Verfassungsfragen des Rechts der Witwen- und Witwerrenten [1 ed.] 9783428534777, 9783428134779

Manuel Mielke befasst sich mit der Frage, inwieweit das Recht der Witwen- und Witwerrenten der gesetzlichen Rentenversic

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Verfassungsfragen des Rechts der Witwen- und Witwerrenten [1 ed.]
 9783428534777, 9783428134779

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 296

Verfassungsfragen des Rechts der Witwenund Witwerrenten Von

Manuel Mielke

Duncker & Humblot · Berlin

MANUEL MIELKE

Verfassungsfragen des Rechts der Witwenund Witwerrenten

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 296

Verfassungsfragen des Rechts der Witwenund Witwerrenten

Von

Manuel Mielke

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13477-9 (Print) ISBN 978-3-428-53477-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83477-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 von der Juristischen Fakultät der Universität Hannover als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum März 2010 berücksichtigt. Angeregt wurde die Anfertigung dieser Arbeit von meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hermann Butzer, dem ich hierfür und für die Förderung und Unterstützung, die er mir stets hat zuteil werden lassen, herzlichst danke. Herrn Prof. Dr. Volker Epping danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ferner gilt mein Dank dem Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund (FNA), das die Entstehung dieser Arbeit sowohl durch das Gewähren eines Stipendiums als auch durch das Leisten eines großzügigen Druckkostenzuschusses gefördert hat. Schließlich möchte ich meiner Frau für die Geduld und Nachsicht danken, mit der sie mir beim Anfertigen dieser Arbeit zur Seite gestanden und damit ebenfalls zu deren Entstehung beigetragen hat. Hannover, im November 2010

Manuel Mielke

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Problemstellung und Ausgangslage

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2. Teil Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

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§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte . . . . 25 A. Das wachsende Bedürfnis nach einem Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Die Dogmatik der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Die ersten Schritte: kritische Zurückhaltung, aber keine generelle Ablehnung 27 II. Ausdrückliche Anerkennung der Möglichkeit eines Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Erstmalige Erwähnung des Merkmals des Beruhens auf einer Eigenleistung . 30 IV. Eine Vielzahl neuer Aspekte: das abweichende Votum der Richterin Rupp-von Brünneck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 V. Versorgungsausgleich I – das Aufstellen konkreter Voraussetzungen für einen Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 VI. Die Vervollständigung der Voraussetzungen durch das Merkmal der Existenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Die Dogmatik der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte in der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 D. Der praktische Nutzen eines eigentumsrechtlichen Schutzes für subjektive öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 § 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 und die an ihr geübte Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 A. Darstellung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Kein eigentumsrechtlicher Schutz für Witwen- und Witwerrenten . . . . . . . . . 40

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Inhaltsverzeichnis III. Keine Verletzung schutzwürdigen Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Keine Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Die Kritik an der Ablehnung des Eigentumsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Stimmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Ablehnende Haltung des Bundessozialgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

§ 3 Eigene Position: Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 A. Für einen Eigentumsschutz in Betracht kommende Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . 51 B. Notwendigkeit der Festlegung auf einen Ansatzpunkt für die Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Kein Nebeneinander zweier Positionen als Folge der Konstruktion des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Kein Nebeneinander zweier möglicherweise eigentumsgeschützter Positionen aufgrund der §§ 328 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 C. Bestimmung der möglicherweise eigentumsgeschützten Position vor Eintritt des Versicherungsfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Analoge Anwendbarkeit der §§ 150, 159 VVG auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Die Sozialversicherung als Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Die Entwicklung der heute überwiegenden Auffassung . . . . . . . . . 59 bb) Abweichende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 cc) Die Sozialversicherung als Institut sui generis? . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Die Ungewissheit über das Vorhandensein eines Vollrechtsinhabers als Hindernis für einen Vergleich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Die Witwen- und Witwerrente als Eigen- oder Fremdversicherung . . . . . . . . 67 1. Die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente: Eigenversicherung des Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Der Gesetzeswortlaut – Argument für das Vorliegen einer Eigenversicherung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Inhaltsverzeichnis

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b) Vorliegen einer Eigenversicherung aufgrund eines im SGB VI fehlenden Pendants zu § 150 Abs. 2 S. 1 VVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Eigenversicherung aufgrund der Unmöglichkeit, dem potentiell Hinterbliebenen Beiträge zuzurechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 d) Eigenversicherung aufgrund der Ignoranz des Gesetzes gegenüber dem potentiell Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Keine Eigenversicherung für fremde Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Eigentumsrechtlicher Schutz von Anwartschaft und Vollrecht auf Witwen- oder Witwenrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Eigentumsrechtlicher Schutz der Anwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Sozialer Ausgleich anstatt nicht unerheblicher Eigenleistung als Grundlage der Witwen- und Witwerrenten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Die Witwen- und Witwerrenten als Ausdruck der Solidarität unter den Versicherten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) „Vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung“ mangels hinreichenden personalen Bezugs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Privatnützigkeit nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . 84 a) Die Anwartschaft als Vollrecht auf Versicherungsschutz . . . . . . . . . . . . 84 b) Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Vermögenswertes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Existenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Eigentumsrechtlicher Schutz des Vollrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Teil Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a–e SGB IV

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§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 A. Zur Reichweite der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . 96 B. Die vier konstitutiven Voraussetzungen der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Organisatorische Durchführung durch selbstständige Träger . . . . . . . . . . . . . 98 II. Die Finanzierung durch Beiträge der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Der Versicherungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Zum Versicherungscharakter im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Die konstitutiven Merkmale von „Versicherung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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Inhaltsverzeichnis b) Die Äquivalenzprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Die Geltung der Äquivalenzprinzipien in Sozial- und Privatversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Ausreichende Berücksichtigung des Versicherungscharakters im Recht der Witwen- und Witwerrenten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Überbetonung des sozialen Ausgleichs zulasten des Versicherungscharakters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Die Annäherung der Witwen- und Witwerrenten an das Recht der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Witwen-/Witwerrenten und Sozialhilfe – Bedarfsdeckung einerseits, Bedürftigkeitsprüfung andererseits? . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Überschreitung der Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG aufgrund subsidiärer Leistungsgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 IV. Der soziale Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Zum sozialen Ausgleich im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Ausreichende Berücksichtigung des sozialen Ausgleichs im Recht der Witwen- und Witwerrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A. Einkommensanrechnung und Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Die Einkommensanrechnung als Eigentumseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Feststellung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Qualifizierung des Eingriffs: Der Nullfall als Enteignung? . . . . . . . . . . . . 120 II. Zum Rechtfertigungsmaßstab: Der abgestufte Schutz sozialversicherungsrechtlichen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Der besonders geschützte Kernbereich sozialversicherungsrechtlicher Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Der besonders geschützte Kernbereich der Witwen- und Witwerrenten . . . 125 III. Die Verhältnismäßigkeit der Einkommensanrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Legitimer Zweck der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Kostenneutrale Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zum Erhalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Verhinderung einer intentionswidrigen Überversorgung . . . . . . . . . . . . 130 2. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Anrechnungsvorschriften . . . . . 131 a) Zur Gleichstellung der Witwer in kostenneutraler Weise . . . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis

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b) Zur Verhinderung von Überversorgungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Die Angemessenheit der Anrechnungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Die Verletzung des Kernbereichs witwen- und witwerrentenrechtlicher Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Rechtfertigung der Anrechnungsvorschriften durch die Unterhaltsersatzfunktion der Witwen- und Witwerrenten? . . . . . . . . . . 140 aa) Rechtfertigung durch Bezugnahme auf die ehelichen Unterhaltsverhältnisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen als Unterhaltsersatz? 141 (2) Entlastung des Hinterbliebenen aufgrund des Wegfalls des Unterhaltsanspruchs des Versicherten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (a) Untauglichkeit der Einkommensanrechnung zum Ausgleich einer entfallenen Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (b) Die Einkommensanrechnung als Mittel zur Berücksichtigung einer entfallenen Belastung – ein Systembruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Die Einkommensanrechnung als „hypothetische Fortschreibung“ der ehelichen Unterhaltsverhältnisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Wiederum: drohender Systembruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Die Einseitigkeit der Fortschreibung der ehelichen Unterhaltsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Art. 14 GG als spezielle Vertrauensschutznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Verletzung des geschützten Vertrauens durch § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 V. Verletzung des Erbrechts durch die Anrechnungsvorschriften? . . . . . . . . . . . 150 B. Exkurs: Einkommensanrechnung und der eigentumsrechtliche Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Die Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK auf witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Die Anforderungen an den Zusammenhang von Beitrag und Leistung . . . 154 2. Das Erfordernis einer Eigenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 1 1. ZP-EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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Inhaltsverzeichnis C. Einkommensanrechnung und Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Sozialversicherungsrecht – Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Exkurs: Der Grundsatz der Systembindung – gleichheitsrechtlich relevante Selbstbindung des Gesetzgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Die Ungleichbehandlung der Bezieher von Altersrente und der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Willkürprüfung oder „neue Formel“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Unterhaltsersatzcharakter versus Lohnersatzcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Rechtfertigung durch das Ziel kostenneutraler Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Die Ungleichbehandlung von Witwen/Witwern mit eigenem Einkommen gegenüber Witwen/Witwern ohne eigenes Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 IV. Die Ungleichbehandlung aufgrund der Nichtanrechnung bestimmter Arten von Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Ausnahme: § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Ausnahme: § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Ausnahme: § 18a Abs. 2 S. 2, 1. Alt. SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Ausnahme: § 18a Abs. 2 S. 2, 2. Alt. SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Ausnahme: § 18a Abs. 3 S. 2 SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6. Ausnahme: § 18 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 lit. b SGB IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 D. Die Einkommensanrechnung als Auflösung der Bindung von Beitrag und Leistung und deren grundrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Zur Legitimation der Beitragserhebung in freiheitsrechtlicher Hinsicht . . . . . 178 1. Die zwangsweise Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung . . . 178 a) Keine Grundrechtsrelevanz der Zwangskorporation? . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Der Streit um den Prüfungsmaßstab für Eingriffe in die negative Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Zur Verfassungskonformität der Einbeziehung in die Sozialversicherung im Allgemeinen und in die gesetzliche Rentenversicherung im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Rechtfertigende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Die materiell rechtfertigende Wirkung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Die soziale Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Inhaltsverzeichnis

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(3) Der Schutz der Allgemeinheit vor der Bedürftigkeit Einzelner . 183 bb) Die Pflicht zum Abschluss einer privaten „Verwitwungsversicherung“ als Alternative zur Sozialversicherungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Die Pflicht zur Leistung von Rentenversicherungsbeiträgen . . . . . . . . . . . 187 a) Der Streit um den Prüfungsmaßstab bei der Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Pflicht, Beiträge für die Witwen- und Witwerrenten zu leisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Zur Legitimation der Beitragserhebung in gleichheitsrechtlicher Hinsicht . . 193 4. Teil Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter im Verhältnis zu Dritten 195 § 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten . . . . . . . . . . . . 195 A. Die gleichheitsrechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B. Art. 6 Abs. 1 GG als spezieller Gleichheitssatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 C. Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ordnungsbereichen als Hindernis für einen Vergleich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Witwen-/Witwerrenten und Versorgungsausgleich – Gegenüberstellung sich nicht entsprechender Institute? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 D. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Die Ungleichbehandlung durch Einkommensanrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Keine generelle Schlechterstellung Hinterbliebener gegenüber Geschiedenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Pauschales Urteil über das Verhältnis Hinterbliebene – Geschiedene nicht möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Voraussetzungen, unter denen eine Schlechterstellung des Hinterbliebenen eintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Schlechterstellung im Bereich hoher Einkommen und Anwartschaften . 205 b) Schlechterstellung im Bereich niedriger Einkommen und Anwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

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Inhaltsverzeichnis II. Die Ungleichbehandlung durch den Wegfall bei Wiederheirat . . . . . . . . . . . . 208 1. Wegfall der Witwen- oder Witwerrente unter Anknüpfung allein an die Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Rechtfertigungsgründe aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die waisenrentenrechtliche Heiratswegfallklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Die Entscheidung zur waisenrentenrechtlichen Heiratswegfallklausel . 209 b) Übertragbarkeit der Argumentation auf die Heiratswegfallklausel nach § 46 SGB VI? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Keine Rechtfertigung durch § 107 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten . . . . . . . . . . . 212 A. Der grundlegende Inhalt der §§ 120a ff. SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Die gleichheitsrechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Voraussetzungen einer Schlechterstellung der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Schlechterstellung als Folge der freien Entscheidung für den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Freiheit der Entscheidung trotz Prognosezwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Der Prognosezwang als Mittel zur Vermeidung übermäßiger Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG: identischer Prognosezwang . . . . . . . . . . . . 220 § 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern . . . . . . . . . 221 A. Witwen- und Witwerrente nur für hinterbliebene Ehepartner – kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Zulässigkeit der Einführung einer „Witwen- oder Witwerrente“ für Hinterbliebene nichtehelicher Lebensgemeinschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Teil Zusammenfassung und Aussicht

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Inhaltsverzeichnis

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Abkürzungsverzeichnis AcP AöR AVG AVmEG AVmG BayVBl. BewG BGB BGBl. BGH BGHZ BK BR-Drs. BSG BSGE BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE DAngVers DÖV DRV DVBl. EGMR EKMR EMRK EStG EuGRZ FamRZ FG FS GG ggf. HBSozVers HBStR HEZG Hrsg. JA JuS JZ

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Abkürzungsverzeichnis Lfg. MDR NJW NVBl. NVwZ NZA NZS RdA RGBl. RGZ RVO SDSRV SGB SGb SRH VAG VerwArch VSSR VVDStRL VVG ZfS ZfSH/SGB ZP-EMRK ZRP ZSR ZVersWiss

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1. Teil

Problemstellung und Ausgangslage „Hinterbliebenenleistungen sind nicht beliebig manipulierbar. Sie sind auch keine Spielwiese für diejenigen, die – möglicherweise auch in guter Absicht – der Rentenversicherung Aufgaben oktroyieren wollen, die ganz anderen Institutionen obliegen.“1 Diese Feststellung hat, obwohl sie bereits vor 25 Jahren anlässlich der Einführung der Einkommensanrechnung auf die Hinterbliebenenrenten durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz vom 11. Juli 1985 (HEZG)2 erfolgte, nichts an Aktualität eingebüßt. Insbesondere ist es dem Bundesverfassungsgericht nicht gelungen, mit seiner Entscheidung vom 18. Februar 19983 einen Schlussstrich unter die zu diesem Zeitpunkt bereits etwa seit 15 Jahren geführte Auseinandersetzung über die Anrechnung von Einkommen auf die Hinterbliebenenrenten zu ziehen. Das Gericht hat – im Gegenteil – mit seinem Beschluss die davor deutlich abgekühlte Diskussion wieder stark angeheizt. In der Folge der Entscheidung wurde eine Vielzahl von Reformvorschlägen zum Recht der Witwen- und Witwerrenten unterbreitet, die von überschaubaren Modifikationen wie etwa einer Heraufsetzung der in § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI festgelegten Mindestaltersgrenze für den Bezug einer großen Witwen- oder Witwerrente4 bis hin zur Forderung nach einer völligen Abschaffung der Witwen- und Witwerrenten5 reichten. Warum das Recht der Witwen- und Witwerrenten Begehrlichkeiten des Reformgesetzgebers zu wecken geeignet ist, verdeutlicht ein Blick auf das zumindest rechnerisch vorhandene Einsparpotential: Im Jahr 2007 beliefen sich die Ausgaben für Witwen- und Witwerrenten auf gut 37 Milliarden E, womit sie ein knappes Fünftel der Gesamtrentenausgaben ausmachten.6 Zusätzlich angefacht werden mag der Reformwille noch durch eine weitere Entwicklung: Während sich bei der Anzahl der 1

Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 655. BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 3 BVerfGE 97, 271 ff. 4 Köbl, ZfSH/SGB 2002, 594, 596; Ruland, FamRZ 2001, 129, 131; ders., NZS 2001, 393, 397, Fn. 38; Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 296. 5 Vorgeschlagen wurde eine sukzessive Abschaffung über einen Zeitraum von dreißig bis vierzig Jahren durch ein kontinuierliches Absenken des Rentenartfaktors (Köbl, DRV 2002, 686, 690 f.) sowie ein Ersetzen der Witwen- und Witwerrenten durch ein obligatorisches Rentensplitting (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 259 f., Tz. 343). 6 Zahlen aus Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 199. 2

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1. Teil: Problemstellung und Ausgangslage

gezahlten Witwenrenten seit 1995 ein leichter Rückgang feststellen lässt,7 ist bei den Witwerrenten der Bestand seit 1992 annähernd um das Dreieinhalbfache angewachsen8. Die erwähnte Vielzahl von Reformvorschlägen, das enorme finanzielle Volumen der Witwen- und Witwerrenten, der sich zusehends verstärkende demographische Druck auf das System der gesetzlichen Rentenversicherung und nicht zuletzt die weltweite Wirtschaftskrise, deren Folgen für die Sozialversicherungssysteme derzeit noch kaum absehbar sind, machen eine Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten in nicht allzu ferner Zukunft wahrscheinlich. In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit das Recht der Witwen- und Witwerrenten in seiner derzeitigen einfachrechtlichen Ausgestaltung verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt und welche Verstöße der Gesetzgeber im Falle einer Reform des Rechts der Witwenund Witwerrenten gegebenenfalls zu beseitigen hat. Dabei werden zugleich vom Grundgesetz gezogene Grenzen aufgezeigt werden, innerhalb derer sich jedes Reformvorhaben im Bereich der Witwen- und Witwerrenten zu bewegen hat. Eine besondere Rolle wird dabei die Frage einnehmen, ob die Ansprüche und Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fallen und – bejahendenfalls – welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Ob witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen den Schutz der Eigentumsgarantie genießen, ist nämlich trotz oder sogar gerade wegen der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 ebenso wenig abschließend geklärt wie die praktische Relevanz eines eigentumsrechtlichen Schutzes für sozialversicherungsrechtliche Positionen im Allgemeinen und für die Witwen- und Witwerrenten im Besonderen. Ferner werden verfassungsrechtliche Probleme zu behandeln sein, welche die Anrechnung von Einkommen auf Witwen- und Witwerrenten gemäß § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV mit sich bringt. Die Einkommensanrechnung wird seit dem Inkrafttreten des HEZG am 1. Januar 19869 vorgenommen und erfuhr zum 1. Januar 2002 nochmals eine deutliche Ausweitung10. Dabei soll die Verfassungskonformität der Anrechnungsregelungen zunächst im Hinblick auf die kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG – der Kompetenz des Bundes zur Regelung der Sozialversicherung – untersucht werden. An Literatur zur Reichweite der Kom-

7

1995 wurden 5.244.580 Witwenrenten, 2007 4.962.425 Witwenrenten gezahlt, Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 158. 8 1992 belief sich der Bestand an Witwerrenten auf 144.661, im Jahr 2007 auf 505.071, Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 158. 9 BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 10 Die Ausweitung erfolgte durch das AVmEG vom 21. 03. 2001 (BGBl. I, S. 403 ff.). Die bedeutendste Änderung lag darin, dass nicht mehr nur Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen grundsätzlich angerechnet wird, sondern auch Einkommen aus Vermögen bei der Anrechnung Berücksichtigung findet.

1. Teil: Problemstellung und Ausgangslage

23

petenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG mangelt es zwar keineswegs;11 eine spezifisch auf die Wahrung der Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten ausgerichtete Untersuchung existiert jedoch – soweit ersichtlich – nicht. Sodann wird auf die Vereinbarkeit der Regelungen zur Einkommensanrechnung mit einem möglichen Eigentumsschutz eingegangen werden. Obwohl dabei der Schwerpunkt auf der Untersuchung des Art. 14 GG liegen wird, soll sich die eigentumsrechtliche Betrachtung dennoch nicht in einer Prüfung des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes erschöpfen: Ein Teil der Arbeit wird sich der Frage widmen, ob witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen dem eigentumsrechtlichen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1.ZP-EMRK unterfallen, und – falls dies zutrifft – in welchem Verhältnis ein solcher Schutz zu dem möglichen Schutz aus Art. 14 GG steht. Weiter sollen gleichheitsrechtliche Probleme, die sich aufgrund der Einkommensanrechnung ergeben, untersucht werden. Verglichen werden dabei zum einen die Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente mit den Beziehern einer Altersrente. Zum anderen wird das Verhältnis von Witwen- und Witwerrentenberechtigten, die ein eigenes Einkommen erzielen, zu solchen Inhabern eines Anspruches auf Witwenoder Witwerrente ohne eigenes Einkommen betrachtet. Darüber hinaus soll geklärt werden, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass trotz der schon erwähnten Ausweitung der Einkommensanrechnung zum 1. Januar 2002 noch immer einige Arten von Einkommen nicht der Anrechnung unterliegen. In der Literatur findet sich zu den genannten gleichheitsrechtlichen Problemkreisen zwar eine Vielzahl von Äußerungen.12 Diese fallen weit überwiegend jedoch recht knapp, oft sogar nur andeutend aus. Abgeschlossen wird die Betrachtung des § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV mit der Untersuchung der Frage, ob im Recht der Witwen- und Witwerrenten trotz der Anrechnung von Einkommen die erforderliche Verbindung zwischen dem vom Versicherten erbrachten Beitrag und der später vom Hinterbliebenen empfangenen Leistung gegeben ist. Sowohl die allgemeine Handlungsfreiheit als auch der allgemeine Gleichheitssatz verbieten nämlich, dem Versicherten Beiträge abzuverlangen, ohne als Gegenleistung eine äquivalente Leistung in Aussicht zu stellen.13 Im anschließenden Teil der Arbeit wird es darum gehen, die rentenrechtliche Absicherung hinterbliebener Ehegatten, die Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente sind, mit der Absicherung von Personen zu vergleichen, die ebenfalls 11 Die Masse an Untersuchungen in diesem Bereich ist tatsächlich kaum zu überblicken, stellvertretend seien hier nur die in jüngerer Vergangenheit erschienen Habilitationsschriften von Joachim Becker (Transfergerechtigkeit und Verfassung), Hermann Butzer (Fremdlasten in der Sozialversicherung), Friedhelm Hase (Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich) und Christian Rolfs (Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht) genannt. 12 Vgl. etwa Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; Heine, FamRZ 1986, 113, 120; Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Krause, DRV 1985, 254, 259 ff.; Papier, DRV 2001, 350, 352; ders., DRV 1985, 272, 274 ff.; Ruland, JuS 1998, 1068, 1069; ders., NJW 1986, 20, 28. 13 Vgl. etwa zu Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 115, 25, 49.

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1. Teil: Problemstellung und Ausgangslage

einen Bezug zur Ehe aufweisen. Im Einzelnen wird es sich bei den Vergleichsgruppen um Geschiedene, um hinterbliebene Ehegatten, die das Rentensplitting nach §§ 120a ff. SGB VI durchgeführt haben, sowie um die Hinterbliebenen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft handeln. Untersuchungen sind – soweit ersichtlich – zu keinem dieser Bereiche vorhanden. Es finden sich jeweils nur einige kürzere Äußerungen14 und, soweit das Verhältnis der Witwen- und Witwerrentenberechtigten zu den Hinterbliebenen nichtehelicher Lebensgemeinschaften betroffen ist, nicht einmal solche.

14 Zum Verhältnis Witwen-, Witwerrentenberechtigte/Geschiedene vgl. Bokeloh, ZSR 1985, 275, 287, Papier, DRV 1985, 272, 275 f.; Ruland, FamRZ 2001, 129, 132; ders., DRV 1985, 278, 281; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 258, Tz. 341; zum Verhältnis Witwen-, Witwerrentenberechtigte/Rentensplittingberechtigte vgl. Ruland, FS v. Maydell, S. 575, 584 f.; ders., NZS 2001, 393, 397.

2. Teil

Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten § 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte Ansprüche und Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente sind subjektive Positionen des öffentlichen Rechts, genauer: sozialversicherungsrechtliche subjektive Positionen des öffentlichen Rechts. Dass derartige Rechte grundsätzlich dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen können, war keineswegs von jeher anerkannt und wird auch heute teils noch bezweifelt. Folgend soll daher die Entwicklung des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte in Rechtsprechung und Literatur nachvollzogen werden.

A. Das wachsende Bedürfnis nach einem Eigentumsschutz Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriffs ist nicht statisch, sondern er ist der Anpassung ebenso fähig wie bedürftig.1 Art. 9 der Preußischen Verfassung von 1850 beschränkte sich noch im Wesentlichen auf den Schutz von Grundeigentum; Mobilien waren kaum, andere Vermögenswerte gar nicht geschützt.2 Dieses aus heutiger Sicht enge verfassungsrechtliche Eigentumsverständnis entsprach den Anforderungen der Zeit: Grundeigentum war in der noch weitgehend vorindustriell geprägten Gesellschaft maßgeblich für die soziale Stellung und den gesellschaftlichen Rang des Einzelnen. Der Anteil der Industriearbeiter an der Bevölkerung betrug 1846 im Deutschen Zollverein nur 4,44 Prozent3. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte auf dem Land oder in Kleinstädten und besaß dort Vermögen in Gestalt eines Hauses, einer Ackerfläche oder eines kleinen Betriebes; dieses Vermögen bildete die Lebensgrundlage und diente als Sicherheit im Falle von Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Alter.4 1

BVerfGE 24, 367, 389; BGHZ 6, 270, 277. v. Brünneck, Eigentumsschutz, S. 22; Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, S. 27; Wannagat, FS Peters, S. 171, 171 f. 3 Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 487. 4 Wannagat, FS Peters, S. 171, 171. 2

26

2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Mit zunehmender Industrialisierung schwand allerdings die Bedeutung des Grundeigentums. Das bewegliche Eigentum, etwa in Gestalt von Produktionsmitteln, gewann als existenzsicherndes Vermögen an Relevanz. Diese Entwicklung fand auch in der Wandlung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes ihren Niederschlag: Art. 153 WRV bezog nach allgemeiner Ansicht nicht mehr nur Immobilien, sondern auch bewegliches Vermögen in seinen Schutzbereich ein.5 Schon bald erwies sich jedoch auch diese Erweiterung als ungenügend, sodass unter dem Einfluss von Martin Wolff und Heinrich Triepel6 das Reichsgericht den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff auf alle subjektiven Privatrechte unter Einschluss von Forderungsrechten erstreckte.7 Die Masse der stetig wachsenden Arbeiterschaft war von dieser Ausdehnung des eigentumsrechtlichen Schutzes indes kaum betroffen. Sie konnte weder auf mobiles noch immobiles Eigentum zurückgreifen, und auch die ihr zustehenden subjektiven Privatrechte vermochten eine existenzsichernde Funktion kaum zu erfüllen. Ein zusehends wachsender Anteil der Bevölkerung war zum Zwecke der Existenzsicherung auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen.8 Büßte der Einzelne seine Arbeitskraft durch Unfall, Krankheit oder Invalidität ein oder verlor er durch Arbeitslosigkeit die Möglichkeit, von ihr Gebrauch zu machen, stand er vor dem Nichts; die breite Mehrheit der Arbeiter war weit davon entfernt, sich aus eigener Kraft gegen diese Gefahren absichern zu können.9 Diesem Umstand begegnete der Gesetzgeber 1883 mit der Schaffung einer ersten Krankenversicherung;10 der gewährte Schutz wurde nach und nach zu einer umfassenden Sozialversicherung weiterentwickelt. Die essentielle Bedeutung der Sozialversicherung für weite Teile der Bevölkerung führte dazu, dass Rolf Stödter schon unter der Geltung des Art. 153 WRV für die Erfassung subjektiver öffentlicher Rechte durch den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff plädierte.11 Weitere Anhänger fand diese Forderung zur Weimarer Zeit allerdings noch nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Grundeigentum zu großen Teilen entzogen und bewegliches Eigentum vieler Menschen, insbesondere der Flüchtlinge und Vertriebenen, vernichtet war, wuchs die Zustimmung zu einer Erstreckung des Eigentumsbegriffes auf subjektive öffentliche Rechte jedoch rasch.12

5

Anschütz, Art. 153 WRV, Nr. 2. Martin Wolff, FG Wilhelm Kahl, S. 3 ff., Berlin, 1923; Heinrich Triepel, Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, Berlin, 1924 (beide zitiert nach Stolleis, Der Schutz der Vermögensrechte, S. 111, Fn. 44). 7 RGZ 102, 161, 165; RGZ 102, 200, 201; RGZ 105, 251, 253; RGZ 109, 310, 319. 8 Kruse/Kruse, SozVers 2003, 225, 225. 9 Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 71; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 62. 10 Krankenversicherungsgesetz von 1883, RGBl. 1883, Nr. 9, S. 73 ff. 11 Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 158 ff. 12 Wannagat, FS Peters, S. 171, 174. 6

§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte

27

B. Die Dogmatik der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts I. Die ersten Schritte: kritische Zurückhaltung, aber keine generelle Ablehnung Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit der Frage, ob ein subjektives öffentliches Recht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fallen könne, erstmalig in seiner Entscheidung über das Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens13 zu befassen14. Der Entscheidung lagen Verfassungsbeschwerden gegen eine Regelung zugrunde, die vorsah, dass die Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister kraft Gesetzes erlosch, sobald der Bestellte ein bestimmtes Alter erreichte. Die Richter wiesen dabei zunächst auf die damals herrschende Auffassung hin, die subjektiven öffentlichen Rechten einen Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG generell absprach; sie schlossen sich ihr indes nicht an.15 Unter gedanklicher Einbeziehung der Figur des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes untersuchte der Senat vielmehr, ob der Position der Bezirksschornsteinfegermeister eine schützenswerte eigene Leistung zugrunde läge.16 Dies wurde verneint: Die Leistung der Bezirksschornsteinfegermeister erschöpfe sich darin, sich nach dem Ablegen der Meisterprüfung in eine Anwärterliste eintragen zu lassen und sich, sobald sie „an der Reihe“ seien, durch staatlichen Verwaltungsakt einen Kehrbezirk zuteilen zu lassen. Die von den Bezirksschornsteinfegern erworbenen Positionen genössen daher keinen Eigentumsschutz.17 Eine Ablehnung des Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte in toto erfolgte damit aber – anders als teils behauptet18 – nicht.19 Im Gegenteil deutete sich in der Entscheidung bereits die Entwicklung eines später verwendeten Kriteriums an – das der persönlichen Eigenleistung. Deutlich ablehnender hinsichtlich eines Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte fiel die Entscheidung vom 1. Juli 195320 aus, in der das Gericht im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG mit der Frage der Verfassungskonfor-

13

Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens vom 30. April 1952, BGBl. I, S. 75. BVerfGE 1, 264 ff. 15 BVerfGE 1, 264, 277. 16 BVerfGE 1, 264, 277 f. 17 BVerfGE 1, 264, 279. 18 Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 96 f.; Hebeler, Generationengerechtigkeit, S. 96; BK-Kimminich, Art. 14, Rn. 65. 19 Explizit lehnt das BVerfG (E 1, 264, 278 f.) lediglich ab, den Eigentumsschutz auf eine solche vorwiegend durch das öffentliche Recht gewährte Rechtsposition zu erstrecken, „der alle den Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale fehlen.“ Tatsächlich dürfte auch nach heute herrschender Auffassung die in der Entscheidung betroffene Rechtsposition nicht als eigentumsgeschützt eingestuft werden. 20 BVerfGE 2, 380 ff. 14

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

mität des Gesetzes über das Beanstandungsrecht in Haftentschädigungssachen21 konfrontiert wurde. Eine durchgehend ablehnende Haltung nahm das Bundesverfassungsgericht aber auch in dieser Entscheidung nicht ein. Gleich zu Beginn der Prüfung einer Verletzung der Rechte aus Art. 14 GG wurde festgestellt, dass vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts „grundsätzlich“ nicht dem Schutzbereich der Eigentumsfreiheit zuzuordnen seien22. Ausnahmen wurden demnach für möglich gehalten. Im Anschluss allerdings ermittelte das Gericht die Reichweite des Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG durch eine Bezugnahme auf Art. 153 WRV: Unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung habe man lediglich private Vermögensrechte eigentumsrechtlich geschützt; selbst dagegen hätten sich bis zuletzt namhafte Autoren ausgesprochen.23 Als Ausgleich für die Ausdehnung des Eigentumsbegriffes auf sämtliche private Vermögensrechte habe unter der Weimarer Reichsverfassung die Möglichkeit bestanden, geschützte Rechtspositionen zu entziehen, ohne dafür eine Entschädigung leisten zu müssen.24 Der Grundgesetzgeber habe diesen Ausgleich mit Art. 14 Abs. 3 GG, der eine entschädigungslose Enteignung ausschließt, beseitigt, obwohl ihm die Situation zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassungs bekannt gewesen sei.25 Das bedeute aber, dass sich eine Auslegung des Eigentumsbegriffs des Art. 14 Abs. 1 GG eher in einem engeren Rahmen zu halten habe als bei Art. 153 WRV; jedenfalls dürfe der Eigentumsschutz keinesfalls weiter reichen als vor Einführung des Grundgesetzes.26 Nach dieser deutlich zurückweisenden Argumentation zeigte sich das Bundesverfassungsgericht dann aber doch noch zugänglich, indem es auf die Möglichkeit eines Bedeutungswandels einer Verfassungsbestimmung hinwies. Die Voraussetzungen für einen solchen Bedeutungswandel als Grundlage einer Einbeziehung subjektiver öffentlicher Rechte in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG verneinte es im Weiteren allerdings.27 Im Anschluss schwenkte das Gericht wieder auf seine zuvor verfolgte Linie pauschaler Ablehnung ein: Art. 14 GG diene allein dem „Schutz der privaten Sphäre“ vor hoheitlichen Eingriffen und könne daher Positionen des öffentlichen Rechts nicht erfassen.28 Eine extensive Handhabung des Schutzbereiches des Art. 14 Abs. 1 GG führe dazu, dass der Gesetzgeber eine einmal eingeräumte öffentlich-rechtliche Position später nicht entschädigungslos entziehen könne und dadurch in Reformbemühungen blockiert werde; eine derartige Blockade bedürfe jedoch einer „ausdrücklichen und unzweideutigen“ Niederlegung im Grundgesetz.29 Nach dieser Aussage erfolgte indes ohne jede Not der Hinweis, es sei hier nicht zu prüfen, ob „öffentlich-rechtliche Ansprüche denkbar sind, die so starke pri21 22 23 24 25 26 27 28 29

GVBl. S. 105. BVerfGE 2, 380, 399. BVerfGE 2, 380, 399 f. BVerfGE 2, 380, 400. BVerfGE 2, 380, 400. BVerfGE 2, 380, 400. BVerfGE 2, 380, 401. BVerfGE 2, 380, 401. BVerfGE 2, 380, 402.

§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte

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vatrechtliche Elemente enthalten, dass sie dem verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums zugeordnet werden müssen“.30 Diese abrundende Äußerung zum Abschluss der Prüfung des Art. 14 GG bringt es mit sich, dass auch die Entscheidung vom 1. Juli 1953 zumindest nicht als pauschale Ablehnung eines Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte eingestuft werden kann. II. Ausdrückliche Anerkennung der Möglichkeit eines Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG Die in der zuletzt erwähnten Entscheidung noch offen gelassene Frage, ob öffentlich-rechtliche Ansprüche vorstellbar seien, die eine so starke privatrechtliche Prägung aufweisen, dass sie dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zuzuordnen sind,31 griff das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 21. Juli 195532 wieder auf. Es beantwortete die Frage dahingehend, dass ein solcher Anspruch dann vorliege, wenn er dem Anspruchsinhaber eine Rechtsposition verschaffe, die der des Eigentümers so ähnelt, dass Art. 14 GG Anwendung finden müsse.33 Mit dem Aufstellen des Kriteriums der Eigentumsähnlichkeit bekannte sich das Bundesverfassungsgericht erstmals ausdrücklich zur Möglichkeit eines Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte. Eine geringfügige Konkretisierung erfuhr das recht vage Merkmal der „Eigentumsähnlichkeit“ im Beschluss vom 7. Mai 196334 : Es könne nicht darauf ankommen, dass das betroffene Recht stark privatrechtlich geprägt sei, sondern vielmehr müsse die Position „so stark sein, dass es nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes als ausgeschlossen erscheint, dass der Staat sie ersatzlos entziehen kann“.35

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BVerfGE 2, 380, 402. BVerfGE 2, 380, 402. 32 BVerfGE 4, 219 ff.; fraglich war hier, ob die einem Verwaltungsjuristen erteilte Zusicherung, er werde im Falle der Beendigung seines derzeitigen Beschäftigungsverhältnisses im öffentlichen Dienst weiterbeschäftigt, den Schutz des Art. 14 GG genießt. 33 BVerfGE 4, 219, 241. 34 BVerfGE 16, 94 ff.; das Bundesverfassungsgericht hatte hier über die Verfassungskonformität des § 53 G131 (BGBl. 1953/I, S. 1288 ff.) zu befinden, der die Berechtigung von Berufssoldaten zum Bezug von Versorgungsleistungen betraf. Während zuvor all diejenigen berechtigt waren, die bis zum 8. Mai 1945 als Berufssoldat tätig gewesen sind, stand nach der angegriffenen Regelung nur noch den Personen ein Anspruch zu, die bereits vor dem 8. Mai 1935 berufsmäßig Wehrdienst geleistet hatten; Berufssoldaten mit weniger als zehn Dienstjahren entzog die Vorschrift demnach schon bestehende Versorgungsansprüche. 35 BVerfGE 16, 94, 111 f. 31

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III. Erstmalige Erwähnung des Merkmals des Beruhens auf einer Eigenleistung Ihre Fortsetzung fand die Entwicklung der Dogmatik der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte in der Entscheidung vom 11. Oktober 196236. Der erkennende Senat hatte hier über die Verfassungskonformität des Art. 2 § 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 23. Februar 1957 (ArVNG)37 zu befinden. Die zu prüfende Regelung schloss all die Personen von der Möglichkeit der freiwilligen Selbstversicherung aus, die bis zum 31. Dezember 1955 noch keinen Rentenbeitrag geleistet hatten. Diese Gruppe ließ sich wiederum unterteilen: Zum einen betraf die Neuregelung diejenigen, die beim Inkrafttreten des ArVNG im Februar 1957 noch gar keinen Beitrag geleistet hatten; ihnen ging die Möglichkeit verloren, durch Beitragsleistungen Rentenansprüche begründen zu können. Zum anderen waren diejenigen betroffen, die zwischen dem 1. Januar 1956 und dem Inkrafttreten des ArVNG im Februar 1957 bereits Beiträge geleistet hatten; sie durften die freiwillige Selbstversicherung nicht fortsetzen. Die schon erbrachten Beiträge konnten zurückgefordert oder stehen gelassen werden. Beide verlorenen Positionen fasste das Bundesverfassungsgericht dahingehend zusammen, dass durch das ArVNG den Betroffenen die Berechtigung zum Erwerb von Ansprüchen gegen den Rentenversicherungsträger genommen worden sei. Dieser Erwerbsmöglichkeit gestand der Senat keinen Eigentumsschutz zu.38 Begründet wurde dies unter Heranziehung eines Kriteriums, das auch heute noch bei der Beantwortung der Frage nach der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte Verwendung findet: Die genannte Möglichkeit beruhe allein auf staatlicher Gewährung, nicht aber auf eigener Leistung der Betroffenen.39 Klang das Merkmal des Beruhens des betroffenen Rechts auf einer eigenen Leistung in der Entscheidung vom 30. April 1952 schon leise an, so wurde es hier erstmals ausdrücklich als Voraussetzung eines eigentumsrechtlichen Schutzes genannt. IV. Eine Vielzahl neuer Aspekte: das abweichende Votum der Richterin Rupp-von Brünneck Einen „Meilenstein“40 in der Entwicklung der Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte stellt die abweichende Meinung der Richterin Ruppvon Brünneck zur Entscheidung des Ersten Senats vom 10. Oktober 197141 dar. Fraglich war hier die Verfassungskonformität des deutsch-österreichischen Ausgleichs-

36 37 38 39 40 41

BVerfGE 14, 288 ff. BGBl. 1957/I, S. 45 ff. BVerfGE 14, 288, 293. BVerfGE 14, 288, 295. Söllner, FS Geiger, S. 262, 263. BVerfGE 32, 129 ff.

§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte

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vertrages vom 27. November 196142. Durch den Vertrag wurden solchen Personen Lastenausgleichsansprüche gegen die Bundesrepublik entzogen, die zu einem bestimmten Stichtag in Österreich ansässig waren. Das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Schutz der Lastenausgleichsansprüche aus Art. 14 GG ab.43 Dagegen wandte sich Rupp-von Brünneck:44 Die einst geäußerte Befürchtung, eine starke Ausdehnung des Schutzbereiches der Eigentumsgarantie führe zur Blockierung des Gesetzgebers,45 hielt sie für unbegründet; es seien durchaus Abstufungen im Niveau des Eigentumsschutzes denkbar. Als das Schutzniveau beeinflussende Faktoren kämen dabei in Betracht der Grad, in dem ein Anspruch auf staatlicher Gewährung oder privater Leistung beruht, das Ausmaß, in welchem eine eventuelle staatliche Gewährung durch das Sozialstaatsprinzip vorgegeben ist, aber auch, ob eine erbrachte Leistung ein einmaliges Ereignis oder eine Dauerbelastung darstellt.46 Ganz ähnliche Gedanken spielen noch heute eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob eine gesetzgeberische Maßnahme als eine Inhalts- und Schrankenbestimmung eines subjektiven öffentlichen Rechts oder als ein rechtswidriger Eingriff in dieses einzustufen ist. Es wurde von Rupp-von Brünneck ferner zu bedenken gegeben, dass eine strikte Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht, wie sie das Bundesverfassungsgericht aufrecht zu erhalten versuche, überholt sei; sie verkenne die zunehmende Bedeutung der staatlichen Daseinsvorsorge in vielen Lebensbereichen.47 Zudem werde mit dem Streben nach einer strikten Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht nicht beachtet, dass, wenn die Eigentumsgarantie dem Schutz der Freiheit durch die Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung diene, sie auch solche öffentlichrechtlichen Ansprüche zu beinhalten habe, „auf die der Bürger in seiner wirtschaftlichen Existenz zunehmend angewiesen“ sei.48 An dieser Stelle wurde bereits der Grundstein für das Kriterium der Existenzsicherung gelegt, das erst wesentlich später in die Rechtsprechung aufgenommen wurde49.

V. Versorgungsausgleich I – das Aufstellen konkreter Voraussetzungen für einen Eigentumsschutz Endgültig Anerkennung fand die Möglichkeit eines Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Versorgungsausgleich (§§ 1587 ff. BGB)50 vom 28. Februar 198051. Fraglich 42 43 44 45 46 47 48 49 50

BGBl. 1962/II, S. 1041. BVerfGE 32, 111, 128. BVerfGE 32, 129, 142. BVerfGE 2, 380, 402. BVerfGE 32, 129, 143. BVerfGE 32, 129, 142. BVerfGE 32, 129, 142. BVerfGE 69, 272 ff. Eingeführt durch das 1. EheRG, BGBl. 1976/I, S. 1421 ff.

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war hier insbesondere, ob Versichertenrenten und Rentenanwartschaften in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fallen und, sollte dies der Fall sein, ob die Vorschriften zum Versorgungsausgleich verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmungen darstellen. Die hier zunächst interessierende Frage nach dem „Ob“ des Eigentumsschutzes bejahte das Gericht.52 In einem ersten Schritt lehnten sich die Richter dabei an die in der Entscheidung vom 21. Juli 1955 geprägte Formel an,53 Eigentumsschutz sei jedenfalls dann zu gewähren, wenn der Inhaber des in Frage stehenden Anspruches eine Position innehabe, die der des Eigentümers so stark ähnele, dass Art. 14 GG Anwendung finden müsse.54 Anschließend machte sich der Senat die erwähnte abweichende Meinung Rupp-von Brünnecks55 zu eigen: Die Mehrheit der Bevölkerung trage dem Erfordernis wirtschaftlicher Existenzsicherung nicht mehr durch das Vorhalten privaten Sachvermögens, sondern durch die Daseinsvorsorge Rechnung. Ansprüche im Rahmen der Rentenversicherung seien insofern Ersatz privater Vorsorge geworden.56 An die Erkenntnis dieser Substitution anknüpfend, wurde im Weiteren festgestellt, dass die rentenrechtlichen Ansprüche der Versicherten die wesentlichen Merkmale des Eigentums im Sinne des Art. 14 GG aufwiesen.57 Sodann entwarf das Gericht erstmals klare Voraussetzungen für einen eigentumsrechtlichen Schutz subjektiver öffentlicher Rechte: Als erstes der zu erfüllenden Merkmale wurde die Privatnützigkeit der betroffenen Rechtsposition genannt. Unter ihr sei zu verstehen „die Zuordnung zu einem Rechtsträger, in dessen Hand es [das Eigentum, M.M.] als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen privaten Interesse von Nutzen sein soll.“58 Ein weiteres Merkmal sei die grundsätzliche Verfügungsbefugnis, die sich jedoch nicht stets klar von der Privatnützigkeit unterscheiden lasse.59 Schließlich wurde als Merkmal des verfassungsrechtlichen Eigentums das schon bekannte Kriterium des Beruhens der Rechtsposition auf eigener Leistung herangezogen.60 Diesbezüglich stellte das Gericht klar, dass Anspruch und Eigenleistung nicht etwa deckungsgleich sein müssen, dass aber der „personale Bezug“ als ein den Eigentumsschutz tragender Grund umso stärker ausfalle, je höher der Anteil eigener Leistung am Gesamtanspruch anzusetzen sei.61 Hierdurch

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

BVerfGE 53, 257 ff. BVerfGE 53, 257, 289. BVerfGE 4, 219, 241. BVerfGE 53, 257, 289. BVerfGE 32, 129 ff. BVerfGE 53, 257, 290. BVerfGE 53, 257, 290. BVerfGE 53, 257, 290. BVerfGE 53, 257, 290. BVerfGE 53, 257, 291. BVerfGE 53, 257, 292.

§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte

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wurde ein divergierendes Niveau des eigentumsrechtlichen Schutzes anerkannt, wie es zuvor schon Rupp-von Brünneck angedacht hatte62. VI. Die Vervollständigung der Voraussetzungen durch das Merkmal der Existenzsicherung Die Rechtsprechung, nach der ein subjektives öffentliches Recht Eigentumsschutz genießt, wenn es privatnützig ist, die grundsätzliche Verfügungsbefugnis beim Anspruchsinhaber liegt und der Anspruch außerdem auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung beruht, fand ihre Vollendung in der Entscheidung vom 16. Juli 198563. Aus dem in der Vergangenheit schon vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Argument, es sei nicht möglich, öffentlich-rechtlichen Ansprüchen den Schutz der Eigentumsfreiheit völlig vorzuenthalten, da die Mehrzahl der Bürger sich nicht mehr über das Vorhalten privaten Sachvermögens, sondern durch die Sozialversicherung sichere,64 leitete der Erste Senat zusätzlich die Forderung ab, die betroffene Rechtsposition müsse der Existenzsicherung dienen.65 Dabei sei nicht die existenzsichernde Funktion des betroffenen Rechts im Einzelfall ausschlaggebend, sondern es komme vielmehr darauf an, ob die Zielsetzung einer gewährten Leistung existenzsichernder Natur sei.66 Damit waren die – noch heute gültigen67 – Voraussetzungen für einen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vollständig: Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist eröffnet, wenn das betroffene Recht seinem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes privatnützig zugeordnet ist, auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung beruht und der Existenzsicherung dient.

C. Die Dogmatik der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte in der Rechtslehre Die Entwicklung der Voraussetzungen für einen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte fand natürlich nicht isoliert in der Rechtsprechung statt. Der Anstoß 62

BVerfGE 32, 129, 143. BVerfGE 69, 272 ff.; in der Entscheidung ging es um die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 27. Juni 1977 (BGBl. I, S. 1069 ff.), durch das eine beitragsfreie Krankenversicherung von Rentnern zusätzlichen Voraussetzungen unterworfen wurde. 64 BVerfGE 32, 119, 142; BVerfGE 40, 65, 84; BVerfGE 53, 257, 290. 65 BVerfGE 69, 272, 303 f. 66 BVerfGE 69, 272, 303 f. 67 BVerfGE 70, 101, 110; BVerfGE 72, 9, 18 f.; BVerfGE 97, 271, 284; BVerfGE 100, 1, 34 ff.; BVerfGE 112, 368, 396. 63

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

für diese Entwicklung ging vielmehr von der Rechtslehre aus: Die Diskussion um eine Einbeziehung subjektiver öffentlicher Rechte in den Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie begann in der Literatur – wie erwähnt68 – bereits zur Weimarer Zeit. Auch zur Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Positionen in den Schutzbereich des Art. 14 GG wurden alsbald Schriften verfasst.69 Als grundlegend in dieser Hinsicht muss ein Beitrag Günter Dürigs aus dem Jahr 1958 bezeichnet werden.70 Alle nachfolgend zum Thema verfassten Beiträge weisen einen starken Bezug zu der darin verwendeten Argumentation auf.71 Dürig geht von der Normierung eines Wertesystems im Grundgesetz aus, an dessen Spitze die Menschenwürde steht. Sie genieße lückenlosen Schutz und sei auf das Engste mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit verbunden. Damit werde das eigenverantwortliche Tätigwerden des Einzelnen dem Schutz der Verfassung unterstellt. Eigenverantwortliches Tätigwerden zu schützen, sei aber sinnlos, wenn nicht auch dessen Erträge Schutz genössen; ob die Erträge Positionen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts seien, dürfe dabei keinen Unterschied machen. Folglich sei all denjenigen subjektiven öffentlichen Rechten der Schutz der Eigentumsgarantie zuzugestehen, die sich als Äquivalent eigener Leistung darstellten.72 Die Voraussetzungen, unter denen subjektiven öffentlichen Rechten in der Literatur ein Eigentumsschutz zugestanden wurde, differierten jedoch gerade in der Vergangenheit stark: Einige Autoren stellten für die Eröffnung des Schutzbereichs für öffentlich-rechtliche Positionen ausschließlich auf das Merkmal der Privatnützigkeit ab, gewährten also zunächst einen Schutz von enormer Reichweite. Auf der Ebene der Inhalts- und Schrankenbestimmungen erfährt dieser aber wiederum eine deutliche Verkürzung, indem ein gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, der umso größer ist, je weniger sich eine Position als Äquivalent eigener Leistung erweist oder je weniger sie zur Existenzsicherung beiträgt.73 Nach anderer Ansicht sollte die Frage nach dem Eigentumsschutz durch den Einsatz einer Abgrenzungstechnik zu beantworten sein, die danach fragt, ob eine Leistung insoweit final bestimmt ist, als sie aufgrund der gegenwärtigen, verbesserungsbedürftigen Lage des Berechtigten erfolgt, oder ob sie kausal, nämlich aufgrund eines in der Vergangenheit liegenden Ereignisses, das durch die Leistungsgewährung ausgeglichen werden soll, gewährt wird. Dabei wollte man allein die kausal bestimmten, nicht aber die Ansprüche mit finaler Zwecksetzung den Schutz der Eigentumsgarantie genießen lassen.74 68

Siehe oben 2. Teil, § 1, A. Haas, MDR 1952, 648 ff.; Ipsen, JZ 1953, 663 f.; Dürig, JZ 1954, 4 ff.; Forsthoff, NJW 1955, 1249 ff.; Scheuner, DÖV 1956, 575 f. 70 Dürig, FS Apelt, S. 13 ff. 71 Selbst jüngst noch auf Dürigs Argumentation Bezug nehmend: Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 41. Im Einzelnen zur Entwicklung in der Rechtslehre: Andersen, Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffes, S. 21 ff.; Krause, Eigentum, S. 17 ff. 72 Dürig, FS Apelt, S. 13, 41. 73 v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 162, 183 f. 74 Bulla, DVBl. 1972, 529, 531. 69

§ 1 Die bisherige Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte

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Teils wurde ein Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte davon abhängig gemacht, dass das Substrat des betroffenen Anspruches sich als individueller Anteil am Volksvermögen darstellt.75 Teils wurde auch geprüft, ob der fragliche öffentlichrechtliche Anspruch eine Funktion des Eigentumsgrundrechts erfüllt, die ohne ihn unerfüllt bliebe. Treffe dies zu, dann sei Art. 14 GG analog anzuwenden.76 Heute macht sich die überwiegende Mehrheit derer, die einen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte im Grundsatz befürworten, die Formel des Bundesverfassungsgerichts zu eigen, nach der es für einen Schutz durch Art. 14 GG einer vermögenswerten Rechtsposition bedarf, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger privatnützig zugeordnet ist, auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung beruht und der Existenzsicherung dient77. Mag die Frage nach den Voraussetzungen für einen eigentumsrechtlichen Schutz subjektiver öffentlicher Rechte für die Rechtslehre damit auf den ersten Blick als im Wesentlichen geklärt angesehen werden, so wird bei genauerer Betrachtung doch offenbar, dass die Klarheit, die durch die Möglichkeit geschaffen wird, Sachverhalte unter diese einprägsame Formel zu subsumieren, nur eine scheinbare ist.78 Denn auch in der Gruppe der Autoren, die sich der Formel der Rechtsprechung bedienen, gehen die Ansichten zu den Voraussetzungen eines Eigentumsschutzes für subjektive öffentliche Rechte teils noch stark auseinander. Die Abweichungen reichen von unterschiedlichen Auffassungen bezüglich dessen, was konkret unter den einzelnen Merkmalen, die in der genannten Formel vereint sind, zu verstehen ist,79 bis hin zur Ablehnung einzelner Merkmale80 oder der Forderung nach der Einbeziehung weiterer Merkmale81. Festzuhalten ist aber, dass trotz verbreiteter Ablehnung und Skep-

75

Forsthoff, NJW 1955, 1249, 1250. Krause, Eigentum, S. 48 f. 77 So etwa Appel, DVBl. 2005, 340, 347; Bieback, ZSR 2000, 779, 788 f.; Butzer, FS Isensee, S. 667, 673; Epping, Grundrechte, Rn. 403 ff.; Gohla, Risikostrukturausgleich, S. 221; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 444; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 910; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 146; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 52 ff.; Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 211 f. 78 So auch Leisner, HStR VI, § 149, Rn. 120. 79 So sieht etwa Ossenbühl, FS Zeidler, S. 625, 631 das Merkmal der Existenzsicherung als bloßes Abgrenzungskriterium, nicht aber als konstitutives Element eines Eigentumsschutzes. 80 Vgl. etwa zum Verzicht auf das Merkmal der Eigenleistung Meyer, Armutsfestigkeit, S. 115; Paptistella, Eigentum und eigene Leistung, insb. S. 70-95; kritisch diesbezüglich auch Meyer-Abich, S. 50 f. sowie Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 131, 133 ff. Am Fortbestand des Merkmals der Privatnützigkeit zweifelt Stolleis, Der Schutz der Vermögensrechte, S. 120 f. Auf das Merkmal der Existenzsicherung wollen verzichten Herzog, NZA 1989, 1, 3; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 165 ff. Das Kriterium der Zuordnung nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts für nicht stets maßgeblich hält Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 49 ff. 81 So stellt etwa Sachs-Wendt, Art. 14, Rn. 29 die Forderung nach einem „qualifizierten normativen Zugehören“ auf. 76

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

sis in der Vergangenheit82 heute die grundsätzliche Bejahung der Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte als fast einhellige Auffassung bezeichnet werden kann; gegenteilige Ansichten werden so gut wie nicht mehr vertreten.83 Obwohl demnach von der Existenz einer einheitlichen Dogmatik zur Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte nicht die Rede sein kann, soll in dieser Untersuchung auf Grundlage der ganz herrschenden Meinung gearbeitet werden, derzufolge ein subjektives öffentliches Recht – wie erwähnt – dann den Schutz der Eigentumsgarantie innehat, wenn es sich um eine vermögenswerte Rechtsposition handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts ihrem Rechtsträger privatnützig zugeordnet ist, auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung beruht und der Existenzsicherung dient.

D. Der praktische Nutzen eines eigentumsrechtlichen Schutzes für subjektive öffentliche Rechte Bevor es an die Erörterung der Frage geht, ob Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente einen eigentumsrechtlichen Schutz genießen oder nicht, soll ein Blick auf die Auswirkungen geworfen werden, welche eine Entscheidung in die eine oder in die andere Richtung mit sich bringt. Sollte ein Schutz aus Art. 14 GG ausscheiden, hieße das nicht etwa, dass Anwartschaften und Ansprüche auf Witwenoder Witwerrente schutzlos gestellt sind: Ihnen bliebe zumindest noch der Schutz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie des „Auffanggrundrechts“ Art. 2 Abs. 1 GG84, in dessen Rahmen sich gesetzgeberische Eingriffe insbesondere am allgemeinen Vertrauensschutz-85 sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen müssen. Fraglich ist insoweit, ob ein Schutz aus Art. 14 GG in der Praxis über den aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt hinausgeht. So eindeutig das Ergebnis aus grundrechtstheoretischer Sicht auch für ein Mehr an Schutz im Rahmen des Art. 14 GG ausfallen müsste,86 so unterschiedlich sind doch die Ansichten zur praktischen Auswirkung einer Einbeziehung subjektiver öffentli82 Andersen, Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffes, S. 199; H. Bogs, RdA 1973, 26, 30; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 19; Meydam, Eigentumsschutz, S. 88 f.; Nicolaysen, FS Schack, S. 107, 109 f.; Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, S. 26, 31; Stolleis, Der Schutz der Vermögensrechte, S. 104, 121 ff.; Wertenbruch, FG Küchenhoff, S. 343, 353; ders., DÖV 1969, 593, 599; Zacher, DÖV 1970, 3, 9; Zimmer, DÖV 1963, 81, 83. 83 Abgelehnt wird ein Eigentumsschutz lediglich von Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 434 f.; Mangoldt/Klein/Starck-ders., Art. 14, Rn. 69 ff.; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 235 ff. 84 Steiner, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 525, 537 spricht von Art. 2 Abs. 1 GG als der „Notadresse des Grundrechtsschutzes“. 85 H. Bogs, FS Zacher, S. 65, 68; Butzer, Fremdlasten, S. 525; Papier, SGb 1994, 105, 108. 86 Butzer, FS Isensee, S. 667, 673.

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cher Rechte in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. Teils wird vertreten, es „liege auf der Hand“, dass Einschnitte in Positionen, die nicht dem Eigentumsschutz unterfallen, problemloser seien als Eingriffe in eigentumsgeschützte Rechte;87 teils ist man der Auffassung, der Eigentumsschutz bleibe ohne praktische Relevanz,88 er sei ein Danaergeschenk89. Überwiegend wird der Schutz aus Art. 14 GG als relativ schwach eingestuft,90 ihm komme lediglich Symbolwert zu91. Insbesondere in Bezug auf rentenrechtliche Positionen wird oft darauf hingewiesen, die Einbeziehung in die Eigentumsgarantie halte in der Praxis nicht, was sie in der Theorie verspreche.92 Tatsächlich ist bis heute kaum eine gesetzgeberische Maßnahme wegen Verstoßes gegen die unter so großem Aufwand von Rechtsprechung und Literatur auf sozialversicherungsrechtliche Positionen erstreckte Eigentumsgarantie für verfassungswidrig befunden worden.93 Die wenigen Ausnahmen94 betreffen zudem Randbereiche. Einige Autoren gehen daher dazu über, weniger Wert auf den „grundrechtlichen Einstieg“ zu legen,95 sondern das Augenmerk stattdessen auf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze wie Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit zu konzentrieren.96 Ein derartiger dogmatischer Rückzug von Positionen, die im Hinblick auf die Versichertenrenten schon erlangt sind und die – was zu prüfen sein wird – möglicherweise auch den Witwen- und Witwerrenten zustehen, verdient indes keine Zustimmung. Der Unterschied zwischen einem Schutz aus Art. 14 GG und einem solchen aus Art. 2 Abs. 1 GG darf nicht unterschätzt werden. Denn sollte sich im Verlauf dieser Untersuchung herausstellen, dass Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente einen Eigentumsschutz genießen, so ist diese Feststellung selbst für den Fall lohnend, dass dem Eigentumsschutz für die Praxis lediglich der erwähnte Symbolwert attestiert werden kann. Allein dieser Symbolwert bewirkt einen intensiveren 87

Mey, DAngVers 2004, 546, 546. Papier, SGb 1987, 469, 469; Rüfner, Differenziertheit, S. 169, 179 (allerdings unter Ausnahme der Rentenversicherung); Stober, SGb 1989, 53, 59; Thieme, FS Wannagat, S. 599, 610. 89 Leisner, FS Obermayer, S. 65, 68. 90 Bieback, ZSR 2000, 779, 793; Diemer, VSSR 1982, 325, 343; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 220 f.; Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 198 f.; ders., SGb 1982, 305, 305; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096. 91 Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 441; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 340; Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, S. 31; lediglich von einem „grundrechtsdogmatischen Achtungserfolg“ im Falle des Zuerkennens von Eigentumsschutz spricht Steiner, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 525, 534. 92 v. Brünneck, JZ 1990, 992, 996; Papier, DRV 2001, 350, 350; ders., FS Leisner, S. 721, 722; ders., SGb 1987, 469, 469; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 340; Stober, SGb 1989, 53, 63. 93 Ebenso Axer, FS Isensee, S. 965, 971. 94 BVerfGE 72, 9, 18; BVerfGE 74, 203, 214; BVerfGE 100, 1, 31 ff.; BVerfGE 100, 138, 182 f. 95 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680. 96 So Diemer, VSSR 1982, 325, 343; Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680. 88

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Schutz, indem er für den Gesetzgeber eine Grenze möglicherweise nicht rechtspraktischer, wohl aber politisch-psychologischer97 Art schafft.98 Darüber hinaus, insoweit scheint Einigkeit zu bestehen,99 wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für Positionen, die dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen, enger. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz bringt „konkretere und deutlicher konturierte Maßstäbe einer verfassungsrechtlichen Beurteilung [mit sich, M.M.] als der Rückgriff auf allgemeine Grundsätze der Verfassung […], so daß seine Anwendung nicht nur ein höheres Maß an Schutz, sondern auch an Rechtsgewissheit gewährleistet.“100 So wird der Gesetzgeber zu einer Prüfung der kollidierenden Interessen und ihres jeweiligen Stellenwertes gezwungen, die sorgfältiger und nachvollziehbarer zu sein hat,101 als sie es im Falle eines Schutzes allein aus Art. 2 Abs. 1 GG sein müsste. Ungeachtet der Frage, inwieweit der Gesetzgeber auf diese Einengung tatsächlich Rücksicht nimmt, resultiert aus ihr außerdem die Möglichkeit einer klareren und bestimmteren verfassungsgerichtlichen Überprüfung als im Falle eines Schutzes „nur“ über Art. 2 Abs. 1 GG.102 Nicht außer Acht gelassen werden darf schließlich der Umstand, dass das System der gesetzlichen Rentenversicherung gegenwärtig hohem demographischen Druck ausgesetzt ist: Eine sinkende Anzahl von beitragspflichtigen Versicherten mit zudem nur langsam steigenden, stagnierenden oder sogar zurückgehenden Löhnen und Gehältern steht einer wachsenden Anzahl leistungsberechtigter Versicherter mit stetig zunehmender Lebenserwartung und damit längerer Leistungsbezugsdauer gegenüber. Dieser demographische Druck wird künftig zunehmen. Damit wird auch das Begehren des Gesetzgebers, auf rentenrechtliche Positionen zuzugreifen, wachsen. Gerade für die Witwen- und Witwerrenten lässt die schon erwähnte Vielzahl von Reformvorschlägen103 ein rechtsverkürzendes Tätigwerden des Gesetzgebers in nicht allzu ferner Zukunft vermuten. Dieser Umstand macht es wahrscheinlich, dass die Formel des Bundesverfassungsgerichts „Der Gesetzgeber ist bei der Bestimmung von Inhalt und Grenzen eigentumsrechtlich geschützter Positionen nicht gänzlich frei“104, eines Tages keineswegs mehr „nichtssagende Floskel“105 ist, sondern das Aufzeigen der Grenzen gesetzgeberischer Eingriffsmöglichkeiten hinsichtlich rentenrechtlicher Positionen einleitet. Die Frage nach dem „Ob“ eines eigentumsrecht97

Butzer, FS Isensee, S. 667, 685; Papier, DRV 2001, 350, 352. Gegen die Zuerkennung eines Eigentumsschutzes zum Zwecke der Nutzung dieses Symbolwertes als „verbale Aufwertung“ einer Position: Rüfner, Differenziertheit, S. 169, 187. 99 Vgl. etwa Bredt, DVBl. 2006, 871, 875; Hinz, SozVers 1988, 281, 287. 100 BVerfGE 53, 257, 294. 101 v. Brünneck, JZ 1990, 992, 996; Herzog, NZA 1989, 1, 3; Meyer, Armutsfestigkeit, S. 118; Rohwer-Kahlmann, SGb 1980, 325, 328. 102 Badura, SGb 1984, 399; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 339. 103 Siehe dazu oben 1. Teil. 104 BVerfGE 76, 220, 238; ähnlich: BVerfGE 31, 275, 290; BVerfGE 36, 281, 293; BVerfGE 58, 81, 121; BVerfGE 75, 78, 97. 105 Stober, SGb 1989, 53, 59. 98

§ 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998

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lichen Schutzes für Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente ist daher mitnichten nur von rein dogmatischen Wert.

§ 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 und die an ihr geübte Kritik A. Darstellung der Entscheidung Das Bundesverfassungsgericht bezog zur Frage der Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten erstmals in seinem Beschluss vom 18. Februar 1998106 eindeutig Stellung. Dabei lehnte der entscheidende Erste Senat – um das Ergebnis vorwegzunehmen – eine Einbeziehung der Witwen- und Witwerrenten in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ab.107 Die Entscheidung soll im Folgenden dargestellt werden. Die Darstellung wird sich dabei nicht auf die Ausführungen beschränken, die der Erste Senat zum Eigentumsschutz der Witwen- und Witwerrenten gemacht hat. Grund ist, dass im Rahmen dieser Arbeit einerseits innerhalb der Untersuchungen zu Art. 14 GG auf Passagen der Entscheidung einzugehen sein wird, die außerhalb der gerichtlichen Erörterungen zum Eigentumsschutz liegen. Andererseits wird aber auch bei anderen als eigentumsrechtlichen Fragestellungen auf den Beschluss Bezug zu nehmen sein. I. Sachverhalt In seinem Beschluss vom 18. Februar 1998108 hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungskonformität des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes vom 11. Juli 1985 (HEZG)109 zu befinden.110 Konkret ging es um insgesamt vier Verfassungsbeschwerden zweier Ehepaare aus dem Jahr 1986.111 Das erste Ehepaar bildeten eine beamtete Lehrerin und ein Rechtsanwalt. Der Ehemann war von 1968 bis 1985 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflicht106

BVerfGE 97, 271 ff. BVerfGE 97, 271, 283 ff. 108 BVerfGE 97, 271 ff. 109 BGBl. I, S. 1450 ff. 110 Das HEZG war seit seinem Entwurfsstadium Gegenstand vertiefter Diskussion, vgl. Adamy/Koeppinghoff, VSSR 1983, 315 ff.; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Bokeloh, ZSR 1985, 276 ff.; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650 ff.; Heine, ZSR 1986, 82 ff.; Heinze, DRV 1985, 245 ff.; Helberger, DRV 1985, 69 f.; Maier, ZfS 1985, 353 ff.; Kaltenbach, DAngVers 1984, 525 ff.; Kolb, DRV 1985, 40 ff.; ders., DRV 1984, 635 ff.; Krause, DRV 1985, 254 ff.; v. Maydell, DRV 1985, 35 ff.; ders., DRV 1984, 662 ff.; Papier, DRV 1985, 272 ff.; Ruland, NJW 1986, 20 ff.; ders., JuS 1986, 75 ff.; ders., DRV 1985, 278 ff.; Schmähl, DRV 1985, 288 ff.; Wannagat, DAngVers 1985, 101 ff. 111 Kritisch zur insgesamt zwölfjährigen Verfahrensdauer, insbesondere in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679. 107

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

versichert, trat anschließend einem (damals neu errichteten) Versorgungswerk für Rechtsanwälte bei und ließ sich zugleich von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien.112 Dennoch entrichtete er weiterhin als freiwillig Versicherter die Mindestbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.113 Das andere Ehepaar setzte sich zusammen aus einer niedergelassenen Ärztin, die seit 1964 Mitglied der Bayrischen Ärzteversorgung war, und ihrem in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten Ehemann. Auf beide Ehepaare traf daher Folgendes zu: Im Falle des Vorversterbens der Ehefrau hätte der Ehemann eine Witwerpension bzw. beim zweiten Ehepaar ein Witwergeld aus der Ärzteversorgung erhalten. Eigenes Einkommen der Ehemänner hätte jeweils keine Berücksichtigung gefunden, wäre insbesondere nicht auf die Witwerpension bzw. das Witwergeld angerechnet worden. Dagegen hätte im Falle des Vorversterbens des Ehemannes die Ehefrau Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten (im Falle des ersten Ehepaares zusätzlich zum Witwengeld aus dem anwaltlichen Versorgungswerk). Eigenes Einkommen der Ehefrauen, das den Freibetrag überstiegen hätte, wäre dabei zu vierzig Prozent auf die Witwenrente angerechnet worden (§ 97 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1, Abs. 3 SGB IV i. d. F. des HEZG114). Die vier Beschwerdeführer rügten jeweils eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

II. Kein eigentumsrechtlicher Schutz für Witwen- und Witwerrenten Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hielt die Verfassungsbeschwerden zwar für zulässig, verneinte allerdings ihre Begründetheit. Ein Schutz von Ansprüchen und Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente aus Art. 14 GG sei abzulehnen.115 Es komme schon nicht in Betracht, die Ansprüche oder Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente als privatnützig zugeordnet einzustufen.116 Das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente entstehe nämlich nur dann, wenn erstens die Wartezeit erfüllt, zweitens der Versicherungsfall eingetreten und drittens zu diesem Zeitpunkt eine wirksame Ehe des Versicherten bestanden habe. Die Erfüllung der dritten Voraussetzung – das Bestehen einer wirksamen Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten – sei zwar bei verheirateten Versicherten deutlich höher als bei unverheirateten; sie bleibe gleichwohl wegen der Möglichkeit der Auflösung der Ehe oder des Vorversterbens des Ehepartners bis zum Schluss ungewiss. Daher bestehe niemals mehr als eine bloße Aussicht auf Leistung.117 112 113 114 115 116 117

Damals § 7 Abs. 2 AVG, heute § 6 Abs. 1 SGB VI. Damals § 10 Abs. 1 AVG, heute § 7 Abs. 2 SGB VI. BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. BVerfGE 97, 271, 283. BVerfGE 97, 271, 284. BVerfGE 97, 271, 284.

§ 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998

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Darüber hinaus fehle es an einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung im Hinblick auf die Hinterbliebenenversorgung.118 Anders als zum Zeitpunkt ihrer Einführung werde die Hinterbliebenenversorgung zwar heute nicht mehr durch den Reichs- bzw. heute den Bundeszuschuss, sondern durch die Beiträge der Versicherten finanziert, was § 213 SGB VI zeige.119 Dennoch sei der für eine Zurechenbarkeit erforderliche personale Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der an den Hinterbliebenen gezahlten Rente nicht gegeben. Dies liege daran, dass weder der Versicherte für „seinen“ potentiell Hinterbliebenen einen erhöhten Beitrag zahle noch der Begünstigte Beiträge zu entrichten habe, sondern die Hinterbliebenenrenten aus den Beiträgen aller Versicherten geleistet würden. Die Vorsorge für vorhandene Angehörige bleibe bei der Beitragsbemessung ebenso unberücksichtigt wie das Nichtvorhandensein vorsorgebedürftiger Angehöriger. Damit sei die Hinterbliebenenrente wesentlich vom Gedanken des sozialen Ausgleichs getragen, sie sei eine „vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung“.120 Schließlich lässt das Gericht an einigen Punkten der Urteilsbegründung Zweifel in Bezug auf die existenzsichernde Funktion der Hinterbliebenenrente anklingen.121 Seit Einführung der Anrechnungsvorschriften dienten die Witwen- und Witwerrenten nicht mehr dem Ersatz eines Teils der im Lohn des Versicherten geronnenen und durch dessen Tod verlorengegangenen Arbeitskraft, sondern zielten lediglich auf die Gewährung von Unterhaltsersatz im Falle der Bedürftigkeit ab. III. Keine Verletzung schutzwürdigen Vertrauens Im Anschluss befasst sich der Senat mit der Frage, ob die – bei Verneinung eines Schutzes aus Art. 14 GG aus der Subsidiarität hervortretenden – Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Vertrauensschutzprinzip verletzt seien; auch dies verneint er.122 Zwar sei der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit insoweit berührt, als der Gesetzgeber zum einen die Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung anordne und dadurch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Einzelnen begrenze sowie zum anderen die im Zuge dieser Zwangsmitgliedschaft im Grundsatz zugesagten Leistungen wesentlich verkürze.123 Allerdings bestehe die Möglichkeit, die allgemeine Handlungsfreiheit in den Grenzen des Art. 2 Abs. 1, 2. HS GG einzuschränken. Ziel des eingreifenden gesetzgeberischen Handelns sei die Umsetzung eines vom Grundgesetz gebotenen und vom Bundesverfassungsge-

118 119 120 121 122 123

BVerfGE 97, 271, 284. BVerfGE 97, 271, 284. BVerfGE 97, 271, 285. Siehe etwa BVerfGE 97, 271, 287 f., 291; vgl. dazu Butzer, FS Isensee, S. 667, 675. BVerfGE 97, 271, 285 ff. BVerfGE 97, 271, 286.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

richt in der Entscheidung vom 12. März 1975124 aufgegebenen Regelungsauftrages in kostenneutraler Weise gewesen. Bei der Kostenneutralität handele es sich dabei um ein wichtiges öffentliches Interesse, da durch diese die Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung sichergestellt werde.125 Zum Erreichen einer kostenneutralen Neuregelung sei es sachgerecht gewesen, an das Einkommen des hinterbliebenen Ehegatten anzuknüpfen. Die Hinterbliebenenrente habe nämlich Unterhaltsersatzfunktion. Dies werde besonders an den vor Inkrafttreten des HEZG geltenden Regelungen zur Witwerrente deutlich, in denen die Leistung einer Rente an den Witwer von dem Nachweis abhängig war, dass der Witwer von seiner verstorbenen Ehefrau Unterhalt bezogen habe. Auch der Umstand, dass ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente nicht mehr besteht, wenn der Hinterbliebene eine neue Ehe eingeht, verdeutliche den Unterhaltsersatzcharakter der Hinterbliebenenrente.126 Ein milderes Mittel als die Wahl des Anrechnungsmodells habe dem Gesetzgeber nicht zur Verfügung gestanden, um die gebotene Neuregelung kostenneutral zu halten.127 Auch an der Angemessenheit der Regelung fehle es nicht. So sei zwar ein Interesse der beschwerdeführenden Ehemänner an einer Versorgung ihrer Ehefrauen durch eine Witwenrente in Höhe von 60 Prozent128 der Versichertenrente anerkennenswert.129 Die Aussicht der Ehefrauen auf eine solche Versorgung werde bei Zugrundelegung ihrer eigenen Einkommen zum Entscheidungszeitpunkt auch völlig entwertet, beide Witwenrenten würden gänzlich zum Ruhen kommen. Eine derart auf die Gegenwart verengte Betrachtungsweise verkenne indes den trotz der Neuregelung verbliebenen Umfang der Hinterbliebenenversorgung:130 Die beschwerdeführenden Ehemänner vermöchten im Falle des Vorversterbens ihrer Ehefrauen oder der Scheidung von diesen allein durch Eingehung einer neuen Ehe eine Absicherung der neuen Ehefrau zu begründen. Die Absicherung sei weder abhängig von der Ehedauer, noch werde sie entsprechend der Zeit verkürzt, in welcher an die später hinterbliebene Ehefrau – bedingt durch deren eigenes Einkommen – kein Unterhalt zu leisten war.131 Für die Neuregelung spreche außerdem, dass sie eine Stütze in Art. 3 Abs. 2 GG finde. Überdies sei im Falle des Vorhandenseins eigenen Einkommens die freiheitssichernde Funktion der sozialversicherungsrechtlichen Leistungen reduziert.132 Den Grundsatz des Vertrauensschutzes, den es im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verletzung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG zu beachten gelte, wahre der Ge124

BVerfGE 39, 169, 194 f. BVerfGE 97, 271, 286. 126 BVerfGE 97, 271, 287. 127 BVerfGE 97, 271, 287. 128 Die Absenkung auf 55 Prozent der Versichertenrente durch die Reduzierung des Rentenartfaktors erfolgte erst durch das AVmEG vom 21. 3. 2001 (BGBl. I, S. 403). 129 BVerfGE 97, 271, 287. 130 BVerfGE 97, 271, 288. 131 BVerfGE 97, 271, 288. 132 BVerfGE 97, 271, 288. 125

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setzgeber ebenfalls.133 Eine Verletzung komme insofern in Betracht, als auch Personen von der Anrechnung betroffen sind, die nach dem zuvor geltenden Recht im Falle des Versterbens ihres Ehepartners mit einer ungeschmälerten Witwen- oder Witwerrente rechnen durften. Es liege hier allerdings eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung vor; auch überwögen die Bestandsinteressen der Betroffenen nicht ausnahmsweise.134 Aus Art. 3 Abs. 2 GG resultiere das Gebot der begünstigenden Anpassung des Rechts der Witwerrenten an jenes der Witwenrenten. Diese Begünstigung sei aus Gründen der Kostenneutralität aber nicht anders als durch eine gleichzeitige Beeinträchtigung in Gestalt der Einkommensanrechnung zu realisieren gewesen.135 Das Interesse an einem Fortbestehen der Rechtslage sei zwar besonders bei den Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung sehr hoch einzustufen, da die Mitgliedschaft nur sehr langfristig zu einer Gewährung von Leistungen führe.136 Die Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung bedinge indes die Möglichkeit zur Anpassung an geänderte Verhältnisse. Das Vertrauen der Betroffenen in einen Fortbestand der Rechtslage sei überdies nicht zuletzt durch den am 12. März 1975 vom Bundesverfassungsgericht erteilten Regelungsauftrag vermindert worden.137 Diesem verminderten Vertrauen genügten die vom Gesetzgeber geschaffenen Übergangsregelungen.138 IV. Keine Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG Weiter hält das Bundesverfassungsgericht die Anrechnungsvorschriften des HEZG für mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Insgesamt setzt es dabei an neun Punkten zur Prüfung der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem oder der Gleichbehandlung von Ungleichem an. Als erstes stellt der Senat fest, es habe dem Gesetzgeber zugestanden, bei den Hinterbliebenenrenten abweichend von den Versichertenrenten eine Einkommensanrechnung einzuführen.139 Versicherten- und Hinterbliebenenrenten unterschieden sich systematisch insofern, als erstere Lohn-, letztere aber nur Unterhaltsersatzfunktion hätten. Die Einkommensanrechnung sei auch keineswegs systemfremd. Es habe vielmehr beim Zusammentreffen eigener Renten mit Hinterbliebenenrenten immer schon Anrechnungsvorschriften gegeben, wofür als Beleg § 1280 RVO, § 57 AVG sowie § 1267 RVO, § 44 AVG angeführt werden. Eigenheit der Hinterbliebenenrente sei gerade die Berücksichtigung eines anhand des jeweiligen Einkommens genauer festgelegten individuellen Bedarfs.

133 134 135 136 137 138 139

BVerfGE 97, 271, 288. BVerfGE 97, 271, 289. BVerfGE 97, 271, 289. BVerfGE 97, 271, 289. BVerfGE 97, 271, 289 f. BVerfGE 97, 271, 290. BVerfGE 97, 271, 291.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Aus dieser Eigenheit ergebe sich auch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Hinterbliebenen mit eigenem und Hinterbliebenen ohne eigenes Einkommen, die der Senat als zweites betrachtet.140 Ohne eine Ausrichtung der Leistungen aus der Hinterbliebenenversorgung am Bedarf des Einzelnen habe die gebotene Neuregelung nicht kostenneutral durchgeführt werden können. Das völlige Ruhen von Leistungen bei einem hohen Einkommen sei daher insbesondere durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs gerechtfertigt.141 Kritik verdiene die Behandlung der Hinterbliebenen mit eigenem Einkommen allerdings im Hinblick auf die Ermittlung der Höhe des anzurechnenden Einkommens.142 Ausgangspunkt für diese Ermittlung ist das monatliche Bruttoeinkommen des Versicherten. Von diesem wird, um nicht Einkommen zu berücksichtigen, das dem Hinterbliebenen tatsächlich gar nicht zur Verfügung steht, ein Abzug der Steuerund Beitragslast vorgenommen; dabei wird allerdings nicht auf die individuelle Belastung durch Steuern und Beiträge, sondern auf einen Pauschalbetrag abgestellt. Der Abzug eines Pauschalbetrages sei an sich als ein der Verwaltungsvereinfachung dienendes Verfahren nicht zu beanstanden.143 Erfolge eine Pauschalierung im grundrechtsrelevanten Bereich allerdings auf statistischer Grundlage, so sei der Gesetzgeber gehalten, die einmal ermittelte Pauschale auf ihre Übereinstimmung mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu überprüfen. Dies habe er im vorliegenden Fall unterlassen; der Pauschalbetrag sei mittlerweile zu gering, weshalb es insoweit einer Anpassung bedürfe. Zur Verfassungswidrigkeit der Anrechnungsvorschriften führe dieser Mangel indes noch nicht.144 In gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sei dagegen die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Arten von Erwerbsersatzeinkommen bei der Festsetzung der Höhe des Pauschalbetrages, der vom Bruttoeinkommen abgezogen wird (§ 18b Abs. 5 SGB IV).145 Der fünfte Aspekt, dessen sich der Senat im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG annimmt, ist die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Arten von Einkommen durch die Anrechnungsvorschriften, insbesondere die ausschließliche Berücksichtigung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen. Sie wird vom Gericht gebilligt. Der Gesetzgeber habe sich auf die Berücksichtigung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen beschränken dürfen, da auch das System der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Sicherung gerade dieser Arten von Einkommen ausgerichtet sei.146 Auch hier habe der Gesetzgeber aber zukünftige Veränderungen zu beachten. Sollte sich zeigen, dass das Einkommen aus Vermögen bei der 140 141 142 143 144 145 146

BVerfGE 97, 271, 291 f. BVerfGE 97, 271, 292. BVerfGE 97, 271, 292 f. BVerfGE 97, 271, 292. BVerfGE 97, 271, 293. BVerfGE 97, 271, 295 f. BVerfGE 97, 271, 294.

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Lebenshaltung im Vergleich zur Arbeitskraft an Bedeutung zunehmen werde, wofür deutliche Anzeichen vorhanden seien, so sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Anrechnungsvorschriften der veränderten Situation anzupassen.147 Weiter stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass auch die Ungleichbehandlung von Versorgungsleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Verhältnis zu solchen aus der Beamtenversorgung gerechtfertigt sei. Die einzige Gemeinsamkeit beider Sicherungssysteme stelle das Ziel dar, einen angemessenen Lebensstandard im Alter zu sichern. Während die vom Prinzip der amtsangemessenen Alimentation ausgehende Beamtenversorgung aus Steuern finanziert und vom Dienstherrn geleistet werde, handele es sich bei der gesetzlichen Rentenversicherung um eine von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts durchgeführte Zwangsversicherung, die sich aus Beiträgen finanziere und die durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs geprägt sei.148 Auch der Beamtenversorgung sei eine Anrechnung zudem nicht völlig fremd, wie die §§ 53a – 55 BeamtVG zeigten. Der siebte vom Senat im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG untersuchte Aspekt ist die Ungleichbehandlung von Personen, die Leistungen aus einem berufsständischen Versorgungswerk erhalten, gegenüber Personen, die Leistungen aus einer privaten Vorsorge beziehen: Die Leistungen berufsständischer Versorgungswerke werden auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet, die Leistungen aus privatrechtlicher Vorsorge dagegen nicht. Gleichheitsrechtlich sei dies nicht zu beanstanden.149 Die berufsständische Versorgung sei nicht der privatrechtlichen Vorsorge zurechenbar, sondern stehe als öffentlich-rechtliches Sicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung nahe.150 Ferner sei – achtens – auch darin kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu erblicken, dass zwar Leistungen der berufsständischen Versorgung auf Hinterbliebenenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet werden, umgekehrt aber Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung keine Berücksichtigung bei der Zahlung von Hinterbliebenengeldern aus der berufsständischen Versorgung finden. Die jeweils zuständigen Organe der Rechtssetzung vermochten für ihren Zuständigkeitsbereich den Gleichheitssatz zu wahren, obwohl sie ein und dasselbe Problem jeweils unterschiedlichen Lösungen zuführen, solange diese Lösungen für sich genommen nur sachgerecht seien. Dies treffe auf die vorliegenden Regelungen zu.151 Schließlich widmet sich das Bundesverfassungsgericht der Frage, ob nicht eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG darin zu sehen sei, dass der hinterbliebene Ehegatte

147 148 149 150 151

BVerfGE 97, 271, 294 f. BVerfGE 97, 271, 295. BVerfGE 97, 271, 296 f. BVerfGE 97, 271, 296. BVerfGE 97, 271, 297.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

rentenrechtlich anders als der geschiedene behandelt wird.152 Auch diese Frage verneint das Gericht: Der Gesetzgeber habe den ihm zustehenden Spielraum hinsichtlich der Gestaltung der rentenrechtlichen Folgen des Scheiterns einer Ehe einerseits und des Todes eines der Ehegatten andererseits nicht verlassen. Die Ausgestaltung der Hinterbliebenensicherung als vom Versicherten abgeleitet gegenüber einer eigenen Sicherung des geschiedenen Ehegatten liege sachlich darin begründet, dass nach dem Tod eines der Ehegatten – anders als im Falle der Scheidung – ein Bedarf für einen rentenrechtlichen Ausgleich nicht mehr bestehe.153

B. Die Kritik an der Ablehnung des Eigentumsschutzes I. Stimmen in der Literatur 1. Ablehnung Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zog in der Literatur eine Vielzahl ablehnender Äußerungen nach sich. Am häufigsten kritisiert wurde dabei die bemerkenswerte Kürze, in der der Erste Senat den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG vor den Anwartschaften und Ansprüchen auf Witwen- oder Witwerrente verschlossen hat (einschlägig ist eine Textpassage von nur 61 Zeilen).154 Inhaltlich wurde mehrfach der Bruch zu früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gerügt.155 Im Hinblick auf die Rechtsprechung zum Eigentumsschutz der Versichertenrenten habe kein vernünftiger Zweifel daran bestehen können, dass das Gericht auch die Hinterbliebenenrenten in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie einbeziehen würde.156 Ähnlich hatte man sich zum Teil bereits vor der Entscheidung vom 18. Februar 1998 geäußert.157 Brüche zu vorherigen Beschlüssen werden vor allem festgestellt, soweit die Aussage betroffen ist, es fehle bei den 152 §§ 120a ff. SGB VI, die das Rentensplitting regeln und das genannte Problem deutlich entschärfen, wurden erst durch das AVmEG vom 21. 03. 2001 eingeführt (BGBl. I, S. 403 ff.). 153 BVerfGE 97, 271, 297. 154 Butzer, FS Isensee, S. 667, 685; Hase, JZ 2000, 591, 592; ders., Versicherungsprinzip, S. 321, Fn. 242; Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680; Papier, DRV 2001, 350, 352; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 222; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 154. 155 Bieback, ZSR 2000, 779, 789 f.; Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679; Papier, FS Leisner, S. 721, 730; ders., DRV 2001, 350, 352; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 339; Ruland, JuS 1998, 1068, 1068; Sodan, NZS 2005, 561, 563. 156 Ruland, JuS 1998, 1068, 1068. 157 Heine, FamRZ 1986, 113, 121; ders., ZSR 1986, 82, 103; Katzenstein, SGb 1988, 177, 184; Papier, SGb 1987, 469, 469; Plagemann, NJW 1982, 558, 559; G. Rauschenbach, DAngVers 1985, 472, 474; Ruland, DRV 1997, 94, 101; ders., DRV 1986, 13, 19; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., Familiärer Unterhalt, S. 214; Schlenker, Soziales Rückschrittsverbot, S. 157 f.; zur Zurückhaltung in Bezug auf Prognosen hinsichtlich der entsprechenden Position des BVerfG mahnte trotz eigener Anerkennung eines Eigentumsschutzes für Witwen- und Witwerrenten Katzenstein, DRV 1982, 177, 182; ders., FS Zeidler, S. 645, 662.

