummer, Rdnr. 1883; Brübach, S. 49. 32 Insbesondere zu nennen für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit ist das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-VereinfAuslÜbk), ABl. 1995 Nr. C 78, S. 2; BGBl. 1998 II, S. 2229, abgedruckt bei: Schomburg/Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil III A c; das Übereinkommen vom 26.07.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995 Nr. C 316, S. 49; BGBl. 1998 II, S. 2324, abgedruckt bei: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil III D; die Gemeinsame Maßnahme 96/277/JI vom 22. April 1996 betreffend den Rahmen für den Austausch von Verbindungsrichtern und -staatsanwälten zur Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996 Nr. L 105, S. 1; das Übereinkommen vom 27.09.1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-AuslÜbk), ABl. 1996 Nr. C 313, S. 11, abgedruckt bei: Schomburg/Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil III A a; die Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI vom 29.06.1998 zur Errichtung eines Europäischen Justiziellen 31

F. Der Vertrag von Amsterdam und die Vertragsrevision von Nizza

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des Vertrages von Maastricht der Wille zur politischen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union deutlich gewachsen war.

F. Der Vertrag von Amsterdam und die Vertragsrevision von Nizza I. Neuerungen rund um den Vertrag von Amsterdam Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Unionsvertrages33 wurde der dritte Pfeiler in „Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (PJZS) umbenannt und neu strukturiert. Das Drei-Säulen-Modell des Maastrichter Vertrages wurde dabei jedoch beibehalten, wodurch die Unterscheidung zwischen intergouvernementalem Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht aufrechterhalten wurde.34 Jedoch entschied man sich mit der Überführung der Bereiche Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr für eine Kompetenzzuweisung an die Europäische Gemeinschaft und überführte diese Politikfelder aus dem Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit in den vergemeinschafteten Bereich des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft.35 Der Bereich Justiz und Inneres wurde dadurch auf die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen reduziert und in Teil VI des neuen Unionsvertrages neu geregelt.36 Eine Vergemeinschaftung kam in diesem Bereich aufgrund des mangelnden Willens der Mitgliedstaaten auch weiterhin nicht zustande, da es sich hier um Kernbereiche staatlicher Souveränität handelte. Allerdings wurden auch im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen neue weiter gehende Maßnahmen zur Vertiefung der Zusammenarbeit getroffen. So wurde die Schaffung bzw. Erhaltung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Ziel der Union durch Art. 2 Spstr. 4 EU primärrechtlich verankert. Anstelle der bislang vorgesehenen „GemeinsaNetzes (EJN), ABl. 1998 Nr. L 191, S. 4 ff. und das Übereinkommen 98/C 216/01 vom 10.07.1998 über den Entzug der Fahrerlaubnis, ABl. 1998 Nr. C 216, S. 1. Für eine komplette Übersicht der Rechtsakte, die in der Zeit zwischen den Verträgen von Maastricht und Amsterdam verabschiedet worden sind, siehe Jour-Schröder/Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Vorbem. Zu den Artikeln 29 bis 42 EU, Rdnr. 72. 33 Zu den Fundstellen des Vertrages siehe die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 26. 34 Streinz, Rdnr. 52. 35 Siehe Titel IV, Teil 3 EG; Streinz, in: EuZW 1998, S. 137, 141; Müller-Graff, in: Hummer/Obwexer, S. 283, 286. 36 Zieschang, in ZStW 113 (2001), S. 255, 259.

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

men Maßnahmen“ führte Art. 34 Abs. 2 lit. b) und c) EU als neue Handlungsformen „Rahmenbeschlüsse“ bzw. so genannte „andere Beschlüsse“ ein. Übereinkommen im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. d) EU traten nunmehr bereits in dem Moment in Kraft, in dem sie von mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden. Allerdings galten sie dann auch nur für die betreffenden Mitgliedstaaten.37 In Abkehr vom Grundsatz der Einstimmigkeit konnten ferner Beschlüsse in Verfahrensfragen mit der Mehrheit der Mitglieder und bei ausdrücklich aufgeführten Durchführungsmaßnahmen mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden.38 Ferner wurden dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 35 EU Kontrollbefugnisse und der Kommission in Art. 34 Abs. 2 EU Beteiligungsrechte eingeräumt. Eine weitere wichtige Neuerung im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen stellte die Integration des Rechts der SchengenAbkommen in die Bestimmungen des Unionsrechts dar.39 Gemäß Art. 5 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union unterliegen seitdem weitere Rechtsakte innerhalb des Schengenverbundes den einschlägigen Verträgen. II. Neuerungen durch den Vertrag von Nizza Nur kleinere Änderungen an den primärrechtlichen Regelungen im Bereich der dritten Säule ergaben sich im Vergleich zum Vertrag von Amsterdam durch die letzte bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Kraft getretene Vertragsrevision, den Vertrag von Nizza.40 Dieser ergänzte den Vertrag über die Europäische Union durch die primärrechtliche Verankerung von Eurojust41 in Art. 29 Abs. 2 EU und Art. 31 Abs. 2 EU.42 Das Mandat von Eurojust besteht darin, im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zu einer sachgerechten Koordinierung zwischen für die Strafverfolgung zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beizutragen.43 Ferner wurde mit Art. 40 EU eine Generalklausel zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen vereinzelten Mitgliedstaaten inner37

Streinz, in: EuZW 1998, S. 137, 142. Vgl. die Voraussetzungen für die Verabschiedung von Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 34 Abs. 2 EUV. 39 Protokoll von 02.10.1997, ABl. 1997 Nr. C 340, S. 93; BGBl. 1998 II, S. 429; Götz, in: FS Rauschning, S. 185, 195. 40 Vertrag von Nizza vom 26.02.2001, BGBl. 2001 II, S. 1667. 41 Europäische Stelle für justizielle Zusammenarbeit. 42 Siehe auch den in Art. 31 Abs. 1 lit. a EU eingefügten Verweis auf Eurojust. Vgl. allgemein zu Eurojust Ambos, § 13, Rdnrn. 19 ff.; Kahlke, Eurojust, Auf dem Weg zu einer Europäischen Staatsanwaltschaft, 2004; Fischer, S. 96; v. Langsdorff, in: Müller-Graff, S. 125 ff.; Nehm, in: DRiZ 2000, S. 355, 359 ff. 43 Vgl. für den Beschluss zur Errichtung von Eurojust die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 12. 38

G. Intensivierung der Zusammenarbeit

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halb der Säule eingefügt. Diese verstärkte Zusammenarbeit soll erfolgen, um Neuerungen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts schneller realisieren zu können.44

G. Intensivierung der Zusammenarbeit durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Eine neue Stufe der Zusammenarbeit wurde wie zu Beginn der Arbeit dargestellt durch die im Juni 1998 und Oktober 1999 stattfindenden Tagungen des Europäischen Rates in Cardiff und Tampere eingeläutet45, auf denen erstmals der Gedanke einer weitgehenden gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten formuliert und angestoßen wurde. Erste konkrete Ergebnisse des eingeleiteten Vorhabens fanden sich bereits im Dezember 1998 auf dem vom Rat gebilligten so genannten Wiener Aktionsplan, der vorsah, innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages einen Prozess im Hinblick auf die Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen und ihre Vollstreckung einzuleiten.46 Im Juli 2000 wurde der Anstoß des Rates zu den beabsichtigten Neuerungen von der Kommission aufgenommen, indem sie zur Vorbereitung der neuen Form der Zusammenarbeit eine Mitteilung47 und darauf aufbauend im November 2000 ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes48 vorlegte. Auf der Grundlage dieses Maßnahmenprogramms sind seitdem zahlreiche Rechtsakte erlassen49 worden. Weitere Rechtsakte zur Verankerung des Anerkennungsprinzips bzw. zur vertrauensbildenden Begleitung und zur Erleichterung der Akzeptanz des Prinzips in den Mitgliedstaaten sind von der Kommission initiiert worden.50 44

Fischer, S. 100. Siehe die Ausführungen in der Einführung, A. 46 Gebilligt vom Europäischen Rat auf seinem Treffen am 11. und 12. Dezember 1998 in Wien, ABl. 1999 Nr. C 19, S. 13, Ziff. 45 f. 47 Mitteilung der Kommission vom 26.07.2000, KOM (2000) 495 endg. 48 Maßnahmenprogramm 1001/C 12/02 vom 30. November 2000 zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. 2001 Nr. C 12, S. 10. 49 Vgl. die Aufführung der erlassenen Rechtsakte oben in der Einführung, A., Fn. 19. 50 Siehe Vorschlag vom 14.11.2003 für einen Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren, KOM (2003) 688 endg. (das Europäische Parlament hat am 31.03.2004 eine diesbezügliche legislative Entschließung angenommen, siehe PE 45

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

Dass das Ziel der Verankerung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Entscheidungen im Rahmen der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen seit den Tagungen von Cardiff und Tampere bis heute keine Bedeutung verloren hat, sondern seitdem stets forciert wurde, kann den zahlreichen weiteren Erklärungen des Europäischen Rates zu diesem Thema in den letzten Jahren entnommen werden. So betonte der Europäische Rat von Laeken im Dezember 2001 das Erfordernis, die Anstrengungen zur Überwindung der durch die unterschiedlichen Rechtsordnungen bedingten Schwierigkeiten insbesondere durch Förderung der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen im zivil- und strafrechtlichen Bereich fortzusetzen.51 Ferner wurde nach Ablauf des in Tampere verabschiedeten Fünfjahresplans mit der Verabschiedung des Haager Programms52 auf der Regierungskonferenz in Brüssel im November 2004 an das Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen aus dem Jahre 2000 mit dem Ziel angeknüpft, das Maßnahmenprogramm abzuschließen.53

H. Anstrengungen für eine Neuordnung der primärrechtlichen Grundlagen nach der gescheiterten Annahme des Vertrages über eine Verfassung für Europa Trotz der rasant fortschreitenden Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich von Strafsachen durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch den Erlass zahlreicher Rechtsakte54 ist auch der Integrationsprozess in diesem Bereich zu Beginn 344.177, S. 210); vgl. hierzu Ahlbrecht, in: NStZ 2006, S. 70 ff. und Gleß, in: StV 2004, S. 679 ff. Siehe auch den Vorschlag vom 17.03.2005 für einen Rahmenbeschluss zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, KOM (2005) 91 endg.; den Vorschlag vom 28.04.2004 für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM (2004) 328 endg. und den Vorschlag vom 22.12.2005 für einen Rahmenbeschluss über die Durchführung und den Inhalt des Austausches von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, KOM (2005) 690 endg.; vgl. zum jeweiligen Stand auch http://eu ropa.eu.int (Rubrik: Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen). 51 Europäischer Rat von Laeken vom 14. und 15. Dezember 2001, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziff. 17, 45. 52 Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01), ABl. 2005 Nr. C 53, S. 1. 53 Europäischer Rat von Brüssel am 04. und 05. November 2004, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziff. 3.3.1., S. 37 f. 54 Vgl. die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 19.

H. Neuordnung der primärrechtlichen Grundlagen

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des neuen Jahrtausends gut dreißig Jahre nach Beginn der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) Anfang der 70er Jahre ins Stocken geraten. I. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa Der Grund dafür liegt darin, dass das Vorhaben, die Europäische Union durch einen Vertrag über eine Verfassung für Europa55 auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen, trotz der anfänglichen positiven Voten in 13 von 25 Mitgliedstaaten wegen der ablehnenden Haltung breiter Teile der Bevölkerung in Europa gegenüber dem Vertrag, insbesondere in Frankreich und in den Niederlanden56, fehlschlug. Dadurch scheiterte vorerst unter anderem der mit dem Verfassungsvertrag verbundene Plan, die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen durch eine Verschmelzung der drei bisherigen Säulen der Europäischen Union in die allgemeine Struktur der vergemeinschafteten Politiken zu überführen57, um auf diesem Wege den Bereich in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren einzubeziehen58 und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als Grundlage der Zusammenarbeit auch primärrechtlich zu verankern.59 Ebenso erledigten sich vorerst alle weiteren Reformvorhaben. Diese beinhalteten unter anderem, dem Rat und dem Europäischen Parlament, denen die Gesetzgebung obliegen sollte, zu ermöglichen, Definitionen und gemeinsame Strafen für in der Verfassung aufgeführte schwerwiegende Formen der internationalen Kriminalität festzulegen. Dazu gehörten die Delikte Terrorismus, Drogenhandel, Menschenhandel, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Umweltstraftaten. Auch die Möglichkeit, Rahmengesetze betreffend Aspekte der Strafprozessordnung verabschieden zu können und die bereits bestehende Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen von Eurojust zu verstärken und durch die Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft erweitern zu können, wurde zunächst hinfällig.

55

Unterzeichnet in Rom am 29.10.2004, ABl. 2004 Nr. C 310, S. 1. Beim in Frankreich am 29.05.2005 durchgeführten Referendum über die Annahme des Verfassungsvertrages lehnten 54,68% der abgegebenen Stimmen die Ratifizierung ab, in den Niederlanden waren es am 01.06.2005 61,7%. 57 Kainer, in: Jopp/Matl, S. 283, 299; Borchardt, Rdnr. 32, 50; Ruffert, in: Pache, S. 14, 23; Streinz, in: FS Zuleeg, S. 108, 116; Müller-Graff, in: FS Zuleeg, S. 605, 612; Geiger, in: FS Meyer, S. 339, 340 f. 58 Müller-Graff, in: Hummer/Obwexer, S. 283, 299. 59 Streinz/Ohler/Herrmann, S. 109; zu beachten ist, dass für den Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch durch den Verfassungsvertrag keine unmittelbar anwendbaren Vorschriften ins Primärrecht aufgenommen werden sollten, siehe Müller-Graff, in: FS Zuleeg, S. 605, 612. 56

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Kap. 1: Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in der EU

II. Die Vertragsrevision durch den Vertrag von Lissabon Der durch die Ablehnung des Verfassungsvertrages vorübergehend eingetretene Zustand der Lähmung der Reformen der Europäischen Institutionen konnte am 18./19. Oktober 2007 auf einer Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Portugal durch die Verabschiedung des Vertrages von Lissabon60 überwunden werden, nachdem man sich im Vorfeld der Konferenz darauf geeinigt hatte, die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union einfacher über eine Revision der bestehenden Verträge erneuern zu können als über einen mit negativer Symbolkraft behafteten Verfassungsvertrag.61 Mit dem Vertrag von Lissabon konnten zahlreiche zentrale Änderungsvorhaben des Verfassungsvertrages auch für den Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit wieder aufgegriffen werden.62 So wurden die im Titel VI des Vertrages über die Europäische Union verorteten Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in Art. 29 ff. EU komplett in den neuen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union überführt und damit mit den Vorschriften über das Europäische Gemeinschaftsrecht in einem Vertrag zusammengefasst.63 Der neue Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthält in Titel V, Art. 67 ff. AEU, fünf Kapitel: Kapitel eins enthält allgemeine Bestimmungen, Kapitel zwei Vorschriften über die Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, Kapitel drei Vorschriften über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Kapitel vier Bestimmungen über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und Kapitel fünf Regelungen über die polizeiliche Zusammenarbeit. Bei Betrachtung des in Art. 82 ff. AEU verorteten Bereichs der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wird deutlich, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen die künftige Zusammenarbeit maßgeblich als bestimmendes Prinzip prägen wird. Es stellt gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEU die Grundlage der zukünftigen Zusammenarbeit dar, nach der sich das gesamte weitere gesetzgeberische Vorgehen zu richten hat. So sieht Art. 82 Abs. 1 S. 2 lit. a) AEU vor, dass das Europäische Parlament und der Ministerrat Maßnahmen64 erlassen sollen, um Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen 60 Vgl. hinsichtlich der Fundstellen zum Vertrag von Lissabon die Ausführungen oben in der Einführung, B., Fn. 33. 61 Eine grundlegende Einigung wurde auf dem Europäischen Rat vom 21. bis 23.06. 2007 in Brüssel erzielt. 62 Weber, in: EuZW 2008, S. 7, 13. 63 Weber, in: EuZW 2008, S. 7, 13. 64 Vgl. zur primärrechtlichen Ausgestaltung des künftigen Rechtsetzungsverfahrens die Ausführungen unten in Kapitel 2, C.

H. Neuordnung der primärrechtlichen Grundlagen

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Entscheidungen in der gesamten Union sicher gestellt wird. Ferner sieht Art. 82 Abs. 2 AEU vor, dass das Europäische Parlament und der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen können, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist. Auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 1 AEU besteht künftig eine gegenüber dem jetzigen Vertragswerk weitergehende Ermächtigungsgrundlage zur Festlegung von Mindestvorschriften für Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension.65 Schließlich wird durch den Vertrag von Lissabon mit Art. 86 AEU primärrechtlich die Möglichkeit verankert, zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union eine Europäische Staatsanwaltschaft einzusetzen. Unzweifelhaft kann damit festgehalten werden, dass der Vertrag von Lissabon die Möglichkeit der grenzüberschreitenden strafrechtlichen Zusammenarbeit weiter vorantreibt. Insbesondere bemerkenswert ist, dass das Anerkennungsprinzip zehn Jahre nach seinem Anstoß auf den Gipfeln des Europäischen Rates in Cardiff und Tampere im Falle der vollständigen Ratifikation des Vertrages von Lissabon nicht mehr nur sekundärrechtlich eine entscheidende Rolle bei dem Ziel der Intensivierung der Zusammenarbeit spielt, sondern auch bestimmendes primärrechtliches Fundament wird.

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Zur jetzigen primärrechtlichen Ermächtigung vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU.

Kapitel 2

Gegenwärtige primärrechtliche Ausgestaltung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Infolge der Tatsache, dass die Annahme des Vertrages über eine Verfassung für Europa im Jahre 2005 scheiterte und die letzte große Vertragsrevision durch den Vertrag von Nizza im Jahre 2001 keine grundlegenden Veränderungen für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit sich brachte, unterliegt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen auch heute noch im Wesentlichen den Regelungsstrukturen des Vertrages von Amsterdam und den durch diesen geschaffenen sekundärrechtlichen Regelungsinstrumentarien.1 Im Folgenden soll nun durch einen Blick auf die gegenwärtig geltenden primärrechtlichen Grundlagen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, auf welchem rechtlichen Boden der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ergangen ist und welcher rechtliche Charakter ihm als Handlungsinstrument zukommt.

A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen der Europäischen Union ist nach dem Willen der Mitgliedstaaten im geltenden Vertragsrecht der Europäischen Union im Grundsatz intergouvernemental strukturiert.2 Die Richtigkeit dieser Aussage beruht zunächst einmal auf dem Umstand, dass dieser Bereich im Primärrecht weitestgehend3 nicht dem supranationalen System des Gemeinschaftsrechts zugeordnet wurde, welches sich insbesondere durch unabhängige Gemeinschaftsinstitutionen, das Mehrheitsprinzip sowie den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auszeich-

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Vgl. die Ausführungen in Kapitel 1, F., I. So auch weiterhin die Betonung durch das BVerfG, in: BVerfGE 113, 273 (297); Kraus-Vonjahr, S. 195; Lorenzmeier, in: ZIS 2006, S. 576, 576; Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Schulze/Zuleeg, § 42, Rdnr. 26; vgl. hinsichtlich der Ursprünge die Ausführungen in Kapitel 1, D. 3 Eine Ausnahme besteht für die in Titel IV, Art. 61 ff. EG geregelten Bereiche. 2

A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit

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net4, sondern sich nach den in Art. 29 ff. EU getroffenen Regelungen des Unionsvertrages richtet.5 Die Union verfolgt nach Art. 29 Abs. 1 EU unbeschadet der Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft das Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten, indem sie ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entwickelt. Die Grundlagen für die Erreichung des in Art. 29 Abs. 1 EU beschriebenen Ziels sind insbesondere in Art. 30 bis 32 EU verankert. Zentrale Zuständigkeitsbestimmung für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im gegenwärtig geltenden Vertrag über die Europäische Union ist Art. 31 Abs. 1 EU. In formeller Hinsicht besteht damit gegenwärtig nach der fehlgeschlagenen Zusammenführung der einzelnen Säulen der Europäischen Union durch den Verfassungsvertrag an der grundsätzlich intergouvernementalen Struktur der gegenwärtigen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kein Zweifel.6 Betrachtet man jedoch die Entwicklung, die der Vertrag über die Europäische Union seit der erstmaligen Verankerung des so genannten Säulensystems durch den Vertrag von Maastricht im Laufe der Zeit durch die Verträge von Amsterdam und Nizza genommen hat, so wird erkennbar, dass auch der Unionsvertrag auf eine zunehmende Integration angelegt ist, um die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaft um weitere Politiken und Formen der Zusammenarbeit zu ergänzen.7 Dies wird zum einen dadurch deutlich, dass der Unionsvertrag trotz der unterschiedlich stark vergemeinschafteten Bereiche der Zusammenarbeit unter dem Dach der Europäischen Union seit dem Vertrag von Maastricht und verstärkt seit dem Amsterdamer Vertrag gemäß Art. 3 Abs. 1 EU einen einheitlichen institutionellen Rahmen für alle Bereiche vorsieht8 und die Organe der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 5 EU ihre Befugnisse auch im Bereich des Vertrages über die Europäische Union ausüben.9 Dass die Europäische Union in gewissem Maße ein von den Mitgliedstaaten verselbständigtes Gebilde ist, zeigt sich auch daran, dass der geltende Vertrag über die Europäische Union 4 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 1 EUV, Rdnr. 9; Oppermann, § 6, Rdnr. 4. 5 Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 9 f.; Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV-Kommentar, Art. 61 EGV, Rdnr. 4; Müller-Graf, in: Hummer, S. 259, 264. 6 BVerfGE 113, 273 (297); vgl. auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 83. 7 GA Kokott, Schlussantrag vom 11.11.2004 zu EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I5289, Rdnr. 33 – Pupino; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 1 EUV, Rdnr. 9. 8 Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 63; Vedder, in: Müller-Graff/ Schwarze, S. 7, 11. 9 Vgl. hierzu Nicolaysen, in: FS Oppermann, S. 187, 197.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

neben der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auch die gemeinsame Ausübung von Souveränität durch die Union selbst beinhaltet.10 So ist die Union selbst Adressat unionsvertraglicher Verpflichtungen und handelnde Einheit.11 „Sie“ achtet nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 EU auf die äußere Kohärenz der von ihr ergriffenen Maßnahmen und gemäß Art. 6 Abs. 2 EU die Grundrechte sowie gemäß Art. 6 Abs. 3 EU die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. Ferner entwickelt „sie“ gemäß Art. 29 Abs. 1 EU ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Insofern liegt es angesichts der aufgezeigten vertraglichen Konzeption der Union nahe, von ihr als einem Verband mit körperschaftlicher Organisationsstruktur zu sprechen, der seine Befugnisse von den Mitgliedstaaten ableitet.12 Dass die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen auf der Grundlage der gegenwärtigen Vertragslage nicht mehr als eine von den vergemeinschafteten Bereichen der Union losgelöste völkerrechtliche Zusammenarbeit verstanden werden kann, folgt schließlich aus der in Art. 42 EU verankerten Option zur Vergemeinschaftung weiterer Maßnahmen aus dem Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Auch wird eine enge Verzahnung der Zusammenarbeit im Rahmen der dritten Säule mit der ersten Säule durch Art. 61 EG deutlich. Die Vorschrift zielt ebenfalls auf die Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ab und verweist zu diesem Zweck in lit. e) auf Maßnahmen im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Vertrag über die Europäische Union. Insbesondere hierdurch wird klar, dass sich die Ziele der ersten und der dritten Säule nicht mehr eindeutig voneinander trennen lassen.13 Die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Strafsachen ist damit dem Charakter der rein völkerrechtlichen Zusammenarbeit ein Stück entrückt. Sie findet unter dem Dach der Europäischen Union in enger Anlehnung an den vergemeinschafteten Bereich des Binnenmarktrechts statt. Sie stellt sich als eine Übergangsform zwischen einer rein intergouvernementalen und einer supranationalen Entwicklungsstufe dar.14

10 Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Vor Art. 29 EUV, Rdnr. 25. 11 Nicolaysen, S. 62; Klein, in: Ruffert (2003), S. 119, 124. 12 Dörr/Mager, in: AöR 125 (2000), S. 386, 419; Wichard, in Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 4 EUV, Rdnr. 9 f.; Borchardt, § 4, Rdnr. 133; Reichelt, S. 12; a. A. Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 79; Hilf, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 1 EUV, Rdnrn. 32 ff. 13 Roeben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. II, Art. 61 EGV, Rdnr. 3. 14 Wolf, in: KJ 2005, S. 350, 352 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, in: ZRP 2002, S. 329, 330; Götz, in: FS Rauschning, S. 185, 193; Di Fabio, in: DÖV 1997, S. 89, 91; Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 63; Ambos, § 12, Rdnr. 3 f.; sie-

A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit

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I. Rolle der Organe im Rechtsetzungsverfahren im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Dass die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nicht mehr in der Form reiner klassischer zwischenstaatlicher Zusammenarbeit vonstatten geht, wird insbesondere an der Art und Weise deutlich, wie die Rechtsetzung in diesem Bereich erfolgt. So findet die Zusammenarbeit nicht in rein multilateraler Form statt, sondern gemäß Art. 32 und 34 EU in einem eigenen Organ, dem Rat.15 Die Mitgliedstaaten sind zur Zusammenarbeit in diesem Organ verpflichtet, sie müssen den anderen Mitgliedstaaten alle relevanten Informationen zugänglich machen.16 Zur Unterstützung des Rates sieht Art. 36 Abs. 1 EU einen Koordinationsausschuss vor, so dass die Zusammenarbeit heutzutage nicht mehr im Rahmen informeller Treffen der Innen- und Justizminister verläuft, sondern eingebunden im einheitlichen institutionellen Rahmen.17 Zur Fortentwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kann der Rat alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören neben den in Art. 34 Abs. 2 EU genannten Handlungsformen u. a. Empfehlungen, Berichte, Aktionspläne oder Arbeitsprogramme.18 Dem Rat kommt bei der Beschlussfassung die zentrale Rolle zu.19 Er entscheidet grundsätzlich einstimmig.20 Abweichend vom Einstimmigkeitsprinzip entscheidet er nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. c) S. 2 EU über Maßnahmen zur Durchführung von Beschlüssen jedoch mit qualifizierter Mehrheit und nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) Uabs. 2 S. 2 EU über Maßnahmen zur Durchführung von Übereinkommen mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten. In Verfahrensfragen, etwa über die Geschäftsordnung, beschließt der Rat darüber hinaus nach Art. 34 Abs. 4 EU sogar nur mit einfacher Mehrheit. Auch die Einbindung der Kommission und des Europäischen Parlaments in den Entscheidungsprozess im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zeigt die vorangeschrittene Integrationsdichte dieses Bereiches der Europäischen Union. he hinsichtlich der bisherigen Definitionsversuche Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 10; Musil, in: NStZ 2000, S. 68, 69. 15 Götz, in: FS Rauschning, S. 185, 193. 16 Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 5; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 1 f. 17 Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 13; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/ EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 5. 18 Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 13. 19 Griebenow, S. 124; Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 13; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 5. 20 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 9; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 2.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

Die Kommission wird nach Art. 36 Abs. 2 EU in vollem Umfang an den Arbeiten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen beteiligt. Sie besitzt gemäß Art. 34 Abs. 2 EU neben den Mitgliedstaaten ein konkurrierendes Initiativrecht für Rechtsakte nach Art. 34 EU. Dem Europäischen Parlament stehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eingeschränkte Rechte zu. Zwar hat es nach Maßgabe von Art. 39 Abs. 1 EU ein Anhörungsrecht. Auch ist es regelmäßig über die durchgeführten Arbeiten zu unterrichten und kann Anfragen an den Rat richten und parlamentarische Entschließungen verabschieden. Ein Mitentscheidungsrecht im Sinne von Art. 251 EG wie bei der Verabschiedung zahlreicher Rechtsakte im Gemeinschaftsrecht steht ihm bei der Verabschiedung von Rechtsakten in diesem Bereich allerdings nicht zu, so dass es die Annahme von Rechtsakten durch den Rat grundsätzlich nicht verhindern kann.21 Der fortschreitende Grad der Verknüpfung der gemeinschaftsrechtlichen Institutionen mit der unionsrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wird jedoch im Rahmen der Beschlussfassung vor allem durch die Existenz von Art. 41 EU sichtbar, der wichtige gemeinschaftsrechtliche Vorschriften im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen für anwendbar erklärt. So wird insbesondere durch den Verweis auf die entsprechende Anwendung des Art. 205 Abs. 3 EG deutlich, dass der Grundsatz der Einstimmigkeit für die Beschlussfassung von Rechtsakten im Rat keine absolute Geltung hat, da Stimmenenthaltungen dem Zustandekommen von einstimmigen Beschlüssen nicht im Wege stehen. Ferner hat das Europäische Parlament über den Verweis in Art. 41 Abs. 4 EU im Wege seiner Budgetzuständigkeit die Möglichkeit, auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Einfluss auszuüben. Schließlich macht vor allem die Überprüfbarkeit erlassener Rechtsakte im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen durch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 35 EU die weitgehende institutionelle Einbindung des Bereichs der dritten Säule in das Gemeinschaftsrecht deutlich. Wenn auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eingeschränkt ist, so besteht doch nach Art. 35 Abs. 1 bis 4 EU eine fakultative Zuständigkeit für das Vorabentscheidungsverfahren22, 21 Siehe hinsichtlich der insoweit zu übenden Kritik an dem geringen demokratischen Legitimationsniveau bei der Verabschiedung von Rechtsakten im Bereich der dritten Säule die Ausführungen unten in Kapitel 6, B., I., 1. 22 Der Bundesgesetzgeber hat eine Vorlagepflicht für letztinstanzlich entscheidende Gerichte und ein Vorlagerecht für alle unterinstanzlichen Gerichte vorgesehen, siehe das Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EUV, BGBl. 1998 I, S. 2035 ff. Die Möglichkeit, abweichend zu Art. 35 Abs. 3 EU für letztinstanzliche Gerichte eine Vorlagepflicht einzurichten, ergibt sich aus der in der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam abgegebenen Erklärung Nr. 10.

A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit

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nach Art. 35 Abs. 6 EU eine zwingende Zuständigkeit für die Nichtigkeitsklage der Kommission oder eines Mitgliedstaates und gemäß Art. 35 Abs. 7 EU das Streitbeilegungsverfahren.23 Dadurch haben die Mitgliedstaaten auch die intergouvernementale Zusammenarbeit in Strafsachen in weiten Bereichen der Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof unterstellt und somit einen Teil ihrer Handlungsfreiheit aufgegeben.24 II. Handlungsformen der Europäischen Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Die gegenwärtige primärrechtliche Vertragslage sieht in Art. 34 Abs. 2 EU vier verschiedene Instrumente vor, mittels derer die Zusammenarbeit zur Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gefördert werden soll. Dabei handelt es sich um Gemeinsame Standpunkte gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. a) EU (1.), Rahmenbeschlüsse Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU (2.), Beschlüsse gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. c) EU (3.) und Übereinkommen gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU (4.). Ohne sich mit den jeweiligen Details der verschiedenen Handlungsformen beschäftigen zu wollen, soll eine kurze Darstellung der einzelnen Instrumente an dieser Stelle die jeweiligen Besonderheiten der Handlungsformen näher bringen. 1. Gemeinsame Standpunkte, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. a) EU Mittels der Handlungsform Gemeinsame Standpunkte sollen gemeinsame Handlungsziele des Rates definiert werden, welche unter Anwendung der weiteren Maßnahmen erreicht werden können. Sie ist von den Gemeinsamen Standpunkten, die der Rat im Rechtsetzungsverfahren nach dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft gemäß Art. 251 ff. EG annimmt, sowie von der gleichnamigen in Art. 12 Spstr. 4 EU verankerten Handlungsform im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu unterscheiden. Hinsichtlich der Rechtswirkung der Gemeinsamen Standpunkte ordnet Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. a) EU an, dass Gemeinsame Standpunkte das Vorgehen der Union bestimmen, die 23 Die Möglichkeit, eine Individualnichtigkeitsklage entsprechend Art. 230 Abs. 4 EG geltend zu machen, sieht Art. 35 Abs. 6 EU nicht vor. Art. 35 Abs. 5 EU regelt im Übrigen, dass Maßnahmen der Polizei oder einer anderen Strafverfolgungsbehörde eines Mitgliedstaates nicht auf ihre Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit überprüft werden dürfen. 24 Feik, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 9, 14. Die Frage, ob die Kompetenz des Europäischen Gerichthofs im Bereich der dritten Säule als ausreichend anzusehen ist, ist Gegenstand der Ausführungen unten in Kapitel 6, B., VI., 2. Siehe grundlegend zum Rechtsschutzsystem im Bereich der dritten Säule Ludwig, S. 94 ff. und Hourle, S. 102 ff.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

Mitgliedstaaten sie also intern wie international zu beachten bzw. zu vertreten haben.25 Sie dienen zum einen als Zielsetzung, zum anderen als rechtlicher Rahmen für den jeweiligen Vorsitz der Europäischen Union.26 Adressat der Gemeinsamen Standpunkte sind damit nicht die Mitgliedstaaten, sondern die Europäische Union selbst.27 Über die Frage der völkerrechtlichen Bindungswirkung von gemeinsamen Standpunkten besteht in der europarechtlichen Literatur Uneinigkeit,28 jedenfalls wird aber eine Durchgriffswirkung auf das nationale Recht abgelehnt.29 Für Gemeinsame Standpunkte ist in Art. 39 Abs. 1 EU keine Anhörung des Europäischen Parlaments vorgesehen. Dass es sich eher um einen politisch denn rechtlich bedeutsamen Rechtsakt im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen handelt, wird darüber hinaus auch dadurch deutlich, dass Gemeinsame Standpunkte gemäß Art. 35 Abs. 1 und 6 EU nicht Gegenstand einer Vorabentscheidung oder einer Nichtigkeitsklage sein können und sich eine eingeschränkte Justiziabilität nur aus Art. 35 Abs. 7 ergibt.30 2. Rahmenbeschlüsse, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU Die Handlungsform des Rahmenbeschlusses ist im Vertrag von Amsterdam als neue Handlungsform eingeführt worden und hat das zuvor auf der Grundlage des Vertrags von Maastricht bestehende Instrument der Gemeinsamen Maßnahme ersetzt.31 Die Mitgliedstaaten verfolgten damit das Ziel, dem Rat eine schnelle effektive Handlungsmöglichkeit zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, etwa im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts nach Art. 31 Abs. 1 lit. c) und e) EU zu eröffnen.32 Deutlich lehnt sich das Instrument des Rahmenbeschlusses eng an das gemeinschaftsrechtliche Instru-

25 Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 12. 26 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 11. 27 Nemitz, in: Lenz/Borchardt, Art. 34 EUV, Rdnr. 7. 28 Für die Annahme einer Verbindlichkeit: Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGVKommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 8; Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 8; a. A. Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 5; Geiger, EUV/EGV, Art. 34 EUV, Rdnr. 5. 29 Streinz, Rdnr. 475; Thun-Hohenstein, S. 44; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/ EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 8; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 12. 30 Griebenow, S. 125; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 11. 31 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, F., I. 32 Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 10.

A. Grundsatz der vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit

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ment der Richtlinie im Sinne von Art. 249 Abs. 3 EG an.33 So besitzt auch der Rahmenbeschluss rechtliche Verbindlichkeit hinsichtlich seines Ziels, während die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung dieses Ziels den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Damit ist deutlich zu erkennen, dass Rahmenbeschlüsse wie gemeinschaftsrechtliche Richtlinien eine Pflicht zur Umsetzung begründen.34 Obwohl eine unmittelbare Anwendbarkeit von Rahmenbeschlüssen durch Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU ausdrücklich ausgeschlossen ist, führt die Ähnlichkeit des Wortlauts von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU mit dem in Art. 249 Abs. 3 EG verwendeten Wortlaut seit langem zu Auseinandersetzungen in der Literatur zu der Frage der Wirkung von Rahmenbeschlüssen im innerstaatlichen Recht. Dabei betont eine Ansicht die Unterschiede der dritten Säule gegenüber der ersten Säule35, während die Gegenauffassung die Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschlüssen mit gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien unterstreicht36. Der Europäische Gerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 16. Juni 2005 in der Rechtssache Pupino in dieser Auseinandersetzung eher auf die Seite der Vertreter geschlagen, die die Parallelen von Rahmenbeschlüssen zum supranationalen Gemeinschaftsrecht hervorheben.37 Dies kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, ohne dass damit der vertieften Auseinandersetzung mit dem Urteil im folgenden Abschnitt der Untersuchung38 vorgegriffen werden soll.

33 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 13; Hilf/ Pache, in: NJW 1998, S. 705, 707. 34 Dies betont insbesondere Wolf, in: KJ 2005, S. 350, 352 in seiner Auseinandersetzung mit dem Urteil des BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, das den mitgliedstaatlichen Legislativorganen die politische Gestaltungsmacht eingeräumt hatte, die Verweigerung notfalls zu verweigern, vgl. BVerfGE 113, 273 (301); siehe ebenso Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 63; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 43, 74; Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 27 ff.; Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 453; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 866 ff.; Unger, in: NJW 2005, S. 1266, 1268 ff. Siehe auch die Ausführungen zur Umsetzungsverpflichtung unten in Kapitel 6, B., I., 2., b). 35 Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 261, 269; Unger, S. 49; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 1148; Geiger, EUV/EGV, Art. 34 EUV, Rdnr. 6; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 9; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 6; Zott, S. 285; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 45. 36 Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 27 ff.; ders., in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 63; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 EUV, Rdnrn. 14 ff.; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 15 ff.; Skouris, in: ZEuS 2005, S. 463, 476; Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 384. 37 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 41 ff. – Pupino. 38 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 2, B., III.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

3. Beschlüsse, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. c) EU Beschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. c) EU, ebenso wie Rahmenbeschlüsse durch den Vertrag von Amsterdam im Primärrecht der Europäischen Union verankert, unterscheiden sich von Rahmenbeschlüssen durch Zielsetzung und Adressaten. So dienen Beschlüsse nicht der Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, sondern betreffen jeden anderen Zweck und stellen insofern einen Auffangtatbestand dar.39 Sie wenden sich nur an die rechtsanwendenden Exekutivorgane in den Mitgliedstaaten.40 Beschlüsse sind im Gegensatz zu Rahmenbeschlüssen völkerrechtlich nicht nur hinsichtlich ihres Ziels, sondern umfassend verbindlich. Ebenso wie bei Rahmenbeschlüssen ist eine unmittelbare Wirksamkeit jedoch vertraglich ausgeschlossen.41 Ob die im Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtssache Pupino entwickelten Grundsätze42 zur Frage der Wirkung von Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht – wie in der Literatur vereinzelt angenommen43 – auch für Beschlüsse gelten, ist eher zweifelhaft, da der Charakter von Beschlüssen und Rahmenbeschlüssen wie gerade festgestellt doch sehr unterschiedlich ist. 4. Übereinkommen, Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU Das vierte Instrument, mit dem die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 34 Abs. 2 EU gefördert werden soll, ist das Instrument des völkerrechtlichen Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten.44 Übereinkommen im Sinne von lit. d) sind als einzige Maßnahme nicht bereits mit dem Ratsbeschluss für die Mitgliedstaaten verbindlich, sondern erfordern die Durchführung eines innerstaatlichen Zustimmungsverfahrens nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften.45 Eine rechtliche Bindung der Mitgliedstaaten tritt erst nach dem erfolgreichen Abschluss des Ratifikationsverfahrens ein.46 Die Rolle 39

Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 7. Nemitz, in: Lenz/Borchardt, Art. 34 EUV, Rdnr. 12. 41 Nemitz, in: Lenz/Borchardt, Art. 34 EUV, Rdnr. 13; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 22. 42 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309 – Pupino, vgl. im Einzelnen die Ausführungen in Kapitel 2, B., I. 43 Nemitz, in: Lenz/Borchardt, Art. 34 EUV, Rdnr. 13. 44 Nicht unter Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU fallen Übereinkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, vgl. Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 23. 45 Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34, Rdnr. 19; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 25. Verfassungsrechtliche Grundlage für die Zustimmung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Vertragsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. 46 Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 29. 40

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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des Rates beschränkt sich hier folglich darauf, die Übereinkommen auszuarbeiten und sie den Mitgliedstaaten zur Annahme innerhalb einer vorgegebenen Frist zu empfehlen.47 Dass bei der Herbeiführung der rechtlichen Bindung von Übereinkommen nicht der langsamste Mitgliedstaat das Tempo der Umsetzung bestimmt, verhindert die in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EU getroffene Regelung, wonach ein Übereinkommen, sobald es von der Hälfte der Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, für diese in Kraft tritt. Obwohl das Instrument des Übereinkommens damit gegenüber rein völkerrechtlichen Übereinkommen gewisse Unterschiede aufzeigt, spiegelt sich in diesem nach wie vor die ursprünglich völkerrechtliche Form der Zusammenarbeit im Bereich der dritten Säule am deutlichsten wieder.48

B. Vergemeinschaftungstendenzen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen: Zur innerstaatlichen Wirkung von Rahmenbeschlüssen Wie im vorangegangenen Abschnitt mehrmals angedeutet, hat der Europäische Gerichtshof im Juni 2005 mit seinem Urteil in der Rechtssache Pupino49 ein mit Blick auf den Stand der Integration der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Aufsehen erregendes Urteil gesprochen. Da der Gerichtshof in diesem Verfahren erstmalig50 aufgerufen war, im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 35 Abs. 1 EU einen Rahmenbeschluss auf der Grundlage von Art. 31 EU i.V. m. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU auszulegen, ist die Bedeutung dieses Urteils für die Beschäftigung mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl unverkennbar, da dessen Rechtswirkungen mit der Frage der grundsätzlichen Auslegung von Rahmenbeschlüssen eng verknüpft sind. Im Rahmen des folgenden Abschnitts soll daher eine intensive Auseinandersetzung mit dem Urteil und mit der bis heute erfolgten Fülle von Stellungnahmen zu dem Urteil in der Literatur Licht ins Dunkel bei der Frage nach der Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bringen.

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Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 34 EUV, Rdnr. 12. Braum, S. 403. 49 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5285 ff. – Pupino. 50 So ausdrücklich GA Kokott, Schlussanträge vom 11.11.2004 zu EuGH, Rs. C105/03, Slg. 2005 I-5289, Rdnr. 1 – Pupino. 48

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

I. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pupino 1. Die Vorlagefrage Der Fall Pupino behandelte eine Vorlagefrage eines italienischen Ermittlungsrichters vom Tribunale Florenz nach Art. 35 Abs. 1 EU betreffend die Auslegung des in Italien zum damaligen Zeitpunkt nicht innerhalb der Umsetzungsfrist umgesetzten Rahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren.51 Der Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren verlangt unter anderem, Opfer einer Straftat vor den Folgen ihrer Zeugenaussage in einer öffentlichen Hauptverhandlung zu schützen.52 Die Vorlagefrage ergab sich daraus, dass die italienische Strafprozessordnung in dem Strafverfahren gegen die Kindergärtnerin Maria Pupino wegen Missbrauchs disziplinarischer Mittel eine Zeugenvernehmung einer Reihe von vermeintlich geschädigten Kindern außerhalb der Hauptverhandlung nicht zuließ, da eine solche Vernehmung nur bei Straftaten mit sexuellem Bezug vorgesehen war. Daher legte der Ermittlungsrichter dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob der Rahmenbeschluss dahingehend auszulegen sei, dass Kleinkinder in Fällen wie in dem Strafverfahren gegen Frau Pupino aufgrund des Rahmenbeschlusses außerhalb der Hauptverhandlung im Wege der Beweissicherung als Zeugen vernommen werden könnten, auch wenn dies die nationale Rechtsordnung nicht vorsehe. 2. Die Urteilsgründe Der Gerichtshof, dessen Zuständigkeit gemäß Art. 46 lit. b) EU i.V. m. Art. 35 EU i.V. m. Art. 234 EG aus der Tatsache folgt, dass Italien sich mit Wirkung vom 1. Mai 1999 der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs unterworfen hat53, beschäftigte sich im Kern seiner Urteilsgründe mit der Frage, ob und in welchem Umfang ein aufgrund von Titel VI des Vertrages über die Europäische Union ergangener Rahmenbeschluss eine Verpflichtung der nationalen Behörden zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts begründet. Der Gerichtshof bejahte diese Pflicht mit der Feststellung, dass der Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU eine weitgehende Parallelität mit Art. 249 Abs. 3 EG aufweist und dem daraus folgenden zwingenden Charakter von Rahmenbeschlüssen.54 Soweit das vorlegende Gericht das nationale Recht bei An51 52 53

Rahmenbeschluss 2001/220/JT vom 15. März 2001, ABl. 2001 Nr. L 82, S. 1. Art. 8 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JT. Siehe für die Notwendigkeit der Unterwerfungserklärung Art. 35 Abs. 3 lit. b)

EU. 54

pino.

EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 31, 43 – Pu-

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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wendung des Rahmenbeschlusses auszulegen habe, müsse es seine Auslegung so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ziel zu erreichen.55 Bei der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung handele es sich um eine unmittelbar auf Unionsrecht beruhende Pflicht. Gegen die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung spräche nicht die im Vergleich zum Vertrag über die Europäische Gemeinschaft begrenzten Zuständigkeiten des Gerichtshofs nach Art. 35 EU im Rahmen von Titel VI des Vertrages über die Europäische Union. Unabhängig von dem durch den Vertrag von Amsterdam angestrebten Integrationsgrad bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zwischen den Völkern Europas im Sinne von Art. 1 Abs. 2 EU sei es nämlich völlig verständlich, dass die Verfasser des Vertrages es für angebracht gehalten hätten, im Rahmen von Titel VI des Vertrages den Rückgriff auf Rechtsinstrumente mit analogen Wirkungen wie im EG-Vertrag vorzusehen, um einen wirksamen Beitrag zur Verfolgung der Ziele der Union zu leisten.56 Der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung stehe ferner auch nicht die Tatsache entgegen, dass es im Vertrag über die Europäische Union keine dem Art. 10 EG entsprechende Vorschrift gebe. Die in Art. 10 EG normierte Gemeinschaftstreue sei mit dem in Art. 1 Abs. 2 und 3 EU verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit vergleichbar. Dieser unionsrechtliche Ansatz gelte auch in der dritten Säule der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und verpflichte die Mitgliedstaaten dazu, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer unionsrechtlichen Bindungen zu treffen.57 Jedoch ergäben sich – so die weiteren Ausführungen des Gerichtshofs – für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch Grenzen. Diese lägen dort, wo allgemeine Rechtsgrundsätze, insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot, betroffen seien. Insbesondere ende die Verpflichtung des nationalen Gerichts, den Inhalt eines Rahmenbeschlusses bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts heranzuziehen, wenn dieses nicht so angewendet werden kann, dass ein Ergebnis erzielt wird, das mit dem durch den Rahmenbeschluss angestrebten Ergebnis vereinbar ist. Der Grundsatz konformer Auslegung dürfe mit anderen Worten nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts oder zu

55 56

EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 43 – Pupino. EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 35 ff. – Pu-

pino. 57

pino.

EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 41 ff. – Pu-

52

Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

einer Verschärfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach nationalem Recht führen.58 Vor diesem Hintergrund beantwortete der Europäische Gerichtshof die Vorlagefrage des italienischen Gerichts dahingehend, dass die nationalen Vorschriften der italienischen Strafprozessordnung aufgrund des Rahmenbeschlusses durch das vorlegende Gericht so auszulegen seien, dass Kleinkindern, die nach ihren Angaben Opfer von Misshandlungen geworden sind, die Möglichkeit gegeben werden müsse, unter angemessenem Schutz zum Beispiel außerhalb der öffentlichen Gerichtsverhandlung auszusagen, auch wenn dies die nationale Rechtsordnung nicht vorsehe. II. Besprechung des Urteils in der Literatur Mit seinem Urteil in der Rechtssache Pupino hat der Europäische Gerichtshof nicht nur erstmalig einen Rahmenbeschluss nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU ausgelegt, er hat vielmehr zugleich bei dieser ersten Gelegenheit ausdrücklich die seit langem in der Literatur diskutierte Parallelität zwischen Rahmenbeschlüssen und Richtlinien hervorgehoben und sich damit auf die Seite derer geschlagen, die stets eine Vergemeinschaftungstendenz im Rahmen der dritten Säule der Europäischen Union hervorgehoben haben.59 Das riesige Echo auf die Entscheidung in der juristischen Literatur kam vor diesem Hintergrund nicht überraschend. Bei Betrachtung der umfangreichen Anzahl von Besprechungen des Urteils wird deutlich, dass dieses auf die Frage, ob und inwieweit der Gerichtshof mit dieser Entscheidung einen weiteren Schritt zur Gleichstellung von Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht unternommen hat, äußerst kontroverse Reaktionen hervorgerufen hat. Trotz der großen Zahl der Beiträge lässt sich eine Zusammenfassung der Reaktionen zu der Frage, inwieweit durch das Urteil des Gerichtshofs eine Vergemeinschaftungstendenz der dritten Säule eingeläutet ist, dadurch Herr werden, dass im Mittelpunkt der kontroversen Diskussion die Frage steht, ob das seitens des Gerichtshofs verankerte Gebot der rahmenbeschlusskonformen Auslegung dem in Art. 34 Abs. 2 lit. d) S. 3 EU vertraglich festgelegten Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen widerspricht bzw. dieses aufweicht.60 58 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 45 und 47 – Pupino; in Anlehnung an: EuGH, Urt. v. 03.05.2005, Rs. C-387/02, C-391/02 und C403/02, Slg. 2005 I-3624, Rdnr. 74 – Berlusconi u. a. 59 Siehe zu dem seit längerem bestehenden Dissens in der Literatur über die Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., II., 2. 60 Keine Auseinandersetzung mit dieser Frage erfolgt bei Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 385; Streinz, Rdnr. 476; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 1148.

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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Nicht weiter verfolgt werden soll hingegen der teilweise in der Literatur vertretene Ansatz zur Bewertung der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen, der eine eingeläutete Vergemeinschaftung der dritten Säule der Europäischen Union am Wortlaut der ersten Übersetzung des Urteils in die deutsche Sprache festmachte.61 In diesem war der Gerichtshof mit einer Pflicht zur „gemeinschaftsrechtskonformen“ Auslegung anstatt mit einer Pflicht zur „rahmenbeschlusskonformen“ Auslegung zitiert worden.62 Da sich aus einem Blick in die verbindliche italienische Fassung des Urteils und in die den Ausgangspunkt bildenden französischen Fassung ergibt, dass der Gerichtshof von einer „unionsrechtskonformen“ Auslegung ausgegangen ist und diese Übersetzung auch von der amtlichen deutschen Fassung des Urteils aufgenommen worden ist, ist der Ansatzpunkt der Wortlautauslegung für die Analyse des Urteils als nicht weiter gewinnbringend anzusehen.63 1. Vereinbarkeit der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung mit dem Verbot der unmittelbaren Wirksamkeit Eine große Anzahl von Stimmen sieht in der Verankerung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung keinen Widerspruch zum gesetzlichen Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU und stimmt dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs daher meist zu.64 Der Ausschluss der unmittelbaren Wirkung sei für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ohne Belang und mit dieser vereinbar.65 Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU besage nicht mehr, als dass die Rechtsfolgen der unmittelbaren Wirkung einer Vorschrift im nationalen Recht nicht eintreten können.66 Dies bedeute lediglich, dass sich Einzelpersonen weder vor nationalen Behörden und Gerichten auf einen Rahmenbeschluss berufen und daraus 61 So damals u. a. Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 385; Herrmann, in: EuZW 2005, S. 436, 436; v. Unger, in: NVwZ 2006, S. 46, 48; Hummrich, in: DRiZ 2005, S. 361, 364. 62 Vgl. die in EuZW 2005, S. 433, 435 abgedruckte Übersetzung der Entscheidung. 63 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 34, 38 – Pupino; in diesem Sinne auch Lorenzmeier, in: ZIS 2006, S. 576, 582 und Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 654. 64 Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 261, 269; Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 94; Gärditz/Gusy, in: GA 153 (2006), S. 225, 237; Herrmann, in: EuZW 2005, S. 436, 437; Schroeder, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 37, 57 f.; ders., in: EuR 42 (2007), S. 349, 368 f.; Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 653 f.; Lorenzmeier, in: ZIS 2006, S. 576, 581. 65 Herrmann, in: EuZW 2005, S. 436, 437; Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 653; Satzger (2008), § 8, Rdnrn. 118 ff. 66 Schroeder, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 37, 56 f.; ders., in: EuR 42 (2007), S. 349, 366 f.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

eine unmittelbare Rechtsfolge ableiten könnten, noch nationale Behörden und Gerichte von Amts wegen verpflichtet seien, den Rahmenbeschluss anzuwenden und entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu lassen. Bei der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bestehe hingegen lediglich ein objektiver Einfluss auf das nationale Recht.67 Jedenfalls sei die Pflicht zur Konformauslegung mit dem Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen vereinbar, so lange die Grenze zwischen vertretbarer Auslegung und Rechtsfortbildung und damit die Wortlautgrenze nicht überschritten werde.68 Die Pflicht zur konformen Auslegung grundsätzlich zu einer Kategorie mit verordnungsgleichen, unmittelbare Durchgriffswirkung entfaltenden Rechtsakten zu zählen, würde zumindest die Besonderheiten der konformen Auslegung verschleiern.69 So setze die Pflicht zur Konformauslegung die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie oder eines Rahmenbeschlusses nicht voraus70, sie ergebe sich nämlich bei Rahmenbeschlüssen wie bei Richtlinien lediglich aus der Pflicht zur Umsetzung in nationales Recht. Maßstab für die rahmenbeschlusskonforme Auslegung bleibe stets das nationale Recht.71 Da die rahmenbeschlusskonforme Interpretation innerstaatlicher Vorschriften nur innerhalb der Grenzen des nach nationalem Recht bestehenden Auslegungsspielraums vorzunehmen sei72, bleibe die vom Europäischen Gerichtshof ausdrücklich anerkannte mitgliedstaatliche Rechtsetzungszuständigkeit in Strafsachen unberührt.73 Es handele sich bei der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung weiterhin um eine rein völkerrechtliche Verbindlichkeit.74 Eine „effet utile“-Auslegung von Rahmenbeschlüssen, wobei derjenigen Auslegung der Vorzug einzuräumen ist, die die Verwirklichung der Vertragsziele am meisten fördere, scheide aus. Der „effet utile“-Grundsatz leite sich aus der besonderen supranationalen Qualität des Europäischen Gemeinschaftsrechts ab, die der intergouvernementalen Zusammenarbeit im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen gerade fehle.75 Vor diesem Hintergrund gebiete das Recht der Europäischen Union keineswegs, durch eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts die gleichen Ergebnisse zu erzielen, wie durch eine unmittelbare Anwendbarkeit des Rahmenbeschlusses.76 67

Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 65. Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 29. 69 Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 653 f. 70 Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 94; Herrmann, in: EuZW 2005, S. 436, 437. 71 Lorenzmeier, in: ZIS 2006, S. 576, 581; Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 29. 72 So Gärditz/Gusy, in: GA 153 (2006), S. 225, 234 mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 47 f. – Pupino. 73 Hecker, § 10, Rdnr. 86. 74 Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 1148. 75 Streinz, Rdnr. 476. 68

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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Auch habe der Europäische Gerichtshof dementsprechend gehandelt, indem er selbst keine Aussage zur Auslegung des italienischen Rechts getroffen habe, sondern die Frage der Auslegung der Beurteilungskompetenz des zuständigen italienischen Richters überlassen habe.77 Dadurch sei es ihm gelungen, den primärrechtlich vorgeschriebenen Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit zu wahren und gleichzeitig die Pflicht zur konformen Auslegung auf den Rechtsakt des Rahmenbeschlusses zu übertragen. 2. Untrennbarkeit der Rechtskategorien „rahmenbeschlusskonforme Auslegung“ und „unmittelbare Wirksamkeit“ Demgegenüber werden von vielen Autoren in Bezug auf die in dem PupinoUrteil verankerte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung dahingehend Bedenken geäußert, dass der vertraglich bestimmte Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU unterlaufen werden könnte. Der Beifall der Vertreter dieser Ansicht für das Urteil ist folglich eher verhalten.78 Der gegenteiligen Auffassung sei zwar insoweit zuzustimmen, als dass die rahmenbeschlusskonforme Auslegung und die unmittelbare Anwendung von Rahmenbeschlüssen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende Rechtskategorien seien.79 Jedoch sei zu bedenken, dass die rahmenbeschlusskonforme Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts der richtlinienkonformen Auslegung nachgebildet sei und die Grenzen zwischen richtlinienkonformer Auslegung und unmittelbarer Anwendung von Richtlinien mitunter fließend seien.80 Denn auch wenn eine richtlinienkonforme Auslegung nur möglich sei, soweit das nationale Recht das zu erlangende Auslegungsergebnis zulässt, indem die Auslegung nicht gegen den Wortlaut verstoßen bzw. contra legem erfolgen dürfe, so komme die richtlinienkonforme Auslegung in ihrem Effekt auf das

76 Schroeder, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 37, 57; ders., in: EuR 42 (2007), S. 349, 367 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I5309, Rdnrn. 45 ff. – Pupino. 77 Lorenzmeier, in: ZIS 2006, S. 576, 581; so auch Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 66. 78 Fetzer/Groß, in: EuZW 2005, S. 550, 551; Hobe, in: Jura 2006, S. 859, 861; Adam, in: EuZW 2005, S. 558, 560; Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 38 f.; v. Unger, in: NVwZ 2006, S. 46, 48 f.; Hillgruber, in: JZ 2005, S. 841, 843 f.; Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Schulze/Zuleeg, § 42, Rdnr. 30; Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (2006), S. 65, 78. 79 Röben, in: Grabitz/Hilf, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 15. 80 Tinkl, S. 109 ff.; dies., in: StV 2006, S. 35, 38; Wehnert, in: NJW 2005, S. 3760, 3762; Hummrich, in: DRiZ 2005, S. 361, 364.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

nationale Recht häufig einer unmittelbaren Anwendung wenn auch nicht gleich, so doch sehr nahe.81 Beispielsweise habe der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Colson und Kamann82 letztlich auf das Institut der richtlinienkonformen Auslegung zurückgegriffen, weil eine unmittelbare Wirkung der entsprechenden Richtlinie mangels hinreichender Bestimmtheit ausgeschlossen war.83 Auch wenn es sich dabei um einen Fall gehandelt habe, in dem die Richtlinie umgesetzt worden war, zeige die Entscheidung, dass der Europäische Gerichtshof die richtlinienkonforme Auslegung nicht in jedem Falle als eine das nationale Recht schonendere Methode vor der Annahme einer unmittelbaren Wirksamkeit heranziehe, sondern der richtlinienkonformen Auslegung häufig eine Ersatzfunktion zuweise.84 Wie fließend die Grenzen zwischen richtlinienkonformer Auslegung und unmittelbarer Anwendbarkeit sind, sei auch daran zu erkennen, dass die Wirkung der richtlinienkonformen Auslegung teilweise sogar über die Wirkung einer unmittelbaren Anwendung und damit über eine bloße Ersatzfunktion hinausgehe.85 So werde die richtlinienkonforme Auslegung beispielsweise auch herangezogen, wenn eine unmittelbare Anwendung ausscheide, weil dies eine unzulässige Wirkung zwischen Privaten zur Folge hätte.86 Wegen dieser extensiven Wirkung der richtlinienkonformen Auslegung werde zutreffend von einer „indirekt unmittelbaren Wirkung“ gesprochen87 und teilweise gefordert, eine richtlinienkonforme Auslegung generell abzulehnen, soweit die Richtlinie keine unmittelbare Wirkung entfalten könne.88 81

Di Fabio, in: NJW 1990, S. 947, 953; Franzen, in: JZ 2003, S. 321, 327. EuGH, Urt. v. 10.4.1984, Rs. C-14/83, Slg. 1984, S. 1891, Rdnr. 27 f. – Colson und Kamann. 83 Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 38. Grundsätzlich ist Voraussetzung für die unmittelbare Wirksamkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie, dass diese von einem Mitgliedstaat nicht, nicht in der Umsetzungsfrist oder fehlerhaft umsetzt worden ist, dass die Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist und dass sie dem einzelnen Bürger Rechte verleiht, siehe u. a. EuGH, 05.04.1979, Rs. 148/78, Slg. 1979, S. 1629, Rdnrn. 18 ff. – Ratti; EuGH, Urt. v. 01.02.1977, Rs. 51/76, Slg. 1977, S. 113, Rdnrn. 22 ff. – Nederlandse Ondernemingen; EuGH, Urt. v. 19.01.1982, Rs. 8/81, Slg. 1982, S. 53, Rdnrn. 27 ff. – Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt; EuGH, Urt. v. 15.12.1983, Rs. 5/83, Slg. 1983, S. 4233, Rdnr. 8 – Rienks; EuGH, Urt. v. 19.11.1991, verb. Rs. C-6 und 9/90 Slg. 1991 I-5403, Rdnr. 11 – Francovich. 84 Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 38; Ress, in: DÖV 1994, S. 489, 490. 85 Tinkl, S. 110. 86 Tinkl, in StV 2006, S. 36, 38 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878, Rdnrn. 110 ff., 118 – Pfeiffer; Franzen, in: JZ 2003, S. 321, 327 in Anknüpfung an die Heininger-Entscheidung des EuGH, EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965, Rdnrn. 46 ff. – Heininger; Gundel, in: EuZW 2001, S. 143, 144; Thüsing, in ZIP 2004, S. 2301, 2305. 87 Ress, in: DÖV 1994, S. 489, 493; ähnlich Franzen, in: JZ 2003, S. 321 327. 88 Di Fabio, in: NJW 2000, S. 947, 953. 82

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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Wenn man nun vor dem Hintergrund, dass Überschneidungen zwischen den Kategorien der konformen Auslegung und der unmittelbaren Wirksamkeit offensichtlich bestehen, feststellen müsse, dass der Gerichtshof trotz der Verankerung der Pflicht zur Konformauslegung die Konfrontation mit dem Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen gänzlich gescheut habe und in seinem Urteil mit keinem Wort auf diesen eingegangen sei,89 sei dies insbesondere deshalb bedenklich, weil damit die andersgeartete Unionsstruktur und -architektur bewusst ausgeblendet werde.90 Um dieser jedoch gerecht zu werden, sei das Urteil dahingehend auszulegen, dass eine rahmenbeschlusskonforme Interpretation nur insoweit zulässig sei, als das innerstaatliche Recht dem Rechtsanwender Auslegungsspielräume belasse. Unzulässig hingegen müsse die rahmenbeschlusskonforme Auslegung einer innerstaatlichen Norm sein, wenn die sich über deren Wortlaut und Zweck hinwegsetzt und damit den objektiv erkennbaren Willen des innerstaatlichen Normgebers verdrängt.91 III. Bewertung Zur Bewertung der Frage, welcher der beiden Ansichten bei der Bewertung des Pupino-Urteils der Vorzug zu geben ist, ist ein genauer Blick auf die Urteile in den Rechtssachen Colson und Kamann92, Marleasing93, Heininger94 und Pfeiffer95 zu werfen, anhand derer der Europäische Gerichtshof das Verhältnis des Instituts der Konformauslegung zum Institut der unmittelbaren Wirksamkeit bei gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien justiert hat (1.). Sodann stellt sich die Frage, inwieweit der Europäische Gerichtshof die in den Urteilen zum Gemeinschaftsrecht entwickelten Grundsätze durch das Pupino-Urteil auf den Bereich der dritten Säule übertragen hat (2., 3.). Erst dadurch wird eine abschließende Bewertung der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen möglich.

89 Hillgruber, in: JZ 2005, S. 841, 842; Hobe, in: Jura 2006, S. 859, 861; Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 39. 90 Fetzer/Groß, in: EuZW 2005, 550, 551; Hobe, in: Jura 2006, S. 859, 860; Adam, in: EuZW 2005, S. 558, 561. 91 Fetzer/Groß, in: EuZW 2005, S. 550, 551. 92 EuGH, Urt. v. 10.4.1984, Rs. C-14/83, Slg. 1984, S. 1891 ff. – Colson und Kamann. 93 EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4156 ff. – Marleasing. 94 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965 ff. – Heininger. 95 EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878 ff. – Pfeiffer.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verhältnis der Kategorien „Konformauslegung“ und „unmittelbare Wirksamkeit“ im Gemeinschaftsrecht Die Besonderheit der vier genannten Urteile besteht darin, dass dem Europäischen Gerichtshof in jedem dieser Fälle aus unterschiedlichen Gründen die Annahme einer unmittelbaren innerstaatlichen Wirkung der in den Verfahren gegenständlichen Richtlinien verwehrt war. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, in allen Fällen trotz des Ausschlusses der unmittelbaren Wirkung das von der Richtlinie gewollte Ergebnis dadurch herbeizuführen, dass er auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung zurückgriff. So war im Fall Colson und Kamann die unmittelbare Wirkung einer umgesetzten Richtlinie ausgeschlossen, da es am Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Richtlinie mangelte.96 Nichtsdestotrotz gab der Gerichtshof dem vorlegenden nationalen Gericht für die Auslegung der Richtlinie so detaillierte Vorgaben, dass dies die objektive unmittelbare Geltung gleichwertig ersetzte.97 Auch die Urteile in den anderen drei Fällen machen deutlich, dass der Gerichtshof in der Pflicht zur konformen Auslegung einen Ersatz zur unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien sieht. Denn obwohl in allen drei Fällen der jeweils in Rede stehenden Richtlinie keine unmittelbar Wirkung zukam, weil es sich bei den Parteien des Rechtsstreits um Private handelte und eine unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten vom Gerichtshof grundsätzlich als ausgeschlossen angesehen wird,98 erwirkte der Gerichtshof in allen drei Vorlageverfahren auch hier die vorrangige Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht auf dem Wege der richtlinienkonformen Auslegung. Dabei wird insbesondere bei Betrachtung der Urteilsgründe in den Rechtssachen Marleasing und Heininger das Verständnis des Gerichtshofs über die Reichweite der Pflicht zu richtlinienkonformen Auslegung der Mitgliedstaaten 96 EuGH, Urt. v. 10.4.1984, Rs. C-14/83, Slg. 1984, S. 1891, Rdnr. 27 – Colson und Kamann. 97 EuGH, Urt. v. 10.4.1984, Rs. C-14/83, Slg. 1984, S. 1891, Rdnr. 28 – Colson und Kamann. 98 EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878, Rdnr. 109 – Pfeiffer; EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965, Rdnrn. 25 ff. – Heininger; EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4156, Rdnr. 6 – Marleasing. Es handelt sich insoweit um ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.1986, Rs. C-152/84, Slg. 1986, S. 737, Rdnr. 48 – Marshall, die jedoch nicht für die Fälle gilt, in denen die unmittelbare Anwendung einer Richtlinie lediglich eine Drittwirkung bzw. nur mittelbare nachteilige Folgen für Dritte beinhaltet, so genannte objektiv unmittelbare Wirkung, vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-431/92, Slg. 1995 I-2211, Rdnr. 39 – Großkrotzenburg; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02, Slg. 2004 I-748, Rdnr. 57 – Wells. Siehe auch zur objektiv unmittelbaren Wirkung Brenn, in: ÖJZ 2005, S. 41, 49.

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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deutlich. So sah sich der Gerichtshof nicht gehindert, in der Sache Marleasing das von der Richtlinie gewollte Ergebnis ohne Rücksicht auf die Grenzen des nationalen Rechts herbeizuinterpretieren.99 Weiter ging der Gerichtshof sogar noch in der Sache Heininger, in der er eine richtlinienkonforme Auslegung sogar gegen den ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers anmahnte.100 Schließlich betonte der Gerichtshof in der Sache Pfeiffer, dass der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung verlange, dass das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts alles tun müsse, um die volle Wirksamkeit der in Frage stehenden Richtlinie zu gewährleisten.101 Dadurch machte er die Vorrangigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen vor einer nationalen Norm deutlich, selbst wenn die gemeinschaftsrechtliche Norm aufgrund gewisser Umstände nicht unmittelbar anwendbar ist. Insofern wird klar, dass der Gerichtshof den Spielraum des nationalen Gerichts bei der Auslegung weit zurück gedrängt hat.102 Dass der Europäische Gerichtshof auf der anderen Seite in anderen Entscheidungen das grundsätzliche Bestehen struktureller Grenzen für die Pflicht zur Konformauslegung hervorgehoben hat, so geschehen in den Verfahren Berlusconi103, Arcaro104 und Strafverfahren gegen X105, ist vor dem Hintergrund der Besonderheiten der dort entschiedenen Fälle zu sehen. Denn eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts hätte in allen Fällen eine Verschärfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit derjenigen zur Folge gehabt, die gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstoßen hatten. Dass der Gerichtshof insoweit von den nationalen Gerichten keine richtlinienkonforme Auslegung verlangte, ist daher eher der Tatsache geschuldet, dass die hier gezogenen Grenzen für die Konformauslegung Rechtsstaatsgrundsätze wie den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot darstellten und es sich damit um die äußersten Grenzen handelte, deren Ausdehnung unter Rechtsstaatsgesichtspunkten äußerst fragwürdig gewesen wäre.106

99 EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4156, Rdnr. 9 – Marleasing; vgl. insbesondere die Besprechung von Gundel, in: EuZW 2001, S. 143, 144. 100 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965, Rdnrn. 41 ff. – Heininger; vgl. insbesondere die Besprechung von Franzen, in: JZ 2003, S. 321, 327. 101 EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878, Rdnrn. 118 ff. – Pfeiffer. 102 So auch Thüsing, in: ZIP 2004, S. 2301, 2305. 103 EuGH, Urt. 3.5.2005, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005 I3624, Rdnr. 74 – Berlusconi u. a. 104 EuGH, Urt. v. 26.9.1996, Rs. C-168/95, Slg. 1996 I-4719, Rdnr. 42 – Arcaro. 105 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996 I-6629, Rdnr. 25 – Strafverfahren gegen X. 106 Vgl. auch zum Berlusconi-Urteil die Ausführungen von Wölker, in: EuR 42 (2007), S. 32, 38.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

Unterhalb der durch rechtsstaatliche Grundsätze gezogenen Grenze ist hingegen der Wille des Europäischen Gerichtshofs erkennbar, den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts so weit wie irgend möglich gegenüber dem nationalen Recht durchzusetzen.107 Demzufolge ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich der Einzelne nicht nur immer wieder erfolgreich gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten auf die jeweilige Richtlinienvorschrift berufen kann, wenn diese unmittelbar anwendbar ist108, sondern im Wege des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EG auch, wenn diese im Falle der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit nicht pflichtgemäß richtlinienkonform ausgelegt wird109, festzustellen, dass die beiden Rechtsinstitute sich hinsichtlich ihrer innerstaatlichen Wirkung zwar dogmatisch aber jedenfalls in vielen Fällen nicht tatsächlich voneinander unterscheiden. 2. Übertragung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung durch das Pupino-Urteil auf den Bereich der dritten Säule der Europäischen Union Diese Rechtsprechung aus dem Gemeinschaftsrecht zur Vorrangigkeit nicht unmittelbar anwendbarer europarechtlicher Rechtsakte hat der Europäische Gerichtshof durch sein Urteil in der Rechtssache Pupino im Bereich der dritten Säule fortgeführt. Dies zeigt sich daran, dass er wiederum in einem Fall, in dem die unmittelbare Anwendung des europarechtlichen Rechtsaktes ausgeschlossen war, die innerstaatliche Wirkung des europarechtlichen Rechtsaktes im Wege der Konformauslegung herbeiführte. Diesmal beruhte der Ausschluss sogar explizit gemäß Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU auf dem Gesetz. Die Urteile in den Rechtssachen Colson und Kamann, Marleasing, Heininger und Pfeiffer auf der einen Seite und das Urteil in der Rechtssache Pupino auf der anderen Seite gleichen sich insofern bereits im Hinblick auf den vom Gerichtshof gewählten Ansatz, da dieser wiederum die Direktwirkung einer europarechtlichen Vorschrift, die nicht unmittelbar anwendbar ist, auf dem Weg der Konformauslegung erwirkt. Deutlich erkennbar überträgt der Gerichtshof die im Gemeinschaftsrecht entwickelte Vorgehensweise nicht nur im Ansatz, sondern auch im Hinblick auf die Bestimmung der Reichweite der Pflicht zur Konformauslegung, indem er an die

107

So auch Franzen, in: JZ 2003, S. 321, 331. Streinz, Rdnr. 445. 109 Herresthal, in: EuZW 2007, S. 396, 399 sieht die nationalen Gerichte sogar in der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung über die Wortlautgrenze hinaus. 108

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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in den Urteilen Marleasing, Heininger und Pfeiffer aufgestellten Grundsätze anknüpft. So sieht sich der Gerichtshof ebenso wie in den Verfahren Marleasing und Heininger auch im Urteil Pupino nicht gehindert, das vom Rahmenbeschluss gewollte Ergebnis ohne Rücksicht auf die Grenzen des nationalen Rechts herbeizuinterpretieren110 und eine Konformauslegung gegen den ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers anzumahnen.111 Denn obwohl in dem Vorlageverfahren in der Rechtssache Pupino die italienische Strafprozessordnung im abschließenden Katalog des Art. 392 Abs. 1 CCP112 besondere Vernehmungsmodalitäten nur für Sexualdelikte sowie solche Delikte mit sexuellem Bezug vorsah und nicht für reine Körperverletzungsdelikte, und obwohl es sich bei dem Verfahren Pupino um ein reines Missbrauchsverfahren handelte, beantwortete der Gerichtshof die Vorlagefrage des italienischen Ermittlungsrichters in dem Sinne, dass eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des Rahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren nicht offensichtlich unmöglich sei.113 Nun fragt man sich aber als Leser der Urteilsgründe, wie eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung im Einvernehmen mit dem nationalen Recht möglich sein soll, wenn dieses nationale Recht im zu entscheidenden Fall gerade keine Auslegungsmöglichkeiten vorsieht. Damit lässt die Antwort des Gerichtshofs faktisch keinen Zweifel daran, dass der Gerichtshof eine Konformauslegung nicht nur im Umfang des Spielraums, den das nationale Recht vorsieht, sondern sogar gegebenenfalls gegen den bestehenden Willen des nationalen Gesetzgebers fordert114, und sich damit die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auch im Unionsrecht zu eigen macht.115 Insoweit stört den Gerichtshof bei diesem gefundenen Ergebnis auch die in den Urteilsgründen selbst aufgestellte Grenze der Auslegung nicht, wonach eine Auslegung nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts erfolgen dürfe.116 Denn ebenso wie im Verfahren Pfeiffer führt er auch im Verfahren Pupino im Weiteren einschränkend aus, dass das nationale Gericht gegebenen110 EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4156, Rdnr. 9 – Marleasing; vgl. insbesondere die Besprechung von Gundel, in: EuZW 2001, S. 143, 144. 111 EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965, Rdnrn. 41 ff. – Heininger; vgl. insbesondere die Besprechung von Franzen, in: JZ 2003, S. 321, 327. 112 Codice di procedure penale. 113 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 48 – Pupino 114 Und damit weiter geht als in der Literatur für zulässig erachtet wird, vgl. Fetzer/ Groß, in: EuZW 2005, S. 550, 551. 115 So im Ergebnis auch Hobe, in: Jura 2006, S. 859 861; Tinkl, S. 114; dies., in: StV 2006, S. 36, 39. 116 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 47 – Pupino; die Beachtung der Grenze des Wortlautes durch den EuGH sieht insbesondere Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 29 als Argument gegen die Gefahr einer zu extensiven

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

falls das gesamte nationale Recht berücksichtigen muss, um zu beurteilen, inwieweit es so angewendet werden kann, dass kein dem Rahmenbeschluss widersprechendes Ergebnis erzielt wird.117 Die Übertragung der aus dem Gemeinschaftsrecht bekannten fehlenden Trennbarkeit der Konformauslegung von der unmittelbaren Wirksamkeit auf den Bereich der unionsrechtlich geprägten dritten Säule komplettiert sich schließlich dadurch, dass trotz aller staatlichen Souveränitätsvorbehalte im Bereich der dritten Säule der europarechtliche Vorranggedanke aus dem Gemeinschaftsrecht dadurch in das Unionsrecht transportiert wird, dass der Gerichtshof die Verpflichtung, das nationale Recht so weit rahmenbeschlusskonform auszulegen, im zwingenden Charakter von Rahmenbeschlüssen begründet sieht.118 Indem er zudem eine Parallele zwischen dem unionsrechtlichen Gebot der Unionstreue und dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot der praktischen Wirksamkeit zieht119 und schließlich darauf verweist, dass seine im Verhältnis zu Art. 234 EG beschränkte Zuständigkeit nach Art. 35 EU dem Vorranggedanken nicht entgegen steht120, macht er klar, dass sich der Einzelne jedenfalls im Grunde ebenso wie im Gemeinschaftsrecht auf Rahmenbeschlüsse als vorrangige europarechtliche Rechtsakte berufen könne.121 Insofern ist der insbesondere von Tinkl vertretenen Auffassung zuzustimmen, dass nicht nur im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Richtlinien, sondern auch in Bezug auf unionsrechtliche Rahmenbeschlüsse kein tatsächlicher Unterschied zwischen dem Institut der unmittelbaren Wirksamkeit und der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung besteht.122 Daher ist festzuhalten, dass die Handlungsform des Rahmenbeschlusses aufgrund der in dem Pupino-Urteil durch den Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Rechtsfortbildung faktisch innerstaatlich wie ein supranationaler Gemeinschaftsrechtsakt wirkt, obwohl eine unmittelbare Wirksamkeit vertraglich in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU von den Mitgliedstaaten gerade ausgeschlossen worden war.123

Pflicht zur Konformauslegung. Siehe auch zur Pflicht der extensiven Auslegung die Ausführungen von Schorkopf, in: ders. (2006), S. XXVII. 117 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 47 – Pupino; vgl. EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878, Rdnrn. 110 ff., 118 – Pfeiffer. 118 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 34 – Pupino. 119 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 39 ff. – Pupino. 120 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 35 – Pupino. 121 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 38 – Pupino; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 867 f.; Tinkl, S. 93; v. Unger, in: NVwZ 2006, S. 46, 48; Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 385. 122 Tinkl, S. 119. 123 So bereits Tinkl, S. 119.

