Vereinsgesetz vom 19. April 1908: Nebst den Ausführungsbestimmungen der sämtlichen deutschen Bundesstaaten und Anhang (bisheriges preußisches, bayerisches, ausländisches Vereinsrecht usw.) [Reprint 2020 ed.] 9783112351208, 9783112351192

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Vereinsgesetz vom 19. April 1908: Nebst den Ausführungsbestimmungen der sämtlichen deutschen Bundesstaaten und Anhang (bisheriges preußisches, bayerisches, ausländisches Vereinsrecht usw.) [Reprint 2020 ed.]
 9783112351208, 9783112351192

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Vereinsgeseh vom 19. April 1908 nebst

den Ausführungsbestimmungen

deutschen

Bundesstaaten

und

der sämtlichen

Anhang

(bisheriges

preußisches, bayerisches, ausländisches Vereinsrecht usw.)

Erläutert von

Dr. fönst Müller Mitglied des Reichstags für Meiningen, LandgertchtSrat

und

Dr. Georg Schmid RegterungS-Affeffor in Stuttgart.

München 1908. 3. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).

Druck: Dr. F. P. Datterer & Cie., Fretsina

Vorwort Persönliche Verhältnisse haben leider das Erscheinen des Buches um einige Wochen aufgehalten. Das spätere Erscheinen ermöglichte anderseits die Aufnahme der gerade für dieses Gesetz außerordentlich wichtigen VollzugsVorschriften sämtlicher Bundesstaaten, deren Sammlung geraume Zeit in Anspruch nahm. Möge das Buch dazu beitragen, dem wichtigen Reichs-Gesetze die großzügige, von vormärzlichen Polizeianschauungen freie An­ wendung zu verschaffen, welche die gesetzgebenden Faktoren bei der Beratung der Vorlage im Auge hatten! Mit größerem Rechte als von jedem anderen Reichsgesetze wird man von diesem behaupten können, daß die Praxis alles bedeute- Hoffentlich wird nicht auch hier eine kurzsichtige, verständnislose Bureaukratie Veranlassung geben, von einer „Mainlinie" zu sprechen.

München, ~ , inno Stuttgart, S-ptember 1908.

Dr. Müller.

Dr. Schmid.

Inhaltsverzeichnis. Sette

Borwort..................................................................................... in Abkürzungen.............................................................................IX Borbemerkun g XI Einleitung. I. Die geschichtliche Entwicklung des Reichsvereinsgesetzes . 1 H. Das öffentliche Vereins- und Versammlungsrecht nach bisherigem deutschen Reichsrechte.......................................... 14

Bereirrsgesetz vom 19. April 1908. § § § § § §

§ § § § § § § § § § § §

§

Allgemeine Bestimmungen (Vereins- und Versamm­ lungsrecht) .................................................................. 18 2. Auflösung der Vereine.......................................................... 40 3. Satzung und Vorstand eines Vereins .... 50 4. Ausnahmebestimmung (Wahlvereine rc.) ... 67 5. Anzeigepflicht für politische Versammlungen . . 68 6. Ausnahmen von § 5 (öffentliche Bekanntmachung, Wahl­ versammlungen und nicht politische Berufsvereins-Bersammlungen)............................................................................. 79 7. Versammlungen unter freiem Himmel. Aufzüge . 100 8. Versammlungen in geschlossenem Raum . . 110 9. Genehmigungspflicht (Ausnahmen hiervon, Ersatz durch Anzeige und öffentliche Bekanntmachung) . . 114 10. Leiter und Veranstalter einer Versammlung . 119 11. Waffentragen in Versammlungen...................................... 124 12. Versammlungssprache........................................................ 127 13. Ueberwachung der Versammlungen .... 143 14. Auflösung einer Versammlung durch die Polizei . 150 15. Anfechtung der Auflösung einer Versammlung 161 16. Verpflichtung zur Entfernung nach der Auflösung 163 17. Vereins- und Versammlungsalter...................................... 164 18. Strafbestimmungen für Vereine und Versammlungen: Nebertretungen.................................................................. 168 19. Strafbestimmungen für Versammlungen, Vergehen 181

1.

Inhaltsverzeichnis.

VI

Seite

Durch Gesetz rc. angeordnete Versammlungen . 184 Polizeibehörden rc. der Einzelstaaten .... 188 Aenderung des § 72 BGB................................................... 193 Aufgehobene und aufrechterhaltene reichsgesetzliche Vor­ schriften .................................................................................... 193 § 24. Unberührt bleibende Landesgesetze .... 203 § 25. Zeit des Inkrafttretens des RVG...................................... 225 § § § §

20. 21. 22. 23.

Anhang. I. Die BsllzugSvorschriste« -er BuudeSftaate«. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

Königreich Preußen................................................................ 228 Königreich Bayern................................................................ 230 Königreich Sachsen................................................................ 242 Königreich Württemberg....................................................... 254 Großherzogtum Baden........................................................ 260 Großherzogtum Hessen........................................................ 262 Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin .... 265 Großherzogtum Sachsen-Weimar...................................... 268 Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz .... 269 Großherzogtum Oldenburg............................................... 270 Herzogtum Braunschweig................................... 272 Herzogtum Sachsen-Meiningen.................... 273 Herzogtum Sachsen-Altenburg.......................... 275 Herzogtümer Coburg und Gotha..................................... 276 Herzogtum Anhalt............................................ 277 Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt .... 278 Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen .... 280 Fürstentum Waldeck............................................. 281 Fürstentum Reuß Aelterer Linie.................. 283 Fürstentum Reuß Jüngerer Linie................... 285 Fürstentum Schaumburg-Lippe ...... 286 Fürstentum Lippe............................................. 287 Freie und Hansestadt Lübeck................................................. 289 Freie und Hansestadt Bremen................................................. 290 Freie und Hansestadt Hamburg........................................ 291 Reichslande Elsaß-Lothringen.............................................. 292

II. a) b)

Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über Bereiue.

Bürgerliches Gesetzbuch §§ 21—79 ................................. 294 Einführungsgesetz zum BGB....................................................303

Inhaltsverzeichnis.

VII Seite

Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Ge­ richtsbarkeit vom 17. Mai 1898 ...................................... 304 d) Bekanntmachung des bayer. Staatsministeriums der Justiz vom 20. März 1899 ........................................................ 304 c)

III. a) b) c) d)

e)

f) g)

A. Die sonstige« reich-gesetzliche« Bestimmungen über das BereiaSund Versammlung-recht. Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 .... 307 Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 ......................................................................................... 309 Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874 .... 309 Gesetz, betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1899 .................................................................. 310 Gesetz, betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 ............................................................. 311 Gesetz, betr. das Vereinswesen, vom 11. Dezember 1899 . 311 Reichsgesetz, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 . . ............................................... 312

III. B. Lande-gesetzliche Vorschriften «der öffentliche Lnstbarkeitev, Polizeistunde und öffentliche Sammlungen in Bayern. A. Lustbarkeiten. Polizeistrafgesetzbuch für Bayern vom 26. Dezember 1871 314 Kgl. Verordnung vom 4. Januar 1873, die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden in Sachen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich und des Polizeistrafgesetzbuchs betr. 315 3. Auszug aus der Kgl. Verordnung vom 18. Juni 1862, die Abhaltung öffentlicher Tanzmusik betr....................................... 315

1. 2.

4. 5.

B. Polizei st und e. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 317 Kgl. Bayer. Allerh. VO. vom 5. Februar 1908, betr. die Polizeistunde.......................................................................... 318

6. 7.

C. Sammlungen von Geld. Polizeistrafgesetzbuch für Bayern vom 26. Dezember 1871 319 Kgl. Verordnung vom 20. September 1862, die polizeiliche Bewilligung zu Sammlungen betr.......................................... 320

IV. Da- bisherige Recht in Preutze« und Bayern. I. II.

Preußisches Vereinsgesetz vom 11. März 1850 . . . 321 Bayern. Gesetz vom 26. Februar 1850, die Versammlungen und Vereine betr. .......................................................327

vin

Inhaltsverzeichnis. — Berichtigungen.

V. Das öffeatliche Vereins- aiü Bersam«l»«gSrecht in den antzerdentschen Staaten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Belgien Dänemark . Frankreich . Großbritannien Italien Niederlande Oesterreich . Schweden . Schweiz Spanien Ungarn

.

Alphabetische- Sachregister .

. . . . . . . . . . .

Seite 334 335 335 338 346 348 349 356 357 358 366

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368

Berichtigungen: Auf Seite 71 in Zeile 15 von oben muß es statt: „denke" heißen „dachte"; auf der nächsten Zeile sind hinter dem Worte „ZentrumsPartei" einzuschallen die Worte „oder eine andere Partei". Auf S. 79 rechts von „§ 6": „Oeffentliche Bekannt­ machung, Ausnahme der An zei g ep f i cht". Auf S. 93 Zeile 5 von unten ist vor ^Wahlberechtigte": „2.", auf S. 94 vor Abs. 2: „2 a." einzuschallen.

vin

Inhaltsverzeichnis. — Berichtigungen.

V. Das öffeatliche Vereins- aiü Bersam«l»«gSrecht in den antzerdentschen Staaten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Belgien Dänemark . Frankreich . Großbritannien Italien Niederlande Oesterreich . Schweden . Schweiz Spanien Ungarn

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Alphabetische- Sachregister .

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Seite 334 335 335 338 346 348 349 356 357 358 366

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Berichtigungen: Auf Seite 71 in Zeile 15 von oben muß es statt: „denke" heißen „dachte"; auf der nächsten Zeile sind hinter dem Worte „ZentrumsPartei" einzuschallen die Worte „oder eine andere Partei". Auf S. 79 rechts von „§ 6": „Oeffentliche Bekannt­ machung, Ausnahme der An zei g ep f i cht". Auf S. 93 Zeile 5 von unten ist vor ^Wahlberechtigte": „2.", auf S. 94 vor Abs. 2: „2 a." einzuschallen.

Abkürzungen. Adolph — Adolph, P., Vereins­ gesetz vom 19. IV. 08 sReichsausgabe) Leipzig 1908. AG. — Ausführungsgesep. AG. z. SIPO. — Ausführungsgesetz zur Strafprozetzordnung. AVdg. — Allerhöchste Verordnung. Anm. — Anmerkung. AusfBest. — Ausführungsbestim­ mungen. AG. z/BGB. = Ausführungsgejetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. BayOGHSt. — Sammlung von Entsch. des Bayer. Obersten Ge­ richtshofs in Strafsachen. BayObLGSt. — Sammlung von Entsch. des Bayer. Oberst. Landes­ gerichts in Strafsachen. Bericht — Bericht der XIV. Kom­ mission zur Vorberatung des Ent­ wurfes eines Vereinsgesetzes — Nr. 482 der Drucksachen — Nr. 819 der Drucksachen des Reichstages 12. Legislaturperiode, I. Session 1907/1908. BlfRA. = Blätter für Rechtsan­ wendung. BGB. — Bürgerliches Gesetzbuch. Caspar — Dr. Paul Caspar, Das Preußische Versammlungs- und Bereinsrecht, systematisch dargestellt. Berlin 1904. Delius — Dr. jur. Delius, Deutsches Vereins- und Bersammlungsrecht unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechts. 4. Auflage. Berlin 1908. DIZ. = Deutsche Juristenzeitung von Dr. Laband, Hamm, Heinitz. EinsG. } Emführungsgesetz.