§ 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998

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Anwartschaften und Ansprüchen auf Hinterbliebenenrente an einer zurechenbaren Eigenleistung des Versicherten: Das Bundesverfassungsgericht habe in früheren Entscheidungen regelmäßig die Zahlungen Dritter, insbesondere des Arbeitgebers, dem tatsächlich Begünstigten als eigene Leistung zugerechnet; dass eine solche Zurechnung nicht auch unter Ehegatten im Hinblick auf die Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente erfolge, sei nicht nachvollziehbar.158 Auch in der Familienversicherung nach dem SGB V werde entsprechend verfahren.159 Es sei zwar korrekt, dass ein verheirateter Rentenversicherter für seine Angehörigen keine erhöhten Beiträge zahle. Grund dafür, dass eine Pflicht zur Zahlung höherer Beiträge nicht besteht, sei aber die bei verheirateten und ledigen Versicherten bis zuletzt gleich hohe Wahrscheinlichkeit, dass etwaige Hinterbliebene einen Anspruch auf Rente erwerben; dieser Umstand werde vom Bundesverfassungsgericht unter den Tisch fallen gelassen, weil er argumentativ nicht ins Konzept passe.160 Weiter wird zugestanden, dass die Hinterbliebenenrente zwar Elemente des sozialen Ausgleichs enthalte. Dies stehe allerdings der Bejahung einer Eigenleistung mitnichten im Wege.161 Die Ausprägung des sozialen Ausgleichs bei den Witwen- und Witwerrenten falle nicht stärker aus als bei den Versichertenrenten.162 Auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unfallversicherung sei die Entscheidung vom 18. Februar 1998 nicht widerspruchsfrei vereinbar: Obwohl in der Unfallversicherung die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des versicherten Risikos deutlich geringer sei als in der Hinterbliebenenversicherung, würden Ansprüche aus der Unfallversicherung als von der Eigentumsgarantie umfasst angesehen.163 Auf Ablehnung stößt ferner die Feststellung, es bleibe bei einer bloßen Aussicht auf Leistung, weil für das Entstehen eines Anspruches auf Hinterbliebenenrente noch die Erfüllung einer weiteren Voraussetzung erforderlich sei, nämlich das Vorliegen einer wirksamen Ehe beim Eintritt des Versicherungsfalls. Auch bei anderen Renten, so wird entgegnet, bedürfe es für den Vollrechtserwerb des Eintritts weiterer Voraussetzungen neben dem eigentlich anspruchsbegründenden Ereignis; hinsichtlich der anderen Renten halte dies das Bundesverfassungsgericht von der Anerkennung einer eigentumsgeschützten Anwartschaft indes nicht ab.164 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass das Vollrecht gleichsam aus dem Nichts entstünde, wenn man 158 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 223; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 339; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096; ähnlich auch: Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der nicht beitragsgedeckten Leistungen und der Bundesleistungen an die Rentenversicherung vom 13. 8. 2004, DRV 2004, 569, 577. 159 Papier, FS Leisner, S. 721, 729. 160 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679 f. 161 Hase, JZ 2000, 591, 597. 162 Papier, FS Leisner, S. 721, 730; ders., DRV 2001, 350, 352. 163 Papier, FS Leisner, S. 721, 729. 164 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 154; Sodan, NZS 2005, 561, 563.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

davon ausginge, dass zuvor nicht eine Anwartschaft, sondern nur eine bloße Aussicht auf Rente gegeben sei.165 Des Weiteren wird auf Gegensätze zu den Regelungen des Versorgungsausgleichs (§§ 1587 ff. BGB) hingewiesen. Im Falle der Scheidung werden die Anwartschaften des Versicherten auf beide Ehegatten aufgeteilt, während sie beim Versterben des Versicherten verloren gehen. Ob eine Ehe durch ein Scheidungsurteil oder durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird, könne aber keinen Unterschied machen; zumindest dem wirtschaftlichen Wert nach müssten die Anwartschaften erhalten bleiben.166 Es sei zudem mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dass, wer von der Fortsetzung der Ehe absieht, nach Durchführung des Versorgungsausgleichs Inhaber einer dem Schutz des Art. 14 GG unterstehenden Anwartschaft ist, während derjenige, der bis zum Tod des Partners an der Ehe festgehalten hat, sich auf eine bloße Aussicht verweisen lassen muss.167 Hinsichtlich der drohenden Folgen der Entscheidung vom 18. Februar 1998 wird angemerkt, die Möglichkeiten der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Rentengesetzgebers würden herabgesetzt.168 Es fehle nun auch an der dem Schutz des Art. 14 GG zukommenden Signalwirkung, wodurch die Hinterbliebenenrenten ein Stück weiter in die Richtung einer Sozialrente gerückt worden seien.169 Das Urteil stelle einen Dammbruch dar, der die Hinterbliebenenrenten zur finanzpolitischen Manövriermasse degradiert habe.170 Familien hätten so kaum noch die Möglichkeit, verantwortungsbewusst Vorsorge zu betreiben.171 Insgesamt sei daher die Entscheidung nicht nur verfassungsrechtlich nicht plausibel, sondern auch sozialpolitisch verfehlt.172 2. Zustimmung Befürwortungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 sind in der Literatur kaum zu finden;173 sie beschränken sich zudem teils auf eine Billigung des Ergebnisses,174 der Verfassungskonformität der Anrechnung von Einkommen auf Hinterbliebenenrenten. Bemerkenswert erscheint dabei 165

Butzer, FS Isensee, S. 667, 677; Hase, JZ 2000, 591, 595. Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096. 167 Hase, JZ 2000, 591, 597 f. 168 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 679. 169 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680. 170 Butzer, FS Isensee, S. 667, 685 f. 171 Hase, JZ 2000, 591, 597; ders., Versicherungsprinzip, S. 323 f. 172 Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680. 173 Soweit ersichtlich, sind dies lediglich Beschorner, SGb 2005, 137, 140; Igl/Welti, Sozialrecht, § 5, Rn. 24 (jeweils ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Urteil); Köbl, DRV 2002, 686, 691; Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 97; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096; Steiner, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 525, 530 ff. 174 Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096. 166

§ 2 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998

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vor allem ein Ansatz175, nach dem von einer Einbeziehung der Hinterbliebenenrenten in den Schutzbereich des Art. 14 GG abgesehen worden sei, um zu verhindern, dass für den Gesetzgeber in Zeiten wachsenden demographischen und damit finanziellen Drucks auf die gesetzliche Rentenversicherung der Zwang entsteht, die Einkommensanrechnung auf anerkanntermaßen eigentumsgeschützte Positionen zu erstrecken – insbesondere auf die bisher unangetasteten Versichertenrenten. Das Urteil zeichne sich daher nicht nur dadurch aus, dass es den Hinterbliebenenrenten einen weitergehenden verfassungsrechtlichen Schutz verweigere, sondern verdiene auch Anerkennung als verfassungsrechtliche Aufwertung der Versichertenrenten.176 II. Ablehnende Haltung des Bundessozialgerichtes Ein Blick auf die oben genannten Äußerungen rechtfertigt sicher die Aussage, die in der Literatur geübte Kritik an der Entscheidung vom 18. Februar 1998 sei heftig ausgefallen. Am entschiedensten in Opposition zum Bundesverfassungsgericht geht indes keiner der zuvor zitierten Autoren, sondern der vierte Senat des Bundessozialgerichtes in seinem Urteil vom 29. Januar 2004177. Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:178 Die Äußerungen zur Frage eines Bestehens (eigentums-)geschützter Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente erfolgen ohne jede Not. Das Bundessozialgericht verschafft sich erst durch eine Vielzahl an prozessualen Verbiegungen die Möglichkeit, im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf die Frage einzugehen, ob die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente Eigentumsschutz genießt. Der vierte Senat stellt dabei in einem ersten Schritt fest, dass eine solche Anwartschaft überhaupt bestehe und der Versicherte diese innehabe. Die Anwartschaft sei Teil seiner Gesamtrentenanwartschaft. Hinsichtlich ihres Erwerbs unterscheide sie sich von Anwartschaften auf andere Renten in keinerlei Hinsicht.179 Ausgestaltet sei sie als Lebensversicherung auf den eigenen Tod (§§ 150 Abs. 1, 1. Alt., 159 Abs. 2 VVG).180 Ebenso wie diese sei sie als Eigenversicherung des Versicherten, nicht als Fremdversicherung auf den potentiell Hinterbliebenen ausgestaltet; für letzteren stellten sich die Vorteile aus dem Bestehen der Versicherung als reiner Rechtsreflex, als bloße Aussicht dar.181 Grund dafür sei, dass zum einen bis zum Eintritt des Versicherungsfalls nicht feststehe, wer Inhaber des Vollrechts werden wird, und dass 175

Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 96 f. Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 97. Ähnlich äußert sich Steiner, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 525, 534, der auch als Richter an der Entscheidung des BVerfG vom 18. 2. 1998 mitgewirkt hat. 177 BSGE 92, 113 ff. 178 Ähnlich Beschorner, SGb 2005, 137, 140. 179 BSGE 92, 113, 125. 180 BSGE 92, 113, 122. 181 BSGE 92, 113, 122 f. 176

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

zum anderen die Schritte zum Erwerb des Vollrechts nicht der potentiell Hinterbliebene, sondern ausschließlich der Versicherte zu vollziehen habe.182 Der dann folgende Schritt ist mit Recht als „Erteilung rentenrechtlichen Nachhilfeunterrichts“183 bezeichnet worden. Das Bundessozialgericht widmet sich umfassend184 der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zur Ablehnung eines Eigentumsschutzes für Anwartschaften auf Hinterbliebenenrente. Möglicherweise, um nicht überdeutlich werden zu lassen, dass dieser zweite Schritt für die Prüfung eines Feststellungsinteresses als Teil der Zulässigkeitsprüfung eigentlich überflüssig und der Begründetheitsstation vorbehalten ist (zu der das Bundessozialgericht aber nicht vordringt), unterbleibt dabei eine ausdrückliche Erwähnung des Schutzes aus Art. 14 GG. Inhaltlich bejaht das Gericht allerdings der Reihe nach alle Voraussetzungen für den Eigentumsschutz eines subjektiven öffentlichen Rechts. Die Anwartschaft des Versicherten auf die Hinterbliebenenrente sei diesem zunächst privatnützig zugeordnet.185 Dies ergebe die Wertung des § 38 SGB I, der §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 2 SGB I sowie der Gedanke, dass derjenige Versicherte, der keine Anwartschaft auf eine Hinterbliebenenrente innehat, in anderer Weise für den Fall seines Todes vorzusorgen und damit das Familieneinkommen zu belasten hätte. Zudem sei die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente Teil der Gesamtanwartschaft des Versicherten, deren Privatnützigkeit anerkannt ist.186 Entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei es für die privatnützige Zuordnung unschädlich, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls in einer wirksamen Ehe leben müsse. Das Erfordernis, Ehegatte sein zu müssen, umschreibe nicht das versicherte Risiko. Dieses bestehe darin, dass mit dem Tod des Versicherten dessen Erwerbsfähigkeit und folglich auch die Fähigkeit, Unterhalt zu leisten, entfällt. Die Voraussetzung, zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls in einer wirksamen Ehe leben zu müssen, schränke lediglich den persönlichen Geltungsbereich des Hinterbliebenenrentenrechts ein.187 Dass eine vor Eintritt des Versicherungsfall bestehende Ehe durch Scheidung oder Vorversterben des Ehepartners entfallen könne, sei für die Anwartschaft des Versicherten unbeachtlich, da es nur für den Erwerb des Vollrechts auf das Bestehen einer Ehe bei Eintritt des Versicherungsfalls ankomme.188 Verneine man nämlich das Vorhandensein einer Anwartschaft immer dann, wenn es der Erfüllung weiterer Voraussetzungen bedarf, so bestünde niemals eine Anwartschaft. Eine solche Auffassung sei indes mit den gesetzlichen Regelungen zur Aufteilung der Anwartschaften bei der Durchführung des Versorgungsaus182

BSGE 92, 113, 123. Butzer, FS Isensee, S. 667, 676. 184 Die Ausführungen des BSG zum Eigentumsschutz sind annähernd um das Fünffache länger als die des BVerfG in der Entscheidung vom 18.2.1998. 185 BSGE 92, 113, 126. 186 BSGE 92, 113, 126. 187 BSGE 92, 113, 126 f. 188 BSGE 92, 113, 127. 183

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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gleichs unvereinbar und entzöge zudem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Versichertenrentenanwartschaften die Grundlage.189 Auch an einer zurechenbaren Eigenleistung fehle es keineswegs. Es sei nicht so, dass Beiträge nur für bestimmte Renten erhoben würden, für andere aber nicht. Vielmehr werde der Gesamtbedarf des Trägers der Rentenversicherung ermittelt und die Beiträge entsprechend festgesetzt; der Bundeszuschuss diene dabei lediglich der Finanzierung der Fremdlasten der gesetzlichen Rentenversicherung. Würden die Hinterbliebenenrenten nicht durch Beiträge der Versicherten abgedeckt, so bedürfte es einer Finanzierung aus Steuermitteln, die aber derzeit nicht erfolge.190 Unterschiedliche Beitragshöhen für Verheiratete und Unverheiratete kämen schon deshalb nicht in Betracht, weil das Gesetz ein Komplettpaket aus Rehabilitations-, Erwerbsminderungs-, Alters- und Lebensversicherung vorgebe, aus dem einzelne Bestandteile nicht ausgesondert werden könnten.191 Die Hinterbliebenenrente sei zwar ein Ausgleich für familiäre Mehrbelastungen, sie sei aber nicht eine der gesetzlichen Rentenversicherung lediglich aus Gründen des Allgemeinwohls zugeordnete Fürsorgeregelung.192 Das Bestehen einer (eigentumsgeschützten, was das Bundessozialgericht allerdings wieder nur impliziert) Anwartschaft des Versicherten auf Hinterbliebenenrente sei daher auf einfachgesetzlicher Grundlage zu bejahen.193 Um die Klammer zu schließen, weist das Bundessozialgericht darauf hin, dass es dem Gericht verwehrt sei, zur Begründetheit Stellung zu nehmen, da es gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 davon auszugehen habe, eine Anwartschaft selbst des verheirateten Versicherten bestehe nicht194.

§ 3 Eigene Position: Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen A. Für einen Eigentumsschutz in Betracht kommende Ansatzpunkte Bevor ermittelt werden kann, ob – der vorstehend geschilderten Auffassung des Bundessozialgerichts entsprechend – Anwartschaften und Ansprüche auf Witwenoder Witwerrente in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fallen, muss festgestellt werden, wem diese Positionen eigentlich zustehen. Diese Frage wurde selten er-

189 190 191 192 193 194

BSGE 92, 113, 127. BSGE 92, 113, 127 f. BSGE 92, 113, 129. BSGE 92, 113, 129. BSGE 92, 113, 135. BSGE 92, 113, 135 f.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

örtert195 und teils196 schlicht übergangen. Ihre Behandlung ist dringend erforderlich: Ob Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente den Schutz der Eigentumsgarantie genießen, lässt sich nur klären, indem untersucht wird, ob sie die Voraussetzungen für einen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte erfüllen, ob sie also vermögenswerte Rechte sind, die ihrem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblicher Eigenleistung beruhen und der Existenzsicherung dienen. Insbesondere, wenn es in diesem Rahmen um das Beruhen auf einer Eigenleistung und die Privatnützigkeit der Zuordnung geht, führt das Offenlassen der Frage, wem die betroffene Rechtsposition zustehen soll, zwingend zu argumentativen Ungenauigkeiten. Für die Ermittlung, wem welche Position des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zusteht, ist eine gedankliche Aufteilung in zweierlei Hinsicht vorzunehmen. Recht naheliegend bedarf es in persönlicher Hinsicht einer Differenzierung zwischen der Position des Versicherten und der des (potentiell) Hinterbliebenen. Weiter muss – ebenfalls recht naheliegend – in zeitlicher Hinsicht zwischen den Zeiträumen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls getrennt werden. Aufgrund dieser Aufteilung ergeben sich drei Ansatzpunkte, die hinsichtlich eines Eigentumsschutzes näher zu betrachten sind: Die Position des Versicherten vor Eintritt des Versicherungsfalls, die Position des potentiell Hinterbliebenen vor Eintritt des Versicherungsfalls und die Position des Hinterbliebenen nach Eintritt des Versicherungsfalls. Von vornherein als offensichtlich nicht eigentumsgeschützt hat dabei die Position des Versicherten nach Eintritt des Versicherungsfalls auszuscheiden: Weil der Eintritt des Versicherungsfalls gerade abhängig vom Tod des Versicherten ist, besteht eine solche Position nicht. In der Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls kann daher allein der Hinterbliebene Inhaber einer möglicherweise eigentumsgeschützten Position sein.

B. Notwendigkeit der Festlegung auf einen Ansatzpunkt für die Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls Für den Zeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls stehen dagegen als mögliche Berechtigte der Versicherte und der potentiell Hinterbliebene nebeneinander. Hier bedarf es der Festlegung auf eine Person als Inhaber der möglicherweise eigentumsgeschützten witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position.

195

So auch Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 128. Es befassen sich mit dieser Frage – soweit ersichtlich – lediglich BSGE 92, 113, 122 ff.; Butzer, FS Isensee, S. 667, 679 ff.; Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130; Hase, JZ 2001, 591, 596 f.; Krause, Eigentum, S. 197; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153. Ohne klare Zuordnung dagegen etwa von v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 71; G. Rauschenbach, DAngVers 1985, 472, 474; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096; widersprüchlich hierzu Sodan, NZS 2005, 561, 563. 196

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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I. Kein Nebeneinander zweier Positionen als Folge der Konstruktion des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte Die Notwendigkeit, sich auf nur eine berechtigte Person festzulegen, erklärt sich wie folgt: Im Rahmen der Frage nach einem Eigentumsschutz gilt es – wie stets bei der Prüfung eines Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte – unter anderem zu klären, ob eine zurechenbare Eigenleistung vorliegt. Eine Leistung, die die Voraussetzungen zu erfüllen vermochte, um als Eigenleistung in diesem Sinne anerkannt zu werden, erbringt aber nur eine Person: der versicherte Ehepartner.197 Dessen Leistung kann aber nur Grundlage einer eigentumsgeschützten Position sein – entweder einer solchen des Versicherten oder einer solchen des potentiell Hinterbliebenen. Denn davon auszugehen, dass vor Eintritt des Versicherungsfalles sowohl die Position des Versicherten als auch die des Hinterbliebenen dem Eigentumsschutz unterfallen könnte, hieße zu verkennen, dass dann diese eine Leistung als Grundlage zweier eigentumsgeschützter Positionen Berücksichtigung fände. Wird aber die Leistung des Versicherten bei diesem berücksichtigt, so kann sie nur bei ihm berücksichtigt werden, nicht auch bei dem potentiell Hinterbliebenen. Wird sie dagegen dem potentiell Hinterbliebenen zugerechnet, kann sie nur ihm zugerechnet werden, nicht auch dem Versicherten. Nachdem die Leistung des Versicherten bei einem der Ehegatten Berücksichtigung gefunden hat, ist sie gleichsam verbraucht. Dass ausschließlich der Versicherte, nicht aber (auch) der potentiell Hinterbliebene eine Leistung erbringt, die taugliche Grundlage für die Witwen- oder Witwerrente ist, ergibt sich aus Folgendem: Eine im Zusammenhang mit der Witwen- oder Witwerrente stehende Leistung des potentiell Hinterbliebenen kann nur darin liegen, dass dieser durch das Führen des Haushaltes und ggf. das Übernehmen der Kindererziehung dem Versicherten ermöglicht, eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auszuüben und dadurch eine Absicherung für seinen Ehegatten aufzubauen. Dass der nicht versicherte Ehegatte dem Versicherten die Möglichkeit gibt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, indem er es selbst unterlässt, eine Erwerbstätigkeit auszuüben (und stattdessen den Haushalt führt), kann dabei schon begrifflich nicht als Leistung verstanden werden.198 Naheliegend scheint dann ein Abstellen auf die Haushaltsführung selbst als Leistung. Das Führen des Haushaltes muss aber als eine einen Eigentumsschutz möglicherweise mitbegründende Eigenleistung von vornherein ausscheiden; es ist nicht conditio sine qua non der Witwen- oder Witwerrente. Sehr deutlich wird dies am Beispiel der Doppelverdienerehe: Obwohl keiner der beiden Ehepartner durch die vollständige Übernahme der Haushaltsführung dem anderen die Ausübung einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ermöglicht, kann doch jeder der Ehe197 Zur Begründung siehe sogleich; im Ergebnis ebenso: Butzer, Fremdlasten, S. 439, Fn. 358; v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 97; Gitter, FamRZ 1974, 233, 236; anders bezüglich während der Ehezeit erworbener Anwartschaften offenbar Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153. 198 Ansätze in dieser Richtung finden sich aber in BSGE 20, 252, 254; BSGE 51, 1, 3; Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

partner Inhaber eines Vollrechtes auf Witwen- oder Witwerrente werden (natürlich nicht kumulativ). Selbst dann, wenn tatsächlich ein Fall vorliegt, in dem der Versicherte nicht oder nur in geringerem Maße versicherungspflichtig erwerbstätig sein könnte, wenn der potentiell Hinterbliebene nicht den Haushalt führte, kann die Haushaltsführung, obwohl sie hier mitursächlich für den Erwerb der Witwen- oder Witwerrente ist, nicht als Leistung berücksichtigt werden; letztursächlich für den Erwerb eines Anspruches auf eine Witwen- oder Witwerrente bleibt die versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit. Ihr kann im Verhältnis zur Haushaltsführung aber nicht die Eignung als einen möglichen Eigentumsschutz begründende Eigenleistung abgesprochen werden: Die Sozialversicherung und mit ihr die Rentenversicherung wurde als eine Institution zur Sicherung der abhängig Arbeit Leistenden geschaffen. Zwar hat mittlerweile eine Öffnung stattgefunden (vgl. §§ 2 – 4, 7 SGB VI); Ausgangspunkt für eine Einbeziehung ist gleichwohl die entgeltliche Beschäftigung geblieben (vgl. § 1 S. 1 Nr. 1, 1. Alt. SGB VI). Der ausschließlich den Haushalt führende Ehepartner steht aber in keinem Verhältnis entgeltlicher Beschäftigung: Das Merkmal der entgeltlichen Beschäftigung ist erfüllt, wenn die betroffene Person Arbeitnehmer ist und gegen Erhalt eines Entgelts tatsächlich tätig wird.199 Hinsichtlich des Vollzeit-Haushaltführenden fehlt es aber schon an der Arbeitnehmereigenschaft. Eine Erbringung unselbstständiger Arbeit im Dienste eines weisungsbefugten Arbeitgebers, die Voraussetzung für eine Bejahung des Arbeitnehmerbegriffs ist,200 erfolgt nicht. Auch eine Entgeltlichkeit des Tätigwerdens des haushaltführenden Ehegatten ist nicht gegeben; insbesondere handelt es sich bei Taschengeld, das ein Ehepartner dem anderen zur Verfügung stellt, nicht um Entgelt, sondern um Unterhalt.201 Die Tätigkeit des Haushaltführenden muss bei der Witwen- oder Witwerrente daher konstruktionsbedingt unberücksichtigt bleiben.202 Die Erkenntnis, dass einzig die Erwerbstätigkeit des Versicherten als potentielle Eigenleistung in Betracht kommt, steht auch nicht in Widerspruch zu dem Umstand, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Zugewinn- und des Versorgungsausgleichs die Unterhaltsanteile der Ehegatten als gleichwertig einstuft und damit der Haushaltsführung das gleiche Gewicht beimisst wie der Erwerbstätigkeit.203 Aus der Bestimmung des Ehepartners, der die Grundlage für mögliche zukünftige Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente schafft, lässt sich keine Aussage darüber ableiten, in welchem Wertverhältnis die Leistungen der Ehegatten im Rahmen der Unterhaltsgemeinschaft „Ehe“ zueinander stehen. Ebenso ist mit der Feststellung, dass es der erwerbstätige Ehegatte ist, der die Voraussetzungen für einen potentiellen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente schafft, 199 200 201 202 203

Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 308. Palandt-Weidenkaff, vor § 611, Rn. 7. Gernhuber, § 21, Rn. 28; Gitter, FamRZ 1974, 233, 233. Gitter, FamRZ 1974, 233, 233; BSGE 92, 113, 124. Anders Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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nicht darüber entschieden, welcher der beiden Ehegatten letztlich als Inhaber einer möglicherweise dem Eigentumsschutz unterliegenden witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position vor Eintritt des Versicherungsfalls anzusehen ist. Denn sollte die Erwerbstätigkeit des Versicherten tatsächlich die Voraussetzungen einer zum Eigentumsschutz führenden Eigenleistung aufweisen, so könnte diese vom Versicherten erbrachte Eigenleistung gleichwohl dem potentiell Hinterbliebenen zuzurechnen204 und damit Grundlage einer diesem zustehenden eigentumsgeschützten Position vor Eintritt des Versicherungsfalls sein. II. Kein Nebeneinander zweier möglicherweise eigentumsgeschützter Positionen aufgrund der §§ 328 ff. BGB Auch ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Regelungen des Vertrages zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB), wie er teils zur Klärung der witwen- und witwerrentenrechtlichen Verhältnisse vorgeschlagen wird,205 vermag ein Nebeneinander geschützter Positionen des Versicherten und des potentiell Hinterbliebenen vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht zu begründen. Zu konzedieren ist, dass zwischen der Hinterbliebenensicherung und dem Vertrag zugunsten Dritter starke Parallelen vorhanden sind.206 Die Stellung des Versicherungspflichtigen entspricht der des Versprechensempfängers. Versprechender ist dann der Rentenversicherungsträger, Dritter der potentiell Hinterbliebene. Das Valutaverhältnis stellt die Ehe, genauer das eheliche Unterhaltsverhältnis, §§ 1360 ff. BGB, das Deckungsverhältnis das Verhältnis von Versicherungsträger und Versichertem dar. Die Hinterbliebenensicherung nach dem SGB VI wäre dann als echter Vertrag zugunsten Dritter gemäß §§ 330, 331 BGB einzuordnen.207 Grundsätzlich besteht dabei ein Nebeneinander von Rechten des Versprechensempfängers und Rechten des Dritten vor dem Tod des Versprechensempfängers nicht. § 331 BGB ordnet gerade an, dass im Zweifel ein Rechtserwerb des Dritten erst mit dem Tod des Versprechensempfängers eintreten soll. Der Versprechensempfänger vermag jederzeit, die Bezugsberechtigung des Dritten gegenüber dem Versprechenden zu widerrufen; der Dritte hat dann nicht mehr inne als die ungeschützte Hoffnung auf einen Rechtserwerb208. Das bedeutete – übertragen auf die Witwen- und Witwerrenten –, dass bis zum Tod des Versicherten ausschließlich der Versicherte, nicht aber der potentiell Hinterbliebene Berechtigter ist.

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Vorgenommen wird eine solche Zurechnung etwa von Hase, Versicherungsprinzip, S. 321, Fn. 242; ders., JZ 2000, 591, 597. 205 Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130, 135. 206 Auf die Ähnlichkeit weisen auch die Beschwerdeführer in der Entscheidung des BVerfG vom 18. 2. 1998 hin (E 97, 271, 278). 207 So auch Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130. 208 BGH, NJW 1982, 1807, 1808; Palandt-Grüneberg, § 331, Rn. 3.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Ausnahmsweise soll ein Nebeneinander von Rechten des Versprechensempfängers und Rechten des Dritten allerdings dann gegeben sein, wenn das Recht des Versprechensempfängers, die zukünftige Bezugsberechtigung des Dritten zu widerrufen, wirksam ausgeschlossen wurde: In diesem Fall erwerbe der Dritte schon vor dem Tod des Versprechensempfängers ein Forderungsrecht gegen den Versprechenden.209 Diese Ausnahme könnte auch für das Recht der Witwen- und Witwerrenten gelten. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Widerruf der Bezugsberechtigung des potentiell hinterbliebenen Ehegatten durch den Versicherten gegenüber dem Rentenversicherungsträger nach dem Zweck der Hinterbliebenensicherung – der Unterhaltssicherung nach dem Tod des versicherungspflichtigen Ehegatten210 ausgeschlossen sein muss.211 Die Übertragbarkeit der genannten Ausnahme auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten ist gleichwohl zu verneinen: Zwar kann der Versicherte die Bezugsberechtigung des potentiell Hinterbliebenen nicht widerrufen; mit den Folgen eines Widerrufs der Bezugsberechtigung identisch ist allerdings die Herbeiführung der Scheidung der Ehe. Mit ihr entfällt das „Valutaverhältnis“, die eheliche Unterhaltspflicht. Das Entfallen dieses Valutaverhältnisses bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Zuwendungsverhältnis: Wer nicht Ehegatte ist, kann keinen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente erwerben; erst recht steht ihm vor Eintritt des Versicherungsfalles keine geschützte Rechtsposition auf Erwerb einer solchen (mehr) zu. Ebenso wie der Versprechensempfänger durch einen Widerruf gegenüber dem Versprechenden beim „wirklichen“212 Vertrag zugunsten Dritter die Möglichkeit hat, die Bezugsberechtigung des Dritten zu beseitigen, kann der versicherungspflichtige Ehegatte die witwen- oder witwerrentenrechtliche Position des potentiell Hinterbliebenen vernichten, indem er ein Scheidungsurteil herbeiführt. Anders als die Möglichkeit zum Widerruf der Bezugsberechtigung kann die Scheidungsoption auch nicht abbedungen werden. Wenn dem versicherten Ehegatten aber eine Handlung offen steht, die im Ergebnis der Erklärung eines Widerrufs der Bezugsberechtigung gleichkommt, muss es bei dem oben dargestellten Grundsatz bleiben, nach dem ein Nebeneinander von Rechten des Versprechensempfängers (des Versicherten) und Rechten des Dritten (des potentiell Hinterbliebenen) ausgeschlossen ist. Dieser Erkenntnis steht nicht entgegen, dass bei privatrechtlichen Verträgen nach §§ 330, 331 BGB, die zugunsten des Ehegatten geschlossen wurden, dessen Bezugsberechtigung im Falle der Scheidung gesondert gegenüber dem Versprechenden widerrufen werden muss213. Denn dass die Bezugsberechtigung des Ehegatten nicht au209 BGHZ 45, 162, 165; BGH, NJW 2003, 2679, 2679; Prahl, NJW 2003, 3743, 3743; Palandt-Grüneberg, § 330, Rn. 4. 210 BVerfGE 48, 346, 357 ff.; BVerfGE 97, 271, 287, 291; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 289; Bohlken, juris-Kommentar zum SGB VI, § 46, Rn. 23; Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 12. 211 Vgl. auch § 32 SGB I. 212 Die Benutzung des Begriffes „echt“ wäre in diesem Zusammenhang irreführend. 213 BGHZ 79, 295, 298; BGH, NJW 1987, 3131, 3131; OLG Köln, VersR 1993, 1133, 1133; Palandt-Grüneberg, § 330, Rn. 3; Römer, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 288; anderes gilt für

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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tomatisch aufgrund der Scheidung erlischt und dass insbesondere auch die Einräumung der Bezugsberechtigung nicht in analoger Anwendung des § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB als unwirksam zu betrachten ist,214 hat einen guten Grund: Die causa für die Einräumung der Bezugsberechtigung wird zwar regelmäßig die sich aus der Ehe ergebende Unterhaltspflicht des Versprechensempfängers sein; zwingend oder gar ausschließlich ist deren Stellung als Rechtsgrund aber keineswegs.215 Vielmehr kann die Ursache für den Erwerb der Bezugsberechtigung durch den (ehemaligen) Ehegatten auch ein Umstand sein, der keinerlei Bezug zur Ehe aufweist. Dies liegt bei der Begünstigung des potentiell Hinterbliebenen durch § 46 SGB VI anders: Sie hat ihren Ursprung ausschließlich in dem gesetzgeberischen Ziel, den Hinterbliebenen gegen den Wegfall der ehelichen Unterhaltsansprüche mit dem Tod des Versicherten abzusichern.216 Hat der potentiell Hinterbliebene die ehelichen Unterhaltsansprüche bereits vor dem Tod des Versicherten durch die Scheidung der Ehe eingebüßt, kann dieses Sicherungsziel nicht mehr erreicht werden. Damit fehlt es – zivilrechtlich gewendet – immer an einer causa für die Bezugsberechtigung des (nun ehemaligen) potentiell hinterbliebenen Ehegatten. Außer dem Sicherungsziel, das der Gesetzgeber durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten verfolgt, bestehen keine „Rechtsgründe“ für eine Begünstigung des potentiell Hinterbliebenen; folglich ist auch kein Raum für eine Forderung nach einem gesonderten Widerruf der Bezugsberechtigung trotz erfolgter Scheidung. Es bleibt demnach dabei, dass die Scheidung in Bezug auf die witwen- oder witwerrentenrechtliche Begünstigung des potentiell Hinterbliebenen die gleiche Wirkung entfaltet wie der Widerruf der Bezugsberechtigung des Dritten in privatrechtlichen Verträgen nach §§ 330, 331 BGB. Ein Nebeneinander von Rechtspositionen des Versicherten und des potentiell Hinterbliebenen vor Eintritt des Versicherungsfalls ist folglich auch nach dieser Parallelüberlegung ausgeschlossen.

im Rahmen einer betrieblichen Altersvorsorge abgeschlossene Lebensversicherungen: Hier soll im Zweifel der Ehepartner berechtigt sein, der zum Zeitpunkt des Versterbens des Versicherten mit diesem verheiratet ist, vgl. BGHZ 79, 295, 300; Palandt-Grüneberg, § 330, Rn. 3; Römer, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 292. 214 BGHZ 79, 295, 298; BGH, NJW 1987, 3131, 3131; OLG Köln, VersR 1993, 1133, 1133; Palandt-Grüneberg, § 330, Rn. 3; Römer, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 288. 215 Vgl. auch § 2077 Abs. 3 BGB, der allerdings eine im Vergleich zur beschriebenen zivilrechtlichen Situation umgekehrte Beweislastverteilung aufweist. 216 BVerfGE 48, 346, 357 ff.; BVerfGE 97, 271, 287, 291; Bohlken, juris-Kommentar zum SGB VI, § 46, Rn. 23; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 289; Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 12.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

C. Bestimmung der möglicherweise eigentumsgeschützten Position vor Eintritt des Versicherungsfalls Wurde eben festgestellt, dass vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nur eine durch eine potentielle Eigenleistung erdiente witwen- oder witwerrentenrechtliche Position vorliegt, für die ein Eigentumsschutz in Betracht kommt, so ist nun die Frage zu beantworten, wem diese Position zusteht – dem Versicherten oder dem potentiell Hinterbliebenen. Regelungen zur Zuordnung einer unmittelbaren rechtlichen Begünstigung vor Eintritt des Versicherungsfalls sind im Bereich der privaten Lebensversicherung mit den §§ 150, 159 VVG vorhanden. Dass das VVG, das 1908 vom Gesetzgeber beschlossen wurde,217 diesen bei der nur drei Jahre später erfolgten Einführung der Hinterbliebenenrenten beeinflusst hat,218 kann nicht ausgeschlossen werden; jedenfalls weist das Recht der Witwen- und Witwerrenten bezeichnende Parallelen zur privaten Lebensversicherung auf. Im Folgenden soll daher dargelegt werden, dass eine analoge Anwendung der §§ 150, 159 VVG auf die Witwen- und Witwerrenten möglich ist. Sodann soll auf dieser Grundlage ermittelt werden, ob das Recht der Witwen- und Witwerrenten vor Eintritt des Versicherungsfalls den Versicherten oder den potentiell Hinterbliebenen unmittelbar rechtlich begünstigt. I. Analoge Anwendbarkeit der §§ 150, 159 VVG auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten 1. Vergleichbare Interessenlage a) Die Sozialversicherung als Versicherung Die erste Station auf dem Weg zur Beantwortung der Frage nach einer analogen Anwendbarkeit der §§ 150, 159 VVG auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten stellt die Prüfung des Vorliegens einer vergleichbaren Interessenlage dar. Diese wäre jedenfalls dann nicht gegeben, wenn das Recht der privaten Lebensversicherung einerseits und das der Witwen- und Witwerrenten andererseits jeweils vollkommen unterschiedlichen Rechtsbereichen angehörten. Ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit bestünde dagegen dann, wenn die Rechtsbereiche, denen die private Lebensversicherung auf der einen und die Witwen- und Witwerrenten auf der anderen Seite zuzuordnen sind, auf einem identischen Grundgedanken beruhen. Die grundsätzliche Frage, die sich insoweit stellt, ist, ob die Sozialversicherung und mit ihr das Recht der Witwen- und Witwerrenten als Teil der gesetzlichen Rentenversicherung eine „Versicherung“ darstellt.

217

RGBl., S. 263. Die Hinterbliebenensicherung wurde eingeführt mit dem Erlass der RVO am 19. Juli 1911, RGBl. S. 509. 218

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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aa) Die Entwicklung der heute überwiegenden Auffassung Ob die Sozialversicherung Versicherung ist, war bereits unmittelbar nach Erlass des ersten Sozialversicherungsgesetzes, des Krankenversicherungsgesetzes von 1883,219 Gegenstand heftiger Diskussion.220 Es bildeten sich diesbezüglich zwei Pole heraus: Die Versicherungstheorie221 und die Fürsorgetheorie222. Für den Standpunkt der Anhänger der Versicherungstheorie sehr einprägsam erscheint die Formulierung, die Sozialversicherung sei „ein neuer Zweig am alten Baume“223: Die Vertreter der Versicherungstheorie hielten die Sozialversicherung für eine echte Versicherung. Der Begriff „Versicherung“ hatte ihnen zufolge die Funktion des kleinsten gemeinsamen Nenners von Privat- und Sozialversicherung. Die Anhänger der Fürsorgetheorie nahmen dagegen eine gedankliche Trennung des zwischen Sozialversicherungsträger und Sozialversicherungspflichtigem bestehenden Gesamtverhältnisses in ein Beitragsverhältnis und ein Leistungsverhältnis vor. Beide Verhältnisse sollten völlig isoliert zu betrachten sein. Beim Erbringen von Leistungen im Leistungsverhältnis handele es sich um einen sozialpolitisch bedingten Akt staatlicher Fürsorge; die Pflicht zur Beitragstragung als wesentlicher Inhalt des Beitragsverhältnisses sei dagegen mit der Pflicht zur Leistung einer Abgabe gleichzusetzen. Der terminologische Rückgriff auf das Versicherungsrecht, den das Sozialversicherungsrecht vornehme, begründe nicht deren Versicherungseigenschaft, sondern sei allein dem Umstand geschuldet, dass das neu geschaffene Institut der Sozialversicherung sich zunächst an gewachsenen rechtlichen Strukturen habe orientieren müssen224. Waren die Vertreter der Fürsorgetheorie und ihrer sich im Laufe der Zeit entwickelnden Modifikationen zunächst in der Überzahl, so wuchs nach dem Ende der Hyperinflation Ende 1923 die Gruppe der Anhänger der Versicherungstheorie.225 Bis 1933 gelang es allerdings keiner der beiden Theorien, sich endgültig durchzusetzen.226 Nach dem Krieg verbreitete sich die Auffassung, die Sozialversicherung sei weder ein reines Versicherungssystem noch ein reines Fürsorgesystem, es handele sich vielmehr um ein Institut sui generis.227 Diese Ansicht vereinte Aspekte, die

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RGBl. 1883, Nr. 9, S. 73 ff. Schnapp, VSSR 1995, 101, 103. 221 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 857 ff., insb. S. 857, Fn. 2; Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, Bd. II, S. 734 ff. 222 Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts, 1889, S. 347, 348, 353; Proebst, Annalen des Deutschen Reiches 1888, S. 317, 324 ff.; Hermann Rehm, AöR 5 (1890), 529 ff.; Weyl, Lehrbuch des Reichsversicherungsrechtes, 1894, S. 877 ff. 223 Paul Köhne, Der Charakter und die systematische Stellung des Arbeiterversicherungsrechts, ZHR 37 (1890), S. 76, 129 (zitiert nach Butzer, Fremdlasten, S. 213). 224 Schnapp, VSSR 1995, 101, 103 ff. 225 Vgl. dazu Butzer, Fremdlasten, S. 215. 226 Vgl. dazu Butzer, Fremdlasten, S. 215. 227 Maßgeblich wurde diese Auffassung entwickelt von W. Bogs (insb.: Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, S. 22 ff.; Rechtsprinzipien sozialer Sicherung, S. 15 ff.) und 220

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

sich im Streit zwischen den Anhängern der Versicherungs- und jenen der Fürsorgetheorie noch kaum vereinbar gegenübergestanden haben.228 Einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Ansichten für und wider eine Bejahung des Versicherungscharakters der Sozialversicherung stellt das Kindergeldurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1960229 dar: Seit dieser Entscheidung wird die Sozialversicherung im Schrifttum ebenso wie in der Rechtsprechung annähernd einhellig als Versicherung im Rechtssinne gesehen.230 Die – soweit ersichtlich – einzigen Auffassungen, die sich heute noch dieser „versteinerten Meinung“231 entgegenstellen,232 sollen folgend im Lichte der aufgeworfenen Frage nach der Vergleichbarkeit von privater Lebensversicherung und dem Recht der Witwen- und Witwerrenten hinsichtlich des vor Eintritt des Versicherungsfalls Berechtigten erörtert werden. bb) Abweichende Ansichten Wolfram Lamping233 zufolge ist die Privatversicherung geprägt durch die rationale Marktbeziehung zwischen Privatversichertem und privatem Versicherungsträger, die auf einem freiwillig abgeschlossenen, von beiden Seiten individuell nach zivilrechtlichen Grundsätzen beeinflussbaren Vertrag beruhe. Die Sozialversicherung dagegen ergebe sich aus dem durch Zwang begründeten Verhältnis des Staates zu einer bestimmten sozialen Bevölkerungsklasse, der Lohnarbeiterschaft. Diese Auffassung negiert nicht nur den Versicherungscharakter der Sozialversicherung, sondern sie steht auch der Annahme unvereinbar gegenüber, es liege zwischen privater Lebensversicherung und dem Recht der Witwen- und Witwerrenten eine vergleichbare Interessenlage vor, soweit es um die Person des vor Eintritt des Versicherungsfalls Berechtigten geht. Denn was – wie Lamping meint – unter völlig unterschiedlichen Bedingungen zustande kommt und völlig unterschiedlichen Gesetzen gehorcht, kann nicht vergleichbar sein.

Wannagat (insb. Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Band, S. 1 ff., 9 ff. 17 ff., 25 ff., 31 ff.). 228 Hase, Versicherungsprinzip, S. 35. 229 BVerfGE 11, 105 ff., insb. 112 – 114. 230 Butzer, Fremdlasten, S. 216; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 118 f.; Hase, Versicherungsprinzip, S. 25 m.w.N.; ders., JZ 2000, 591, 594; Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 123 f.; Leisner, BB 1996, Beilage 6, S. 4; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 201. 231 Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 420, Fn. 14. 232 Der Versicherungscharakter wird, soweit ersichtlich, lediglich in Frage gestellt von Lamping, ZSR 1997, 52, 58; Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 696; kritisch auch Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 420. Dabei versteht Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 119 die Äußerungen Wertenbruchs sogar eher als Warnung vor einer Aushöhlung des Versicherungscharakters der Sozialversicherung denn als dessen Verneinung. 233 Lamping, ZSR 1997, 52, 58.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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Mehrere Aspekte sprechen jedoch gegen die von Lamping vertretene Ansicht. Zunächst geht das Abstellen auf ein Verhältnis Staat-Lohnarbeiterschaft zur Charakterisierung der Sozialversicherung weit an der gesellschaftlichen und rechtlichen Wirklichkeit vorbei.234 Mag die soziale Sicherung der Arbeiter auch Ausgangspunkt der Entwicklung der Sozialversicherung gewesen sein, und ist auch heute noch das Anknüpfen zumindest an eine entgeltliche Beschäftigung der Grundsatz für die Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses,235 so enttarnt doch ein Blick auf die eine Mitgliedschaft in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung vorschreibenden oder ermöglichenden Normen236 das Abstellen auf das Verhältnis Staat-Lohnarbeiterschaft als zumindest überholt237. Noch weit weniger überzeugend gerät die antagonistische Gegenüberstellung von Freiwilligkeit und Zwang als den Bedingungen, unter denen nach Lamping das Privatversicherungsverhältnis einerseits und das Sozialversicherungsverhältnis andererseits zustande kommen. Soweit man der Art der Begründung des Versicherungsverhältnisses überhaupt eine Bedeutung für die Bestimmung seines – vorliegend allein maßgeblichen – Inhaltes beimessen will,238 ist festzustellen, dass die von Lamping vorgenommene Gegenüberstellung von Freiwilligkeit in der Privatversicherung und Zwang in der Sozialversicherung eine Verallgemeinerung darstellt, die Wesentliches unbeachtet lässt. Keinesfalls handelt es sich bei der Möglichkeit zur freiwilligen Eingehung eines Privatversicherungsverhältnisses und der zwangsweisen Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses jeweils um un- oder kaum durchbrochene Grundsätze. Vielmehr bestehen in zentralen Bereichen des täglichen Lebens genauso gesetzliche Pflichten zur Eingehung eines Privatversicherungsverhältnisses,239 wie es Möglichkeiten zur freiwilligen Eingehung eines Sozialversicherungsverhältnisses gibt240. Die einzige Freiwilligkeit, die dem Betroffenen in den Fällen bleibt, in denen eine Privatversicherungspflicht besteht, ist die Freiwilligkeit, den die Versicherungspflicht begründenden Tatbestand zu erfüllen oder nicht zu erfüllen; an dieser „Freiwilligkeit“ fehlt es indes auch im Sozialversicherungsrecht nicht. Die Überschneidung der beiden Systeme ist so stark, dass in den genannten Fällen der behauptete Antagonismus von Freiwilligkeit und Zwang hinsichtlich der Begründung 234

Isensee, ZRP 1982, 137, 139; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 106, 201. Vgl. etwa § 1 S. 1 Nr. 1, 1. Alt. SGB VI; Butzer, Fremdlasten, S. 439 spricht von den abhängig beschäftigten Arbeitern einprägsam als dem „traditionellen Stammpublikum“ der Sozialversicherung. 236 Vgl. §§ 24 ff. SGB III; § 5 SGB V; §§ 1 ff. SGB VI; §§ 2 ff. SGB VII; §§ 20 ff. SGB XI. 237 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 201; entgegenstehend auch BVerfGE 11, 105, 113. 238 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 698 sowie Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 66 halten die Modalitäten, unter denen ein Versicherungsverhältnis zustande kommt, für unmaßgeblich, soweit es um die Bestimmung des Inhaltes des Versicherungsverhältnisses geht. 239 Vgl. etwa § 1 PflVG. 240 Vgl. etwa §§ 4, 7 SGB VI, § 9 SGB V. 235

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

des jeweiligen Versicherungsverhältnisses geradezu in sein Gegenteil verkehrt wird: Das Maß an Freiwilligkeit, das dem Betroffenen bei der Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses bleibt, vermag über das bei der Begründung eines Privatversicherungsverhältnisses vorhandene hinauszugehen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf den Inhalt des jeweiligen Versicherungsverhältnisses. Berücksichtigt man, dass die Privatversicherungswirtschaft mit Formularverträgen aufwartet, die vom Versicherungsnehmer praktisch kaum beeinflussbar sind, und dass die Privatversicherer zudem auf der Grundlage von Verbandsempfehlungen vorgefasste allgemeine Versicherungsbedingungen in den Vertrag einführen, die ebenfalls nicht verhandelbar sind, bleibt von dem Bild der „zweiseitigen, individuell gestaltbaren Verträge“ nicht mehr viel übrig.241 Aus anderem Grund bezweifelt Wilhelm Wertenbruch den Versicherungscharakter der Sozialversicherung. Er kritisiert, dass die Träger der Sozialversicherung auf den ersten Blick zwar rechtlich verselbstständigte Körperschaften des öffentlichen Rechts, Organe der mittelbaren Staatsverwaltung, seien, dass ein zweiter Blick aber offenbare, dass ihnen eigene Aufgaben fehlten. Tatsächlich handele es sich bei ihnen daher vielmehr um mit bloßen Zuständigkeiten ausgestattete Behörden, um Organe der unmittelbaren Staatsverwaltung.242 Zwingendes Merkmal einer jeden effektiven und effizienten Versicherung sei ein dem Versicherungsfall zeitlich vorgelagertes Entstehen und ein dem Versicherungsfall nachfolgendes Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer.243 Der Staat selbst dürfe dabei allerdings gerade nicht als Versicherer auftreten.244 Sobald der Staat nämlich seinerseits in eine Notlage gerate, rücke einzig deren Bewältigung in seinen Fokus; jeder weitergehende Sicherungsplan werde dann Makulatur.245 Dass Wertenbruch den Versicherungscharakter der Sozialversicherung verneint, hat seine Ursache mithin in dem Umstand, dass er in der behaupteten Identität des Staates mit den Trägern der Sozialversicherung eine Gefahr für die Durchsetzbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche der Versicherten im Falle einer staatsbedrohenden Notlage sieht. Wertenbruch stellt mit anderen Worten den Versicherungscharakter der Sozialversicherung unter Hinweis auf die Identität des Versicherers in Abrede. Für die aufgeworfene Frage ist dies unerheblich: Vorliegend gilt es zu klären, ob eine vergleichbare Interessenlage zwischen privater Lebensversicherung und dem Recht der Witwen- und Witwerrenten im Hinblick auf die Person des Berechtigten vor 241

Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 202; ähnlich Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 67 ff., insb. S. 69. 242 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 692, 708; ein Ansatz in dieser Richtung ist auch vorhanden bei Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 198. Gegen eine Gleichstellung von Staat und den Trägern der Rentenversicherung wenden sich Meyer, Armutsfestigkeit, S. 117 sowie Haverkate, ZRP 1984, 217, 221: Wer den Staat als Versicherer bezeichne, der „schmücke ihn mit fremden Federn“. 243 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 698 f. 244 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 702, 704. 245 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 704.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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dem Eintritt des Versicherungsfalls gegeben ist. Der angestrebte Vergleich bezieht sich demnach nicht auf den Versicherer, sondern hat den Versicherten im Blick. cc) Die Sozialversicherung als Institut sui generis? Hinsichtlich der in Rede stehenden vergleichbaren Interessenlage bedarf es schließlich noch einer Auseinandersetzung mit der von Friedhelm Hase zur Natur der Sozialversicherung vertretenen Ansicht. Hase stuft die Sozialversicherung zwar als Versicherung ein; anders als die Vertreter der weit überwiegenden Ansicht246 hält er die Sozialversicherung jedoch nicht für aus zwei Komponenten bestehend, dem grundlegenden, der Privatversicherung entnommenen Äquivalenzprinzip und dem dieses modifizierenden Prinzip des sozialen Ausgleichs. Er meint vielmehr, die Sozialversicherung sei insgesamt und ausschließlich eine Schöpfung des öffentlichen Rechts, die völlig anderen Gesetzen gehorche und völlig anderen Mechanismen unterworfen sei als die Privatversicherung.247 Sollte es tatsächlich zutreffen, dass Privat- und Sozialversicherung sich zwar nicht – wie von Lamping behauptet248 – gegensätzlich zueinander verhalten, aber doch ohne gemeinsame Wurzeln überschneidungsfrei koexistieren, muss die Frage nach dem Bestehen einer vergleichbaren Interessenlage verneint werden. Das Problem, wer vor Eintritt des Versicherungsfalls durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten unmittelbar rechtlich begünstigt ist – der Versicherte oder der potentiell Hinterbliebene – dürfte nicht unter Heranziehung der §§ 150, 159 VVG gelöst werden, sondern wäre dann ausschließlich nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu behandeln. Gegen die Auffassung Hases spricht aber Folgendes: Das Vorhandensein prägender Gemeinsamkeiten zwischen Privatversicherung und Sozialversicherung – sowohl in Bezug auf ihre Wurzeln249 als auch in Bezug auf ihre heutige Ausgestaltung – lässt sich nicht leugnen. Es mag durchaus sein, dass viele Parallelen zwischen Privat- und Sozialversicherung, insbesondere solche terminologischer Art, in der Zeit der Entstehung der Sozialversicherung auf dem Umstand beruhten, dass es der Sozialversicherung noch an hinreichend klaren Strukturen fehlte und daher ein Anlehnen an Vorhandenes nötig war;250 dass dieses Argument auch nach über 125jähriger Rechtsentwicklung im Sozialversicherungsrecht noch Geltung beanspruchen kann, erscheint allerdings mehr als zweifelhaft.251 Sowohl Privat- als auch Sozialversicherung sind Ausdruck des Strebens nach Sicherheit, sie fußen insoweit auf demselben Grund; eine überschneidungsfreie Koexistenz beider Systeme muss vor dem Hintergrund dieses identischen Ursprungs ausgeschlossen sein. 246 247 248 249 250 251

Statt vieler: Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 32 ff. Hase, Versicherungsprinzip, S. 34 ff., insb. S. 36. Lamping, ZSR 1997, 52, 58; siehe dazu oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a)bb). Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 1. Vgl. dazu Schnapp, VSSR 1995, 101, 103 ff. Ähnlich Bieback, VSSR 2003, 1, 29.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Die Einstufung von Privat- und Sozialversicherung als grundlegend verschieden lässt sich ferner nicht mit der 1980 begonnenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigentumsfähigkeit sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche252 in Einklang bringen:253 Das Bundesverfassungsgericht grenzt sozialversicherungsrechtliche Ansprüche nach dem Merkmal des Beruhens auf einer Beitragsleistung gegenüber steuerfinanzierten Fürsorgeansprüchen ab. Damit rückt es die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche aber zugleich in die Nähe der privatversicherungsrechtlichen Ansprüche, die ebenfalls auf der Leistung von Beiträgen beruhen. Schließlich geht auch der Gesetzgeber von einer weitgehenden Vergleichbarkeit beider Systeme aus, wie etwa der Umkehrschluss aus § 341 Abs. 1 S. 1 HGB zeigt. Sowohl Privat- als auch Sozialversicherung dienen dem Risikoausgleich gegen Beitragsleistung.254 Diese Eigenschaft ist kleinster gemeinsamer Nenner255 oder ein „vor die Klammer gezogener Oberbegriff“256. Eine Verknüpfung von Privat- und Sozialversicherung über ihre jeweilige Eigenschaft als „Versicherung“ lässt sich daher nicht in Abrede stellen.257 b) Die Ungewissheit über das Vorhandensein eines Vollrechtsinhabers als Hindernis für einen Vergleich? An der Vergleichbarkeit des Rechts der Witwen- und Witwerrenten mit dem Recht der privaten Lebensversicherung, die Voraussetzung für eine analoge Anwendbarkeit der §§ 150, 159 VVG ist, könnten sich aber aus folgendem Grund Zweifel ergeben: Wird eine private Lebensversicherung abgeschlossen, ohne dass dabei die Person, der die Versicherungssumme im Falle des Todes des Versicherungsnehmers zustehen soll, im Versicherungsvertrag bestimmt wurde, so ist der Eintritt des Versicherungsfalls aufschiebend befristet (§§ 163, 1. Alt, 158 Abs. 1 BGB).258 Dass eine aufschiebende Befristung, nicht aber eine aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) vorliegt, ergibt sich aus dem Zusammenwirken zweier Umstände: Zum einen sind, weil ein Begünstigter im Versicherungsvertrag nicht benannt ist, die Erben des Versiche-

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BVerfGE 53, 257 ff. Butzer, Fremdlasten, S. 217. 254 Gitter, FamRZ 1974, 233, 237; Kruse/Kruse, Die Sozialversicherung 2003, 225, 226; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 118; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 63, 78; Knels, Das Sozialversicherungsprinzip, S. 47. 255 Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 696 benutzt diesen Begriff zwar ebenfalls, hält dessen Voraussetzungen insoweit allerdings nicht für erfüllt. 256 Butzer, Fremdlasten, S. 213. 257 Vgl. auch Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 291; Heinze, DRV 1985, 245, 249, 252; Ruland, DRV 1985, 13, 21; Wannagat, DAngVers 1985, 101, 102. 258 Diesen Unterschied zwischen privater Lebensversicherung und Witwen- und Witwerrente stellt ebenfalls heraus Möller, SGb 1970, 81, 83 f. 253

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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rungsnehmers als Begünstigte anzusehen;259 ein Erbe und damit ein Begünstigter ist aber in jedem Fall vorhanden, und sei es in Gestalt des Staates (§ 1936 BGB). Zum anderen steht fest, dass – irgendwann – der Tod des Versicherungsnehmers eintreten wird. Beide Umstände führen in der Summe dazu, dass es lediglich eine Frage der Zeit ist, bis der Anspruch auf die Versicherungssumme einem Berechtigten zufällt. Wer konkret dieser Berechtigte sein wird, lässt sich vor Eintritt des Versicherungsfalls allerdings in keiner Hinsicht bestimmen. Anders verhält es sich bei der Witwen- oder Witwerrente: Der Versicherungsfall tritt hier nicht bereits mit dem Tod des Versicherungspflichtigen ein, sondern zum Zeitpunkt des Todes des Versicherungspflichtigen muss außerdem eine wirksame Ehe bestehen.260 Damit ist der Vollrechtserwerb im Recht der Witwen- und Witwerrenten sowohl aufschiebend befristet durch den Tod des Versicherungspflichtigen als auch aufschiebend bedingt durch das Bestehen einer wirksamen Ehe im Todeszeitpunkt. Dies bringt es mit sich, dass – anders als bei den beschriebenen privaten Lebensversicherungen – die Person des potentiellen Vollrechtsinhabers vor Eintritt des Versicherungsfalls zwar nicht individuell, aber zumindest individualisierbar bekannt ist: Nur dem hinterbliebenen Ehegatten kann das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente zufallen; ist ein solcher im Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht vorhanden, gelangt es nicht zur Entstehung. Dieser Unterschied hinsichtlich der Bestimmbarkeit eines potentiellen Vollrechtsinhabers könnte dazu führen, dass es an einer Vergleichbarkeit der privaten Lebensversicherung mit der Witwen- oder Witwerrente fehlt, soweit es um die Frage geht, wer vor Eintritt des Versicherungsfalls Berechtigter ist. Während nämlich die beschriebene Ausgestaltung der privaten Lebensversicherung kaum etwas anderes zulässt, als den Versicherungsnehmer selbst als Begünstigten einzustufen,261 scheint die dargelegte Individualisierbarkeit des potentiellen Witwen- oder Witwerrentenberechtigten es durchaus zu rechtfertigen, diesen, und nicht den versicherungspflichtigen Ehegatten, vor Eintritt des Versicherungsfalls als unmittelbar begünstigt anzusehen. Eine derartige Betrachtungsweise verkennt indes, dass die vermeintliche Gewissheit über die Person des späteren Vollrechtsinhabers im Recht der Witwen- und Witwerrenten nur auf den ersten Blick besteht. Denn ist der Versicherungspflichtige eine wirksame Ehe eingegangen, können gleichwohl zwei Ereignisse verhindern, dass sein Ehegatte ein Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente erwirbt: die Scheidung 259 Den Erben des Versicherungsnehmers einer privaten Lebensversicherung, in der ein Bezugsberechtigter nicht genannt ist, fällt die Versicherungssumme auch als Erben und nicht als bezugsberechtigte Dritte zu, vgl. dazu Bruck/Möller/Winter-Winter, H 25, S. 1075. 260 Anders sieht dies offenbar Hase, JZ 2000, 591, 596, der allein den Tod des Versicherten als Versicherungsfall einstuft, die Abhängigkeit des Entstehens des Vollrechts vom Vorhandenseins eines Ehepartners zum Todeszeitpunkt des Versicherten aber dem sozialen Ausgleichs zuschreibt. 261 So die heute einhellige Auffassung, vgl. nur Bruck/Möller/Winter-Winter, H 25, S. 1075.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

der Ehe und das Vorversterben des Ehegatten.262 Die Möglichkeit der Ehescheidung stellt dabei eine beachtliche Hürde dar, wenn man berücksichtigt, dass schon seit längerer Zeit die Anzahl der jährlich geschiedenen Ehen mehr als 50 Prozent der neu geschlossenen Ehen ausmacht.263 Auch die Möglichkeit eines Vorversterbens des nicht versicherten Ehegatten kann nur in den Fällen als eher gering eingestuft werden, in denen der Versicherungspflichtige erheblich älter ist als sein potentiell hinterbliebener Ehegatte. Die Gewissheit über die Person des späteren Vollrechtsinhabers ist im Recht der Witwen- und Witwerrenten daher kaum höher als bei privaten Lebensversicherungen in der beschriebenen Ausgestaltung. Zudem ist zu beachten, dass die erwähnte Art der privaten Lebensversicherung eine seltene Ausnahme darstellt: Der weitaus größte Teil aller privaten Lebensversicherungen sieht eine Benennung dessen vor, dem die Versicherungssumme zukommen soll. In diesen Fällen besteht hinsichtlich der Bestimmbarkeit des späteren Vollrechtsinhabers kein Unterschied zu den Witwen- und Witwerrenten. Eine Vergleichbarkeit des Rechts der privaten Lebensversicherung und des Rechts der Witwen- und Witwerrenten hinsichtlich der vor Eintritt des Versicherungsfalls berechtigten Person ist daher gegeben.264 2. Planwidrige Regelungslücke Das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke als zweite Voraussetzung für die Möglichkeit einer analogen Anwendung der §§ 150, 159 VVG kann ohne Weiteres bejaht werden. Insbesondere deutet der Umstand, dass das SGB VI nicht regelt, ob vor Eintritt des Versicherungsfalls der Versicherte oder potentiell Hinterbliebene Inhaber einer witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position ist, nicht darauf hin, dass der Gesetzgeber vor dem Eintritt des Versicherungsfalls niemanden, weder den versicherungspflichtigen Ehegatten noch den potentiell hinterbliebenen Ehegatten, unmittelbar rechtlich begünstigen wollte, sondern nur eine reflexartige Begünstigung, eine bloße Aussicht, für ausreichend hielt. Ginge man davon aus, dass es vor Eintritt des Versicherungsfalls tatsächlich an jedweder rechtlich geschützten Position fehlt, wäre das Recht der Witwen- und Witwerrenten als Instrument der Vorsorge gegen soziale Risiken schlechthin unbrauchbar.265 Denn der Zwang zum Leisten von Beiträgen (auch) zur Witwen- oder Witwerrente bringt es regelmäßig mit sich, dass dem Ver262

Ähnlich Hase, Versicherungsprinzip, S. 322. So erfolgten etwa im Jahr 2007 368.922 Eheschließungen, während im gleichen Jahr 187.072 Ehen geschieden wurden. 2006 wurden 373.681 Ehen geschlossen und 190.928 Ehen geschieden. 2005 standen 388.451 Eheschließungen 201.693 Scheidungen gegenüber; Zahlen nach Statistisches Bundesamt, www.destatis.de. 264 Ebenfalls von einer Vergleichbarkeit gehen aus BSGE 92, 113, 122; Butzer, FS Isensee, S. 667, 679 ff.; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 329; Möller, SGb 1970, 81, 83; eine Vergleichbarkeit lehnt unter fragwürdigem Verweis auf Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 329 offenbar ab Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 346. 265 Ähnlich Hase, Versicherungsprinzip, S. 323 f.; ders, JZ 2000, 591, 592, 597; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 219. 263

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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sicherten weitere Mittel zur Vorsorge gegen das Risiko, seinen Ehegatten unversorgt zu hinterlassen, nicht zur Verfügung stehen. Verfügen die Betroffenen ausnahmsweise doch über die erforderlichen Mittel, werden sie im Vertrauen darauf, durch die Witwen- oder Witwerrente ausreichend abgesichert zu sein, weitere Vorsorgemaßnahmen meist unterlassen.266 Erschöpfte sich die Sicherungswirkung des Rechts der Witwen- und Witwerrenten aber im Erwerb einer bloßen Aussicht auf Leistung, bestünde damit keine Grundlage für eine verantwortungsbewusste Risikoabsicherung.267 II. Die Witwen- und Witwerrente als Eigenoder Fremdversicherung Nachdem eine analoge Anwendbarkeit der §§ 150, 159 VVG auf die Witwen- und Witwerrenten bejaht wurde, zeigt ein Blick auf § 150 Abs. 1 VVG, wonach zu entscheiden ist, wer vor Eintritt des Versicherungsfalls Inhaber einer möglicherweise eigentumsgeschützten Anwartschaft ist: Es gilt zu klären, ob es sich bei der Witwenund Witwerrente um eine Eigenversicherung des versicherten Ehegatten (§ 150 Abs. 1, 1. Alt. VVG)268 oder um eine Fremdversicherung auf die Person des potentiell hinterbliebenen Ehegatten (§ 150 Abs. 1, 2. Alt. VVG) handelt.269 Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend für die Festlegung der vor Eintritt des Versicherungsfalls unmittelbar berechtigten Person. Der potentiell Hinterbliebene kann grundsätzlich nur dann Inhaber einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente sein, wenn eine Fremdversicherung besteht.270 Anderenfalls steht ihm lediglich eine bloße Aussicht auf Leistung zu (§ 159 Abs. 2 VVG). Ob das Recht der Witwen- und Witwerrenten eine Eigenversicherung des Versicherten oder eine Fremdversicherung auf die Person des potentiell Hinterbliebenen ausgestaltet, wurde bisher – soweit ersichtlich – lediglich vom vierten Senat des Bundessozialgerichtes271 und von Hermann Butzer272 untersucht. Zahlreicher sind dagegen die Stimmen, die zwar nicht ausdrücklich nach dem Vorliegen einer Eigen- oder einer Fremdversicherung fragen, die aber inhaltlich teils mehr, teils weniger ausführlich dazu Stellung beziehen, wer vor Eintritt des Versicherungsfalls unmittelbar recht266

Rüfner, Differenziertheit, S. 169, 179. Hase, JZ 2000, 591, 597; ders., Versicherungsprinzip, S. 323 f. 268 Dass im Rahmen der Frage danach, wer versichert ist, von dem „versicherten Ehegatten“ die Rede ist, stellt keinen Hinweis auf eine gedankliche Präklusion dar, sondern ist allein dem Umstand geschuldet, dass der in das Gesamtsystem der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogene Ehegatte allgemein und auch im Kontext der Witwen- und Witwerrenten (vgl. etwa § 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) als „Versicherter“ bezeichnet wird. 269 Vgl. dazu auch Mielke, VSSR 2009, 141, 147 ff. 270 Jedenfalls denkbar ist auch eine unmittelbare Berechtigung des potentiell Hinterbliebenen aus einer Eigenversicherung des Versicherten für Rechnung des potentiell Hinterbliebenen, vgl. dazu unten 2. Teil, § 2, C.II.2. 271 BSGE 92, 113, 122 ff. 272 Butzer, FS Isensee, S. 667, 678 ff. 267

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

lich begünstigt ist.273 Überwiegend wird dabei jedenfalls implizit vom Vorliegen einer Fremdversicherung ausgegangen. 1. Die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente: Eigenversicherung des Versicherten a) Der Gesetzeswortlaut – Argument für das Vorliegen einer Eigenversicherung? Für die Ausgestaltung einer Eigenversicherung durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten scheint sich bereits das Gesetz selbst als Stütze anzubieten. In § 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI heißt es: „Grundlage für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte sind die Entgeltpunkte des verstorbenen Versicherten bei einer Witwenrente, Witwerrente oder Halbwaisenrente.“ Weil der Begriff des Versicherten in versicherungsrechtlicher Hinsicht die Person des materiell Begünstigten bezeichnet, spricht dieser Wortlaut des Gesetzes somit grundsätzlich dafür, dass es sich bei der Witwen- oder Witwerrente um eine Eigenversicherung des verstorbenen Versicherten handelt, aus dessen Position sich nunmehr das Vollrecht des Hinterbliebenen ableitet. Eindeutig ist das freilich nicht. Denn in der (sozial-)versicherungsrechtlichen Praxis findet der Begriff „Versicherter“ häufig auch – wenngleich juristisch ungenau – Anwendung auf den Risikoträger eines Lebensversicherungsvertrages, die Gefahrsperson.274 Dass diese verbreitete terminologische Ungenauigkeit auch hinsichtlich der Bezeichnung des die Beitragsleistung Erbringenden in das Gesetz übernommen wurde, kann nicht ausgeschlossen werden. Der Gesetzeswortlaut erweist sich insoweit zwar als Indiz für das Vorliegen einer Eigenversicherung, einen definitiven Schluss darauf gestattet er jedoch nicht. b) Vorliegen einer Eigenversicherung aufgrund eines im SGB VI fehlenden Pendants zu § 150 Abs. 2 S. 1 VVG? Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer Eigenversicherung ergibt sich aus einem Vergleich von § 46 SGB VI mit dem Recht der privaten Lebensversicherung. Insoweit fällt nämlich auf, dass der wirksame Abschluss einer privaten Lebensfremdversicherung nach § 150 Abs. 2 S. 1 VVG die schriftliche Einwilligung der Gefahrsperson voraussetzt. Grund für dieses Einwilligungserfordernis ist, dass das Leben Dritter nicht zum Gegenstand von Spiel oder Wette gemacht und insbesondere der Versiche273 BVerfGE 97, 271, 284 f.; v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 103 f.; Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 128 ff.; Krause, Eigentum, S. 197; ders., DRV 1985, 254, 255; Hase, Versicherungsprinzip, S. 321 ff.; ders., JZ 2000, 591, 595 ff.; Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 223; G. Rauschenbach, DAngVers 1985, 472, 474; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153 f.; Ruland, NJW 1986, 20, 27; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096. 274 Bruck/Möller/Winter-Winter, VVG, H 2.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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rungsnehmer nicht in Versuchung gebracht werden soll, dem Versicherungsfall zum Eintritt zu verhelfen, um so in den Genuss der Vorteile der Versicherung zu gelangen.275 Diese Gefahren bestehen insbesondere dann, wenn die Möglichkeit zum Abschluss einer Versicherung auf den Tod eines Dritten hinter dessen Rücken gegeben ist. Das Einwilligungserfordernis also stellt sicher, dass der Abschluss einer Lebensfremdversicherung regelmäßig nicht mit unlauteren Absichten einhergeht und dass die Gefahrsperson sich des Risikos bewusst wird, dem sie ausgesetzt ist. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten kennt demgegenüber ein solches Einwilligungserfordernis nicht, was auf das Bestehen einer Eigenversicherung des Versicherten hindeutet. Zwingend gegen die Ausgestaltung einer Fremdversicherung spricht das Fehlen eines Einwilligungserfordernisses im Recht der Witwen- und Witwerrenten jedoch nicht: Da das zugrundeliegende Versicherungsverhältnis kraft Gesetzes begründet wird, kann es hier zu einem Abschluss „hinter dem Rücken der Gefahrsperson“ nicht kommen. Zudem ist die Versuchung, dem Eintritt des Versicherungsfalls nachzuhelfen, bei den Witwen- und Witwerrenten aufgrund der persönlichen Nähe der Betroffenen zueinander im Verhältnis zur privaten Lebensfremdversicherung deutlich geringer.276 c) Eigenversicherung aufgrund der Unmöglichkeit, dem potentiell Hinterbliebenen Beiträge zuzurechnen Dass die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente keine Fremdversicherung auf die Person des potentiell Hinterbliebenen darstellen kann und daher eine Eigenversicherung des Versicherten gegeben sein muss, ergibt sich jedoch mit Eindeutigkeit aus folgenden Überlegungen: Wollte man vom Vorliegen einer Fremdversicherung ausgehen, so müsste der potentiell Hinterbliebene Versicherungsnehmer sein. Der Versicherungsnehmer ist regelmäßig auch Beitragsschuldner. Nun leistet der potentiell Hinterbliebene aber – insoweit ist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998277 zuzustimmen – keine eigenen Beiträge. Zwingend ist eine Beitragstragung durch den Versicherungsnehmer indes nicht: Ebenso wie im Privatversicherungsrecht ist es im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung möglich, dass Versicherungsnehmer und Beitragsschuldner nicht identisch sind.278 Rechnete man dem potentiell Hinterbliebenen die Beitragsleistungen des Versicherten zu, stünde das Fehlen eigener Beitragsleistungen des ersteren der Annahme, die Hinterbliebenenrenten seien als Fremdversicherung ausgestaltet, nicht entgegen.

275

Bruck/Möller/Winter-Winter, VVG, H 4; Römer, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 280. Sollte der potentielle Vollrechtsinhaber dem Versicherungsfall doch zum Eintritt verhelfen, so ist ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente nach § 105 SGB VI ebenso wie im Recht der privaten Lebensversicherung (§ 162 Abs. 1 VVG) ausgeschlossen. 277 BVerfGE 97, 271, 285. 278 Meyer, Armutsfestigkeit, S. 71, 99; Schnapp, VSSR 1995, 101, 112. 276

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Es ist jedoch nicht möglich, dem potentiell Hinterbliebenen alle Beiträge des Versicherten schon zu dessen Lebzeiten zuzurechnen. Zu überzeugen vermag der Versuch einer Beitragszurechnung noch, soweit der Blick auf Konstellationen beschränkt bleibt, in denen ein schon Verheirateter ein Versicherungsverhältnis begründet: Ein potentiell Hinterbliebener, dem sämtliche Beiträge des Versicherten zugerechnet werden könnten, ist von Beginn an vorhanden. Die Zurechnungskonstruktion gerät jedoch ins Wanken, sobald in die Betrachtung auch Konstellationen einbezogen werden, in denen ein bereits Versicherter heiratet, in denen er also schon vor Eingehung der Ehe Beitragsleistungen erbracht hat: Ist vor Eingehung der Ehe ein potentiell Hinterbliebener nicht vorhanden, können zu diesem Zeitpunkt die bis dahin erfolgten Beitragsleistungen des Versicherten allein dem Versicherten selbst zugerechnet werden. Kommt es zur Eheschließung, so ist nunmehr zwar ein potentiell Hinterbliebener vorhanden, dem alle ab Eingehung der Ehe erfolgenden Beitragsleistungen zugerechnet werden könnten. Zur Begründung der Annahme, das Recht der Witwen- und Witwerrenten gestalte eine Fremdversicherung und damit eine alleinige Anwartschaft des potentiell Hinterbliebenen aus, ist indes erforderlich, dass sich dem potentiell Hinterbliebenen alle – auch die vor Eingehung der Ehe erbrachten – Beiträge zurechnen lassen. Denn ein später womöglich entstehendes Vollrecht leitet sich aus der gesamten Versicherungsbiographie des Versicherten ab: Es ist dem Versicherten noch bis unmittelbar vor seinem Tod möglich, einem Dritten durch Heirat zu einem Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente zu verhelfen, das sich nicht von dem Vollrecht unterscheidet, das ein langjährig mit einem Versicherten Verheirateter zu erwerben vermag.279 Dem potentiell Hinterbliebenen die Beitragsleistungen zuzurechnen, die der Versicherte vor Eingehung der Ehe erbracht hat, wie es in § 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI im Hinblick auf das Vollrecht für die Gesamtheit der Beitragsleistungen normiert ist, ist jedoch hinsichtlich der Anwartschaft gesetzlich nicht vorgesehen. Anzunehmen, der Gesetzgeber gehe von einer Zurechnung aus, obwohl er eine entsprechende Regelung nicht getroffen hat, verbietet die Existenz der in § 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI für eine vergleichbare Problematik geschaffenen Regelung. Verzichtbar wäre eine positive Regelung der Zurechnung der vor Eheschließung erbrachten Beitragsleistungen an den potentiell Hinterbliebenen nur dann, wenn man davon ausginge, vor Eingehung einer Ehe schlügen sich die Beitragsleistungen des Versicherten nicht in einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente nieder, es seien vielmehr allein die ab Eingehung der Ehe erbrachten Beitragsleistungen ursächlich für den Erwerb einer Anwartschaft280. Dem steht jedoch entgegen, dass sich die Beitragsleistungen des Versicherten mit dem Eingehen einer Ehe nicht ändern, dass sie sich insbesondere nicht erhöhen und auch der potentiell Hinterbliebene keine zusätzlichen Beiträge leistet. Davon auszugehen, dass die Beitragsleistungen des Ver279 Dies gilt freilich nur in den Grenzen, die durch die widerlegbare Vermutung des Bestehens einer Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SGB VI gezogen werden. 280 So Hase, Versicherungsprinzip, S. 323.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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sicherten vor Eheschließung keine Anwartschaft begründen, die Beitragsleistungen nach Eingehung der Ehe aber Grundlage einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente sind, bedeutet demnach, einer bestimmten Beitragsleistung (derjenigen vor Eheschließung) eine bestimmte Wirkung (die Tauglichkeit zur Begründung einer Anwartschaft) abzusprechen, der gleichen Beitragsleistung (derjenigen nach Eheschließung) diese Wirkung aber zuzuschreiben. Die Möglichkeit, durch das Erbringen einer Beitragsleistung eine Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente zur Entstehung zu bringen, wäre nur unter der Bedingung des Bestehens einer wirksamen Ehe gegeben. Schlüge sich aber die Beitragsleistung von Versicherten, die noch nicht oder nicht mehr in einer wirksamen Ehe leben, in keinerlei Berechtigung nieder, so stellte deren Beitragspflicht ein gleichheitswidriges Sonderopfer dar. Konsequent hinsichtlich des Schaffens eines identischen „Erfolgswertes“ der vor und der nach Eingehung einer Ehe erbrachten Beitragsleistungen wären zwei Lösungen: Entweder man verneint das Bestehens jedweder Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente.281 Das völlige Verneinen des Bestehens einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente ist jedoch mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang zu bringen; es offenbaren sich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen im Verhältnis zu den außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung stehenden Bürgern. Auch ließe sich kaum erklären, warum die Beitragsleistungen zur Entstehung einer Anwartschaft auf Versichertenrente führen, nicht aber zum Entstehen einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente, obwohl sich diese bis unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls in keinem Punkt von der Versichertenrente unterscheidet282. Darüber hinaus führte die Verneinung des Bestehens jeglicher Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente – wie schon erwähnt283 – zum Verlust der Tauglichkeit des Rechts der Witwen- und Witwerrenten als Instrument verantwortungsvoller Absicherung: Eine nicht auf Rechtspositionen fußende Absicherung verdient ihren Namen nicht.284 Oder – das wäre die zweite zu einem gleichen „Erfolgswert“ führende Lösung – man rechnete die vor Eingehung der Ehe geleisteten Beiträge dem Versicherten, die danach erbrachten Beiträge dem dann vorhandenen potentiell Hinterbliebenen zu.285 Dies wäre hinsichtlich des Schaffens eines identischen „Erfolgswertes“ der geleiste281 Dies scheint die Position des BVerfG in der Entscheidung vom 18. 2. 1998 zu sein: Das Bestehen einer Anwartschaft des Versicherten wird explizit verneint (E 97, 271, 284), während eine Anwartschaft des potentiell hinterbliebenen Ehegatten mit keinem Wort Erwähnung findet, obwohl der Entscheidung die Verfassungsbeschwerden beider Ehegatten zweier Ehepaare zugrunde lagen. Dies lässt vermuten, dass das BVerfG auch nicht vom Bestehen einer Anwartschaft des potentiell hinterbliebenen Ehegatten ausgeht. Ähnlich dazu Hase, Versicherungsprinzip, S. 321 f., Fn. 242. 282 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; Kolb, DRV 1985, 40, 43; Papier, DRV 2001, 350, 352. 283 Vgl. oben 2. Teil, § 3, C.I.2. 284 Hase, JZ 2000, 591, 597; ders., Versicherungsprinzip, S. 323 f. 285 Ein ähnlicher, noch etwas weitergehender Vorschlag findet sich bei Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

ten Beiträge konsequent, weil die vor Eingehung der Ehe geleisteten Beiträge nun nicht mehr wirkungslos blieben. Es führte aber auch dazu, dass die Anwartschaft auf Hinterbliebenenrente zum Teil dem potentiell Hinterbliebenen, zum Teil dem Versicherten zustünde. Diese Teilung der Anwartschaft widerspricht dem Gesetz: Das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente leitet sich – wie erwähnt – aus der gesamten Versicherungsbiographie des Versicherten ab. Damit steht auch der Inhalt der Anwartschaft als Vorstufe dieses Rechts in Abhängigkeit von der gesamten Versicherungsbiographie des Versicherten. Welchen Inhalts dann zwei „Teilanwartschaften“ sein sollten, ist völlig unklar. Die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente erstarkt zum Vollrecht, wenn bestimmte, abschließend im Gesetz genannte Voraussetzungen eintreten. Das Erfordernis der Addition zweier „Teilanwartschaften“ gehört nicht zu diesen Voraussetzungen. Ein begehbarer Ausweg aus dem geschilderten Dilemma der fehlenden Gleichheit des „Erfolgswertes“ der Beiträge, die vor Eingehung einer Ehe geleistet wurden, im Verhältnis zu den Beiträgen, die nach einer Eheschließung geleistet wurden, existiert demnach nicht. Der Versuch, dem potentiell Hinterbliebenen die Beitragsleistungen des Versicherten zuzurechnen, scheitert außerdem an folgendem Hindernis: Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung stellen ein „Versicherungspaket“ bereit, das sich zusammensetzt aus Rehabilitations-, Erwerbsminderungs-, Alters- sowie ehe- und familiengebundener Lebensversicherung.286 Dieses Versicherungspaket stellt ein zwingendes Komplettangebot dar,287 es besteht nicht die Möglichkeit, einzelne Teile aus ihm zu lösen. Die Witwen- oder Witwerrente unterscheidet sich von den übrigen „Paketbestandteilen“ lediglich insofern, als das Vollrecht nicht vom Versicherten selbst, sondern von seinem Hinterbliebenen erworben wird. In allen übrigen Erwerbsschritten ist ein Unterschied zu den anderen Rentenarten nicht vorhanden.288 Wenn sich die Witwen- und Witwerrenten aber bis unmittelbar vor dem Erwerb des Vollrechts in keiner Hinsicht von den übrigen Rentenarten unterscheiden, ist nicht einzusehen, warum die Anwartschaften auf die übrigen Arten von Rente dem Versicherten zustehen sollen, die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente aber nicht. Darüber hinaus leistet der Versicherte für das „Versicherungspaket“ auch einen „Paketbeitrag“, einen Gesamtbeitrag.289 Welcher Anteil dieses Gesamtbeitrages für welche Art der enthaltenen Versicherungen aufgewendet wird, lässt sich aufgrund der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege des Umlageverfahrens im Zeitpunkt der Beitragserbringung nicht sagen. Es wird nicht ein jeweils bestimmter Anteil des Gesamtbeitrages zur Bildung eines Kapitalstocks für jede der 286 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; von einer „Kombinationsversicherung“ aus Rehabilitations-, Erwerbsfähigkeits-, Erwerbsminderungs-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung spricht Meyer, Armutsfestigkeit, S. 78, 97. 287 BSGE 92, 113, 129. 288 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; Kolb, DRV 1985, 40, 43; Papier, DRV 2001, 350, 352. 289 Die hier „Gesamtbeitrag“ genannte Leistung des Versicherten ist nicht zu verwechseln mit dem „Gesamtsozialversicherungsbeitrag“ i.S.d. § 28d SGB IV.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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Einzelversicherungen verwendet, sondern die Beitragsleistung dient der Deckung des momentan bestehenden Gesamtbedarfs (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Soll dem potentiell Hinterbliebenen der auf die jeweilige Witwen- oder Witwerrente entfallende Beitragsanteil zugerechnet werden, so setzt dies die Bestimmbarkeit dieses zuzurechnenden Anteils voraus. An eben dieser fehlt es aufgrund der Umlagefinanzierung jedoch. Dem „Versicherungspaket“, für das ein anteilsmäßig undifferenzierter Gesamtbeitrag geleistet wird, kann daher nur eine Gesamtanwartschaft entsprechen, deren Inhaber der Versicherte sein muss. d) Eigenversicherung aufgrund der Ignoranz des Gesetzes gegenüber dem potentiell Hinterbliebenen Schließlich spricht gegen das Vorliegen einer Fremdversicherung und damit für das Vorliegen einer Eigenversicherung auch noch die folgende Überlegung: Für das Bestehen einer Fremdversicherung ist das Vorhandensein eines Versicherungsverhältnisses zwischen dem potentiell Hinterbliebenen und dem zuständigen Träger der Rentenversicherung konstitutiv. Dass ein solches besteht, ist jedoch nirgends ersichtlich. Insbesondere findet der Ehegatte des Versicherten als potentiell Hinterbliebener im Gesetz keinerlei Berücksichtigung.290 Erst mit dem Tod des Versicherten wird der Hinterbliebene als jedenfalls dem Grunde nach Anspruchsberechtigter (§ 115 SGB VI) in die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Rechts der Witwenund Witwerrenten einbezogen. Bleibt der potentiell Hinterbliebene aber zuvor gesetzlich unberücksichtigt und dem zuständigen Träger der Rentenversicherung folglich unbekannt, so kann kaum angenommen werden, es liege ein Versicherungsverhältnis zwischen beiden vor. Fehlt es an einem solchen Versicherungsverhältnis, kann keine Fremdversicherung auf die Person des potentiell Hinterbliebenen gegeben sein. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten gestaltet daher eine Eigenversicherung des Versicherten aus. 2. Keine Eigenversicherung für fremde Rechnung Obwohl festgestellt wurde, dass es sich bei der Witwen- oder Witwerrente um eine Eigenversicherung des Versicherten handelt, bleibt grundsätzlich dennoch die Möglichkeit, dass die Anwartschaft auf das Vollrecht dem potentiell Hinterbliebenen zusteht. Dazu müsste die Witwen- oder Witwerrente als Eigenversicherung für fremde Rechnung291 konstruiert sein. Das Versicherungsverhältnis bestünde dann zwar zwi-

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BSGE 92, 113, 123; Butzer, FS Isensee, S. 667, 679. Das VVG enthält in den §§ 43 ff. nur für die Schadensversicherung Regelungen zur Versicherung für fremde Rechnung, nicht aber für die Personenversicherung. Aus diesem Grund wird die Ausgestaltung einer Lebensversicherung als Versicherung für fremde Rechnung teils für unzulässig gehalten, vgl. E. Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 102. Die Nichterwähnung der Versicherung für fremde Rechnung im Bereich der Personenversicherungen 291

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

schen dem Träger der Rentenversicherung und dem Versicherten als Versicherungsnehmer, Inhaber der Rechte aus dem Versicherungsverhältnis wäre aber – schon vor Eintritt des Versicherungsfalls – der potentiell Hinterbliebene. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten gestaltet jedoch eine Eigenversicherung des Versicherten für eigene Rechnung aus. Gegen die Annahme, die Witwen- oder Witwerrente stelle eine Eigenversicherung für fremde Rechnung dar, sprechen zwei der bereits gegen die Ausgestaltung einer Fremdversicherung vorgebrachten Aspekte: Vor Eintritt des Versicherungsfalls ist die Person des potentiell Hinterbliebenen dem Träger der Rentenversicherung vollkommen unbekannt. Zwar sieht § 43 Abs. 1 VVG ausdrücklich die Möglichkeit der Eingehung eines Versicherungsverhältnisses für fremde Rechnung ohne Nennung des Dritten vor. Konstitutiv für das Entstehen eines Versicherungsverhältnisses für fremde Rechnung ist aber das eindeutige Feststehen des Umstandes, dass es sich bei dem versicherten Interesse um ein fremdes handelt292. Der dem Recht der Witwen- und Witwerrenten zugrundeliegende Sicherungszweck – der Schutz des Hinterbliebenen vor dem Verlust des gegen den Verstorbenen gerichteten Unterhaltsanspruches – stellt jedoch kein ausschließliches Interesse des potentiell Hinterbliebenen dar. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten betrifft insoweit auch das Interesse des Versicherten, als dieser anderweitig für die Absicherung seines Ehegatten zu sorgen hätte, wenn die Vorsorge im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht existierte. Darüber hinaus wird man davon ausgehen dürfen, dass der Großteil der Versicherten auch ein über den eigenen Tod hinausreichendes ideelles Interesse daran hat, den Ehegatten versorgt zu wissen. Als Eigenversicherung für fremde Rechnung kann die Witwen- oder Witwerrente außerdem deshalb nicht ausgestaltet sein, weil dies – genauso wie eine Ausgestaltung als Fremdversicherung – voraussetzte, dass dem potentiell Hinterbliebenen die vom Versicherten geleisteten Beiträge zugerechnet werden können. Dies ist aber aus den geschilderten Gründen293 nicht möglich. Sind die Witwen- und Witwerrenten demnach als Eigenversicherung für eigene Rechnung des Versicherten ausgestaltet, ist Inhaber einer möglicherweise eigentumsgeschützten Anwartschaft ausschließlich der Versicherte. Der potentiell hinterbliebene Ehegatte hat lediglich eine nicht hinreichend gefestigte Position, eine bloße Aussicht auf Leistung inne. Für sie scheidet eine Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 14 Abs. 1 GG von vornherein aus. Was bleibt, ist der Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG, insbesondere in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes.294

macht den Schluss auf ihre Unzulässigkeit jedoch nicht zwingend, vgl. Anli, Versicherung für fremde Rechnung, S. 14; Bruck/Möller/Winter-Winter, H 2, S. 1060. 292 Anli, Versicherung für fremde Rechnung, S. 57 f. 293 Vgl. oben 2. Teil, § 3, C.II.1.c). 294 Butzer, FS Isensee, S. 667, 679.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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D. Eigentumsrechtlicher Schutz von Anwartschaft und Vollrecht auf Witwen- oder Witwenrente Steht nun fest, wer Inhaber der witwenrentenrechtlichen Position vor Eintritt des Versicherungsfalls ist und wem nach dem Eintritt des Versicherungsfalls das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente zusteht, so soll folgend untersucht werden, ob diese beiden Positionen in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fallen. Dabei erforderte ein umfassendes Auseinandersetzen mit der Problematik der Eigentumsfähigkeit der Anwartschaft des Versicherten und des Vollrechts des Hinterbliebenen auf Witwen- oder Witwerrente eigentlich auch ein Eingehen auf die Argumente derer, die einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen insgesamt ablehnen. Eine Behandlung der Problematik in dieser Breite sprengte allerdings nicht nur den Rahmen der vorliegenden Arbeit, sondern legte den Stimmen, die einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ablehnen, auch ein Gewicht bei, das ihnen nicht mehr zukommt: Die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit eines eigentumsrechtlichen Schutzes sozialversicherungsrechtlicher Positionen darf – wie schon angedeutet295 – als beantwortet bezeichnet werden.296 Im Folgenden soll daher eine Beschränkung auf eigentumsrelevante Aspekte der Witwenund Witwerrenten und – soweit erforderlich – des Rentenrechts allgemein vorgenommen werden. I. Eigentumsrechtlicher Schutz der Anwartschaft Die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG ist ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht; füllte der einfache Gesetzgeber den Begriff des Eigentums nicht aus, bliebe es inhaltsleer. Im SGB VI findet der Begriff „Anwartschaft“ oder „Rentenanwartschaft“ zwar häufige Verwendung;297 nirgends stößt man aber auf eine Verwendungsweise, die sich hinsichtlich der Frage nach der Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 14 Abs. 1 GG für die Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente als ergiebig erweist. Ob das SGB VI insoweit ein den Eigentumsbegriff ausgestaltendes einfaches Gesetz darstellt, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz selbst, sondern ist im Wege auslegender Betrachtung der gesetzlichen Konstruktion des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zu ermitteln.