B. Vergemeinschaftungstendenz – Instrument des Rahmenbeschlusses

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3. Fortführung der Pupino-Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Advocaten voor de Wereld VZW Dass es sich bei diesem Verständnis von der Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen nicht um die Auslegung einer einzelnen Entscheidung mit möglicherweise begrenzter präjudizieller Wirkung handelte, sondern um eine mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof gängige Praxis, wird aus den Schlussanträgen des Generalanwalts Colomer in dem Vorlageverfahren über die Frage der Gültigkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl deutlich. Der Generalanwalt bezog sich in seinen Ausführungen direkt auf das Pupino-Urteil des Gerichtshofs und legte dar, dass die Angleichung, die für den ersten Pfeiler der Europäischen Union charakteristisch sei, auch im dritten Pfeiler der Union wirke. Zwar sei dieser dritte Pfeiler auf Regierungsebene angesiedelt, er weise aber eine klare gemeinschaftliche Tendenz auf.124 Weiter führte er aus, dass es keine souveränen Staaten mehr gebe, die in Einzelfällen zusammenarbeiten, sondern Mitglieder der Europäischen Union, die verpflichtet seien, sich gegenseitig Hilfe zu leisten.125 Schließlich betonte er, dass der Rahmenbeschluss wegen der sich aus dem Pupino-Urteil ergebenden praktischen Wirksamkeit im europäischen Recht das geeignete Mittel gewesen sei, das Institut des Europäischen Haftbefehls einzuführen.126 Unzweifelhaft hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs damit in seinen Ausführungen die im Pupino-Urteil begonnene Richtung des Gerichtshofs weiter verfolgt. Obwohl der Gerichtshof sich in seinem Urteil in der gleichen Rechtssache im Gegensatz zum Generalanwalt nicht genötigt sah, zu der Frage der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen Stellung zu nehmen127, wird bereits dadurch, dass er keinen Abstand von den Ausführungen des Generalanwalts genommen hat, deutlich, dass er den von ihm vertretenen Ansatz gebilligt 124 Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnr. 43 – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia. europa.eu/. 125 Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnr. 45 – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia. europa.eu/. 126 Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnr. 64 – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia. europa.eu/. 127 Siehe EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237 ff. = EuZW 2007, S. 373 ff. – Advocaten voor de Wereld VZW. Der Gerichtshof hat sich in den Urteilsgründen lediglich mit der Frage befasst, ob das Instrument des Rahmenbeschlusses eine für die Einführung des Europäischen Haftbefehls geeignete Handlungsform darstellte und ob die Abschaffung der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit in den in dem Rahmenbeschluss aufgezählten Fällen gegen den Grundsatz der Gleichheit oder der Nichtdiskriminierung verstoßen oder gegen das Legalitätsprinzip.

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

hat und damit gewillt ist, trotz aller Kritik und tatsächlichen Widersprüchlichkeiten zum Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU an dem von ihm eingeschlagenen Weg weiterhin festzuhalten.

C. Ausblick auf die künftige primärrechtliche Ausgestaltung der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit Die insbesondere mit dem Pupino-Urteil deutlich zum Ausdruck gekommene voranschreitende Annäherung des Rechts der dritten Säule an das supranationale Gemeinschaftsrecht findet wie zuvor bereits angedeutet128 ihre Fortsetzung in der zu erwartenden Erneuerung des europäischen Primärrechts durch den Vertrag von Lissabon. In Zukunft teilt die Europäische Union im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit ihre Zuständigkeit gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. j) AEU mit den Mitgliedstaaten, was bedeutet, dass die Union nach Art. 2 Abs. 2 AEU erstmals primärrechtlich in diesem Bereich neben den Mitgliedstaaten eine ausdrückliche eigene Rechtsetzungskompetenz besitzt.129 Dies kommt auch durch die in institutioneller Hinsicht wesentlichste Neuerung zum Ausdruck, nach der die gegenwärtig im Bereich der dritten Säule getroffenen Regelungen in den neuen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union überführt werden. Dadurch wird in Zukunft auch die strafrechtliche justizielle Zusammenarbeit nach Art. 82 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AEU und Art. 83 Abs. 1 S. 1 AEU dem so genannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unterstellt. Dieses sieht grundsätzlich gemäß Art. 289 Abs. 1 AEU die gemeinsame Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses130 durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission vor.131 Damit wird das Europäische Parlament zusammen mit dem Ministerrat gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 EU n. F. und Art. 16 Abs. 1 EU n. F. zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber in allen Legislativverfahren, was im Wesentlichen dem jetzigen im Gemeinschaftsrecht praktizierten Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG entspricht.132

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Siehe die Ausführungen oben in Kapitel 1, H., II. Vgl. zur geteilten Zuständigkeit auch das Protokoll Nr. 25 zum Vertrag von Lissabon über die Ausübung der geteilten Zuständigkeit, wonach sich die Zuständigkeit der Union nur auf die durch den Rechtsakt geregelten Elemente und nicht auf den gesamten Bereich erstreckt. Siehe auch die Erklärung Nr. 18 zum Vertrag von Lissabon. 130 Im Sinne von Art. 288 AEU. 131 Als Besonderheit im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sieht Art. 76 lit. b) AEU vor, dass Rechtsakte neben der Kommission auch auf Initiative eines Viertels der Mitgliedstaaten verabschiedet werden können. 132 Papastamkos/Schwab, in: EuZW 2008, S. 161; Weber, in: EuZW 2008, S. 7, 9; Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 101. 129

C. Ausblick auf die künftige justizielle Zusammenarbeit

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Damit werden die Rechte des Europäischen Parlaments gegenüber dem gegenwärtig bestehenden Rechtszustand stark aufwertet.133 Unterschiede im Vergleich zur jetzigen Rechtslage ergeben sich vor dem Hintergrund der in Art. 294 AEU für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vorgesehenen Verfahrensvorschriften ferner dadurch, dass der Vertrag von Lissabon bei der Verabschiedung von Rechtsakten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen von dem Grundsatz der Einstimmigkeit der Beschlussfassung im Rat abrückt.134 Auch insoweit ist daher die Aufgabe des intergouvernementalen Charakters der ehemals dritten Säule festzustellen. Verbunden ist mit der Überführung der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union darüber hinaus eine weiter reichende Unterwerfung dieses Rechtsbereichs unter die Rechtsprechungsgewalt des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 256 ff. AEU. So sind zukünftig beispielsweise auch in diesem Bereich Individualnichtigkeitsklagen nach Art. 263 S. 7 AEU zulässig.135 Ausgenommen bleibt hingegen gemäß Art. 276 AEU auch in Zukunft eine Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.136 Insgesamt lässt sich sagen, dass der Vertrag von Lissabon die bereits auf der Grundlage der gegenwärtigen Rechtslage eingeleitete Vergemeinschaftungstendenz der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit ein großes Stück vorantreibt. Dadurch unterliegt dieser Bereich in Zukunft nicht wie gegenwärtig nur faktisch der Vorrangigkeit Europäischen Rechts, sondern auch rechtlich.137 Dies ist jedenfalls insoweit begrüßenswert, als dass für ein größeres Stück Einheitlichkeit und damit auch für mehr Transparenz des Europäischen Vertragsrechts gesorgt wird.138 133

Schiffauer, in: EuGRZ 2008, S. 1, 3. Der Vertrag von Lissabon sieht als Regelverfahren die Beschlussfassung im Rat durch qualifizierte Mehrheit vor, siehe Art. 294 Abs. 10 und 13 AEU. 135 Vgl. auch zur Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEU die Ausführungen von Kokott/Dervisopoulos/Henze, in: EuGRZ 2008, S. 10, 14. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die in Art. 10 Abs. 1 und 3 des Protokolls Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon getroffenen Übergangsbestimmungen, wonach für einen Zeitraum von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon die Befugnisse der Kommission nach Art. 258 AEU nicht gelten und die Befugnisse des Gerichtshofs nach dem gegenwärtigen Vertragsstand unverändert bleiben. 136 Siehe auch Art. 35 Abs. 5 EU der gegenwärtigen Vertragslage. 137 Vgl. zur Vorrangigkeit der Verträge und des von der Union gesetzten Rechts die 17. Erklärung zum Vertrag von Lissabon. 138 Dies wird mit Blick auf den gesamten Vertrag von Lissabon stark bezweifelt. So spricht Oppermann, in: DVBl. 2008, S. 473, 476 von einem „unlesbaren Text“. 134

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Kap. 2: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit

Bevor sich die vorliegende Untersuchung jedoch weiter der zukünftigen Rechtslage widmet139, soll der Blick im Folgenden zunächst erst einmal wieder auf die gegenwärtige Vertragssituation gerichtet werden, um der Frage nachzugehen, ob im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im Auslieferungsrecht Hoheitsrechte übertragen worden sind, und wie eine solche Hoheitsrechtsübertragung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist.

139 Auf diese wird am Ende der Untersuchung wieder Bezug genommen, siehe die Ausführungen unten in Kapitel 8, B.

Kapitel 3

Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht Dem Auslieferungsrecht unterfallen die Regelungen, die sich mit der amtlichen Überstellung einer Person aus der Hoheits- und Strafgewalt eines Staates in die Hoheits- und Strafgewalt eines anderen Staates zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung befassen.1 Als Rechtsgebiet, das der Regelung der grenzüberschreitenden Strafverfolgung und -vollstreckung dient, stellt es einen wesentlichen Bestandteil der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit im Rahmen der gegenwärtigen dritten Säule dar, so dass es ebenso von den in Kapitel 2 dargestellten fortschreitenden Vergemeinschaftungstendenzen betroffen ist. Gegenstand dieses Kapitels ist die Untersuchung, welche Auswirkung die mit der Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl verbundene Einführung des Anerkennungsprinzips auf das Auslieferungsrecht hat.

A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung des Europäischen Haftbefehls Bevor die von dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ausgehenden Änderungen im europäischen Auslieferungsrecht erörtert werden sollen, ist es zum Verständnis der Hintergründe des Instruments des Europäischen Haftbefehls hilfreich, erstens einen Blick auf die Rechtssituation vor der Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, zweitens auf die europarechtlichen Rechtsgrundlagen für die Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und drittens auf die im Recht des europäischen Binnenmarktes verankerten Ursprünge des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen zu richten.

1 Vgl. zur Definition des Auslieferungsbegriffs BVerfGE 10, 136 (139); BGHSt 5, 396 (404); 12, 262 (264 f.); siehe auch Murschetz, S. 5.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

I. Der völkerrechtlich geprägte Ursprung des europäischen Auslieferungsrechts Die Regelungen des Auslieferungsrechts waren bis zur Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl maßgeblich von der klassischen Form der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen geprägt. Diese bildete sich historisch zu einer Zeit heraus, als den nationalstaatlichen Belangen politisch ein starkes Gewicht beigemessen wurde und sich die Entscheidung über die Bewilligung einer Auslieferung politischen Notwendigkeiten unterzuordnen hatte.2 Das Auslieferungsrecht stellte seit jeher den bedeutsamsten Teil der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen dar.3 Diese umfasst neben Übereinkommen betreffend die Auslieferung verfolgter Personen auch Übereinkommen betreffend die Unterstützung bei der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen und Übereinkommen betreffend die „Sonstige“ oder „Kleine“ Rechtshilfe.4 Den Ursprung des Auslieferungsrechts stellt das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 19575 dar. Zusammen mit dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 19596 und dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk)7 bildet es die Gruppe der so genannten Mutterkonventionen des Europäischen Rechtshilferechts.8 Genauso wie die anderen beiden maßgeblichen Konventionen des Europarates im Rechtshilferecht wurde auch das Europäische Auslieferungsübereinkommen im Laufe der Jahre durch verschiedene Zusatzprotokolle sowie durch bi- und multilaterale Ergänzungsvereinbarungen der Vertragsstaaten modifiziert.9

2

Scheller, S. 3. Unger, S. 30. 4 In den letztgenannten Bereich fällt jede denkbare Unterstützungshandlung, die nach innerstaatlichem Verfahrensrecht zulässig ist und keine Sonderregelung erfahren hat. Hierzu gehören zum Beispiel die Zustellung von Ladungen und Urteilen, die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten oder die Beschlagnahme und Herausgabe von Beweismitteln. Dazu zählen aber auch grenzüberschreitende moderne und operative Maßnahmen wie die Überwachung des Fernmeldeverkehrs, der Einsatz verdeckter Ermittler oder die Observation. 5 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, A., Fn. 9; siehe auch Murschetz, S. 8. 6 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, A., Fn. 9. 7 BGBl. 1991 II, S. 1006; 1992 II, S. 98, abgedruckt bei: Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II C. 8 Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Vorbemerkung zu Hauptteil II, Rdnr. 3; v. Bubnoff (2005), S. 5; Rohlff, S. 9; vgl. auch Hecker, § 3, Rdnr. 13, der jedoch nur im EuRhÜbk und im EuAlÜbk Mutterkonventionen sieht. 9 Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Vorbemerkung zu Hauptteil II, Rdnr. 3. 3

A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung

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Zu den im Bereich des Auslieferungsrechts relevanten ergänzenden Vereinbarungen ist das Erste Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 15. Oktober 1975 (1. ZP-EuAlÜbk)10, das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978 (2. ZPEuAlÜbk)11, das Übereinkommen vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus12, das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19.06.199013, das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und das Auslieferungsübereinkommen vom 27.09.1996 zu zählen.14 Eine Auslieferung auf der Grundlage dieser Übereinkommen erfolgte stets in der Form eines völkerrechtlichen Vertragsschlusses zwischen den beteiligten Staaten, wobei sich das Auslieferungsersuchen und die Bewilligung der Auslieferung als Angebot und Annahme darstellten.15 Geschlossen war der völkerrechtliche Vertrag mit der Bewilligung der Auslieferung, spätestens aber mit dem Zugang der Bewilligungsnote bei dem ersuchenden Staat.16 Dadurch, dass diese Form des Auslieferungsverfahrens durch die unübersichtlichen, weil zersplitterten Rechtshilfevorschriften17, durch umständliche Geschäftswege und durch die lange Verfahrensdauer18 zahlreiche Nachteile mit sich brachte, stellte die Vereinfachung des Verfahrens seit Anfang der neunziger Jahre, also lange Zeit vor der Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, ein vorrangiges Ziel der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar. So wurden im Schengener Durchführungsübereinkommen mit Art. 59 ff. in Titel III Kapitel 4 SDÜ Regelungen zur Vereinfachung und Ergänzung des Auslieferungsverfahrens getroffen.19 Ferner wurde versucht, das Auslieferungsrecht in der Europäischen Union durch die Verabschiedung des Über10

Abgedruckt bei: Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II

A 1. 11

BGBl. 1990 II, S. 118; 1991 II, S. 874; abgedruckt bei: Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II A 2. 12 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, B., Fn. 17. Das Eu-TerrÜbk ist nur von Bedeutung für die Begrenzung des Auslieferungshindernisses „politische strafbare Handlung“ in Art. 3 EuAlÜbk. 13 Vgl. oben in der Einführung, A., Fn. 1; modifizierende Regelungen enthält Titel III Kapitel 4 des SDÜ. 14 Vgl. hinsichtlich beider die Ausführungen oben in Kapitel 1, E., Fn. 32. Siehe auch zu den auslieferungsrechtlichen Grundlagen Murschetz, S. 10. 15 So genannte Vertragstheorie, grundlegend dazu Vogler (1970), S. 33 ff.; v. Bubnoff (1989), S. 10; Kimminich, in: EuGRZ 1986, S. 317, 320 f. 16 Vogler (1970), S. 34; v. Bubnoff (1989), S. 26. 17 Unger, S. 51; Schomburg, in: StV 1998, S. 153, 154. 18 Beispielsweise betrug die Verfahrensdauer in den Niederlanden bis zu einem Jahr, im Vereinigten Königreich sogar bis zu sieben Jahre, siehe Blekxtoon, in: Blekxtoon/van Ballegooij, p. 5; siehe auch Schübel, in: NStZ 1997, S. 105, 106; Vogel, in: JZ 2001, S. 937, 940.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

einkommens über das vereinfachte Auslieferungsverfahren von 1995 und des Auslieferungsübereinkommens von 1996 effizienter zu gestalten.20 Auch diese brachten jedoch keine wirkliche Neuausrichtung des Auslieferungsrechts, da aufgrund der schleppenden Ratifizierung der Übereinkommen keine rasche EUweite Geltung erreicht wurde.21 II. Neuausrichtung des europäischen Auslieferungsrechts durch die Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl Erst mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls durch die Annahme des entsprechenden Rahmenbeschlusses auf der Tagung des Rates der Justizund Innenminister in Sevilla im Juni 2002 erfolgte ein wirklicher Wandel des Auslieferungsrechts.22 Dadurch, dass der Rahmenbeschluss auf der Vorgabe basierte, in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten alle früheren Instrumente des bisherigen Auslieferungsrechts zu ersetzen, um von nun an im Wege der gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten eine effizientere Gestaltung des Auslieferungsrechts zu erreichen, vollzog er eine erstmalige Abkehr von der völkerrechtlich geprägten Vorgehensweise im Auslieferungsrecht.23

19 Scharfe Kritik am SDÜ von Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil IV, Übersicht über das SDÜ, Rdnr. 22, der von einem „eurobürokratischen Gemischtwarenladen“ spricht. 20 Vgl. zu den beiden Übereinkommen die Ausführungen oben in Kapitel 1, E., Fn. 32; siehe auch den erläuternden Bericht des Rates vom 29.11.1996, ABl. 1996 Nr. C 257, S. 4; sowie Borchmann, in: NJW 2000, S. 254, 260; Dittrich, in: MüllerGraff, Europäische Zusammenarbeit, S. 101, 108; Rouchereau, in: Zerdick, S. 107; Schomburg, in: NJW 1995, S. 1931, 1934. 21 Insbesondere Frankreich und Italien ratifizierten beide Übereinkommen nicht, siehe die Ausführungen bei Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 122, Fn. 141; siehe auch Unger, S. 51. 22 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002, siehe die Ausführungen oben in der Einführung, A., Fn. 23; vgl. zum Vorliegen eines „Wandels“ auch den Wortlaut des Rahmenbeschlusses in Erwägungsgrund Ziff. 5; vgl. im Übrigen Hecker, § 12, Rdnr. 20, 33; Ambos, § 12, Rdnr. 59. 23 Siehe die Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, Ziff. 1, Ziff. 6 und Ziff. 11, Art. 31 Abs. 1 RB-EUHb; siehe auch Hecker, § 12, Rdnr. 33; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 225. Das bestehende klassische Auslieferungsrecht ist durch die Neuregelungen zum europäischen Haftbefehl nicht grundsätzlich gegenstandslos geworden, sondern für den Unionsbereich subsidiär anwendbar, vgl. Art. 31 Abs. 3 RB-EUHb und § 1 Abs. 4 des Gesetzes vom 23.12.1982 über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), BGBl. 1982 I, S. 2071; in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.06.1994, BGBl. 1994 I, S. 1537; geändert durch Gesetz vom 22.07.2005, BGBl. 2005 I, S. 2189; zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.2006, BGBl. 2006 I, S. 3175.

A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung

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Bemerkenswert ist, dass es bis zu den Ereignissen am 11. September 2001 in den USA gedauert hatte24, die justizielle Zusammenarbeit erstmals tatsächlich prinzipiell zu erneuern, obwohl die Zusammenarbeit im Wege des Anerkennungsprinzips, wie oben ausgeführt, bereits auf den Treffen der Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat von Cardiff und von Tampere in den Jahren 1998 und 1999 als „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit qualifiziert worden war.25 Dafür erfolgte die Verabschiedung des Rechtsaktes selbst unter dem Eindruck der geschehenen Anschläge verhältnismäßig zügig.26 Schon am 19. September 2001, also acht Tage nach den Terroranschlägen in den USA, präsentierte die Europäische Kommission einen Vorschlag für die Verabschiedung eines Rechtsaktes zur Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht.27 Kurze Zeit später, am 29. November 2001, erfolgte die relativ unkritische Stellungnahme des Europäischen Parlaments, das den Vorschlag mit nur wenigen Änderungswünschen28 billigte.29 Als schwieriger erwies sich lediglich der Einigungsprozess zur Annahme des Rahmenbeschlusses im Rat der Justiz- und Innenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.30 Meinungsverschiedenheiten waren insbesondere mit der Frage verknüpft, ob der Rahmenbeschluss eine Positiv- oder Negativliste mit Straftaten enthalten sollte, bei denen eine Übergabe ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgen sollte.31 Insbesondere die italienische Regierung äußerte Bedenken gegenüber einem aus ihrer Sicht zu umfangreichen Katalog mit einer Positiv24 Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil III A d, Kurzeinführung, Rdnr. 1. 25 Europäischer Rat von Cardiff vom 15./16. Juni 1998, Schlussfolgerungen des Vorsitzes Ziff. 39; Europäischer Rat von Tampere vom 15./16. Oktober 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes Ziff. 35. 26 Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Art. 31 EU, Rdnr. 37; Unger, S. 61; Rohlff, S. 17; vgl. auch die Kritik der Parlamentsabgeordneten Pernille, Frahm und Krarup, die den Zeitplan als überhastet ansahen, Bericht des Parlaments vom 14.11.2001, Dok. Nr. A 5-0397/2001. 27 ABl. 2001 Nr. C 332 E, S. 305; im Vorschlag der Kommission wird unter Ziff. 4.1 der Begründung auf die Ereignisse des 11. Septembers ausdrücklich Bezug genommen. 28 Die Änderungswünsche betrafen im Wesentlichen die Betonung der Rechte Beschuldigter, die Klarstellung von Befugnissen vollstreckenden Justizbehörden und ganz allgemein die Beziehungen zwischen dem ausstellenden Mitgliedstaat und dem vollstreckenden Mitgliedstaat, ABl. 2002 Nr. C 153 E, S. 276. 29 ABl. 2002 Nr. C 153 E, S. 284. 30 Der Entwurf wurde auf den Tagungen vom 20.9.2001, 16.10.2001 und 16.11. 2001 diskutiert, siehe Jekewitz, in: GA 152 (2005), S. 625, 632 und Rohlff, S. 20. 31 Pressemitteilung 2001/365 zur Tagung des Rates vom 16.10.2001.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

liste von 32 Straftaten. Da in diesem Punkt jedoch unter den damals übrigen vierzehn Mitgliedern des Rates Einvernehmen bestand, konnte am 10. Dezember 2001 kurz vor dem Europäischen Rat von Laeken32 eine Einigung auf eine gemeinsame Fassung erzielt werden33, der auch das Parlament seine Billigung nicht verweigerte.34 Der Rahmenbeschluss trat schließlich acht Monate nach der politischen Einigung am 07. August 2002 auf der Grundlage der unionsrechtlichen Vorschriften der Art. 31 Abs. 1 lit. a) und b) EU und Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU35 in Kraft. III. Das Anerkennungsprinzip als Grundlage der Zusammenarbeit Beim Europäischen Haftbefehl handelt es sich definitionsgemäß nach Art. 1 Abs. 1 RB-EUHb um eine gerichtliche Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel oder Sicherung bezweckt. Er beruht gemäß Ziff. 5 seiner Erwägungsgründe auf dem Gedanken, ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen einzuführen, in dem die Strafverfolgung durch den ersuchenden Staat unbedingt und ungeprüft anerkannt und derjenigen im ersuchten Staat gleichgestellt wird. Damit kann dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl deutlich entnommen werden, dass es sein erklärter Wille ist, das Auslieferungsrecht auf die Grundlage des bisher nur dem Recht des gemeinschaftsrechtlichen Binnenmarktes zugrunde liegenden Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu stellen.36 Um sich bewusst zu werden, welche Konsequenzen die Einführung des Anerkennungsprinzips im Bereich des Auslieferungsrechts mit sich bringt, soll die folgende Darstellung der Ursprünge und Ausprägungen des Anerkennungsprinzips im Binnenmarktrecht deutlich machen, was unter dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eigentlich zu verstehen ist. 32

Europäischer Rat von Laeken vom 14. und 15. Dezember 2001. Dok. Nr. 14867/1/01 REV 1, 2001/0215 (CNS). 34 Vgl. den Bericht des Parlaments vom 9.1.2002, Dok. Nr. A 5 0003/2002. 35 Vgl. insofern den Wortlaut des ersten Satzes des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. 36 Leutheusser-Schnarrenberger, in: StraFo 2007, S. 267, 268 f.; Schünemann, in GA 151 (2004), S. 193, 204; ders., in: ZStW 116 (2004), S. 377, 383; Gleß, in: ZStW 116 (2004), S. 353, 354 ff.; v. Bubnoff (2005), S. 50 f.; Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (2006), S. 65, 73; Satzger, in: StV 2003, S. 137, 141; Ambos, § 12, Rdnr. 60; Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 31 EU, Rdnr. 24; Böse, in: Momsen/ Bloy/Rackow, S. 233, 234; Gleß, S. 162; siehe auch die Mitteilung der Kommission vom 26.07.2000, KOM (2000) 495 endg.; siehe auch zum Ursprung des Anerkennungsprinzips Braum, in: GA 152 (2005), S. 681, 683 ff. 33

A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung

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1. Gemeinschaftsrechtliches Binnenmarktrecht als Ursprungsort des Anerkennungsprinzips Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen beruht auf der Grundlage, dass die Verwaltung jedes Mitgliedstaates verpflichtet ist, Verwaltungsentscheidungen eines anderen Mitgliedstaates anzuerkennen, als hätte sie selbst den entsprechenden Verwaltungsakt erlassen.37 Sein Ursprung liegt in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur gemeinschaftsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit in den Art. 28 ff. EG. Als maßgeblich können insbesondere die Urteile in den Rechtssachen Dassonville38 und Cassis de Dijon39 und insbesondere aus deutscher Sicht das Urteil zum deutschen Reinheitsgebot für Brauereierzeugnisse40 angesehen werden. Den Grundstein für das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im supranationalen Gemeinschaftsrecht legte der Europäische Gerichtshof mit seiner Dassonville-Entscheidung. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem französische Whiskyhändler von der Brüsseler Staatsanwaltschaft angeklagt wurden, da sie britischen Whisky in Belgien verkauft hatten, der zwar nach französischen Vorschriften ordnungsgemäß etikettiert war, für den sie aber nicht im Besitz einer nach belgischem Recht erforderlichen Ursprungsbescheinigung waren. Der Gerichtshof entschied auf eine Vorlage des belgischen Strafgerichts zur Frage, ob die belgischen Vorschriften einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Warenverkehrsfreiheit darstellten, dass jede Regelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern, im Widerspruch zur Warenverkehrsfreiheit stehe und deshalb unanwendbar sei.41 Diesen Ansatz, dass nationale Bestimmungen grenzüberschreitenden Warenhandel grundsätzlich nicht unterbinden dürfen, verfolgte der Gerichtshof in der Rechtssache Cassis de Dijon weiter. In diesem Fall entschied der Gerichtshof, dass die Untersagung des Vertriebs eines französischen Likörs mit einem Weingeistgehalt von 15–20 Vol. % in Deutschland mit der Begründung, dass nach dem deutschen Lebensmittelrecht Trinkbranntweine nur mit einem Mindestweingeistgehalt von 32 Vol. % in den Verkehr gebracht werden dürften, gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften verstoße, da eine solche nationale Festlegung ein nicht zu rechtfertigendes Handelshemmnis darstelle.42 37

Becker, in: DVBl. 2001, S. 855, 856; Neßler, S. 5. EuGH, Urt. v. 11.07.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, S. 837 ff. – Dassonville. 39 EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, S. 649 ff. – Cassis de Dijon. 40 EuGH, Urt. v. 12.03.1987, Rs. 178/84, Slg. 1987, S. 1262 ff. – Kommission/ Deutschland. 41 EuGH, Urt. v. 11.07.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, S. 837, Rdnrn. 5 ff. – Dassonville. 42 EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, S. 649, Rdnr. 14 – Cassis de Dijon. 38

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Aus deutscher Sicht erregte schließlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Reinheitsgebot Aufmerksamkeit, nach dem der Import von Brauereierzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten nach Deutschland nicht mit der Begründung verwehrt werden dürfe, dass in Deutschland nur Getränke unter der Bezeichnung Bier verkauft werden dürfen, die nach Maßgabe des deutschen Reinheitsgebotes hergestellt worden sind.43 Bei Betrachtung der Interpretation des Anerkennungsprinzips durch den Gerichtshof wird deutlich, dass die wesentliche Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im so genannten Herkunftslandprinzip liegt, welches für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung begründet, die gesetzlichen Vorschriften des Herkunftslandes und die darauf beruhenden Entscheidungen in Bezug auf eine Ware als den eigenen Anforderungen gleichwertig anzusehen.44 Grundlegend verankert wurde dieses Prinzip im Binnenmarktrecht seitens der Europäischen Kommission Mitte der achtziger Jahre, als sie das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in ihrem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes45 im Allgemeinen und in ihren Mitteilungen über den freien Verkehr mit Lebensmitteln innerhalb der Europäischen Gemeinschaft46 im Besonderen als „neue Strategie“ zur Grundlage ihrer Binnenmarktkonzeption machte. Auf diesem Weg wurde es nach und nach möglich, technische Schranken, die der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes entgegenstanden, abzubauen, ohne eine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften vornehmen zu müssen.47 2. Verwaltungskooperation auf der Grundlage des transnationalen Verwaltungsaktes als Anwendungsfall des Anerkennungsprinzips Neben der Anerkennung einzelner mitgliedstaatlicher Entscheidungen im Bereich der Warenverkehrsfreiheit hat mit der Verabschiedung zahlreicher so genannter gemeinschaftsrechtlicher Anerkennungsrichtlinien im Bereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ebenfalls bereits zu einem frühen Zeit43 EuGH, Urt. v. 12.03.1987, Rs. 178/84, Slg. 1987, S. 1262, Rdnr. 37 – Kommission/Deutschland. 44 Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 236; Juppe, S. 44. 45 KOM (1985) 310 endg.; das Weißbuch ist abgedruckt u. a. in BR-Drucks. 289/85 v. 10.07.1985. 46 Mitteilung vom 08.11.1985: „Vollendung des Binnenmarktes: Das gemeinschaftliche Lebensmittelrecht“, KOM (1985/603) end.; Mitteilung vom 24.10.1989, ABl. EG 1989 Nr. C 271, S. 3. 47 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 14 EGV, Rdnr. 22; Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 31 EU, Rdnr. 24; vgl. auch Mitteilung der Kommission über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt, KOM (1995) 162 endg.; siehe auch Mitteilung zur gegenseitigen Anerkennung im Strafrecht, KOM (2000) 495 endg., S. 2.

A. Ursprung und Hintergründe zur Einführung

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punkt eine noch weitergehende Ausprägung des Herkunfts- und Ursprungslandprinzips Einzug gehalten. Bei dieser weitergehenden Ausprägung handelt es sich um die Geltung mitgliedstaatlicher Verwaltungsakte auf der Grundlage des so genannten Rechtsinstituts des transnationalen Verwaltungsaktes.48 Charakteristisch für dieses Rechtsinstitut ist, dass die Wirkung von Verwaltungsakten nicht auf das Staatsgebiet der erlassenden Behörde beschränkt ist, sondern vielmehr grenzüberschreitend im gesamten gemeinschaftsrechtlichen Raum wirkt.49 Grundsätzlich lassen sich bei Verwaltungsakten, die auf der Grundlage von Anerkennungsrichtlinien ergehen, zwei verschiedene Arten transnationaler Wirkungen unterscheiden50: Zunächst kann die transnationale Wirkung durch den Verzicht der übrigen Mitgliedstaaten eintreten, ihr eigenes Verwaltungsrecht auf einen Vorgang anzuwenden, der bereits im Herkunftsland geregelt worden ist.51 So sieht beispielsweise eine Richtlinie im Bereich des Bankenaufsichtsrechts vor, Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat genehmigungsfrei zu stellen.52 Zum anderen kann die grenzüberschreitende Wirkung des Verwaltungsaktes aber auch dadurch erfolgen, dass die übrigen Mitgliedstaaten den Verwaltungsakt gesetzlich den eigenen Verwaltungsakten gleichstellen. Auf diese Weise wird etwa aufgrund entsprechender Richtlinien bei der Anerkennung von berufszugangsberechtigenden Diplomen verfahren sowie bei Zeugnissen aller Art.53 48 Siehe grundlegend zum Rechtsinstitut des transnationalen Verwaltungsakt Ruffert, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 453 ff. 49 Sydow, S. 138 f.; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35, Rdnr. 255; Fastenrath, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 277, 301; Neßler, S. 5; ders., in: NVwZ 1995, S. 863, 865; Schoch, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (1999), S. 279, 308; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (1999), S. 317, 358; zum Zusammenhang zwischen Anerkennung und Rechtsangleichung Happe, S. 83 ff. 50 Siehe insofern auch Fastenrath, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 277, 301; Schmidt-Aßmann, in: EuR 31 (1996), S. 270, 301. 51 Schmidt-Aßmann, in: DVBl. 1993, S. 924, 936. 52 Vgl. Art. 6 der Richtlinie 89/646/EWG vom 15.12.1989, ABl. 1989 Nr. L 386, S. 1; neugefasst durch die Richtlinie 2006/48/EG vom 14.06.2006, ABl. 2006 Nr. L 177, S. 1; letztmalig geändert durch die Richtlinie 2007/18/EG vom 27.03.2007, ABl. 2007 Nr. L 87, S. 9; vgl. hierzu auch Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 880 f.; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 13. Weitere Anwendungsfälle dieser Fallgruppe finden sich im Produktzulassungsrecht wie beispielsweise bei der Erteilung der EG-Typengenehmigung für Kraftfahrzeuge oder bei der Zulassung neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, siehe hierzu Sydow, S. 160. 53 Vgl. beispielsweise nur für den Berufssektor der Ärzte Art. 2 ff. der Richtlinie für Ärzte 93/16/EWG vom 05.04.1993, ABl. 1993 Nr. L 165, S. 1 und Art. 2 ff. der Richtlinie für Zahnärzte 76/686/EWG vom 25.07.1978, ABl. 1976 Nr. L 233, S. 1, beide zuletzt geändert durch die Richtlinie 2001/19/EG vom 14.5.2001, ABl. 2001

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Beide Fälle der transnationalen Wirkung mitgliedstaatlicher Verwaltungsakte zeichnen sich dadurch aus, dass nicht mehr wie beim zuvor dargestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nur einzelne Elemente einer fremden Verwaltungsentscheidung als Determinanten der eigenen Entscheidung übernommen werden, sondern Verwaltungsentscheidungen vielmehr in allen Mitgliedstaaten vollumfänglich auf der Grundlage der Geltungsanordnung eines Rechtssatzes54 gelten.55 Zur Veranschaulichung der Wirkung des transnationalen Verwaltungsaktes ist es hilfreich, auf das Beispiel berufszugangsberechtigender Diplome zurückzugreifen: Entscheidend ist, dass nicht ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Diplom anerkennt und auf dieser Basis eine Zulassung des Diplomierten ausspricht, sondern die Zulassung selbst aufgrund der Anerkennungsrichtlinie bzw. ihrem Umsetzungsakt anerkennt und damit auch alle zukünftigen Zulassungsakte anderer Staaten.56 Die Besonderheit liegt mithin darin, dass die Genehmigung des Heimatstaates an die Stelle der Genehmigung des Staates tritt, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird.57 Insgesamt lässt sich sagen, dass das Institut des transnationalen Verwaltungsaktes aufgrund der Verabschiedung der zahlreichen Anerkennungsrichtlinien zum einen im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen und Zeugnissen58 und zum anderen insbesondere im Bereich des europäischen Banken-, Nr. L 206, S. 1. Siehe auch Art. 2 der Richtlinie für Tierärzte 78/1026/EWG vom 18.12.1978, ABl. 1978 Nr. L 362, S. 1 und Art. 2 ff. der Richtlinie für Apotheker 85/ 433/EWG vom 16.09.1985, ABl. 1985 Nr. L 253, S. 37. 54 D. h. in Form einer gemeinschaftsrechtlichen Verordnung oder aber einer gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie, die ihre Vorgaben über den nationalen Umsetzungsakt oder bei fehlender Umsetzung unmittelbar selbst entfaltet; vgl. Sydow, S. 143 ff. 55 Schmidt-Aßmann, in: DVBl. 1993, S. 924, 935; Becker, in: DVBl. 2001, S. 855, 860; Hecker, § 12, Rdnr. 57; Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 235; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35, Rdnr. 255a; Schmidt-Aßmann, in: FS Winkler, S. 995, 110; Ruffert, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 453, 461; a. A. wohl Neßler, S. 79 ff., der in seiner Arbeit über den transnationalen Verwaltungsakt scheinbar davon ausgeht, dass sich die Bindungswirkungen von behördlichen Entscheidungen aus diesen Entscheidungen selbst ergeben. 56 Neßler, S. 14; ders., in: NVwZ 1995, S. 863, 865; Engel, in: Die Verwaltung 25 (1992), S. 437, 452. 57 EuGH, Urt. v. 18.01.1979, verb. Rs. 110 und 111/78, Slg. 1979, S. 35, Rdnr. 39 – Ministère Public und ASBL/Van Wesemael; EuGH, Urt. 17.12.1981, Rs. 279/80, Slg. 1981, S. 3305, Rdnr. 21 – Webb; EuGH, Urt. v. 22.09.1983, Rs. 271/82, Slg. 1983, S. 2727, Rdnr. 20 – Ministère Public/Auer; EuGH, Urt. 15.12.1983, Rs. 5/83, Slg. 1983, S. 4233, Rdnr. 11 – Rienks. 58 Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Anerkennungsrichtlinien in diesem Bereich ist Art. 47 EG; siehe zu den verschiedenen Anerkennungsrichtlinien in diesem Bereich die Kommentierung von Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/ EG-Kommentar, Art. 47 EG, Rdnrn. 67 ff.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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Wertpapier-, Börsen- und Versicherungsaufsichtsrechts59 innerhalb der letzten zwanzig Jahre einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes und zur Fortentwicklung der Verwaltungskooperation im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft geleistet hat. Es stellt damit über den Bereich der Warenverkehrsfreiheit hinaus eine wichtige Ausprägung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen für die Bereiche der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit dar.

B. Mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundene Änderungen des Auslieferungsrechts Nach der Darstellung der allgemeinen Grundlagen und Hintergründe für die Einführung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl soll im Folgenden erörtert werden, welche konkreten Ausprägungen tatsächlich mit der grundsätzlichen Einführung des Anerkennungsprinzips im Bereich des Auslieferungsrechts verbunden sind, und in welchem Umfang die dargestellten Ausprägungen des Anerkennungsprinzips im Bereich des Auslieferungsrechts Einzug gehalten haben.60 I. Verfahrensrechtliche Änderungen durch die Einführung des Anerkennungsprinzips: Abschaffung des Bewilligungsverfahrens Eine der zentralen durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgegebenen verfahrensrechtlichen Änderungen im Auslieferungsrecht ist die Abschaffung des Bewilligungsverfahrens und die Einführung eines einstufigen Vollstreckungsverfahrens auf der Grundlage des Anerkennungsgrundsatzes.61 Der Rahmenbeschluss gibt den Mitgliedstaaten verbindlich vor, den völkerrechtlichen Charakter der Auslieferung, der sich insbesondere in dem opportu59 Siehe für diesen Bereich insbesondere auch die Investmentrichtlinie 85/611/ EWG vom 20.12.1985, ABl. 1985 Nr. L 365, S. 3 und die Richtlinie für Direktversicherungen 92/49/EWG vom 18.06.1992, ABl. 1992 Nr. L 228, S. 1; vgl. auch Schlag, S. 56 ff. und Becker, in: DVBl. 2001, S. 855, 863. 60 Von geringerem Interesse sind insofern an dieser Stelle diejenigen neuen Regelungen in Kapitel 2 und 3 RB-EUHb, die sich im Rahmen der Erneuerung des Auslieferungsrechts mit der technischen Durchführung der Übergabe einer verfolgten Person beschäftigen. 61 Siehe Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, Ziff. 5; Tinkl, S. 73 f.; Ambos, § 12, Rdnr. 58; Murschetz, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler, S. 85, 85; Lagodny, in: StV 2005, S. 515, 518; v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, in: GA 150 (2003), S. 44, 46; Hackner, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 193, 196; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 225; Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, S. 65; Vennemann, in: ZaöRV 63 (2003), S. 103, 108.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

nistisch außenpolitisch motivierten administrativen Bewilligungsvorbehalt und in der Zweiteilung des Verfahrens in eine Zulässigkeits- und eine Bewilligungsentscheidung manifestiert hatte, dadurch zu ersetzen, dass die Kontakte im Sinne eines einstufigen Vollstreckungsverfahrens auf die unmittelbare justizielle Ebene der Mitgliedstaaten verlagert werden, um auf diesem Weg nur noch die zuständigen Justizbehörden eines EU-Mitgliedstaates62 über die Auslieferung einer Person entscheiden zu lassen.63 Dass der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl dabei, auch wenn er in Art. 6 Abs. 1 und 2 RB-EUHb den Mitgliedstaaten die Bestimmung der zuständigen ausstellenden und vollstreckenden Justizbehörde nach nationalem Recht überließ, nicht das zum Bereich der Exekutive gehörige Justizministerium als Justizbehörde vorsah, sondern getragen von seinem Willen zur Entpolitisierung des Verfahrens vielmehr eine richterliche Instanz, wird aus den unterschiedlichen Sprachfassungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 RB-EUHb deutlich. So spricht der englische Text von einer „judicial authority“, der französische Text von einer „autorité judiciaire“, der spanische Text von einer „autoridad judicial“ und der niederländische Text von einer „rechterlijke autoriteit“.64 Auch die deutsche Fassung legt diese Auslegung des Rahmenbeschlusses nahe, macht sie doch in Art. 1 Abs. 1 RB-EUHb klar, dass es sich bei dem Europäischen Haftbefehl um eine rein justizielle Entscheidung handeln soll. Dieses Verständnis vom Übergabeverfahren wird schließlich durch den Bericht der Kommission über den Stand der Umsetzung aus dem Jahre 2006 bestätigt, indem betont wird, dass das Verfahren der Übergabe von Personen zwischen den Mitgliedstaaten gänzlich in den Händen der Justiz liegen soll.65 Mit dem Vorhaben, das Auslieferungsverfahren allein in den Verantwortungsbereich der Justiz zu legen, verfolgt der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl insbesondere die Ziele, die Ablehnungsgründe für eine Auslieferung voll justiziabel zu machen und einzuschränken66 und darüber hinaus die lange angeprangerte Ineffizienz des Auslieferungsverfahrens zu beseitigen.67

62 Im Vollstreckungsstaat gemäß Art. 3 RB-EUHb die „vollstreckende Justizbehörde“, im Ausstellungsstaat die „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 RB-EUHb. 63 Siehe Art. 9 Abs. 1 RB-EUHb; v. Bubnoff (2005), S. 45; Hecker, § 12, Rdnr. 22; Satzger (2008), § 9, Rdnr. 25; Rohlff, S. 40 ff. 64 Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 459; so auch Ang, in: Blekxtoon/van Ballegooij, pp. 47, 49 f. 65 Bericht der Kommission vom 24.01.2006, Ziff. 2.1.2.; KOM(2006) 8, endg. 66 Rohlff, S. 41. 67 Die Kommission geht in Ziff. 4.5 Nr. 4 ihrer Begründung davon aus, dass der Wegfall der politischen Entscheidung die Wirksamkeit und Schnelligkeit des Auslieferungsverfahrens erheblich steigert, ABl. 2001 Nr. C 332 E, S. 305 ff.; siehe auch Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, Vor § 78 IRG, Rdnr. 6.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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Damit wird erkennbar, dass es sich bei der durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgesehenen Form der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Auslieferungsrecht um eine Kooperation zwischen den Justizbehörden handelt, wie sie grundsätzlich innerstaatlich erfolgt. Der Unterschied besteht insoweit nur darin, dass diese Kooperation nun auch auf zwischenstaatliche Verfahren übertragen worden ist.68

II. Materiellrechtliche Änderungen durch die Einführung des Anerkennungsprinzips Neben der Abkehr vom mehrstufigen Bewilligungsverfahren als in verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeutsamster Änderung des bisherigen Auslieferungsrechts hat die Vorgabe des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, Auslieferungen auf der Grundlage der Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen durchzuführen, vor allem auf materiellrechtliche Voraussetzungen für die Entscheidung über eine Auslieferung bedeutenden Einfluss. 1. Partielle Abkehr von der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit Eine der wesentlichen Änderungen, die das klassische Auslieferungsrecht durch die Verankerung des Anerkennungsprinzips in materieller Hinsicht erfahren hat, ist die begrenzte Abkehr vom Grundsatz der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit.69 Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, der eine beherrschende Maxime des klassischen Auslieferungsrechts darstellt70, sieht vor, dass eine Auslieferung nur dann in Betracht kommt, wenn ein Verhalten sowohl aufgrund des Rechts des ersuchenden Staates als auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar ist.71 Dabei ist maßgeblich für die Annahme der beiderseitigen Strafbarkeit, dass eine Tat zum Zeitpunkt der Auslieferung bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts den Anforderungen des Rechts des ersuchten Staates entspricht.72

68 Murschetz, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 85, 88. Teilweise wird von einem Konzept des „arbeitsteiligen Strafverfahrens“ gesprochen, siehe Rohlff, S. 46 ff. 69 Hecker, § 12, Rdnr. 42; Deiters, in: ZRP 2003, S. 359, 359; Vennemann, in: ZaöRV 63 (2003), S. 103, 111. 70 Unger, S. 34. 71 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, Einleitung zum IRG, Rdnr. 64; Rohlff, S. 83; v. Bubnoff (2005), S. 26 f.; v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, in: GA 150 (2003), S. 44, 47; Böse, in: Gleß, S. 109, 124 f.; Murschetz, S. 118. 72 Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, S. 17.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Die Bedeutung des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit beruht darauf, dass dem ersuchten Staat eine Überprüfungs- und Kontrollmöglichkeit eröffnet wird, mittels derer er ein Auslieferungsbegehren vom ersuchenden Staat ablehnen kann, wenn die Strafbarkeit eines Verhaltens nicht auch in seiner Rechtsordnung vorgesehen ist.73 Von diesem Grundsatz weicht nun der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl mit seinen an die Mitgliedstaaten gerichteten Vorgaben ab. Zwar hält er in grundsätzlicher Hinsicht gemäß Art. 2 Abs. 4 RB-EUHb an dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit fest, jedoch hat er von diesem Grundsatz einen umfangreichen Ausnahmebereich im Auslieferungsrecht verankert. In Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb hat er für einen Katalog von 32 Straftaten vorgeschrieben, von der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit abzusehen und eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls durchzuführen, wenn die dort genannten Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Zu dem in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgeführten Katalog gehören im Einzelnen die folgenden Straftatbestände: – Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, – Terrorismus, – Menschenhandel, – sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, – illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen, – illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen, – Korruption, – Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, – Wäsche von Erträgen aus Straftaten, – Geldfälschung, einschließlich der Euro-Fälschung, – Cyberkriminalität, – Umweltkriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten,

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Rohlff, S. 83.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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– Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, – vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, – illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, – Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, – Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, – Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen, – illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände, – Betrug, – Erpressung und Schutzgelderpressung, – Nachahmung und Produktpiraterie, – Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, – Fälschung von Zahlungsmitteln, – illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern, – illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, – Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, – Vergewaltigung, – Brandstiftung, – Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs fallen, – Flugzeug- und Schiffsentführung und – Sabotage. Mit dieser Positivliste ist der Rat der Europäischen Union zwar bei der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl hinter den Forderungen der Kommission, die in ihrem Entwurf für den Rahmenbeschluss eine generelle Abschaffung der Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit zur Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung als notwendig erachtet hatte74, zurückgeblieben. Jedoch stellt die Liste doch eine deutliche Veränderung der bisherigen Rechtslage dar, da der mit dem Katalog gewählte Weg deutlich über die bisher bestehenden Versuche, die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit einzuschränken, hinausgeht. So war im Rahmen des dem 74 Vorschlag der Kommission, Erwägungsgrund Ziff. 11, 14 und 27, ABl. 2001 Nr. C 332 E, S. 305, 311; nach dem Konzept der Kommission sollten die Mitgliedstaaten lediglich die Option erhalten, individuell eine Negativliste von Straftaten zu erstellen, die sie vom Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ausnehmen und deren Vollstreckung sie daher auf ihrem Hoheitsgebiet ablehnen wollten.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Rahmenbeschluss vorangegangenen klassischen Auslieferungsrechts lediglich in Art. 3 Abs. 1 EU-AuslÜbk75 für die Bereiche der Terrorismusbekämpfung und der organisierten Kriminalität vorgesehen, auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit in Fällen der Verabredung einer strafbaren Handlung und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu verzichten. Überdies war den Mitgliedstaaten zuvor in Art. 3 Abs. 3 EU-AuslÜbk der Vorbehalt eingeräumt, von dieser Einschränkung keinen Gebrauch zu machen. Die im Katalog in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb vorgenommene Aufzählung von Delikten und Deliktsgruppen, unter denen sich neben terroristischen und unionsspezifischen Straftaten auch klassische Delikte wie Betrug, Brandstiftung oder Erpressung und auch bislang unbekannte Delikte wie Cyberkriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit finden lassen, sieht damit im Gegensatz zum früheren Auslieferungsrecht eine wesentlich breitere und umfangreichere, aber auch zwingendere Aufhebung des Vorbehalts der beiderseitigen Strafbarkeit vor als ehemals Art. 3 EU-AuslÜbk.76 2. Abschaffung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit Eine weitere Veränderung im materiellrechtlichen Auslieferungsrecht, die auf die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zurückzuführen ist, ist der Wegfall des Prinzips der Gegenseitigkeit. Das Prinzip beschreibt eine der Grundvoraussetzungen des Auslieferungsrechts, wonach ein Staat nur deshalb im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens handelt, weil er vom anderen Staat erwartet, dass dieser im gleichen Umfang zu einer Auslieferung bereit wäre.77 Der Grundsatz stellt eine aus dem Souveränitätsgedanken folgende Ausprägung des do ut des-Prinzips dar.78 Zwar handelt es sich bei dem Prinzip eher um eine politische Handlungsmaxime als um einen völkerrechtlichen Rechtssatz79, die eigentlich eher im ver75

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, E., Fn. 32. Ambos, § 12, Rdnr. 60; Unger, S. 98; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 226. Siehe in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2006 – 3 Ausl. 52/06, NJW 2006, S. 613, 615, demzufolge auch das Vorliegen eines Haftgrundes vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung umfasst sein muss. Anzumerken ist ferner, dass die vom Rahmenbeschluss ausgesprochene Verpflichtung, für die benannten Delikt von einer Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit abzusehen, insbesondere Italien bislang in der Praxis nicht davon abhält, die Kontrolle der beiderseitigen Strafbarkeit beizubehalten und damit gegen die Vorgaben des Rahmenbeschlusses zu verstoßen, siehe dazu den Bericht der Kommission vom 24.01.2006, Ziff. 2.1.1., KOM(2006)8 endg. und Lagodny, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 143, 145. 77 Böse, in: Gleß, S. 109, 126. 78 Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, § 5 IRG, Rdnr. 2. 79 BGHSt 24, 297 (303). 76

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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traglosen Bereich von Relevanz ist80 und in Deutschland entgegen der in § 5 IRG81 getroffenen Regelung keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr für eine Auslieferung ist.82 Allerdings ist dieses Prinzip nach wie vor in Art. 2 Abs. 7 EuAlÜbk als Fakultativklausel enthalten und damit nach wie vor Bestandteil des geltenden europäischen Auslieferungsrechts. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl enthält nun zum Prinzip der Gegenseitigkeit keinerlei Regelungen mehr. Die gänzliche Außerachtlassung des Gegenseitigkeitsprinzips stellt sich dabei als logische Folge der angestrebten Ersetzung des Bewilligungsverfahrens durch das vom Anerkennungsprinzip geprägte Vollstreckungsverfahren dar, da sich vor dem Hintergrund der Entpolitisierung des Auslieferungs- bzw. Übergabeverfahrens der Vorbehalt gegenseitiger Mitwirkung im Einzelfall erübrigt.83 3. Möglichkeit des generellen Verzichts auf den Spezialitätsschutz Ebenfalls von der Einführung des Anerkennungsgrundsatzes im Auslieferungsrecht betroffen, wenn auch nicht in gleichem Maße wie insbesondere der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, ist der Grundsatz der Spezialität. Dieser auslieferungsrechtliche Grundsatz besagt, dass der Auszuliefernde im ersuchenden Staat nicht wegen einer anderen Tat strafrechtlich verfolgt werden darf als derentwegen die Auslieferung bewilligt wurde.84 Da er die Verfügungsgewalt des ersuchenden Staates auf die der rechtshilferechtlichen Bewilligung zu Grunde liegende Tat beschränkt, war er im Rahmen des klassischen Rechtshilferechts stets eng mit den Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten verbunden. Auch wenn der Spezialitätsgrundsatz nicht zum zwingenden Völkerrecht gehört85, so stellt er doch eine notwendige Folge der anderen genannten Grundsätze des Auslieferungsrechts dar, da insbesondere der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit anderenfalls wirkungslos wäre.86 Obwohl erstens seit jeher einzelne Ausnahmefälle zum Grundsatz der Spezialität vorgesehen sind87 und obwohl zweitens die rechtspolitische Tendenz bei 80

Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, S. 16. Siehe Kapitel 3, A., II., Fn. 23. 82 BGHSt 30, 55 (62 ff.); Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II A, Art. 2 EuAlÜbk, Rdnr. 3a. 83 Rohlff, S. 82. 84 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, Einleitung zum IRG, Rdnr. 74; Rohlff, S. 97; v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, in: GA 150 (2003), S. 44, 48; v. Bubnoff (2005), S. 31. 85 Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, § 11 IRG, Rdnr. 7. 86 v. Bubnoff (2005), S. 31; Vogler, in: FS Spendel, S. 871, 890. 87 Siehe die in Art. 14 EuAlÜbk vorgesehenen Ausnahmen. 81

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Auslieferungsverfahren innerhalb der Europäischen Union bereits seit längerem zu einer Aufweichung der Spezialitätsbindung hinläuft88 und obwohl drittens in der Literatur bereits früher der gänzliche Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz gefordert worden war89, ist die gänzliche Abkehr vom Grundsatz der Spezialität bis heute nicht ersichtlich. Denn entgegen dem ersten Entwurf der Kommission, der die gänzliche Abschaffung des Spezialitätsgrundsatzes vorsah90, ist eine Abschaffung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht durch die Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl erfolgt. Vielmehr wird in Art. 27 Abs. 2 RBEUHb weiterhin grundsätzlich am Prinzip der Spezialität festgehalten.91 Auch ändert sich auf den ersten Blick hinsichtlich der bestehenden Ausnahmen zur Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes nicht viel. So ist in Art. 27 Abs. 1 RB-EUHb ähnlich wie zuvor in Art. 11 EU-AuslÜbk lediglich die Möglichkeit vorgesehen, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit eine generelle Verzichtserklärung gegenüber dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union abzugeben.92 Außerdem wird in Art. 27 Abs. 3 lit. a) bis f) RB-EUHb auf die bestehenden Regelungen in Art. 14 Abs. 1 lit. b) EuAlÜbk, Art. 10 Abs. 1 EU-AuslÜbk und Art. 9 EU-VereinfAuslÜbk zurückgegriffen.93 Nichtsdestotrotz hinterlässt die Einführung des Anerkennungsprinzips durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auch im Rahmen des Spezialitätsschutzes ihre Spuren. So kann nun gemäß Art. 27 Abs. 3 lit. g) i.V. m. Abs. 4 RB-EUHb die „vollstreckende Justizbehörde“, die die Person übergeben hat, ihre Zustimmung zu einer Nichtanwendung des Spezialitätsgrundsatzes geben und nicht mehr wie auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk der „ersuchte Staat“. Auch dies ist als eine Folge des Wegfalls des Bewilligungsverfahrens und der Verlagerung der Kooperation auf die Justizbehörden anzusehen und somit unmittelbarer Ausfluss des vom Rahmenbeschluss vorgesehenen „arbeitsteiligen“ Zusammenwirkens in der Strafverfolgung.94

88 Siehe die in Art. 10 Abs. 1 und 11 EU-AuslÜbk und Art. 9 lit. a) und b) EUVereinfAuslÜbk verankerten Ausnahmen; v. Bubnoff (2005), S. 32; Lagodny, in: ZRP 2000, S. 175, 177. 89 Schomburg, in: StV 1998, S. 153, 157. 90 Entwurf der Kommission, Begründung zu Art. 41, ABl. 2001 Nr. C 332 E, S. 305, 313. 91 Vgl. v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, in: GA 150 (2003), S. 44, 48; Rohlff, S. 100. 92 Die Bundesrepublik hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, vgl. BT-Drucks. 15/1718, S. 25. 93 Siehe zu den Regelungen im EU-AuslÜbk, EuAlÜbk und EU-VereinfAuslÜbk betreffend den Spezialitätsgrundsatz die Darstellung von Böse, in: Gleß, S. 109, 154 f. 94 Rohlff, S. 46.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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4. Einschränkung der Ablehnungs- bzw. Vorbehaltsgründe für eine Auslieferung Verweigerungs- und Vorbehaltsgründe, die gegen ein Auslieferungsbegehren geltend gemacht werden können, sind im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in Art. 3, 4 und 5 RB-EUHb aufgeführt. Manche dieser Gründe sind aus früheren Übereinkommen bekannt und sollen daher an dieser Stelle nicht vertieft behandelt.95 Zahlreiche Ablehnungsgründe sind jedoch stark eingeschränkt worden, um der Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Raum zu geben. a) Aufhebung der generellen Vorbehaltsmöglichkeit für die Auslieferung eigener Staatsangehöriger Als wohl wichtigste Beschränkung der ehemalig im Rahmen des klassischen Rechtshilferechts vorgesehenen Vorbehalte oder Ablehnungsgründe, die gegen ein Auslieferungsbegehren geltend gemacht werden konnten, ist die Tatsache anzusehen, dass der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl mit keinem Wort mehr erwähnt, dass die Pflicht zur Übergabe auch für eigene Staatsangehörige des ersuchten Vollstreckungsmitgliedstaates gilt, sondern dies vielmehr als selbstverständlich voraussetzt.96 Der Vorbehalt, auf die Auslieferung eigener Staatsangehöriger zu verzichten, war durch seine Verankerung in Art. 6 EuAlÜbk lange Zeit Ausdruck des von nationalstaatlichem Denken geprägten Auslieferungsrechts.97 Zwar hatte dieser Vorbehalt ebenso wie die anderen zuvor beschriebenen Grundsätze bereits durch das Auslieferungsübereinkommen von 1996 eine gewisse Aufweichung erfahren, da Art. 7 Abs. 2 und 3 EU-AuslÜbk nur noch fakultativ die Möglichkeit vorsah, einen generellen Vorbehalt gegen die Auslieferung eigener Staatsangehöri95 Folgende Bestimmungen des RB-EUHb enthalten keine oder nur minimale Änderungen des bisherigen Auslieferungsrechts: Art. 3 Nr. 1 RB-EUHb greift bei Amnestiefällen die Regelungen in Art. 4 Zweites ZP-EuAlÜbk, Art. 9 EU-AuslÜbk, Art. 62 SDÜ auf; das Verbot der Auslieferung strafunmündiger Kinder in Art. 3 Nr. 3 RBEUHb wurde bisher auf die ordre public-Klausel gestützt; Art. 4 Nr. 4 RB-EUHb greift die bestehenden Verjährungsregelungen in Art. 10 EuAlÜbk, Art. 8 EU-AuslÜbk und Art. 62 SDÜ auf; Art. 4 Nr. 7 lit. a) und b) RB-EUHb entspricht dem Vorbehalt in Art. 7 EuAlÜbk und Art. 5 Nr. 2 RB-EUHb schließlich geht zurück auf einen Vorbehalt Portugals zum EU-AuslÜbk, siehe insofern auch den Kommissionsentwurf zum Rahmenbeschluss, Begründung zu Art. 37, ABl. 2001, Nr. C 332 E, S. 305 ff. 96 Rohlff, S. 61; Tinkl, S. 138; Hecker, § 12, Rdnr. 34; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 230; ders., Der Europäische Haftbefehl, S. 74; Schuster, S. 32; Wolff, in: ZG 19 (2004), S. 32, 33; Vennemann, in: ZaöRV 63 (2003), S. 103, 112. 97 Deutschland hatte von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht, BGBl. 1976 II, S. 1778.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

ger für gewissen Zeitraum auszuüben.98 Jedoch bestand im Rahmen des klassischen Rechtshilferechts stets die Möglichkeit, sich einer Auslieferung eigener Staatsangehöriger ohne nähere Begründung zu widersetzen. Mit dieser Möglichkeit der Geltendmachung eines Generalvorbehalts bricht der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bis auf eine Ausnahme betreffend Österreich, das bis zum Ablauf des Jahres 2008 weiterhin die Vollstreckung eines Haftbefehls ablehnen darf, wenn es sich bei der gesuchten Person um einen österreichischen Staatsbürger handelt und wenn die dem Haftbefehl zugrunde liegende Handlung nach österreichischem Recht nicht strafbar ist.99 Für alle übrigen Mitgliedstaaten gilt bereits heute, dass die Verweigerung einer Auslieferung aufgrund der Tatsache, dass der Auszuliefernde Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaates ist, nur mehr noch ausnahmsweise nach Maßgabe des fakultativen Ablehnungsgrundes in Art. 4 Nr. 6 RB-EUHb und der in Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb verankerten Bedingung möglich ist. Dies bedeutet zum einen, dass die Vollstreckung des Haftbefehls nach Art. 4 Nr. 6 RB-EUHb verweigert werden darf, wenn der Vollstreckungsstaat sich nach Ausstellung des Europäischen Haftbefehls verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken. Zum anderen kann die Übergabe eigener Staatsangehöriger zur Strafverfolgung an einen anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb von der Zusicherung abhängig gemacht werden, dass der Verfolgte zur Verbüßung der gegen ihn im Ausstellungsstaat rechtskräftig verhängten Strafe rücküberstellt wird. Dadurch, dass weitere auf dem Merkmal der Staatsangehörigkeit beruhende Ablehnungsgründe nicht vorgesehen sind100, wird die Neuausrichtung des auslieferungsrechtlichen Systems durch die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Vorgaben im Sinne einer Abkehr von nationalstaatlichen Vorbehalten im Auslieferungsrecht deutlich.

98 Auch diesen Vorbehalt hatte Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen bis zur Änderung von Art. 16 Abs. 2 GG im November 2000 geltend gemacht, BGBl. 1999 II, S. 707. Anmerkung: Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG wurde durch das 47. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 29.11.2000 angefügt, BGBl. 2000, S. 1633; vgl. zur Änderung den Beitrag von Uhle, in: NJW 2001, S. 1889 ff.; siehe auch Böse, in: Gleß, S. 109, 124, 151. 99 Siehe Art. 33 Abs. 1 RB-EUHb. 100 Art. 4 Nr. 7 lit. a) und b) RB-EUHb knüpfen nicht an das Merkmal der Staatsangehörigkeit an, sondern an den Tatort. Dass das BVerfGE diese Vorschriften in seinem Urteil zum ersten europäischen Haftbefehlsgesetz als Anknüpfungspunkt wählte, um die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zu beschränken, stellt eine in dogmatischer Hinsicht fragwürdige Vorgehensweise dar, siehe die Ausführungen unten in Kapitel 3, C., I., 2. und Kapitel 6, B., I., 2., a).

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b) Keine Vollstreckungsverweigerung auf der Grundlage eines nationalen ordre public-Vorbehalts Eine weitere Einschränkung von Gründen, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, ist darin zu sehen, dass der Rahmenbeschluss die möglichen Auslieferungshindernisse abschließend festlegt.101 Aus Art. 1 Abs. 2 RB-EUHb ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten jeden Europäischen Haftbefehl gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses zu vollstrecken haben. Ein Vollstreckungsmitgliedstaat soll sich demzufolge nicht mehr auf andere als auf die in Art. 3, 4 und 5 RB-EUHb genannten Gründe berufen können. Dies bedeutet bei konsequenter Lesart des Rahmenbeschlusses, dass dieser keine Möglichkeit mehr einräumt, die Verweigerung einer Vollstreckung auf eine nationale ordre public-Klausel zu stützen bzw. aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen.102 Er verlangt vielmehr, die Verweigerung einer Vollstreckung vor dem Hintergrund von Art. 1 Abs. 3 und Ziff. 12 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ausschließlich an den in Art. 6 Abs. 1 und 2 EU enthaltenen Vorbehalten im Sinne eines europäischen ordre public zu messen.103 Auch hierin wird damit ein weiteres Beispiel für die vom Rahmenbeschluss bezweckte Europäisierung des Auslieferungsrechts klar erkennbar. c) Weitere Einschränkungen bzw. Aufhebungen von Gründen für eine Vollstreckungsverweigerung Neben der Aufhebung der generellen Vorbehaltsmöglichkeit zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger und des nationalen ordre public-Vorbehalts sieht der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eine Reihe weiterer Ein101

Juppe, S. 53; Gleß, in: ZStW 116 (2004), S. 353, 358. Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 241. Vgl. zum ordre public-Vorbehalt im deutschen Auslieferungsrecht § 73 S. 1 IRG und die Urteile des BVerfGE 63, 332 (337); 75 (1 ff.); siehe auch Murschetz, S. 167. 103 Das Fehlen der ausdrücklichen Verankerung eines europäischen ordre public-Vorbehalts im Rahmenbeschluss beklagt Murschetz, S. 347 f. Eine konsequente Anwendung der vom EuGH im Pupino-Urteil gemachten Vorgaben muss trotz dieses Fehlens zur Folge haben, dass der in Art. 73 S. 1 IRG verankerte nationale ordre public-Vorbehalt rahmenbeschlusskonform, also einschränkend, auszulegen ist. Ihm dürfte neben dem in Art. 73 S. 2 IRG verankerten europäischen Vorbehalt nur eine begrenzte Anwendbarkeit zukommen; a. A. Tinkl, S. 211. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz ausdrücklich auf das Fortbestehen eines nationalen ordre public-Vorbehalts abgestellt, siehe die Ausführungen zum Urteil unten in Kapitel 3, C., I., 2. und die an diesem geäußerte Kritik in Kapitel 6, B., I., 2., a), Anm.: Das Fehlen eines nationalen ordre public-Vorbehalts als Auslieferungshindernis ist zu unterscheiden von der Frage eines verfassungsrechtlichen Vorbehalts gegenüber dem Rahmenbeschluss selbst. Vgl. hierzu die Ausführungen unten in Kapitel 6 und 7. 102

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

schränkungen bzw. Aufhebungen von Vorbehaltsgründen vor, die gegenüber einem Auslieferungsbegehren vorgetragen werden können. Zum einen führt der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eine bereits in Art. 5 Abs. 1 und 2 EU-AuslÜbk insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus eingeläutete Entwicklung fort, nach der ein Vorbehalt für Delikte mit politischem Bezug nicht länger vorgesehen ist.104 Er sieht die Möglichkeit, diesbezüglich Vorbehalte geltend zu machen, schlicht nicht mehr vor.105 Ebenso wird gemäß Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 RB-EUHb die Möglichkeit abgeschafft, einen irgend gearteten Vorbehalt für eine Auslieferung bei fiskalischen Delikten geltend zu machen, wie er in Art. 6 Abs. 3 EU-AuslÜbk noch bestand.106 Gleiches gilt für Ausnahmeregelungen für eine Auslieferung bei militärischen Delikten. Auch hier verzichtet der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auf eine Art. 4 EuAlÜbk entsprechende Regelung, nach der auf die Auslieferung wegen militärischer strafbarer Handlungen, die keine nach gemeinem Recht strafbaren Handlungen darstellen, das EuAlÜbk nicht anwendbar ist. Außerdem ersetzt Art. 5 Nr. 1 RB-EUHb im Hinblick auf die Auslieferung zur Vollstreckung aus Abwesenheitsurteilen im Falle einer unzureichenden Beachtung von Beschuldigtenrechten107 Art. 3 des 2. Zusatzprotokolls zum EuAlÜbk. Anders als Art. 3 des 2. ZP-EuAlÜbk sieht Art. 5 Nr. 1 RB-EUHb in diesen Fällen kein Recht des ersuchten Vollstreckungsstaates zur Ablehnung der Auslieferung mehr vor, sondern knüpft die Auslieferung lediglich an die Bedingung, dass die verfolgte Person nach ihrer Übergabe an den Ausstellungsmit-

104 Eine Ausnahmebestimmung für politische Delikte enthält beispielsweise Art. 3 EuAlÜbk; siehe zur Nichtauslieferung wegen einer politischen Tat Böse, in: Gleß, S. 109, 126 f., 151. 105 Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 242; Vennemann, in: ZaöRV 63 (2003), S. 103, 112. Allerdings ist Ziff. 12 der Erwägungsgründe des RB-EUHb so auszulegen, dass die Ablehnung eines Haftbefehls bei der Gefahr der politischen Verfolgung nicht unzulässig sein kann, siehe insoweit auch Murschetz, S. 367. 106 Die Bundesrepublik Deutschland hat keinen Vorbehalt nach Art. 6 Abs. 3 EUAuslÜbk eingelegt, siehe Böse, in: Gleß, S. 109, 151. Letztlich stellt Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 RB-EUHb mit der Regelung, dass eine Vollstreckung des EU-Haftbefehls nicht aus dem Grund abgelehnt werden kann, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaates eine Vorschrift dar, die der Einführung des Anerkennungsprinzips im Sinne von Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb nahe kommt. 107 Ein Fall unzureichender Beachtung von Beschuldigtenrechten liegt nach Maßgabe des RB-EUHb vor, wenn der Verfolgte nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise vom Termin unterricht wurde. Zu den Anforderungen an eine Benachrichtigung siehe die Ausführungen von Rohlff, S. 109.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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gliedstaat die Möglichkeit haben wird, in diesem eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein. 5. Erweiterung des Verbots der Doppelbestrafung Neben den zahlreichen Einschränkungen nationalstaatlicher Souveränitätsansprüche durch die Regelungen im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und der damit verbundenen Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht auf der einen Seite steht konsequenter- und notwendigerweise auf der anderen Seite eine Erweiterung des Verbots der Doppelbestrafung, indem der Rahmenbeschluss alte Bestimmungen aufgreift und diesen neue zur Seite stellt. Vor dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl fanden sich auf der Ebene des Europarates in Art. 8 und 9 EuAlÜbk erste Regelungen über das Verbot der Doppelbestrafung. Diese sehen zum einen fakultative Ablehnungsgründe gegen eine Auslieferung vor. So kann eine Auslieferung vom ersuchten Staat abgelehnt werden, wenn wegen derselben Handlung, wegen der der ersuchende Staat die Auslieferung beantragt hat, bereits ein Verfahren im ersuchten Staat anhängig ist108 oder wenn die zuständigen Behörden des ersuchten Mitgliedstaates entschieden haben, wegen derselben Handlung kein Strafverfahren einzuleiten oder ein bereits eingeleitetes Strafverfahren einzustellen.109 Zum anderen ist ein zwingendes Auslieferungshindernis im Falle einer bereits erfolgten rechtskräftigen Verurteilung durch die Behörden des ersuchten Staates vorgesehen.110 Neben den unter dem Dach des Europarates geschlossenen Übereinkommen bestanden auch auf europäischer Ebene mit Art. 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens und mit Art. 1 bis 5 des Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung111 bereits vor dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Regelungen zum Doppelbestrafungsverbot.112 Diese setzen zwar im Unterschied zu Art. 9 S. 1 EuAlÜbk für die Annahme eines zwingenden Auslieferungshindernisses zusätzlich zu einer rechtskräftigen Verurteilung voraus, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.113 Andererseits sehen sie je108

Art. 8 EuAlÜbk. Art. 9 S. 2 EuAlÜbk. 110 Art. 9 S. 1 EuAlÜbk. 111 Hinsichtlich der Fundstellen für das SDÜ und das EG-ne bis in idem-Übk vgl. die Ausführungen oben in der Einleitung, Fn. 1 und 15. 112 Art. 54–58 SDÜ und Art. 1–5 EG-ne bis in idem-Übk sind inhaltlich identisch. 113 Ein Rechtsprechungsnachweis zu maßgeblichen Auslegungsfragen von Art. 54 SDÜ findet sich bei Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil IV, 109

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

doch für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften und des Schengener Rechtsraumes dadurch einen umfassenderen Anwendungsbereich des Doppelbestrafungsverbots vor, dass für ein Verbot nicht nur eine Verurteilung durch den ersuchten Staat zugrunde gelegt wird, sondern auf eine Verurteilung durch irgendeinen Mitgliedstaat abgestellt wird.114 An diesem Grundsatz hält auch der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl mit der in Art. 3 Nr. 2 RB-EUHb getroffenen zwingenden Regelung fest. Sie entspricht weitgehend Art. 54 SDÜ und Art. 1 EG-ne bis in idem-Übk. Neu ist lediglich die Formulierung, wonach sich die Verurteilung aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergeben muss.115 Ferner greift der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl mit den in Art. 4 Nr. 2 und Nr. 3 Alt. 1 und 2 RB-EUHb niedergelegten fakultativen Ablehnungsgründen die bereits aus Art. 8 und 9 S. 2 EuAlÜbk bekannten Ablehnungsgründe auf. Eine Erweiterung der bisherigen Normierungen zum Doppelbestrafungsverbot durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ist in Art. 4 Nr. 3 Alt. 3 und Nr. 5 RB-EUHb zu erkennen. Für diese Regelungen bestehen keine entsprechenden Vorgänger in früheren Übereinkommen. Art. 4 Nr. 3 Alt. 3 RB-EUHb stellt ein fakultatives Vollstreckungshindernis dar, wonach die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls auch dann verweigert werden kann, wenn gegen die gesuchte Person in einem Mitgliedstaat aufgrund derselben Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer Strafverfolgung entgegensteht. Die Vorschrift klärt die lange diskutierte Frage, ob sich das Doppelbestrafungsverbot nur auf rechtskräftige Urteile bezieht oder auch auf rechtskräftige Verfahrensbeendigungen ohne richterliche Beteiligung116 zugunsten einer weitestgehenden Geltung des Prinzips ne bis in idem. Sie stellt insofern eine Ergänzung zu dem in Art. 3 Nr. 2 RB-EUHb geregelten Fall der rechtskräftigen Verurteilung und zu Art. 4 Nr. 3 Alt. 1 und 2 RB-EUHb dar.117

Art. 54 SDÜ. Siehe insbesondere die Entscheidung EuGH, Urt. v. 09.03.2006, Rs. C436/04, Slg. 2006 I-2351, Rdnr. 36 – Van Esbroeck, in der der EuGH den Begriff „derselben Tat“ dahin auslegte, dass das maßgebliche Kriterium für die Anwendung von Art. 54 SDÜ das tatsächliche Geschehen im Sinne des historischen Lebenssachverhalts ist, siehe Rosbaud, in: ÖJZ 2006, S. 669, 670; siehe auch zur weitreichenden Geltung des ne bis in idem-Prinzips Radtke/Busch, in: NStZ 2003, S. 281, 287 f.; Murschetz, S. 94. 114 Siehe Art. 54 SDÜ und Art. 1 EG-ne bis in idem-Übk. 115 Ein Umstand, der der vorgesehenen Kooperation zwischen den Justizbehörden und der Abschaffung des Bewilligungsverfahrens geschuldet ist. 116 Beispielsweise, indem die Staatsanwaltschaft beschließt, die Strafverfolgung gegen einen Beschuldigten zu beenden, nachdem dieser bestimmte Auflagen erfüllt hat.

B. Änderungen des Auslieferungsrechts

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Art. 4 Nr. 5 RB-EUHb dehnt daneben den Grundsatz ne bis in idem im Falle rechtskräftiger Verurteilungen über die Mitgliedstaaten hinaus auf das Verhältnis zu Drittstaaten aus und stellt damit eine wesentliche Neuerung gegenüber den Regelungen im EuALÜbk, SDÜ und EG-ne bis in idem-Übk dar, die keine Anwendung des Grundsatzes bei Auslieferungen in Drittstaaten vorsahen.118 Schließlich kann als wesentliche Neuerung bezeichnet werden, dass durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl die in Art. 55 SDÜ vorgesehene Möglichkeit entfällt, in den dort aufgeführten Fällen, einen generellen Vorbehalt gegen die Anwendung des Verbots der Doppelbestrafung geltend zu machen. Dadurch wird die Möglichkeit umfassender nationalstaatlich motivierter Vorbehalte über das Vollstreckungselement hinaus ausgeschlossen.119 Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Verankerung eines erweiterten Anwendungsbereichs des Grundsatzes ne bis in idem sagen, dass sich auch hierin die Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen im Auslieferungsrecht wieder findet, da der eigene Strafverfolgungsanspruch umfassend zugunsten der Strafverfolgung in anderen Mitgliedstaaten zurückgestellt wird. III. Bewertung der Übertragung des Anerkennungsprinzips auf den Bereich des Auslieferungsrechts Unverkennbar hat der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Elemente des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Auslieferungsrecht eingeführt. Dies ergibt sich wie dargelegt in verfahrensrechtlicher Hinsicht aus der Vorgabe, über Auslieferungen im Rahmen der Europäischen Union im Wege des einstufigen Vollstreckungsverfahrens entscheiden zu müssen und in materiellrechtlicher Hinsicht insbesondere aus der partiellen Abschaffung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit und der Einschränkung möglicher nationalstaatlicher Vorbehalte gegen eine Auslieferung. Trotz dieser Änderungen im Auslieferungsrecht verbietet es sich allerdings anzunehmen, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl sozusagen „lupenrein“ aus dem Binnenmarktrecht übertragen worden ist.120 117 In diesem Sinne auch Rohlff, S. 123; später nochmals bestätigt durch EuGH, Urt. v. 11.2.2003, verb. Rs. C-187/01 u. C-385/01, Slg. 2003 I-1378, Rdnrn. 34 ff. – Gözütok und Brügge. 118 Vgl. Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil II A, Art. 9 EuAlÜbk, Rdnr. 2 d. 119 v. Bubnoff (2005), S. 38. 120 In diesem Sinne auch Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 240; Rohlff, S. 37; Ambos, § 12, Rdnr. 61.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

Eine solche Folgerung wäre nur dann als richtig zu bezeichnen, wenn ein Übergabeersuchen des Ausstellungsmitgliedstaates regelmäßig einen Automatismus im Hinblick auf das Handeln des Vollstreckungsmitgliedstaates in Gang setzen würde, welches beinhaltete, dass jegliche Überprüfung eines Ersuchens durch den Vollstreckungsstaat überflüssig, wenn nicht unzulässig, wäre.121 Ein solcher Automatismus ist jedoch vom Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl trotz aller entgegenstehender Absichtsbekundungen in Ziff. 5 und 6 der Erwägungsgründe und in Art. 1 Abs. 1 und 2 RB-EUHb nicht zu erkennen. Vielmehr wird vom Anerkennungsprinzip insbesondere durch die nach wie vor bestehenden Vorbehalts- und Ablehnungsgründe, die einer Auslieferung entgegengehalten werden können, abgewichen. Die Begründung hierfür liegt vor allem darin, dass die Übertragung des Annerkennungsgrundsatzes aus dem Binnenmarktrecht auf die justizielle Zusammenarbeit durchaus problematisch ist, da ein in einem Mitgliedstaat nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung getroffenes Strafurteil nicht einfach mit einem Wirtschaftsprodukt gleichgesetzt werden kann, dass in allen Mitgliedstaaten „Verkehrsfähigkeit“ beanspruchen kann.122 Dies folgt bereits aus der schlichten Erkenntnis, dass der ungehinderte Verkehr von Waren und Dienstleistungen darauf gerichtet ist, wirtschaftliche Freiheit zu verwirklichen, während strafjustizielle Maßnahmen naturgemäß in die Freiheit der Bürger eingreifen. So ist sich zu vergegenwärtigen, dass oberstes Ziel im Strafprozessrecht die Durchführung eines fairen Verfahrens ist, während die Herstellung der Warenverkehrsfreiheit dem Selbstzweck der Liberalisierung dient.123 Die Durchführung eines fairen Strafverfahrens auf der Grundlage einer im Wege des Anerkennungsprinzips vollzogenen Auslieferung erfordert vor diesem Hintergrund einen ausgeprägten einheitlichen Standard der strafrechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten und macht ein umfangreiches gegenseitiges Vertrauen in die jeweils fremden Rechtsordnungen notwendig.124 An der notwendigen Harmonisierung sowohl der materiellrechtlichen als auch der verfahrensrechtlichen Strafvorschriften der Mitgliedstaaten der Europäischen Union mangelt es jedoch trotz der den Mitgliedstaaten der Europäischen Union teilweise gemeinsamen Rechtstraditionen nach wie vor bis auf wenige Annäherungen.125 So sehen zwar Art. 31 Abs. 1 lit. c) und e) EU grundsätzlich eine Annäherung der verfahrensrechtlichen und einiger materiellrechtlicher Strafvorschriften126 der Mitglied121

Rohlff, S. 35. Böse, in: Momsen/Bloy/Rackow, S. 233, 236, 247; Rohlff, S. 36. 123 Satzger (2008), § 9, Rdnr. 24; ders., in: StV 2003, S. 137, 141. 124 Fuchs, in ZStW 116 (2004), S. 368, 371. 125 Siehe zur mangelnden Einheitlichkeit von Verfahrensrechten Satzger, in: StV 2003, S. 137, 141 und Brüner/Hetzer, in: NStZ 2003, S. 113, 118. 126 Vorgesehen ist eine Annäherung in den Bereichen der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und des illegalen Drogenhandels. 122

C. Die Umsetzung in Deutschland

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staaten vor. Infolge der auf diesen Grundlagen bislang erfolgten Annäherungen von einem einheitlichen Standard zu sprechen, wäre jedoch bei weitem übertrieben.127 Daher ist die vom Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgenommene Einführung eines beschränkten aufgeweichten Anerkennungsprinzips als der Versuch eines Kompromisses anzusehen, der den gegensätzlichen Polen der effizienteren und grenzüberschreitenden Strafverfolgung auf der einen Seite und der Bewahrung nationalstaatlicher Souveränitätsansprüche auf der anderen Seite gerecht zu werden hat.128

C. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in Deutschland Bekanntermaßen bereitete die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl dem deutschen Gesetzgeber einige Probleme, die darin gipfelten, dass das Bundesverfassungsgericht das erste deutsche Umsetzungsgesetz129 mit Urteil vom 18. Juli 2005 wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, 16 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG für nichtig erklärte.130 I. Das erste Europäische Haftbefehlsgesetz 1. Verabschiedung des Gesetzes Wie konfliktträchtig die Umsetzungsverpflichtung des Rahmenbeschlusses für den deutschen Gesetzgeber war, wird aus der langwierigen Verfahrensdauer von über einem Jahr deutlich. Die Bundesregierung hatte zwar bereits im Juli 2003 einen Entwurf für ein Umsetzungsgesetz gebilligt.131 Die Dissonanzen zwischen 127 Vgl. hinsichtlich der bislang erlassenen Vorschriften das Handbuch des Europäischen Rechts – Systematische Darstellung mit Erläuterungen, Teil I A 14. Insbesondere ist zu kritisieren, dass der von der Kommission im Jahre 2004 gemachte Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM (2004) 328 endg., nach wie vor nicht angenommen worden ist. 128 Siehe auch Juppe, S. 124 ff., der der Übertragung des Anerkennungsprinzips aus dem Binnenmarkt grundsätzlich positiv gegenübersteht, um die politischen Zielsetzung der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu verfolgen. 129 Gesetz vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl; vgl. hinsichtlich der Fundstelle und der Zitierweise die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 28. 130 BVerfGE 113, 273 (274). 131 Der von der Bundesjustizministerin am 09.07.2003 vorgelegte Gesetzentwurf wurde am gleichen Tag von der Bundesregierung gebilligt.