F

1

Entsch. / = Entscheidung.

Erk. = Erkenntnis. FGG. — Gesetz über die Angelegen­ heiten der fteiwilligen Gerichts­ barkeit vom 17. Mai 1898. Friedenthal — Das öffentliche Ver­ eins- und Bersammlungsrecht in Deutschland. Textausgabe von Dr. E. Ball. 2. Aufl. von Dr F. Friedenthal. Berlin 1907. ------- Dasselbe. 3. Aufl. Berlin 1908. GBl. — Gesetzesblatt. GemO. — Gemeindeordnung. GewArch. — Gewerbarchiv Hrsg, von v. Rohrscheidt. GewO. — Reichsgewerbeordnung. GoltdArch. — Goltdammer, Archiv für Preuß. Strafrecht; ohne ZusatzEntsch. des Obertribunals daselbst. Groschuff = Groschuff, Eichhorn u. Delius: Die preußischen Straf­ gesetze. 2. Aufl., Berlin 1904. GS. — Gesetzessammlung. GVG. — Gerichtsverfassungsgesetz. Hieber-Bazille — Hieber, J.,und W. Bazille, Das Bereinsgesetz vom 19. April 1908. Stuttgart 1908. JMBek. = Bekanntmachung des Staatsministeriums der Justiz. JMBl. - Justizministerialblatt. Johow — Jahrbuch für Entschei­ dungen des Kammergerichts von Johow und Ring Bd. 1—32. IW. — Juristische Wochenschrift. £i®. ! = Kamni-rg-richt.

KB. \ — Bericht der XIV. KommB. / Kommission des Reichs­ tags if. oben Bericht).

X

Abkürzungen.

LVG. = Preuß. Landesverwaltungsgesetz von 1883. MABl. = Ministerialamlsblatt. ME. — Ministerialentschließung. MBl. d. i. V. — Ministerialblatt für die innere Verwaltung Preußens. MinBerf. = Ministerialverfügung. MinVO. — Ministerialverordnung. Mot. = Motive zum Entwurf eines Reichs-Bereinsgesetzes. ObTr. — Entscheidungen des Preuß. Obertrib unals. OLG. — Oberlandesgerichts. OLGMünchenSt. — Sammlg. von Entsch. des Kgl. Oberlandesgerichts München in Gegenständen des Strafrechts u. Strafprozesses. Olshausen Olshausen, I, Kom­ mentar zum RStGB. 7. Aust. Berlin 1905/06. OR. — Oppenhoff, Die Recht­ sprechung des Obertribunals in Strafsachen. OBG. — Entscheidungen des Kgl. Preuß. Oberverwaltungsgerichts. PStGB. — Polizeistrafgesetzbuch. PrBBl. = Preuß. Verwaltungsblatt, Berlin. Recht — Recht, Rundschau für den Deutschen Juristenstand von Sörgel. Reger — Reger, Entscheidungen der Gerichte u. Verwaltungsbehörden. RegBl. — Regierungsblatt. RG. = Reichsgericht und mit Band­ zahl: Entscheidungen des Reichs­ gerichts in Zivilsachen.

RGBl. — Reichsgesetzblatt. RGSt.—Entscheidungen des Reichs­ gerichts in Strafsachen. RGZ. — Entscheidungen des Reichs­ gerichts in Zivilsachen. RMilG. — Reichsmilitärgesetz. Rspr. = Rechtsprechung. RT -Drucksache — Reichstagsdruck­ sache. } = Reichsstrafgesetzbuch. RStPO. 1 — ReichsstrafprozeßStPO. / ordnung. RTB. — Reichstagsverhandlungen. RVG. — Reichs-Vereinsgesetz 1908. v. Sartor — v. Sartor, Vereins­ gesetz für das Deutsche Reich vom 19. April 1908. Textausgabe. München 1908. Seydel, Staatsrecht — Seydel, M. von, Bayer. Staatsrecht. Große Ausgabe. 2. Aufl. Freiburg 1895/96. StenB. — Stenographischer Bericht des Reichstags, 12. Legislatur­ periode, I. Session 1907/1908. BG. — Vereinsgesetz (altes Preuß, und bayr.). VO — Ausführungsverordnung. VollzVerf. — Vollzugsversügung. BollzBO. — Vollzugsverordnung. Vf. — Verfügung. VGH. — Verwaltungsgerichtshof. ZPO. ~ Zivilprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898.

Vorbemerkung. Allgemeine öemerkuug über die Vereins- und Versammlungsfreiheit. Siehe die Literatur im Handwörterbuch der Staatswissen­ schaften von Dr. Conrad, Lexis, Elster und Loening, 2. Auf­ lage, 7. Band, S. 400 und 401. Dortselbst auch über die Geschichte der Vereins- und Versammlungsfreiheit S. 383 im römischen Reiche, im fränkischen Reiche im Mittelalter; ferner eine kurge Darstellung der Verhältnisse in England, Nordamerika und Frankreich, endlich auf S. 389 ff. in Deutschland. S. 389—398 kurze Darstellung über die übrigen Staaten. (Siehe auch im Anhänge das ausländische Recht.) Loening, der Verfasser jenes Aufsatzes saßt seine Bemer­ kungen in folgende Schlußworte zusamnien: „So spiegelt sich in der Geschichte der Vereins- und Ver­ sammlungsfreiheit das große Problem des Staatslebens, das Verhältnis der Staatsgewalt zu der persönlichen Freiheit wider. In dem römischen Weltreich hatte die Staatsgewalt die politische Freiheit und mit ihr die Vereinsfreiheit vernichtet. Im Mittel­ alter war der Staat überwuchert von den selbstherrlickien Korpo­ rationen des grundbesitzenden Adels und des gewerbetreibenden Bürgertunls. Die aufstrebende monarchische Gewalt hat im 16. und 17. Jahrhundert Adel und Städte sich unterworfen und die Korporationen ihrer Selbständigkeit beraubt, die Bildung einer jeden Vereinigung der Unterthanen von ihrem Belieben abhängig gemacht. Von England aus hat die politische Freiheit wieder die Welt erobert. Aber die persönliche Freiheit ist der Staatsgewalt, die Einzelnen sind der Gesanitheit untergeordnet. Der moderne, seiner Aufgabe bewußte Staat wahrt auch den Vereinen gegenüber das Gebiet der öffentlichen Gewalt. Die Vereins- und Versammlungsfreiheit ist nicht mehr ein Vorrecht der besitzenden Klassen, sie ist ein Gemeingut des gesamten Volkes geworden. Sie ist das Mittel, durch welches auch die arbeitenden Klassen einen Anteil an der politischen Macht und bürgerlichen Selbständigkeit zu erringen vermögen.

XII

Vorbemerkung.

Sie ist ein Schutz gegen die Allgewalt des Staates, indem sie den Einzelnen in freier Vereinigung die Mitwirkung an den großen Aufgaben des Kulturlebens sichert. Sie hat ihre Ergänzung zu finden — und hat sie in einzelnen Staaten schon gefunden — in den Bestimmungen über Erwerb der Korporationsrechte. Jedem erlaubten Vereine muß die rechtliche Möglichkeit gegeben werden, sich eine vermögensrechtliche Selbständigkeit zu begründen, indem allen Vereinen, die sich den Gesetzen gemäß organisieren, juristische Persönlichkeit zuerkannt wird. An Stelle des Ermessens der Regierung muß auch hier das Gesetz treten." In den vorstehenden Worten Loenings ist die eminente Be­ deutung des Vereins- und Bersammlungsrechts für die ganze kulturelle, soziale und politische Entwicklung der Völker treffend hervorgehoben. Es wäre nur zu wünschen, daß auch das hier zuletzt gesteckte Ziel der Zuerkennung der juristischen Persönlichkeit, vor allen an die Berufsvereine durch eine tendenzlose, von polizeilicher Aengstlichkeit freie Reichsgesetzgebunq baldigst erreicht würde!

Einleitung.

I. Vie geschichtliche Entwicklung des Ueichsvereivszesehes. (Siehe Drucksachen des Reichstags Nr. 482 [1907] S. 13 ff.)

Die seit dem Jahre 1848 erlassenen Berfassungsurkunden ent­ halten, in verschiedener Formulierung und mit verschiedenen Ab­ änderungen, meist den seinerzeit im Artikel VII der Grundrechte des deutschen Volkes ausgesprochenen Grundsatz der Vereins- und Versammlungsfreiheit. Die älteren Vereinsgesetze erkannten diesen Grundsatz in ihrer Mehyahl ausdrücklich an, verfolgten daneben aber den Zweck, einen Mißbrauch des Vereins- und Versammlungs­ rechts zu verhüten. In gleicher Richtung suchte die vormalige deutsche Bundesversammlung durch Beschluß vom 13. Juli 1854 die Einführung übereinstimmender Grundsätze für das Vereins­ und Bersammlungsrecht zu bewirken (s. Motive S. 13 ff.). Diese Absicht wurde indessen nur unvollständig erreicht. In vielen Bundesstaaten blieb der Bundesbeschluß unausgeführt, andere sind von den bereits eingeführten Grundsätzen wieder zurückgetreten, und selbst in denjenigen Staaten, deren Gesetzgebungen jene Grund­ sätze zur Richtschnur genommen haben, stimmten die Einzelheiten nicht überein. Bei einer so verschiedenartigen Gestaltung des Rechtszustandes war das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung des Vereins- und Versammlungswesens nicht zu verkennen. Die Versuche, das Vereins- und Versammlungswesen nach seiner öffentlichrechtlichen Seite hin einheitlich für den Umfang des Reichs zu gestalten, hatten daher bald nach Gründung des Reichs eingesetzt. Aus Anlaß einer die mecklenburgischen Verhältnisse betreffenden Petition (Drucksachen des deutschen Reichstags 1. Legislaturperiode, 111. Session 1872, Nr. 40) beschloß der Reichstag (StenB. 1872 S. 289) auf Antrag der Kommission für Petitionen: „Die Petition Nr. 35 dem Bundesrate zur Berücksichtigung mit dem Ersuchen zu überweisen, timlichst beschleunigt dem Reichs tag in Ausführung der Bestimmung des Artikel 4 sub 16 der Reichsverfassuna einen das Vereinswesen regelnden Gesetzentwurf zur Beschlußfassung vorzulegen." Diese Resolution hat der Bundesrat unter dem 9. Juni 1872 (334 der Protokolle) dem Reichskanzler als Material für eine etwaige das Vereinswesen regelnde Gesetzgebung überwiesen. M üller-Schmid, Vereinsgesetz.

1

2

Einleitung.