295

Vgl. oben 2. Teil, § 1, C. Die Möglichkeit eines Eigentumsschutzes lehnen, soweit ersichtlich, nur noch Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 434 f.; Mangoldt/Klein/Starck-ders., Art. 14, Rn. 69 ff.; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 235 ff. 297 Vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 3, § 52 Abs. 1 S. 1, § 66 Abs. 1 Nr. 5, § 76a Abs. 2, § 86 Abs. 1, Abs. 2, § 91 S. 1, § 187, § 233 Abs. 1 S. 1. 296

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

1. Sozialer Ausgleich anstatt nicht unerheblicher Eigenleistung als Grundlage der Witwen- und Witwerrenten? Zunächst soll dabei geklärt werden, ob die witwen- oder witwerrentenrechtliche Position des Versicherten vor Eintritt des Versicherungsfalls auf einer vom Versicherten erbrachten, nicht unerheblichen Eigenleistung beruht. Häufig wurde behauptet, die Witwen- und Witwerrenten seien wesentlich vom Prinzip des sozialen Ausgleichs getragen.298 Die Frage, was genau unter „sozialem Ausgleich“ zu verstehen ist, ist bis heute nicht abschließend beantwortet.299 Im Wesentlichen werden hierzu zwei Ansätze vertreten:300 Der erste301 geht dahin, den sozialen Ausgleich als Konkretisierung der Solidarität unter den Versicherten zu begreifen. Nach dem zweiten Ansatz302 ist sozialer Ausgleich ein Akt der Fürsorge. Der Staat erbringt Leistungen an den Bürger, der seinerseits nichts (vor-)geleistet hat, um in den Genuss dieser staatlichen Leistung zu gelangen.303 Beide Ansätze sind unvereinbar mit der Annahme, Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente beruhten auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Versicherten: Steht die Versichertengemeinschaft – wie nach der ersten Auffassung – solidarisch für den verheirateten Versicherten ein, indem sie Beiträge für eine Witwen- oder Witwerrente aufbringt, kann von dem Beruhen auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Versicherten selbst nicht mehr die Rede sein. Gleiches gilt für die zweite Auffassung, nach der die Witwen- und Witwerrenten Gegenstand staatlicher Gewährung sind. a) Die Witwen- und Witwerrenten als Ausdruck der Solidarität unter den Versicherten? Konkret wird vorgebracht, die Witwen- und Witwerrenten seien deshalb wesentlich vom Prinzip des sozialen Ausgleichs im Sinne der ersten Auffassung geprägt, weil nicht nur Verheiratete, sondern auch Ledige Beiträge zahlten, die der Finanzie-

298 BVerfG, EuGRZ 1987, 507, 514; BSG, SGb 1987, 169, 172; F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 165; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096; Mangoldt/Klein/ Starck-ders., Art. 3 Abs. 1, Rn. 171; Wagner, SozVers 1985, 197, 202; Wannagat, DAngVers 1985, 101, 103. 299 Butzer, Fremdlasten, S. 223; F. Kirchhof, SDSRV 35, S. 65, 66; Hase, JZ 2000, 591, 595; Leibholz/Rinck, Art. 74, Rn. 489; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 265; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 162. 300 Weitergehend dazu Hase, Versicherungsprinzip, S. 290 ff.; ders., JZ 2000, 591, 595 f. 301 So etwa BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 34; W. Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, S. 30 f.; v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 129 ff.; Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 91 f.; F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 165; Krause, Eigentum, S. 117; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 209; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 28. 302 So etwa BVerfGE 17, 1, 10; BVerfGE 40, 121, 136; BVerfGE 58, 81, 112 f.; BSGE 78, 138, 146 f. 303 Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 654; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 16; Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 190.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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rung der Witwen- und Witwerrenten dienen.304 Hierzu sei wiederholt, was schon im Rahmen der Diskussion um die Verfassungskonformität des HEZG305 vorgebracht wurde:306 Durch die Pflicht aller Versicherten, Beiträge auch für die Witwen- und Witwerrenten zu leisten, kommt es nicht zu einer Privilegierung der verheirateten Versicherten. Denn bis zu ihrem Tod haben alle Versicherten, verheiratete ebenso wie ledige, die gleichen Chancen, einem hinterbliebenen Ehegatten einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente zu verschaffen. Es kommt im Gegenteil sogar zu einer Privilegierung derjenigen männlichen Versicherten, die lange ledig sind und erst spät heiraten, also zu einer Besserstellung gerade derjenigen, von denen angenommen wird, sie leisteten aufgrund des Prinzips des sozialen Ausgleichs für die Hinterbliebenen der verheirateten Versicherten mit: Wenn diese Versicherten sich nämlich in höherem Alter doch noch zu einer Heirat entschließen, so wählen sie regelmäßig eine deutlich jüngere Ehepartnerin, womit die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von Witwenrente ebenso wächst wie die Dauer des dann zu erwartenden Bezuges der Rente.307 Entsprechend wird das prägende Element des sozialen Ausgleichs teils308 auch darin gesehen, dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten dem Versicherten die Möglichkeit gibt, allein durch Eingehung einer Ehe auch noch kurz vor seinem Tod309 einen Versicherungsschutz zu errichten, der in der Privatversicherung entweder gar nicht mehr oder nur unter Tätigung von Aufwendungen in unvertretbarer Höhe zu erreichen wäre. Dem kann sich nicht angeschlossen werden. Richtig ist zwar, dass ein Hinterbliebener, der mit dem verstorbenen Versicherten erst kurz vor dessen Tod die Ehe eingegangen ist, im gleichen Umfang abgesichert wird wie ein Hinterbliebener, der langjährig mit dem Versicherten verheiratet war. Dieser Umstand geht jedoch nicht auf den sozialen Ausgleich zurück. Er erklärt sich vielmehr dadurch, dass das 304 F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 165; Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 75; Köbl, DRV 2002, 686, 691; Schuler-Harms, NJW 1998, 3095, 3096; Mangoldt/ Klein/Starck-Starck, Art. 3 Abs. 1, Rn. 171; Wannagat, DAngVers 1985, 101, 103. 305 BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 306 Heine, ZSR 1986, 82, 93; Kolb, DRV 1984, 635, 638 f.; Krause, Eigentum, S. 198; ders., DRV 1985, 254, 255; Papier, DRV 1985, 272, 273; Rüfner, Die Differenziertheit, S. 184; Ruland, NJW 1986, 20, 26; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 163; ders., DRV 1985, 278, 282; ders., ZRP 1978, 107, 113 sowie nachfolgend BSGE 92, 113, 129; Hase, JZ 2000, 591, 596; Ossenbühl, JZ 1998, 679, 680; Papier, DRV 2001, 350, 352; ders., FS Leisner, S. 721, 729 f.; Maunz/Dürig-ders., Art. 14, Rn. 143; Ruland, SRH, § 17, Rn. 249; ders., DRV 2005, 217, 228; ders., NJW 1995, 3234, 3234; ders./Binne/Rahn, SozVers 1994, 253, 256; ders., DRV 1992, 68, 101 f.; ders., DRV 1988, 109, 112; ders., SGb 1987, 134, 137. Mit der gleichen Begründung wurden schon 1911 durch die RVO und das AVG auch den ledigen Versicherten Beiträge auferlegt, vgl. RT-Drs., Bd. 274, S. 372 f.; RT-Drs., Bd. 281, S. 68. 307 Ruland, DRV 1985, 278, 282; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 163. 308 Hase, JZ 2000, 591, 596. 309 Zu beachten ist dabei freilich, dass nach § 46 Abs. 2a SGB VI bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr das zum Anspruchsausschluss führende Vorliegen einer Versorgungsehe – widerlegbar – vermutet wird.

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Versicherungsverhältnis, das dem Erwerb eines Vollrechts auf Witwen- oder Witwerrente zugrunde liegt, nicht erst mit der Eingehung einer Ehe zustande kommt. Der Versicherte erbringt nicht getrennte Beiträge für ausgewählte Arten von Rente, sondern er leistet einen Beitrag für ein unteilbares Komplettpaket, das sich aus Rehabilitations-, Erwerbsminderungs-, Alters- und Lebensversicherung zusammensetzt310. Das witwen- oder witwerrentenrechtliche Versicherungsverhältnis entsteht, wie die anderen Versicherungsverhältnisse auch, mit dem Leisten des ersten Beitrages durch den Versicherten.311 Die Eingehung der Ehe ist „nur“ Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls: den Tod des Versicherten unter Hinterlassung eines Ehegatten. Die Witwen- und Witwerrenten weisen demnach nicht mehr Elemente des sozialen Ausgleichs auf als andere Renten nach dem SGB VI, insbesondere weisen sie nicht mehr Elemente des sozialen Ausgleichs auf als die Altersrenten (§§ 35 – 40 SGB VI).312 Wollte man daher den Witwen- und Witwerrenten das Beruhen auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung unter Hinweis auf die vorhandenen Elemente des sozialen Ausgleichs absprechen, stellte man zugleich das Beruhen auf einer Eigenleistung und damit letztlich den Eigentumsschutz sämtlicher Renten nach dem SGB VI in Frage. Dies liefe jedoch der ganz überwiegenden Ansicht und nicht zuletzt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz der Versichertenrenten313 zuwider. b) „Vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung“ mangels hinreichenden personalen Bezugs? Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Witwen- und Witwerrenten in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1998 als „vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistungen“.314 Es ordnet sie demnach als Elemente des sozialen Ausgleichs im Sinne des zweiten oben beschriebenen Ansatzes, als freiwillig erbrachte staatliche Fürsorgeleistung ein. Diese Einstufung geht auf die Erkenntnis zurück, Witwenund Witwerrenten würden ohne eigene Beitragsleistung des Hinterbliebenen und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt.315 Das Gericht verweist diesbezüglich auf seine Entscheidung vom 30. September 1987, in der es schon einmal geäußert hatte, die Witwen- oder Witwerrente sei „eine vorwiegend fürsorgerisch mo-

310 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; ähnlich Meyer, Armutsfestigkeit, S. 78, 97. 311 Vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, C.II.1.c). 312 Heine, ZSR 1986, 82, 95; ders., FamRZ 1986, 113, 120; Kolb, DRV 1985, 40, 43; ders., DRV 1984, 635, 638 f.; Papier, FS Leisner, S. 721, 729; ders., DRV 2001. 350, 352; ders., DRV 1985, 272, 273; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 187; Ruland, NJW 1986, 20, 26. 313 St. Rspr. seit BVerfGE 53, 257 ff. 314 BVerfGE 97, 271, 285. 315 BVerfGE 97, 271, 285.

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tivierte Leistung, weil sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird“.316 Die vom Gericht zitierte Aussage aus der Entscheidung vom 30. September 1987 kann als Argument im Rahmen der Erörterung eines Eigentumsschutzes der Witwenund Witwerrenten jedoch nicht nutzbar gemacht werden. Grund dafür ist, dass sie ihrerseits auf eine gleichlautende Äußerung aus dem Urteil vom 6. Juni 1978317 zurückgeht. Damit ist die Entscheidung, in der die genannte Aussage ihren Ursprung hat, aber zu einem Zeitpunkt ergangen, in dem die Frage nach einem Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen insgesamt noch völlig unentschieden war.318 So steht die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Aussage in der Entscheidung vom 6. Juni 1978 dann auch in keinerlei Zusammenhang mit eigentumsrechtlichen Erwägungen, sondern fällt im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Beschränkt man den Blick auf die Argumentation, es würden weder vom Hinterbliebenen eigene Beiträge noch vom Versicherten erhöhte Beiträge für die Witwenund Witwerrenten erbracht, weshalb es sich bei diesen um vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistungen handele, so entsteht der Eindruck, das Bundesverfassungsgericht gehe davon aus, dass die Witwen- und Witwerrenten überhaupt nicht beitragsfinanziert seien. Dem ist aber nicht so: Das Gericht erkennt ausdrücklich an, dass die Witwen- und Witwerrenten aus Beiträgen finanziert werden; es macht sogar Angaben zu dem Anteil der Rentenbeiträge, der für die Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten aufzubringen ist.319 Die Beitragsfinanziertheit der Witwen- und Witwerrenten nachvollziehbar zu leugnen, ist auch kaum denkbar:320 Dies stünde zunächst in klarem Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen.321 Darüber hinaus ist zu beachten, dass, wenn eine Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten nicht im Wege der Beitragserhebung erfolgte, sie aus Steuermitteln bewerkstelligt werden müsste.322 Bei

316

BVerfGE 76, 256, 301. BVerfGE 48, 346, 358. 318 Vgl. dazu Katzenstein, FS Zeidler, S. 645, 663; ders., SGb 1988, 177, 184; Ruland, Auflösung und Neubildung, S. 138, 167; irrig geht dagegen Eschenbach, Schutz des Eigentums, S. 275 davon aus, bereits in BVerfGE 48, 346 ff. sei ein Eigentumsschutz für Hinterbliebenenrenten verneint worden. 319 BVerfGE 97, 271, 284 f. 320 Insoweit missverständlich ist die Aussage „Es handelt sich bei dem Modell der Hinterbliebenenrente nicht um eine durch Beiträge erworbene Versicherungsleistung.“ bei Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 75. In Abrede gestellt wird hier lediglich, dass die Witwen- oder Witwerrente eines Hinterbliebenen auf Beiträgen des zugehörigen verstorbenen Versicherten beruht, nicht aber, dass die Witwen- und Witwerrenten überhaupt beitragsfinanziert sind. 321 BT-Drs. 10/2677, S. 22 ff.; BR-Drs. 500/84, S. 22 ff. 322 BSGE 92, 113, 128; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 225. 317

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einer Finanzierung aus Steuermitteln wären die Witwen- und Witwerrenten im Bereich der Sozialversicherung aber systemwidrig verortet.323 Zugegebenen ist die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung und damit auch die der Witwen- und Witwerrenten nicht frei von steuerlichen Anteilen: Sie fließen über den Bundeszuschuss ein (§ 153 Abs. 2 SGB VI). Dieser dient insbesondere der Erfüllung allgemeinstaatlicher Aufgaben, die in das System der gesetzlichen Rentenversicherung integriert wurden (sog. Fremdlasten).324 Die Annahme, auch die Witwen- und Witwerrenten seien Fremdlasten der gesetzlichen Rentenversicherung und würden allein aus dem Bundeszuschuss, nicht aber aus Beiträgen finanziert,325 findet keine gesetzliche Stütze.326 Das Gesetz legt im voraus fest, wem unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch in welcher Höhe auf was für eine Art von Rente zusteht. Die aufgrund dieser Festlegung notwendigen Ausgaben werden in erster Linie durch die in entsprechender Höhe zu erhebenden Beiträge gedeckt (§§ 153 Abs. 2, 158 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI). Keine Rente wird von dieser Beitragsdeckung gesetzlich ausgenommen. Dass der gesetzlichen Rentenversicherung Fremdlasten auferlegt werden, mag sich daher durch die Zahlung des Bundeszuschusses rechtfertigen lassen; der Umstand, dass ein Bundeszuschuss gezahlt wird, kann jedoch – umgekehrt – nicht angeführt werden, um die Beitragsfinanziertheit einer Rente in Frage zu stellen.327 Woran es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts fehlt, ist nicht die Leistung von Beiträgen für die Witwen- und Witwerrenten überhaupt, sondern die Möglichkeit, diese Beiträge individuellen Versicherten zurechnen zu können.328 Es leiste nicht jeder Versicherte für „seinen“ Hinterbliebenen, sondern jeder Versicherte leiste zur Deckung aller Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente; aus diesem Grunde

323 BVerfGE 75, 108, 146, BVerfGE 87, 1, 34; BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 33, 39; Hase, JZ 2000, 591, 596; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 47; Mangoldt/ Klein/Starck-Oeter, Art. 74, Rn. 117; Maunz/ Dürig-Maunz, Art. 74, Rn. 173. Vgl. zu den Voraussetzungen von „Versicherung“ auch unten 3. Teil, § 1, B.III.1.a). 324 Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 124; Ruland, DRV 1995, 28, 36. 325 Die Witwen- und Witwerrenten als Fremdlast einzustufen scheint der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 258, Tz. 339; vgl. dazu auch die Kleine Anfrage des Bundestages in BT-Drs. 16/1191, 6. 4. 2006, Frage 17. Für eine Steuerfinanzierung der Hinterbliebenenrenten als einzig ordnungsgemäß spricht sich aus Schmähl, DAngVers 2001, 313, 318; ders., DRV 1985, 290 f. 326 BSGE 92, 113, 127 f.; Butzer, FS Isensee, S. 667, 683; Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 130; ders., DRV 1984, 177, 183. 327 Vgl. dazu Butzer, FS Isensee, S. 667, 683; Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 124. 328 Der gleiche Gedanke findet sich bereits bei Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 75 sowie Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 197.

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fehle es an einem hinreichenden personalen Bezug zwischen Beitragsleistung und Rentenbezug.329 Mit der Äußerung, der Versichertenrente lägen Beiträge zugrunde,330 zielt das Bundesverfassungsgericht demnach auch nicht darauf ab, festzuhalten, dass die Versichertenrenten überhaupt durch Beiträge finanziert sind. Dies gesteht das Gericht, wie eben gezeigt, auch den Witwen- und Witwerrenten zu. Die Gegenüberstellung von Versichertenrente und Witwen- oder Witwerrente hat vielmehr den Zweck, darzulegen, dass die Versichertenrente auf individuell zurechenbaren, eigenen Beiträgen des jeweiligen Versicherten beruhe, während die Witwen- oder Witwerrente sich nicht auf die Leistung des versicherten Ehegatten des Hinterbliebenen zurückführen lasse, sondern vielmehr aus den Beitragsleistungen aller Versicherten resultiere331. Denn ein Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente könne nur unter der Bedingung entstehen, dass der Versicherte zum Zeitpunkt seines Todes in einer wirksamen Ehe lebt.332 In den Genuss einer Versichertenrente dagegen – das impliziert die Gegenüberstellung – könne jeder Versicherte ohne Weiteres gelangen. Diese Gegenüberstellung von Versichertenrente und Witwen- oder Witwerrente hinkt jedoch in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird von der Konstruktion der Anspruchsberechtigung her keineswegs jeder Versicherte ohne Weiteres auch Empfänger einer Versichertenrente. Alle Arten von Versichertenrente unter Ausnahme der Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) weisen eine der Witwen- oder Witwerrente vergleichbare Bedingtheit auf.333 Lediglich die Regelaltersrente als – zugegeben – wichtigste Versichertenrente vermag jeder Versicherte allein kraft Zeitablaufs zu erwerben. Die Vorstellung, die Versicherten leisteten Beiträge „für ihre Versichertenrente“ bzw. leisteten keine erhöhten Beiträge „für ihre Ehegatten“, verkennt zum anderen den Finanzierungsmodus der gesetzlichen Rentenversicherung: Kein Versicherter kann Empfänger der von ihm selbst geleisteten Beiträge sein.334 Die Beiträge werden für eine völlig andere Generation von Empfängern erbracht, die bezogenen Rentenleistungen gehen auf eine völlig andere Generation von Leistenden zurück.335 Eine 329

BVerfGE 97, 271, 285; sich anschließend Badura, Staatsrecht, C, Rn. 84; so auch H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 422. 330 BVerfGE 97, 271, 285. 331 BVerfGE 97, 271, 285. 332 BVerfGE 97, 271, 284. 333 §§ 36, 236 SGB VI: Erfüllung einer 35jährigen Wartezeit vor Vollendung eines bestimmten Lebensalters; §§ 37, 236a SGB VI: Anerkennung als Schwerbehinderter; §§ 40, 238 SGB VI: Beschäftigung unter Tage; §§ 43, 240 – 242 SGB VI: Erwerbsminderung. 334 Die einzigen Beitragsleister, die auch an ihren eigenen Beiträgen beteiligt werden, sind die Beschäftigten, die bereits eine Altersrente empfangen (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Als Argument für einen generellen Empfang der selbst geleisteten Beiträge lässt sich die Regelung aber nicht anführen: Sie soll Arbeitgeber davon abhalten, bevorzugt Altersrentenempfänger aufgrund deren Versicherungsfreiheit einzustellen und so den Arbeitsmarkt in Schieflage zu bringen, vgl. dazu Isensee, DRV 1980, 145, 151; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 265. 335 J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 12; Butzer, FS Schnapp, S. 367, 387.

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Identität der Beitragsleistenden und der Leistungsbeziehenden besteht bei keiner Art von Rente. Ein Beitrag wird nicht im Hinblick auf eine bestimmte Person erbracht, sondern er dient der Deckung des gegenwärtigen Gesamtbedarfs (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Insbesondere wird kein „Beitragskonto“ geführt, wie es für das Kapitaldeckungsverfahren in der privaten Lebensversicherung typisch ist. Die Höhe der eigenen Beitragsleistung schlägt sich ausschließlich in den persönlichen Entgeltpunkten nieder (§ 66 SGB VI). Diese wiederum bilden die Grundlage zur Berechnung des Maßes, in welchem der Versicherte (bzw. bei den Witwen- und Witwerrenten dessen Hinterbliebener) am zukünftigen Gesamtbedarf bzw. an den Gesamtleistungen teilhaben wird. Die Forderung nach einer individuellen Zurechenbarkeit von Beitragsleistungen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1998 aufstellt, geht aber nicht nur an der gesetzlichen Ausgestaltung der Rentenansprüche vorbei und verkennt die zurechnungsbezogenen Besonderheiten, die sich aus der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege des Umlageverfahrens ergeben. Sie entzieht außerdem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigentumsfähigkeit der Versichertenrenten die Grundlage. Denn für die Leistung des Beitragsanteils, der auf die Versichertenrenten entfällt, gilt nichts anderes als für die übrigen Anteile des Rentenbeitrages: Auch dieser Beitragsanteil wird eingesetzt, um den gegenwärtigen Gesamtbedarf an Renten zu decken. In einer später bezogenen Rente kommt die Beitragsleistung lediglich als Rechengröße in Gestalt der Beitragszeiten (§ 55 SGB VI), die wiederum einen Teil der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI) ausmachen, zum Ausdruck. Die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an das Vorliegen einer zurechenbaren Eigenleistung stellt, erfüllte demnach auch die Versichertenrente nicht. Möglich wäre eine individuelle Zurechenbarkeit von Beiträgen, wie sie vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, nur im Rahmen einer Finanzierung im Wege des Kapitaldeckungsverfahrens. Ein Eigentumsschutz stünde damit aber letztlich in Abhängigkeit von der Organisations- und Verfahrensform, die einer versicherungsrechtlichen Position zugrunde liegt.336 Berücksichtigt man zudem, dass nach der mackenrothschen These337 die Sozialausgaben einer Volkswirtschaft allein aus dem laufenden Volkseinkommen finanziert werden können, eine Finanzierung der Rentenversicherung und der Sozialversicherung insgesamt im Wege des Kapitaldeckungsverfahrens folglich ausgeschlossen ist,338 so wird deutlich, dass die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach individueller Zurechenbarkeit von Beiträgen die Möglichkeit eines Eigentumsschutzes sozialversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich in Frage stellt. 336

Meyer, Armutsfestigkeit, S. 117. Mackenroth, in: Albrecht, Die Berliner Wirtschaft zwischen Ost und West, S. 45 ff.; ders., in: Boettcher, Sozialpolitik und Sozialreform, S. 45. 338 Ebenso: Dinkel, DRV 1986, 174, 185; Kaltenbach, DAngVers 1988, 89, 91 f.; Ruland, VSSR 1997, 19, 28 f.; ders., DRV 1997, 94, 100; ders., DRV 1988, 109 ff. 337

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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In der Literatur wird teils339 der Versuch unternommen, die Hürde, die das Umlageverfahren hinsichtlich einer individuellen Zurechenbarkeit von Beiträgen aufstellt, zu überwinden, indem man davon absieht, bei der Frage nach dem Vorliegen einer Eigenleistung beim einzelnen Versicherten anzusetzen. Eine zurechenbare Eigenleistung sei nicht erst dann gegeben, wenn eine individuell zurechenbare Eigenleistung des einzelnen Versicherten vorliege, sondern sie sei vielmehr schon dann zu bejahen, wenn die Erbringung einer Leistung durch den Rentenversicherungsträger auf eine Eigenleistung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zurückzuführen ist.340 Für sich hat diese Position, dass sie eine weitere Schwäche der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts vermeidet: Das Gericht nimmt an, Leistungen, die trotz des Fehlens einer individuell zurechenbaren Eigenleistung des Versicherten erbracht werden, beruhten auf staatlicher Fürsorge.341 Diese Argumentation suggeriert aber eine bipolare Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung im Verhältnis Staat – Versicherter, die so nicht gegeben ist; der Staat selbst ist am konkreten Versicherungsverhältnis nicht unmittelbar beteiligt.342 Dennoch verdient die Auffassung, eine Eigenleistung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung sei als Grundlage eines Eigentumsschutzes ausreichend, keine Zustimmung. Ist die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Forderung nach individueller Zurechenbarkeit von Beiträgen als zu hoch gegriffen einzustufen, so sind die von der geschilderten Literaturansicht an einen Eigentumsschutz gestellten Voraussetzungen nicht ausreichend hoch. Die Prüfung des Vorliegens einer Eigenleistung stellt regelmäßig – so auch bei den Witwen- und Witwerrenten343 – den Kern der Prüfung der Eigentumsfähigkeit eines subjektiven öffentlichen Rechts dar.344 Hier großzügig eine Eigenleistung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung für ausreichend zu befinden, stößt insbesondere im Hinblick auf solche Ansprüche auf Bedenken, die Fremdlasten der gesetzlichen Rentenversicherung darstellen. Weil es nämlich an der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen – einem Vermögenswert, der privatnützigen Zuordnung nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts sowie einer existenzsichernden Funktion – regelmäßig nicht fehlen wird, würden diese Ansprüche in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen, obwohl sie in keiner Hinsicht durch eigene Leistung der Berechtigten erdient sind. Es kann daher nicht darauf verzichtet werden, bei der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer zurechenbaren Eigenleistung an die Person des einzelnen Versicherten anzuknüpfen. Ein solches Anknüpfen ist aber nicht nur nötig, es ist auch 339

Meyer, Armutsfestigkeit, S. 126. Meyer, Armutsfestigkeit, S. 126. 341 BVerfGE 97, 271, 285. 342 Meyer, Armutsfestigkeit, S. 126. Zur Ansicht, Staat und Träger der Sozialversicherung seien de facto identisch vgl. Wertenbruch, FS Wannagat, S. 687, 692 ff. 343 Ebenso Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153. 344 Isensee, Die Rolle des Beitrags, S. 493. 340

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möglich. Dem steht nicht entgegen, dass die Leistungen des Versicherungsträgers an einen individuellen Empfänger nicht den Beiträgen eines individuellen Versicherten zugerechnet werden können, es mithin an einem unmittelbaren Zusammenhang von Beitrag und Leistung fehlt. Das Vorliegen eines unmittelbaren Zusammenhangs von Beitrag und Leistung ist für das „Beruhen“ einer Rechtsposition auf einer Eigenleistung nicht erforderlich; ein mittelbarer Zurechnungszusammenhang reicht aus.345 Dieser aber wird – bei Anwartschaften und Vollrechten auf Witwen- oder Witwerrente ebenso wie bei allen anderen Renten nach dem SGB VI – durch die in den persönlichen Entgeltpunkten enthaltenen Beitragszeiten (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) des Versicherten hergestellt. In den Beitragszeiten wird die Leistung des Versicherten gleichsam „konserviert“. Diese „konservierte Eigenleistung“ ist in der Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente des Versicherten ebenso enthalten wie in dem entsprechenden Vollrecht des Hinterbliebenen (§ 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente beruht folglich im gleichen Maße auf einer zurechenbaren Eigenleistung wie jede andere Anwartschaft auf Rente nach dem SGB VI auch. 2. Privatnützigkeit nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts Um der Eigentumsgarantie zu unterfallen, müssten die Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente dem Versicherten ferner nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet sein. Über das Merkmal der Privatnützigkeit wird sichergestellt, dass die Ausübung des betroffenen subjektiven Rechts nicht lediglich im Interesse der Öffentlichkeit erfolgt, sondern entsprechend der Eigentumsfunktion für den Rechtsinhaber einen Freiheitsraum in vermögensrechtlicher Hinsicht schafft.346 Das Bundesverfassungsgericht nimmt an, der Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente sei das Merkmal der Privatnützigkeit nicht zuzuerkennen, weil bis zum Tod des Versicherten ungewiss bleibe, ob zu diesem Zeitpunkt eine wirksame Ehe bestehe.347 a) Die Anwartschaft als Vollrecht auf Versicherungsschutz Im Hinblick auf diese Argumentation soll die Frage aufgeworfen werden, inwieweit die Verwendung des Begriffes „Anwartschaft“ für die Position des Versicherten vor Eintritt des Versicherungsfalls mit dem Zweck der witwen- oder witwerrentenrechtlichen Versicherung einhergeht. Angemessener scheint, auch die Position des Versicherten vor Eintritt des Versicherungsfalls als Vollrecht zu begreifen – als Voll-

345 Sonnevend, Eigentumsschutz und Sozialversicherung, S. 232. Auf einem unmittelbaren Beruhen der betroffenen Rechtsposition auf einer Eigenleistung im Sinne einer spiegelbildlichen Abbildung scheint dagegen Meyer-Abich, S. 50 f. zu bestehen. 346 v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 68. 347 BVerfGE 97, 271, 284. Das BVerfG bedient sich aus diesem Grund freilich auch nicht des Begriffes „Anwartschaft“, sondern spricht von einer „bloßen Aussicht“.

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recht auf Versicherungsschutz348. Die Einstufung als Vollrecht auf Versicherungsschutz lässt die Frage nach der Privatnützigkeit in einem anderen Licht erscheinen. Dabei soll nicht verkannt werden, dass beide Begriffe inhaltsgleich sind:349 Ihnen ist jeweils zu eigen, dass bei Erfüllung weiterer bestimmter Voraussetzungen ein Anspruch auf Rente entsteht. Ein Unterschied zwischen beiden Begriffen besteht allein hinsichtlich der Perspektive, aus der die Situation, die vor Eintritt des Versicherungsfalls herrscht, beurteilt wird. Ist die Rede von einer Anwartschaft, so wird damit – nichts anderes verdeutlicht ja auch der Wortlaut – zum Ausdruck gebracht, dass der Inhaber der jeweiligen Position mit ihrem Erlangen das verfolgte Ziel noch nicht für erreicht hält, sondern mehr anstrebt, nämlich den Erwerb des Vollrechtes in Gestalt eines Anspruches auf Rente. Als Inhaber eines Vollrechtes auf Versicherungsschutz wird sich demgegenüber derjenige sehen, für den weniger das Erlangen eines Rentenanspruches als vielmehr die bereits erreichte Risikoabsicherung im Mittelpunkt steht. Von einer Anwartschaft auf Rente zu sprechen, wird insoweit der Haltung des Versicherten vor Eintritt des Versicherungsfalls regelmäßig nicht gerecht: Das Streben nach dem Erreichen eines Zieles, das die Position des Anwärters gerade prägt, beinhaltet notwendig Elemente eines bewussten Hinarbeitens auf dieses Ziel; dem Versicherten kann aber grundsätzlich nicht unterstellt werden, er strebe die Erlangung eines Rentenanspruches an. Denn damit würde zugleich festgestellt, der Versicherte arbeite auf die Erfüllung der zum Vollrechtseintritt führenden Voraussetzungen hin. Dass kein Versicherter ernsthaft auf die Verwirklichung der Voraussetzungen für einen Rentenanspruch hinarbeiten dürfte, wird deutlich, wenn man sich beispielsweise die Bedingungen vor Augen führt, unter denen ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) besteht. Die einzigen Ausnahmen stellen insoweit die Altersrenten dar.350 Zwar werden die wenigsten Versicherten von sich behaupten, dass sie sich wünschen, endlich das für den Bezug von Altersrente erforderliche Lebensalter zu erreichen; anders als die übrigen versicherten Risiken ist die Verwirklichung des Risikos „Alter“ aber grundsätzlich unausweichlich. Für die Altersrente erweist sich daher die Verwendung des Begriffes „Anwartschaft“ als angemessen: Die Altersrente unterscheidet sich von den

348 Von einem „Recht auf Versicherungsschutz“ spricht auch Krause, Eigentum, S. 105; ähnlich für die Erwerbsminderungsrente Preis, SGb 2006, 441, 441 f. Zu der mit diesem Aspekt im Zusammenhang stehenden, hinsichtlich des Merkmals der Privatnützigkeit aber unergiebigen Kontroverse zwischen Geldleistungstheorie und Gefahrtragungstheorie vgl. Hase, Versicherungsprinzip, S. 96 ff. m.w.N. Um durch ein Abweichen von der allgemein gebräuchlichen Terminologie nicht Verwirrung zu stiften, wird in den nachfolgenden Abschnitten weiterhin der Begriff „Anwartschaft“ verwendet werden. 349 Eine inhaltliche Trennung insbesondere hinsichtlich der Reichweite des jeweils bestehenden Schutzes nimmt jedoch vor v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 75 f. 350 Dies sind die Regelaltersrente (§ 35 SGB VI), die Altersrente für langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI) und die Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute (§ 40 SGB VI).

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

übrigen Rentenarten insofern, als sie eher Versicherung mit Vorsorgecharakter als Risikoversicherung ist351. Die Verwirklichung des im Rahmen der Witwen- und Witwerrenten versicherten Risikos steht dagegen nicht grundsätzlich fest. Zu konzedieren ist zwar, dass der Wunsch auf die Verwirklichung des versicherten Risikos im Recht der Witwenund Witwerrenten nicht in so zwingendem Widerspruch zum gesunden Menschenverstand steht, wie es etwa auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung zutrifft. Es steht sogar zu vermuten, dass die Mehrzahl der verheirateten Versicherten sich wünscht, unter Hinterlassung eines bis dahin unterhaltsberechtigten Ehepartners zu sterben, deutlich gesprochen: sich wünscht, den Tod des Ehepartners nicht selbst miterleben zu müssen. Dennoch sind die Umstände, unter denen es zur Entstehung eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente kommt, regelmäßig mit so viel Leid verbunden, dass die meisten Versicherten ihrem möglichen Eintritt eher resignativ gegenüberstehen, als sich Gedanken zu machen, die als ein Streben nach Verwirklichung der Voraussetzungen eingestuft werden können, derer es zur Entstehung des Vollrechts bedarf; insbesondere wird es an einem Element des bewussten Hinarbeitens fehlen. Der Inhaber einer Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente sieht sich demnach selbst nicht als solcher. Er gibt sich damit zufrieden, dass für den Fall der Verwirklichung des versicherten Risikos vorgesorgt ist und betrachtet sich entsprechend als Inhaber eines Vollrechts auf Versicherungsschutz. Dieses Vollrecht auf Versicherungsschutz ist dem Versicherten privatnützig zugeordnet. Das ergibt sich schon allein aus dem Umstand, dass es dem Versicherten aufgrund des Rechts der Witwenund Witwerrenten erspart bleibt, anderweitig für eine Absicherung seines Ehegatten Sorge tragen zu müssen.352 Dass bis zuletzt ungewiss bleibt, ob der Versicherungsfall – das Versterben des Versicherten unter Hinterlassung eines bis dahin unterhaltsberechtigten Ehepartners – eintritt, hat entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts353 auf die Privatnützigkeit keinen Einfluss, sondern ist gerade typisches Merkmal einer jeden Versicherung. Dessen ungeachtet erweist sich die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, eine privatnützige Zuordnung sei mangels Gewissheit über das Vorhandensein eines Ehegatten im Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht gegeben,354 auch aus einem anderen Grund als kaum nachvollziehbar. Das Gericht verneint einen Eigentumsschutz für Anwartschaften dann, wenn die Erstarkung der Anwartschaft unter der Bedingung steht, dass weitere Voraussetzungen verwirklicht werden. Die einzige Rentenart, auf die dies nicht zutrifft, ist aber – wie erwähnt355 – die Regelaltersrente (§ 35 SGB VI).356 Nur bei ihr verhält es sich so, dass der Versicherungsfall mit dem 351 352 353 354 355 356

v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 75. BSGE 92, 113, 126; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 222 f. BVerfGE 97, 271, 284. BVerfGE 97, 271, 284. Siehe oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b). BSGE 92, 113, 127; Butzer, FS Isensee, S. 667, 682.

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Erreichen eines bestimmten Lebensalters als fingierte Erwerbsunfähigkeit357 allein kraft Zeitablaufs eintritt, womit der Vollrechtserwerb nicht aufschiebend bedingt, sondern lediglich aufschiebend befristet ist. Für alle anderen Arten von Rente ist für die Entstehung des Vollrechts die Erfüllung weiterer Bedingungen nötig.358 Damit wird aber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigentumsfähigkeit von Versichertenrenten und Anwartschaften auf Versichertenrente – wiederum359 – die Grundlage genommen. In seiner Entscheidung vom 28. Februar 1980 definiert das Gericht die (eigentumsgeschützten) Rentenanwartschaften gerade als „Rechtspositionen der Versicherten nach Begründung des Rentenversicherungsverhältnisses, die bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, etwa […] des Eintritts des Versicherungsfalls, zum Vollrecht erstarken können.“360 Der Versicherungsfall tritt aber gerade dann ein, wenn der Versicherte unter Hinterlassung eines Ehegatten stirbt. Dass in hohem Maße unsicher ist, ob der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes in einer wirksamen Ehe lebt,361 findet schon insofern Berücksichtigung, als die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente dem Versicherten und eben nicht dem potentiell Hinterbliebenen zusteht362. b) Ausschließlichkeit Die Ausschließlichkeit der privatnützigen Zuordnung sozialversicherungsrechtlicher Positionen wird allgemein mit dem Hinweis in Zweifel gezogen, den Inhabern der jeweiligen Positionen fehle es an hinreichender Verfügungsbefugnis, sie könnten insbesondere ihre Positionen weder übertragen noch verpfänden.363 Dass es an Möglichkeiten zur Übertragung und zur Verpfändung rentenrechtlicher Positionen grundsätzlich fehlt, lässt sich kaum in Abrede stellen (§ 53 SGB I).364 Beide Kriterien – die Möglichkeit zur Übertragung und die zur Verpfändung – werden auch klassisch herangezogen, wenn es um die Ermittlung des Vorliegens einer Verfügungsmöglichkeit im Bereich des Privatrechts geht.365 Soll die Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte beurteilt werden, darf jedoch kein ausschließlich privatrechtlich be-

357

Kolb, DRV 1984, 635, 640. Siehe dazu oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b), Fn. 334. 359 Gleiches wurde schon für die Forderung nach einer individuellen Zurechenbarkeit von Beitragsleistungen festgestellt, siehe oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b). 360 BVerfGE 53, 257, 289 f. 361 Siehe dazu oben 2. Teil, § 3, C.I.1.b). 362 Vgl. dazu insbesondere oben 2. Teil, § 3, C.II.1.c). 363 Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 431 f.; Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 49 f.; Eschenbach, Schutz des Eigentums, S. 270 f. 364 Vgl. BVerfGE 53, 257, 291. 365 Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 45. 358

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stimmter Blickwinkel eingenommen werden;366 die Eigentumsgarantie umfasst eben nicht nur „private Vermögensrechte, sondern auch Vermögensrechte Privater“.367 Die Ausschließlichkeit der Zuordnung ist vielmehr immer dann zu bejahen, wenn das betroffene Recht aus dem staatlichen Verfügungsbereich in die Verantwortung des Einzelnen übertragen worden ist.368 Sie liegt mithin vor, wenn der Einzelne maßgeblich Einfluss auf die Entstehung und die Entwicklung des in Rede stehenden Rechts nehmen kann.369 Diese Voraussetzungen erfüllt die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente:370 Der Versicherte, nicht der Staat und nicht ein Dritter, entscheidet, ob er sich in ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis begibt, sich freiwillig versichert oder aber der gesetzlichen Rentenversicherung fern bleibt. Ebenso entscheidet allein der Versicherte, ob er eine Ehe eingeht und so die Möglichkeit der Entstehung eines Vollrechts auf Witwen- oder Witwerrente schafft. Die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente ist dem Versicherten mithin privatnützig nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordnet. 3. Vermögenswertes Recht Das Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG hat den Zweck, seinem Inhaber einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu verschaffen.371 Entsprechend müssen die Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente einen Vermögenswert aufweisen, um dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zugeordnet werden zu können. Der Vermögenswert eines Rechts ist davon abhängig, dass dieses Recht einen objektiven wirtschaftlichen Gehalt aufweist. Maßgeblich ist also, ob die betroffene Position „mit Geld aufgewogen“ werden kann.372

366 Das BVerfG (E 53, 257, 291) scheint bezüglich rentenrechtlicher Positionen von der Erforderlichkeit einer Verfügungsbefugnis faktisch abzusehen, wenn es formuliert, „In dem Element der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis gelangt die Herrschaft über das Eigentumsobjekt und damit der besondere personale Bezug des Inhabers zu diesem zum Ausdruck. Dieser wird bei Rentenansprüchen und Rentenanwartschaften […] auch dadurch hergestellt, daß ihr Umfang durch die persönliche Arbeitsleistung des Versicherten mitbestimmt wird […].“ Damit lässt es das Merkmal der Verfügungsbefugnis letztlich im Merkmal der Eigenleistung aufgehen. Gegen eine Überbewertung des Merkmals der Verfügungsbefugnis sprechen sich auch aus Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 55; Jarass, NZS 1997, 545, 545; Neumann, NZS 1998, 401, 402; Rüfner, Differenziertheit, S. 172. 367 Rische/Terwey, DRV 1983, 273, 286. 368 Sachs-Wendt, Art. 14, Rn. 30. 369 Butzer, FS Isensee, S. 667, 681 f.; Thieme, FS Wannagat, S. 599, 609 f. 370 Butzer, FS Isensee, S. 667, 681 f.; kritisch zur Privatnützigkeit sozialversicherungsrechtlicher Positionen allgemein dagegen Eschenbach, Schutz des Eigentums, S. 271. 371 BVerfGE 53, 257, 289 f.; BVerfGE 68, 193, 222; BVerfGE 78, 58, 71; BVerfGE 83, 201, 210; BVerfGE 89, 1, 6; BVerfGE 91, 207, 220; BVerfGE 95, 267, 300; BVerfGE 97, 271, 284. 372 AK-Rittstieg, Art. 14, 15, Rn. 63.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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Woraus sich ein Vermögenswert rentenrechtlicher Anwartschaften nicht herleiten lässt, ist der Umstand, dass der Versicherte durch die Einbindung in das System der gesetzlichen Rentenversicherung Aufwendungen für eine anderweitige Absicherung nicht tätigen muss. Für den Versicherten mag das durch diese Einbindung Ersparte zwar durchaus von in Geld messbarem Wert sein. Dieser messbare Wert zeigt jedoch nur, dass sich in anderen (insbesondere privatversicherungsrechtlichen) Absicherungssystemen die Aufwendung der nun ersparten Mittel typischerweise in wertbildender Weise rechtlich niederschlägt. Was der Versicherte aber nicht aufwendet, kann sich auch nicht wertbildend in einem Recht niederschlagen. Aus rein wirtschaftlicher Perspektive ist zudem fraglich, ob der Versicherte tatsächlich Mittel spart. Er selbst – wenn er nicht freiwillig versichert ist – zahlt zwar keinerlei Gelder an den Träger der Rentenversicherung.373 Er muss sich grundsätzlich aber im Rahmen seines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses den Abzug der Hälfte des vom Arbeitgeber an den Träger der Rentenversicherung gezahlten Betrages von seinem Entgeltanspruch gefallen lassen (§ 28g SGB IV). Zudem wird der Arbeitgeber das Entgelt des Versicherten unter Berücksichtigung der darauf entfallenden Beitragspflichten kalkulieren. Im Ergebnis wird beim Versicherten insoweit nicht der Eindruck entstehen, ihm seien Aufwendungen erspart geblieben. Häufig wurde vorgebracht, die Leistung von Beiträgen schlüge sich nicht (vermögens-)wertbildend in einem Recht nieder, weil die Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung eine solche Wertbildung verhindere.374 Dass die erbrachten Beiträge nicht zum Aufbau eines Kapitalstockes, sondern zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs verwendet werden (§ 153 Abs. 1 SGB VI), führe dazu, dass die Versicherten „nur“ einen Anspruch auf Teilhabe am zukünftigen Beitragsaufkommen innehätten; ihren Anwartschaften ließe sich kein konkret bezifferbarer Wert zuweisen.375 Wann eine solche Bezifferbarkeit erstmalig vorliegt, wird unterschiedlich bewertet. Der früheste diesbezüglich genannte Zeitpunkt ist derjenige des Erhalts der ersten Rentenauskunft nach Vollendung des 54. Lebensjahres (§ 109 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGB VI),376 der späteste derjenige der Erfüllung des jeweils fälligen Anspruchs auf Rente377. Dass es ausgeschlossen ist, den Wert rentenrechtlicher Anwartschaften konkret zu beziffern, stellt indes kein Hindernis für die Anerkennung eines Vermögenswertes dar. Das Merkmal des Vermögenswertes ist Voraussetzung für einen Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte, weil die Eigentumsgarantie – wie schon erwähnt – die Schaffung eines Freiheitsraumes im vermögensrechtlichen Bereich be373

BSGE 92, 113, 130 ff. Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 236; Rische/Terwey, DRV 1983, 273, 288. 375 BVerfGE 54, 11, 28; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 236 ff. 376 Meyer, Armutsfestigkeit, S. 124; gegen eine „eigentumsrechtliche Relevanz“ der Altersgrenze BVerfG, SGb 2007, 422, 427. 377 Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 238. 374

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zweckt378. Diesen Zweck kann ein Recht aber auch dann erfüllen, wenn nicht feststeht, wie hoch genau der Vermögenswert ist, den es verkörpert, solange nur keine Zweifel daran bestehen, dass ihm überhaupt ein Vermögenswert zukommt. Einen Vermögenswert einer Rechtsposition je nach konkreter Bezifferbarkeit ihres Wertes zu bejahen oder zu verneinen, liefe erneut379 darauf hinaus, den Eigentumsschutz subjektiver Rechte in Abhängigkeit der jeweils zugrundeliegenden Organisation- und Verfahrensform zu gewähren oder zu versagen. Zudem werden im Bereich der Privatversicherungen Kapitallebensversicherungen angeboten, in denen für den Versicherungsfall ein Anspruch auf eine bestimmte Mindestsumme – regelmäßig die Summe der zu zahlenden Beiträge – garantiert ist, eine weitergehende Anspruchshöhe aber vom Erfolg der Anlagegeschäfte abhängig gemacht wird, die mit den gezahlten Beiträgen getätigt werden. Obwohl auch hier der jeweils aktuelle Anwartschaftswert nicht konkret bezifferbar ist, wird nicht daran gezweifelt, dass die Anwartschaft dem Eigentumsschutz unterfällt. Der entscheidende Unterschied zwischen der geschilderten Kapitallebensversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung könnte nun der sein, dass in der Kapitallebensversicherung mit der Summe der Beiträge als garantierter Minimalleistung immerhin ein konkret bezifferbarer Mindestwert vorhanden ist, an dem es in der gesetzlichen Rentenversicherung fehlt. Die Bedeutung dieses Unterschiedes relativiert sich indes, wenn man Folgendes bedenkt: Auch die Rentenversicherung ist Versicherung,380 womit auch hier im einzelnen Versicherungsverhältnis das Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung – wenn auch in weniger starkem Maße als in der Privatversicherung381 – Geltung beansprucht.382 Niemand, der Beiträge geleistet hat, darf im Versicherungsfall auf leere Kassen verwiesen werden.383 Daher besteht auch in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit, für die einzelnen Versicherungsverhältnisse den Mindestwert der jeweiligen Anwartschaft zu ermitteln. Dieser Mindestwert ist abhängig von der „Rangstelle“384, die der Anwartschaft innerhalb der Versichertengemeinschaft zukommt. Die Rangstelle wiederum bemisst sich nach der Höhe der jeweils erbrachten Beiträge.

378 BVerfGE 53, 257, 289 f.; BVerfGE 68, 193, 222; BVerfGE 78, 58, 71; BVerfGE 83, 201, 210; BVerfGE 89, 1, 6; BVerfGE 91, 207, 220; BVerfGE 95, 267, 300; BVerfGE 97, 271, 284. 379 Vgl. schon zur zurechenbaren Eigenleistung oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b). 380 Siehe oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a). 381 Vgl. dazu auch unten 3. Teil, § 1, B.III.1.b)bb). 382 Isensee, FS Broermann, S. 365, 380; Papier, DRV 2001, 350, 254; Ruland, DRV 1985, 278, 281; vgl. dazu auch unten 3. Teil, § 2, D. 383 Axer, FS Isensee, S. 965, 976; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 281 f.; Isensee, FS Broermann, S. 365, 380; Krause, Eigentum, S. 44; ders., VSSR 1980, 115, 130 f.; Papier, VSSR 1973, 33, 55; Rische/Terwey, DRV 1983, 278, 292; Tomandl, FS Wannagat, S. 625, 637 f. 384 BVerfGE 54, 11, 28; BVerfGE 58, 81, 109 ff.; Butzer, FS Isensee, S. 667, 674; Heine/ Rische, DRV 1984, 101, 112 ff.; Rische/Terwey, DRV 1983, 273, 289; Ruland, DRV 1986, 13, 18; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1997, 94, 103; Schuler, ZfS 1984, 225, 230; Wenner, FS 50 Jahre BSG, S. 625, 627.

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Die Verneinung eines Vermögenswertes rentenrechtlicher Anwartschaften gestattet auch § 4 Bewertungsgesetz (BewG) nicht.385 § 4 BewG legt fest, dass eine steuerliche Berücksichtigung eines Wirtschaftsgutes, dessen Erwerb von dem Eintritt einer Bedingung abhängig ist, erst ab dem Zeitpunkt erfolgt, in dem eben diese Bedingung erfüllt ist. Die Norm ist in mehrfacher Hinsicht für die Frage nach dem Vermögenswert (witwen- oder witwer-)rentenrechtlicher Anwartschaften nicht ergiebig. Zunächst handelt es sich bei rentenrechtlichen Anwartschaften nicht um Wirtschaftsgüter. Aufgrund der bereits erwähnten386 Unmöglichkeit der Übertragung und Verpfändung fehlt es ihnen an einer für Wirtschaftsgüter erforderlichen Verkehrsfähigkeit. Eine solche wäre mit den im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung verfolgten Sicherungszwecken auch schwerlich vereinbar. Ferner regelt § 4 BewG nicht die Werthaltigkeit von Wirtschaftsgütern,387 zu denen durchaus auch Rechte zählen können, sondern die Norm legt den Zeitpunkt fest, ab dem eine steuerliche Veranlagung eines vorhandenen Wertes erfolgen soll. Der Zeitpunkt, zu dem eine steuerliche Berücksichtigung eines Wertes erfolgen soll, gestattet jedoch keine Rückschlüsse darauf, seit wann dieser Wert tatsächlich schon besteht. Dass der Gesetzgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Wert steuerlich veranlagen will, zwingt insbesondere nicht zu dem Schluss, dass dieser Wert zuvor nicht vorhanden war. Will man über all dies hinwegsehen und § 4 BewG dennoch den Gedanken entnehmen, die Vorstufe eines Vollrechtes weise keinen Vermögenswert auf, müsste konsequenterweise auch einem zivilrechtlichen Anwartschaftsrecht ein Vermögenswert und damit ein Eigentumsschutz abgesprochen werden – ein Standpunkt, den, soweit ersichtlich, niemand einnimmt. 4. Existenzsicherung Schließlich müssten die Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente der Existenzsicherung dienen, um der Eigentumsgarantie zu unterfallen. Ein Recht dient dann der Existenzsicherung, wenn es seiner Funktion nach für die Mehrzahl der Staatsbürger objektiv dazu geeignet ist;388 nicht ausschlaggebend ist, ob der Einzelne auf das betroffene Recht zur Aufrechterhaltung seiner Existenz angewiesen ist, genauer: ob das Recht ein Existenzminimum sicherstellt.389 Hier unterscheidet sich die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente deutlich vom Vollrecht. Dass sozialversicherungsrechtliche Ansprüche heute für die große Mehrheit der Bürger eine existenzsichernde Funktion erfüllen, hat überhaupt erst 385

So aber Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 432, Fn. 82 zu § 111 Nr. 14 BewG a.F. Siehe oben 2. Teil, § 3, D.I.3. 387 Es darf schon bezweifelt werden, dass es überhaupt möglich ist, gesetzlich den Wert (nicht den Preis) eines Wirtschaftsgutes festzusetzen. 388 BVerfGE 69, 272, 303 f. 389 Isensee, FS Broermann, S. 365, 378; Jarass, NZS 1997, 545, 546; Neumann, NZS 1986, 401, 406; Ruland, DRV 1986, 13, 17; ders., DRV 1997, 94, 101; ders., VSSR 1997, 19, 30; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 131, 132; so aber Tsai, Die verfassungsrechtlichen Schutzstrukturen sozialrechtlicher Positionen, S. 89. 386

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

den Anstoß zu einer Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG gegeben. Während daher an der existenzsichernden Funktion eines Anspruches auf Zahlung von (Witwen- oder Witwer-)Rente – soweit ersichtlich – keine Zweifel bestehen und bestanden,390 ist die Antwort auf die Frage nach der existenzsichernden Funktion der Anwartschaft weniger offensichtlich. Auf den ersten Blick erscheint die existenzsichernde Wirkung der Anwartschaft zweifelhaft. Insbesondere kann der mit dem Innehaben der Anwartschaft einhergehenden Absicherung des Risikos, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, keine für den Versicherten unmittelbar existenzsichernde Wirkung attestiert werden: Die Verwirklichung des abgesicherten Risikos setzt gerade den Tod des Versicherten voraus; dass das Risiko des Wegfalls der gegen ihn gerichteten Unterhaltsansprüche abgesichert ist, hat für den Versicherten selbst daher keinen direkten Vorteil. Unmittelbar begünstigt ist insoweit allein der potentiell Hinterbliebene, der jedoch nicht Anwartschaftsberechtigter ist. Ausschlaggebend ist aber, dass die Anwartschaft sich als ein Netz begreifen lässt, das nicht nur den potentiell Hinterbliebenen zukünftig vor dem Absturz in existenzbedrohende Umstände schützen kann, sondern auch für den Versicherten schon zu dessen Lebzeiten positive Wirkungen entfaltet: Die Anwartschaft auf Witwenoder Witwerrente bewahrt den Versicherten davor, Aufwendungen für eine anderweitige – regelmäßig privatversicherungsrechtliche – Absicherung seines Ehegatten tätigen zu müssen, derer es bedürfte, wenn keine witwen- oder witwerrentenrechtliche Anwartschaft existierte. Solche Aufwendungen vermöchten, insbesondere wenn der Versicherte ein im Vergleich zu seinem Ehegatten hohes Alter hat oder er sich erst in höherem Alter zu einer Absicherung entschließt, ruinöse Ausmaße anzunehmen391. Die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente sichert daher zwar prima facie den potentiell hinterbliebenen Ehegatten. Gerade aus diesem Grunde stellt sie aber – zumindest auch – ein Mittel zur Sicherung der Existenz des Versicherten dar. II. Eigentumsrechtlicher Schutz des Vollrechtes Ist der Versicherungsfall einmal eingetreten und aus der Anwartschaft des Versicherten ein Vollrecht des Hinterbliebenen auf Zahlung von Witwen- oder Witwerrente entstanden, so ist dieses Vollrecht durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Dieses Ergebnis scheint unstreitig;392 insbesondere äußert sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1998393 nicht gegenteilig. Soweit das Gericht in der Entscheidung leise Zweifel an der existenzsichernden Funktion der Witwen390 Vgl. nur Katzenstein, SGb 1988, 176, 184; ders., FS Zeidler, S. 645, 662 ff.; Papier, SRH, § 3, Rn. 64; Plagemann, NJW 1982, 558, 559; Ruland, VSSR 1997, 19, 30; Schmidt-De Caluwe, JA 1992, 129, 131; Stober, SGb 1989, 53, 57 f.; zu vagen Andeutungen des BVerfG in entgegengesetzter Richtung siehe sogleich 2. Teil, § 3, D.II. 391 Hase, JZ 2000, 591, 596. 392 So auch Butzer, FS Isensee, S. 667, 680. 393 BVerfGE 97, 271 ff.

§ 3 Witwen- und Witwerrenten als eigentumsgeschützte Rechtspositionen

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und Witwerrenten anklingen lässt,394 indem es äußert, dass seit der Einführung des HEZG395 nur Unterhalt bei Bedürftigkeit gewährt werde, sei deutlich auf die methodische Fragwürdigkeit dieses Argumentationsweges hingewiesen: Das Bundesverfassungsgericht verteidigt die Regelungen, gegen die sich die in der Entscheidung behandelten Verfassungsbeschwerden richten (§ 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV), mit der Rechtswirklichkeit, die durch die angegriffenen Regelungen selbst geschaffen wurde.396 Problematisch erscheint im Zusammenhang mit einem Eigentumsschutz des Vollrechts auf Witwen- oder Witwerrente allerdings eine in der Literatur entwickelte Ansicht,397 nach welcher der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil im Hinblick auf einen individuellen – verheirateten oder ledigen – versicherten Angestellten entrichte: Aufgrund dieser engen Bindung des Arbeitgeberbeitrages an den individuellen Angestellten weise der Beitragsanteil des Arbeitgebers nur dann auch einen Bezug zum Ehegatten des Versicherten auf, wenn er zu einem Zeitpunkt entrichtet wurde, in dem der Versicherte bereits verheiratet war. Ein Eigentumsschutz für die Witwenoder Witwerrente komme folglich nur in Betracht, „insoweit“398 die ihr zugrundeliegenden Beiträge während der Ehe erbracht wurden. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen. Es ist nicht möglich, die Witwen- und Witwerrenten dem Eigentumsschutz nur teilweise zu unterstellen.399 Der Anspruch auf Zahlung einer Rente ist eine unteilbare Rechtsposition; entweder sie unterliegt insgesamt dem Eigentumsschutz oder sie unterliegt ihm gar nicht.400 Selbst wenn man davon ausginge, dass dem Hinterbliebenen nur die während der Ehezeit erbrachten Beitragsleistungen des Versicherten als Eigenleistung zugerechnet werden können,401 stünde dies einem umfassenden Eigentumsschutz des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente nicht im Wege: Für einen Eigentumsschutz bedarf es lediglich eines Beruhens auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung;402 die Eigenleistung muss sich nicht spiegelbildlich in der betroffenen Rechtsposition niederschlagen. Das geschilderte Zurechnungsmodell verkennt zudem, dass die vom Arbeitgeber zu zahlenden Beiträge sich nicht danach richten, ob ein versicherter Angestellter verheiratet oder ledig ist. Sie richten sich allein nach dem vom Arbeitgeber gezahlten 394

Solche Andeutungen lassen sich erkennen in BVerfGE 97, 271, 287 f., 291. BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 396 Butzer, FS Isensee, S. 667, 675, Fn. 42. 397 Katzenstein, FS Zeidler, S. 645, 663 f.; ders., SGb 1988, 177, 184; ders., DRV 1982, 177, 183 (hier nur angedeutet); Söllner, FS Geiger, S. 262, 274; zustimmend Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153; Stober, SGb 1989, 53, 58. 398 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 153. 399 Ebenso Krause, Eigentum, S. 31; Papier, VSSR 1973, 33, 41 f.; sehr deutlich zum „alles oder nichts“-Prinzip beim Schutz des Vollrechtes Köbl, ZfSH/SGB 1991, 675, 675 f. 400 Ruland, VSSR 1997, 19, 38. 401 Dagegen bereits oben 2. Teil, § 3, C.II.1.c). 402 BVerfGE 72, 9, 18 f.; BVerfGE 97, 271, 284; BVerfGE 100, 1, 34; BVerfGE 112, 368, 396. 395

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2. Teil: Ausgangspunkt: Die Eigentumsfähigkeit der Witwen- und Witwerrenten

Entgelt (§ 157 i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 162 Nr. 1 SGB VI). Das Vollrecht auf Witwenoder Witwerrente genießt daher – und zwar in Gänze – den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG.

3. Teil

Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a–e SGB IV § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – eSGB IVordnet an, dass Einkommen des hinterbliebenen Ehegatten zu vierzig Prozent auf dessen Witwen- oder Witwerrente anzurechnen ist, sobald das Einkommen mehr als das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts beträgt. Mithin führt das Erzielen eigenen Einkommens durch den Hinterbliebenen nur dann nicht zu einer Kürzung des Rentenzahlbetrages, wenn es sich in den alten Bundesländern auf derzeit höchstens 718,08 E, in den neuen Bundesländern auf höchstens 637,03 E beläuft. Bei entsprechender Höhe des Einkommens kann es zu einem vollständigen Ruhen des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente kommen (sog. Nullfall). Eingeführt wurde die Einkommensanrechnung durch das HEZG mit Wirkung zum 1. Januar 19861. Grund für die Einführung der Anrechnungsregelungen war, dass der Gesetzgeber – ebenfalls durch das HEZG – die rentenrechtliche Position der Witwer verbesserte, indem er sie derjenigen der Witwen anglich: Anspruch auf eine Witwerrente hatte zuvor nur dann bestanden, wenn der Familienunterhalt überwiegend von der verstorbenen Ehefrau bestritten worden war;2 diese Bedingtheit der Witwerrente entfiel nun. Damit folgte der Gesetzgeber einem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts, das die unterschiedliche Behandlung von Witwen und Witwern als nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar eingestuft hatte.3 Die Mehrkosten, die durch die Verbesserung der Position der Witwer entstanden, sollten nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Einkommensanrechnung kompensiert werden.4 Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 wurde die Einkommensanrechnung, in deren Rahmen ursprünglich lediglich Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen berücksichtigt wurde, deutlich ausgeweitet: Von einer Anrechnung ausgenommen sind nunmehr nur noch steuerfreie Einnahmen nach § 3 EStG ohne die Aufstockungsbeträge und Zuschläge nach § 3 Nr. 28, Nr. 40 EStG (§ 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IV), auf einer Förderung nach § 10a oder §§ 79 ff. EStG beruhende Einnahmen aus Altersvorsorgeverträgen (§ 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB IV), Arbeitsentgelt bis zur Höhe von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung, so1 2 3 4

BGBl. 1985/I, S. 1459 ff. §§ 1266 RVO, 43 Abs. 1 AVG. BVerfGE 39, 169, 194 f. BT-Drs. 10/2677, S. 22 f.; BR-Drs. 500/84, S. 22 f.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

weit es für eine betriebliche Altersversorgung verwendet wird (§ 18a Abs. 2 S. 2 SGB IV), Arbeitsentgelt, das eine Pflegeperson von einem Pflegebedürftigen erhält und das maximal die Höhe eines entsprechenden Pflegegeldes nach § 37 SGB XI erreicht (§ 18a Abs. 2 S. 2 SGB IV), Sozialleistungen ohne Lohnersatzfunktion wie etwa Arbeitslosenhilfe oder Wohngeld, Kinderzuschüsse und -zulagen oder diesen vergleichbare kindbezogene Leistungen (§ 18a Abs. 3 S. 2 SGB IV) sowie Elternrenten nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 AAÜG.5 Ob die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV, die durch die Ausweitung faktisch annähernd lückenlos ausgestaltet wurde, den Anforderungen des Grundgesetzes genügt, soll folgend untersucht werden. Fraglich erscheint dies sowohl in kompetenzrechtlicher Hinsicht als auch in grundrechtlicher Hinsicht. Dabei kommen als von den Anrechnungsvorschriften möglicherweise verletzte Grundrechte in Betracht die Eigentumsfreiheit, in deren Schutzbereich die witwen- und witwerrentenrechtlichen Positionen – wie festgestellt – fallen, der allgemeine Gleichheitssatz sowie die allgemeine Handlungsfreiheit.

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG A. Zur Reichweite der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG In Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG wird dem Bund die konkurrierende Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst der Begriff der Sozialversicherung all das, „was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt“6. „Sozialversicherung“ ist demnach ein „weitgefasster verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff“7. Trotz dieser Weite ist der Begriff jedoch nicht grenzenlos; er ist insbesondere nicht deckungsgleich mit dem der sozialen Sicherheit.8 Damit stellt der Kompetenztitel auch kein dem Bundesgesetzgeber in die Hand gegebenes Allzweckwerkzeug zur umfänglichen Verwirklichung der sozialen Staatszielbestimmung dar.9 Insoweit ist die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vor allem10 5

Vgl. dazu im Einzelnen unten 3. Teil, § 2, C.IV. BVerfGE 11, 105, 112. 7 BVerfGE 75, 108, 146; BVerfGE 87, 1, 34; BVerfGE 88, 203, 313; BVerfG, NVwZ 2006, 191, 192. 8 BVerfGE 11, 105, 111 f.; BVerfGE 62, 354, 366; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 28. 9 Merten, DRV 2008, 382, 386; ders., NZS 1998, 545, 546; Mangoldt/Klein/ Starck-Oeter, Art. 74, Rn. 117; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 28. Die im Rahmen der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erlassenen gesetzlichen Regelungen haben aber großen Anteil an der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips, weshalb der ersatzlosen Abschaffung der Sozialversicherung Art. 79 Abs. 3 GG entgegenstünde, vgl. dazu Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 223. 6

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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von derjenigen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (Kompetenz zur Regelung der öffentlichen Fürsorge) abzugrenzen.11 Auch wenn diese Abgrenzung sich nicht durch Subsumtion unter eine feststehende Definition von „Sozialversicherung“ vornehmen lässt, bleibt die vom Bundesverfassungsgericht verwendete Formel, Sozialversicherung sei all das, „was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt“, doch nicht eine bloße „Leerformel“12: Als der Sozialversicherung zugehörig erweist sich ein Regelungskomplex, wenn er eine Summe von Strukturmerkmalen aufweist, die sich zu einem sozialversicherungstypischen Gesamtbild zusammenfügen.13 Ausgangspunkt für die Ermittlung der kennzeichnenden Strukturmerkmale ist die Sozialversicherung, wie sie sich dem Verfassungsgeber im Jahr 1949 darstellte.14 Von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst sind daher alle Regelungen der klassischen gesetzlichen Versicherung gegen Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall.15 Inhaltlich ist die Kompetenz jedoch nicht auf den Zustand von 1949 festgelegt,16 sondern erweist sich als durchaus zukunftsoffen.17 Sie gestattet „die Einbeziehung neuer Lebenssachverhalte in das Gesamtsystem ,Sozialversicherung, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen, insbesondere in der organisatorischen Bewältigung ihrer Durchführung dem Bild entsprechen, das durch die ,klassische Sozialversicherung geprägt ist“18. Die Formulierung „in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen“ macht dabei bereits deutlich, dass es zwischen Merkmalen unterschiedlichen Gewichts zu unterscheiden gilt. Dies sind zum einen diejenigen Merkmale, deren Vorhandensein für die Bejahung des Sozialversicherungscharakters eines Normenkomplexes konstitutiv ist, zum anderen sind es Merkmale von zwar ebenfalls prägender, eine Zugehörigkeit zum Bereich der Sozialversicherung aber lediglich indizierender Natur.19 Um die für eine Zugehörigkeit zur Sozialversicherung konstitutiven Merkmale zu erfüllen, 10 Weitere Kompetenzen zur Schaffung von Regelungen mit fürsorgerischem Gehalt finden sich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 9, Nr. 10, Nr. 13 GG. 11 Vgl. dazu Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 139. 12 Als solche sieht sie Leisner, BB 1996, Beilage 6 zu Heft 13, S. 3. 13 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 26. 14 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 27. 15 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 74, Rn. 170; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 28; Mangoldt/ Klein/Starck-Oeter, Art. 74, Rn. 117. 16 Isensee, DRV 1980, 145, 147; Krause, VSSR 1980, 115, 121; Leisner, BB 1996, Beilage 6 zu Heft 13, S. 3. 17 Ruland, ZRP 2009, 165, 168 f. Entgegen häufig geäußerter Auffassung (vgl. etwa Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 29) lässt sich diese Zukunftsoffenheit allerdings nur recht bedingt aus der expliziten Einschließung der Kompetenz zur Regelung der Arbeitslosenversicherung ableiten, vgl. dazu Butzer, Fremdlasten, S. 155 ff. 18 BVerfGE 11, 105, 112; BVerfGE 62, 354, 366; BVerfGE 63, 1, 35; BVerfGE 75, 108, 146 ff.; BVerfGE 81, 156, 185 f.; BVerfGE 87, 1, 34; BVerfGE 88, 203, 313. 19 Butzer, Fremdlasten, S. 177 ff. unterscheidet diesbezüglich zwischen primären und sekundären Wesensmerkmalen. Auf eine Differenzierung völlig verzichtet wird dagegen von Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 100 ff.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

muss ein Regelungskomplex – erstens – den Charakter einer Versicherung aufweisen. Dieser Versicherungscharakter bedarf zweitens einer Ergänzung oder Modifikation durch Elemente des sozialen Ausgleichs. Die organisatorische Umsetzung der Reglungen hat drittens durch selbstständige Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts zu erfolgen. Viertens schließlich muss eine Finanzierung im Wege der Erhebung von Beiträgen von den Beteiligten vorgesehen sein.20 Regelmäßig vorhandene, eine Zugehörigkeit zur Sozialversicherung aber nur indizierende Merkmale sind dagegen insbesondere der Zwangscharakter der Versicherung,21 ihre Beschränkung auf Arbeitnehmer,22 eine nur unvollständige Schadenskompensation im Falle der Risikoverwirklichung,23 die außerdem nicht nur in der Erbringung von Geld-, sondern auch von Sachleistungen erfolgen kann (sog. umfassendes Leistungsspektrum)24 sowie die Beteiligung Dritter – der Arbeitgeber25 und des Bundes26 – an der Finanzierung.

B. Die vier konstitutiven Voraussetzungen der Sozialversicherung Wurden eben schon die vier Wesensmerkmale genannt, die ein Regelungskomplex aufweisen muss, damit er als sozialversicherungsrechtlicher i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gelten kann, so sollen diese Merkmale folgend jeweils in einem ersten Schritt erläutert werden, damit sodann in einem zweiten Schritt ihre Beachtung bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Rechts der Witwen- und Witwerrenten geprüft werden kann.

I. Organisatorische Durchführung durch selbstständige Träger Art. 87 Abs. 2 GG schreibt die Wahrnehmung sozialversicherungsrechtlicher Aufgaben durch Körperschaften des öffentlichen Rechts vor. Stark verbreitet ist dabei die Auffassung, der vom Verfassungsgeber verwendete Körperschaftsbegriff sei ein untechnischer, es sei eine organisatorische Durchführung durch bundes20

BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 28; Butzer, Fremdlasten, S. 180 ff.; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 74, Rn. 171. 21 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 306 f.; Krause, JuS 1986, 349, 351; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 110 ff. 22 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 302 ff.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 105 ff.; Ruland, Familiärer Unterhalt, S. 40. 23 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 112 ff. 24 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 315 f. 25 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 315; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 117 ff.; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 29. 26 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 307 ff.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 117 ff.; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 29.

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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oder landesunmittelbare Rechtsträger der mittelbaren Staatsverwaltung in all ihren Formen, insbesondere also auch durch Anstalten des öffentlichen Rechts, zulässig27. Letztlich ist die Frage nach der Natur des in Art. 87 Abs. 2 GG verwendeten Körperschaftsbegriffes aufgrund der einfachgesetzlichen Festlegung auf eine körperschaftliche Organisation in § 29 Abs. 1 SGB IV jedoch kaum von Relevanz28. Ebenfalls in § 29 Abs. 1 SGB IV festgelegt ist auch das Recht zur Selbstverwaltung. Im Grundgesetz sucht man nach einer expliziten Garantie des Selbstverwaltungsrechts indes vergeblich. Selbstverwaltung stellt zwar keine zwingende Eigenschaft einer Körperschaft dar;29 das Bestehen von Selbstverwaltungsrechten ist jedoch typisches Merkmal mittelbarer Staatsverwaltung,30 weshalb die grundgesetzliche Fixierung auf eine körperschaftliche Organisation kaum Sinn ergibt, wenn sie nicht jedenfalls die Einräumung eines Mindestmaßes an Selbstverwaltungsrechten vorsieht31. Enthält Art. 87 Abs. 2 GG demnach zwar keine Garantie eines Selbstverwaltungsrechts,32 so schafft die Norm doch die nachhaltig empfehlenden Voraussetzungen zur Einführung eines solchen.33 Im Hinblick auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten lässt sich die Frage nach einer Verwaltung durch „Körperschaften“ i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ohne Weiteres bejahen: Gemäß § 127 Abs. 3 S. 1 SGB VI ist der Träger für den Hinterbliebenen zuständig, bei dem für den verstorbenen Versicherten zuletzt Beiträge entrichtet worden sind. Träger der Rentenversicherung sind nach § 125 Abs. 1 SGB VI die Regional- und die Bundesträger, bei denen es sich nach § 29 Abs. 1 SGB IV um rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt.34 27 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 279 f.; U. Becker, Staat und autonome Träger im Sozialleistungsrecht, S. 116; Breuer, VVDStRL 44 (1986), S. 211, 236 f.; Münch/Kunig-Broß, Art. 87, Rn. 7; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 35; Jarass/PierothPieroth, Art. 87, Rn. 10; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 116 f.; a.A.: Blümel, HStR IV (2. Aufl.), § 101, Rn. 110; Maunz/Dürig-Lerche, Art. 87, Rn. 160; Sachs-Sachs, Art. 87, Rn. 54. 28 Butzer, Fremdlasten, S. 245. 29 Butzer, Fremdlasten, S. 246; Maunz/Dürig-Lerche, Art. 87, Rn. 159; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 116 f. 30 H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 8 ff.; Butzer, Fremdlasten, S. 246; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 116. 31 Boecken, DRV 1999, 714, 731 ff.; Butzer, Fremdlasten, S. 246 f.; Friauf, DRV 1982, 113, 116; Maunz/Dürig-Lerche, Art. 87, Rn. 159; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 216 f. 32 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 283. Zu der in der Literatur teils vertretenen Ansicht, eine Garantie des Selbstverwaltungsrechts der Sozialversicherungsträger ergebe sich aus Sozialstaatsklausel in Verbindung mit dem Demokratieprinzip vgl. U. Becker, Staat und autonome Träger im Sozialleistungsrecht, S. 120 f.; Friauf, DRV 1982, 113, 115. 33 Butzer, Fremdlasten, S. 249. 34 Zur Auffassung Wertenbruchs, FS Wannagat, S. 687, 692, 704 ff., insb. S. 708, die Träger der Sozialversicherung seien faktisch Organe der unmittelbaren Staatsverwaltung, vgl. oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a)bb).

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II. Die Finanzierung durch Beiträge der Beteiligten Damit ein Regelungskomplex sich auf die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen lässt, muss er ferner zwingend eine Finanzierung der zu erbringenden Leistungen durch Beiträge der Beteiligten vorsehen. Die Beitragsfinanzierung ist auf das Engste mit dem Versicherungscharakter eines Regelungskomplexes verknüpft:35 Fehlt es an einer Erhebung von Beiträgen, ist ausgeschlossen, dass der betroffene Regelungskomplex eine Versicherung ausgestaltet. Nicht notwendig ist, dass die Beiträge ausschließliches Mittel zur Finanzierung der Sozialversicherung sind.36 Die Gewährung von steuerfinanzierten BunAGdRENUTCH eAsNUGTRECH zuAGsENUTRCH chüsAGsENUTRCH en ist nicht nur unschädlich,37 sondern – wie erwähnt – sogar indiziell prägendes Wesensmerkmal der Sozialversicherung. Der Kreis der „Beteiligten“ geht einerseits über den der Versicherten hinaus, andererseits ist aber auch nicht jeder, der vom Gesetzgeber mit einer zur Finanzierung der Sozialversicherung beitragenden Abgabe belegt ist, in den Kreis der Beteiligten einbezogen.38 Beteiligter ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Künstlersozialabgabe formuliert, vielmehr jeder, dessen Heranziehung zur Finanzierung der Sozialversicherung einen „Anknüpfungspunkt“ aufweist, „der nicht außerhalb der Vorstellungen liegt, von denen die Sozialversicherung in ihrem sachlichen Gehalt bestimmt wird“39. Ein solcher Anknüpfungspunkt liegt insbesondere beim Arbeitgeber vor – Josef Isensee spricht insoweit sehr griffig von der Abgabenpflicht des Arbeitnehmers und der des Arbeitgebers als dem „siamesischen Zwillingspaar des Abgabenrechts“40. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten sieht eine Beitragsfinanzierung vor und erfüllt auch insoweit die Anforderungen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. In diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht geäußerte Zweifel41 beziehen sich auf den Umstand, dass es nicht möglich ist, die Beiträge des verstorbenen Versicherten dessen hinterbliebenem Ehegatten zuzurechnen. Verneint wird damit – wie dargestellt42 – jedoch nur das Vorhandensein eines „hinreichenden personalen Bezugs“43, 35 Eingehend zu dieser Verknüpfung im Bereich der Sozialversicherung Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 321 ff. 36 BVerfGE 23, 12, 23 f.; Isensee, ZRP 1982, 137, 141; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 74, Rn. 173; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 117 f. 37 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 75, 100 ff., fordert allerdings, die Staatszuschüsse müssten stets weniger als die Hälfte der Einnahmen der Sozialversicherung ausmachen. 38 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 119. 39 BVerfGE 75, 108, 149; das Vorhandensein eines sachorientierten Anknüpfungspunktes bei einem Dritten schafft aber andersherum keine Pflicht des Gesetzgebers, diesen Dritten durch Auferlegung einer Abgabenpflicht auch zum Beteiligten zu machen, vgl. Bieback, VSSR 1997, 117, 128 f. 40 Isensee, Die Rolle des Beitrags, S. 461, 487. 41 BVerfGE 97, 271, 285; ebenso Rüfner, VVDStRL 28 (1970), 187, 197. 42 Vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b).

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der erforderlich für die Bejahung einer zurechenbaren Eigenleistung und damit Voraussetzung für einen eigentumsrechtlichen Schutz der Witwen- und Witwerrenten sei; die Beitragsfinanzierung der Witwen- und Witwerrenten an sich stellt das Bundesverfassungsgericht nicht in Abrede.