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

den im Bundestag vertretenen Parteien und auch zwischen Bundestag und Bundesrat über die Frage, in welchem Umfang das nationale Auslieferungsrecht die Vorgaben des Rahmenbeschlusses umzusetzen habe, um der Verpflichtung zur Umsetzung in ausreichendem Maße nachzukommen132, waren jedoch so groß, dass sich die Verabschiedung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes bis zum Juli 2004 hinzog und das Gesetz erst am 23. August 2004 mit einiger Verspätung in Kraft treten konnte.133 Das schließlich verabschiedete Umsetzungsgesetz sah vor, das IRG um einen achten Teil134 mit dem Titel „Unterstützung von Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ zu ergänzen. Dabei wurde der vom Rahmenbeschluss vorgegebenen Forderung nach der Verankerung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung135 im Auslieferungsrecht dadurch Rechnung getragen, dass der im deutschen Auslieferungsrecht in § 3 Abs. 1 IRG verankerte Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit durch den neuen § 81 Nr. 4 IRG modifiziert wurde. Dieser erklärte Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb und damit den in diesem niedergelegten Straftatenkatalog für anwendbar und regelte, dass in den im Katalog benannten Fällen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt. Mit dem von ihm gewählten Weg entschied sich der Gesetzgeber, die mit der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung verbundenen auslieferungsrechtlichen Neuerungen nach dem Prinzip der möglichst geringen Veränderungen in das bestehende tradierte Auslieferungsrecht des IRG zu integrieren, indem er dieses lediglich für die Fälle modifizierte, die den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls betrafen.136 Die geringe Veränderungsbereitschaft des deutschen Gesetzgebers zeigte sich insbesondere daran, dass im Widerspruch zu den Vorgaben des Rahmenbeschlusses die traditionelle Terminologie und die Zweiteilung in ein justizielles 132 Exemplarisch für die bestehende Uneinigkeit stehen die Redebeiträge in der Sitzung des Deutschen Bundestages der Abgeordneten Kauder (CDU), Montag (Bündnis 90/Die Grünen), und van Essen (FDP), siehe BT-Plenarprotokoll 15/97 v. 11.03.2004, S. 8748 A, C; S. 8759 D, S. 8760 B, C; vgl. auch Ahlbrecht, in: StV 2005, S. 40, 41 f. 133 Die Umsetzungsfrist lief gemäß Art. 34 Abs. 1 RB-EUHb bis zum 31.12.2003. Mit der verspäteten Umsetzung war die Bundesrepublik allerdings in guter Gesellschaft, da lediglich die Hälfte der Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss fristgerecht umsetzte. Dazu zählen Belgien, Dänemark, Irland Finnland, Spanien, Schweden, Portugal, Zypern, Litauen, Ungarn, Polen und das Vereinigte Königreich. Als letztes Land setzte Italien den Rahmenbeschluss durch Annahme eines Umsetzungsgesetzes am 22.04.2005 um. Vgl. den Bericht der Kommission über den Stand der Umsetzung vom 24.01.2006, KOM (2006) 8 endg. 134 §§ 78 ff. IRG. 135 Vgl. Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses, Ziff. 5 und 6 und Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb. 136 Unger, S. 73; Kretschmer, in: Jura 2005, S. 780, 782; Ahlbrecht, in: StV 2005, S. 40, 42.

C. Die Umsetzung in Deutschland

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Zulässigkeitsverfahren und ein im Ausgangspunkt ministerielles Bewilligungsverfahren beibehalten wurden. So sprach auch das geänderte IRG entgegen den Vorgaben des Rahmenbeschlusses, der vom „Ausstellungs-“ und „Vollstreckungsmitgliedstaat“ ausgeht, noch vom „ersuchenden“ und „ersuchten“ Mitgliedstaat137, während an der Konzeption der Zweistufigkeit entgegen den Anforderungen des Rahmenbeschlusses138 mit der lapidaren Gesetzesbegründung festgehalten wurde, dass sich das System von Zulässigkeits- und Bewilligungsebene bewährt habe.139 Dass der Gesetzgeber es auf der anderen Seite für unverzichtbar hielt, die Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung abzuschaffen140, um der Verpflichtung zur schnellstmöglichen Erledigung eingehender Aus- oder Durchlieferungsersuchen gerecht zu werden141, dokumentierte das gesamte Ausmaß der Unsicherheit des Gesetzgebers in seinem Bemühen, den Vorgaben des Rahmenbeschlusses gerecht zu werden und gleichzeitig das bestehende System so wenig wie möglich anzutasten. 2. Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2005 Diese Unsicherheit des deutschen Gesetzgebers mündete in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 18. Juli 2005, in dem es das erste Europäische Haftbefehlsgesetz für nichtig erklärte.142 Anlass für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war eine Verfassungsbeschwerde des in Syrien geborenen und in Hamburg wohnhaften Mamoun Darkanzali143 gegen einen Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg144 und gegen eine Bewilligungsentscheidung der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg145. Beide Rechtsakte waren im November 2004 in einem von Spanien an Deutschland gerichteten Rechtshilfeersuchen mit 137

Vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 RB-EUHb und § 80 Abs. 1 IRG. Vgl. Art. 1 RB-EUHb. 139 BR-Drucks. 547/03, S. 30, 31. 140 Vgl. Art. 74 b IRG a. F. 141 BT-Drucks. 15/1718, S. 14. 142 Da Gegenstand der vorliegenden Untersuchung die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten im Falle des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ist und nicht die Frage der Verfassungswidrigkeit des Ausgestaltung des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes, wird das Urteil mit seinen Gründen hier nur in seinen Grundzügen dargestellt. 143 Herr Darkanzali war im Zeitpunkt des Auslieferungsverfahrens sowohl im Besitz der syrischen als auch der deutschen Staatsangehörigkeit. 144 Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschl. vom 23.11.2004, Geschäftszeichen: Ausl. 28/03. 145 Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Bewilligungsentscheidung vom 24.11.2004, Geschäftszeichen: 9351 E – S 6–26.4. 138

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

dem Ziel ergangen, Darkanzali auf der Grundlage des gerade umgesetzten Europäischen Haftbefehlsgesetzes zur Strafverfolgung wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Organisation auszuliefern. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung zunächst nach der von Darkanzalis Rechtsvertreter erhobenen Verfassungsbeschwerde im Wege der einstweiligen Anordnung gestoppt hatte146, hob es im Rahmen des Hauptsacheverfahrens den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts und die Bewilligungsentscheidung der Justizbehörde endgültig mit der Begründung auf, dass das im August 2004 in Kraft getretene Europäische Haftbefehlsgesetz keine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union darstelle und entschied, dass eine Auslieferung bis zum Erlass eines neuen Umsetzungsgesetzes nicht möglich sei.147 Im Zentrum der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung gewählten Urteilsbegründung stand allein die Frage der Vereinbarkeit des nationalen Europäischen Haftbefehlsgesetzes mit dem Grundgesetz. Eine Beschäftigung mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl selbst zog das Gericht nicht in Betracht. Zum einen hatte der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten nach Auffassung des Gerichts beispielsweise in Art. 4 Nr. 7 lit. a) RBEUHb Umsetzungsspielräume belassen, deren verfassungskonforme Ausfüllung der deutsche Gesetzgeber verpasst habe.148 Zum anderen, so das Gericht, weiche der Rahmenbeschluss als sekundärer Unionsrechtsakt wegen der fehlenden unmittelbaren Wirksamkeit wesentlich von einem supranationalen Gemeinschaftsrechtsakt ab.149 Insofern gab das Gericht deutlich zu verstehen, dass es trotz der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in dessen Urteil in der Rechtssache Pupino von einer uneingeschränkten völkerrechtlichen Prägung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen der dritten Säule ausging.150 Ausgangspunkt der Entscheidung war vor diesem Hintergrund die Feststellung, dass die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl wegen eines Verstoßes gegen das in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG normierte Verbot der Auslieferung Deutscher verfassungswidrig ist. Das Gericht begründete diesen Ansatz damit, dass die in Art. 80 ff. IRG neu getroffenen Regelungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvor146

BVerfGE 112, 90 (90). BVerfGE 113, 273 (274, 317 f.); siehe auch insoweit die Kritik von Richter Gerhardt in seinem abweichendem Votum, BVerfGE 113, 273 (339, 347). 148 BVerfGE 113, 273 (301, 303). 149 BVerfGE 113, 273 (297, 300). 150 Vgl. insoweit auch Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 866 ff.; Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 809, Hobe, in: FS Horn, S. 425, 434 ff. 147

C. Die Umsetzung in Deutschland

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behalts aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG nicht entsprächen.151 Ohne gegen die bindenden Ziele des Rahmenbeschlusses verstoßen zu müssen, hätte der Gesetzgeber einen verhältnismäßigeren und damit grundrechtsschonenderen Weg der Umsetzung der Vorgaben des Rahmenbeschlusses wählen können und nicht uneingeschränkt vom in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Verbot der Auslieferung Deutscher abweichen dürfen.152 Beispielsweise hätte er eine differenzierendere Regelung treffen können, die den Schutzumfang für deutsche Staatsbürger vom Grad des Auslandsbezugs der Tat abhängig macht.153 Des Weiteren monierte das Bundesverfassungsgericht, dass das Europäische Haftbefehlsgesetz eine gerichtliche Überprüfung der Bewilligungsentscheidung gemäß § 74 b IRG ausgeschlossen habe. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dar.154 Zwar sei die gerichtliche Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung im klassischen Auslieferungsverfahren bislang abgelehnt worden, weil die außen- und allgemeinpolitischen Aspekte zum Kernbereich der Exekutive gehörten.155 Allerdings hätten sich die Rahmenbedingungen für Auslieferungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch die verfassungsrechtliche Änderung des Art. 16 Abs. 2 GG156 und durch die Einführung des Instruments des Europäischen Haftbefehls grundlegend geändert. Durch diese Änderungen sei das der Bewilligungsbehörde im klassischen Auslieferungsverfahren zustehende weite Ermessen beseitigt und das Verfahren verrechtlicht worden. Die Prüfung möglicher Bewilligungshindernisse im Sinne von § 83 b IRG sei nunmehr keine Frage außenpolitischer Beurteilungsfreiheit, sondern eine, die in gravierender Weise den Grundrechtsschutz des Verfolgten bis hin zur Menschenwürde betreffe, so dass die bei der Bewilligung der Auslieferung zu treffende Entscheidung einer richterlichen Überprüfung nicht länger entzogen werden dürfe.157 II. Das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz Der seitens des Bundesverfassungsgerichts geforderten erneuten Befassung des Gesetzgebers mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl

151

BVerfGE 113, 273 (292). BVerfGE 113, 273 (299 ff., 306); zustimmend Böhm, in: NJW 2005, S. 2588, 2589; Ranft, in: wistra 2005, S. 361, 364. 153 BVerfGE 113, 273 (302 f.). 154 BVerfGE 113, 273 (309). 155 BVerfGE 63, 215 (226); 96, 100 (118). 156 Vgl. zur Änderung von Art. 16 Abs. 2 GG die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., II., 4., a), Fn. 98. 157 BVerfGE 113, 273 (312, 314). Siehe auch die grundsätzlich im Hinblick auf Rechtschutzlücken geäußerte Kritik von Ranft, in: wistra 2005, S. 361, 368. 152

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

kam dieser mit der Verabschiedung des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes im Juli 2006 nach.158 Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil offensichtlich eine essentielle Neugestaltung vor Augen hatte159, ist es zu einer solchen nicht gekommen. Kernstück auch des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes sind vielmehr erneut die Vorschriften des achten Teils des IRG. Bei einem Blick auf die erfolgten Neuregelungen wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber inhaltlich stark an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientierte.160 So weicht das zweite Umsetzungsgesetz vom ersten nur insoweit ab, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Änderungen oder Ergänzungen gebot. Insbesondere hielt der deutsche Gesetzgeber entgegen der Zielsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl auch im Rahmen dieses zweiten Umsetzungsaktes im Wesentlichen an dem zweistufigen Verfahren des bisherigen Auslieferungsrechts und an der hergebrachten Terminologie fest.161 Der erste vom Verfassungsgericht gerügte Mangel der unverhältnismäßigen Abweichung des in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Verbots der Auslieferung Deutscher durch das erste Europäische Haftbefehlsgesetz wurde im Wesentlichen durch eine Änderung von § 80 Abs. 1 und 2 IRG beseitigt, in denen enge Voraussetzungen für die Auslieferung eines deutschen Staatsbürgers festgeschrieben wurden.162 Aufgenommen hat der Gesetzgeber dabei insbesondere die vom Verfassungsgericht angeregte Differenzierung bei der Aufstellung von Voraussetzungen für die Auslieferung Deutscher, indem er in § 80 Abs. 1 IRG die Auslieferungsvoraussetzungen für eine Tat mit maßgeblichem Auslandsbezug bestimmt hat163 und in § 80 Abs. 2 IRG die Voraussetzungen, wenn die Tat lediglich keinen maßgeblichen Inlandsbezug hat.164 Dem zweiten Vorwurf des Gerichts, dass es an einer gerichtlichen Überprüfbarkeit der Bewilligungsentscheidung wegen deren Unanfechtbarkeit165 fehle 158 Hinsichtlich der Fundstelle zum Gesetz siehe die Ausführungen in der Einführung, A., Fn. 29. 159 BVerfGE 113, 273 (315 ff.); für eine umfangreiche Neuregelung hatten sich insbesondere Lagodny, in: StV 2005, S. 515, 515; Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 804; Rosenthal, in: ZRP 2006, S. 105, 107 ausgesprochen. 160 Böhm, in: NJW 2006, S. 2592, 2593; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGVKommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 19; Hecker, § 12, Rdnr. 41; Hackner, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler, S. 193, 194. 161 Böhm, in: NJW 2006, S. 2592, 2593; Hackner, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 193, 196 f.; kritisch zur Beibehaltung der Zweistufigkeit Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, in: NStZ 2006, S. 663, 665. 162 Vgl. die in § 80 Abs. 1 und 2 IRG normierten Voraussetzungen. 163 Vgl. § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 IRG. 164 Vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG. 165 Vgl. § 74 b a. F.

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und dadurch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vorliege, begegnete der Gesetzgeber mit der Einfügung von § 79 Abs. 2 IRG und einer damit verbundenen zumindest prinzipiellen Justiziabilität der Bewilligungsentscheidung.166 Nach dieser Vorschrift hat die Bewilligungsbehörde nun bereits vorab ihre mit Gründen versehene Entscheidung zu treffen, ob sie im Falle einer vom Gericht rechtlich für zulässig erklärten Auslieferung Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG sieht oder nicht.167 Sollte die Bewilligungsbehörde das Vorliegen von Bewilligungshindernissen verneinen, hat sie dem Oberlandesgericht gemäß § 79 Abs. 2 S. 3 IRG ihre Begründung zusammen mit dem Antrag zu übermitteln, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sollte dieses zu dem Ergebnis kommen, dass an der Zulässigkeit der Auslieferung keine Bedenken bestehen, schließt sich nun in einem weiteren Schritt die endgültige Entscheidung der Bewilligungsbehörde an.168 III. Bewertung der Neufassung vor dem Hintergrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Im Rahmen einer kurzen Bewertung der Neufassung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen durch das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz sollen hier zwei Punkte angesprochen werden. Erstens ist auffallend, dass der deutsche Gesetzgeber sich trotz der mit der Neufassung von § 79 IRG verbundenen Erhöhung des Individualrechtsschutzes auch in Zukunft nicht gänzlich vom schwerfälligeren mehraktigen Verfahren getrennt hat. Diese traditionelle Haltung verwundert vor dem Hintergrund, dass zum einen das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz einen solchen Weg keineswegs eingefordert hatte, sondern vielmehr eine Abkehr vom Bewilligungsverfahren und die Umgestaltung des Auslieferungsverfahrens zu einem herkömmlichen Verwaltungsverfahren mit nachgelagertem Rechtsschutz angeregt hatte169 und dass zum anderen zahlreiche andere Mitgliedstaaten in der Europäischen Union im Rahmen ihrer Um-

166

Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, in: NStZ 2006, S. 663, 665 f. § 83 b unterscheidet nunmehr zwischen Bewilligungshindernissen, welche für alle Verfolgten (§ 83 b Abs. 1 IRG) und zusätzlich für Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gelten (§ 83 b Abs. 2 IRG). 168 Vgl. auch zum jetzigen Verfahrensablauf Böhm, in: NJW 2006, S. 2592, 2596 und Hecker, § 12, Rdnr. 47; Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, in: NStZ 2006, S. 663, 665. 169 BVerfGE 113, 273 (317), siehe dazu auch Rosenthal, in: ZRP 2006, S. 105, 107 und Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 808, der bei einer Justizialisierung des Auslieferungsverkehrs eher eine Zuständigkeit der Strafgerichte denn der Verwaltungsgerichte befürwortet. 167

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Kap. 3: RbEuHb – Partielle Verankerung des Anerkennungsprinzips

setzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ein einstufiges Verfahren vorgesehen haben.170 Zweitens erscheint problematisch, dass sich der Gesetzgeber mit der Befolgung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben, die Auslieferung Deutscher nur unter stark eingeschränkten Voraussetzungen des § 80 IRG zuzulassen, insofern angreifbar gemacht hat, als dass fraglich ist, ob er nicht gegen die im Rahmenbeschluss angelegte generelle Einschränkung der Nichtauslieferung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstoßen hat. Bedenken bestehen diesbezüglich auch insoweit, als dass er mit der Neuregelung gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot aus Art. 12 Abs. 1 EG verstoßen haben könnte, da die in § 80 Abs. 1 und 2 IRG normierten erschwerten Voraussetzungen für die Auslieferung nur für Deutsche nicht aber für Unionsbürger gelten.171 Zwar ist die Anwendbarkeit des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots im Rahmen der dritten Säule nicht klar geregelt bzw. abschließend entschieden und wird erkennbar vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz für den Bereich des Unionsrechts ohne nähere Begründung abgelehnt172, jedoch spricht vor dem Hintergrund der oben aufgezeigten Vergemeinschaftungstendenzen der dritten Säule173 und der extensiven Anwendung von Art. 12 Abs. 1 EG durch den Europäischen Gerichtshof174 viel für eine Übertragung des Verbots auf diesen Bereich. 170 Österreich hat bei der Umsetzung das Bewilligungsverfahren endgültig abgeschafft, siehe Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. (Österreich) 2004 I, S. 36 i. d. F. BGBl. 2004 I, S. 164, abgedruckt bei: Rosbaud, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Hauptteil VII A 3. Portugal hat sich für eine nur präventive und einmalige Bewilligungsentscheidung entschieden, siehe Art. 46–60 des Gesetzes Nr. 144/ 99 vom 31.08.1999, letztmalig geändert durch das Gesetz Nr. 48/2003 vom 22.08. 2003. Das Schweizer Modell sieht bereits seit langem eine Verwaltungsrechtsbeschwerde gegen die Auslieferungsentscheidung der Bewilligungsbehörde vor, siehe Art. 21 ff., 25, 55 des Bundesgesetzes vom 20.03.1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG), AS 1982, S. 846, letztmalig geändert durch BG vom 19.03. 2004, abgedruckt bei Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil VII B. 171 Vgl. hierzu insbesondere das abweichende Votum von Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff zum Urteil vom 18. April 2005, die vor der Aussendung dunkler Signale an den EuGH durch das BVerfG warnt, siehe BVerfGE 113, 273 (327, 329); siehe ferner Karpenstein, in: AnwBl 2005, 561; Reinhardt/Düsterhaus, in: NVwZ 2006, S. 432 ff.; Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 802; Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 36 ff. Siehe allgemein die Kritik zur Neuregelung im Hinblick auf die Auslieferung nichtdeutscher Staatsangehöriger Schmidt, in: StraFo 2007, S. 7 ff. 172 BVerfGE 113, 273 (298). 173 Siehe oben in Kapitel 2, B., II. 174 Vgl. zur Anwendung des Diskriminierungsverbots bei strafrechtlich relevanten Fragestellungen EuGH, Urt. 24.11.1998, Rs. C-274/96, Slg. 1998 I-7650, Rdnrn. 17 ff. – Bickel und Franz; EuGH, Urt. v. 15.03.2005, Rs. C-209/03, Slg. 2005 I-2151, Rdnrn. 51 ff. – Bidar.

C. Die Umsetzung in Deutschland

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Da das Vorliegen berechtigter Interessen für diese Ungleichbehandlung jedenfalls nicht offensichtlich erkennbar ist und auch der Rahmenbeschluss keine offensichtliche Grundlage für die Differenzierung zwischen Staatsangehörigen und Unionsbürgern bietet175, ist abzusehen, dass diese Frage Anlass zu weiteren Diskussionen bieten wird.

175 Denkbar als Grundlage wäre nur Art. 4 Nr. 7 RB-EUHb, der aber nicht auf eine Privilegierung Staatsangehöriger zielt; siehe zu den abschließenden Vorbehaltsmöglichkeiten betreffend die Auslieferung von Staatsangehörigen die Ausführungen in Kapitel 3, B., II., 4., a).

Kapitel 4

Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl Die vorangegangenen zwei Kapitel haben zwei Gesichtspunkte deutlich werden lassen: Erstens ist es spätestens seit dem Pupino-Urteil des Europäischen Gerichtshofs1 schwerlich vertretbar, Rahmenbeschlüsse im Allgemeinen lediglich als intergouvernementale Handlungsform im Bereich der dritten Säule des Unionsrechts anzusehen. Aufgrund der Pflicht zur Konformauslegung des nationalen Rechts ist vielmehr eine Vergleichbarkeit mit dem gemeinschaftsrechtlichen Instrument der Richtlinie nicht zu übersehen. Und zweitens ist mit der Annahme des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im Besonderen eine zumindest partielle Überführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung aus dem Gemeinschaftsrecht auf das Auslieferungsrecht erfolgt.2 Trotz dieser gewonnen Erkenntnisse darf jedoch nicht verkannt werden, dass das Vorliegen von Parallelen zwischen dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und supranationalen Elementen des Gemeinschaftsrechts nicht gleichsam zwingend auf die Schlussfolgerung hinausläuft, dass mit der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ein Rechtsakt vorliegt, der das Ergebnis von Hoheitsrechtsübertragung im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union darstellt. Ob in dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ein Fall von Hoheitsrechtsübertragung zu sehen ist, ist vielmehr anhand einer Betrachtung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im Lichte der einschlägigen dogmatischen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Übertragung von Hoheitsrechtsrechten zu ermitteln. Daher sollen im Folgenden die verfassungsrechtlichen Grundlagen für Hoheitsrechtsübertragungen näher betrachtet werden. 1 EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309 ff. – Pupino; siehe zu den zentralen Aussagen des Urteils die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., I. 2 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., I.–III.

A. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundlagen im GG

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A. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundlagen im Grundgesetz für die Übertragung von Hoheitsrechten I. Der Auftrag der offenen Staatlichkeit im Grundgesetz Das Grundgesetz zeigt sich prinzipiell sehr integrationsfreudig. Schon die Präambel des Grundgesetzes bringt die völkerrechtsfreundliche Grundhaltung des Grundgesetzes zum Ausdruck, da mit dieser bereits an symbolischer Stelle darauf hingewiesen wird, dass „das Deutsche Volk das Grundgesetz mit dem Willen beschlossen hat, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.3 Neben der Präambel signalisiert das Grundgesetz an zahlreichen Stellen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten sowie zur Einordnung Deutschlands in eine internationale Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten.4 So bekennt sich das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Art. 9 Abs. 2 GG erklärt Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, für verboten. Mittels Art. 25 GG werden die allgemeinen Regeln des Völkerrechts mit Vorrang vor den Gesetzen in die deutsche Rechtsordnung inkorporiert. Das Bundesverfassungsgericht kann gemäß Art. 100 Abs. 2 GG mit der Entscheidungsmöglichkeit darüber betraut werden, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt. Nach Art. 24 Abs. 2 GG kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. In Art. 26 Abs. 1 GG bekennt sich das Grundgesetz zum friedlichen Zusammenleben der Völker und betrachtet Handlungen, die dagegen verstoßen – insbesondere Vorbereitungen zum Führen eines Angriffskrieges – als verfassungswidrig und verlangt deren Bestrafung. Die Zuständigkeit des Bundes und der Länder für die Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen regelt Art. 32 GG, die Zuständigkeit einzelner Verfassungsorgane des Bundes für völkerrechtliche Handlungen Art. 59 GG. Mit Blick auf das Auslieferungsrecht spricht die Verfassung dem Bund in Art. 73 Nr. 10 Alt. 3 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die internationale Verbrechensbekämpfung zu. Dabei bezieht sich die Kompetenzzuweisung im Bereich der internationalen Verbrechensbekämpfung weniger auf 3 BVerfGE 73, 339 (386); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Präambel, Rdnr. 4; Lenz, in: FS Helmrich, S. 269, 277. 4 Uhrig, S. 46.

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

die Strafverhütung und Strafverfolgung im internationalen Bereich, sondern gemeint ist vielmehr die Regelung der internationalen Zusammenarbeit, also die Kooperation mit ausländischen – nationalen, zwischenstaatlichen oder internationalen – Dienststellen bei der Bekämpfung von Straftaten mit internationaler Bedeutung.5 Der Verfassunggeber gibt hier jedenfalls eindeutig zu erkennen, dass eine internationale Bekämpfung für erforderlich gehalten und in die Hände des Bundes gelegt wird.6 Die Gründe für das mit Blick auf die deutsche Verfassungsgeschichte einmalige Ausmaß7 von Regelungen mit völkerrechtlichem Bezug liegen vor allem in der Übersteigerung des Machtpotentials während der Gewaltherrschaft des Dritten Reiches und der daraus resultierenden ablehnenden Haltung gegenüber der erneuten Errichtung eines nach außen geschlossenen und auf seine Allzuständigkeit im Inneren bedachten Nationalstaates.8 Die Bundesrepublik sollte aus der nationalstaatlichen Phase des Dritten Reiches heraustreten und durch internationale Bindungen, vor allem in Europa, rechtlich und politisch integriert werden. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen zeichnet sich das Grundgesetz daher heute durch den so genannten Grundsatz der offenen Staatlichkeit9 aus, der die deutschen Staatsorgane verpflichtet, sich aktiv an der Förderung der internationalen Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu beteiligen.10 II. Art. 23 GG und Art. 24 GG als Ermächtigungsgrundlagen für die Übertragung von Hoheitsrechten Zur Verwirklichung der mit dem Grundsatz der offenen Staatlichkeit verbundenen Zielvorstellungen und aufgetragenen Verpflichtung sieht das Grundgesetz in mehreren Verfassungsbestimmungen die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen Hoheitsrechte zu übertragen. Als grundlegende Ermächtigungsgrundlage im Grundgesetz für die Übertragung von Hoheitsrechten und damit gleichzeitig als grundlegender Nachweis 5 Schreiber, in: NJW 1997, S. 2137, 2140; ähnlich Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 73, Rdnr. 166 sowie Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 73, Rdnr. 101 f. 6 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 73, Rdnr. 42. 7 Die Weimarer Reichsverfassung enthielt lediglich einen Artikel, nämlich Art. 4 WRV, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu bindenden Bestandteilen des Reichsrechts erklärte. 8 Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 172, Rdnr. 2; Uhrig, S. 46. 9 Der Begriff geht zurück auf eine Prägung von Klaus Vogel aus dem Jahre 1964, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit. 10 Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 172 Rdnr. 4; ders., in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnrn. 3 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnrn. 7 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 1.

A. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundlagen im GG

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der vom Grundgesetz konstituierten offenen Staatlichkeit ist dabei nach wie vor Art. 24 Abs. 1 GG anzusehen, der dem Bund grundsätzlich gestattet, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen.11 Zur Verwirklichung eines vereinten Europas ist neben Art. 24 Abs. 1 GG im Jahre 1992 mit Art. 23 GG eine spezielle Regelung für die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union getreten.12 Die Einführung von Art. 23 GG ist eng mit der Fortschreibung des Integrationsprozesses der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht13 verbunden14, da aufgrund der wachsenden Anforderungen der immer engeren und komplizierteren Verzahnung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht die allgemein gehaltene Fassung von Art. 24 Abs. 1 GG als nicht mehr ausreichend empfunden wurde.15 Schließlich stellt der zusammen mit Art. 23 GG im Dezember 1992 ins Grundgesetz aufgenommene Art. 24 Abs. 1a GG eine weitere Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten dar. Mit dieser Vorschrift wird den Ländern ermöglicht, hoheitliche Befugnisse auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen, wenn diese selbst die Verbandskompetenz für das zu übertragende Hoheitsrecht besitzen.16 Insgesamt kann man sagen, dass Art. 23 GG und Art. 24 GG gemeinsam in gewisser Weise den Hebel für die Verwirklichung des Grundsatzes der offenen Staatlichkeit im Grundgesetz bilden.17

11

Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 1. Art. 23 GG ist am 25.12.1992 mit weiteren europarechtlich begründeten Verfassungsänderungen (vgl. Art. 24 Abs. 1a, 28 Abs. 1 S. 3, 45, 50, 52 Abs. 3 a, 88 S. 2, 115e Abs. 2 S. 2 GG) in Kraft getreten, siehe das 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992, BGBl. 1992 I, S. 2086; zur Vorrangigkeit von Art. 23 GG gegenüber Art. 24 Abs. 1 GG bei Hoheitsrechtsübertragungen zur Fortentwicklung der Europäischen Union siehe Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 47; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 9; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 4; Uhrig, S. 98. 13 Zum Vertrag von Maastricht und den mit ihm verbundenen Veränderungen siehe die Ausführungen oben in Kapitel 1, D. 14 Hillgruber, Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 24, Rdnr. 3; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 1. 15 Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, BR-DR. 501/92, S. 11; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 3; zur Frage der damaligen Notwendigkeit einer neuen Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union siehe auch Klein/Haratsch, in: DÖV 1993, S. 785, 797; Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 943; Oppermann/Classen, in: NJW 1993, S. 5, 11; Schwarze, in: JZ 1993, S. 585, 587. 16 Bedeutung hat Art. 24 Abs. 1a GG insbesondere auf dem Gebiet des Schul- und Hochschulrechts, des Polizeirechts, der Fach- und Raumplanung sowie der Abfall- und Wasserentsorgung, vgl. zur Einfügung von Art. 24 Abs. 1a GG ins Grundgesetz insbesondere Grotefels, in: DVBl. 1994, S. 785, 789 ff. 17 Uhrig, S. 47 f. 12

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

B. Merkmale der Übertragung von Hoheitsrechten Fraglich ist, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um von einer Hoheitsrechtsübertragung im Sinne von Art. 23 GG und Art. 24 Abs. 1 GG zu sprechen. Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff der Hoheitsrechtsübertragung, dass ein Staat in seinem Hoheitsbereich auf seinen Anspruch auf Ausschließlichkeit der Ausübung öffentlicher Gewalt zugunsten der unmittelbaren Geltung oder Anwendbarkeit eines Rechts aus einer anderen Quelle verzichtet.18 I. Durchgriffswirkung Die Übertragung von Hoheitsrechten ist also dadurch gekennzeichnet, dass einem anderen Hoheitsträger als Übertragungsempfänger die Befugnis eingeräumt wird, unmittelbar, also ohne Vermittlung des übertragenden Staates, in die Rechtsordnung des abtretenden Staates einzugreifen, indem ihm gestattet wird, sich unmittelbar an die Rechtssubjekte und staatlichen Organe zu richten und Rechtsverhältnisse einseitig zu begründen, zu gestalten und gegebenenfalls auch durchzusetzen.19 Das Vorliegen einer Durchgriffswirkung wird vom Bundesverfassungsgericht dabei weit ausgelegt. So soll eine Übertragung von Hoheitsrechten auch dann anzunehmen sein, wenn ein anderer Hoheitsträger schlicht-hoheitlich durch Realakt im deutschen Hoheitsbereich handelt.20 Der übertragende Staat verpflichtet sich in den Sachgebieten, in denen er seine Rechtsordnung geöffnet hat, zu dulden, dass in Zukunft eine fremde Hoheitsgewalt in seinem Gebiet und mit Wirkung für und gegen seine Staatsangehörigen handeln kann. Gleichzeitig verpflichtet er sich, nicht mehr selbst tätig zu werden, um so die Ausübung der Hoheitsgewalt durch den fremden Hoheitsträger nicht zu behindern.21 Wenn der Verzicht auf die Ausübung eigener 18 BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28); 68, 1 (90); 73, 339 (374); Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 18; Rojahn, in: JZ 1979, S. 118, 119; Cremer, in: EuR 30 (1995), S. 21, 25; Kirchhof, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 11, 13; Bleckmann, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 19; Friauf, in: Friauf/Scholz, S. 11, 23. 19 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 34; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnrn. 8 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 30; Kämper, S. 131; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 27, S. 138; Eibach, S. 65 f.; Dörr, in: DÖV 1993, S. 696, 699; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 24, Rdnr. 4; Rauser, S. 79; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 20; Baldus, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 481, 488; Hölscheidt/Schotten, in: DÖV 1995, S. 187, 190; Ipsen (1972), S. 121; Zuleeg (2004), S. 89; Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 103, 132 f. 20 BVerfGE 68, 1 (90) – zur Stationierung von (atomaren und chemischen) Waffen durch die NATO auf deutschem Gebiet; vgl. auch Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 20; kritisch Dörr, in: DÖV 1993, S. 696, 700. 21 Rauser, S. 31, 35; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 15, S. 523 f.; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 19.

B. Merkmale der Übertragung von Hoheitsrechten

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Staatsgewalt auch nicht endgültig sein muss, so muss er doch von gewisser Dauer und Festigkeit sein.22 Die Übertragung führt folglich auf Seiten des übertragenden Staates nicht zu einem gänzlichen Verlust von Hoheitsrechten, sondern lediglich zu einem Verzicht auf die Ausübung der übertragenen Hoheitsrechte.23 II. Geltungsgrund für die Durchgriffswirkung im innerstaatlichen Recht Umstritten ist, worin letztlich der innerstaatliche Geltungsgrund für die Durchgriffswirkung fremder Hoheitsakte zu sehen ist. Vertreten wird zum einen, den Grund für die innerstaatliche Durchgriffswirkung in einem innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl zu sehen. Der Gegenauffassung zufolge ruht der Grund für die Durchgriffswirkung ins innerstaatliche Recht bereits im völkerrechtlichen Vertrag selbst. 1. Innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl als Geltungsgrund Das Bundesverfassungsgericht und die wohl herrschende Meinung in der Literatur gehen davon aus, dass die unmittelbare Anwendbarkeit fremder Hoheitsakte zusätzlich zu dem nach allgemeiner Auffassung notwendigen völkerrechtlichen Vertrag oder sonstigen völkerrechtlichen Rechtsakt, der die unmittelbare Geltung der auf seiner Basis erlassenen Hoheitsakte vorsehen muss, einen vom Gesetzgeber erteilten innerstaatlichen Anwendungsbefehl gegenüber dem staatlichen Rechtsanwender bzw. einen Rechtsbefolgungsbefehl gegenüber dem einzelnen Bürger erfordert.24 Die Übertragung von Hoheitsrechten stellt sich nach dieser Auffassung als zweiaktiges Phänomen dar. Die Öffnung der nationalen Rechtsordnung nach Art. 24 Abs. 1 GG, die durch Gesetz bewirkt wird, stehe neben dem völkerrechtlichen Vertrag, der verfassungsrechtlich gemäß Art. 59 Abs. 2 GG behandelt wird.25 Zur Begründung seiner Rechtsprechung führt das Bundesverfas22 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 18; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 34; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 9; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 5. 23 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 5; Chapuis, S. 100. 24 BVerfGE 73, 339 (367 und 375); 75, 223 (244 f.) unter Berufung auf BVerfGE 31, 145 (173 ff.); 82, 159 (192); 85, 191 (204); 89, 155 (190); Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 12; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/ Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 16, 26; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 28; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 13; Rauser, S. 35 f.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 183, Rdnr. 64; Leibholz/Rinck, GG, Art. 24, Rdnr. 2; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 19. 25 BVerfGE 58, 1 (31); Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 62; Eibach, S. 66.

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

sungsgericht aus, dass das Völkerrecht nach seinem eigenen Anspruch innerstaatliche Wirkungen nur auf der Basis innerstaatlicher Rechtsakte entfalten könne. Dies gelte auch für solche Verträge, die ihrem Inhalt zufolge die Parteien dazu verpflichten, den innerstaatlichen Geltungs- oder Anwendungsvorrang herbeizuführen.26 Die Notwendigkeit eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls beruhe insbesondere auf der völkerrechtlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.27 2. Völkerrechtlicher Vertrag als Geltungsgrund Die Gegenauffassung widerspricht der Notwendigkeit eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls. Völkerrechtliche Verträge beinhalteten nicht die Verpflichtung zur Herbeiführung der unmittelbaren Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung, sondern erhöben den Anspruch, diese Rechtsfolge unmittelbar zu bewirken.28 Dieser Ansatz wird vom Europäischen Gerichtshof in seinen für die Wirksamkeit des Europarechts gegenüber den nationalen Rechtsordnungen konstitutiven Entscheidungen in den Rechtssachen van Gend & Loos und Costa/ENEL von 1963/64 geteilt.29 In diesen legte er die Prämisse zugrunde, dass die einschlägigen völkerrechtlichen Normen selbst den Geltungsgrund für die unmittelbare Wirkung zwischenstaatlicher Hoheitsakte darstellen und zugleich die damit untrennbar verbundene Öffnung des nationalen Rechtsraumes bewirken. Aus verfassungsrechtlicher Sicht spreche gegen die Notwendigkeit eines Rechtsanwendungsbefehls, dass diese den Akten zwischenstaatlicher Hoheitsgewalt gemäß Art. 24 Abs. 1 GG letztlich mit Hilfe der gleichen dogmatischen Konstruktion unmittelbar Geltung verschaffe wie den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG sowie völkerrechtlichen Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 GG. Divergenzen zwischen Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 59 26 BVerfGE 89, 155 (190); Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 30; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 9; Rauser, S. 36. 27 BVerfGE 89, 155 (190); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 183, Rdnr. 63. 28 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 14; Vogel (1964), S. 4; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 230. 29 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, 27 – van Gend & Loos/ Niederländische Finanzverwaltung; EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1252, 1275 – Costa/ENEL; siehe auch EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rdnr. 3 – Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide; EuGH, Urt. v. 09.03.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629, Rdnr. 17/18 – Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal II; EuGH, Urt. v. 19.06.1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990 I-2466, Rdnr. 18–20 – Factortame U.A.

B. Merkmale der Übertragung von Hoheitsrechten

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Abs. 2 GG ergäben sich dann jedoch allenfalls hinsichtlich der Anforderungen an die Präzision vertraglicher Bestimmungen.30 Allgemeine Regeln des Völkerrechts und Verträge unterschieden sich jedoch von Akten zwischenstaatlicher Hoheitsgewalt qualitativ, weil allein letztere den Anspruch erhöben, unmittelbar im innerstaatlichen Raum zu gelten.31 Die Trennung von völkerrechtlicher Anerkennung der unmittelbaren Wirkung und nationaler Öffnung des innerstaatlichen Raumes verkenne, dass beides untrennbar miteinander verbunden sei, gleichsam zwei Seiten einer Medaille bilde und den eigenständigen Charakter internationaler Hoheitsgewalt in Frage stelle.32 3. Bewertung Der Auffassung, die einen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl nicht für notwendig erachtet, ist die unterschiedliche Zielrichtung von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 24 Abs. 1 GG auf der einen Seite und Art. 59 Abs. 2 GG auf der anderen Seite entgegenzuhalten. Das nach Art. 59 Abs. 2 GG für die Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages erforderliche Gesetz hat nicht die Wirkung und das Ziel einem fremden Hoheitsträger die Ausübung von Hoheitsrechten in der Bundesrepublik zu ermöglichen. Ansonsten wären Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 24 Abs. 1 GG als überflüssig anzusehen. Die Existenz von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 24 Abs. 1 GG belegt gerade, dass das deutsche Verfassungsrecht der Vorstellung entgegensteht, dass eine beispielsweise durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffene Internationale Organisation allein schon auf der Grundlage des Vertrages in die Rechtsordnung des Mitgliedstaates direkt eingreife und in dessen Kompetenzbereich Hoheitsakte setzt. Auch wenn im Rahmen der Praxis die unterschiedliche Zielrichtung der Gesetze nach Art. 24 Abs. 1 GG und nach Art. 59 Abs. 2 GG nicht kenntlich wird, da meistens nur ein Gesetz im Rahmen des Umsetzungsprozesses eines völkerrechtlichen Vertrages erlassen wird, das die unterschiedlichen Funktionen beider Gesetze in sich vereint33, so ist doch der Notwendigkeit eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls vor dem Hintergrund der neben Art. 59 Abs. 2 GG stehenden Ermächtigungsgrundlagen in Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 24 Abs. 1 GG zur Übertragung von Hoheitsrechten aus Sicht der Verfassung zuzustimmen.

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So Geiger, in: JZ 1996, S. 1093, 1094 f. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 15. 32 Baldus, in: Der Staat 36 (1997), S. 381, 392 ff.; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 15. 33 Siehe Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 16; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 63. 31

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass im Wesentlichen zwei Kriterien für die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung entscheidend sind: Zum einen bedarf es des so genannten Durchgriffseffekts, an dem es fehlt, wenn lediglich zwischenstaatliche völkerrechtliche Verpflichtungen ohne Durchgriffswirkung ins innerstaatliche Recht geschaffen werden.34 Und zum anderen bedarf es neben einem für die Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen Gesetz eines Übertragungsaktes des Staates, in dessen Rechtsordnung der Durchgriff erfolgt. Es bedarf des so genannten innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls.

C. Formen von Hoheitsrechtsübertragungen Grundsätzlich kann zwischen zwei verschiedenen Formen von Hoheitsrechtsübertragungen unterschieden werden. Denkbar ist zum einen die Übertragung von Hoheitsrechten auf einen übergeordneten Hoheitsträger vertikal „nach oben“ und zum anderen die Übertragung von Hoheitsrechten auf einen gleichrangigen Hoheitsträger horizontal „zur Seite“. I. Vertikale Hoheitsrechtsübertragung auf zwischenstaatliche Einrichtungen Von vertikaler Hoheitsrechtsübertragung spricht man, wenn staatliche Hoheitsgewalt auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen wird. Der Begriff der zwischenstaatlichen Einrichtung wird im Grundgesetz nicht definiert und außer in Art. 24 Abs. 1 GG an keiner Stelle des Grundgesetzes verwandt.35 Als derartige Einrichtungen sind jede durch Verträge zwischen Völkerrechtssubjekten geschaffene Organisationen anzusehen, die Aufgaben erfüllen, die traditionell im Rahmen nationaler öffentlicher Gewalt ausgeübt werden.36 Wesentliche Voraussetzung ist, dass es sich um eine staatlich geschaffene Organisation handeln muss, so dass so genannte privatrechtliche Non Governmental Organisations (NGOs) nicht unter den Begriff der zwischenstaatlichen Einrichtung fal34 Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 22; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 54; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 15, S. 523 f.; ders., Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1234; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 21, 25; a. A. wohl nur Fastenrath, S. 151; Kunig, in: Graf Vitzthum, 2. Abschnitt, Rdnr. 129; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 5. 35 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 43; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 5; Grotefels, in: DVBl. 1994, S. 785, 787. 36 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 44; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 7; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 36; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 16.

C. Formen von Hoheitsrechtsübertragungen

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len.37 Andererseits ist für die Annahme einer zwischenstaatlichen Einrichtung keine Rechtssubjektivität der Einrichtung erforderlich, sondern lediglich eine eigenständige Handlungsfähigkeit, was die Existenz zumindest eines Organs voraussetzt.38 Wird nun solchen zwischenstaatlichen Einrichtungen durch Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages seitens der Mitgliedstaaten die Befugnis verliehen, sich in Form des Erlasses von Rechtssätzen und Einzelfallentscheidungen unmittelbar an die Rechtssubjekte und die innerstaatlichen Rechtsanwendungsorgane zu richten, ist dies als ein Fall vertikaler Hoheitsrechtsübertragung anzusehen.39 Deren Folge ist es, dass es für die Geltung des Rechtsaktes der zwischenstaatlichen Einrichtung keines weiteren nationalen Hoheitsaktes bedarf.40 Geläufigstes Beispiel vertikaler Übertragung von Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen ist die Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft durch die Mitgliedstaaten, im Rahmen der ersten Säule innerstaatlich unmittelbar wirksame Rechtsakte zu erlassen.41 Nur aufgrund dieser Ermächtigung ist die Gemeinschaft befugt, beispielsweise Verordnungen zu erlassen, die nach Art. 249 Abs. 2 EG unmittelbar im Rahmen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wirken, oder Richtlinien im Sinne von Art. 249 Abs. 3 EG zu verabschieden, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwecks effektiver Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts unmittelbar wirken können, wenn die Richtlinie nicht, nicht in der Umsetzungsfrist oder fehlerhaft umgesetzt wird, inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist und dem einzelnen Bürger Rechte verleiht.42

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Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 44. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 20; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 10. 39 Dörr, in: DÖV 1993, S. 696, 699; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 24, Rdnr. 5; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 48, 57; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 13, 19; Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnrn. 8 ff., 39 ff.; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 36; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 7 m.w. N.; Uhrig, S. 54 f. 40 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 34. 41 Vgl. zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Streinz, Rdnr. 498 ff.; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 5 EGV, Rdnrn. 8 ff. 42 Vgl. zur unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien EuGH, Urt. v. 19.01.1982, Rs. 8/81, Slg. 1982, S. 53, Rdnr. 49 – Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt; EuGH, Urt. v. 15.12.1983, Rs. 5/83, Slg. 1983, S. 4233, Rdnr. 8 – Rienks; EuGH, Urt. v. 01.02. 1977, Rs. 51/76, Slg. 1977, S. 113, Rdnrn. 21 ff. – Nederlandse Ondernemingen; EuGH, Urt. v. 05.04.1979, Rs. 148/78, Slg. 1979, S. 1629, Rdnr. 24 – Ratti; vgl. zur Direktwirkung von Richtlinien auch Pieper, in: DVBl. 1990, S. 684, 685 ff.; Langenfeld, in: DÖV 1992, S. 955, 957 ff.; Götz, in: NJW 1992, S. 1849, 1855; Jarass, in: NJW 1990, S. 2420, 2422. Vgl. auch Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 37. 38

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

II. Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen auf andere Staaten Von horizontaler Hoheitsrechtsübertragung spricht man, wenn staatliche Hoheitsgewalt durch einen Staat in einem anderen Staat ausgeübt wird, wenn also ein Mitgliedstaat seine Rechtsordnung dergestalt öffnet, dass Hoheitsakte anderer Staaten innerstaatlich unmittelbare Wirkung entfalten. Grundlegend ist festzuhalten, dass die Ausübung von Hoheitsrechten durch einen Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates aufgrund des völkerrechtlichen Prinzips der Gebietshoheit grundsätzlich unzulässig ist.43 Dies hindert Staaten jedoch nicht, dem Erlass von Hoheitsakten fremder Staaten im Bereich des eigenen Hoheitsgebietes zuzustimmen und den fremden Hoheitsakten auf diesem Wege innerstaatliche Geltung zu verschaffen. Gängige Praxis ist dies bei so genannten Hoheitsakten „auf fremdem Staatsgebiet“.44 Charakteristisch für Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet ist, dass sich das handelnde staatliche Organ während des Erlasses des Hoheitsaktes auf dem Staatsgebiet befindet, in dessen Rechtsordnung es hinein agiert. Als ein Beispiel für einen Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet kann das Recht der Nacheile von Polizeibeamten auf der Grundlage der Art. 40 Abs. 1 und 41 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens angesehen werden, wonach Beamte eines Mitgliedstaates, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens eine Person observieren, unter gewissen Voraussetzungen berechtigt sind, die Observation im Hoheitsgebiet eines anderen Staates fortzusetzen.45 Ein anderes Beispiel für einen Hoheitsakt auf fremdem Staatsgebiet ist eine seitens einer diplomatischen Vertretung im Ausland vorgenommene Amtshandlung, die sich lediglich auf Staatsangehörige des Entsendestaates mit Wirkung in deren Heimatstaat auswirkt. Der Erlass von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet ist jedoch, wie bereits anhand der aufgeführten Beispiele deutlich wird, nur in Ausnahmefällen möglich. Anders verhält es sich hingegen bei so genannten „extraterritorialen Hoheitsakten“. Von einem extraterritorialen bzw. transnationalen Hoheitsakt spricht man, wenn ein Hoheitsakt über das Staatsgebiet des den Hoheitsakt setzenden Staates auf das Gebiet eines anderen Staates horizontal in der Weise hinüberwirkt, so dass Personen oder Sachen auf dem fremden Hoheitsgebiet von den Rechtswirkungen unmittelbar betroffen sind.46 43 Seidl-Hohenfeldern/Stein, Völkerrecht, Rdnr. 1504, Epping/Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rdnr. 69; Siegrist, S. 12 f.; Neßler, S. 10 f. 44 Vgl. zum Begriff Schlochauer, S. 10. 45 Baldus, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 481, 482, 497; Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 103, 106 ff. 46 Beyerlin, S. 240; Schlochauer, S. 10; Rauser, S. 115; siehe auch Schwarze, S. 13, der einer rein faktischen extraterritorialen Wirkung kritisch gegenüber steht.

C. Formen von Hoheitsrechtsübertragungen

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Extraterritoriale Hoheitsakte treten, da sie im Gegensatz zu Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet nicht grundsätzlich verboten sind, sondern insbesondere zum Schutz der eigenen Staatsordnung als zulässig angesehen werden47, sowohl in völkerrechtlichen Vereinbarungen als auch im Europäischen Gemeinschaftsrecht häufig auf. So basierte bereits das Europäische Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen aus dem Jahre 196848 auf dem Grundsatz des extraterritorialen Hoheitsaktes, da es eine ausdrückliche Normierung der gegenseitigen Anerkennung und transnationalen Wirkung von Gerichtsentscheidungen bestimmte.49 Im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts sind extraterritoriale Hoheitsakte in Form des bereits oben dargestellten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit und in Gestalt des transnationalen Verwaltungsaktes bekannt, wo sie auf der Grundlage der so genannten Anerkennungsrichtlinien im Bereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit unmittelbar in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten wirken.50 Anhand des Instituts des extraterritorialen Hoheitsaktes wird damit erkennbar, dass Richtlinien nicht nur im Falle ihrer Nichtumsetzung ein Beispiel vertikaler Hoheitsrechtsübertragung der Mitgliedstaaten auf die Europäischen Gemeinschaft darstellen können, sondern gleichsam wie völkerrechtliche Übereinkommen in Verbindung mit ihrem Umsetzungsakt eine Grundlage für die unmittelbare Wirkung von ausländischen Hoheitsakten auf horizontaler Ebene zwischen den Mitgliedstaaten darstellen, da sich die Mitgliedstaaten durch den Umsetzungsakt verpflichten, Hoheitsakte anderer Staaten als im eigenen Recht unmittelbar wirksam anzuerkennen.51

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Neßler, S. 11. Brüsseler Übereinkommen vom 27.09.1968 (EuGVÜ), BGBl. 1972 I, S. 1328; ABl. 1983 Nr. C 97, S. 2 ff.; eine konsolidierte Fassung findet sich in ABl. 1998 Nr. C 27, S. 1 ff.; das Brüsseler Übereinkommen wurde mittlerweile durch die Verordnungen Nr. 1347/2000 und Nr. 1346/2000 v. 29.05.2000 ins Gemeinschaftsrecht überführt, siehe ABl. 2000 Nr. L 160, S. 19 ff. Die Europäische Kommission hat mit dem Entwurf eines Maßnahmenprogramms 2001/C 12/01zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen mittlerweile auch einen Vorschlag zur Übertragung des Anerkennungsprinzips auf diesen Bereich gemacht, ABl. 2001 Nr. C 12, S. 1, ber. in ABl. 2001 Nr. C 115, S. 4. 49 Vgl. Art. 26 Abs. 1 EuGVÜ. 50 Vgl. hierzu die Ausführungen oben in Kapitel 3, A., III.; vgl. auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 13. 51 In diesem Sinne auch Becker, in: DVBl. 2001, S. 855, 860. 48

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

D. Übertragung der Grundsätze auf den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Fraglich ist nun, ob die Vorschriften des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl vor dem Hintergrund der dargestellten Merkmale und Kategorien von Hoheitsrechtsübertragungen innerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland rechtliche Wirkungen entfalten, die nicht allein aufgrund das Europäische Haftbefehlsgesetz als nationalem Umsetzungsakt52 zurückzuführen sind. I. Hoheitsrechtsübertragung in vertikaler Hinsicht Von einer vertikalen Hoheitsrechtsübertragung im Falle des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ist wie zuvor ausgeführt auszugehen, wenn er als Rechtsakt einer zwischenstaatlichen Organisation innerhalb der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten rechtliche Wirkungen entfaltet, ohne dass es eines nationalen Umsetzungsaktes bedürfte, und wenn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einer derartigen Öffnung ihrer Rechtsordnung zugunsten eines anderen Hoheitsträgers zugestimmt haben. 1. Vertikale Durchgriffswirkung aufgrund faktischer unmittelbarer Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen Zwar haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die unmittelbare Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen bei der Aufnahme der Handlungsform im Bereich der dritten Säule des Europäischen Primärrechts durch den Vertrag von Amsterdam nach Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU explizit ausgeschlossen. Allerdings spiegelt der Wortlaut der Vorschrift wie oben ausgeführt die tatsächliche Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen nicht mehr wieder, nachdem der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Pupino die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung von Rahmenbeschlüssen eingeführt hat. Vielmehr ist seit dem Urteil des Gerichtshofs von einem faktischen Bestehen einer unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen auszugehen53. Denn der Gerichthof hat in diesem Urteil nicht nur die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im Bereich der dritten Säule verankert, sondern darüber hinaus diese Pflicht trotz fehlendem Auslegungsspielraums des nationalem Rechts im konkret zu entscheidenden Fall genauso weit gefasst wie die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung von Richtlinien. Diese zeichnet sich im Gemein52 Vgl. zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses in Deutschland die Ausführungen oben in Kapitel 3, C. 53 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 2, B., III., 2.

D. Übertragung der Grundsätze auf den RbEuHb

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schaftsrecht jedoch bereits seit langem dadurch aus, dass selbst innerstaatliches Recht, das keine Auslegungsmöglichkeit bietet, zu einer europarechtskonformen Auslegung gedrängt wird.54 Mit Blick auf den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bedeutet dies, dass das nationale Auslieferungsrecht in dem Maße rahmenbeschlusskonform auszulegen ist, dass dessen Vorgaben die weitestgehende innerstaatliche Wirksamkeit entfalten, und zwar notfalls auch dann, wenn die nationalen auslieferungsrechtlichen Vorschriften keinen Auslegungsspielraum vorsehen. Das Vorliegen einer faktischen unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl kann daher durchaus als ein Fall vertikaler Durchgriffswirkung angesehen werden. Da er als Rechtsakt vom Rat der Europäischen Union verabschiedet worden ist, ist seine Wirkung auch auf ein Rechtsetzungsorgan eines Verbandes mit körperschaftlicher Organisationsstruktur zurückzuführen55 und damit auf eine zwischenstaatliche Organisation. 2. Fehlende nationale Zustimmung zum Vorliegen einer vertikalen Durchgriffswirkung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl Problematisch ist, dass für die Annahme einer vertikalen faktischen Durchgriffswirkung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl notwendigerweise auch ein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl vorliegen muss56, um den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl als einen Fall von vertikaler Hoheitsrechtsübertragung auf die Europäische Union im Bereich des Auslieferungsrechts anzusehen. a) Kein Rechtsanwendungsbefehl zu einer vertikalen Durchgriffswirkung durch das nationale Europäische Haftbefehlsgesetz Zunächst ist festzustellen, dass ein solcher Rechtsanwendungsbefehl grundsätzlich nicht in einem der beiden deutschen Europäischen Haftbefehlsgesetze gesehen werden kann. 54 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 2, B., III., 1. und hierzu insbesondere die dort besprochenen Urteile: EuGH, Urt. v. 5.10.2004, verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004 I-8878, Rdnr. 109 – Pfeiffer; EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-481/99; Slg. 2001 I-9965, Rdnrn. 25 ff. – Heininger; EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4156, Rdnr. 6 – Marleasing. 55 Zur körperschaftlichen Organisation der Europäischen Union und zur Rolle des Rates als zentrales Rechtsetzungsorgan der Europäischen Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. 56 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 4, B., II., 3.

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

Das erste Europäische Haftbefehlsgesetz kommt schon allein vor dem Hintergrund des zeitlichen Ablaufs der Geschehnisse als Rechtsanwendungsbefehl nicht in Betracht, da dieses bereits im Juli 2004 verabschiedet worden ist57, mithin also knapp ein Jahr bevor der Europäische Gerichtshof im Juni 2005 in seinem Pupino-Urteil die faktische Durchgriffswirkung verankert hat.58 Demzufolge konnte der deutsche Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Verabschiedung des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes eine Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU abändernde Auslegung der Wirkung von Rahmenbeschlüssen noch gar nicht in sein Bewusstsein einbeziehen und dementsprechend auch nicht den Willen haben, eine derartige Hoheitsrechtsübertragung herbeizuführen. Anders liegen die Dinge in Bezug auf das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz. Dieses wurde erst im Juli 2006 verabschiedet59, so dass der deutsche Umsetzungsgesetzgeber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Pupino-Urteil und die Besprechung der mit dem Urteil verbundenen Wirkung in der Literatur60 bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl mit in seinen Willen einbeziehen konnte. Allerdings sprechen bereits grundsätzliche, systematische Erwägungen dagegen, in einem der beiden nationalen Umsetzungsakte zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für eine vertikale Durchgriffswirkung zu sehen. Das Europäische Haftbefehlsgesetz stellt einen Vollzugsakt zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl der Europäischen Union dar, der deshalb ergeht, weil der deutsche Umsetzungsgesetzgeber gerade nicht von einer direkten unmittelbaren Wirkung des Rahmenbeschlusses ausgeht, sondern von dessen Vollzugsbedürftigkeit. Ein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl soll im Gegensatz zu einem Vollzugsakt aber die unmittelbare Wirkung eines völkerrechtlichen Rechtsaktes gerade ermöglichen, das heißt, dafür sorgen, dass der völkerrechtliche Rechtsakt ohne nationalen Umsetzungsakt innerstaatliche Wirkung entfaltet und nicht diesen innerstaatlich vollziehen. Daher ist festzuhalten, dass, obwohl das nationale Europäische Haftbefehlsgesetz als Umsetzungsakt zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl einen gesetzlichen Zustimmungsakt darstellt und die Zustimmung auch im Bewusstsein der durch den Europäischen Gerichtshof verankerten Wirkung von Rahmenbeschlüssen im Allgemeinen erfolgt ist, in dem nationalen Haftbefehls57

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., I., 1. Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., I., 2. und III., 2. 59 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., II. 60 Vgl. anstatt aller Fetzer/Groß, in: EuZW 2005, S. 550, 551; Hobe, in: Jura 2006, S. 859, 861; Adam, in: EuZW 2005, S. 558, 560; Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 38 f.; v. Unger, in: NVwZ 2006, S. 46, 48 f.; Hillgruber, in: JZ 2005, S. 841, 843 f.; Nelles/ Tinkl/Lauchstädt, in: Schulze/Zuleeg, § 42, Rdnr. 30. 58

D. Übertragung der Grundsätze auf den RbEuHb

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gesetz aufgrund seiner Zielrichtung und seines Zwecks kein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl für eine vertikale Durchgriffswirkung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl gesehen werden kann. b) Kein antizipierter Rechtsanwendungsbefehl durch das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Amsterdam Denkbar wäre es jedoch, die Zustimmung zu der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl einhergehenden vertikalen faktischen Durchgriffswirkung bereits von der Zustimmung zu der mit dem Amsterdamer Vertrag verbundenen Hoheitsrechtsübertragungen bzw. von der Zustimmung zu den seitdem erfolgten primärrechtlichen Änderungen61 als umfasst anzusehen. Für die Annahme des Vorliegens einer solchen weitreichenden Zustimmung müssten jedoch zwei Anforderungen erfüllt sein: Erstens müsste die Verankerung einer generellen faktischen Durchgriffswirkung von Rahmenbeschlüssen durch den Europäischen Gerichtshof bereits vom damaligen Rechtsanwendungsbefehl zur Übertragung von Hoheitsrechten gedeckt gewesen sein und zum zweiten müsste sich die Möglichkeit einer vertikalen Durchgriffswirkung auch bereits auf den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bezogen haben. Wenn diese Annahme vor dem Hintergrund des mit dem Amsterdamer Vertrag verabschiedeten Wortlautes von Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU auch als abwegig erscheint, so ist das Vorliegen einer derartigen Zustimmung jedenfalls vor folgendem Hintergrund diskutabel: Grundsätzlich sind nur wesentliche Änderungen eines völkerrechtlichen Vertrages als ein Fall anzusehen, der nicht von der Übertragung von Hoheitsrechten bei Vertragsschluss als gedeckt angesehen werden kann, da die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene häufig prozesshaft verläuft.62 So kann beispielsweise insbesondere dann, wenn der Vertrag auf Integration angelegt ist, die Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages auch durch Mehrheitsentscheidungen gegen den Willen eines Mitgliedstaates vorgenommen werden, ohne dass darin ein Fall von Hoheitsrechtsübertragung zu sehen ist.63 Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil aus dem Jahre 2001 entschieden, indem es zu der 61 Der Vertrag von Amsterdam wurde geändert durch den Vertrag von Nizza vom 26.02.2001, BGBl. 2001 II, S. 1667 und durch die Akten zum Beitrittsvertrag vom 16.04.2003, BGBl. 2003 II, S. 1410 und vom 25.04.2005, ABl. 2005 Nr. L 157, S. 203. Die letzte geänderte Fassung ist am 01.01.2007 in Kraft getreten. 62 BVerfGE 58, 1 (36 f.); 68, 1 (98); Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 11; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 10. 63 BVerfGE 104, 151 (195 f.).

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

Frage Stellung zu nehmen hatte, ob die Bundesregierung vor ihrer Zustimmung zu den Beschlüssen über ein neues strategisches Konzept der NATO ein Zustimmungsverfahren beim Deutschen Bundestag einzuleiten gehabt hätte.64 In die gleiche Richtung tendierte das Bundesverfassungsgericht bereits bei seiner Somalia-Entscheidung aus dem Jahre 199465, in dem es entschied, dass die Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen von der Zustimmung des Gesetzgebers zur Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 59 Abs. 2 GG gedeckt ist. Damit verschob das Gericht die Grenze zwischen einer nicht erneut zustimmungsbedürftigen Vertragsauslegung und einer zustimmungsbedürftigen Vertragsänderung sehr weit in Richtung der nicht zustimmungsbedürftigen Vertragsauslegung. Grundlegend führte es in der Somalia-Entscheidung mit einer sehr subjektiven Herangehensweise aus, dass eine Auslegungsvereinbarung auch dann nicht zur Vertragsänderung führe, wenn sie über den Vertragsinhalt hinausgehe, solange nur die Parteien erklärten, innerhalb des bestehenden Vertrages bleiben zu wollen. Eine nachfolgende vertragsabweichende Praxis sei dann ein „faktisches prozesshaftes Geschehen“, das der Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG nicht bedürfe.66 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich weder der in dem Vorlageverfahren in der Rechtssache Pupino direkt betroffene italienische Staat noch irgend ein anderer Mitgliedstaat gegenüber dem Pupino-Urteil verwehrt haben67, könnte nun ein Fall eines solchen faktischen prozesshaften Geschehens möglicherweise auch im vorliegenden Fall der Verankerung einer faktischen unmittelbaren Durchgriffswirkung von Rahmenbeschlüssen anzunehmen sein. Dies ist jedoch im Ergebnis aus mehreren Gründen zu verneinen. Zum einen ist die subjektive Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts in seiner Somalia-Entscheidung, die lediglich auf den Parteiwillen der Mitgliedstaaten abstellt, zu kritisieren, da sich in der internationalen Auslegungspraxis auf der Grundlage der Wiener Vertragsrechtskonvention grundsätzlich ein objektiver und kein subjektiver Auslegungsansatz für die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen herausgebildet hat.68 Zu bedenken ist, dass die subjektive Sichtweise

64

BVerfGE 104, 151 ff. BVerfGE 90, 286 ff. 66 BVerfGE 90, 286 (363). 67 Zwar hatte die italienische, die französische, die schwedische und die niederländische Regierung während des Verfahrens gegen eine zu weitreichende Vergemeinschaftung der dritten Säule der Europäischen Union Stellung bezogen, vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnr. 24–27 – Pupino, jedoch sind nach der Entscheidung keine weiteren Vorbehalte dieser oder anderer Staaten gegen das Urteil bekannt geworden. 68 Vgl. Art. 31 f. WVK: „objective“ oder „textual“ approach, vgl. die Ausführungen bei v. Heintschel-Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rdnr. 11; Ress, in: FS Zeidler, S. 1775, 1779. 65

D. Übertragung der Grundsätze auf den RbEuHb

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Gefahr läuft, die Grenzen zwischen einer dynamischen Auslegung und der Vertragsänderung zu Lasten des Handlungsspielraums der Regierung zu stark einzuengen.69 Zum anderen ist zu bedenken, dass sich die Zuständigkeit des Gerichthofs im Hinblick auf den Unionsvertrag auf die in Art. 46 EU abschließend aufgezählten Fälle beschränkt. Für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedeutet dies, dass der Gerichtshof gemäß Art. 46 lit. b) EU lediglich eine Kompetenz für die in Art. 35 EU vorgesehenen Verfahrensarten hat und damit nur im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens und der Nichtigkeitsklage über die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit von Rahmenbeschlüssen entscheiden bzw. diese auslegen darf70 und nicht über vertragliche Grundlagen des Unionsrechts.71 Wenn nun die Verankerung einer faktischen Durchgriffswirkung von Rahmenbeschlüssen zu einem Ergebnis führt, das im diametralen Widerspruch zum unionsrechtlichen Vertragstext in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU steht72, so ist darin eine Entscheidung zu sehen, die eine neue vertragliche Bindung für die Mitgliedstaaten zur Entstehung gebracht hat, was jedenfalls als ein Fall der Änderung des Unionsprimärrechts anzusehen ist. Genau hierfür hat der Gerichtshof aber vor dem Hintergrund der in Art. 46 EU aufgeführten Zuständigkeiten im Bereich des Unionsrechts eben keine Kompetenz. Selbst wenn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pupino nicht verwehrt haben, kann eine solche Vertragsänderung eines Organs der Union, das für eine solche Vorgehensweise keine Kompetenz hat, aber nicht im Sinne eines prozesshaften faktischen Geschehens als von einer ursprünglichen Zustimmung zum Amsterdamer Unionsvertrag gedeckt angesehen werden. Vielmehr ist sie als eine Handlung anzusehen, die wegen ihrer vertragsabweichenden Praxis einer erneuten Zustimmung der Mitgliedstaaten bedürfte. Diese Schlussfolgerung ergibt sich insbesondere auch daraus, dass das Bundesverfassungsgericht trotz aller Zurückhaltung bei der Frage der Notwendigkeit eines erneuten Zustimmungsaktes betont hat, dass Vollzugsschritte innerhalb des 69

Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 59 Abs. 2, Rdnr. 51. Vgl. zu den unterschiedlichen Verfahrensarten in Art. 35 die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. 71 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 46 EUV, Rdnr. 19; Krück, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Art. 46 EU, Rdnr. 4. 72 Und damit im Widerspruch zum Willen der Mitgliedstaaten, die mit dem Vertragstext in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU bekunden wollten, dass sie im Bereich des Strafrechts keinen dem vergemeinschafteten Bereich entsprechenden Souveränitätsverzicht eingehen wollten. Siehe insofern auch Tinkl, S. 116 f. 70

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

Organ- und Institutionensystems eines solchen Vertrages in dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz hinreichend bestimmbar angelegt sein müssen.73 Dies ist aber trotz aller grundsätzlicher Vergemeinschaftungstendenz im Bereich der dritten Säule aufgrund des gerade unmissverständlichen Wortlautes in Art. 34 Abs. 2 lit. b) S. 3 EU nicht der Fall. Aufgrund des hinzutretenden Umstandes, dass für die Übertragung von Hoheitsrechten einer Rechtsfortbildung engere Grenzen gesetzt sind als für eine bloße Rechtsfortbildung im völkerrechtlichen Bereich,74 ist daher selbst im Lichte der seit langem andauernden Vergemeinschaftungstendenz im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen die Verankerung der faktischen Durchgriffswirkung als ein Fall kompetenzwidriger Vertragsänderung durch den Europäischen Gerichtshof anzusehen, der von der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rahmen der Annahme des Vertrages von Amsterdam nicht gedeckt war.75 Folgerichtig ist dann aber in der Zustimmung zum Amsterdamer Vertrag natürlich auch kein Rechtsanwendungsbefehl für eine vertikale faktische Durchgriffswirkung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zu sehen, so dass das Vorliegen eines Falles vertikaler Hoheitsrechtsübertragung insgesamt zu verneinen ist.76 II. Hoheitsrechtsübertragung in horizontaler Hinsicht Wenn in dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auch kein Fall vertikaler Hoheitsrechtsübertragung zu sehen ist, so stellt sich jedoch die Frage, ob er nicht einen Fall von horizontaler Hoheitsrechtsübertragung darstellt.

73 BVerfGE 104, 151 (195 f.); siehe insoweit auch Steinbach, in: DÖV 2007, S. 555, 556 f. 74 BVerfGE 89, 155 (187 ff.); 90, 286 (362). 75 Vgl. insoweit auch Hillgruber, in: JZ 2005, S. 841, 844; ähnlich auch Tinkl, in: StV 2006, S. 36, 39; zur generellen Überprüfbarkeit einer kompetenzwidrig ergangenen Handlung eines Organs der Europäischen Union durch das Bundesverfassungsgericht siehe die Ausführungen unten in Kapitel 7, B., II., 2., b). 76 Selbst bei Annahme einer Zustimmung der Mitgliedstaaten zur faktischen Durchgriffswirkung von Rahmenbeschlüssen wäre es wohl nicht vertretbar anzunehmen, dass sich die Zustimmung auch auf den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Speziellen bezieht, da es insofern an der für die Übertragung von Hoheitsrechten notwendigen hinreichenden Bestimmtheit mangeln dürfte; siehe zum Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 9.

D. Übertragung der Grundsätze auf den RbEuHb

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1. Horizontale Durchgriffswirkung in Form des transnationalen Hoheitsaktes Aufgrund der Tatsache, dass der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit für die in dem in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb genannten Straftatbestände für den Auslieferungsverkehr zwischen allen Mitgliedstaaten verbindlich aufhebt und die Definitionsmacht für die dort genannten Straftatbestände dem Ausstellungsstaat überlässt77, ist zu erkennen, dass das nationale Verständnis des Ausstellungsmitgliedstaates von dem einschlägigen Straftatbestand grenzüberschreitend in allen anderen Mitgliedstaaten und damit auch im ersuchten Vollstreckungsmitgliedstaat wirkt. Infolge der Definition des Straftatbestandes durch den Ausstellungsmitgliedstaat ist sowohl die sich auf dem Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaates befindende Person als auch die für die Bearbeitung des Auslieferungs- bzw. Übergabebegehrens zuständigen Behörden an die Entscheidung der Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaates unmittelbar betroffen bzw. gebunden. Trotz der oben genannten eingeschränkten, aber nach wie vor bestehenden Möglichkeiten für eine Vollstreckungsverweigerung ist damit doch der Grundgedanke des in dem Institut des extraterritorialen bzw. transnationalen Hoheitsaktes vorherrschenden Herkunftslandprinzips in dem durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eingeführten System der Übergabe deutlich erkennbar verankert. Durch die nach wie vor existierenden Vorbehaltsmöglichkeiten gegenüber einer Auslieferung bzw. Übergabe in einzelnen Fällen ist zwar die Annahme einer vollständigen Übertragung des Instituts des transnationalen Verwaltungsaktes auf das europäische Auslieferungsrecht wie oben ausgeführt abzulehnen.78 Entscheidend ist jedoch, dass dem Grundgedanken, auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Falle der in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb normierten Straftatbestände zu verzichten, mit den verbliebenen Vorbehaltsgründen nicht begegnet werden kann, da bei Vorliegen einer der Katalogstraftaten dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaates grundsätzlich der Vorrang einzuräumen ist. Somit ist festzuhalten, dass die Übertragung des Grundgedankens des transnationalen Verwaltungsaktes auf das Auslieferungsrecht bzw. Übergabeverfahren als ein Fall von horizontaler Durchgriffswirkung von Hoheitsakten anderer Mitgliedstaaten anzusehen ist.79

77 Siehe den Anhang zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, ABl. 2002 Nr. L 190, S. 1, 16. 78 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., III. 79 Unger, S. 115; Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 372.

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Kap. 4: Übertragung von Hoheitsrechten

2. Innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl in Gestalt des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes Fraglich ist, ob und worin für die horizontale Übertragung von Hoheitsrechten der notwendige Rechtsanwendungsbefehl gesehen werden kann. Denkbar wäre es wiederum, bereits in dem Zustimmungsakt zum Vertrag von Amsterdam einen vorweggenommenen Rechtsanwendungsbefehl zu sehen. Dieser Gedanke liegt deshalb nahe, da die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit bereits erstmals in den Jahren 1998/1999 auf dem Aktionsplan des Europäischen Rates80 stand, also zu einer Zeit, als das Ratifikationsverfahren zum Vertrag von Amsterdam und den mit diesem einhergehenden Neuerungen im Bereich der dritten Säule der Europäischen Union gerade lief.81 Insofern könnten die mitgliedstaatlichen Zustimmungen zum Vertrag von Amsterdam die horizontale Übertragung von Hoheitsrechten im Bereich des Auslieferungsrechts bereits mit umfasst haben. Eine solche Annahme verbietet sich jedoch aus dem Grund, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in den maßgeblichen Art. 29 ff. des Vertrages über die Europäische Union in der Amsterdamer Fassung als Prinzip an keiner Stelle auftaucht und somit trotz der zeitlich parallelen Entwicklung nicht als vom Willen des Zustimmungsaktes zum Vertrag von Amsterdam umfasst angesehen werden kann. Ein Rechtsanwendungsbefehl könnte jedoch diesmal im nationalen Umsetzungsakt zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zu sehen sein. Zwar kommt vor dem Hintergrund der Nichtigerklärung des ersten nationalen Europäischen Haftbefehlsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr in Betracht, in diesem einen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für die Herbeiführung einer horizontalen Durchgriffswirkung auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zu sehen. Allerdings könnte das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz einen tauglichen Rechtsanwendungsbefehl für eine horizontale Hoheitsrechtsübertragung darstellen. Im Rahmen der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen horizontalen Durchgriffswirkung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen bedarf es generell zur Herbeiführung der innerstaatlichen Wirkung der Entscheidungen keines nationalen Umsetzungsaktes in der Funktion eines Vollzugsaktes. Dies ist wesentliches Merkmal des Prinzips der horizontalen gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen, da der Grund 80 Vgl. insbesondere zum Europäischen Rat von Cardiff und Tampere die Ausführungen oben in Kapitel 1, G. 81 Zu den Neuerungen im Bereich der dritten Säule durch den Vertrag von Amsterdam siehe die Ausführungen oben in Kapitel 1, F., I.