Unter dem 4. April 1873 legten sodann die Abgeordneten Wiggers und Genossen denl Reichstage den Entwurf eines „Gesetzes über Vereine und Versammlungen" lDrucksachen des Reichstags 1. Legislaturperiode, IV. Session 1873, Nr. 36) mit dem Anträge der Erteilung der verfassungsmäßigen Zustimmung vor. In den Beratungen der 9. Kommission wurde von einer Seite gesoroert, daß das freie Vereins-Bersanimlungsrecht überhaupt nicht durch polizeiliche Aufsicht und Genehmigung beschränkt werden dürfe. Ein besonderes Bereinsgesetz sei deshalb überhaupt nicht not­ wendig, sondern nur eine Aufhebung der in einzelnen Ländern be­ stehenden beschränkenden Gesetze und Stellung des Vereins- und Bersammlungsrechts unter das gemeine Recht. Von anderer Seite wurde dagegen bemerkt, daß durch die Vorlage, indem sie insbe­ sondere nur politische Versammlungen und Vereine unter das Gesetz stelle, der polizeilichen Aufsicht nur öffentliche Versammlungen unter­ werfe, die Einreichung des Mitgliederverzeichnisses bei Vereinen beseitige, Frauen von den Versammlungen nicht ausschließe, die Zentralisation der Vereine gestatte, die kirchlichen und Wahlvereine ausnehme, nicht ausreichende Strafen vorsehe u. dgl., die staatliche Einwirkung auf das Vereinswesen und die öffentlichen Versamm­ lungen in einer Weise beschränkt werde, die mit dem Staatszweck unvereinbar erscheinen müsse, so daß eine nähere Anlehnung an die Vorschriften des zum Vergleiche herangezogenen preußischen Bereinsgesetzes geboten sei. Diesen Auffassungen gegenüber wurde darauf hingewiesen, daß die letztgedachten Abweichungen von der bisherigen Landesgesetzgebung sich durchaus als Fortschritt darstellten. Insbesondere wurde es als eine irrige Auffassung bezeichnet, wenn man meine, es liege im Interesse des Vereins- und Ver­ sammlungsrechts, unter das gemeine Recht gestellt zu werden. Bei der großen Bedeutung, welche Vereine und Versammlungen in gleicher Weise wie die Presse für die Entwicklung des öffentlichen Lebens hätten, sei es Recht und Pflicht des Staates, sich von allen Kundgebungen aus beiden Gebieten in ununterbrochener Kenntnis zu erhalten. Gegenüber der Versuchung für die Staatsgewalt, diese Mittel der politischen Entwicklung, besonders in politisch bewegten Zeiten, störend zu beeinflussen, seien besondere Gesetze für die Presse und Vereine von Beteiligten von jeher als Schutzmittel für die freie Bewegung erstrebt worden.

Aus der II. Lesung in der Kommission ging ein Gesetzentwurf hervor, der an die Spitze den Grundsatz stellte, daß alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen, sowie ohne vorgängige Einholung obrigkeitlicher Erlaubnis zu versammeln und Vereine zu bilden, uno im Anschlusse daran im wesentlichen folgendes bestimmte: Oeffentliche Versammlungen zu politischen Zwecken unterliegen, wenn sie nicht am Orte der Versammlung vorher bekannt gemacht sind, der Anzeigepflicht, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel stets der Genehmigungsvflicht. In öffentliche Versamm­ lungen zu politischen Zwecken können ein bis zwei Polizeibeamte entsendet werden, die zur Auflösung der Versammlung befugt sind,

Die geschichlliche Entwicklung des Reichsvereinsgesetzes.

3

wenn ihnen die Znlnffung verweigert wird, wenn die Entfernung Bewaffneter nicht gelingt und wenn in der Versammlung die Er­ örterung von Anträgen oder Vorschlägen durch den Vorsitzenden zugelassen wird, die eine Aufforderung zu strafbaren Handlungen enthalten. Die Vorsteher politischer Vereine sind verpflichtet, die Statuten einzureichen. Die Schließung eines Vereins, und zwar vorläufig durch die Polizeibehörde, endgültig durch das Kollegialgericht, kann erfolgen, wenn die Zwecke oder Beschlüsse des Vereins den Be­ stimmungen des Strafgesetzes widersprechen. Personen weiblichen Geschlechts dürfen nicht als Btitglieder politischer Vereine aufge­ nommen werden; Personen unter 18 Jahren sind von der Teil­ nahme an öffentlichen Versammlungen sowie von der Mitgliedschaft an politischen Vereinen ausgeschlossen. Eine besondere Strafbestimmung richtete sich gegen den Polizeibeantten, der den Bestimmungen dieses Gesetzes entgegen eine Ver­ sammlung auflöst. In diesem Fall sollte der Beamte außerdem verpflichtet sein, dem Unternehmer die behufs Veranstaltung der Ver­ sammlung aufgewendeten Kosten zu erstatten. Bei der Schluß­ abstimmung in der Kommission wurde dieser Entwurf im ganzen mit 7 gegen 2 Stimmen verworfen (Drucksachen des deutschen Reichstags 1. Legislaturperiode, IV. Session 1873, Nr. 239).

Nachdem in der Zwischenzeit verschiedene Anregungen für eine einheitliche Regelung des öffentlichen Vereins- und Versammlungs­ rechts ohne Ergebnis geblieben waren, traten inr Jahre 1895 die Abgeordneten Anker und Genossen mit einem Gesetzentwürfe, betreffend das Vereins-Versammlungswesen (Drucksachen des Reichs­ tags 9. Legislaturperiode, IV. Session 1895/96, Nr. 26), sowie die Abgeordneten Auer und Genossen mit dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Recht der Versammlung und Vereinigung und das Recht der Koalition (Drucksachen Nr. 48 daselbst) an den Reichstag heran. Den Beratungen der Kommission über diese Anträge wurde ein weiterer, von dem stellvertretenden Vorsitzenden der Konnnission, dem Abgeordneten Rickert, verfaßter Entwurf zugrunde gelegt. Nach dem aus diesen Beratungen hervorgegangenen Gesetzentwürfe (Drucksache des Reichstags 9. Legislaturperiode, IV. Session 1895/96, Nr. 321 Anlage 1) haben alle Deutschen das Recht, sich ohne vor­ gängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu ver­ sammeln, und zu solchen Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zu­ widerlausen, in Gesellschaften zu vereinigen. Öffentliche Versamm­ lungen zu politischen Zwecken wwie Volksversammlungen, die nicht in geschlossenen oder umfriedeten Räumen stattfinden, bedürfen der Anzeige, Versammlungen sowie öffentliche Auszüge auf öffentlichen Plätzen und Straßen der Genehmigung, die aber nur aus Gründen des Verkehrsinteresses verweigert werden darf. Oeffentliche Versammlungen zu politischen Zwecken unterliegen der Ueberwachung durch amtliche Abgeordnete ohne Beschränkung in der Zahl; solche Versammlungen können unter Angabe des Grundes aufgelöst werden, wenn die Zulassung der Abgeordneten der Polizeibehörde verweigert wird, wenn die Anzeige nicht recht-

4

Einleitung.

zeitigersolgtist, wenn Bewaffnete nicht entfernt werden und wenn durch den Vorsitzenden die Erörterung von Anträgen oder Vorschlägen zilgelassen wird, die eine Aufforderung zu strafbaren Handlungen ent­ halten. Ein vorheriges Verbot ist zuläffig für Versammlungen, oienicht rechtzeitig angezeigt sind. Vereine, deren Zweck den Strafgesetzen zuwioerlausen, können aufgelöst werden. Minderjährige sind von allen Versammlungen zu politischen Zwecken ausgeschlossen. Mit Strafe be­ droht sind unter anderem Polüeibeamte, die den Bestimmungen des Gesetzes entgegen die Erteilung der Bescheinigung versagen, oder eine Versammlung unberechtigterweise auflösen, oder durch Versprechungen oder Drohungen die Hergabe eines Versammlungslokals verhindern. Bei den eingehenden Beratungen in der Kommission wurde dem Antrag Auer und Genossen auf Einbeziehung der Regelung des Koalitionsrechts in den Entwurf insoweit entsprochen, als im 8 1 eine Bestimmung Aufnahme fand, wonach „Zwecke, die unter § 152 der Gewerbeordnung fallen, nicht als politische Zwecke gelten". Nachdem der Reichstag bei der zweiten Lesung im Plenum leine Zustimmung erklärt hatte, fiel der Entwurf bei der dritten Lesung, und es wurde an seiner Stelle ein neuer Gesetzentwurf ^Antrag Bassermann und Genossen, Drucksachen des Reichstags 9. Legislaturperiode, IV. Ses­ sion 1895/96, Nr. 448) angenommen mit dem einzigen Artikel: „Inländische Vereine jeder Art dürfen miteinander in Verbindung treten. Entgegenstehende landesgesehliche Bestimmungen sind aus­ gehoben" lSten.B. 1896 S. 2675), der unter dem 11. Dezember 1899 (RGBl. S. 699) als Reichsgesetz veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit ist im Reichstage wiederholt auf Grund zahl­ reicher Anträge und Petitionen sowohl im Plenum wie in der Petitionskommission der Gegenstand erörtert und dem Wunsche nach einem einheitlichen Vereins- und Versammlungsrechte für das Reich Ausdruck gegeben worden. Bei den Besprechungen beklagten die Redner fast aller Parteien die Unzulänglichkeiten, die aus dem verschiedenartigen Rechtszustand in den einzelnen Bundesstaaten sich ergeben. Nach dem Hinweis aus die Unhaltbarkeit mancher überlebter Bestimmungen wurde aus die Dehnbarkeit anderer sowie auf den Umstand ausmerksanl gemacht, daß in vielen Fällen nicht so sehr die Vorschriften selbst, wie die Möglichkeit einer verschiedenartigen Handhabung durch die Behörden oder die Verwendung von weniger geeigneten Beamten zu Klagen Anlaß gebe. Während von einzelnen Rednern eine besondere gesetzliche Regelung mit dem Hinweise darauf als ent­ behrlich bezeichnet wurde, daß zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Vorschriften des Strafgesetzbuchs, denen selbstver­ ständlich auch Vereine und Versammlungen unterworfen blieben, genügten, wurde von anderer Seite anerkannt, daß die ungestörte Ausübung des Vereins- und Bersammlungsrechts Sondervorschristen verlange, daßdiese indessen nach Inhalt und Umfang verbesserungsfähig seien. Im einzelnen wurde daraus hingewiesen, daß die Beschränkung für Frauen, welche jetzt in politischer Beziehung teilweise mit Lehr­ lingen, Schülern oder Personen, die nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind, auf eine Stufe gestellt würden, sowie ihre un-

Die geschichtliche Entwicklung des Reichsvereinsgesetzes.