III. Der Versicherungscharakter 1. Zum Versicherungscharakter im Allgemeinen a) Die konstitutiven Merkmale von „Versicherung“ Eine weitere konstitutive Voraussetzung dafür, dass ein Regelungskomplex auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG geschaffen werden kann, ist dessen Versicherungscharakter. Die Anerkennung dieser Voraussetzung erfordert freilich ihrerseits, dass die Sozialversicherung als Versicherung zu qualifizieren ist, was heute aber praktisch nicht mehr bestritten wird44. Damit sich ein Regelungskomplex als Versicherung einstufen lässt, werden ganz überwiegend gefordert – erstens – die Bildung einer Gefahrengemeinschaft,45 zweitens das Vorhandensein einer Gefahr in Gestalt des ungewissen Eintritts eines bestimmten nachteiligen Ereignisses, drittens die Deckung des Bedarfs, der aufgrund des Eintritts des nachteiligen Ereignisses entsteht, viertens die Selbstständigkeit dieser Bedarfsdeckung, fünftens die Entgeltlichkeit der Gefahrtragung sowie – sechstens – das Bestehen eines Rechtsanspruches bei Gefahrverwirklichung.46 b) Die Äquivalenzprinzipien aa) Begriffsbestimmung Nicht per definitionem zwingende Voraussetzung von „Versicherung“, gleichwohl aber wesensprägend mit dem Begriff der Versicherung verbunden ist das Äquivalenzprinzip, das die Entsprechung von Leistung und Gegenleistung fordert. Das Prinzip tritt in zu differenzierenden Ausprägungen auf:47 Ist die Entsprechung von Leistung und Gegenleistung auf kollektiver Ebene gegeben, deckt sich also die Summe aller Beiträge der Versicherten mit der Summe der Kosten des Versicherers, so wird dem Prinzip der Globaläquivalenz48 genügt.49 43

BVerfGE 97, 271, 285. Vgl. zum Versicherungscharakter der Sozialversicherung oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a)aa). 45 Zum Trend, dieses Merkmal nicht mehr als zwingend zu erfüllende Voraussetzung, sondern lediglich als Prinzip der Versicherungstechnik anzusehen vgl. Butzer, Fremdlasten, S. 185 f.; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, S. 35 f.; Sieg, ZVersWiss 1985, 321 ff. 46 Butzer, Fremdlasten, S. 184 ff.; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, S. 37; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 118; Wannagat, Lehrbuch des Sozialrechts, S. 3. 47 Zur „inhaltlichen Gemengelage“ der sich auf das Äquivalenzprinzip in seinen einzelnen Ausprägungen beziehenden Begrifflichkeiten vgl. Butzer, Fremdlasten, S. 208 f. 48 F. Kirchhof, SDSRV 35, S. 65, 73 zieht den Begriff „Kostendeckungsgrundsatz“ vor. 44

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Auf das einzelne Versicherungsverhältnis heruntergebrochen, gebietet das Äquivalenzprinzip dagegen ein Gleichgewicht zwischen der Höhe des vom Versicherten zu entrichtenden Beitrags und der in seiner Person vorhandenen Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung.50 Die für dieses Verhältnis verwendete Terminologie ist uneinheitlich,51 folgend soll es als „Beitragsäquivalenz“ bezeichnet werden. Ebenfalls wesensprägend für die Versicherung ist die im einzelnen Versicherungsverhältnis vorhandene Äquivalenz zwischen der Höhe des zu entrichtenden Beitrages und der im Falle der Risikoverwirklichung beanspruchbaren Leistung. Diese Relation wird begrifflich regelmäßig nicht von der Beitragsäquivalenz differenziert.52 Zuzugestehen ist zwar, dass alle drei Aspekte – zu erbringender Beitrag, Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts und beanspruchbare Leistung – auf das Engste miteinander verknüpft sind. Denn steht die Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung fest, so lässt sich auf ihrer Grundlage doch kein äquivalenter Beitrag errechnen, wenn nicht klar ist, welche Leistung der Versicherte im Falle der Risikoverwirklichung einfordern kann.53 Gleichwohl sind sich die Relationen von Beitrag und Risiko einerseits sowie Beitrag und beanspruchbarer Leistung andererseits nicht hinreichend ähnlich, um eine Differenzierung überflüssig zu machen: Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Risiko verwirklicht, ist schlicht etwas völlig anderes als der Anspruch des Versicherten auf Leistung, der gerade die Rechtsfolge der Risikoverwirklichung darstellt. Im weiteren Verlauf wird daher, wenn es um die Relation von Beitrag und im Falle der Risikoverwirklichung beanspruchbarer Leistung geht, schlicht von der Äquivalenz von Beitrag und Leistung gesprochen werden.54

49 Bieback, VSSR 2003, 1, 31; Butzer, Fremdlasten, S. 201; Hase, Versicherungsprinzip, S. 637; Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 123; ders., DRV 1984, 177, 179; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 203; Wannagat, Lehrbuch des Sozialrechts, S. 2 f. 50 Butzer, Fremdlasten, S. 203; Hase, Versicherungsprinzip, S. 89 f.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 203; Thullen, DRV 1981, 497, 498 f. 51 Butzer, Fremdlasten, S. 203, 208, 356, 357 sowie Thullen, DRV 1981, 497 ff. sprechen von „Beitragsäquivalenz“, Hase, Versicherungsprinzip, S. 73, 89 ff. von „Individualäquivalenz“, Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 125 von „Gruppenäquivalenz“, Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 264 – 268 von „Versicherungsprinzip“. 52 Vgl. Butzer, Fremdlasten, S. 205; nicht nur an einer begrifflichen, sondern auch an einer inhaltlichen Abgrenzung fehlt es bei Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 264 ff. Die Abgrenzung der Relation Beitrag/Risiko von der Relation Beitrag/Leistung steht im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Frage, was Leistung des Versicherers ist – die Risikotragung (Gefahrtragungstheorie) oder die Erfüllung des im Versicherungsfall entstehenden Anspruchs (Geldleistungstheorie). Dies wird deutlich bei Ruland, DRV 1985, 13, 21. Zur genannten Kontroverse vgl. Hase, Versicherungsprinzip, S. 96 ff. m.w.N. 53 Hase, Versicherungsprinzip, S. 90; Innami, ZVersWiss 1966, 17, 18 f. 54 Ebenso Ruland, DRV 1985, 13, 21; ders., DRV 1985, 278, 281.

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bb) Die Geltung der Äquivalenzprinzipien in Sozialund Privatversicherung Globaläquivalenz herrscht sowohl im Privat- als auch im Sozialversicherungsrecht.55 Für beide Bereiche ist die Beachtung dieses Prinzips gesetzlich vorgeschrieben.56 Ein Unterschied besteht hier insoweit, als die Wahrung der Globaläquivalenz für die Privatversicherungswirtschaft nicht nur Rechtspflicht, sondern auch und gerade Sachzwang ist:57 Ein Versicherungsunternehmen, dessen Gesamtkosten die Summe der eingenommenen Beiträge dauerhaft übersteigen, kann nicht auf dem Markt bestehen. Für die Sozialversicherungsträger gilt dieser Sachzwang nicht. Ihnen stehen umfassende Möglichkeiten zur Einnahmenerhöhung zur Verfügung,58 insbesondere können sie – was im Recht der Privatversicherung nur sehr eingeschränkt möglich ist – die in schon bestehenden Versicherungsverhältnissen fällig werdenden Beiträge erhöhen. Auch hinsichtlich des einzelnen Versicherungsverhältnisses stellt sich das Äquivalenzprinzip in beiden genannten Ausprägungen – Äquivalenz von Beitrag und Eintrittswahrscheinlichkeit (Beitragäquivalenz)59 sowie Äquivalenz von Beitrag und Leistung60 – für die Privatversicherungsunternehmen als Sachzwang dar. Die Notwendigkeit der Wahrung der Äquivalenz von Beitrag und Leistung ergibt sich dabei aus folgendem: Wird von einem Versicherer ein bestimmter Beitrag abverlangt, dem im Falle der Risikoverwirklichung eine zu geringe Leistung gegenübersteht bzw. wird eine bestimmte Leistung durch einen zu hohen Beitrag erkauft, so geben potentielle Versicherungsnehmer der Konkurrenz den Vorzug – das Unternehmen kann wirtschaftlich auf Dauer nicht bestehen. Bietet ein Versicherer dagegen zu einem bestimmten Beitrag eine zu hohe Leistung für den Versicherungsfall an bzw. gibt er Versicherungsnehmern die Möglichkeit, eine bestimmte Leistung durch zu niedrige Beiträge zu erkaufen, so führt dies in der Summe zu einer Störung der Globaläquivalenz61 – auch in diesem Fall kann das Unternehmen auf Dauer wirtschaftlich nicht bestehen. Aus ganz ähnlichen Gründen gilt für Privatversicherer auch das Gebot der Beitragsäquivalenz: Weist ein Versicherter eine nur geringe Risikoeintrittswahrschein55 J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 333 (für die gesetzliche Rentenversicherung); Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 250 f.; Kolb, DRV 1984, 177, 179; Schnapp, VSSR 1995, 101, 107. 56 Für die Privatversicherung in §§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Nr. 1, 81 Abs. 1 VAG; für die Sozialversicherung allgemein in § 21 SGB IV, speziell für Rentenversicherung in § 158 Abs. 2 SGB VI. 57 Hase, Versicherungsprinzip, S. 78 ff. 58 Umfassend dazu Hase, Versicherungsprinzip, S. 82 ff. 59 Butzer, Fremdlasten, S. 202 f. 60 Hase, Versicherungsprinzip, S. 90. 61 Beschleunigt wird diese durch den Umstand, dass zu niedrige Beitragspflichten eine Vielzahl von Versicherten – insbesondere solche mit hoher Risikoeintrittswahrscheinlichkeit – anziehen, wodurch nicht nur die Einnahmen zu gering, sondern zudem die Ausgaben höher ausfallen, vgl. Hase, Versicherungsprinzip, S. 90.

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lichkeit auf, soll er aber dennoch einen hohen Beitrag zahlen, wandert er zur Konkurrenz ab. Bringt der Versicherte dagegen eine hohe Risikoeintrittswahrscheinlichkeit mit, der ein geringer Beitrag gegenübersteht, so macht dieser Umstand den Versicherer für Versicherte mit hoher Risikoeintrittswahrscheinlichkeit attraktiv, was eine Kumulation „schlechter Risiken“ bei diesem Versicherer zur Folge hat. Die mit der dann insgesamt hohen Risikoeintrittswahrscheinlichkeit einhergehende große Zahl von Leistungsansprüchen vermag der Versicherer mit der Summe der eingenommenen Beiträge nicht zu erfüllen – die Globaläquivalenz ist gestört und das Unternehmen bricht zusammen. Für die Sozialversicherung gilt das Gebot der Äquivalenz im einzelnen Versicherungsverhältnis dagegen in nur sehr eingeschränkter Weise. Eine Ausrichtung der Beitragshöhe des einzelnen Versicherten an dessen individuellem Risiko (Beitragsäquivalenz) ist der Sozialversicherung fremd.62 An die Stelle einer Beitragsbemessung auf Grundlage der individuellen Risikoeintrittswahrscheinlichkeit tritt hier eine Beitragsbemessung nach Einkommen.63 Auch eine Äquivalenz von Beitrag und Leistung findet sich nur in engen Grenzen. Völlig ausgeschaltet ist die Geltung dieses Prinzips in den Bereichen, in denen unterschiedlich hohen Beiträgen identische Leistungen gegenüberstehen.64 Zu einer beitragsbezogenen Abstufung des Leistungsumfangs kommt es jedoch, soweit die gewährte Leistung einen Entgeltersatz bezweckt65 oder zu einem solchen in Bezug steht66. Das nach dieser Betrachtung höchste – weil am stärksten ausdifferenzierte – Maß an Äquivalenz von Beitrag und Leistung findet sich bei den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung67 ein Umstand, der sich in der Etablierung der Begriffe der „Teilhabeäquivalenz“68 und „Rangstelle“69 widerspiegelt70.

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Butzer, Das Soziale in der Alterssicherung, S. 137, 139; ders., Fremdlasten, S. 202. Eine Ausnahme stellt insoweit die gesetzliche Unfallversicherung mit nach Gefahrenklassen gestaffelten Beitragssätzen dar (§ 157 SGB VII). 64 Das bedeutendste Beispiel hierfür stellt das Krankenversicherungsrecht – allerdings unter Ausnahme des Krankengeldes – dar, vgl. Butzer, Fremdlasten, S. 205 f.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 266 f.; Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 197. 65 Butzer, Fremdlasten, S. 205 f. 66 Dies trifft auf die Witwen- und Witwerrenten zu: Sie dienen nicht dem Ersatz von Entgelt, sondern ersetzen in typisierter Weise vom verstorbenen Ehegatten empfangenen Unterhalt. Dennoch sind sie über die – bei allen Renten erfolgende – Anknüpfung an die persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten (§ 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) mittelbar beitragsbezogen. Vgl. dazu auch Hase, Versicherungsprinzip, S. 287. 67 Butzer, Fremdlasten, S. 206; Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 197. 68 Der Begriff wird verwendet von Kolb, in: Schmähl, Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 120, 125 ff. 131 ff.; ders., DRV 1984, 177, 180 f.; Ruland, DRV 1985, 13, 26; Wallerath, SGb 1995, 550, 551. 69 Der Begriff wird verwendet von BVerfGE 54, 11, 28; Butzer, FS Isensee, S. 667, 674; Heine/Rische, DRV 1984, 101, 112 ff.; Rische/Terwey, DRV 1983, 273, 289; Ruland, DRV 63

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2. Ausreichende Berücksichtigung des Versicherungscharakters im Recht der Witwen- und Witwerrenten? Konnte die hinreichende Berücksichtigung der Merkmale „organisatorische Durchführung durch selbstständige Träger“ sowie „Finanzierung durch Beiträge der Beteiligten“ bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Rechts der Witwenund Witwerrenten noch ohne Probleme bejaht werden, so bedarf genauerer Prüfung, ob auch dem für eine Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG konstitutiven Merkmal „Versicherung“ ausreichend Beachtung geschenkt wurde. Hierzu seien nochmals die zwingenden Voraussetzungen einer Versicherung genannt: Es bedarf der Bildung einer Gefahrengemeinschaft, des Vorhandenseins einer Gefahr in Gestalt des ungewissen Eintritts eines bestimmten nachteiligen Ereignisses, der Deckung eines aufgrund der Gefahrenverwirklichung entstandenen Bedarfs, der Selbstständigkeit dieser Bedarfsdeckung, der Entgeltlichkeit der Gefahrtragung sowie des Bestehens eines Rechtsanspruches auf Leistung im Falle der Gefahrverwirklichung.71 Mit einer Ausnahme können alle Voraussetzungen ohne größere Schwierigkeiten als erfüllt angesehen werden: Alle Versicherten – auch die zum Zeitpunkt des Entstehens eines Versicherungsverhältnisses noch unverheirateten – sind dem Risiko ausgesetzt, bei ihrem Tod einen bis zu diesem Zeitpunkt unterhaltsberechtigten Ehegatten unversorgt zu hinterlassen. Eine Gefahrengemeinschaft liegt daher vor. Mit dem Risiko, einen Ehegatten unversorgt zu hinterlassen, ist zugleich das nachteilige, hinsichtlich seines Eintritts ungewisse Ereignis genannt, das eine Versicherung kennzeichnet. An der Selbstständigkeit der Deckung des im Versicherungsfall entstehenden Bedarfs ist – wie allgemein im Sozialversicherungsrecht72 – nicht zu zweifeln. Die Gefahrtragung erfolgt zudem, zwingend spiegelbildlich zur Finanzierung durch Beiträge, gegen Entgelt. Fraglich mag das Bestehen eines Rechtsanspruches auf die Versicherungsleistung im Versicherungsfall erscheinen: Die Anrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV kann zum sogenannten Nullfall führen; der Anspruch auf Witwenoder Witwerrente ruht dann in voller Höhe, der Hinterbliebene erhält keinerlei Zahlung. Jedenfalls dem Grunde nach besteht ein Anspruch auf Versicherungsleistung aber auch im Nullfall. Das Problem deutet sich hier zwar bereits an: In dem Augenblick, in dem die Einkünfte des betroffenen Hinterbliebenen den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente vollständig zum Ruhen bringen, macht es für den Betroffenen 1986, 13, 18; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1997, 94, 103; ders., DRV 1985, 278, 281; Schuler, ZfS 1984, 225, 230; Wenner, FS 50 Jahre BSG, S. 625, 627. 70 Zur erheblichen Relativierung des Maßes an Individualäquivalenz, die die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege des Umlageverfahrens mit sich bringt, vgl. Butzer, Fremdlasten, S. 206 f. 71 Butzer, Fremdlasten, S. 184 ff.; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, S. 32 ff.; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 118; Wannagat, Lehrbuch des Sozialrechts, S. 3. 72 Anders als im Privatversicherungsrecht ist es im Sozialversicherungsrecht ausgeschlossen, dass die Gefahrtragung Nebenfolge eines anderen Rechtsgeschäftes ist, vgl. dazu Butzer, Fremdlasten, S. 191.

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nicht den geringsten Unterschied, ob er keinen Anspruch oder einen vollständig ruhenden Anspruch auf Versicherungsleistung innehat. Dennoch ist die von den Anrechnungsvorschriften herrührende Problematik keine des Merkmals „Rechtsanspruch“. Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn dem Betroffenen nur überhaupt ein Anspruch auf Leistung zusteht; es stellt keine Anforderungen an die inhaltliche Qualität dieses Anspruches und ist insoweit rein formeller Natur. Dadurch, dass der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente dem Grunde nach auch im Nullfall fortbesteht, ist dem Erfordernis des Bestehens eines Rechtsanspruches genügt.73 Eine materielle, bestimmte Anforderungen an die Qualität des Anspruches stellende Seite weist das Merkmal „Rechtsanspruch“ selbst nicht auf. Die Bewertung der materiellen Seite des Rechtsanspruches ist vielmehr auf ein anderes Merkmal verlagert – das der Deckung des durch die Risikoverwirklichung entstehenden Bedarfs. Denn die Versicherungsleistung, auf die der Rechtsanspruch des Betroffenen zielt, ist gerade die Deckung des durch die Risikoverwirklichung entstehenden Bedarfs. a) Überbetonung des sozialen Ausgleichs zulasten des Versicherungscharakters? Ob es trotz der Regelungen zur Einkommensanrechnung zur Deckung eines entstehenden Bedarfs kommt oder ob an die Stelle der Bedarfsdeckung eine womöglich bedürftigkeitsabhängige Leistungsgewährung getreten ist, war und ist Gegenstand heftiger Diskussion.74 Teils wurde behauptet, die Anrechnungsregelungen machten die Witwen- und Witwerrenten zu reinen Leistungen des sozialen Ausgleichs, das Versicherungselement werde zugunsten des Elements des sozialen Ausgleichs völlig ausgeschaltet oder zumindest in die Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt.75 Es wurde bereits erwähnt, dass der Inhalt des Begriffes „sozialer Ausgleich“ zwar noch nicht abschließend festgestellt ist.76 Zutreffend hat man jedoch darauf hingewiesen, dass alle Leistungen, soweit sie dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zugeschrie-

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Diesbezüglich offenbar a.A. Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 188. Vgl. dazu Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 291; Butzer, FS Isensee, S. 667, 672; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 654 f.; Heine, ZSR 1986, 82, 96 ff.; Heinze, DRV 1985, 245 ff.; Helberger, DRV 1985, 69, 71; Kolb, DRV 1985, 40 ff.; ders., DRV 1984, 635, 644 ff.; Krause, DRV 1985, 254, 260 f.; v. Maydell, DRV 1985, 35 ff.; ders., DRV 1984, 662, 668 ff.; Ruland, NJW 1986, 20, 26 f.; ders., DRV 1985, 278, 281 ff.; Schmähl, DAngVers 2001, 313, 318 f.; ders., DRV 1985, 288, 290 f.; Wannagat, DAngVers 1985, 101, 103 f. 75 Muckel, Sozialrecht, § 7, Rn. 7; Schmähl, DRV 1985, 289, 291. Wohl auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2005/2006, S. 258, Tz. 339; BT-Drs. 16/1191, Frage 17 (Antwort der Bundesregierung: 16/ 1274, S. 10). 76 Butzer, Fremdlasten, S. 223; F. Kirchhof, SDSRV 35, S. 65, 66; Hase, JZ 2000, 591, 595; Leibholz/Rinck, Art. 74, Rn. 489; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 265; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 162; vgl. dazu auch oben 2. Teil, § 3, D.I.1. 74

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ben werden, sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht beitragsgedeckt sind.77 „Sozialer Ausgleich“ ist demnach ein die gegenleistungslose Leistungsgewährung kennzeichnendes Prinzip. Die Anrechnungsvorschriften haben damit aber nicht das Geringste gemeinsam. Sie verkörpern eher das Gegenteil dessen, was sich unter sozialem Ausgleich verstehen lässt: Sie führen nicht dazu, dass einem hinterbliebenen Ehegatten eine Witwen- oder Witwerrente gezahlt wird, obwohl der Versicherte keine Beiträge oder lediglich Beiträge erbracht hat, die für eine Rente in der gezahlten Höhe nach dem Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung eigentlich nicht ausreichen. § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV hat vielmehr zur Folge, dass dem Hinterbliebenen unter Umständen, obwohl der Versicherte Beiträge erbracht hat, eine entsprechende Rente nicht oder nur zum Teil gezahlt wird. Die Anrechnungsvorschriften geben daher nicht, sie nehmen. Das über die Einkommensanrechnung Genommene wird auch nicht – dem Prinzip des sozialen Ausgleichs entsprechend – an anderer Stelle nach sozialen Aspekten gezielt wieder ausgeschüttet. Zwar dienten die Anrechnungsvorschriften bei ihrer Einführung zum 1. Januar 1986 dem Ziel, die Angleichung der rentenrechtlichen Position der Witwer an die der Witwen kostenneutral gestalten zu können.78 Dass rein rechnerisch danach über die Einkommensanrechnung (möglicherweise) die Witwerrenten finanziert werden, macht diese jedoch nicht zu ausschließlich auf dem Prinzip des sozialen Ausgleichs beruhenden Leistungen. Denn für sie wurden von der verstorbenen Ehefrau ebenso Beiträge erbracht wie vom verstorbenen Ehemann für die Witwenrente. In den „Mantel des sozialen Ausgleichs“, der das Zurückdrängen des Versicherungscharakters im Recht der Witwen- und Witwerrenten legitimieren soll, werden die Anrechnungsvorschriften demnach zu Unrecht gehüllt – sie haben mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs nichts zu tun. Eine Überbetonung des Prinzips des sozialen Ausgleichs zulasten des Versicherungsprinzips ist daher nicht gegeben. b) Die Annäherung der Witwen- und Witwerrenten an das Recht der Sozialhilfe aa) Witwen-/Witwerrenten und Sozialhilfe – Bedarfsdeckung einerseits, Bedürftigkeitsprüfung andererseits? Obwohl sich die Anrechnungsvorschriften – wie eben festgestellt – nicht dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zuordnen lassen, nehmen sie dennoch Einfluss auf 77

Heinze, DRV 1985, 245, 247; sich anschließend Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 188; zu spezifischen Ausprägungen des sozialen Ausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung vgl. Butzer, Das Soziale in der Alterssicherung, S. 137, 141 ff. 78 Vgl. BT-Drs. 10/2677, S. 22 f.; BR-Drs. 500/84, S. 22 f.; Blüm, BT-PlenProt 10/8547; ders., BT-PlenProt 10/10937; Günther, BT-PlenProt 10/10913; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Maier, ZfS 1985, 353, 355; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; vgl. auch Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, Vorschläge zur sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, 1979, S. 15.

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den Versicherungscharakter des Rechts der Witwen- und Witwerrenten. Fraglich ist, ob dies in einer die kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG wahrenden Weise geschieht. Durch die Anrechnungsvorschriften, so wurde häufig behauptet,79 werde eine Bedürftigkeitsprüfung in das Recht der Witwen- und Witwerrenten hineingetragen, die dazu führe, dass kaum noch Unterschiede zum Sozialhilferecht bestünden. „Bedürftigkeit“ bezeichnet dabei ein im konkreten Einzelfall vorliegendes Benötigen von Leistungen jedweder Art und stellt das Gegenstück zum objektiv festzustellenden und typisiert regelmäßig in Geld zu deckenden „Bedarf“ dar.80 Kompetenzrechtlich betrachtet bringt eine zu große Nähe zu oder gar eine Deckungsgleichheit mit dem Sozialhilferecht auf der Seite der Leistungsgewährung es mit sich, dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten sich nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, sondern allenfalls auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG stützen lässt. Die Verknüpfung von „Bedürftigkeit“ und Sozialhilferecht ergibt sich aus dem Zweck der Sozialhilfe: Sie soll ihrem Empfänger das Führen eines menschenwürdigen Lebens ermöglichen (§ 1 S. 1 SGB XII). Dabei ist sie als „Hilfe zur Selbsthilfe“ konzipiert (§ 1 S. 2 SGB XII), derer es dann nicht bedarf, wenn der Betroffene sich aus eigener Kraft das Führen eines der Menschenwürde entsprechenden Lebens ermöglichen kann. Ob der Betroffene die Möglichkeit zur Selbsthilfe hat oder, falls er sie nicht hat, wie ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden kann, lässt sich grundsätzlich nur auf Basis einer Einzelfallbetrachtung – einer Bedürftigkeitsprüfung – ermitteln. Untrennbar verbunden mit dem Bedürftigkeitsprinzip ist das Prinzip des Nachrangs: „Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen […] erhält“ (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Seit der Einführung der Anrechnungsvorschriften sind auch Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente durch einen Nachrang geprägt.81 Dieser Nachrang entspricht

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BMF, SozVers 1994, 68, 71; Butzer, FS Isensee, S. 667, 672; ders., GK-SGB VI, § 46, Rn. 14; Heine, ZSR 1986, 82, 98; ders., FamRZ 1986, 113, 119, 120 f.; Heinze, DRV 1985, 245, 247; Kolb, DRV 1984, 635, 644; v. Maydell, DRV 1985, 35, 37; ders., DRV 1984, 662, 668; Papier, FS Leisner, S. 721, 728; ders., DRV 1985, 272, 274; Ruland, DRV 1993, 337, 344; ders., JuS 1986, 75, 76, 77; ders., NJW 1986, 20, 26; ders., DRV 1985, 278, 281; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 161; ders./Binne/Rahn, SozVers 1994, 253, 256; Schmähl, FS Ruland, S. 291, 299 ff.; ders., FS v. Maydell, S. 605, 617 f.; ders., DAngVers 2001, 313, 318; ders., DRV 1985, 288, 290 f.; vgl. auch das „Geständnis“ der Abgeordneten Potthast (Die Grünen), BTStenobericht 10/8558. 80 Die Terminologie ist jedoch keineswegs einheitlich oder gar verbindlich, vgl. Kolb, DRV 1985, 40 ff., insb. 43 ff. Dies zeigt auch etwa ein Blick auf § 9 Abs. 1 SGB XII, wo von „Bedarf“ die Rede ist, obwohl – nach den hier verwendeten Begrifflichkeiten – „Bedürftigkeit“ gemeint ist. 81 Verneint wird eine Nachrangigkeit ohne Begründung in BT-Drs. 10/2677, S. 24 f.; BRDrs. 500/84, S. 24 sowie bei Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 654 f.

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allerdings nicht der umfassenden82 Subsidiarität des Sozialhilferechts.83 Nachrangig sind die Witwen- und Witwerrenten nur gegenüber eigenem Einkommen des hinterbliebenen Ehegatten (und auch das nicht ohne Ausnahme84). Im Gegensatz zu einem Sozialhilfeempfänger muss sich der hinterbliebene Ehegatte weder auf die Möglichkeit des Einsatzes seiner Arbeitskraft verweisen lassen, noch ist er gezwungen, vorhandenes Vermögen zu verbrauchen, um in den Genuss einer Leistung zu gelangen. Auch im Verhältnis zu Unterhaltsansprüchen gegen Dritte besteht ein Nachrang nicht. Insbesondere stellt der Umstand, dass eine Witwen- oder Witwerrente nicht gewährt wird, wenn der hinterbliebene Ehegatte erneut heiratet, keinen Nachrang im sozialhilferechtlichen Sinne dar85. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten ist ursprünglich als Versicherung gegen den mit dem Tod des versicherten Ehegatten einhergehenden Verlust des ehelichen Unterhaltsanspruches konzipiert worden. Mit der erneuten Eingehung einer Ehe entsteht aber auch ein neuer Unterhaltsanspruch, was zur Folge hat, dass der zunächst vorhandene Bedarf grundsätzlich entfällt. Der Wegfall des Anspruches steht damit im Zusammenhang mit dem durch die Witwen- und Witwerrenten verfolgten Ziel, den Hinterbliebenen gegen eine Senkung des zu Lebzeiten des Ehegatten gepflegten Lebensstandards zu schützen, die aufgrund des Wegfalls der ehelichen Unterhaltsansprüche droht; er ist nicht Ausdruck eines generellen Nachrangs. Der Unterschied zwischen dem versicherungsspezifisch bedingten Entfallen der Witwen- oder Witwerrente und einer auf sozialhilferechtlicher Nachrangigkeit beruhenden Nichtgewährung wird auch rechtskonstruktiv deutlich: Während das erneute Eingehen einer Ehe den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente erlöschen lässt, führt die Erzielung eigenen Einkommens oberhalb des Freibetrages „nur“ zu einer Absenkung des Rentenzahlbetrages, der Anspruch besteht dem Grunde nach unverändert fort. Lässt sich das Recht der Witwen- und Witwerrenten demnach unter Hinweis auf den fehlenden Nachrang gegenüber dem Verbrauch eigenen Vermögens und gegenüber Unterhaltsansprüchen gegen Dritte vom Sozialrecht abgrenzen, so ist die im Recht der Witwen- und Witwerrenten nicht vorhandene Subsidiarität gegenüber dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft kein Merkmal, das dazu taugt, die Sozialhilfeferne des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zu belegen. Dem Anspruch auf eine kleine Witwen- oder Witwerrente liegt lediglich ein Rentenartfaktor von 0,25 zugrunde (§ 67 Nr. 5 SGB VI). Rechtlich steht die kleine Witwen- oder Witwerrente damit zwar nicht unter dem Vorbehalt des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft; tatsächlich fällt sie aber so gering aus, dass es dem hinterbliebenen Ehegatten nur in Ausnahmefällen – und auch dann nur unter Inkaufnahme erheblicher Einschnitte hinsichtlich des bis dahin gepflegten Lebensstandards – möglich sein wird, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne weiteres Einkommen zu erzielen, regelmäßig also: ohne 82 83 84 85

Vgl. die Formulierung „vor allem“ in § 2 Abs. 1 SGB XII. Krause, DRV 1985, 254, 260. Vgl. dazu unten 3. Teil, § 2, C.IV. In dieser Richtung aber Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 525.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Soweit ein Anspruch auf kleine Witwen- oder Witwerrente betroffen ist, besteht ein Nachrang gegenüber dem Einsatz eigener Arbeitskraft daher zwar nicht rechtlich, wohl aber tatsächlich. Ein Anspruch auf große Witwen- oder Witwerrente entsteht dagegen gerade nur dann, wenn – typisiert – davon auszugehen ist, dass die Chancen des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund Kindererziehung (§ 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI), Alters (§ 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI) oder Erwerbsminderung (§ 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI) ohnehin stark eingeschränkt sind.86 Den Hinterbliebenen in diesen Fällen vorrangig auf den Einsatz seiner Arbeitskraft zu verweisen, wäre nicht weniger als ein Konterkarieren der Absichten, die hinter den tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruches auf eine große Witwen- oder Witwerrente stehen.87 Zudem ist zu bedenken, dass ein Großteil der Bezieher einer großen Witwen- oder Witwerrente das Renteneintrittsalter erreicht hat. Nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters werden aber selbst die Bezieher einer echten „Sozialhilfe-Rente“, die Empfänger von Grundsicherung im Alter (§ 41 SGB XII), nicht mehr auf den Einsatz ihrer Arbeitskraft verwiesen. Dass eine entsprechende Nachrangigkeit im Recht der Witwen- und Witwerrenten nicht besteht, sagt über dessen Verhältnis zum Recht der Sozialhilfe daher nichts aus. bb) Überschreitung der Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG aufgrund subsidiärer Leistungsgewährung Der im Recht der Witwen- und Witwerrenten bestehende Nachrang ist damit insgesamt zwar nicht deckungsgleich mit dem im Sozialhilferecht bestehenden, weil die Anrechnungsvorschriften keine umfassende Bedürftigkeitsprüfung vorsehen. Mit dem grundsätzlichen Nachrang gegenüber eigenem Einkommen des Hinterbliebenen wurde in das Recht der Witwen- und Witwerrenten aber gleichwohl eine sozialhilfetypische Subsidiarität hineingetragen. Dass seit Einführung der Einkommensanrechnung kein Bedarf mehr gedeckt, sondern auf Bedürftigkeit eingegangen wird, kommt darin zum Ausdruck, dass bei der Anrechnung Tatsachen Berücksichtigung finden, die erst nach Verwirklichung des Versicherungsfalls eingetreten sind.88 Die für das Vorliegen einer Versicherung konstitutive Deckung eines Bedarfs zeichnet sich dadurch aus, dass die Situation vor Eintritt des Versicherungsfalls mit derjenigen verglichen wird, die im Zeitpunkt des Ver86

Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 12. Eine andere Frage ist, ob insbesondere die Altersgrenze in § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI noch zeitgemäß und sozialpolitisch angemessen ist. Vgl. dazu bereits Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528 sowie aktuell Bohlken, juris-Kommentar zum SGB VI, § 46, Rn. 101; Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 13; Köbl, DRV 2002, 686, 689 ff.; dies., ZfSH/SGB 2002, 594, 596; Kreikebohm-Löns, SGB VI, § 46, Rn. 2; Ruland, FamRZ 2001, 129, 131; ders./Binne/Rahn, SozVers 1994, 253, 257. 88 Heine, ZSR 1986, 82, 97; Heinze, DRV 1985, 245, 252; v. Maydell, DRV 1985, 35, 37 f.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 189; Ruland, NJW 1986, 20, 26; ders., DRV 1985, 278, 282; Schewe, FS Wannagat, S. 443, 444. 87

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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sicherungsfalls besteht; der aufgrund des Versicherungsfalls eingetretene, typisiert ermittelte Nachteil stellt den zu deckenden Bedarf dar. Alle nach Verwirklichung des Versicherungsfalls eintretenden Tatsachen unter Ausnahme des Wegfalls des Bedarfs selbst sind für die Bedarfsdeckung ohne Belang. Der Bedarf der hinterbliebenen Ehegatten ist im Recht der Witwen- und Witwerrenten aber so festgelegt, dass bei einer kleinen Witwen- oder Witwerrente typisiert ermittelter Unterhalt in Höhe von 25 Prozent der Versichertenrente des Verstorbenen, bei einer großen Witwenoder Witwerrente in Höhe von 55 Prozent der Versichertenrente des Verstorbenen zu ersetzen ist. Jede Abweichung von dem (vorher) festgelegten Leistungsumfang hat die Verletzung des Merkmals der Bedarfsdeckung und damit ein Überschreiten der kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zur Folge. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, der Gesetzgeber sei frei bei der Bestimmung des versicherten Risikos,89 weshalb es ihm auch zustehe, den Versicherungsfall in Abhängigkeit vom Vorliegen der Bedürftigkeit des hinterbliebenen Ehegatten auszugestalten90. Zunächst wäre damit, weil das Bestehen eines Anspruches in Abhängigkeit von Bedürftigkeit gerade Wesensmerkmal der Sozialhilfe, nicht aber der (Sozial-) Versicherung ist,91 die Grenze zum Sozialhilferecht geschleift.92 Überdies führte die Möglichkeit, den Versicherungsfall bedürftigkeitsabhängig definieren zu können, aber auch zu einer vollständigen Änderung der Struktur des Rechts der Witwen- und Witwerrenten. Während bisher im Mittelpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Tod des Versicherten stand,93 der natürlich nur einmal eintreten kann, käme dem Tod des Versicherten im Falle der bedürftigkeitsabhängigen Definition des Versicherungsfalls eine nur noch völlig untergeordnete Rolle zu: Er wäre lediglich eine von mehreren Voraussetzungen für den Eintritt des „Versicherungsfalls Bedürftigkeit“, der nicht nur einmal eintreten kann, sondern immer dann (wieder) eintritt, wenn Bedürftigkeit herrscht. Auch aufgrund dieser strukturellen Änderung erschienen die Witwen- und Witwerrenten eher als eine sozialhilfeähnliche Leistung denn als Rente wegen Todes. Der Standpunkt, mit der Einführung der Anrechnungsregelungen habe der Gesetzgeber den Versicherungsfall umdefinieren wollen, verkennt aber nicht nur die Grenzen zum Sozialhilferecht und führt zu der erwähnten strukturellen Änderung des Rechts der Witwen- und Witwerrenten; er findet darüber hinaus auch im Gesetz keinerlei Rückhalt. Zunächst spricht die Systematik des SGB VI gegen die Annahme, 89 Ebenso, aber mit anderer Begründung Ruland, JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1985, 278, 282; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 163. 90 So aber Ruland, Der Kompaß 1983, 206, 215. Ähnlich auch Krause, DRV 1985, 254, 259; ders., DÖV 1984, 740, 746 f. 91 Bieback, VSSR 2003, 1, 16. 92 Zutreffend bezeichnet daher Papier, DRV 1985, 272, 275 das Argument, dem Gesetzgeber stehe es offen, das versicherte Risiko in Abhängigkeit zur Bedürftigkeit definieren zu können, als rein formales. 93 Barkmin/Konieczka, DAngVers 1990, 77, 78; Ruland, SRH, § 17, Rn. 74.

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der Gesetzgeber habe die Bedürftigkeit des Hinterbliebenen zum Versicherungsfall erheben wollen: Die Witwen- und Witwerrenten werden im Titel „Renten wegen Todes“, nicht etwa unter einem eigenen Titel „Renten wegen Bedürftigkeit“ geregelt. Darüber hinaus ist Folgendes zu bedenken: Die Voraussetzungen für das Entstehen eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente sind in § 46 SGB VI und damit – anders ist es konstruktiv auch gar nicht möglich – auf der Tatbestandsseite niedergelegt. § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV gehört dagegen nicht auf die Tatbestandsseite, sondern gestaltet die Rechtsfolgen aus, die sich daraus ergeben, dass ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente besteht:94 Die Anrechnung hindert nicht ganz oder teilweise das Entstehen eines Anspruches, sie bringt ihn lediglich zum Ruhen. Es macht aber keinen Sinn, den Anspruch auf eine Versicherungsleistung dem Grunde nach zuzuerkennen, obwohl der Versicherungsfall überhaupt nicht eingetreten ist. Wollte der Gesetzgeber tatsächlich den Versicherungsfall in Abhängigkeit von der Erzielung eigenen Einkommens durch den Hinterbliebenen ausgestalten, müsste er anders vorgehen: Denkbar ist ein Umdefinieren des Versicherungsfalls dahingehend, dass der Eintritt des versicherten Risikos vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze95 bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen nur vermutet wird, die Vermutung aber als widerlegt gilt, soweit Erwerbseinkommen96 erzielt wird.97 Die Widerlegung der Vermutung müsste sich dann aber bereits auf tatbestandlicher Seite niederschlagen98 und das Entstehen eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente ganz oder teilweise ausschließen. Zudem müsste die Vermutung der Risikoverwirklichung mit Erreichen der Altersgrenze ohne Rücksicht auf die individuellen Einkommensverhältnisse unwiderlegbar werden, damit es nicht zu Ungleichbehandlungen der Witwen- und Witwerrentenberechtigten im Verhältnis zu den Beziehern anderer Renten kommt. Um den Vorwurf zu entkräften, die Regelungen zur Einkommensanrechnung beseitigten den Versicherungscharakter des Rechts der Witwen- und Witwerrenten, nehmen einige Befürworter der Anrechnungsregelungen die Position ein, eine Nachrangigkeit des Rechts der Witwen- und Witwerrenten, die eine Bedürftigkeitsprüfung bedinge, sei nicht gegeben, weil Einkommen des Hinterbliebenen erst oberhalb

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Ähnlich Kolb, DRV 1985, 40, 46. Um Wertungswidersprüche (und damit zumindest auch Verstöße gegen den Gleichheitssatz) zu den übrigen Renten, insbesondere aber auch zur Grundsicherung nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII zu verhindern, müsste dies das allgemeine Renteneintrittsalter sein. Ebenso Papier, DRV 1985, 272, 276; Ruland, DRV 1985, 278, 283; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 164. 96 Nur Erwerbseinkommen könnte berücksichtigt werden, weil die Erzielung anderen Einkommens, insbesondere aus Vermögen, die Vermutung der herabgesetzten Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht berührt. 97 Ähnlich Kolb, DRV 1985, 40, 46; Ruland, DRV 1985, 278, 283. 98 Kolb, DRV 1985, 40, 46. 95

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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des Freibetrages nach § 97 Abs. 2 SGB VI angerechnet werde99. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Freibetragsregelung aus zweierlei Gründen nicht geeignet ist, zu verhindern, dass durch die Einkommensanrechnung die Bedarfsdeckung im Recht der Witwen- und Witwerrenten durch eine Bedürftigkeitsprüfung ersetzt wird: Zum einen besteht die Nachrangigkeit der Witwen- und Witwerrenten ab dem ersten Euro erzielten Einkommens. Der Freibetrag führt lediglich dazu, dass der Nachrang erst im Falle seiner Überschreitung offenbar wird. Die Anrechnungsregelungen sehen nämlich nicht vor, dass nicht angerechnet wird, es sei denn, das erzielte Einkommen übersteigt den Freibetrag. Sie bestimmen vielmehr, dass eine Anrechnung stattfindet, sofern nicht das erzielte Einkommen maximal der Höhe des Freibetrages entspricht. Die Anrechnung stellt den Grundsatz, die Anrechnungsfreiheit die Ausnahme dar.100 Dies kommt in dem Begriff „Freibetrag“ ebenso zum Ausdruck wie in § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, wo festgelegt ist: „Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwenrente oder Witwerrente zusammentrifft, wird hierauf angerechnet.“ Inwieweit das insgesamt anzurechnende Einkommen anrechenbar ist, wird erst in § 97 Abs. 2 SGB VI geregelt. Dass die Freibetragsregelung dazu führen soll, dass nicht einer Bedürftigkeit begegnet, sondern ein Bedarf gedeckt wird, passt zudem schlecht zu der Tatsache, dass auch dem Sozialhilferecht, dessen wesensprägendes Merkmal gerade die umfassende Nachrangigkeit ist (§ 2 Abs. 1 SGB XII), Freibetragsregelungen nicht fremd sind101. Zum anderen hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Freibetragsregelung keineswegs das Ziel verfolgt, den Versicherungscharakter des Rechts der Witwen- und Witwerrenten aufrecht zu erhalten – wozu die Regelung, wie gezeigt, ohnehin nicht geeignet ist. Vielmehr soll der Freibetrag nach dem Willen des Gesetzgebers dem Sozialstaatsprinzip Ausdruck verleihen;102 für den Erhalt des Versicherungscharakters wird er demnach vom Gesetzgeber keineswegs für notwendig gehalten.103 Mehrfach104 wurde auch der Versuch unternommen, die Versicherungsqualität des Rechts der Witwen- und Witwerrenten als gewahrt darzustellen, indem auf andere Anrechnungsregelungen im Sozialversicherungsrecht und damit auf die vermeintliche Systemkonformität des § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV hingewiesen wurde. Ein solches Vorgehen ist in methodischer Hinsicht jedoch unstatthaft. Ob das Recht der Witwen- und Witwerrenten Versicherungscharakter aufweist oder 99

Wannagat, DAngVers 1985, 101, 103. Ebenso Heine, ZSR 1986, 82, 98. 101 Vgl. etwa § 30 SGB II, §§ 85 ff. SGB XII. 102 BT-Drs. 10/2677, S. 24; BR-Drs. 500/84, S. 24. 103 Heine, ZSR 1986, 82, 98; ders., FamRZ 1986, 113, 120; dass der Freibetrag aus gesetzgeberischer Sicht keine konstitutive Funktion erfüllt, zeigt sich auch in dem zunächst eingeführten, dann aber wieder gestrichenen § 267a SGB VI, der den Freibetrag entdynamisert und so sukzessive bedeutungslos gemacht hätte (BGBl. 2001/I, S. 411, S. 1598). 104 BT-Drs. 10/2677, S. 24; BR-Drs. 500/84, S. 24; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 289 f.; Hauck/ Bokeloh, DRV 1984, 650, 657 f.; Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Wannagat, DAngVers 1984, 101, 104. 100

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

nicht, ist allein auf seiner Grundlage zu beantworten; Durchbrechungen des Versicherungsmerkmals durch die Einkommensanrechnung lassen sich nicht unter Hinweis auf andere Anrechnungsregelungen rechtfertigen. Hinzu kommt, dass zumindest in Einzelfällen die Vereinbarkeit der zur Rechtfertigung des § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IVangeführten Anrechnungsregelungen mit dem Versicherungsprinzip selbst fraglich erscheint105 und außerdem schlicht keine Regelung existiert, die mit der in § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV normierten Einkommensanrechnung im Detail vergleichbar ist106. Hinsichtlich des Versicherungscharakters des Rechts der Witwen- und Witwerrenten bleibt daher festzuhalten: Die Aussage „Durch die Berücksichtigung von Einkommen verlieren die Hinterbliebenenrenten nicht ihren Charakter als Versicherungsleistungen. Sie haben zur Voraussetzung, daß der verstorbene Ehegatte Beiträge entrichtet hat; in ihrer Höhe richten sie sich nach der Rente des verstorbenen Ehegatten.“107 erweist sich insgesamt nur als die halbe Wahrheit. Betrachtet man die Finanzierungsseite, so kann der Versicherungscharakter des Rechts der Witwen- und Witwerrenten aufgrund der Beitragsleistung des Versicherten in der Tat nicht in Zweifel gezogen werden.108 Zwar bleibt die Beitragsleistung des Versicherten in Gestalt der Beitragszeiten als Teil der persönlichen Entgeltpunkte auch Bestandteil der Berechnung der Höhe des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente (§ 66 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB VI); seit der Einführung der Einkommensanrechnung bestimmt jedoch im Anrechnungsfall die Beitragsleistung des Versicherten die Höhe der Witwen- und Witwerrenten nicht mehr, und zwar nicht nur „nicht mehr ausschließlich“109, sondern im Nullfall gar nicht mehr. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten sieht damit eine Finanzierung im Versicherungsmodus auf der einen und eine sozialhilfenahe Leistungsgewährung auf der anderen Seite vor.110 An der Deckung des Bedarfs, der durch den Eintritt des versicherten Risikos entsteht, fehlt es. Mithin weist das Recht der Witwen- und Witwerrenten aber auch keinen Versicherungscharakter mehr auf. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kommt folglich als kompetenzgebende Norm nicht in Betracht.

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Ruland, DRV 1985, 278, 281. Dies galt bereits bei Einführung der Anrechnungsregelungen durch das HEZG (vgl. v. Maydell, DRV 1985, 35, 37; ders., DRV 1984, 662, 669; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 185), hat sich aber noch verschärft mit der Ausweitung der Anrechnung durch das AVmEG (BGBl. 2001/I, S. 403 ff.). 107 BT-Drs. 10/2677, S. 24; BR-Drs. 500/84, S. 24; vergleichbare Aussagen finden sich bei Bokeloh, ZSR 1985, 276, 291; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 654; Krause, DRV 1985, 254, 260; Wannagat, DAngVers 1985, 101, 103. 108 Vgl. dazu auch oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b). 109 Bokeloh, ZSR 1985, 276, 291. 110 Ruland, NJW 1986, 20, 26; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1985, 278, 286 f. 106

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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IV. Der soziale Ausgleich 1. Zum sozialen Ausgleich im Allgemeinen Das vierte und letzte Merkmal, dessen es bedarf, damit ein Regelungskomplex sich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen lässt, ist der soziale Ausgleich. Vereinzelt wird in Frage gestellt, dass es sich bei dem Prinzip des sozialen Ausgleichs um ein konstitutives Merkmal der Sozialversicherung i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG handele:111 Sozialer Ausgleich sei nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung; vielmehr entspringe die Forderung nach sozialem Ausgleich dem Gebot materieller Legitimität. Denn ein Regelungskomplex, der sich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stütze und keinen sozialen Ausgleich schaffe, verletze die Grundrechte der Privatversicherer, weil er ihnen ungerechtfertigt Geschäftsfelder vorenthalte.112 Dieser Sichtweise ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG eine unvollständige Kompetenz werden lässt oder – bildlich gesprochen – in die Klammer zieht, was vor die Klammer gehört: Der Gesetzgeber könnte auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nach dieser Auffassung niemals einen insgesamt verfassungskonformen Regelungskomplex schaffen, ohne dass dieser, um materiell verfassungskonform zu sein, ein weiteres, stets gleiches Merkmal aufweisen muss – das des sozialen Ausgleichs. Erfordert die Inanspruchnahme einer bestimmten Kompetenz aber die Erfüllung einer weiteren, bezüglich dieser Kompetenz stets gleichen Voraussetzung, so kann die Kompetenz ohne Verwirklichung dieser Voraussetzung niemals zur Erzielung eines verfassungskonformen Ergebnisses genutzt werden. Eine derart unvollkommene Kompetenz wäre jedoch sinnlos. Die fragliche Voraussetzung muss daher Bestandteil der Kompetenz selbst sein. Dass ein Mangel an sozialem Ausgleich bei auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gestützten Regelungen – auch – in materieller Hinsicht zur Verfassungswidrigkeit führen kann, soll damit freilich nicht in Abrede gestellt werden.113 Demnach ist der soziale Ausgleich zwar konstitutives Merkmal der Sozialversicherung i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Was den genauen Inhalt des Prinzips des sozialen Ausgleichs ausmacht, wurde indes – wie erwähnt – bis heute nicht abschließend geklärt.114 Einigkeit besteht insoweit, als das Prinzip des sozialen Ausgleichs115 111 112

Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 126. Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 126; ähnlich Bieback, VSSR 2003, 1,

18. 113 Die insoweit ambivalente Bedeutung des sozialen Ausgleichs erkennt auch Bieback, VSSR 2009, 155, 156 f. an. 114 Butzer, Fremdlasten, S. 223; F. Kirchhof, SDSRV 35, S. 65, 66; Hase, JZ 2000, 591, 595; Leibholz/Rinck, Art. 74, Rn. 489; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 265; vgl. dazu bereits oben 2. Teil, § 3, D.I.1. 115 Als Synonyme werden regelmäßig die Begriffe „Solidarausgleich“, „Solidarprinzip“ und „Solidaritätsprinzip“ verwendet, vgl. etwa Baumann, FG v. Lübtow, S. 667, 684 f.; Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 91 ff.; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 17 ff.; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 91 ff.; F. Kirchhof,

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

die Sozialversicherung maßgeblich von der Privatversicherung unterscheidet.116 Ein bestimmtes Maß an Ausgleich ist jedoch jeder Versicherung immanent:117 Da es nicht bei allen Versicherten zum Eintritt des versicherten Risikos kommt, der im Falle der Risikoverwirklichung entstehende Bedarf aber durch die Beiträge aller Versicherten gedeckt wird, ermöglichen letztlich die Versicherten, bei denen der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, die Deckung des Bedarfs der übrigen. Sozialer Ausgleich muss jedoch mehr als dieses versicherungstechnisch notwendige Minimum an Ausgleich bezeichnen, wenn nicht der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG neben dem des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG überflüssig sein soll.118 Einigkeit besteht insofern, als das Merkmal des sozialen Ausgleichs den Umstand beschreibt, dass in der Sozialversicherung eben nicht nur ein versicherungstechnischer Ausgleich von Risiken stattfindet, sondern es auch zu einem Ausgleich sozialer Lasten kommt.119 Damit ist zugleich das Spannungsfeld120 gekennzeichnet, in dem sich das Recht der Sozialversicherung kompetenzrechtlich bewegt: Wurde das Sozialversicherungsrecht zuvor noch über das Merkmal der Versicherung von der Fürsorge abgegrenzt, so rückt es durch das Merkmal des sozialen Ausgleichs wieder ein Stück weit an das Recht der Fürsorge heran.121 Maßgeblich Einzug erhält der soziale Ausgleich in das Recht der Sozialversicherung über deren Zwangscharakter,122 durch den eine übermäßige Häufung „schlechter“ Risiken verhindert wird,123 sowie über die Beitragsbemessung nach Einkommen anstelle einer Bemessung der Beiträge in Abhängigkeit von der individuellen Risikoeintrittswahrscheinlichkeit124.

SDSRV 35, S. 65, 66; Krause, Eigentum, S. 117; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 187 f., 208 ff., 264 f.; kritisch zum Begriff des Solidarausgleichs Butzer, Fremdlasten, S. 221 f. 116 BK-Axer, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Rn. 34; Butzer, Fremdlasten, S. 219, 223; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 251; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 29. 117 Butzer, Das Soziale in der Alterssicherung, S. 137, 137 f.; ders., Fremdlasten, S. 228; Heidel/Loose, DAngVers 2004, 221, 222; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 251; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 90 f., 17 f.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 209; Ruland, DRV 1985, 13, 22. 118 Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 91; Lenze/Zuleeg, NZS 2006, 456, 458. 119 BK-Axer, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Rn. 34; Butzer, Fremdlasten, S. 223; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 28. 120 Papier, FS Leisner, S. 721, 737 spricht anschaulich von Versicherungsprinzip und Prinzip des sozialen Ausgleichs als „zwei Waagschalen“, Wannagat, DAngVers 1985, 101, 102 von einem „Pendel“. 121 Butzer, Fremdlasten, S. 219. 122 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 111; Schulin, ZVersWiss 1994, 29, 32; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, S. 29 123 Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 93; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 93; Ruland, DRV 1985, 13, 23. 124 BK-Axer, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Rn. 34; Butzer, Fremdlasten, S. 207, 223; Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 92; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 92 f.; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 209 f., 267; Schnapp, VSSR 1995, 101, 108.

§ 1 Einkommensanrechnung und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG

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Hinsichtlich des Spannungsverhältnisses der Merkmale „Versicherung“ und „sozialer Ausgleich“ gilt es zu beachten, dass letzteres die Sozialversicherung – gerade im Verhältnis zur Privatversicherung – zwar prägt,125 dabei aber stets hinter dem Versicherungsmerkmal zurückzustehen hat.126 Das Merkmal der Versicherung gibt den Rahmen vor, in dem ein sozialer Ausgleich stattfinden darf und muss,127 wenn die betroffene gesetzliche Maßnahme auf die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützbar sein soll.128 Die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung vertretene Auffassung, „der Rahmen des Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG“ sei „auch dann nicht überschritten, wenn und soweit es […] zu einer vereinzelten Überdehnung des Solidarprinzips auf Kosten des Versicherungsprinzips kommen sollte“,129 vermag insoweit nicht zu überzeugen.130 Ein Regelungskomplex, in dem der soziale Ausgleich ein so großes Gewicht hat, dass er den Versicherungscharakter völlig verdrängt, kann schon begrifflich nicht mehr von der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst sein. „Sozialversicherung“ gestattet und fordert eine Modifizierung131 des Versicherungsmerkmals – das erkennt auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Risikostrukturausgleich an132. Die Modifikation eines Prinzips bedingt aber, dass dieses im Grundsatz fortbesteht; die Grenze des Modifizierens ist spätestens überschritten, wenn das betroffene Prinzip durch ein anderes verdrängt wird.133

125 BK-Axer, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Rn. 35; Isensee, Die Rolle des Beitrags, S. 461, 485; ders., Umverteilung, S. 48. 126 Isensee, Die Rolle des Beitrags, S. 461, 485. 127 Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 114; Heinze, DRV 1985, 246, 247; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 99. 128 Das Einräumen eines Vorrangs ist demnach nicht zu verstehen als Forderung nach einer prozentualen Gewichtung von 51 zu 49 zugunsten des Versicherungsmerkmals. Zu weitgehend daher wohl auch die These von Sodan/Gast, Umverteilung durch Risikostrukturausgleich, S. 108 ff., derzufolge es einer etwa hälftigen Gewichtung beider Merkmale bedarf. Zum Fehlen einer trennscharfen Abgrenzung zwischen beiden Prinzipien in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vgl. Papier, ZSR 1990, 344, 344. 129 BVerfGE 113, 167, 196; sich wohl anschließend Leibholz/Rinck, Art. 74, Rn. 489. Deutlich weitergehend, nämlich auf das Merkmal der Versicherung völlig verzichtend, Mangoldt/Klein/Starck-Oeter, Art. 74, Rn. 117 (unter fragwürdigem Verweis auf Neumann, NZS 1998, 401, 405, der Versicherungsfremdheit zum Strukturprinzip der Sozialversicherung erklärt, womit er aber explizit nicht „Sozialversicherungsfremdheit“ meint). 130 So auch Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 30; ders., FS Leisner, S. 721, 736 f.; ders./ Möller, NZS 1998, 353, 354 f. 131 Leisner, BB 1996, Beilage 6, S. 4; Sodan/Gast, Umverteilung durch Risikostrukturausgleich, S. 113. 132 BVerfGE 113, 167, 196. 133 Ähnlich Butzer, Das Soziale in der Alterssicherung, S. 137, 151; ders., Fremdlasten, S. 219 ff.; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 189 sowie Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 214, der vom Versicherungsprinzip als der „Leitplanke an der – breiten – Fahrspur des Gesetzgebers“ spricht.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

2. Ausreichende Berücksichtigung des sozialen Ausgleichs im Recht der Witwen- und Witwerrenten Die Feststellung, dass das Wesensmerkmal des sozialen Ausgleichs hinreichend Niederschlag im Recht der Witwen- und Witwerrenten gefunden hat, begegnet keinen größeren Schwierigkeiten: Zwar konnte ermittelt werden, dass die Anrechnungsvorschriften in keinem Zusammenhang mit dem sozialen Ausgleich stehen;134 dennoch erfolgt die Absicherung gegen das Risiko, einen bis dahin unterhaltsberechtigten Ehegatten unversorgt zu hinterlassen, für den weitaus größten Teil der Betroffenen zwangsweise (§§ 1 – 3 SGB VI). Die Beitragsbemessung richtet sich dabei nicht nach dem individuellen Risiko eines jeden Versicherten, sondern nach seinem Einkommen (§§ 157, 161 SGB VI). Über diese beiden Merkmale, Zwangscharakter der Versicherung und Beitragsbemessung nach Einkommen anstatt nach individuellem Risiko, erhält der soziale Ausgleich – wie erwähnt135 – typischerweise Einzug in die Sozialversicherung und macht sie damit erst zur Sozialversicherung: Durch die Ausgestaltung als Zwangssystem wird eine übermäßige Kumulation „schlechter“ Risiken verhindert.136 Auch Personen, bei denen das Risiko, einen Ehegatten zu hinterlassen, gering ist – sei es, weil sie nicht verheiratet sind und auch nicht heiraten wollen, sei es, weil ihr Ehegatte deutlich älter ist als sie selbst – und die sich ohne Zwang gegen dieses Risiko gar nicht oder allenfalls privat absicherten, sind verpflichtet, Beiträge zu den Witwen- und Witwerrenten zu leisten. Hinzu kommt, dass durch den Verzicht auf risikoäquivalente Beiträge verhindert wird, dass Personen, bei denen das Risiko, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, hoch ist – etwa weil sie deutlich älter sind als ihr Ehegatte –, Beiträge in kaum aufzubringender Höhe leisten müssten. Ihre volle Wirkung entfalten beide Merkmale allerdings erst im Zusammenspiel. Eine Versicherung, die zwar Zwangscharakter hat, in deren Rahmen die Beiträge aber nach dem individuellen Risiko bemessen werden, ist für die Versicherten mit einer hohen Risikoeintrittswahrscheinlichkeit kein Gewinn gegenüber einer freiwilligen Versicherung, weil sie trotz der großen Zahl an Versicherten mit geringerer Risikoeintrittswahrscheinlichkeit ihr individuelles Risiko über die Höhe des Beitrages weiterhin allein schultern müssen. Ebenso führte eine freiwillige Versicherung, die einkommensabhängige anstatt risikoabhängiger Beiträge fordert, zu keinem sozialen Ausgleich, weil die Personen mit geringer Risikoeintrittswahrscheinlichkeit ihr schlicht fern blieben. Um die Globaläquivalenz zu wahren, müssten dann höhere Beiträge erhoben werden. Insgesamt sind damit im Recht der Witwen- und Witwerrenten drei der vier zwingenden Wesensmerkmale für eine Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfüllt: Die organisatorische Durchführung durch selbstständige 134

Vgl. dazu oben 3. Teil, § 1, B.IV.1. Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.IV.1. 136 Gohla, Der Risikostrukturausgleich, S. 93; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 93; Rüfner, HBStR IV (3. Auflage), § 96, Rn. 98; Ruland, DRV 1985, 13, 23. 135

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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Träger, die Finanzierung durch Beiträge der Beteiligten und der soziale Ausgleich. Mit der Einführung der Einkommensanrechnung hat das Recht der Witwen- und Witwerrenten jedoch seinen Versicherungscharakter eingebüßt. In seiner derzeitigen Ausgestaltung lässt es sich daher nicht auf die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen.

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz A. Einkommensanrechnung und Art. 14 GG Im 2. Teil wurde festgestellt, dass witwen- und witwerrentenrechtliche Ansprüche dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterliegen. Erzielt der Hinterbliebene ein Einkommen, das über dem Freibetrag in Höhe des 26,4fachen des aktuellen Rentenwerts liegt, führt § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV dazu, dass der Rentenzahlbetrag geringer ausfällt als ohne die Erzielung eines eigenen Einkommens. Das eigentumsgeschützte Recht auf Witwen- oder Witwerrente wird insoweit durch die Einkommensanrechnung verkürzt. Fraglich ist nun, ob die Anrechnungsvorschriften sich als verfassungskonforme Eigentumsbeschränkung darstellen oder ob sie in verfassungswidriger Weise in das Eigentumsrecht eingreifen. I. Die Einkommensanrechnung als Eigentumseingriff 1. Feststellung des Eingriffs Einen Eingriff in das Eigentum stellen die Regelungen zur Einkommensanrechnung sowohl hinsichtlich des Vollrechtes als auch hinsichtlich der Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente dar. Bezüglich des Vollrechtes kommen insoweit keine Zweifel auf: Wie dargestellt, erhält der Hinterbliebene den ihm eigentlich zustehenden Rentenzahlbetrag nur dann, wenn er kein anrechenbares Einkommen erwirtschaftet. Ebenfalls betroffen ist aber – wenn auch weniger offensichtlich als das Vollrecht – die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente. Eine Anrechnung kann bei ihr zwar noch nicht vorgenommen werden. § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV führt bei der Anwartschaft aber zu einer Inhaltsänderung, die der Schmälerung des Vollrechtes entspricht: Während die Anwartschaft sich vor Einführung des HEZG auf den Erwerb eines Anspruches in Höhe von 60 Prozent der Versichertenrente richtete, verspricht sie dem Versicherten nun lediglich, dass sein hinterbliebener Ehegatte einen Anspruch in Höhe von 55 Prozent137 der Versichertenrente innehaben wird, soweit er nach dem Tod des Versicherten kein anrechenbares Einkommen erzielt. 137 Der Rentenartfaktor wurde durch das AVmEG vom 21. 3. 2001 (BGBl. I, S. 403 ff.) von 0,6 auf 0,55 gesenkt, soweit nicht die Ausnahmevorschrift des § 255 Abs. 1 SGB VI greift.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

2. Qualifizierung des Eingriffs: Der Nullfall als Enteignung? Fraglich ist, welche Art von Eingriff die Einkommensanrechnung darstellt. Handelt es sich – wie meist bei Eingriffen in die Eigentumsfreiheit – um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung? Der Gesetzgeber vermag das Eigentumsrecht nicht allein über Inhalts- und Schrankenbestimmungen, sondern auch im Wege der Enteignung zu verkürzen. Diesbezüglich zeigt ihm Art. 14 Abs. 3 GG allerdings klare Grenzen auf, die enger als jene bei einem Vorgehen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG sind. Eine Enteignung liegt nach überwiegend anerkannter Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann vor, wenn eine konkrete vermögenswerte Rechtsposition durch gezielten hoheitlichen Rechtsakt zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ganz oder teilweise entzogen wird.138 Die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV führt ab einer bestimmten Höhe des vom Hinterbliebenen erzielten Einkommens nicht nur zu einer Verringerung des Rentenzahlbetrages, sondern dazu, dass der Betroffene gar keine Witwen- oder Witwerrente mehr erhält (Nullfall). Dem Grunde nach bleibt der Anspruch zwar bestehen; er büßt für den hinterbliebenen Ehegatten jedoch jeden verwertbaren Inhalt ein und wird insoweit zur leeren Hülle, zum nudum ius. Eine solche praktisch vollständige Entwertung des Renteneigentums lässt sich aber nur schwer als bloße Beschränkung des Inhalts der Eigentumsposition verstehen.139 Auf den ersten Blick scheint es daher naheliegend, zumindest im Falle des vollständigen Ruhens von Ansprüchen auf Witwen- oder Witwerrente das Vorliegen einer Enteignung anzunehmen.140 Bei genauerer Betrachtung stellt sich indes heraus, dass diese Sichtweise mit einer Rückkehr zur Schwere-141 oder Sonderopfertheorie142 einherginge, denen das Bundesverfassungsgericht im Nassauskiesungsbeschluss143 eine Absage erteilt hat. Indem man die Einkommensanrechnung nämlich grundsätzlich als Inhalts- und Schrankenbestimmung betrachtet, sie ab einem bestimmten Punkt – der Überschreitung der Grenze zum vollständigen Ruhen eines Anspruches – aber ausnahmsweise als ausgleichspflichtige Enteignung einstuft, beurteilt man das Vorliegen einer Ent-

138 BVerfGE 52, 1, 28; BVerfGE 58, 300, 332; BVerfGE 104, 1, 9 f.; Epping, Grundrechte, Rn. 423; König, JA 2001, 345, 348 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 922. 139 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 201; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 923; Stober, SGb 1989, 53, 62. Ausnahmsweise ist das Vorliegen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung trotz vollständiger Entziehung zu bejahen bei Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB sowie § 24 Abs. 4 MEPolG entsprechenden Landesvorschriften. Grund ist das Fehlen der Finalität des Eingriffes. 140 So auch Stober, SGb 1989, 53, 62. 141 BVerwGE 5, 143, 145; BVerwGE 11, 68, 75; BVerwGE 19, 94, 98 f.; BVerwGE 41, 58, 66. 142 BGHZ 6, 270, 280; BGHZ 23, 30, 32; BGHZ 60, 145, 147; BGHZ 80, 111, 114. 143 BVerfGE 58, 300 ff.

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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eignung nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, nach formellen, sondern nach materiellen Aspekten. Wie erwähnt, kann eine Enteignung aber auch im teilweisen Entzug einer Eigentumsposition liegen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine (Teil-)Enteignung bereits dann zu bejahen ist, wenn ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente anrechnungsbedingt nur teilweise ruht.144 Sollte dies der Fall sein, käme es auf das Überschreiten der Schwelle zum vollständigen Ruhen des Anspruches nicht mehr an; der Vorwurf, es werde auf rein materielle Kriterien abgestellt und damit zur Schwere- oder Sonderopfertheorie zurückgekehrt, wäre dann aus der Welt. Bedenken gegen die Einstufung eines partiellen Ruhens von Ansprüchen als Teilenteignung bestehen insoweit, als der Gesetzgeber dann nur noch gegen Entschädigung kürzend tätig werden dürfte. Die Folge wäre die schon erwähnte „Zementierung“145 sozialversicherungsrechtlicher Besitzstände – allerdings nicht aus rechtlichen, sondern aus finanziellen Gründen: Ein kürzender Zugriff auf witwen- oder witwerrentenrechtliche Positionen würde für den Gesetzgeber schlicht unbezahlbar. Diese Argumentation ist jedoch vom Ergebnis her entwickelt und führt zu einem wenig überzeugenden Rückzug auf den Standpunkt „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“146 Ob die Anordnung des teilweisen oder vollständigen Ruhens von Ansprüchen auf Witwen- oder Witwerrente als Enteignung zu werten ist, muss allein unter Bezugnahme auf die Merkmale des Enteignungsbegriffes beantwortet werden: Es ist zu prüfen, ob die gesetzliche Anordnung des Ruhens von Ansprüchen „die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben“147 darstellt. Den wohl häufigsten Grund, aus dem das Vorliegen einer Enteignung zu verneinen ist, stellt das Fehlen der Finalität des Eingriffes – das Eingreifen zum Zwecke der Erfüllung öffentlicher Aufgaben – dar. Bei der anrechnungsbedingten Kürzung der Witwen- und Witwerrenten ist die nötige Finalität jedoch gegeben: Die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV wurde eingeführt, um die zur Umsetzung des vom Bundesverfassungsgericht erteilten Reformauftrages148 angestrebte Angleichung der Position der Witwer an die der Witwen kostenneutral zu gestalten und auf diesem Wege die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung aufrechtzuerhalten.149 Die gesetzliche Rentenversi144

Ebenso Sodan, NZS 2005, 561, 563. Maunz/Dürig-Papier, Art. 14, Rn. 125. 146 So argumentiert aber Wallerath, SGb 1992, 513, 514 f. 147 BVerfGE 104, 1, 9. 148 BVerfGE 39, 169, 194 f. 149 Vgl. BT-Drs. 10/2677, S. 22 f.; BR-Drs. 500/84, S. 22 f.; Blüm, BT-PlenProt 10/8547; ders., BT-PlenProt 10/10937; Günther, BT-PlenProt 10/10913; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Maier, ZfS 1985, 353, 355; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; vgl. auch Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und 145

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cherung leistet einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung der sozialen Staatszielbestimmung (Art. 20 Abs. 1 GG). Beabsichtigt der Gesetzgeber, sie durch Kürzung der Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente leistungsfähig zu erhalten, handelt er damit zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Ferner erforderlich ist bei einer vollständigen Enteignung das Entziehen der gesamten eigentumsrechtlichen Position, bei einer Teilenteignung der Wegfall eines rechtlich selbstständigen Teils der Gesamtrechtsposition150. Ein Entzug der gesamten eigentumsrechtlichen Position – eine vollständige Enteignung – findet durch die Einkommensanrechnung unabhängig von der Höhe des anzurechnenden Einkommens nicht statt: Selbst wenn ein anrechenbares Einkommen erzielt wird, das den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente in voller Höhe zum Ruhen bringt, bleibt dieser doch zumindest dem Grunde nach erhalten. Dieses Fortbestehen dem Grunde nach bringt es mit sich, dass die witwen- oder witwerrentenrechtliche Eigentumsposition dem bisherigen Berechtigten weiterhin zugeordnet ist. Denn das Eigentumsrecht an einer witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position stellt – wie jedes andere Eigentumsrecht auch151 – kein unteilbares Ganzes dar, sondern muss als Bündelung einer Vielzahl von Einzelbefugnissen verstanden werden. So ist der Anspruch auf Witwenoder Witwerrente für seinen Inhaber im Augenblick des vollständigen Ruhens zwar ohne erkennbaren Nutzen; der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente erschöpft sich jedoch nicht darin, in eben diesem Augenblick die Zahlung eines bestimmten Rentenbetrages verlangen zu können. Vielmehr gibt er seinem Inhaber auch das Recht, künftig einen bestimmten Rentenbetrag einzufordern, wenn die Voraussetzungen für eine Anrechnung nicht (mehr) gegeben sind. Die gesamte eigentumsrechtlich geschützte Position wird demnach in keinem Fall, auch nicht in den Nullfällen, entzogen. Möglich bleibt, dass die anrechnungsbedingte Kürzung der Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente eine Teilenteignung darstellt. Auch dies trifft jedoch nicht zu. Was den Witwen- und Witwerrentenberechtigten genommen wird, ist ein bestimmter Teil eines Rentenzahlbetrages. Dem Betrag der auszubezahlenden Rente, der quasi die Rechtsfolge des dem Grunde nach unangetasteten Anspruches ausmacht, fehlt es jedoch – anders als einem Anteil des Gesamtanspruches – an einer rechtlichen Selbstständigkeit.152 Weder die zum teilweisen noch die zum vollständigen Ruhen eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente führende Einkommensanrechnung stellt folglich eine (Teil-)Enteignung dar.153 Diese Argumentation mag der Hinterbliebenen, Vorschläge zur sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, 1979, S. 15. 150 König, JA 2001, 345, 347; Kraft, BayVBl. 1994, 97, 102; Maurer, FS Dürig, S. 293, 304. 151 König, JA 2001, 345, 346; Steinberg/Lubberger, Aufopferung, S. 96. 152 So für sozialversicherungsrechtliche Ansprüche insgesamt auch Neumann, NZS 1998, 401, 403. 153 Ebenso ließe sich das Vorliegen einer Enteignung mit einem Teil der Literatur unter Hinweis auf den Umstand verneinen, es liege kein Akt zwangsweiser Güterbeschaffung durch den Staat vor, der aber konstitutives Merkmal einer Enteignung sei (so etwa Appel,

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auf den ersten Blick formalistisch anmuten oder gar dem Vorwurf ausgesetzt sein, an der Lebenswirklichkeit derer vorbeizugehen, die aufgrund der Einkommensanrechnung erhebliche finanzielle Einbußen zu verzeichnen haben; tatsächlich ergibt sie sich aber aus dem – formellen – Enteignungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts. Wer sich der Argumentation dennoch nicht anschließen will, steht vor der Frage, ab welchem Ruhensbetrag eine Teilenteignung zu bejahen ist. Um an dieser Stelle nicht zur überholten Schwere-154 oder Sonderopfertheorie155 zurückzukehren, lässt sich diese Frage – wie schon geschildert – nur dahingehend beantworten, dass eine Teilenteignung ab dem ersten anrechnungsbedingt ruhenden Cent vorliegt. Eine solche Lösung droht aber nicht nur mit der ebenfalls erwähnten finanziellen Lähmung des Gesetzgebers einherzugehen, sondern sie kann auch vom Grundgesetzgeber nicht gewollt sein: Art. 14 GG unterscheidet hinsichtlich der zulässigen Eingriffe gerade zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen einerseits und Enteignungen andererseits. Stufte man nun jede Änderung, die finanzielle Nachteile für die Berechtigten zur Folge hat – und seien die Nachteile noch so geringfügig – als Enteignung ein, bliebe für gesetzgeberische Maßnahmen in Gestalt von Inhalts- und Schrankenbestimmungen kein Raum mehr. Die Systematik des Art. 14 GG wäre dann hinfällig. Natürlich ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass insbesondere das vollständige Ruhen zumindest von der Wirkung her einer Enteignung gleicht156. Dieser Umstand wird keineswegs übergangen, wenn die gesetzliche Anordnung eines teilweisen oder vollständigen Ruhens von Ansprüchen nicht als (Teil-)Enteignung angesehen wird: Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die hinsichtlich der Einkommensanrechnung durchzuführen ist,157 ist er als den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum verkürzend zu berücksichtigen.158 II. Zum Rechtfertigungsmaßstab: Der abgestufte Schutz sozialversicherungsrechtlichen Eigentums 1. Der besonders geschützte Kernbereich sozialversicherungsrechtlicher Positionen Dass eine Rechtsposition vom Schutzbereich des Art. 14 GG erfasst ist, legt die Vermutung nahe, sie sei hinsichtlich ihrer Bestandsfestigkeit gegenüber sonstigen, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 175; M. Deutsch, DVBl. 1995, 546, 549; Osterloh, DVBl. 1991, 906, 912 f.; Rittstieg, NJW 1982, 721, 724). 154 BVerwGE 5, 143, 145; BVerwGE 11, 68, 75; BVerwGE 19, 94, 98 f.; BVerwGE 41, 58, 66. 155 BGHZ 6, 270, 280; BGHZ 23, 30, 32; BGHZ 60, 145, 147; BGHZ 80, 111, 114. 156 Heine, ZSR 1986, 82, 103. 157 Siehe dazu unten 3. Teil, § 2, A.III. 158 BVerfGE 83, 201, 211 f.; BVerfG, NJW 1991, 1807, 1808.