D. Übertragung der Grundsätze auf den RbEuHb

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für die Anerkennungswirkung sowohl beim Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl als auch bei gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsrichtlinien gerade direkt in dem europarechtlichen Sekundärrechtsakt selbst verwurzelt ist.82 Notwendig für die Herbeiführung einer horizontalen Durchgriffswirkung ist lediglich eine Brücke im nationalen Recht, die das nationale Recht für die Entfaltung der unmittelbaren Wirkung öffnet. Genau diese Funktion kommt aber nun dem zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetz als Umsetzungsakt zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zu, so dass in ihm der nationale Rechtsanwendungsbefehl für die unmittelbare Wirkung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen im Bereich des Auslieferungsrechts gesehen werden kann. Zusammenfassend kann damit im Hinblick auf die Frage nach einer Hoheitsrechtsübertragung im Falle des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl festgehalten werden, dass dieser europäische Sekundärrechtsakt zwar keinen Fall vertikaler, aber horizontaler Hoheitsrechtsübertragung darstellt, und dass der einzelne Bürger an die fremde Auslieferungsentscheidung daher zwar nicht durch aber über den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl gebunden ist.

82 Vgl. hinsichtlich des Prinzips der extraterritorialen Wirkung die Ausführungen oben in Kapitel 4, C., II. und 4, D., II., 1.

Kapitel 5

Grundgesetzliche Grundlagen, Anforderungen und Schranken für horizontale Hoheitsrechtsübertragungen Infolge der Feststellungen der vorangegangenen Kapitel, in denen deutlich erkennbar geworden ist, dass der Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit einer erheblichen Vergemeinschaftungstendenz unterliegt, die letztlich dazu geführt hat, dass auch in diesem Bereich die Übertragung von Hoheitsrechten zu erkennen ist, stellt sich die Frage, ob diese als rasant zu bezeichnende Entwicklung nach wie vor den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des deutschen Grundgesetzes entspricht, oder ob man letztlich eine Entwicklung konstatieren muss, die sich von den verfassungsrechtlichen Anforderungen wegbewegt hat. Dieser Fragestellung soll in den kommenden beiden Kapiteln nachgegangen werden. Um die Verfassungsmäßigkeit der Hoheitsrechtsübertragung im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl beurteilen zu können, bedarf es zunächst einer Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen, Anforderungen und Grenzen, die das Grundgesetz generell für derartige Hoheitsrechtsübertragungen vorsieht. Diese Darstellung soll Gegenstand dieses Kapitels sein.

A. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG als Ermächtigungsgrundlage für horizontale Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union Bevor eine Beschäftigung mit den Anforderungen und Grenzen für Hoheitsrechtsübertragungen erfolgen kann, stellt sich zunächst die Frage, ob und gegebenenfalls auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage die Bundesrepublik Deutschland befugt ist, Hoheitsrechte horizontal auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu übertragen. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf fremde Staaten ist im Grundgesetz an keiner Stelle ausdrücklich geregelt. Art. 24 Abs. 1 GG ermächtigt ausweislich seines Wortlautes direkt nur zur Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. Auch Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 i.V. m. S. 2 GG, dem zufolge der Bund Hoheitsrechte durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates übertragen darf, um bei der Entwicklung der Europäischen Union mit-

A. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG als Ermächtigungsgrundlage

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zuwirken, spricht zunächst einmal, auch wenn er die Union selbst nicht ausdrücklich als Zuordnungsobjekt der Hoheitsrechtsübertragung benennt, nicht von einer Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ebenso wenig lässt sich der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine klare Stellungnahme zur Übertragung von Hoheitsrechten auf fremde Staaten entnehmen. Das Verfassungsgericht wich bei der – soweit ersichtlich – bislang einzigen Befassung mit der Frage vor mittlerweile über zwanzig Jahren einer Klärung des Problems aus, indem es lediglich entschied, dass eine direkte Anwendung von Art. 24 Abs. 1 GG nicht in Betracht kommt1. Insofern traf es aber lediglich eine Feststellung, deren Richtigkeit sich bereits offensichtlich aus dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 GG ergibt. Vor diesem Hintergrund ist im Wege der Auslegung der beiden existierenden generellen Ermächtigungsgrundlagen im Grundgesetz, also von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und von Art. 24 Abs. 1 GG, zu ermitteln, ob ihr Anwendungsbereich auch eine horizontale Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union mit umfasst. Grundlegend zu berücksichtigen ist dabei, dass Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG in Fällen, in denen die Hoheitsrechtsübertragung zur Verwirklichung der Europäischen Union erfolgt, die gegenüber Art. 24 Abs. 1 GG speziellere und damit vorrangige Regelung darstellt.2 Auch die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union muss daher vorrangig von der Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG abhängen. Nichtsdestotrotz bietet es sich vor dem Hintergrund, dass Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG in Anlehnung an Art. 24 Abs. 1 GG formuliert wurde3, an, einen Blick auf die Diskussion zu werfen, die vor der Einfügung von Art. 23 GG in Bezug auf Art. 24 Abs. 1 GG zu der Frage horizontaler Hoheitsrechtsübertragungen auf andere Staaten geführt wurde. I. Die Diskussion über die Möglichkeit horizontaler Hoheitsrechtsübertragungen auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 GG Zu Zeiten, in denen Art. 24 Abs. 1 GG die einzige Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten im Grundgesetz darstellte, war umstrit-

1

Vgl. BVerfGE 68, 1 (91). Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 4, A., II. 3 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 201 mit Hinweise auf die amtliche Begründung der Bundesregierung in BT-Drucks. 501/92, S. 8; Geiger, in: JZ 1996, S. 1093, 1094; Gramm, in: DVBl. 1999, S. 1237, 1238. 2

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

ten, ob die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten als zulässig angesehen werden kann. Gegen die Möglichkeit einer Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten wurde vielfach der Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 GG als Hauptargument angeführt, der ausdrücklich nur die Möglichkeit der Hoheitsrechtsübertragung auf zwischenstaatliche Einrichtungen vorsehe.4 Art. 24 Abs. 1 GG entfalte eine Sperrwirkung, die die Anwendung der Vorschrift für die Übertragung von Hoheitsrechten auf einen anderen Staat ausschließe.5 Neben dem Wortlaut wurde als Argument gegen die Zulässigkeit einer Hoheitsrechtsübertragung auf andere Staaten angeführt, dass die Bundesrepublik auf einen fremden Staat grundsätzlich keinen Einfluss habe, während die Unterwerfung des Bürgers unter eine zwischenstaatliche Hoheitsgewalt durch die deutschen Beteiligungsrechte kompensiert werde.6 Ferner wurde darauf abgestellt, dass Art. 24 Abs. 1 GG nicht einschlägig sei, weil bei der Übertragung von Hoheitsrechten unmittelbar auf einen anderen Staat nicht die Übertragung deutscher Hoheitsrechte in Rede stehe, sondern die Gestattung und Duldung der Ausübung fremder Staatsgewalt auf dem Bundesgebiet.7 Demgegenüber wurde hervorgebracht, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 GG zulässig sein müsse, weil die Annahme einer Sperrwirkung von Art. 24 Abs. 1 GG verkenne, dass die ohne historische Vorbilder erfolgte Öffnung des deutschen Staates gegenüber zwischenstaatlichen Hoheitsakten die internationale Kooperation der Bundesrepublik erleichtern wollte.8 Denkbar sei auch die grundsätzliche Zulässigkeit der Übertragung einzelner Hoheitsrechte aus der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abtretung einzelner Gebietsteile abzuleiten. Wenn aber die völlige Aufgabe der Gebietshoheit 4 BVerfGE 2, 347 (378); 68, 1 (91); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 183, Rdnr. 58; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 27, S. 142; Gramm, in: DVBl. 1999, S. 1237, 1237 f., 1244; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 24; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 53; Beyerlin, S. 245 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24, Rdnr. 7; Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 883 f.; Baldus, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 481, 502; Becker, in: DVBl. 2001, S. 855, 857 f.; Wieland, in: FS Böckenförde, S. 219, 235. 5 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rdnr. 20; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 53. 6 Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 44; Gramm, in: DVBl. 1999, S. 1237, 1238, 1244; Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 883 f.; Werner, S. 194. 7 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 24, Rdnr. 23a. 8 Rauser, S. 62 ff., 247 ff.; Hofmann, S. 98; Scheller, in: JZ 1992, S. 904, 909; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 66; Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 103, 130 f.

A. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG als Ermächtigungsgrundlage

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ohne Verfassungsänderung zulässig sei, dann erlaube die Verfassung im Sinne eines argumentum a maiore ad minus auch die Übertragung einzelner Befugnisse auf ausländische Staaten.9 Sowohl die Argumente für als auch gegen die Zulässigkeit von Hoheitsrechtsübertragungen erscheinen für sich gesehen auf den ersten Blick nachvollziehbar. Daher wäre es fragwürdig, anhand einer Interpretation von Art. 24 Abs. 1 GG eine sachgerechte Auslegung von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG herbeiführen zu wollen. Vielmehr bedarf es einer näheren Betrachtung des Wortlautes und des Normzwecks von Art. 23 Abs. 1 GG selbst. II. Horizontale Hoheitsrechtsübertragung vor dem Hintergrund des Normzwecks von Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG Zunächst ist bemerkenswert, dass der Wortlaut von Art. 23 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG die Möglichkeit von Hoheitsrechtsübertragung nicht mehr lediglich auf zwischenstaatliche Einrichtung beschränkt, sondern Hoheitsrechtsübertragungen zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union im Allgemeinen vorsieht. Auch wenn eine weitergehende Integrationsdynamik von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG im Verhältnis zu Art. 24 Abs. 1 GG teilweise bestritten wird10, ist es insofern nahe liegend, Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG einen weiteren Anwendungsbereich als Art. 24 Abs. 1 GG zuzusprechen.11 Gestützt wird das Erfordernis einer weitergehenden Auslegung auch dadurch, dass Art. 23 Abs. 1 GG gerade deshalb in das Grundgesetz eingefügt wurde, weil mit der Aufnahme der europarechtlichen Vorschriften über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres und über die gemeinsame Außenpolitik ins unionsrechtliche Primärrecht durch den Vertrag von Maastricht die Gründung der Europäischen Union als rechtliches Gebilde verbunden war.12 Selbst wenn man der Auffassung folgt, dass im Bereich der zweiten und dritten Säule der Europäischen Union nach wie vor keine Hoheitsrechtsübertragung stattfindet13, ist die in Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG verankerte Ermächtigungsgrundlage für Hoheitsrechtsübertragungen vor diesem Hintergrund jedenfalls so zu verstehen, dass sie sich umfassend auf die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG angesprochene Verwirklichung der Europäischen Union bezieht und nicht nur auf den vergemeinschafteten Teil des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Daraus folgt jedoch, dass man in Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG eine Ermächtigungsgrundlage für sämtliche 9

Rauser, S. 251 ff.; Neßler, S. 81. Gramm, in: DVBl. 1999, S. 1237, 1238, 1239; Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 884. 11 In diesem Sinne auch Wolf, in JZ 1993, S. 594, 599. 12 Kämper, S. 131; Harings, S. 61; in diesem Sinne auch Uhrig, S. 96; Murswiek, in: Der Staat 32 (1993), S. 161, 179. 13 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 56. 10

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Übertragungen von Hoheitsrechten an jegliche unter dem Dach der Europäischen Union zusammengefassten Organe und Institutionen zu sehen hat.14 Wenn Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG aber generell zur Übertragung von Hoheitsrechten unter dem Dach der Europäischen Union ermächtigt, dann muss die Vorschrift auch als taugliche Grundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesehen werden. Denn auch wenn mitgliedstaatliche Hoheitsträger keine Organe oder Institutionen der Europäischen Union darstellen, so fußt deren Empfängerstellung der Hoheitsrechtsübertragung gerade auf einem vom Rat der Europäischen Union erlassenen europarechtlichen Rechtsakt. Dass die Ausübung mitgliedstaatlicher Hoheitsrechte aufgrund der europarechtlichen Grundlage dabei allerdings nicht der Europäischen Union selbst zuzurechnen ist, sondern trotzdem einen Fall von eigenständiger Hoheitsrechtsausübung durch die Mitgliedstaaten darstellen15, ändert gerade nichts daran, dass auch sie vor dem Hintergrund der europarechtlichen Grundlage zur Entwicklung der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG übertragen werden.16 Daher ist Art. 23 Abs. 1 S. 2 i.V. m. S. 1 GG so auszulegen, dass horizontale Hoheitsrechtsübertragungen im Falle der Übertragung von Rechten auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union zunächst einmal verfassungsrechtlich per se nicht als unzulässig angesehen werden können und die Vorschrift in diesen Fällen auch als taugliche Ermächtigungsgrundlage anzusehen ist. Zu bedenken ist jedoch, dass mit dieser Feststellung noch nichts gesagt ist über die Zulässigkeit von horizontalen Hoheitsrechtsübertragungen vor dem Hintergrund weiterer verfassungsrechtlicher Bestimmungen, in deren Kontext Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG zu sehen ist. So müssen sich Hoheitsrechtsübertragungen auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG stets an den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten Anforderungen und gegebenenfalls an den in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG normierten Schranken messen lassen. Welche verfassungsrechtlichen Vorgaben sich aus diesen Bestimmungen für die Übertragung von Hoheitsrechten ergeben, soll daher in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels genauer untersucht werden.17 14 In diesem Sinne auch Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 805; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 96 und Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 73; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 3; a. A. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 42; differenzierend Geiger, in: JZ 1996, S. 1093, 1095, der die Anwendbarkeit von Art. 23 Abs. 1 GG für den Bereich der zweiten und dritten Säule davon abhängig macht, ob ein Fall der Ermächtigung zu einer Vorrangwirkung vorliegt. 15 Es handelt sich insofern um ein Handeln der Mitgliedstaaten, dass lediglich europarechtlich dirigiert ist, siehe auch Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 884; a. A. Schlag, S. 180, der in der Ausübung mitgliedstaatlicher Hoheitsrechte aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Bankenaufsichtsrichtlinie eine vertikale Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft sieht. 16 Dies verkennt Ohler, in: DVBl. 2002, S. 880, 884.

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

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B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung der Europäischen Union Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt, dass die Bundesrepublik zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Die Vorschrift enthält damit zwei Bestandteile. Während sich in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG die so genannte Integrationsöffnungsklausel findet, die den in der Präambel des Grundgesetzes niedergelegten Integrationsauftrag konkretisiert und als Staatszielbestimmung nach mittlerweile wohl herrschender Ansicht nicht nur eine Integrationsermächtigung, sondern darüber hinaus einen verbindlichen Verfassungsauftrag für die deutschen Staatsorgane darstellt18, sich an der Verwirklichung eines vereinten Europas zu beteiligen, wird mit der in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG verankerten so genannten Struktursicherungsklausel die staatsrechtliche Ermächtigung zur grundsätzlich gewollten Übertragung von Hoheitsrechten zum Zweck der europäischen Integration unter einen Maßgabevorbehalt stellt.19 Dieser Maßgabevorbehalt benennt Bedingungen, die auf europäischer Ebene vorliegen müssen, damit die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen darf. Sie verpflichten aber als im deutschen Grundgesetz verankerte Verfassungsbestimmungen nicht europäische Institutionen, sondern ausschließlich die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland.20 Diese müssen den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG aufgezählten Verhaltensnormen gerecht werden.21 17 Vgl. zur Frage des Verhältnisses von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG die Ausführungen unten in Kapitel 5, D. 18 So Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 7; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 10; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 5; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 18, 46. Als ledigliche Ermächtigung wurde Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG noch betrachtet vom Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung, siehe BVerfGE 89, 155 (179) und von Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 36. 19 Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 421; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 17. 20 Uhrig, S. 109; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnrn. 12, 22; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 17; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 39; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 421; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 47; Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 602; Grimm, in: JZ 1995, S. 581, 585; Randelzhofer, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 39, 55. 21 Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 7; Ossenbühl, in: DVBl. 1993, S. 629, 633; Magiera, in: Jura 1994, S. 1, 8.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Es gilt der Grundsatz, dass mit einer fortschreitenden Integration im Rahmen der Europäischen Union auch entsprechende Fortschritte bei der Umsetzung der in der Strukturklausel enthaltenen Prinzipien einhergehen müssen und mit der Übertragung neuer Hoheitsrechte daher auch stets wachsende rechtliche Anforderungen beachtet werden müssen.22 Da Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG nicht nur den Handlungsmaßstab für Hoheitsrechtsübertragungen durch deutsche Staatsorgane darstellt, sondern zugleich auch den Beurteilungsmaßstab zur Kontrolle der Integrationsgewalt, ist die Vorschrift auch Prüfungsmaßstab einer verfassungsrechtlichen Überprüfung eines Übertragungsgesetzes im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG.23 Ergibt die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Hoheitsrechtsübertragung, dass die in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GG genannten Grundsätze auf europäischer Ebene nicht in ausreichendem Maße verwirklicht sind, ist die Übertragung von Hoheitsrechten als unwirksam anzusehen.24 Damit stellt die Vorschrift die erste Begrenzung für die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und damit auch für die Übertragung von Hoheitsrechten auf andere Staaten auf der Grundlage europäischer Rechtsakte dar.

I. Die Elemente der Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG Die Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG fordert im Einzelnen für die Übertragung von Hoheitsrechten zur Mitwirkung an der Europäischen Union die Beachtung von sechs unterschiedlichen Elementen. Die folgende Darstellung der in der Struktursicherungsklausel vorgesehenen Verpflichtungen soll verdeutlichen, was sich hinter der Forderung verbirgt, dass die Europäische Union als Empfänger einer Hoheitsrechtsübertragung demokratische, rechtsstaatliche, soziale und föderative Grundsätze zu wahren hat, zur Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes verpflichtet ist und einen dem

22 So ausdrücklich der Abschlussbericht der am 28./29. November 1991 eingesetzten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, vgl. BTDrucks. 12/6000, S. 20; siehe auch BVerfGE 89, 155 (184 f.); Rojahn, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 19 und Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 39, 55; Tiedtke, S. 154. 23 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 17; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 19; siehe auch das abweichende Votum von Richter Broß zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes, BVerfGE 113, 273 (319, 321). 24 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 7; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 8.

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

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Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes zu gewährleisten hat. 1. Pflicht zur Wahrung demokratischer Grundsätze Zunächst verlangt Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG, dass die Übertragung von Hoheitsrechten zur Entwicklung einer Europäischen Union nur dann gestattet ist, wenn die Europäische Union demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist. Vor dem Hintergrund, dass die Bundesrepublik durch die Übertragung von Hoheitsrechten die Möglichkeit verliert, allein mittels vom deutschen Staatsvolk gewählter Vertreter auf die Gestalt eines Hoheitsaktes Einfluss zu nehmen, handelt es sich hierbei um ein zentrales Erfordernis, das es im Rahmen einer Hoheitsrechtsübertragung zu beachten gilt. Grundsätzlich bedeutet die Verpflichtung auf demokratische Grundsätze, dass Errichtung, Organisation und Ausübung jeglicher Herrschaftsgewalt auf eine Legitimation durch das Volk selbst zurückführbar sein muss.25 Das Tätigwerden der Europäischen Union selbst oder der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rechtsaktes der Union muss sich daher letztlich auf die Bürger in den Mitgliedstaaten zurückführen lassen.26 Da es sich bei der Europäischen Union trotz einiger staatsähnlicher Merkmale27 insbesondere mangels eigener Kompetenz-Kompetenz28 nicht um einen Staat im Sinne des Grundgesetzes handelt29 und sich ihr Tätigwerden damit auch nicht auf ein europäisches Staatsvolk zurückführen lässt30, bedarf es der Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt auf der Grundlage des Vertrages über die Europäische Union über die Staatsvölker der Mitgliedstaaten.31 Die erste grundlegende Bedeutung der Verpflichtung zu demokratischen Grundsät25 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 24, Rdnr. 1; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 764. 26 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 23. 27 Vgl. hierzu Ossenbühl, in: DVBl. 1993, S. 629, 631; Di Fabio, in: Der Staat 32 (1993), S. 191, 197; Rupp, in: NJW 1993, S. 38, 40. 28 Vgl. zum Begriff der Kompetenz-Kompetenz Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnrn. 166 ff. 29 Statt vieler Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 11; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 41; Zuleeg, in: NJW 2000, S. 2846, 2851; Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 287; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnrn. 8 ff.; Badura, in: FS Redeker, S. 111, 126. Das BVerfG beschreibt die Europäische Union als Staatenverbund, siehe BVerfGE 89, 155 (181, 188). 30 Schmitz, S. 196; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 424; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 23; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 15; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 26. 31 BVerfGE 89, 155 (183); Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 91; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 15; Kirchhof, in: FS Oppermann, S. 201, 207; Volkmann, in: AöR 127 (2002), S. 575, 593.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

zen ist damit darin zu sehen, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Demokratien sein müssen.32 Der zweite wesentliche Punkt des ersten Elements der Struktursicherungsklausel ist darin zu sehen, dass den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, effektiv und hinreichend Einfluss auf hoheitliche Entscheidungen nehmen zu können.33 Denn auch wenn der Übertragung von Hoheitsrechten der Verzicht der eigenen Einflussnahme auf den Erlass von Hoheitsakten immanent ist, so ist es doch erforderlich, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in einem sie repräsentierenden Organ vertreten sind und an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden.34 Drittens beinhaltet die Forderung nach demokratischen Grundsätzen, dass die Europäische Union selbst demokratisch legitimiert sein muss. Das setzt voraus, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Europäische Union selbst bzw. durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der Grundlage von Rechtsakten der Europäischen Union demokratisch legitimiert ist, was bedeutet, dass das Handeln der befugten Hoheitsträger durch Wahlen und Abstimmungen legitimiert sein muss.35 Aufgrund ihrer Struktur als Zusammenschluss mehrerer Staaten erfordert dies nicht das Bestehen einer parlamentarischen Demokratie.36 Voraussetzung ist jedoch, dass die Bürger der Mitgliedstaaten an der Ausübung der Hoheitsgewalt der Europäischen Union beteiligt werden.37 Insofern ist es im Sinne der so genannten „doppelgleisigen Legitimation“ notwendig, dass zum einen die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union als zentrales Rechtsetzungsorgan der Union38 aufgrund nationaler Wahlen durch die Staatsvölker in ausreichendem Maße legitimiert sind39. Zum anderen müssen die Beteiligungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments bei wachsenden Kompetenzen der Organe der Europäischen Union ausgebaut werden, um neben der mittelbaren

32 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 29; Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 287; Penski, in: ZRP 1994, S. 192, 195; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 23. 33 Uhrig, S. 112; Kirchhof, in: JZ 1998, S. 965, 972; Di Fabio, in: FS Badura, S. 77, 94. 34 Uhrig, S. 114 35 Uhrig, S. 115. 36 BVerfGE 89, 155 (182); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 8; Seiler, S. 275; Schuppert, in: FS Rauschning, S. 201, 212. 37 BVerfGE 89, 155 (184); Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 424. 38 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. 39 BVerfGE 89, 155 (186 f.); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 29; ders., in: ZRP 1993, S. 57, 60; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 25; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 9; v. Bogdandy, in: FS Badura, S. 1033, 1046.

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demokratischen Legitimation durch die mitgliedstaatlichen Parlamente auch die unmittelbare Kontrollmöglichkeit des Europäischen Parlaments zu stärken.40 Zusammenfassend lässt sich folglich sagen, dass die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG ausgesprochene Verpflichtung auf demokratische Grundsätze einen Dreiklang vor Augen hat, dem es bei der Übertragung von Hoheitsrechten gerecht zu werden gilt: Zum einen müssen sämtliche Mitgliedstaaten selbst demokratische Strukturen aufweisen, zum anderen müssen die Mitgliedstaaten am Entscheidungsprozess im Rahmen der Entwicklung der Europäischen Union beteiligt sein und schließlich muss die Europäische Union selbst demokratisch legitimiert sein. 2. Pflicht zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze Weiterhin muss die Europäische Union, zu deren Entwicklung Hoheitsrechte übertragen werden, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet sein. Aufgrund der Tatsache, dass das Rechtsstaatsprinzip mitunter unterschiedliche Begriffsinhalte und auch entwicklungsgeschichtlich zum Teil differente Variationen kennt41, ist es schwierig den Gehalt des Rechtsstaatsprinzips präzise zu fassen. Umfasst sind nach heutigem Erkenntnis- und Interpretationsstand zumindest aber die folgenden Grundpositionen: Der Schutz der individuellen Freiheit und der Menschenrechte, die Gewährleistung von Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte und von rechtlichem Gehör, die Verfassungsbindung der öffentlichen Gewalt und Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung sowie die staatliche Gewaltenteilung bzw. Gewaltengliederung.42 Zwar stellen diese Merkmale des Rechtsstaatsprinzips bei der Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Entwicklung der Europäischen Union zunächst einmal umfänglich zu erfüllende Anforderungen an die Struktur der Europäischen Union dar. Allerdings ergeben sich wie bei der Pflicht zur Wahrung des Demokratiegebotes aus der besonderen Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund auch im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot einige Modifikationen. 40 BVerfGE 89, 155 (184 f.); so insbesondere mit Blick auf eine europäische Rechtsetzung im Bereich des Strafrechts Musil, in: NStZ 2000, S. 68, 70; siehe im Übrigen auch Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 288; Uhrig, S. 116; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 57; Tomuschat, in: EuGRZ 1993, S. 489, 493; Schwarze, in: JZ 1993, S. 585, 588 f.; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 766; Di Fabio, in: JZ 2000, S. 737, 742; Steinberger, in: FS Bernhardt, S. 1313, 1327; Häberle, in: EuGRZ 1992, S. 429, 432; Tiedtke, S. 161. 41 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 26, Rdnr. 10; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 35. 42 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 59; Classen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 35; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 56.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

So hat das Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig im Hinblick auf die Anforderungen des Rechtsschutzes erklärt, dass bei einem Zusammenschluss mehrerer Staaten nicht die umfassenden Garantien des Grundgesetzes erwartet werden können, da eine solche Forderung der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit zuwiderliefe.43 Zu beachten ist aber, dass der Verzicht auf die umfassenden Garantien des Grundgesetzes Rechtsschutzlücken gegenüber ausgeübter Hoheitsgewalt nicht duldet, sondern es jedenfalls einer wirksamen Kontrolle der Ausübung von Hoheitsgewalt auch auf der Ebene der Europäischen Union durch unabhängige Richter bedarf.44 Besonderheiten ergeben sich ferner im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung, das im Rahmen eines Staatenverbundes andere Ausprägungen haben muss als auf innerstaatlicher Ebene.45 Vor dem Hintergrund, dass der Rat der Europäischen Union als Hauptrechtsetzungsorgan eine Staaten- und keine Volksvertretung ist, kann die Verteilung von Exekutive, Legislative und Judikative wie sie das Grundgesetz vornimmt, nicht unterschiedslos übertragen werden.46 Um den Anforderungen an rechtsstaatliche Grundsätze gerecht zu werden, bedarf es daher lediglich der Existenz von Organen, die Aufgaben von Legislative, Exekutive und Judikative wahrnehmen, die voneinander abgegrenzte Kompetenzen haben und die sich gegenseitig kontrollieren.47 Statt des klassischen Prinzips der Gewaltenteilung ist insofern notwendig, dass ein so genanntes Prinzip von „checks and balances“ vorhanden ist.48 Schließlich ist im Hinblick auf die Verfassungsbindung der öffentlichen Gewalt und Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung zu beachten, dass mangels Existenz einer Verfassung der Europäischen Union49 unter dem Begriff Verfassung das Primärrecht der Europäischen Union zu verstehen ist.50 Außer der insoweit notwendigen begrifflichen Differenzierung besitzt der Grundsatz der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Recht und Gesetz jedoch uneingeschränkt Geltung im Rahmen der von Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG aufgestellten Pflicht zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze bei der Übertra43 BVerfGE 58, 1 (40 f.); Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 24 GG, Rdnr. 58; Uhrig, S. 119; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 58. 44 BVerfGE 89, 155 (175); Tomuschat, in: EuGRZ 1993, S. 489, 490; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 9. 45 Hofmann, in: ders./Marko/Merli/Wiederin (1996), S. 321, 325; Knill/Winkler, in: Der Staat 45 (2006), S. 215, 233 f. 46 Uhrig, S. 118; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 37; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 8. 47 Uhrig, S. 118. 48 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 25; Classen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 37; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 768. 49 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 1, H., I. 50 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 62.

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gung von Hoheitsrechten. Dies schließt insbesondere mit ein, dass Durchgriffsbefugnisse im europäischen Recht für die Rechtsanwendungsorgane hinreichend voraussehbar und bestimmbar normiert sind.51 3. Pflicht zur Wahrung sozialer Grundsätze Die Europäische Union muss ferner sozialen Grundsätzen verpflichtet sein. Diese Forderung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG stellt im Gegensatz zu den Forderungen nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen keine Anforderung an die Struktur der Union, sondern verpflichtet die Europäische Union lediglich zu einer inhaltlichen Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel.52 Da der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit im Grundgesetz generell nur die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von sozialer Sicherheit und gerechter Sozialordnung vorsieht und sich ansonsten aus dem Sozialstaatsprinzip keine detaillierten bzw. verbindlichen Rechtsgewährleistungen ableiten lassen53, gilt auch für die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG normierte Verpflichtung, dass die Grenzen erst dann als verletzt anzusehen sind, wenn sich die Europäische Union jedweder Integration und Gestaltungs- wie Leistungsverpflichtung im Bereich der Sozialpolitik versagen würde.54 4. Pflicht zur Wahrung föderativer Grundsätze Weiter stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Europäische Union mit der Forderung nach Verwirklichung föderativer Grundsätze verbunden sind. Was unter den föderativen Grundsätzen im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu verstehen ist, kann dem Grundgesetz nicht unmittelbar entnommen werden, da eine Legaldefinition fehlt.55 Zunächst kann aber festgehalten werden, dass unter der Verpflichtung auf föderative Grundsätze nicht zu verstehen ist, dass die Europäische Union bundesstaatliche Strukturen aufzuweisen hat.56 Bereits aus dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG im Vergleich zu Art. 20 Abs. 1 GG ergibt sich, dass Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG

51 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 28; Classen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 38; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 25. 52 Uhrig, S. 120. 53 Vgl. zum Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, Rdnr. 120 und Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VIII, Rdnr. 24. 54 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 60. 55 Konow, in: DÖV 1996, S. 845, 848. 56 Badura, in: FS Schambeck, S. 887, 894.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

jedenfalls nicht die Aufteilung der Staatlichkeit auf zwei Ebenen vor Augen hat.57 Der Verpflichtung zur Verwirklichung föderativer Grundsätze kommt vielmehr die Bedeutung zu, dass die Europäische Union die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten zu garantieren hat, sie also deren Staatlichkeit nicht gefährden darf.58 Hoheitsrechtsübertragungen, die die Schaffung zentralistischer Organstrukturen zum Ziel haben, würden daher der Verpflichtung auf föderative Grundsätze widersprechen.59 Von zentralistischen Strukturen müsste man dabei dann ausgehen, wenn den nationalen Hoheitsträgern ihre Kompetenzen derart entzogen werden würden, dass ihnen ein eigenständiger Aufgabenbereich nicht mehr verbliebe.60 Schließlich ist mit der Verpflichtung zur Beachtung der Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten darüber hinaus die Pflicht zur Beachtung möglicher föderativer Strukturen innerhalb der Mitgliedstaaten verbunden und damit auch die Pflicht zur Beachtung der inneren Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten.61 5. Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität Die Pflicht zur Wahrung der Subsidiarität ist durch die Neufassung des Art. 23 Abs. 1 GG erstmalig als Verfassungsgrundsatz ins deutsche Grundgesetz aufgenommen worden.62 Grundsätzlich ist in dieser Pflicht ein Instrument zu sehen, dass dazu dienen soll, der Erosion mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten entgegenzuwirken.63 Es verdeutlicht und begrenzt das Prinzip der beschränkten

57 Vgl. zum Begriff der Bundesstaatlichkeit Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 IV, Rdnr. 15. 58 Badura, in: FS Lerche, S. 369, 381; Zuleeg, in: NJW 2000, S. 2846, 2846; Uhrig, S. 111. 59 Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 945; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 62. 60 Uhrig, S. 111; Konow, in: DÖV 1996, S. 845, 848. 61 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 29; Scholz, in: NJW 1992, S. 2593, 2599; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 62; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 66. 62 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 45; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 66; Oppermann, in: JuS 1996, S. 569, 569; Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 945; Klein/Haratsch, in: DÖV 1993, S. 785, 790; Classen, in: ZRP 1993, S. 57, 58 f. Vgl. zur Herkunft und zum früheren Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips im Hinblick auf das deutsche Verfassungsrecht Herzog, in: Der Staat 2 (1963), S. 399, 411 ff.; Häberle, in: AöR 119 (1994), S. 169, 175 ff.; Gutknecht, in: FS Schambeck, S. 921, 921 f. Als Beleg dafür, dass das Prinzip vor Einführung des Art. 23 Abs. 1 GG ins Grundgesetz keinen Verfassungsrang hatte, dienen BVerwGE 23, 304, 306 f.; 67, 321, 324 f.; offen gelassen in BVerfGE 58, 233 (253).

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

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Einzelermächtigung.64 Inhaltlich besagt der Grundsatz der Subsidiarität im Europarecht, dass die Europäische Gemeinschaft in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu erreichen sind.65 Das Subsidiaritätsprinzip stellt einen Maßstab zur Kompetenzabgrenzung zwischen den Zuständigkeiten der Europäischen Union einerseits und den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten andererseits dar.66 Allerdings kommt dem Subsidiaritätsprinzip aufgrund des dem Recht der Europäischen Union zugrunde liegenden Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung67 nicht die Bedeutung einer Kompetenzverteilungs- sondern einer Kompetenzausübungsmaxime zu.68 Zur Auslegung der Frage, wann Maßnahmen von Seiten der Gemeinschaft getroffen werden dürfen, hat der Europäische Rat in Protokoll Nr. 30 zum Vertrag von Amsterdam einige Leitlinien vorgegeben.69 Im Sinne dieser Leitlinien ist eine Kompetenz der Gemeinschaft anzunehmen und damit gleichsam ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip bei Tätigwerden der Gemeinschaft abzulehnen, wenn der betroffene Bereich transnationalen Charakter aufweist, wenn alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen gegen die Anforderungen des Vertrages verstoßen oder auf sonstige Weise die Interessen der Mitgliedstaaten beeinträchtigen würden und wenn Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen. 63 BVerfGE 89, 155 (211); Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 32; in diesem Sinne auch v. Simson/Schwarze, in: Benda/Maihofer/Vogel, HbVerfR, § 4, Rdnr. 101. 64 BVerfGE 89, 155 (210). 65 Vgl. Art. 5 Abs. 2 EG. Zur Voraussetzung der „ausschließlichen Zuständigkeit“ vgl. Everling, in: FS Stern, S. 1227, 1236; Möschel, in: NJW 1993, S. 3025, 3026. Inwieweit auch die regionale Ebene als vom Subsidiaritätsprinzip geschützt anzusehen ist, ist umstritten; ablehnend insofern Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 71; befürwortend Calliess, in: AöR 121 (1996), S. 509, 530 ff. 66 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 69. 67 Vgl. zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Oppermann, § 6, Rdnr. 62; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnrn. 166 ff. 68 Klein/Haratsch, in: DÖV 1993, S. 785, 790; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 69; ders., in: FS Helmrich, S. 411, 423; Scherer, in: DVBl. 1993, S. 281, 283; Pieper, DVBl. 1993, S. 705, 707; Pernice, in: DVBl. 1993, S. 909, 915; Everling, in: FS Stern, S. 1227, 1231; Zuleeg (2004), S. 78. 69 Vgl. Ziff. 5 des durch den Amsterdamer Vertrag dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft beigefügten Protokolls Nr. 30 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (1997).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Bei der Beurteilung der Frage nach dem Bestehen einer Kompetenz ist den Organen der Europäischen Union grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative eingeräumt. Der Subsidiaritätsgrundsatz verpflichtet die Organe jedoch zumindest in der Begründung eines Rechtsaktes objektiv nachvollziehbar auszuführen, wieso ein Tätigwerden auf europäischer Ebene erforderlich ist.70 Von Bedeutung ist die Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität nicht nur hinsichtlich der Frage, ob die Union sich überhaupt mit gewissen Fragen befassen soll, sondern auch im Hinblick auf den Inhalt von Rechtsakten. So verpflichtet das Subsidiaritätsprinzip die Europäische Union, Rechtsangleichungen in der Form vorzunehmen, dass nationale und regionale Unterschiede möglichst weitgehend berücksichtigen werden.71 Dies hat beispielsweise für den Bereich des Gemeinschaftsrechts zur Folge, dass das Instrumentarium der Richtlinie dem der Verordnung vorzuziehen ist, wenn sich ein Regelungszweck auch mittels einer Richtlinie erreichen lässt, die den Mitgliedstaaten ein höheres Maß an Regelungsspielraum belässt.72 Auch wenn dem Subsidiaritätsprinzip insbesondere von den Verfechtern eines lediglich intergouvernementalen Charakters des Rechts der zweiten und dritten Säule in diesem Bereich häufig mit dem Argument nur eine beschränkte Anwendbarkeit zugestanden wird, dass das Subsidiaritätsprinzip eine Legitimation für das Handeln der Gemeinschaft und nicht für das Handeln der Mitgliedstaaten verlange73, so ist doch zu betonen, dass das Prinzip sich nicht nur auf den Bereich der Rechtsetzung im Bereich der Europäischen Gemeinschaft bezieht. Es versteht sich als Strukturprinzip der gesamten Europäischen Union74 und bezieht sich damit auch auf die Rechtsetzung im Bereich der gesamten Europäischen Union und folglich auch auf den Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit.75 Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass es nicht nur Aufnahme in den EG-Vertrag gefunden hat, sondern in Art. 2 Abs. 2 EU ebenso ins unionsrechtliche Primärrecht und darüber hinaus sogar grundlegend in die Präambel des Unionsvertrages. Aufgrund er fehlenden klaren Über/Unterordnung zweier abgrenzbarer Kompetenzebenen im Unionsrecht der zweiten und dritten Säule kann in dem Subsidiaritätsprinzip in diesem Bereich allerdings weniger eine Kompetenzausübungsschranke als eine Verpflichtung zur Achtung der na70 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 28; Classen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 46; Pieper, in: DVBl. 1993, S. 705, 711; Scholz, in: FS Helmrich, S. 411, 423. 71 Classen, in: ZRP 1993, S. 57, 58; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 75. 72 Vgl. diesbezüglich die auf dem Europäischen Rat von Edinburgh am 11./12. Dezember 1992 beschlossenen Leitlinien, S. D 10. 73 Vgl. u. a. Jarass, in: EuGRZ 2994, S. 209, 213. 74 Gutknecht, in: FS Schambeck, S. 921, 928. 75 Unger, S. 85.

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

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tionalen Identitäten der Mitgliedstaaten entsprechend der Vorgabe des Art. 6 Abs. 3 EU gesehen werden.76 Für den Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit kommt diese Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass in Art. 29 Abs. 2 Spstr. 3 EU darauf hingewiesen wird, dass eine Annäherung der strafrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten nur erfolgt, soweit dies „erforderlich“ ist.77 Vor dem Hintergrund dieser Maßgaben stellt die Pflicht zur Wahrung der Subsidiarität nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG für die deutschen Staatsorgane auch im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit zweierlei Anforderungen dar: Zum einen dürfen Hoheitsrechte nur dann übertragen werden, wenn eine Aufgabe die Leistungsfähigkeit der nationalen Ebene übersteigt und sinn- und wirkungsvoll nur auf europäischer Ebene zu bewältigen ist. Zum anderen haben deutsche Staatsorgane bei ihrer Mitwirkung an Entscheidungen der Europäischen Union auf die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes hinzuwirken, was vor allem bedeutet, dass subsidiaritätswidrige Kompetenzbegründungen oder Kompetenzannahmen durch die Europäische Union auf der Ebene der zuständigen Gremien der Union, namentlich im Ministerrat, zu verhindern sind.78 6. Pflicht zur Gewährleistung eines dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes Mit der letzten der in Art. 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG normierten Bedingungen, der zufolge die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union nur mitwirken darf, wenn diese einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet, wird das Spannungsverhältnis besonders deutlich, dass besteht, wenn bei der Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union den Besonderheiten der Konstruktion der Union als Gebilde Rechnung getragen werden muss und gleichzeitig die Grundstruktur des Grundgesetzes und damit auch der Grundrechtsteil in seiner Identität betroffen ist. 76 Hecker, § 11, Rdnr. 6; Satzger, in: Tiedemann (2002), S. 71, 83 f.; Rohlff, S. 21. Siehe auch allgemein zur Verpflichtung der Europäischen Union, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten Hilf, in: GS Grabitz, S. 157, 165 ff.; Bleckmann, Europarecht, § 2, Rdnr. 79 ff.; Vitzthum, in: EuR 37 (2002), S. 1, 3 ff. 77 Hecker, § 11, Rdnr. 6. 78 Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 13; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 77; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 32; Calliess, in: AöR 121 (1996), S. 509, 535 ff.; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 71; Kinkel, in: FS Stern, S. 1287, 1297; siehe auch das abweichende Votum von Richter Broß zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes, BVerfGE 113, 273 (319, 320).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Als Grundlage für den letzten Abschnitt von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG diente die so genannte Solange II-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1986 und die im Rahmen dieser Entscheidung getroffenen Ausführungen zum Grundrechtsschutz bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft.79 In seinem Solange II-Beschluss vollzog das Verfassungsgericht ein Abkehr vom Solange I-Beschluss, in dem es im Jahre 1974 den Grundrechtsteil des Grundgesetzes noch als unaufgebbares Essential des Grundgesetzes hervorgehoben und einen adäquaten Grundrechtsstandard auf europäischer Ebene verneint hatte80. Es betonte im Solange II-Beschluss, dass trotz des Fehlens eines geschriebenen Grundrechtskatalogs in der Europäischen Gemeinschaft ein durch den Europäischen Gerichtshof auf der Basis der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und in Anlehnung an die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention81 entwickelter Grundrechtsschutz den Anforderungen des grundgesetzlichen Maßstabes dann genüge, wenn dieser gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft mindestens den Schutz der im Grundgesetz verankerten Grundrechte in dem durch Art. 19 Abs. 2 GG markierten Wesensgehalt garantiere.82 Das Bundesverfassungsgericht hatte dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei der Neugestaltung von Art. 23 GG im Jahre 1992 damit vorgegeben, dass 79

Vgl. den Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks. 12/6000, S. 21; vgl. auch BVerfGE 102, 147 (163); Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 61; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 763; Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 524; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 14; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 72; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 36; Uhrig, S. 121. 80 BVerfGE 37, 271 (280). 81 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 04.11.1950, BGBl. 1952 II, S. 685, 953, Neubekanntmachung i. d. F. des Protokoll Nr. 11 in BGBl. 2002 II, S. 1054. 82 BVerfGE 73, 339 (378, 387); vgl. zur Fruchtbarmachung des Gedankens des Wesensgehaltes im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 49 und Schorkopf (2007), 150 f. Als Ausgangspunkt zur grundsätzlichen Anerkennung eines mit dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht kann heute das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Nold angesehen werden, in dem dieser sich in seinen Urteilsgründen erstmals auf die Grundrechte in den Verfassungen der Mitgliedstaaten bezog, siehe insoweit EuGH, Urt. v. 14.05.1973, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491, 507 – Nold. Seit ihrer Verabschiedung am 18.12.2000 nehmen vor allem die Generalanwälte beim EuGH und das EuG in der Grundrechtsrechtsprechung auch Bezug auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2000 Nr. C 364, S. 1; vgl. insoweit die aufgeführten Beispiele bei Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, nach Art. 6 EUV, Rdnr. 25. Anm.: Eine neue Fassung der Charta wurde am 12.12.2007 im Zuge der Verabschiedung des Vertrages von Lissabon proklamiert.

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

141

der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union eigenen dogmatischen Strukturen folgen könne und keineswegs die Verpflichtung bestünde, dass der europäische Grundrechtsstandard identisch mit dem Niveau des Grundrechtsschutzes auf nationaler Ebene sein müsse.83 Für die Interpretation der an den Solange II-Beschluss in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG angelehnte Forderung nach einem dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz bedeutet dies, dass weder Details in der Ausformung von Schutzbereich, Eingriff und Schranken durch den Europäischen Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht übereinstimmen müssen, noch haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof im Einzelfall zu den gleichen Ergebnissen zu kommen.84 Voraussetzung ist lediglich, dass die wesentlichen Grundlinien des Grundrechtsschutzes zwischen beiden Gerichten parallel verlaufen und der notwendige Kern des Schutzgehaltes der Freiheits- und Gleichheitsrechte im Sinne eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens gewahrt wird.85 Als Voraussetzung hierfür wird dementsprechend verlangt, dass jedenfalls die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Religions- und Berufsfreiheit, das Eigentum und die Einhaltung des Gleichheitssatzes gewährleistet sein muss.86 Neben der Pflicht zur Gewährleistung dieses unabdingbaren materiell-rechtlichen Schutzes stellt Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ferner in Anlehnung an den Solange II-Beschluss die Verpflichtung auf, dass Grundrechte auf europäischer Ebene auch prozessual durchsetzbar sein müssen.87 Dies gebietet nach der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in aller Regel einen Individualrechtsschutz durch unabhängige Gerichte. Diese müssen mit einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Prüfungs- und Entscheidungsmacht ausgerüstet sein. Ferner müssen tatsächliche und rechtliche Fragen auf der Grundlage eines gehörigen Verfahrens entschieden werden, in dem rechtliches Gehör, dem Streitgegenstand angemessene Angriffs- und Verteidigungsmittel und ein frei gewählter, kundiger Beistand ermöglicht wird und in dem die Verletzung eines Grundrechts gegebenenfalls sachgerecht und wirksam sanktioniert wird.88

83 BVerfGE 73, 339 (386); Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 61; Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 526 f.; Limbach, in: NJW 2001, S. 2913, 2917. 84 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 48; Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 531. 85 Limbach, in: NJW 2001, S. 2913, 2917; Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 533; Scholz, in: NJW 1992, S. 2593, 2598. 86 Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 531. 87 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 35; Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 534. 88 BVerfGE 73, 339 (376).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Den Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zugrunde liegenden europarechtsfreundlichen Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht in allen weiteren Entscheidungen seit der Einführung von Art. 23 Abs. 1 GG bestätigt. Insbesondere in seiner Maastricht-Entscheidung89 und in seiner Entscheidung zur Bananenmarktverordnung90, aber auch in seinen Beschlüssen in den Verfahren zur Rechtssache Alcan91 und zur Teilzeitarbeitrichtlinie 92 hat es ausdrücklich hervorhoben, dass ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht und die darauf fußende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht gefordert ist.93 Voraussetzung für die Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Anforderung eines dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ist daher, dass der gebotene Grundrechtsstandard nicht nur im Einzelfall, sondern generell nicht gewährleistet ist94, wodurch das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof ein Recht auf Irrtum im Einzelfall eingeräumt hat und sich selbst nicht in der Rolle einer Supperevisionsinstanz sieht.95 Deutlich erkennbar bestehen damit für die Annahme eines Grundrechtsverstoßes durch die europäischen Organe äußerst hohe Hürden.96 II. Prüfungsmaßstab Wie aufgezeigt werden durch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zahlreiche strukturelle Anforderungen an die Europäische Union selbst gestellt, deren grundsätzliches Vorliegen für die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union notwendige Voraussetzung ist.

89

BVerfGE 89, 155 (175). BVerfGE 102, 147 (161 ff.). 91 BVerfG, EuZW 2000, S. 445, 446. 92 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 93 Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 527; Nicolaysen/Nowak, in: NJW 2001, S. 1233, 1235; Frowein, in: Hartwig/Nolte/Oeter/Walter, S. 469, 475; Nettesheim, in: Jura 2001, S. 686, 690. 94 BVerfGE 89, 155 (175); 102, 147 (164); BVerfG, EuZW 2000, S. 445, 446; vgl. auch Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 13; Lecheler, in: JuS 2001, S. 120, 123; Kube, in: JuS 2001, S. 858, 861; Sander, in: DÖV 2000, S. 588, 590. 95 Kischel, in: Der Staat 39 (2000), S. 523, 528; Limbach, in: NJW 2001, S. 2913, 2917. Zur Frage des Verhältnisses des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof im Hinblick auf die Überprüfbarkeit europarechtlicher Sekundärrechtsakte vgl. die Ausführungen in Kapitel 7, B., II., 2. 96 Kritisch hierzu u. a. Nettesheim, in: NVwZ 2002, S. 932, 933 ff.; ders., in: Jura 2001, S. 686, 692; Schmid, in: NVwZ 2001, S. 249, 254; siehe auch Classen, in: JZ 2000, S. 1157, 1158, der von „faktisch irreale[n] Hürden“ ausgeht. 90

B. Strukturvorgaben für die Mitwirkung der BRD

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Gleichsam ist jedoch, wie im Rahmen der Darstellung der einzelnen Vorgaben bereits angedeutet, zu betonen, dass Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG mit seinen Strukturvorgaben nicht die Forderung nach einer Struktur der Europäischen Union aufstellt, die in ihrer Konzeption und Organisation der Struktur des Grundgesetzes exakt nachgebildet ist.97 Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine solche Forderung gegen die Grundentscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit verstieße.98 Erhöbe jeder Mitgliedstaat den Anspruch, seine eigene Verfassungsstruktur als alleinigen Maßstab als Struktur der Europäischen Union zu empfehlen, so würde dies die Möglichkeit des Zusammenwirkens auf europäischer Ebene äußerst einschränken.99 Da es bei der Verfolgung des Ziels eines vereinten Europas unmöglich ist, dass jeder der gegenwärtig 27 beteiligten Mitgliedstaaten sein individuelles verfassungsrechtliches Abbild auf die Europäische Union überträgt100, sind daher vielmehr die Verfassungsprinzipien aller Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung dieser Prinzipien auf der Ebene der Europäischen Union in wertender Rechtsvergleichung zu berücksichtigen.101 Die Struktur der Europäischen Union kann insofern nur das Ergebnis eines Kompromisses sein, der sich aus dem Reservoir der allgemeinen Verfassungsgrundsätze der Mitgliedstaaten speist, so dass auch die Bundesrepublik Deutschland bei der Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union Abweichungen von der grundgesetzlichen Ordnung notwendigerweise hinzunehmen hat.102 Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Europäischen Union im Übrigen gerade nicht um einen Staat, sondern um eine nichtstaatliche Organisation mit nur teilweise bestehenden staatlichen Ausprägungen handelt103, so dass es auch aus diesem Grunde verfehlt wäre, an die Union die für einen Staat geltenden Verfassungsgrundsätze als Maßstab anzulegen.104

97 Badura, in: FS Redeker, S. 111, 126; Ossenbühl, in: DVBl. 1993, S. 629, 633; Seiler, S. 269; Schmitt Glaeser, S. 75; Konow, in: DÖV 1996, S. 845, 847; noch in Bezug auf Art. 24 Abs. 1 GG als Übertragungsgrundlage vgl. Steinberger, in: FS Helmrich, S. 427, 434. 98 Siehe zur Integrationsoffenheit des Grundgesetzes die Ausführungen in Kapitel 4, A. 99 Everling, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 61, 61; Schorkopf (2007), 150 f. 100 In diesem Sinne Eibach, S. 87; Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 944; Schwarze, in: JZ 1993, S. 585, 592; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 763. 101 Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 945; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 421 f. 102 Schwarze, in: JZ 1999, S. 637, 640; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 175, Rdnr. 66; Scholz, in: NJW 1992, S. 2593, 2598. 103 Vgl. zu den fehlenden Merkmalen der Staatlichkeit der Europäischen Union die Ausführungen in Kapitel 5, B., I., 1. 104 Schmitt Glaeser, S. 75; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 20.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Vor diesem Hintergrund ist abschließend festzuhalten, dass die Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zwar verlangt, durch die Übertragung von Hoheitsrechten nur an einer Europäischen Union mitzuwirken, die den in ihr benannten Vorgaben entspricht. Von einer Verletzung der Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn der Kernbestand der Verfassungsprinzipien und Verfassungsinstitutionen im Rahmen der Verwirklichung eines vereinten Europas missachtet wird.105

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union Die Übertragung von Hoheitsrechten auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG findet ihre Grenze stets dort, wo der Transfer die Identität der geltenden Verfassung durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen antastet.106 Diese Grenze, die, wie ausgeführt, den äußersten Punkt der Aufweichung der in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG normierten Strukturvorgaben für die Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union durch die Bundesrepublik Deutschland darstellt107, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits vor der Einfügung von Art. 23 GG ins Grundgesetz im Jahre 1992 in seiner Solange II-Entscheidung gezogen. Die vom Bundesverfassungsgericht noch in Bezug auf Art. 24 Abs. 1 GG vorgegebene Grenze nahm der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Neufassung von Art. 23 GG auf, indem er mit S. 3 der Vorschrift veranlasste, dass Art. 79 Abs. 2 und 3 GG Anwendung finden bei der Begründung der Europäischen Union, bei Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen sowie bei vergleichbaren Regelungen, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden.108 Daraus ergibt sich, dass Hoheitsrechtsübertragungen, die einen der drei in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG normierten Fälle betreffen, zum einen nach Art. 79 Abs. 2 GG die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrates bedürfen und zum anderen die

105

Ossenbühl, in: DVBl. 1993, S. 629, 633. BVerfGE 73, 339 (375 f.); siehe auch vorher schon BVerfGE 37, 271 (279 f.); ähnlich BVerfGE 58, 1 (40). 107 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5, B., II. 108 Heyde, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 23, Rdnr. 61; Hölscheidt/Schotten, in: DÖV 1995, S. 187, 190. 106

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Art. 79 Abs. 3 GG verankerten absoluten Verfassungsschranken nicht berühren dürfen. Bevor im Folgenden die in Art. 79 Abs. 3 GG normierten materiellen Schranken für Hoheitsrechtsübertragungen näher beleuchtet werden sollen, stellt sich jedoch zunächst die Frage, welcher Anwendungsbereich Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG genau zukommt, da in Bezug auf die Auslegung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG Differenzen in der Literatur bestehen. I. Der Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG Schwierigkeiten im Hinblick auf die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ergeben sich aus dem Umstand, dass Uneinigkeit darüber besteht, ob Hoheitsrechtsübertragungen nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG in jedem einzelnen Fall auch als Rechtsakte zu begreifen sind, die unter die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V. m. Art. 79 Abs. 2 und 3 GG normierten Schranken fallen. Die Konsequenz dieses Verständnisses wäre, dass Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union generell nur noch mit Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat statthaft wären. Diese Auffassung wird – wenig überraschend – vom Bundesrat109, aber auch vielfach in der Literatur, mit dem Argument vertreten, dass für eine Differenzierung im Rahmen der Anwendung der Verfassungsbestandklausel kein Raum bestehe. Eine umfassende Anwendung des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union gebiete schon die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht der Ansicht sei, dass mit der Übertragung von Hoheitsrechten grundsätzlich eine materielle Verfassungsänderung einhergehe, weil jedenfalls in die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes eingegriffen werde.110 Außerdem bestünde weder im Wortlaut noch im Sinn und Zusammenhang des Art. 23 Abs. 1 GG ein hinreichender Anhaltspunkt für eine differenzierte Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Hoheitsrechstübertragungen.111 Schließlich könne der Gehalt der Vorschriften, die auf der Basis einer gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzbestimmung beschlossen werden, regelmäßig nicht vorhergesehen werden, so dass schon vor diesem Hintergrund von einem weiten Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auszugehen sei, wonach jede Kompetenzübertragung im Rahmen der 109

Vgl. BR-Drucks. 501/1/92, S. 1 f. Streinz, Rdnr. 237; Uhrig, S. 104 und Hillgruber, Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 23 unter Bezugnahme auf BVerfGE 58, 1 (36). 111 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 19; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 65; Geiger, in: JZ 1996, S. 1093, 1097; Enders, in: FS Böckenförde, S. 29, 37 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 47; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 423; Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 944; Uhrig, S. 103 f. 110

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Europäischen Union den Anforderungen von Art. 79 Abs. 2 und 3 GG unterliege.112 Einer solchen weitgehenden Auslegung und Anwendung der Schrankenbestimmungen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG wird in der Literatur mit dem Argument widersprochen, dass Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG mit seiner gesonderten Ermächtigung zur entsprechenden Übertragung von Hoheitsrechten überflüssig wäre, wenn es sich in jedem Fall auch um einen Rechtsakt mit verfassungsändernder Bedeutung im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG handeln würde.113 Die Tatbestände und damit die Anwendungsbereiche von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG stünden jedoch eindeutig nebeneinander, regelten also auch unterschiedliche Sachverhalte.114 Gegen eine zu weitgehende Anwendung der in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG normierten Schranken spräche insbesondere, dass Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG eine Abkehr von der bewusst weltoffenen Ausgestaltung des Art. 24 Abs. 1 GG darstelle und ein Übertragungsakt im Interesse der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes daher nur dann von der Zwei-Drittel-Mehrheit abhängig gemacht werden dürfe, wenn er über die Übertragung hinaus Verfassungsinhalte betreffe.115 Insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsalternative „vergleichbare Regelungen“ in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG, bei denen es sich um Regelungen mit vertragsverlängernder Bedeutung handelt, die zwar im Ansatz ihre Grundlage im Vertragswerk finden, aber nicht als bloße Vertragsausfüllung qualifiziert werden können116, solle nicht gleich und automatisch bei jeder Aktualisierung des Vertragswerkes das Erfordernis der ZweiDrittel-Mehrheit im Sinne des Art. 79 Abs. 2 GG bestehen. Vielmehr müsse über die Verfassungsrelevanz vergleichbarer Regelungen entscheiden, ob diese schon bei Erlass der maßgebenden Ermächtigungsgrundlage vorhersehbar gewesen seien oder noch nicht.117 Dabei dürfe das Vorliegen einer vergleichbaren Regelung allerdings nicht erst dann angenommen werden, wenn strukturelle Veränderungen vorgenommen werden sollen.118 Auch wenn den Vertretern, die eine umfassende Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG für Hoheitsrechtsübertragungen befürworten, zuzugeben ist, 112 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 19; Geiger, in: JZ 1996, S. 1093, 1097. 113 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 83. 114 Scholz, in: NVwZ 1993, S. 817, 821; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 21. 115 Scholz, in: NVwZ 1993, S. 817, 821 f. 116 Scholz, in: NVwZ 1993, S. 817, 822; ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 85. Scholz sieht insbesondere die so genannten Evolutivklauseln im EUund EG-Vertrag als Fälle „vergleichbarer Regelungen“ an, z. B. Art. 42 EU, Art. 190 Abs. 4 EG und Art. 209 EG. 117 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 85; ähnlich Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 88. 118 Lerche, in: FS Schambeck, S. 753, 760 f.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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dass eine klare und bestimmte Abgrenzung hinsichtlich der Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG lediglich auf Hoheitsrechtsübertragungen, die Verfassungsinhalte betreffen, Schwierigkeiten bereitet119, so kann nicht allein aus diesem Grund eine differenzierte Anwendung der Einfachheit halber durch eine pauschale Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ersetzt werden. Die Notwendigkeit für eine differenzierte Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ergibt sich zum einen aus der Bewertung der Vorschrift durch den Rechtsausschuss des Bundestages und aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu Art. 23 GG. So nahm der Rechtsausschuss des Bundestages im Hinblick auf die Verfassungsrelevanz von Hoheitsrechtsübertragung eine Differenzierung dergestalt vor, dass Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG „auch“ Hoheitsrechtsübertragungen von Verfassungsrelevanz erlaube.120 Dies impliziert bereits, dass nicht jede Hoheitsrechtsübertragung automatisch zu einer Verfassungsänderung führen muss. Der Rechtsausschuss machte darüber hinaus in dem gleichen Beschluss deutlich, dass Hoheitsrechtsübertragung nur dann von einer Zwei-DrittelMehrheit abhängig gemacht werden müssen, wenn man über vorhandene Ermächtigungen hinausgehe.121 In die gleiche Richtung wie die Auffassung des Bundestagsausschusses wies das Verständnis der Bundesregierung, die 1992 in ihrer Amtlichen Begründung zu Art. 23 GG ausführte, dass auch zukünftig Hoheitsrechtsübertragungen durch einfaches Gesetz möglich seien, wenn Änderungen des Unions-Vertrages zu ratifizieren seien, die von ihrem Gewicht her der Gründung der Europäischen Union nicht vergleichbar sind und insoweit nicht die Geschäftsgrundlage des Vertrages betreffen.122 Zum anderen ist zu bedenken, dass die umfassende Anwendung von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auch der Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts im Solange II-Beschluss auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 GG vor der Einführung von Art. 23 im Grundgesetz widerspräche. In diesem hatte das Gericht die Grenzen der Integration doch gerade auf einem mittleren Niveau angesiedelt und in der Sache eine Kategorie von „einfachen“ Hoheitsrechtsübertragungen123 geschaffen, für die es nicht die strengen Anforderungen von Art. 79 GG zugrunde legte.124 Vor dem Hintergrund, dass sich der verfassungsändernde Gesetzgeber wie eingangs dieses Abschnitts dargelegt bei der Neufassung von 119 Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 423; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 66; ders., in: Europarecht, Rdnr. 237. 120 Beschluss vom 29.10.1992, siehe BT-Drucks. 12/3896, S. 14. 121 BT-Drucks. 12/3896, S. 18. 122 BR-Drucks. 501/92, S. 15. 123 Vgl. hinsichtlich dieses Ausdrucks die Ausführungen von Enders, in: FS Böckenförde, S. 29, 35. 124 Vgl. insoweit BVerfGE 73, 339 (375 f.).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Art. 23 Abs. 1 GG eng an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 24 Abs. 1 GG orientiert hat und vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Integrationsoffenheit des Grundgesetzes kann dann jedoch auch für Hoheitsrechtsübertragungen auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG nichts Anderes gelten. Daher ist festzustellen, dass die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG verankerten Schranken des Art. 79 Abs. 2 und 3 GG nicht auf alle Fälle von Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Union Anwendung finden. Eine Anwendbarkeit der in Art. 79 Abs. 2 und 3 GG normierten Schranken scheidet damit aus bei vertragsausfüllenden oder vertragsimmanenten Hoheitsrechtsübertragungen, die nach dem bestehenden Vertragsrecht vorhersehbar, da bereits angelegt, waren. Sie sind hingegen einschlägig, wenn und soweit vom Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen verlagert, Rechte modifiziert oder Grundsätze der Verfassung berührt werden, wenn also der Integrationsakt eine gewisse Verfassungsintensität mit sich bringt.125 II. Die von der „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze Für alle Fälle, in denen Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG Anwendung findet, hat der Verweis auf Art. 79 Abs. 3 GG zur Folge, dass Hoheitsrechtsübertragungen keine Änderung des Grundgesetzes zur Folge haben dürfen, durch die die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden. Die im Folgenden vorgenommene Darstellung soll verdeutlichen, welche Bedeutung den einzelnen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätzen zukommt, wobei insbesondere von Interesse ist, welche in Art. 1 und 20 GG normierten elementaren Verfassungsgrundsätze unter die so genannte Ewigkeitsklausel fallen. 1. Schutz der bundesstaatlichen Ordnung Umfasst von der in Art. 79 Abs. 3 GG bestehenden Unabänderlichkeitsklausel ist zunächst der Schutz der bundesstaatlichen Ordnung. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Nennung der Unantastbarkeit der Gliederung des Bundes in Länder gemäß Art. 79 Abs. 3 Alt. 1 GG und der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung in Art. 79 Abs. 3 Alt. 2 GG. Darüber hinaus 125 Insoweit ist dem von Pernice vertretenen Ansatz zu folgen, vgl. Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 90; siehe auch Heyde, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 23, Rdnr. 58.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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wird der Schutz der Bundesstaatlichkeit durch den Verweis in Art. 79 Abs. 3 Alt. 3 GG auf das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Bundesstaatlichkeit garantiert. In formeller Hinsicht sieht Art. 79 Abs. 3 GG damit einen doppelten Schutz vor, was verfassungshistorisch in der Zusammenfassung und Harmonisierung des Entwurfs des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee begründet ist.126 Zwar ist umstritten, ob die Einzelverbürgungen in Art. 79 Abs. 3 Alt. 1 und 2 GG und der Schutz der Bundesstaatlichkeit über Art. 79 Abs. 3 Alt. 3 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG deckungsgleich sind127, was sich aufgrund der historischen Entwicklung mit formalistischen Argumenten auch gut bestreiten lässt128. Stellt man jedoch auf eine inhaltliche Betrachtungsweise ab, so ist es vorzugswürdig, die Verbürgungen in Art. 79 Abs. 3 Alt. 1 und 2 GG als Konkretisierungen des in Art. 20 Abs. 1 GG normierten Verfassungsgrundsatzes der Bundesstaatlichkeit anzusehen und ihnen keinen über Art. 20 Abs. 1 GG hinausgehenden Anwendungsbereich zuzusprechen.129 Dafür spricht insbesondere, dass die Gliederung des Bundes in Länder ein notwendiges Element der Garantie der Bundesstaatlichkeit in Art. 20 Abs. 1 GG darstellt und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes darüber hinaus ein integraler Bestandteil des Bundesstaatsmodells des Grundgesetzes ist.130 a) Gliederung des Bundes in Länder Geschützt vom Revisionsverbot ist zum einen die Existenz von Ländern überhaupt. Unzulässig ist es daher, die Länder als Gliedstaaten der Bundesrepublik 126 In Art. 79 GG ist durch den Parlamentarischen Rat eine Regelungskonzeption für das Verfahren der Verfassungsänderung in einer einzigen Vorschrift realisiert worden, welche ursprünglich d. h. in dem als Beratungsgrundlage dienenden Entwurf, der im Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee ausgearbeitet worden war, auf drei Bestimmungen verteilt war. Siehe Art. 106–108 HChE, abgedruckt in Teil C („Entwurf des Grundgesetzes“) des Berichts über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10.–23.08.1948, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 504 (603 f.). 127 Verneinend Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 29, Rdnrn. 56 ff.; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 47; Hesse, in: AöR 98 (1973), S. 1, 8; bejahend Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 119; Isensee, in: AöR 115 (1990), S. 248, 250 bezeichnet die Doppelung als Pleonasmus. 128 So Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 47, der darauf verweist, dass dem Parlamentarischen Rat ein redaktionelles Versehen wohl nicht unterstellt werden könne. Vgl. ferner Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 29, Rdnrn. 56 ff., der auf die unterschiedlichen Regelungstraditionen der drei Alternativen verweist und dem Bundesstaatsprinzip der 3. Alternative keine Revisionsfestigkeit zuspricht. 129 BVerfGE 34, 9 (20) stellt auf eine solche inhaltliche Betrachtungsweise ab. 130 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 119; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19, S. 645.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Deutschland abzuschaffen und einen Einheitsstaat zu bilden.131 Eine Bestandsgarantie für die einzelnen derzeit existierenden Länder enthält Art. 79 Abs. 3 GG nicht.132 Dies ergibt sich bereits aus den im Grundgesetz selbst vorgesehenen Möglichkeiten zur Neugliederung des Bundesgebietes bzw. zur Zusammenlegung einzelner Bundesländer.133 Die Länder dürfen nicht bloße territoriale Untergliederungen sein, sondern müssen selbst Staatsqualität im bundesstaatlichen Sinne besitzen.134 Dies setzt voraus, dass den Ländern ein gewisser Bestand an Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen sowie eigene Einnahmequellen zustehen.135 Insofern ist von Art. 79 Abs. 3 GG ein Mindestmaß an materieller Eigenständigkeit geschützt.136 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge muss ihnen ein Kern eigener Aufgaben als Hausgut unentziehbar verbleiben, der vor Aushöhlung zu schützen ist und jedenfalls die Organisationshoheit sowie die Garantie der verfassungsmäßigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat umfasst.137 b) Grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung Nach der 2. Alternative des Art. 79 Abs. 3 GG unterfällt die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung der Bundesstaatlichkeitsgarantie.138 Von den Verfassungsvätern als erforderlich angesehen wurde eine Vertretung der Länder in Bundesorganen, die die Gliederung des Gesamtvolkes in Länder angemessen zum Ausdruck bringt.139 Das Organ des Bundesrates selbst in seiner in den Art. 50 ff. GG auf Verfassungsebene umrissenen Gestalt ist dabei jedoch nicht vom verfassungsrechtlichen Revisionsverbot geschützt und kann durch andere Mitwirkungsorgane ersetzt werden.140 131 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 21; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 43. 132 BVerfGE 1, 14 (48); 5, 34 (38). 133 Siehe Art. 29 GG, Art. 118 GG, Art. 118a GG. 134 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19, S. 645; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 42; Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 29, Rdnr. 65. 135 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 48; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 31; Seiler, S. 270; Kewenig, in: JZ 1990, S. 458, 460 ff. 136 Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 213 f.; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 769; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rdnr. 12. 137 BVerfGE 34, 9 (19 f.); 87, 181 (196). 138 Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79, Rdnr. 35; v. Simson/Schwarze, S. 65. 139 Vgl. Carlo Schmid in seinem Bericht an das Plenum des Parlamentarischen Rates, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. IX: Plenum, 1996, 9. Sitzung vom 06.05.1949, S. 437 f. 140 Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79, Rdnr. 35; Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 29, Rdnr. 67; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 45; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 133; Dreier,

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Ferner zeigt der Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 Alt. 2 GG durch das Merkmal „grundsätzlich“, dass den Ländern weder eine ausnahmslose bzw. grundlegende Mitwirkung bei der Gesetzgebung des Bundes garantiert ist, noch dass ihnen ein bestimmter Umfang an Mitwirkungsrechten von Art. 79 Abs. 3 GG zugesichert ist.141 Zwar darf das prinzipielle Mitwirkungsrecht der Länder an der Gesetzgebung nicht völlig ausgehöhlt und jeder Relevanz beraubt werden142, allerdings schützt Art. 79 Abs. 3 GG beispielsweise nicht gegen eine Abschaffung der Kategorie der Zustimmungsgesetze.143 2. Schutz vor Verlust der Staatlichkeit Über den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Bestand der bundesstaatlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland hinaus stellt sich die Frage, inwieweit von Art. 79 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auch der Bestand der Staatlichkeit der Bundesrepublik selbst umfasst ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seinem Maastricht-Urteil mit dieser Frage nicht näher zu befassen, da es zu dem Ergebnis kam, dass der Bestand deutscher Staatlichkeit durch den Vertrag von Maastricht aufgrund des beim Deutschen Bundestag verbliebenen Einflusses nicht berührt worden war.144 Jedoch konnte allein die Tatsache, dass sich das Gericht mit der Frage der verbliebenen Souveränität beschäftigte, die Tendenz entnommen werden, dass es dahin tendierte, den Bestand der deutschen Staatlichkeit in den geschützten Bereich des Art. 79 Abs. 3 GG einzubeziehen. Diese Tendenz bestätigte es in seinem Urteil zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz, in dem es im Hinblick auf die Möglichkeit der Einschränkung des Auslieferungsverbots Deutscher ausführte, dass eine Entstaatlichung der vom Grundgesetz verfassten Rechtsordnung wegen der unantastbaren Grundsätze des Art. 20 GG der Dispositionsfreiheit des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen wäre.145 In der Literatur hingegen wird von vielen Stimmen bestritten, dass Art. 79 Abs. 3 GG vor einer Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland schüt-

in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 24; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 219; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 32. 141 Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 46; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 25; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 9; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 133; Kirchner/Haas, in: JZ 1993, S. 760, 770; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 72 f. 142 v. Simson/Schwarze, S. 66. 143 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 29, Rdnr. 67; Hain, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 134; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 218. 144 BVerfGE 89, 155 (190). 145 BVerfGE 113, 273 (298).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

ze.146 Begründet wird diese Auffassung insbesondere damit, dass die Präambel des Grundgesetzes von Deutschland als einem „Glied in einem vereinten Europa“ spreche.147 Ein Festhalten am Dogma souveräner Nationalstaatlichkeit stünde insofern im Widerspruch zur charakteristischen Besonderheit der fortschreitenden Integration.148 Ein anderer Begründungsansatz stellt darauf ab, dass Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich anstatt einer weitestgehenden souveränen deutschen Staatlichkeit nur ein Gemeinwesen im Interesse der Bürger sichere, das unproblematisch auch Teil eines größeren Gemeinwesens sein könne.149 Vertreten wird sogar, das Begriffsmoment der Staatlichkeit in Art. 20 Abs. 1 GG beinhalte gar keine eigene verfassungsrechtliche Bedeutung, sondern schließe lediglich aus, die Bundesrepublik in anarchische Verhältnisse zu überführen.150 Dieser Auffassung wird jedoch mehrheitlich aus verschiedenen Gründen widersprochen.151 Der Bestand der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland werde von der Integrationsschranke des Art. 79 Abs. 3 umfasst, da die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich sei, die demokratische Selbstbestimmung des deutschen Volkes zu wahren und die staatliche Letztverantwortung nicht aus der Hand zu geben.152 Eine Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland würde die Stellung des deutschen Volkes als Subjekt des Staates im Kern berühren und damit dem Grundsatz der Volkssouveränität widersprechen.153 146 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnr. 23 und Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 29; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 83; Bryde, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 49a; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 23, Rdnr. 13; Pernice, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VIII, § 191, Rdnr. 62; ders., in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 92; Steinberger, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 25, 29; ders., in: FS Bernhardt, S. 1313, 1324; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 29. 147 Steinberger, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 25, 29; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 29; Pernice, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VIII, § 191, Rdnr. 62. 148 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 56. 149 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 29. 150 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 49a. 151 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 136; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 88; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR VII, § 183, Rdnrn. 57 ff.; Heyde, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 23, Rdnr. 64; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 817, 823; Uhrig, S. 134 f.; Isensee, in: FS Stern, S. 1239, 1249; Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 599; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 84; Götz, in: JZ 1993, S. 1081, 1082; Ossenbühl, in: DVBl. 1993, S. 629, 631 ff.; Murswiek, in: Der Staat 32 (1993), S. 161, 162 ff.; Penski, in: ZRP 1994, S. 192, 194; Di Fabio, in: Der Staat 32 (1993), S. 191, 206; Everling, in: DVBl. 1993, S. 936, 943; Lerche, in: FS Redeker, S. 131, 134; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 23, Rdnr. 27; Haack, S. 396 ff.; v. Simson/Schwarze, S. 68; Tiedtke, S. 105 ff. 152 Breuer, in: NVwZ 1994, S. 817, 823. 153 Penski, in: ZRP 1994, S. 192, 194; Di Fabio, in: Der Staat 32 (1993), S. 191, 206; Kaufmann, S. 416.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Die mit der Verwendung des Begriffs „Bundesstaat“ in Art. 20 Abs. 1 GG gegebene Bezugnahme auf ein Bundesstaatsmodell impliziere ferner die Vorstellung von der völkerrechtlichen Souveränität des Bundes. Dies bedeute normativ, dass es den deutschen Staatsorganen, und zwar auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber, verboten sei, die Voraussetzungen der völkerrechtlichen Anerkennung der Souveränität des Bundes aufzugeben, solange das Grundgesetz gilt.154 Als vorzugswürdig ist die Auffassung anzusehen, dass der Bestand der deutschen Staatlichkeit vom Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG mit umfasst ist. Zwar ist der gegenteiligen Auffassung zuzugeben, dass das Grundgesetz insbesondere durch die Präambel und durch Art. 23 Abs. 1 GG die Integrationsoffenheit der Bundesrepublik Deutschland an zentralen Stellen hervorhebt. Jedoch wird gerade durch den Verweis in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG über Art. 79 Abs. 3 GG auf Art. 20 Abs. 1 GG deutlich, dass sich auch die Integrationsoffenheit trotz ihrer exponierten Stellung im grundgesetzlichen Gefüge unter die unantastbaren Verfassungsgrundsätze unterzuordnen hat.155 Auch ist zu bedenken, dass die Präambel des Grundgesetzes nicht von einem Aufgehen der Bundesrepublik Deutschland in Europa spricht, sondern lediglich davon, dass das deutsche Volk als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa mitwirken wolle. Darüber hinaus wird auch daraus, dass Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG nur die Übertragung von Hoheitsrechten nicht aber der gesamten Hoheitsgewalt auf die Europäische Union erlaubt, deutlich, dass der Bestand der deutschen Staatlichkeit von Art. 79 Abs. 3 GG geschützt sein muss. Vor diesem Hintergrund ist einer bewusst lediglich am argumentativen Zweck ausgerichteten extensiven Auslegung des Grundsatzes der Integrationsoffenheit entgegenzutreten und festzuhalten, dass die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland selbst im Hinblick auf eine vom Grundgesetz gewollte fortschreitende europäische Integration durch die Verankerung der Bundesstaatlichkeit in Art. 79 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützt ist und neben den beschriebenen Merkmalen der innerstaatlichen bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes nicht disponibel ist.