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gleiche Behandlung in den Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten eine Berechtigung nicht mehr hätten, und für das weibliche Geschlecht entweder völlige Gleichstellung mit den Männeril oder wenigstens die Berechtigung verlangt, über die die Frauen näher berührenden Fragen des öffentlichen Lebens auf den Gebieten der Gesundheit, des Unterrichts, der Bildung, der Hebung der wissenschaftlichen, materiellen und idealen Interessen ihres Geschlechts mitsprechen zu dürfen. Auch die Behandlung der jugendlichen Personen wurden von verschiedenen Seiten als nicht mehr zeitgemäß hingestellt und deren Beseitigung, teilweise allerdings Aufrechterhaltung auf dem Gebiete des politischen Vereinswesens verlangt. Sodann wurden insbesondere die für Vereine teilweise be­ stehende Verpflichtung zur Einreichung eines Mitgliederverzeichnisses, ferner auch die Verpflichtung zur Anzeige oder zur Einholung der Genehmigung für einzelne Arten von Versammlungen sowie die Befugnis der Polizeibehörde zur Auflösung in Erörterung gezogen. Wenn hierbei Einverständnis darüber herrschte, daß die Ausbildung des Vereins- und Versammlungsrechts mit der Fortentwicklung des politischen Lebens nicht völlig Schritt gehalten habe, so wurde doch auch anerkannt, daß eine zeitgemäße Ausgestaltung im freiheit­ lichen Sinne jedenfalls nicht zu einer Beeinträchtigung der Staats­ gewalt auf anderen Rechtsgebieten führen dürfe, daß vielmehr die Beschränkungen, die das gemeine Recht allen Staatsbürgern auferlege, nicht einzelnen Personen gegenüber dadurch unwirksam werden könnten, daß diese von dem ihnen gewährten Vereins- und Versammlungsrechte Gebrauch machen. Bei den Erörterungen wurde verschiedentlich vorgeschlagen, mit der vorliegenden Frage die Beseitigung der auf dem Gebiete des Koalitionsrechts noch bestehenden Ungleichheiten sowie die Fortbildung der Rechtsver­ hältnisse der Berufsvereine in Verbindung zu bringen. Von den Anträgen, die dem Reichstage bei feiner letztenTagung zu­ gegangen find, imt) bei denen es sich meist um wörtliche Wiederholungen früherer Anträge handelte, enthielt einen vollständigen Gesetzentwurf nur der Antrag des Abgeordneten Albrecht und Genossen (Druck­ sachen des Reichstags 12. Legislaturperiode, I. Session 1907, Nr. 94). Nach diesem Entwürfe, „betreffend das Recht der Versammlung und Vereinigung und das Recht der Koalition", wird allen Reichs­ angehörigen ohne Unterschied des Geschlechts das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, gewährt. Die Veranstaltung und Abhaltung von Versammlungen ist weder von der Anmeldung noch der Erlaubnis einer Behörde abhängig, mit Ausnahme von Versammlungen und Auszügen, die auf öffentlichen Straßen und Plätzen stattstnden sollen und die spätestens sechs Stunden vor Beainn durch den Veranstalter oder Einberufer bei der mit der Ordnung des öffentlichen Verkehrs betrauten Ortsbehörde anzu­ zeigen sind. Gesetze und Verordnungen, die diesen Bestimmungen widersprechen, einschließlich derer, welche die Verabredung und Vereinigung zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Be­ schäftigungsbedingungen hindern, untersagen oder unter Strafe stellen, sowie überhaupt die landesgesetzlichen Bestimmungen über das Ver-

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Einleitung.

sammlungs- und Vereinsrecht werden ausgehoben. Eine Straf­ androhung richtet sich gegen die Hinderung der Ausübung der hiernach gewährleisteten Rechte.

Ein Antrag des Abgeordneten Dr. Stöcker und Genossen vom 19. Februar 1907 (Drucksachen daselbst Nr. 29) wünschte die Vor­ lage eines Gesedentwurfs, welcher das Vereins- und Bersammlungsrecht für das ganze Reich an Stelle der einzelstaatlichen Vereinsgesetze im freiheitlichen Sinne regelte und den Frauen die Teil­ nahme und Mitwirkung an sozialpolitischen Bestrebungen in Ver­ einigungen und Versammlungen ermöglichte. In ähnlicher Weise wünschte der Antrag des Abgeordneten Beck und Genossen vom 22. Februar 1907 (Drucksachen daselbst Nr. 78) einen Gesetzentwurf, welcher das Vereins- und Versammlungsrecht für alle Bundes­ staaten einheitlich ordnet, soweit dasselbe nicht schon durch das BGB. geregelt ist; der Antrag des Abgeordneten Grar von Hompesch und Genossen vom 25. desselben Monats (Drucksachen daselbst Nr. 110) einen Gesetzentwurf, der die öffentlichrechtliche Seite des Vereinswesens und das Bersammlungsrecht im freiheit­ lichen Sinne regelte und insbesondere auch Frauen die Teilnahme an sozialpolitischen Bestrebungen in Vereinen und Versammlungen gestattete; der Antrag des Abgeordneten Dr. Ablaß und Genossen vom 26. desselben Monats (Druasachen daselbst Nr. 131) einen Gesetzent­ wurf, nach welchem alle Deutschen ohne Unterschied des Geschlechts be­ rechtigt sind, friedlich und unbewaffnet Versammlungen abzuhalten und zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden, sowie endlich der Antrag des Abgeordneten Brandys und Genossen vom 27. desselben Monats (Drucksachen daselbst Nr. 153) einen Gesetzentwurf, durch welchen den Reichsangehörigen ohne Unter­ schied des Geschlechts das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, gewährleistet wird, und zwar ohne irgendwelche Beschränkungen dieses Rechtes, insbesondere ohne die Ausübung desselben von einer Anmeldung bei einer Behörde oder einer Genehmigung durch dieselbe abhängig zu machen. Eine dem obigen Anträge Dr. Ablaß und Genossen entsprechende Resolution (Drucksachen daselbst Nr. 273) hat der Reichstag in seiner Sitzung vom 16. April 1907 beschlossen.

Die Herstellung gemeinsamen Rechts auf dem Gebiete des Vereinswesens wurde erleichtert durch den Umstand, daß die be­ stehenden anderen Landesgesetze ungeachtet großer Verschiedenheiten im einzelnen, in den für die Gegenwart noch als wesentlich anzu­ erkennenden Grundzügen manche nicht allzuerheblich von einander abweichende Gedanken erkennen ließen. So ist es fast allgemein als ein Recht der Staatsangehörigen anerkannt, ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis Vereine zu Zwecken, die den Gesetzen nicht zuwiderlaufen, zu bilden und in geschlossenen Räumen fried­ lich und unbewaffnet Versammlungen abzuhalten. Den Vereinen, wenigstens denjenigen, welche sich mit öffentlichen Angelegenheiten besassen, lag meist die Verpflichtung ob, der Staatsbehörde An­ zeige von der erfolgten Bildung zu machen und ihre Satzung ein­ zureichen. Von Versammlungen zur Erörterung oder Beratung öffentlicher Angelegenheiten mußte der Behörde vorher Anzeige

Die geschichlliche Entwicklung des Reichsvereinsgesetzes.

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gemacht werden, während Versammlungen unter freiem Himmel in der Regel vorgängiger Genehmigung bedurften. Politische Vereine unterlagen fast durchweg noch besonderen Beschränkungen. Die Staatsbehörde hatte das Recht der Aussicht über Vereine und Versammlungen, kraft dessen ihr fast überall, wenn auch mehrfach nur in beschränkteur Matze, die Befugnis zustand, Vereine und Versammlungen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufzulösen. Diese Grundzüge hatten im einzelnen Verschärfungen oder Abschwächungen erfahren, je nachdem der Gesetzgeber eine Beschrän­ kung der Vereins- und Versamnilungsfreiheit nur in den notwendig­ sten Fällen für erforderlich erachtete oder die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in stärkerem Matze betonen zu sollen glaubte. Wie nicht zu verkennen, enthielten die Vereinsgesetze der ein­ zelnen Bundesstaaten eine Reihe von Vorschriften, die sich als durchaus brauchbar erwiesen hatten, daneben aber eine Reihe anderer, die wohl als veraltet zu bezeichnen lvaren imt) deren Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen werden konnte. Der Ent­ wurf lehnte sich daher an die einzelstaatlichen Gesetze an, soweit diese sich bewährt haben, versuchte indessen alle nicht mehr zeit­ gemäßen Beschränkungen sowie diejenigen Bestimmungen zu be­ seitigen, welche an und für sich von minderer Wichtigkeit sind, aber in ihrer Handhabung als kleinlich empfunden werden können. Ins­ besondere ist den beschränkenden Bestimmungen, soweit nicht über­ haupt auf sie verzichtet werden konnte, eine Fassung gegeben, die Verschiedenheiten der Auslegung möglichst verhindert. Denn die Einwendungen, die gegen den gegenwärtigen Rechtszustand erhoben werden, richten sich, wie bereits bemerkt, vielfach nicht so sehr gegen die Schärfe der einzelnen Bestimmungen, als vielmehr gegen deren dehnbare Fassung, Die selbst innerhalb desselben Rechtsgebiets eine gleichmäßige Behandlung nicht überall gewährleistet. Da die Vereinsgesetze der Bundesstaaten in der Ausgestaltung gleicher Grundgedanken im einzelnen oft erhebliche Verschiedenheiten erkennen ließen und dadurch die erschwert wurde, so bedarf es der besonderen Betonung, daß das neue Gesetz als Ganzes zweifellos gegenüber sämtlichen einzelstaatlichen Vereinsgesetzen wesentliche Erleichterungen darbietet. Insbesondere ist der vielfach verbreiteten mißverständlichen Auffassung entgegenzutreten, als ob der Mangel an Vereins- und ver^ammlungsrechtlichen Vorschriften des Landesrechts ein Beweis für eine besonders freiheitliche Entwicklung des Rechtszustandes auf diesem Gebiete sei. Beispielsweise wurde in Württemberg, wo dem Vereins- und Bersammlungsrechte durch die Gesetzgebung bestimmte Schranken nicht gesteckt waren, aus dem allgemeinen Oberaufsichts­ rechte der Staatsgewalt für diese die Befugnis abgeleitet, im In­ teresse das öffentlichen Wohles Vereine und Versammlungen jeder Art in geeigneter Weise zu beaufsichtigen und nötigenfalls aufzulösen; auch war dort in Ermangelung gesetzlicher Voraussetzungen gegen derartige dem pflichtmäßigen Ermessen anheimgegebene Maß­ regeln der Verwaltungsbehörden ein verwaltungsgerichtlicher Schutz nicht zugelassen, so daß die Beteiligten auf die Verwaltungsbeschwerde an die vorgesetzten Polizeibehörden beschränkt waren.

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Einleitung.

In Hessen konnte nach Art. 2 des Gesetzes vom 16. März 1848 „das Recht der Versammlungen zur Beratung über allgemeine politische oder Privatinteressen frei ausgeübt werden". Obgleich andere gesetz­ liche Vorschriften fehlten, fand diese Befugnis anerkanntermaßen ihre natürliche Grenze in der dem Staate pflichtmäßig obliegenden Fürsorge für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die, wie Art. 78 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Oktober ~i87 1 erkennen läßt, auch das Recht 1871 der Polizeiverwaltungsbehörde in sich schloß, Volksversammlungen im voraus zu verbieten. In ähnlicher Steile wurde in Sachsen-Koburg und Gotha, wo neben den allgemeinen Verfassunasbestimmungen nähere aesetzliche Vorschriften für das Vereins- und Bersammlungswesen fehlten, das Recht der Behörden zur unmittelbaren Aufsicht aus den allgemeinen Vorschriften über die Zuständigkeit hergeleitet. Dem mehrfach geäußerten Gedanken, eines der bundesstaatlichen Vereinsgesetze unverändert dem Reichsgesetze zugrunde zu legen, konnte in diesem Umfange nicht Rechnung getragen werden, da keines den hiesür maßgebenden Bedürfnissen völlig entsprach. Die verbündeten Regierungen legten infolgedessen entsprechend einer Zusage des Reichskanzlers einen Entwurf über das Reichsvereinsgesetz^ dem Reichstag unterm 22. November 1907 zur ver­ fassungsmäßigen Beschlußfassung vor. Der Entwurf ist unten ab­ gedruckt. Es wurden darin bewährte Bestimmungen der früheren landesrechtlichen Gesetze und Verordnungen über das Vereins- und Bersammlungsrecht — sämtliche Einzelstaaten mit Ausnahme von Waldeck besaßen solche — ausgenommen. Nachdem die Presse und Parteiversammlungen verschiedenster Parteirichtungen mehr oder weniger scharf mit der Kritik über die Regierungsvorlage eingesetzt hatten, gelangte der Entwurf am 9. und 10. Dezember 1907 rur 1. Lesung des Reichstags. Hiebei fand der Entwurf vor allem seitens der Antiblockparteien, d. h. des Zentrums, der Sozialdemo­ kratie und der Polen, auch aus allgemeinen politischen Gründen scharfe Kritik. Aus sachlichen Motiven bekämpften unter Hervor­ hebung der Vorteile des Gesetzentwurfs einzelne Bestimmungen auch die Redner der ausschlaggebenden freisinnigen Fraktionsgemein­ schaft, die Abg. Müller-Meiningen und Pachnicke lSitzung vom 10. De­ zember 1907, StenB. S. 2.128 und 2145). Es wurde beschlossen, den Entwurf einer Kommission zur Be­ ratung und Beschlußfassung zu überweisen (XIV. Kommission). Die Kommission bestand aus 28 Mitgliedern.