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„nur“ durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen privilegiert.159 Inwieweit sich diese Vermutung als zutreffend erweist, ist jedoch keine Frage, die vom Ausmaß des Schutzbereiches der Eigentumsgarantie abhängt; maßgeblich für die Reichweite des gewährten Schutzes sind die Grenzen, an die der gestaltende und beschränkende Gesetzgeber auf der Ebene des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG stößt.160 Der Raum, der dem Gesetzgeber zugestanden wird, um gestaltend tätig zu werden, darf dabei nicht zu eng sein. Wird der Gesetzgeber nämlich mit unerschütterlich bestandsfesten Eigentumsrechten konfrontiert, geht ihm die notwendige Flexibilität verloren, die zur Verfolgung der sozialen Staatszielbestimmung (Art. 20 Abs. 1 GG) unabdingbar ist: Finanzielle Mittel, mit deren Verfügbarkeit der Gesetzgeber grundsätzlich rechnen darf, wären im Vorwege unabänderlich an das sozialversicherungsrechtliche Eigentum gebunden und damit jeder Disposition entzogen. Flexibilität wäre dann nur noch durch die endgültige Preisgabe der Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) zu erlangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind gesetzgeberische Eingriffe in sozialversicherungsrechtliche Positionen daher zulässig, soweit sie „durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt“161 werden. Dabei wird hinsichtlich des eigentumsrechtlichen Schutzniveaus differenziert: Je größer der personale Bezug der jeweils betroffenen Rechtsposition ist, desto eingeschränkter ist der Spielraum gesetzgeberischer Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Erweiterung erfährt der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum dagegen mit einem steigenden Grad an sozialem Bezug.162 Soweit eine Rechtsposition einen personalen Bezug aufweist, besteht daher ein besonders geschützter Kernbereich. Ein personaler Bezug besteht in erster Linie in dem Umfang, in dem die betroffene Rechtsposition das Äquivalent eigener Leistung ihres Inhabers ist.163 Er ist aber auch zu bejahen, soweit die betroffene Rechtsposition der Existenzsicherung dient und ihrem Inhaber somit einen Kern persönlicher Freiheit in materieller Hinsicht gewährleistet.164 Dass dagegen ein erhöhtes Maß an sozialem Bezug einer Rechtsposition zu einer stärkeren Einschränkbarkeit führt, stellt keine Besonderheit sozialversicherungsrechtlicher Positionen dar, sondern gilt ebenso für privatrechtliches Eigentum.165 Das Ausmaß des sozialen Bezuges eines Eigentumsrechts bemisst sich danach, inwieweit das Eigentum nicht nur die Belange des Rechtsinhabers, sondern 159 160 161 162

Mey, DAngVers 2004, 546, 546. v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 191. BVerfGE 75, 78, 97. BVerfGE 50, 290, 340; BVerfGE 53, 257, 293; BVerfGE 58, 81, 111; BVerfGE 64, 87,

101. 163

BVerfGE 53, 257, 293. BVerfGE 42, 263, 294 f.; BVerfGE 50, 290, 340. 165 v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 189; Thormann, Abstufungen in der Sozialbindung des Eigentums, S. 155. 164

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auch die Belange Dritter betrifft.166 Gerade für Rechtspositionen aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt sich daraus ein starker Sozialbezug, weil die Erhebung von Beiträgen zum Zwecke der Erfüllung von Ansprüchen der vorhergehenden Versichertengeneration erfolgt oder – vice versa – ein rentenrechtlicher Anspruch sich aus den Beiträgen der nachfolgenden Versichertengeneration speist.167 Entsprechend weit sind die dem Gesetzgeber in diesem Bereich durch das Bundesverfassungsgericht zugebilligten Gestaltungsspielräume:168 Sie unterscheiden sich regelmäßig kaum noch von jenen, die dem Gesetzgeber außerhalb des Schutzbereiches des Art. 14 GG an die Hand gegeben sind.169 2. Der besonders geschützte Kernbereich der Witwen- und Witwerrenten Um das Ausmaß des gesetzgeberischen Spielraums im Bereich der Witwen- und Witwerrenten bestimmen zu können, ist daher zu ermitteln, wie weit dort der personale Bezug reicht und wo der Bereich sozialer Prägung beginnt. Zunächst sei festgestellt, dass die gesetzgeberischen Eingriffsmöglichkeiten im Recht der Witwen- und Witwerrenten nicht weiter reichen als im Bereich der Versichertenrenten. Denn die Witwen- und Witwerrenten beruhen – wie schon dargelegt170 – nicht in höherem Maße auf Elementen des sozialen Ausgleichs als die Versichertenrenten.171 Ein Mehr an sozialem Bezug der witwen- oder witwerrentenrechtlichen Positionen ergibt sich im Besonderen nicht aus dem in der Entscheidung vom 12. März 1975172 erteilten Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, das Recht der Witwen- und Witwerrenten so zu reformieren, dass die Ungleichbehandlung der Witwer abgestellt wird.173 Abgeleitet wurde ein solches Mehr an sozialem Bezug insoweit teils174 aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber nicht darauf festgelegt hat, die für die Witwen geltenden vorteilhaften Regelungen auf die Witwer zu erstrecken. Es habe damit auch eine Neuregelung nicht ausgeschlossen, die die Position der Witwen, wie sie sich vor Einführung des HEZG darstellte, maß166

BVerfGE 50, 290, 340 f. v. Ditfurth, Einbeziehung, S. 189; Rohwer-Kahlmann, SGb 1980, 325, 327; Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 161. 168 BVerfGE 53, 257, 292 f.; BVerfGE 80, 297, 312. 169 Papier, DRV 2001, 350, 352. 170 Vgl. bereits oben 2. Teil, § 3, D.I.1.a). 171 Heine, ZSR 1986, 82, 95; ders., FamRZ 1986, 113, 120; Kolb, DRV 1985, 40, 43; ders., DRV 1984, 635, 638 f.; Papier, SRH, § 3, Rn. 107; ders., FS Leisner, S. 721, 729; ders., DRV 2001, 350, 352; ders., DRV 1985, 272, 273; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 187; Ruland, NJW 1986, 20, 26. 172 BVerfGE 39, 169 ff. 173 Ruland, DRV 1985, 278, 285; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 167. 174 Krause, DRV 1985, 254, 258. Andeutungen in der gleichen Richtung finden sich auch bei Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 660. 167

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

voll einschränkt. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich das Ausmaß des sozialen Bezuges einer Rechtsposition allein aus deren gesetzlicher Ausgestaltung ergeben kann. Diese ist aber ausschließlich Sache des Gesetzgebers. Anzunehmen, das Bundesverfassungsgericht habe die Möglichkeit, das Ausmaß des sozialen Bezuges einer Rechtsposition festzulegen, genauer: es habe die Möglichkeit, gestaltend auf eine Rechtsposition einzuwirken, ist schlichtweg unvereinbar mit dem in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Witwen- und Witwerrenten sind folglich nicht bestandsfester, aber auch und gerade nicht leichter einschränkbar als die Versichertenrenten. Wie erwähnt, besteht ein personaler Bezug und folglich ein besonders geschützter Kernbereich insbesondere, soweit die betroffene Rechtsposition sich als Äquivalent eigener Leistung ihres Inhabers darstellt.175 Der Klärung bedarf insoweit, von welcher Qualität der Zusammenhang zwischen Eigenleistung und erworbener Rechtsposition sein muss, damit sich letztere als Äquivalent eigener Leistung einstufen lässt. Als nicht ausreichend erweist sich ein bloß mittelbares Beruhen der Rechtsposition auf einer Eigenleistung: Mit dem Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente ist eine einem Versicherungssystem zugehörige Rechtsposition betroffen. Im Rahmen eines Versicherungssystems hat aber jede Leistungserbringung des Versicherers ihren Grund in einer vorangegangenen Beitragsleistung.176 Es besteht daher immer ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der gesamten Rechtsposition des Versicherten und dessen Eigenleistung. Wäre schon dieser mittelbare Zusammenhang auf dem Niveau des versicherungstechnischen Synallgmas177 von Beitrag und Leistung für die Begründung eines personalen Bezugs ausreichend, eröffnete die Kernbereichstheorie dem Gesetzgeber nicht einen weiten Gestaltungsspielraum, sondern sie führte vielmehr dazu, dass jede Rechtsposition insgesamt dem besonders geschützten Kernbereich zugehörig wäre. Ein solches Ergebnis ist nicht nur schon begrifflich ausgeschlossen – der besonders geschützte Kern einer Rechtsposition kann nicht die Rechtsposition selbst sein –, sondern die Kernbereichstheorie leistete so, anstatt dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum zu erhalten, im Gegenteil einen erheblichen Beitrag zu der befürchteten Lähmung des Gesetzgebers durch eine „Zementierung“178 sozialrechtlicher Besitzstände. Der Zusammenhang zwischen Rechtsposition und Eigenleistung muss demnach, um einen besonders geschützten Kernbereich zu begründen, erhöhten Anforderungen genügen. Solche bestünden in der Forderung nach einem unmittelbaren Beruhen der

175

BVerfGE 50, 290, 340; BVerfGE 53, 257, 293; BVerfGE 58, 81, 111; BVerfGE 64, 87,

101. 176

Vgl. dazu auch unten 3. Teil, § 1, B.II. Kritisch zum Begriff des Synallagmas im Bereich des Sozialversicherungsrechts Hase, Versicherungsprinzip, S. 174 f. Verwendung findet der Begriff dagegen etwa bei Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 121. 178 Maunz/Dürig-Papier, Art. 14, Rn. 125. 177

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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Rechtsposition auf einer Eigenleistung des Versicherten. Wie bereits festgestellt,179 kann aber aufgrund der Finanzierung im Wege des Umlageverfahrens bei keiner Rente der gesetzlichen Rentenversicherung ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Beitragsleistung und rentenrechtlichem Anspruch hergestellt werden. Die Beitragsleistungen dienen der Erfüllung der gegenwärtig bestehenden Rentenansprüche (§ 153 Abs. 1 SGB VI) und schlagen sich bei der Rentenberechnung lediglich mittelbar über die Umformung zu Beitragszeiten in Gestalt eines Teils der persönlichen Entgeltpunkte als Berechnungsfaktor nieder. Dieser Ableitungszusammenhang wird hinsichtlich der Witwen- und Witwerrenten noch um einen Schritt erweitert: Für die Berechnung der Anspruchshöhe wird nicht unmittelbar auf die persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten, sondern auf die – in der Höhe den Entgeltpunkten des Versicherten freilich entsprechenden – Entgeltpunkte des Hinterbliebenen abgestellt (§ 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Das Aufstellen der Forderung nach einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Beitragsleistung und betroffener Rechtsposition zur Begründung eines personalen Bezugs hätte demnach für Rentenansprüche zur Folge, dass ein personaler Bezug – und damit auch ein besonders geschützter Kernbereich – nie bestünde. Die Wirkung des Eigentumsschutzes rentenrechtlicher Positionen erschöpfte sich dann in der Schaffung einer nur politisch-psychologischen Hemmschwelle für den Gesetzgeber und ginge ansonsten über den durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Schutz nicht hinaus.180 Dass sich aufgrund der Umlagefinanzierung in der gesetzlichen Rentenversicherung kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eigenleistung und Rentenanspruch herstellen lässt, bedeutet jedoch nicht, dass es ausgeschlossen ist, den Anteil der Eigenleistung am Rentenzahlbetrag zu ermitteln. Der monatliche Rentenzahlbetrag ergibt sich aus dem Produkt des Rentenartfaktors, des aktuellen Rentenwerts sowie der persönlichen Entgeltpunkte unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 64 SGB VI). Die in die Formel einzustellenden persönlichen Entgeltpunkte resultieren wiederum aus der Summe der Entgeltpunkte, die dem Versicherten für die jeweils angesammelten rentenrechtlichen Zeiten gutgeschrieben wurden (§ 66 Abs. 1 SGB VI). Dies sind regelmäßig vor allem181 die auf Beitragszeiten zurückgehenden Entgeltpunkte (§ 55 SGB VI i.V.m. § 70 SGB VI). Die Eigenleistung des Versicherten findet demnach über die auf Beitragszeiten beruhenden Entgeltpunkte – hinsichtlich der Witwen- und Witwerrenten vermittelt durch die Entgeltpunkte des Hinterbliebenen (§ 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) – Eingang in die Rentenberechnung. Dieser Anteil der Entgeltpunkte steht untrennbar im Zusammenhang mit der vom Versicherten erbrachten Beitragsleistung. Er weist daher den notwendigen personalen Bezug auf und verkörpert folglich den besonders geschützten Kernbereich eines Rentenanspruches.182 179 180 181 182

Siehe oben 2. Teil, § 3, D.I.1.b). Vgl. dazu oben 2. Teil, § 1, D. Vgl. § 63 Abs. 1 SGB VI. Ebenso Papier, DRV 1985, 272, 273.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Diese Erkenntnis ist indes, wenn es – wie vorliegend – um die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit einer Kürzung der Anspruchshöhe geht, von nur begrenztem Nutzen: Der genannte Anteil der persönlichen Entgeltpunkte stellt im Rahmen der Berechnung der Anspruchshöhe nur einen Faktor dar, der mitursächlich für einen bestimmten Rentenzahlbetrag ist; es handelt sich dagegen nicht um einen eigenständig abtrennbaren, konkret bezifferbaren Teil eines Anspruches. Die Entgeltpunkte selbst sind aber in keiner Weise geeignet, den Geldwert der zu ihrer Entstehung erbrachten Beiträge darzustellen.183 Bleibt von einem Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, der dem Grunde nach zunächst in bestimmter Höhe besteht, anrechnungsbedingt nur ein geringerer Rentenzahlbetrag übrig, lässt sich demnach nicht feststellen, ob der besonders geschützte Kernbereich der witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position betroffen ist. Ein handhabbarer Maßstab zur Beantwortung der Frage, ob eine gesetzgeberische Maßnahme den besonders geschützten Kernbereich eines Rentenanspruches betrifft, entsteht jedoch, wenn man in die genannte Formel zur Berechnung des monatlichen Rentenbetrages ausschließlich die auf Beitragszeiten beruhenden Entgeltpunkte einsetzt, während man alle auf den übrigen rentenrechtlichen Zeiten – Kinderziehungs-, Berücksichtigungs-, Anrechnungs- und Zurechnungszeiten – beruhenden Entgeltpunkte unberücksichtigt lässt. Außerdem ist anstelle des aktuellen Rentenwerts der durchschnittliche Rentenwert des Zeitraums anzusetzen, in dem der Versicherte die Beitragsleistungen erbracht hat. Dadurch wird verhindert, dass die als Rentenbetrag ausgedrückte Eigenleistung des Versicherten um eine „Verzinsung“ gesteigert wird, die über den aktuellen Rentenwert einfließt und die nicht auf einer Eigenleistung beruht. Eine Betroffenheit des besonders geschützten Kernbereichs des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente ist demnach spätestens dann184 zu bejahen, wenn der Rentenzahlbetrag aufgrund einer Anrechnung von Einkommen unter den Betrag fällt, der sich auf die beschriebene Art berechnen lässt. Griffiger ausgedrückt: Der besonders geschützte Kernbereich ist betroffen, sobald sich durch die Anrechnung eine negative Rendite ergibt.185

183

Meyer, Armutsfestigkeit, S. 79. Ob der besonders geschützte Kernbereich weiter geht, ob er insbesondere auch einen Anspruch auf Inflationsausgleich enthält (so etwa Maunz/Dürig-Papier, Art. 14, Rn. 186; BSGE 90, 11, 21), ist hier nicht zu vertiefen. 185 Ebenso für die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt F. Kirchhof, NZS 2004, 1, 6; Kufer, NZS 1996, 559, 561; Papier, SRH, § 3, Rn. 57; ders., ZfSH/SGB 2006, 3, 5; ders., FS Leisner, S. 721, 741; ähnlich auch H. Bogs, FS Zacher, S. 65, 76. In der Vergangenheit hielt Papier die Eigenfinanzierungsquote dagegen noch für unmaßgeblich (ders., DRV 1985, 272, 273); kritisch auch Bredt, DVBl. 2006, 871, 876; Ebsen, FS Ruland, S. 81, 93 f., 95 f.; Sonnevend, Eigentumsschutz und Sozialversicherung, S. 103 f., 107. Dagegen sieht Fichte, DAngVers 1990, 163, 167 f. den Kernbereich betroffen, wenn nach einem durchschnittlichen Erwerbsleben nicht ein Anspruch auf Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus besteht. 184

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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III. Die Verhältnismäßigkeit der Einkommensanrechnung 1. Legitimer Zweck der Anrechnung Um verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung und nicht verfassungswidriger Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie zu sein, muss die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV zunächst der Verfolgung eines legitimen Zweckes dienen.

a) Kostenneutrale Reform des Rechts der Witwenund Witwerrenten zum Erhalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung In erster Linie wurden die Vorschriften zur Einkommensanrechnung geschaffen, um die Angleichung der Position der Witwer an die der Witwen, durch die der Gesetzgeber den vom Bundesverfassungsgericht erteilten Reformauftrag186 erfüllen wollte, ohne die Verursachung zusätzlicher Kosten durchzuführen und damit die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten.187 Dass der Erhalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung einen legitimen Zweck zur Beschränkung des Eigentums darstellt,188 kann nicht in Zweifel gezogen werden.189 Die Leistungsfähigkeit ist dabei nicht erst dann bedroht und im Interesse ihres Erhalts ist nicht erst dann ein gesetzgeberisches Tätigwerden nötig, wenn die finanziellen Quellen annähernd versiegt sind.190 Vielmehr ist das ständige Streben nach dem Erhalt der Leistungsfähigkeit conditio sine qua non des Bestehens der gesetzlichen Rentenversicherung. Denn Rentenansprüche stehen als Ansprüche auf Teilhabe immer unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen.191 Wird das Ziel, die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung aufrechtzuerhalten, vernachlässigt, so droht eine Beeinträchtigung von Rechten nicht nur einzelner in das System der gesetzlichen Rentenversicherung Einbezogener, sondern der Gesamtheit 186

BVerfGE 39, 169, 194 f. Blüm, BT-PlenProt 10/8547; ders., BT-PlenProt 10/10937; Günther, BT-PlenProt 10/ 10913; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Maier, ZfS 1985, 353, 355; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, Vorschläge zur sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, 1979, S. 15. 188 BVerfGE 11, 221, 227; BVerfGE 31, 185, 193; BVerfGE 36, 73, 84; BVerfGE 51, 1, 27; BVerfGE 58, 81, 110 f, 118 f.; BVerfGE 63, 152, 176; BVerfGE 74, 203, 214; BVerfGE 75, 78, 98; BVerfGE 97, 271, 286; Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 75; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Haverkate, ZRP 1984, 217, 222; Hebeler, Generationengerechtigkeit, S. 94, Fn. 565; Heine, ZSR 1986, 82, 90; Jarass, NZS 1997, 545, 548; Krause, Eigentum, S. 176; Lenze, NZS 2003, 505, 509; Neumann, NZS 1998, 401, 404; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 190; Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 190. 189 Papier, FS Leisner, S. 721, 725. 190 Krause, Eigentum, S. 177. 191 Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 177. 187

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

der Versicherten. Der herausragenden Stellung, die dem Zweck der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zukommt, wird häufig dadurch Rechnung zu tragen versucht,192 dass dem Gesetzgeber ein erweiterter Gestaltungsspielraum zugestanden wird, wenn Maßnahmen zur Verfolgung eben dieses Zieles betroffen sind. Dass aufgrund der hohen Bedeutung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung193 die Neigung besteht, dem Gesetzgeber großzügige Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, führt eine Spannungslage im Rentenrecht vor Augen, die zwischen den tatsächlichen Gegebenheiten, auf die das Recht stößt, und den tatsächlichen Voraussetzungen, derer es bedarf, damit dem Recht genügt wird, herrscht: Einerseits steht das Renteneigentum trotz des verfassungstheoretisch hohen Ranges der Eigentumsgarantie194 unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen.195 Mittel, die nicht zur Verfügung stehen, können schlechterdings nicht, auch nicht zur Befriedigung eigentumsgeschützter Ansprüche, ausgeschüttet werden. Dies zu ignorieren, wurde mit Recht196 als „Aberglaube an die normative Verfügbarkeit von Geld“197 bezeichnet. Andererseits kann es auch nicht hingenommen werden, dass dem Erhalt der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bedingungsloser Vorrang eingeräumt wird, indem man einen bloßen Hinweis auf das Drohen leerer Kassen für ausreichend befindet, um dem rentenrechtlichen Eigentum jeden Wert zu nehmen. Der Vorbehalt des finanziell Möglichen darf nicht als Werkzeug zur Einebnung grundgesetzlicher Wertungsvorgaben missbraucht werden.198

b) Verhinderung einer intentionswidrigen Überversorgung Als weiterer Zweck der Anrechnungsvorschriften wurde – zumindest in der Literatur – die Vermeidung einer Überversorgung einzelner Rentenempfänger angeführt.199 Dieser Zweck wird vom Bundesverfassungsgericht als legitim gebilligt.200 192

Haverkate, ZRP 1984, 217, 222. Kritisch bezüglich einer gegenüber anderen legitimen Eingriffszwecken hervorgehobenen Stellung des Zieles, die gesetzliche Rentenversicherung leistungsfähig zu erhalten, Neumann, NZS 1998, 401, 404. 194 Zur praktischen Relevanz des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte vgl. oben 2. Teil, § 1, D. 195 Daran ändert – entgegen teils geäußerter Auffassung (Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 55) – auch der Umstand nichts, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung die Ausgaben die Einnahmen bestimmen (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Genauer dazu sogleich unter 3. Teil, § 2, A.III.2.a). 196 Maunz/Dürig-Papier, Art. 14, Rn. 126. 197 Zacher, in: Kübler, Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, S. 36. 198 Ebenso Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 190; Kolb, DRV 1984, 177, 185; Leisner, FS Berber, S. 273, 295. Sehr bedenklich erscheint daher die Äußerung Depenheuers (AöR 1995, 417, 420), es mache keinen Sinn, die Realität für verfassungswidrig zu erklären. 199 Krause, DRV 1985, 254, 258. 193

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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Vom Vorliegen einer Überversorgung muss dabei immer dann ausgegangen werden, wenn eine den gesetzgeberischen Intentionen zuwiderlaufende Kumulation von Leistungen auftritt oder die Erreichung des Zweckes einer Leistungsgewährung anderweitig sichergestellt ist.201 Die Gefahr einer Überversorgung ist hinsichtlich der Witwen- und Witwerrenten zwar größer als hinsichtlich der Altersrenten, da bei ersteren eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie mit Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen zusammentreffen.202 Ob der Gesetzgeber mit der Einführung der Anrechnungsvorschriften aber wirklich zumindest auch auf die Vermeidung von Überversorgungstatbeständen abzielte, erscheint zweifelhaft; in den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich – soweit ersichtlich – entsprechende Hinweise nicht finden. 2. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Anrechnungsvorschriften a) Zur Gleichstellung der Witwer in kostenneutraler Weise Damit die Anrechnungsvorschriften vor der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG Bestand haben können, müssen sie ferner geeignet und erforderlich sein, um eine kostenneutrale Umsetzung des Reformauftrages des Bundesverfassungsgerichts203 zu ermöglichen. Dass die Einführung der Anrechnungsvorschriften Einsparungen erzielen würde, welche die Mehrkosten vollständig zu kompensieren vermögen, die durch die Gleichstellung der Witwer mit den Witwen entstanden sind, wurde teils bezweifelt.204 Der Geeignetheit der Anrechnungsvorschriften stehen solche Zweifel indes nicht im Wege: Zum einen ist die Geeignetheit einer Maßnahme schon dann zu bejahen, wenn sie sich als der Zielerreichung zumindest förderlich erweist.205 Die Anrechnungsvorschriften müssten mithin nur Einsparungen zur Folge haben, die einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Kostenneutralität darstellen. Zum anderen eröffnet sich dem Gesetzgeber bei formellen Gesetzen ein weiter Prognosespielraum, soweit die Geeignetheit des Gesetzes zur Zielerreichung betroffen ist; verlassen wird dieser nur, wenn das eingesetzte Mittel zur Zielerreichung evident untauglich ist.206 Berücksichtigt man, dass im Jahr 2007 allein die Anzahl der vollständig ruhenden Witwenund Witwerrenten (Nullfälle) mehr als 396.000 betrug,207 lässt sich die Einkommensanrechnung aber kaum als zur Erzielung von Einsparungen evident untauglich einstufen. 200

BVerfGE 31, 185, 190, 193 f.; BVerfGE 40, 65, 79; BVerfGE 53, 313, 331. Vgl. BVerfGE 31, 185, 190; BVerfGE 53, 313, 331. 202 Ruland, NJW 1986, 20, 27; ders., JuS 1986, 75, 77. 203 BVerfGE 39, 169, 194 f. 204 Heine, ZSR 1986, 82, 90; Helberger, DRV 1985, 69, 74. 205 BVerfGE 70, 278, 286; BVerfGE 79, 256, 271; BVerfGE 81, 156, 192. 206 BVerfGE 67, 157, 173 ff. 207 Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 159. 201

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Dabei liegt auf der Hand, dass sich die Anrechnungsvorschriften auch unter Berücksichtigung des eben Gesagten für eine kostenneutrale Gleichstellung von Witwen und Witwern nur dann eignen, wenn nicht (nur) auf das durch Anrechnung im einzelnen Versicherungsverhältnis Einsparbare, sondern auf die Summe dessen abgestellt wird, was sich durch die Einkommensanrechnung in der Gesamtheit der Versicherungsverhältnisse einsparen lässt. Dieses Abstellen auf einen summarischen Effekt zum Zwecke der Rechtfertigung eines Eingriffs in individuelle Rechtspositionen ist dem klassisch-liberalen Grundrechtsverständnis indes prinzipiell fremd:208 Grundrechte bringen grundsätzlich ein Verhältnis zwischen Staat und Individuum zur Entstehung („status“). Die Beschränkung eines individuellen Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente als Eingriff in das status-Verhältnis brächte in Anbetracht eines Ausgabenvolumens der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von rund 237 Milliarden E im Jahr 2007209 allerdings nur derart geringe Einsparungen mit sich,210 dass den Anrechnungsvorschriften – trotz der geschilderten geringen Anforderungen – doch die Eignung zum Erhalt der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung abgesprochen werden müsste.211 Wollte man aber bei der Prüfung der Rechtfertigung von Eingriffen in sozialversicherungsrechtliches und insbesondere rentenrechtliches Eigentum um jeden Preis den Blickwinkel auf das Verhältnis des Staates zum Einzelnen beschränken, verkennte man, dass sozialversicherungsrechtlich geprägte Grundrechtspositionen nicht im klassischen status-Verhältnis entstehen.212 Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche können insoweit nicht mit Sacheigentum verglichen werden, das rechtlich wie tatsächlich klar umrissen und nur äußeren Einflüssen ausgesetzt ist; sie sind vielmehr ihrem Inhalt nach auf Teilhabe an einem System gerichtet, das sie einerseits überhaupt erst hervorgebracht hat, dessen Einflüssen sie andererseits aber auch fortlaufend ausgesetzt sind. Sehr deutlich kommt diese Systemabhängigkeit etwa darin zum Ausdruck, dass sozialversicherungsrechtliche Ansprüche – wie schon erwähnt213 – unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen stehen.

208

Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 439. Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 197 210 Ähnlich für die Sozialversicherung insgesamt Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 439. 211 Ginge man dagegen davon aus, die Geeignetheit sei gegeben, weil zumindest ein Minimum an Kostenreduzierung erreicht wird, so fehlte es jedenfalls an der Angemessenheit der Beschränkung, weil der positive Effekt auf die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung außer Verhältnis zur Betroffenheit des Anspruchsberechtigten steht. 212 Eine abweichende Bewertung wäre nur dann möglich, wenn sozialversicherungsrechtliche Ansprüche als gegen den Staat gerichtete Teilhaberechte gesehen würden („status positivus“); vgl dazu etwa Diemer, VSSR 1982, 325, 338; Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 442; Hebeler, Generationengerechtigkeit, S. 111; Meydam, Eigentumsschutz, S. 45. Eine solche Sicht ließe aber die institutionelle Trennung der Träger der Sozialversicherung vom Staat außer acht, vgl. dazu auch oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a)bb). 213 Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, A.III.1.a). 209

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Teils wird vorgebracht, die Systemabhängigkeit des rentenrechtlichen Eigentums sei geringer als in anderen Bereichen der Sozialversicherung, insbesondere gelte der Vorbehalt des finanziell Möglichen für Renteneigentum nicht.214 Grund dafür sei, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur ein von vornherein begrenzter Betrag zur Befriedigung aller Rentenansprüche zur Verfügung stehe, sondern umgekehrt die zur Verfügung stehende Summe sich nach der Gesamthöhe der zu befriedigenden Ansprüche bemesse (§ 153 Abs. 1 SGB VI).215 Diese Auffassung übersieht jedoch, dass, obwohl sich im Grundsatz die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Ausgaben richten, die Masse der verfügbaren Finanzen doch begrenzt ist: Das Gesetz gebietet, auf Grundlage des aktuellen Bedarfs festzulegen, auf welchen prozentualen Anteil des versicherungspflichtigen Einkommens sich der Rentenbeitrag beläuft (§ 158 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI); der Vorbehalt des finanziell Möglichen macht sich – rein rechnerisch – dann bemerkbar, wenn die Beitragshöhe 100 Prozent erreicht. Bildlich gesprochen kann der Gesetzgeber damit zwar entscheiden, wie weit er den Topf ausschöpft, er kann aber die Größe des Topfes nicht bestimmen. Diese Systemabhängigkeit sozialversicherungsrechtlichen Eigentums würde durch ein unbedingtes Festhalten am klassischen status-Verhältnis und dem mit ihm einhergehenden Außerachtlassen summarischer Effekte aber geleugnet.216 Es darf daher nicht unzulässig sein, auf die Summe aller durch Einkommensanrechnung erzielbaren Einsparungen abzustellen, wenn die Frage der Geeignetheit der Anrechnungsvorschriften zur Erzielung einer kostenneutralen Gleichstellung der Witwer mit den Witwen betroffen ist. Als geeignet sind die Vorschriften zur Einkommensanrechnung folglich einzustufen. Zweifel daran, dass § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV nicht das mildeste Mittel ist, um eine Gleichstellung von Witwen und Witwern in kostenneutraler Weise zu erreichen, mithin Zweifel daran, dass die Anrechnungsvorschriften zur Zielerreichung erforderlich sind, bestehen keine.217 Im Rahmen der Reformdiskussion wurden auch andere Modelle entworfen, die eine Gleichstellung von Witwen und Witwern ermöglicht hätten; keines von ihnen kam jedoch ohne Anrechnungsregelungen aus.218 Auch ist es nicht möglich, die Erforderlichkeit der Einkommensanrechnung mit dem Hinweis zu verneinen, der Gesetzgeber habe die angestrebten Einsparungen auch durch Einschnitte in anderen von der Reform betroffenen Bereichen erzielen219 oder notwendig werdende Mehrausgaben durch eine Erhöhung des Bundeszuschus-

214

Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 55. Dabag, Beitragsäquivalenz, S. 55. 216 Ähnlich Depenheuer, AöR 120 (1995), 417, 439. 217 Ebenso Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 659. 218 BSG SozR 3-2200 § 1281 Nr. 1, S. 4; BT-Drs. 10/2677, S. 24; BR-Drs. 500/84, S. 24; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 657; Kaltenbach, DAngVers 1984, 526, 530. 219 BVerfGE 72, 9, 23; BSG SozR 3-2200 § 1281 Nr. 1, S. 4; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 222; so aber Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 191, der ein Beschneiden der beitragfreien Zeiten als Alternative sieht. 215

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ses ausgleichen können220. Müsste sich der Gesetzgeber auf die Möglichkeit der Erhöhung des Bundeszuschusses als erforderliches Mittel verweisen lassen, so wären Reformmaßnahmen auf Kosten der Sozialversicherten fortan ausgeschlossen; könnten Reformmaßnahmen aber nur noch mit Steuermitteln umgesetzt werden, käme es zu einer finanziellen Lähmung des Gesetzgebers. Auch der Hinweis auf Einsparmöglichkeiten in anderen Bereichen der Rentenversicherung vermag die Erforderlichkeit der Einkommensanrechnung nicht in Frage zu stellen. Unklar ist insoweit nämlich sowohl, ob Einschnitte in anderen Bereichen sich als milderes Mittel erweisen, als auch, ob die Einsparpotentiale ebenso groß sind wie die durch die Anrechnung von Einkommen zu verwirklichenden. In beiderlei Hinsicht steht dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum zu.221 b) Zur Verhinderung von Überversorgungstatbeständen Fraglich ist, ob die Anrechnungsvorschriften auch geeignet und erforderlich sind, um das Entstehen von Überversorgungstatbeständen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang sei zunächst nochmals darauf hingewiesen, dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten eine Versicherung ausgestaltet.222 Diese Feststellung ist bezüglich der Frage nach dem Vorliegen einer Überversorgung von Belang, weil eine Versicherung dem Zweck dient, vor den mit dem Eintritt des Versicherungsfalls verbundenen Risiken zu schützen. Eine Überversorgung kann daher nicht schon dann bejaht werden, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls mit einer materiellen Besserstellung des Betroffenen einhergeht, sondern sie ist nur dann gegeben, wenn die Erfüllung des von der Versicherung verfolgten Sicherungsziels bereits anderweitig gewährleistet ist223. Der Zweck der Witwen- oder Witwerrente ist, den Hinterbliebenen vor einer Absenkung des Lebensstandards zu schützen, die einzutreten droht, weil der vom Versicherten bezogene Unterhalt mit dessen Tod entfallen ist.224 Erreicht wird dieser Zweck, indem der bisherige Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten durch den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente typisiert ersetzt wird.225 Eine Überversorgung droht hier in zweierlei Hinsicht:226 Zum einen ist möglich, dass der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten Einkommen bezieht, das er in identischer Höhe auch schon vor dem Tod des Versicherten bezogen hat. Während der potentiell Hinterbliebene dem Versicherten zu dessen Lebzeiten diesem aber zur 220

Neumann, NZS 1998, 401, 405. BVerfGE 30, 292, 319. 222 Vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, C.I.1.a). 223 Vgl. BVerfGE 31, 185, 190; BVerfGE 53, 313, 331. 224 Hase, JZ 2000, 591, 599; Ruland, NJW 1986, 20, 28; ders., ZRP 1978, 107, 110; zum Prinzip der Lebensstandardwahrung in der Sozialversicherung allgemein: Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 175. 225 BVerfGE 97, 271, 287. 226 BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f.; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 655. 221

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Leistung von Unterhalt verpflichtet war, entfällt mit dessen Tod die Unterhaltspflicht des nunmehr Hinterbliebenen; sein zuvor durch die Unterhaltspflicht geschmälertes Einkommen steht dem Hinterbliebenen nunmehr ungeschmälert zur Verfügung. Zum anderen ist denkbar, dass der Hinterbliebene vor dem Tod des Versicherten von diesem keine oder nur geringe Unterhaltsleistungen in Geld erhielt, weil er selbst über ausreichendes eigenes Einkommen verfügte. Stirbt nun aber der Versicherte und erwirbt damit der Hinterbliebene einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, so erhält er Ersatz für einen Unterhalt, den der Versicherte so nie geleistet hat. Zusammentreffen werden beide Quellen einer möglichen Überversorgung insbesondere dann, wenn das Einkommen des potentiell Hinterbliebenen das des Versicherten deutlich übersteigt und auch nach dem Tod des Versicherten nicht geringer ausfällt. Unabhängig davon, auf welcher der beiden genannten Ursachen eine mögliche Überversorgung des Hinterbliebenen beruhen mag, ist es aber notwendig, die Höhe des Einkommens zu ermitteln, das der Hinterbliebene vor dem Tod des Versicherten erzielt hat. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten über mehr eigenes Einkommen und damit insgesamt über mehr finanzielle Mittel verfügt, weil seine Unterhaltspflicht mit dem Tod des Versicherten entfallen ist, wenn nicht bekannt ist, ob der Hinterbliebene vor dem Tod des Versicherten an diesen Unterhalt in Geld geleistet hat. Ob eine solche Unterhaltsleistung erfolgt ist, wird regelmäßig von der Relation der Einkommen der Ehegatten zueinander abhängen. Die Ermittlung dieser Relation bedingt aber die Kenntnis der Höhe des Einkommens des Hinterbliebenen vor Eintritt des Versicherungsfalls.227 Aus dem gleichen Grund ist die Kenntnis der Höhe des vom potentiell Hinterbliebenen erzielten Einkommens erforderlich, wenn als Quelle einer möglichen Überversorgung der erstmalige Bezug von Unterhalt(-sersatz) nach dem Tod des Versicherten in Gestalt der Witwen- oder Witwerrente in Betracht kommt. § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV funktioniert jedoch nach dem Prinzip, dass sich Einkommen anrechnen lassen muss, wer nach dem Tod des Versicherten Einkommen in bestimmter Höhe erzielt. Aus dem Umstand allein, dass ein Einkommen in bestimmter Höhe nach dem Tod des Versicherten erzielt wird, lässt sich aber nicht schließen, dass ein der Höhe nach identisches Einkommen auch vor dem Tod des Versicherten erzielt worden ist. Entsprechend lässt sich nicht ermitteln, ob eine Überversorgung vorliegt, weil der Versicherte weniger Unterhalt in Geld an den jetzigen Hinterbliebenen geleistet hat als er hätte leisten müssen, wenn der Hinterbliebene kein eigenes Einkommen bezogen hätte oder ob sich sogar daraus eine Überversorgung ergeben könnte, dass der potentiell Hinterbliebene aus seinem Einkommen dem Versicherten Unterhalt gezahlt hat, ohne selbst welchen gezahlt zu bekommen. Dass die Regelungen zur Anrechnung von Einkommen nicht geeignet sind, eine mögliche Überversorgung des Hinterbliebenen festzustellen, weil sie das Einkommen des potentiell Hinterbliebenen außer Betracht lassen, heißt jedoch nicht, dass 227 Die Höhe des Einkommens des Versicherten ist im Regelfall bekannt, vgl. § 28a Abs. 3 Nr. 2 b) SGB IV.

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§ 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV zur Verhinderung einer Überversorgung keine Eignung aufweist. Weil auf eine Anrechnungsregelung verzichtet wird, die die Höhe des Einkommens berücksichtigt, das der Ehegatte des Versicherten vor dessen Tod erzielte, und stattdessen ein für alle gleicher, geringer Anrechnungsfreibetrag angesetzt wird, ist tatsächlich keine Konstellation denkbar, in der nach Anwendung der Anrechnungsvorschriften eine Überversorgung vorliegt. Zur Verhinderung von Überversorgungstatbeständen sind die Anrechnungsregelungen daher zwar geeignet. Allerdings nehmen sie den Hinterbliebenen nicht nur, was im Vergleich zu der Zeit vor dem Tod des Versicherten „zuviel“ ist; vor allem in den Nullfällen ist der Hinterbliebene, der ein Einkommen bezieht, das sich in der Höhe nicht von dem vor dem Tod des Versicherten bezogenen unterscheidet, erheblich schlechter gestellt als er zu Lebzeiten des Versicherten stand. Soweit § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV wirklich der Vermeidung einer Überversorgung zu dienen bestimmt sein sollte,228 geht die Vorschrift daher über das zur Zielerreichung notwendige Maß hinaus und ist mithin nicht erforderlich.229 3. Die Angemessenheit der Anrechnungsvorschriften Schließlich müssten die Anrechnungsvorschriften sich – sollen sie verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung und nicht verfassungswidriger Eingriff sein – noch als angemessen einstufen lassen. Als angemessen sind die Anrechnungsvorschriften anzusehen, wenn die Wertigkeit des verfolgten Zieles nicht außer Verhältnis zum Maße der Betroffenheit des Einzelnen steht,230 konkret: wenn das Interesse der Allgemeinheit am Erhalt der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung auf Kosten der Witwen- und Witwerrentenberechtigten schwerer wiegt als das Interesse der Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente an einem ungeschmälerten Fortbestand ihrer Rechte. Die Eigentumsbeschränkungen sind daher nur zulässig, soweit sie zum Schutz der Belange des Allgemeinwohls geboten sind.231 „Nur in den Grenzen des danach Zumutbaren hat der Eigentümer die zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens gebotenen Schranken hinzunehmen.“232 228

Im Gesetzgebungsverfahren findet dieses Ziel – soweit ersichtlich – keine Erwähnung. Die fehlende Einbeziehung der Einkommenshöhe des Ehegatten des Versicherten mag nicht zuletzt auf die gesetzliche Konstruktion des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zurückzuführen sein: Wird der Ehegatte des Versicherten vor dessen Tod gesetzlich ignoriert [BSGE 92, 113, 123; Butzer, FS Isensee, S. 667, 679; Krause, Eigentum, S. 197; ders., DRV 1985, 254, 255; vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, C.II.1.d)], so liegt es nahe, auch das Einkommen dieses Ehegatten zu Lebzeiten des Versicherten nicht zu berücksichtigen. 230 Epping, Grundrechte, Rn. 55; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 289. 231 Papier, SGb 1994, 105, 109. 232 BVerfGE 4, 7, 16; BVerfGE 79, 29, 41.Von Bedeutung sind auch in diesem Rahmen bereits Fragen der Gleichbehandlung (vgl. Bieback, ZSR 2000, 779, 793; ders., SGb 1989, 46, 51; Jarass, NZS 1997, 545, 549). Zum Zwecke einer dogmatisch klareren Darstellung soll hier auf entsprechende Ausführungen allerdings noch verzichtet werden, vgl. zu Art. 3 Abs. 1 GG aber unten 3. Teil, § 2, C. 229

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a) Die Verletzung des Kernbereichs witwenund witwerrentenrechtlicher Positionen Die Anrechnungsvorschriften erweisen sich jedoch als unangemessen, weil sie den besonders geschützten Kernbereich der witwen- und witwerrentenrechtlichen Positionen verletzen.233 Eine Betroffenheit des Kernbereiches durch die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV lässt sich ohne Weiteres bejahen: Die Vorschriften ermöglichen ein teilweises und – bei entsprechender Höhe des anzurechnenden Einkommens des Hinterbliebenen – sogar vollständiges Ruhen des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente. Sobald das Ruhen des Anspruches ein Maß erreicht, das die Höhe des verbleibenden Rentenzahlbetrages unter die Grenze des Wertes der vom Versicherten erbrachten Beitragsleistungen fallen lässt, betrifft die Anrechnung den besonders geschützten Kernbereich.234 Die Anrechnung betrifft den Kernbereich jedoch nicht nur, sie verletzt ihn auch. Die erhöhten Rechtfertigungsanforderungen, denen bei einer Betroffenheit des Kernbereichs zu genügen ist,235 vermögen die Anrechnungsvorschriften nicht zu erfüllen. Soweit sie dem Erhalt der gesetzlichen Rentenversicherung als hohem Gut236 dienen, können grundsätzlich zwar auch den Kernbereich betreffende Maßnahmen gerechtfertigt sein; eine solche Rechtfertigung setzt jedoch eine begrenzt eingreifende Wirkung der Maßnahme voraus. Von einer nur begrenzten Eingriffswirkung kann im Fall eines überwiegenden oder gar vollständigen Ruhens des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente indes nicht die Rede sein. Zudem hat der Gesetzgeber darzulegen, dass der Eingriff in den Kernbereich unabdingbar ist, um eine höchst wahrscheinliche Gefahr abzuwehren. Die weitgehende Einschätzungsprärogative, die dem Gesetzgeber außerhalb des besonders geschützten Kernbereichs zukommt, besteht innerhalb des Kernbereichs nicht.237 Der Nachweis, dass die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar bedroht ist, wenn nicht die Möglichkeit besteht, Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrenten überwiegend oder vollständig ruhen zu lassen, kann aber kaum erbracht werden, wenn man sich vor Augen führt, welches überschaubare Ausmaß die Einsparungen, die durch die Möglichkeit eines überwiegenden oder vollständigen Ruhens von Ansprüchen erzielt werden, im Verhältnis zum finanziellen Gesamtvolumen der gesetzlichen Rentenversicherung aufweisen: Im Jahr 2007 bestanden insgesamt gut 233

Ähnlich Papier, DRV 1985, 272, 274. Zur Bestimmung des Kernbereichs und der Berechnung des mindestens zu zahlenden Betrages vgl. oben 3. Teil, § 2, A.II.2. 235 Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, A.II.1. 236 BVerfGE 11, 221, 227; BVerfGE 31, 185, 193; BVerfGE 36, 73, 84; BVerfGE 51, 1, 27; BVerfGE 58, 81, 110 f., 118 f.; BVerfGE 63, 152, 176; BVerfGE 74, 203, 214; BVerfGE 75, 78, 98; BVerfGE 97, 271, 286; Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 75; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Haverkate, ZRP 1984, 217, 222; Heine, ZSR 1986, 82, 90; Jarass, NZS 1997, 545, 548; Krause, Eigentum, S. 176; Lenze, NZS 2003, 505, 509; Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 190. 237 Maunz/Dürig-Papier, Art. 14, Rn. 139; ders., Differenziertheit, S. 198. 234

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5,8 Millionen Ansprüche auf Witwen- und Witwerrenten,238 deren Erfüllung 15,7 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung ausmachte239. Etwa 27 Prozent der bestehenden Ansprüche waren von der Einkommensanrechnung betroffen; immerhin 6,9 Prozent der Witwen- und Witwerrenten ruhten240 vollständig. Die Anzahl der überwiegend ruhenden Ansprüche dürfte entsprechend hoch ausfallen. Die durch die Einkommensanrechnung bei den Witwen- und Witwerrenten im Jahr 2007 eingesparte Summe belief sich zwar auf den beträchtlichen Betrag von etwas über 2,5 Milliarden E;241 dennoch machten die Einsparungen damit nur etwa ein Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von über 237 Milliarden E242 aus. Dass das Erzielen von Einsparungen in Höhe von nur einem Prozent der Gesamtausgaben conditio sine qua non des Erhalts der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung ist, kann aber ausgeschlossen werden. Darüber hinaus bedarf es einer Abwägung der positiven und negativen Folgen der Einkommensanrechnung gegeneinander. Hierbei stellt man fest, dass die relativ geringen Einsparungen durch Einschnitte erkauft werden, die die Ansprüche der Witwen- und Witwerrentenberechtigten schon im Durchschnitt ganz erheblich verkürzen: Die von der Einkommensanrechnung betroffenen Witwer büßten im Jahr 2007 durchschnittlich 2.016,60 E, die Witwen durchschnittlich 1.173,12 E ein.243 Berücksichtigt man, dass die Witwen- und Witwerrenten keine im Belieben des Gesetzgebers stehenden Leistungen sind, sondern Eigentum darstellen, das durch die Beitragszahlungen eines verstorbenen Versicherten erworben wurde, die dieser womöglich sein gesamtes Erwerbsleben hindurch erbracht hat, so spricht einiges dafür, die Regelungen zur Einkommensanrechnung bereits auf dieser Grundlage für unangemessen zu befinden. Aber spätestens dann, wenn nicht mehr das Ausmaß der durchschnittlichen Betroffenheit, sondern die Einschnitte bei denjenigen in den Fokus gerückt werden, deren Ansprüche vollständig ruhen, führt kein Weg mehr an der Fest238

Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenbestand am 31. 12. 2007,

S. 64. 239

Zahlen aus Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 197, 199. 240 Auffällig ist dabei, dass die Witwerrenten ungleich stärker von der Einkommensanrechnung betroffen sind als die Witwenrenten: Die Anrechnung führte bei nicht einmal jeder fünfte Witwenrente zu einer Kürzung, während annähernd neun von zehn Witwerrenten anrechnungsbedingt verkürzt waren; auch von den vollständig ruhenden Ansprüchen („Nullfälle“) waren die weitaus meisten – über 86 % – solche auf Witwerrente; Zahlen nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 99; dies., Rentenbestand am 31. 12. 2007, S. 64. 241 Zahlen nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenbestand am 31. 12. 2007, S. 64. 242 Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenversicherung in Zeitreihen, 2008, S. 197. 243 Zahlen nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenbestand am 31. 12. 2007, S. 64.

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stellung vorbei, dass § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV hinsichtlich dieser Gruppe von Berechtigten außer Verhältnis zu dem durch die Vorschriften verfolgten Zweck – der kostenneutralen Angleichung der rentenrechtlichen Position der Witwer an die der Witwen – und erst recht außer Verhältnis zu dem erzielten Ergebnis – den relativ geringen tatsächlich erzielten Einsparungen – steht: Um sein Ziel zu erreichen, verlangt der Gesetzgeber den Versicherten einerseits zwangsweise Beiträge ab, gewährt andererseits deren Hinterbliebenen als Gegenleistung aber nur faktisch wertlose Rechte. Die Regelungen zur Einkommensanrechnung stellen daher jedenfalls hinsichtlich der Fälle eines vollständigen Ruhens der Ansprüche – was auf die weitgehende Entwertung von Beitragsleistungen regelmäßig zutrifft244 – ein Überschreiten der Grenze des dem Einzelnen noch Zumutbaren dar. Sie sind daher unangemessen. Zu einer deutlich höheren Einsparquote gelangte man, wenn man den Bereich der Witwen- und Witwerrenten isoliert betrachtete und die im Jahr 2007 durch die Einkommensanrechnung eingesparte Summe von gut 2,5 Milliarden E nicht den Gesamtausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern „nur“ den Gesamtausgaben für die Witwen- und Witwerrenten, die im Jahr 2007 knapp 34,3 Milliarden E betrugen,245 gegenüberstellte: In dieser Relation wären immerhin 7,4 Prozent der Ausgaben eingespart worden. Letztlich bleibt diese Rechnung jedoch eine Zahlenspielerei: Denn so beeindruckend die genannte Einsparquote vielleicht auch erscheinen mag, so nutzlos ist sie für die Beantwortung der Frage nach der Angemessenheit der Regelungen zur Einkommensanrechnung. Die errechnete Einsparquote könnte allenfalls dann von Interesse sein, wenn es darum geht, ob durch die Einkommensanrechnung tatsächlich eine kostenneutrale Reform gelungen ist, ob also die durch die Einkommensanrechnung erzielten Einsparungen zumindest annähernd die Mehrausgaben kompensieren, die durch die Einführung einer Witwerrente entstanden sind, die unabhängig davon besteht, ob die verstorbene Ehefrau vor ihrem Tod den gemeinsamen Unterhalt überwiegend bestritten hat. Der Gesetzgeber hat § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV aber nicht eingeführt, um die Kostenneutralität der Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten um ihrer selbst willen zu ermöglichen; vielmehr sollte die Reform kostenneutral gelingen, um dadurch die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung aufrecht zu erhalten246. Das Erreichen der Kostenneutralität einer Reform ist – für sich genommen – niemals ein Zweck, der Eingriffe zu legitimieren vermag.247 Ob die Anrechnungsregelungen den Erhalt der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung sichern, lässt sich aber gerade 244

Neumann, NZS 1998, 401, 406. Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenbestand am 31. 12. 2007, vor S. 1. 246 Blüm, BT-PlenProt 10/8547; ders., BT-PlenProt 10/10937; Günther, BT-PlenProt 10/ 10913; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Maier, ZfS 1985, 353, 355; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, Vorschläge zur sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, 1979, S. 15. 247 Ähnlich in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 97, 271, 286. 245

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nur dann ermitteln, wenn die durch die Einkommensanrechnung erzielten Einsparungen auch deren Gesamtausgaben gegenübergestellt werden. Naheliegend mag nun der Gedanke sein, auf die Einsparquote von 7,4 Prozent, die sich ergibt, wenn die anrechnungsbedingten Gesamteinsparungen im Jahr 2007 zu den Gesamtausgaben im Bereich der Witwen- und Witwerrenten im gleichen Jahr ins Verhältnis gesetzt werden, ließe sich deshalb abstellen, weil der Gesetzgeber den Bereich der Witwen- und Witwerrenten für sich betrachtet habe leistungsfähig erhalten wollen. Die Leistungsfähigkeit wäre nur dann sichergestellt, wenn die Globaläquivalenz, das Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben, gewahrt wäre. Dieser Gedanke übergeht indes – sieht man davon ab, dass sich entsprechende Ansätze in den Gesetzgebungsmaterialien nicht finden und dem Gesetzgeber daher kaum zugeschrieben werden können – zweierlei: Zum einen bestimmen in der gesetzlichen Rentenversicherung die Ausgaben die Einnahmen, nicht umgekehrt (§ 153 Abs. 1 SGB VI).248 Das Gesetz sieht folglich eine Aufrechterhaltung der Globaläquivalenz durch eine Einnahmenerhöhung, nicht durch eine Ausgabensenkung vor. Zum anderen kann es eine „Globaläquivalenz im Bereich der Witwen- und Witwerrenten“ bei der gegenwärtigen Ausgestaltung des Rentenversicherungsrechts nicht geben: Natürlich lassen sich die Ausgaben für den Bereich der Witwen- und Witwerrenten gesondert ausweisen; es fehlt aber an Beiträgen, die – gesondert – für die Witwen- und Witwerrenten geleistet werden. Denn – wie schon erwähnt249 – entspricht dem Gesamtpaket aus Rehabilitations-, Erwerbsminderungs-, Alters- sowie ehe- und familiengebundener LeANUGbCHTRE ensAUNGvCHTRE erAsRENUGCHT iAcRENUGCHT heANUGrCHTRE ung, das die gesetzliche RenAtTRENUGCH enAvRENUGCHT erANUGsCHTRE iANUGcCHTRE heArTRENUGCH ung bereitstellt,250 auch ein Gesamtbeitrag. Eine auf die Leistungsfähigkeit bezogene isolierte Betrachtung der Witwen- und Witwerrenten ist daher nicht möglich. Es bleibt folglich bei der Feststellung, dass die Regelungen zur Einkommensanrechnung sich als unangemessen erweisen. b) Rechtfertigung der Anrechnungsvorschriften durch die Unterhaltsersatzfunktion der Witwen- und Witwerrenten? Zur Rechtfertigung der Anrechnung eigenen Einkommens des Hinterbliebenen auf dessen Witwen- oder Witwerrente wird regelmäßig der Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten angeführt.251 Argumentativ wird der Unterhaltsersatzcharakter dabei auf mehrere unterschiedliche Weisen genutzt.

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Dazu, dass dieser Umstand nicht uneingeschränkt gilt, vgl. oben 3. Teil, § 2, A.III.2.a). Vgl. oben 2. Teil, § 3, C.II.1.c). 250 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681. 251 BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f.; Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Krause, DRV 1985, 254, 256; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Seehofer, BTSteno-Prot. 10/10930. 249

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aa) Rechtfertigung durch Bezugnahme auf die ehelichen Unterhaltsverhältnisse? (1) Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen als Unterhaltsersatz? Das in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten vorgebrachte Argument252 stellt dabei zunächst fest, dass die Witwen- oder Witwerrente dem Ersatz des Unterhaltsanspruches diene, der mit dem Tod des Versicherten entfallen ist. Sodann wird behauptet, dieses Ersatzes bedürfe es aber dann nicht, wenn der Hinterbliebene gegen das Entfallen des Unterhaltsanspruches bereits anderweitig abgesichert sei, insbesondere durch das Erzielen eigenen Einkommens. Diese Argumentation geht indes vollkommen am Gesetz vorbei. Denn es kann nicht festgestellt werden, inwieweit Einkommen, das der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten erzielt, den Unterhalt ersetzt, den der potentiell Hinterbliebene vor dem Tod des Versicherten von diesem empfangen hat, wenn nicht bekannt ist, wie hoch der vom Versicherten empfangene Unterhalt war. Die Ermittlung der Höhe des vom Versicherten empfangenen Unterhalts ist im Gesetz jedoch schlichtweg nicht vorgesehen.253 Zumindest typisiert ermitteln ließe sich die Höhe des empfangenen Unterhalts auch durch eine Gegenüberstellung der Einkommen des Versicherten einerseits und des potentiell Hinterbliebenen andererseits: Je größer die Differenz zwischen beiden Einkommen ist, desto höher wird auch der geleistete Unterhalt ausfallen. Hinsichtlich der Höhe des Einkommens des Versicherten hat der zuständige Träger der Rentenversicherung auch Kenntnis – allerdings nur hinsichtlich der Höhe des versicherungspflichtigen Einkommens (§ 28a SGB IV). Die Unterhaltspflicht des Versicherten bezieht sich jedoch nicht allein auf das versicherungspflichtige Einkommen des Versicherten. Die Gegenüberstellung der Einkommen des Versicherten und des potentiell Hinterbliebenen wird also in all den Fällen, in denen der Versicherte neben dem versicherungspflichtigen Einkommen zusätzlich nicht versicherungspflichtiges Einkommen erzielt, bereits an unzureichender Kenntnis über die Höhe des (Gesamt-)Einkommens des Versicherten scheitern.254 In jedem Fall scheitert die Gegenüberstellung aber an mangelnder Kenntnis über die Höhe des Einkommens des potentiell Hinterbliebenen. Ob und in welcher Höhe der Ehegatte des Versicherten eigenes Einkommen erzielt, wird vor dem Tod des Versicherten nicht festgestellt. Aus der Höhe des Einkommens, das der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten erzielt, belastbare Rückschlüsse auf die Höhe des vor dem Tod des Versicherten erzielten Einkommens zu ziehen, gar davon auszugehen, die Einkommenshöhe sei je252 Vgl. etwa Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Seehofer, BT-Steno-Prot. 10/10930. 253 Papier, DRV 1985, 272, 274; vgl. dazu auch oben 3. Teil, § 2, A.III.2.b). 254 Auch der vermeintlich naheliegende Blick auf die Steuererklärung des Versicherten hilft nicht weiter. Denn zum einen ist längst nicht jeder Versicherte veranlagungspflichtig (§ 46 EStG), zum anderen dürfen die Finanzbehörden in dem in Frage stehenden Fall keine Auskunft über das Einkommen des Versicherten erteilen (§§ 30 f. AO).

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weils identisch, ist nicht möglich. Vielmehr wird der Tod des Versicherten häufig gerade zu Änderungen der Einkommenshöhe des hinterbliebenen Ehegatten führen. Das Gesetz gibt demnach keinerlei Möglichkeit zu ermitteln, inwieweit Einkommen, das der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten erzielt, dazu geeignet ist, Unterhalt zu ersetzen, den der Versicherte vor seinem Tod an den potentiell Hinterbliebenen geleistet hat. Die These, die Einkommensanrechnung sei gerechtfertigt, weil die Witwen- und Witwerrenten Unterhaltsersatzfunktion haben, Unterhalt aber nicht ersetzt werden müsse, soweit er anderweitig sichergestellt sei, erweist sich insoweit als unhaltbar. (2) Entlastung des Hinterbliebenen aufgrund des Wegfalls des Unterhaltsanspruchs des Versicherten? Ein anderes Argument zur Rechtfertigung der Anrechnungsregelungen, das im Zusammenhang mit dem Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten steht, betont die Gegenseitigkeit der ehelichen Unterhaltsverpflichtungen:255 Mit dem Tod des Versicherten erlösche nicht nur der sich gegen diesen richtende Anspruch des Ehegatten; ebenso entfalle auch die Pflicht des Ehegatten, seinerseits dem Versicherten Unterhalt zu leisten. Dieser Entlastung werde durch die Berücksichtigung eigenen Einkommens des Hinterbliebenen Rechnung getragen. (a) Untauglichkeit der Einkommensanrechnung zum Ausgleich einer entfallenen Belastung Diese Argumentation verkennt jedoch, dass die Vorschriften zur Anrechnung von Einkommen nicht tauglich sind, um eine Entlastung auszugleichen, zu der es aufgrund des Todes des Versicherten gekommen sein könnte. Denn soll die Einkommensanrechnung der Entlastung, zu der es kommt, weil der Hinterbliebene keinem Unterhaltsanspruch des Versicherten mehr ausgesetzt ist, Rechnung tragen, so muss dies in einer Weise geschehen, die der Belastung entspricht, welcher der potentiell Hinterbliebene durch den Unterhaltsanspruch des Versicherten zu dessen Lebzeiten ausgesetzt war. Da die Einkommensanrechnung den Hinterbliebenen in finanzieller Hinsicht belastet, muss also auch die Belastung, die der potentiell Hinterbliebene mit dem Unterhaltsanspruch des Versicherten zu tragen hatte, finanzieller Natur gewesen sein. Der potentiell Hinterbliebene muss also Unterhalt in Geld an den Versicherten geleistet haben. Ist der potentiell Hinterbliebene seiner Unterhaltspflicht aber nachgekommen, indem er den Haushalt führte, so kann der Wegfall dieser rein tatsächlichen Belastung nicht durch finanzielle Einschnitte ausgeglichen werden. Ein solcher Ausgleich dürfte gar dem Zweck der Witwen- und Witwerrenten – der Ermöglichung einer Fortführung des bisher gepflegten Lebensstandards256 – zuwiderlaufen. Ob der potentiell Hinterbliebene seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Versicherten durch das Führen des Haushaltes oder durch die Erbringung finanzieller 255 256

Der Gedanke findet sich in BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f. Hase, JZ 2000, 591, 599; Ruland, NJW 1986, 20, 28; ders., ZRP 1978, 107, 110.

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Leistungen erfüllt hat, ist jedoch eine Frage, zu deren Beantwortung das Gesetz schlechterdings keine Mittel bereithält. Aber selbst dann, wenn es möglich wäre, auf gesetzlicher Grundlage festzustellen, dass der potentiell Hinterbliebene seiner Unterhaltspflicht durch Geldleistungen nachgekommen ist, wäre die Einkommensanrechnung noch immer kein taugliches Mittel, um das Entfallen dieser Belastung auszugleichen. Denn eine Einkommensanrechnung findet statt, wenn der Hinterbliebene nach dem Tod des Versicherten ein den Freibetrag übersteigendes Einkommen erzielt. Dies geschieht unabhängig von einer möglicherweise mit dem Tod des Versicherten entfallenen finanziellen Belastung: Hat ein Hinterbliebener zu Lebzeiten des Versicherten seine Unterhaltspflicht erfüllt, indem er den Haushalt geführt hat, und erzielt er nach dem Tod des Versicherten erstmalig eigenes Einkommen oberhalb des Freibetrages, muss er sich dieses auf seine Witwen- oder Witwerrente anrechnen lassen. Der Hinterbliebene würde finanziell belastet, obwohl es zu einer finanziellen Entlastung nie gekommen ist. Andersherum ist auch denkbar, dass ein Hinterbliebener zu Lebzeiten des Versicherten seine Unterhaltspflicht durch Geldleistungen aus seinem eigenen Einkommen erfüllt hat, er mit dem Tod des Versicherten seine Erwerbstätigkeit aber einstellt. Obwohl also eine finanzielle Entlastung eingetreten ist, unterbleibt eine Anrechnung, da der Hinterbliebene kein eigenes Einkommen mehr erzielt. (b) Die Einkommensanrechnung als Mittel zur Berücksichtigung einer entfallenen Belastung – ein Systembruch Darüber hinaus droht ein Systembruch von dem Argument auszugehen, die Einkommensanrechnung stelle einen Ausgleich für die entfallene Unterhaltspflicht des Hinterbliebenen dar. Wie gezeigt, kommt als auszugleichende Entlastung nur eine solche finanzieller Art in Frage. Zu ermitteln, ob eine finanzielle Entlastung eingetreten ist, erfordert aber – auch das wurde festgestellt – die Beantwortung der Frage, auf welche Weise der potentiell Hinterbliebene seine Unterhaltspflicht erfüllt hat: durch Leistungen in Geld oder durch das Führen des Haushaltes oder durch beides. Die Beantwortung der Frage, wie die Ehegatten ihre gegenseitigen Unterhaltspflichten erfüllen, wird aber im Unterhaltsrecht selbst seit dem Ersten Eherechtsreformgesetz257 allein den Ehegatten überlassen;258 der Gesetzgeber enthält sich hier jeder Regelung. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten sollte, solange der Gesetzgeber ihm noch Unterhaltsersatzfunktion beimisst und damit die Stellung eines „postmortalen Unterhaltsrechts“ zuweist, systematische Brüche zum Unterhaltsrecht jedoch vermeiden und so weit wie möglich parallel zum Unterhaltsrecht verlaufen. Diese Parallelität des Rechts der Witwen- und Witwerrenten zum ehelichen Unterhaltsrecht hatte seit der Einführung der Witwen- und Witwerrenten durch die 257 258

BGBl. 1976/I, S. 1421 ff. BT-Drs. 7/650, S. 99 f.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Reichsversicherungsordnung im Jahr 1911259 Tradition.260 Unterbrochen wurde die Parallelität 1957 durch das Gleichberechtigungsgesetz261: Für das eheliche Unterhaltsrecht galt fortan zwar eine beiderseitige Unterhaltspflicht, der Anspruch auf Witwerrente stand aber weiterhin unter der Voraussetzung, dass die Ehefrau den Unterhalt überwiegend bestritten hat (§§ 1266 RVO, 43 Abs. 1 AVG).262 Diese Kluft zwischen dem ehelichen Unterhaltsrecht und dem Recht der Witwen- und Witwerrenten wurde – dem Reformauftrag des Bundesverfassungsgerichts263 entsprechend – mit der Einführung des HEZG zum 1. Januar 1986264 wieder geschlossen. Ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente besteht seitdem, ohne dass gefragt wird, welcher Ehegatte auf welche Weise seine Unterhaltspflicht erfüllt hat.265 Diese durch das HEZG geschlossene Kluft zwischen dem Recht der Witwen- und Witwerrenten einerseits und dem ehelichen Unterhaltsrecht andererseits bricht man jedoch wieder auf, wenn man die Anrechnungsregelungen als Ausgleich für eine finanzielle Entlastung des Hinterbliebenen ansehen will und daher gezwungen ist, festzustellen, ob eine ausgleichbare finanzielle Belastung vor dem Tod des Versicherten überhaupt bestanden hat. bb) Die Einkommensanrechnung als „hypothetische Fortschreibung“ der ehelichen Unterhaltsverhältnisse? Die beiden zuvor betrachteten Versuche zur Rechtfertigung der Einkommensanrechnung mit dem Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten scheitern – wie gezeigt – daran, dass jeweils Kenntnis der konkreten ehelichen Unterhaltsverhältnisse erforderlich ist, das Gesetz die Verschaffung dieser Kenntnis aber nicht vorsieht. Einen Weg, diesen insoweit verwehrten Blick auf die vor dem Tod des Versicherten herrschenden Unterhaltsverhältnisse nicht werfen zu müssen, bietet die Annahme, das Recht der Witwen- und Witwerrenten stelle eine hypothetische Fortschreibung der ehelichen Unterhaltsverhältnisse dar.266 Diese Fortschreibung gestaltet sich wie folgt: Das Fortbestehen des ehelichen Unterhaltsverhältnisses nach dem 259

RGBl., S. 509. Fuchs, S. 325, 327; Kolb, DRV 1984, 635, 638; ders., DRV 1985, 40, 41; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 187; Ruland, Familiärer Unterhalt, S. 138. 261 BGBl. 1957/I, S. 609 ff. Streng betrachtet endete die Parallelität bereits nach dem 31. März 1953: Gem. Art. 117 Abs. 1 GG verlor § 1360 BGB a.F. aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 2 GG zu diesem Zeitpunkt seine Wirksamkeit. 262 Ein kritischer Ansatz hierzu findet sich in BVerfGE 17, 1, 19. 263 BVerfGE 39, 169 ff. 264 BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 265 Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 324; ähnlich Hase, JZ 2000, 591, 599. 266 Ein Ansatz dazu findet sich bei Krause, DRV 1985, 254, 256; ähnlich Heine, FamRZ 1986, 113, 119 f., der kritisiert, durch die Einkommensanrechnung werde ein gegenseitiges Unterhaltsverhältnis fingiert, in dem der verstorbene Versicherte durch den zuständigen Träger der Rentenversicherung ersetzt werde. Von der Fiktion eines Unterhaltsverbandes ist auch die Rede bei Ruland, Auflösung und Neubildung, S. 138, 144. 260

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Tod des Versicherten wird fingiert, indem an die Stelle der Unterhaltsleistungen des Versicherten die Unterhaltsersatzleistungen des zuständigen Trägers der Rentenversicherung treten. Das fingierte Unterhaltsverhältnis passt sich aber – ebenso wie das wirkliche Unterhaltsverhältnis – veränderten Umständen an, die sich daraus ergeben, dass der Hinterbliebene erstmalig eigenes Einkommen oder eigenes Einkommen in anderer Höhe als zuvor erzielt. Die Argumentation zur Rechtfertigung der Einkommensanrechnung müsste insoweit lauten: Wäre der Versicherte nicht verstorben, so hätte er geringere Unterhaltsleistungen an den potentiell Hinterbliebenen erbracht, wenn dieser eigenes Einkommen in der Höhe erzielt hätte, in der der Hinterbliebene gegenwärtig eigenes Einkommen erzielt. Diesen hypothetisch niedrigeren Ausfall der Unterhaltsleistungen des Versicherten – so müsste weiter argumentiert werden – übertragen die Anrechnungsvorschriften auf den Unterhaltsersatzanspruch, womit sie die Fiktion des fortbestehenden Unterhaltsverhältnisses erst vervollkommnen. (1) Wiederum: drohender Systembruch Die Annahme, das Recht der Witwen- und Witwerrenten stelle eine hypothetische Fortschreibung der ehelichen Unterhaltsverhältnisse dar, die nur dann vollständig sei, wenn eine Einkommensanrechnung stattfindet, setzt zwar – wie erwähnt – keine Kenntnis über die konkrete Gestaltung der vor dem Tod des Versicherten herrschenden Unterhaltsverhältnisse voraus. Indem argumentiert wird, der Versicherte hätte weniger Unterhalt geleistet, wenn der potentiell Hinterbliebe eigenes Einkommen in der Höhe erzielt hätte, in welcher der Hinterbliebene gegenwärtig eigenes Einkommen erzielt, werden aber Vermutungen angestellt über die Art, auf welche die Ehegatten ihre wechselseitigen Unterhaltspflichten erfüllt hätten – durch Geldleistungen oder durch das Führen des Haushaltes. Das Anstellen derartiger Vermutungen führt aber, wie im Hinblick auf das zuvor betrachtete Argument bereits gezeigt wurde,267 zum Bruch mit dem Unterhaltsrecht, das die Entscheidung darüber, wer seine Unterhaltspflicht wie erfüllt, allein den Ehegatten überlässt. (2) Die Einseitigkeit der Fortschreibung der ehelichen Unterhaltsverhältnisse Darüber hinaus kann nicht angenommen werden, das Recht der Witwen- und Witwerrenten stelle eine hypothetische Fortschreibung der ehelichen Unterhaltsverhältnisse dar, weil eine solche Fortschreibung nur eine einseitige wäre: Während über die Anrechnungsvorschriften eine Weiterentwicklung bei den Einkommensverhältnissen des Hinterbliebenen Berücksichtigung findet, wird das Einkommensniveau des Versicherten auf dem Stand eingefroren, der zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten erreicht ist. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich die ehelichen Unterhaltsverhältnisse hypothetisch fortschreiben wollen, so hätte er in die Berechnung der Höhe des Anspruches auf eine große Witwen- oder Witwerrente einen Faktor einfügen müssen, der – in typisierter Weise – eine Weiterentwicklung des Einkommens des Versicherten fingiert. 267

Siehe oben 3. Teil, § 2, A.III.3.b)aa)(2)(b).

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Ein bestimmtes Maß an Weiterentwicklung ist zwar durch die Einbeziehung des aktuellen Rentenwertes gewährleistet. Der aktuelle Rentenwert ist jedoch Bestandteil der Berechnung einer jeden Rente: Er soll sicherstellen, dass die Rentenberechtigten an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben.268 Insoweit steht er in keinerlei Zusammenhang mit der Annahme, das Recht der Witwen- und Witwerrenten schreibe die ehelichen Unterhaltsverhältnisse hypothetisch fort. Zusammenfassend ist folglich festzuhalten, dass die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV sich als unangemessen erweist. Die Anrechnungsregelungen gehen insoweit über die Grenzen des Zumutbaren hinaus, als sie die Möglichkeit eröffnen, einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente überwiegend oder gar vollständig ruhen zu lassen; sie sind auch nicht durch einen wie auch immer gearteten Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten zu rechtfertigen. IV. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes Darüber hinaus verstieß die Einführung der Anrechnungsvorschriften auch insoweit gegen Art. 14 GG, als sie das Vertrauen in den ungeschmälerten Fortbestand der Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente derjenigen verletzte, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des HEZG witwen- und witwerrentenberechtigt waren. Nun liegt dieser Grundrechtsverstoß, der sich in der Einführung der Einkommensanrechnung erschöpfte, ein knappes Vierteljahrhundert zurück und kann damit kaum mehr Aktualität für sich beanspruchen. Dennoch soll die Problematik hier erörtert werden – nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern auch, weil sie in der Literatur seinerzeit eher stiefmütterlich behandelt wurde269. Zunächst wird dabei dargelegt, warum Art. 14 GG einen speziellen Vertrauensschutztatbestand beinhaltet. Sodann erfolgt die Darstellung der Gründe, aus denen sich eine Verletzung schutzwürdigen Vertrauens durch die Einführung der Vorschriften zur Einkommensanrechnung ergibt. 1. Art. 14 GG als spezielle Vertrauensschutznorm Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hat der Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Eigentumsgarantie eine eigenständige Ausprägung in Art. 14 Abs. 1 GG gefunden.270 Von diesem Standpunkt wich das Gericht zeitweilig271

268

Ruland, GK-SGB VI, § 68, Rn. 41. Vgl. dazu – soweit ersichtlich – lediglich Krause, DRV 1985, 254, 257; Papier, DRV 1985, 272, 273. 270 BVerfGE 31, 275, 293; BVerfGE 36, 281, 293; BVerfGE 42, 263, 300 f.; BVerfGE 45, 142, 168; BVerfGE 53, 257, 309; BVerfGE 58, 81, 120; BVerfGE 64, 87, 104; BVerfGE 70, 101, 114; BVerfGE 71, 1, 11 f.; BVerfGE 75, 78, 104 f. 271 Eingeleitet wurde diese vorübergehende Abkehr von einem speziell eigentumsrechtlichen Vertrauensschutz durch BVerfGE 95, 64 ff.; insoweit entsprechende Entscheidungen sind BVerfGE 97, 378, 388 ff.; BVerfGE 98, 17, 39 f.; BVerfGE 101, 239, 257 ff., 262 ff.; gegen 269

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ab und prüfte eine Verletzung schutzwürdigen Vertrauens auch im Falle der Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 14 Abs. 1 GG „nur“ unter Heranziehung der allgemeinen Kriterien des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbotes.272 Später kehrte das Bundesverfassungsgericht jedoch zu der Ansicht zurück, in Art. 14 Abs. 1 GG sei ein eigentumsspezifischer Vertrauensschutz verankert.273 Diese Kehrtwende war ebenso richtig wie notwendig. Die Frage, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes für eigentumsrechtlich geschützte Positionen in Art. 14 GG oder im Rechtsstaatsprinzip zu verorten ist, hat nämlich nicht nur rein dogmatischen Charakter; sie betrifft auch die Reichweite des Vertrauensschutzes.274 Nach dem allgemeinen Rückwirkungsverbot ist zwischen echter (retroaktiver) und unechter (retrospektiver) Rückwirkung zu unterscheiden.275 Echte Rückwirkung liegt dabei dann vor, wenn nachträglich regelnd in einen in der Vergangenheit bereits abgeschlossenen Tatbestand eingegriffen wird.276 Ein Fall unechter Rückwirkung dagegen ist gegeben, wenn die fragliche Regelung zwar einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.277 Während echte Rückwirkung grundsätzlich unzulässig ist,278 gilt für die unechte Rückwirkung das Gegenteil: Sie ist zulässig, wenn nicht ausnahmsweise schutzwürdiges Vertrauen entgegensteht.279 Legt man das allgemeine Rückwirkungsverbot zugrunde, so hängt demnach das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung ganz maßgeblich von der Einordnung einer Maßnahme als in echter oder unechter Weise rückwirkend ab.280 Dieser Umstand erweist sich insofern als problematisch, als im konkreten Fall häufig nicht hinreichend scharf zwischen echter und unechter Rückwirkung getrennt werden kann, sodass eine Maßnahme sich mit jeweils gleicher Berechtigung sowohl als solche mit echter als auch als solche mit unechter Rückwirkung einstufen lässt.281

eine eigentumsspezifische Ausprägung des Vertrauensschutzes auch H. Bogs, FS Zacher, S. 65, 67 ff. 272 Vgl. dazu Appel, DVBl. 2005, 340, 344 ff.; Axer, FS Isensee, S. 965, 971; Grochtmann, Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, S. 44 ff. 273 BVerfG, NJW 1998, 367, 368; BVerfG, EuGRZ 1998, 689, 691 f.; BVerfG, NVwZ 1999, 979, 980; BVerfG, NVwZ 2002, 1365, 1365. 274 Appel, DVBl. 2005, 340, 344; Axer, FS Isensee, S. 965, 971; Münch/Kunig-Bryde, Art. 14, Rn. 64; Grochtmann, Rechtsfragen der Eigentumsdogmatik, S. 45, Fn. 190; Papier, SRH, § 3, Rn. 123; ders., SGb 1994, 105, 108; Preis/Kellermann, SGb 1999, 329, 340; Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 239. Die Reichweite des jeweiligen Schutzes für identisch hält dagegen Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 199; kritisch auch Neumann, NZS 1998, 401, 407 f. Widersprüchlich hierzu Jarass, NZS 1997, 545, 548. 275 BVerfGE 72, 175, 196. 276 BVerfGE 57, 361, 391; BVerfGE 72, 175, 196; BVerfGE 94, 241, 259. 277 BVerfGE 72, 175, 196; BVerfGE 79, 29, 45 f.; BVerfGE 89, 48, 66 f. 278 BVerfGE 30, 367, 387 ff. 279 BVerfGE 97, 271, 289. 280 Degenhart, Staatsrecht, Rn. 369; Papier, SRH, § 3, Rn. 125. 281 Papier, FS Leisner, S. 721, 731; ders., SGb 1994, 105, 108.

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Zwar hat diese Problematik im Sozialversicherungsrecht kaum Relevanz: Hier sind regelmäßig Rechtspositionen des Versicherten betroffen, die sich aus dem Verhältnis zu einem Versicherungsträger ergeben, das meist bis zum Tod des Versicherten fortbesteht. Wenn der in Frage stehende Sachverhalt aber erst mit dem Tod des Versicherten seinen Abschluss findet, bleibt für eine echte Rückwirkung kein Raum. Ein Fall echter Rückwirkung ist daher im Sozialversicherungsrecht kaum denkbar.282 Eben diese Erkenntnis lässt aber deutlich werden, dass die Erstreckung des allgemeinen Rückwirkungsverbotes auf sozialversicherungsrechtliches Eigentum nicht sachgerecht ist: Liegt bei Eingriffen in sozialversicherungsrechtliche Positionen regelmäßig ein Fall unechter Rückwirkung vor, so ist dieser Eingriff nach den Grundsätzen des allgemeinen Rückwirkungsverbotes ebenso regelmäßig zulässig. Ein solcher Automatismus zugunsten einer Zulässigkeit283 von Eingriffen steht jedoch in Widerspruch dazu, dass eine Rechtsposition, die in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen ist, im Verhältnis zu spezialgrundrechtlich nicht geschützten Rechten qualifizierten Anforderungen genügt.284 Einer insoweit auch qualifiziert schutzwürdigen Rechtsposition muss ein ebenso qualifizierter Schutz zuteil werden.285 Damit die Eigentumsgarantie Freiheit im vermögensrechtlichen Bereich sichern kann, muss der Schutz des Vertrauens auf den Bestand von Vermögensrechten der Grundsatz und darf die Zulässigkeit eines Eingriffes nur die Ausnahme sein, nicht umgekehrt.286 2. Verletzung des geschützten Vertrauens durch § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV Auch mit der Einführung der Vorschriften zur Anrechnung von Einkommen auf die Witwen- und Witwerrenten lag ein Fall unechter Rückwirkung vor.287 Geht man entsprechend dem eben Gesagten davon aus, dass bei einem Vertrauensschutz aus Art. 14 GG auch eine unechte Rückwirkung als grundsätzlich unzulässig einzustufen ist, so erweist sich die Einführung der Einkommensanrechnung als Verletzung des geschützten Vertrauens der Witwen- und Witwerrentenberechtigten in den ungeschmälerten Fortbestand ihrer Positionen. 282 Brall/Dünn/Fasshauer, DRV 2005, 460, 476; Jarass, NZS 1997, 545, 548; Rüfner, VSSR 1974, 68, 89; Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 202; Stober, DVBl. 1984, 857, 863; Zacher/Ruland, SGb 1974, 441, 444. 283 Abgeschwächt wird dieser Automatismus zugegeben durch die trotz der Anerkennung einer grundsätzlichen Zulässigkeit unechter Rückwirkung durchzuführende Abwägung. In deren Rahmen erkennt das BVerfG allerdings den Allgemeinwohlbelangen regelmäßig höheres Gewicht zu als den Belangen des Betroffenen (vgl. dazu Appel, DVBl. 2005, 340, 346 f.). 284 Appel, DVBl. 2005, 340, 347. 285 Appel, DVBl. 2005, 340, 347. 286 Appel, DVBl. 2005, 340, 347; Axer, FS Isensee, S. 965, 971; Münch/Kunig-Bryde, Art. 14, Rn. 64; Papier, SGb 1994, 105, 108; F. Rauschenbach, ZfSH/SGB 1984, 396, 399; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 35; Thieme, FS Wannagat, S. 599, 611 f. 287 BVerfGE 97, 271, 289.

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Zwar hat der Gesetzgeber mit der Einführung des HEZG ein ausdifferenziertes Übergangsrecht geschaffen. Nach § 314 Abs. 1 SGB VI gilt § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV nicht für Vollrechte, die vor dem 1. Januar 1986 – dem Datum des Inkrafttretens des HEZG –, bestanden. Außerdem wurden auch alle erst nach Inkrafttreten der Anrechnungsregelungen entstehenden Vollrechte von der Einkommensanrechnung ausgenommen, wenn die Ehegatten innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren ab dem Inkrafttreten eine Erklärung des Inhalts abgegeben haben, das Altrecht solle auf sie Anwendung finden. Dieses Wahlrecht zwischen der Anwendbarkeit von Neu- und Altrecht stand allerdings nur Ehegatten offen, die am 1. Januar 1986 bereits über 50 Jahre alt waren (Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG). Damit wurde aber das Vertrauen des Großteils der Versicherten in den ungeschmälerten Fortbestand ihrer Positionen nicht geschützt, nämlich das Vertrauen all derer, die am 1. Januar 1986 weder einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente innehatten noch über 50 Jahre alt und verheiratet waren288. Eine besondere Härte stellte dies für die männlichen Versicherten, die am 1. Januar 1986 zwar bereits über 50 Jahre alt waren, zu diesem Zeitpunkt noch nicht oder nicht mehr in einer wirksamen Ehe lebten, eine (erneute) Heirat aber beabsichtigten sowie für weibliche Versicherte gleichen Alters dar, die im Falle einer beabsichtigten Eheschließung den Familienunterhalt überwiegend bestritten hätten. Sie durften – wie alle anderen männlichen bzw. überwiegend den Familienunterhalt bestreitenden weiblichen Versicherten auch – damit rechnen, dass sie einem Ehegatten einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente verschaffen konnten, der sich in jedem Fall auf (damals noch) 60 Prozent ihrer eigenen Versichertenrente belaufen würde. Durch die Einführung der Anrechnungsregelungen wurde diese Aussicht zerstört: Erzielte der Ehegatte ein eigenes Einkommen, bestand nun die Möglichkeit, dass dieser anstatt einer Witwen- oder Witwerrente in Höhe von 60 Prozent der Versichertenrente einen Anspruch erwerben würde, der anrechnungsbedingt wertlos ist. Diese Folge der Einführung der Einkommensanrechnung traf – wie erwähnt – zwar alle männlichen und überwiegend den Familienunterhalt bestreitenden weiblichen Versicherten, die nicht von den Übergangsvorschriften geschützt wurden; die Versicherten, die am 1. Januar 1986 älter als 50 Jahre alt waren, waren jedoch besonders hart betroffen, weil sie bereits in verhältnismäßig großer Nähe zum Renteneintrittsalter standen. Zu diesem Zeitpunkt noch eine anderweitige Absicherung aufzubauen, durch die sich die Lücken schließen ließen, welche durch die Reform unter Umständen entstanden, dürfte mit vertretbarem Aufwand nicht mehr möglich gewesen sein. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass den Versicherten unter Umständen kaum noch oder sogar gar keine Mittel mehr für den Aufbau einer anderweitigen Absicherung zur Verfügung standen, nachdem sie bereits zwangsweise Beiträge für die Witwen- oder Witwerrente erbracht hatten.

288 Ein Wahlrecht bestand auch dann, wenn der Betroffene am 1. 1. 1986 verheiratet war, der Ehegatte aber noch vor dem 31. 12. 1988 verstorben ist, vgl. BSG, SozR 5750 Art 2 § 18 Nr. 1, insb. S. 7 ff.

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Dazu wurde seinerzeit vereinzelt geäußert, das Vertrauen der Versicherten in den Fortbestand der witwen- und witwerrentenrechtlichen Rechtslage sei durch die Erteilung des Reformauftrages des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 12. März 1975289, der durch die Einführung des HEZG umgesetzt wurde, in seiner Schutzwürdigkeit herabgesetzt gewesen.290 Dadurch wurde jedoch verkannt, dass die Inhaber von Anwartschaften und Vollrechten auf Witwen- oder Witwerrente nach dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zwar womöglich mit einer rechtsverkürzenden Änderung rechnen mussten; es fehlte ihnen aber an einer Möglichkeit, auf diese drohende Änderung adäquat zu reagieren: Für die Inhaber einer Anwartschaft wäre als Reaktion eine anderweitige Absicherung ihrer Ehegatten in Betracht gekommen. Auf eine solche Möglichkeit anderweitiger Absicherung gegen ein bestimmtes Risiko musste und muss sich jedoch niemand verweisen lassen, der bereits zwangsweise Mittel an ein System abführt, das der Sicherung gegen eben dieses bestimmte Risiko dienen soll.291 Den Inhabern von Vollrechten hätte die Möglichkeit offengestanden, ein höheres eigenes Einkommen zu erzielen, um so mögliche reformbedingte Kürzungen ihrer Ansprüche auszugleichen oder wenigsten abzufedern. Dem steht jedoch entgegen, dass jedenfalls große Witwen- und Witwerrenten gerade gezahlt werden, weil – typisiert – davon ausgegangen wird, der Betroffene sei nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen292. Insgesamt bleibt daher festzustellen, dass durch die Einführung der Anrechnungsregelungen das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vertrauen all derer verletzt wurde, die von Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG nicht erfasst wurden, nämlich derjenigen, die am 1. Januar 1986 nicht sowohl verheiratet als auch über 50 Jahre alt waren. V. Verletzung des Erbrechts durch die Anrechnungsvorschriften? Von einigen Autoren werden auch Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Anrechnungsvorschriften mit dem Erbrecht vorgebracht.293 Die Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung grenze die Möglichkeiten der Versicherten, vererbbares Vermögen anzuhäufen, stark ein.294 Dem Hinterbliebenen müsse ein Anteil der vom Versicherten insgesamt erworbenen Anrechte übertragen werden.295 Das Erbrecht ist mit dem Eigentum untrennbar verknüpft: Als Recht, über eigentumsgeschützte Gegenstände frei verfügen zu können – von Todes wegen –, stellt es 289

BVerfGE 39, 169 ff. Krause, DRV 1985, 254, 257; anklingend auch in BVerfGE 97, 271, 286. 291 Axer, FS Isensee, S. 965, 976. 292 Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 12. 293 Papier, DRV 1985, 272, 274; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 223; Ruland, NJW 1986, 20, 26, 28; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1985, 278, 280, 286. 294 Ruland, ZRP 1978, 107, 110; ders., Familiärer Unterhalt, S. 214. 295 Ruland, NJW 1986, 20, 26; ders., DRV 1985, 278, 280. 290

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letztlich nichts anderes als einen Ausschnitt der typischen Rechte des Eigentümers dar; die Trennung zwischen Eigentum und Erbrecht, die das Grundgesetz vornimmt, ist lediglich traditionell bedingt.296 Um die Frage beantworten zu können, ob § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV das Erbrecht verletzt, ist zunächst zu klären, ob ein verletzbares Erbrecht überhaupt besteht: In seiner Ausgestaltungsbedürftigkeit umfasst der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nur die vom einfachen Gesetzgeber dem Eigentümer zugestandenen Rechte.297 Tatsächlich wird teils vertreten, die Witwen- oder Witwerrente sei ein Recht, das der hinterbliebene Ehegatte im Wege der Universalsukzession vom Versicherten erwerbe.298 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen.299 Sollte der Hinterbliebene die Witwen- oder Witwerrente vom Versicherten erben, hieße das, dass zuvor der Versicherte Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente gewesen sein muss. Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente ist aber gerade der Tod des Versicherten. Inhaber des Vollrechtes auf Witwen- oder Witwerrente kann daher ausschließlich der Hinterbliebene sein; der Versicherte vermag nicht, es zu Lebzeiten zu erwerben,300 nicht einmal für eine logische Sekunde301. Aber selbst dann, wenn man davon ausginge, der Hinterbliebene habe den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente vom Versicherten geerbt, wäre damit zwar das Bestehen eines Erbrechtes anerkannt; verletzt würde dieses Erbrecht durch die Anrechnungsvorschriften jedoch nicht: Das vom Versicherten hinterlassene wäre mit dem vom Hinterbliebenen erworbenen Recht identisch. Es fehlte folglich bereits an einem Eingriff. Die Verletzung eines bestehenden Erbrechtes durch die Vorschriften zur Einkommensanrechnung ließe sich nur dann bejahen, wenn es sich bei der Witwen- oder Witwerrente um die im Wege der Universalsukzession wietergegebene Versichertenrente handelt. Weil die Witwen- oder Witwerrente sich dem Grunde nach nur auf 55 Prozent der Versichertenrente beläuft, wäre nur in diesem Fall eine Verkürzung von Rechten feststellbar. Die Witwen- oder Witwerrente stellt jedoch keine „vererbte Ver-

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Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 919. In diesem Zusammenhang ebenso: Krause, DRV 1985, 254, 259. 298 Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130. 299 Ebenso Butzer, FS Isensee, S. 667, 679. 300 Ebenso, aber mit anderer Begründung Hase, Versicherungsprinzip, S. 322, Fn. 244. 301 Eine solche Konstruktion schlägt aber vor Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, S. 130. Anders verhält es sich nach einer häufig vertretenen Auffassung bei privatrechtlichen Lebensversicherungen mit widerruflicher Bezugsberechtigung: Schützenswerte Gläubigerinteressen führten dazu, dass das Vollrecht in den Nachlass fallen müsse, und stünden daher einem Direkterwerb des Begünstigten entgegen (so Finger, JuS 1969, 309, 313; Kipp-Coing, Erbrecht, S. 359 f.; Hoffmann, AcP 158 (1959), 178, 194 ff.; Zehner, AcP 153 (1954), 424, 451 f.). Auf die Hinterbliebenenversicherung lassen sich derartige Wertungen indes nicht übertragen: Die Hinterbliebenenversicherung steht außerhalb des Nachlasses, vgl. Kuhnel, Die juristische Sekunde, S. 54 ff., Bruck-Möller-Winter-Winter, Anm. H 133. 297

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sichertenrente“ dar.302 Eine Verknüpfung zwischen Versichertenrente und Witwenoder Witwerrente besteht zwar insofern, als Grundlage für die Berechnung des Anspruches auf letztere die von den persönlichen Entgeltpunkten des Versicherten abgeleiteten Entgeltpunkte des Hinterbliebenen sind (§ 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Es mag insoweit angemessen sein, von den Witwen- und Witwerrenten als einem „sozialen Erbe“303 zu sprechen; ein Erbrecht im rechtstechnischen Sinne steht dem Versicherten hinsichtlich seiner Versichertenrente jedoch nicht zu304. Voraussetzung für ein solches Erbrecht wäre nämlich, dass dem Hinterbliebenen mit dem Tod des Versicherten kraft Gesetzes eine Rechtsposition zufällt, die zuvor ansonsten inhaltlich identisch dem Versicherten zugestanden hat. Das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente ist jedoch keineswegs eine ehemalige, womöglich nur partiell übertragene305 Versichertenrente unter „neuer Flagge“, sondern ein Recht, das erstmalig und originär beim Hinterbliebenen entsteht306 und insoweit keinerlei Überschneidungen mit der Versichertenrente aufweist. Ein durch die Einkommensanrechnung verletzbares Recht des Versicherten, seine Rente im Wege des Erbgangs weiterzugeben, besteht folglich nicht. Getrennt davon muss jedoch gefragt werden, ob der Umstand, dass die Versichertenrente in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen ist, dem Gesetzgeber gebietet, eine Möglichkeit zu schaffen, über seine versichertenrentenrechtliche Positionen von Todes wegen verfügen zu können. Diese Frage ist zu verneinen.307 Anders als es auf die meisten Verfügungsmöglichkeiten unter Lebenden zutrifft, vereitelte das Recht, von Todes wegen über die Versichertenrente verfügen zu können, das mit der Versichertenrente verfolgte Ziel – die Absicherung gegen das Risiko des Verlustes eigenen Einkommens308 – zwar nicht.309 Ebenso wenig diente es der Zielerreichung allerdings: Mit dem Tod des Versicherten entfällt auch dessen Risiko, eigenes Einkommen einzubüßen. Folglich bestehen vor dem Hintergrund des Sicherungszweckes der Versichertenrente zwar keine Bedenken gegen die Einführung eines Rechts, die Versichertenrente „zu vererben“; die Einführung eines solchen Rechts ist jedoch weder grundrechtlich geboten, noch entspricht sie dem Sicherungszweck der Versichertenrente. Dass der Eigentümer keine Möglichkeit hat, von Todes wegen über seine Position zu verfügen, stellt zudem keinen Umstand dar, der allein das (renten-)versicherungsrechtliche Eigentum betrifft. Sehr ähnliche Beschränkungen las302

Anderer Ansicht: Ruland, JuS 1986, 75, 77; ders., NJW 1986, 20, 28; zurückhaltender ders., Familiärer Unterhalt, S. 213 f., wo nur von einer Vergleichbarkeit mit dem Erbrecht die Rede ist. 303 Ruland, Familiärer Unterhalt, S. 213 f.; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 160; ders., ZRP 1978, 107, 110; ders., DRV 1985, 278, 280; ders., NJW 1986, 20, 26. 304 Butzer, FS Isensee, S. 667, 679; Krause, DRV 1985, 254, 259. 305 So Ruland, DRV 1985, 278, 280; ders., NJW 1986, 20, 26. 306 BSGE 92, 113, 121; Butzer, FS Isensee, S. 667, 679. 307 Krause, DRV 1985, 254, 259. 308 BVerfGE 97, 271, 287. 309 Vgl. dazu §§ 31, 32, 53 SGB I.

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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sen sich auch etwa im Recht der – ebenfalls eigentumsgeschützten – Grunddienstbarkeiten finden (§ 1092 BGB). Zusammengefasst wurde zu § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV damit Folgendes festgestellt: Die Einkommensanrechnung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG, nicht aber eine Enteignung dar. Dieser Eingriff ist mangels Angemessenheit unverhältnismäßig und daher rechtswidrig. Mit der Einführung der Anrechnungsvorschriften verletzte der Gesetzgeber darüber hinaus den Grundsatz des Vertrauensschutzes, der sich für dem Eigentumsschutz unterliegende Positionen nicht nach den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen richtet, sondern in Art. 14 Abs. 1 GG eine spezielle Ausprägung gefunden hat. Im Hinblick auf das Erbrecht wurde ermittelt, dass dieses nicht durch § 97 Abs. 1 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV verletzt wird und Art. 14 GG dem Gesetzgeber auch nicht gebietet, den Versicherten die Möglichkeit zu geben, über ihre Versichertenrente von Todes wegen verfügen zu können.