154 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 136; Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 599; Uhrig, S. 134 f. 155 In diesem Sinne auch Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 21, Rdnr. 52; Werner, S. 193.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

3. Schutz der elementaren in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze Die so genannte Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG umschließt neben dem Bestand der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zum einen und der bundesstaatlichen Ordnung zum anderen die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze und erklärt diese damit für unabänderlich. Erfasst ist damit – dies wird durch die Abstellung in Art. 79 Abs. 3 GG auf die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten „Grundsätze“ deutlich – der normative Gehalt der dort verankerten Vorschriften und nicht jegliche Konkretisierung, die die in Art. 1 und 20 GG enthaltenen Rechtsnormen erfahren haben.156 Fraglich ist, welche Grundsätze im Einzelnen unter die Unantastbarkeitsklausel fallen. a) Menschenwürdeschutz Zunächst ist durch den Verweis auf Art. 1 GG der Menschenwürdeschutz unantastbar. Die Einbeziehung von Art. 1 GG in die Sperrklausel entspricht der Bedeutung, die das Grundgesetz dem Schutz der Menschenwürde und dem Bekenntnis zu den Menschenrechten zuerkennt. Die exponierte Bedeutung des Menschenwürdeschutzes wird zum einen durch den Standort dieses Grundrechts an der Spitze des Grundrechtskatalogs offenbar157 und zum anderen durch den in Art. 1 Abs. 1 und 2 GG verwendeten Wortlaut, der die herausragende Stellung durch die Adjektive „unantastbar“, „unverletzlich“ und „unveräußerlich“ verdeutlicht. Die Garantie der Menschenwürde bildet damit die entscheidende leitgedankliche Grundlage für die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland.158 Als problematisch stellt sich allerdings insbesondere vor dem Hintergrund des Schutzes des nur Grundsätzlichen in Art. 79 Abs. 3 GG die Bestimmung der Reichweite des Menschenwürdeschutzes aus Art. 1 GG dar. Denn auch wenn der Verweis in Art. 79 Abs. 3 GG auf alle drei Absätze des Art. 1 GG als Beleg dafür angesehen werden könnte, dass sämtliche einzelne Grundrechtsverbürgungen in den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG einzubeziehen sein könnten159, widerspräche dies offensichtlich dem Willen des verfassunggeben156 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 26; Ipsen, Staatsrecht I, § 20, Rdnr. 1037; Stern, Staatsrecht I, § 5, S. 173; ders., in: Staatsrecht III/2, § 89, S. 1115; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 10; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 161. 157 Vgl. zur Stellung des Art. 1 GG u. a. BVerfGE 5, 85 (204); 6, 32 (41); 7, 198 (205); 12, 45 (53); 24, 119 (144); 27, 1 (6); 30, 173 (193); 32, 98 (108); 35, 202 (225); 37, 57 (65); 39, 1 (43); 47; 46 (73 f.); 49, 286 (297 ff.). 158 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 59; v. Simson/Schwarze, S. 67. 159 Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die nachfolgenden Grundrechte die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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den Gesetzgebers, der Art. 79 Abs. 3 GG dergestalt formulierte, dass die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze und nicht die in Art. 1 bis 20 GG niedergelegten Grundsätze unantastbar sein sollen.160 Umfasst von dem in Art. 79 Abs. 3 GG enthaltenen Verweis auf Art. 1 GG können daher zunächst einmal nur die Grundrechte sein, die notwendiger Bestandteil der Menschenwürde sind.161 Fraglich ist jedoch, was als notwendiger Bestandteil des Menschenwürdegehaltes anzusehen ist. Teilweise wurde und wird versucht, den Menschenwürdegehalt mit dem Wesensgehalt im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG gleichzusetzen.162 Dem steht allerdings entgegen, dass die Verfassung auch Grundrechte gewähren kann, die von der Menschenwürde nicht geboten sind, die aber auch einen Wesensgehalt haben.163 So dürfte der Wesensgehalt des in Art. 14 GG gewährleisteten Eigentumsschutzes über seinen Menschenwürdegehalt hinausreichen. Die Antastung des Wesensgehaltes eines Grundrechtes kann daher nicht mehr als ein Indiz für die Verletzung des Menschenwürdegehaltes sein.164 Auch ist zu beachten, dass Art. 19 Abs. 2 GG ausweislich des Wortlautes von Art. 79 Abs. 3 GG gerade nicht im Rahmen der Verweise auf unantastbare Grundsätze aufgenommen worden ist.165 Teilweise wird heute auch versucht, die Klassifikationsschwierigkeiten dadurch zu überwinden, dass darauf abgestellt wird, dass Grundrechte in den Fällen Konkretisierungen des Menschenwürdegehaltes darstellen und insofern einer Einschränkung entzogen sind, in denen sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind.166 Im Rahmen dieses Definitionsversuchs hat das Bundesverfassungsgericht den Anwendungsbereich mit der Bezeichnung „grundlegende Gerechtigkeitspostulate“ umschrieben, worunter der Grundsatz der Rechtsgleichheit und das Willkürverbot fallen sollen.167 Auch bezüglich dieses Definitionsansatzes stellt sich jedoch letztlich die Frage, was unter einer Art. 1 Abs. 1 und 2 GG

160 Stern, Staatsrecht III/2, § 89, S. 1072 m.w. N.; Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 39; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 163, 172; Ipsen, Staatsrecht I, § 20, Rdnr. 1043. 161 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 36; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 10; BVerfGE 84, 90 (121); 94, 49 (103); Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnrn. 50 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 10. 162 Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 42; Maurer, § 22, Rdnr. 19. 163 Dreier, ders., in: Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 28. 164 Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 174. 165 Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79, Rdnr. 41. 166 BVerfGE 84, 90 (121); 94, 49 (103); Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 173; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 36. 167 BVerfGE 1, 208 (233); 23, 98 (106 f.); 84, 90 (121).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

entsprechenden Ordnung bzw. unter einem grundlegenden Gerechtigkeitspostulat abstrakt zu verstehen ist, da auch diese beiden Umschreibungen ausfüllungsbedürftig sind. Vorzugswürdig gegenüber dem Versuch einer mit einer positiven Begriffsbestimmung verbundenen allgemeingültigen Herangehensweise erscheint daher vielmehr, die Betrachtung des Menschenwürdegehaltes und damit einhergehend des Bestandsschutzes grundsätzlich erst im konkreten Einzelfall vorzunehmen.168 Dabei ist es im Rahmen einer solchen Einzelfallbetrachtung wenn auch nicht allein richtungweisend so doch hilfreich, sich an der Fragestellung zu orientieren, ob der Betroffene einer staatlichen Maßnahme durch diese unzulässigerweise zu einem bloßen Objekt staatlicher Handlung degradiert worden ist und ob damit seine Subjektqualität missachtet worden ist.169 Die notwendige Einzelfallbetrachtung zur Bestimmung des Menschenwürdegehalts wird dadurch erleichtert, dass das Bundesverfassungsgericht einzelne Grundrechte als Auskoppelung des Menschenwürdesatzes ansieht und dadurch Leitlinien aufgestellt hat, auf die bei der Bewertung des Einzelfalles zurückgegriffen werden kann. So hat dem Bundesverfassungsgericht zufolge jedenfalls der Schutz gegen rechtswidrigen Zwang, wie er sich in den Justizgrundrechten Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 103 GG und Art. 104 GG findet, eine zentrale Bedeutung für die Subjektqualität des Bürgers. Betroffen ist der Menschenwürdekern regelmäßig durch das Recht des Strafverfahrens und -vollzugs170, so dass im Rahmen von diesem grundsätzlich das Recht zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht vom Menschenwürdegehalt umfasst ist.171 Als vom Menschenwürdeschutz umfasst anzusehen sind darüber hinaus jedenfalls die dem Schutz der Intimsphäre zuzurechnenden Grundrechte Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 GG, Art. 4 GG, Art. 10 GG, Art. 13 GG.172 Als maßgeb168 BVerfGE 30, 1 (25); Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 67; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1, Rdnr. 22; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 79, Rdnr. 49. 169 Bei der Prüfung einer Verobjektivierung des Menschen handelt es sich um eine von Dürig, in: AöR 81 (1956), S. 117, 127 geprägte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich verfolgte Herangehensweise, siehe BVerfGE 30, 1 (25 f.); 50, 166 (175); 57, 250 (275); 63, 332 (337); 69, 1 (34); 87, 209 (228); 96, 375 (399); 109, 133 (150); 109, 279 (312 f.); siehe auch Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 22, Rdnr. 10; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1, Rdnr. 15; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 1 I, Rdnr. 53; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1, Rdnr. 22; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 167. 170 BVerfGE 64, 261 (276 f., 280 ff.); 72, 105 (114 f.); 74, 102 (122); 109, 133 (150); 109, 279 (312 f.). 171 BVerfGE 7, 53 (57 f.); 9, 89 (95); 39, 156 (168); 46, 202 (210); 50, 280 (284); 63, 332 (337). 172 BVerfGE 65, 1 (41 ff.); 78, 77 (84); 84, 192 (194); 115, 320 (335).

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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liche jüngere Entscheidungen in diesem Bereich sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff173 und zur Online-Durchsuchung174 anzusehen, in denen das Gericht betont hat, dass der Staat einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren hat. Schließlich hat das Gericht auch dem Kern des Asylgrundrechts Menschenwürdegehalt zugesprochen, da dieses in untrennbarem Zusammenhang mit dem Schutz gegen Abschiebung und Folter stehe.175 Dabei hat es jedoch betont, dass der Schutz nicht ein eigenständiges Asylgrundrecht erfordere.176 Als grundsätzlich nicht vom Bereich des Menschenwürdeschutzes umfasst ist hingegen beispielsweise das in Art. 2 Abs. 1 GG normierte allgemeine Freiheitsrecht und der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG, da es dem verfassungsändernden Gesetzgeber freistehen muss, beispielsweise der verfassungsmäßigen Ordnung neue Beschränkungen hinzuzufügen oder neue verfassungskräftige Differenzierungen zu begründen.177 Andererseits wiederum sind besonders hervorgehobene Verbote willkürlicher Differenzierungen in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG weitgehend vom Menschenwürdegehalt als gedeckt anzusehen.178 Unschwer lässt sich aus alldem erkennen, dass sich der in Art. 79 Abs. 3 GG vorgenommene Verweis auf den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürdeschutz als Schrankenbestimmung für Verfassungsänderungen nur schwerlich abschließend bestimmen lässt, was zur Folge hat, dass sich die Bestimmung des Menschenwürdeschutzes stets mit geänderten Wertevorstellungen im gesellschaftlichen Wandel konfrontiert sieht und sich neuer Angriffe erwehren muss.179

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BVerfGE 109, 279 (313). BVerfG, Urt. v. 27.02.2008, 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07, abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen. 175 BVerfGE 54, 341 (357); 76, 143 (158); siehe zum Menschenwürdegehalt des Asylgrundrechts auch Rothkegel, in: ZRP 1992, S. 222, 223 ff. 176 BVerfGE 94, 49 (103). 177 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 36. 178 BVerfGE 84, 90 (121); 94, 12 (34); 95, 48 (62). 179 In diesem Sinne auch Hain, in: Der Staat 45 (2006), S. 189, 213; Stern, in: FS Scupin, S. 627, 641; vgl. beispielsweise zur Frage des Menschenwürdeschutzes in Bezug auf genetische Manipulation des Menschen Benda, in: Benda/Maihofer/Vogel, HbVerfR, § 6, Rdnrn. 39 ff. und Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 22, Rdnrn. 84 ff. Zur Frage des Menschenwürdeschutzes in Bezug auf die Stammzellenforschung siehe Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rdnrn. 99 ff.; und den liberalen Ansatz von Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rdnrn. 96 ff. Eine Vertiefung dieser Fragen ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. 174

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

b) Republik- und Demokratiegebot Durch den in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Verweis auf Art. 20 GG ergibt sich zunächst, dass neben der Garantie des Menschenwürdeschutzes die Strukturentscheidung für einen demokratischen Staat in der Form einer Republik von der Ewigkeitsgarantie umfasst ist. Mit der Festschreibung der republikanischen Staatsform in Art. 20 Abs. 1 GG durch den Staatsnamen Bundesrepublik Deutschland hat der Verfassunggeber zum einen die Rückkehr sowohl zur absolutistischen als auch zur konstitutionellen Monarchie ausgeschlossen und zum anderen jeder Form zeitlich unbegrenzter und vom Willen des Staatsvolkes unabhängiger Bestellung des Staatsoberhauptes eine Absage erteilt.180 Die Vorgabe der Herrschaftsform der Demokratie wird durch Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG dadurch konkretisiert, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen muss, und wird allgemein als der wichtigste und aussagekräftigste Grundsatz der Ewigkeitsgarantie angesehen.181 Weitere Konkretisierungen zu Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG, die zwar nicht selbst Bestandteil der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sind, aber dem abstrakten Demokratieprinzip Gestalt verleihen, finden sich in Art. 21 GG, der die verfassungsrechtliche Stellung von Parteien normiert und in Art. 38 GG, der die Wahlrechtsgrundsätze und die Rechtsstellung von Abgeordneten zum Gegenstand hat.182 Der unantastbare Grundsatz der Volkssouveränität verlangt, dass alles staatliche Handeln demokratisch legitimiert sein muss. Daraus folgt, dass die Ausübung in Deutschland wirkender Staatsgewalt durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf Entscheidungen des Volkes rückführbar sein muss und diesem insofern zurechenbar sein muss.183 Dies ist durch periodisch wiederkehrende Wahlen zu gewährleisten.184 180 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 17, S. 581; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 35; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 3; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 38; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 141; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 84; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 9 f.; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 179; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rdnr. 7. 181 Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 47; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 36; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 39; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 85. Siehe auch Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 75, der die enge Verknüpfung des demokratischen Prinzips mit dem Menschenwürdeschutz hervorhebt. 182 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 39; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rdnr. 1; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 40. 183 BVerfGE 89, 155 (184 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 II, Rdnr. 53; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 24, Rdnr. 3; Kirchner/Haas,

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Eine Festlegung im Einzelnen, wie der Vermittlungsprozess zwischen Bürgerwillen und Staatshandeln organisiert sein muss, erfolgt durch Art. 20 GG nicht, so dass Art. 79 Abs. 3 GG beispielsweise ein bestimmtes parlamentarisches Demokratieprinzip nicht für unantastbar erklärt.185 Insofern lässt sich der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Regierenden und Regierten grundsätzlich auf verschiedene Weise und nicht nur in einer bestimmten Form herstellen. Entscheidend ist, dass dadurch ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Minimum an Legitimationsniveau erreicht wird, das jede staatliche Entscheidung als Ausdruck einer effektiven Einwirkung des Volkes ausweist.186 Umstritten ist, wie der Volksbegriff in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auszulegen ist. Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Würdegarantie des Grundgesetzes alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die der durch die Verfassung konstituierten Staatsgewalt dauerhaft unterworfen sind, prinzipiell bezüglich der Herrschaft gleichermaßen zur Mitbestimmung berechtigt seien und mit Volk im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht nur diejenigen gemeint seien, die nach den konkreten Bestimmungen des Art. 116 GG und des Staatsangehörigkeitsrechts die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben.187 Als konsequente Folge dieses Verständnisses wird verneint, dass die deutsche Staatsangehörigkeit als Voraussetzung der demokratischen Legitimation staatlicher Hoheitsgewalt in Deutschland in den revisionsfesten Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 3 GG fällt.188 Dieses weite Verständnis vom Volksbegriff im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG widerspricht jedoch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das in seiner Entscheidung zum kommunalen Ausländerwahlrecht ausführte, dass die deutsche Staatsangehörigkeit die rechtliche Voraussetzung für die Begründung in: JZ 1993, S. 760, 764; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 83; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 180; Ohms, S. 48. 184 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 III, Rdnr. 38. 185 Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, HbVerfR, § 13, Rdnr. 37; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 II, Rdnr. 81 f.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 40; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 80. 186 BVerfGE 89, 155 (189); Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 84. 187 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 77; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 40 f.; Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HbStR III, § 46, Rdnrn. 7 ff. 188 Schmidt-Aßmann, in: AöR 116 (1991), S. 329, 351; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie), Rdnr. 94, Fn. 284; Art. 79 III, Rdnr. 43; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 90; beachtenswert auch Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HbStR III, § 46, Rdnrn. 7 ff., der eine Einführung des Ausländerwahlrechts auf Bundesebene sogar durch einfaches Gesetz für möglich hält.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

des Rechts sei, an der Staatsgewalt teilzunehmen.189 Zwar ist der Gegenmeinung zuzugeben, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung gleichsam deutlich machte, dass die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer nicht Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG unzulässigen Verfassungsänderung sei190, jedoch hat es seine Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 3 GG auf den kommunalen Bereich begrenzt. Einer Absage an die Revisionsfestigkeit der Staatsangehörigkeit als Legitimationsgrundlage ist maßgeblich entgegenzuhalten, dass das Prinzip der Volkssouveränität grundlegend auf der Zuordnung von Staatsvolk und Staatsgewalt beruht.191 Eine vollständige Aufgabe der Voraussetzung, dass die Staatsgewalt vom deutschen Staatsvolk legitimiert werden muss, würde konsequenterweise die Aufgabe der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Folge haben, die jedoch ihrerseits revisionsfest ist.192 Zu erkennen ist auch, dass das Prinzip der Volkssouveränität seine Wurzeln im Selbstbestimmungsrecht der Völker hat, für welches gerade die Abwehr von Fremdbestimmung kennzeichnend ist. Eine Fremdbestimmung ist aber dann anzunehmen, wenn Personen über die Staatsgewalt mitentscheiden oder sogar mehrheitlich oder allein die Staatsgewalt legitimieren, die völkerrechtlich nicht Zurechnungssubjekt des Staates sind und daher letztlich nicht die volle Mitverantwortung tragen.193 Es widerspricht folglich dem von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsatz der Staatlichkeit und dem mit dem Grundsatz der Volkssouveränität eng verbundenen Prinzip der Selbstbestimmung, das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit für die Legitimation von Staatsgewalt auf Bundes- oder Landesebene wie auf kommunaler Ebene zu trennen und nicht als vom unabänderbaren Verfassungsbestand des Grundgesetzes umfasst anzusehen.194

189 BVerfGE 83, 37 (50 f.); vgl. schon früher BVerfGE 37, 217 (239, 253); dem BVerfG folgend Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 184; Pieroth, in: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rdnr. 4; Kaufmann, S. 69. 190 BVerfGE 83, 37 (59). Diese Vorlage nahm der verfassungsändernde Gesetzgeber zusammen mit der Neufassung von Art. 23 GG auf, indem er mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG das kommunale Wahlrecht für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ins Grundgesetz aufnahm, vgl. hinsichtlich der Verfassungsänderung zur Einführung von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG die Ausführungen oben in Kapitel 4, A., II., Fn. 12. Auf die Einführung bezogene Beschwerden hat das BVerfG in seiner Maastricht-Entscheidung für unzulässig erklärt, vgl. BVerfGE 89, 155 (179 f.). 191 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 22, Rdnr. 73; Grawert, in: Isensee/ Kirchhof, HbStR II, § 16, Rdnr. 1. 192 Siehe insofern die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 2. 193 Siehe insoweit auch Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 2, Rdnr. 150; in diesem Sinne auch Isensee, Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 15, Rdnrn. 119 ff. Siehe auch Richter Broß in seinem abweichenden Votum zum Urteil des BVerfGE im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273 (319, 325).

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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c) Gebot der Sozialstaatlichkeit Neben den Strukturentscheidungen im Hinblick auf die Staats- und Herrschaftsform der Bundesrepublik Deutschland ist in Art. 20 Abs. 1 GG das Sozialstaatsprinzip verankert und damit nach ganz herrschender Meinung als weiterer Verfassungsgrundsatz von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasst.195 Eine Besonderheit des Sozialstaatsprinzips liegt im Vergleich zu den übrigen geschützten Verfassungsprinzipien darin, dass dieses Prinzip selbst keine konkreten Festsetzungen enthält. Es handelt sich vielmehr um ein dynamisches Prinzip, dessen Anforderungen sich aus den jeweiligen Lagen ergeben und dessen Ausgestaltung in erster Linie auf den Gesetzgeber angewiesen ist.196 Aus dem Sozialstaatsprinzip selbst kann daher beispielsweise weder ein Auftrag zu ständiger Wohlstandsmehrung noch eine Garantie des status quo als revisionsfest abgeleitet werden.197 Zu den unantastbaren Grundsätzen gehören vielmehr lediglich einerseits die Sicherung eines Mindestmaßes menschenwürdigen Daseins in Form eines Existenzminimums198 und andererseits die soziale Gerechtigkeit in Form der Chancengerechtigkeit.199 Als Grundsatz kann insofern festgehalten werden, dass dem verfassungsändernden Gesetzgeber durch Art. 79 Abs. 3 GG nur zweifelsfrei eklatante Verletzungen der Grundelemente der mitmenschlichen Solidarität, der Vor- und Fürsorge sowie des Schutzes sozial Schwacher versagt sind.200

194 Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 184; ähnlich wie hier Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 24, Rdnr. 28; Seibert, in: FS Mahrenholz, S. 657, 666 f. 195 BVerfGE 84, 90 (121, 126); Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 45; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 11; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 72; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 49. 196 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 46; Hain, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 74; Uhrig, S. 84 f.; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 201; Ohms, S. 46. 197 Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 269; Hain, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 74; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 46; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 96. 198 BVerfGE 40, 121 (133); Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 49; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 46; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 21, Rdnr. 92; Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 28, Rdnr. 32, 34; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 79, Rdnr. 61. 199 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VIII, Rdnr. 40. 200 Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 46; ähnlich Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 21, Rdnr. 92; von Grundelementen spricht auch das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 84, 90 (126).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

d) Zentrale Gebote der Rechtsstaatlichkeit Durch den Verweis in Art. 79 Abs. 3 GG auf Art. 1 und 20 GG sind schließlich die wesentlichen Elemente des Rechtsstaatsprinzips von der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes umfasst. Zwar findet sich eine ausdrückliche Erwähnung des Begriffs des Rechtsstaatsprinzips weder in Art. 1 GG noch in Art. 20 GG, sondern nur in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.201 Anerkanntermaßen sind aber in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG wesentliche Rechtsstaatsprinzipien normiert.202 Zu den grundlegenden in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG verankerten Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips gehören der in Art. 20 Abs. 3 Hs. 1 GG verankerte Grundsatz der Verfassungsstaatlichkeit, das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG niedergelegte Prinzip der Gewaltenteilung und die in Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG normierte Bindung der Exekutive und der Judikative an Gesetz und Recht.203 Fraglich ist, ob über diese ausdrücklich in Art. 20 GG genannten, die Rechtsstaatlichkeit prägenden Grundsätze hinaus das Rechtsstaatsprinzip auch als eigenständiges Verfassungsprinzip in Art. 20 GG verankert ist und ob damit über die drei genannten Grundsätze hinaus weitere Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips auch unter den Bestandsschutz des Art. 79 Abs. 3 GG fallen. Zu diesen zählen unbestritten der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, der Grundsatz der Rechtssicherheit mit dem Bestimmtheitsgebot, dem Gebot der Normenklarheit und dem grundsätzlichen Verbot der Rückwirkung von Rechtsvorschriften, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gebot eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.204 Auch wenn in der Literatur über die Existenz eines in Art. 20 GG verorteten eigenständigen Rechtsstaatsprinzips nach wie vor Uneinigkeit besteht205, ist ins201

Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 33. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 33; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 42; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 49. 203 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 21, Rdnr. 86; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 26, Rdnr. 90; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnrn. 49 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 42. 204 Vgl. die Besprechung der einzelnen Grundsätze bei Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnrn. 287 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rdnrn. 60 ff.; Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 77. 205 Verneinend Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 90; Kunig, in: Badura/Dreier, FS Bundesverfassungsgericht, Bd. II, S. 421, 426; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rdnr. 24; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 79, Rdnr. 62; Sobota, S. 435 ff.; bejahend Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 33; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/ Kirchhof, HbStR II, § 26, Rdnr. 7; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20, S. 780; SchulzeFielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 40; Lücke/Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 73. 202

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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besondere vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Art. 20 GG davon auszugehen, dass das Rechtsstaatsprinzip neben den elementaren Gewährleistungen in Art. 20 GG auch als eigenständiges Prinzip verankert ist.206 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in mittlerweile zahlreichen Entscheidungen deutlich gemacht, in denen es in seinem Urteilsgründen auf „das“ bzw. „das allgemeine“ Rechtsstaatsprinzip abgestellt und das Rechtsstaatsprinzip insofern grundsätzlich als eigenständiges Prinzip auf der Grundlage von Art. 20 GG anerkannt hat.207 Weitaus problematischer als die Frage, ob das Rechtsstaatsprinzip als eigenständiges Prinzip unter Art. 20 GG fällt, ist jedoch die Beantwortung der Frage, ob die einzelnen weiteren genannten Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips eben aufgrund seiner Verankerung in Art. 20 GG auch unter die Ewigkeitsgarantie fallen. Dies wird in der Literatur zumeist hinsichtlich der einzelnen Merkmale differenziert beantwortet.208 Bejaht wird vielfach ein Bestandsschutz für einen verfassungsfesten Kern der Grundsätze, zu dem jedenfalls nach verbreiteter Ansicht der Grundsatz der Justizgewährung bzw. die prinzipielle Kontrolle staatlichen Handelns gehöre, da diese für die Funktionsweise des Rechtsstaates unverzichtbar sei.209 Auch könnten der Grundsatz der Rechtsklarheit und -bestimmtheit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unantastbar sein, wenn die Grundsatzbedeutung dieser Prinzipien betroffen sei.210 Andere Stimmen in der Literatur hingegen halten die rechtsstaatlichen Gewährleistungen, die über die in Art. 20 GG ausdrücklich benannten Gewährleistungen hinausgehen, generell als nicht vom Bestandsschutz des Art. 79 Abs. 3 206 In der ursprünglichen Fassung des Art. 20 GG sollte der in Art. 20 Abs. 1 GG enthaltene Begriff des Rechtsstaates in Abs. 3 zur besseren Kennzeichnung der Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des Grundgesetzes konkretisiert werden. Der Begriff wurde aber später aus redaktionellen Gründen gestrichen. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Norm die Ausführungen von Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 33; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 19. 207 BVerfGE 35, 41 (47); 48, 210 (221); 50, 42 (47); 51, 356 (362); 56, 110 (128); 58, 81 (97); 69, 315 (369); 83, 24 (31). 208 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 26, Rdnr. 90; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 53; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, § 21, Rdnr. 86; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 34. 209 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnr. 321; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 11; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 47; Pieroth/Schlink, in: FS Mahrenholz, S. 669, 693; Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79, Rdnr. 40; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 78. 210 Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 78; jedenfalls den Kern der Rechtsklarheit und -bestimmtheit für unberührbar hält Ohms, S. 49; jedenfalls den Kern des Verhältnismäßigkeitsgebots für unberührbar hält Uhrig, S. 87; zur Unberührbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgebots und des Rückwirkungsverbots siehe auch Robbers, in: NJW 1989, S. 1325, 1326.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

GG umfasst.211 Zur Begründung wird dabei insbesondere darauf abgestellt, dass andernfalls die Gefahr bestünde, den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG in einer vom Verfassunggeber nicht gewollten Weise auszudehnen.212 Während das Bundesverfassungsgericht selbst in seiner so genannten AbhörEntscheidung noch deutlich gemacht hatte, dass die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich nur für die ausdrücklich in Art. 20 GG genannten Grundsätze gelte, nicht hingegen für einzelne positivrechtliche Ausprägungen wie das Verbot rückwirkender belastender Gesetze, das Gebot der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip möglichst lückenlosen Rechtsschutzes213, hat das Gericht die Garantie eines wirkungsvollen Rechtsschutzes aus der Gruppe der in Art. 20 GG nicht ausdrücklich verankerten Konkretisierungen insoweit hervorgehoben, als dass es betont hat, dass das Grundgesetz Rechtsschutz vor den Gerichten nicht nur gemäß Art. 19 Abs. 4 GG garantiere, sondern vielmehr ein allgemeiner Justizgewährungsanspruch ein besonderer Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten sei.214 Dieser Ansatz, grundsätzlich ausschließlich die drei ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG genannten elementaren Rechtsstaatsprinzipien als unberührbar anzusehen, diesen drei Garantien jedoch das Gebot des effektiven individuellen Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt flankierend an die Seite zu stellen, stellt in verfassungsdogmatischer Hinsicht eine tragfähige Lösung dar. Durch ihn wird der Bereich der Unabänderlichkeit des Art. 79 Abs. 3 GG nicht unbestimmt ausgedehnt, gleichzeitig jedoch werden die in Art. 20 GG fest geschriebenen Grundsätze um ein notwendiges Element zu dem Zweck ergänzt, die anderen drei Grundsätze nicht leer laufen zu lassen. Keinesfalls ist damit allerdings gesagt, dass der Rechtsschutzanspruch in einem bestimmten Gewährleistungsumfang im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gegen Verfassungsänderungen geschützt ist. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass Art. 79 Abs. 3 GG gerade nicht auf Art. 19 GG verweist. Als geschützt anzusehen ist infolgedessen lediglich der Grundbestand der verfahrensmäßigen Absicherung der in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG niedergeschriebenen materiellen Gewährleistungen.215 Weitergehenden Ansätzen, die neben dem Justizgewährungsanspruch beispielsweise auch die Grundsätze der Rechtsklarheit und der Verhältnismäßigkeit mit in den Kreis der unberührbaren Prinzipien einbeziehen wollen, ist hingegen vor dem Hintergrund eine Absage zu erteilen, dass Art. 79 Abs. 3 GG ausdrücklich nur eine Berührung der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grund211 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 90; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 91 f.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 42. 212 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 90. 213 BVerfGE 30, 1 (24 f.), 84, 90 (120 f.). 214 BVerfGE 88, 118 (123); 96, 27 (39 f.); 107, 395 (401). 215 Möllers, in: AöR 132 (2007), S. 493, 535; Sobota, S. 193.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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sätze als unzulässig ansieht und daher nur die Prinzipien schützen will, die die substanziellen Leitgedanken und Grundentscheidungen der Verfassung im Sinne der obersten identitätsstiftenden Werte darstellen.216 Diese Grundsätze können daher nur in dem äußerst begrenzten Anwendungsfall in den Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG fallen, in dem sich eine Verfassungsänderung mit solcher Intensität auf diese Prinzipien auswirkt, dass gleichsam die ausdrücklich in Art. 1 und 20 GG genannten Grundsätze betroffen sind.217 4. Zusammenfassender Überblick über die nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbaren Verfassungsgrundsätze Zusammenfassend lässt sich vor dem Hintergrund der vorangegangenen Erörterungen festhalten, dass folgende Verfassungsgrundsätze unter den durch Art. 79 Abs. 3 GG vermittelten Schutz der Unberührbarkeit fallen und damit gleichsam verfassungsändernden Hoheitsrechtsübertragungen grundsätzlich entzogen sind: Erstens darf die Übertragung von Hoheitsrechten den Fortbestand der staatlichen Ordnung nach innen wie nach außen nicht berühren. Dies bedeutet, dass neben dem Verbot der Aufhebung der bundesstaatlichen Ordnung das Verbot der Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland sowie die Festlegung auf eine republikanische Staatsform und eine demokratische Herrschaftsform mit dem Inhalt umfasst ist, dass in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Staatsgewalt durch deutsche Staatsangehörige zu legitimieren ist. Dem Unberührbarkeitsgebot des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegt zweitens der in Art. 1 GG verankerte Menschenwürdegehalt, in dessen Kern das Verbot staatlicher Willkür und das Gebot steht, die Subjektstellung des Einzelnen nicht zu missachten. Dieses findet in den genannten konkretisierenden Grundrechtsgewährleistungen seinen Ausdruck. Drittens fällt in der beschriebenen eingeschränkten Form das Gebot der Sozialstaatlichkeit unter den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG. Und viertens gehören zu den von der Verfassungsbestandsklausel geschützten Elementen die drei in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG fest geschriebenen Grundsätze des Rechtsstaates und das Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Demzufolge ist eine Berührung des in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG festgeschriebenen Grundsatzes der Gewaltenteilung untersagt, der im Sinne einer Dekonzentration staatlicher Machtbefugnisse ein tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes darstellt und als ein Ausfluss des Demokratieprinzips die Umset-

216 In diesem Sinne auch Hain, S. 87 ff.; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 43; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 203; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1, Rdnr. 5. 217 So auch Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 204.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

zung des Volkswillens gewährleistet.218 Untersagt sind damit ferner Verfassungsänderungen, die den Grundsatz der Verfassungsstaatlichkeit bzw. den Vorrang der Verfassung in Art. 20 Abs. 3 Hs. 1 GG berühren, der durch die Bindung des demokratischen Souveräns bei seiner politischen Gestaltung an das Recht der Verfassung den zentralen Gedanken des grundgesetzlichen Rechtsstaates normiert.219 Des Weiteren ist dadurch eine Verfassungsänderung untersagt, die den in Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG niedergelegten Grundsatz der Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz berührt. Dieser hebt die Gesetzesbindung im Range unterhalb des Grundgesetzes hervor220. Und zu guter Letzt ist vor diesem Hintergrund eine Verfassungsänderung untersagt, die die Bereitstellung eines nicht näher ausgestalteten Justizgewährungsanspruchs berühren würde, da dieser zur Durchsetzung materieller Rechtsverletzungen erforderlich ist. Alle weiteren genannten einzelnen Ausformungen des in Art. 20 GG verwurzelten allgemeinen Rechtsstaatsprinzips fallen hingegen nicht in den Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG, solange eine sie betreffende Verfassungsänderung nicht gleichsam auf die ausdrücklich genannten Grundsätze durchschlägt. Vom Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG nicht umfasst ist schließlich das in Art. 20 Abs. 4 GG normierte Widerstandsrecht, obwohl dieses in Art. 20 GG verortet ist. Denn anders als die anderen in Art. 20 GG festgeschriebenen Grundsätze ist dies erst 1968 nachträglich ins Grundgesetz eingefügt worden221 und damit bereits aus diesem Grund vom Grundgedanken des Art. 79 Abs. 3 GG nicht umfasst.222 III. Prüfungsmaßstab Art. 79 Abs. 3 GG besagt, dass eine Änderung der genannten Verfassungsgrundsätze unzulässig ist, wenn diese Grundsätze durch die Änderung „berührt“ werden. Es stellt sich nun die Frage, was unter einem Berühren der Grundsätze zu verstehen ist. 218 Vgl. anstatt vieler BVerfGE 3, 225 (247); 67, 100 (130); 95, 1 (15); siehe auch Winterhoff, S. 117; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 193; Möllers, in: AöR 132 (2007), S. 493, 535. 219 Starck, in: ders., Rangordnung der Gesetze, S. 29 ff.; in diesem Sinne auch Winterhoff, S. 110 f.; Unruh, S. 399 ff.; Wahl, in: Der Staat 20 (1981), S. 485, 499. 220 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VI, Rdnr. 35; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rdnr. 43. 221 Die Einfügung von Art. 20 Abs. 4 GG erfolgte durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24.06.1968, BGBl. 1968 I, S. 709. 222 Vgl. anstatt vieler Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 54; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 48; vgl. zur praktischen Relevanz des Widerstandsrechts Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 168, der von symbolischer Verfassunggebung spricht.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Das Bundesverfassungsgericht hat das Merkmal des Berührens regelmäßig in äußerst restriktiver Weise ausgelegt.223 Maßgeblich prägte das Gericht die Reichweite der Unabänderlichkeitsklausel in seiner so genannten Abhör-Entscheidung, in der es eine Parallele zwischen Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 2 GG zog und sich auf den Standpunkt stellte, dass ein Berühren der Grundsätze erst dann anzunehmen sei, wenn die von der Vorschrift umfassten Grundsätze derart in ihrem Wesensgehalt betroffen seien, dass sie prinzipiell preis gegeben würden.224 Es betonte, dass von einem Berühren hingegen nicht ausgegangen werden könnte, wenn den von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Grundsätzen im Allgemeinen Rechnung getragen werde und sie nur für eine Sonderlage entsprechend ihrer Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert würden. Diesem engen Auslegungsansatz des Anwendungsbereichs des Art. 79 Abs. 3 GG ist das Gericht im Grunde bis zum heutigen Tage gefolgt, auch wenn es in weiteren Entscheidungen bei der Bestimmung des Berührensmerkmals in Art. 79 Abs. 3 GG auf die Umschreibung verzichtete, dass ein Berühren der Grundsätze nur bei deren absoluter Preisgabe vorliege, und stattdessen lediglich darauf abstellte, dass die positivrechtlichen Ausprägungen der in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Grundsätze aus sachgerechten Gründen modifiziert werden könnten.225 In der Literatur hat die Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts erwartungsgemäß ein unterschiedliches Echo ausgelöst. Einige Stimmen sind der restriktiven Interpretation des Wortlautes von Art. 79 Abs. 3 GG insbesondere mit der Begründung gefolgt, dass es zu vermeiden gelte, eine normative Zementierung des konkreten verfassungsrechtlichen Zustandes durch eine extensive Interpretation herbeizuführen.226 Andere haben vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht in dem Zustimmungsakt zum Vertrag von Maastricht keinen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG angenommen hat,227 jedenfalls für die Fälle eine restriktive Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG befürwortet, in denen Verfassungsänderungen aufgrund von Hoheitsrechtsübertragung im Rahmen der Europäischen Integration zu bewerten sind. Vertreter dieses Ansatzes berufen sich darauf, dass eine Zusammenschau der Ewigkeitsklausel mit der Präambel und 223 BVerfGE 30, 1 (24); 84, 90 (121); 89, 155 (208); 94, 12 (34); 94, 49 (103); 109, 279 (310). 224 BVerfGE 30, 1 (24). 225 BVerfGE 84, 90 (121); 89, 155 (208); 94, 12 (34); 94, 49 (103); 109, 279 (310); eine Relativierung der im Abhör-Urteil aufgestellten Grundsätze erkennt hingegen Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 51. 226 Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 31; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 79, Rdnr. 39; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rdnr. 7; Rubel, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 79, Rdnr. 27. 227 BVerfGE 89, 155 (208 f.).

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

mit Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG eine Konkordanz im Sinne einer integrationsfreundlichen Interpretation erfordere und der Norm in diesen Fällen im Vergleich zu ihrer Anwendung im nationalen Kontext nur eine eingeschränkte Reichweite zubilligt werden könne, solange die Substanz der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Rechtsgüter nicht in Frage gestellt sei.228 Vielfach ist im Schrifttum hingegen ein restriktives Verständnis des durch Art. 79 Abs. 3 GG vermittelten Schutzumfanges entschieden abgelehnt worden.229 Anstelle des bloßen Verbots der prinzipiellen Preisgabe der unter Art. 79 Abs. 3 GG fallenden Schutzgüter sei aus verschiedenen Gründen zu einer eher extensiven Interpretation von Art. 79 Abs. 3 GG zu tendieren. Eine minimalistische Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG reduziere den Anwendungsbereich der Vorschrift unzulässigerweise auf ein Revolutionsverbot und schöpfe damit ihren normativen Gehalt nicht voll aus. Die Bestimmung solle aber den Verfassungskern dauerhaft schützen. Dieser Aufgabe könne sie nur gerecht werden, wenn sie auch dazu bestimmt sei, schon den Anfängen zu wehren. Das Verbot, die Grundsätze zu berühren, könne nur heißen, dass sie absolut gelten sollen und dass sie unverbrüchlich sein sollen. Unzulässig seien deshalb nicht nur Änderungen des Grundgesetzes, die eines der in Absatz 3 genannten Elemente vollständig beseitigten oder nachhaltig beeinträchtigten, sondern auch bereits weniger einschneidende Akte. Im Rahmen einer im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu besetzenden Position ist dem seit dem Abhör-Urteil vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Ansatz zunächst entgegenzuhalten, dass die Einräumung der Möglichkeit einer Modifizierung der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsätze aus sachgerechten Gründen das Tor für eine gewisse Beliebigkeit im Umgang mit den benannten Grundsätzen öffnet, da bereits die Beurteilung, ob eine Verfassungsänderung sachgerecht ist, subjektiven Bewertungsmaßstäben zugänglich ist. Bei einer verfassungshistorischen Betrachtung von Art. 79 Abs. 3 GG wird jedoch offenbar, dass die Vorschrift nach den Erfahrungen der Zeit der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus gerade einen festen Kern der Verfassung schaffen wollte, der der Motivationslage des verfassungsändernden 228 In diesem Sinne Steinberger, in: FS Bernhardt, S. 1313, 1324; Heyde, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 23, Rdnr. 63; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HbStR Bd. V, § 115, Rdnr. 69; Eibach, S. 87 f.; Zuleeg, in: Der Staat 17 (1978), S. 27, 30 f. 229 Unruh, S. 44; Schlink, in: Der Staat 12 (1973), S. 85 ff.; Dreier, in: JZ 1994, S. 741, 749 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 89, S. 1106 f.; ders., in: JuS 1985, S. 329, 332 ff.; Häberle, in: JZ 1971, S. 145, 149 f.; Erichsen, in: VerwArch 62 (1971), S. 291, 294 f.; Lücke/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 36; Zacharias, in: Thiel, S. 57, 68; Evers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, BK, Art. 79 Abs. 3 GG, Rdnr. 115, 150; siehe auch das Sondervotum zum Abhör-Urteil durch die Richter Geller, v. Schlabrendorff und Rupp BVerfGE 30, 1 (33, 41 ff.), die darauf hinweisen, dass der Verfassunggeber in Art. 79 Abs. 3 GG eine andere, substantiell engere Formulierung als in Art. 19 Abs. 2 GG gewählt habe.

C. Schranken für verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen

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Gesetzgebers entzogen ist.230 Vor diesem Hintergrund richtet sich Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich auch an den verfassungsloyalen verfassungsändernden Gesetzgeber und verbietet ihm gewisse Grundsätze anzutasten, selbst wenn eine Modifizierung sachgerecht erscheint.231 Andererseits erscheint die Annahme einer Verletzung des Art. 79 Abs. 3 GG schon bei geringen Änderungen eines der genannten Schutzgüter als unangemessen. Eine Öffnung zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten wäre ausgeschlossen, wenn jeder der an einer Zusammenarbeit beteiligten Staaten seine Verfassungsgrundsätze bis ins Detail als unverrückbar ansehen würde. Daher ist im Rahmen der Bestimmung der Reichweite der Unberührbarkeit der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsätze auch zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz sich an zahlreichen Stellen grundsätzlich integrationsoffen zeigt.232 Zu vergessen ist insoweit nicht, dass der Prozess der Verfassunggebung nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt ist durch die Abwendung vom nationalstaatlichen Denken und durch die Hinwendung zu inter- oder supranationalen Ordnungsstrukturen.233 Vor diesem Hintergrund ist in dem Spannungsverhältnis der Bewahrung der in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien und der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes ein angemessener Ausgleich zu finden234, der sich jedoch an folgendem grundlegenden Fundament ausrichten muss: Art. 79 Abs. 3 GG selbst stellt den obersten Auslegungsmaßstab für die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Verfassungsänderungen dar und ist infolgedessen als eine Art „qualifiziertes“ Verfassungsrecht anzusehen. Auf dieser Grundlage wäre es widersinnig wenn nicht gar unzulässig, die Bestimmung einer Auslegung durch so gesehen „einfache“ verfassungsrechtliche Bestimmungen zu unterwerfen. Insofern kann die an vielen Orten im Grundgesetz verankerte Integrationsoffenheit des Grundgesetzes kein Auslegungsmaßstab für die 230 Vgl. insofern den Allgemeinen Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rates, JöR 1 (1951), S. 586: „Diese Bestimmung (scil. Art. 79 Abs. 3 der Endfassung) soll zum Ausdruck bringen, dass dieses GG nicht die Hand bieten darf zu einer eigenen Totalbeseitigung oder -vernichtung, insbesondere dazu, dass ggf. eine revolutionäre antidemokratische Bewegung mit demokratischen Mitteln auf scheinbar legalem Wege die hier normierte demokratisch-rechtsstaatliche Grundordnung ins Gegenteil verkehrt. Eine revolutionäre Bewegung kann gegebenenfalls auch neues Recht schaffen, aber sie soll nicht imstande sein, eine ihr selbst fehlende Legitimität und Rechtsqualität – z. B. infolge Mangels jedes Rechtsgedankens – zu ersetzen durch Berufung auf ihr äußerlich legales Zustandekommen; vgl. auch Unruh, S. 440 ff. 231 Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 89, S. 1106 f. 232 Vgl. im Hinblick auf die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes die Nachweise in Kapitel 4, A., I. 233 Pernice, in: Bieber/Widmer, S. 225, 226. 234 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 28; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 79 Abs. 3, Rdnr. 19.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG sein. Die Integrationsoffenheit ist vielmehr selbst im Lichte von Art. 79 Abs. 3 GG auszulegen und nicht umgekehrt. Daher ist der Anwendungsbereich von Art. 79 Abs. 3 GG zunächst einmal trotz des Verfassungsziels der Eingliederung der Bundesrepublik Deutschlands in die Europäische Union grundsätzlich, d. h. auch bei verfassungsändernden Hoheitsrechtsübertragungen im Rahmen der Europäischen Integration, weit auszulegen. Daraus folgt, dass der Wortlaut von Art. 79 Abs. 3 GG jedenfalls nicht nur vor der prinzipiellen Preisgabe der geschützten Grundsätze ausgeht, da dieser Weg der Auslegung dem besonderen Charakter von Art. 79 Abs. 3 GG als besondere Verfassungsschutzbestimmung nicht gerecht würde und einen beliebigen Umgang mit der Vorschrift als Staatsfundamentalnorm nicht verhindern würde. Vielmehr ist grundsätzlich danach zu fragen, ob der Leitgedanke des geschützten Grundsatzes betroffen ist.235 Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine Betrachtung des Einzelfalles, die sich insbesondere an den beiden Fragen auszurichten hat, vor welchem verfassungsgeschichtlichen Hintergrund ein Grundsatz zu sehen ist und welche Rolle einem Grundsatz in anderen Verfassungsordnungen zukommt.236 Erst im Rahmen einer solchen Untersuchung dürfte klar werden, ob die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze berührt sind und ob eine Verfassungsänderung bzw. verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragung zulässig ist.

D. Verhältnis der Struktursicherungsklausel zur Verfassungsbestandsklausel In den beiden vorangegangenen Abschnitten ist deutlich geworden, dass der Hoheitsrechte übertragende Gesetzgeber zwei unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden hat: Er muss einerseits darauf hinwirken, dass bei einer Hoheitsrechtsübertragung die in der Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG aufgeführten Bedingungen für eine Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union beachtet werden. Andererseits muss er dafür Sorge tragen, dass durch verfassungsändernde Hoheitsrechtsübertragungen die in der Verfassungsbestandsklausel in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG normierten Grenzen nicht verletzt werden. Während die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Bedingungen damit als Auftrag für die deutschen Staatsorgane zur Verwirklichung maßgeblicher Konstitutionsprinzipien auf euro235 In diesem Sinne Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnr. 51; ders., Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 185 ff. 236 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 79, Rdnrn. 56 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79, Rdnr. 28.

D. Struktursicherungsklausel und Verfassungsbestandsklausel

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päischer Ebene anzusehen sind, handelt es sich bei den über Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG vorgegebenen Schranken eher um absolute Grenzen, die einer über sie hinausgehenden Mitwirkung entgegenstehen.237 Auch wenn in der Literatur vor dem Hintergrund der sich äußerlich teilweise überschneidenden Vorgaben die Auffassung vertreten wird, dass der Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG gegenüber Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG eher eine klarstellende denn eine konstituierende eigene Bedeutung zukomme238, so darf nicht verkannt werden, dass beiden Vorschriften wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen jeweils ein eigener materiell-rechtlicher Anwendungsbereich zukommt239, der sich auch in dem dargestellten unterschiedlichen Prüfungsmaßstab und in der unterschiedlichen Prüfungsdichte widerspiegelt.240 Für die verfassungsrechtliche Überprüfung einer verfassungsändernden Hoheitsrechtsübertragung in Bezug auf materielle Rechtsverstöße bedeutet dies, dass grundsätzlich beide Vorschriften Relevanz besitzen. So sind mögliche materielle Verstöße gegen Vorgaben, die nur Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG aber nicht Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG beinhaltet, nur am Maßstab des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu bewerten. Als Anwendungsfall dieser Fallgruppe kommt zum einen die Überprüfung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in Betracht und zum anderen die Überprüfung der Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien, die nicht in den engen Garantiebereich von Art. 79 Abs. 3 i.V. m. Art. 1 und 20 GG fallen, jedoch möglicherweise unter die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Pflicht zur Gewährleistung rechtsstaatlicher Grundsätze. Zu denken wäre hier beispielsweise an das mit dem Rechtsstaatsprinzip der Normenklarheit verbundene Bestimmtheitsgebot oder an die über den Schutz der Menschwürde hinausreichende Pflicht zur Gewährleistung eines dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes.241 237 In der Literatur wird das Verhältnis der Bestimmungen zueinander zutreffend bildhaft dadurch beschrieben, dass Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG bei der „Offensive der Europäisierung“ und Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG bei der „Defensive des Grundgesetzes“ ansetzt, siehe Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 287. 238 Scholz, Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 55. 239 Vgl. den Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks. 12/6000, S. 20. Diese ging davon aus, dass die Merkmale in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nur „im Wesentlichen“ den in Art. 79 Abs. 3 GG besonders geschützten grundlegenden Strukturprinzipien entsprechen. Siehe auch Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 287; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 1, Rdnrn. 20 ff.; Baldus, in: ZRP 1997, S. 286, 287; Breuer, in: NVwZ 1994, S. 417, 422; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 28; Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 600. 240 Vgl. hinsichtlich des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabes der beiden Vorschriften die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., II. und Kapitel 5, C., III. 241 In diesem Sinne auch Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 600.

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Kap. 5: Horizontale Hoheitsrechtsübertragungen – Anforderungen im GG

Andererseits sind natürlich mögliche Verstöße gegen Schranken, die allein Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG vorsieht, offensichtlich auch nur an den Anforderungen von Art. 79 Abs. 3 GG zu überprüfen. Zu dieser Gruppe ist insbesondere der nicht in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte, aber von Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Grundsatz der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu zählen. Problematischer erscheint der Prüfungsmaßstab bei Verstößen gegen Grundsätze wie beispielsweise das Demokratiegebot, die in den Anwendungsbereich beider Bestimmungen fallen. Teilweise wird vertreten, dass hier der Anwendungsbereich beider Bestimmungen weitgehend deckungsgleich sein soll.242 Aufgrund dessen, dass an Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht die gleichen Forderungen gestellt werden können wie an Art. 79 Abs. 3 GG, da dies der hegemonialen Präsenz des Grundgesetzes in der Europäischen Union gleichkäme243, wird man aber vielmehr sagen müssen, dass ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG nicht notwendigerweise einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG darstellen muss, dass aber ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG in aller Regel gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG darstellen wird. Andersherum wird die Verfassungskonformität einer Hoheitsrechtsübertragung mit den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG normierten Voraussetzungen nicht notwendigerweise eine Konformität mit Art. 79 Abs. 3 GG bedeuten, umgekehrt aber wird eine Konformität mit Art. 79 Abs. 3 GG in aller Regel auch bedeuten, dass die Voraussetzungen von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG erfüllt sind. Allerdings muss diese Beurteilung stets dem Einzelfall vorbehalten bleiben.

242 243

Sommermann, in: DÖV 1994, S. 596, 600. Vgl. insoweit bereits die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., II.

Kapitel 6

Verfassungsverstöße durch die Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl Nachdem im Rahmen des letzten Kapitels die wesentlichen Grundlagen, Anforderungen und Grenzen für die Übertragung von Hoheitsrechten dargestellt worden sind, gilt es im Folgenden, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zu beantworten. Bevor allerdings in die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes als relevantem Übertragungsakt1 eingetreten werden kann, bedarf es zunächst der Klärung, ob im konkreten Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl neben den Anforderungen der Struktursicherungsklausel nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auch die Schranken des Art. 79 Abs. 2 und 3 GG überhaupt zu beachten sind.

A. Generelle Anwendbarkeit der Verfassungsbestandsklausel auf die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundene Hoheitsrechtsübertragung Die Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG stellt sich vor dem oben erläuterten Hintergrund, dass die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG niedergelegten Schranken nach der hier vertretenen Auffassung nicht – wie teilweise in der Literatur angenommen – auf sämtliche Hoheitsrechtsübertragungen Anwendung finden, sondern nur auf solche, durch die vom Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen verlagert, Rechte modifiziert oder Grundsätze der Verfassung berührt werden.2 Voraussetzung ist also, dass der Integrationsakt eine gewisse Verfassungsintensität aufweisen muss und nicht lediglich eine so

1 Vgl. zur horizontalen Übertragung von Hoheitsrechten durch das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II. Siehe auch zur Ausgestaltung des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes als Reaktion auf die Nichtigerklärung des Ersten Haftbefehlsgesetzes durch das BVerfG die Ausführungen in Kapitel 3, C., II. 2 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., I.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

genannte vertragsimmanente Hoheitsrechtsübertragung darstellen darf, die bereits nach dem bestehenden Vertragsrecht vorhersehbar war. Für das Vorliegen einer solchen Verfassungsintensität des hier in Rede stehenden Falles spricht, dass der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl erstmalig das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen im Rahmen der zuvor völkerrechtlich geprägten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Auslieferungsrecht verankert hat und dadurch gleichzeitig erstmals im gesamten Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit Hoheitsrechte zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union übertragen werden.3 Zwar könnte man der Verfassungsrelevanz dieser erstmaligen Hoheitsrechtsübertragung entgegengehalten, dass die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit bereits zum Zeitpunkt der letzten großen Vertragsrevision der dritten Säule des EU-Vertrages durch den Vertrag von Amsterdam absehbar war, da die Einführung des Instruments der gegenseitigen Anerkennung zeitlich parallel zum Ratifikationsverfahren zum Vertrag von Amsterdam auf dem Europäischen Rat von Cardiff und Tampere diskutiert wurde4. Dagegen spricht jedoch, dass es schwerlich nachvollziehbar wäre, eine derartige Veränderung der vertraglich vereinbarten Form der Zusammenarbeit, die weder in den Art. 29 ff. des Amsterdamer Unionsvertrages noch im Rahmen der späteren Vertragsrevision durch den Vertrag von Nizza ausdrücklich Erwähnung findet, als eine lediglich vertragsimmanente Veränderung des Primärrechts anzusehen. Vielmehr folgt aus der mit der Zustimmung zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl einhergehenden horizontalen Hoheitsrechtsübertragung eine bis dato noch nicht im Unionsvertrag von Amsterdam festgelegte Beschränkung der grundgesetzlich verankerten Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers im Bereich des Auslieferungsrechts, die diesem grundsätzlich gemäß Art. 73 Nr. 3 GG ausschließlich zusteht5. Damit einher geht eine Modifizierung von Rechten, da sich das Auslieferungsverfahren nicht mehr allein nach dem deutschen Auslieferungsrecht richtet. Vor diesem Hintergrund ist der Übertragung von Hoheitsrechten im Fall des Europäischen Haftbefehls eine Verfassungsrelevanz zuzusprechen, die eine Aktivierung des Schrankenvorbehalts des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG zur Folge hat.

3

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II., 2. Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II., 2. 5 Zur Verortung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Auslieferungsrechts in Art. 73 Nr. 3 GG siehe statt vieler Stettner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 73, Rdnr. 17. 4

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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Dies aber bedeutet, dass der nationale Umsetzungsakt zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in formeller Hinsicht gemäß Art. 79 Abs. 2 GG der verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit bedurfte6 und sich darüber hinaus in materieller Hinsicht nicht nur an den Anforderungen der Struktursicherungsklausel gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG messen lassen muss, sondern auch an dem Schrankenvorbehalt der Verfassungsbestandsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG.

B. Zu den einzelnen in Betracht kommenden Verfassungsverstößen Vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit der Verfassungsbestandsklausel auf die Hoheitsrechtsübertragung im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl hat sich das Europäische Haftbefehlsgesetz grundsätzlich am Maßstab sämtlicher in Kapitel fünf vorgestellter Verfassungsgrundsätze messen zu lassen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auch alle genannten Verfassungsprinzipien zu berücksichtigen sind. Vielmehr will sich die Untersuchung auf die zentralen Verfassungsprinzipien konzentrieren, die mit der Rechtsmaterie des durch den Europäischen Haftbefehl betroffenen Auslieferungsrechts Berührungspunkte aufweisen und nicht auf die Grundsätze, die offensichtlich durch das Europäische Haftbefehlsgesetz nicht betroffen sind. Zu dieser zweiten Gruppe gehören jedenfalls die über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der republikanischen Staatsform und der bundesstaatlichen Ordnung, die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Pflicht zur Wahrung föderativer Grundsätze und schließlich die über beide Klauseln bestehende Pflicht zur Wahrung sozialer Grundsätze. Dabei ergibt sich das offensichtliche Fehlen von Berührungspunkten bereits vor dem Hintergrund des in Kapitel drei geschilderten Regelungsbereichs des Europäischen Haftbefehls und des in Kapitel fünf beschriebenen Schutzbereichs dieser Grundsätze.7 6 Dieses Erfordernis wurde bei der Verabschiedung des Gesetzes erfüllt. Das Gesetz wurde am 29.06.2006 im Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen und damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen, siehe Sitzungsberichte des Deutschen Bundestages 2006, 16. Wahlperiode, Nr. 34–44, 43. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14, S. 4119, 4124. Im Bundesrat wurde das Gesetz am 07.07.2006 mit den Stimmen der gleichen Parteien und damit auch hier mit der erforderlichen Mehrheit angenommen, siehe Sitzungsberichte des Bundesrates 2006, Nr. 819–829, 824. Sitzung, Tagesordnungspunkt 18, S. 203, 228. 7 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, in Kapitel 5, B., I., 3. und 4. und Kapitel 5, C., II., 1. und 3. b) und c).

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

I. Verstoß gegen das Demokratiegebot und den damit verbundenen Grundsatz der Gewaltenteilung Im Gegensatz zu diesen zuletzt genannten, nicht relevanten Verfassungsprinzipien ist im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes zunächst der Verfassungsgrundsatz der Notwendigkeit ausreichend demokratischer Legitimation herrschaftlicher Gewalt, und verbunden mit diesem, der Grundsatz der Gewaltenteilung von am weitesten reichender Bedeutung. Diese Grundsätze sind wie oben ausgeführt sowohl in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als auch in Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG verankert. So wird in beiden Verfassungsvorbehalten – wenn auch wie geschildert in unterschiedlicher Prüfungsdichte – vorausgesetzt, dass die Ausübung in Deutschland wirkender Hoheitsgewalt durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf Entscheidungen des Volkes zurückführbar sein muss und dass die Ausübung von Hoheitsgewalt auf funktional unterschiedliche Hoheitsträger zu verteilen ist.8 Auf der Grundlage des am Ende des letzten Kapitels geschilderten gedanklich logischen Vorgehens stellt sich zunächst die Frage, ob das Europäische Haftbefehlsgesetz den mit der Struktursicherungsklausel verbundenen geringeren verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wahrung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze entspricht, da im Falle der Verneinung dieser Frage auch gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG anzunehmen ist.9 Hinreichende Zweifel an einer ausreichenden demokratischen Legitimation der mit dem Institut des Europäischen Haftbefehls verbundenen Hoheitsgewalt, und damit einhergehend auch an der Rechtsstaatlichkeit der insoweit ausgeübten Hoheitsgewalt, ergeben sich vornehmlich daraus, dass durch das Europäische Haftbefehlsgesetz die unmittelbare innerstaatliche Wirkung fremder mitgliedstaatlicher Entscheidungen gerade über das Rechtsinstrument des europäischen Rahmenbeschlusses herbeigeführt wurde. Das Europäische Haftbefehlsgesetz hat damit als Übertragungsakt den Weg dafür frei gemacht, dass das Anerkennungsprinzip auf den grundrechtssensiblen strafrechtlichen Bereich mittels einer Rechtsetzungsform übertragen wird, die die geringste demokratische Legitimation aller im Bereich der dritten Säule zur Verfügung stehender Handlungsformen aufweist, da sie geprägt wird von Entscheidungen der Exekutive anstelle von Entscheidungen der Legislative.

8 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 1. und 2. und Kapitel 5, C., II., 3., b) und d). 9 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, D.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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1. Unzulänglichkeit gubernativer Rechtsetzung bei der Einführung des Anerkennungsprinzips im strafrechtlichen Bereich Über das Problem des vorhandenen Demokratiedefizits beim Erlass von Rahmenbeschlüssen ist in der Literatur in den vergangenen Jahren bereits viel diskutiert und geschrieben worden. Als zentrale Kritikpunkte werden dabei immer wieder die mangelnde Transparenz der Beschlussfassung im Ministerrat und die unzureichende Beteiligung des Europäischen Parlaments genannt.10 Im Kern geht es darum, dass Rahmenbeschlüsse, wie zu Beginn der Untersuchung bereits ausgeführt, gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU zwar einstimmig vom Rat der Europäischen Union beschlossen werden, eine Beteiligung eines unmittelbar demokratisch legitimierten Organs jedoch in nur äußerst beschränkter Form besteht. Denn trotz aller Aufwertungen der Rechte des Europäischen Parlaments im Rahmen der Rechtsetzung im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen durch den Amsterdamer Vertrag beschränkt sich die Rolle des Parlaments auch heute noch gemäß Art. 39 Abs. 1 EU auf eine bloße Beteiligung im Wege der Anhörung.11 So hat das Parlament anders als im Rechtsetzungsverfahren im Gemeinschaftsrecht der ersten Säule, in dem es über die Verfahrensformen der Mitentscheidung nach Art. 251 EG und der Zusammenarbeit nach Art. 252 EG Einfluss auf den Inhalt des Rechtsaktes nehmen kann bzw. diesen sogar verhindern kann12, in Bezug auf den Erlass eines Rahmenbeschlusses nach wie vor keine echten Einwirkungsmöglichkeiten. Dadurch aber, dass das Europäische Parlament Rahmenbeschlüsse nicht verhindern oder abändern kann13, beruht die inhaltliche Ausgestaltung dieser Rechts10 Beachtenswert ist insbesondere die vorgetragene Kritik an der mangelhaften demokratischen Legitimation von Braum, S. 404 f.; ders., in: GA 152 (2005), S. 681, 688 ff.; Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 188; ders., in: GA 151 (2004), S. 193, 200 f.; ders., in: Schünemann (2006), S. 93, 95 ff.; Unger, S. 79 f.; Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 121; Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 377 ff.; Zeder, in: ÖJZ 2001, S. 81, 81. 11 Vgl. zur Rolle des Europäischen Parlaments im Rahmen der dritten Säule die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. 12 Hervorzuheben ist hier insbesondere das Vetorecht des Parlaments im Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251 EG. In diesem kann das Europäische Parlament die Verabschiedung eines Rechtsaktes dadurch verhindern, dass es einen Vorschlag mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder ablehnt, siehe Art. Art. 251 Abs. 2 Spstr. 3 lit. b) EG. Den Inhalt eines Rechtsaktes kann es gemäß Art. 251 Abs. 2 Spstr. 3 lit. c) EG dadurch beeinflussen, dass es mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder Änderungen vorschlagen kann, die – sollte der Rat diese Änderungen nicht billigen – im Rahmen eines Vermittlungsausschusses zu behandeln sind, siehe Art. 251 Abs. 3–6 EG. Das Mitentscheidungsverfahren, in dem der Rat und das Europäische Parlament als Gemeinschaftsgesetzgeber auftreten, stellt im heutigen Rechtsetzungsprozess der EG das absolute Regelverfahren dar, siehe Streinz, Rdnr. 500. 13 Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 121.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

akte fast ausschließlich auf Entscheidungen von lediglich ernannten und nicht direkt legitimierten Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene im Europäischen Ministerrat, wobei das Verfahren der Entscheidungsfindung nicht formalisiert ist und häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit von informellen Treffen geprägt ist.14 Dabei ist auch der Einfluss der nationalen Volksvertreter in den nationalen Parlamenten auf die Minister im Ministerrat äußerst begrenzt. Zwar besitzt der Bundestag dadurch, dass ihm von der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 2 und 3 GG vor deren Mitwirkung an Rahmenbeschlüssen Gelegenheit zur Information und zur Stellungnahme gegeben werden muss und eine solche Stellungnahme auch von der Bundesregierung zu berücksichtigen ist, ein geringes Einflussrecht auf die Verhandlungen über die Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses im Europäischen Ministerrat.15 Aufgrund dessen aber, dass eine solche Stellungnahme des Bundestages für die Bundesregierung rechtlich nicht verbindlich ist16, ist diese Art der Beteiligung an der Rechtsetzung im Rahmen der Europäischen Union als schwach anzusehen.17 Man kann sagen, dass es sich eher um eine Konsultation denn um eine echte demokratische Beteiligung handelt.18 Die rechtliche Unattraktivität der Beteiligungsmöglichkeit zeigt sich 14 Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 92 ff.; Unger, S. 79; Schünemann, in: ZStW 116 (2004), S. 376, 393; Zeder, in: ÖJZ 2001, S. 81, 81. 15 Die Einzelheiten der Beteiligung des Bundestages an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union regelt § 4 des Ausführungsgesetzes zu Art. 23 GG (Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.03.1993, BGBl. 1993 I, S. 311, kurz: EUZBBG), der zwar ausdrücklich eine Beteiligung nur bei der Verabschiedung von Verordnungen und Richtlinien der EG vorsieht, jedoch analog anzuwenden ist, siehe insofern auch Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 377 ff.; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 23 Abs. 3, Rdnr. 75. Siehe zur Beteiligung des Bundestages im Rahmen des Verfahrens zur Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl die Ausführungen der Bundesministerin der Justiz Zypries und der Abgeordneten Leutheusser-Schnarrenberger in der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 200 und 239 ff. 16 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 53; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 117. 17 Braum, in: StV 2003, S. 576, 579 sieht die Situation so, dass den mitgliedstaatlichen Parlamenten nicht viel mehr übrig bleibt, als die auf Beamten- und Regierungsebenen ausgehandelten Inhalte akklamatorisch umzusetzen. 18 A.A. Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 456; Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 30 f., der jedoch selbst zugibt, dass selbst eine fehlende Stellungnahme des Bundestages auf das Abstimmungsverhalten des betreffenden Ministers nach außen keine Auswirkung hat. Bei einem Blick auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird deutlich, dass Dänemark, Irland, die Niederlande, Schweden und das Vereinigte Königreich genau um diesem Manko im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl gerecht zu werden, einen Vorbehalt zugunsten parlamentarischer Kontrolle gemacht haben, siehe Dok. 14687/01 REV 1 und COR 1. Siehe insoweit auch die Ausführungen von Professor Grunwald in der mündlichen Verhandlung vor

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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denn auch seit längerem dadurch, dass die tatsächliche Einflussnahme auf den Regierungsvertreter im Ministerrat durch den Bundestag eher gering ist.19 Nun handelt es sich bei dem festgestellten Demokratiedefizit bei der Verabschiedung von Rahmenbeschlüssen keineswegs um eine neuartige Schwierigkeit, die lediglich im Rahmen der Rechtsetzung innerhalb der dritten Säule auftritt, sondern um ein aus der Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht trotz der dort bestehenden umfangreicheren Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments seit langem bekanntes Problem20. Man wird insofern irgendwie den Eindruck nicht los, dass das Demokratiedefizit im Rahmen europäischer Rechtsetzung in der juristischen Fachliteratur zwar mehr oder weniger laut moniert wird, dass sich die verantwortlichen Amtsträger im Grunde aber mittlerweile in dem bestehenden Mangel ganz gut eingerichtet haben.21 Dies mag auch bis zu einem gewissen Grad vor dem Hintergrund nachvollziehbar sein, dass das europäische Mehrebenensystem eben seiner Natur nach nicht die demokratische Geradlinigkeit nationaler Verfassungssysteme aufweisen kann22. Außerdem kann der geringe Grad der direkten demokratischen Legitimation in gewissem Umfang sicherlich auch dadurch gerechtfertigt werden, dass der Exekutive auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt grundsätzlich das Schwergewicht zukommt und die Bundesregierung und der Bundespräsident im Außenverhältnis auch dann Bindungen der Bundesrepublik Deutschland herbeiführen können, wenn der Wille des Parlaments dem entgegensteht.23

dem Bundesverfassungsgericht zum Europäischen Haftbefehl, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 212. 19 Siehe die Studie von Kietz, in: SWP-Aktuell 19 (2005), S. 1 ff., abrufbar unter http://swp-berlin.org/common/get_document.php?id=1265; siehe insofern auch die Kritik am geringen parlamentarischen Einfluss auf die Regierungsvertreter von Richterin Lübbe-Wolff in ihrem abweichendem Votum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz, siehe BVerfGE 113, 273 (327, 337). Beachtenswert ist insofern auch die von Professor Poscher auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2007 in Freiburg aufgestellten Forderung nach einer transparenteren, effektiveren und konkreteren Ausgestaltung des Informationsrechts des Bundestages, siehe Schorkopf, in: AöR 132 (2007), S. 606, 612. 20 Insoweit Wasmeier, in: ZEuS 2006, S. 23, 30 f. 21 Siehe das insofern sehr passend ausgewählte Beispiel von Unger, S. 79, die ein im „Spiegel“ abgedrucktes Zitat des Luxemburgischen Premierministers Juncker wiedergibt. Dieser beschrieb das Demokratiedefizit in der Ausgabe vom 27.12.1999, Nr. 52, S. 136 wie folgt: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ 22 Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 456. 23 Vogel, in: ZStW 116 (2004), S. 400, 417, Fn. 77; Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 81, Rdnr. 81; Knill/Winkler, in: Der Staat 45 (2006), S. 215, 233 f.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

An dem Punkt jedoch, an dem das Defizit demokratischer Legitimation mit der Notwendigkeit hoher demokratischer Anforderungen zusammenstößt, ist stets zu bedenken, dass die Anforderungen an die Legitimationskette in dem Ausmaß steigen müssen, in dem die übertragenen Hoheitsrechte im innerstaatlichen Raum an Gewicht gewinnen.24 Eine solche Notwendigkeit erhöhter demokratischer Legitimation ergibt sich insbesondere immer dann, wenn Rechtsakte grundrechtssensible Bereiche wie das Strafrecht betreffen.25 Genau dies ist allerdings im Bereich des Auslieferungsrechts der Fall, da dieses eng mit dem Strafrecht verknüpft und daher stets mit sanktionsrechtlichen Folgen für den einzelnen Betroffenen verbunden ist. So ist beispielsweise das Auslieferungsverfahren für den Einzelnen grundsätzlich mit dem Entzug der persönlichen Freiheit in einem fremden Land auf der Grundlage einer fremden Rechtsordnung verknüpft.26 Betrachtet man nun vor diesem Hintergrund das Verfahren bei der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, so wird erkennbar, dass sich keinerlei Anhaltspunkte für einen Versuch finden lassen, der Notwendigkeit gesteigerter demokratischer Anforderungen durch einen irgendwie gearteten demokratischen Extraaufwand gerecht zu werden.27 Vielmehr rückte der Europäische Haftbefehl in Deutschland erst nach der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses durch den Ministerrat im Juni 2002 in Sevilla28 im Rahmen des Umsetzungsverfahrens ins Zentrum der parlamentarischen Auseinandersetzung. Dem Umstand der gleich bleibend niedrigen demokratischen Legitimation auch im Fall des in erheblichem Maße Grundrechte betreffenden Europäischen Haftbefehls ist nun in der Literatur teilweise mit dem Argument begegnet worden, dass der nationale Gesetzgeber seine Zustimmung zur gubernativ erfolgenden Rechtsetzung eigentlich bereits in antizipierter Form abgegeben habe. Eine Zustimmung in antizipierter Form sei nämlich darin zu sehen, dass der natio-

24 In diesem Sinne auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1, Rdnr. 30; Lüderssen, in: GA 150 (2003), S. 71, 82. 25 Siehe bereits Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 201; ders., in: StV 2005, S. 681, 683; Akmann, in: JA 1994, S. 49, 55; Hetzer, in: Kriminalistik 2002, S. 437, 440; Middeke/Szczekalla, in: JZ 1993, S. 284, 291; Lüderssen, in: GA 150 (2003), S. 71, 82; ders., in: Schünemann, Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, S. 45, 48; Classen, in: ZRP 1993, S. 57, 61; siehe auch Kress, in: ZStW 116 (2004), S. 445, 448. 26 In diesem Sinne auch Murschetz, S. 120 f. 27 So wäre auch für die Bundesrepublik Deutschland eine echte zusätzliche Beteiligung des Parlaments während der Verhandlung über den Rahmenbeschlusse über den Europäischen Haftbefehl denkbar gewesen wie es in anderen Mitgliedstaaten der Fall war, siehe Kapitel 6, B., I., 1., Fn. 18. 28 Vgl. zur Geschichte der Annahme des Rahmenbeschlusses die Ausführungen oben in Kapitel 3, A., II.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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nale Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz zum Unionsvertrag auch seine Einwilligung zu den entsprechenden primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen in Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU und Art. 31 Abs. 1 lit. b) EU gegeben habe, die eine gubernative Vorgehensweise beim Erlass von Rechtsakten im Auslieferungsrecht vorsehen.29 Dem ist jedoch an dieser Stelle entschieden zu widersprechen. Zwar kann dem Gedanken insoweit gefolgt werden, als der nationale Gesetzgeber in genereller Hinsicht durch den erforderlichen Zustimmungsakt an der Verankerung gubernativ geprägter Rechtsetzung im Bereich der dritten Säule beteiligt worden ist und dass damit auch die grundsätzliche Vorgehensweise der Rechtsetzung durch Rahmenbeschlüsse als ausreichend demokratisch legitimiert anzusehen ist. Jedoch kann die Zustimmung zu einer generellen Vorgehensweise keinen Blankocheque für mögliche einzelne Extremfälle bedeuten. Als ein solcher ist aber die Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht und die damit verbundene erstmalige Hoheitsrechtsübertragung auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzusehen, die zum Zeitpunkt der Zustimmung zum Unionsvertrag von Amsterdam30 wenn überhaupt in abstrakt umrissener31, jedoch noch nicht in detaillierter, Ausgestaltung für den nationalen Gesetzgeber abzusehen war. Es lässt sich insofern festhalten, dass das Rechtsetzungsinstrument des Rahmenbeschlusses grundsätzlich ein demokratisch äußerst schwach legitimiertes Instrument ist, und dass die Verwendung dieses Instruments bei der Einführung der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen im Auslieferungsrecht trotz der enormen Grundrechtsrelevanz zunächst einmal verfassungsrechtlich als äußerst problematisch anzusehen ist.32 2. Keine Nachholbarkeit mangelnder demokratischer Legitimation durch den nationalen Umsetzungsakt Es stellt sich nun die Frage, ob die mangelnde demokratische Legitimation des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nicht vor dem Hintergrund unproblematisch ist, dass ein Rahmenbeschluss zur Entfaltung seiner Rechtswirkung notwendigerweise ins nationale Recht umzusetzen ist. Denn 29

So Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 456; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 867. Zur Einführung des Instruments des Rahmenbeschlusses siehe die Ausführungen oben in Kapitel 1, F., I. 31 Vgl. im Hinblick auf die Frage der Absehbarkeit der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zum Zeitpunkt der Ratifikation des Vertrages von Amsterdam die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II., 2. 32 Vgl. insofern auch Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (2006), S. 65, 68; Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 188; ders., in: GA 151 (2004), S. 193, 200; ders., in: ZStW 116 (2004), S. 376, 386; ders., in: StV 2005, S. 681, 683. 30

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auch wenn der Europäische Gerichtshof durch die Einführung des Instituts der rahmenbeschlusskonformen Auslegung in seiner Pupino-Entscheidung weitreichende gemeinschaftsrechtsähnliche Auslegungsvorgaben gemacht hat, so besteht nach wie vor zumindest in rechtlicher Hinsicht mangels innerstaatlichem Rechtsanwendungsbefehls keine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht33. In der Notwendigkeit der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen durch die nationalen Parlamente könnte so eine Kompensation der Mängel der demokratischen Legitimation des Ministerrates in Form einer nachträglichen Heilung zu sehen sein. Eine solche Heilungsmöglichkeit würde allerdings voraussetzen, dass den nationalen Parlamenten bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ein ausreichender eigener Kompetenzrahmen verblieben ist, der ihnen zumindest nun nach der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses die Chance eröffnet, Einfluss auf den Inhalt des Regelungsgegenstandes zu nehmen. Dieser Auffassung ist das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz gefolgt, in dem es die geringe Legitimationswirkung der Anhörung des Europäischen Parlaments dadurch als relativiert ansah, dass es sich bei Rahmenbeschlüssen um nach wie vor völkerrechtlich geprägte Rechtsakte handele, die stets der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürften, wodurch die mitgliedstaatlichen Legislativorgane die politische Gestaltungsmacht behielten.34 Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist dem Bundesverfassungsgericht in seiner Einschätzung zur Rechtsnatur und innerstaatlichen Wirkung von Rahmenbeschlüssen jedoch vor dem Hintergrund zu widersprechen, dass dem nationalen Umsetzungsgesetzgeber weder bei der Frage des „wie“ noch bei der Frage des „ob“ der Umsetzung ein echter eigener substanzieller Entscheidungsspielraum verblieben ist, der die Schlussfolgerung einer nachträglichen demokratischen Legitimation des durch den Rahmenbeschluss vorgegebenen Inhalts zuließe. a) Beschränkter parlamentarischer Gestaltungsspielraum Der Annahme einer Heilungsmöglichkeit durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch ein unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ steht zunächst entgegen, dass dem nationalen Umsetzungsgesetzgeber bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen kein substanzieller eigener Gestaltungsspielraum zukommt, d. h. er hat bei der Ausgestaltung des „wie“ des Umsetzungsaktes kein nennenswertes eigenes Ermessen. 33 34

I., 2.

Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., I., 2. BVerfGE 113, 273 (300 f.), siehe auch die Ausführungen oben in Kapitel 3, C.,

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU, der dem nationalen Gesetzgeber vorgibt, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen in nationales Recht an das von diesen vorgegebene Ziel gebunden sind und sich insofern auch an diesem auszurichten haben. Zum anderen ergibt sich dies aus der infolge der Pupino-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorzunehmenden Auslegungsweise der Vorschrift. Denn durch die Verankerung der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung hat der Europäische Gerichtshof gleichzeitig eine Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Umsetzung verankert, die im Hinblick auf den durch das Gericht eingeführten Auslegungsmaßstab die Annahme eines Umsetzungsspielraumes unmöglich machen dürfte.35 Denn wenn, wie oben ausgeführt, die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit mit dem Institut der richtlinienkonformen Auslegung so weit reicht, dass sie faktisch eine Auslegung gegen das nationale Recht erfordert, so dürfte auch ein Spielraum bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen schwierig zu begründen sein. Ganz überwiegend wird daher in der Literatur die Auffassung vertreten, dass die mitgliedstaatlichen Parlamente bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen als präjudiziert anzusehen sind und in der inhaltlichen Ausgestaltung bei der Umsetzung eines Rahmenbeschlusses stark von dessen Vorgaben abhängen.36 Die Einschätzung im Schrifttum, dass es an einem Umsetzungsspielraum für die nationalen Legislativorgane fehlt, deckt sich mit Äußerungen derer, die an der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und an dessen Umsetzung in Deutschland beteiligt waren. So kritisierten Abgeordnete des Europäischen Parlaments bereits während des Verfahrens der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl den fehlenden Umsetzungsspielraum des nationalen Umsetzungsgesetzgebers.37 Geteilt wurde diese Einschätzung auch durch das Verhalten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages während der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über

35 Vgl. zur Pupino-Entscheidung des EuGH und den damit verbundenen Schlussfolgerungen die Ausführungen oben in Kapitel 2, B. 36 Weber, in: EuR 43 (2008), S. 88, 95 f.; Tinkl, S. 123; Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 122; Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 200206; Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 455; Makaruk, in: ZStW 116 (2004), S. 372, 375; Kress, in: JA 2005, S. 220, 221; siehe auch zu den grundsätzlichen Zwängen, denen der Umsetzungsgesetzgeber bei völkervertraglich veranlasster Strafgesetzgebung unterliegt Kress, in: ZStW 116 (2004), S. 445, 447 ff.; Volkmann, in: AöR 127 (2002), S. 575, 593; a. A. und insofern eher dem BVerfG folgend Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 269, 270 f.; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 870; Baddenhausen/Pietsch, in: DVBl. 2005, S. 1562, 1564 und Wolff, in: ZG 19 (2004), S. 32, 34. 37 Vgl. die Kritik der Europaparlamentsabgeordneten Frahm und Krarup, Bericht vom 14.12.2001, Dok. A 5-0397/2001.