Entwurf eines ReichS-BereinSgefeheS. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen rc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgterZustimmung des Bundesrats und deS Reichstags, was,folgt:

§ 1. Alle Reichsangehörigen haben daS Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden und sich zu versammeln. *) Nr. 482 der Drucksachen, 12. Legislaturperiode I. Session 1907.

Die geschichtliche Entwicklung deS ReichSvereinSgesetzeS.

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§ 2.

Jeder Verein, der eine Einwirkung auf öffentliche Ange­ legenheiten bezweckt, muß einen Vorstand und eine Satzung haben. Der Vorstand ist verpflichtet, binnen einer Woche nach Gründung des Vereins die Satzung sowie das Verzeichnis der Mitglieder des Vorstandes der für den Sitz deS Vereins zu­ ständigen Polizeibehörde einzureichen. Ebenso ist jede Änderung der Satzung sowie jede Änderung in der Zusammensetzung des Vorstandes binnen einer Woche nach dem Eintritte der Änderung anzuzeigen. Die Satzung sowie die Änderungen sind in deutscher Fassung einzureichen. 8 3.

Wer eine öffentliche Versammlung zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten veranstalten will, hat hiervon mindestens 24 Stunden vor dem Beginne der Versammlung unter Angabe des Ortes und der Zeit bei der Polizeibehörde Anzeige zu erstatten. Für Versammlungen der Wahlberechtigten zum Betriebe der Wahlen zu politischen Körperschaften beträgt die Anzeigefrist mindestens 12 Stunden. Uber die Anzeige soll von der Behörde sofort eine kostenfreie Bescheinigung erteilt werden. Der Landeszentralbehörde bleibt eS überlassen, zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen es einer Anzeige nicht bedarf für Versammlungen, die unter Innehaltung der im Abs. 1 bezeichneten Fristen öffentlich bekannt gemacht sind.

§ 4. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel bedürfen der Genehmigung der Polizeibehörde. Die Genehmigung ist schriftlich zu erteilen. Das Gleiche gilt von Aufzügen, die auf öffentlichen Straßen oder Plätzen stattfinden sollen. Die Genehmigung ist von dem Veranstalter mindestens 48 Stunden vor dem Beginne der Versammlung oder des Aufzugs unter Angabe des Ortes und der Zeit nachzusuchen. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn aus der Abhaltung der Versammlung oder der Veranstaltung des Aufzugs Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu befürchten ist. Gewöhnliche Leichenbegängniffe sowie Züge der Hochzeits­ versammlungen, wo sie hergebracht sind, bedürfen einer Genehmigung nicht. § 5. Jede Versammlung, für die es einer Anzeige, Bekannt­ machung oder Genehmigung bedarft muß einen Leiter haben. Der Leiter oder, solange dieser nicht Lestellt ist, der Veranstalter,

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Einleitung. hat für Ruhe und Ordnung in der Versammlung zu sorgen. Er ist befugt, die Versammlung für aufgelöst zu erklären.

8 6. Niemand darf in einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzuge, der auf öffentlichen Straßen oder Plätzen stattfinden soll, bewaffnet erscheinen, es sei denn, daß er ver­ möge öffentlichen Berufs -um Waffentragen berechtigt oder -um Erscheinen mit Waffen behördlich ermächtigt ist. §7. Die Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen sind in deutscher Sprache zu führen. Ausnahmen sind mit Genehmi­ gung der Landeszentralbehörde zulässig.

8 8. Die Polizeibehörde ist befugt, in jede Versammlung, für die es einer Anzeige, Bekanntmachung oder Genehmigung bedarf, zwei Beauftragte zu senden. Die Beauftragten haben sich unter Kundgebung ihrer Eigenschaft dem Leiter oder, solange dieser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben. Den Beauftragten muß nach ihrer Wahl ein angemeffener Platz eingeräumt werden.

8 9. Die Beauftragten der Polizeibehörde sind befugt, von dem Leiter oder, solange dieser nicht bestellt ist, von dem Veran­ stalter einer Versammlung, für die eS einer Anzeige, Bekannt­ machung oder Genehmigung bedarf, unter Angabe des Grundes die Auflösung der Versammlung zu verlangen, 1. wenn die Genehmigung nicht erteilt ist (§ 4 Abs. 1 bis 3); 2. wenn die ordnungsmäßige Zulassung der Beauftragten der Polizeibehörde verweigert wird (§ 8 Abs. 1,3); 3. wenn Bewaffnete, die unbefugt in der Versammlung anwesend sind, nicht entfernt werden (§ 6); 4. wenn Rednern, deren Ausführungen den Tatbestand eines Verbrechens oder eines nicht nur auf Antrag zu verfolgenden Vergehens enthalten oder die sich verbots­ widrig einer nichtdeutschen Sprache bedienen (§ 7), auf Aufforderung der Beauftragten der Polizeibehörde von dem Leiter oder dem Veranstalter der Versamm­ lung das Wort nicht entzogen wird. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so sind die Beauf­ tragten der Polizeibehörde befugt, die Versammlung für auf­ gelöst zu erklären.

8 io. Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort zu entfernen.

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§ H. Mit Geldstrafe bis zu 600 Mark, an deren Stelle im Un­ vermögensfalle Haft tritt, oder mit Haft wird bestraft: 1. wer als Vorstand oder als Mitglied des Vorstandes eines Vereins den Vorschriften über die Einreichung von Satzungen und Verzeichnissen (§ 2 Abs. 2 bis 4) zuwiderhandelt; 2. wer eine Versammlung oder einen Aufzug ohne die vorgeschriebene Anzeige oder Genehmigung (§§ 3, 4, 5, 7) veranstaltet ob? r leitet; 3. wer unbefugt w ; rner Versammlung oder einem Auf­ zuge bewaffnen erscheint oder sich nach ausgesprochener Auflösung einer Versammlung nicht sofort entfernt (§§ 6, 10). § 12. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf die durch das Gesetz oder die zuständigen Behörden an­ geordneten Versammlungen. § 13.

Welche Behörden unter der Bezeichnung „Polizeibehörde" zu verstehen sind, bestimmt die Landeszentralbehörde.

§ 14An die Stelle des § 72 des Bürgerlichen Gesetzbuchs tritt folgende Vorschrift: Der Vorstand hat dem Amtsgericht auf dessen Ver­ langen jederzeit eine von ihm vollzogene Bescheinigung über die Zahl der Vereinsmitglieder einzureichen. § 15.

Aufgehoben werden der § 17 Abs. 2 des Wahlgesetzes für den deutschen Reichstag vom 31. Mai 1869 (BundeS-Gesetzbl. S. 145, Reichs-Gesetzbl. 1873 S. 163), der § 2 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetz­ buche für das Deutsche Reich vom 31. Mai 1870 (Bundes-Gesetzbl. S. 195, Reichs-Gesetzbl. 1871 S. 127), soweit er sich auf die besonderen Vor­ schriften des Landesstrafrechts über Mißbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts bezieht, der § 6 Abs. 2 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 (ReichsGesetzlbl. S. 346). Die sonstigen reichsgesetzlichen Vorschriften über Vereine und Versammlungen bleiben in Kraft.

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Einleitung. § 16.

Unberührt bleiben die Borschristen deS Landesrechts über kirchliche und religiöse Vereine und Versammlungen, über kirch­ liche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, sowie über geistliche Orden und Kongregationen, die Vorschriften deS Landesrechts in bezug auf Vereine und Versammlungen für die Zeiten der Kriegsgefahr, des Krieges, des erklärten Kriegs- (Belagerungs-) Zustandes oder innerer Unruhen (Aufruhrs), die Vorschriften deS Landesrechts in bezug auf Verbin­ dungen und Verabredungen ländlicher Arbeiter und Dienstboten, die Vorschriften des Landesrechts zum Schutze der Feier der Sonn- und Festtage; jedoch sind für Sonntage, die nicht zugleich Festtage sind, Beschränkungen des BersammlungSrechts nur bis zur Beendigung deS vormittägigen Hauptgottesdienstes zulässig. § 17.

Dieses Gesetz tritt am Urkundlich usw. Gegeben usw.

in Kraft.

Schon die 1. Lesung des Gesetzentwurfs in der Kommission des Reichstags brachte einschneidende Änderungen und Ergän­ zungen zur Regierungsvorlage, vor allem durch eine Reihe von Anträgen der Abg. Müller-Meiningen, Payer und Träger. Hervor­ zuheben ist vor allem, daß der sog. Sprachenparagraph in der 1. Lesung fiel und den ganzen Entwurf in seinem Erfolg gefährdete. Sämtliche Bestimmungen mit Ausnahme der 88 6, 10, 12, 14 und 15 der Regierungsvorlage wurden abgeändert. Nachdem zwischen der 1. und 2. Lelung in der Kommission langwierige Kompromißverhandlungen zwischen den Blockparteien und der Reichsreaierung stattgefunden hatten, fand das Gesetz in seiner jetzigen Fassung in der 2. Lesung der Kommission mit 16 gegen 12 Stimmen Annahme. Bei der 2. und 3. Lesung im Plenum des Reichstags lagen eine Anzahl Abänderungsanträge seitens des Zentrums, der Polen und der Sozialdemokratie vor. Diese wurden sämtlich nach stürmischen vier­ tägigen Sitzungen in 2. Lesung abgelehnt. Das Gesetz wurde genau nach der Fassung der Beschlüsse der 2. Lesung der Kommission als sog. „Kompromißanträge" in 2. und 3. Lesung angenommen; s. die StenB. des Reichstags vom 2. bis 6. April 1908 (2. Lesung) S. 4555 ff. und vom 8. April (3. Lesung) S. 4787 ff. In der Schlutzabstimmung votierten 195 Stimmen mit Ja, 168 mit Nein. Ter Abstimmung enthielten sich 5, 1 Stimme war ungültig (2 weitere Stimmen mit Ja wurden aus Versehen nicht abgegeben). Tatsächlich verlief die Verhandlung in der 2. und 3. Lesung des Reichstags nach der prinzipiellen Erklärung des Abg. Müller-

Die geschichtliche Entwicklung des ReichSvereinsgesetzes.