B. Exkurs: Einkommensanrechnung und der eigentumsrechtliche Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK I. Die Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK auf witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen Der eigentumsrechtliche Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG, den die Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente – wie im 2. Teil festgestellt – genießen, könnte in europarechtlicher Hinsicht durch einen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZPEMRK ergänzt werden. Sollte ein solcher Schutz bestehen, erscheint es möglich, dass die Anrechnungsvorschriften in eigentumsrechtlicher Hinsicht nicht nur nicht mit dem Grundgesetz, sondern darüber hinaus auch nicht mit der EMRK vereinbar sind. Voraussetzung für einen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK ist, dass witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen überhaupt in den Anwendungsbereich der Norm fallen. Für eine weite, auch die Berechtigungen von Witwen und Witwern als sozialversicherungsrechtliche Positionen umfassende Auslegung der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK enthaltenen Eigentumsgarantie spricht bereits die Verwendung der Begriffe „property“ und „possessions“ sowie „proprit“ und „biens“ in der verbindlichen englischen bzw. französischen Fassung des Textes.310 Trotz dieses offenbar weiten Anwendungsbereiches blieb dennoch lange Zeit unklar, ob und – bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen sozialversicherungsrechtliche Ansprüche dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK unterfallen.

310 Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 86; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 359 f.; Peukert, EuGRZ 1981, 97, 99 f.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

1. Die Anforderungen an den Zusammenhang von Beitrag und Leistung Die EKMR äußerte sich zwar wiederkehrend dahingehend, dass „the fact of having contributed to a social security system may, in some cases, give rise to a right protected by Article 1 of the First Protocol”311. Dass Beitragsleistungen allein jedoch nicht ausreichen, um einen Eigentumsschutz zu bewirken, wurde in einer Entscheidung der EKMR aus dem Jahr 1972 deutlich, die sich mit dem niederländischen Rentensystem befasste:312 Das niederländische Recht erlegte den Versicherten die Pflicht auf, Rentenbeiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes ihres Einkommens zu leisten. Die geleisteten Beiträge wurden, ähnlich wie im deutschen Recht, in einem Umlagefinanzierungsverfahren dazu verwendet, die bestehenden Alters- und Hinterbliebenenrentenansprüche der aktuell Rentenberechtigten zu erfüllen. Als Gegenleistung für die erbrachten Beiträge erwarben die Versicherten zunächst eine Anwartschaft und, sobald alle relevanten Voraussetzungen erfüllt waren, einen Anspruch auf Rente. Unabhängig von der Höhe der geleisteten Beiträge war die Höhe der Rentenansprüche jedoch für alle Rentenberechtigten stets identisch. Die EKMR befand, dass aus diesem Grunde ein Schutz der Rentenansprüche und -anwartschaften aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZPEMRK nicht in Betracht komme. Es fehle an einem hinreichenden Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung: „There is […] no relationship between the contributions made and the pension received in the sense of that the amounts paid by the insured person are accumulated with a view to covering the pension benefits accruing to him when reaching pensionable age.“313 Aus dieser Entscheidung ließe sich der Schluss ziehen, dass der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK die deutschen Witwen- und Witwerrenten nicht umfasse. Seitdem durch das HEZG mit Wirkung zum 1. Januar 1986 die Einkommensanrechnung eingeführt wurde, fehlt es nämlich auch im Recht der Witwenund Witwerrenten an einem Zusammenhang zwischen den vom Versicherten geleisteten Beiträgen und der vom hinterbliebenen Ehegatten empfangenen Rentenleistung, wenn der Hinterbliebene anrechenbares Einkommen erzielt. Die Höhe des ausgezahlten Rentenbetrages richtet sich dann – dem niederländischen Recht insoweit gleich – nicht mehr nach den Vorleistungen des Versicherten; sie hängt vielmehr von der Höhe des vom Hinterbliebenen erzielten eigenen Einkommens ab.314 Während das Recht der Witwen- und Witwerrenten auf der Seite der Beitragserhebung

311 EKMR, DR 11, 114, 115; ähnlich EKMR, Yearbook XIV, 224, 241 f.; EKMR, DR 3, 25, 31; EKMR, DR 15, 198, 200; EKMR, DR 19, 100, 104. 312 EKMR, No. 4130/69, CD 38, 9, 15 – X v/Netherlands = EKMR, Yearbook XIV, 224 ff. 313 EKMR, No. 4130/69, CD 38, 9, 15 – X v/Netherlands = EKMR, Yearbook XIV, 224 ff. 314 Vgl. dazu oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb).

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(sozial-)versicherungstypische Merkmale aufweist, ist seine Leistungsseite sozialhilfetypisch geprägt.315 Dass der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK dennoch nicht vor witwen- und witwerrentenrechtlichen Positionen verschlossen bleibt, wird deutlich an der Entscheidung des EGMR im Fall Gaygusuz316, die zugleich die erste Entscheidung überhaupt ist, in der ein Schutz eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK ausdrücklich bejaht wird: Der Beschwerdeführer Gaygusuz, ein türkischer Staatsbürger, wohnte in den Jahren 1973 bis 1987 in Österreich und war dort – mit Unterbrechungen – auch bis 1984 erwerbstätig. Nach dem Ende seiner Erwerbstätigkeit bezog er in Österreich Arbeitslosengeld. Als die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ausgeschöpft war, beantragte Gaygusuz sogenannte Notstandshilfe. Bei der Notstandshilfe handelte es sich um eine Leistung der Arbeitslosenversicherung, die Arbeitslose nach Ablauf der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes absicherte und sich auf mindestens 75 Prozent der Höhe des Arbeitslosengeldes belief. Voraussetzung für den Erhalt von Notstandshilfe war, dass der Arbeitslose seine grundlegenden Lebensbedürfnisse aus eigener Kraft nicht zu befriedigen vermochte. Ob dies zutraf, war unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen zu beurteilen. Weil die Notstandshilfe überdies grundsätzlich nur Österreichern zustand, verweigerte die zuständige Stelle Gaygusuz die beantragten Leistungen. Im Verfahren prüfte der EGMR daher einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK.317 Die österreichische Regierung brachte zur Verteidigung vor, die Notstandshilfe unterfalle nicht der Eigentumsgarantie, weil sie nicht ohne Weiteres aufgrund der Leistung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung gezahlt werde, sondern ihr Erhalt darüber hinaus vom Vorliegen eines Notfalles abhänge.318 Der EGMR ließ diesen Einwand nicht gelten: „Entitlement to this social benefit is […] linked to payment of contributions to the unemployment insurance fund, which is precondition for the payment of unemployment benefit. It follows that there is no entitlement to emergency assistance where such contributions have not been made.“319 Diese rein ursächliche Verknüpfung – die Erbringung von Beiträgen als conditio sine qua non der Leistung – genügt dem

315

Ruland, NJW 1986, 20, 26; ders., JuS 1986, 75, 77; ders., DRV 1985, 278, 286 f. EGMR, RJD 1996, 1129 ff. 317 Art. 14 EMRK spricht ein Diskriminierungsverbot in Bezug auf die „in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten“ aus. Die Norm kann daher nicht für sich stehen, sondern entfaltet nur im Anwendungsbereich eines anderen Grundrechtes Wirkung. Vgl. dazu Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 374. Ein „echter“ Gleichheitssatz wurde in die EMRK erst durch das 12. ZP mit Wirkung zum 1. April 2005 eingefügt. 318 EGMR, RJD 1996, 1129, 1141, Rn. 38. 319 EGMR, RJD 1996, 1129, 1142, Rn. 39. 316

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

EGMR, um die Notstandshilfe in den Anwendungsbereich des Eigentumsschutzes nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK einzubeziehen.320 Die Entscheidung des EGMR im Fall Gaygusuz mag auf den ersten Blick überraschen: In der oben geschilderten, die niederländische Rentenversicherung betreffenden Entscheidung verneinte die EKMR einen Eigentumsschutz noch, weil für den Bezug einer rentenrechtlichen Leistung zwar eine Erbringung von Beiträgen zwingend erforderlich war, womit die Grundvoraussetzung für einen eigentumsrechtlichen Schutz vorlag, der gegebene Zusammenhang von Beitrag und Leistung aber weitere, über eine bloße Ursächlichkeitsbeziehung hinausgehende Anforderungen nicht erfüllte. Im Fall Gaygusuz scheint der EGMR dagegen eine rein ursächliche Verbindung von Beitrag und Leistung für ausreichend zu halten, um einen Eigentumsschutz bejahen zu können. Dieser widersprüchliche Eindruck dürfte insbesondere auf die fast nachlässig anmutende Kürze zurückzuführen sein, in der der EGMR feststellt, dass die Notstandshilfe Eigentumsschutz genießt.321 Doch der Eindruck täuscht: Auch wenn dies in der Entscheidung im Fall Gaygusuz nur wenig deutlich wird, so erfüllt die österreichische Notstandshilfe doch die Anforderungen, die die EKMR zuvor in der Entscheidung zur niederländischen Rentenversicherung an einen Eigentumsschutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK gestellt hat. Der EGMR setzt sich in „Gaygusuz“ nicht in Widerspruch zu den Forderungen der EKMR. Verlangt hat die EKMR nämlich lediglich einen Zusammenhang von Beitrag und Leistung „in the sense of that the amounts paid by the insured person are accumulated with a view to covering the pension benefits accruing to him when reaching pensionable age.“322 Man könnte meinen, die EKMR mache damit die Bildung eines Kapitalstocks, der dazu dient, die späteren Ansprüche des Versicherten abzudecken („cover“), zur Voraussetzung eines eigentumsrechtlichen Schutzes von Rentenansprüchen. In diesem Falle bliebe der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK den – ebenfalls umlagefinanzierten – Witwen- und Witwerrenten in der Tat verschlossen. Eine derartige Voraussetzung stellt die EKMR für einen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK jedoch nicht auf. Die Bildung eines Kapitalstockes ist nur möglich und vorgesehen bei einer im Wege eines Kapitaldeckungsverfahrens finanzierten Sicherung;323 bei der umlagefinanzierten niederländischen Rentenversicherung war offensichtlich auszuschließen, dass die zur Erfüllung der gegenwärtigen Rentenansprü320

EGMR, RJD 1996, 1129, 1142, Rn. 41. Die einschlägige Passage der Entscheidung weist eine Länge von nicht mehr als 20 Zeilen auf. Kritisch dazu Grote/Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 45; Hailbronner, JZ 1997, 397, 398; Pech, Kontinuität und Wandel der EMRK, S. 233, 239. 322 EKMR, No. 4130/69, CD 38, 9, 15 – X v/Netherlands = EKMR, Yearbook XIV, 224 ff. 323 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Forderung nach einem „hinreichenden personalen Bezug von Beitrag und Leistung“ als Voraussetzung eines Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG in BVerfGE 97, 271, 285 unter 2. Teil, § 3, D.I.1.b). 321

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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che erhobenen Beiträge der Versicherten zugleich geeignet sind, die späteren Rentenansprüche der aktuell noch beitragsleistenden Versicherten abzudecken. Eine tiefergehende Betrachtung des Verhältnisses von Beitrag und Leistung, wie die EKMR sie vornimmt, hätte sich daher bereits zu Beginn der Prüfung erübrigt. Mit „cover“ ist daher nicht das Erfüllen der Ansprüche der Versicherten aus einem von ihnen jeweils selbst aufgebauten Kapitalstock, sondern vielmehr nur ein rangstellenmäßiges Entsprechen von erbrachtem Beitrag und erhaltener Rentenleistung gemeint.324 Dies bestätigt die EKMR selbst, indem sie bezüglich der niederländischen Rentenversicherung die Feststellung trifft, dass „a person does not have, at any given moment, an identifiable share in the fund claimable by him […].“325 Die Beiträge, die der Einzelne zur Rentenversicherung leistete, schlugen sich nicht im Erwerb einer der Beitragshöhe entsprechenden Rangstelle nieder; in welchem Maße der einzelne Versicherte zur Rentenversicherung beigetragen hatte, war für die spätere, stets gleiche Rentenhöhe ohne jede Bedeutung. Anders verhält es sich hinsichtlich der österreichischen Notstandshilfe: Weil sie mindestens 75 Prozent des zuvor gewährten Arbeitslosengeldes beträgt, das seinerseits an die Höhe des vor der Arbeitslosigkeit erzielten Entgelts geknüpft ist, findet eine Abstufung nach der Höhe der erbrachten Leistungen statt. Die Abstufung des Leistungsumfanges nach der Höhe der erbrachten Beiträge wird dabei jedoch nicht bis ins Letzte durchgehalten. Beeinträchtigt wird die Beitragsbezogenheit der Leistung durch den Umstand, dass mindestens 75 Prozent des Arbeitslosengeldes gezahlt werden. Im Bereich unterer Einkommen wäre die Notstandshilfe nicht ausreichend, um die elementarsten Bedürfnisse zu erfüllen, wenn sie stets nur 75 Prozent des Arbeitslosengeldes betrüge, das sich seinerseits wiederum nur auf einen bestimmten Anteil des zuvor erzielten Entgelts beläuft. Daher wird die Notstandshilfe in diesen Fällen aufgestockt. Weil die Aufstockung aber dazu führt, dass der betroffene Arbeitslose mehr erhält, als ihm aufgrund seiner geleisteten Beiträge eigentlich zustünde, führt sie insoweit zu einer Nivellierung der Beitragsunterschiede. Trotz dieses durch die Aufstockung abgeschwächten Zusammenhangs von Beitrag und Leistung nimmt der EGMR aber einen Eigentumsschutz der Notstandshilfe an. Die gleiche Wirkung, die die Aufstockung der Notstandshilfe auf das Verhältnis von Beitrag und Leistung hat, entfaltet aber die Anrechnung von Einkommen im Bereich der Witwen- und Witwerrenten: Dem Grunde nach ist der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente abhängig von den Beitragsleistungen des Versicherten (§ 64 i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Ein streng nach der Höhe der Beiträge differenziertes Gefüge ist insoweit noch vorhanden. Die Berücksichtigung von Einkommen des Hinterbliebenen bei der Ermittlung des Rentenzahlbetrages führt jedoch dazu, dass dieses ausdifferenzierte Gefüge eingeebnet und der ursprünglich enge Zusammenhang von Beitrags- und Leistungshöhe unmaßgeblich wird; die Hierarchie 324 Ähnlich Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 107. 325 EKMR, No. 4130/69, CD 38, 9, 15 – X v/Netherlands = EKMR, Yearbook XIV, 224 ff.

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der Rangstellen spiegelt sich in der Höhe des ausgezahlten Rentenbetrages nicht mehr wider. Der einzige Unterschied zwischen österreichischer Notstandshilfe und deutscher Witwen- oder Witwerrente besteht insoweit darin, dass die jeweils im Ansatz vorhandene Rangstellenbildung im Falle der Notstandshilfe durchbrochen wird, um eine mögliche Untervorsorgung zu vermeiden, während im Recht der Witwenund Witwerrenten eine aus Sicht des Gesetzgebers drohende Überversorgung326 die Veranlassung zur Verletzung des Rangstellenprinzips gibt. Der vom EGMR für ebenso erforderlich wie ausreichend befundene Zusammenhang von Beitrag und Leistung ist im Recht der Witwen- und Witwerrenten folglich gegeben. Witwenund witwerrentenrechtliche Positionen erfüllen daher insoweit die Anforderungen für einen eigentumsrechtlichen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK. 2. Das Erfordernis einer Eigenleistung Über den dargestellten Zusammenhang von Beitrag und Leistung hinaus ist Voraussetzung für einen Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK allerdings – ebenso wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 GG – das Beruhen der betroffenen Rechtsposition auf einer Eigenleistung.327 Im Fall Gaygusuz wird dies nicht deutlich. Der EGMR stellt am Ende der Entscheidung lediglich fest, die Notstandshilfe sei ein „pecuniary right“ und als solches dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK unterstellt. Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass der EGMR jedes vermögenswerte Recht in den Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK einbeziehen wollte; der Anwendungsbereich der Norm würde dadurch völlig uferlos.328 Da die Feststellung im Fall Gaygusuz, mit der österreichischen Notstandshilfe liege ein „pecuniary right“ vor, jedoch ohne jeden vorherigen Ansatz in dieser Richtung erfolgt und ihr zudem Ausführungen zur Frage der Beitragsleistungen der Versicherten vorhergehen, ist davon auszugehen, dass als „pecuniary right“ nicht schon jedes vermögenswerte Recht, sondern nur jedes vermögenswerte Recht, das auch zumindest teilweise auf einer Eigenleistung beruht, gelten kann.329 Beide Voraussetzungen – das Vorhandensein eines Vermögenswerts und das Beruhen auf einer Eigenleistung – erfüllen aber sowohl die Anwartschaften als auch die Ansprü-

326

Krause, DRV 1985, 254, 258. Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 89; v. Danwitz, Bericht zur Lage des Eigentums, S. 235 f.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 361; Jarass, NVwZ 2006, 1089, 1091. 328 Insbesondere würden neben sozialversicherungsrechtlichen auch sozialhilferechtliche Ansprüche dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK unterstellt (vgl. dazu Pech, Kontinuität und Wandel der EMRK, S. 233, 242). Einem Anspruch rein sozialhilferechtlichen Charakters hat der EGMR jedoch erst in einem einzigen Fall eigentumsrechtlichen Schutz zugebilligt: EGMR, No. 40.892/98, Rn. 37, 42 – Poirrez; kritisch zu dieser Entscheidung Grote/ Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 45; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 361. 329 Pech, Kontinuität und Wandel der EMRK, S. 233, 240 f. 327

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che auf Witwen- oder Witwerrente, wie bereits festgestellt wurde330. Witwen- und witwerrentenrechtliche Positionen fallen damit in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK.

II. Die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 1 1. ZP-EMRK Dass die Witwen- und Witwerrentenberechtigten sich auf den Schutz des Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK berufen können, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV nicht von ihnen hinzunehmen ist. Inwieweit der eigentumsrechtliche Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK für die Inhaber einer witwen- oder witwerrentenrechtlichen Position tatsächlich von Wert ist, ob er über den durch Art. 14 GG gewährleisteten Schutz hinausgeht, diesem gleichkommt oder dahinter zurückbleibt, hängt von den Beschränkungen ab, die die Eigentumsgarantie aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZPEMRK dem eingreifenden Gesetzgeber auferlegt. Maßgeblich ist folglich, ob sich die anrechnungsbedingte Kürzung der witwen- oder witwerrentenrechtlichen Positionen rechtfertigen lässt. Ebenso wie im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verletzung des Art. 14 GG gilt es dabei zunächst, den Eingriff in das geschützte Rechtsgut genauer zu qualifizieren. Diesbezüglich bedarf es einer Unterscheidung zwischen drei Beeinträchtigungsstufen:331 Bereits der Wortlaut der Norm gibt eine Trennung zwischen dem Entzug von Eigentum (Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK) und der Regelung von Nutzungsmöglichkeiten (Art. 1 Abs. 2 1. ZP-EMRK) vor. Darüber hinaus ist mit den „sonstigen Eingriffen“ i.S.v. Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK eine dritte Stufe von Beeinträchtigungen anerkannt.332 Ein „sonstiger Eingriff“ liegt vor, wenn die hoheitliche Maßnahme keine der beiden erstgenannten Beeinträchtigungen darstellt, das Eigentum aber dennoch in erheblicher Weise tangiert wird.333 In Bezug auf die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV ist fraglich, ob stets „nur“ eine Beeinträchtigung i.S.v. Art. 1 Abs. 2 1. ZPEMRK gegeben ist oder zumindest beim vollständigen Ruhen des Anspruches eine Eigentumsentziehung gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK vorliegt. Obwohl es im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des Art. 14 GG abgelehnt wurde, die Einkommensanrechnung als Enteignung einzustufen, weil den Betroffenen kein rechtlich selbstständiger Teil des Rentenanspruches genommen wird,334 erscheint das Vorliegen einer Enteignung i.S.v. Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK durchaus möglich. Denn 330

Siehe oben zur Anwartschaft 2. Teil, § 3, D.I.1., 3., zum Vollrecht 2. Teil, § 3, D.II. St. Rspr. seit EGMR, Serie A 52, Rn. 65 – Sporrong u. Lönnroth. 332 Ablehnend allerdings Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 73 ff., 196 ff. 333 Grote/Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 104; Mittelberger, EuGRZ 2001, 364, 367; Peukert, EuGRZ 1981, 97, 106 f. 334 Siehe oben 3. Teil, § 2, A.I.2. 331

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in klarem Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die eine strikte Trennung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG einerseits und Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 GG andererseits postuliert, schlägt eine Eigentumsbeeinträchtigung nach Art. 1 Abs. 2 1. ZP-EMRK beim Überschreiten einer bestimmten Intensitätsschwelle in eine Enteignung nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK um.335 Eine Eigentumsentziehung gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK kann daher nicht nur eine formelle Enteignung, sondern auch eine sogenannte de facto-Enteignung sein.336 Dabei wird die Grenze zwischen einer Eigentumsbeeinträchtigung nach Art. 1 Abs. 2 1. ZP-EMRK und einer de facto-Enteignung nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZPEMRK überschritten, wenn eine hoheitliche Maßnahme den Wesensgehalt des Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums berührt.337 Dies ist der Fall, wenn sie in der Summe ihrer Wirkungen zu einem faktischen Erlöschen der betroffenen Eigentumsposition führt.338 Ruht ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente anrechnungsbedingt in voller Höhe, hat er – wie erwähnt339 – für seinen Inhaber während des Ruhens keinerlei Wert. Obwohl der Anspruch dem Grunde nach fortbesteht, ist für den Betroffenen insoweit ein Unterschied zum tatsächlichen Wegfall nicht gegeben. Die Nullfälle stellen folglich eine de facto-Enteignung dar. Hinsichtlich der Rechtfertigungsvoraussetzungen ist die Einstufung des vollständigen Ruhens als de facto-Enteignung – anders als es im Rahmen des Art. 14 GG der Fall wäre – indes nur begrenzt bedeutend: Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP-EMRK gestattet eine Enteignung dann, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, sich in einem gesetzlichen Rahmen bewegt, mit völkerrechtlichen Grundsätzen in Einklang steht und außerdem – dies wird als ungeschriebene Voraussetzung allgemein anerkannt340 – verhältnismäßig ist. Zur Rechtfertigung einer Nutzungsregelung nach Art. 1 Abs. 2 1. ZP-EMRK ist erforderlich, dass der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und durch ihn außerdem ein Allgemeininteresse verfolgt wird. Ferner muss auch die Nutzungsregelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.341 Mithin sind die Hürden zur Rechtfertigung einer Eigentumsentziehung nur wenig höher als die zur Rechtfertigung einer Nutzungsregelung.342

335

Grote/Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 92. Grote/Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 92; Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 42 ff., 56 ff.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 362 f. 337 Gelinksy, Der Schutz des Eigentums, S. 56; Peukert, EuGRZ 1981, 97, 105. 338 EGMR, Serie A 52, Rn. 63 – Sporrong u. Lönnroth. 339 Siehe oben 3. Teil, § 2, A.I.2. 340 Vgl. dazu Grote/Marauhn-Cremer, Kap. 22, Rn. 114 ff.; Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 102 ff.; Mittelberger, EuGRZ 2001, 364, 368; Peukert, EuGRZ 1981, 97, 110. 341 Gelinsky, Der Schutz des Eigentums, S. 174 ff.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 369 f. 342 v. Danwitz, Bericht zur Lage des Eigentums, S. 250; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 369. 336

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Bezüglich des Vorliegens eines öffentlichen Interesses bzw. eines Allgemeininteresses343 wird dem Gesetzgeber ein weitgehender Beurteilungsspielraum zugestanden – insbesondere im Sozialrecht.344 Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo das Eigentum offensichtlich ohne eine vernünftige Begründung beeinträchtigt wird.345 Dies trifft auf die Anrechnung von Einkommen auf die Witwen- und Witwerrenten nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV nicht zu: Sie wurde eingeführt, um die Mehrkosten, die sich aus der rentenrechtlichen Gleichstellung von Witwen und Witwern ergeben, aufzufangen und dadurch eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung zu verhindern.346 Die gesetzliche Rentenversicherung hat maßgeblichen Anteil an der Verwirklichung der sozialen Staatszielbestimmung (Art. 20 Abs. 1 GG). Kürzt der Gesetzgeber die Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente, um die gesetzliche Rentenversicherung leistungsfähig zu erhalten, handelt er damit im öffentlichen Interesse bzw. im Allgemeininteresse. Die Einkommensanrechnung verlässt auch weder den gesetzlich vorgegebenen Rahmen, noch steht sie im Widerspruch zum allgemeinen Völkerrecht. Schließlich müsste die Anrechnung von Einkommen auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Den Kern der gesamten Rechtfertigungsprüfung stellt dabei – sowohl bei Maßnahmen i.S.v. Art. 1 Abs. 1 S. 2 1. ZP EMRK als auch bei Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 2 1. ZP-EMRK – die Untersuchung der Angemessenheit dar.347 Wie auch im nationalen Recht findet hier ein Abwägungsprozess statt: Es wird das Interesse des Eigentümers an einer uneingeschränkten Nutzung seines Rechts dem jeweiligen Interesse der Allgemeinheit gegenübergestellt. Der Gesetzgeber muss zwischen beiden Positionen einen gerechten Ausgleich („a fair balance“348) herstellen. EKMR und EGMR setzen ihm hierbei jedoch kaum Grenzen: Als unangemessen wird eine hoheitliche Maßnahme erst dann eingestuft, wenn die vorgenommene Abwägung offensichtlich unvernünftig erscheint.349 Dass die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV sich schon auf den ersten Blick als unvernünftige Maßnahme erweist, lässt sich trotz aller bisher vorgebrachten Kritik nicht ernsthaft behaupten. Die de facto-Enteignung in den Nullfällen und – erst recht – die Nutzungsregelung in den Fällen eines nur teilweisen Ruhens der Ansprüche auf 343 Die Begriffe sind inhaltlich identisch, vgl. v. Danewitz, Bericht zur Lage des Eigentums, S. 250 f. 344 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 365. 345 Mittelberger, Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, S. 135 f. 346 Vgl. BT-Drs. 10/2677, S. 22 f.; BR-Drs. 500/84, S. 22 f.; Blüm, BT-PlenProt 10/8547; ders., BT-PlenProt 10/10937; Günther, BT-PlenProt 10/10913; Bieback, ZSR 1985, 577, 585; Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656; Maier, ZfS 1985, 353, 355; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; vgl. auch Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, Vorschläge zur sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen, 1979, S. 15. 347 Mittelberger, EuGRZ 2001, 364, 368. 348 EGMR, Serie A 52, Rn. 69 – Sporrong u. Lönnroth. 349 EGMR, Serie A 98, Rn. 46, 50 – James.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Witwen- oder Witwerrente sind daher aus der Sicht des Art. 1 1. ZP-EMRK gerechtfertigt. Insoweit bewahrheitet sich die häufig geäußerte Ansicht, der eigentumsrechtliche Schutz aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK falle nicht nur nicht intensiver aus als derjenige aus Art. 14 GG, sondern bleibe hinter diesem gar zurück350.

C. Einkommensanrechnung und Art. 3 Abs. 1 GG I. Einleitung 1. Die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Sozialversicherungsrecht – Eingrenzung Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist eine der wichtigsten, nach verbreiteter Auffassung sogar die wichtigste351 grundgesetzliche Norm, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit sozialrechtlicher Regelungen geht. In besonderem Maße gilt dies für das Sozialversicherungsrecht, dessen Ausgangspunkt sich bereits insofern als gleichheitsrechtlich problematisch erweist, als es einige Teile der Bevölkerung in ein mit Rechten ausstattendes, aber auch Pflichten auferlegendes Zwangssystem einbezieht, während es andere Teile der Bevölkerung von dieser verpflichtenden zwangsweisen Einbeziehung verschont oder – je nach Sichtweise – von den mit ihr einhergehenden Berechtigungen ausgrenzt. Die Anzahl an gleichheitsrechtlichen Problemen, die dabei allein die gesetzliche Rentenversicherung als Ganzes und folglich auch das Recht der Witwen- und Witwerrenten betreffen, ist immens.352 Dem Titel dieser Arbeit entsprechend, sollen hier jedoch ausschließlich Aspekte betrachtet werden, die einen spezifischen Bezug zum Recht der Witwen- und Witwerrenten aufweisen. Dieser Teil der Arbeit wird sich dabei zunächst gleichheitsrechtlichen Problemen widmen, die die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV mit sich bringt. Dass die Einkommensanrechnung eine Vielzahl von Gleichbehandlungsproblemen aufwirft, gestehen selbst Autoren ein, die die Anrechnungsregelungen bei ihrer Einführung verteidigt haben.353

350 So gerade für den Schutz rentenrechtlicher Positionen Boecken, Der verfassungsrechtliche Schutz von Altersrentenansprüchen, S. 106; für den Schutz von Sozialversicherungsansprüchen aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 1. ZP-EMRK Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 69; allgemein: Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 150 f.; Mittelberger, Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, S. 117. 351 Bieback, SGb 1989, 46, 46; Katzenstein, SGb 1988, 177, 180; F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 163; Rüfner, SGb 1984, 147, 147; Schoch, DVBl. 1988, 863, 864. 352 Allgemein zur Problematik der Ungleichbehandlung von Versicherten und Nichtversicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 330 ff. 353 Vgl. Krause, DRV 1985, 254, 259.

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2. Exkurs: Der Grundsatz der Systembindung – gleichheitsrechtlich relevante Selbstbindung des Gesetzgebers? Die Auseinandersetzung mit verfassungsrechtlich problematischen Aspekten des Rechts der Witwen- und Witwerrenten führt unweigerlich dazu, dass man auf Äußerungen zum Grundsatz der Systembindung stößt.354 Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob ein Systembruch darin liege, dass der Gesetzgeber die Witwen- und Witwerrenten durch die Einführung der Einkommensanrechnung subsidiär-fürsorgerisch ausgestaltet hat,355 obwohl die übrigen Renten der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungsleistungen darstellen, denen eine solche Subsidiarität fremd ist.356 Ferner wird etwa das Problem behandelt, ob nicht die Anrechnungsregelungen auch in sich gegen den Grundsatz der Systembindung verstoßen, weil nicht das gesamte Einkommen des Hinterbliebenen, sondern nur bestimmte Einkommensarten angerechnet werden.357 Ob ein solcher Grundsatz, der auch als Systemgerechtigkeit, Folgerichtigkeit oder Konsequenzgebot bezeichnet358 und regelmäßig im Rahmen einer Gleichheitsprüfung verortet wird, Anerkennung finden kann, und, soweit dies bejaht wird, in welcher Ausprägung und mit welcher Reichweite dies geschehen soll, ist stark umstritten.359 Das Bundesverfassungsgericht zieht den Gedanken der Systembindung zur Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes heran. Es geht davon aus, dass die Durchbrechung eines einem Regelungsbereich immanenten Systems durch eine einzelne Regelung eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG indiziere.360 Durch Errichtung eines bestimmten Systems innerhalb eines Regelungskomplexes binde sich der Gesetzgeber selbst: Ein Abweichen von dem einmal errichteten System sei nur möglich, soweit dafür Gründe vorhanden sind, die von ihrem Gewicht her dem Maß der Abweichung vom System entsprechen.361 Im Schrifttum ist die Anzahl vergleichba-

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Vgl. dazu etwa BVerfGE 97, 271, 291; BSG SozR 3 – 2200 § 1281 Nr. 1, S. 2 f.; Kolb, DRV 1984, 635, 636 f.; v. Maydell, DRV 1985, 35, 38; Papier, DRV 1985, 272, 274; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 280 ff.; Ruland, NJW 1986, 20, 28. 355 Vgl. zur Subsidiarität schon oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b). 356 Kolb, DRV 1984, 635, 644.; v. Maydell, DRV 1985, 35, 38; Papier, DRV 1985, 272, 275; Ruland, NJW 1986, 20, 28. 357 Ruland, NJW 1986, 20, 28. 358 Zur Terminologie vgl. Kischel, AöR 124 (1999), 174, 179; grundlegend dazu: Peine, Systemgerechtigkeit, S. 24 ff. 359 Bieback, VSSR 1997, 117, 132; ders., SGb 1989, 46, 51; Haverkate, ZRP 1984, 217, 223; ders., Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 123 ff. 360 BVerfGE 9, 20, 28 ff.; BVerfGE 13, 331, 340; BVerfGE 18, 315, 334; BVerfGE 18, 366, 372; BVerfGE 34, 103, 115; BVerfGE 59, 36, 49; BVerfGE 76, 130, 139 f.; BVerfGE 81, 156, 207; BVerfGE 97, 271, 291; BVerfG, NJW 2009, 48, 50 ff. 361 BVerfGE 13, 331, 340; BVerfGE 15, 313, 318; BVerfGE 18, 366, 372 f.; BVerfGE 20, 374, 377; BVerfGE 59, 36, 49.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

rer362 Ansätze, die wohl ihren Ursprung in einer Arbeit von Claus-Wilhelm Canaris haben,363 zahlreich.364 Der Gedanke einer Systembindung ist jedoch kritisch zu sehen.365 Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem sowie – nach ganz herrschender Meinung – eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Um einen Systembruch und damit ein Indiz für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG feststellen zu können, existieren zwei Möglichkeiten: Es kann entweder ein Vergleich durchgeführt werden zwischen dem betroffenen, vermeintlich systemwidrig geregelten Sachverhalt und demselben Sachverhalt, wie er sich nach einer Regelung in vermeintlich systemkonformer Weise darstellte. Oder aber es wird der vermeintlich systemwidrig geregelte Sachverhalt verglichen mit einem anderen Sachverhalt, der für systemkonform ausgestaltet gehalten wird. Die Wahl einer dieser beiden Möglichkeiten, das Festlegen auf eine Vergleichsgruppe also, ist zwingend. Ein Vorgehen, in dessen Rahmen eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG unter Hinweis auf den Bruch eines gesetzlichen Systems und auf das Fehlen hinreichender Rechtfertigungsgründe festgestellt wird, ohne dass dabei die Festlegung auf eine Vergleichsgruppe erfolgt wäre, hat mit einer methodologisch ordnungsgemäßen Prüfung einer möglichen Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG nichts gemein.366 Wählt man den ersten der beiden genannten Wege und vergleicht den betroffenen, vermeintlich systemwidrig geregelten Sachverhalt mit demselben Sachverhalt, wie er sich in vermeintlich systemkonform geregelter Weise darstellte, so kommt es zu einem Vergleich zwischen tatsächlich Bestehendem einerseits und lediglich Hypothetischem andererseits.367 Die Betrachtung von Hypothetischem ist jedoch kein 362

Die Indizwirkung eines Systembruchs verneinen dagegen etwa Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 53 sowie P. Kirchhof, HBStR V (2. Auflage), § 124, Rn. 231. 363 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16 ff. 364 Vgl. dazu etwa U. Becker, Generationengerechtigkeit – Inhalt Bedeutung und Konsequenz für die Alterssicherung, S. 56, 59; ders., FS 50 Jahre BSG, S. 77, 89 f.; Bieback, SGb 1989, 46, 51; Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 89; Diemer, VSSR 1982, 325, 346; Hesse, AöR 109 (1984), 174, 188; P. Kirchhof, HBStR V (2. Auflage), § 124, Rn. 231 ff.; Kolb, DRV 1984, 635, 636 f.; v. Maydell, DRV 1985, 35, 38; Merten, DRV 2008, 382, 387; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 137, 183, 207; Papier, DRV 2001, 350, 354; ders., DRV 1985, 272, 274; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 180 f.; Ruland, NJW 1986, 20, 28; Schnapp, VSSR 1995, 101, 110 f.; Schwarze, DVBl. 1974, 893, 897; Zeidler, DVBl. 1971, 565, 572. 365 Ablehnend zum Grundsatz der Systembindung Battis, FS H.P. Ipsen, S. 11, 18, 17; Haverkate, ZRP 1984, 217, 222 f.; ders., Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 123 ff.; Kischel, AöR 124 (1999), 174 ff.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 179, 299 f.; Robbers, DÖV 1988, 749, 755 f.; Zacher, AöR 93 (1968), 341, 354. 366 Papier, SRH, § 3, Rn. 95; ähnlich auch U. Becker, Generationengerechtigkeit – Inhalt, Bedeutung und Konsequenzen für die Alterssicherung, S. 56, 59. Eine auf die Benennung von Vergleichsgruppen verzichtende Prüfung einer möglichen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG findet sich etwa in BSG SozR 3 – 2200 § 1281 Nr. 1, S. 2 ff. 367 Diese Verfahrensweise findet sich etwa bei Papier, DRV 1985, 272, 274; Ruland, NJW 1986, 20, 28.

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Fall des Art. 3 Abs. 1 GG368 und in dessen Rahmen daher unzulässig. Bedient man sich dagegen der zweiten Vergleichsmöglichkeit, stellt man also den betroffenen Sachverhalt einem existierenden, vermeintlich systemkonform geregelten Sachverhalt gegenüber, so ist dies im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht nur zulässig, es ist sogar die völlig typische Vorgehensweise bei der Prüfung einer möglichen Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG – der Gedanke der Systembindung führt hier zu keiner neuen Erkenntnis369. Ist dann eine Ungleichbehandlung festgestellt, die der Rechtfertigung bedarf, so bringt der Gedanke der Systembindung auch diesbezüglich nichts Neues.370 Die Forderung nach dem Vorhandensein eines Rechtfertigungsgrundes, der seinem Gewicht nach dem Maß der Abweichung vom System entspricht, ist nichts anderes als die Forderung nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie auch sonst im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durchzuführen ist371. Der Gesetzgeber ist in seinem Handeln nur den Grenzen, die das Grundgesetz zieht, unterworfen.372 Diese Grenzen können nicht dadurch enger gezogen werden, dass verfassungsrechtliche Normen mit einfachgesetzlichen Inhalten „aufgefüllt“373 werden.374 Das Hineinlesen einfachgesetzlicher Inhalte in verfassungsrechtliche Normen hat nicht nur zur Folge, dass den Regelungen ein und desselben Normenkomplexes jeweils unterschiedlicher Rang zukommt – die Regel wiegt mehr als die Ausnahme –,375 dass außerdem eine „Verkrustung“376 gesetzlicher Strukturen und eine Blockierung gesetzgeberischen Handelns droht,377 es birgt vielmehr auch Konfliktpotential hinsichtlich des Demokratieprinzips:378 Richtet sich der Inhalt des Grundgesetzes (auch) nach einfachem Recht, so ist der Gesetzgeber in der Lage, unter Umgehung der von Art. 79 Abs. 2 GG geforderten Mehrheiten de facto eine Verfassungsänderung herbeizuführen. Insoweit ist der Schritt von der „Verfassungsmäßigkeit der Gesetze

368

Kischel, AöR 124 (1999), 174, 194. Battis, FS H.P. Ipsen, S. 11, 18, 27; Zacher, AöR 93 (1968), 341, 354. 370 Ähnlich U. Becker, Generationengerechtigkeit – Inhalt, Bedeutung und Konsequenzen für die Alterssicherung, S. 56, 59, der „die eigentliche normative Bindung“ dem Gebot der Gleichbehandlung zuschreibt. 371 Dazu, dass nicht nur bei Anwendung der „Neuen Formel“, sondern letztlich auch bei Anwendung der „Willkürformel“ eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist, vgl. Kischel, AöR 124 (1999), 174, 190. 372 Haverkate, ZRP 1984, 217, 223; Robbers, DÖV 1988, 749, 756. 373 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 127. 374 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 125 ff.; Kischel, AöR 124 (1999), 174, 203. 375 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 125; Kischel, AöR 124 (1999), 174, 204 f. 376 Kischel, AöR 124 (1999), 174, 205. 377 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 129 f.; Kischel, AöR 124 (1999), 174, 196, 205; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 16; Robbers, DÖV 1988, 749, 755. 378 In ähnliche Richtung gehen die Äußerungen von Kischel, AöR 124 (1999), 174, 206. 369

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung“379 formell auch mit dem Gebot des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar. Insgesamt lassen sich aus dem Gedanken der Systembindung daher weder für eine Prüfung möglicher Verletzungen der Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG noch sonst für eine Untersuchung der Verfassungskonformität einer Regelung Besonderheiten ableiten. Auch bei der Untersuchung der gleichheitsrechtlichen Probleme der Einkommensanrechnung wird es im Folgenden daher einer Gegenüberstellung der von der Anrechnung betroffenen Witwen und Witwer einerseits und einer Vergleichsgruppe andererseits bedürfen. II. Die Ungleichbehandlung der Bezieher von Altersrente und der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente Als gleichheitsrechtlich problematisch erweist sich zunächst der Umstand, dass die Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente sich eigenes Einkommen, das den Freibetrag überschreitet, anspruchsmindernd auf ihre Rente anrechnen lassen müssen, während die Bezieher einer Altersrente eine entsprechende Anrechnung nicht zu befürchten haben. An der wesentlichen Gleichheit der Gruppe der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente einerseits und der Gruppe der Bezieher von Altersrente andererseits, die Voraussetzung dafür ist, dass sich aus dieser Ungleichbehandlung überhaupt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben kann, bestehen keine Zweifel: Die Rechte der Angehörigen beider Gruppen folgen in ihrer Entstehung bis unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls den gleichen Regeln,380 die Witwen- und Witwerrenten sind „lediglich ein Unterfall der Versichertenrenten, umgesetzt auf einen neuen Versicherungsfall“381. 1. Willkürprüfung oder „neue Formel“? Bevor in Betracht kommende Rechtfertigungsgründe erörtert werden können, bedarf der Feststellung, welche Anforderungen für eine Rechtfertigung vorliegend überhaupt gelten. Das Bundesverfassungsgericht hängt in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1998382 die Hürden diesbezüglich niedrig: „Da nach dieser Vorschrift [Art. 3 Abs. 1 GG, M.M.] in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindert werden soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann […]. Außerhalb 379

Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 59 f. 380 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681; Kolb, DRV 1985, 40, 43; Papier, DRV 2001, 350, 352. 381 Heine, FamRZ 1986, 113, 120. 382 BVerfGE 97, 271 ff.

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des so umschriebenen Bereichs läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber jedoch weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insofern allein das Willkürverbot.“383 Diese Beschränkung auf eine Willkürprüfung, die das Bundesverfassungsgericht sich selbst auferlegt, wird der Intensität der Ungleichbehandlung in zweierlei Hinsicht nicht gerecht. Weil § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV die Anrechnung eigenen Einkommens zwar auf Witwen- und Witwerrenten, nicht aber auf Altersrenten anordnet, führt die Vorschrift zu einer personenbezogenen, nicht zu einer nur sachbezogenen Ungleichbehandlung; der Bezug einer Witwen- oder Witwerrente ist ebenso untrennbar mit dem Status als hinterbliebener Ehegatte verbunden wie der Anspruch auf Altersrente mit dem Status als Versicherter. Allein daraus ergibt sich, dass zur Rechtfertigung nicht jeder sachliche Grund ausreichend ist, sondern Gründe „von solcher Art und solchem Gewicht bestehen [müssen, M.M.], daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“384. Darüber hinaus erweist sich die Durchführung einer Willkürprüfung als nicht ausreichend, weil das Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente – daran scheint auch das Bundesverfassungsgericht nicht zu zweifeln385 – durch Art. 14 GG geschützt ist. Diese „grundrechtlich geschützte Freiheit“386 verkürzt die Einkommensanrechnung aber erheblich, im Nullfall lassen die Anrechnungsvorschriften – wie bereits ausgeführt – das Vollrecht zur nutzlosen Hülle, zum nudum ius, werden. Ist jeder der beiden geschilderten Umstände für sich genommen bereits ausreichend, um den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum einzuengen, so kann deren gemeinsames Vorliegen kaum zu der „weitgehenden Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln“387, führen, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einräumt.

2. Unterhaltsersatzcharakter versus Lohnersatzcharakter Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Empfänger von Witwen- oder Witwerrente im Verhältnis zu denen von Altersrente wurde darauf verwiesen, eine Einkommensanrechnung bei den Witwen- und Witwerrenten sei aufgrund deren Unterhaltsersatzcharakters möglich,388 während sie bei den Altersrenten aufgrund deren Lohnersatzcharakters nicht vorgenommen werden könne389. Dass eine Rechtferti383 BVerfGE 97, 271, 290 f.; ebenso BSG SozR 3 – 2200 § 1281 Nr. 1, S. 3; wohl auch Krause, DRV 1985, 254, 259. 384 So die sog. „Neue Formel“ des BVerfG, die erstmalig Verwendung fand in BVerfGE 55, 72, 88. 385 Vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, D.II. 386 BVerfGE 97, 271, 290 f. 387 BVerfGE 97, 271, 291. 388 BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f.; BSG SozR 3 – 2200 § 1281 Nr. 1, S. 4; Seehofer, BT-Steno-Prot. 10/10930. 389 BVerfGE 97, 271, 291; Adam-Schwaetzer, BT-Steno-Prot. 10/10922 f.; Blüm, BTSteno-Prot. 10/10938 f.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

gung der Einkommensanrechnung durch den – im Übrigen nur bei den großen Witwen- und Witwerrenten im Gesetz angelegten390 – Unterhaltsersatzcharakter ausgeschlossen ist, wurde aber bereits dargelegt.391 Ginge man dennoch davon aus, der Unterhaltsersatzcharakter rechtfertige grundsätzlich eine Einkommensanrechnung, so stellte sich die Frage, ob ein Unterschied zwischen Unterhaltsersatzcharakter und Lohnersatzcharakter besteht, der es mit sich bringt, dass eine Einkommensanrechnung bei den Witwen- und Witwerrenten zulässig ist, bei den Altersrenten aber unzulässig wäre. Ein solcher Unterschied wäre dann gegeben, wenn die Ausrichtung der Witwenund Witwerrenten am Unterhaltsersatzcharakter dazu führte, dass diese aufgrund ihres Sicherungszieles gegenüber der Erzielung eigenen Einkommens als „nachrangiger“ einzustufen wären als die vom Lohnersatzcharakter geprägten Altersrenten. Das ist jedoch nicht der Fall. Wie schon dargestellt, lässt sich zwischen dem mit der großen Witwen- oder Witwerrente angestrebten Sicherungsziel und der Erzielung eigenen Einkommens durch den Hinterbliebenen keinerlei Zusammenhang herstellen.392 Die Altersrente dagegen dient gerade dem Zweck, eigenes Einkommen zu ersetzen, soweit es sich bei dem entfallenen Einkommen um versicherungspflichtiges handelt.393 Ihr Sicherungsziel weist damit einen unmittelbaren Bezug zu der Erzielung eigenen Einkommens auf. Daher ist die Berechtigung, mit der sich das Argument „Witwen- und Witwerrenten haben Unterhaltsersatzfunktion. Des Ersatzes von Unterhalt bedarf es aber dann nicht, wenn der Hinterbliebene seinen Unterhalt eigenständig zu bestreiten in der Lage ist.“394 auf die Altersrente übertragen ließe, größer als diejenige, mit der es auf die Witwen- und Witwerrenten Anwendung findet.395 Eher müsste demnach argumentiert werden: „Die Altersrenten haben Lohnersatzfunktion. Eines Lohnersatzes bedarf es jedoch nicht, soweit Lohn weiterhin erzielt wird.“ Während die Witwen- und Witwerrenten von ihrem Sicherungsziel her einen Nachrang gegenüber der Erzielung eigenen Einkommens nicht aufweisen, ließe sich ein solcher bei den Altersrenten durchaus konstruieren396. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Warnungen vor der Gefahr einer Übertragung der Einkom-

390 Vgl. Bohlken, juris-Kommentar zum SGB VI, § 46, Rn. 24; Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 11. 391 Vgl. oben 3. Teil, § 2, A.III.3.b). 392 Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, A.III.3.b). 393 Ruland, GK-SGB VI, § 67, Rn. 7. 394 Diese Argumentation findet sich etwa in BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f. sowie bei Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Krause, DRV 1985, 254, 256; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Seehofer, BT-Steno-Prot. 10/10930. 395 Zur Unzulässigkeit der Anwendung der genannten Argumentation auf die Witwen- und Witwerrenten vgl. oben 3. Teil, § 2, A.III.3.b). 396 Freilich stieße die gesetzliche Regelung eines Nachranges der Altersrenten gegenüber der Erzielung eigenen Einkommens auf vergleichbare Bedenken wie der durch § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV in das Recht der Witwen- und Witwerrenten hineingetragene Nachrang gegenüber eigenem Einkommen; vgl. dazu auch Papier, DRV 1985, 272, 275.

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mensanrechnung auf die Altersrente397 jedenfalls aus rechtlicher Sicht mehr als berechtigt. 3. Rechtfertigung durch das Ziel kostenneutraler Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten? Der Verweis auf den Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- oder Witwerrente einerseits und den Lohnersatzcharakter der Altersrente andererseits liefert folglich keinen Grund für Rechtfertigung der Anrechnung von Einkommen nur bei den Witwenund Witwerrenten, weil es an einem hinreichenden strukturellen Unterschied zwischen Witwen- oder Witwerrente und Altersrente fehlt. Der Gesetzgeber darf jedoch nicht nur dann ungleich behandeln, wenn eine Ungleichbehandlung rechtfertigende Unterschiede bereits vorhanden sind (Verfolgung sog. interner Zwecke); vielmehr kann eine Ungleichbehandlung auch dann zulässig sein, wenn durch die Verfolgung von Zielen des Allgemeinwohls (sog. externe Zwecke) überhaupt erst Unterschiede geschaffen werden.398 Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Empfänger von Witwen- und Witwerrenten im Verhältnis zu denen von Altersrenten wurde – wie bereits erwähnt – teils angeführt, die Einkommensanrechnung diene insoweit dem Allgemeinwohl, als sie ermöglichen sollte, den vom Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidung vom 12. März 1975399 erteilten Reformauftrag kostenneutral durchzuführen400 und so die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten. Gerechtfertigt wäre die Ungleichbehandlung demnach dann, wenn sie das Ziel der Kostenneutralität der Reform des Rechts der Witwen- und Witwerrenten in verhältnismäßiger Weise umgesetzt hätte. Dass dies aber nicht der Fall ist, weil die Einkommensanrechnung sich als unangemessen erweist, wurde schon im Rahmen der Untersuchung einer Verletzung des Art. 14 GG festgestellt.401 Aus den gleichen Gründen wie dort muss aber auch die Ungleichbehandlung, zu der die Einkommensanrechnung bei den Witwen- und Witwerrenten im Verhältnis zu den Altersrenten führt, als unangemessen eingestuft werden: Die Schaffung eines Einsparpotentials überschaubaren Ausmaßes steht der Möglichkeit gegenüber, dass die Beiträge, die für den einzelnen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente geleistet wurden, faktisch vollständig entwertet werden. Die anrechnungsbedingte Ungleichbehandlung der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente im Verhältnis zu den Beziehern von Altersrente lässt sich folglich nicht rechtfertigen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist insoweit verletzt.

397

Vgl. etwa Butzer, FS Isensee, S. 667, 686 f.; Heine, ZSR 1986, 82, 99; Heinze, DRV 1985, 248 f.; Heyen, BT-Steno-Prot. 10/10932; v. Maydell, DRV 1985, 35, 37; ders., DRV 1984, 662, 669; Papier, DRV 1985, 272, 275; Ruland, NJW 1986, 20, 26. 398 Epping, Grundrechte, Rn. 679 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 165 ff. 399 BVerfGE 39, 169, 194 f. 400 BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23. 401 Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, A.III.3.a).

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

III. Die Ungleichbehandlung von Witwen/Witwern mit eigenem Einkommen gegenüber Witwen/Witwern ohne eigenes Einkommen Als gleichheitsrechtlich problematisch erweist sich ferner, dass die Anrechnungsvorschriften nur Auswirkungen für diejenigen Witwen oder Witwer haben, die eigenes Einkommen in einer Höhe erzielen, die über dem in § 97 Abs. 2 SGB VI festgelegten Freibetrag liegt. Damit findet eine Ungleichbehandlung der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente mit einem oberhalb des Freibetrages liegenden Einkommen gegenüber den Beziehern von Witwen- oder Witwerrente ohne eigenes Einkommen oder mit einem Einkommen maximal in Höhe des Freibetrages statt.402 Als Rechtfertigungsgrund für diese Ungleichbehandlung kommt allein das Ziel in Betracht, die Gleichstellung der Witwen und Witwer, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in der Entscheidung vom 12. März 1975 aufgegeben hat, in kostenneutraler Weise durchzuführen. Der Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten betrifft beide Vergleichsgruppen, weshalb er als Rechtfertigungsgrund vorliegend von vornherein auszuscheiden hat. Die Kostenneutralität der Angleichung der rentenrechtlichen Position der Witwer an die der Witwen stellt zwar einen legitimen Zweck dar, zu dessen Erreichung die Anrechnungsvorschriften geeignet und auch erforderlich sind.403 Im Verhältnis der Witwen- und Witwerrentenberechtigten, die von der Anrechnung betroffen sind, zu den Inhabern eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente, die von einer Anrechnung verschont bleiben, führt die Einkommensanrechnung jedoch zu unangemessenen Ergebnissen. Dass § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV sich nur bei Einkommen oberhalb des Freibetrages bemerkbar macht, schlägt sich rückwirkend auf die Bewertung der Beitragsanteile nieder, die vom Versicherten für die Witwen- oder Witwerrente erbracht wurden: Um eine Witwen- oder Witwerrente in bestimmter Höhe zu „erkaufen“, musste ein Versicherter, dessen Hinterbliebener ein über dem Freibetrag liegendes Einkommen erzielt, mehr Beitragsleistungen erbringen als ein Versicherter, dessen Hinterbliebener gar kein oder ein maximal in Höhe des Freibetrages liegendes Einkommen erzielt.404 Anders formuliert: Die Beitragsleistungen eines Versicherten, dessen Hinterbliebenem ein über dem Freibetrag liegendes eigenes Einkommen zufließt, sind weniger wert als die Beitragsleistungen eines Versicherten, dessen Hinterbliebener gar kein oder ein maximal in Höhe des Freibetrages liegendes Einkommen erwirtschaftet.405 Diese Erkenntnis könnte man mit folgendem Gedanken in Abrede stellen wollen: Die Hinterbliebenen zweier Versicherter, die zu Lebzeiten identische Beiträge geleis402

Ruland, DRV 1993, 337, 350. Siehe zur Legitimität des Zwecks oben 3. Teil, § 2, A.III.1.a), zur Geeignetheit und Erforderlichkeit 3. Teil, § 2, A.III.2. 404 Heine, ZSR 1986, 86, 97; ders., FamRZ 1986, 113, 120; Kolb, DRV 1984, 635, 648. 405 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 191. 403

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tet haben, stehen zwar hinsichtlich des Rentenzahlbetrages unterschiedlich, wenn einer der Hinterbliebenen ein über dem Freibetrag liegendes Einkommen erzielt und der andere nicht; dennoch stehen sie letztlich gleich, weil sie beim Wegfall des Einkommens – mithin im Bedürftigkeitsfall – Leistungen in gleicher Höhe wie der jeweils andere beanspruchen können und insoweit über eine identische „Notfallsicherung“ verfügen. Wenn durch gleiche Beiträge aber eine „Notfallsicherung“ identischen Ausmaßes erkauft wird, sind auch die Beiträge gleichwertig. Diese Sichtweise verkennt indes, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, Beiträge für die Absicherung gegen Bedürftigkeit einzufordern. Einer Bedürftigkeit ist – wie festgestellt406 – durch Maßnahmen des Sozialhilferechts zu begegnen, die aber keine Beitragsleistungen voraussetzen und auch nicht voraussetzen dürfen. Beitragsleistungen dürfen nur dann abverlangt werden, wenn und weil der Versicherte als Gegenleistung die Deckung des durch die Verwirklichung eines versicherten Risikos entstandenen Bedarfs erwarten kann, der im Vorwege typisiert ermittelt wurde und von individuellen Lebensverhältnissen losgelöst, folglich gerade nicht bedürftigkeitsabhängig ist.407 Für die Witwen- und Witwerrenten bedeutet das, dass dem Versicherten als Gegenleistung für seine Beiträge die gesicherte Aussicht auf die Deckung des durch seinen Tod entstehenden Bedarfs des hinterbliebenen Ehegatten und – sobald der Tod des Versicherten eintritt – dem Hinterbliebenen selbst das entsprechende Vollrecht zustehen muss. Ist der Bedarfsfall aber eingetreten und wird eine Leistung an den Hinterbliebenen dennoch in Abhängigkeit von individuellen Lebensumständen – mithin bedürftigkeitsabhängig – erbracht, bleibt es bei dem oben Gesagten: Die Beiträge eines Versicherten, dessen Hinterbliebener ein über dem Freibetrag liegendes Einkommen erzielt, sind weniger wert als die Beiträge des Versicherten, dessen Hinterbliebener kein eigenes Einkommen oder ein solches maximal in Höhe des Freibetrages erwirtschaftet. Darüber hinaus erweist sich die Einkommensanrechnung als leistungs- und systemfeindlich:408 Hinterbliebene schmälern ihre Witwen- oder Witwerrente umso stärker, je mehr sie durch die Erzielung eines Einkommens in Form eines versicherungspflichtigen Entgelts zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beitragen oder – wenn der betroffene Hinterbliebene mittlerweile eine eigene Versichertenrente bezieht – beigetragen haben. Von den Anrechnungsbestimmungen geht daher jedenfalls der mittelbare Anreiz aus, zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung nichts oder zumindest möglichst wenig beizutragen. Tragen die Hinterbliebenen doch etwas bei, so wird dies mit einer Kürzung der Höhe des Anspruches auf Witwenoder Witwerrente „gedankt“. Dass das den Freibetrag übersteigende Einkommen nicht voll, sondern nur zu 40 Prozent angerechnet wird (§ 97 Abs. 2 S. 3 SGB VI), mildert den beschriebenen Effekt zwar ab, beseitigt ihn aber nicht. 406

Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)aa). Vgl. dazu genauer unten 3. Teil, § 2, D.I.2.b). 408 Ähnlich Heine, ZSR 1986, 82, 97; ders., FamRZ 1986, 113, 120; Ruland, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 540, 550. 407

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

Dieser Effekt – ein Mehr an Eigenleistung führt zu einem Weniger an Witwenoder Witwerrente – steht auch dem Argument des Bundesverfassungsgerichts entgegen, nach dem die Schlechterstellung der von der Anrechnung Betroffenen deshalb gerechtfertigt sei, weil der Umstand, dass Einkommen erst oberhalb des Freibetrages Berücksichtigung finde, dazu führe, dass sozial Schwächere eine relativ höhere Sicherung erhielten409. Denn die soziale Schwäche eines Hinterbliebenen zeichnet sich nicht allein durch das Erzielen eines relativ geringen eigenen Einkommens aus, sondern ebenso durch den Bezug einer niedrigen Witwen- oder Witwerrente. Diese niedrige Witwen- oder Witwerrente wird aber in deutlich geringerem Maße zum Erhalt des vor dem Tod des Versicherten von beiden Ehegatten gepflegten Lebensstandards ausreichen als eine durchschnittliche Witwen- oder Witwerrente. Denn gerade im Bereich niedriger und niedrigster Lebensstandards geht die typisierte, der Zugrundelegung des Rentenartfaktors von 0,55 (§ 67 Nr. 1 SGB VI) innewohnende410 Annahme fehl, der Hinterbliebene bedürfe zum Erhalt des zuvor von beiden Ehegatten gemeinsam gepflegten Lebensstandards nur 55 Prozent der Mittel, die für beide Ehegatten nötig waren. Lebten die Ehegatten etwa in einer bereits kleinen Mietwohnung, so lassen sich die Mietkosten und Mietnebenkosten (die gemeinsam einen ganz maßgeblichen Teil der anfallenden Lebenshaltungskosten ausmachen) nach dem Tod des Versicherten kaum um 45 Prozent senken. Demnach ist ein sozial schwacher Hinterbliebener in weit stärkerem Maße als andere Hinterbliebene darauf angewiesen, eigenes Einkommen zu erzielen, wenn er seinen Lebensstandard erhalten will. Die Anrechnungsregelungen führen dazu, dass es dem betroffenen Hinterbliebenen nicht nur ganz erheblich erschwert wird, in sozialer Hinsicht aufzusteigen, sondern sie erschweren ihm sogar zusätzlich den Erhalt des vor dem Tod des Versicherten gepflegten, ohnehin schon niedrigen Lebensstandards. Insoweit haben die Anrechnungsregelungen den Effekt eines sozialen Niederhaltens.411 Insgesamt kommt es aufgrund von § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV demnach zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung derjenigen Hinterbliebenen mit einem über dem Freibetrag liegenden Einkommen gegenüber solchen Hinterbliebenen, die gar kein Einkommen oder ein Einkommen höchstens in Höhe des Freibetrages nach § 97 Abs. 2 SGB VI erzielen. Art. 3 Abs. 1 GG ist auch insoweit verletzt. IV. Die Ungleichbehandlung aufgrund der Nichtanrechnung bestimmter Arten von Einkommen Als das HEZG am 1. Januar 1986 in Kraft trat, brachte es zwei grundlegende Änderungen im Recht der Witwen- und Witwerrenten mit sich. Zum einen ist seitdem für den Bezug einer Witwerrente nicht länger Voraussetzung, dass der gemeinsame Un409

BVerfGE 97, 271, 292. Ruland, GK-SGB VI, § 67, Rn. 9. 411 Papier, DRV 1985, 272, 276 spricht in diesem Zusammenhang von einem „circulus vitiosus der Benachteiligung“; sich anschließend: Heine, FamRZ 1986, 113, 119. 410

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terhalt überwiegend von der verstorbenen Ehefrau bestritten wurde.412 Durch diese Verbesserung der Position der Witwer trug der Gesetzgeber zum einen dem knapp elf Jahre zuvor vom Bundesverfassungsgericht erteilten Auftrag, Witwen und Witwer gleichzustellen,413 Rechnung. Zum anderen führte der Gesetzgeber mit dem HEZG die Regelungen zur Einkommensanrechnung ein, um die mit der Besserstellung der Witwer einhergehenden Mehrausgaben zu kompensieren.414 Das HEZG trug die Einkommensanrechnung jedoch nicht umfassend in das Recht der Hinterbliebenenrenten hinein. Berücksichtigung fanden lediglich die beiden – damals wie heute – bedeutendsten Arten von Einkommen, das Erwerbseinkommen und das Erwerbsersatzeinkommen (§ 1281 RVO, § 58 AVG). Die Anrechnung anderen Einkommens, insbesondere die Anrechnung von Einkünften aus Vermietung, Verpachtung und Kapital als Einkommen aus Vermögen war nicht vorgesehen. Dieser Umstand stieß in der Literatur fast durchgehend auf Kritik: In der Beschränkung der Einkommensanrechnung auf Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen sah man einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.415 In seiner Entscheidung vom 18. Februar 1998416 befand das Bundesverfassungsgericht die Anrechnungsregelungen zwar auch unter dem Aspekt der Differenzierung zwischen Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen einerseits und sonstigem Einkommen andererseits für verfassungskonform. Es wies aber darauf hin, dass Einkünfte aus Vermögen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes von zunehmender Bedeutung seien. Diese Entwicklung habe der Gesetzgeber zu beobachten und die §§ 18a – e SGB IV ihr ggf. anzupassen.417 Die Konsequenzen418 aus dieser Ermahnung zog der Gesetzgeber mit der Ausweitung der Anrechnungsvorschriften durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21. März 2001419. Aufgrund dieser durchgehend begrüßten420 Reform der §§ 18a – e SGB IV wird nun nahezu jede Art von Einkommen angerechnet. Der 412

Dieses Erfordernis fand sich noch in §§ 1266 RVO, 43 Abs. 1 AVG. BVerfGE 39, 169, 194 f. 414 BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23. 415 So etwa Heinze, DRV 1985, 245, 250 f.; Helberger, DRV 1985, 69, 72; Kohleiß, FamRZ 1984, 851, 855; Maier, ZfS 1985, 353, 360; v. Maydell, DRV 1984, 662, 671; ders., DAngVers 1984, 101, 102; Papier, DRV 1985, 272, 276 f.; Ruland, NJW 1986, 20, 28; ders., DRV 93, 337, 344 f.; ders./Binne/ Rahn, SozVers 1994, 253, 256; Wagner, SozVers 1985, 197, 202; a.A.: Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 656, 660; Krause, DRV 1985, 254, 262. 416 BVerfGE 97, 271 ff. 417 BVerfGE 97, 271, 294 f.; die Frage nach der Verfassungskonformität der Differenzierung zwischen den Einkommensarten ausdrücklich offen lassend: BSG, SozR 3-2200 § 1281, Nr. 1, S. 4 f. 418 In der amtlichen Begründung wird die bis dahin erfolgende Beschränkung der Anrechnung als „ungerecht und sozialpolitisch unbefriedigend“ bezeichnet, BT-Drs. 14/4595, S. 59. 419 BGBl. I, S. 403 ff. 420 Vgl. nur Köhler, DAngVers 2001, 165, 172 f.; Ruland NZS 2001, 396, 397; Stahl/ Stegmann, DRV 2001, 387, 387. 413

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

zuvor erhobene Vorwurf der Ungleichbehandlung der Bezieher von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen einerseits und der Bezieher von sonstigem Einkommen, insbesondere solchem aus Vermögen, andererseits, ist damit ausgeräumt. Dass auch weiterhin einige wenige Einkommensarten nicht auf die Witwen- und Witwerrenten angerechnet werden, führt nicht zu einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, wie anhand der einzelnen Ausnahmen folgend dargelegt wird. 1. Ausnahme: § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IV Zunächst sind von der Anrechnung grundsätzlich alle steuerfreien Einkünfte nach § 3 EStG ausgenommen. Grund für diese weitreichendste der weiterhin bestehenden Ausnahmen ist, dass die Erwägungen, die zu der in § 3 EStG erfolgenden steuerlichen Privilegierung führen, sich meist auf das Sozialversicherungsrecht übertragen lassen.421 Allerdings sind in § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IVauch drei Arten von Einkommen benannt, die, obwohl sie sich im Katalog des § 3 EStG finden, doch der Anrechnung unterworfen werden. Bei diesen Gegenausnahmen handelt es sich zunächst um die Aufstockungsbeträge und Zuschläge nach § 3 Nr. 28 EStG. Sie haben die Funktion, Erwerbseinkommen, das durch die Nutzung von Altersteilzeitmodellen entfällt, zumindest teilweise zu ersetzen. Damit haben die Leistungen i.S.v. § 3 Nr. 28 EStG den Charakter von Erwerbsersatzeinkommen. Die arbeitsmarktpolitische Zwecksetzung, die mit der steuerlichen Privilegierung der Aufstockungsbeträge und Zuschläge verfolgt wird, lässt sich nicht auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten übertragen.422 Weiter sind die in § 3 Nr. 40 EStG genannten Einnahmen zwar zu vierzig Prozent steuerfrei gestellt, werden auf eine Rente wegen Todes aber voll angerechnet. Grund für die teilweise Steuerfreiheit der in § 3 Nr. 40 EStG bezeichneten Einnahmen ist, dass ein Anreiz zum Wechsel vom System der Körperschaftssteuer zum Teileinkünfteverfahren geschaffen werden soll.423 Der Tatbestand verfolgt insoweit ausschließlich am Besteuerungsverfahren ausgerichtete Ziele; eine materiell-rechtliche Motivation, die sich auf das Sozialversicherungsrecht übertragen ließe, liegt ihm nicht zugrunde.424 Schließlich unterliegen auch die in § 18a Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 8 SGB IV genannten Einkommensarten der Anrechnung, obwohl sie sämtlich steuerfrei sind: § 3 Nr. 1 EStG erfasst das Kranken-, das Verletzten- und das Versorgungskrankengeld (lit. a), das Mutterschaftsgeld (lit. d) sowie das Übergangs- und Kurzarbeitergeld (lit. c). Arbeitslosen- und Insolvenzgeld werden durch § 3 Nr. 2 EStG privilegiert. Die Steuerfreiheit des Berufsschadensausgleichs (§ 18a Abs. 3 S. 1 Nr. 8 SGB IV) er421 422 423 424

Marx, DAngVers 2001, 323, 326. Marx, DAngVers 2001, 323, 326. Blümich-Erhard, EStG, § 3, Rn. 506. Marx, DAngVers 2001, 323, 326.

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gibt sich aus § 3 Nr. 6 EStG. Dem in § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB VI niedergelegten Grundsatz folgend, müssten diese Leistungen daher eigentlich anrechnungsbefreit sein. Auch hier lassen sich die Gründe für die Freistellung von der Steuerpflicht aber nicht auf die Anrechnungsregelungen übertragen. Alle der genannten Einkünfte sind typisches Erwerbsersatzeinkommen und unterlagen auch schon vor Inkrafttreten des AVmEG der Einkommensanrechnung; durch die Reform hat der Gesetzgeber daran nichts ändern wollen.425 2. Ausnahme: § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB IV Durch § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB IV werden Altersvorsorgeverträge von der Anrechnung ausgenommen, soweit sie nach §§ 10a, 79 ff. EStG förderfähig sind (sog. „Riester-Rente“). Indem der Gesetzgeber diese privaten Altersvorsorgeverträge anrechnungsfrei stellt, vermeidet er einen Wertungswiderspruch: Die steuerliche Förderung der Verträge soll einen Ausgleich für die Absenkung des Sicherungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung schaffen.426 Dieser Ausgleich würde – wirtschaftlich betrachtet – wieder genommen, wenn er dazu führte, dass eine zugleich bezogene Rente wegen Todes um die aus dem geförderten Vertrag gezahlte Summe geringer ausfiele. Dass es dem Gesetzgeber bei dieser Ausnahme um die Vermeidung von Wertungswidersprüchen geht, ist auch daran erkennbar, dass die Einkünfte aus den Vorsorgeverträgen nur nicht der Anrechnung unterfallen, soweit sie förderfähig sind.427 3. Ausnahme: § 18a Abs. 2 S. 2, 1. Alt. SGB IV Ebenfalls nicht anzurechnen ist nach § 18a Abs. 2 S. 2, 1. Alt. SGB IVArbeitsentgelt bis zur Höhe von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung,428 wenn es durch Entgeltumwandlung für den Aufbau einer betrieblichen Altersvorsorge eingesetzt wurde. Auf den ersten Blick scheint der Gesetzgeber mit dieser Ausnahme das Ziel zu verfolgen, den Aufbau einer privaten Altersvorsorge begünstigen zu wollen.429 Dieser Gedanke greift indes zu kurz. Träfe er nämlich zu, wäre kaum zu erklären, warum Einnahmen aus Altersvorsorgeverträgen nach § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB IV nicht vollständig anrechnungsfrei sind, sondern der Anrechnung unterliegen, soweit die entsprechenden Verträge nicht nach §§ 10a, 79 ff. EStG förderfähig sind. Wollte der Gesetzgeber pauschal den Aufbau privater Altersvorsorge begünstigen, ließe sich auch nicht begründen, warum Einkommen i.S.v. § 18a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 lit. b SGB IV der Anrechnung unterliegt. 425

Marx, DAngVers 2001, 323, 327. Blümich-Lindberg, EStG, § 10a, Rn. 7. 427 Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 13. 428 Vom 1. 1. 2009 bis zum 31. 12. 2009 sind dies in den alten Bundesländern 2.592 E, in den neuen Bundesländern 2.184 E. 429 So Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 24. 426

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Der Grund für die Ausnahme von der Anrechnung ist folgender:430 Seit der Neufassung des § 14 SGB IV durch das AVmG431 sind auch die durch Entgeltumwandlung zum Aufbau einer betrieblichen Altersvorsorge genutzten Anteile des Arbeitsentgeltes als Arbeitsentgelt im Sinne des Gesetzes zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Da das Arbeitsentgelt auf eine Rente wegen Todes anzurechnen ist, müssten demnach auch diese Anteile des Arbeitsentgeltes sich eigentlich nachteilig auf die Höhe eines Anspruches auf Rente wegen Todes auswirken. Dies war jedoch vor der Ausweitung der Anrechnung nicht der Fall und sollte auch danach nicht der Fall sein, weil es der Konzeption der §§ 18a – e SGB IV zuwiderliefe, nur auf Einkommen Bezug zu nehmen, dass dem Betroffen auch tatsächlich zur Verfügung steht.432 4. Ausnahme: § 18a Abs. 2 S. 2, 2. Alt. SGB IV Weiterhin von der Anrechnung ausgenommen sind nach § 18a Abs. 2 S. 2, 2. Alt. SGB IV Entgelte, die für eine Pflegetätigkeit gezahlt werden und die in § 37 SGB XI festgelegten Grenzen des entsprechenden Pflegegeldes nicht übersteigen.433 Die Privilegierung verfolgt den Zweck, die Wahrnehmung der gesellschaftlich wichtigen Aufgabe der Laienpflege nicht unnötig unattraktiv zu gestalten.434 Vorzugswürdig erscheint daher auch, § 18a Abs. 2 S. 2, 2. Alt. SGB IV nicht dahingehend auszulegen, dass der gezahlte Betrag, wenn er den anerkennbaren Pflegesatz übersteigt, in voller Höhe anzurechnen ist, sondern die Norm dahingehend zu verstehen, dass empfangenes Entgelt der Anrechnung nur unterworfen ist, soweit es den Betrag der jeweiligen Pflegestufe übersteigt.435 5. Ausnahme: § 18a Abs. 3 S. 2 SGB IV § 18a Abs. 3 S. 2 SGB IV nimmt kindbezogene Leistungen von der Anrechnung aus. Gerechtfertigt ist dies durch den Umstand, dass diese Leistungen nicht für den betroffenen Bezieher der Rente wegen Todes erbracht werden, um ihm das Bestreiten seines eigenen Unterhaltes zu ermöglichen, sondern um diesen in die Lage zu versetzen, den Unterhalt eines vorhandenen Kindes bestreiten zu können.436 Dass Konzept der §§ 18a – e SGB IV, nur Einkommen anzurechnen, das dem Betroffenen auch tatsächlich zur Verfügung steht,437 wird insoweit konsequent durchgehalten.

430

Marx, DAngVers 2001, 323, 326. BGBl. 2001/I, S. 1310 ff. 432 Kreikebohm-Marschner, SGB IV, § 18a, Rn. 9. 433 Dies sind derzeit maximal 675 E (Pflegestufe III), vgl. § 37 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 lit. a SGB XI. 434 Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 24. 435 Ebenso Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 26. 436 Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 38. 437 Siehe dazu bereits oben 3. Teil, § 2, C.IV.3. 431

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6. Ausnahme: § 18 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 lit. b SGB IV Außerdem von der Anrechnung befreit sind nach § 18 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 lit. b SGB IV Einnahmen aus privaten Rentenversicherungsverträgen mit Kapitalwahlrecht, das nicht vor Ablauf von zwölf Jahren ausgeübt werden kann, sowie aus Kapitallebensversicherungen mit mindestens zwölfjähriger Laufzeit, soweit die Verträge bis zum 31. Dezember 2004 geschlossen wurden, bis zu diesem Zeitpunkt auch der erste Beitrag gezahlt wurde und Leistungen jeweils nicht auf den Erlebensfall, sondern wegen Todes erbracht werden. Derartige Leistungen dienen dem Unterhaltsersatz und haben damit die gleiche Stoßrichtung wie eine Witwen- oder Witwerrente,438 sie stellen insoweit „private Renten wegen Todes“ dar. Wären Leistungen aus solchen Verträgen von der Anrechnung erfasst, hätte man den Versicherten die Möglichkeit genommen, ihren Hinterbliebenen eine zusätzliche Absicherung zu den gesetzlichen Renten wegen Todes zu geben. Insbesondere Hinterbliebene von Versicherten mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze müssten dann unter Umständen erhebliche Einbußen hinsichtlich ihres Lebensstandards hinnehmen.

D. Die Einkommensanrechnung als Auflösung der Bindung von Beitrag und Leistung und deren grundrechtliche Folgen Die Sozialversicherung ist regelmäßig als Zwangssystem ausgestaltet. Die Zwangskorporation stellt – wie erwähnt439 – zwar kein konstitutives Merkmal für das Vorliegen von „Sozialversicherung“ dar, indiziert aber zumindest die Zugehörigkeit eines Vorsorgesystems zur Sozialversicherung.440 Auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich grundsätzlich441 um eine Zwangsversicherung (vgl. §§ 1 – 3 SGB VI). In ihrem Rahmen werden den Versicherten Beiträge abverlangt, die der gesamtheitlichen Absicherung der Risiken des Rehabilitationsbedarfs, der Erwerbsminderung, des Alters und des Hinterlassens eines bis dahin unterhaltsberechtigten Kindes oder Ehegatten dienen.442 Folgend soll untersucht werden, ob die Belastung der Versicherten mit Beitragspflichten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, soweit die Beiträge für die Witwen- und Witwerrenten eingefordert werden. Das laufende Einfordern dieser Beiträge nimmt den Versicherten die Freiheit, über die abverlangten Mittel anderweitig zu verfügen,443 sie etwa für eine eigenverantwortliche Risikoabsicherung oder – völlig nach Belieben – auch nur zu Konsum438

Vor, LPK-SGB IV, § 18a, Rn. 44. Vgl. oben 3. Teil, § 1, A. 440 BK-Axer, Art. 74 Nr. 12, Rn. 29; Butzer, Fremdlasten, S. 306 f.; Krause, JuS 1986, 349, 351; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 110 ff. 441 Anderes gilt nur für die nach §§ 4, 7 SGB VI Versicherten. 442 BSGE 92, 113, 129; Butzer, FS Isensee, S. 667, 681. 443 H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 538. 439

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

zwecken einzusetzen. Hierin liegt eine Beschränkung, die aufgrund des in den Grundrechten zum Ausdruck gelangenden Primats der Freiheit ein Rechtfertigungserfordernis schafft (Art. 2 Abs. 1 GG). Darüber hinaus besteht auch in gleichheitsrechtlicher Hinsicht ein Legitimationsbedürfnis, weil Rentenversicherungsbeiträge – anders als Steuern – nur einem begrenzten Kreis der Bevölkerung abverlangt werden. Ob diesen ohnehin bei jeder Beitragserhebung bestehenden Rechtfertigungserfordernissen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung genügt wird, soweit den Versicherten Beiträge für die Witwen- und Witwerrenten abverlangt werden, erscheint aufgrund der Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV in hohem Maße fraglich. Denn die Gegenleistung für die Erbringung von witwen- und witwerrentenbezogenen Beiträgen, deutlicher: das Zahlen einer Witwenoder Witwerrente an den hinterbliebenen Ehegatten, das grundsätzlich geeignet wäre, die Beitragslast zu rechtfertigen, ist – wie bereits festgestellt wurde444 – infolge der Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV zu einer subsidiären Leistung geworden.

I. Zur Legitimation der Beitragserhebung in freiheitsrechtlicher Hinsicht 1. Die zwangsweise Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung Zunächst soll untersucht werden, ob das Einfordern von Rentenversicherungsbeiträgen, soweit diese auch der Finanzierung von Witwen- und Witwerrenten dienen, mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Dazu ist festzustellen, dass es den Trägern der Rentenversicherung nur möglich ist, den Versicherten überhaupt Beiträge abzuverlangen, gerade weil diese Versicherte sind. Demnach ist der mit der Beitragserhebung verbundene Eingriff in die Freiheit der Versicherten von vornherein illegitim, wenn schon die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung grundrechtlichen Anforderungen nicht zu genügen vermag.445 a) Keine Grundrechtsrelevanz der Zwangskorporation? Stellenweise wird indes vertreten, die zwangsweise Einbeziehung in ein sozialversicherungsrechtliches System müsse sich nicht an den Grundrechten messen lassen.446 Die Einbeziehung in einen öffentlich-rechtlichen Zwangsverband selbst berühre die grundrechtlich geschützte freiheitliche Sphäre des Betroffenen noch in keiner Weise, sie sei in grundrechtlicher Hinsicht wirkungsneutral. Beeinträchtigende Wirkung gehe vielmehr erst und allein von den an die Zugehörigkeit zum öffent444

Siehe oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb). Butzer, Fremdlasten, S. 323. 446 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 188 ff.; Kaltenborn, NZS 2001, 300, 303 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 305 f.; Laubinger, VerwArch 74 (1983), 263, 277 ff. 445

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lich-rechtlichen Zwangsverband anknüpfenden Pflichten aus.447 Ebenso, wie nicht schon die Unterwerfung des Einzelnen unter die Staatsgewalt, sondern erst das konkret eingreifende Handeln des Staates grundrechtsrelevant sei, könne auch nicht bereits die zwangsweise Einbeziehung in einen öffentlich-rechtlichen Verband, sondern erst die aus den damit einhergehenden Pflichten resultierenden Belastungen an den Grundrechten gemessen werden.448 Ob die Abverlangung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenersicherung mit den Grundrechten vereinbar ist, hinge demnach allein von der Beitragspflicht selbst, nicht auch von der Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung ab. Diese Betrachtungsweise verdient keine Zustimmung. Die Eingliederung in einen öffentlich-rechtlichen Zwangsverband führt zur Entstehung von Kompetenzen des Verbandes gegenüber den inkorporierten Mitgliedern. Diese Kompetenzen entsprechen aber spiegelbildlich jenen Freiheiten, die durch den Eingliederungsakt bei den betroffenen Bürgern verloren gehen.449 Der Einbeziehung in einen Zwangsverband keine Grundrechtsrelevanz beizumessen, hieße daher, den grundgesetzimmanenten Vorrang der Freiheit gegenüber staatlicher Tätigkeit jedweder Art450 zu verneinen. Auch der erwähnte Vergleich zwischen der Unterwerfung des Einzelnen unter die Staatsgewalt und dem konkreten staatlichen Eingriffshandeln einerseits sowie der Zwangskorporation und den mit dieser einhergehenden Pflichten andererseits überzeugt nicht. Die Schaffung grundrechtlich verbürgter Freiheit fällt mit der Entstehung des Staates und der sich daraus ergebenden Unterwerfung des Einzelnen unter die Staatsgewalt zusammen. Daher muss der Unterwerfung des Einzelnen unter die Staatsgewalt auch jede grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung abgesprochen werden: Das Geschaffene kann nicht Maßstab für den Akt des Schaffens sein. Sobald ein grundrechtlicher Rahmen aber besteht, muss sämtliches staatliche Handeln dessen Anforderungen genügen – auch der Akt der Einbeziehung in einen öffentlichrechtlichen Zwangsverband. Die Körperschaft des öffentlichen Rechts, die durch die Summe der Zwangseingliederungen geschaffen und erhalten wird, stellt trotz eigener Rechtssetzungsbefugnisse keinen „Staat im Kleinen“ dar, sondern unterliegt sowohl hinsichtlich ihrer Entstehung als auch hinsichtlich ihrer Ausgestaltung uneingeschränkt den Grundrechten; jede andere Ansicht gerät mit Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG in Konflikt.

447 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 188 ff.; Kaltenborn, NZS 2001, 300, 303 f.; Laubinger, VerwArch 74 (1983), 263, 277 ff. Darüber hinaus misst Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 303, 305 f. der Einbeziehung in einen öffentlichrechtlichen Zwangsverband sogar begünstigende Wirkung zu, weil der Bürger die Möglichkeit erwerbe, an der Ausübung der Staatsgewalt teilzuhaben. 448 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 194; kritisch dazu Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374, 379; Pietzcker, NJW 1987, 305, 306. 449 Butzer, Fremdlasten, S. 324 f. 450 Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 172; Merten, DRV 2008, 382, 384; ders., NZS 1998, 545, 547.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

b) Der Streit um den Prüfungsmaßstab für Eingriffe in die negative Vereinigungsfreiheit Stuft man aus den genannten Gründen auch die zwangsweise Eingliederung in ein öffentlich-rechtliches Vorsorgesystem als einen Eingriff in die grundrechtlich verbürgte Freiheit ein, einem öffentlich-rechtlichen Verband fern zu bleiben, so stellt sich die Frage, welches Grundrecht diese Freiheit – die sogenannte negative Vereinigungsfreiheit – gewährt. Die Antwort ist seit langer Zeit umstritten: Der herrschenden Ansicht zufolge richtet sich der Schutz gegen die Zwangseingliederung in öffentlichrechtliche Verbände nach Art. 2 Abs. 1 GG.451 Eine starke Gegenansicht in der Literatur befürwortet dagegen einen Schutz aus Art. 9 Abs. 1 GG.452 Gegen die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 GG führt die herrschende Ansicht an, die Norm gestatte in positiver Hinsicht lediglich die Vereinigung in privatrechtlicher Form, sie gebe kein Recht zur Gründung öffentlich-rechtlicher Vereinigungen; Art. 9 Abs. 1 GG könne aber in negativer Hinsicht nicht vor etwas schützen, was nicht auch in positiver Hinsicht gewährt werde.453 Diesen Umkehrschluss stufen die Vertreter der Gegenauffassung indes als nicht zwingend ein und erwidern, der Umstand, dass ein Anspruch Privater auf einen Zusammenschluss in öffentlich-rechtlicher Form grundsätzlich nicht besteht, berühre nicht die Freiheit, öffentlich-rechtlichen Verbänden fern zu bleiben; in negativer Hinsicht fungiere Art. 9 Abs. 1 GG als klassisches Abwehrrecht.454 Entscheidend gegen einen Schutz aus Art. 9 Abs. 1 GG spricht jedoch Folgendes: Für das Vorliegen einer Vereinigung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 GG bedarf es – das bestreiten auch die Anhänger der Gegenansicht nicht – der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses.455 Bei einer auf Zwang beruhenden Mitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband fehlt es an Freiwilligkeit aber gerade. Ist demnach ein öffentlich-rechtlicher Zwangsverband keine Vereinigung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 GG, kann auch die Vereinigungsfreiheit durch sie – weder in positiver noch in negativer Hinsicht – betroffen sein.456

451 BVerfGE 10, 89, 102; BVerfGE 38, 281, 297 f.; BVerfGE 50, 290, 354; BVerfGE 92, 53, 69; BVerfGE 97, 271, 286; BVerfGE 109, 96, 109 f.; BVerfGE 115, 25, 41 f.; BVerwGE 64, 115, 117; BVerwGE 64, 298, 301; BVerwGE 107, 169, 172 f.; BVerwGE 108, 169, 171 f.; BSGE 25, 170, 176; BSGE 31, 136, 138 f.; Bieback, VSSR 2003, 1, 17; Sachs-Höfling, Art. 9, Rn. 8, 13; Hebeler, Generationengerechtigkeit, S. 92; Jahn, JuS 2000, 129, 130; F. Kirchhof, NZS 2004, 1, 2; Merten, NZS 1998, 545, 547; Ruland, ZRP 2009, 165, 168; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 194; Mangoldt/Klein/Starck-Starck, Art. 2, Rn. 134. 452 Bethge, JA 1979, 281, 284 f.; Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, Art. 9 Abs. 1, Rn. 58; v. Mutius, VerwArch 64 (1973), 81, 82 ff.; ders., Jura 1984, 193, 196 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 730; Rode, DÖV 1976, 841, 844 f.; Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374, 403; Scholz, AöR 100 (1975), 80, 124 f. 453 Merten, NZS 1998, 545, 547; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 194. 454 Jäkel, DVBl. 1983, 1133, 1134; Scholz, AöR 100 (1975), 80, 124 f. 455 BVerfGE 10, 89, 102; BVerfGE 38, 281, 297; BVerfGE 85, 360, 370; v. Mutius, Jura 1984, 193, 194; Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, Art. 9 Abs. 1, Rn. 27; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 722. 456 Mangoldt/Klein/Starck-Kemper, Art. 9 Abs. 1, Rn. 27.