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den Europäischen Haftbefehl durch das erste Umsetzungsgesetz38, durch die Aussage verschiedener Abgeordneter im Rahmen der mündlichen Verhandlung über das erste Europäische Haftbefehlsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht39, durch die dortige Einlassung des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers40 und durch die Einlassung der Bundesregierung, in dem Verfahren Beschwerdegegnerin, die ebenfalls die aus Ihrer Sicht bestehende zwingende Verbindlichkeit der Vorgaben des Rahmenbeschlusses und die Beeinflussung des nationalen Umsetzungsprozesses durch diesen hervorhob.41 Zwar besitzen die Einschätzungen dieser an der Rechtsetzung beteiligten Personen natürlich keine Überlegenheit gegenüber gegenteiligen Auffassungen. Auch können sie für die rechtliche Beurteilung der Frage des Umsetzungsspielraumes nur als eine von mehreren Meinungen angesehen werden, jedoch geben sie in tatsächlicher Hinsicht einen aussagekräftigen Anhaltspunkt für das Empfinden der Betroffenen wieder. Der Senatsmehrheit des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Entscheidung über das erste Europäische Haftbefehlsgesetz vorzuwerfen, dass es sich in seinem Urteil praktisch nicht mit den Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof nur ca. einen Monat vor seiner Urteilsverkündung im Juni 2005 gemacht hatte, auseinandergesetzt hat und die nach dem Pupino-Urteil veränderten Rahmenbedingungen für die Beurteilung von Rahmenbeschlüssen nicht berücksichtigt hat.42 Dies wird denn auch von Richter Gerhardt in seiner abweichenden Meinung betont, indem er dem Urteil des Senats entgegenhält, dass dieser bei der Bewertung des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes eine einseitige natio-

38 Ein bezeichnendes Indiz für das Gefühl der Gebundenheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag im Rahmen der Umsetzung des Rahmenbeschlusses ist in dem seltenen Umstand zu erkennen, dass die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages einstimmig von allen Fraktionen angenommen wurde, siehe insofern das Amtliche Protokoll der 97. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11.03.2004, Tagesordnungspunkt 14; BT-Drucks. 196/04 v. 12.03.2004; vgl. hierzu auch Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 206, der die Abgeordneten im Fall der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl als „Lakaien von Brüssel“ bezeichnet hat; siehe auch Schünemann, in: StV 2005, S. 681, 682. 39 Der Abgeordnete Ströbele sprach in der mündlichen Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes am 13./14.04.2005 von einem Gefühl der „normativen Unfreiheit“; der Abgeordnete Kauder sprach davon, dass er bei der Umsetzung keine Spielräume gesehen habe, siehe hinsichtlich beider Aussagen das Wortlautprotokoll der mündlichen Verhandlung, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 242 ff. und 247. 40 Siehe die Ausführungen von Professor Herdegen für den Beschwerdeführer, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 162; siehe auch die Anmerkung zur mündlichen Verhandlung von Schneiderhahn, in: DRiZ 2005, S. 176, 176. 41 BVerfGE 113, 273 (283 f.). 42 Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 867. Dies ist auch der Anmerkung zu dem Urteil von Knopp, in: JR 2005, S. 448, 452 entgegenzuhalten.

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nale Perspektive eingenommen habe und dadurch der europarechtlichen Wirkung von Rahmenbeschlüssen nicht gerecht geworden sei.43 Nicht zu widersprechen ist den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts darin, dass dem deutschen Umsetzungsgesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses an vereinzelten Stellen durchaus ein Umsetzungsspielraum zu Verfügung stand.44 So bieten – wie das Gericht zu Recht ausführt – beispielsweise Art. 4 Nr. 7 lit. a) und b) RB-EUHb in der Tat ausdrücklich Umsetzungsspielräume, da die Vorschriften vorsehen, dass die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigert werden kann, wenn dieser sich auf Straftaten erstreckt, die nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind, oder die außerhalb des Hoheitsgebietes des Ausstellungsmitgliedstaates begangen wurden und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebietes begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen. Jedoch verkennt sowohl das Gericht mit seiner Vorgabe, den Eingriff in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG verhältnismäßiger zu gestalten, als auch der diesem durch die abgestufte Normierung in Art. 80 IRG im Rahmen der zweiten Umsetzung folgende Gesetzgeber, dass der Rahmenbeschluss grundlegend verlangt, den aus der Staatsangehörigkeit abgeleiteten Auslieferungsschutz zurückzunehmen und das in Art. 16 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerte Regel-Ausnahme-Verhältnis umzukehren.45 Der Vollstreckungsstaat kann die Vollstreckung eines Haftbefehlsantrags lediglich unter den in Art. 4 Nr. 6 RB-EUHb bestimmten Voraussetzungen zurückweisen bzw. nach Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb mit besonderen Bedingungen verknüpfen46, er muss dies jedoch nicht. Hinsichtlich dieser grundsätzlichen Veränderung der dogmatischen Grundlagen des europäischen Auslieferungsrechts belässt der Rahmenbeschluss dem nationalen Gesetzgeber damit keinen Umsetzungsspielraum. Wenn nun also das Bundesverfassungsgericht einen bestehenden Gesetzgebungsspielraum für die Gestaltung nationaler Vorbehalte aufzeigt, so handelt es sich lediglich um einen Spielraum für die Ausgestaltung bestehender Ausnahmeregelungen, dem im Vergleich mit der vorgegebenen grundlegenden Veränderung der elementaren Grundlagen keine überhöhte Stellung eingeräumt wer43 Siehe zur abweichenden Meinung des Richters Gerhardt BVerfGE 113, 273 (339, 341 ff.). 44 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., I. 2. 45 Vgl. im Hinblick auf die zurückgedrängte Rolle der Staatsangehörigkeit als Element des Auslieferungsrecht das abweichende Votum der Richterin Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 273 (327 ff.). 46 Vgl. zu den Regelungen Art. 4 Nr. 6 RB-EUHb und Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., II., 4., a).

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den darf.47 Denn hinsichtlich der Zielvorgabe des Rahmenbeschlusses, die in der Entwertung der Staatsbürgerschaft als Auslieferungshindernis zu sehen ist, ist der nationale Gesetzgeber an die Vorgaben des Rahmenbeschlusses gebunden. Die Aufstellung eines weitreichenden nationalen Vorbehalts der Staatsangehörigkeit als Auslieferungshindernis stellt sich vor diesem Hintergrund denn auch eher als Überschreitung des vom Rahmenbeschluss vorgegebenen Ziels dar als die Ausfüllung eines Gestaltungsspielraumes. Der Annahme eines bestehenden Gestaltungsspielraumes bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses ist jedoch nicht nur im Hinblick auf das Moment der Staatsbürgerschaft als im Grundsatz nicht zur Verfügung stehendes Auslieferungshindernis zu widersprechen. An einem Spielraum für den nationalen Gesetzgeber mangelt es auch hinsichtlich der begrenzten Ersetzung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit als Auslieferungsvoraussetzung durch das Anerkennungsprinzip. Diese vom Rahmenbeschluss zentrale systematische Neuerung im Auslieferungsrecht hatten die Mitgliedstaaten ohne wenn und aber als „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit48 einzuführen. Dieser Pflicht kam der Bundestag durch den Verweis in § 81 Nr. 4 IRG auf den Katalog des Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb auch ohne Einschränkung nach. An einem Umsetzungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber fehlte es schließlich auch im Hinblick auf die Umsetzung der vom Rahmenbeschluss aufgestellten verfahrensrechtlichen Anforderungen, die die Verankerung des einaktigen justiziellen Verfahrens der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen anstelle des mehraktigen Bewilligungsverfahrens vorsehen49. Dass der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung dieser vorgegebenen Änderung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen nicht konsequent nachgekommen ist50, stellt keine Ausnutzung eines vermeintlichen Umsetzungsspielraumes dar, sondern vielmehr eine Missachtung der vorgegebenen Ziele, die grundsätzlich vor dem Hintergrund der im Pupino-Urteil aufgestellten Grundsätze als europarechtswidrig anzusehen ist. Nach alledem lässt sich festhalten, dass dem nationalen Umsetzungsgesetzgeber bei der Umsetzung der mit dem Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Ziele kein substantieller Spielraum verblieben ist, so dass man hinsichtlich des „wie“ der Einführung des Instruments des Europäischen Haftbefehls nicht von einer Heilung demokratischer Defizite sprechen kann.

47 In diesem Sinne auch Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 454; Jekewitz, in: GA 152 (2005), S. 625, 636. 48 Siehe Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses Ziff. 6. 49 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., I. 50 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., II. und III.

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b) Fehlende Möglichkeit zur Umsetzungsverweigerung Der Annahme einer nachträglichen Demokratisierung der Einführung des Instituts des Europäischen Haftbefehls steht neben dem Umstand, dass der nationale Gesetzgeber das „wie“ der Umsetzung nicht in der Hand hat, ferner entgegen, dass eine eigene Entscheidungsfreiheit der nationalen Parlamente auch hinsichtlich des „ob“ der Umsetzung eines Rahmenbeschlusses abzulehnen ist. Denn auch in diesem Punkt ist der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu widersprechen, das in seinem Urteil ausgeführt hatte, dass die mitgliedstaatlichen Legislativorgane notfalls die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses auch verweigern könnten, da es sich beim Unionsrecht im Bereich der dritten Säule um eine dem Völkerrecht zuzuordnende Teilrechtsordnung handele.51 Eine derartige politische Gestaltungsmacht, die es den nationalen Parlamenten erlauben würde, einen Rahmenbeschluss als Rechtsakt zu ignorieren, stünde aber deutlich im Widerspruch zur Vergemeinschaftungstendenz im Bereich der dritten Säule im Allgemeinen52 und zu den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs im Pupino-Urteil im Besonderen53. Vor dem Hintergrund der durch den Gerichtshof verankerten Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung und zur Unionstreue im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit und der Betonung des zwingenden Charakters von Rahmenbeschlüssen54 sind die mitgliedstaatlichen Parlamente vielmehr als verpflichtet anzusehen, Rahmenbeschlüsse ins nationale Recht umzusetzen.55 Dass ein Spielraum des nationalen Umsetzungsgesetzgebers hinsichtlich des „ob“ der Umsetzung entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts abzulehnen ist, ergibt sich im Übrigen nicht erst aus den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen, sondern bereits aus dem dogmatischen Unterschied zwischen Rahmenbeschlüssen und Übereinkommen als im Bereich der dritten Säule zur Verfügung stehender Handlungsformen. 51 Siehe BVerfGE 113, 273 (301). Zu widersprechen ist insofern auch der Auffassung des polnischen Verfassungsgerichtshofs, der ebenfalls die Zuordnung von Rahmenbeschlüssen zum Völkerrecht unterstreicht, siehe Poln. Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 27.04.2005, Rs. P 1/05 D.U. 2005.77.680 – Europäischer Haftbefehl. 52 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. 53 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., I., 2. 54 Siehe insofern insbesondere noch einmal die Ausführungen des EuGH im Pupino-Urteil in Rdnrn. 41 ff. 55 Siehe die kritischen Anmerkungen zum Verständnis des Bundesverfassungsgerichts von der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen Wolf, in: KJ 2005, S. 350, 352; Wasmeier, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 59, 63; ders., in: ZEuS 2006, S. 23, 27 ff.; Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 384; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41; Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 805; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 867; Unger, S. 80; v. Unger, in: NVwZ 2005, S. 1266, 1271; Klink/Proelß, in: DÖV 2006, S. 469, 473.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Im Gegensatz zu Übereinkommen im Sinne von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU kennt Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU eben gerade nicht die Möglichkeit einer Nichtumsetzung von Rahmenbeschlüssen. Während Übereinkommen nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU die Mitgliedstaaten lediglich verpflichten, das innerstaatliche Ratifizierungsverfahren innerhalb der vom Rat gesetzten Frist einzuleiten, die endgültige Zustimmung jedoch ins freie politische Ermessen der nationalen Parlamente stellt,56 sind Rahmenbeschlüsse gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU hinsichtlich des Ziels gerade verbindlich und überlassen den Mitgliedstaaten lediglich die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung des Ziels. Nach alledem lässt sich festhalten, dass sich die fehlende demokratische Legitimation im Rahmen der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses nicht nachholen lässt. Auch wenn die nationalen Umsetzungsgesetze als formelle und materielle Gesetze grundsätzlich im Hinblick auf die Anforderungen des Demokratieprinzips unbedenklich sind, so fehlt ihnen doch eine echte Legitimationswirkung, da die Umsetzungsakte lediglich der Übernahme der durch den Rahmenbeschluss festgelegten Inhalte dienen. Inhaltliche Änderungen oder gar eine Ablehnung des durch den europäischen Rechtsakt vorgegebenen Inhalts lassen sich nicht vornehmen, so dass folgerichtig von einer Heilung demokratischer Defizite durch das Umsetzungsverfahren nicht gesprochen werden kann. 3. Verstoß gegen das Erfordernis maximaler demokratischer Legitimation von Rechtsetzungsakten im strafrechtlichen Bereich In Anknüpfung an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Urteil, nach dem mangels Staatlichkeit der Europäischen Union zuvorderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten über ihre Parlamente das notwendige Legitimationsniveau zu vermitteln haben und der damit verbundenen Forderung, dass dem Bundestag Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müssen57, kann man nach hier vertretener Auffassung bereits mit Blick auf die bis hierher festgestellte geringe Beteiligung der nationalen Umsetzungsgesetzgeber an der weitereichenden Einführung des Anerkennungsprinzips im grundrechtssensiblen Bereich des Auslieferungsrechts von einem Verstoß gegen das in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Demokratiegebot und damit verbunden an dieser Stelle auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip ausgehen. Vor dem Hintergrund der geringen Anforderungen, die die Vorschrift allerdings an die Europäische Union als Staatenverbund stellt, soll noch die Darstellung eines weiteren Zusammenhanges die benannten Defizite verdeutlichen. 56 57

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., II., 4. BVerfGE 89, 155 (184, 186).

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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Wenn Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG einerseits zum Zwecke der Verwirklichung überstaatlicher Zusammenarbeit bereits notgedrungen keine hohen Anforderungen an die demokratische Legitimation von europarechtlichen Rechtsakten stellt, so ist ihm andererseits gerade deshalb immanent, dass von den zuständigen Rechtsetzungsorganen bei der Rechtsetzung grundsätzlich diejenige verfügbare Handlungsform zu wählen ist, die die höchst mögliche demokratische Legitimationswirkung mit sich bringt. Dies muss umso mehr und absolut dann gelten, wenn der europarechtliche Rechtsakt die Grundlage für einschneidende Eingriffe in die Freiheit eines Staatsbürgers wie im Bereich des Auslieferungsrechts darstellen soll. In diesen Fällen ist stets zwingend die höchste Form der Demokratie zu wählen.58 Genau aus diesem Grunde aber ist im Rahmen der Rechtsetzung in grundrechtsrelevanten Bereichen stets das Rechtsinstrument des europarechtlichen Übereinkommens gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU der Handlungsform des Rahmenbeschlusses vorzuziehen, da den nationalen Gesetzgebern bei der Rechtsetzung in Form von Übereinkommen vor dem Hintergrund, dass kein Zwang zur Umsetzung besteht, ein eigener Entscheidungsspielraum und damit verbunden eine Möglichkeit zur Kontrolle auf exekutiver Ebene ausgehandelter Abkommen verbleibt.59 Wenn nun der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zur Gültigkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ausführt, dass die Wahl der Handlungsform für die Einführung des Instituts des Europäischen Haftbefehls grundsätzlich frei im Ermessen des Rates der Europäischen Union stand, da Art. 34 Abs. 2 EU keine Reihenfolge zwischen den in der Vorschrift zur Verfügung gestellten Instrumenten vorsehe60, so ist dem bereits mit Blick auf die bisher bestehende Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs zur Wahl der Handlungsform durch die europäischen Rechtsetzungsorgane zu widersprechen.61 58 Streinz, Rdnr. 476; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 34 EUV, Rdnr. 13; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34, Rdnr. 10; Lüderssen, in: GA 150 (2003), S. 71, 82; ders., in: Schünemann, Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, S. 45, 48; a. A. Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34, Rdnr. 21. 59 Vgl. zum Instrument des europarechtlichen Übereinkommens nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., II., 4. Wie hier auch Tinkl, S. 122. Siehe aber auch Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 456, der die Entscheidungsfunktion von Bundestag und Bundesrat auch im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge in der Praxis nicht allzu hoch einstuft. So auch Kress, in: ZStW 116 (2004), S. 445, 447 ff. 60 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2238 f. = EuZW 2007, S. 373, 375 f. – Advocaten voor de Wereld VZW; siehe auch die Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnrn. 52 ff. – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia.europa.eu/. 61 So auch Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 102.

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So hat der Gerichtshof in früheren Urteilen betreffend die Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht hervorgehoben, dass die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsaktes nicht allein davon abhängig sein kann, welches nach der Überzeugung eines Organs das angestrebte Ziel ist, sondern dass die Wahl sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muss.62 Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt eines Rechtsaktes. Anderes kann aber auch im Rahmen des Art. 34 Abs. 2 EU nicht gelten, so dass nicht einleuchtet, warum der Gerichtshof dem Rat hinsichtlich des Erlasses des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl einen solch weiten Ermessenspielraum zugebilligt hat. Vielmehr wäre anhand der zur Verfügung stehenden rechtlichen Kriterien abzuwägen gewesen, ob das Instrument des Rahmenbeschlusses oder des Übereinkommens die geeignete Handlungsform darstellt. Im Rahmen einer Abwägung ist durchaus zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Instrument des Rahmenbeschlusses grundsätzlich um die effektivere Rechtsetzungsform handelt und dass für die Einführung des Europäischen Haftbefehls gerade deshalb der Rahmenbeschluss als Handlungsform gewählt wurde, weil die vorangegangenen Versuche zur Vereinfachung des Auslieferungsrechts auf der Grundlage europarechtlicher Übereinkommen daran gescheitert waren, dass nicht alle Staaten die Übereinkommen umgesetzt hatten.63 Insofern ist natürlich auch ein berechtigtes nachvollziehbares Interesse des Rates nachvollziehbar, bei der Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht nicht mehr vom politischen Willen der nationalen Parlamente abhängig sein zu wollen, sondern diesen die Einführung quasi diktieren zu können. Jedoch muss man sagen, dass es bei allem Verständnis für das Ärgernis der häufig fehlenden Effizienz völkerrechtlicher Zusammenarbeit jeder demokratischen Legitimation und damit verbunden jeder Forderung nach Gewaltenteilung Hohn spricht, wenn in Fällen fehlender parlamentarischer Durchsetzbarkeit eines politischen Anliegens auf eine rein gubernative Form der Rechtsetzung zurückgegriffen wird, der ein gewisser Zug autoritärer Herrschaftsausübung durch nicht unmittelbar demokratisch legitimierte Hoheitsträger nicht abgesprochen werden kann.64 Dabei geht es im Rahmen der hier vorgetragenen Kritik an der Formenwahl nicht grundsätzlich darum, gubernative Zusammenarbeit im zwischenstaatlichen 62 EuGH, Urt. v. 26.03.1987, Rs. 45/86, Slg. 1987, 1517, Rdnr. 11 – Kommission/ Rat; EuGH, Urt. v. 11.06.1991, Rs. C-300/89, Slg. 1991 I-2895, Rdnr. 10 – Titanoxid; EuGH, Urt. v. 23.02.1999, Rs. C-42/97, Slg. 1999 I-882, Rdnr. 36 – Parlament/Rat; EuGH, Urt. v. 04.04.2000, Rs. C-269/97, Slg. 2000 I-2278, Rdnr. 43 – Kommission/ Rat; EuGH, Urt. v. 19.9.2002, Rs. C-336/00, Slg. 2002 I-7736, Rdnr. 30 – Huber; EuGH, Urt. v. 13.09.2005, Rs. C-176/03, Slg. 2005 I-7907, Rdnr. 45 – Kommission/ Rat. 63 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, A., I., Fn. 21. 64 In diesem Sinne auch Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 122 f.

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strafrechtlichen Bereich im Allgemeinen oder das Instrument des Rahmenbeschlusses im Besonderen in Frage zu stellen.65 Auch soll nicht die Einführung des Anerkennungsprinzips im Bereich des Auslieferungsrechts grundsätzlich kritisiert werden. Es geht vielmehr darum, den sorglosen Umgang gubernativ geprägter Rechtsetzung in äußerst grundrechtssensiblen Bereichen bzw. die sogar bewusste Umgehung demokratischerer und rechtsstaatlicherer, aber mühsamerer Wege anzuprangern. Es geht darum, anzuprangern, dass die Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen auf das Auslieferungsrecht und die damit schleichend vonstatten gehende Harmonisierung der einzelnen europäischen Strafrechtsordnungen66 mittels der am schwächsten demokratisch legitimierten Vorgehensweise durchgeführt worden ist und dass der Einsatz des Instruments des Rahmenbeschlusses als dem Gemeinschaftsrecht nahe stehende Handlungsform67 nicht auf weniger eingriffsintensive Regelungsbereiche beschränkt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Zustimmung durch das Europäische Haftbefehlsgesetz zur Einführung des Europäischen Haftbefehls und die Zustimmung zur damit verbundenen horizontalen Hoheitsrechtsübertragung auf der Grundlage eines Rahmenbeschlusses als Verstoß gegen die Pflicht anzusehen, nur an einer Europäischen Union mitzuwirken, die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Vor dem Hintergrund des oben dargestellten Prüfungsmaßstabes liegt damit auch gleichsam ein Verstoß gegen die Unantastbarkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG vor. II. Verstoß gegen den Menschenwürdeschutz Neben einem Verstoß gegen das wegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu beachtende Demokratiegebot und das Gebot der Gewaltenteilung kommt des Weiteren im Fall der Übertragung von Hoheitsrechten durch das Europäische Haftbefehlsgesetz ein Verstoß gegen den über Art. 79 Abs. 3 GG unantastbaren Menschenwürdeschutz in Betracht. Maßgeblich ist insofern, ob durch die Hoheitsrechtsübertragung der Leitgedanke des Grundsatzes als verletzt anzusehen ist.68 Wie oben ausgeführt, er65 Insofern soll hier gar nicht der Auffassung von Kress, in: ZStW 116 (2004), S. 445, 449 widersprochen werden, der zu Recht darauf hinweist, dass das Völkerstrafrecht grundsätzlich im Wesentlichen auf gubernative auswärtige Staatenpraxis zurückzuführen ist. 66 Vgl. insofern die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., III. 67 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., III. 68 Vgl. zum Prüfungsmaßstab im Hinblick auf Verstöße gegen über Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Grundsätze die Ausführungen in Kapitel 5, C., III.

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streckt sich der Menschenwürdeschutz nicht auf sämtliche einzelne im Grundgesetz verankerte Grundrechtsausprägungen, sondern nur auf die Grundrechte, die sich als notwendiger Bestandteil des Menschenwürdegehalts darstellen. Ob ein Grundrecht in den Schutzbereich des Menschenwürdeschutzes fällt, ist dabei grundsätzlich anhand einer Einzelfallbetrachtung zu bestimmen, wobei richtungweisend die Fragestellung ist, ob die betroffene Person durch eine staatliche Maßnahme zu einem bloßen Objekt degradiert wird.69 Im vorliegenden Fall stellt sich nun die Frage nach einem Verstoß gegen den Menschenwürdeschutz dadurch, dass durch die im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgegebene grundlegende Einschränkung der Möglichkeit, das Moment der Staatsangehörigkeit als Auslieferungshindernis geltend zu machen70, der Kern des Verbots der Auslieferung Deutscher an das Ausland nach Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG verletzt sein könnte. Dieser weist insoweit Menschenwürdegehalt auf, als dass vom Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG jedenfalls auch das Verbot grausamer, unmenschlicher und unwürdiger Strafen sowie ein Auslieferungsverbot bei drohender Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe umfasst ist.71 Bei Betrachtung der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Vorgaben ist dem Gedanken eines möglichen Verstoßes gegen den Menschenwürdegehalt des Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG jedoch aus mehreren Gründen eine deutliche Absage zu erteilen. Zum einen geht es im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Menschenwürdegehaltes wie bereits angedeutet nicht darum, ob mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses die verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG eingehalten worden sind72. Auch hat die Prüfung sich nicht mit der Frage einer Verletzung des Wesensgehaltes von Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG zu beschäftigen73. Es geht vielmehr ausschließlich um die Frage, ob ein grundsätzlich nicht zu rechtfertigender Eingriff in die genannten Kernelemente vorliegt. Diese werden aber durch die Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in keiner Weise beeinträchtigt. Vielmehr bekennt sich der Text des Rahmenbeschlusses zum einen selbst zu dem Grundsatz, dass niemand in einen 69 Vgl. zum Umfang des Menschenwürdeschutzes die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 3., a). 70 Vgl. insofern die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., II., 4., a). 71 BVerfGE 45, 187 (228); 60, 348 (354 f.); 75, 1 (16 f.); BVerwGE 78, 285 (294); für die Zulässigkeit der Auslieferung auch bei drohender Todesstrafe noch BVerfGE 18, 112 (116). 72 BVerfGE 113, 273 (292 ff.). 73 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 3., a). Insofern ist Unger, S. 156 ff. zu widersprechen, die die Verfassungsmäßigkeit der Umsetzung am Maßstab von Art. 19 Abs. 2 GG überprüft.

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Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder ausgeliefert werden darf, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung steht.74 Und zum anderen begegnet der Rahmenbeschluss der theoretisch denkbaren Gefahr eines Verstoßes gegen den Menschenwürdeschutz durch die Bestrafung im Ausstellungsmitgliedstaat dadurch, dass er in Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb vorsieht, dass die Übergabe eines Staatsangehörigen des Vollstreckungsmitgliedstaates davon abhängig gemacht werden kann, dass die betreffende Person zur Verbüßung der Freiheitsstrafe, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird. Vor dem Hintergrund dieser Umstände kann eine unzulässige Berührung des von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Menschenwürdegehalts ausgeschlossen werden. III. Verstoß gegen den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen Volkes und das Verbot der Entstaatlichung Fraglich ist jedoch, ob der über Art. 79 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG relevante Verfassungsgrundsatz des Verbots der Entstaatlichung im Rahmen der Übertragung von Hoheitsrechten durch das Europäische Haftbefehlsgesetz ausreichend beachtet worden ist. Der Leitgedanke des Verbots der Entstaatlichung sieht grundsätzlich vor, dass die demokratische Selbstbestimmung des deutschen Volkes nicht aufgebbar ist und dass daher die Volkssouveränität des deutschen Volkes im Kern nicht berührt werden darf.75 In Bezug auf den vorliegend in Rede stehenden Fall hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz die Auslieferung Deutscher an andere Mitgliedstaaten nach den Vorgaben des Europäischen Haftbefehls nicht als einen Fall unzulässiger Entstaatlichung angesehen.76 Das Gericht begründete seine Ansicht damit, dass dem Staat Aufgaben von substanziellem Gewicht verblieben seien. Insbesondere handele es sich bei der Einschränkung des Auslieferungsschutzes nicht um den Verzicht auf eine bereits für sich genommen essentielle Staatsaufgabe. In der Literatur wird die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts teilweise mit dem Hinweis darauf geteilt, dass die Europäische Union auch nach der Verankerung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht weit entfernt vor 74

Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses Ziff. 13. Vgl. zum Schutz vorm Verlust der Staatlichkeit die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 2. und Kapitel 5, C., II., 3., b). 76 BVerfGE 113, 273 (298 f.). 75

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den Toren der Staatlichkeit stehe, weil dem Europäischen Parlament nach wie vor die Ausstattung mit umfassenden rechtsetzenden Befugnissen versagt geblieben sei und die Europäische Union nicht in der Lage sei, einseitig den ihr zustehenden Rechtsraum zu erweitern.77 Jedoch ist diese Art der Herangehensweise an die Frage der Entstaatlichung zu kritisieren, da die bloße Wiederholung des Kanons der im Maastricht-Urteil aufgestellten klassischen Kriterien78 bei der Behandlung der Frage der Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland im Fall der durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgegebenen Besonderheiten nicht ausreicht. Die Besonderheit bei der Einführung der Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl liegt nämlich darin, dass dadurch, dass Hoheitsrechte nicht vertikal, sondern horizontal übertragen worden sind, nicht die Frage entscheidend ist, inwieweit die Europäische Union als zwischenstaatliches Gebilde selbst gewisse Kriterien der Staatlichkeit erfüllt, aufgrund derer man von einer Entstaatlichung der deutschen Rechtsordnung zu sprechen hätte. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit man vor dem Hintergrund von einer Entstaatlichung zu sprechen hat, dass der Rahmenbeschluss die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für die in ihm verankerten 32 Katalogtaten zur Anerkennung der Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten verpflichtet79 und dadurch das deutsche Volk mit Strafgesetzen konfrontiert, die nicht durch dieses selbst legitimiert sind. Problematisch ist insofern die Entkoppelung von nationalen Vorgaben unter gleichzeitiger Bindung an die Rechtsordnungen anderer Länder.80 Ob in der Anerkennung fremder strafrechtlicher Rechtsordnungen ein Verlust der Staatlichkeit in horizontaler Hinsicht zu erblicken ist, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Teilweise wird hervorgehoben, dass das demokratische Prinzip dem Bürger garantiere, dass er grundsätzlich nur nach denjenigen Strafgesetzen als „Feind der Gesellschaft“ eingesperrt wird, an deren Entstehung er als Aktivbürger selbst mitwirken konnte81. Die Unterwerfung unter fremde Strafgesetze würde eine unzulässige Fremdherrschaft bedeuten. 77

Tomuschat, in: EuGRZ 2005, S. 453, 457. BVerfGE 89, 155 (186 ff.). 79 Vgl. zur Abschaffung des auslieferungsrechtlichen Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit im Umfang des in dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verankerten Kataloges Kapitel 3, B., II., 1. 80 Siehe insoweit auch Knill/Winkler, in: Der Staat 45 (2006), S. 215, 240. 81 Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 188; ders., in: ZStW 116 (2004), S. 376, 396 f.; so auch im Ergebnis Werner, S. 189 und Tomuschat, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, 78

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Widersprochen wird diesem Ansatz mit dem Argument, dass bei dieser Sichtweise aus dem Demokratieprinzip – jedenfalls unter einer Verfassung ohne Ausländerwahlrecht – das Gebot folgen würde, das Strafanwendungsrecht auf den Grundsatz der aktiven Personalität auszurichten. Dies hätte aber zur Folge, dass damit der im internationalen Strafrecht inzwischen weltweit herrschende Territorialitätsgrundsatz aus demokratieprinzipiellen Bedenken zu verwerfen wäre.82 Denn nach diesem unterliegen alle Personen der Strafgewalt des Tatortstaates.83 Das sind aber eben auch Ausländer, die an der Entstehung der auf sie angewendeten Strafgesetze nicht aktiv mitgewirkt haben.84 Nun besteht jedoch nach hier vertretener Auffassung ein bedeutender Unterschied darin, ob man sich als Person freiwillig der Strafgewalt eines fremden Staates überantwortet, oder ob man sich einer fremden Strafgewalt eines anderen Mitgliedstaates infolgedessen gegenübersieht, dass man dieser aufgrund eines gubernativen quasi autoritären Hoheitsaktes85 überantwortet wurde, ohne selbst diese Unterwerfung herbeigeführt zu haben. Insofern ist die Anwendbarkeit von fremden Strafgesetzen auf der Grundlage des Territorialitätsgrundsatzes nur schwerlich mit der Anwendung von fremden Strafgesetzen auf der Grundlage des Prinzips der Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen vergleichbar. Als wesentlich für die Beantwortung der Frage, ob der Grundsatz der Staatlichkeit durch die Verankerung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht berührt worden ist, erscheinen vielmehr zwei andere Punkte: Auf der einen Seite spricht für die Annahme eines Verstoßes, dass das deutsche Volk bei der Unterwerfung unter ausländische strafrechtliche Normen keine essentielle Beteiligung erfahren hat. Denn hätte der Deutsche Bundestag aus eigenem freiem Willen für eine bestimmte Anzahl von Straftatbeständen der Unterwerfung unter strafrechtliche Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten zustimmen können, wäre die Souveränität der Bundesrepublik als nicht so stark angetastet anzusehen gewesen. Auch hätte man eher von einer freiwilligen selbst herbeigeführten und damit auch souveränen Unterwerfung unter fremde Entscheidungen sprechen können, wenn der deutschen Volksvertretung nicht vor dem Hintergrund der Pupino-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs86

BK, Art. 24 GG, Rdnr. 44, die jedoch aus diesem Grunde bereits das Bestehen einer Grundlage für horizontale Hoheitsrechtsübertragungen auf andere Staaten ablehnen, siehe insofern die Ausführungen oben in Kapitel 5, A., I. 82 Gleß, in: ZStW 116 (2004), S. 353, 360; Kress, in: ZStW 116 (2004), S. 445, 464. 83 Siehe zum Territorialitätsprinzip anstatt vieler Murschetz, S. 22. 84 Deiters, in: ZRP 2003, S. 359, 360; Baier, in: GA 148 (2001), S. 427, 435. 85 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 3. 86 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, B.

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lediglich eine exekutive Funktion für auf ministerieller Ebene verabschiedete Vorgaben zugestanden hätte. Auf der anderen Seite spricht gegen die Annahme eines Verfassungsverstoßes, dass in der Beibehaltung zahlreicher – wenn auch eingeschränkter – Ablehnungsgründe und Vorbehaltsmöglichkeiten in Art. 3, 4 und 5 RB-EUHb, die in einem Übergabeersuchen vom Vollstreckungsmitgliedstaat dem Begehren des Ausstellungsstaat entgegengehalten werden können87, ein ausreichender Ausgleich für die durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl teilweise eingeführte Fremdbestimmung gesehen werden kann. So stellt beispielsweise die Möglichkeit, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nach Art. 4 Nr. 6 RB-EUHb aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu verweigern, wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat sich verpflichtet, die Strafe nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken, eine Ausprägung nationalstaatlicher Souveränität dar, die nach wie vor, selbst wenn das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Ablehnungsmöglichkeit eines Auslieferungsersuchens aus Gründen der Staatsangehörigkeit durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl umgekehrt worden ist88, einer uneingeschränkten Fremdbestimmung des Betroffenen entgegensteht. Ebenso stellen die in Art. 4 Nr. 7 RB-EUHb normierten Ablehnungsgründe Zeugnisse verbliebener staatlicher Souveränität dar, da die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigern kann, wenn dieser sich entweder auf Straftaten erstreckt, die nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind oder wenn er sich auf Straftaten erstreckt, die außerhalb des Hoheitsgebietes des Ausstellungsmitgliedstaates begangen wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebietes begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen. Zwar wird vielfach vorgebracht, dass theoretisch die Gefahr bestünde, dass beispielsweise ein Deutscher für ein Handeln, welches in den Anwendungsbereich des Deliktkataloges des Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb fällt, von einem anderen Mitgliedstaat ohne Vorbehaltsmöglichkeit zur Verantwortung gezogen werden könnte, selbst wenn sein Handeln nach deutschem Recht straflos ist.89 Allerdings ist zu beachten, dass dieser Fall, auch wenn er grundsätzlich denkbar ist, 87

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, B., II., 4.; siehe auch Juppe, S. 128. Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 2., a). 89 Schünemann, in: StV 2005, S. 681, 682; ders., in: GA 149 (2002), S. 501, 507 f.; Unger, S. 113 führt als Fallbeispiele an, dass die Bundesrepublik einen irischen Haftbefehl wegen eines Schwangerschaftsabbruchs oder einen österreichischen Haftbefehl wegen Beihilfe zur Selbsttötung zu vollstrecken habe, siehe insofern auch die Ausführungen unten in Kapitel 6, B., IV., Fn. 116. 88

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wegen Art. 4 Nr. 7 RB-EUHb voraussetzt, dass die in Rede stehende Handlung auf dem Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaates begangen wurde.90 Nur dann ist der Vollstreckungsmitgliedstaat tatsächlich verpflichtet, den Täter auszuliefern und hat im Falle, dass dieser dessen Staatsangehöriger ist, gemäß Art. 5 Nr. 3 RB-EUHb lediglich die Möglichkeit, die Übergabe des Betroffenen von der Bedingung der Rücküberstellung zur Verbüßung der Strafe im Vollstreckungsmitgliedstaat abhängig zu machen. Die fehlende Möglichkeit, in einem solchen Fall die Vollstreckung zu verweigern, kann jedoch nicht als eine Beschränkung bzw. Verletzung des Selbstbestimmungsrechts angesehen werden. Denn es ist, wie gerade dargestellt, grundsätzlich zu unterscheiden, ob eine Person sich aus freien Stücken einer fremden Strafgewalt überantwortet, oder ob sie gezwungenermaßen überantwortet wird. Unterstellt sich die Person freiwillig der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates, entäußert sie sich ein Stück weit ihrer Selbstbestimmung.91 Da ein Haftbefehlsantrag vom Vollstreckungsmitgliedstaat in allen anderen Fällen, in denen die nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaates strafbare Handlung nicht auf dessen Hoheitsgebiet vorgenommen worden ist, zwar vollstreckt werden kann aber nicht vollstreckt werden muss, ist im Ergebnis ein ausreichender Ausgleich zur grundsätzlich eingeführten gegenseitigen Anerkennung ausländischer Strafrechtsordnungen zu sehen, so dass von einer entstaatlichenden Wirkung des Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl nicht gesprochen werden kann. Ein Verstoß gegen den über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Staatlichkeitsgrundsatz ist daher nicht anzunehmen. IV. Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots Auch wenn der Bestimmtheitsgrundsatz selbst nicht Bestandteil der von der Unabänderlichkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG geschützten rechtsstaatlichen Kernelemente ist92, so ist er im Rahmen von Hoheitsrechtsübertragungen aufgrund des Vorbehalts der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG

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Siehe insofern auch Fuchs, in: JBl. 125 (2003), S. 405, 411. Zuzustimmen ist insoweit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, das dargelegt, dass derjenige, der in einer anderen Rechtsordnung handelt, damit rechnen muss, hier zur Verantwortung gezogen zu werden, siehe BVerfGE 113, 273 (303). Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch die Verpflichtung zur Auslieferung bei im Ausland straffällig gewordenen Deutschen sieht hingegen Richter Broß in seinem abweichenden Votum, siehe BVerfGE 113, 273 (319, 322 ff.). Wie hier auch Kretschmer, in: Jura 2005, 780, 785. 92 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 3., d). 91

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zu beachten, nach dem die Europäische Union rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet sein muss.93 In seinem Kern besagt der Grundsatz, dass gesetzliche Tatbestände so präzise zu formulieren sind, dass ein Normadressat sein Handeln kalkulieren kann, weil die Folgen der Regelung für ihn voraussehbar und berechenbar sind.94 Dabei schließt der Bestimmtheitsgrundsatz zwar selbst im Fall des Strafrechts nicht aus, unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln zu verwenden95, jedoch gilt für grundrechtseinschränkende Regelungen, dass der Grad der Bestimmtheit von den jeweiligen sachlichen Eigenarten des Regelungsgegenstandes abhängig ist und dass sich die Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen mit der Intensität erhöhen, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann.96 Besondere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz gelten darüber hinaus auch für die Übertragung von Hoheitsrechten.97 So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung klargestellt, dass es einer unzulässigen Generalermächtigung gleichkäme, wenn die Inanspruchnahme nicht benannter Aufgaben und Befugnisse durch die Europäische Gemeinschaft dadurch ermöglicht werden würde, dass nicht feststehe, in welchem Umfang und Ausmaß der deutsche Gesetzgeber der Verlagerung der Ausübung von Hoheitsrechten zugestimmt hat.98 Gleichzeitig hat das Gericht jedoch auch ausgeführt, dass mit Rücksicht darauf, dass der Text eines völkerrechtlichen Vertrages mit den Vertragsparteien ausgehandelt werden müsse, an die Bestimmtheit und Dichte

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Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 2. BVerfGE 31, 255 (264); 83, 130 (145); 84, 133 (149); 87, 234 (263); 108, 52 (75); 110, 33 (53 f.); 113, 348 (375); BVerwGE 77, 214 (219); 92, 196 (207); 96, 110 (111); Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20, S. 829 f.; Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 126; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 129; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 58; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnr. 289; Middelschulte, S. 152. 95 BVerfGE 4, 352 (357 f.); 11, 232 (237); 28, 175 (183); 32, 346 (364); 45, 363 (371); 48, 48 (56); 50, 205 (216); 103, 21 (34); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 62. 96 BVerfGE 83, 130 (145); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 129; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnr. 290; v. Heinegg, in: Hofmann/Marko/Merli/Wiederin, S. 107, 126. Für den Bereich des Strafrechts stellt die erhöhte Anforderung an den Bestimmtheitsgrundsatz letztlich eine Ausprägung des Grundsatzes nulla poena sine lege dar, der seine eigenständige verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 103 Abs. 2 GG gefunden hat, siehe u. a. BVerfGE 14, 174 (185 f.); 14, 245 (251 f.); 25, 269 (285); 26, 186 (204); 28, 175 (183); 32, 346 (363); 51, 60 (73 f.); 57, 250 (262 ff.); 60, 215 (233 ff.); 75, 329 (342); siehe auch Sobota, S. 138. 97 BVerfGE 68, 1 (98 ff.); 89, 155 (187). 98 BVerfGE 89, 89 (155, 187). 94

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der Vertragsregelungen nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden können, wie sie der Parlamentsvorbehalt sonst für ein Gesetz vorgibt.99 Obwohl aufgrund des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zugrunde liegenden Prüfungsmaßstabs das Vorliegen erheblicher rechtsstaatlicher Defizite für die Annahme einer insofern verfassungswidrigen Hoheitsrechtsübertragung zu verlangen ist100, könnte nun vor dem Hintergrund der Herbeiführung der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen durch das Europäische Haftbefehlsgesetz darin ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz zu sehen sein, dass die in dem Katalog in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgeführten Straftatbestände äußerst weit gefasst sind und daher in hohem Maße unterschiedlichen Definitions- und Auslegungsmöglichkeiten zugänglich sind. So sieht der Straftatenkatalog beispielsweise vor, dass die Übergabe einer Person durch den Vollstreckungsmitgliedstaat an den Ausstellungsmitgliedstaat ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgen soll, wenn der Straftatbestand der Cyberkriminalität 101, des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit102, des Betrugs103 oder der Sabotage104 vorliegt. Diese Begriffe sind eher als Kriminalitätsphänomene denn als Strafrechtstatbestände zu bezeichnen.105 Sie beschreiben kriminelle Handlungsweisen und definieren sie nicht. Obwohl nun zum einen aus der Praxis nicht bekannt ist, dass die Abstraktheit der in dem Katalog aufgezählten Straftatbestände in Verfahren auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls zu größeren Problemen geführt hat106 und obwohl zum anderen Richter Gerhardt in seinem abweichenden Votum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz mit gewisser Berechtigung darauf hinweist, dass davon ausgegangen werden könne, dass die Deliktsgruppen nach gemeineuropäischer Überzeugung strafwürdiges Unrecht darstellten107 und obwohl schließlich zahlreiche Deliktsgruppen mittlerweile sogar Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen waren108, ist der in den vergangenen Jahren häufig in der Literatur geäußerten 99

BVerfGE 89, 155 (187). Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5, B., II. 101 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 11 RB-EUHb. 102 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 15 RB-EUHb. 103 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 20 RB-EUHb. 104 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 32 RB-EUHb. 105 So bereits Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 337 und Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 106. 106 Bericht der Kommission vom 24.01.2006, Ziff. 2.1.1., KOM (2006) 8 endg.; Hackner, in: NStZ 2005, S. 311, 312. 107 Abweichende Meinung des Richters Gerhardt, siehe BVerfGE 113, 273 (339, 340). 108 Siehe beispielsweise zur Deliktsgruppe Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Gemeinsame Maßnahme 96/443/JI vom 15.07.1996 betreffend die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABl. 1996 Nr. L 185, S. 5; zur Deliktsgruppe 100

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Kritik an der Unbestimmtheit der Beschreibung der in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgezählten Deliktsformen auch heute noch im Ergebnis zuzustimmen.109 Die Zustimmung gründet sich dabei maßgeblich auf den Umstand, dass die Definitionsmacht bei der Subsumtion einer Handlung unter einen der in der Liste genannten Begriffe auch nach den Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl allein dem Ausstellungsmitgliedstaat zufällt.110 Dadurch liegt es in der Natur der Sache, dass der Katalog in der Praxis weit ausgelegt wird. Jedenfalls verwundert es sehr, wie auffallend unbekümmert der Europäische Gerichtshof im Rahmen der Überprüfung der Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls in dem Verfahren Advocaten voor de Wereld mit der Problematik der Unbestimmtheit des Deliktkatalogs umgegangen ist. Er lehnte einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit wegen des Vorwurfs der Unbestimmtheit lediglich mit den Argumenten ab, dass der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehöre, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, und vor allem durch Art. 7 Abs. 1 EMRK gewährleistet werde. Mit Blick auf die Definitionsmacht des Ausstellungsmitgliedstaates sei vor diesem Hintergrund eine ausreichende gesetzliche Definition für Straftaten bereits dann erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlautes der einschlägigen Bestimmungen und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen könne, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen. Im Übrigen bestimme Art. 1 Abs. 3 RB-EUHb ausdrücklich, dass der Ausstellungsstaat die Grundrechte und Betrug den Rahmenbeschluss 2003/568/JI vom 22.07.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192, S. 54; zu den Deliktsgruppen Cyberkriminalität und Sabotage den Rahmenbeschluss 2005/222/JI vom 24.2.2005 über Angriffe auf Informationssysteme, ABl. 2005 Nr. L 69, S. 1. 109 Vgl. die Kritik von Schomburg, in: NJW 2003, S. 3392, 3393; Keijzer, in: Blekxtoon/van Ballegooij, pp. 137, 149; Murschetz, S. 318 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, in: StraFo 2007, S. 267, 273; Fuchs, in: JBl. 125 (2003), S. 405, 407 f.; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 227; v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, in: GA 150 (2003), S. 44, 48, Fn. 29; Braum, in: GA 152 (2005), S. 681, 692; Wehnert, in: StraFo 2003, S. 356, 358; Ahlbrecht, in: NStZ 2006, S. 70, 72; Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Schulze/Zuleeg, § 42, Rdnr. 165; Schilling, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 97, 105 ff.; Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, in: NStZ 2006, S. 663, 668; Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 337; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Hauptteil I, Vor § 78 IRG, Rdnr. 21; Unger, S. 100 ff.; Hefendehl, in: Schünemann (2006), S. 204, 208; Schünemann, in: GA 149 (2002), S. 501, 507 f.; ders., in: StV 2005, S. 681, 682; ders., in: ZRP 2003, S. 185, 187; ders., in: GA 151 (2004), S. 193, 204. 110 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II., 1.; EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2239 = EuZW 2007, S. 373, 376 – Advocaten voor de Wereld VZW; siehe auch Unger, S. 101; v. Bubnoff (2005), S. 67; Rohlff, S. 88.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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die allgemeinen Rechtsgrundsätze und damit auch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen zu achten habe, so dass eine Erklärung der Ungültigkeit des Rahmenbeschlusses wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit nicht in Betracht komme.111 Weiter noch als der Gerichtshof ging sogar der zuständige Generalanwalt in seinen Schlussanträgen im selbigen Fall, der sich zugespitzt dahingehend äußerte, dass die Furcht vor einer mangelnden Bestimmtheit der in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgelisteten Straftaten weniger mit dem Legalitätsprinzip zu tun habe als vielmehr mit der Furcht, dass die Liste von jedem Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werde.112 Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auf europäischer Ebene nicht die gleichen Anforderungen an den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gestellt werden können wie auf staatlicher Ebene, mutet diese Sorglosigkeit seltsam naiv an. Bei den in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgelisteten Deliktsgruppen handelt es sich nicht nur um Straftatbestände, die im Detail von den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden. Hinter manchen Deliktsfeldern verbergen sich vielmehr Straftatbestände, die nicht nur Gegenstand von Auslegungsfragen sind, sondern vielmehr an unterschiedliche ethische, moralische und religiöse Überzeugungen gekoppelt sind.113 Beispielsweise stehen hinter der Deliktsgruppe der vorsätzlichen Tötung114 in den einzelnen Mitgliedstaaten teilweise völlig unterschiedliche Straftatbestände.115 So ist die Teilnahme am Suizid im Gegensatz zur deutschen Strafrechtsordnung in anderen Strafrechtsordnungen, wie zum Beispiel in Dänemark, Frankreich und Griechenland, strafbar116, während die Euthanasie in Deutschland unter Strafe gestellt ist und in den Niederlanden zum Beispiel nicht.117 Große Unterschiede gibt es bei-

111 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2239 f. = EuZW 2007, S. 373, 376 f. – Advocaten voor de Wereld VZW; siehe auch die Urteilsanmerkung von Michalke, in: EuZW 2007, S. 377, 378; ähnlich wie der EuGH Tinkl, S. 154 f. 112 Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnr. 106 – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia. europa.eu/; ihm zustimmend Lagodny, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 143, 145. 113 Siehe insofern auch Unger, S. 110; in diesem Sinne auch Kretschmer, in: Jura 2005, S. 780, 786 und Klip, in: NStZ 2000, S. 626, S. 629. 114 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 14 RB-EUHb. 115 Siehe hierzu auch Murschetz, S. 318 ff. 116 Vgl. für Dänemark § 240 dänisches Strafgesetzbuch, für England Nr. 2 des Suicide Act 1961, für Frankreich Art. 318-1 und Art. 318-2 Code Pénal, für Griechenland Art. 301 des griechischen StGB; siehe auch für Irland Nr. 2 des Criminal Law (Suicide) Act, 1993, für Österreich § 78 des österreichischen Strafgesetzbuchs und für Portugal Art. 135 Código Penal Português. 117 Siehe das niederländische Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung vom 01.04.2002.

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spielsweise auch in der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, der in Irland mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist.118 Auch wenn der Rat versucht hat, durch eine Zusatzerklärung zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Abhilfe zu schaffen, indem definitorisch Leitempfehlungen für Straftaten im Zusammenhang mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sabotage, Erpressung und Schutzgelderpressung formuliert wurden119, stellt sich der Katalog doch als weit mehr dar, als ein unbequemes Novum für Mitgliedstaaten, die an ihrer strafrechtlichen Werteordnung festhalten wollen.120 Vor diesem Hintergrund ist auch dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs zu widersprechen, demzufolge dem Bestimmtheitserfordernis dadurch genüge getan werde, dass der Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund seiner Bindung an den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit in der Pflicht stehe, eine ausreichend bestimmte Normierung für ein einem Auslieferungsverfahren zugrunde liegendes strafbares Verhalten zu sorgen. Ein Bestimmtheitsdefizit aufgrund unklarer rechtlicher Grundlagen kann nicht als heilbar angesehen werden, da Bestimmtheit sich nur im Rahmen des Bestimmbaren herstellen lässt.121 Dass sich die Kritik an der Unbestimmtheit der im Katalog des Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb verankerten Deliktsgruppen auch nicht nur als ein protektionistisches Ansinnen der Mitgliedstaaten abtun lässt, wird schließlich auch in dem Moment deutlich, in dem man den Katalog an den ansonsten vom Europäischen Gerichtshof im Bereich des Gemeinschaftsrechts aufgestellten Grundsätzen misst. So hat der Europäische Gerichtshof selbst zu einem früheren Zeitpunkt an die Bestimmtheit von Strafnormen hohe Anforderungen anlegt, indem er beispielsweise in seinem Urteil aus dem Jahre 1996 in der Rechtssache Strafverfahren gegen X ausdrücklich betonte, dass es sich verbietet eine Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt.122 Hält man sich nun diese Ausführungen des Gerichtshofs vor Augen, die einen Fall der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzung durch eine Richtlinie betrafen, und ruft man sich gleichzeitig die ebenso vom Gerichtshof im Pupino-Urteil entschiedene Vergleichbarkeit der Rechtswirkungen von Rah118

Siehe Nr. 58 des Offences Against The Person Act 1861. I/A-Punkt-Vermerk des Generalsekretariats für den AStV/Rat v. 07.06.2002, Rats-Dok. 7252/02 COPEN 22 CATS 8, S. 3 f., Ziff. 1.2; v. Bubnoff, in: ZEuS 2002, S. 185, 227; Unger, S. 101 f. 120 Ähnlich Unger, S. 110; siehe auch bereits Schomburg, in: StV 1998, S. 153, 157. 121 Vgl. insoweit auch die Ausführungen von Professor Herdegen in der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 431. 122 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996 I-6629, Rdnr. 25 – Strafverfahren gegen X. 119

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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menbeschlüssen und Richtlinien ins Gedächtnis123, erscheint es nicht logisch, warum im Bereich der ersten und der dritten Säule unterschiedliche Maßstäbe an die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz zu stellen sein sollen. Vielmehr erscheint es fast so, als ob der Gerichtshof bei der Beurteilung von Rechtsakten der ersten und dritten Säule mit zweierlei Maß misst und die Konsequenzen seiner eigenen Rechtsprechung nicht ausreichend berücksichtigt. In Anbetracht dieser Umstände muss man feststellen, dass die Herbeiführung der innerstaatlichen Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl den Anforderungen an rechtsstaatliche Grundsätze in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht genügen kann. V. Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz Die Unbestimmtheit des Deliktskatalogs in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb bietet jedoch nicht nur Anlass, im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes zu haben. Da infolge der weit reichenden Auslegungsmöglichkeit der vom Anerkennungsprinzip betroffenen Straftatbestände die Gefahr einer weitreichenden Beeinflussung der nationalen strafrechtlichen Rechtsordnungen ausgeht, kommt vielmehr auch das Vorliegen eines Verstoßes gegen das bei Hoheitsrechtsübertragungen gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zu beachtende Subsidiaritätsprinzip in Betracht. Das Subsidiaritätsprinzip stellt grundsätzlich den Anspruch an die Unionsorgane, die nationale Identität der Mitgliedstaaten im Rahmen der Rechtsetzung im gesamten Bereich der Europäischen Union zu achten, was zur Folge hat, dass die Unionsorgane gegenüber den Mitgliedstaaten einer Rechtfertigungsverpflichtung für ihr Handeln unterliegen. Die Pflicht zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten verlangt von den Unionsorganen vor allem zwei Dinge. Einerseits müssen sie im Sinne einer „Erforderlichkeitsprüfung“ begründen können, warum die mit einer Maßnahme verbundenen Ziele auf Unionsebene besser erreicht werden und andererseits müssen sie grundsätzlich das Rechtsinstrument für die Umsetzung der gesteckten Ziele wählen, das die Identität der Mitgliedstaaten möglichst weitgehend achtet.124 Ob das Subsidiaritätsprinzip durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl als verletzt anzusehen ist, ist in den vergangenen Jahren sowohl Gegenstand der Verfahren zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch vor dem Europäischen Gerichtshof gewesen. Dabei

123

Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., III. Vgl. hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Subsidiaritätsprinzips die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 5. 124

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

haben beide Gerichte ihrer Untersuchung eine unterschiedliche Fragestellung zugrunde gelegt. Der Europäische Gerichtshof lehnte in seiner Überprüfung der Gültigkeit des Rahmenbeschlusses einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip in Anknüpfung an die Ausführungen des Generalanwalts125 aus zweierlei Gründen ab: Zum einen sei die Möglichkeit der Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen in der Breite nicht auf einen bestimmten Bereich begrenzt126 und zum anderen sei der Rat nicht verpflichtet, eine Angleichung mittels eines bestimmten Instruments herbeizuführen. So existiere zwischen den Instrumenten des Rahmenbeschlusses nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. a) EU und des Übereinkommens nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU keine Rangfolge, die es den Unionsorganen auferlege, das Instrument des Übereinkommens als eine die Identität der Mitgliedstaaten möglicherweise schonendere Rechtsetzungsform zu wählen.127 Anstatt auf die Frage der schonenderen Rechtsetzungsform konzentrierte sich das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum ersten Haftbefehlsgesetz ausschließlich auf die Frage, ob eine Zusammenarbeit im Wege der begrenzten gegenseitigen Anerkennung der mitgliedstaatlichen Entscheidungen die Identität der Mitgliedstaaten beeinträchtige. In Konsequenz zu seiner auch im Übrigen an den Tag gelegten völkerrechtlichen Betrachtungsweise von Rahmenbeschlüssen als Rechtsetzungsform in der dritten Säule vertrat es die Auffassung, dass eine Zusammenarbeit, die keine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen vorsieht, sondern lediglich eine begrenzte gegenseitige Anerkennung fremder Strafrechtsordnungen, dem Grundsatz der Subsidiarität gerecht werde.128 Beachtenswert ist insoweit jedoch das abweichende Votum von Richter Broß, der auf der Grundlage einer noch protektionistischeren nationalstaatlicheren Herangehensweise als die Senatsmehrheit deshalb in dem Europäischen Haftbefehlsgesetz einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip sah, weil das Vertrauen eines strafrechtlich Verfolgten in die eigene Rechtsordnung sowohl vom Subsidiaritätsprinzip als auch von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in so maßgeblicher Weise als geschützt anzusehen sei, dass 125 Schlussanträge des GA Colomer v. 12.9.2006 zu EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Rdnrn. 61 ff. – Advocaten voor de Wereld VZW, abrufbar unter http://curia. europa.eu/. 126 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2238 = EuZW 2007, S. 373, 375 – Advocaten voor de Wereld VZW. 127 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2238 = EuZW 2007, S. 373, 375 – Advocaten voor de Wereld VZW; siehe auch insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 3. 128 BVerfGE 113, 273 (299).

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sich die staatliche Schutzpflicht für Staatsangehörige selbst bei einem Auslieferungsersuchen mit maßgeblichem Auslandsbezug erstrecken müsse.129 Der Weg für eine Aufgabenwahrnehmung durch die nächsthöhere Ebene sei nur dann frei, wenn die Leistungsfähigkeit der deutschen Justiz erschöpft sei. Die Frage nach einer möglichen Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ist seit langem auch Diskussionsgegenstand in der Literatur. Dabei wird einerseits vertreten, dass deshalb ein Verstoß vorliege, weil die Europäische Union sich durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen im strafrechtlichen Bereich selbst eine ihr laut Vertragswerk nicht zustehende Strafrechtskompetenz verliehen habe.130 Durch die Aufhebung der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit habe der Europäische Rat die Strafverfolgungsorgane aller Mitgliedstaaten jeweils in den Dienst jeder einzelnen anderen Strafrechtsordnung gestellt und dabei die souveräne Festlegung des Strafbarkeitsbereichs durch die demokratisch legitimierten Parlamente des einzelnen Staates missachtet.131 Von anderen Stimmen wird ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip hingegen mit dem Argument abgelehnt, dass durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl jedenfalls keine unmittelbare Harmonisierung materieller Strafnormen oder des Strafprozessrechts erfolge und die Identität der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen daher nicht verletzt sei.132 Um im Rahmen der vorliegenden Untersuchung den bisher erfolgten unterschiedlichen Herangehensweisen an die Frage der Verletzung des Subsidiaritätsprinzips gerecht zu werden, ist grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Ausgangspunkten zu unterscheiden: Zunächst ist danach zu fragen, ob das europäische Primärrecht überhaupt eine Grundlage für die Einführung des Prinzips der Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen im Auslieferungsrecht vorsieht. Erst danach ist zu erörtern, ob in dem Fall, dass eine Kompetenz besteht, diese zur Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten in zurückhaltender Art und Weise ausgeübt worden ist.

129

BVerfGE 113, 273 (319, 322 f.); zustimmend Ranft, in: wistra 2005, S. 361,

362. 130 Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 188; ders., in: ZRP 2004, 193, 195; ders., in: GA 151 (2004), S. 193, 207; ders., in: StV 2005, S. 681, 683 f. 131 Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 207. 132 Rohlff, S. 22. Bereits für den Bereich des Binnenmarktrechts wurde in der Einführung des Anerkennungsprinzips ein Stück praktizierte Subsidiarität gesehen, siehe Nicolaysen, in: GS Grabitz, S. 469, 475.

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1. Verletzung der mitgliedstaatlichen Identität durch die Anmaßung einer europäischen Strafrechtskompetenz? Auch wenn die Frage, ob ein Rechtsetzungsorgan für sein Handeln überhaupt zuständig ist, grundsätzlich einen ganz anderen Hintergrund hat als die Frage, ob der Erlass einer Maßnahme durch ein höherrangiges Rechtsetzungsorgan erforderlich war, besteht im Rahmen einer Überprüfung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zunächst die Notwendigkeit zu klären, ob eine grundsätzliche Zuständigkeit des höherrangigen Rechtsetzungsorgans überhaupt vorhanden ist. Denn wenn der Rat als gegenüber den mitgliedstaatlichen Parlamenten höherrangiges Rechtsetzungsorgan schon bereits gar nicht kompetent war, den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zu verabschieden, müsste man in jedem Fall einen Verstoß gegen die Verpflichtung, die Identität der Mitgliedstaaten zu wahren, annehmen und damit auch einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Dem ungewollten Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten durch europäische Rechtsakte trägt maßgeblich das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Rechnung. Nach diesem dürfen die Organe der Europäischen Union mangels eigener Kompetenz-Kompetenz nur in den Bereichen Recht setzend tätig werden, in denen sie Kompetenzen von den Mitgliedstaaten übertragen bekommen haben.133 Zwar fand dieses Prinzip im Bereich der dritten Säule des Europäischen Unionsrechts bislang keine weitreichende praktische Anwendung,134 jedoch kommt ihm aufgrund seiner grundsätzlichen Verankerung in Art. 2 Abs. 2 EU, Art. 5 EU und Art. 6 Abs. 3 EU auch in diesem Bereich in dem Moment Bedeutung zu, in dem die Zusammenarbeit den rein intergouvernementalen Charakter überschreitet, wovon im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausgegangen wird135. Am Vorliegen einer grundsätzlichen Ermächtigung für die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Auslieferungsrechts könnten nun insoweit Zweifel bestehen, dass weder Art. 31 Abs. 1 lit. a) EU noch Art. 31 Abs. 1 lit. b) EU, also die Normen, auf die sich der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ausweislich seines Wortlautes stützt, die Möglichkeit 133 Vgl. zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung u. a. Wichard, Calliess/ Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 5 EUV, Rdnr. 3; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnrn. 166 ff. Zur fehlenden Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union siehe auch bereits die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 1. 134 Siehe Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 170, die das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im Bereich der PJZS und GASP weitgehend für funktionslos halten. 135 Siehe die Ausführungen zur vertieften intergouvernementalen Zusammenarbeit im Bereich der dritten Säule und zu den Auswirkungen des Pupino-Urteils des EuGH in Kapitel 2, A., I. und B., III.

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der Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht ausdrücklich regeln. So sieht Art. 31 Abs. 1 lit. a) EU lediglich die Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten vor, während Art. 31 Abs. 1 lit. b) EU die primärrechtliche Grundlage für die Erleichterung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten darstellt. Eine ausdrückliche Kompetenz zur Einführung des Anerkennungsprinzips kann auch der Verbindung von Art. 31 Abs. 1 lit. a) und b) EU mit Art. 29 Abs. 2 Spstr. 2 EU nicht entnommen werden. Zwar konkretisiert Art. 31 EU den Art. 29 EU, jedoch fordert dieser lediglich eine „engere Zusammenarbeit“ der Justizbehörden sowie anderer zuständiger Behörden der Mitgliedstaaten. Aus diesem Grunde wird auch in der Literatur vertreten, dass es vor dem Hintergrund, dass es doch gerade das erklärte Ziel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sei, die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten abzuschaffen und durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden zu ersetzen, fraglich sei, auch Maßnahmen als gedeckt anzusehen, die anstelle der Erleichterung der Auslieferung im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. b) EU die Abschaffung derselben vorsehen.136 Dieser Kritik ist entgegen zu halten, dass man in Art. 31 Abs. 1 lit. a) und b) EU i.V. m. Art. 29 Abs. 2 Spstr. 2 EU selbst für die Ersetzung des Systems eine ausreichende Grundlage sehen kann, wenn man die Normen vor dem Hintergrund des Willens der Vertragsstaaten als Urheber des Unionsvertrages betrachtet. So ist dadurch, dass der Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 Spstr. 2 EU durch die Forderung nach einer „engeren Zusammenarbeit“ impliziert, dass die Zusammenarbeit über die zum Zeitpunkt der Einfügung der Vorschrift bestehende Zusammenarbeit in Form der zwischenstaatlichen Rechtshilfe hinausgehen sollte137, anzunehmen, dass auch die Einführung eines neuen auslieferungsrechtlichen Systems als eine mögliche engere Form der Zusammenarbeit nicht außerhalb der Vorstellungskraft der Mitgliedstaaten lag. Diese Annahme ist umso mehr vor dem Hintergrund begründet, dass die Änderung der primärrechtlichen Grundlagen der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit, wie bereits ausgeführt, zeitlich mit der Diskussion über die Einführung des Anerkennungsprinzips in diesem Bereich zusammenfiel.138 Anstatt einer strengen am Wortlaut orientierten Auslegung der genannten Vorschriften ist daher vielmehr der Zweck 136 Unger, S. 83 f. in Anknüpfung an Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses Ziff. 5. 137 Art. 29 EU in seiner jetzigen Fassung wurde durch den Vertrag von Amsterdam ins Primärrecht eingefügt. Er stellt eine Neufassung des früheren Art. K.1 des Vertrages von Maastricht dar, der lediglich von „Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse“ sprach. 138 Siehe insofern die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., II., 2. und Kapitel 6, B., I., 1.

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und der historische Hintergrund als maßgeblich anzusehen. Dadurch ist eine weite Auslegung geboten, so dass der Übergang zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung durchaus noch als „Erleichterung“ des Auslieferungsverkehrs angesehen werden kann.139 Eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips ist infolgedessen nicht bereits vor dem Hintergrund einer gänzlich fehlenden Ermächtigungsgrundlage für die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl herbeigeführten Rechtswirkungen zu erkennen. 2. Beeinträchtigung der mitgliedstaatlichen Identität durch die Art der Kompetenzausübung? Allerdings könnte unter Subsidiaritätsgesichtspunkten als problematisch anzusehen sein, auf welche weitreichende Art und Weise bei der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl von dieser prinzipiellen Möglichkeit, das Anerkennungsprinzip dem Auslieferungsrecht zugrunde zu legen, Gebrauch gemacht worden ist. Denn auch wenn man in Art. 31 Abs. 1 lit. a) und b) EU i.V. m. Art. 29 Abs. 2 Spstr. 2 EU grundsätzlich eine Kompetenzgrundlage zur Einführung des Prinzips der Anerkennung mitgliedstaatlicher strafrechtlicher Entscheidungen im Bereich des Auslieferungsrechts erblicken kann, so beinhaltet dies im Hinblick auf die Pflicht zur Wahrung der staatlichen Identität noch nicht die Ermächtigung, auf diesem Wege sozusagen durch die Hintertür faktisch weitreichende Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich der Strafrechtsgesetzgebung zu treffen.140 Art. 29 ff. EU begründen eben grundsätzlich keine allgemeine Kompetenz der Europäischen Union zur Rechtsetzung im Bereich des materiellen Strafrechts, sondern beschränken sich gemäß Art. 29 Abs. 2 Spstr. 3 EU i.V. m.

139 Keine Bedenken am Bestehen einer grundsätzlich ausreichenden Ermächtigungsgrundlage haben auch Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Artikel 31 EU, Rdnr. 38; Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 31 EUV, Rdnr. 15; Rohlff, S. 21 f.; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 9 ff.; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 8; Nemitz, in: Lenz/Borchardt, Art. 31 EUV, Rdnr. 10. 140 Zu beachten ist, dass die Methode der Harmonisierung von Strafvorschriften und die Methode der gegenseitigen Anerkennung von Strafvorschriften sich dogmatisch insofern von einander unterscheiden, als dass die Anerkennungsmethode grundsätzlich gerade keine Vereinheitlichung anstrebt. Insofern ist zu berücksichtigen, dass im Folgenden bei der Frage der Überschreitung der grundsätzlich bestehenden Ermächtigung auf den „Harmonisierungsgedanken“ abgestellt wird. Siehe zur Gefahr einer „Harmonisierung durch die Hintertür“ auch die Ausführungen von Rechtsanwalt Kirsch in der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 262.

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Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU auf eine Ermächtigung zur Schaffung von Mindestvorschriften, soweit dies für die strafrechtliche Zusammenarbeit erforderlich ist.141 Für ausdrücklich erforderlich hatten nun die Mitgliedstaaten bei der Verabschiedung der gegenwärtig geltenden primärrechtlichen Vertragsfassung ausweislich des Wortlautes von Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU lediglich die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel erachtet.142 Vor diesem Hintergrund ist es bereits grundsätzlich als äußerst fragwürdig anzusehen, ob nicht bereits in der Aufnahme von Deliktsgruppen wie vorsätzliche Tötung und schwere Köperverletzung143, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit144, Vergewaltigung145, Brandstiftung146 und Sabotage147 in den Straftatenkatalog des Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb eine Überschreitung des Umfangs der Ermächtigung zur Harmonisierung von Straftatbeständen gesehen werden muss, da diese Deliktsgruppen mit den in Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU vorgesehenen Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel nicht direkt etwas zu tun haben. Der Gedanke der Überschreitung der Harmonisierungsermächtigung drängt sich dabei umso mehr vor dem Hintergrund auf, als dass auch diese genannten Deliktsgruppen in einem Übergabeverfahren infolge ihrer Unbestimmtheit der weiten Auslegungsmöglichkeit durch den Ausstellungsmitgliedstaat unterliegen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine auf europäischer Ebene weit reichende Harmonisierung von materiellen Straftatbeständen wenn nicht durch die Heranziehung des Wortlautes von Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU so doch auf andere Weise gerechtfertigt werden kann. Teilweise wird versucht, als Grundlage für weit reichende Harmonisierungsmaßnahmen im strafrechtlichen Bereich Art. 280 Abs. 4 S. 1 EG als ergän-

141 Vgl. insoweit bereits die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 5; siehe auch Böse, in: GA 153 (2006), S. 11, 216 und Hecker, § 11, Rdnr. 6. 142 Ambos, § 12, Rdnrn. 5 ff.; Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EGKommentar, Artikel 31 EU, Rdnrn. 55 ff.; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 23; Satzger, in: Streinz/Ohler, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 12. Vgl. auch die Nachweise über die wesentlichen in diesen Bereichen erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union im Handbuch des Europäischen Rechts – Systematische Sammlung mit Erläuterungen, Teil I A 14/5.1; Teil I A 14/5.4 und Teil I A 14/5.5, Stand: 503. Lieferung – Oktober 2007. Siehe insoweit auch Hecker, § 11, Rdnrn. 11 ff. 143 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 14 RB-EUHb. 144 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 17 RB-EUHb. 145 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 28 RB-EUHb. 146 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 29 RB-EUHb. 147 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 32 RB-EUHb.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

zende Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen. Aufgrund dieser Bestimmung im europäischen Gemeinschaftsrecht ist der Rat befugt, erforderliche Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien zu beschließen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten. Dem ist jedoch aus mehreren Gründen zu widersprechen. Zum einen widerspräche eine Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften auf den Bereich der dritten Säule trotz der vorhandenen Vergemeinschaftungstendenzen dieses Bereichs der noch bestehenden grundsätzlichen Trennung von supranationalem Gemeinschaftsrecht und intergouvernementalen Unionsrecht.148 Eine Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften auf das Auslieferungsrecht bereits zum jetzigen Zeitpunkt würde der lediglich bestehenden Vergemeinschaftungsoption des Art. 42 EU vorgreifen. Zum anderen spricht gegen ein solches Vorgehen, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 280 Abs. 4 S. 1 EG ausweislich seines Wortlautes auf die Bekämpfung von Vermögensdelikten zum Nachteil der Europäischen Gemeinschaft beschränkt.149 Und schließlich widerspricht einer weitergehenden Anwendung von Art. 280 Abs. 4 S. 1 EG auch der Wortlaut von Art. 280 Abs. 4 S. 2 EG, der bestimmt, dass die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten von Maßnahmen nach Art. 280 EG unberührt bleibt.150 Da eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für strafrechtliche Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich der dritten Säule insoweit nicht ersichtlich ist, wird im Schrifttum ganz überwiegend vertreten, dass der Wortlaut von Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU missglückt sei und von vorneherein, insbesondere auf dem Sektor der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, weiter ausgelegt werden müsse.151 Eine restriktive Auslegung des Art. 31 EU würde zu Wertungswidersprüchen mit Art. 29 Abs. 2 EU führen, da dort besonders wichtige Bereiche der Kriminalität wie Menschenhandel, Straftaten gegenüber Kindern, illegaler Waffenhandel, Korruption und Betrug hervorgehoben werden, die in Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU nicht aufgeführt sind. Eine Beschränkung der Annäherung auf die in Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU genannten Bereiche sähen darüber hinaus auch weder die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere noch der Wiener Aktionsplan vor. 148

Braum, S. 412; Satzger (2000), S. 141. Dannecker, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 38, Rdnr. 8; ders., in: Jura 2006, S. 95, 97; Satzger, in: ZRP 2001, S. 549, 553; Braum, in: ZRP 2002, S. 508, 510. 150 Satzger (2000), S. 106. 151 Satzger, in: Tiedemann (2002), S. 71, 82; ders., in: Streinz/Ohler, EUV/EGVKommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 12; Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/ EG-Kommentar, Art. 31 EU, Rdnrn. 65 ff.; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 31 EUV, Rdnr. 17; Hecker, § 11, Rdnr. 84 f.; Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 31 EUV, Rdnrn. 21 ff.; zurückhaltender und einer weiten Auslegung von Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU skeptisch gegenüberstehend Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 33. 149

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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So zählen nach Ziff. 38 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere zu den besonders relevanten Bereichen, auf die sich die Bemühungen zur Vereinbarung gemeinsamer Definitionen, Tatbestandsmerkmale und Sanktionen konzentrieren sollen, die Finanzkriminalität, illegaler Drogenhandel, Menschenhandel, die Ausbeutung von Frauen, die sexuelle Ausbeutung von Kindern sowie die High-Tech- und die Umweltkriminalität. Nach Ziff. 18 des Wiener Aktionsplans ging der Europäische Rat ferner davon aus, dass eine Annäherung des Strafrechts in allen Bereichen, in denen die Union bereits eine gemeinsame Politik entwickelt hat und in Bereichen mit starker grenzüberschreitender Dimension, zulässig ist. Den Vorstellungen des Europäischen Rates folgend hat der Rat der Europäischen Union in den vergangenen Jahren auch eine Reihe von Harmonisierungsmaßnahmen getroffen, die allesamt nicht in direkter zwingender Verbindung mit den drei in Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU genannten Bereichen stehen.152 Insgesamt scheint insofern tatsächlich die Annahme geboten, dass die Mitgliedstaaten nicht beabsichtigt haben, die Annäherung der strafrechtlichen Systeme auf die in Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU genannten Bereiche zu beschränken. Ein starkes Argument für diese Annahme ist jedenfalls im Wortlaut des Art. 31 Abs. 1 EU zu erblicken, nach dem das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen die in lit. a) bis e) der Vorschrift genannten Bereiche lediglich „einschließen soll“. Wenn die Mitgliedstaaten an dieser Stelle eine abschließende Aufzählung gewollt hätten, hätten sie sicherlich eine andere Formulierung gewählt. Fraglich ist, was diese Folgerung im Hinblick auf die Untersuchung einer möglichen Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu bedeuten hat. Grundsätzlich könnte man einerseits zu dem Ergebnis gelangen, dass auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen vieles dafür spricht, die nationale 152 Siehe u. a. den Rahmenbeschluss 2000/383/JI vom 29.05.2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, ABl. 2000 Nr. L 140, S. 1; den Rahmenbeschluss 2002/629/JI vom 19.07.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels, ABl. 2002 Nr. L 203, S. 1; den Rahmenbeschluss 2002/946/JI vom 28.11.2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. 2002 Nr. L 328, S. 1; den Rahmenbeschluss 2003/80/JI vom 27.01.2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht, ABl. 2003 Nr. L 29, S. 55 (für nichtig erklärt worden durch EuGH, Urt. v. 13.09.2005, Rs. C-176/03, Slg. 2005 I-7907 ff. – Kommission/Rat); den Rahmenbeschluss 2003/568/JI vom 22.07.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003 Nr. L 192, S. 54; den Rahmenbeschluss 2004/68/JI vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, ABl. 2004 Nr. L 13, S. 44 und den Rahmenbeschluss 2005/667/JI vom 12.07.2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe, ABl. 2005 Nr. L 255, S. 164; siehe auch die Einigung des Rates auf den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom 19.04.2007.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Identität der Mitgliedstaaten trotz der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bestehenden weit reichenden Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Strafrechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten als nicht verletzt anzusehen.153 Andererseits sind allerdings zwei Punkte zu bedenken: Zu beachten ist, dass eine Einschränkung der nationalen Identität nicht nur möglich, sondern im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Spstr. 3 EU auch erforderlich sein muss. Dies setzt aber für eine Tätigkeit der Union voraus, dass eine Angleichung des materiellen Strafrechts auf Grund des besonderen grenzüberschreitenden Charakters der zu bekämpfenden Kriminalitätsform indiziert ist.154 Auf dieser Grundlage stimmt es unter Subsidiaritätsgesichtspunkten aber bedenklich, dass zum Beispiel Deliktsgruppen wie vorsätzliche Tötung und schwere Körperverletzung155, Vergewaltigung156 und Brandstiftung157 mit in den Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Strafgesetzen einbezogen worden sind. Diese Deliktsgruppen weisen in ihrem Kern keinerlei grenzüberschreitenden Charakter auf, sondern sind teilweise sogar im Gegenteil, wie zuvor bereits ausgeführt, von unterschiedlichsten nationalen ethischen und religiösen Vorstellungen geprägt,158 so dass eine Erforderlichkeit der Einbeziehung zur Erleichterung des Auslieferungsverkehrs nur schwer erkennbar ist. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die unbestreitbar arge Strapazierung der Befugnis zum Erlass strafrechtlicher Rechtsnormen durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl mit der vom Europäischen Gerichtshof im Pupino-Urteil verankerten Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung von Rahmenbeschlüssen zusammentrifft, wodurch zu erwarten ist, dass die tatsächliche Harmonisierungswirkung des Deliktskataloges des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ungleich größer ist als vielleicht beim Erlass des Rahmenbeschlusses ursprünglich angenommen.159 Denkbar wäre es beispielsweise, dass vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit der innerstaatlichen Rechtswirkung von unionsrechtlichen Rahmenbeschlüssen und gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien die Gefahr besteht, dass sich die im Gemeinschaftsrecht in gewissen Rechtsbereichen anerkannte so genannte 153 So insbesondere Tinkl, S. 152, der zufolge der Rat mit dem RB-EUHb keine neuen Straftatbestände geschaffen habe. 154 Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 31 EUV, Rdnr. 23. 155 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 14 RB-EUHb. 156 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 28 RB-EUHb. 157 Art. 2 Abs. 2 Spstr. 29 RB-EUHb. 158 Vgl. insofern die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., IV. 159 Der grundsätzliche Anklang einer solchen Gefahr ist auch bei Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 31 EUV, Rdnr. 21 durchzuhören.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

213

Anweisungskompetenz der Gemeinschaftsorgane gegenüber den Mitgliedstaaten zur Schaffung strafrechtlicher Normen auf weitere Teile des eigentlich den Mitgliedstaaten obliegenden strafrechtlichen Bereichs ausdehnt.160 Bei dieser Kumulation von Umständen, die natürlich nicht nur im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, sondern auch im Fall anderer bereits benannter Rechtsakte zu beobachten ist161, ist jedoch der dem Subsidiaritätsprinzip innewohnende Grundsatz zu vergegenwärtigen, dass Ermächtigungsgrundlagen im Recht der Europäischen Union umso präziser einen Eingriff gestatten müssen, je tiefer die Maßnahme der Union in die Grundrechte Privater oder die Souveränität der Mitgliedstaaten eingreift.162 Im Lichte dieser aufeinander treffenden Umstände wäre es im Hinblick auf die nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten als ein deutlich schonenderer Weg anzusehen gewesen, wenn der Rat entweder bei der Einführung des Europäischen Haftbefehls das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung vorerst nur auf einen Kernbereich des Strafrechts beschränkt hätte, in dem das Verhalten in allen Staaten der Gemeinschaft der Strafbarkeit unterliegt163, oder wenn er die Beschränkung der nationalen Hoheitsgewalt auf das Instrument des Übereinkommens im Sinne von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU gestützt hätte, um den nationalen Parlamenten auf diesem Wege ein größeres Mitspracherecht zu gewähren. Ein vom Europäischen Gerichtshof angenommenes Ermessen des Rates bei der Formenwahl bezüglich der Rechtsetzung im Bereich der dritten Säule ist insofern auch im Hinblick auf Subsidiaritätsgesichtspunkte jedenfalls zweifelhaft, da dies den Wunsch nach mehr Effektivität im Auslieferungsrecht im Verhältnis zur Pflicht der Wahrung der nationalen Identität unverhältnismäßig stark in den Vordergrund rückt.164

160 Bei der Anweisungskompetenz kommt der Europäischen Gemeinschaft zwar keine eigene Rechtsetzungskompetenz zu, jedoch ist sie befugt, die Mitgliedstaaten durch Richtlinien beispielsweise in den Bereichen des Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzrechts zur Schaffung nationaler Strafrechtsnormen zu verpflichten. Es handelt sich insoweit grundsätzlich um einen Annex zu einer außerstrafrechtlichen Regelung. Siehe grundsätzlich zur gemeinschaftsrechtlichen Anweisungskompetenz und den damit verbundenen Bedenken einer Ausweitung der Kompetenzen der EG Kubiciel, in: NStZ 2007, S. 136 ff.; Dannecker, in: GA 152 (2005), S. 697, 723; Satzger (2000), S. 393 ff.; Ambos, § 11, Rdnr. 30; Hugger, S. 52 ff.; Eisele, in: JA 2000, S. 896, 900; Hecker, in: JA 2002, S. 723, 726 f. Siehe in diesem Zusammenhang auch zur Frage der Strafrechtskompetenz der Gemeinschaft EuGH, Urt. v. 13.09.2005, Rs. C-176/03, Slg. 2005 I-7907 ff. – Kommission/Rat. 161 Insofern dürften die gleichen Probleme bei den in Kapitel 6, B., V., 2., Fn. 152 genannten Rechtsakten vorliegen. 162 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EUV, Rdnr. 11. 163 So auch Fuchs, in: ZStW 116 (2004), S. 368, 369; Unger, S. 115. 164 Vgl. zum Problem der Formenwahlfreiheit des Rates bereits die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 3.