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Meiningen, der sich die Blockparteien durch ihre Abstimmungen an­ schlossen. Diese Erklärung lautete: „Wir werden keinerlei neue Anträge zu diesem Gesetzentwurf selbst stellen und werden uns nur auf die absolut notwendige Ab-, wehr von dlngriffen gegen uns beschränken. Wir halten uns durch­ weg an die Kompromißfassung des Gesetzentwurfes und lehnen danach alle Abänderungsanträge, so sympathisch sie vom prinzi­ piellen Standpunkt uns im einzelnen sein mögen, für den jetzigen Zeitpunkt unter allen Umständen ab. Wir lverden so Vorgehen und müssen so vorgehen, da andern­ falls die große Gefahr besteht, daß der Annahme dieses Gesetz­ entwurfs unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet werden, einerseits vor allem durch die Hineinzerrung von wichtigen Materien, die direkt mit diesem Vereins- und Versammlungsgesetze nichts zu tun haben, andererseits durch die Annahme von Anträgen, von denen wir nach den Erklärungen der Regierungen wissen, daß sie für diese unannehmbar sind" (StenB. S. 4564). Tas Gesetz ist im Reichsgesetzblatt vom 25. April 1908 S. 151 bis 157 mit dem Datunr vom 19. April 1908 veröffentlicht. Einige allgemeine Bemerkungen. Das Gesetz regelt ausschließlich die öffentlich-rechtliche Seite des Vereins- und Versammlungsrechts. Hiervon bildet eine Ausnahme nur die Abänderung des § 72 BGB., der aber wesentlich auf oem Gebiete des öffentlichen Rechtes wirksam wird; sonst ist eine Einwirkung auf die privatrechtlichen Normen für Vereine und Versammlungen nicht beabsichtigt. Mit Rücksicht auf die verschiedenartige Stellung der einzelnen Bundesstaaten zur Kirche fallen nicht in den Rahmen des Gesetzes die landesrechtlichen Vorschriften über kirchliche und religiöse Vereine und Versammlungen, über kirchliche Prozessionen, Wall­ fahrten und Bittgänge sowie über geistliche Orden und Kongre­ gationen, solange diese ihr eigentliches Gebiet nicht verlassen. Da mit den sonstigen reichsgesetzlichen Vorschriften über Vereine und Versammlungen auch der Art. 68 der Reichsverfassung, soweit er vereinsrechtlicher Natur ist, in Kraft bleibt, kann der Kaiser auch in Zukimft für das Reich

Auf die Anfechtung der Auflösung einer Versamm­ lung finden die Vorschriften des § 2 Abs. 22) Anwendung. 1. Der 8 15 wurde als 8 9a von der Kommission eingefügl. 2. Siehe Anm. 1—5 zu 8 2.

Wie bei den Vereinen, so sind auch hier Rechtsgarantien gegenüber den Verfügungen der Verwaltungsbehörden, wodurch Versammlungen aufgelöst werden, geschaffen. Zur Begründung des dem 8 15 entsprechenden Antrags wurde ausgeführt, daß man, wie bei den Vereinen, so auch hier Rechts­ garantien gegenüber den Verfügungen der Verwaltungsbehörden, wodurch Versammlungen aufgelöst würden, schaffen müsse. In Preußen sei man seit langer Zeit daran gewöhnt, daß alle Ent­ scheidungen der Verwaltungsbehörden, also auch die Auflösungs­ verfügungen, im Verwaltungsstreitverfahren angegriffen werden Müller-Scvmld. Vereinsgesetz. 11

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Vereinsgesetz vom 19. April 1908.

können. ES sei ja richtig, daß auch die erfolgreiche Anfechtung eine einmal verfügte Auflösung nicht wieder rückgängig machen könne. Allein solche Entscheidungen wirkten für spätere Fälle präventiv, erzieherisch. Das Prinzip sei genau das gleiche wie bei der Auflösung von Vereinen. lKomnüv. S. 89 ff.). Es gilt m den einzelnen Bundesstaaten das jeweilige Landes­ recht, sonach bestehen das Berwaltungsstreit-, Rekurs- und Rechts­ beschwerdeverfahren. Siehe im übrigen oben § 2 und unten § 21. Auch die Aufsichtsbeschwerde bzw. Verwaltungsbeschwerde ist neben dem Verwaltunysstreitverfahren möglich. Legitimiert ist primär der Veranstalter oder Leiter, ferner auch jeder Teilnehmer an der Versammlung (f. auch Delius S. 487). AuS den ««SfuhruugSbeftimmLUgeu der Bundesstaaten zu 5 15. Bayern. Für Bayern ist durch die MBek. vom 12. Mai 1908 bestimmt: „Wird gemäß § 15 des Gesetzes die Auflösung einer Versammlung im Berwaltungsstreitverfahren angefochten, so entscheidet über die Anfechtung in erster Anstanz die Distriktspolizeibehörde, in München die Kgl. Polizeidirektton. Auf das Verfahren findet die Bestimmung in Ziff. 2 gleichmäßige Anwendung." Siehe unten Anhang das bayr. Ges. (Art. 1) über die Ausdehnung der Ziff. 6 Art. 8 des VGHG. auf die Auslösung von Versammlungen (GBBl.Nr. 40 vom 8. Juli 1908 S. 351).

Württemberg. Für Württemberg bestimmt Ziff. XI der VollzVO.: „Gegen die Auflösung einer Versammlung ist im Jnstanzenzug Beschwerde an die Kreisregierung und das Ministerium des Innern und gegen den Bescheid des letzteren Recktsbeschwerde an den Berwaltungsgerichtshof (vgl. Nr. H Abs. 2) zulässig." Elsatz-Lothringen. Für Elsaß-Lothringen VollzVO.) s. 8 2 oben.

(Ziff. 7 der

Hessen. Für das Großherzogtum Hessen (§ 1 der BollzBorschr.): „Die Auflösung eines Vereins oder einer Versammlung kann im Wege des Verwaltungsstreitverfahrens nach näherer Vorschrift der Artikel 67, 104 bis 109, 111 bis 113 des Gesetzes, betreffend die innere Verwaltung und die Vertretung der Kreise und Provinzen, vom 12. Juni 1874, sowie der Gesetze über das oberste Verwaltunysgericht vom 11. Januar 1875 und über die Bildung und Zuständlgkeit des obersten Verwaltungsgerichts vom 16. April 1879 bei dem Provinzialausschuß in erster und bei dem Verwaltungsgerichtshof in zweiter und letzter Instanz angefochten werden."

L»rp-icht«ng zur Entfernung.

§ 16?)

Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, find alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort2) zu ent­ fernen2). Entwurf § 10 (unverändert angenommen).

1. Nach dem Gesetz sollen der Leiter bzw. Veranstalter die Versammlung in der Hand behalten und zur Vermeidung einer behördlichen Auflösung selbst auflösen können (§ 10). Es besteht hier kein Unterschied zwischen einer Auflösung der Versammlung durch die Polizei (§ 14) und einer solchen durch den Leiter (§ 10). Wenn einmal die Auflösung verfügt ist. gleichwohl von wem, muß ihr Folge geleistet werden. (KommB. S. 92/93). Ein Antrag, diese Bestimmung auf den Fall zu beschränken, daß die Auflösung durch die Beauftragten der Polizeibehörde — und nicht durch den Leiter oder Veranstalter — erfolgt war, ist abgelehnt worden, da Leiter und Veranstalter die Versammlung in der Hand behalten und sonach selbst befugt sein sollen, zur Vermeidung einer behördlichen Auflösung von sich aus aufzulösen. lKommB. . 92). 2. „sofort"; d. h. die Entfernung muß mit derjenigen Be­ schleunigung erfolgen, die nach Lage der Verhältnisie tunlich ist. Entsprechend ist früher die gleiche Bestimmung in § 6 der preuß. BO. vom 11. März 1850 dahin ausgelegt worden; das sofort" bedeutet dort: „mit tunlichster Beschleunigung". lJohow 6 S. 254.) Debatte über die Auflösung ist unzulässig (f. oben § 14). 3. Im Falle der Weigerung vgl. § 18 Ziff. 4 S. 178 unten. Speisen und Getränke dürfen zuvor bezahlt werden. Die Ent­ fernung muß aus sämtlichen Räumen erfolgen, welche der auf­ gelösten Versammlung zur Verfügung standen. Soll nach der Versammlung eine gesellige Zusammenkunft in denselben Räumen stattfinden, so müssen sich die Beteiligten doch zuvor entfernen (KG. vom 13. 9tovember 1893, GoltdArch. Bd. XLI S. 318). Das Entfernungsgebot kann aber nicht auf Nebenräume aus­ gedehnt werden, die vom Versammlungsraum völlig getrennt sind. lRGSt. vom 2. Juli 1894, DIZ. 1894 S. 503, Reger XV S. 235). Rückkehr vor völligem Auseinandergehen der Versammlung ist unstatt­ haft, auch wenn sie zu dem Zwecke geschieht, die Anwesenden zum Verlassen des Raumes zil bestimmen. (KG. DIZ. 1907 Sp. 71). Alle Anwesenden, inkl. Veranstalter, Leiter, Mieter des Lokals, ja selbst der Eigentümer desselben, wenn er in der Versammlung anwesend war, müssen sich entfernen: RGSt. XL S. 300 u. 363. Grund der Auflösung ist zunächst gleichgültig. Urt. des KG. DIZ. 1896 Sp. 107; GoltdArch. XLI S. 318 u. DIZ. 1907 Sp. 71. Entsch. des KG. vom 12. Juli 1906: s. unten S. 178. Die Durchführung der Auflösung ist in das Ermessen des auf­ lösenden Beamten gestellt. Derselbe kann namentlich Polizeimann11*

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Bereinsgesetz vom 19. April 1908.

schäft und Gendarmerie herbeirufen, wenn dem Befehle nicht sofort Folge geleistet wird. Sowohl die Abgeordneten der Polizei als auch die etwa hinzugezogene Macht stnd berechtigt, beim Vorliegen der Voraussetzungen des 8 127 der StPO. Mitglieder der Versammlung festzunehmen, wenn sich dieselben einer strafbaren Handlung schuldig machen (Delius S. 153).

verein-- und BersammlrmgSalter.

§ 17.

Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet Habens, dürfen nicht Mitglieder von politischen Vereinen^) sein und weder in den Versammlungen solcher Vereine, sofern es sich nicht um Veranstaltungen zu ge­ selligen Zweckens handelt, noch in öffentlichen politischen Versammlungen') anwesend sein^). Ueber das bisherige Recht siehe oben bei § 1 unter D S. 24 u. unten Liff. 5 bei § 18. Die Motive der Regierungsvorlage (S. 23) betreffs des Alters oben bei § 1 @. 24 und 25. Eingeschaltet durch die Kommission erst in 2. Lesung als sog. „Kompromitzantrag" (§ 10 a) s. auch StenB. 4706, 4713, da von verschiedenen Parteien gegen die unbeschränkte Zulassung aller Jugendlichen die größten Bedenken erhoben wurden.