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Entscheidet man sich dementsprechend mit der überwiegenden Ansicht dafür, Schutz vor einer zwangsweisen Eingliederung in öffentlich-rechtliche Verbände und damit – hinsichtlich der zu untersuchenden Frage nach der Verfassungskonformität der Erhebung von Beiträgen für Witwen- und Witwerrenten – auch vor der Zwangseingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung aus Art. 2 Abs. 1 GG zu gewähren, so wird zugleich dem Gesetzgeber eine freiere Hand bei solchen Eingliederungen gegeben:457 Schlösse man sich der Gegenansicht an und befände Art. 9 Abs. 1 GG für einschlägig, wäre festzustellen, dass die in Art. 9 Abs. 2 GG genannten Schranken sich nicht in sinnvoller Weise auf die negative Vereinigungsfreiheit übertragen lassen.458 Eine Einschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit erfolgte daher ausschließlich aufgrund kollidierender Verfassungsgüter im Rahmen der praktischen Konkordanz. Bei einem Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG hat der Gesetzgeber aber aufgrund der in der Norm enthaltenen Schrankentrias die Möglichkeit, durch jedes formell sowie materiell verfassungskonforme Gesetz eingreifend oder – auf die konkrete Problematik bezogen – „eingliedernd“ tätig zu werden.459 c) Zur Verfassungskonformität der Einbeziehung in die Sozialversicherung im Allgemeinen und in die gesetzliche Rentenversicherung im Besonderen aa) Rechtfertigende Aspekte (1) Die materiell rechtfertigende Wirkung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Hinsichtlich der zwangsweisen Einbeziehung in die Sozialversicherung geht eine rechtfertigende Wirkung zunächst – das ist heute weitgehend unbestritten – von der bloßen Existenz der Zuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG aus.460 Streit besteht allerdings noch darüber, wie weitgehend diese rechtfertigende Wirkung ausfällt.461 Kleinster gemeinsamer Nenner der dazu vertretenen Ansichten ist folgender Gedanke: Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stellt eine der bedeutendsten Normen des Grundgesetzes zur Verwirklichung der Staatszielbestimmung aus Art. 20 Abs. 1 GG, des Sozialstaa-

457

Butzer, Fremdlasten, S. 327; Kaltenborn, NZS 2001, 300, 301; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 194. 458 Butzer, Fremdlasten, S. 327; Hebeler, Generationengerechtigkeit, S. 94, Fn. 565. 459 Jäkel, DVBl. 1983, 1133, 1136 sowie Sodan, Freie Berufe, S. 327 messen diesem Unterschied hinsichtlich der Einschränkbarkeit kaum praktische Bedeutung zu. Zu Recht a.A.: Butzer, Fremdlasten, S. 327; Kaltenborn, NZS 2001, 300, 301. 460 Vgl. etwa Bieback, Bürgerversicherung, S. 68 f.; Bleckmann, DÖV 1983, 129, 130 f.; Butzer, Fremdlasten, S. 126 ff.; J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 222 ff.; ders., DÖV 2002, 397, 398 ff.; Isensee, Umverteilung, S. 67; Pestalozza, Der Staat 1972, 161 ff.; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 327 ff.; Pieroth, AöR 114 (1989), 422, 431 ff. 461 Dazu J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 222 ff.; Bieback, VSSR 2009, 155, 156 f.; ders., VSSR 2003, 1, 5.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

tes, dar.462 Soll die Einräumung der Kompetenz – und zu weiten Teilen damit zugleich die Staatszielbestimmung aus Art. 20 Abs. 1 GG – nicht zum „misslungenen Experiment“463 werden, ist die Möglichkeit, von der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG auch Gebrauch machen zu dürfen, unabdingbar. Allein aus dem Umstand, dass der Grundgesetzgeber die Kompetenz geschaffen hat, ergibt sich daher die Vermutung, dass sie auf eine Weise ausgeübt werden kann, die gegenüber den Grundrechten grundsätzlich zu rechtfertigen ist.464 Soweit aber die zwangsweise Einbeziehung der Bürger in die gesetzliche Rentenversicherung zum Zwecke der Absicherung vor dem Risiko, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, betroffen ist, deutlicher: soweit die Zwangseingliederung in das Recht der Witwen- und Witwerrenten auf dem Prüfstand steht, entfaltet Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht einmal dieses Minimum an rechtfertigender Wirkung. Denn, wie festgestellt wurde,465 hat der Gesetzgeber die kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG überschritten, indem er durch das HEZG mit Wirkung zum 1. Januar 1986 die Einkommensanrechnung in das Recht der Witwen- und Witwerrenten eingeführt und diesem dadurch den Charakter einer Versicherung genommen hat, der zwingend erforderlich ist, wenn die Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung nutzbar gemacht werden soll466. (2) Die soziale Schutzbedürftigkeit Das Motiv für die Schaffung der Sozialversicherung stellt die soziale Schutzbedürftigkeit weiter Kreise der Bevölkerung dar.467 Das Vorhandensein sozialer Schutzbedürftigkeit bei den Betroffenen wird daher auch allgemein als der bedeutendste Umstand angesehen, der eine zwangsweise Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Vorsorgesystem zu rechtfertigen vermag. Mit Recht wird teils vertreten, dass eine Zwangskorporation ohne Weiteres rechtswidrig sei, wenn sie vorgenommen wird, obwohl eine Schutzbedürftigkeit der Betroffenen nicht vorliegt.468

462

Bieback, VSSR 2003, 1, 5; Butzer, Fremdlasten, S. 134; Scholz, FS Sieg, S. 507, 512. Schnapp, JuS 1978, 729, 735. 464 Bieback, VSSR 2003, 1, 5 f.; ders., Bürgerversicherung, S. 68; Butzer, Fremdlasten, S. 135; Isensee, FS Leisner, S. 358, 371; Menzel, DÖV 1983, 805, 806. 465 Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb). 466 Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.III.1.a). 467 Isensee, ZRP 1982, 137, 139; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 114; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 192. 468 Butzer, Fremdlasten, S. 332; Hase, Versicherungsprinzip, S. 65 f., 307; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 252; Merten, NZS 1998, 545, 549; Meyer, Armutsfestigkeit, S. 112 f.; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 192; Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 197; a.A.: Bieback, Bürgerversicherung, S. 86 f.; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 112 ff. 463

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Bei der Entscheidung über das Vorliegen sozialer Schutzbedürftigkeit steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.469 Dessen Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn Besserverdienende nur in die Sozialversicherung einbezogen werden, um deren Leistungsfähigkeit zu erhalten.470 Ausgleichende Wirkung entfaltet insoweit die Beitragsbemessungsgrenze (§ 159 SGB VI):471 Besserverdienende tragen nicht unter Berücksichtigung ihres gesamten Einkommens zum Vorsorgesystem bei, sondern sind lediglich bis zu einer bestimmten Höchstbetragsgrenze beitragspflichtig. Entsprechend erwerben sie einerseits aus dem Vorsorgesystem auch nur eine „Grundsicherung“, haben dafür aber andererseits die Möglichkeit, über das die Höchstbetragsgrenze übersteigende Einkommen frei zu verfügen, es insbesondere zu anderweitiger, eigenverantwortlicher Vorsorge einzusetzen.472 Insoweit ist die grundrechtliche Betroffenheit Besserverdienender, mit der die Zwangskorporation einhergeht, durch die Beitragsbemessungsgrenze limitiert. (3) Der Schutz der Allgemeinheit vor der Bedürftigkeit Einzelner Soweit davon ausgegangen wird, neben der sozialen Schutzbedürftigkeit sei noch Raum für weitere Umstände, die eine Rechtfertigung der auf Zwang beruhenden Einbeziehung in die Sozialversicherung gestatten,473 kommt als solcher insbesondere der Schutz der Allgemeinheit vor der Bedürftigkeit des Einzelnen in Betracht.474 Dieser Aspekt ist auf das Engste mit dem der sozialen Schutzbedürftigkeit des einzelnen Bürgers verknüpft: Unterlässt der Gesetzgeber die Zwangseinbeziehung der sozial Schutzbedürftigen in ein öffentlich-rechtliches Vorsorgesystem, so bleibt die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährte Vorsorgefreiheit ungeschmälert: Die Bürger können frei entscheiden, in welcher Weise sie sich gegen bestimmte Risiken absichern wollen und auch, ob sie überhaupt Risikovorsorge betreiben wollen. Übt ein sozial Schutzbedürftiger seine Vorsorgefreiheit aber dahingehend aus, dass er auf einen Risikoschutz verzichtet, und verwirklicht sich dann ein – unabgesichertes – Risiko, wird der Betroffene bedürftig. Die Folgen dieses Bedürftigkeitseintritts hat die Allgemeinheit zu tragen: Der Staat ist verpflichtet, dem Bedürftigen ein zumindest im Einklang

469

BVerfGE 10, 354, 370 f.; BVerfGE 29, 221, 235; BVerfGE 44, 70, 89; BVerfGE 48, 227,

234. 470 BVerfGE 29, 221, 236 f.; BVerfGE 44, 70, 89 f.; Hase, Versicherungsprinzip, S. 165; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 252 f.; F. Kirchhof, NZS 2004, 1, 2; Meyer, Armutsfestigkeit, S. 112; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 192. 471 BVerfGE 29, 221, 237; Butzer, Fremdlasten, S. 331 f.; H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 539 f.; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 187; Merten, NZS 1998, 545, 550; Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, S. 193. 472 BVerfGE 29, 221, 237. 473 So etwa Bieback, Bürgerversicherung, S. 86 f.; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 112 ff.; Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 197. 474 Merten, DRV 2008, 382, 385; Bieback, Bürgerversicherung, S. 93; Schulin, ZVersWiss 1994, 29, 32; kritisch Neumann, NZS 1998, 401, 407, Fn. 105.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

mit der Menschenwürde stehendes Dasein zu ermöglichen.475 Dieser Pflicht wird der Staat gerecht, indem er steuerfinanzierte Sozialhilfe leistet. Die Freiheit der Vorsorge des Einzelnen ist insoweit auch immer das „Risiko der Vorsorge“476 für die Allgemeinheit.477 Um die Verwirklichung dieses „Vorsorgerisikos“ zu verhindern, hat der Gesetzgeber die prinzipielle Möglichkeit, in die Vorsorgefreiheit einzugreifen. bb) Die Pflicht zum Abschluss einer privaten „Verwitwungsversicherung“ als Alternative zur Sozialversicherungspflicht? Gestatten die drei genannten Aspekte – das Vorhandensein der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, die soziale Schutzbedürftigkeit sowie der Schutz der Allgemeinheit vor der Bedürftigkeit Einzelner – die Einbeziehung in die Sozialversicherung im Allgemeinen und, unter Ausnahme der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG,478 auch die Einbeziehung in das Recht der Witwen- und Witwerrenten im Besonderen, so könnte sich die Zwangskorporation mangels Erforderlichkeit doch als unverhältnismäßig erweisen. Dies wäre der Fall, wenn ein Mittel existiert, das die grundrechtlich verbürgte Vorsorgefreiheit weniger stark einschränkt als die Zwangseingliederung in die Sozialversicherung, dieser hinsichtlich der Verwirklichung der verfolgten Sicherungsziele aber in nichts nachsteht. Ein solches Mittel könnte die Schaffung einer Pflicht zur privaten Vorsorge sein. Bezogen auf die Witwen- und Witwerrenten stellt sich mithin die Frage, ob es eine private Pflichtversicherung geben kann, die Ehegatten gegen das Risiko, im Falle ihres Todes einen unversorgten Partner zu hinterlassen, (mindestens) ebenso gut absichert wie das Recht der Witwen- und Witwerrenten, die Rechte der Betroffenen aber zugleich weniger stark verkürzt als dieses. Die Sozialversicherung ist geprägt durch einen Abschluss-, Inhalts- und Partnerzwang,479 die Vorsorgefreiheit des Betroffenen wird mit anderen Worten eingeschränkt hinsichtlich des „Ob“, „Wie“ und des „Durch wen“ der Risikoabsicherung. Eine Pflicht zur privaten Versicherung betrifft stets das „Ob“, je nach Ausgestaltung der Versicherungspflicht auch das „Wie“, auf keinen Fall aber das „Durch wen“. Das mildere Mittel wäre eine Pflicht zum Abschluss einer privaten Versicherung damit ohne Zweifel. Als Alternative zur Einbeziehung in die Sozialversicherung hat die Pflicht zum Abschluss einer privaten Versicherung gleichwohl auszuscheiden, weil sie unter Effektivitätsgesichtspunkten hinter dieser zurückbleibt. Das gilt selbst dann, wenn man mit einer in der Literatur vertretenen Ansicht nicht ein Gleichmaß an Effektivität forderte, sondern davon ausginge, an der Erforderlichkeit einer Eingriffshandlung fehle es bereits, wenn eine geringfügig weniger effektive, dafür aber deutlich weniger ein475 St. Rspr. seit BVerwGE 1, 159 ff.; Papier, FS 50 Jahre BSG, S. 23, 27; Schulin, ZVersWiss 1994, 29, 31. 476 H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 542. 477 Schulin, ZVersWiss 1994, 29, 32. 478 Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb). 479 Merten, NZS 1998, 545, 547.

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griffsintensive Handlungsmöglichkeit offen steht480. Die Unterschiede hinsichtlich der Verwirklichung der verfolgten Sicherungsziele durch die Einbeziehung in die Sozialversicherung einerseits und die Schaffung einer Pflicht zur privaten Versicherung andererseits sind nämlich durchaus erheblich: Diejenigen, die ein „schlechtes Risiko“ aufweisen, erhielten bei einem privaten Versicherer Versicherungsschutz nur gegen – insbesondere für sozial Schwache unter Umständen untragbar – hohe Beiträge oder würden von vornherein als unversicherbar abgelehnt.481 Gerade die Bürger, die der angestrebten Absicherung am stärksten bedürfen, erhielten sie damit gar nicht oder nur unter unzumutbaren Voraussetzungen. Auf eine private „Verwitwungsversicherung“ trifft dies zwar auch, aber nicht etwa, wie teils vertreten wurde,482 in besonderem Maße zu: Im Recht der Witwen- und Witwerrenten vermag ein Versicherter bis unmittelbar vor seinem Tode durch die Eingehung einer Ehe einem Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente zur Entstehung zu verhelfen, der sich aus der Gesamtheit aller jemals vom Versicherten geleisteten Beiträge ableitet.483 Die Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung, genauer: die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherte einen unversorgten Ehegatten hinterlässt, nimmt dabei umso stärker zu, je älter der Versicherte im Vergleich zu seinem Ehegatten ist; gerade bei männlichen Versicherten fällt dieser Altersunterschied zwischen den Ehegatten mit steigendem Eheeintrittsalter des Versicherten zunehmend größer aus.484 Dass bedeutet, dass zum einen die Verwirklichung des versicherten Risikos wahrscheinlicher wird und zum anderen die Dauer des dann zu erwartenden Bezuges einer Rente höher ausfällt als bei Ehepaaren, die in jüngeren Jahren geheiratet haben und einen geringeren Altersunterschied aufweisen.485 Naheliegend scheint daher die Annahme, es müsse bei einer Eheschließung in höherem Alter schlicht unbezahlbar sein, eine private Versicherung gegen das Risiko abzuschließen, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, die in ihrem Umfang der witwen- und witwerrentenrechtlichen Absicherung entspricht.486 Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass die witwen- und witwerrentenrechtliche Absicherung nicht erst mit der Eingehung einer Ehe einsetzt: In der gesetzlichen Rentenversicherung leistet der Versicherte von Beginn seiner Versicherteneigenschaft an 480 So Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 153; ders., Verfassungsrecht II, A 10, Rn. 37; zur herrschenden Ansicht, die eine identische Effektivität der Mittel fordert, vgl. etwa BVerfGE 25, 1, 19 f.; BVerfGE 30, 292, 319; Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 63; Gentz, NJW 1968, 1600, 1604; Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 574; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 64; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 67; Kluth, JA 1999, 606, 609; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Art. 20, Rn. 285. 481 Mertens, NZS 1998, 545, 548. 482 Hase, JZ 2000, 591, 596. 483 Dies gilt natürlich nur, wenn nicht der Ausschlusstatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI greift. 484 Ruland, DRV 1985, 278, 282; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 162. 485 Ruland, DRV 1985, 278, 282; ders., Auflösung und Neubildung, S. 138, 162. 486 Ähnlich Hase, JZ 2000, 591, 596.

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einen Gesamtbeitrag. Dessen Höhe ändert sich auch durch eine Eheschließung nicht. Dass bedeutet, dass der Versicherte nicht erst mit den ab Eingehung der Ehe zu erbringenden Beiträgen, sondern bereits mit der ersten überhaupt erbrachten Beitragsleistung einen Schutz auch für einen möglicherweise vorhandenen Ehegatten aufzubauen beginnt.487 Eine private Versicherung, die dem Recht der Witwen- und Witwerrenten gleicht, müsste daher entsprechend frühzeitig, nicht erst bei Eingehung einer Ehe in vielleicht schon hohem Alter, abgeschlossen werden. Grundsätzlich unbezahlbar wäre sie dann nicht. Sind die Bedenken gegen die Schaffung einer Pflicht zur Eingehung einer privaten „Verwitwungsversicherung“ demnach nicht stärker als diejenigen, die allgemein gegen die Schaffung einer Pflicht zur privaten Absicherung sozialer Risiken sprechen, so bleibt eine private „Verwitwungsversicherung“ hinsichtlich der Effektivität der Zielerreichung aber doch in dem gleichen Maße hinter einer Einbeziehung der Betroffenen in das Recht der Witwen- und Witwerrenten zurück, in welchem allgemein die Privatversicherungspflicht unter Effektivitätsgesichtspunkten hinter der Einbeziehung der Betroffenen in die Sozialversicherung zurückbleibt: Würde eine private „Verwitwungsversicherung“ von einer Person abgeschlossen, die ein überdurchschnittliches Risiko aufweist, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen – etwa weil sie einen riskanten Beruf ausübt –, so würde ihr in der Privatversicherung auch ein überdurchschnittlicher, vielleicht nicht mehr bezahlbarer Beitrag abverlangt. Möglicherweise stuft ein Privatversicherer das Risiko des Betroffenen gar so hoch ein, dass er diesen als Versicherten von vornherein ablehnt. Dem Umstand, dass eine Pflicht zum Abschluss einer privaten Versicherung sich regelmäßig als weniger effektiv erweist als die zwangsweise Einbeziehung in ein entsprechendes öffentlich-rechtliches Vorsorgesystem, ließe sich zwar begegnen, indem man die Privatversicherer gesetzlich verpflichtete, ihre Verträge sozialversicherungsähnlich auszugestalten.488 Den Privatversicherern könnte ein Kontrahierungszwang auferlegt und darüber hinaus eine allenfalls begrenzt risikoabhängige, womöglich gar eine dem Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG entsprechende Beitragsgestaltung vorgegeben werden. Die Ablehnung von Personen mit „schlechten“ Risiken sowie die Erhebung von Beiträgen in ruinöser Höhe wären dann ausgeschlossen. Derartige Maßnahmen zur Erzielung eines Mehr an Effektivität bezüglich der Verwirklichung sozialer Ziele stellen jedoch massive Eingriffe in die Berufsfreiheit der Privatversicherer dar.489 Sie gehen über das Ausmaß der Eingriffe, die sich daraus ergeben, dass den Privatversicherern infolge der Schaffung der Sozialversicherung bestimmte Geschäftsfelder versperrt bleiben, deutlich hinaus. Zudem lassen Kontrahierungszwänge und Gebote einer weitgehend oder völlig risikounabhängigen Beitragserhebung das Anbieten der betroffenen Versicherungen 487 488 489

Vgl. dazu oben 2. Teil, § 3, D.I.1.a). Vgl. dazu Leube, NZS 2003, 449 ff. Bieback, Bürgerversicherung, S. 93 f.

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für die Privatversicherer weniger attraktiv werden. Folge ist, dass die Privatversicherer Abstand davon nehmen, diese Versicherungen anzubieten. Mit geringer werdender Anbieterzahl sinkt aber auch das Plus an Freiheit, das die Privatversicherungspflicht gegenüber der zwangsweisen Einbeziehung in die Sozialversicherung bietet. Zur Erinnerung: Dieses Plus an Freiheit ist es, das überhaupt Zweifel an der Erforderlichkeit der zwangsweisen Einbeziehung in die Sozialversicherung geweckt hat. Der Gewinn an Freiheit ergibt sich, wie erwähnt, grundsätzlich daraus, dass bei einer Privatversicherungspflicht – anders als in der Sozialversicherung490 – nicht Abschluss-, Inhalts- und Partnerzwang, sondern lediglich ein Abschluss- und ein je nach Ausgestaltung unterschiedlich weit reichender Inhaltszwang bestehen, ein Partnerzwang aber gerade nicht auferlegt wird. Schrumpft nun aufgrund weitgehender gesetzgeberischer Vorgaben zur Ausgestaltung der betroffenen Versicherungen die Zahl der Anbieter, so wird zum einen – gerade durch die weitgehenden Vorgaben – der Inhaltszwang ausgeweitet und die diesbezüglich eigentlich größere Freiheit bei Schaffung einer Privatversicherungspflicht verkürzt. Zum anderen führt eine geringe Zahl anbietender Privatversicherer dazu, dass der Einzelne nur noch beschränkt wählen kann, bei wem er Versicherungsschutz sucht. Dadurch findet eine Annäherung an den sozialversicherungsrechtlichen Partnerzwang statt; das Plus an Freiheit gegenüber der Zwangseinbeziehung in die Sozialversicherung wird nochmals verringert. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Möglichkeit, eine Pflicht zum Abschluss einer Privatversicherung zu schaffen, eine Zwangskorporation in der Sozialversicherung nicht unverhältnismäßig werden lässt. Sie stellt grundsätzlich zwar das mildere Mittel dar, steht der Sozialversicherung unter Effektivitätsgesichtspunkten aber nach. Je stärker dieses Minus an Effektivität durch gesetzgeberische Vorgaben zur Ausgestaltung der betroffenen Privatversicherungen ausgeglichen wird, desto weniger ist die Privatversicherungspflicht noch das mildere Mittel; ist hinsichtlich der Verwirklichung sozialer Ziele ein Gleichmaß an Effektivität erreicht, besteht auch bezüglich des Ausmaßes der jeweils erfolgenden Freiheitsbeschränkung kein Unterschied mehr zwischen Sozial- und Privatversicherung. 2. Die Pflicht zur Leistung von Rentenversicherungsbeiträgen Begegnet die zwangsweise Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung und damit auch die Einbeziehung in das Recht der Witwen- und Witwerrenten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, ist insoweit auch die Verfassungskonformität der Beitragserhebung festzustellen. Es bleibt aber die Möglichkeit, dass die Pflicht zur Leistung von Rentenbeiträgen, die unter anderem der Absicherung des Risikos dienen, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, sich aus in der Beitragserhebung selbst liegenden Gründen als freiheitsrechtlich illegitim erweist.

490

Merten, NZS 1998, 545, 547.

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

a) Der Streit um den Prüfungsmaßstab bei der Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten Dabei ist zunächst auf die Frage einzugehen, durch welches Grundrecht der Einzelne vor einer Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen geschützt wird. Die Pflicht zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen stellt eine öffentlich-rechtliche Geldleistungspflicht dar.491 Ob sich eine solche an Art. 14 GG oder „nur“ an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen muss, ist seit langer Zeit umstritten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit durch die Auferlegung von öffentlichrechtlichen Geldleistungspflichten nicht berührt.492 Der Gesetzgeber greife durch die Schaffung der Pflicht nicht auf ein konkretes Rechtsgut zu. Vielmehr sei die Entscheidung, welches Rechtsgut geopfert werden soll, damit die Geldleistungspflicht erfüllt werden kann, allein dem Bürger überlassen. Belastet werde daher lediglich das Vermögen als solches, das von Art. 14 Abs. 1 GG nicht geschützt sei. Ausnahmsweise sieht das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit jedoch dann als eröffnet an, wenn die auferlegten Abgabepflichten eine „erdrosselnde Wirkung“ erreichen (sog. Konfiskation).493 In der Literatur wird dem vielfach entgegengehalten, der Eigentumsfreiheit komme – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Funktion zu, ihrem Inhaber einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen.494 Diese Funktion werde durch das Vermögen als solches in weit höherem Maße erfüllt als durch eine Summe vermögenswerter Rechte.495 Der eigentumsrechtliche Schutz bleibe daher lückenhaft, wenn er das Vermögen als solches nicht erfasse.496 Folglich müsse auch die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten an Art. 14 Abs. 1 GG gemessen werden.497 Ferner erheben die Vertreter der Gegenauffassung 491

So die allgemeine Ansicht, vgl. etwa BVerfG, NJW 2006, 891, 892; BSGE 90, 11, 23; Axer, FS Isensee, S. 965, 975; Butzer, Fremdlasten, S. 337; H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 535 f.; Ebsen, FS Ruland, S. 81, 96; Kufer, NZS 1996, 559, 561; Papier, SRH, § 3, Rn. 121; eine andere Einstufung scheint – unter Ausnahme der sog. „Selbstzahler“ – lediglich vorgenommen zu werden in BSGE 92, 113, 130 ff. 492 BVerfGE 4, 7, 17; BVerfGE 89, 48, 61; BVerfGE 91, 207, 220; BVerfGE 95, 267, 300; BVerfGE 96, 375, 397; BVerfGE 97, 332, 349; BVerfG, NJW 2002, 2621, 2625. 493 BVerfGE 14, 221, 241; BVerfGE 19, 119, 129; BVerfGE 27, 111, 131; BVerfGE 78, 214, 230; BVerfGE 82, 159, 190; BVerfGE 87, 153, 169. 494 So die st. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 24, 367, 389; BVerfGE 104, 1, 8 f.; BVerfG, NJW 2006, 1191, 1192. 495 Friauf, DÖV 1980, 480, 488; Gohla, Risikostrukturausgleich, S. 236 f. 496 BK-Kimminich, Art. 14, Rn. 59; Schmidt-Bleibtreu/Schäfer, DÖV 1980, 489, 494. 497 Axer, FS Isensee, S. 965, 975; Butzer, Fremdlasten, S. 347; Friauf, DÖV 1980, 480, 488; Gohla, Risikostrukturausgleich, S. 235 ff.; BK-Kimminich, Art. 14, Rn. 59; P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), 213, 236; Klein, DÖV 1973, 433, 437; Rüfner, FS Broermann, S. 349, 350; Schmidt-Bleibtreu/Schäfer, DÖV 1980, 489, 494.

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den Vorwurf, die Position des Bundesverfassungsgerichts sei nicht konsequent: Wenn das Vermögen als solches grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit falle, dann könne das Maß der Betroffenheit – die erdrosselnde Wirkung – daran nicht ausnahmsweise etwas ändern.498 Tatsächlich hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die geschilderte ständige Rechtsprechung im Bereich des Steuerrechts zumindest zum Teil durchbrochen. In zwei Entscheidungen des Gerichts vom 22. Juni 1995499 implizierte der Senat bereits, dass Art. 14 Abs. 1 GG sich im Grundsatz eigne, das Vermögen als solches vor hoheitlichem Zugriff zu schützen. Explizit anerkannt hat der Zweite Senat einen Eigentumsschutz des Vermögens als solchem erstmals in seiner Entscheidung zum Halbteilungsgrundsatz vom 18. Januar 2006.500 Der Eigentumsschutz wurde jedoch nicht umfassend, sondern nur gegenüber Steuertatbeständen anerkannt, die an den Hinzuerwerb einer vermögenswerten Rechtsposition anknüpfen;501 ob das Vermögen als solches insgesamt dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG zu unterstellen ist, wurde ausdrücklich offengelassen.502 Trotz dieser scheinbar sukzessiven Auflockerung der Position des Bundesverfassungsgerichts und der starken Kritik großer Teile der Literatur ist jedoch daran festzuhalten, dass die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten nicht am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG, sondern an dem des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist.503 Mögen teleologische Aspekte auch durchaus für die gegenläufige Ansicht sprechen, so verkennt diese doch, dass es allein Sache des einfachen Gesetzgebers ist, den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG festzulegen.504 Das Vermögen als solches dennoch dem Eigentumsschutz zu unterstellen, hieße, die bisher gewährte Bestandsgarantie zu einer Bestandswertgarantie umzuformen.505 Der Gesetzgeber dürfte dann nur noch eingreifend tätig werden, wenn der Wert des Vermögens trotz des Eingriffes erhalten bleibt; wie ein solcher Eingriff aussehen sollte, ohne seinen Sinn zu verlieren, ist unklar. Erleidet der Betroffene dagegen Vermögenseinbußen, tritt insoweit der teilweise Verlust eines geschützten Rechtsgutes ein, womit eine (Teil-)Enteignung vorliegt. Das hat zur Folge, dass der Eingriff den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG genügen muss: Es müsste mit der einen Hand gegeben werden, was mit der anderen zuvor genommen wurde. Dies steht jedoch in Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, der dem Gesetzgeber gerade auch ein entschädigungsloses Eingrei498

Mangoldt/Klein/Starck-Depenheuer, Art. 14, Rn. 163; BK-Kimminich, Art. 14, Rn. 55. BVerfGE 93, 121, 137 ff.; BVerfGE 93, 165, 174 ff. 500 BVerfG, NJW 2006, 1191 ff. 501 BVerfG, NJW 2006, 1191, 1193. 502 BVerfG, NJW 2006, 1191, 1193. 503 Ebenso H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 535 f.; Ebsen, FS Ruland, S. 81, 96; Epping, Grundrechte, Rn. 401; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 252 f.; Kufer, NZS 1996, 559, 561; Neumann, NZS 1998, 301, 407; Papier, SRH, § 3, Rn. 121; ders., DVBl. 1980, 787, 790. 504 Papier, DVBl. 1980, 787, 790. 505 Papier, DVBl. 1980, 787, 790. 499

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

fen gestattet. Die Eingriffssystematik des Art. 14 GG würde durch die Anerkennung eines eigentumsrechtlichen Schutzes des Vermögens als solchem daher insgesamt obsolet.506 Zudem spricht auch die Entstehungsgeschichte des Art. 14 GG gegen einen solchen Schutz.507 Bei der Formulierung der Norm wurde gar erwogen, an die Stelle des Begriffes „Eigentum“ den der „Privatvermögensrechte“ zu setzen.508 Für einen Schutz vor der Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen aus Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich auch nicht das genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Januar 2006 anführen.509 Die vom Zweiten Senat in dieser Entscheidung entwickelte Ausnahme gilt für Steuertatbestände. Schon aus diesem Grund erscheint die Übertragbarkeit auf die vorliegend in Frage stehende Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen fraglich. Aber selbst wenn man hierüber hinwegsieht, lässt sich das Urteil nicht als argumentative Stütze für einen eigentumsrechtlichen Schutz vor einer Beitragsbelastung verwenden: In der Entscheidung vom 18. Januar 2006 wird als Voraussetzung für einen Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG ein Anknüpfen des belastenden Tatbestandes an den Hinzuerwerb einer vermögenswerten Rechtsposition gefordert.510 Die Pflicht zur Leistung des Sozialversicherungsbeitrags knüpft jedoch nicht an den Hinzuerwerb einer vermögenswerten Rechtsposition – den Erwerb des Anspruches auf Absicherung – an. Vielmehr stellt der Sozialversicherungsbeitrag die zum Zwecke des Erwerbs dieser vermögenswerten Rechtsposition erbrachte Gegenleistung dar. Der Sozialversicherungsbeitrag ist nicht zu leisten, weil ein vermögenswertes Recht erworben wurde, sondern er wird geleistet, um ein vermögenswertes Recht zu erwerben.511 Maßstab für die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten und damit auch für das Abverlangen von Rentenbeiträgen ist daher Art. 2 Abs. 1 GG. b) Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Pflicht, Beiträge für die Witwenund Witwerrenten zu leisten Bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Beitragstragungspflicht mit dem aus den dargelegten Gründen einschlägigen Art. 2 Abs. 1 GG ist zu differenzieren.512 In 506

Papier, DVBl. 1980, 787, 790. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 907. 508 Matz, JöR n.F. 1, 144, 147. 509 So aber Axer, FS Isensee, S. 965, 975 f. 510 BVerfG, NJW 2006, 1191, 1193. 511 Entgegen Axer, FS Isensee, S. 965, 975 f. ändert daran auch der Umstand nichts, dass der Sozialversicherungsbeitrag seinerseits im Zusammenhang mit dem Arbeitseinkommen steht. Mit dem eigentlichen Erwerb des sozialversicherungsrechtlichen Schutzes steht das Arbeitseinkommen in keinerlei Verbindung. Will man mit Axer einen eigentumsrechtlichen Schutz gegen die Pflicht zur Beitragsleistung bejahen, weil der Sozialversicherungsbeitrag an den Arbeitslohn anknüpft, erscheint zudem problematisch, dass den „Selbstzahlern“ dieser Schutz in der ansonsten gleichen Konstellation nicht zuteil würde. 512 Vgl. etwa Butzer, Fremdlasten, S. 559 f.; F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 164. 507

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einem ersten Schritt gilt es zu klären, ob dem Bürger überhaupt eine Pflicht zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen auferlegt werden darf. Lässt sich dies bejahen, genauer: kann die Beitragspflicht dem Grunde nach als mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar angesehen werden, ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob die konkrete Höhe der Beitragsbelastung grundrechtskonform gestaltet ist. Zunächst ist festzustellen, dass die Pflicht zur Beitragsleistung, durch die der Einzelne in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG beschränkt wird, kraft Gesetzes besteht. Damit bewegt der Eingriff sich im Rahmen der in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltenen Schrankentrias und genügt insoweit den formellen Anforderungen. Nicht nur in formeller, sondern auch in materieller Hinsicht ist grundsätzlich erneut513 Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zu berücksichtigen: Es macht nur dann Sinn, dem Bundesgesetzgeber die Befugnis zur Regelung der Sozialversicherung zu geben, wenn die mit der Ausübung dieser Kompetenz verbundenen Eingriffe im Grundsatz von der Verfassung einschließlich der Grundrechte toleriert werden.514 Damit sich ein vom Gesetzgeber geschaffenes Regelwerk auf die Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung stützen lässt, muss es zwingend Versicherungscharakter haben.515 Für das Vorliegen einer Versicherung ist aber wiederum konstitutiv, dass eine Gefahrtragung gegen Entgelt erfolgt.516 Damit ist die Pflicht zur Beitragstragung ein Eingriff, den die Wahrnehmung der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG typischerweise mit sich bringt und der daher zumindest dem Grunde nach auch gerechtfertigt sein muss. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten in seiner derzeitigen Ausgestaltung überschreitet jedoch – wie gezeigt517 – den Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Es fehlt daher insoweit nicht nur an einer kompetenzrechtlichen Grundlage, sondern außerdem an der Möglichkeit, die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu legitimieren, soweit die Beiträge der Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten dienen. Dass es ausgeschlossen ist, die Pflicht, Beiträge für die Witwen- und Witwerrenten zu leisten, dem Grunde nach durch die materielle Wirkung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zu rechtfertigen, führt dabei an sich noch nicht dazu, dass die Auferlegung der Beitragspflicht einen materiell-rechtlichen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG darstellt. Dem Versicherten gegenüber dient zur Rechtfertigung der Beitragspflichten in erster Linie518 die versicherungsrechtliche Verknüpfung von Beitrag und Leistung:519 Die 513 Zur materiellen Wirkung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vgl. bereits oben 3. Teil, § 2, D.I.1.c)aa)(1). 514 Bieback, Bürgerversicherung, S. 68; Butzer, Fremdlasten, S. 135; Isensee, FS Leisner, S. 358, 371; Menzel, DÖV 1983, 805, 806. 515 Siehe oben 3. Teil, § 1, A. 516 Siehe oben 3. Teil, § 1, B.III.1.a). 517 Siehe oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb). 518 Hase, Versicherungsprinzip, S. 165; F. Kirchhof, NZS 1999, 161, 164. 519 Axer, FS Isensee, S. 965, 976; Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 121; Heinze, ZVersWiss 2000, 243, 249; Kayser, Inhalt und Grenzen der Sozialversicherung, S. 182; F. Kirchhof, NZS 2004, 1, 6; ders., NZS 1999, 161, 164; ders., DRV 1993, 437, 441 f.; Papier,

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

erbrachten Beitragsleistungen dienen der Absicherung gegen bestimmte soziale Risiken. Nur wenn und nur weil dem Versicherten diese Absicherung gewährt wird, kann er aber auch zur Leistung der Beiträge verpflichtet werden. Steht der Beitragspflicht kein Leistungsanspruch gegenüber, fehlt es dem Eingriff, den die Auferlegung der Beitragspflicht darstellt, an der Geeignetheit, das verfolgte Ziel zu erreichen.520 Diese Konnexität von Beitrag und Leistung ist jedoch auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG immanent: Von Sozialversicherung kann – wie erwähnt521 – nur dann die Rede sein, wenn das Abverlangen eines Entgeltes zur Folge hat, dass der Bedarf gedeckt wird, der durch die Verwirklichung der versicherten Gefahr entstanden ist. Es besteht insoweit ein Zusammenhang zwischen formeller und materieller Verfassungsmäßigkeit einer sozialversicherungsrechtlichen Regelung: Ist die Konnexität von Beitrag und Leistung nicht gegeben, hat dies nicht „nur“ zur Folge, dass die betroffene Regelung mangels Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG formell verfassungswidrig ist, sondern es liegt stets zugleich ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG vor.522 Eben dies trifft auf das Recht der Witwen- und Witwerrenten zu. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten in seiner derzeitigen Ausgestaltung steht nicht im Einklang mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.523 Die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV hat zur Folge, dass mit den Witwen- und Witwerrenten kein Bedarf mehr gedeckt, sondern einer Bedürftigkeit begegnet wird. Es wurde zwar festgestellt, dass die dem Recht der Witwen- und Witwerrenten immanente Bedürftigkeitsprüfung nur begrenzt ist und sich dadurch von der umfassenden sozialrechtlichen Bedürftigkeitsprüfung unterscheidet.524 Eine auch noch so begrenzte Bedürftigkeitsprüfung schließt aber die Deckung eines Bedarfs aus, die für die Wahrung der kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG konstitutiv ist. Die fehlende Konnexität von Beitrag und Leistung aufgrund der (eingeschränkten) Bedürftigkeitsabhängigkeit der Witwen- und Witwerrenten schlägt auf die materiellrechtliche Ebene durch: Die Pflicht, Beiträge für die Witwen- und Witwerrenten zu leisten, ist nur zu rechtfertigen, wenn dadurch eine Absicherung gegen das Risiko erworben wird, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen. Abgesichert ist jedoch nur, wer einen Rechtsanspruch auf die Deckung des Bedarfes innehat, der durch die Risikoverwirklichung eintritt.525 Eine bloße „Aussicht“ auf Bedarfsdeckung ist ZfSH/SGB 2006, 3, 5; Schwidden, ZfSH/SGB 1997, 202, 204 sowie Hase, Versicherungsprinzip, S. 162 ff., der zugleich davor warnt, das zivilrechtliche Verständnis der synallagmatischen Verbundenheit von Ansprüchen in das Sozialversicherungsrecht zu übertragen (ebenda, S. 119 ff., 174 f.). 520 Hase, Versicherungsprinzip, S. 165. 521 Vgl. oben 3. Teil, § 1, B.III.1.a). 522 Außerdem wird auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, dazu sogleich unter 3. Teil, § 2, D.II. 523 Siehe dazu oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)bb). 524 Siehe dazu oben 3. Teil, § 1, B.III.2.b)aa). 525 Hase, Versicherungsprinzip, S. 163 f.

§ 2 Einkommensanrechnung und Grundrechtsschutz

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als Risikoabsicherung ungenügend.526 Diesen Anforderungen genügt das Recht der Witwen- und Witwerrenten in seiner derzeitigen Ausprägung nicht. Stirbt ein versicherter und bis dahin unterhaltspflichtiger Ehegatte, erwirbt der Hinterbliebene zwar einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, wenn keiner der Ausschlussgründe nach § 46 Abs. 2a, Abs. 2b SGB VI vorliegt. Dieser Anspruch besteht jedoch zunächst einmal nur dem Grunde nach. Ob und inwieweit es auch zum Ausgleich des Risikos kommt, für dessen Tragung Beiträge entrichtet wurden, hängt vom Einkommen des Hinterbliebenen und damit von Umständen ab, die mit dem versicherten Risiko in keinerlei Zusammenhang stehen527. Eine Konnexität von Beitragspflicht und Leistungsanspruch ist somit nicht gegeben. Soweit die Erhebung von Rentenversicherungsbeiträgen daher dem Ziel dient, den Versicherten dagegen abzusichern, einen unversorgten Ehegatten zu hinterlassen, ist sie zur Erreichung dieses Ziels nicht geeignet, weil eine Risikoabsicherung nicht stattfindet. Die Pflicht zur Leistung von Rentenversicherungsbeiträgen verstößt daher bereits dem Grunde nach gegen Art. 2 Abs. 1 GG, soweit sie auf die Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten abzielt. Zwingend ist Art. 2 Abs. 1 GG damit auch durch die Beitragspflicht der Höhe nach verletzt. II. Zur Legitimation der Beitragserhebung in gleichheitsrechtlicher Hinsicht Die Konnexität von Beitrag und Leistung in der Sozialversicherung ist nicht nur in freiheitsrechtlicher Hinsicht von Relevanz, sondern steht in ebenso engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz: Erhält der Betroffene eine Absicherung, ohne dass ihm dafür eine Gegenleistung abverlangt worden ist, so wird er der Allgemeinheit gegenüber gleichheitswidrig bevorzugt; fordert man von ihm dagegen eine Beitragsleistung ein, ohne im Gegenzug eine Absicherung zu bieten, so wird dem Betroffenen im Verhältnis zur Allgemeinheit ein mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbares Sonderopfer auferlegt.528 Das Gebot, einen Beitrag nur gegen eine Leistung abzuverlangen bzw. eine Leistung nur nach Erbringung eines Beitrages zu gewähren, ergibt sich daher nicht nur aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch aus Art. 3 Abs. 1 GG. Beide Grundrechte gehen hier eine „unentwirrbare Melange“529 ein. Das dargelegte Fehlen einer hinreichenden Verknüpfung von Beitrag und Leistung im Recht der Witwen- und Witwerrenten hat demnach zur Folge, dass die Pflicht zur Leistung von Rentenversicherungsbeiträgen, soweit diese der Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten dienen, auch den allgemeinen Gleichheitssatz verletzt. Weil der Versicherte insoweit für erbrachte Beiträge nicht mit einer Gegenleistung rechnen 526

Hase, Versicherungsprinzip, S. 164, Fn. 62. Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 183. 528 F. Kirchhof, SDSRV 35, S. 65, 71 f.; ders., DRV 1993, 437, 441 f.; ders., HBSozVersR I, § 53, Rn. 12; Ruland, DRV 1995, 28, 29; Schwidden, ZfSH/ SGB 1997, 202, 204. 529 Butzer, Fremdlasten, S. 360; in der Sache ebenso BSGE 90, 11, 23 („Art 2 I GG iVm Art 3 I GG“). 527

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3. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung

kann, hat die Beitragspflicht für ihn die gleiche Wirkung wie eine Steuerpflicht.530 Weil die Pflicht zur Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten aber – eben anders als eine Steuerpflicht – nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur Teile davon trifft, ist sie in der derzeitigen einfachgesetzlichen Ausgestaltung verfassungswidrig.531

530 531

Heine, ZSR 1986, 82, 99. Hase, Versicherungsprinzip, S. 164 f.

4. Teil

Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter im Verhältnis zu Dritten Gleichheitsrechtliche Probleme wirft das Recht der Witwen- und Witwerrenten jedoch nicht nur aufgrund der Regelungen zur Einkommensanrechnung auf. Steht einem Hinterbliebenen ein Anspruch aus § 46 SGB VI zu, so handelt es sich dabei um eine von mehreren möglichen Absicherungsformen, durch die ein ehemaliger Ehegatte nach Auflösung der Ehe begünstigt sein kann. Wird eine Ehe nicht durch den Tod des anderen Ehegatten, sondern durch Scheidung aufgelöst, greifen die Regelungen zum Versorgungsausgleich (§§ 1587 ff. BGB):1 Ein vormaliger Ehegatte erwirbt Versorgungsanrechte des anderen, die Grundlage für den Bezug einer eigenen, nicht – wie im Falle des § 46 SGB VI – einer nur abgeleiteten Rente sein können. Ebenfalls möglich ist der Bezug einer eigenen Rente, die auf übertragenen Anrechten des anderen Ehepartners basiert, wenn die Ehe zwar durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird, aber ein Rentensplitting nach §§ 120a ff. SGB VI durchgeführt wurde. Die Absicherungen der jeweils ehemaligen Ehegatten weisen dabei erhebliche Unterschiede auf. Diese sollen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 6 Abs. 1 GG untersucht werden. Darüber hinaus wird schließlich auf das Verhältnis der Witwen- und Witwerrentenberechtigten zu denjenigen Hinterbliebenen eingegangen werden, die nie verheiratet, sondern lediglich durch eine nichteheliche Lebensgemeinschaft verbunden waren.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten A. Die gleichheitsrechtliche Problematik Gegenüber Geschiedenen ist eine Schlechterstellung Witwen- und Witwerrentenberechtigter in zweierlei Hinsicht möglich. Zwar kann sowohl durch den Tod des Ehegatten als auch aufgrund der Durchführung des Versorgungsausgleichs (§§ 1587 ff. BGB) ein Anspruch auf eine eigene Rente erworben werden. Die jeweiligen renten1 Freilich kann die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch durch eine Scheidungsfolgenvereinbarung abbedungen werden.

196 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

rechtlichen Positionen sind indes unterschiedlich ausgestaltet: Die Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente müssen sich eigenes Einkommen bei Überschreitung des Freibetrages auf ihre Rente anrechnen lassen. Entschließen sie sich zur Eingehung einer zweiten Ehe, fällt ihre Rente weg. Die Altersrente eines geschiedenen Ehegatten, die auf Anwartschaften beruht, die im Wege des Versorgungsausgleichs erworben wurden, besteht dagegen ohne diese Bedingungen.

B. Art. 6 Abs. 1 GG als spezieller Gleichheitssatz? Als Gleichheitssatz, der durch die Ungleichbehandlung hinterbliebener Ehegatten im Verhältnis zu geschiedenen Ehegatten womöglich verletzt wird, kommt nicht nur der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, sondern auch der aus Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht. Denn beide festgestellten Ungleichbehandlungen stehen in Zusammenhang mit der Ehe: Die Einkommensanrechnung scheint negative Folgen an das Fortsetzen einer Ehe zu knüpfen; wird Einkommen auf die Witwen- oder Witwerrente angerechnet, auf eine im Wege des Versorgungsausgleichs erworbene Altersrente aber nicht, so könnte damit ein Anreiz geschaffen sein, die Ehe spätestens bei Absehbarkeit des Todes des Versicherten scheiden zu lassen.2 Der Wegfall der Witwen- oder Witwerrente steht dagegen sehr deutlich im Zusammenhang mit dem Eingehen einer Ehe. Die Eheschließung wird hier geradezu sanktioniert. Beide Ungleichbehandlungen stellen daher möglicherweise einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG dar. Art. 6 Abs. 1 GG kann dabei auf zwei Wegen zur Anwendung gelangen: Teils wird in der Norm ein gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG vorrangiger Gleichheitssatz gesehen.3 Entsprechend wären beide Ungleichbehandlungen allein auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG zu untersuchen. Das Bundesverfassungsgericht neigt dagegen überwiegend dazu, Art. 3 Abs. 1 GG als einschlägiges Gleichheitsrecht zu betrachten, Art. 6 Abs. 1 GG im Rahmen der Prüfung aber konkretisierend heranzuziehen.4 Diese Vorgehensweise verdient den Vorzug.5 Art. 6 Abs. 1 GG ist ein Freiheitsgrundrecht, das zwar auch durch Ungleichbehandlungen verletzt werden kann; eine spezifische Ausrichtung auf die Verhinderung von Gleichheitsverletzungen fehlt ihm je2

So Pötter, RVaktuell 2006, 216, 224. G. Kirchhof, AöR 129 (2004), 542, 559, 561; Sachs-Schmitt-Kammler, Art. 6, Rn. 32; Mangoldt/Klein/Starck-Starck, Art. 6 Abs. 1, Rn. 301. 4 Vgl. etwa BVerfGE 13, 290, 296 ff.; BVerfGE 18, 257, 269; BVerfGE 66, 84, 93; BVerfGE 71, 364, 383 ff.; BVerfGE 87, 1, 36 f.; nur auf Art. 6 Abs. 1 GG stellt dagegen ab BVerfGE 28, 324, 346 f.; in seiner Entscheidung vom 18. 2. 1998 zieht das BVerfG Art. 6 Abs. 1 GG dagegen überhaupt nicht heran – weder als speziellen Gleichheitssatz noch zur Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs. 5 Ebenso Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 32; J. Becker, Transfergerechtigkeit, S. 43 f.; Ebsen, DRV 2002, 697, 701 ff.; Hase, VSSR 1996, 79, 90; Kingreen, Jura 1997, 401, 406 f.; Sachs, HBStR V (2. Auflage), § 126, Rn. 5 f. 3

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

197

doch.6 Die Zusammenfassung von Freiheits- und Gleichheitsgrundrecht in einer Norm, von der man ausgehen müsste, wenn man Art. 6 Abs. 1 GG als spezielles Gleichheitsrecht einstufen wollte, wäre zudem einmalig:7 Das Grundgesetz trennt deutlich zwischen Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten. Schien der Schutz eines Gutes allein durch ein Freiheitsrecht nicht ausreichend, so wurde diesem ein eigenständiges Gleichheitsrecht zur Seite gestellt: Die Freiheit des Glaubens und der Weltanschauung (Art. 4 Abs. 1 GG) wird durch das Verbot einer an den Glauben oder die Weltanschauung anknüpfenden Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 3 GG) verstärkt. Das Recht aus Art. 5 Abs. 1 GG, die eigenen politischen Ansichten zu äußern, wird flankiert durch das entsprechende Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG. Wäre der Verfassungsgeber der Ansicht gewesen, die Ehe bedürfe eines besonderen Schutzes gegen Ungleichbehandlungen, so hätte er ein eigenständiges Gleichheitsrecht neben Art. 6 Abs. 1 GG geschaffen.

C. Vergleichbarkeit I. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ordnungsbereichen als Hindernis für einen Vergleich? Vielfach wird der Standpunkt eingenommen, die Arten, auf die vergleichbare Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen geregelt werden, seien miteinander nicht vergleichbar.8 Vorliegend werden zwei Gruppen ehemaliger Ehegatten einander gegenübergestellt, deren Ehen aufgelöst wurden – im ersten Fall durch den Tod des anderen Ehegatten, im zweiten Fall durch Scheidungsurteil (§ 1564 BGB). In beiden Fällen kann die Auflösung der Ehe zu einem Recht auf Rente führen. Die jeweils beziehbaren Renten stammen jedoch aus unterschiedlichen Ordnungsbereichen: Während die Witwen- und Witwerrenten ihren Ursprung allein im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung haben, ist das Entstehen der Altersrenten, die auf im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Anwartschaften beruhen, auf privatrechtliche Regelungen zurückzuführen (§§ 1587 ff. BGB).9

6

Kingreen, Jura 1997, 401, 406; Sachs, HBStR V (2. Auflage), § 126, Rn. 5 f. Kingreen, Jura 1997, 401, 407. 8 BVerfGE 40, 121, 139 f.; BVerfGE 43, 13, 21; BVerfGE 75, 78, 107; Papier, SRH, § 3, Rn. 96; gegen eine Begrenzung von Vergleichsmöglichkeiten auf den gleichen Ordnungsbereichen zugehörige Sachverhalte: P. Kirchhof, HBStR V (2. Auflage), § 124, Rn. 223, 225; Kischel, AöR 124 (1999),174, 181; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 60; Wendt, NVwZ 1988, 778, 782; Zacher, AöR 93 (1968), 341, 361; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), 7, 30. 9 Misst man dem Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten großes Gewicht bei, so ließe sich dieser Unterschied mit dem Hinweis überwinden, dass letztlich auch die Witwen- und Witwerrenten nur aufgrund zivilrechtlicher Unterhaltsregelungen bestehen und den im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Altersrenten damit insoweit vergleichbar sind. 7

198 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

Dennoch fehlt es an einer Vergleichbarkeit der Witwen- und Witwerrentenberechtigten einerseits und der Bezieher einer im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Rente andererseits nicht. Beide potentiell erlangbaren Vollrechte auf Rente unterliegen den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung und gehören damit demselben Ordnungsbereich an.10 Dass beide Ansprüche auf Rente sich aus unterschiedlichen Ordnungsbereichen ableiten, mag daher allenfalls als Umstand in Betracht gezogen werden, der die Ungleichbehandlung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten gegenüber den Beziehern einer im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Altersrente rechtfertigt.

II. Witwen-/Witwerrenten und Versorgungsausgleich – Gegenüberstellung sich nicht entsprechender Institute? Auf das Verhältnis der Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente zu den Beziehern einer Altersrente, die auf im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Anwartschaften beruht, wurde im Rahmen der Diskussion um die Verfassungskonformität der Anrechnungsregelungen häufig eingegangen.11 Annähernd unbemerkt ist dabei geblieben, dass die Witwen- oder Witwerrente, wenn man sie – dem gesetzgeberischen Willen entsprechend12 – als Institut mit Unterhaltsersatzfunktion ansieht, ihr Pendant für den Fall der Scheidung der Ehe nicht in den §§ 1587 ff. BGB findet.13 Denn die Scheidung einer Ehe hat in rechtlicher Hinsicht drei grundsätzliche Folgen; diese Folgen treten aber nur zum Teil ein, wenn eine Ehe nicht durch Scheidung, sondern durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird: Erstens wird im Falle der Scheidung der Zugewinnausgleich durchgeführt (§§ 1372 ff. BGB): Die Hälfte des Betrages, um den das Endvermögen des einen Ehegatten das des anderen übersteigt, wird dem Ehegatten mit dem niedrigeren Endvermögen zugeschlagen. Der Durchführung des Zugewinnausgleichs entspricht im Falle des Todes eines der Ehegatten die Durchführung des Zugewinnausgleichs nach § 1371 BGB. Zweitens findet im Scheidungsfall mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs (§§ 1587 ff. BGB) auch ein rentenrechtlicher Ausgleich statt. In dessen Rahmen fällt die Hälfte der Summe an Versorgungsanrechten, um den der Bestand an Ver10

Ähnlich auch BVerfGE 97, 271, 297, wo von den „rentenrechtlichen Folgen der Scheidung und des Todes des Versicherten“ die Rede ist. 11 Vgl. etwa v. Maydell, DRV 1984, 662, 673; Bokeloh, ZSR 1985, 276, 287 f.; Krause, DRV 1985, 254, 261 f.; Papier, DRV 1985, 272, 275 f.; Ruland, DRV 1985, 278, 281; ders., DRV 1993, 337, 345; ders., FamRZ 2001, 129, 132; Hase, JZ 2000, 591, 597 f.; Pötter, RVaktuell 2006, 216, 224; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 258, Tz. 341. 12 BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f. 13 Dazu – soweit ersichtlich – einzig Krause, DRV 1985, 254, 261 f.; a.A. wohl nur Kolb, DRV 1984, 177, 183 f., der – wenig überzeugend – die §§ 1587 ff. BGB als eine Versicherung gegen das Risiko „Scheidung“ betrachtet.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

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sorgungsanrechten des einen Ehegatten den des anderen übersteigt, an den Inhaber der wertniederen Versorgungsanrechte. Wird die Ehe nicht durch Scheidung, sondern durch den Tod eines der Ehegatten beendet, so fehlt es an der Durchführung eines rentenrechtlichen Ausgleichs:14 Dem Hinterbliebenen werden unter keinen Umständen Anteile der Versichertenrente des Verstorbenen zugeschlagen, der Verstorbene nimmt seine Versichertenrente grundsätzlich „mit ins Grab“. Dass die Versichertenrente mit dem Tod des Versicherten endgültig verloren geht, lässt sich zwar durch die Durchführung des Rentensplitting (§§ 120a ff. SGB VI) jedenfalls zum Teil verhindern; das Splitting knüpft jedoch in keiner Hinsicht an die Auflösung der Ehe an und stellt daher keinen rentenrechtlichen Ausgleich aufgrund des Todes eines der Ehegatten dar. Auch bei der Witwen- oder Witwerrente handelt es sich nicht um einen rentenrechtlichen Ausgleich. Der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente ist zwar inhaltlich von der Versichertenrente abgeleitet, stellt aber ansonsten als Vollrecht ein originär und ausschließlich beim Hinterbliebenen entstehendes Recht dar.15 Drittens entsteht mit der Scheidung ein Anspruch der geschiedenen Ehegatten auf Unterhalt gegen den jeweils anderen, soweit der Betroffene nicht selbst in der Lage ist, für seinen Unterhalt zu sorgen (§§ 1569 ff. BGB). Wird die Ehe dagegen nicht durch Scheidung, sondern durch den Tod des versicherten Ehegatten aufgelöst, tritt die Witwen- oder Witwerrente auf den Plan – nach dem Willen des Gesetzgebers als Leistung, die darauf zielt, den Unterhalt zu ersetzen, den der Hinterbliebene zuvor vom Versicherten bezogen hat16. Insoweit findet die Witwen- oder Witwerrente ihre Entsprechung nicht in §§ 1587 ff. BGB, sondern in den Vorschriften zur Regelung von Unterhaltsansprüchen Geschiedener (§§ 1569 ff. BGB). Durch die Gewährung von Unterhaltsersatz verfolgt das Recht der Witwen- und Witwerrenten das Ziel, dem hinterbliebenen Ehegatten in etwa die Aufrechterhaltung des vor dem Tod des Ehegatten gepflegten Lebensstandards zu ermöglichen.17 Der Versorgungsausgleich dient dagegen erst in zweiter Linie und selbst dann eher infolge einer Reflexwirkung der Absicherung des geschiedenen Ehegatten: Dass die vom Inhaber der wertniederen Anrechte zusätzlich erworbenen Versorgungsanrechte ausreichend sind, um einen bestimmten Lebensstandard zu wahren, wird durch die Vorschriften zum Versorgungsausgleich nicht gewährleistet und soll von ihnen auch nicht gewährleistet werden. Hinsichtlich des Ehegatten mit den werthöheren Versorgungsanrechten kann die Durchführung des Versorgungsausgleichs sogar dazu führen, dass eine zuvor ausreichende Absicherung nunmehr ungenügend ist. Primär sind §§ 1587 ff. BGB schlicht ein Instrument zur fairen Aufteilung erworbener Versor14

Ebenso BVerfGE 97, 271, 297. Zu dem Umstand, dass die Witwen- oder Witwerrente keine „vererbte“ Versichertenrente darstellt, siehe oben 3. Teil, § 2, A.V. 16 BT-Drs. 10/2677, S. 23 f.; BR-Drs. 500/84, S. 23 f. 17 Hase, JZ 2000, 591, 599; Ruland, NJW 1986, 20, 28; ders., ZRP 1978, 107, 110; zum Prinzip der Lebensstandardwahrung in der Sozialversicherung allgemein: Scheuner, Soziales Rückschrittsverbot, S. 175. 15

200 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

gungsanrechte, durch das die Leistung des jeweiligen Ehegatten während des Bestandes der Ehe gewürdigt wird.18 Dass der Versorgungsausgleich demnach anderes bezweckt als das Recht der Witwen- und Witwerrenten, führt jedoch nicht dazu, dass ein Vergleich von Hinterbliebenen mit Geschiedenen nicht vorgenommen werden darf, soweit es um die rechtliche Stellung geht, die den Betroffenen durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten bzw. durch §§ 1587 ff. BGB zuteil wird. Ausgeschlossen ist der Vergleich nur, soweit man Geschiedene und Hinterbliebene – entgegen dem eben dargestellten Entsprechungsraster – in ihrer Eigenschaft als Inhaber eines Anspruches auf Unterhalt bzw. Unterhaltsersatz oder in ihrer Eigenschaft als Begünstigte eines rentenrechtlichen Ausgleichs gegenüberstellte. Dann müsste nämlich im ersten Fall das Recht der Witwen- und Witwerrenten §§ 1569 ff. BGB gegenübergestellt werden, während im zweiten Fall ein §§ 1587 ff. BGB vergleichbares Institut gar nicht vorhanden wäre. Dass durch die Witwen- und Witwerrenten Unterhaltsersatz gewährt wird, §§ 1587 ff. BGB aber auf die Schaffung eines rentenrechtlichen Ausgleichs zwischen den Geschiedenen abzielen, den Instituten insoweit also unterschiedliche Zwecksetzungen zugrunde liegen, bleibt jedoch beim Vergleich zwischen der rechtlichen Stellung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten und derjenigen der Geschiedenen nicht unberücksichtigt: Auf diesen Umstand wird auf der Ebene der Rechtfertigung einzugehen sein.

D. Rechtfertigung I. Die Ungleichbehandlung durch Einkommensanrechnung Gerade hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Hinterbliebenen und Geschiedenen, die sich aus der Anrechnung eigenen Einkommens ergibt, ist aufgrund der unterschiedlichen Ziele, die durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten und durch den Versorgungsausgleich verfolgt werden – Unterhaltsersatz einerseits, rentenrechtlicher Ausgleich andererseits –, nicht auszuschließen, dass eine Rechtfertigung gelingt. Fraglich erscheint dabei allerdings, ob die Einkommensanrechnung zu einer Ungleichbehandlung führt, aufgrund derer die Witwen- und Witwerrentenberechtigten tatsächlich schlechter gestellt sind als die Bezieher einer im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Altersrente. Ist das nicht der Fall, so fehlt es aus Sicht der Hinterbliebenen an einem Rechtfertigungserfordernis.

18 Eichenhofer, HBSozVersR III, § 66, Rn. 6; Ruland, Versorgungsausgleich, Rn. 4; ders., FS v. Maydell, S. 575, 580.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

201

1. Keine generelle Schlechterstellung Hinterbliebener gegenüber Geschiedenen a) Pauschales Urteil über das Verhältnis Hinterbliebene – Geschiedene nicht möglich Bezüglich der Frage, ob ein Vergleich der Hinterbliebenen mit den Geschiedenen hinsichtlich der jeweiligen rentenrechtlichen Stellung zugunsten ersterer oder letzterer ausfällt, gehen die Einschätzungen stark auseinander: Kaum Anhänger findet die Ansicht, die Hinterbliebenen stünden besser als die Geschiedenen.19 Weit überwiegend wird vom Gegenteil ausgegangen und behauptet, durch die Einkommensanrechnung würden die Empfänger von Witwen- oder Witwerrente im Verhältnis zu den Empfängern von im Wege des Versorgungsausgleichs erworbener Altersrente schlechter gestellt20. Beiden Aussagen muss in ihrer Pauschalität jedoch mit Skepsis begegnet werden: Zunächst ist festzustellen, dass der Einschätzung, die Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente seien gegenüber den Beziehern einer im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Altersrente benachteiligt, ein in unstatthafter Weise eingeschränkter Blickwinkel zugrunde liegt: Indem der Gesamtheit der Witwen- und Witwerrentenberechtigten nur diejenigen Geschiedenen gegenübergestellt werden, die Bezieher einer Altersrente sind, welche im Wege des Versorgungsausgleichs erworben wurde, kommt es zu einem Vergleich aller Inhaber eines Anspruches auf Witwenoder Witwerrente mit den „Gewinnern“ des Versorgungsausgleichs, die aber nur etwa die Hälfte21 der geschiedenen Ehegatten ausmachen. Richtigerweise muss die Gesamtheit der hinterbliebenen Ehegatten indes auch mit der Gesamtheit der geschiedenen Ehegatten verglichen werden. Im Versorgungsausgleich erhält aber derjenige Ehegatte nichts, dessen Anwartschaften in der Höhe denen des geschiedenen Ehegatten mindestens entsprechen oder sie übersteigen. Der Hinterbliebene erwirbt dagegen mit dem Tod des versicherten Ehegatten einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, der sich grundsätzlich auf 55 Prozent der Versichertenrente beläuft, ohne dass es auf das Verhältnis ggf. vorhandener Anwartschaften des Hinterbliebenen zu solchen des verstorbenen Versi-

19 So – soweit ersichtlich – nur Bokeloh, ZSR 1985, 275, 287, der unter anderem allerdings auch auf den damals noch 0,6 betragenden Rentenartfaktor hinweist. 20 So etwa Papier, DRV 1985, 272, 275 f.; Ruland, FamRZ 2001, 129, 132; ders., DRV 1985, 278, 281; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 258, Tz. 341. 21 Um weniger als die Hälfte kann es sich handeln, weil es jedenfalls theoretisch nicht ausgeschlossen ist, dass die Ehegatten Anwartschaften in identischer Höhe erworben haben, womit die nach § 1587a Abs. 1 S. 2 BGB durchzuführende Saldierung keinen Wertunterschied ergibt und ein Ausgleichsanspruch damit nicht besteht.

202 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

cherten ankommt22. Insoweit liegt eine Privilegierung des Hinterbliebenen gegenüber dem Geschiedenen vor. Aber auch im Rahmen des eingeschränkten Blickwinkels, der der Gesamtheit der Hinterbliebenen lediglich die „Gewinner“ des Versorgungsausgleichs gegenüberstellt, geht der Vorwurf der generellen Benachteiligung der Hinterbliebenen fehl. Zu einer Schlechterstellung der Hinterbliebenen kommt es nämlich nicht, solange die durch den Versorgungsausgleich Begünstigten die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben. Denn auch schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze kann der hinterbliebene Ehegatte bereits ein Vollrecht auf Witwen- oder Witwerrente innehaben, der geschiedene Ehegatte aber noch nicht Inhaber eines Anspruches auf Altersrente sein. Auch insoweit ist der hinterbliebene Ehegatte im Verhältnis zum geschiedenen privilegiert. Erreichen die Betroffenen die Regelaltersgrenze, liegt zwar eine rechtliche Schlechterstellung des hinterbliebenen gegenüber dem begünstigten geschiedenen Ehegatten vor, weil die Zahlung der ungekürzten Witwen- oder Witwerrente unter der Bedingung erfolgt, dass kein Einkommen oberhalb des Freibetrages erzielt wird. Tatsächlich bemerkbar macht sich diese Benachteiligung aber erst dann, wenn der Hinterbliebene auch wirklich eigenes Einkommen oberhalb des Freibetrages erzielt, was etwa im Jahr 2007 auf ca. 73 Prozent der Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente nicht zutraf23. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich die Witwen- oder Witwerrente aus der Gesamtheit der vom verstorbenen Ehegatten erworbenen Anwartschaften ableitet, während in den Versorgungsausgleich nur die während der Ehe erworbenen Anwartschaften einbezogen werden.24 Je kürzer eine Ehe also war, desto wahrscheinlicher ist es, dass der betroffene Ehegatte bei der Auflösung der Ehe durch den Tod des anderen Ehegatten besser steht als im Falle der Scheidung. Hierin ist ebenfalls eine Privilegierung des Hinterbliebenen im Verhältnis zum Geschiedenen zu sehen. b) Voraussetzungen, unter denen eine Schlechterstellung des Hinterbliebenen eintritt Insgesamt ist ein hinterbliebener Ehegatte gegenüber einem geschiedenen Ehegatten daher nur dann schlechter gestellt, wenn – erstens – eine Ehe vorliegt, die bereits so lange andauert, dass sie den größten Teil des Zeitraums abdeckt, in dem der Ehegatte Versicherter ist. Ist die Ehe dagegen deutlich kürzer als der Zeitraum, in dem der Versicherte Anwartschaften aufgebaut hat, wird die im Rahmen des Versorgungsaus22 Soweit die eigene Versichertenrente den Freibetrag übersteigt, wirkt sie sich freilich anspruchsmindernd auf die Witwen- oder Witwerrente aus, vgl. § 97 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 SGB IV. 23 Zahl nach Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Rentenbestand am 31. 12. 2007, S. 64. 24 Darauf weist auch hin Bokeloh, ZSR 1985, 276, 287.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

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gleichs zu erwerbende Altersrente nicht die Höhe einer Witwen- oder Witwerrente erreichen, da eine Witwen- oder Witwerrente sich grundsätzlich – wie erwähnt – aus den gesamten Anwartschaften des verstorbenen Versicherten ergibt, nicht nur aus den während der Ehe erworbenen. Der versicherte Ehegatte müsste – zweitens – derjenige sein, der höhere Anwartschaften erworben hat als der potentiell hinterbliebene Ehegatte. Überwiegen dagegen die Anwartschaften des potentiell hinterbliebenen Ehegatten, wird die Ehe aber gleichwohl geschieden, erhält der potentiell Hinterbliebene im Wege des Versorgungsausgleichs nicht nur nichts, er büßt sogar eigene Anwartschaften ein. Drittens müsste der Hinterbliebene nach dem Tod seines Ehegatten ein den Freibetrag übersteigendes Einkommen erzielen. Wird ein solches Einkommen nach dem Tod des Ehegatten nicht erzielt, erhält der geschiedene Hinterbliebene maximal 50 Prozent der Rente des verstorbenen Ehegatten sowie sein eigenes Einkommen. Besser steht der Hinterbliebene in diesem Fall, wenn er an der Ehe festgehalten hat: Dann besteht Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente in Höhe von 55 Prozent der Versichertenrente, das eigene Einkommen käme auch hier hinzu. Aber selbst dann, wenn – entsprechend der dritten Voraussetzung – eigenes Einkommen oberhalb des Freibetrages zu erwarten ist, muss das bessere Ergebnis nicht unbedingt im Wege des Versorgungsausgleichs zu erzielen sein:25 Handelt es sich bei dem den Freibetrag übersteigenden eigenen Einkommen nämlich um eine auf selbst erworbenen Anwartschaften beruhende Altersversorgung, so würde diese nach Durchführung des Versorgungsausgleichs zwar nicht auf die im Wege des Versorgungsausgleichs erworbene Rente angerechnet. Allerdings hätte sich das Vorhandensein der selbst erworbenen Anwartschaften zuvor bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs anspruchsmindernd ausgewirkt: Je höher die Anwartschaften des potentiell Hinterbliebenen sind, desto geringer ist der Abstand zur Höhe der Anwartschaften des Versicherten, und desto geringer fällt auch der im Rahmen des Versorgungsausgleichs zu bildende Saldo aus – wenn es nicht gar dazu kommt, dass die zweite Voraussetzung, das Überwiegen der Anwartschaften des Versicherten, aufgrund der hohen eigenen Anwartschaften des potentiell Hinterbliebenen nicht erfüllt wird. Die Interessenlage ist hier insoweit gegensätzlich: Einerseits ist der Versorgungsausgleich umso attraktiver, je höher das nach dem Tod des Ehegatten zu erwartende eigene Einkommen über dem Freibetrag liegt. Handelt es sich andererseits bei diesem eigenen Einkommen um eine selbst erworbene Rente, wird der Versorgungsausgleich aber umso unattraktiver, je höher die zugrundeliegenden eigenen Anwartschaften des Hinterbliebenen sind. Schließlich muss der Hinterbliebene – viertens – grundsätzlich die Regelaltersgrenze erreicht haben. Solange er sie noch nicht erreicht hat, bietet ihm eine im Versorgungsausgleich erworbene Anwartschaft im Verhältnis zu einer bereits beziehbaren Witwen- oder Witwerrente keinen verwertbaren Vorteil. Davon, dass die zu erwar25

Darauf weist auch hin Krause, DRV 1985, 254, 261.

204 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

tende Altersrente vielleicht weit höher ausfällt als eine Witwen- oder Witwerrente, hat der Betroffene vor Erreichen der Regelaltersgrenze schlicht noch keinen praktischen Nutzen. Nur wenn alle vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind und hinsichtlich der dritten Voraussetzung auch keine ausnahmsweise gegen den Versorgungsausgleich sprechende Konstellation gegeben ist, droht tatsächlich eine Benachteiligung des hinterbliebenen Ehegatten gegenüber dem geschiedenen Ehegatten. Darüber hinaus kann sich im Einzelfall eine Verschiebung zugunsten der Witwen- oder Witwerrente auch aus den Zuschlägen für Kindererziehung nach § 78a SGB VI ergeben. 2. Keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG Sind alle oben genannten Voraussetzungen erfüllt und liegt damit eine Benachteiligung des Hinterbliebenen gegenüber dem Geschiedenen aufgrund der Anrechnung von Einkommen vor, so führt dies jedoch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Denn Voraussetzung für eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG ist, dass die Benachteiligung gerade an das Bestehen der Ehe anknüpft.26 Schien dies auf den ersten Blick der Fall zu sein,27 so zeigte eine genauere Betrachtung aber, dass die Schlechterstellung des Hinterbliebenen in keinem Zusammenhang mit der Ehe steht, an der bis zum Tod des Versicherten festgehalten wurde; wie dargestellt, kann das Festhalten an der Ehe bis zum Tod des Versicherten für den dann Hinterbliebenen trotz § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV gegenüber einer Scheidung von Vorteil sein. Ob es zu einer Schlechterstellung des Hinterbliebenen durch die Regelungen zur Einkommensanrechnung kommt, hängt vielmehr ausschließlich von in der Person des Hinterbliebenen selbst liegenden Umständen ab. 3. Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG Hat die Einkommensanrechnung demnach keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG zur Folge, so erscheint eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG weiterhin nicht ausgeschlossen. Zwar wird die kumulative Erfüllung aller genannten Voraussetzungen für eine Schlechterstellung des Hinterbliebenen gegenüber dem Geschiedenen – gemessen an der Gesamtheit der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente – die Ausnahme darstellen. Ausnahmecharakter muss dabei insbesondere der Kombination von zwei der zu erfüllenden Voraussetzungen zugeschrieben werden: Selten wird der Hinterbliebene nach dem Tod des Ehegatten sowohl eigenes Einkommen erzielen, das erheblich oberhalb des Freibetrages liegt (zweite Voraussetzung), als auch Anwartschaften in deutlich geringerer Höhe als der Versicherte erworben haben (dritte Vor-

26 BVerfGE 22, 100, 104 f.; BVerfGE 99, 216, 232; BSGE 72, 125, 133 ff.; Münch/KunigCoester-Waltjen, Art. 6, Rn. 37; Sachs-Schmitt-Kammler, Art. 6, Rn. 43. 27 Vgl. oben 4. Teil, § 1, B.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

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aussetzung).28 Denn deutlich geringere Anwartschaften als der Versicherte hat der Hinterbliebene meist nur inne, wenn er in erheblich geringerem Maße erwerbstätig war als der Versicherte. Dann ist es aber der Lebenserfahrung nach unwahrscheinlich, dass nach dem Tod des Versicherten ein den Freibetrag deutlich übersteigendes Einkommen erzielt wird. Aber obwohl die kumulative Erfüllung aller Voraussetzungen einer Benachteiligung der Hinterbliebenen sich – wie aufgezeigt – als recht unwahrscheinlich erweist, bleibt sie doch gerade in zwei stark gegensätzlichen Konstellationen möglich, auf die folgend eingegangen werden soll. a) Schlechterstellung im Bereich hoher Einkommen und Anwartschaften Möglich ist eine Benachteiligung zunächst in Doppelverdienerehen, in denen der potentiell Hinterbliebene ein bereits hohes Einkommen erzielt, das Einkommen des Versicherten im Vergleich dazu aber nochmals höher ausfällt. Die Höhe der Anwartschaften des potentiell Hinterbliebenen bleibt hier in einem Maße hinter der Höhe derer des Versicherten zurück, das die Durchführung des Versorgungsausgleichs für den potentiell Hinterbliebenen weiterhin attraktiv erscheinen lässt. Zugleich übersteigt aber auch das spätere Einkommen des dann Hinterbliebenen – entweder das versicherungspflichtige Entgelt oder die selbst erworbene Rente – den Anrechnungsfreibetrag. Eine Benachteiligung des Hinterbliebenen im Verhältnis zum Geschiedenen wäre daher, wenn auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, gegeben. Diese Benachteiligung ist jedoch gerechtfertigt. Zunächst führt sie nämlich zu keiner unzumutbaren Härte: Indem der Gesetzgeber den Witwen- und Witwerrenten einen Rentenartfaktor von 0,55 zugrundelegt (§ 67 Nr. 6 SGB VI), vermutet er typisiert, dass die Kosten des Hinterbliebenen zur Lebensstandardwahrung sich nur auf etwas mehr als die Hälfte der Kosten belaufen, die nötig waren, um den gleichen Lebensstandard für beide Ehegatten aufrecht zu erhalten.29 Gerade im Bereich hoher Einkommen erweist sich diese Vermutung als zutreffend, weil Kosten, die mit dem Tod des Versicherten nicht halbiert werden – wie etwa diejenigen für Wohnung oder Heizung – ein hohes Einkommen anteilig nur gering belasten. Die Schlechterstellung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen liegt im Bereich hoher Einkommen daher darin, dass es dem Hinterbliebenen „nur“ ermöglicht wird, seinen bisherigen Lebensstandard fortzuführen, während der Geschiedene in diesem Fall die Möglichkeit hat, seinen Lebensstandard zu heben. Denn der Geschiedene ist in dieser Einkommenssituation – genauso wie der Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente – durch die Auflösung der Ehe keinen ernsthaft ins Gewicht fallenden Mehrkosten ausgesetzt und bezieht weiterhin sein eigenes Einkommen. Anders als ein Witwen- oder Witwerrentenberechtigter muss sich der Geschiedene dieses eigene Einkommen aber nicht auf die im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen An28 29

Ebenso Krause, DRV 1985, 254, 261. Ruland, GK-SGB VI, § 67, Rn. 9.