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass die rechtlichen Grundlagen, die dem Europäischen Haftbefehl gegenwärtig zugrunde liegen, die Mitspracherechte der Mitgliedstaaten im strafrechtlichen Bereich ohne echte Not am denkbar stärksten bedrohen. Infolgedessen ist auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Subsidiarität der Aufgabenverteilung in Europa durch das Europäische Haftbefehlsgesetz als in unzulässiger Weise beeinträchtigt anzusehen.

VI. Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährleistung eines im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes Zum Abschluss der hier vorgenommenen Untersuchung der einzelnen in Betracht kommenden Verfassungsverstöße soll der Frage nachgegangen werden, ob die Hoheitsrechtsübertragung durch das Europäische Haftbefehlsgesetz möglicherweise auch wegen eines Verstoßes gegen die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Pflicht zur Gewährleistung eines dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz als verfassungswidrig anzusehen ist.165 Von entscheidender Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ein ausreichender Grundrechtsschutz bescheinigt werden kann, ist dabei entgegen dem völkerrechtlich geprägten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts von Rahmenbeschlüssen166 nicht die Möglichkeit, auf nationaler Ebene gegen die Rechtswirkungen des nationalen Umsetzungsaktes zu einem Rahmenbeschluss Grundrechtsschutz erlangen zu können. Ob und inwieweit gegen die weit reichenden innerstaatlichen Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses Grundrechtsschutz besteht, ist vielmehr aufgrund der gemeinschaftsrechtsähnlichen Wirkung und des begrenzten Umsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers167 anhand des Schutzumfangs auf europäischer Ebene zu ermitteln.168 Daraus ergibt sich, dass bei der Überprüfung im Sinne des oben dargestellten Prüfungsmaßstabes eine geringe Prüfungsdichte zugrunde zu legen ist. So ist insbesondere im Vergleich zu den grundgesetzlichen Grundrechtsgewährleistungen kein deckungsgleicher Grundrechtsschutz zu fordern. Die Gewährleistung eines ausreichenden Grundrechtsschutzes ist vor dem Hintergrund des Solange II-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts und der Entscheidung zur Bana165 Der Schutz einzelner Grundrechtsverbürgungen fällt nicht unter die Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG, siehe insofern die Ausführungen oben in Kapitel 5, C., II., 3., a). 166 BVerfGE 113, 273 (300 f.). 167 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 2. 168 So auch Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 43, 74. In der Literatur wird vielfach von einer Grundrechtsbindung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ausgegangen, siehe Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 1150; Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 655 f.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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nenmarktverordnung vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn die durch den Rahmenbeschluss gemachten Vorgaben den Kern der Grundrechte in materieller Hinsicht nicht generell verletzen würden und eine prozessuale Geltendmachung möglicher Grundrechtsverstöße nicht grundsätzlich ineffektiv ist.169 1. Pflicht zur Gewährleistung eines generell vergleichbaren Grundrechtsschutzes Die Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl wird grundsätzlich bestimmt vom Unionsinteresse an einer effektiven Strafverfolgung.170 Dies bedeutet für den Einzelnen regelmäßig in hohem Maße die Gefahr, dass er mit Eingriffen in diverse Verfahrensgrundrechte konfrontiert wird. Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Zusammenhangs wundert es nicht, dass in der Literatur seit der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses und der damit verbundenen Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht mehrfach und in unterschiedlichster Weise Kritik wegen in Betracht kommender Grundrechtsverletzung laut geworden ist. So wurde teilweise allein in der Tatsache der Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf die Strafverfolgung ein illiberaler Effekt erkannt, da dies auf europäischer Ebene das Prinzip der „maximalen Punitivität“ mit sich brächte.171 Es bestünde für die Strafverfolgungsbehörden infolge ihres weiten Auswahlermessens hinsichtlich der Frage, bei welchem Gericht ein Haftbefehl beantragt werde, die Möglichkeit eines „forum shopping“, was die Verteidigungschancen des Beschuldigten stark einschränke.172 Vor diesem Hintergrund sei der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als Totengräber des „fair trial“ anzusehen.173 Problematisch sei, dass es in der EU für Beschuldigte im Strafverfahren keine vergleichbaren Mindeststandards gebe, sondern zwischen den Mitgliedstaaten vielmehr erhebliche Unterschiede bestünden.174 Viel zu spät werde erst

169

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 6. Salditt, in: StV 2003, S. 136, 136; Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 340; Hufeld, in: JuS 2005, S. 865, 869. 171 Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 187; ders., in: ZRP 2003, S. 472, 472; ders., in: GA 151 (2004), S. 193, 204. 172 Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 340 f. 173 Schünemann, in: ZRP 2003, S. 185, 187; ähnlich Satzger, in: StV 2003, S. 137, 141 f.; Albrecht, in: ZRP 2004, S. 1, 3. Siehe insoweit auch die Ausführungen der Rechtsanwältin Pinar in der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 292 ff. 174 Leutheusser-Schnarrenberger, in: StraFo 2007, S. 267, 269, 275. 170

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

über die Verabschiedung einheitlicher Verfahrensgarantien in Europa nachgedacht.175 Überhaupt fehle es dem Rahmenbeschluss an einem eindeutigen Bekenntnis zu dem Recht auf angemessene Verteidigung in jeder Lage des Verfahrens. Die in Art. 11 Abs. 2 RB-EUHb getroffene Regelung sei unzureichend, da sie erst auf den Zeitpunkt der Festnahme zum Zwecke der Vollstreckung abstelle. Auch sei die Chance vertan worden, für alle Mitgliedstaaten verbindlich festzulegen, dass das Konzept des Europäischen Haftbefehls aufgrund der Dimension und Komplexität des Verfahrens grundsätzlich ein Fall der doppelten notwendigen Verteidigung sei.176 Ferner sei der Zugang zum Recht in skandalöser Weise begrenzt, da die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nur in den Gesetzesblättern der Mitgliedstaaten in deren Landessprache und naturgemäß nicht im Amtsblatt der Europäischen Union erfolge. Es hänge insofern im Hinblick auf sprachliche Probleme oft vom Zufall ab, ob man ein nationales Umsetzungsgesetz lesen könne.177 Moniert wurde schließlich auch, dass das Verbot der doppelten Strafverfolgung jedenfalls dann von den Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl unterlaufen werde, wenn ein Verhalten in einem Mitgliedstaat strafbar, in einem anderen jedoch straflos ist. Da es in diesem Fall im letzteren nicht zu einem Ermittlungsverfahren komme, könne kein Strafklageverbrauch eintreten, so dass der ne bis in idem-Grundsatz einer Strafverfolgung im ersten Mitgliedstaat nicht entgegenstünde.178 Alle diese im Einzelnen vorgetragenen Kritikpunkte erscheinen für sich gesehen nachvollziehbar und begründen jeweils für sich auch möglicherweise die Annahme einer Bedrohung von Verfahrensgrundrechten. Fraglich ist allerdings, ob in ihnen auch ein generelles Absinken des Grundrechtsstandards auf europäischer Ebene zu erkennen ist, was, wie beschrieben, 175 Baauw, in: StraFo 2007, S. 353, 353; Leutheusser-Schnarrenberger, in: StraFo 2007, S. 267, 269, 273 f. unter Verweis darauf, dass die Verabschiedung einheitlicher Verfahrensgarantien im europäischen Strafrechtsraum mit der Entwicklung der Instrumente zur effektiven Strafverfolgung allgemein nicht Schritt halte, da der entsprechende Rahmenbeschluss der Kommission nach wie vor nicht angenommen worden sei; siehe insoweit auch die Ausführungen oben in Kapitel 3., B., III, Fn. 127. 176 Wehnert, in: StraFo 2003, S. 356, 358; Ahlbrecht/Lagodny, in: StraFo 2003, S. 329, 335; Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 340 f.; Salditt, in: StV 2003, S. 136, 137; Nestler, in: ZStW 116 (2004), S. 332, 340. 177 Lagodny, in: Lagodny/Wiederin/Winkler, S. 143, 147 ff.; siehe in diesem Sinne auch die Ausführungen von Rechtsanwalt Kirsch in der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens zum Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 262. 178 Wasmeier, ZEuS 2006, S. 23, 31.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 6 GG wäre. Der Europäische Gerichtshof hat im Laufe der Jahre insbesondere in Anlehnung an das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 EMRK einen umfangreichen Grundrechtsschutz im Bereich der Verfahrensgrundrechte entwickelt.179 So hat er in diversen Verfahren entschieden, dass der Einzelne ganz grundsätzlich Anspruch auf ein faires Verfahren hat180, woraus sich u. a. der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs181 und der Anspruch auf eine angemessene Verteidigung182 ergibt. Als weitere fundamentale Verfahrensgrundrechte hat er den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz183 und, insbesondere für den Bereich des Straf- und Bußgeldverfahrens, den Grundsatz der Unschuldsvermutung184 und das Verbot der Doppelbestrafung im Recht der Europäischen Union verankert.185 Auch darf nicht übersehen werden, dass der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl die Achtung der in Art. 6 EU anerkannten Grundsätze ausdrücklich vorgesehen hat und ferner ausdrücklich auf die in Kapitel VI der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Justizgrundrechte verwiesen hat.186

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Wolff, in: StV 2004, S. 154, 159. Siehe u. a. EuGH, Urt. v. 05.03.1980, Rs. 98/79, Slg. 1980, S. 691, Rdnr. 7 – Pecastaing/Belgien; EuGH, Urt. v. 11.01.2000, Rs. C-174/98 P und C-189/98 P, Slg. 2000 I-47, Rdnr. 17 – Niederlande und Van der Wal; EuGH, Urt. v. 10.04.2003, Rs. C276/01, Slg. 2003 I-3756, Rdnrn. 72 ff. – Steffensen. 181 Siehe u. a. EuG, Urt. v. 19.03.1998, Rs. T-83/96, Slg. 1998 II-545, Rdnrn. 45, 47 – Van der Wal/Kommission; EuGH, Urt. v. 11.01.2000, Rs. C-174/98 P und C-189/ 98 P, Slg. 2000 I-47, Rdnr. 14 – Niederlande und Van der Wal; EuGH, Urt. v. 18.09. 2003, Rs. C-338/00 P, Slg. 2003 I-9219, Rdnrn. 106 ff. – Volkswagen/Kommission. 182 Siehe u. a. EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I-1956, Rdnr. 38 – Krombach. 183 EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1663, Rdnrn. 13 ff. – Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary; EuGH, Urt. v. 05.03.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996 I-1131, Rdnr. 72 – Brasserie du pêcheur SA und Factortame. 184 Siehe u. a. EuGH, Urt. v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P, Slg. 1999 I-4336, Rdnrn. 149 f. – Hüls/Kommission; EuGH, Urt. v. 08.07.1999, Rs. C-235/92 P, Slg. 1999 I4575, Rdnrn. 175 f. – Montecatini. 185 Die Verankerung des Verbots der Doppelbestrafung erfolgte insbesondere auf der Grundlage von Art. 54 SDÜ, vgl. insoweit insbesondere EuGH, Urt. v. 11.2.2003, verb. Rs. C-187/01 u. C-385/01, Slg. 2003 I-1378, Rdnrn. 34 ff. – Gözütok und Brügge; das Gericht erster Instanz hat sich allerdings auch bereits ausdrücklich auf Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bezogen, siehe EuG, Urt. v. 09.07.2003, Rs. T-223/00, Slg. 3003 II-2558, Rdnr. 104 – Kyowa Hakko und Kyowa Hakko Europe/Kommission. 186 Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses Ziff. 12. 180

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Schließlich lassen sich in dem Rahmenbeschluss zahlreiche konkrete Vorschriften zum Schutze des Beschuldigten finden, die zwingend einzuhalten sind. So gewährt beispielsweise Art. 11 Abs. 2 RB-EUHb dem Beschuldigten grundsätzlich einen Anspruch, einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher bei zu ziehen. Ferner räumt Art. 14 RB-EUHb dem Festgenommenen einen Rechtsanspruch ein, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates vernommen zu werden. Außerdem garantiert Art. 18 Abs. 3 RB-EUHb dem Betroffenen im Rahmen des Übergabeverfahrens, an allen ihn betreffenden Gerichtsverhandlungen über seine Übergabe beizuwohnen.187 Ob vor diesem Hintergrund in den Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl also ein generelles Absinken des materiellen Grundrechtsschutzes im Hinblick auf einzelne Verfahrensgrundrechte zu erkennen ist, ist daher äußerst fraglich. Zwar könnte für ein generelles Absinken sprechen, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Advocaten voor de Wereld einen äußerst oberflächlichen und unsensiblen Umgang mit den von ihm selbst aufgestellten Anforderungen an rechtsstaatliche Grundsätze an den Tag gelegt hat.188 Auch ist in diesem Zusammenhang die Argumentation des Gerichtshofs hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Auswahl der in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb aufgelisteten Arten von Straftaten bemerkenswert. Diese erschöpft sich darin, dass die Straftaten vor dem Hintergrund des hohen Maßes an Vertrauen und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten entweder bereits aufgrund ihrer Natur oder aufgrund der Höhe der angedrohten Freiheitsstrafe zu den Straftaten gehörten, bei denen es aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sei, nicht auf die Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zu bestehen.189 Auch die Tatsache, dass der Gerichtshof mit keiner Silbe auf die beschriebene Gefahr eines „forum shopping“ eingegangen ist und sich in keiner Weise mit der möglichen Beeinträchtigung von Verfahrensrechten auseinandergesetzt hat, muss jedenfalls nachdenklich stimmen. Ob allerdings allein aufgrund dieser grundsätzlich zu kritisierenden Ausführungen bereits ein generelles Absinken des erforderlichen Grundrechtsschutzes 187 Siehe zu den Verteidigungsrechten des Betroffenen auch v. Langsdorff, in: StV 2003, S. 472, 476. 188 Siehe insoweit die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung vorgenommene Kritik an dem Urteil im Hinblick auf das Erfordernis größtmöglicher demokratischer Legitimation in Kapitel 6, B., I., 3., im Hinblick auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes in Kapitel 6, B., IV. und im Hinblick auf die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatz in Kapitel 6, B., V. 189 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237, 2240 = EuZW 2007, S. 373, 377 – Advocaten voor de Wereld VZW.

B. In Betracht kommende Verfassungsverstöße

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in dem Sinne anzunehmen ist, dass der Kern der betroffenen Grundrechte nicht mehr geschützt ist, erscheint indes in Anbetracht der im Rahmenbeschluss genannten Verteidigungsrechte und vor dem Hintergrund des großzügigen Vorgehens des Bundesverfassungsgerichts bei der Bewertung eines Absinkens des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene als äußerst fraglich.190 2. Pflicht zur Gewährleistung eines effektiven Individualrechtsschutzes Eine Unterschreitung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Grundrechtsstandards müsste man allerdings wohl jedenfalls dann annehmen, wenn dem Einzelnen auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Bedrohung der verfahrensrechtlichen Grundrechtsgewährleistung keine effektive Rechtsschutzmöglichkeit gegen die mit dem Rahmenbeschluss drohenden Rechtswirkungen offen stünde. Ob das Rechtsschutzsystem im Bereich der dritten Säule als ausreichend anzusehen ist, ist nun insbesondere nach dem Pupino-Urteil grundsätzlich äußerst fraglich, wohl aber im Fall der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund folgender Ausführungen nach wie vor zu bejahen. Der Gerichtshof besitzt gemäß Art. 46 lit. d) EU grundsätzlich die Kompetenz, die Handlungen der Organe der Europäischen Union auf einen möglichen Verstoß gegen die in Art. 6 Abs. 2 EU verankerte Pflicht zur Achtung der Grundrechte zu überprüfen.191 Allerdings ist diese Zuständigkeit im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit nach der Maßgabe des Art. 46 lit. b) EU darauf begrenzt, mögliche Grundrechtsverletzungen im Rahmen der von Art. 35 EU vorgesehenen Verfahren festzustellen. Dementsprechend kommt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rahmenbeschlüssen nur im Wege der Vorabentscheidung auf der Grundlage der in Art. 35 Abs. 1 bis 4 EU bestehenden Regelungen oder im Wege der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 35 Abs. 6 EU in Betracht, zu deren Erhebung allerdings ausschließlich die Kommission oder die Mitgliedstaaten befugt sind, nicht jedoch wie im Gemeinschaftsrecht gemäß Art. 230 Abs. 4 EU auch der individuell Betroffene.192

190 In diesem Sinne auch Ahlbrecht/Lagodny, in: StraFo 2003, S. 329, 333. Siehe auch Morgan, in: Blekxtoon/van Ballegooij, pp. 195, 208. 191 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 46 EUV, Rdnr. 14; Knapp, in: DÖV 2001, S. 12, 18. 192 Vgl. zum Ausschluss der Klagemöglichkeit von Privatpersonen Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Art. 35 EU, Rdnr. 20; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 35 EUV, Rdnr. 14; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Vor Art. 35 EUV, Rdnr. 23; Pechstein, in: EuR 34 (1999), S. 1, 22; Böse, in: EuR 33 (1998), S. 678, 682. Siehe zur Rechtsprechungskompetenz des EuGH im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit auch bereits die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I. und Kapitel 4, D., I., 2., b).

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Dies bedeutet für den Einzelnen, der sich den Rechtswirkungen eines Rahmenbeschlusses im Sinne der Pupino-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegenübersieht, dass er wegen Art. 35 Abs. 2 EU anders als im Recht der Europäischen Gemeinschaft, in dem per Vertragstext für letztinstanzliche Gerichte gemäß Art. 234 Abs. 3 EG eine Vorlagepflicht besteht, von der Anerkennung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs durch den betreffenden Mitgliedstaat abhängig ist, um eine von dem Rahmenbeschluss ausgehende Grundrechtsverletzung durch diesen gerichtlich überprüfen zu lassen. Hat ein Mitgliedstaat nun keine entsprechende Unterwerfungserklärung abgegeben, verbleibt es lediglich bei der Möglichkeit der Überprüfung des Umsetzungsaktes zum Rahmenbeschluss durch das jeweils zuständige nationale Gericht, ohne dass dieses über die Gültigkeit der Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses oder dessen Auslegung entscheiden darf. Das Fehlen einer vertraglich verankerten Individualklagemöglichkeit gegen den Rahmenbeschluss aufgrund der unterschiedlichen Individualrechtsschutzmöglichkeiten in den einzelnen Mitgliedstaaten erscheint in diesen Fällen also geradezu evident. Für die Bundesrepublik Deutschland allerdings gilt, dass der deutsche Gesetzgeber die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Vorlageverfahren im Bereich der dritten Säule anerkannt hat. Dadurch, dass für alle Gerichte eine Vorlageberechtigung und für alle letztinstanzlich entscheidenden Gerichte eine Vorlagepflicht vorgesehen ist,193 dürfte trotz der Auswirkungen der PupinoRechtsprechung ein Rechtsschutzdefizit zu bezweifeln sein.194 Auch kann es als unschädlich angesehen werden, dass eine Vorlagepflicht für nicht-letztinstanzliche Gerichte gesetzlich nicht bestimmt worden ist, da eine solche auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 234 Abs. 2 EG und des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Judikativfunktion des Gerichtshofs im Rechtsraum der Europäischen Union anzunehmen sein dürfte.195 193

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I., Fn. 22. Masing, in: NJW 2006, S. 264, 265; in diesem Sinne auch Egger, in: EuZW 2005, S. 652, 655, der den Rechtsschutz im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens für so weitreichend erachtet, dass ein Vorabentscheidungsverfahren sogar zulässig sein soll, wenn noch keine Transformation des Rahmenbeschlusses stattgefunden hat. Siehe auch Ludwig, S. 272 ff., dessen Einschätzung allerdings aus der Zeit vor dem PupinoUrteil stammt. Weniger in rechtlicher als in tatsächlicher Hinsicht erscheint in diesem Zusammenhang allerdings problematisch, dass das Bundesverfassungsgericht selbst eine nicht unumstrittene Nichtvorlagepraxis pflegt, siehe hierzu Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 261, 273; Mayer, in: EuR 37 (2002), S. 239, 250 ff.; Kenntner, in: EuZW 2005, S. 235, 237. 195 Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 234 Abs. 2 EG sind auch unterinstanzliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet, wenn sie von der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes ausgehen wollen, siehe EuGH, Urt. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, S. 4225, Rdnrn. 15 ff. – Foto-Frost; so wie hier auch Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 35 EUV, Rdnr. 4; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Euro194

C. Folge der festgestellten Verfassungsverstöße

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Folglich ist festzuhalten, dass die Pflicht zur Wahrung eines dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutzes vor dem Hintergrund der großzügigen Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts durch die Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nicht generell als verletzt angesehen werden kann, so dass diesbezüglich ein Verstoß durch das Europäische Haftbefehlsgesetz gegen Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht anzunehmen ist.

C. Folge der festgestellten Verfassungsverstöße Durch die Herbeiführung der innerstaatlichen Wirkung des durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgegebenen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Auslieferungsrecht ist auch das zweite Europäische Haftbefehlsgesetz als verfassungswidrig anzusehen. Entgegen der Erklärung der Verfassungswidrigkeit des ersten Europäischen Haftbefehlsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ist dies jedoch nicht auf eine fehlerhafte innerstaatliche Umsetzung der vom Rahmenbeschluss gemachten Vorgaben zurückzuführen. Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich vielmehr bereits aus der Tatsache, dass das Gesetz überhaupt nach der Verankerung der weitreichenden gemeinschaftsrechtsähnlichen innerstaatlichen Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen durch das Pupino-Urteil des Europäischen Gerichtshof im Juni 2005 die mit dem Europäischen Haftbefehl verbundene horizontale Übertragung von Hoheitsrechten herbeigeführt hat. Die Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses selbst lässt auf der Grundlage der gegenwärtig bestehenden primärrechtlichen Situation eine Umsetzung ins nationale Recht gemessen an den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG aufgestellten Vorgaben für die Übertragung von Hoheitsrechten aus mehreren Gründen nicht zu. Zum einen ist in einer Umsetzung ein Verstoß gegen das in beiden in Kapitel fünf benannten relevanten Schranken niedergelegte Demokratiegebot und damit einhergehend gegen das Gebot der Gewaltenteilung zu sehen.196 Zum anderen verstößt eine Umsetzung gegen den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Vorbehalt, an einer Europäischen Union nur dann mitzuwirken, wenn diese rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist.197

päischen Union, Bd. I, Vor Art. 35 EUV, Rdnr. 16; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV-Kommentar, Art. 35 EUV, Rdnr. 11; Thun-Hohenstein, S. 48; kritisch Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Kommentar, Art. 35 EU, Rdnr. 11; Dörr/Mager, in: AöR 125 (2000), S. 386, 411; Hourle, S. 129. 196 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I. 197 Vgl. zur Feststellung des Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit mangels ausreichender Bestimmtheit des Deliktskatalogs in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

Fraglich ist, welche Rechtsfolgen mit diesen getroffenen Feststellungen verbunden sind. Grundsätzlich ist zu beachten, dass vor der vorschnellen Nichtigerklärung einer Rechtsnorm im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung zu prüfen ist. Diese ist immer dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt.198 Im Fall des Europäischen Haftbefehlsgesetzes dürfte eine solche Möglichkeit allerdings ausscheiden, da zu bedenken ist, dass die Ursachen für die festgestellten Verfassungsverstöße im Rahmenbeschluss selbst angelegt sind, so dass eine bloße Auslegung des Umsetzungsgesetzes an den Missständen nichts ändern würde.199 Vielmehr wird man wegen der Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes die Rechtsfolge annehmen müssen, dass dieses ipso iure, ex tunc und auf Dauer nichtig ist, was bedeutet, dass es der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung untersagt wäre, dieses weiterhin anzuwenden.200 Dieser Einschätzung steht dabei nicht entgegen, dass das Europäische Haftbefehlsgesetz die Überschreitung von Verfassungsvorgaben dadurch herbeigeführt hat, dass es als Übertragungsakt bei der Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union diente.201 Grundsätzlich kommt zwar in Fällen der verfassungswidrigen Übertragung von Hoheitsrechten in der Europäischen Union im Interesse der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der europäischen Einigung in Betracht, Verstöße gegen die in Art. 23 Abs. 1 GG gemachten Vorgaben durch innerstaatliche Maßnahmen zu kompensieren.202 Jedoch kann diese Möglichkeit nur dann in Betracht gezogen werden, wenn eine die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., IV. und zur Feststellung des Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip die Ausführungen in Kapitel 6, B., V. 198 BVerfGE 49, 148 (157); 69, 1 (55); 95, 64 (93); siehe auch statt vieler mehr Schlaich/Korioth, Rdnr. 443; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 87; siehe zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1316 ff. 199 A.A. Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 31 EUV, Rdnr. 19, der ebenfalls (allerdings nicht notwendigerweise aus den hier genannten Gründen) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes hat, eine verfassungskonforme Auslegung jedoch für möglich hält. 200 Siehe grundsätzlich zum Entscheidungsausspruch der Nichtigkeit bei verfassungswidrigen Rechtsnormen u. a. BVerfGE 84, 9 (20 f.); 91, 1 (27, 34 ff.); 92, 26 (27); 93, 1 (25); 113, 273 (274); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnrn. 256 ff.; Schlaich/Korioth, Rdnrn. 378 ff.; Battis, in: Isensee/Kirchhof, HbStR Bd. VII, § 165, Rdnrn. 1 und 30; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VI, Rdnr. 12; Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 95; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 84. Beachtenswert insoweit auch die ausführliche Differenzierung von Schnelle, S. 96 ff. 201 Siehe insofern auch Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnrn. 86 f. 202 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rdnr. 31; Heckmann, S. 324 ff.; siehe insofern auch BVerfGE 89, 155 (175).

C. Folge der festgestellten Verfassungsverstöße

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Kompensation auch tatsächlich möglich ist. Auszugehen ist beispielsweise davon, dass ein unzureichender Grundrechtsschutz auf Unionsebene durch die Anwendung nationaler Grundrechtsgarantien auf die Anwendung von Unionsrecht in Deutschland kompensiert werden kann. Im Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl muss eine solche Möglichkeit jedoch in Anbetracht der Art der Verstöße ausscheiden, da sich jedenfalls die Unzulänglichkeit der demokratischen Legitimation bei der Rechtsetzung durch den Rahmenbeschluss und der Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip auf nationaler Ebene gerade nicht ausgleichen lassen.203 Vor dem Hintergrund, dass die Erklärung der Gesamtnichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes den Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachhaltig beeinflussen würde, wäre lediglich denkbar, anstelle der Erklärung der Nichtigkeit als mildere Vorgehensweise die Erklärung der Teilnichtigkeit204 oder der Unvereinbarkeit bzw. Unanwendbarkeit205 der entsprechenden Norm vorzunehmen.206 Auch diese Vorgehensweisen dürften sich jedoch im Fall des Europäischen Haftbefehlsgesetzes verbieten. So spricht gegen eine Teilnichtigkeitserklärung, dass die hier festgestellten Verfassungsverstöße ihren Ursprung in den zentralen Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl haben. Übrig bleibende Bestimmungen würden bei einer Erklärung der Teilnichtigkeit daher ihren Sinn verlieren. Gegen die Lösung der Unvereinbarkeitserklärung spricht, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund der bestehenden zwingenden Vorgaben des Rahmenbe203 Vgl. insbesondere zur fehlenden Nachholbarkeit der demokratischen Legitimation der Rechtswirkungen des Europäischen Haftbefehls durch den Umsetzungsakt die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 2. 204 Beim Rechtsfolgenausspruch der Teilnichtigkeit behält der nicht nichtige Teil als solcher selbständigen Regelungssinn und kann auch ohne den nichtigen Gesetzesbestandteil weiter angewendet werden; siehe zu den Voraussetzungen der Annahme einer Teilnichtigkeit BVerfGE 8, 274 (301); 47, 253 (284); 57, 295 (334); Schlaich/Korioth, Rdnrn. 384 ff. 205 Beim Rechtsfolgenausspruch der Unvereinbarkeit besteht das Gesetz fort, bis der Gesetzgeber ein neues erlassen hat, und findet in dem Umfang Anwendung, in dem das Bundesverfassungsgericht zur Vermeidung eines rechtslosen Zustandes seine Anwendung vorsieht, siehe zum Beispiel BVerfGE 73, 40 (101 f.); 99, 280 (298 ff.); 101, 397 (409 f.); vgl. auch Schlaich/Korioth, Rdnrn. 394 ff. 206 Beide Möglichkeiten wurden dem Rechtsfolgenausspruch der Senatsmehrheit im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz von den Richtern Lübbe-Wolff und Gerhardt in ihren Sondervoten kritisch entgegen gehalten. Dabei stellten sie zur Begründung ihrer Kritik maßgeblich darauf ab, dass auch im Fall der Verfassungswidrigkeit des Umsetzungsaktes ein möglichst unionsrechtsnaher Rechtszustand herzustellen gewesen wäre, siehe BVerfGE 113, 273 (339, 347).

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Kap. 6: Verfassungsverstöße durch den RbEuHb

schlusses über den Europäischen Haftbefehl keine Möglichkeit hätte, die bestehenden Verfassungsverstöße abzustellen, ohne dabei gegen den Rahmenbeschluss zu verstoßen, so dass zwar kein vorübergehend rechtsloser Zustand, dafür aber ein dauerhaft europarechtswidriger Zustand eintreten würde. Dies wiederum würde gegen die im Pupino-Urteil verankerte Pflicht zur Unionstreue verstoßen.207

207 Siehe EuGH, Urt. v. 16.06.2005, Rs. C-105/03, Slg. 2005 I-5309, Rdnrn. 39 ff. – Pupino.

Kapitel 7

Konsequenzen für den Umgang mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Die vorangegangenen Ausführungen haben zwei Gesichtspunkte deutlich werden lassen: Auf der einen Seite besteht für die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen. Diese ergibt sich entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts1 aus dem Charakter des Rechtsinstruments, der nach dem Pupino-Urteil des Europäischen Gerichtshofs weniger völkerrechtlicher Natur denn gemeinschaftsrechtlicher Natur ist, und die Mitgliedstaaten auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zur Unionstreue zwingt.2 Auf der anderen Seite besteht für den nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeit, der unionsrechtlichen Verpflichtung in verfassungsgemäßer Weise nachzukommen.3 Es liegt damit ein Fall vor, in dem das Unionsrecht den mitgliedstaatlichen Staatsorganen verbietet, auf eine Umsetzung zu verzichten, während der nationale Verfassungsvorrang den staatlichen Organen verbietet, eine Umsetzung des Unionsrechts vorzunehmen. Offensichtlich bringt der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland in eine Situation, aus der es auf den ersten Blick keinen Ausweg gibt, der sowohl den unionsrechtlichen als auch den verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gleichermaßen gerecht wird. Nichtsdestotrotz ist zu überlegen, welche Möglichkeiten zumindest in theoretischer Hinsicht bestehen, um sowohl einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen als auch einen möglichen Streit über die Unionstreue der Bundesrepublik Deutschland beizulegen.

1 2 3

Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., I., 2. und Kapitel 6, B., I., 2. Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., I., 2. und Kapitel 6, B., I., 2. Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 6, C.

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

A. Vorlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl beim Europäischen Gerichtshof Vor dem Hintergrund, dass die verfassungsrechtlichen Probleme im Fall der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in diesem selbst begründet sind, ist es grundsätzlich vorrangig, zunächst auf europäischer Ebene Abhilfe zu suchen.4 Insofern kommt zuvorderst in Betracht, den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Gültigkeit der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen zu befassen.5 Ein solches Verfahren wäre auch grundsätzlich als zulässig zu erachten. Der Gerichtshof besitzt wie oben ausgeführt gemäß Art. 46 lit. b) EU i.V. m. Art. 35 Abs. 1 EU die notwendige Zuständigkeit für eine Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung von Rahmenbeschlüssen. Diese grundsätzlich bestehende Zuständigkeit hat die Bundesrepublik Deutschland durch die Erklärung im Sinne von Art. 35 Abs. 2 EU anerkannt.6 Auch bestünden an der für eine Vorlage durch das Bundesverfassungsgericht notwendigen Erforderlichkeit der Durchführung eines solchen Vorabentscheidungsverfahrens keine Zweifel. Denn auch wenn eine solche Erforderlichkeit immer nur dann gegeben ist, wenn die vorgelegte Frage nach Auffassung des nationalen Gerichts für den Ausgang eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits entscheidungserheblich ist7 und nicht hingegen, wenn der Gerichtshof wegen allgemeiner oder hypothetischer Fragen angerufen wird8, so wäre die Frage der Gültigkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in einem auslieferungsrechtlichen Verfahren in Deutschland allemal von entscheidender Bedeutung für die Frage der Rechtmäßigkeit der Auslieferung. Problematisch im Hinblick auf die erhoffte Erklärung der Ungültigkeit des Rahmenbeschlusses durch den Gerichtshof ist allerdings, dass an die Erfolgsaussichten eines solchen Verfahrens wohl nur äußerst geringe Erwartungen gestellt werden könnten. Denn obwohl sich der Gerichtshof im Vorlageverfahren in der Rechtssache Advocaten voor de Wereld im Mai 2007 mit den im Rah4 Vgl. grundsätzlich zum Verhältnis zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht bezüglich der Überprüfung von europäischen Sekundärrechtsakten die Ausführungen unten in Kapitel 7, B., II. 5 Siehe insofern auch die Besprechung von Jekewitz, GA 152 (2005), S. 624, 634 zum Urteil des BVerfGE im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz. 6 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, A., I., Fn. 22 und Kapitel 6, B., VI., 2. 7 Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 34 EUV, Rdnr. 11; Haratsch/Koenig/Pechstein, Rdnr. 499; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 234 EGV, Rdnr. 21. 8 EuGH, Urt. v. 16.07.1992, Rs. C-83/91, Slg. 1992 I-4919, Rdnr. 25 – Meilicke; EuGH, Urt. v. 09.02.1995, Rs. C-412/93, Slg. 1995 I-209, Rdnr. 12 – Leclerc-Siplec; EuGH, Urt. v. 21.03.2002, Rs. C-451/99, Slg. 2002 I-3218, Rdnr. 26 – Cura Anlagen.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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men der vorliegenden Untersuchung bemängelten Punkten auseinandergesetzt hat, hat er an der Gültigkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl keinerlei Zweifel geäußert und insofern seine Haltung bereits zu erkennen gegeben.9 Zwar läge insoweit im Hinblick auf die Durchführung eines erneuten Verfahrens kein Unzulässigkeitsgrund vor, da es durchaus zulässig ist, den Gerichtshof mit einer Vorlagefrage anzurufen, die bereits Gegenstand in einer Vorabentscheidung in einem gleich gelagerten Fall gewesen ist. Das Bestehen einer gesicherten Rechtsprechung, durch welche die betreffende Rechtsfrage geklärt ist, lässt grundsätzlich nur die Vorlagepflicht für ein mitgliedstaatliches Gericht entfallen.10 Es erscheint jedoch mehr oder weniger sinnlos, ein neues Verfahren anzustrengen, da für ein Umdenken des Gerichtshofs seit dem Erlass des Urteils in dieser Sache keinerlei Anzeichen zu erkennen sind.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch das Bundesverfassungsgericht Infolge der geringen Erfolgsmöglichkeiten in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof stellt sich die Frage, inwieweit das Bundesverfassungsgericht als nationales Gericht berechtigt wäre, die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen im deutschen Recht für unanwendbar zu erklären. I. Bestandsaufnahme zur Diskussion in der Literatur Zu dieser Frage sind seit der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses in der Literatur verschiedenste Auffassungen vertreten worden. Dabei wurde die Annahme einer Überprüfungsberechtigung maßgeblich von dem Grad der Vergemeinschaftungstendenz der dritten Säule abhängig gemacht. 1. Ablehnung einer Prüfungskompetenz Gegen die Annahme einer Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass das Bundesverfassungsgericht seine 9 EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, NJW 2007, S. 2237 ff. = EuZW 2007, S. 373 ff. – Advocaten voor de Wereld VZW. 10 EuGH, Urt. v. 27.03.1963, verb. Rs. 28–30/62, Slg. 1963, S. 63, 80 – Da Costa; EuGH, Urt. v. 06.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, Rdnr. 13 ff. – C.I.L.F.I.T/ Ministero Della Sanità.

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

eigene Rechtsprechungskompetenz grundsätzlich zugunsten einer Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs zurück genommen habe. Dies gelte nicht nur für den Bereich des Gemeinschaftsrechts, sondern aufgrund der fortschreitenden Tendenz zur Vergemeinschaftung der dritten Säule auch für die Überprüfung von Rechtsakten in diesem Bereich. Die Tatsache der Anerkennung der Rechtsprechungsgewalt des Europäischen Gerichtshofs im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 35 Abs. 2 EU und der Umstand der einheitlichen Geltung der Grundrechte im gesamten Unionsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EU verbiete es, von einer unterschiedlichen Kompetenzreichweite des Gerichtshofs zu sprechen, so dass auch eine Überprüfung von unionsrechtlichen Sekundärrechtsakten durch das Bundesverfassungsgericht ausscheiden müsse.11 In Betracht komme lediglich eine Überprüfung des Umsetzungsaktes am Maßstab des Grundgesetzes, wenn der Gesetzgeber Spielraum bei der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben habe. Soweit die Normsetzung zwingend dem Gemeinschaftsrecht folge, sei sie jedoch ebenso wenig wie das sekundäre Gemeinschaftsrecht durch das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, sondern unterliege dem auf Gemeinschaftsrechtsebene durch den Europäischen Gerichtshof gewährleisteten Grundrechtsschutz.12 Könnten mitgliedstaatliche Gerichte leichtfertig die Kompetenz für sich in Anspruch nehmen, eigenständig über die Anwendbarkeit europäischen Rechts im eigenen Lande zu entscheiden, und läge die Rechtsprechungskompetenz nicht ausschließlich beim Europäischen Gerichtshof, wäre die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union gefährdet.13 2. Annahme einer vollumfänglichen Prüfungskompetenz Demgegenüber wurde in der Literatur ähnlich wie vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz14 vertreten, dass das Gericht aus mehreren Gründen berechtigt sei, die mit dem Rahmenbeschluss verbundenen Folgen vollumfänglich für mit dem deutschen Recht unanwendbar zu erklären. Zum einen liege im Gegensatz zum Bereich des Gemeinschaftsrechts für den Bereich der dritten Säule kein weitgehender Verzicht auf die Ausübung der eigenen Rechtsprechungstätigkeit vor, da es sich hier um nationales Handeln auf11 Siehe Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 388 f., der betont, dass im Unionsrecht der dritten Säule kein Recht „zweiter Klasse“ gesehen werden dürfe. 12 Pernice, in: FS Meyer, S. 359, 388 f. in Anknüpfung an BVerfGE, NJW 1990, S. 974; BVerfG, NVwZ 1993, S. 883, 883; BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. In diesem Sinne auch Korinek, in: FS Badura, S. 1099, 1109; Hain, in: DVBl. 2002, S. 148, 153. 13 Pernice, in: VVDStRL 60 (2001), S. 148, 177 f. 14 Siehe die Ausführungen oben in Kapitel 3, C., I., 2.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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grund intergouvernementaler Zusammenarbeit handele.15 Auch wenn häufig die parallele Konstruktion der Rahmenbeschlüsse zum Instrument der Richtlinie betont werde, sei die gleiche Rechtswirkung für die Frage des Rechtsschutzes nicht ausgemacht. Insbesondere entfalle für die Überprüfung von Rechtsakten im Bereich der dritten Säule eine Pflicht zur vorrangigen Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens, da die Durchführung eines solchen Verfahrens in diesem Bereich wegen Art. 35 Abs. 2 und 3 EU lediglich optionalen Charakter habe. Zum anderen habe sich das Bundesverfassungsgericht zu keinem Zeitpunkt aus der Überprüfung europarechtlicher Sekundärrechtsakte zurückgezogen, wenn diese in die in Art. 79 Abs. 3 GG normierte Ewigkeitsgarantie des Rechtsstaates eingriffen oder einen so genannten ausbrechenden Hoheitsakt darstellten16, so dass eine Überprüfung der durch den Rahmenbeschluss veranlassten Rechtswirkung gänzlich auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtes erfolgen könne. 3. Annahme einer eingeschränkten Prüfungskompetenz In der Sache einen vermittelnden Ansatz haben schließlich die Stimmen in der Literatur vertreten, die darauf hinweisen, dass der Bereich der dritten Säule zwar grundsätzlich dem Völkerrecht zuzuordnen sei und dass sich völkerrechtliche Umsetzungsakte grundsätzlich auch an deutschem Verfassungsrecht messen lassen müssten, dass aber die Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pupino nicht unbeachtet bleiben dürften.17 Insofern sei zu bedenken, dass Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU im Unterschied zu Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU einen nationalen Verfassungsvorbehalt nicht kenne und dass auch Art. 23 Abs. 1 GG nicht zwischen Hoheitsrechtsübertragungen an die EG im eigentlichen Sinne und die EU im weiteren Sinne unterscheide. Ein Überprüfungsrecht könne daher nur im eingeschränkten Sinne in Betracht gezogen werden. Diskutabel erscheine beispielsweise, die Prüfung auf den europäischen ordre public, wie er in Art. 6 Abs. 2 und 3 EU konkretisiert wird, zu

15 Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 206 f.; ders., in: StV 2005, S. 681, 684; Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 261, 274; Hobe, in: FS Horn, S. 425, 435 f.; Wolff, in: StV 2004, S. 154, 155, 157 ff. 16 Schünemann, in: GA 151 (2004), S. 193, 207. 17 Siehe Vogel, in: JZ 2005, S. 801, 805, der sich auf die Sondervoten der Richter Lübbe-Wolff und Gerhardt zum Urteil des BVerfG zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz beruft, siehe BVerfGE 113, 273 (327, 336 f. und 339, 341 f.) In diesem Sinne auch Masing, in: NJW 2006, S. 264, 267; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41.

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

beschränken und damit zu begründen, dass Art. 35 Abs. 1 EU keinen Individualrechtsbehelf kenne. II. Grundsätzliche Haltung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte durch nationale Gerichte Zur Beantwortung der Frage, ob und inwieweit dem Bundesverfassungsgericht als nationalem Gericht die Berechtigung zusteht, die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen für im nationalen Recht unanwendbar zu erklären, erscheint es lohnenswert, einen kurzen Blick auf die seit dem Bestehen der Europäischen Gemeinschaften schwelende Frage des Verhältnisses des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof im Bereich des supranationalen Gemeinschaftsrechts der ersten Säule zu werfen. Auf diesem Wege dürfte deutlich werden, welch unterschiedliche Ansätze beide Gerichte in ihrer Funktion als „Hüter der nationalen Verfassung“ auf der einen Seite und als „Motor der Integration“ auf der anderen Seite seit jeher zu dem Thema verfolgen. 1. Der europarechtliche Ansatz des Europäischen Gerichtshofs Der Europäische Gerichtshof hat seit Beginn seiner Rechtsprechungstätigkeit im Rahmen der europäischen Integration betont, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung eine neue, eigenständige und verbindliche Rechtsordnung des Völkerrechts darstelle, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits mit dem EWG-Vertrag der Beschränkung ihrer Souveränitätsrechte zugestimmt hätten.18 Aus der Zustimmung zur Souveränitätsbeschränkung habe sich für den Bereich des europäischen Gemeinschaftsrechts ein absoluter Vorrang von gemeinschaftsrechtlichen gegenüber mitgliedstaatlichen Rechtsnormen ergeben, der nicht nur einfachgesetzliche, sondern auch verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten ausschließe.19 18 Siehe insofern grundlegend EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, 24 ff. – van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung; EuGH, Urt. v. 15.07. 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1252, 1269 – Costa/ENEL; siehe auch Hailbronner, in: FS Maurer, S. 97, 102 und Wölker, in: EuR 42 (2007), S. 32, 38; vgl. auch bereits die Ausführungen in Kapitel 4, B., II., 2. 19 Vgl. anstatt vieler EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rdnr. 3 – Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 3, Rdnr. 255; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rdnr. 42; Hummrich, in: DRiZ 2005, S. 361, 361.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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Logische und notwendige Folge der freiwilligen Souveränitätsbeschränkung, so der Gerichtshof, sei, dass sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht der Gültigkeitskontrolle durch nationale Gerichte am Maßstab nationalen Rechts unterlägen. Die ausschließliche Zuständigkeit für die Nichtigerklärung von Handlungen von Gemeinschaftsorganen sei daher allein dem Gerichtshof zugewiesen20, da ansonsten Meinungsverschiedenheiten der Gerichte der Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen geeignet wären, die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst und damit die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts aufs Spiel zu setzen.21 2. Der verfassungsrechtliche Ansatz des Bundesverfassungsgerichts Die Position des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Überprüfbarkeit von gemeinschaftsrechtlich bestimmten Rechtsakten ist durch eine bis heute andauernde, nicht gerade durch Gradlinigkeit bestechende Entwicklung gekennzeichnet. Anstoßpunkt für eine insbesondere bis zum Maastricht-Urteil häufig erfolgte Neujustierung des Verhältnisses zwischen ihm und dem Europäischen Gerichtshof war dabei stets die Frage des ausreichenden Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene.22 a) Entwicklung der Rechtsprechung bis zum Maastricht-Urteil In den ganz frühen Jahren der Gemeinschaft verfolgte auch das Bundesverfassungsgericht einen weitgehend integrationsoffenen Ansatz und lehnte sich in seiner Rechtsprechung in der in Rede stehenden Frage eng an die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs an. Es akzeptierte das Vorrangprinzip und vertrat die Auffassung, dass ein Rechtsbehelf unmittelbar gegen einen sekundären Unionsrechtsakt nicht in Betracht komme, weil es sich bei diesem nicht um einen Akt der deutschen öffentlichen Gewalt im Sinne von § 90 BVerfGG handele.23 Eine grundsätzliche Abkehr von der uneingeschränkten Akzeptanz der Vorrangthese des Europäischen Gerichtshofs und der Ablehnung, Rechtsbehelfe gegen Gemeinschaftsrechtsakte vor deutschen Gerichten zuzulassen, vollzog das 20 EuGH, Urt. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, S. 4225, Rdnr. 17 – Foto-Frost; vgl. auch Caspar, in: DÖV 2000, S. 349, 350; Kokott/Henze/Sobotta, in: JZ 2006, S. 633, 633 f. 21 EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1252, 1270 – Costa/ENEL; EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rdnr. 3 – Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide. 22 Vgl. insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 6. 23 BVerfGE 22, 293 (296); Frowein, in: Hartwig/Nolte/Oeter/Walter, S. 347, 357; siehe auch Pernice (2006), S. 26.

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Verfassungsgericht im Jahre 1974 mit seiner Solange I-Entscheidung. Es stellte nun fest, dass Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft von deutschen Behörden und Gerichten wie deutsche Gesetze anzuwenden und deshalb grundsätzlich im Rahmen des konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlagefähig seien, wenn das vorlegende Gericht die entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.24 Das Gericht machte damit deutlich, dass die innerstaatliche Wirkung und der Rang des Gemeinschaftsrechts sich entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs nicht primär aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ableiteten, sondern aus den entsprechenden Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten. Der souveräne Herrschaftsanspruch des deutschen Staates sei bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht unumkehrbar aufgegeben worden, sondern vielmehr nur vorübergehend zugunsten einer selbst gewollten Öffnung zurückgetreten.25 Vor diesem Hintergrund könnten Normen, die das Grundgesetz konstituierende Strukturen negierten, in der Bundesrepublik nicht wirksam werden. Nach der etwas unklaren Eurocontrol-Entscheidung des Gerichts im Jahre 198126 kam es 1986 mit dem Solange II-Beschluss sowohl zu einer Fortschreibung als auch zu einer Änderung der maßgeblichen Punkte der Solange IRechtsprechung. Einerseits bekräftigte das Gericht seine Rechtsprechung, wonach die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die Gemeinschaft durch das Grundgesetz begrenzt sei.27 Andererseits erklärte es jedoch infolge des verbesserten Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollanträge gegen Akte der Europäischen Gemeinschaft in Umkehrung seiner Rechtsprechung im Solange I-Beschluss für unzulässig, solange das inzwischen erreichte Niveau des vom Europäischen Gerichtshof gewährleisteten Grundrechtsschutzes das vom Grundgesetz als unabdingbar geforderte Niveau nicht unterschreite.28

24

BVerfGE 37, 271 (284 f.). Bleckmann, Europarecht, § 2, Rdnr. 86; van Ooyen, S. 13; in diesem Sinne auch Limbach, in: NJW 2001, S. 2913, 2916. 26 Das Gericht betonte in dieser Entscheidung, dass Akte einer besonderen, durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffenen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt nicht als Akte der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG anzusehen seien und deshalb nicht an Art. 19 Abs. 4 GG zu messen seien. Gleichzeitig berief es sich auf seine Ausführungen in der Solange IEntscheidung, siehe BVerfGE 58, 1 (27). 27 BVerfGE 73, 339 (376). 28 BVerfGE 73, 339 (378 ff., 387); Caspar, in: DÖV 2000, S. 349, 351. 25

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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b) Eckpfeiler seit dem Maastricht-Urteil: Kooperationsverhältnis und Souveränitätsvorbehalt Seit seinem Maastricht-Urteil sieht das Bundesverfassungsgericht das Kompetenzverhältnis zwischen ihm und dem Europäischen Gerichtshof von zwei grundlegenden Entscheidungen geprägt: Auf der einen Seite hat sich das Gericht in Fragen des Grundrechtsschutzes praktisch weitgehend von der Überprüfung europäischer Rechtsakte zurückgezogen und dem Europäischen Gerichtshof integrationsfreundlich die Rechtsprechungskompetenz nahezu vollständig überlassen.29 Dies ist insbesondere in den Entscheidungen des Gerichts zur Bananenmarktverordnung, in der Rechtssache Alcan und zur Teilzeitarbeitrichtlinie deutlich geworden.30 Auf der anderen Seite hat sich das Gericht allerdings den im Solange I-Beschluss erstmalig aufgestellten prinzipiellen Souveränitätsvorbehalt bewahrt und deutlich gemacht, dass sich das nationale Recht gegenüber dem europäischen Recht nicht in einem hierarchischen Unterordnungsverhältnis befindet.31 In ausdrücklicher Abkehr von seiner früheren Eurocontrol-Rechtsprechung32 hat das Gericht vielmehr erklärt, dass es grundsätzlich die Kompetenz für sich in Anspruch nimmt, Gemeinschaftsrechtsakte auf ihre Vereinbarkeit mit dem nationalen Recht zu überprüfen.33 Dies gelte insbesondere für zwei Fälle, nämlich erstens, wenn der gemeinschaftsrechtliche Rechtsakt kompetenzwidrig außerhalb des Integrationsprogramms im Sinne eines „ausbrechenden Hoheitsaktes“ erlassen worden ist34 und zweitens, wenn ein Gemeinschaftsrechtsakt offensichtlich gegen die Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG verstößt.35 29 Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 23, Rdnr. 41; Limbach, in: EuGRZ 2000, S. 417, 420; siehe auch Pernice (2006), S. 29 f.; bildhaft Steiner, in: FS Maurer, S. 1005, 1013, Fn. 43: „Das BVerfG ist jedenfalls in Bezug auf den Schutz der Grundrechtsberechtigten in Deutschland in der Rolle des ,Edelreservisten‘ ohne ernsthafte Aussicht auf Spieleintritt.“ 30 BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG, EuZW 2000, S. 445, 446; BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 126. Vgl. auch zu den hohen Anforderungen für einen Eintritt des BVerfG in Bezug auf Grundrechtsverletzungen die Ausführungen oben in Kapitel 5, B., I., 6. 31 Siehe zum Rangverhältnis zwischen EuGH und BVerfG Kadelbach, in: FS Zuleeg, S. 219, 220; Schilling, in: Der Staat 33 (1994), S. 555, 562. 32 BVerfGE 58, 1 (27). 33 Siehe Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 IV, Rdnr. 48; Klein, in: FS Stern, S.1301, 1304 f.; ders., in: GS Grabitz, S. 271, 276 f.; Walter, in: AöR 129 (2004), S. 39, 53; an dieser Vorgehensweise hat das Gericht trotz aller Kritik auch seitdem festgehalten, siehe BVerfG, NJW 2001, S. 2705, 2705. Kritisch Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 19, Rdnrn. 420 f.; Fassbender, in: AöR 132 (2007), S. 257, 261; Cremer, in: ZaöRV 60 (2000), S. 103, 137. 34 BVerfGE 89, 155 (188); vgl. auch Wolf, in: KJ 2005, S. 350, 351; Steinberger, in: FS Bernhardt, S. 1313, 1332; Frenz, in: Der Staat 34 (1995), S. 586, 597; Lindner, in: EuR 42 (2007), S. 160, 190; Hugger, S. 160 f.; kritisch Nicolaysen/Nowak, in:

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

Zwar wurde in der Literatur behauptet, dass der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Überprüfung bei ausbrechenden Hoheitsakten lediglich von theoretischer Relevanz sei, da der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zur ersten Tabakwerberichtlinie 36 deutlich gemacht habe, dass er seine Verantwortung ernst nehme und Kompetenzüberschreitungen nachhaltig überprüfe.37 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Gerichtshof die Neufassung der Richtlinie38 mittlerweile als gemeinschaftsrechtskonform gebilligt hat,39 obwohl diese auf denselben Rechtsgrundlagen erlassen worden war, wie die für nichtig erklärte Fassung40. Insoweit dürfte es schwer fallen, den Vorbehalt für Kompetenzüberschreitungen als überflüssig anzusehen. Dass das Gericht im Übrigen nie von seinem im Maastricht-Urteil aufgestellten Vorbehalt abgerückt ist, zeigen zudem die Ausführungen des Gerichts in dem Beschluss zur Rechtssache Alcan, indem es sich mit der Frage des ausbrechenden Hoheitsaktes beschäftigte.41 Dass das Gericht auch den Vorbehalt des Art. 79 Abs. 3 GG als zweiten Anwendungsfall seiner Kompetenzausübung seit dem Maastricht-Urteil nicht aufgegeben hat, kann dem Beschluss in der Rechtssache Görgülü entnommen werden. In diesem führte es aus, dass das Grundgesetz zwar eine weitgehende Völkerrechtsfreundlichkeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und politische Integration in eine sich allmählich entwickelnde internationale Gemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten will, dass es jedoch keine jeder verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogenen Unterwerfung unter nichtdeutsche Hoheitsakte wolle.42 NJW 2001, S. 1233, 1236; Sander, in: DÖV 2000, S. 588, 596; Hummrich, in: DRiZ 2005, S. 361, 363. 35 BVerfGE 89, 155 (175); Everling, in: GS Grabitz, S. 57, 70; Heckmann, S. 329 ff.; siehe auch Pernice (2006), S. 29 ff., Kirchhof, in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 11, 21; vgl. die Kritik zur Ausübung eines Souveränitätsvorbehalts von Flint, S. 186, der ähnlich wie der EuGH eine nachträgliche Verfassungsbindung ablehnt. 36 Erklärung der Nichtigkeit der RL 98/43/EG vom 06.07.1998, ABl. 1998 Nr. L 213, S. 9, siehe EuGH, Urt. v. 05.10.2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000 I-8498, Rdnrn. 76 ff. – Deutschland/Parlament und Rat. 37 Nickel, in: JZ 2001, 625, 628. 38 Richtlinie 2003/33/EG vom 26. Mai 2003, ABl. 2003 Nr. L 152, S. 16. 39 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006 I-11631, Rdnrn. 88, 97 – Deutschland/Parlament und Rat. 40 Art. 95 EG und Art. 152 Abs. 4 lit. c) EG. 41 BVerfG, EuZW 2000, S. 445, 447; vgl. auch die Anmerkung zu dem Beschluss von Vögler, in: EuZW 2000, S. 447, 448, der in dem Beschluss sogar einen verschärften Tonfall des BVerfG gegenüber dem EuGH erkannt haben will; ferner: Scholz, in: DÖV 1998, S. 261, 267. 42 BVerfGE 111, 307 (319); siehe auch van Ooyen, S. 40 f.; Kirchhof, in: JZ 1998, S. 965, 973; Huber, in: EuZW 1997, S. 517, 519; Odendahl, in: JA 2000, S. 219, 224; Nettesheim, in: Jura 2001, S. 686, 689; siehe auch grundsätzlich zur Ausübung der Jurisdiktion des BVerfG im Falle einer Verfassungskollision Maduro, in: EuR 42 (2007), S. 3, 11.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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III. Überprüfbarkeit von Richtlinien als umsetzungsbedürftige Gemeinschaftsrechtsakte durch das Bundesverfassungsgericht Aufgrund des Umstandes, dass Rahmenbeschlüsse trotz der infolge des Pupino-Urteils zu erkennenden faktischen unmittelbaren Wirkung im nationalen Recht in rechtlicher Hinsicht nicht unmittelbar wirksam sind43, sondern der Umsetzung ins nationale Recht bedürfen44, ist die Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfbarkeit unmittelbar anwendbarer gemeinschaftsrechtlicher Sekundärrechtsakte allerdings nicht direkt auf den Fall des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl übertragbar. Jedoch erscheint es vor dem Hintergrund der aufgezeigten starken Ähnlichkeit der Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen und Richtlinien auch nicht angebracht, eine rein völkerrechtliche Betrachtungsweise der Frage nach der verfassungsrechtlichen Überprüfbarkeit an den Tag zu legen, wie es Vertreter in der Literatur und das Gericht selbst in der Entscheidung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz gemacht haben45. Vielmehr drängt sich vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit von unionsrechtlichen Rahmenbeschlüssen und gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien die Frage auf, inwieweit das Bundesverfassungsgericht Rechtswirkungen für verfassungsrechtlich überprüfbar hält, die von Richtlinien ausgehen und inwieweit das Gericht seine Rechtsprechung zum Souveränitätsvorbehalt auf das Instrument der Richtlinie als Mischform zwischen völkerrechtlichem und supranationalem Rechtsakt übertragen hat. Auffallend ist, dass sich das Bundesverfassungsgericht trotz der gigantischen Masse der seit Einführung des Instruments erlassenen gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien nie ausdrücklich mit der Frage der Übertragbarkeit des im Maastricht-Urteil aufgestellten Souveränitätsvorbehalts auf gemeinschaftsrechtliche Richtlinien befasst hat. Man kann jedoch insbesondere den beiden Entscheidungen des Gerichts zur Tabakkennzeichnungspflicht46 zumindest in konkludenter Hinsicht tragfähige Schlussfolgerungen zu der Frage entnehmen, welches Verhältnis das Gericht zum Europäischen Gerichtshof pflegt, wenn es um die Überprüfung von umsetzungsbedürftigen europarechtlichen Rechtsakten geht.

43 Vgl. zur Umsetzungsbedürftigkeit von Rahmenbeschlüssen die Ausführungen oben in Kapitel 4, D., I., 2., b). 44 Vgl. grundsätzlich zur Umsetzungsbedürftigkeit von Richtlinien Art. 249 Abs. 3 EG; siehe insofern auch Streinz, Rdnr. 435; Bieber/Epiney/Haag, § 6, Rdnr. 32; siehe zu den Voraussetzungen der unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien die Ausführungen oben in Kapitel 2, B., II., 2., Fn. 33. 45 Siehe insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 7, B., I., 2. 46 BVerfGE, NJW 1990, S. 974 – 1. Tabakkennzeichnungsbeschluss; BVerfG, DVBl. 1997, S. 548 ff. – 2. Tabakkennzeichnungsbeschluss.

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

Denn aus der Zusammenschau beider Entscheidungen wird deutlich, dass es für die Frage der Überprüfbarkeit der von Richtlinien ins nationale Recht ausgehenden Rechtswirkungen darauf ankommt, ob der nationale Umsetzungsakt durch die Richtlinie determiniert ist oder nicht. 1. Vollumfängliche Überprüfbarkeit des nicht determinierten Bereichs des Umsetzungsaktes Belässt die Richtlinie dem nationalen Normsetzer einen Umsetzungsspielraum, so die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im ersten Tabakkennzeichnungs-Beschluss, unterliegt dieser nicht nur einer Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie, sondern ist darüber hinaus vollumfänglich den Bindungen des nationalen Verfassungsrechts unterworfen.47 Daraus folgt, dass beispielsweise eine Verfassungsbeschwerde gegen eine umgesetzte Norm grundsätzlich zulässig ist, wenn sie auf die Rüge gestützt wird, der nationale Normgeber habe den Spielraum in verfassungswidriger Weise ausgefüllt, der ihm bei der Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht zukommt. Verwundern kann dieses Ergebnis nicht, handelt es sich doch bei dem Teil der Umsetzung, der nicht von der Richtlinie bestimmt ist, letztlich um einen gänzlich nationalen Hoheitsakt, dessen Gestaltung auf den nationalen Gesetzgeber zurückzuführen ist und der insofern auch von den nationalen Gerichten voll überprüfbar sein muss. Offen blieb allerdings in den Ausführungen des Gerichts im ersten Tabakkennzeichnungs-Beschluss und auch in einem weiteren zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführten Verfahren48 die Frage, ob und in welchem Umfang eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Umsetzungsaktes in Betracht kommt, wenn eine Richtlinie keinen Umsetzungsspielraum für den nationalen Umsetzungsgesetzgeber vorsieht, sondern diesem zwingende Umsetzungsverpflichtungen aufgibt. 2. Beschränkte Überprüfbarkeit des determinierten Bereichs Eine – wenn auch nicht ausdrückliche – Antwort auf diese Frage gab das Gericht erst in seinem zweiten Beschluss zur Tabakkennzeichnungspflicht49. Im Gegensatz zum ersten Beschluss lag dem Gericht in diesem Verfahren ein Um-

47 BVerfG, NJW 1990, S. 974, 974; Büdenbender, S. 271 f.; Hain, in: DVBl. 2002, S. 148, 153. 48 BVerfG, NVwZ 1993, S. 883, 883. 49 BVerfG, in: DVBl. 1997, S. 548 f.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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setzungsakt zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vor,50 der wortgetreu den Text der europarechtlichen Tabaketikettierungs-Richtlinie51 wiedergab. Hätte das Gericht nun die im ersten Beschluss angedeutete Differenzierung konsequent aufrechterhalten, hätte eine Überprüfung des Umsetzungsaktes vor dem Hintergrund des fehlenden Umsetzungsspielraumes nicht stattfinden dürfen. Denn die logische Folge der Überprüfung eines mit einer Richtlinie identischen Umsetzungsaktes ist die Überprüfung der Richtlinie am Maßstab des Grundgesetzes. Dieser Zusammenhang hielt das Gericht allerdings nicht davon ab, den Umsetzungsakt nichtsdestotrotz auf seine verfassungsrechtliche Richtigkeit zu überprüfen und dabei quasi zu seiner Entlastung vorzutragen, dass es nicht darauf ankomme, welche innerstaatlichen Verbindlichkeiten die zugrunde liegende Richtlinie begründe, da die angegriffene Regelung auf einer vom Gemeinschaftsrecht unabhängigen Ermächtigungsgrundlage des deutschen Rechts beruhe.52 Zu Recht wurde dem Gericht umgehend kritisch entgegen gehalten, dass kommunitäre Richtlinienvorgaben und nationales Umsetzungsrecht in ihren Wirkungen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden könnten.53 Die Tatsache, dass das Gericht es im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Überprüfung des Umsetzungsaktes für völlig unbeachtlich hielt, dass der nationale Gesetzgeber die entsprechende Richtlinie nur abgeschrieben hatte, ließ vielmehr deutlich werden, dass das Gericht bereit war, seine zum unmittelbar wirksamen Gemeinschaftsrecht aufgestellte Vorbehaltsrechtsprechung auch auf den Bereich umsetzungsbedürftiger europarechtlicher Rechtsakte auszuweiten. Auch wenn das Gericht später in seiner Entscheidung zur Teilzeitarbeitrichtlinie54 wieder die Dogmatik des ersten Tabakkennzeichnungs-Beschlusses bemühte, da auch diese Richtlinie einen Umsetzungsspielraum vorsah, so ist bis heute nicht ersichtlich, dass sich an der vom Gericht im zweiten Beschluss zur Tabakkennzeichnungspflicht an den Tag gelegten Vorgehensweise etwas geändert hat. 50 § 3 der Verordnung über die Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen und über Höchstmengen von Teer im Zigarettenrauch vom 29. Oktober 1991 (TabKTHmV), BGBl. 1991 I, S. 2053. 51 Art. 4 der Richtlinie 89/622/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen vom 13. November 1989, ABl. EG Nr. L 359 S. 1; geändert durch die Richtlinie 92/41/EWG des Rates vom 15. Mai 1992, ABl. EG Nr. L 158 S. 30. 52 BVerfG, in: DVBl. 1997, S. 548, 548. Als nationale Ermächtigungsgrundlage lag der Tabakkennzeichnungsverordnung u. a. § 21 des Gesetzes v. 15.08.1974 über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (LMBG) zugrunde, BGBl. 1974 I, S. 1945. 53 Dauses, in: EuZW 1997, S. 705. 54 BVerfG, NJW 2001, S. 1267 f.

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Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

Daher wird heute allgemein davon ausgegangen, dass das Gericht im Falle der Umsetzung von Richtlinien, die eine zwingende detaillierte Umsetzungsverpflichtung begründen, zwar keine vollumfängliche Überprüfung des Umsetzungsaktes vornimmt, dass es jedoch von der Möglichkeit einer Überprüfung auch nicht gänzlich absieht. Vor diesem Hintergrund ist der von der Richtlinie determinierte Bereich des Umsetzungsaktes im Sinne der Maastricht-Rechtsprechung im Hinblick auf einen möglichen Kompetenzverstoß und einen möglichen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG als überprüfbar anzusehen.55 IV. Übertragung der für Richtlinien eingeschlagenen Vorgehensweise auf unionsrechtliche Rahmenbeschlüsse Aufgrund der aufgezeigten Vergleichbarkeit der von Rahmenbeschlüssen und Richtlinien ausgehenden Rechtswirkungen erscheint es nahe liegend und richtig, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsrechtlichen Überprüfung von Rechtsakten, die auf Richtlinien beruhen, auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen56. Dies bedeutet zunächst einmal vor dem Hintergrund des ersten Tabakkennzeichnungs-Beschlusses, dass ein Umsetzungsakt zu einem unionsrechtlichen Rahmenbeschluss stets in vollem Umfang vom Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Grundgesetzes überprüfbar ist, wenn und soweit der Umsetzungsakt Ausdruck eines vom Rahmenbeschluss gewährten Umsetzungsspielraumes ist. In Konsequenz des zweiten Tabakkennzeichnungs-Beschlusses bedeutet dies jedoch auch, dass der Umsetzungsakt auch dann Prüfungsgegenstand sein kann, wenn er aufgrund von detaillierten Vorgaben des Rahmenbeschlusses dessen Rechtswirkungen lediglich ins nationale Recht abbildet. Allerdings ist die Prüfung in diesem Fall vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil aufgestellten Vorbehaltsrechtsprechung darauf beschränkt, ob die mit dem Rahmenbeschluss verbundenen Rechtswirkungen einen Verstoß gegen die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze darstellen, und ob in dem Rahmenbeschluss ein „ausbrechender Hoheitsakt“ zu sehen ist.

55 Scholz, in: Friauf/Scholz, S. 53, 102; Caspar, in: DÖV 2000, S. 349, 352; Selmer, S. 24 f.; Nicolaysen, in: EuR 24 (1989), S. 215, 221 f.; Everling, in: EuR 25 (1990), S. 195, 213; Hain, in: DVBl. 2002, S. 148, 153; Mißling, in: EuR 42 (2007), S. 261, 268; Büdenbender, S. 272. 56 In diesem Sinne, jedoch zu einem anderen Ergebnis kommend, Professor Masing als Bevollmächtigter für die Bundesregierung im Verfahren zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz, siehe das Wortlautprotokoll der mündlichen Verhandlung, abgedruckt in: Schorkopf (2006), S. 142, 174.

B. Überprüfbarkeit des Rahmenbeschlusses durch das BVerfG

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Eine darüber hinausgehende vollumfängliche Überprüfung, wie sie die Anhänger der völkerrechtlichen Betrachtungsweise der dritten Säule favorisieren57, muss in einem solchen Fall hingegen ausscheiden, da diese dem rechtlichen Charakter der dritten Säule des Unionsrechts vor dem Hintergrund der PupinoRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs widerspräche. Betrachtet man nun den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auf der Grundlage dieser Vorgaben, hat man sich die oben getätigten Ausführungen zu vergegenwärtigen, wonach der Rahmenbeschluss hinsichtlich der zentralen Vorgaben, also hinsichtlich der weitreichenden Verankerung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht, hinsichtlich der Ersetzung des politischen Bewilligungsverfahrens durch das einstufige Vollstreckungsverfahren und hinsichtlich der grundsätzlichen Einschränkung der Ablehnungsmöglichkeit, ein Auslieferungsersuchen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu verweigern, keine echten Umsetzungsspielräume für den nationalen Gesetzgeber vorsieht.58 Insoweit kommt im Hinblick auf diese Punkte für eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes lediglich der beschränkte Prüfungsmaßstab im Sinne der Maastricht-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Betracht. Dies hindert allerdings vor dem Hintergrund der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung festgestellten Verstöße nicht an einer Überprüfung und Nichtigerklärung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht, da die Herbeiführung der mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Rechtswirkungen durch das Europäische Haftbefehlsgesetz zum einen die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der Demokratie und Gewaltenteilung in unzulässigerweise berührt und zum anderen gegen die Pflicht zur Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verstößt, weshalb in dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl auch ein „ausbrechender Hoheitsakt“ gesehen werden muss. Insofern sind Verstöße gegen beide vom Verfassungsgericht im MaastrichtUrteil aufgestellte Souveränitätsvorbehalte anzunehmen, so dass in der Erklärung der Unanwendbarkeit der mit dem Rahmenbeschluss verbundenen Rechtsfolgen im deutschen Recht eine konsequente Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts zu sehen wäre.

57 58

Siehe die Ausführungen oben in Kapitel 7, B., I., 2. Siehe insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I., 2., a).

240

Kap. 7: Konsequenzen für den Umgang mit dem RbEuHb

C. Möglichkeiten der Streitbeilegung Dass eine solche Erklärung der oben beschriebenen Pflicht der Mitgliedstaaten zur Unionstreue widerspräche und zu einer uneinheitlichen Anwendung des Unionsrechts in der Europäischen Union führen würde, spiegelt das angedeutete Dilemma wieder, dass im Fall des Europäischen Haftbefehls für die Bundesrepublik Deutschland keine Möglichkeit existiert, sowohl den unionsrechtlichen als auch den verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gleichermaßen gerecht zu werden. Mit Blick auf das Verständnis des Europäischen Gerichtshofs vom Verhältnis der Gerichte zueinander, wonach nationale Gerichte keinesfalls befugt sind, die Rechtswirkungen europarechtlicher Rechtsakte im nationalen Recht aufgrund nationaler Vorbehalte zu unterbinden59, stellt sich abschließend die Frage, wie trotz der konsequenterweise vorzunehmenden Erklärung der Unanwendbarkeit der Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch das Bundesverfassungsgericht ein möglicher Ausgleich mit den anderen Mitgliedstaaten bzw. den Organen der Europäischen Union erreicht werden kann. Grundsätzlich ergeben sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht Lösungsmöglichkeiten für einen Konflikt bei der Umsetzung von im Rahmen der dritten Säule erlassenen Rechtsakten abschließend aus den in Art. 35 Abs. 7 EU normierten Möglichkeiten für eine Streitbeilegung. Der Gerichtshof ist insofern einerseits gemäß Art. 35 Abs. 7 S. 1 EU für Entscheidungen über alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten bezüglich der Auslegung oder der Anwendung der nach Art. 34 Abs. 2 EU angenommenen Rechtsakte zuständig, die der Rat nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach seiner Befassung durch eines der Mitglieder beilegen kann. Andererseits umfasst seine Rechtsprechungsgewalt gemäß Art. 35 Abs. 7 S. 2 EU alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission bezüglich der Auslegung oder der Anwendung der nach Art. 34 Abs. 2 lit. d) EU erstellten Übereinkommen. Infolgedessen, dass der Anwendungsbereich des Art. 35 Abs. 7 S. 2 EU auf europarechtliche Übereinkommen beschränkt ist60, folgt daraus, dass die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nicht von Seiten der Kommission über den Europäischen Gerichtshof eingefordert werden kann.

59

Siehe insoweit die Ausführungen oben in Kapitel 7, B., II., 1. Vgl. insoweit Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 35 EUV, Rdnr. 14; Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 35 EUV, Rdnr. 12; Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 35 EUV, Rdnr. 25; Hourle, S. 166. 60

C. Möglichkeiten der Streitbeilegung

241

In einem Fall der Verweigerung der Umsetzung eines unionsrechtlichen Rahmenbeschlusses bedeutet dies, dass die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch die Bundesrepublik Deutschland lediglich von Seiten der anderen Mitgliedstaaten in einem Streitbeilegungsverfahren nach Art. 35 Abs. 7 S. 1 EU vor dem Europäischen Gerichtshof eingefordert werden kann. Um jedoch ein solches weiteres streitiges Vorgehen gleichwohl zu vermeiden, erscheint es angebracht, die in Art. 35 Abs. 7 S. 1 EU vorrangig vorgesehene Pflicht zur gütlichen Einigung im Rat zu nutzen, um die aufgezeigten Mängel in den Vorgaben des Rahmenbeschlusses durch eine Überarbeitung der europarechtlichen Grundlagen des europäischen Haftbefehls abzustellen.

Kapitel 8

Resümee und Ausblick Zum Abschluss der vorliegenden Untersuchung soll an dieser Stelle ein kurzes Resümee im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen gezogen werden. Dabei sollen vor dem Hintergrund der hier geäußerten Kritik an der Ausgestaltung der gegenwärtigen Form des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl vor allem auch Überlegungen im Hinblick auf mögliche Verbesserungen angestellt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich schließlich auch die Frage, inwieweit der Vertrag von Lissabon nicht nur Veränderungen des europäischen Primärrechts mit sich bringt, sondern hinsichtlich der hier besprochenen Defizite auch Verbesserungen bereithält.

A. Resümee Man kann auf der Grundlage der hier gefundenen Ergebnisse mit Fug und Recht behaupten, dass die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Neuerungen im Auslieferungsrecht eine Kampfansage an einige Kernprinzipien des deutschen Verfassungsrechts darstellen. Im Gegensatz zur vom Bundesverfassungsgericht zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz vertretenen Auffassung ergibt sich diese Feststellung allerdings hinsichtlich des zweiten Umsetzungsgesetzes nicht aus einer vom nationalen Gesetzgeber zu verantwortenden verfassungswidrigen Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben, sondern vielmehr aus den aufgezeigten verfassungsrechtlich problematischen Vorgaben des Rahmenbeschlusses selbst und dessen primärrechtlicher Einbettung in der dritten Säule des Unionsrechts vor dem Hintergrund des Pupino-Urteils. Vergegenwärtigt man sich nun, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Advocaten voor de Wereld eine Abhilfe der mit der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses entstandenen Probleme praktisch nicht mehr in Betracht kommt und eine Nichtigerklärung des zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht trotz der theoretischen Möglichkeit einem Ausscheren aus dem europäischen Rechtsraum gleichkäme, drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass das auf dem Europäischen Rat von Tampere im Jahre 1999 angestoßene Ziel, in Europa einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen, jedenfalls im Bereich des Auslieferungsrechts als Farce anzusehen ist.