1. „Das 18. Lebensjahr vollendet" s. 8 187 Abs.2 BGB.; RGSt. XXXV S. 37. Das 18. Lebensjahr ist mit Beginn des 19. Geburtstags vollendet, also 12 Uhr nachts. Der 8 17 gilt für das männliche und weibliche Geschlecht.

2. Siehe Anm.2 und 4 zu 8 3 S.52ff. Ueber politische Vereine s. auch Enneccerus, Lehrb. des bürgerl. Rechts 3. Aust. Bd. I S. 243 und Dernburg, Das bürgerliche Recht 3. Aufl. 1906 Bd. 1 S. 228: „Nur solche Vereine sind politische, welche bezwecken, auf den allgemeinen Gang der Gesetzgebung und der staatlichen oder kommunalen Verwaltung Einfluß zu gewinnen. Dagegen sind solche Vereine nicht als politisch anzusehen, welche andere, insbesonders bloß technische Fragen, wenn auch mit dem Streben der Einwirkung auf die Gesetzgebung zum Gegenstände haben." (Dern­ burg a. a. O.) Die bestimmten technischen Fragen sind für die Gewerkvereine Regelung von Lohn und Arbeitszeit, Arbeiterschutz und Aehnliches. Halten sich die Gewerkvereine in diesem Rahmen, so sind sie keine „politischen Vereine" im Sinne des 8 17. (Siehe auch die Vollzugs-Borschriften der Einzelstaaten oben S. 65.) Natürlich sind hier auch politische Vereine gemeint, welche nur aus Jugendlichen unter 18 Jahren bestehen. Der Beitritt zu Wahl­ komitees im Sinne des § 4 ist gestattet.

Bezüglich der Aufnahme in den Verein brauchen Förmlichkeiten nicht erfüllt werden; auch der Satzungsinhalt ist gleichgültig: Es genügt die Willensübereinstimmung zwischen dem Eintretenden und dem aufnehmenden Verein. 3. Siehe Anm. 1 und 2 zu 8 5.

4. Zuwiderhandlungen werden nach § 18 Ziff. 6 bestraft. Vgl. auch das Nähere bei § 18 Ziff. 5, wonach der Vorstand eines Vereines strafbar ist, wenn er Personen unter 18 Jahren im Vereine duldet (S. 178ff.). Aufgelöst kann ein Verein oder eine Versammlung nicht des­ halb werden, weil Leute unter 18 Jahren Mitglieder bzw. Teilnehmer sind, auch nicht, wenn der Leiter oder Veranstalter die Jugendlichen auf Anweisung nicht hinausweist. Unnötig ist es, die Jugendlichen erst ausdrücklich zum Berlaffen des Saales aufzufordern. Bei der etwa nötig werdenden Feststellung des Alters eines Versammlungsteilnehmers soll nicht rigoros und kleinlich vorgegangen werden. Man kann nicht verlangen, daß man den Geburtsschein bei sich trägt, sondern es genügt jedes Mittel der Glaubhaftmachung eventuell nur die Namensfeststellung, um das Alter nachträglich zu eruieren. Die Bestimmung des § 17 trifft nicht zu aus Privatversamm­ lungen, auf Vereine und Versammlungen von Angehörigen eines bestimmten Berufes oder Standes, welche sich ausschließlich mit Angelegenheiten dieses Berufes oder Standes befaffen; insbesondere nicht auf Versammlungen der in § 152 der GewO, genannten Personenkreise, wenn in denselben ausschließlich die dort bezeichneten Zwecke erörtert werden. lVgl. hiezu auch Anm. zu Abs. 3 des § 6, oben S. 94 ff.). Es war wiederholt vom Zentrum der Antrag gestellt in § 10 a (jetzt § 17) als Abs. 2 zu bestimmen: „Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf Vereine und Versammlungen von Angehörigen eines bestimmten Berufes oder Standes, welche sich ausschließlich mit Angelegenheiten dieses Be­ rufes oder Standes befassen, auch dann nicht, wenn hiedurch eine Einwirkung auf Gesetzgebung und Verwaltung bezweckt wird; — insbesondere nicht auf Versamnllungen der in § 152 der Gewerbe­ ordnung genannten Personenkreise, wenn in denselben ausschließ­ lich die dort bezeichneten Zwecke erörtert werden." Es muß auch hier wieder daran erinnert werden, daß der § 6 Abs. 3 lediglich deklaratorische Bedeutung bat. Da die Versamm­ lungen nach 8 6 Abs. 3 keine politischen sind, so ist insofern der Antrag überflüssig gewesen und wurde auch deswegen abgelehnt (f. unten die VollzBO. vor allem von Bayern, Württemberg, Sachsen). Die Folgerung, die Delius S. 494 aus der Ablehnung zieht, ist sonach unrichtig. Im übrigen siehe bezüglich des Begriffes der politischen Vereine oben § 3 (S. 53 u. 55 ff.), bezüglich des Begriffes der politischen Versammlungen oben § 5 (S. 74 ff.). — Der § 17 schließt sohin die Jugendlichen von 2 Klassen von Versammlungen aus:

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Bereinsgesetz vom 19. April 1908.

1. im Gegensatze zu allen anderen Bestimmungen deS Gesetzes, von den bloßen Vereinsversammlungen politischer Vereine, also auch wenn diese nicht öffentliche sind. 2. von den öffentlichen politischen Versammlungen im Sinne der 88 5 und 7 des Gesetzes. Von der Regel zu 1. ist eine Ausnahme gemacht zugunsten von Veranstaltungen zu geselligen Zwecken, zu welchen auch solche Jugendliche Zutritt haben; also zu Tanzunterhaltungen, musikalischen, theatralischen Unterhaltungen usw. von politischen Vereinen dürfen Jugendliche zugelaffen werden (f. auch unten Ziff. 5). Auch die Anwesenheit als bloßer Hörer ist bei diesen Ver­ sammlungen, die § 17 nennt, ausgeschloffen. Das gleiche, was von den Vollversammlungen gilt, gilt von den Ausschußsitzungen usw., soweit es sich um politische Vereine handelt. Anderseits macht ein gelegentlicher Toast mit politischen Wendungen bei einer geselligen Veranstaltung nicht strafbar. Ebenso machen einige Bemerkungen politischen Inhalts in einer Versammlung diese nock mcht zur „politischen". Eine politische Versammlung ist nach § 5 nur eine solche, die zur Erörterung politischer Angelegenheiten ver­ anstaltet ist (s. im übrigen § 5). Selbstverständlich ist, daß Jugendliche unter 18 Jahren Mit­ glieder von nichtpolitischen Vereinen sein können und dürfen, wie z. B. Gesellenvereinen, Turnvereinen, Gesangvereinen, Sport­ vereinen, Jünglingsvereinen, gewerkschaftlichen, wisienschaftlichen und ähnlichen Vereinen u. dgl. Ebenso dürfen sie Versammlungen anwohnen, die nicht öffentlich und nicht politisch sind (f. unten die Erklärung des bahr. Ministers des Innern). Mittelschülern, Studenten, Akademikern usw. kann zwar der Besuch von gewissen Versammlungen sowie die Teilnahme an gewissen Vereinen disziplinarisch verboten sein, diese Be­ stimmungen können aber ihr Versammlungsrecht, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht beseitigen. Hier kollidieren also Rechte und Pflichten. Es wird daraus zu folgern sein, daß vor allem die Statuten der Universitäten und anderen Hochschulen mit großem Takte und schuldiger Rücksicht vor dem staatsbürgerlichen Rechte der Schüler in dieser Richtung abzufassen sind und jede zu große Härte vermieden wird, da die capitis deminutio gegen­ über dem „Lehrling und Schüler", der jetzt im Gegensatze zum bisherigen preuß. Rechte als solcher keinen Beschränkungen mehr unterliegt, der Anstalt selbst zum Schaden gereichen muß. Sind trotzdem gegensätzliche Statuten erlassen, so geschieht freilich der Besuch bzw. die Teilnahme unter denl Risiko disziplinarischen Einschreitens. 5. In welchem Augenblick eine Versammlung zu einer öffent­ lichen politischen Versammlung wird, z. B. Sommer- und Wald feste, welche einzelne Parteien abhalten, ist Tatsrage. Aber wenn eine Partei ein Fest abhält, zu welchem auch die Frauen und Töchter und sonstige Familienglieder der Parteiangehörigen mit eingeladen werden, so spricht die Vermutung dafür, daß der Haupt­ zweck einer derartigen Versammlung kein politischer, sondern ein

geselliger ist, und daher die Bestinimungen, die für die politischen Versammlungen unter freiem Himmel gelten, für solche gesellige Vereinigungen nicht Platz greifen. Aber auch dies ist Tatfrage. (Erklärung des württ. Staatsministers des Innern in der 82. Sitzung der 2. württ. Kammer vom 8. Mai 1908). Die Norm des § 17 hindert nicht die Einberufung einer öffent­ lichen, politischen Versammlung durch eine jugendliche Person, die der Versammlung selbst nach § 17 nicht anwohnen kann.

A«S de« Au-fuhruAgS-estimmunge« der BuudeSstaate« -« 8 17. Bayern. Zu 817 hat die bayrische Regierung in ihren Vollzugsanweisungen eine wichtige Bestimmung erlaffen. Sie lautet: „Nach dieser Bestimmung sind Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, von politischen Vereinen und deren Versammlungen, soferne es sich nicht um Veranstaltungen zu (leselligen Zwecken handelt, und von öffentlichen politischen Ber» ammlungen ausgeschloffen. Das Verbot des § 17 erstreckt sich daher nicht auf die oben in Ziff. 7 Abs. 2 bezeichneten Vereine und nicht auf die in 8 6 Abs. 3 des Gesetzes bezeichneten Versamm­ lungen, insbesondere nicht auf gewerkschaftliche Versammlungen, insoweit sich deren Verhandlungen aus die Erörterung der dort­ selbst bezeichneten Fragen beschränken." Der Minister des Innern v. Brettreich hat in der bayrischen AbgK. am 18. Mai 1908 sich über 8 17 wie folgt, ausgesprochen: „Im Lause der Verhandlungen im Reichstage hat sich ergeben, daß man, um das Gesetz zustande zu bringen, in dieser Richtung eine Einschränkung eintreten lassen müsse. Wegen dieser Aenderung kann aber nicht gesagt werden, daß das Gesetz ein Ausnahmegesetz für die Jugendlichen geworden ist. Minderjährige nach vollendetem 18. Lebensjahr können ungehindert unb ohne Einschränkung poli­ tischen Vereinen angehören und in politische Versammlungen gehen und, soweit die Minderjährigen jünger als 18 Jahre sind, sind sie nur von politischen Vereinen und Versammlungen ausgenommen, dagegen können sie innerhalb des Rahmens des 8152 RGewO. an dem ganzen gewerkschaftlichen Leben teilnebmen. Sie können sich auch an Vereinen zu beruflicher und wissenschaftlicher Ausbildung, sowie zu sittlicher Erziehung beteiligen. Wenn dann jugendliche Personen unter 18 Jahren vom eigentlichen politischen Leben serngehalten werden, so erachte ich das absolut für kein Unglück. Im Gegenteil, ich betrachte das als einen Segen für das öffentliche Wohl und das ganze Vaterland."