206 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

sprüche anrechnen lassen. Im Bereich hoher Einkommen geht eine Scheidung für denjenigen Ehegatten, der die wertniederen Versorgungsanrechte innehat, folglich mit einem Gewinn einher. Diese Benachteiligung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten ist aber durch den gesetzgeberischen Willen, zwei unterschiedliche Ziele – Lebensstandardsicherung einerseits und Herbeiführung rentenrechtlichen Ausgleichs andererseits – auf unterschiedlichen normativen Wegen zu verwirklichen, gerechtfertigt.30 Zudem ist davon auszugehen, dass die Schlechterstellung im Bereich hoher Einkommen nur in einer verschwindend geringen Anzahl von Fällen erfolgt. Das liegt nicht nur daran, dass selten beide Ehepartner hohe Einkommen beziehen, sondern ist auch darauf zurückzuführen, dass die Bezieher hoher Einkommen häufig gar nicht der Versicherungspflicht unterliegen. Dann kann keine Rente nach § 46 SGB VI erworben werden und auch die geschilderte Schlechterstellung nicht eintreten. Sind die Ehegatten dagegen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen, kann es zu einer Besserstellung des Geschiedenen – und spiegelbildlich zu einer Schlechterstellung des Witwen- oder Witwerrentenberechtigten – nur kommen, wenn entweder nicht beide Ehegatten an die Beitragsbemessungsgrenze stoßen oder beide Ehegatten zwar die Beitragsbemessungsgrenze erreichen, ein Ehegatte aber auch Versorgungsanrechte außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung innehat. Denn wird von beiden Ehegatten unter identischen Voraussetzungen ein jeweils gleich hoher (Maximal-)Beitrag geleistet, so sind auch die erworbenen Anwartschaften gleichwertig; bei gleichwertigen Anwartschaften erwirbt im Rahmen der Durchführung des Versorgungsausgleichs aber keiner der Geschiedenen etwas hinzu.31 Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass bei einem der Ehegatten zusätzlich zu den Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung weitere Versorgungsanrechte bestehen. Aber gerade der Umstand, dass eine Schlechterstellung Hinterbliebener gegenüber Geschiedenen eintreten kann, weil der Versorgungsausgleich auch außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung erworbene Versorgungsanrechte einbezieht, hat seine Ursache in den unterschiedlichen Zwecken einerseits des Rechts der Witwen- und Witwerrente, das – wie erwähnt – auf Lebensstandardsicherung zielt, und andererseits des Versorgungsausgleichs, mit dessen Hilfe der Gesetzgeber einen rentenrechtlichen Ausgleich herbeiführen will. Im Bereich hoher Einkommen bleiben daher insgesamt trotz einer möglichen Schlechterstellung der Hinterbliebenen die Grenzen der zulässigen Typisierung gewahrt.32 30

Vgl. dazu auch oben 4. Teil, § 1, C.II. Dass die Voraussetzungen, unter denen die Anwartschaften der Ehegatten erworben werden, tatsächlich identisch sind, die Ehegatten also im gleichen Zeitraum für die gleiche Dauer die gleichen Beiträge geleistet und auch die gleichen beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten aufweisen, ist – zugegeben – recht unwahrscheinlich. Je geringer aber die Unterschiede sind, umso geringer fällt auch der im Rahmen des Versorgungsausgleichs zu teilende Überhang bei einem der Ehegatten und damit das Maß der Schlechterstellung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten aus. 32 Krause, DRV 1985, 254, 261. 31

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

207

b) Schlechterstellung im Bereich niedriger Einkommen und Anwartschaften Aber auch in Konstellationen, die sich am anderen Ende der Einkommensleiter finden lassen, ist eine Schlechterstellung des hinterbliebenen Ehegatten möglich: Hat der Versicherte lediglich geringfügige Anwartschaften inne, der potentiell Hinterbliebene aber gar keine oder nur solche in zu vernachlässigender Höhe, währt ferner die Ehe bereits (fast) das gesamte Erwerbsleben des Versicherten und hat außerdem der potentiell Hinterbliebene die Regelaltersgrenze erreicht, so steht er vor folgenden theoretischen Alternativen: Er hält an der Ehe fest. In diesem Fall steht ihm eine Witwen- oder Witwerrente in Höhe von 55 Prozent der Versichertenrente zu. Diese reicht jedoch nicht, um den bisher gepflegten – ohnehin schon niedrigen – Lebensstandard zu wahren.33 Der Betroffene müsste als Hinterbliebener daher erstmalig eigenes Einkommen oder jedenfalls merklich höheres eigenes Einkommen als bisher erzielen. Erzielt er solches jedoch, kommt es im Falle der Überschreitung des Freibetrages zur Anrechnung. Je niedriger dabei der Betrag der gezahlten Witwen- oder Witwerrente ist, desto höher muss das eigene Einkommen ausfallen. Je höher das eigene Einkommen ausfällt, desto stärker wirken sich aber die Anrechnungsregelungen aus. Die zweite theoretische Möglichkeit für den Betroffenen wäre, die Scheidung herbeizuführen. Er erhielte dann eine eigene Rente in Höhe von (knapp) 50 Prozent der Versichertenrente. Wieder bestünde die Notwendigkeit, erstmalig eigenes Einkommen zu erzielen oder den Betrag des bisher erzielten eigenen Einkommens merklich zu erhöhen. Auch hier müsste das eigene Einkommen umso höher sein, je niedriger der gezahlte Rentenbetrag liegt. Der große Unterschied zur Situation des Empfängers einer Witwen- oder Witwerrente wäre, dass das eigene Einkommen sich nicht anspruchsmindernd auf die Rente auswirkt. Die Einkommensanrechnung führt im Bereich geringfügiger Einkommen und Anwartschaften mithin zu einem „sozialen Niederhalten“ des Hinterbliebenen. Dieser bereits beschriebene34 Effekt verschärft sich in der vorliegenden Situation noch dadurch, dass der Hinterbliebene die Regelaltersgrenze bereits erreicht hat.35 Denn hat er schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze kein maßgebliches eigenes Einkommen erzielt, so ist fraglich, ob ihm dies nach deren Erreichen gelingen wird. Gelingt es ihm wider Erwarten, wird dieser Erfolg durch die Einkommensanrechnung nachhaltig getrübt. Anders als im Bereich hoher Einkommen und Anwartschaften lässt sich die Schlechterstellung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen im Bereich ge33

Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, C.III. Vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, C.III. 35 Hat der Hinterbliebene das Renteneintrittsalter noch nicht erreicht, kommt eine Benachteiligung gegenüber einem Geschiedenen nicht in Betracht, vgl. oben 4. Teil, § 1, D.I.1.b), vierte Voraussetzung. 34

208 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

ringfügiger Einkommen und Anwartschaften nicht mit dem Hinweis auf die vom Gesetzgeber verfolgten unterschiedlichen Ziele – Lebensstandardsicherung durch das Recht der Witwen- und Witwerrenten, rentenrechtlicher Ausgleich durch die §§ 1587 ff. BGB – rechtfertigen: Im Bereich geringfügiger Anwartschaften und Einkommen erfüllt das Recht der Witwen- und Witwerrenten seinen Zweck – die Lebensstandardsicherung – gerade nicht mehr; die Einkommensanrechnung erschwert die Zweckerreichung sogar. Insoweit stellt die sich aus der Einkommensanrechnung ergebende Ungleichbehandlung von Hinterbliebenen und Geschiedenen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. II. Die Ungleichbehandlung durch den Wegfall bei Wiederheirat Die zweite zu betrachtende Schlechterstellung Hinterbliebener gegenüber Geschiedenen liegt darin, dass eine Witwen- oder Witwerrente im Falle der Wiederheirat des Hinterbliebenen wegfällt (§ 46 Abs. 2 S. 1 SGB VI), während sich eine Altersrente, die auf im Wege des Versorgungsausgleichs erworbenen Anwartschaften beruht, als „resistent“ bei einer erneuten Heirat erweist. Durch diese sogenannte Heiratswegfallklausel werden die Hinterbliebenen – um das Ergebnis vorwegzunehmen – gegenüber den Geschiedenen in nicht zu rechtfertigender Weise benachteiligt, es liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG vor. 1. Wegfall der Witwen- oder Witwerrente unter Anknüpfung allein an die Eheschließung Der Gesetzgeber verfolgt mit der Witwen- oder Witwerrente das Ziel, dem Hinterbliebenen Ersatz für den vom verstorbenen Versicherten empfangenen Unterhalt zu gewähren,36 um ihm so die Aufrechterhaltung des vor dem Tod des Versicherten gepflegten Lebensstandards zu ermöglichen37. Als Beleg für den Unterhaltsersatzcharakter der Witwen- und Witwerrenten wird dabei regelmäßig gerade auf ihren Wegfall bei erneuter Eheschließung hingewiesen.38 Naheliegend wäre es daher, im Umkehrschluss davon auszugehen, die mit der Heiratswegfallklausel verbundene Schlechterstellung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen sei gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber mit der Gewährung von Unterhaltsersatz ein legitimes Ziel verfolge und dessen Umsetzung durch die Anordnung des Wegfalls bei Wiederheirat auch sachgerecht betreibe.39 Denn durch Eingehung einer neuen Ehe wird der Hinterbliebene in ein neues Unterhaltsverhältnis eingebunden. Der zuvor bezogene Ersatz 36

BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23. Hase, JZ 2000, 591, 599; Ruland, NJW 1986, 20, 28; ders., ZRP 1978, 107, 110. 38 Vgl. BR-Drs 500/84, S. 23; BVerfGE 97, 271, 287; Blüm, BT-Steno-Prot. 10/10938; Kaltenbach, DAngVers 1984, 525, 528; Michaelis/Knaut, DAngVers 1988, 218, 223; Seehofer, BT-Steno-Prot. 10/10930. 39 So etwa Ruland, DRV 1993, 337, 345. 37

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

209

des vom vorherigen Ehegatten geleisteten Unterhalts wird – so könnte man denken – damit überflüssig. Tatsächlich wird das Prinzip des Unterhaltsersatzes durch die absolute Wirkung der Heiratswegfallklausel aber gerade nicht konsequent umgesetzt. Regelmäßig wird es sich zwar verhalten, wie eben geschildert: Im Rahmen des mit der erneuten Eheschließung entstehenden Unterhaltsverhältnisses gewährt der neue Ehegatte dem Hinterbliebenen Unterhalt, womit es eines Unterhaltsersatzes nicht mehr bedarf. Der Anspruch auf Unterhaltsersatz in Gestalt der Witwen- oder Witwerrente entfällt jedoch auch dann, wenn der neue Ehegatte nicht in der Lage ist, dem Hinterbliebenen Unterhalt zu leisten. Der Wegfall der Witwen- oder Witwerrente im Falle der Wiederheirat ist daher nicht abhängig von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, zu der es aufgrund einer Eheschließung regelmäßig kommt, sondern er ist allein abhängig von der erneuten Eingehung der Ehe selbst. Insoweit verstößt die Heiratswegfallklausel prima facie gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. 2. Rechtfertigungsgründe aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die waisenrentenrechtliche Heiratswegfallklausel? a) Die Entscheidung zur waisenrentenrechtlichen Heiratswegfallklausel Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Mai 197040 eine der in § 46 SGB VI enthaltenen Heiratswegfallklausel sehr ähnliche Regelung aus dem Recht der Waisenrenten wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt. In den von der Entscheidung betroffenen § 1267 RVO und § 44 AVG war vorgesehen, dass eine volljährige Waise, die sich noch in schulischer oder beruflicher Ausbildung befindet, Anspruch auf eine Waisenrente hat.41 Dieser Anspruch sollte aber entfallen, sobald die Waise heiratet. Zum Verhängnis wurde der Regelung, dass die Heirat der Waise stets den Wegfall der Waisenrente zur Folge hatte, ohne dass dabei Rücksicht auf die tatsächliche Fähigkeit des Ehegatten zur Unterhaltsleistung genommen wurde. Im Rahmen der Prüfung dieser absolut wirkenden waisenrentenrechtlichen Heiratswegfallklausel ging das Bundesverfassungsgericht auch auf eine Ansicht ein, deren Anhänger die Schlechterstellung verheirateter volljähriger Waisen gegenüber unverheirateten volljährigen Waisen für gerechtfertigt hielten.42 Die Anhänger dieser Ansicht argumentierten wie folgt: Mit der Heirat scheide die Waise aus der engeren Familiengemeinschaft aus. Es sei ihr daher verwehrt, auf die frühere Familienge40

BVerfGE 28, 324 ff. Heute: § 48 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2a) SGB VI (Halbwaisenrente) oder § 48 Abs. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 2a) SGB VI (Vollwaisenrente). 42 BVerfGE 28, 324, 350 unter Hinweis auf BVerwGE 25, 123, 126; Schwankhart, Die Sozialversicherung 1961, 181, 183. 41

210 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

meinschaft oder deren Fortwirkung in Form der Waisenrente zurückzugreifen. Umformuliert lautet das Argument: Für den Fall, dass die Eltern der Waise noch lebten, müssten sie keinen Unterhalt mehr leisten, wenn ihr Kind – die jetzige Waise – heiratet. Wenn aber bei Eingehung einer Ehe kein Anspruch auf Unterhalt mehr gegen die Eltern besteht, dann kann auch kein Anspruch auf Ersatz dieses Unterhalts in Gestalt der Waisenrente gegeben sein. Das Bundesverfassungsgericht wies dieses Argument zurück:43 Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem Kind entfalle nicht ohne Weiteres, wenn das Kind heiratet. Sie bleibe vielmehr in subsidiärer Form erhalten und komme erneut zum Tragen, wenn der Ehegatte außerstande sei, Unterhalt zu leisten (§ 1608 Abs. 1 S. 2 BGB). Entsprechend müsse auch der Unterhaltsersatzanspruch fortbestehen. b) Übertragbarkeit der Argumentation auf die Heiratswegfallklausel nach § 46 SGB VI? Übertragt man nun den gedanklichen Ansatz, mit dessen Hilfe die waisenrentenrechtliche Heiratswegfallklausel zu rechtfertigen versucht wurde, auf die Heiratswegfallklausel des § 46 SGB VI, muss die Argumentation wie folgt lauten: Lebte der versicherte Ehegatte noch, müsste er dem potentiell Hinterbliebenen keinen Unterhalt leisten, wenn dieser erneut heiratet. Hat der potentiell Hinterbliebene aber im Falle seiner erneuten Heirat keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten, so darf er bei einer Wiederheirat nach dem Tod des Versicherten – dann als Hinterbliebener – auch keinen Anspruch auf Ersatz dieses Unterhalts, genauer: keinen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente innehaben. Das vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung vorgebrachte Gegenargument lässt sich auf die Heiratswegfallsklausel nach § 46 SGB VI nicht übertragen. Denn solange der Versicherte lebt, muss der potentiell Hinterbliebene, um eine erneute Ehe eingehen zu können, auf die Scheidung seiner noch bestehenden Ehe zum Versicherten hinwirken. Im Zeitraum zwischen der erfolgten Scheidung und der Eingehung einer zweiten Ehe besteht dann zwar ein subsidiärer Anspruch des potentiell Hinterbliebenen auf Unterhaltsleistungen gegen den Versicherten (§§ 1569 ff. BGB). Sobald es aber zur zweiten Eheschließung kommt, erlischt dieser subsidiäre Anspruch (§ 1586 Abs. 1 BGB). Unter keinen Umständen kann ein Unterhaltsanspruch gegen den vorigen Ehegatten neben einem Unterhaltsanspruch gegen den gegenwärtigen Ehegatten bestehen. Dass das Gegenargument des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die witwenund witwerrentenrechtliche Heiratswegfallklausel übertragbar ist, bedeutet jedoch nicht, dass der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, zu dem die absolute Wirkung der Heiratswegfallklausel prima facie führt, gerechtfertigt ist. Denn der Rechtfertigungsversuch „Bei Eingehung einer erneuten Ehe hätte ein Anspruch 43

BVerfGE 28, 324, 350.

§ 1 Die Ungleichbehandlung hinterbliebener und geschiedener Ehegatten

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auf Unterhalt gegen den Versicherten nicht bestanden. Daher kann auch ein Anspruch auf Unterhaltsersatz nicht bestehen.“ arbeitet in zwei Schritten: Im ersten Schritt – „Bei Eingehung einer erneuten Ehe hätte ein Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten nicht bestanden.“ – wird eine Feststellung getroffen. Im zweiten Schritt – „Daher kann auch ein Anspruch auf Unterhaltsersatz nicht bestehen.“ – wird aus dieser Feststellung eine Schlussfolgerung gezogen. Das Gegenargument, das vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über die waisenrentenrechtliche Heiratswegfallklausel eingesetzt wurde, tritt diesem Rechtfertigungsversuch bereits im ersten Schritt entgegen, indem es die getroffene Feststellung falsifiziert; mit dem zweiten Schritt musste sich das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur waisenrentenrechtlichen Heiratswegfallklausel daher nicht mehr auseinandersetzen. Gerade dieser Schritt ist für das Recht der Witwen- und Witwerrenten jedoch verfehlt. Aus dem Umstand, dass ein Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten bei erneuter Heirat nicht besteht, lässt sich keineswegs die Schlussfolgerung ziehen, dass auch ein Anspruch auf Unterhaltsersatz bei einer Wiederheirat nicht gegeben sein darf. Die Voraussetzungen, unter denen es jeweils zur erneuten Eingehung einer Ehe kommt, sind nämlich völlig unterschiedliche: In der ersten Situation bricht der potentiell Hinterbliebene aktiv gestaltend zunächst durch die Scheidung und dann durch seine Wiederheirat alle unterhaltsspezifischen Brücken zum Versicherten ab. In der anderen Situation dagegen wird die Ehe mit dem Versicherten ohne Einflussnahme des Hinterbliebenen und regelmäßig gegen dessen Willen beendet, bevor der Hinterbliebene eine erneute Ehe eingeht. Wenn aber den Umständen, unter denen eine erneute Eheschließung erfolgt, ein jeweils völlig anderes Verhalten des (potentiell) Hinterbliebenen zugrunde liegt, kann die Wiederheirat zu Lebzeiten des Versicherten nicht mit der Wiederheirat nach dem Tod des Versicherten gleichgesetzt werden. Dies geschieht jedoch, wenn argumentiert wird „Bei Eingehung einer erneuten Ehe hätte ein Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten nicht bestanden. Daher kann auch ein Anspruch auf Unterhaltsersatz nicht bestehen.“ Aber nicht nur die Voraussetzungen, unter denen eine Wiederheirat zu Lebzeiten des Versicherten erfolgt, sind völlig andere als die, unter denen der Hinterbliebene eine erneute Ehe schließt; auch der Anspruch auf Unterhalt unterscheidet sich ganz erheblich von dem auf Unterhaltsersatz44. Der Unterhaltsanspruch kann auf die Leistung von Geld oder auf das Verrichten von Tätigkeiten zielen (§ 1360 BGB); der Unterhaltsersatzanspruch ist dagegen stets ein Anspruch auf Zahlung. Verpflichteter des Unterhaltsanspruches ist der (geschiedene) Ehegatte, während der Anspruch auf Unterhaltsersatz gegen den zuständigen Träger der Rentenversicherung geltend zu machen ist. Schließlich besteht der Unterhaltsanspruch ohne Rücksicht auf das Einkommen des Anspruchsberechtigten; der Inhaber des Unterhaltsersatzanspruches muss sich dagegen eigenes Einkommen anrechnen lassen. Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, zu dem es aufgrund der absoluten Wir44 Insbesondere stellt der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente keinen hypothetisch fortgeschriebenen Unterhaltsanspruch dar, vgl. dazu oben 3. Teil, § 2, A.III.3.b)bb).

212 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

kung der Heiratswegfallklausel nach § 46 SGB VI prima facie kommt, ist folglich nicht gerechtfertigt. 3. Keine Rechtfertigung durch § 107 SGB VI Nach § 107 Abs. 1 SGB VI hat der Inhaber einer großen Witwen- oder Witwerrente bei der ersten Wiederheirat grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe des 24fachen Rentenmonatsbetrages. Dieser Anspruch ist jedoch nur geeignet, die Wirkung der Wiederheiratsklausel – geringfügig – abzumildern, er kann die Schlechterstellung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen nicht rechtfertigen. Das ist allerdings auch nicht der Zweck des § 107 SGB VI: Die Norm verfolgt – ebenso wie der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten45 – das Ziel, Rentenkonkubinate zu verhindern46 und ist insoweit rein fiskalisch motiviert. Im Ergebnis führt die Ungleichbehandlung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen durch § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV damit zwar nur in wenigen Fällen zu einer Benachteiligung der Hinterbliebenen; dennoch wird Art. 3 Abs. 1 GG hier insoweit verletzt, als im Bereich niedriger Einkommen eine Schlechterstellung erfolgt. Darüber hinaus wird auch durch die absolute Wirkung der Heiratswegfallklausel nach § 46 Abs. 2 S. 1 SGB VI gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen.

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten A. Der grundlegende Inhalt der §§ 120a ff. SGB VI Durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21. März 200147 wurden mit §§ 120a ff. SGB VI Regelungen zum Rentensplitting unter Ehegatten eingeführt.48 Eröffnet wurde die Splittingmöglichkeit den Ehepaaren, deren Ehe ab dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde, und solchen Ehepaaren, die zwar bereits vor dem 1. Januar 2002 geheiratet haben, bei denen aber beide Ehegatten erst nach dem 1. Januar 1962 geboren wurden. Die Splittingregelungen sehen vor, dass die Ehegatten sich – grundsätzlich gemeinsam – für eine Aufteilung der von ihnen während der Dauer der Ehe erworbenen Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversi45

Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 19. Butzer, GK-SGB VI, § 46, Rn. 19; Marschner, Wannagat Sozialgesetzbuch, § 107, Rn. 1; die Deutsche Rentenversicherung Bund, Renten an Hinterbliebene, S. 17 bezeichnet die Abfindung als „Starthilfe für eine neue Ehe“. 47 BGBl. I, S. 403 ff. 48 Seit dem 1. 1. 2005 steht das Rentensplitting auch eingetragenen Lebenspartnern offen, vgl. § 120e SGB VI. 46

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten

213

cherung entscheiden können. Die Technik der Aufteilung (§ 120a Abs. 7 S. 2, Abs. 8 SGB VI) entspricht dabei der vom Versorgungsausgleich bekannten. Ein Anspruch auf Durchführung des Rentensplittings besteht, wenn entweder beide Ehegatten Anspruch auf eine Vollrente wegen Alters haben (§ 120a Abs. 3 Nr. 1 SGB VI) oder einer der Ehegatten Inhaber eines Anspruches auf Altersrente ist und der andere die Regelaltersgrenze erreicht hat (§ 120a Abs. 3 Nr. 2 SGB VI). Von dem genannten Grundsatz der gemeinsamen Entscheidung für das Splitting abweichend, kann ein Ehegatte allein die Durchführung des Rentensplittings beanspruchen, wenn der andere Ehegatte verstorben ist, bevor die Voraussetzungen für ein Rentensplitting gegeben waren (§ 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI). Außerdem müssen – bei gemeinsamer Entscheidung für die Durchführung des Splittings jeweils – 25 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt worden sein (§ 120a Abs. 4 SGB VI). Zur Witwen- oder Witwerrente steht das Splitting in einem Exklusivitätsverhältnis. Weil nach dem Tod eines Ehegatten der überlebende Ehegatte das Splitting auch allein durchführen kann, wenn die Voraussetzungen des § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI erfüllt sind, ist es zwar möglich, dass erst eine Witwen- oder Witwerrente bezogen und später gesplittet wird.49 Sobald das Splitting aber durchgeführt wurde, ist ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente ausgeschlossen (§ 46 Abs. 2b SGB VI).50 Eine konsequente Fortsetzung51 dieses Exklusivitätsgedankens findet sich in § 120a Abs. 5 SGB VI, dem zufolge ein Splitting ausgeschlossen ist, wenn der Hinterbliebene zunächst eine Witwen- oder Witwerrente bezogen, dann aber – wegen der ersten Wiederheirat – eine Abfindung für den Wegfall der Witwen- oder Witwerrente erhalten hat (§ 107 SGB VI): Nach dem gesetzgeberischen Willen beendet die Wiederheirat alle unterhalts(ersatz)rechtlichen Beziehungen zum verstorbenen Ehegatten. Daher muss auch eine Übertragung von Entgeltpunkten des Verstorbenen auf das Rentenkonto des Hinterbliebenen mit der Wiederheirat ausgeschlossen sein.52

49

Durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. 4. 2007 (BGBl. I, S. 554 ff.) wurde für die Abgabe der Splittingerklärung allerdings eine Ausschlussfrist von zwölf Monaten eingeführt (§ 120d Abs. 1 S. 2 SGB VI), sodass bei Todesfällen ab dem 1. 1. 2008 der Hinterbliebene keine „lebenslange Bedenkzeit“ (Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 313) mehr hat. 50 Lag dagegen ein Anspruch auf Durchführung des Splittings schon vor, als noch beide Ehegatten lebten, wurde aber eine Splittingerklärung nicht abgegeben, so ist die Durchführung des Splittings nach dem Tod eines der Ehegatten ausgeschlossen, wie der Umkehrschluss aus § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI zeigt. Der Hinterbliebene erhält dann eine Witwen- oder Witwerrente. Vgl. dazu auch Kohl, GK-SGB VI, § 120a, Rn. 21. 51 Kohl, GK-SGB VI, § 120a, Rn. 27. 52 Kohl, GK-SGB VI, § 120a, Rn. 27.

214 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

B. Die gleichheitsrechtliche Problematik Die Möglichkeit einer Schlechterstellung der hinterbliebenen Ehegatten, die eine Witwen- oder Witwerrente beziehen, gegenüber denjenigen Hinterbliebenen, die sich für die Durchführung des Splittings entschieden haben, hat die gleichen Ursachen wie die mögliche Schlechterstellung der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente gegenüber Geschiedenen53 : Während die Witwen- oder Witwerrente bei Eingehung einer erneuten Ehe wegfällt (§ 46 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI), werden einmal im Wege des Splittings erworbene Anwartschaften nicht durch eine Wiederheirat berührt. Zudem ändert sich der Rentenzahlbetrag des Hinterbliebenen, der aufgrund des Rentensplittings Anwartschaften erworben hat, durch den Erwerb eigenen Einkommens nicht; der Hinterbliebene, der eine Witwen- oder Witwerrente bezieht, muss sich dagegen den Freibetrag übersteigendes Einkommen anrechnen lassen (§ 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV). In das Rentensplitting sind – anders als in den Versorgungsausgleich – nur Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Dieser Umstand hätte die Benachteiligung der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente, zu der es aufgrund der Einkommensanrechnung kommen kann, in bestimmten Fällen noch vertieft, wenn die anfänglichen Gesetzesentwürfe54 zum Rentensplitting unverändert umgesetzt worden wären:55 Ist etwa der Hinterbliebene Beamter und bezieht er eine Witwerrente, so muss er sich seine Pension auf diese anrechnen lassen (§ 97 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 5 SGB IV). Wäre dagegen gesplittet worden, so hätte der Beamte – jedenfalls auf Grundlage der eingangs zum Rentensplitting vorgelegten Entwürfe – seine Pension in voller Höhe und zusätzlich die Hälfte der Rente seiner verstorbenen Ehefrau erhalten. Dieser krassen Privilegierung von Personen, die hauptsächlich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert sind, ist durch § 120a Abs. 4 SGB VI ein Riegel vorgeschoben worden: Einen Anspruch auf Durchführung des Splittings haben nur Personen, die 25 Jahre rentenrechtlicher Zeiten vorweisen können und deren Absicherungsschwerpunkt damit in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt.

53

Siehe dazu oben 4. Teil, § 1, A. Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 14/4595; Entwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/5068. 55 Kritisch dazu Ruland, FamRZ 2001, 129, 132. 54

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten

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C. Rechtfertigung I. Voraussetzungen einer Schlechterstellung der Bezieher von Witwen- oder Witwerrente Die Aussage, die Inhaber einer Witwen- oder Witwerrente seien generell benachteiligt, trifft für das Verhältnis zu den Geschiedenen nicht zu, wie dargelegt wurde56. Auch gegenüber den Hinterbliebenen, die sich für die Durchführung des Rentensplittings entschieden haben, lässt sich eine generelle Benachteiligung der Inhaber einer Witwen- oder Witwerrente nicht feststellen. Die Voraussetzungen, unter denen es tatsächlich zu einer Benachteiligung gegenüber den Ehegatten kommen kann, die das Rentensplitting durchgeführt haben, ähneln sehr denen, die bereits für eine Schlechterstellung im Verhältnis zu den Geschiedenen ermittelt wurden:57 Erstens muss der betrachtete Ehegatte derjenige sein, der geringere Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung innehat als der andere Ehegatte. Ist dies nicht der Fall, kommt es für ihn im Splittingfall nicht zu einem Gewinn, sondern zu einem Verlust eigener Anwartschaften. Verstirbt dann der andere Ehegatte, steht sich der Betroffene aufgrund des Splittings schlechter als der Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente:58 Ohne Durchführung des Splittings hätte er seine eigene Rente ungekürzt bezogen und ggf.59 zusätzlich eine Witwen- oder Witwerrente erhalten.60 Zweitens ist es notwendig, dass die Dauer der Ehe annähernd der Zeit entspricht, in der der andere Ehegatte Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat. Denn als Inhaber einer Witwen- oder Witwerrente stehen dem Betroffenen 55 Prozent der gesamten Rente des verstorbenen Ehegatten zu, im Rahmen des Splittings vermag er aber maximal 50 Prozent der während der Ehe angehäuften Anwartschaften vom anderen Ehegatten zu erwerben.61 56

Vgl. dazu oben 4. Teil, § 1, D.I.1. Vgl. dazu oben 4. Teil, § 1, D.I.1.b). Bemerkenswert ist, dass – soweit ersichtlich – trotz der großen Ähnlichkeit beider Verhältnisse eine generelle Schlechterstellung der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente gegenüber den durch das Splitting begünstigten Hinterbliebenen nirgends behauptet wird, während die entsprechende Behauptung für das Verhältnis der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente zu den Geschiedenen sich häufiger findet (so etwa bei Papier, DRV 1985, 272, 275 f.; Ruland, FamRZ 2001, 129, 132; ders., DRV 1985, 278, 281; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/2007, S. 258, Tz. 341). 58 Solange noch keine angemessenen Leistungen (bis zu zwei Jahresrentenbeträge) bezogen wurden, besteht in diesen Fällen allerdings noch die Möglichkeit, das Splitting rückgängig zu machen, vgl. § 120c SGB VI. 59 Ausbezahlt wird die Witwen- oder Witwerrente nur, soweit der Betroffene sich seine eigene Rente nicht nach § 97 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB IV auf sie anrechnen lassen muss. 60 Ebenso Eichler, DAngVers 2002, 7, 16 f. 61 Darauf weisen auch hin Köbl, ZfSH/SGB 2002, 594, 598; Ruland, FS v. Maydell, S. 575, 585. 57

216 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

Eine Besserstellung Hinterbliebener aufgrund des Splittings kommt – drittens – nur dann in Betracht, wenn bei beiden Ehegatten jeweils oder – im Falle des § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI – beim überlebenden Ehegatten 25 Jahre rentenrechtlicher Zeiten vorhanden sind. Ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente setzt dagegen lediglich die Erfüllung der fünfjährigen allgemeinen Wartezeit voraus (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Damit das Splitting sich für den Betroffenen günstiger als eine Witwen- oder Witwerrente auswirken kann, muss dieser – viertens – die Voraussetzungen für den Bezug einer eigenen Rente erfüllen,62 insbesondere muss er die Regelaltersgrenze erreicht haben. Der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente kann dagegen auch schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze bestehen. Fünftens ist schließlich erforderlich, dass der Betroffene nach dem Tod des anderen Ehegatten ein den Freibetrag übersteigendes eigenes Einkommen erzielt, das auf eine Witwen- oder Witwerrente anzurechnen wäre.63 Anderenfalls stünde der Hinterbliebene mit einer Witwen- oder Witwerrente in Höhe von 55 Prozent der Rente des verstorbenen Versicherten besser als mit einer eigenen Altersrente, die sich auf maximal 50 Prozent der Rente des verstorbenen Versicherten beläuft. Hinsichtlich dieser letztgenannten Voraussetzung kann zudem die schon für das Verhältnis des Versorgungsausgleichs zu den Witwen- und Witwerrenten beschriebene64 gegenläufige Interessenlage eintreten: Je höher das eigene Einkommen des Hinterbliebenen ist, desto attraktiver erscheint aufgrund der Einkommensanrechnung grundsätzlich das Splitting. Handelt es sich beim anzurechnenden Einkommen jedoch um eine selbst erworbene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung,65 so hat sich das Vorhandensein der entsprechenden Entgeltpunkte bei der Durchführung des Splittings bereits negativ niedergeschlagen: Je höher die Summe der Entgeltpunkte des Betroffenen ist, desto weniger Entgeltpunkte erwirbt er im Rahmen des Splittings, und desto weniger attraktiv ist demnach das Splitting für ihn. Möglicherweise ist die Summe der eigenen Entgeltpunkte des Betroffenen gar so hoch, dass es an der Erfüllung der zuerst genannten Voraussetzung – des Überwiegens der Anwartschaften des anderen Ehegatten – fehlt. Nur dann, wenn alle fünf Voraussetzungen erfüllt sind, hinsichtlich der fünften Voraussetzung keine im konkreten Fall gegen das Splitting sprechende Konstellation vorliegt und auch mögliche Zuschläge für Kindererziehung (§ 78a SGB VI) nicht zu einem Vorteil beim Bezug einer Witwen- oder Witwerrente führen, ist eine Schlechterstellung der Witwen- oder Witwerrentenberechtigten gegeben. Die Anzahl der

62

Eichler, DAngVers 2002, 7, 15. Ebenso Eichler, DAngVers 2002, 7, 15. 64 Vgl. dazu oben 4. Teil, § 1, D.I.1.b). 65 Weil im Rentensplitting – anders als beim Versorgungsausgleich – lediglich eine eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung Berücksichtigung findet, wird die gegenläufige Interessenlage hier seltener eintreten. 63

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten

217

Fälle, in denen diese Voraussetzungen erfüllt sind, dürfte gering sein.66 Nur in dieser geringen Anzahl von Fällen besteht folglich überhaupt ein Rechtfertigungserfordernis. II. Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG Die Voraussetzungen, die zu einer Benachteiligung der Witwen- oder Witwerrentenberechtigten gegenüber den hinterbliebenen Ehegatten führen, die vom Rentensplitting profitieren, gleichen – wie erwähnt – denen, bei deren Vorliegen es zu einer Schlechterstellung gegenüber den Geschiedenen kommt. Während die Ungleichbehandlung der Inhaber eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente im Verhältnis zu den Geschiedenen – wie gezeigt67 – eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt, ist die Benachteiligung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten im Verhältnis zu den durch das Rentensplitting Begünstigten allerdings gerechtfertigt. 1. Schlechterstellung als Folge der freien Entscheidung für den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente Grund dafür ist, dass der Vergleich der Witwen- und Witwerrentenberechtigten mit den Geschiedenen gegenüber dem Vergleich der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente mit den Rentensplittingbegünstigten einen maßgeblichen Unterschied aufweist: Im ersten Vergleich ergibt sich die Zugehörigkeit des Betroffenen zu einer der Vergleichsgruppen ohne Weiteres aus den für den zugrundeliegenden Sachverhalt einschlägigen Regelungen. Im zweiten Vergleich dagegen hängt die Zugehörigkeit des Betroffenen zu einer der Vergleichsgruppen grundsätzlich68 von der Entscheidung der – bzw. im Falle des § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI von der Entscheidung des überlebenden – Ehegatten selbst ab. Fällt diese Entscheidung gegen die Durchführung des Rentensplittings und damit für den Bezug einer Witwen- oder Witwer-

66 Soweit ersichtlich, geht man einhellig davon aus, es werde regelmäßig zu einer Besserstellung der Bezieher einer Witwen-/Witwerrente kommen, das Rentensplitting werde daher wenig Verbreitung finden. So etwa Eichler, DAngVers 2002, 7, 16; Köbl, ZfSH/SGB 2002, 594, 598 f.; Ruland, SRH, § 17, Rn. 78; ders., FS v. Maydell, S. 575, 585; Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 317. 67 Vgl. dazu oben 4. Teil, § 1, D.I.3.b). 68 Keine Wahl haben diejenigen, deren Ehe vor dem 1. 1. 2002 geschlossen wurde, wenn mindestens einer der Ehegatten vor dem 2. 1. 1962 geboren wurde. Soweit diese Personen eine Witwen-/Witwerrente beziehen, richtet sich deren Inhalt jedoch entweder nach der Rechtslage vom 1. 1. 1986 bis zum 31. 12. 2001 oder gar nach derjenigen vor dem 01. 01. 1986, d. h. es findet nur eine deutlich abgeschwächte (1.1.1986 – 31.12.2001, vgl. § 114 Abs. 1 SGB IV) oder überhaupt keine Einkommensanrechnung (vor 1. 1. 1986, vgl. § 314 Abs. 1 SGB VI) statt. Die Möglichkeit einer Schlechterstellung der Bezieher einer Witwen-/Witwerrente ist daher nochmals deutlich geringer, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht gegeben.

218 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

rente aus, so ist eine mögliche Schlechterstellung des Betroffenen gerechtfertigt, weil er selbst sie durch seine Entscheidung herbeigeführt hat – volenti non fit iniuria.69 Dies gilt auch dann, wenn die Splittingvoraussetzungen zwar gegeben sind, die Ehegatten es aber unterlassen, sich zu beider Lebzeiten aktiv für oder gegen das Rentensplitting zu entscheiden und dann einer von ihnen stirbt. Zwar steht dem Hinterbliebenen dann kein Wahlrecht mehr zu, sondern er erhält eine Witwen- oder Witwerrente.70 Für den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente entschieden haben sich die Ehegatten aber dennoch, indem sie trotz Beratung über die ihnen offen stehenden Optionen durch den zuständigen Rentenversicherungsträger (§ 14 SGB I) untätig blieben. 2. Freiheit der Entscheidung trotz Prognosezwangs Daran, dass die Entscheidung des Betroffenen für den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente eine Schlechterstellung gegenüber den Splittingbegünstigten rechtfertigt, ändert auch das Folgende nichts: Regelmäßig ist die Entscheidung für oder gegen die Durchführung des Splittings und damit zugleich für oder gegen den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente zu Lebzeiten beider Ehegatten zu fällen (§ 120a Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 SGB VI). Allein kann ein Ehegatte das Splitting ausnahmsweise nur dann herbeiführen, wenn der andere Ehegatte vor Eintritt der Splittingvoraussetzungen verstorben ist (§ 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI). Die gemeinsame Entscheidung der Ehegatten darüber, welcher Absicherungsmodus für den Hinterbliebenen der bessere ist – die Witwen- oder Witwerrente oder das Rentensplitting –, macht jedoch eine Prognose über die Frage erforderlich, wer von beiden der Hinterbliebene sein wird, genauer: welcher der beiden Ehegatten zuerst sterben wird.71 Diese Prognose wird fast immer auf sehr unsicherer Basis getroffen werden müssen. Entsprechend hoch ist die Gefahr einer falschen Prognose und damit das Risiko einer Entscheidung für die im Ergebnis ungünstigere Absicherungsvariante. Verringert wird das Maß an Ungewissheit zwar durch den Umstand, dass die Entscheidung den Ehegatten nicht schon kurz nach Eingehung der Ehe zugetraut oder gar zwingend abverlangt wird.72 Eine wirksame Erklärung für die Durchführung des Splittings kann frühestens sechs Monate vor der voraussichtlichen Erfüllung der Splittingvoraussetzungen abgegeben werden (§ 120d Abs. 1 S. 1 SGB VI). Dennoch wird sich in den wenigsten Fällen eine sichere Prognose treffen lassen.73

69 Im Ansatz ebenso: Köbl, ZfSH/SGB 2002, 594, 598; Ruland, FS v. Maydell, S. 575, 592; ders., FamRZ 2001, 129, 132; Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 311. 70 Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss aus § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI, vgl. Kohl, GKSGB VI, § 120a, Rn. 21. 71 Deutsche Rentenversicherung Bund, Renten an Hinterbliebene, S. 32. 72 Anfängliche Überlegungen in dieser Richtung wurden verworfen, vgl. Ruland, FS v. Maydell, S. 575, 585. 73 Privilegiert ist insoweit derjenige, dessen Ehegatte vor Eintritt der Splittingvoraussetzungen verstorben ist (§ 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI) – für ihn besteht das erwähnte Prognose-

§ 2 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Rentensplittingberechtigten

219

a) Der Prognosezwang als Mittel zur Vermeidung übermäßiger Gestaltungsmöglichkeiten Dies nimmt der Wahl des Betroffenen jedoch nicht deren rechtfertigende Wirkung. Der Gesetzgeber hat den Prognosezwang, dem die Ehegatten unterliegen, erkannt.74 Gleichwohl hat er keine Maßnahmen ergriffen, ihn zu beseitigen – ganz im Gegenteil: Frühere Entwürfe zum Rentensplitting enthielten nicht nur eine Ausschlussfrist für die Abgabe einer Splittingerklärung allein durch den Hinterbliebenen in den Fällen des § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI – diese Frist ist durch § 120d Abs. 1 S. 2 SGB VI umgesetzt worden. Darüber hinaus sollte auch die gemeinsame Abgabe der Splittingerklärung einer zwölfmonatigen Ausschlussfrist unterliegen.75 Diese zweite Frist wurde zwar nicht ins Gesetz übernommen; gleichwohl ist die Ausübung der Splittingmöglichkeit zeitlich begrenzt: Mit dem Tod eines der Ehegatten kann die Durchführung des Splittings nicht mehr beansprucht werden.76 Das Ziel, das der Gesetzgeber verfolgt, indem er den Versicherten eine Entscheidung für die Durchführung des Rentensplittings bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abverlangt, ist, „Splittingzeitpunkt und Optionszeitpunkt möglichst zeitnah zusammenzuführen“77 – oder klarer formuliert: „unerwünschte Gestaltungsmöglichkeiten bei Empfängern von Witwen-/Witwerrenten“ zu beseitigen78. „Unerwünscht“ wären die Gestaltungsmöglichkeiten, die bestünden, wenn die Splittingerklärung abgegeben werden könnte, ohne dass die Betroffenen diesbezüglich einer zeitlichen Begrenzung unterlägen, in der Tat – zumindest aus der Perspektive der Versichertengemeinschaft. Die Hinterbliebenen, die zunächst eine Witwenoder Witwerrente beziehen, könnten ihre Position in erheblichem Maße optimieren: Erweist sich der Bezug einer Witwen- oder Witwerrente gegenüber der Durchführung des Rentensplittings als günstiger, wird der Hinterbliebene natürlich vorerst davon absehen, für das Splitting zu optieren. Hegt er aber beliebige Zeit nach dem Tod des Ehegatten den Wunsch, erneut zu heiraten, ist die Witwen- oder Witwerrente aufgrund der Heiratswegfallklausel in § 46 SGB VI die ungünstigere Wahl. Der Hinterbliebene wird sich daher nun für das „heiratsresistente“ Splitting entscheiden. Stirbt auch der neue Ehegatte, kann der Hinterbliebene zusätzlich zu seiner eigenen, durch das Splitting erhöhten Rente eine Witwen- oder Witwerrente beziehen.79 Auch wenn

risiko nicht; vgl. Eichler, DAngVers 2002, 7, 17; Köbl, ZfSH/SGB 2002, 594, 598; Ruland, FS v. Maydell, S. 575, 586. 74 BT-Drs. 14/4595, S. 53; BT-Drs. 16/3794, S. 38. 75 Vgl. dazu Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 312 f. 76 Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss aus § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI, vgl. Kohl, GKSGB VI, § 120a, Rn. 21. 77 BT-Drs. 14/4595, S. 53; BT-Drs. 16/3794, S. 38. 78 BT-Drs. 16/3794, S. 38. 79 Übersteigt die Rente des Hinterbliebenen, die auf im Wege des Rentensplittings erhaltenen Anwartschaften und ggf. zusätzlich auf selbst erworbenen Anwartschaften beruht, den

220 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente beginnt, eigenes Einkommen oberhalb des Anrechnungsfreibetrages zu erzielen, wird er auf das Splitting umschwenken.80 Derart weit reichende Optimierungsmöglichkeiten vermöchte die Versichertengemeinschaft auf Dauer nicht zu tragen. Ihnen durch die Einziehung zeitlicher Grenzen zur Abgabe der Splittingerklärung einen Riegel vorzuschieben, ist daher legitim.81 b) Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG: identischer Prognosezwang Zudem hat der Gesetzgeber durch die Einführung der §§ 120a ff. SGB VI den verheirateten Versicherten nicht zum ersten Mal eine Prognose darüber abverlangt, welcher Ehegatte zuerst sterben wird. Als die Hinterbliebenenrenten mit Wirkung zum 1. Januar 1986 durch das HEZG reformiert wurden,82 räumte der Gesetzgeber den Versicherten aus Vertrauensschutzgründen in Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG die Möglichkeit ein, weiterhin nach dem bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Recht behandelt zu werden, wenn bis zum 31. Dezember 1988 eine entsprechende Erklärung abgegeben wurde (vgl. §§ 303, 314 SGB VI). Alle Ehepaare, denen diese Möglichkeit offen stand, sahen sich einem Prognoserisiko ausgesetzt, das dem der Ehepaare, die zwischen einer Absicherung durch eine Witwen- oder Witwerrente und dem Rentensplitting zu entscheiden haben, gleicht:83 Wurde die Erklärung für die Anwendung des alten Rechts abgegeben und stirbt die Ehefrau zuerst, erhält der Ehemann eine Witwerrente nur dann, wenn die verstorbene Ehefrau überwiegend den Unterhalt bestritten hat (§ 303 S. 1 SGB VI). Ist es dagegen der Ehemann, der zuerst stirbt, erhält die Hinterbliebene eine Witwenrente, hinsichtlich derer eine Einkommensanrechnung nicht stattfindet (§ 314 Abs. 1 SGB VI). Haben sich die Ehegatten gegen die Abgabe der Erklärung über die Anwendung des Altrechts entschieden, droht eine Benachteiligung der Ehefrau: Stirbt ihr Ehemann zuerst, muss sie sich eigenes Einkommen auf ihre Witwenrente anrechnen lassen (§ 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV). Überlebt dagegen der Ehemann seine Frau, erhält er eine Witwerrente, ohne dass es darauf ankommt, wer den gemeinsamen Unterhalt überwiegend bestritten hat (§ 46 SGB VI). Die Schwierigkeit, einzuschätzen, welcher Ehegatte zuerst verstirbt, war in dieser Situation unter Umständen noch größer, als sie es heute in der Situation der Splittingberechtigten ist: Die Erklärung zur weiteren Anwendung des Altrechts konnten bereits Ehegatten abgeben, die über 50 Jahre alt waren (Art. 2 § 18 Abs. 3 AnVNG), während die Splittingberechtigten sich frühestens sechs Monate vor Erreichen der Anrechnungsfreibetrag, wird sie allerdings auf die Witwen-/Witwerrente angerechnet, vgl. § 97 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB IV. 80 Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 313 sprechen diesbezüglich von einer „lebenslangen Bedenkzeit“ des Hinterbliebenen. 81 Ähnlich Stahl/Stegmann, DRV 2001, 295, 313. 82 BGBl. 1985/I, S. 1450 ff. 83 Vgl. dazu BSG, SozR 5750, Art 2 § 18 S. 5 f.

§ 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern

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Regelaltersgrenze entscheiden können (§ 120d Abs. 1 S. 1 SGB VI). Kritik an der Auferlegung dieses Prognoserisikos kam damals – soweit ersichtlich – gleichwohl nicht auf. Auch vor diesem Hintergrund kann die Prognose, die der Gesetzgeber den splittingberechtigten Ehegatten abverlangt, nicht als unverhältnismäßig eingestuft werden. Insgesamt ist die – ohnehin nur ausnahmsweise erfolgende – Schlechterstellung der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente gegenüber denjenigen Hinterbliebenen, die sich für die Durchführung des Rentensplittings entschieden haben, daher unbedenklich.

§ 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern A. Witwen- und Witwerrente nur für hinterbliebene Ehepartner – kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG Einen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente haben nach § 46 SGB VI nur hinterbliebene Ehegatten, nicht aber hinterbliebene Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. In gleichheitsrechtlicher Hinsicht erscheint dieser Umstand umso problematischer, je eheähnlicher eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ausgestaltet ist. Sehr deutlich wird dies an einem Fall, der sich im Jahr 1985 zutrug:84 Nachdem ein Paar etwa zehn Jahre in nichtehelicher Gemeinschaft lebte, wurde beim Mann eine Krebserkrankung diagnostiziert. Seine Lebenserwartung war nicht abschätzbar, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Daraufhin beschloss das Paar, schnellstmöglich zu heiraten. Der zur Vornahme der Trauung in das Krankenhaus bestellte Standesbeamte traf jedoch erst etwa fünf Minuten nach dem Tod des Mannes ein. Weil eine Trauung folglich nicht mehr möglich war, erlangte die hinterbliebene Partnerin nicht den Status einer Witwe und konnte daher auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente geltend machen. In diesem Fall entschied eine wenige Minuten dauernde Verzögerung die Frage, ob die Betroffene für den Rest ihres Lebens Anspruch auf eine Rente hat oder unversorgt bleibt.85

84 Vgl. dazu OLG Nürnberg, FamRZ 1988, 1047 f.; BGH FamRZ 1989, 1048 f.; BGH FamRZ 1991, 541 f. (jeweils mit Anmerkungen von Bosch) sowie Bosch, FamRZ 1990, 578 ff. 85 Die Partnerin klagte (erfolglos) auf Schadensersatz aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG: Der Standesbeamte habe sich verspätet, womit eine Amtspflichtverletzung vorgelegen habe. Heute würde der Sachverhalt deutlich weniger Probleme bereiten: Nach § 46 Abs. 2a SGB VI würde – beim geschilderten Fall kaum widerlegbar – das Vorliegen einer Versorgungsehe vermutet, sodass die Hinterbliebene auch dann keinen Anspruch auf Witwenrente hätte, wenn die Trauung vorgenommen worden wäre; vgl. dazu SG Dortmund, Urteil vom 12. 10. 2005 – S 34 RJ 219/04; SG Lübeck, Urteil vom 26. 1. 2006 – S 7 RA 320/03 sowie Bohlken, jurisKommentar zum SGB VI, § 46, Rn. 112 ff.

222 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

Eine analoge Anwendung der witwen- und witwerrentenrechtlichen Regelungen auf den hinterbliebenen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kam und kommt nicht in Betracht. Für eine solche Analogie fehlt es nach – soweit ersichtlich – einhelliger Auffassung an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke:86 Das Recht der Witwen- und Witwerrenten ist gerade nur für Ehegatten geschaffen worden.87 Wer es aber bewusst ablehnt, sich den mit der Eheschließung einhergehenden rechtlichen Bindungen zu unterwerfen, kann nicht verlangen, dass ihm der aus der Ehe resultierende Schutz gewährt wird.88 Darüber hinaus ist auch keine vergleichbare Interessenlage gegeben, wenn man – wie der Gesetzgeber89 – die Witwen- und Witwerrenten als Institut mit Unterhaltsersatzfunktion einordnet: Der Hinterbliebene einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft hatte zu Lebzeiten seines Partners gegen diesen keinen Anspruch auf die Leistung von Unterhalt. Damit bedarf es nach dem Tod des Partners aber auch eines Ersatzes von Unterhalt nicht. Ausnahmsweise für zulässig erklärt hat das Bundesverfassungsgericht eine analoge Anwendung des Rechts der Witwen- und Witwerrenten allerdings auf sogenannte „hinkende Ehen“.90 Dies sind Ehen, die nach deutschem Recht unwirksam, nach dem Recht des Heimatlandes eines der Partner aber wirksam geschlossen sind. Dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten auf „hinkende Ehen“ ausnahmsweise analog angewendet wird, steht aber im Einklang mit der dargelegten Argumentation gegen die grundsätzliche Bejahung einer Analogie zugunsten nichtehelicher Lebensgemeinschaften.91 Denn formell bilden die Partner einer „hinkenden Ehe“ nach deutschem Recht zwar ebenfalls „nur“ eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Die zugrundeliegende Gesinnung der Partner einer „hinkenden Ehe“ ist jedoch eine völlig andere: Sie verweigern sich nicht bewusst der Eingehung einer auch nach deutschem Recht wirksamen Ehe, sondern unterlassen eine vom deutschen Recht anerkannte Eheschließung vielmehr in der Annahme, die nach ausländischem Recht wirksam erfolgte Heirat werde auch in Deutschland rechtlich anerkannt („Putativehe“). Anders als in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die als solche gewollt sind, werden in „hinkenden Ehen“ regelmäßig das für eine Ehe typische Maß an innerer Verbundenheit sowie eine erhöhte Bereitschaft, füreinander die Verantwortung zu übernehmen, vorhanden sein. So hart die Folgen, die mit der Ablehnung eines Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente für die Hinterbliebenen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft einhergehen, im Einzelfall auch ausfallen mögen – eine ungerechtfertigte Ungleichbehand86 BSG, NJW 1995, 3270, 3271; Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, § 25, Rn. 53. 87 BSGE 92, 113, 119 f. 88 Vgl. etwa Friauf, NJW 1986, 2595, 2601; Zippelius, DÖV 1986, 805, 808; Zuleeg, NVwZ 1986, 800, 803. 89 BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23. 90 BVerfGE 62, 323 ff.; zustimmend Kreikebohm-Löns, SGB VI, § 46, Rn. 5. 91 Auch das BVerfG stellt klar, dass die Ausnahme zugunsten der „hinkenden Ehe“ nicht auf nichteheliche Lebensgemeinschaften übertragbar ist, E 62, 323, 331 f.

§ 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern

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lung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich aus ihnen nicht. Der sachliche Grund, der eine Schlechterstellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gegenüber der Ehe gestattet, findet sich im Grundgesetz selbst: Art. 6 Abs. 1 GG unterstellt die Ehe dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung92 und verpflichtet den Gesetzgeber, die Ehe positiv zu fördern93. Indem die Norm eine Privilegierung der Ehe als besonders anerkannter Form des Zusammenlebens gestattet, legitimiert sie aber zugleich eine Schlechterstellung anderer Formen des Zusammenlebens gegenüber der Ehe.94

B. Zulässigkeit der Einführung einer „Witwen- oder Witwerrente“ für Hinterbliebene nichtehelicher Lebensgemeinschaften? Wenn – wie soeben festgestellt wurde – das Grundgesetz eine Gleichstellung von Ehepaaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften durch das Recht der Hinterbliebenenrenten nicht gebietet,95 so lässt der gesellschaftliche Wandel96 die Frage zunehmend relevant werden, ob es sie wenigstens zulässt. Die Ehe als Form des Zusammenlebens verliert seit dem Beginn der 1960er Jahre gesellschaftlich beständig an Bedeutung.97 Während im Jahr 1961 die Anzahl der Eheschließungen noch bei fast 700.000 lag, wurde im Jahr 2007 mit nur noch knapp 369.000 geschlossenen Ehen ein neuer Tiefststand erreicht. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Ehescheidungen von etwa 75.400 auf gut 187.000 pro Jahr angestiegen, in den Jahren 2003 und 2004 erreichte sie sogar fast 214.000. Seit dem Jahr 2001 lag die Summe der geschiedenen Ehen durchgehend bei mehr als fünfzig Prozent der im selben Jahr geschlossenen.98 Dem Rückgang der Bedeutung der Ehe entsprechend, nehmen die Häufigkeit des Zusammenlebens in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und die gesellschaftliche Akzeptanz nichtehelicher Verbindungen zu. Damit steigt auch das Bedürfnis nach einer Absicherung für Hinterbliebene nichtehelicher Lebensgemeinschaften und es entsteht ein rechtspolitischer Druck in Richtung einer Gleichbehandlung von Ehen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften durch das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung,99 der vereinzelt schon entsprechende Forderungen hat laut werden lassen100. 92

BVerfG, NJW 2005, 1413, 1415; BSG, NJW 1995, 3270, 3271. BVerfGE 105, 313, 348; Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 39; Sachs-SchmittKammler, Art. 6, Rn. 30. 94 BVerfGE 105, 313, 348; BVerfGE 117, 316, 329; Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 20; Sachs-Schmitt-Kammler, Art. 6, Rn. 43; Zuleeg, NVwZ 1986, 800, 803. 95 Ruland, NJW 1995, 3234, 3234. 96 Vgl. dazu bereits oben 2. Teil, § 3, C.I.1.b). 97 Mangoldt/Klein/Starck-Robbers, Art. 6, Rn. 6. 98 Zahlen nach Statistisches Bundesamt, www.destatis.de. 99 Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 19. 93

224 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

Zu Unrecht wird teils101 angenommen, eine Gleichstellung von Ehepaaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Die Norm verlange dem Gesetzgeber nicht nur Schutz und Förderung der Ehe ab, sie gebiete zugleich eine Schlechterstellung anderer eheähnlicher Lebensformen. Ein solcher „Bekämpfungsauftrag“102 lässt sich Art. 6 Abs. 1 GG nicht entnehmen.103 Der Gesetzgeber vermag die Schutz- und Förderungspflichten, die ihm die Norm auferlegt, auch dann zu erfüllen, wenn er andere Formen des Zusammenlebens in gleichem Maße rechtlich begünstigt wie die Ehe. Art. 6 Abs. 1 GG verlangt dem Gesetzgeber nicht ab, andere Formen des Zusammenlebens hinsichtlich des gewährten Maßes an rechtlicher Begünstigung auf Abstand zur Ehe zu halten,104 der Ehe also einen „Exklusivschutz“105 einzuräumen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stünde daher insoweit der Schaffung eines Instituts zur Absicherung der Hinterbliebenen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nichts im Wege. Gleichwohl täte der Gesetzgeber gut daran, von einer solchen Gleichstellung abzusehen:106 Denn das Recht der Witwen- und Witwerrenten ist untrennbar mit dem ehelichen Unterhaltsrecht verflochten:107 Der Gesetzgeber hat es zum einen geschaffen, um den mit dem Tod des versicherten Ehegatten entfallenden ehelichen Unterhaltsanspruch (§ 1360 BGB) zu ersetzen.108 Es ist daher nicht möglich, den Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente isoliert auf nichteheliche Lebenspartner zu übertragen, die keinerlei gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen ausgesetzt sind; der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung würde dadurch seiner Grundlagen beraubt. Zum anderen stehen die Witwen- und Witwerrenten, soweit sie an die Auflösung der Ehe anknüpfen, in Zusammenhang mit dem subsidiären Unterhaltsanspruch im 100 Vgl. etwa Ruland, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 540, 561; für eine Gleichbehandlung von Ehegatten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften hinsichtlich des Rentensplittings Rolf/Wagner, Kind, Beruf, Soziale Sicherung, S. 303. 101 Burgi, Der Staat 2000, 487 ff., insb. 501 ff.; Krings, ZRP 2000, 409, 411; Merten, FS Leisner, S. 615, 618 f.; diesbezüglich nicht eindeutig ist die abweichende Meinung der Richterin Haas zur LPartG-Entscheidung des BVerfG vom 17. 2. 2002 (BVerfGE 105, 313 ff., 359, 361 f.): Haas stellt zunächst fest, Art. 6 Abs. 1 GG enthalte „gerade kein Benachteiligungsgebot zu Lasten Dritter“, bejaht in der Sache folgend ein solches dann aber doch. 102 Sachs-Schmitt-Kammler, Art. 6, Rn. 43. 103 BVerfGE 105, 313, 348; BVerfGE 117, 316, 329; Epping, Grundrechte, Rn. 465; G. Kirchhof, AöR 129, 542, 562 f.; Ruland, NJW 1995, 3234, 3234; Zippelius, DÖV 1986, 805, 808 f.; Zuleeg, NVwZ 1986, 800, 803. 104 BVerfGE 105, 313, 348. 105 Epping, Grundrechte, Rn. 465. 106 Ebenso BSGE 53, 137, 137 f.; BSG NJW 1995, 3270, 3270; Bosch, FamRZ, 1988, 1048, 1050; Köbl, ZfSH/SGB 1991, 675, 676; Stober, SGb 1989, 53, 58; Thieme, FS Wannagat, S. 599, 605. 107 Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 20; dies., ZfSH/SGB 2002, 594, 595; Ruland, NJW 1995, 3234, 3235; ders., NJW 1994, 2049, 2056. 108 BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23.

§ 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern

225

Scheidungsfall (§§ 1569 ff. BGB), dem Zugewinnausgleich (§§ 1371 ff. BGB) sowie dem Versorgungsausgleich (§§ 1587 ff. BGB). Diesbezüglich drohte bei einer isolierten Übertragung der Witwen- oder Witwerrentenberechtigung ein Wertungswiderspruch:109 Gesteht man dem hinterbliebenen nichtehelichen Lebenspartner bei der Beendigung der Partnerschaft durch den Tod des anderen einen Versorgungsanspruch zu, so erkennt man seinen Sicherungsbedarf an. Nicht nachvollziehbar ist dann aber, einen solchen Sicherungsbedarf – insbesondere beim sozial schwächeren Partner – zu verneinen, wenn die Lebensgemeinschaft nicht todesbedingt, sondern auf Betreiben des anderen zu Lebzeiten beider Partner aufgelöst wird. Eine isolierte Herauslösung der Witwen- oder Witwerrente aus dem Gesamtsystem der ehelichen Unterhaltsregelungen wäre zudem aufgrund ihrer Folgen verfassungsrechtlich unzulässig: Es würde ein Alternativmodell zur Ehe geschaffen, das zu Lebzeiten beider Partner dem Einzelnen deutlich weniger Pflichten auferlegt,110 nach dem Tod eines der Partner dem Hinterbliebenen aber gleiche Rechte bietet. Die Ehe würde so erheblich an Attraktivität gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft verlieren; sie drohte, endgültig zum Auslaufmodell zu werden.111 Eine derartige Abwertung der Ehe wäre mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar.112 Aus der Perspektive der Ehe ist daher Voraussetzung für eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Erweiterung des Rechts der Hinterbliebenenrenten auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, dass die Berechtigung des Hinterbliebenen als Teil eines Gesamtsystems gegenseitiger Unterhaltspflichten übertragen wird. Die Geltung eines Systems gegenseitiger Unterhaltspflichten für nichteheliche Lebensgemeinschaften ist aber wiederum aus der Perspektive der nichtehelichen Lebenspartner nicht oder allenfalls begrenzt mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen: Es spricht einiges dafür, dass der Gesetzgeber die Entscheidung mündiger Bürger, ein Zusammenleben nicht dem Geltungsbereich des Eherechts oder auch nur eines ehegleichen Rechts unterwerfen zu wollen, zu respektieren hat; respektiert er diese Entscheidung nicht, verstößt er gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.113 Selbst wer sich dieser Ansicht nicht anschließen mag, kann Folgendes nicht leugnen: Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden häufig als „Ehe auf Probe“ geschlossen.114 Sie sollen den Partnern überhaupt erst die Möglichkeit geben herauszufinden, ob sie willens sind, mit dem jeweils anderen einen mit gegenseitigen Pflichten einhergehenden Bund zu schließen. Nichteheliche Lebensgemeinschaften vom Tag ihres Entstehens an mit gegenseitigen Un109

Ruland, NJW 1995, 3234, 3235. Völlig frei von gegenseitigen Verpflichtigungen ist auch eine nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht: § 36 i.V.m. § 20 SGB XII schafft zumindest mittelbar eine unterhaltsähnliche Pflicht. 111 Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 20. 112 BVerfGE 105, 313, 350 f. 113 BVerfGE 56, 363, 384; Zippelius, DÖV 1986, 805, 809; ähnlich auch Brosius-Gersdorf, NZS 2007, 410, 412. 114 Ruland, NJW 1994, 2049, 2056; Zippelius, DÖV 1986, 805, 808. 110

226 4. Teil: Ungleichheiten bei der Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter

terhaltspflichten zu belegen und die Partner sofort in eine „Quasi-Ehe“ zu drängen, hieße, diese Anbahnungsmöglichkeit abzuschaffen. Jedenfalls unter diesem Aspekt verstieße die Erstreckung gegenseitiger Unterhaltspflichten auf nichteheliche Lebensgemeinschaften gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Um wenigstens die erwähnte Anbahnungsphase pflichtenfrei zu halten, dürfte der Geltungsbereich des zu übertragenden Unterhaltssystems nur nichteheliche Lebensgemeinschaften umfassen, die bereits ein hinreichendes Maß an Eheähnlichkeit aufweisen.115 Ob dieses hinreichende Maß an Eheähnlichkeit erreicht ist und damit gegenseitige Unterhaltspflichten bestehen, bedarf aber der verwaltungsmäßigen Feststellung.116 Eine solche Feststellung lässt sich – sieht man von der Schwierigkeit ab, den Begriff der Eheähnlichkeit überhaupt zu definieren – mit hinreichender Sicherheit jedoch nur treffen, wenn den nichtehelichen Lebenspartnern Melde- oder Anzeigepflichten oder – um einen Rechtsmissbrauch zu verhindern117 – sogar Nachweispflichten auferlegt werden118. Verlockend scheint, dieses Problem durch den Rückgriff auf eine gesetzliche Konstruktion zu lösen, wie sie sich in § 7 Abs. 3 Nr. 3 c), Abs. 3a SGB II findet: Um zu klären, ob unverheiratet Zusammenlebende eine Bedarfsgemeinschaft bilden, vermutet der Gesetzgeber beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen widerlegbar das Bestehen einer solchen.119 Aber mag die Vermutung für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft in § 7 SGB II noch vertretbar erscheinen,120 so begegnete die Vermutung für das Bestehen einer Unterhaltsgemeinschaft bei nichtehelichen Lebenspartnern Bedenken. Denn zum einen sind die Folgen für die Betroffenen völlig verschiedenartig: Während die Vermutung für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft sich „nur“ – positiv oder negativ (§ 7 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 2 SGB II) – auf Ansprüche gegen die zuständige Stelle auswirkt, das Innenverhältnis der Betroffenen aber unberührt lässt, schafft die Vermutung des Bestehens einer Unterhaltsgemeinschaft die Grundlage für Unterhaltsansprüche eines nichtehelichen Lebenspartners gegen den anderen. Zuzugeben ist zwar, dass es sich dabei eher um ein theoretisches Problem handelt, weil sich die Frage nach der Eheähnlichkeit erst dann stellt, wenn einer der nichtehelichen Lebenspartner verstorben ist und wechselseitige Ansprüche daher nicht mehr geltend gemacht werden können. Zum anderen ist aber Folgendes 115

So auch Brosius-Gersdorf, NZS 2007, 410, 412. BSG, NJW 1997, 2620, 2621; BSG, NJW 1995, 3270, 3271; OVG Düsseldorf, NWVBl. 1998, 400, 400; Bosch, FamRZ, 1988, 1048, 1050; Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 20; Sachs-Schmitt-Kammler, Art. 6, Rn. 43; Steiner, FamRZ 1994, 1289, 1295; Zippelius, DÖV 1986, 805, 809. 117 BSG, NJW 1995, 3270, 3271; Köbl, HBSozVersR III, § 28, Rn. 20; Merten, FS Leisner, S. 615, 632. 118 Zu den Problemen des Ermittelns der Eheähnlichkeit einer Lebensgemeinschaft vgl. Merten, FS Leisner, S. 615, 632. 119 Kritisch dazu Brosius-Gersdorf, NZS 2007, 410, 412 ff. 120 Mit überzeugenden Argumenten für verfassungswidrig wird die Regelung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung etwa gehalten von Brosius-Gersdorf, NZS 2007, 410, 412 ff. 116

§ 3 Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu nichtehelichen Lebenspartnern

227

zu bedenken: Die Vermutung nach § 7 SGB II kann sich für die Betroffenen – wie erwähnt – sowohl positiv als auch negativ auswirken und damit – entsprechend umgekehrt – für die Allgemeinheit von Vor- oder Nachteil sein. Wird aber das Vorliegen einer Unterhaltsgemeinschaft bei nichtehelichen Lebenspartnern vermutet, und geht es um die Frage, ob ein hinterbliebener nichtehelicher Lebenspartner Anspruch auf eine „Witwen- oder Witwerrente“ hat, so fällt diese Vermutung stets zu seinen Gunsten und damit zulasten der Versichertengemeinschaft aus. Um einen solchen Automatismus zu verhindern, ist die Einführung der schon erwähnten Melde-, Anzeige- oder gar Nachweispflicht unumgänglich. Zusammengefasst wäre das Ergebnis der Bemühungen um eine Absicherung des Hinterbliebenen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft dann eine Form des Zusammenlebens, die durch gegenseitige Unterhaltspflichten geprägt ist und deren Begründung und Auflösung zwingend mit einem Verwaltungshandeln einherginge. Damit wäre nicht nur kein wesentlicher Unterschied des nichtehelichen Zusammenlebens zur Ehe selbst mehr vorhanden,121 was das geschaffene Institut wenig sinnvoll erscheinen lässt; vielmehr läge in der Schaffung eines solchen Instituts auch ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

121

Ruland, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 540, 561; ders., NJW 1994, 2049, 2056.

5. Teil

Zusammenfassung und Aussicht Die Untersuchungen zur Frage nach dem Eigentumsschutz witwen- und witwerrentenrechtlicher Positionen, die im 2. Teil vorgenommen wurden, haben ergeben, dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten eine Eigenversicherung des Versicherten ausgestaltet. Die Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente steht daher dem Versicherten zu. Sie ist dem Versicherten privatnützig nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes zugeordnet, dient – auch – der Sicherung dessen Existenz und hat Vermögenswert. Damit fällt die Anwartschaft in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. Gleiches gilt für das Vollrecht des hinterbliebenen Ehegatten auf Witwenoder Witwerrente. Im Rahmen der Betrachtung der verfassungsrechtlichen Auswirkungen der Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV, die im 3. Teil erfolgte, wurde in kompetenzrechtlicher Hinsicht festgestellt, dass sich das Recht der Witwen- und Witwerrenten in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen lässt. Zur Inanspruchnahme der Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung muss eine Regelung Versicherungscharakter aufweisen. Das bedeutet, dass sie unter anderem ein Abdecken des durch die Verwirklichung des versicherten Risikos entstehenden Bedarfes vorzusehen hat. Seit der Einführung der Einkommensanrechnung fehlt es an einer solchen Bedarfsdeckung. Soweit die Gewährung von Witwen- oder Witwerrente unter der Bedingung steht, dass der Hinterbliebene kein anrechenbares Einkommen erzielt, wird diese zur subsidiären Leistung, die lediglich zur Befriedigung von Bedürftigkeit geeignet ist. Ferner kann als Ergebnis des 3. Teils festgehalten werden, dass entgegen einer häufig geäußerten Einschätzung1 der Schutz der Witwen- und Witwerrentenberechtigten aus Art. 14 Abs. 1 GG als eigentumsrechtlicher Schutz einer sozialversicherungsrechtlichen Position nicht ohne Folgen bleibt. Die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV verstößt insoweit gegen die Eigentumsgarantie, als sie die Möglichkeit eröffnet, einen Rentenzahlbetrag unter die Summe der vom Versicherten insgesamt erbrachten Beiträge zu senken und folglich eine negative Rendite herbeizuführen. Dadurch wird der besonders geschützte Kernbereich der witwen- und witwerrentenrechtlichen Positionen tangiert und auch verletzt. Die Unterhaltsersatzfunktion, die dem Recht der Witwen- und Witwerrenten nach dem 1 Leisner, FS Obermayer, S. 65, 68; Papier, SGb 1987, 469, 469; Rüfner, Differenziertheit, S. 169, 179 (allerdings unter Ausnahme der Rentenversicherung); Stober, SGb 1989, 53, 59; Thieme, FS Wannagat, S. 599, 610.

5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

229

Willen des Gesetzgebers zukommt,2 lässt sich zur Rechtfertigung der Einkommensanrechnung nicht anführen; § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV ist in einer Weise ausgestaltet, die keinerlei Bezug zu den vor dem Tod des Versicherte herrschenden ehelichen Unterhaltsverhältnissen aufweist. Die Eigentumsgarantie wird auch insoweit verletzt, als die Anrechnung von Einkommen mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist. Dieser hat für das Eigentum in Art. 14 GG eine eigenständige Ausprägung gegenüber den allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip verwurzelten Grundsätzen des Vertrauensschutzes gefunden; eine Übertragung der allgemeinen Vertrauensschutzgrundsätze auf in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogene Rechte kommt insbesondere für sozialversicherungsrechtliche Positionen nicht in Betracht: Es läge hier regelmäßig ein Fall unechter Rückwirkung vor, sodass ein vergangenheitsbezogenes gesetzgeberisches Tätigwerden grundsätzlich zulässig wäre. Ein solcher Automatismus zugunsten der Zulässigkeit eines Eingriffes steht jedoch nicht im Einklang mit der Wertigkeit eigentumsrechtlich geschützter Positionen. Verletzt wird das schutzwürdige Vertrauen der Witwen- und Witwerrentenberechtigten, weil insbesondere ältere Versicherte, die bei Einführung der Anrechnungsregelungen nicht verheiratet waren, keine Möglichkeit hatten, der Wirkung der Einkommensanrechnung im Falle einer späteren Eheschließung zu entgehen; zugleich fehlte es ihnen aufgrund ihrer relativen Nähe zur Regelaltersgrenze an ausreichenden Dispositionsmöglichkeiten, um anderweitig zu zumutbaren Bedingungen ergänzend Vorsorge treffen zu können. Das Erbrecht wird durch § 97 SGB VI SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV dagegen nicht verletzt. Die Witwen- oder Witwerrente stellt kein geerbtes Recht des hinterbliebenen Ehegatten dar. Weder ist sie ein Recht, das zuvor der Versicherte als solches innehatte und das im Wege der Universalsukzession auf den Hinterbliebenen übergehen könnte, noch handelt es sich bei ihr um die „vererbte Versichertenrente“. Die Witwen- oder Witwerrente entsteht ausschließlich und originär beim Hinterbliebenen. Dass der Versicherte keine Möglichkeit hat, über seine Versichertenrente von Todes wegen zu verfügen, begegnet vor dem Hintergrund des mit der Versichertenrente verfolgten Sicherungszieles – der Gewährung von Lohnersatz – keinen Bedenken. Anschließend an die Untersuchung der Vereinbarkeit der Einkommensanrechnung mit Art. 14 GG konnte festgestellt werden, dass Anwartschaften und Ansprüche auf Witwen- oder Witwerrente in eigentumsrechtlicher Hinsicht nicht nur den Schutz aus Art. 14 GG genießen, sondern auch durch Art. 1 1. ZP-EMRK geschützt sind. Dieser Schutz erweist sich jedoch als weniger weitgehend als derjenige aus Art. 14 GG; eine Verletzung des Art. 1 1. ZP-EMRK durch § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV liegt nicht vor. .

2

BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23.

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5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

Die ebenfalls im 3. Teil vorgenommene Betrachtung der gleichheitsrechtlichen Probleme, die § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IVaufwirft, führte zu unterschiedlichen Ergebnissen: Zunächst wurde eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes darin gesehen, dass die Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente sich – anders als die Empfänger von Altersrente – eigenes Einkommen auf ihre Rente anrechnen lassen müssen und gegenüber den Beziehern einer Altersrente insoweit ungleich behandelt werden. Ein sachlicher Grund für diese Schlechterstellung besteht nicht. Weiter liegt eine Benachteiligung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten mit anrechenbarem eigenen Einkommen gegenüber den Beziehern einer Witwen- oder Witwerrente ohne eigenes Einkommen oder mit einem Einkommen maximal in Höhe des Freibetrages vor. Dass sich die Einkommensanrechnung (erst) oberhalb des Freibetrages nach § 97 Abs. 2 SGB VI auswirkt, hat zur Folge, dass – erstens – die Beiträge der Versicherten, deren Hinterbliebener ein den Freibetrag übersteigendes eigenes Einkommen erzielt, weniger wert sind als die Beiträge der Versicherten, für deren Hinterbliebene die Anrechnungsregelungen ohne Folgen bleiben, bzw. führt dazu, dass eine Witwen- oder Witwerrente in bestimmter Höhe für einen Hinterbliebenen mit einem den Freibetrag übersteigenden Einkommen durch höhere Beitragsleistungen „erkauft“ werden muss als eine Witwen- oder Witwerrente in identischer Höhe für einen Hinterbliebenen, der eigenes Einkommen maximal in Höhe des Freibetrages erzielt. Zweitens geht von der Anrechnung ein systemfeindlicher Anreiz aus:3 Der Hinterbliebene, der aufgrund eines hohen eigenen Einkommens hohe Beiträge an die gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat und später eine entsprechend hohe eigene Altersrente bezieht, muss sich diese auf eine Witwen- oder Witwerrente anrechnen lassen. Um die Witwen- oder Witwerrente in ungeschmälertem Umfang zu erhalten, wird der Hinterbliebene es daher nach Möglichkeit vermeiden, eigenes Einkommen zu erzielen. Damit entfallen aber auch die dem Einkommen entsprechenden Rentenversicherungsbeiträge. Schließlich führt die Einkommensanrechnung im Bereich unterer Einkommen – drittens – zu einem Effekt des sozialen Niederhaltens: Hat der Versicherte ein niedriges versicherungspflichtiges Einkommen erzielt, fällt auch eine entsprechende Witwen- oder Witwerrente niedrig aus, weshalb der Hinterbliebene gezwungen ist, zusätzlich eigenes Einkommen zu erzielen. Überschreitet dieses eigene Einkommen jedoch den Freibetrag, führt es zu einer Minderung der ohnehin schon niedrigen Witwen- oder Witwerrente. Das Recht der Witwen- und Witwerrenten verfehlt hier das ihm zugrunde liegende Ziel, dem hinterbliebenen Ehegatten die Aufrechterhaltung des vor dem Tod des Versicherten gepflegten Lebensstandards zu ermöglichen. Auch im Verhältnis der Witwen- und Witwerrentenberechtigten mit eigenem Einkommen zu den Witwen- und Witwerrentenberechtigten, die kein oder ein höchstens den Freibetrag erreichendes Einkommen erzielen, wurde aus diesen Gründen eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt.

3 Ähnlich Heine, ZSR 1986, 82, 97; ders., FamRZ 1986, 113, 120; Ruland, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 540, 550.

5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

231

Als gleichheitsrechtlich unbedenklich erwies sich dagegen der Umstand, dass trotz einer deutlichen Ausweitung der Einkommensanrechnung mit Wirkung zum 1. Januar 20024 weiterhin einige Arten von Einkommen der Anrechnung nicht unterliegen. Für sämtliche Ausnahmen können sachliche Gründe angeführt werden. Schließlich hat sich im 3. Teil gezeigt, dass die begrenzt subsidiäre Leistungsgewährung im Recht der Witwen- und Witwerrenten, zu der es durch die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV kommt, verfassungswidrig ist, wenn es bei einer Finanzierung der Witwen- und Witwerrenten durch Beiträge anstatt durch Steuern bleibt. Anders als Steuern dürfen Beiträge dem Bürger nur abverlangt werden, wenn er eine konkrete, der Beitragshöhe entsprechende Gegenleistung erhält. Die Einkommensanrechnung eröffnet jedoch die Möglichkeit, dem Versicherten zwar Beiträge abzuverlangen, bei Erzielung eines eigenen Einkommens durch den Hinterbliebenen aber keine äquivalente oder – im Nullfall – sogar überhaupt keine Leistung erbringen zu müssen. Dadurch wird Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Zugleich liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil die Beitragspflicht sich aus Sicht der Versicherten nicht von einer Steuerpflicht unterscheidet; diese „Steuerpflicht“ trifft jedoch nicht die gesamte Bevölkerung und stellt folglich ein gleichheitswidriges Sonderopfer dar. Im 4. Teil, in dem es darum ging, die Absicherung Witwen- und Witwerrentenberechtigter der Absicherung solcher Personenkreise gegenüberzustellen, die entweder ebenfalls ehemalige Ehegatten oder ebenfalls Hinterbliebene sind, wurde Folgendes festgestellt: Im Verhältnis zu geschiedenen Ehegatten, die im Wege des Versorgungsausgleichs eigene Anwartschaften erworben haben, kommt es unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Schlechterstellung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten. Eine Benachteiligung setzt dabei insbesondere voraus, dass zum einen der Hinterbliebene ein den Freibetrag erheblich übersteigendes Einkommen erzielt und er zum anderen Anwartschaften in deutlich geringerer Höhe als der Versicherte erworben hat. Diese beiden Voraussetzungen sind kumulativ jedoch nur bei Ehepaaren erfüllt, bei denen entweder das vom potentiell Hinterbliebenen erzielte Einkommen bereits ein hohes Niveau erreicht, vom Einkommen des Versicherten aber nochmals übertroffen wird, oder bei denen das Einkommen des Versicherten nur sehr gering ausfällt und der potentiell Hinterbliebene gar kein oder ein nur unerhebliches Einkommen erzielt, sodass er nach dem Tod des Versicherten dazu gezwungen ist, eigenes Einkommen oberhalb des Anrechnungsfreibetrages zu erwirtschaften. Soweit es dabei zu einer Benachteiligung Besserverdienender kommt, ist diese allerdings durch die unterschiedlichen Ziele, die der Gesetzgeber mit dem Versorgungsausgleich einerseits und dem Recht der Witwen- und Witwerrenten andererseits verfolgt, gerechtfertigt. Im Bereich niedriger Einkommen lässt sich die Schlechterstellung der Hinterbliebenen gegenüber den Geschiedenen indes nicht rechtfertigen, weil die Einkommensanrechnung hier zu dem beschriebenen Effekt eines sozialen Niederhaltens 4 Ausgeweitet wurde die Einkommensanrechnung durch das AVmEG (BGBl. 2001/I, S. 403 ff.).

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5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

führt und das verfolgte Ziel, dem Hinterbliebenen die Aufrechterhaltung des vor dem Tod des Versicherten gepflegten Lebensstandards zu ermöglichen, gerade verfehlt. Art. 3 Abs. 1 GG ist insoweit verletzt. Ungleich behandelt werden die Witwen- und Witwerrentenberechtigten gegenüber geschiedenen Ehegatten auch dadurch, dass eine Witwen- oder Witwerrente im Falle einer Wiederheirat wegfällt, während im Wege des Versorgungsausgleichs erworbene Anwartschaften bei erneuter Eheschließung erhalten bleiben. Die witwenund witwerrentenrechtliche Heiratswegfallklausel verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, weil sie das Entfallen des Anspruches auf Witwen- oder Witwerrente ausschließlich von dem erneuten Eingehen einer Ehe abhängig macht; sie nimmt keine Rücksicht darauf, ob der neue Ehepartner seine ehelichen Unterhaltspflichten zu erfüllen vermag und es daher eines Ersatzes des vom vorigen Ehegatten bezogenen Unterhalts, auf den die Witwen- und Witwerrente nach dem Willen des Gesetzgebers gerichtet ist,5 nicht mehr bedarf. Sowohl die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI i.V.m. §§ 18a – e SGB IV als auch der Wegfall der Witwen- oder Witwerrente bei Wiederheirat führen darüber hinaus zu einer Schlechterstellung der Witwen- und Witwerrentenberechtigten im Verhältnis zu Hinterbliebenen, die im Rahmen des Rentensplittings Anwartschaften von ihrem Ehegatten erworben haben. Weil es aber von der freien Entscheidung der Betroffenen abhängt, ob sie sich für die Durchführung des Rentensplittings oder den Bezug einer Witwen- oder Witwerrente entscheiden, sind diese Ungleichbehandlungen gerechtfertigt („volenti non fit iniuria“). Ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist darin zu sehen, dass der Gesetzgeber die Ehegatten Versicherter gegen das Risiko absichert, aufgrund des Todes des Versicherten in sozialer Hinsicht abzurutschen, während er den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine entsprechende Absicherung nicht gewährt. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Verpflichtung des Gesetzgebers, die Ehe positiv zu fördern, beinhaltet zugleich die Befugnis (nicht aber das Gebot), andere Formen des Zusammenlebens gegenüber der Ehe schlechter zu stellen. Dass die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in gleicher Weise wie Ehegatten durch die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert sind, begegnet aber nicht nur keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; die Einführung einer witwen- und witwerrentengleichen Absicherung für die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist sogar durch das Grundgesetz ausgeschlossen. Im Verhältnis zur Ehe gewönne die nichteheliche Lebensgemeinschaft nämlich erheblich an Attraktivität, wenn sie eine Hinterbliebenensicherung vorsähe, die Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft aber – anders als Ehegatten – keine sonstigen gegenseitigen Pflichten zu tragen hätten. Ein solches Aufschließen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zur Ehe wäre mit Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund des Bedeutungsverlustes, den ein Mehr an Attraktivität der nichtehelichen Lebensgemeinschaft für die Ehe 5

BT-Drs. 10/2677, S. 23; BR-Drs. 500/84, S. 23.

5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

233

mit sich brächte, nicht vereinbar. Vermeiden ließe sich dieser Verlust an Bedeutung, indem auch für nichteheliche Lebensgemeinschaften unterhaltsrechtliche Pflichten geschaffen würden. Das liefe indes im Ergebnis darauf hinaus, dass die Eingehung einer Partnerschaft ohne gegenseitige Rechte und Pflichten ausgeschlossen wäre, was mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nicht vereinbar ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Recht der Witwen- und Witwerrenten in der Tat keine „Spielwiese“6 für den Gesetzgeber ist. Bei den Witwen- und Witwerrenten handelt es sich um beitragsfinanzierte (Sozial-)Versicherungsleistungen, die dem gleichen Schutz unterliegen wie jede andere Rente nach dem SGB VI auch. Der Versuch, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 19987, in dem die Einkommensanrechnung gebilligt und insbesondere der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG vor den Anwartschaften auf Witwen- oder Witwerrente verschlossen wurde, damit zu erklären, dass das Gericht „unter Berücksichtigung der zukünftigen demographisch bedingten finanziellen Belastungen der Rentenversicherung“ die Versichertenrenten verfassungsrechtlich habe aufwerten wollen,8 kann daher nicht überzeugen; das Recht der Witwen- und Witwerrenten stellt gerade nicht das Überdruckventil der gesetzlichen Rentenversicherung dar. Künftige Reformen des Rechts der Witwen- oder Witwerrenten werden sich daher nicht auf kleinere Änderungen beschränken können. Will der Gesetzgeber die Einkommensanrechnung beibehalten, muss er den Finanzierungsmodus der Witwenund Witwerrenten an die Art und Weise der Leistungsgewährung anpassen, indem er den Steuerzahler für die Hinterbliebenensicherung heranzieht. Dann würden die Witwen- und Witwerrenten vollends das, was sie heute hinsichtlich ihrer Gewährung schon sind: sozialhilfeähnliche Leistungen, durch die einer Bedürftigkeit begegnet wird. Soll dagegen die Hinterbliebenensicherung nach knapp einhundert Jahren,9 in denen sie zum wesentlichen Bestandteil der gesetzlichen Rentenversicherung geworden ist,10 nicht aus dieser ausgegliedert werden und soll weiterhin eine Finanzierung über den Rentenbeitrag erfolgen, muss der Gesetzgeber auf die Einkommensanrechnung – zumindest in deren derzeitiger Ausgestaltung – verzichten. Um für die Zukunft finanziellen Begehrlichkeiten zuvorzukommen, deren Ergebnis auch die Einführung der Einkommensanrechnung war, sollte im Rahmen einer Reform jedenfalls überlegt werden, ob es nicht übereilt war, § 118 RVO, der verkürzt lautete

6

Hauck/Bokeloh, DRV 1984, 650, 655. BVerfGE 97, 271 ff. 8 Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, S. 97; ähnlich Steiner, 9. Speyerer Sozialrechtsgespräch, S. 525, 534. 9 Die Hinterbliebenensicherung wurde eingeführt mit dem Erlass der RVO am 19. Juli 1911, RGBl. S. 509. 10 Jaeger, NZS 1996, 54, 56. 7

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5. Teil: Zusammenfassung und Aussicht

„Leistungen, die nach diesem Gesetz […] gewährt werden, […] sind keine öffentlichen Armenunterstützungen.“, „wegen Entbehrlichkeit“11 abzuschaffen12.

11

BT-Drs. 7/4122, S. 40. § 118 RVO wurde aufgehoben durch Art. II § 1 Nr. 1 lit. a. SGB VI vom 23. 12. 1976, BGBl. I, S. 3864. 12

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Sachwortverzeichnis Abfindung bei Wiederheirat 212 f. abgestufter Eigentumsschutz 123, 125, 137 Absicherungsschwerpunkt 214 aktueller Rentenwert 95, 119, 127 f., 146 Altersgrenzen 21, 112, 202 f., 207, 213, 216, 221 Altersrente 23, 78, 81, 85, 131, 166, 196, 198, 204, 216 Angemessenheit 136 Anrechnungsfreibetrag 109, 113, 136, 143, 170, 196, 202, 214, 216, 220 Anrechnungszeiten 128 Anwartschaft auf Witwen- oder Witwerrente 25, 36, 46, 49, 51, 67 f., 75, 119, 150 Äquivalenz 63, 90, 101, 107 – Äquivalenz von Beitrag und Leistung 102 – Beitragsäquivalenz 102 – 104 – Globaläquivalenz 101, 103, 118, 140 – Individualäquivalenz 102 Arbeitgeberbeitrag 93, 98 Auferlegung von Geldleistungspflichten 188 AVmEG 22, 42, 46, 114, 119, 173, 212, 231 AVmG 176 Bedürftigkeit 93, 106 f., 110, 171, 183, 192 Beitragsäquivalenz 102 – 104 Beitragsbemessungsgrenze 95, 175, 183, 206 Beitragserhebung 79, 154, 178, 193 Bestandsgarantie 189 Bestandswertgarantie 189 Bundeszuschuss 41, 51, 80, 134 demographische Bedingungen echte Rückwirkung 147 Ehefreiheit 204, 223 f.

22, 38, 49

Eigenfinanzierungsquote 128 Eigenleistung 27, 30, 32, 41, 47, 51, 76, 93 Eigentum – abgestufter Eigentumsschutz 123, 125, 137 – Auferlegung von Geldleistungspflichten 188 – Bestandsgarantie 189 – Bestandswertgarantie 189 – Eigenleistung 27, 30, 32, 41, 47, 51, 76, 93 – Enteignung 28, 120, 159, 189 – Entzug von Eigentum 159 – Existenzsicherung 26, 31, 33, 91 – hinreichender personaler Bezug des Renteneigentums 78 – Inhalts- und Schrankenbestimmung 34, 120, 129, 160 – Kernbereich 123, 125, 137 – Privatnützigkeit 32, 34, 40, 50, 84 – Schutzbereich 26, 39, 46, 75 – sonstiger Eingriff 159 – vermögenswertes Recht 88 Eigentumsfähigkeit subjektiver öffentlicher Rechte 25 Eigenversicherung 49, 67 – Eigenversicherung für fremde Rechnung 73 Einkommensanrechnung 95 EMRK 153 Enteignung 28, 120, 159, 189 – de-facto-Enteignung 160 – Teilenteignung 121 Entgeltpunkte 68, 82, 114, 127, 152, 213, 216 Entzug von Eigentum 159 Erbrecht 150 Erforderlichkeit 131 Existenzsicherung 26, 31, 33, 91

258

Sachwortverzeichnis

Folgerichtigkeit 163 Freibetrag 109, 113, 136, 143, 170, 196, 202, 214, 216, 220 Fremdversicherung 49, 67 Geeignetheit 131 Gesetzgebungskompetenz 181, 191 Gleichheitssatz 162, 193, 195 f. Globaläquivalenz 101, 103, 118, 140 Heiratswegfallklausel 196, 208, 214, 219 HEZG 22, 39, 77, 93, 144, 149, 172 hinreichender personaler Bezug des Renteneigentums 78 Individualäquivalenz 102 Inhalts- und Schrankenbestimmung 120, 129, 160

34,

Kapitaldeckung 82, 156 Kernbereich 123, 125, 137 Kindererziehungszeiten 204, 216 Konsequenzgebot 163 legitimer Zweck 129 Lohnersatzfunktion 167 negative Vereinigungsfreiheit neue Formel 166 Nullfall 95, 105, 114, 120

180

persönliche Entgeltpunkte 68, 82, 114, 127, 152, 213, 216 Privatnützigkeit 32, 34, 40, 50, 84 Privatversicherung 103, 184 Prognosezwang 218 Rangstelle 90, 104, 157 f. Regelung von Nutzungsmöglichkeiten Rentenartfaktor 109, 127, 172, 205 Rentenkonkubinat 212 Rückwirkung – echte 147 – unechte 43, 147

159

Scheidung 56, 65 Schweretheorie 120 Solidaritätsprinzip 41, 63, 76, 98, 106, 115, 125 Sonderopfertheorie 120 sonstiger Eingriff 159 soziale Schutzbedürftigkeit 182 sozialer Ausgleich 41, 63, 76, 98, 106, 115, 125 Sozialhilfe 107, 155, 171, 184 Sozialversicherung 58 Systemgerechtigkeit 163 Teilenteignung 121 Teilhabeäquivalenz 90, 104, 157 f. Umlagefinanzierung 72, 82, 127 unechte Rückwirkung 43, 147 Unterhaltsanspruch Geschiedener 199 Unterhaltsersatzfunktion 140, 167 Verhältnismäßigkeit 129 – Angemessenheit 136 – Erforderlichkeit 131 – Geeignetheit 131 – legitimer Zweck 129 vermögenswertes Recht 88 Versicherungsbiographie 70 Versorgungsausgleich 54, 195, 198 Versorgungsehe 70, 77, 221 Vertrag zugunsten Dritter 55 Vertrauensschutz 41, 146, 220 Waisenrente 209 Wartezeit 40, 216 Wiederheirat 196, 208, 214, 219 Willkürformel 165 Zugangsfaktor 127 Zugewinnausgleich 198, 225 Zurechnung von Beitragsleistungen Zurechnungszeiten 128

69