A. Resümee

243

Vor dem Hintergrund der dargestellten Ersetzung des auslieferungsrechtlichen Gebots der beiderseitigen Strafbarkeit durch den unbestimmten Deliktskatalog des Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb, der damit verbundenen weit reichenden Eingriffe in die nationalen Strafrechtsordnungen und der schwachen demokratischen Legitimation dieser Neuerungen, muss es einem aus heutiger Sicht sogar wie Hohn vorkommen, dass in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere den eingangs der Untersuchung zitierten Ankündigungen für eine effektivere grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung die folgenden Ausführungen an die Seite gestellt worden sind: „Die Europäische Integration war von Anfang an fest auf ein gemeinsames Bekenntnis zur Freiheit gegründet, das sich auf die Menschenrechte, demokratische Institutionen und Rechtsstaatlichkeit stützt. [. . .] Bei der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sollten die Grundsätze der Transparenz und der demokratischen Kontrolle tragende Elemente sein.“1

Nun kann man der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl entgegengebrachten Kritik mit Sicherheit entgegenhalten, dass jeder etwas größere verändernde Eingriff in ein zumindest in der Regel funktionierendes System zunächst einmal die Gefahr mit sich bringt, das Recht zu verschlechtern.2 Sicherlich gilt dies insbesondere auch für Veränderungen, die das Ziel verfolgen, die Rechtsvielfalt in Europa ganz oder zum Teil zu beseitigen und ein einheitliches Recht zu schaffen. Ferner lässt sich natürlich mit gewisser Berechtigung behaupten, dass das auf völkerrechtlichen Übereinkommen basierende Auslieferungsrecht vor der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl von einer derartigen Langsamkeit und Ineffizienz geprägt war, dass die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dargestellte Kritik an der Neugestaltung des europäischen Auslieferungsrechts hinter dem Bedürfnis einer Neuregelung zurücktreten müsse, um dem erhöhten Aufkommen grenzüberschreitender Kriminalität gerecht werden zu können. Auch ist dem Bedürfnis nach einer europaweiten Erhöhung der Effizienz der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit alles andere als grundsätzlich zu widersprechen. Jedoch ist festzustellen, dass eine Harmonisierung der einzelnen strafrechtlichen Rechtsordnungen niemals allein zum Selbstzweck einer effektiven Verbrechensbekämpfung erfolgen darf 3, sondern stets im Auge behalten muss, dass über das utilitaristische Ziel der Kriminalitätsbekämpfung die Individualrechte 1 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere, Ziff. 1 und 7. 2 Frisch, in: GA 154 (2007), S. 250, 264. 3 Vogel, in: GA 150 (2003), S. 314, 317; in diesem Sinne auch Kubiciel, in: NStZ 2007, S. 136, 141.

244

Kap. 8: Resümee und Ausblick

in ausreichender Weise im Sinne der Rechtsstaatlichkeit geschützt bleiben müssen.4 Insbesondere im grundrechtssensiblen Bereich des Strafrechts müssen sich die Organe auf europäischer Ebene stets im Klaren darüber sein, dass Veränderungen mit dem Ziel der Vereinheitlichung in hohem Maße legitimationsbedürftig sind und nur behutsam erfolgen sollten. Dies setzt aber voraus, dass die Betroffenen eine möglichst weitgehende Beteiligung bei der Verankerung neuen Rechts erfahren und darüber hinaus mit den für sie geltenden rechtlichen Veränderungen ausreichend vertraut gemacht werden. Da aber genau diese Grundkoordinaten „guter Rechtsetzung“ im strafrechtlichen Bereich mit der Überstülpung des Anerkennungsprinzips durch den Rat nicht eingehalten worden sind und da sich die Defizite der Ausgestaltung infolge der Verankerung der Pflicht zur unionskonformen Auslegung von Rahmenbeschlüssen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Jahre 2005 sogar verstärkt haben, kann man den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in seiner jetzigen Fassung nicht lediglich als etwas Gewöhnungsbedürftiges abtun. Es stellt sich nun die Frage, auf welchem Wege vor dem Hintergrund der jetzigen primärrechtlichen europarechtlichen Rechtslage Verbesserungen erreicht werden können, die dafür Sorge trügen, dass das europäische Auslieferungsrecht in Zukunft nicht nur der unzweifelhaft bestehenden Notwendigkeit einer effektiveren Strafverfolgung gerecht würde, sondern auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Betrachtet man zunächst das festgestellte Demokratiedefizit5, so erscheinen insbesondere zwei Verbesserungsmöglichkeiten denkbar.6 Die erste Möglichkeit läge darin, dass der Bundestag bei der Umsetzung der im Ministerrat ausgehandelten europarechtlichen Vorgaben wieder ein stärkeres Gewicht als in der gegenwärtigen Situation zugesprochen bekommt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Position des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gerade nicht stärken lässt, da der Rechtsetzungsform des Rahmenbeschlusses vor dem Hintergrund der Pupino-Rechtsprechung gerade immanent ist, dass der Umsetzungsgesetzgeber die vom Rat vorgegebenen zentralen Entscheidungen faktisch zu exekutieren hat. Insoweit wäre die Stärkung der Beteiligung der nationalen Parlamente mit der Notwendigkeit verbunden, das Instrument des Europäischen Haftbefehls auf eine andere europarechtliche Grund4

Siehe bereits Starck, in: FAZ v. 04.09.2001, S. 55. Vgl. insoweit noch einmal die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., I. 6 Nicht nachgegangen wird an dieser Stelle der Überlegung, inwieweit das Legitimationsniveau durch eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments erreicht werden kann. 5

A. Resümee

245

lage zu stützen. Eine erhöhte Legitimation verspricht dabei mit Blick auf die in Art. 34 Abs. 2 EU zur Verfügung stehenden Handlungsinstrumente allein eine Rechtsetzung durch ein europarechtliches Übereinkommen im Sinne von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d) EU. Diese Vorgehensweise hätte jedoch den aus der Zeit vor dem Europäischen Haftbefehl bekannten Nachteil, dass die Einführung des Instruments des Europäischen Haftbefehls von der Ratifikation des Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten abhängig wäre, so dass erneut zu befürchten wäre, dass eine zeitnahe Steigerung der Effektivität im Auslieferungsrecht an dem Umsetzungswillen mancher Mitgliedstaaten scheitern würde. Vorzugswürdig wäre daher eine Möglichkeit, die sowohl dem Bedürfnis nach einer raschen unionsweiten Erneuerung des Auslieferungsverkehrs nahe käme und infolgedessen erlauben würde, am Instrument des Rahmenbeschlusses als Rechtsetzungsinstrument festzuhalten, die aber trotzdem Forderungen nach einem höheren Legitimationsniveau erfüllen könnte. Eine derartige Lösung kann nur darin liegen, den Bundestag als deutsche Volksvertretung bereits zu einem früheren Zeitpunkt des gesamten Rechtsetzungsverfahrens stärker mit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. 7 Dies könnte so aussehen, dass man die Zustimmung der Vertreter der Mitgliedstaaten im Ministerrat zu einem entsprechenden neuen Rahmenbeschluss von einer Genehmigung durch die nationalen Volksvertretungen abhängig macht. Für die Bundesrepublik Deutschland würde dies bedeuten, dass eine notwendige Ergänzung zum Verfassungsrecht vorzunehmen wäre, die es dem Bundestag über die bisher in Art. 23 Abs. 2 und 3 GG bestehenden unverbindlichen Mitwirkungsrechte ermöglichen würde, in Fällen europäischer Strafrechtsetzung ein gegenüber der Bundesregierung verbindliches Einflussrecht auszuüben.8 Natürlich wäre auch dieser Weg offensichtlich mit einer Verlangsamung des Prozesses zur Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses verbunden. Jedoch erscheint dies hinnehmbar, um der Gefahr der Beliebigkeit gubernativer Rechtsetzung im strafrechtlichen Bereich ein Stück weit entgegenzutreten und die schwache Beteiligung des Europäischen Parlaments durch eine starke Einbeziehung der mitgliedstaatlichen Parlamente auszugleichen. Betrachtet man des Weiteren die mit der Unbestimmtheit des Deliktskataloges in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb verbundenen Bedenken an der Rechtsstaatlichkeit der Vorgaben des Rahmenbeschlusses9, so ist die Ersetzung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen gar nicht grundsätzlich als unhaltbar

7

In diesem Sinne auch Böhm, in: NJW 2005, S. 2588, 2588. So auch Alternativerntwurf zum Verfassungsentwurf, in: Schünemann, Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, S. 24 f. 9 Siehe insoweit noch einmal die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., IV. 8

246

Kap. 8: Resümee und Ausblick

abzulehnen.10 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung erscheint durchaus als ein Instrument, das der Erleichterung eines funktionierenden europäischen Auslieferungsverkehrs dienen könnte. Das Problem ist weniger in der Tatsache der Übertragung des Anerkennungsprinzips auf das Auslieferungsrecht zu sehen, als in seiner im Fall des Rahmenbeschlusses erfolgten Ausgestaltung. So könnte den hier geäußerten Bedenken beispielsweise dadurch Rechnung getragen werden, dass der Ministerrat anstelle des beschriebenen weitreichenden Deliktkataloges in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb einen im Umfang begrenzten Katalog verabschieden würde, der sich auf den Kernbereich des Strafrechts beschränkt, bei dem die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens in allen Mitgliedstaaten anerkannt ist. Auf diese Weise könnte einer zu weitgehenden Auslegung ganzer Deliktsgruppen durch den Ausstellungsmitgliedstaat entgegengewirkt werden. Zwar käme eine solch reduzierte Einführung des Anerkennungsprinzips der Beibehaltung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit relativ nahe. Allerdings hätte eine konkrete Festlegung eng definierter Tatbestände, auf die die gegenseitige Anerkennung anwendbar ist, zur Folge, dass eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im konkreten Fall regelmäßig entfallen könnte. Eine solche Beschränkung des Anerkennungsprinzips auf klar bestimmte und von allen Mitgliedstaaten anerkannte Straftatbestände anstelle des gegenwärtig maßgeblichen Katalogs, der lediglich die Beschreibung von Kriminalitätsbereichen vornimmt, hätte auch den Vorteil, dass die Verletzung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten entfallen würde, womit auch dem letzten im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erörterten Kritikpunkt entsprochen wäre.11 Denn auch in dieser Hinsicht ist die Einführung des Anerkennungsprinzips im Auslieferungsrecht nicht per se abzulehnen, da es jedenfalls eine schonendere Vorgehensweise als eine von oben herab verordnete Harmonisierung darstellt. Gleichzeitig würde es im Vergleich zu dem Versuch einer langwierigen Angleichung der unterschiedlichen Strafrechtskataloge der Mitgliedstaaten eine zügigere und effektivere Vorgehensweise darstellen. Man sieht: Es hätte zur Erhöhung der Effizienz der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit im Auslieferungsrecht keineswegs einer im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben des deutschen Grundgesetzes derart proble-

10 So der Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann, Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 18. Dieser zieht – weniger im Bereich des Auslieferungsrechts als grundsätzlich bei der Schaffung eines europäischen Strafrechts – anstelle des Anerkennungsprinzips das „Schweizer Modell“ vor, wonach die Strafverfolgungsbehörden eines verfahrensführenden Mitgliedstaates auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates nach eigenem Strafprozessrecht tätig werden können sollen; gegen eine Abschaffung des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit auch Fuchs, in: ZStW 116 (2004), S. 368, 369. 11 Siehe insoweit noch einmal die Ausführungen oben in Kapitel 6, B., V.

B. Ausblick

247

matischen Regelung bedurft, wie sie der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl darstellt.

B. Ausblick: Neuregelung auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon Im Hinblick auf die im Falle der Ratifikation des Vertrages von Lissabon zu erwartenden Änderungen des europäischen Regelungswerkes stellt sich die Frage, inwieweit eine Neuregelung des Auslieferungsrechts auf den dann geltenden primärrechtlichen Grundlagen den hier angeprangerten Missständen Rechnung tragen würde.12 Diesbezüglich kann insbesondere im Hinblick auf das festgestellte Defizit demokratischer Legitimation von Rechtsakten im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit aus mehreren Gründen eine deutliche Verbesserung gegenüber den rechtlichen Vorgaben der gegenwärtigen Vertragslage festgestellt werden: So erhält das Europäische Parlament im in Zukunft auch im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit gültigen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,13 eine weitaus stärkere Rolle als in der gegenwärtig gültigen Rechtslage, in der ihm bei der Verabschiedung von Rechtsakten im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit lediglich ein Anhörungsrecht zustand.14 Ferner wird der fehlenden Transparenz im Ministerrat getroffener Entscheidungen dadurch begegnet, dass die Ratssitzungen gemäß Art. 16 Abs. 8 EU und Art. 15 Abs. 2 AEU öffentlich sind, soweit der Rat legislativ tätig wird.15 Und schließlich erfahren die nationalen Parlamente in ihrer Rolle als Vermittler der demokratischen Legitimation dadurch eine Aufwertung, dass ihnen weiterreichende Kontrollbefugnisse gegenüber den Regierungen im Rat zugesprochen werden.16 Gemäß Art. 69 AEU tragen die nationalen Parlamente bei Gesetzesvorschlägen, die im Bereich der strafrechtlichen justiziellen Zusammenarbeit gemacht werden, Sorge für die Achtung des Subsidiaritätsprinzips nach Maßgabe des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsi-

12 Gemäß Art. 9 des Protokolls Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon behalten die Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon angenommen wurden, solange Rechtswirkung bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden. 13 Vgl. die Ausführungen oben in Kapitel 2, C. 14 Pernice, in: EuZW 2008, S. 65, 65; Oppermann, in: DVBl. 2008, S. 473, 478. 15 Pernice, in: EuZW 2008, S. 65, 65; Oppermann, in: DVBl. 2008, S. 473, 479. 16 Pernice, in: EuZW 2008, S. 65, 65.

248

Kap. 8: Resümee und Ausblick

diarität und der Verhältnismäßigkeit.17 Sie werden künftig von den Organen der Europäischen Union allgemein über geplante europäische Gesetzesvorschläge informiert und sind an der Bewertung der Durchsetzung von EU-Politiken im Rahmen des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beteiligt.18 Aufgrund des Umstandes, dass der Erlass von Rechtsakten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen stets eine starke Grundrechtsrelevanz aufweist, ist es darüber hinaus allemal begrüßenswert, dass die in der Grundrechte-Charta verbürgten grundrechtlichen Gewährleistungen gemäß Art. 6 Abs. 1 EU n. F. verbindlich anerkannt werden und dass die Union nach Art. 6 Abs. 3 EU n. F. der Europäischen Menschenrechtskonvention beitritt.19 Auch wenn die Charta nicht Bestandteil des EU/AEU-Vertragswerkes geworden ist, sondern nur gleichrangig neben den Verträgen steht, so geht von der verbindlichen Anerkennung doch ein klares Bekenntnis zu einem sichtbaren Grundrechtsschutz aus. Als positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang auch noch einmal die beschriebene Ausweitung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im hier in Rede stehenden Bereich20. Mit Blick auf die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung angenommene Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes ist in den in Art. 82 Abs. 3 AEU und Art. 83 Abs. 3 AEU getroffenen Regelungen eine Stärkung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und damit gleichsam eine Verbesserung des vertraglichen Zustandes zu sehen. Diese sehen vor, dass ein Staat einen Rechtsakt zum Beispiel im Zusammenhang mit der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen an den Europäischen Rat weiterleiten und zumindest vorläufig suspendieren kann, wenn er „grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung“ berührt sieht.21 Sollte in den im Europäischen Rat folgenden Beratungen ein Einvernehmen hergestellt werden können, verweist dieser den Entwurf an den Ministerrat zurück. Sollte kein Einvernehmen hergestellt werden können, besteht gemäß Art. 20 EU n. F., Art. 326 ff. AEU die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den zur Verabschiedung des Rechtsaktes bereiten Mitgliedstaaten. Zu kritisieren ist insoweit allerdings, dass auch der Vertrag von Lissabon mit der in Art. 83 Abs. 1 S. 1 und 2 AEU verankerten Ermächtigungsgrundlage Tür 17 Siehe Art. 12 lit. b) EU n. F. und Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon; Weber, in: EuZW 2008, S. 7, 13. 18 Siehe Art. 12 lit. a) und c) EU n. F., Art. 70 AEU und die Vorschriften in Protokoll Nr. 1 zum Vertrag von Lissabon über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Papastamkos/Schwab, in: EuZW 2008, S. 161. 19 Siehe zur Anerkennung der Charta der Grundrechte der EU die dem Vertrag beigefügte Erklärung, Seit 427 der konsolidierten Fassung; siehe auch zum Beitritt der Union zur EMRK Protokoll Nr. 8 zum Vertrag von Lissabon. 20 Siehe die Ausführungen in Kapitel 2, C. 21 Richter, in: EuZW 2007, S. 631, 633.

B. Ausblick

249

und Tor für weitreichende Harmonisierungsmaßnahmen öffnet. Denn dadurch, dass der Europäische Rat und das Europäische Parlament berechtigt sind, in den Kriminalitätsbereichen Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen festzulegen, hebt der Vertrag von Lissabon sich von der im geltenden Unionsrecht maßgeblichen Regelung des Art. 31 Abs. 1 lit. e) EU nur insoweit ab, als dass er den in Frage kommenden Bereich für Harmonisierungsmaßnahmen primärrechtlich verbreitert, nicht jedoch näher bestimmt hat. Zwar ist die Gefahr der Verletzung der Identität der nationalen Strafrechtsordnungen vor dem Hintergrund der neuen, in Art. 69 AEU getroffenen Regelung geschmälert. Kompetenzkonflikte wären durch eine bestimmtere Vorschrift jedoch allemal vermeidbar gewesen. Nichtsdestotrotz bleibt in Anbetracht aller hier geschilderten Umstände festzuhalten, dass es als wünschenswerteste Lösung erscheint, den jetzt geltenden Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl unter Beachtung der nicht nur hier aufgezeigten Kritikpunkte möglichst bald nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon auf der Grundlage der dann neu zur Verfügung stehenden primärrechtlichen Grundlagen zu ersetzen.

Thesenartige Zusammenfassung 1. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen hat in jüngerer Zeit unter dem Dach der Europäischen Union durch die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung rasante und gewaltige Veränderungen erfahren. Mit der partiellen Verankerung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Bereich des Auslieferungsrechts durch die Verabschiedung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und mit der damit einhergehenden Übertragung einer Methode der Zusammenarbeit, die ehemals nur im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft Anwendung fand, hat der Europäische Rat einen Paradigmenwechsel vollzogen. In der Übertragung des Anerkennungsprinzips auf das völkerrechtlich geprägte Auslieferungsrecht ist deshalb eine weitreichende Veränderung zu sehen, weil mit der Überführung des Prinzips die horizontale Übertragung von Hoheitsrechten verbunden ist. Es handelt sich hierbei um eine Form der Hoheitsrechtsübertragung, die vergleichbar ist mit der Rechtsfigur des transnationalen Verwaltungsaktes. Infolge des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union erstmals zumindest eingeschränkt verpflichtet, Auslieferungsentscheidungen anderer Hoheitsträger anzuerkennen. 2. Der Paradigmenwechsel in der technischen Ausgestaltung des Auslieferungsrechts geht in zeitlicher Hinsicht einher mit einer grundlegenden Vergemeinschaftungstendenz der ursprünglich intergouvernemental eingerichteten dritten Säule der Europäischen Union. Die Entwicklung spiegelt sich insbesondere in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen im Sinne von Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b) EU wieder. Als Startpunkt dieser Vergemeinschaftung kann aus heutiger Sicht das im Juni 2005 vom EuGH gefasste Pupino-Urteil angesehen werden. In diesem hat der Gerichtshof Rahmenbeschlüssen jedenfalls in faktischer Hinsicht eine vergleichbare Rechtswirkung wie gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien zuerkannt und eine unionsrechtliche Umsetzungspflicht für die Mitgliedstaaten betont. 3. Aus Art. 23 Abs. 1 i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG folgt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nur dann Hoheitsrechte zur Vertiefung der europäischen Integration übertragen darf, wenn die Europäische Union vom Grundgesetz vorausgesetzten Strukturvorgaben folgt und wenn bei der Übertragung der Hoheitsrechte elementare Verfassungsgrundsätze gewahrt werden. Zu diesen gehören das Demokratiegebot und der Grundsatz der Gewaltenteilung, der Menschenwürdeschutz, das Verbot der Entstaatlichung, der Bestimmtheitsgrundsatz als

Thesenartige Zusammenfassung

251

Ausprägung des Rechtsstaatsgebots, die Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes und die Gewährleistung eines im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes. 4. Die mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verbundenen Vorgaben für das nationale Auslieferungsrecht verstoßen gegen zahlreiche dieser wesentlichen deutschen Verfassungsprinzipien: – Ersten wird durch die Art und Weise des Zustandekommens des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und durch die mit ihm verbundenen detaillierten Vorgaben an den nationalen Umsetzungsgesetzgeber gegen das im strafrechtlichen Bereich geltende Erfordernis der maximalen demokratischen Legitimation von Rechtsetzungsakten verstoßen. – Zweitens genügt der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl rechtsstaatlichen Anforderungen nicht, da der in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb formulierte Katalog von Straftaten, für die das Anerkennungsprinzip im Auslieferungsrecht Anwendung finden soll, zu unbestimmt formuliert ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. – Drittens ist durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl gegen die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Vorgabe, an einer Vertiefung der Europäischen Zusamenarbeit nur dann teilzunehmen, wenn der Subsidiaritätsgrundsatz ausreichend beachtet ist, verstoßen worden. Durch die Ausdehnung des Anerkennungsprinzips auf zahlreiche Deliktsgruppen, die im Kern keinen grenzüberschreitenden Charakter aufweisen, greift der Rahmenbeschluss über das zur Erreichung seines Ziels erforderliche Maß in die Identität der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ein. Dadurch hat der Rahmenbeschluss eine faktische Harmonisierungswirkung im strafrechtlichen Bereich und damit in einem Bereich, in dem der Europäischen Union von dem Mitgliedstaaten nur in äußerst begrenztem Umfang Rechtsetzungsbefugnisse übertragen worden sind. 5. Die benannten – vom Rahmenbeschluss selbst ausgehenden – Verstöße gegen die Anforderungen des deutschen Grundgesetzes haben den Umsetzungsgesetzgeber in eine missliche Lage geführt. Einerseits ist er aufgrund der mit gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien vergleichbaren Rechtswirkung von Rahmenbeschlüssen unionsrechtlich verpflichtet, die Vorgaben des Rahmenbschlusses über den Europäischen Haftbefehl ins nationale Recht umzusetzen, andererseits ist ihm dies aufgrund der Unvereinbarkeit dieser Vorgaben mit dem Grundgesetz untersagt. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Überprüfbarkeit ausbrechender Gemeinschaftsrechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes auf unionsrechtliche Rahmenbeschlüsse zu übertragen. Nicht mit dem Umsetzungsgesetz zum Rahmenbeschluss über den

252

Thesenartige Zusammenfassung

Europäischen Haftbefehl, sondern mit dem Rahmenbeschluss selbst hätte sich das Bundesverfassungsgericht im Juli 2005 auseinandersetzen und diesen gegebenenfalls für im nationalen Recht unanwendbar erklären müssen. 6. Im Falle des Inkrafttretens des Vertrages von Lissabon sind jedenfalls im Hinblick auf das unter dem gegenwärtigen Regime des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl festgestellte Demokratiedefizit Verbesserungen der Situation zu erwarten. Der Entscheidungsfindungsprozess im Ministerrat wird transparenter und die nationalen Parlamente erfahren durch eine Stärkung ihrer Kontrollbefugnisse eine Aufwertung ihrer Rolle im Gesetzgebungsprozess. Auch im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben des Subsidiaritätsgrundsatzes festgestellten Mängel weist der Vertrag von Lissabon den Weg in die richtige Richtung. Durch die in Art. 82 Abs. 3 AEU und Art. 83 Abs. 3 AEU geschaffene Möglichkeit, auf dem Anerkennungsprinzip basierende Rechtsakte der Union im strafrechtlichen Bereich zu suspendieren, wenn diese die nationale Identität der Mitgliedstaaten verletzen, besteht wieder eine größere Einflussmöglichkeit der Mitgliedstaaten, sich gegen eine zu extensive Ausübung der nur engen Unionskompetenzen im Bereich des Strafrechts zu wehren. Auch aus diesem Grund wäre eine Neuordnung des europäischen Primärrechts wünschenswert.

Anhang Rahmenbeschluss des Rates 2002/584/JI vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 Nr. L 190, S. 1

Anhang 18.7.2002

255

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

DE

L 190/1

(In Anwendung von Titel VI des Vertrages über die Europäischen Union erlassene Rechtsakte)

RAHMENBESCHLUSS DES RATES vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

(4)

Darüber hinaus sind die folgenden drei Übereinkünfte, die ganz oder teilweise Auslieferungsfragen betreffen, von den Mitgliedstaaten gebilligt worden und sind Teil des Besitzstandes der Union, nämlich: das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (4) (mit Geltung für die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des genannten Übereinkommens sind), das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (5) und das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (6).

(5)

Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen — und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach — innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.

(6)

Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.

(7)

Da das Ziel der Ersetzung des auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 beruhenden multilateralen Auslieferungssystems von den Mitgliedstaaten durch einseitiges Vorgehen nicht ausrei-

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31 Buchstaben a) und b) und Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b), auf Vorschlag der Kommission (1), nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1)

Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.

(2)

Im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, das in Nummer 37 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vorgesehen war und das der Rat am 30. November 2000 angenommen hat (3), wird die Frage der gegenseitigen Vollstreckung von Haftbefehlen behandelt.

(3)

Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten oder einige von ihnen sind Vertragsparteien verschiedener Übereinkünfte im Bereich der Auslieferung, unter anderem des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus. Die nordischen Staaten verfügen über Auslieferungsgesetze gleichen Inhalts.

(1) ABl. C 332 E vom 27.11.2001, S. 305. (2) Stellungnahme vom 9. Januar 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). (3) ABl. C E 12 vom 15.1.2001, S. 10.

(4) ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19. (5) ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2. (6) ABl. C 313 vom 13.10.1996, S. 12.

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chend erreicht werden kann und daher wegen seines Umfangs und seiner Wirkungen besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann der Rat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Maßnahmen erlassen. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach dem letztgenannten Artikel geht der vorliegende Rahmenbeschluss nicht über das für die Erreichung des genannten Ziels erforderliche Maß hinaus. (8)

Entscheidungen zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls müssen ausreichender Kontrolle unterliegen; dies bedeutet, dass eine Justizbehörde des Mitgliedstaats, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen muss.

(9)

Die Rolle der Zentralbehörden bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls muss sich auf praktische und administrative Unterstützung beschränken.

(10)

Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7 Absatz 1 des genannten Vertrags mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2 festgestellt wird.

(11)

Der Europäische Haftbefehl soll in den Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten alle früheren Instrumente bezüglich der Auslieferung ersetzen, einschließlich der Bestimmungen von Titel III des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen, die die Auslieferung betreffen.

(12)

Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (1), insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann. Der vorliegende Rahmenbeschluss belässt jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein ord-

(1) ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.

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nungsgemäßes Gerichtsverfahren, der Vereinigungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien. (13)

Niemand sollte in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

(14)

Da alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten ratifiziert haben, sind die bei der Durchführung des vorliegenden Rahmenbeschlusses zu verarbeitenden personenbezogenen Daten gemäß den Grundsätzen dieses Übereinkommens zu schützen —

HAT FOLGENDEN RAHMENBESCHLUSS ERLASSEN:

KAPITEL I ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

Artikel 1 Definition des Europäischen Haftbefehls und Verpflichtung zu seiner Vollstreckung (1) Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt. (2) Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses. (3) Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt sind, zu achten. Artikel 2 Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls (1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt.

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(2) Bei den nachstehenden Straftaten erfolgt, wenn sie im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit:

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— Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, — Fälschung von Zahlungsmitteln, — illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern,

— Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung,

— illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen,

— Terrorismus,

— Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen,

— Menschenhandel,

— Vergewaltigung,

— sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie,

— Brandstiftung,

— illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen,

— Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen,

— illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen, — Flugzeug- und Schiffsentführung, — Korruption, — Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, — Wäsche von Erträgen aus Straftaten, — Geldfälschung, einschließlich der Euro-Fälschung, — Cyberkriminalität, — Umweltkriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten, — Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, — vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, — illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, — Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, — Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, — Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen, — illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände, — Betrug, — Erpressung und Schutzgelderpressung, — Nachahmung und Produktpiraterie,

— Sabotage. (3) Der Rat kann einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments nach Maßgabe von Artikel 39 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) jederzeit beschließen, weitere Arten von Straftaten in die in Absatz 2 enthaltene Liste aufzunehmen. Der Rat prüft im Licht des Berichts, den die Kommission ihm nach Artikel 34 Absatz 3 unterbreitet, ob es sich empfiehlt, diese Liste auszuweiten oder zu ändern. (4) Bei anderen Straftaten als denen des Absatzes 2 kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat. Artikel 3 Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist Die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats (nachstehend „vollstreckende Justizbehörde“ genannt) lehnt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ab, 1. wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war; 2. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

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3. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Artikel 4 Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigern, 1. wenn in einem der in Artikel 2 Absatz 4 genannten Fälle die Handlung, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt; in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats; 2. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird; 3. wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats beschlossen haben, wegen der Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen, oder wenn gegen die gesuchte Person in einem Mitgliedstaat aufgrund derselben Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht; 4. wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand; 5. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann; 6. wenn der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken; 7. wenn der Europäische Haftbefehl sich auf Straftaten erstreckt, die

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a) nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind; oder b) außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen. Artikel 5 Vom Ausstellungsmitgliedstaat in bestimmten Fällen zu gewährende Garantien Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft werden: 1. Ist der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung ausgestellt worden, die in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, und ist die betroffene Person nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden, so kann die Übergabe an die Bedingung geknüpft werden, dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein. 2. Ist die Straftat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats eine Überprüfung der verhängten Strafe — auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren — oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat. 3. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstrekkungsmitgliedstaat rücküberstellt wird. Artikel 6 Bestimmung der zuständigen Behörden (1) Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist.

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(2) Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats zuständig für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist. (3) Jeder Mitgliedstaat unterrichtet das Generalsekretariat des Rates über die nach seinem Recht zuständige Justizbehörde. Artikel 7 Beteiligung der zentralen Behörde (1) Jeder Mitgliedstaat kann eine oder, sofern es seine Rechtsordnung vorsieht, mehrere zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Justizbehörden benennen. (2) Ein Mitgliedstaat kann, wenn sich dies aufgrund des Aufbaus seines Justizsystems als erforderlich erweist, seine zentrale(n) Behörde(n) mit der administrativen Übermittlung und Entgegennahme der Europäischen Haftbefehle sowie des gesamten übrigen sie betreffenden amtlichen Schriftverkehrs betrauen. Ein Mitgliedstaat, der von den in diesem Artikel vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen möchte, übermittelt dem Generalsekretariat des Rates die Angaben über die von ihm benannte(n) zentrale(n) Behörde(n). Diese Angaben sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich. Artikel 8 Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls (1) Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formblatt folgende Informationen: a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person; b) Name, Adresse, Telefon- und Telefaxnummer sowie EmailAdresse der ausstellenden Justizbehörde; c) die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 1 und 2 vorliegt; d) die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf Artikel 2; e) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person; f)

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im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebene Strafrahmen;

g) soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat.

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(2) Der Europäische Haftbefehl ist in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats zu übersetzen. Jeder Mitgliedstaat kann zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses oder später in einer beim Generalsekretariat des Rates hinterlegten Erklärung angeben, dass er eine Übersetzung in eine oder mehrere weitere Amtssprachen der Organe der Europäischen Gemeinschaften akzeptiert.

KAPITEL 2 ÜBERGABEVERFAHREN

Artikel 9 Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls (1) Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, so kann die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl direkt der vollstreckenden Justizbehörde übermitteln. (2) Die ausstellende Justizbehörde kann in allen Fällen beschließen, die gesuchte Person im Schengener Informationssystem (SIS) ausschreiben zu lassen. (3) Eine derartige Ausschreibung erfolgt gemäß Artikel 95 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen. Eine Ausschreibung im SIS steht einem Europäischen Haftbefehl, dem die in Artikel 8 Absatz 1 angegebenen Informationen beigefügt sind, gleich. Während eines Übergangszeitraums, der so lange währt, bis das SIS in der Lage ist, alle in Artikel 8 genannten Informationen zu übermitteln, steht die Ausschreibung dem Europäischen Haftbefehl gleich, bis das Original bei der vollstreckenden Justizbehörde in der gebührenden Form eingegangen ist.

Artikel 10 Modalitäten der Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls (1) Ist der ausstellenden Justizbehörde die zuständige vollstreckende Justizbehörde nicht bekannt, so stellt sie insbesondere mit Hilfe der Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes (1) die erforderlichen Nachforschungen an, um diese Information vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu erlangen. (2) Wenn die ausstellende Justizbehörde dies wünscht, kann die Übermittlung über das gesicherte Telekommunikationssystem des Europäischen Justiziellen Netzes erfolgen. (1) Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes (ABl. L 191 vom 7.7.1998, S. 4).

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(3) Kann nicht auf das SIS zurückgegriffen werden, so kann die ausstellende Justizbehörde für die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls die Dienste von Interpol in Anspruch nehmen.

falls der ausdrückliche Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 vor der vollstreckenden Justizbehörde nach dem innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats erklärt.

(4) Die ausstellende Justizbehörde kann den Europäischen Haftbefehl durch jedes sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung unter Bedingungen ermöglicht, die dem Vollstreckungsmitgliedsstaat die Feststellung der Echtheit gestatten, übermitteln.

(2) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 unter Bedingungen entgegengenommen werden, die erkennen lassen, dass die Person sie freiwillig und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand beizuziehen.

(5) Alle Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erforderlichen Unterlagen werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden oder gegebenenfalls unter Einschaltung der Zentralbehörden der Mitgliedstaaten behoben. (6) Ist die Behörde, bei der ein Europäischer Haftbefehl eingeht, für dessen Bearbeitung nicht zuständig, so übermittelt sie den Europäischen Haftbefehl von Amtes wegen der zuständigen Behörde in ihrem Mitgliedstaat und setzt die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand in Kenntnis. Artikel 11 Rechte der gesuchten Person (1) Wird eine gesuchte Person festgenommen, so unterrichtet die zuständige Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats entsprechend dessen innerstaatlichem Recht die betreffende Person von dem Europäischen Haftbefehl, von dessen Inhalt sowie davon, dass sie ihrer Übergabe an die ausstellende Justizbehörde zustimmen kann. (2) Eine gesuchte Person, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls festgenommen wird, hat nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Artikel 12

(3) Die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 werden nach dem im innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehenen Verfahren zu Protokoll genommen. (4) Die Zustimmung ist grundsätzlich unwiderruflich. Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach den anwendbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerruflich sein können. In diesem Fall wird der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Zustimmung erklärt wurde, und dem Zeitpunkt, zu dem sie widerrufen wurde, bei der Berechnung der in Artikel 17 vorgesehenen Fristen nicht berücksichtigt. Ein Mitgliedstaat, der von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will, teilt dies dem Generalsekretariat des Rates bei der Annahme dieses Rahmenbeschlusses mit und gibt die Modalitäten, nach denen die Zustimmung widerrufen werden kann, sowie jede Änderung dieser Modalitäten an.

Artikel 14 Vernehmung der gesuchten Person Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe nach Maßgabe des Artikels 13 nicht zu, hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden.

Inhafthaltung der gesuchten Person Im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person trifft. Artikel 13 Zustimmung zur Übergabe (1) Gibt die festgenommene Person an, dass sie ihrer Übergabe zustimmt, so werden diese Zustimmung und gegebenen-

Artikel 15 Entscheidung über die Übergabe (1) Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet über die Übergabe der betreffenden Person nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und innerhalb der darin vorgesehenen Fristen. (2) Ist die vollstreckende Justizbehörde der Ansicht, dass die vom Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Informationen nicht ausreichen, um über die Übergabe entscheiden zu können, so bittet sie um die unverzügliche Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen, insbesondere hinsichtlich der Artikel 3 bis 5 und Artikel 8; sie kann eine Frist für den Erhalt dieser zusätzlichen Informationen festsetzen, wobei die Frist nach Artikel 17 zu beachten ist.

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(3) Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit alle zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln.

vollstreckt werden, so setzt die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand und von den jeweiligen Gründen unverzüglich in Kenntnis. In diesem Fall können die Fristen um weitere 30 Tage verlängert werden.

Artikel 16

(5) Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstrekkende Justizbehörde ergangen ist, stellt diese sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe der Person weiterhin gegeben sind.

Entscheidung bei Mehrfachersuchen (1) Haben zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Europäischen Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Europäischen Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde. (2) Um die Entscheidung nach Absatz 1 zu treffen, kann die vollstreckende Justizbehörde Eurojust (1) um Stellungnahme ersuchen. (3) Bei Zusammentreffen eines Europäischen Haftbefehls mit einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats entscheidet die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der in Absatz 1 genannten Umstände sowie der in dem anwendbaren Übereinkommen oder Abkommen beschriebenen Umstände, ob der Europäische Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat. (4) Diesen Artikel lässt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unberührt. Artikel 17 Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (1) Ein Europäischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt. (2) In den Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen. (3) In den anderen Fällen sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der gesuchten Person erfolgen. (4) Kann in Sonderfällen der Europäische Haftbefehl nicht innerhalb der in den Absätzen 2 bzw. 3 vorgesehenen Fristen (1) Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1).

(6) Eine Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ist zu begründen. (7) Kann ein Mitgliedstaat bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen nicht einhalten, so setzt er Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis. Außerdem teilt ein Mitgliedstaat, der wiederholt Verzögerungen bei der Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen durch einen anderen Mitgliedstaat ausgesetzt gewesen ist, diesen Umstand dem Rat mit, damit eine Beurteilung der Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen kann.

Artikel 18 Lage in Erwartung der Entscheidung (1) Wurde der Europäische Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung erlassen, so muss die vollstreckende Justizbehörde a) entweder akzeptieren, dass die gesuchte Person nach Artikel 19 vernommen wird; b) oder akzeptieren, dass die gesuchte Person vorübergehend überstellt wird. (2) Die Bedingungen und die Dauer der vorübergehenden Überstellung werden in gegenseitigem Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegt. (3) Im Falle der vorübergehenden Überstellung muss die betreffende Person Gelegenheit haben, in den Vollstreckungsmitgliedstaat zurückzukehren, um dort den sie betreffenden Gerichtsverhandlungen, die im Rahmen des Übergabeverfahrens stattfinden, beizuwohnen.

Artikel 19 Vernehmung der Person in Erwartung der Entscheidung (1) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt durch eine Justizbehörde mit Unterstützung einer Person, die nach dem Recht des Mitgliedstaats der ersuchenden Justizbehörde bestimmt wird.

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(2) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats und nach den im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten Bedingungen. (3) Die zuständige vollstreckende Justizbehörde kann eine andere Justizbehörde ihres Mitgliedstaats anweisen, an der Vernehmung der gesuchten Person teilzunehmen, um die ordnungsgemäße Anwendung dieses Artikels und der festgelegten Bedingungen zu gewährleisten.

Artikel 20 Vorrechte und Immunitäten (1) Genießt die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Vorrecht oder eine Strafverfolgungs- oder -vollstrekkungsimmunität, so beginnen die Fristen nach Artikel 17 nur zu laufen, wenn die vollstreckende Justizbehörde davon unterrichtet worden ist, dass das Vorrecht oder die Immunität aufgehoben wurde; in diesem Fall beginnt die Frist am Tag der Unterrichtung. Der Vollstreckungsmitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind, wenn die Person kein solches Vorrecht oder keine solche Immunität mehr genießt.

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Artikel 22 Mitteilung der Entscheidung Die vollstreckende Justizbehörde teilt der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich ihre Entscheidung über die Vollstreckung oder Nichtvollstreckung des Europäischen Haftbefehls mit.

Artikel 23 Frist für die Übergabe der Person (1) Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem zwischen den betreffenden Behörden vereinbarten Zeitpunkt. (2) Die Übergabe erfolgt spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls. (3) Ist die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen, unmöglich, setzen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde unverzüglich miteinander in Verbindung und vereinbaren ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

(2) Ist eine Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, befasst die vollstreckende Justizbehörde sie unverzüglich mit einem entsprechenden Ersuchen. Ist eine Behörde eines anderen Staates oder eine internationale Organisation für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, ist sie von der ausstellenden Justizbehörde mit einem entsprechenden Ersuchen zu befassen.

(4) Die Übergabe kann aus schwerwiegenden humanitären Gründen, z. B. wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung offensichtlich eine Gefährdung für Leib oder Leben der gesuchten Person darstellt, ausnahmsweise ausgesetzt werden. Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erfolgt, sobald diese Gründe nicht mehr gegeben sind. Die vollstreckende Justizbehörde setzt die ausstellende Justizbehörde unverzüglich davon in Kenntnis und vereinbart ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

Artikel 21

(5) Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf der in den Absätzen 2 bis 4 genannten Fristen noch immer in Haft, wird sie freigelassen.

Konkurrierende internationale Verpflichtungen Von diesem Rahmenbeschluss unberührt bleiben die Verpflichtungen des Vollstreckungsmitgliedstaats in den Fällen, in denen die gesuchte Person an diesen Mitgliedstaat durch einen Drittstaat ausgeliefert worden ist, und wenn auf diese Person aufgrund der ihrer Auslieferung zugrunde liegenden Vereinbarung der Grundsatz der Spezialität anzuwenden ist. Der Vollstrekkungsmitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um unverzüglich die Zustimmung des Drittstaates einzuholen, der die gesuchte Person ausgeliefert hat, damit sie dem Ausstellungsstaat übergeben werden kann. Die Fristen nach Artikel 17 beginnen erst an dem Tage zu laufen, an dem der Grundsatz der Spezialität nicht mehr anzuwenden ist. Bis die Entscheidung des Staates vorliegt, aus dem die gesuchte Person ausgeliefert wurde, überzeugt sich der Vollstreckungsmitgliedstaat davon, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind.

Artikel 24 Aufgeschobene oder bedingte Übergabe (1) Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person aufschieben, damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden oder, falls sie bereits verurteilt worden ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats eine Strafe verbüßen kann, die wegen einer anderen als der im Europäischen Haftbefehl genannten Handlung gegen sie verhängt wurde. (2) Statt die Übergabe aufzuschieben, kann die vollstreckende Justizbehörde die gesuchte Person dem Ausstellungs-

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staat vorübergehend unter Bedingungen übergeben, die von der vollstreckenden und der ausstellenden Justizbehörde vereinbart werden. Die Vereinbarung muss in Schriftform erfolgen, und die Bedingungen sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.

(5) Betrifft die Durchlieferung eine Person, die aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat ausgeliefert werden soll, so findet dieser Artikel entsprechende Anwendung. Insbesondere gilt in diesem Fall der Ausdruck „Europäischer Haftbefehl“ als ersetzt durch „Auslieferungsersuchen“.

Artikel 25

KAPITEL 3

Durchlieferung

WIRKUNG DER ÜBERGABE

(1) Jeder Mitgliedstaat bewilligt die Durchlieferung einer gesuchten Person zu Zwecken der Übergabe durch sein Hoheitsgebiet, es sei denn, er macht von der Möglichkeit der Ablehnung Gebrauch, wenn die Durchlieferung eines seiner Staats- oder Gebietsangehörigen zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung beantragt wird; die Genehmigung hängt von der Übermittlung folgender Angaben ab:

Artikel 26

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde, b) das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls, c) die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat,

Anrechnung der im Vollstreckungsstaat verbüßten Haft (1) Der Ausstellungsmitgliedstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an, die im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu verbüßen wäre. (2) Dazu sind der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 7 bezeichneten Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Europäischen Haftbefehls gesuchten Person zu übermitteln.

d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit und des Tatortes. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Durchlieferungsstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Durchlieferung davon abhängig gemacht werden, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Durchlieferungsmitgliedstaat rücküberstellt wird. (2) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine zuständige Behörde für die Entgegennahme der Durchlieferungsersuchen und der erforderlichen Unterlagen sowie des sonstigen amtlichen Schriftverkehrs im Zusammenhang mit Durchlieferungsersuchen. Die Mitgliedstaaten teilen die bezeichneten Behörden dem Generalsekretariat des Rates mit. (3) Das Durchlieferungsersuchen und die Informationen nach Absatz 1 können der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht, übermittelt werden. Der Durchlieferungsmitgliedstaat teilt seine Entscheidung auf dem gleichen Wege mit. (4) Dieser Rahmenbeschluss findet keine Anwendung auf die Durchlieferung auf dem Luftweg ohne eingeplante Zwischenlandung. Wenn es jedoch zu einer außerplanmäßigen Landung kommt, übermittelt der Ausstellungsmitgliedstaat der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde die Informationen nach Absatz 1.

Artikel 27 Etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten (1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person wegen einer anderen vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt. (2) Außer in den in den Absätzen 1 und 3 vorgesehenen Fällen dürfen Personen, die übergeben wurden, wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden. (3)

Absatz 2 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist; b) wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist;

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c) wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt; d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden Maßnahme unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann; e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß Artikel 13 erklärt hat; f)

wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Verzichterklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat. Zu diesem Zweck hat die Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

g) wenn die vollstreckende Justizbehörde, die die Person übergeben hat, ihre Zustimmung nach Absatz 4 gibt. (4) Das Ersuchen um Zustimmung ist unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1 erwähnten Angaben und einer Übersetzung gemäß Artikel 8 Absatz 2 an die vollstreckende Justizbehörde zu richten. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden. Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen. In den Fällen des Artikels 5 sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsmitgliedstaat zu geben.

Artikel 28 Weitere Übergabe oder Auslieferung (1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine vor ihrer Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt, übergeben wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt. (2) In jedem Fall können Personen, die dem Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls überge-

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ben wurden, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine vor der Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt, in den folgenden Fällen übergeben werden: a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist; b) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat als den Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls zustimmt. Die Zustimmung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats erklärt und nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Zustimmungserklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen gegeben hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen; c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person gemäß Artikel 22 Absatz 3 Buchstaben a), e), f) und g) nicht anzuwenden ist. (3) Die vollstreckende Justizbehörde stimmt der Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat gemäß den folgenden Bestimmungen zu: a) Das Ersuchen um Zustimmung ist gemäß Artikel 9 unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1 erwähnten Informationen und der in Artikel 8 Absatz 2 vorgesehenen Übersetzung zu stellen. b) Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. c) Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen. d) Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden. In den in Artikel 5 genannten Fällen sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsstaat zu geben. (4) Ungeachtet des Absatzes 1 darf eine Person, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat ausgeliefert werden. Die Zustimmung ist gemäß den Übereinkommen, die diesen Mitgliedstaat binden, sowie gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu geben.

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Artikel 29 Übergabe von Gegenständen (1) Auf Verlangen der ausstellenden Justizbehörde oder von Amtes wegen beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts die Gegenstände, a) die als Beweisstücke dienen können oder b) die die gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat. (2) Die in Absatz 1 erwähnten Gegenstände sind selbst dann zu übergeben, wenn der Europäische Haftbefehl infolge des Todes oder der Flucht der gesuchten Person nicht vollstreckt werden kann. (3) Unterliegen die in Absatz 1 genannten Gegenstände im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats der Beschlagnahme oder Einziehung, so kann er sie, wenn sie für ein anhängiges Strafverfahren benötigt werden, vorübergehend zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe an den Ausstellungsmitgliedstaat herausgeben. (4) Rechte des Vollstreckungsmitgliedstaats oder Dritter an den in Absatz 1 genannten Gegenständen bleiben vorbehalten. Bestehen solche Rechte, so sind die Gegenstände vom Ausstellungsmitgliedstaat nach Abschluss des Strafverfahrens unverzüglich und kostenlos dem Vollstreckungsmitgliedstaat zurückzugeben. Artikel 30 Kosten (1) Kosten, die durch die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats entstehen, gehen zu dessen Lasten. (2) Alle sonstigen Kosten gehen zulasten des Ausstellungsmitgliedstaats.

KAPITEL 4 ALLGEMEINE SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 31 Verhältnis zu anderen Übereinkommen (1) Dieser Rahmenbeschluss ersetzt am 1. Januar 2004 die entsprechenden Bestimmungen der folgenden in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Auslieferung geltenden Übereinkommen, unbeschadet von deren Anwendbarkeit in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten: a) das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das dazugehörige Zusatzprotokoll vom

15. Oktober 1975, das dazugehörige Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, soweit es sich auf die Auslieferung bezieht; b) das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen vom 26. Mai 1989; c) das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und d) das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union; e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen. (2) Es steht den Mitgliedstaaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Ziele dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer weiteren Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt. Es steht den Mitgliedstaaten frei, nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Vorschriften dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, insbesondere indem kürzere Fristen als nach Artikel 17 festgelegt werden, die Liste der in Artikel 2 Absatz 2 angeführten Straftaten ausgeweitet wird, die Ablehnungsgründe nach den Artikeln 3 und 4 zusätzlich eingeschränkt werden oder der Schwellenwert nach Artikel 2 Absatz 1 oder Absatz 2 gesenkt wird. Die Abkommen und Übereinkünfte nach Unterabsatz 2 dürfen auf keinen Fall die Beziehungen zu den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die nicht Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind. Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission binnen drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses von den bestehenden Abkommen oder Übereinkünften nach Unterabsatz 1, die sie auch weiterhin anwenden wollen. Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission ferner über alle neuen Abkommen oder Übereinkünfte im Sinne von Unterabsatz 2 binnen drei Monaten nach deren Unterzeichnung.

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(3) Soweit die in Absatz 1 genannten Abkommen oder Übereinkünfte für Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten oder für Hoheitsgebiete, deren auswärtige Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt, gelten, auf die dieser Rahmenbeschluss keine Anwendung findet, sind diese Instrumente weiterhin für die Beziehungen zwischen diesen Hoheitsgebieten und den übrigen Mitgliedstaaten maßgebend.

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(2) Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, die sie zur Umsetzung der sich aus diesem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen in ihr innerstaatliches Recht erlassen haben. Dabei kann jeder Mitgliedstaat angeben, dass er diesen Rahmenbeschluss in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, unverzüglich anwendet.

Artikel 32 Übergangsbestimmung (1) Für die vor dem 1. Januar 2004 eingegangenen Auslieferungsersuchen gelten weiterhin die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente. Für die nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gelten die von den Mitgliedstaaten gemäß diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen. Jeder Mitgliedstaat kann jedoch zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgegeben, dass er als Vollstreckungsmitgliedstaat auch weiterhin Ersuchen im Zusammenhang mit Handlungen, die vor einem von ihm festzulegenden Zeitpunkt begangen wurden, nach der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Auslieferungsregelung behandeln wird. Der betreffende Zeitpunkt darf nicht nach dem 7. August 2002 liegen. Diese Erklärung wird im Amtsblatt veröffentlicht. Sie kann jederzeit zurückgezogen werden. Artikel 33 Bestimmung betreffend Österreich und Gibraltar (1) Solange Österreich Artikel 12 Absatz 1 seines Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes nicht geändert hat, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2008, darf Österreich seinen vollstreckenden Justizbehörden gestatten, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn es sich bei der gesuchten Person um einen österreichischen Staatsbürger handelt und wenn die Handlung, derentwegen der Europäische Haftbefehl erlassen worden ist, nach österreichischem Recht nicht strafbar ist. (2) Dieser Rahmenbeschluss findet auch auf Gibraltar Anwendung. Artikel 34

Das Generalsekretariat des Rates übermittelt den Mitgliedstaaten und der Kommission die nach Artikel 7 Absatz 2, Artikel 8 Absatz 2, Artikel 13 Absatz 4 und Artikel 25 Absatz 2 eingegangenen Informationen. Es trägt auch für die Veröffentlichung im Amtsblatt Sorge. (3) Auf der Grundlage von Informationen, die das Generalsekretariat des Rates vorlegt, übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 31. Dezember 2004 einen Bericht über die Anwendung dieses Rahmenbeschlusses, dem sie gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge beifügt. (4) Der Rat überprüft in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 insbesondere die praktische Umsetzung der Bestimmungen des vorliegenden Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten sowie die Funktionsweise des SIS.

Artikel 35 Inkrafttreten Dieser Rahmenbeschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.

Geschehen zu Luxemburg am 13. Juni 2002.

Durchführung (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um diesem Rahmenbeschluss bis zum 31. Dezember 2003 nachzukommen.

Im Namen des Rates Der Präsident M. RAJOY BREY

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ANHANG EUROPÄISCHER HAFTBEFEHL (1) Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung festgenommen und übergeben wird.

(1) Dieser Haftbefehl ist in einer der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats oder in einer von diesem Staat akzeptierten Sprache auszufertigen bzw. in eine solche Sprache zu übersetzen, wenn dieser Staat bekannt ist.

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a)

Angaben zur Identität der gesuchten Person: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienname: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorname(n):

.....................................................................

ggf. Geburtsname: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ggf. Aliasname: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlecht: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsangehörigkeit: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburtsdatum: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburtsort: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wohnort und/oder bekannte Anschrift:

.................................................

Falls bekannt: Sprache oder Sprachen, die die gesuchte Person versteht: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................................................................... Besondere Kennzeichen/Beschreibung der gesuchten Person: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................................................................... Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person, sofern diese vorhanden sind und übermittelt werden können, oder Kontaktadresse der Person, die diese oder ein DNS-Profil übermitteln kann (sofern diese Daten zur Übermittlung verfügbar sind und nicht beigefügt waren).

b) Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt 1. Haftbefehl oder justizielle Entscheidung mit gleicher Wirkung: Art:

................................

...........................................................................

2. Vollstreckbares Urteil:

..............................................................

............................................................................... Aktenzeichen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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c)

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Angaben zur Dauer der Strafe

1. Höchstdauer der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die für die Straftat(en) verhängt werden kann: ................................................................................ ................................................................................ 2. Dauer der verhängten Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung: ................................................................................ Noch zu verbüßende Strafe: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................................ ................................................................................

d) Entscheidung in einem Abwesenheitsurteil: — Die betreffende Person wurde persönlich vorgeladen oder auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung unterrichtet, die zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, oder — die betreffende Person wurde nicht persönlich vorgeladen oder auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet, verfügt aber nach der Übergabe an die Justizbehörde über folgende rechtliche Garantien (diese Garantien können im Voraus gegeben werden): Nähere Angaben zu den Garantien: ................................................................................... ................................................................................... ....................................................................................

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e)

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Straftat(en)

Dieser Haftbefehl bezieht sich auf insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straftaten. Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit (Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en) ................................................................................... ................................................................................... ................................................................................... Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen: ................................................................................... ................................................................................... ................................................................................... ................................................................................... ................................................................................... I.

Bitte kreuzen Sie gegebenenfalls an, ob es sich um eine oder mehrere der folgenden — nach dem Recht des Ausstellungsstaats definierten — Straftaten handelt, die im Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind:

n n n n n n n n

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung Terrorismus Menschenhandel sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen Korruption Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften Wäsche von Erträgen aus Straftaten Geldfälschung, einschließlich Euro-Fälschung Cyberkriminalität Umweltkriminalität, einschließlich illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzenund Baumarten Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Diebstahl in organisierter Form oder schwerer Raub illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände Betrug Erpressung und Schutzgelderpressung Nachahmung und Produktpiraterie Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit Fälschung von Zahlungsmitteln illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen Vergewaltigung Brandstiftung Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen Flugzeug-/Schiffsentführung Sabotage

n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n

II. Vollständige Beschreibung der Straftat oder der Straftaten, die nicht unter die Fälle nach Abschnitt I fallen ................................................................................... ...................................................................................

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f)

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Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

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Sonstige für den Fall relevante Umstände (fakultative Angaben):

(NB. Hierunter könnten Bemerkungen zur Extraterritorialität, zur Unterbrechung der Verjährungsfristen und zu sonstigen Folgen der Straftat fallen) ................................................................................... ...................................................................................

g)

Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die als Beweisstücke dienen können. Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die die gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat. Beschreibung (und Lokalisierung) der Gegenstände (falls bekannt): ................................................................................ ................................................................................ ................................................................................

h) Die Straftat/Straftaten, aufgrund deren dieser Haftbefehl ausgestellt wurde, ist/sind mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen Maßregel der Sicherung bedroht oder hat/haben zur Verhängung einer solchen Strafe bzw. Maßregel geführt. — Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats kann die verhängte Strafe — auf Antrag oder nach mindestens 20 Jahren — daraufhin überprüft werden, ob die Vollstreckung dieser Strafe oder Maßregel auszusetzen ist, und/oder — nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats können Gnadenakte, auf die die Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser Strafe oder Maßregel angewandt werden.

i)

Justizbehörde, die den Haftbefehl ausgestellt hat: Offizielle Bezeichnung:

.............................................................

................................................................................ Name ihres Vertreters (1): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................................ Funktion (Titel/Dienstrang): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................................ Aktenzeichen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anschrift: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................................ Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...)

....................................

Fax-Nummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E-Mail:

.........................................................................

Kontaktadresse der Person, die die erforderlichen praktischen Vorkehrungen für die Übergabe treffen kann: ................................................................................

(1) In die einzelnen Sprachfassungen ist eine Bezugnahme auf den „Träger“ der Justizbehörde aufzunehmen.

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Im Fall der Benennung einer zentralen Behörde für die Übermittlung und administrative Entgegennahme von Europäischen Haftbefehlen: Bezeichnung der zentralen Behörde: ................................................................................ ggf. zu kontaktierende Person (Titel/Dienstrang und Name): ................................................................................ Anschrift: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ................................................................................ Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...)

....................................

Fax-Nr.: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) E-Mail:

.........................................................................

Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und/oder ihres Vertreters: ................................................................................... Name: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion (Titel/Dienstrang): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datum: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

(ggf.) amtlicher Stempel

18.7.2002

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Sachverzeichnis Anerkennungsrichtlinie 74, 75, 76, 113, 123 Ausländerwahlrecht 159, 195 Auslegung, contra legem 51, 55, 61 Auslieferungsrecht 23, 24, 25, 26, 27, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 77, 79, 80, 82, 83, 85, 86, 87, 89, 91, 94, 98, 102, 103, 115, 121, 122, 123, 174, 175, 180, 181, 185, 186, 188, 189, 190, 191, 193, 195, 205, 206, 208, 210, 213, 215, 221, 239, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 250, 251 – Auslieferung eigener Staatsangehöriger 85, 86, 87 – Auslieferungshindernis 69, 87, 89, 186, 192 – Auslieferungsschutz 185, 193 – Auslieferungsverbot 98, 151, 192 – Auslieferungsverfahren 23, 32, 69, 70, 78, 84, 97, 174, 180, 202 – Bewilligungsverfahren 77, 78, 79, 83, 84, 95, 97, 98, 99, 186, 239 – einstufiges Vollstreckungsverfahren 77, 78, 91, 100, 239 – fakultativer Ablehnungsgrund 86, 90 – Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit 63, 71, 79, 80, 81, 82, 83, 91, 94, 121, 186, 194, 199, 205, 218, 243, 245, 246 – Prinzip der Gegenseitigkeit 82, 83 – Spezialitätsgrundsatz 83, 84 Außenpolitik 29, 30, 127 Ausstellungsmitgliedstaat 78, 80, 86, 88, 89, 92, 121, 185, 193, 196, 197, 199, 200, 202, 209, 246 Bestimmtheitsgrundsatz 197, 198, 199, 203, 250 Betrug 21, 80, 81, 82, 199, 200, 210

Bewilligungsverfahren 90, 95, 100 Binnenmarkt 19, 67, 72, 74, 77 Brandstiftung 81, 82, 209, 212 Bundesrat 94, 124, 130, 144, 145, 150, 175, 189 Bundesstaatsmodell 149 Bundestag 94, 118, 130, 144, 145, 147, 149, 150, 151, 175, 178, 179, 183, 184, 186, 188, 189, 195, 244, 245 Bundesverfassungsgericht 23, 24, 26, 93, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 103, 106, 107, 108, 117, 118, 119, 120, 122, 125, 129, 130, 134, 139, 140, 141, 142, 144, 145, 147, 148, 150, 151, 155, 156, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 167, 168, 178, 179, 182, 184, 185, 187, 188, 193, 197, 198, 199, 202, 203, 204, 208, 214, 215, 216, 219, 220, 221, 223, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 233, 235, 236, 238, 239, 240, 242, 251, 252 – Abhör-Entscheidung 164, 167 – Alcan-Entscheidung 142, 233, 234 – Beschlüsse zur Tabakkennzeichnungspflicht 235, 236, 237 – Entscheidung zum Großen Lauschangriff 157 – Entscheidung zur Bananenmarktverordnung 142, 215, 233 – Entscheidung zur Online-Durchsuchung 157 – Entscheidung zur Teilzeitarbeitrichtlinie 142, 233, 237 – Prüfungskompetenz 227, 228, 229 – Solange I-Beschluss 140, 232, 233 – Solange II-Beschluss 140, 141, 147, 214, 232 – Somalia-Entscheidung 118

304

Sachverzeichnis

Cyberkriminalität 80, 82, 199, 200 Demokratiedefizit 179, 244, 252 Demokratieprinzip 158, 159, 165, 188, 195 – Legitimation 131, 132, 133, 138, 159, 160, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 188, 189, 190, 218, 223, 243, 245, 247, 251 – Selbstbestimmung 152, 160, 193, 197 Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit 74, 77, 113 Dispositionsfreiheit 151 do ut des-Prinzip 82 Dolmetscher 218 Drogenhandel 37, 209, 211, 249 Durchgriffswirkung 46, 54, 106, 107, 110, 120 – faktische 115, 116, 117, 118, 119, 120 – horizontale 121, 122, 123 – innerstaatliche 107 – vertikale 114, 115, 116, 117, 120 Effet utile-Grundsatz 54 EG-Vertrag 51, 138, 146 Eigenstaatlichkeit 136 Eigentumsschutz 155 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 30 Einwanderungspolitik 31 Entstaatlichung 151, 152, 165, 193, 194, 250 Ermächtigungsgrundlage 39, 76, 104, 105, 124, 125, 127, 128, 146, 208, 210, 237, 248 Erpressung 81, 82, 202 EU-Vertrag 31, 33, 41, 119, 138, 147, 174, 181, 207 Europäische Atomgemeinschaft 27 Europäische Gemeinschaft 19, 27 – Europäisches Strafrecht zum Schutz der finanziellen interessen der Europäischen Gemeinschaft 19

Europäische Integration 28, 129, 230, 250 Europäische Kommission 19, 20, 34, 35, 43, 44, 45, 64, 65, 71, 72, 73, 74, 78, 81, 82, 84, 93, 94, 113, 190, 199, 211, 213, 216, 217, 219, 240 Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) 29, 30, 37 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 27, 75, 76, 77, 230, 237 Europäischer Gerichtshof 24, 34, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 65, 73, 74, 96, 100, 102, 108, 111, 114, 116, 117, 119, 120, 140, 141, 142, 182, 183, 184, 187, 189, 195, 200, 202, 203, 204, 212, 213, 217, 218, 220, 221, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 239, 240, 241, 242, 244, 248, 250 – Advocaten voor de Wereld VZW-Entscheidung 22, 24, 25, 63, 189, 200, 201, 204, 218, 227 – Arcaro-Entscheidung 59 – Becker/Finanzamt Münster-InnenstadtEntscheidung 56, 111 – Berlusconi u. a.-Entscheidung 52, 59 – Bickel und Franz-Entscheidung 100 – Bidar-Entscheidung 100 – Brasserie du pêcheur SA und Factortame-Entscheidung 217 – C.I.L.F.I.T/Ministero Della Sanità-Entscheidung 227 – Cassis de Dijon-Entscheidung 73 – Colson und Kamann-Entscheidung 56, 57, 58, 60 – Costa/ENEL-Entscheidung 108, 230, 231 – Cura Anlagen-Entscheidung 226 – Da Costa-Entscheidung 227 – Dassonville-Entscheidung 73 – Deutschland/Parlament und Rat-Entscheidung 234 – Factortame U.A.-Entscheidung 108

Sachverzeichnis – Foto-Frost-Entscheidung 220, 231 – Francovich-Entscheidung 56 – Gözütok und Brügge-Entscheidung 91, 217 – Großkrotzenburg-Entscheidung 58 – Heininger-Entscheidung 56, 57, 58, 59, 60, 61, 115 – Huber-Entscheidung 19, 190, 233, 234 – Hüls/Kommission-Entscheidung 217 – Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide-Entscheidung 108, 230, 231 – Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary-Entscheidung 217 – Kommission/Deutschland-Endscheidung 73, 74 – Kommission/Rat-Entscheidung 190, 211, 213 – Krombach-Entscheidung 217 – Leclerc-Siplec-Entscheidung 226 – Marleasing-Entscheidung 57, 58, 59, 60, 61, 115 – Marshall-Entscheidung 58 – Meilicke-Entscheidung 226 – Ministère Public und ASBL/Van Wesemael-Entscheidung 76 – Ministère Public/Auer-Entscheidung 76 – Montecatini-Entscheidung 217 – Nederlandse Ondernemingen-Entscheidung 56, 111 – Nichtigkeitsklage 45, 46, 65, 119, 219 – Niederlande und Van der Wal-Entscheidung 217 – Nold-Entscheidung 140 – Parlament/Rat-Entscheidung 190 – Pecastaing/Belgien-Entscheidung 217 – Pfeiffer-Entscheidung 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 115 – Pupino-Entscheidung 22, 24, 41, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 60, 61, 62, 63, 64, 87, 96, 102, 114, 116, 118, 119, 182, 183, 184, 186, 187,

305

195, 202, 206, 212, 219, 220, 221, 224, 225, 229, 235, 239, 242, 244, 250 – Ratti-Entscheidung 56, 111 – Rienks-Entscheidung 56, 76, 111 – Staatliche Finanzverwaltung/Simmental II-Entscheidung 108 – Steffensen-Entscheidung 217 – Strafverfahren gegen X-Entscheidung 59, 202 – Titanoxid-Entscheidung 190 – Van Esbroeck-Entscheidung 90 – van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung-Entscheidung 108, 230 – Volkswagen/Kommission-Entscheidung 217 – Vorlageverfahren/Vorabentscheidungsverfahren 44, 58, 60, 61, 63, 118, 119, 220, 226, 227, 229 – Webb-Entscheidung 76 – Wells-Entscheidung 58 – Wijsenbeek-Entscheidung 19 Europäischer Grundrechtskatalog 140, 154 Europäischer Rat 20, 21, 27, 29, 30, 35, 36, 38, 39, 71, 72, 122, 137, 138, 174, 178, 205, 210, 211, 242, 243, 248, 249, 250 – Brüssel 21, 36, 38 – Cardiff 20, 21, 35, 36, 39, 71, 122, 174 – Den Haag 29 – Laeken 36, 72 – Tampere 20, 21, 35, 36, 39, 71, 122, 174, 210, 211, 242, 243 – Wien 35 Europäisches Parlament 19, 30, 35, 38, 39, 43, 44, 46, 64, 65, 71, 132, 133, 177, 179, 182, 183, 244, 245, 247, 249 Europäisches Primärrecht 64, 242 Europarat 28, 68, 89 Euthanasie 201 Ewigkeitsgarantie 148, 154, 158, 161, 162, 163, 164, 229

306

Sachverzeichnis gubernative Rechtsetzung 177, 180, 181, 190, 191, 245

Finanzkriminalität 211 Freiheitsstrafe 72, 80, 193, 202, 218 Fremdenfeindlichkeit 199, 202, 209, 211

21, 37, 81, 82,

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 31, 206 Gemeinschaftsrecht 21, 26, 28, 33, 38, 40, 44, 52, 54, 57, 58, 60, 61, 62, 64, 74, 100, 102, 105, 111, 113, 115, 127, 138, 142, 177, 179, 190, 191, 202, 210, 212, 219, 228, 230, 231, 232, 237 – Richtlinie 39, 47, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 62, 64, 75, 76, 77, 102, 111, 113, 114, 138, 178, 202, 203, 212, 213, 229, 234, 235, 236, 237, 238, 250, 251 – supranationales 31, 40, 42, 47, 54, 62, 64, 73, 96, 102, 169, 210, 230, 235 – Verordnung 64, 76, 111, 113, 138, 178, 232, 237 Gemeinschaftstreue 51 Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) 70, 78, 79, 82, 83, 87, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 185, 186, 200 – Erstes Europäisches Haftbefehlsgesetz 87, 93, 95, 98, 99, 100, 116, 122, 130, 139, 151, 160, 179, 182, 184, 193, 199, 204, 221, 223, 226, 228, 229, 235, 238, 242 – Zweites Europäisches Haftbefehlsgesetz 97, 98, 99, 116, 122, 123, 173, 221, 222, 242 Gesetzesbindung der Verwaltung 134, 162, 166, 200, 201, 202

133,

Grundrechtsschutz 97, 129, 131, 139, 140, 141, 142, 171, 214, 215, 217, 218, 219, 221, 223, 228, 231, 232, 233, 248, 251 Grundsatz der Bundesstaatlichkeit 136, 149, 153, 160, 172, 195, 197 Grundsatz des föderalen Bundesstaates 129, 130, 135, 136, 175

Handlungsformen im Unionsrecht – Beschlüsse 48 – gemeinsame Standpunkte 45, 46 – Rahmenbeschlüsse 46, 47, 48 – Übereinkommen 48, 49 Harmonisierungsmaßnahme 199, 208, 209, 210, 211, 249 Herkunftslandprinzip 74, 121 Hoheitsakt 107, 108, 109, 111, 112, 113, 121, 126, 131, 132, 195, 233, 234 – ausländischer 113 – extraterritorialer 112, 113, 121 – transnationaler 121 Individualrechtsschutz 99, 219 Innenpolitik 20, 29, 30 innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl 107, 108, 109, 110, 115, 116, 117, 122, 182 Integrationsakt 148, 173 Integrationsoffenheit 143, 146, 148, 153, 169 Integrationsöffnungsklausel 129 internationale Verbrechensbekämpfung 103 Justiz und Inneres 20, 29, 31, 32, 33, 127 Justizgrundrechte/Verfahrensgrundrechte – Anspruch auf angemessene Verteidigung 216, 217 – Anspruch auf effektiven Rechtsschutz 133, 162, 165, 217 – Anspruch auf ein faires Verfahren 217 – Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs 133, 141, 156, 217 – Grundsatz der Unschuldsvermutung 217 – Justizgewährungsanspruch 164, 166 – Verbot der Doppelbestrafung 22, 89, 90, 91, 217

Sachverzeichnis Katalogstraftaten 121 Kompetenzen 20, 132, 134, 136, 148, 173, 206, 213 – Kompetenz-Kompetenz 131, 206 Kompetenzüberschreitung 234 Konformauslegung 54, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 102 Kooperation 29, 79, 84, 90, 104, 126 Korruption 21, 80, 210, 249 Kriminalität 21, 29, 92, 210 – grenzüberschreitende 19, 20, 243 – internationale 37 – organisierte 32, 82, 209, 249 – schwere 20, 39 Legalitätsprinzip 63, 201 Menschenhandel 37, 80, 210, 211, 249 Menschenwürdegehalt 155, 156, 157, 165, 192, 193 Menschenwürdeschutz 154, 156, 157, 158, 191, 192, 193, 250 mitgliedstaatliche Identität 42, 139, 203, 204, 205, 206, 212, 213, 246, 248, 252 NATO 106, 118 ne bis in idem 22, 89, 90, 91, 216 Non Governmental Organisation (NGO) 110 ordre public 85, 87, 229 Paradigmenwechsel 27, 250 parlamentarischer Gestaltungsspielraum 182, 183, 184, 185, 186, 190, 214, 236, 237, 238 Parlamentsvorbehalt 199 Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) 20, 31, 33, 41, 42, 44, 119, 177, 206 Primärrecht 114, 174 Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 21, 22, 24, 26, 27, 35, 36, 37, 38, 39, 67, 71, 72, 73, 74, 77, 79, 81, 82, 83,

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84, 85, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 102, 113, 122, 174, 176, 177, 181, 186, 188, 190, 191, 193, 195, 203, 205, 206, 207, 208, 213, 215, 221, 239, 244, 246, 250, 251, 252 Prinzip der Gewaltenteilung 134, 162, 188 Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl 23, 24, 25, 26, 27, 40, 49, 63, 66, 67, 68, 69, 70, 72, 77, 78, 79, 80, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 98, 100, 102, 114, 115, 116, 117, 120, 121, 122, 123, 124, 173, 174, 175, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 186, 188, 189, 190, 192, 194, 196, 197, 199, 200, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 230, 235, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 247, 249, 250, 251, 252 – Rechtsnatur 23, 25, 32, 52, 53, 57, 63, 182, 187, 235, 250 Rassismus 21, 37, 81, 82, 199, 202, 209, 211 Rat der Europäischen Union/Ministerrat 21, 30, 31, 32, 35, 36, 37, 38, 39, 43, 44, 45, 46, 49, 64, 65, 70, 71, 72, 81, 84, 115, 128, 132, 134, 139, 177, 178, 179, 180, 182, 188, 189, 190, 202, 204, 206, 210, 211, 212, 213, 237, 240, 241, 244, 245, 246, 247, 248, 252, 253 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 19, 20, 23, 33, 35, 37, 41, 42, 45, 93, 242, 243, 248 Rechtssicherheit 51, 59, 162 Rechtsstaatsprinzip 22, 133, 162, 163, 164, 166, 171, 176, 201, 203, 204, 221, 243, 244, 245 Rechtssubjektivität 111 Regel-Ausnahme-Verhältnis 185, 196 Republikgebot 158 Römische Verträge 28 Rücküberstellung 197 Rückwirkungsverbot 51, 59, 163

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Sachverzeichnis

Sabotage 81, 199, 200, 202, 209 Schengener Rechtsraum 90 Schutzgelderpressung 81, 202 schwere Köperverletzung 209 Souveränität der Bundesrepublik 108, 153, 195 Sozialstaatsprinzip 135, 161 Strafrecht 19, 28, 74, 119, 133, 180, 195, 198, 208, 210, 211, 212, 213, 244, 246, 252 Straftatenkatalog 94, 196, 199, 209, 212, 245, 246 Strafverfolgung 19, 22, 30, 34, 67, 72, 84, 86, 90, 91, 93, 96, 104, 180, 189, 202, 215, 216, 244, 245 Struktursicherungsklausel 129, 130, 132, 144, 170, 173, 175, 176, 197 Subsidiaritätsprinzip 129, 130, 136, 137, 138, 139, 171, 203, 204, 205, 206, 208, 211, 213, 214, 218, 221, 222, 223, 239, 247, 248, 251, 252 Teilnichtigkeitserklärung 223 Territorialitätsgrundsatz 195 Terrorismus 20, 21, 29, 37, 69, 80, 88, 92, 209, 249 – England 20 – Spanien 20 – USA 20, 21, 71 Terrorismusbekämpfung 29, 82 TREVI-Arbeitsgruppen 29 Übereinkommen – Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren (1996) 69, 70, 85 – Auslieferungs- und Rechtshilfeübereinkommen 28 – Europäisches Auslieferungsübereinkommen (1957) 28, 68, 69 – Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (1959) 28 – Schengener Durchführungsübereinkommen (1990) 19, 22, 30, 34, 69, 89, 112

– Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (1983) 68 – Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus (1977) 29 Übergabeverfahren 23, 24, 78, 83, 121, 209, 218, 253 Übertragung von Hoheitsrechten 24, 25, 26, 66, 95, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 109, 110, 114, 116, 117, 120, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135, 136, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 153, 165, 167, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 181, 191, 193, 195, 197, 198, 199, 203, 214, 221, 222, 229, 232, 250 – einfache 147 – horizontale 112, 123, 124, 125, 127, 128, 191 – Prüfungsmaßstab 130, 142, 166, 171, 172, 191, 199, 214, 239 – Schrankenvorbehalt 174, 175 – vertikale 110, 111, 113, 114, 115, 123 – vertragsausfüllende 148 – vertragsimmanente 148 – Zustimmungsakt 116, 119, 122, 167, 181 – Zustimmungsgesetz 117, 120, 181 – Zustimmungsverfahren 118 – Zwei-Drittel-Mehrheit 145, 146, 147, 175 Übertragungsakt 146, 173, 176, 222 Umsetzungsakt 76, 98, 113, 114, 116, 122, 123, 175, 181, 182, 214, 220, 223, 228, 236, 237, 238 Umsetzungsgesetz 93, 94, 98, 184, 216, 251 Umweltkriminalität 80, 210, 211 Unantastbarkeitsklausel 148, 154, 167, 191, 197 Unionsrecht 33, 34, 51, 52, 61, 62, 100, 102, 119, 138, 187, 206, 210, 223, 225, 228, 239, 240, 242, 249 – Dritte Säule 31, 32, 34, 42, 44, 45, 47, 49, 51, 52, 53, 57, 60, 62, 64, 65,

Sachverzeichnis 67, 96, 100, 102, 114, 118, 120, 122, 127, 128, 138, 174, 176, 177, 179, 181, 187, 203, 204, 206, 210, 213, 219, 220, 227, 228, 229, 239, 240, 242, 250 – Erste Säule 31, 42, 47, 111, 177, 203, 230 – Zweite Säule 31, 127, 138 Unionstreue 51, 62, 187, 224, 225, 240 unmittelbare Wirksamkeit 48, 55, 56, 58, 62, 114 Verfassungsbeschwerde 95, 232, 236 Verfassungsbestandsklausel 165, 170, 173, 175 Verfassungskonvent von Herrenchiemsee 149 Verfassungsrecht 24, 109, 136, 169, 229, 245 Vergemeinschaftungstendenz 52, 65, 120, 124, 187, 227, 250 Vergewaltigung 81, 209, 212 Vertrag über eine Verfassung für Europa 36, 37, 40 Vertrag von Amsterdam 24, 32, 33, 34, 40, 41, 44, 46, 48, 51, 114, 117, 120, 122, 137, 174, 177, 181, 207 Vertrag von Lissabon 25, 26, 38, 39, 64, 65, 140, 242, 247, 248, 249, 252 Vertrag von Maastricht 31, 32, 33, 41, 46, 105, 127, 129, 151, 160, 167, 188, 194, 198, 207, 231, 233, 234, 235, 238, 239 Vertrag von Nizza 24, 33, 34, 40, 41, 117, 174 Verwaltungsakt 73, 75, 76 – transnationaler 74, 75, 76, 113, 121, 250 Verwaltungskooperation 74, 77 Völkerrecht 83, 106, 108, 112, 118, 126, 179, 187, 229 – allgemeine Regeln des Völkerrechts 103, 104, 108 – Völkerrechtlicher Rechtsakt 107, 116

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– Völkerrechtlicher Vertrag 25, 37, 69, 70, 107, 108, 109, 110, 111, 117, 118, 188, 198, 232, 252 – Völkerrechtliches Übereinkommen 28, 30, 48, 49, 113, 243 Volkssouveränität 152, 158, 160, 193 Vollstreckungsmitgliedstaat 85, 86, 87, 88, 92, 95, 121, 185, 193, 196, 197, 199, 218 Vollstreckungsverweigerung 87, 121 Vollzugsakt 122 Vorsätzliche Tötung 81, 201, 209, 212 Warenverkehrsfreiheit 73, 74, 77, 92, 113 Wiener Aktionsplan 35, 210, 211 Wiener Vertragsrechtskonvention 118 Zollpolitik 31 Zusammenarbeit – grenzüberschreitende 21, 23, 31, 33, 39, 40, 42, 234 – in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) 31, 32 – intergouvernementale 31, 33, 40, 45, 54, 206 – internationale 104, 134, 143 – justizielle 20, 21, 22, 23, 25, 26, 27, 28, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 51, 54, 64, 65, 67, 71, 92, 96, 100, 102, 119, 120, 122, 124, 138, 139, 174, 186, 187, 207, 211, 219, 225, 228, 243, 246, 247, 248, 250 – politische 29, 33 – polizeiliche 20, 31, 38, 41, 42, 119 – strafrechtliche 21, 22, 24, 25, 38, 39, 64, 65, 67, 124, 138, 139, 174, 187, 207, 209, 219, 228, 243, 246, 247 – völkerrechtliche 28, 42, 49, 190 – wirtschaftliche 19, 27, 28, 250 – zwischenstaatliche 43