Württemberg. Für Württemberg bestimmt Ziff. XII der Bollzugsvorschrift: ^Die Teilnahme an den in Nr. 3 bezeichneten Vereinen (Gewerk­ schaften usw. s. oben 8 3) und an den in § 6 Abs. 3 des Gesetzes aufgesührten Versammlungen steht auch Personen, welche das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, frei." Ueber das Verbotin Württemberg, während derVersammlung Er­ hebungen über das Alter der Teilnehmer anzustellen, s. oben bei 8 13.

Sachse«.

tBO. vom 24. Mai 1908 Ziff. 13): „Die Anwesenheit von Personen unter 18 Jahren in Ver­ sammlungen politischer Vereine oder in öffentlichen politischen Ver­ sammlungen ist kein Auflösungsgrund, begründet aber die Straf­ barkeit nach 8 18 Ziff. 5 und 6 des Gesetzes; der Polizeibeauftragte hat sich also gegebenenfalls auf die Namensfeststellung des Betreffen­ den zu beschränken. An sich kann nunmehr auch eine Person unter 18 Jahren eine öffentliche politische Versammlung einberufen, doch darf sie selbst in der Versammlung nicht anwesend sein. Hinsichtlich der Teilnahme von Personen unter 18 Jahren an Gewerkschaften und an den im § 6 Äbs. 3 des Gesetzes genannten Versammlungen gilt das unter 3 a und 7 Gesagte, wonach zunächst davon aiMugehen sein wird, daß der Teilnahme Jugendlicher von vornherein — d. h. bei Beschränkung der Zwecke auf Berufs- und Standesintereffen — im Sinne des Gesetzgebers keine Schwierigkeiten zu bereiten sind." Strasteftim««»gen für Vereine n. Bersammlangen. Nebertretnngen.

K Io.

Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark^), an deren Stelle im Unvermögensfalle Haft tritt, wird bestraft-): 1. wer als Vorstand oder als Mitglied des Vorstandes eines Vereins den Vorschriften über die Einreichung von Satzungen und Verzeichnissen (§ 3 Abs. 2 bis 4) zuwiderhandelt; 2. wer eine Versammlung ohne die durch §§ 5, 6, 7, 8, 9 dieses Gesetzes vorgeschriebene Anzeige oder Bekanntmachung veranstaltet oder leitet; 3. wer als Veranstalter oder Leiter einer Versamm­ lung den Beauftragten der Polizeibehörde die Ein­ räumung eines angemessenen Platzes verweigert (§ 13 Abs. 2); 4. Wer sich nach Erklärung der Auflösung einer Ver­ sammlung nicht sofort entfernt (8 16); 5. wer als Vorstand oder als Mitglied des Vorstandes eines Vereins entgegen den Vorschriften des § 17 dieses Gesetzes Personen, die das achtzehnte Lebens-

jähr noch nicht vollendet haben, in dem Vereine duldet; 6. wer entgegen den Vorschriften des § 17 dieses Ge­ setzes in einer Versammlung anwesend ist. (Die Kommentierung geschieht bei 88 18 ff. nach den Absätzen und Ziffern des Gesetzestextes).

Bisheriges Recht. Bon den zahlreichen Strafbestimmungen der früheren Landesgesetze sind hier nur diejenigen aufgezählt, welche den einzelnen Strafbestimmungen des 8 18 des RBG. entsprechen: Der Ziff. 1 des 818 entsprechen in Preußen die Bestimmungen der 88 2 und 13 des Gesetzes vom 11. März 1850 (s. unten An­ hang), die Geldstrafen von 5 bis 50 Talern und Gefängnisstrafen von 8 Tagen bis 6 Wochen androbten; im Königreich Sachsen war nach 88 19 und 33 des Gesetzes vom 22. November 1850 Geldstrafe von 1 bis 50 Talern oder Gefängnisstrafe von 3 Tagen bis 3 Monaten vorgesehen; in Württemberg sah der Art. 9 des PStG, vom 27. Dezember 1871 Geldstrafe bis ju 36 M vor; in Mecklenburg-Schwerin war nach 81 und 87 Abs. 1 Ziff. 1 der Verordnung vom 2. Mai 1877 Geldstrafe bis 150 m oder Haftstrafe vorgesehen; dieselben Strafen hatte MecklenburgStr elitz in 8 2 mit 88 Ziff. 2 der Verordnung vom 19. Februar 1891 vorgesehen; Schwarzburg-Rudolstadt verlangte die Vorlage der Satzungen und ahndete nach 8 10 der Verordnung vom 23. Mai 1856 in der Fassung des 8 11 des Gesetzes vom 5. Januar 1894 Unterlassungen mit Jndividualstrafen bis zu 50 Talern oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten; Schwarzburg-Sonders­ hausen kannte in 88 1, 2, 5 mit §10 des Ges. vom 9. Juni 1856 in der Fassung des Ges. vom 1. Juli 1884 dieselben Strafen; in Reuß längerer Linie war in §3 mit 8 17 des Ges. vom 5. Juli 1852 bestimmt, daß jeder Vorsteher eines Vereins u. a. bei Unterlassung der Einreichung der Statuten und des Namens­ verzeichnisses der Vorstandsmitglieder mit Geldbuße von 5 bis 50 Talern bestraft wurde, insofern er nicht nachweisen konnte, daß die Erfüllung dieser Vorschrift ganz ohne sein Verschulden unterblieben war; in Lübeck war durch 8 1 mit 8 9 des Ges. vom 15. September 1888 eine Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen angedroht; desgleichen fanden sich in Bremen in 8 2 mit 88 4 und 5 des Ges. vom 22. März 1871 Geldbußen bis zu 50 Talern oder Hast bis zu 6 Wochen angedroht? dieselbe Bestimmung fand sich in §8 9 und 12 des Hamburgischen Gesetzes vom 19. Mai 1893; das elfaß-lothringische Gesetz vom 21. Juni 1905 drohte in 8 3 mit 8 18 Geldstrafen bis zu 50 M und im Unvermögensfall Haft bis zu 10 Tagen an. (Vgl. des näheren auch oben S. 51 und 52). Ziff. 2: Ueber die Anzeigepflicht s. im einzelnen die Aus­ führungen oben S. 69.

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BereinSgesetz vom 19. April 1908.

Für Unterlassungen der Anzeigen hatte Preußen in § 12 der Verordnung vom 11. März 1850 eine Geldbuße von 5 biS 50 Talern oder Gefängnisstrafe von 8 Tagen bis zu 6 Wochen; Bayern kannte Geldstrafen bis zu 100 Gulden; Königreich Sachsen Geldstrafen von 1 bis 50 Talern oder Gefängnis­ strafe von 3 Tagen bis 3 Monaten; Württemberg Geld­ strafen bis zu 36 M; Baden für einfache Teilnehmer Geld­ strafen bis zu 150 M oder Haft bis zu 4 Wochen, für Vorsteher bzw. Veranstalter oder Leiter Geldstrafen bis zu 600 M oder Gefängnis bis zu6Monaten; Mecklenburg-Schwerin Geld­ strafen bis zu 150 M oder Haft: Grobherzogtum Sachsen Geldstrafen bis zu 50 Talern oder Haft bis zu 6 Wochen; Mecklenburg- Strelitz Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; Oldenburg Ordnungsstrafen von Ibis 10 Talern oder ent­ sprechende Gefängnisstrafe; Braunschweig Geldstrafen von 10 bis 50 Talern; Sachsen-Meiningen Geldstrafen bis zu 85 M oder Haft bis zu 14 Tagen: Sachsen-Altenburg Geld­ strafen bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; Anhalt Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnisstrafe von 8 Tagen biszu6Wochen; Schwarzburg-Rudolstadt Geld­ strafe bis zu 1503s oder Haft bis zu 6 Wochen; SchwarzburgSondershausen Geldstrafe bis zu 150 M oder Haststrafe: Reuß älterer Linie Geldstrafe bis zu 1503s oder Haftstrase bis zu 6 Wochen; Reuß jünger er Line Geldbuße von 5 bis 50 Talern oder Gefängnisstrafe von 8 Tagen bis zu 6 Wochen; Lippe Geld­ strafe bis zu 50 M oder Haft; Lübeck Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; Bremen Geldbuße bis zu 50 Talern oder Hast bis zu 6 Wochen; Hamburg Geldstrafen bis zu 150 M oder Haft; Elsaß-Lothringen desgleichen. Zifs. 3: In Preußen bestanden Strafbestimmungen mit Geld­ bußen von 10 bis 100 Talern oder Gefängnis von 14 Tagen bis zu 6 Monaten; in Bayern mit Geldstrafen bis zu 100 Gulden; im Königreich Sachsen konnte die Versammlung geschlossen werden; in Baden war Geldstrafe bis zu 6003/ oder Gefängnis bis zu 6 Monaten angedrobt; in Mecklenburg-Schwerin Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; desgleichen MecklenburgStreliß; Braunschweig Gefängnisstrafe von 8 bis 14Tagen; Sachsen-Meiningen Geldstrafen bis zu 85 3/ oder Haft bis zu 14Tagen; Sachsen-Altenburg polizeiliche Ordnungsstrafe von 1 bis 50Talern oder entsprechende Gefängnisstrafe; Anhalt eine Geldbuße von 10 bis 100 Talern oder Gefängnis von 14 Tagen bis zu 6 Wochen; Schwarzburg-Rudolstadt Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; SchwarzburgSondershausen Geldstrafen bis zu 50 Talern oder Haft; Reuß älterer Linie Geldstrafen bis 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; Reuß jüngerer Linie Geldbuße von 10 bis 100 Talern oder Gefängnis von 14 Tagen bis zu 6 Monaten; Schaumburg-Lippe Geldstrafen von2—10Talern, im Unver­ mögensfall entsprechende Haftstrafe, für Schüler Schulstrafen; Lippe Geldstrafe bis 300 M oder Gefängnis bis zu 3 Monaten; Lübeck Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen;

Hamburg bis zu 150 M oder Haft; Elsaß-Lothringen Geldstrafe bis zu 50 M oder im Unvermögensfall Haft bis zu 10 Tagen (vgl. oben bei § 13). Ziff. 4: In den einzelnen Bundesstaaten waren folgende Strafen angedroht, wenn sich die Beteiligten nach Auflösung einer Versammlung nicht sofort entfernten: in Preußen: Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu drei Monaten; in Bayern Gefängnisstrafe bis zu 1 Jahr oder falls mildernde Umstände Vorlagen, Geld­ strafe bis zu 1OO Gulden; im Königreich S a ch se n Geldstrafe von 1 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 3 Tagen bis zu 3 Monaten; in Baden Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 4 Wochen, eventuell war Anwendung von Gewalt zulässig; in Mecklen­ burg-Schwerin Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; im Großberzogtum Sachsen Geldstrafe bis zu 50 Talern (150 M) oder Haft bis zu 6 Wochen; in Mecklenburg-Strelitz Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in Oldenburg Ordnungsstrafe von 1 bis zu 10 Talern oder entsprechende Gefängnisstrafe; in Braunsch weig Gefängnis von 14 Tagen bis zu 6 Monaten; in SachsenMe in in gen Geldstrafe bis au 85 M oder Haft bis zu 14 Tagen; in Sachsen'Altenburg polizeiliche Ordnungsstrafe von Ibis 50 Talern oder entsprechende Gefängnisstrafe; in Anhalt Geld­ buße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3Monaten; in Schwarzburg-Rudolstadt Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; in SchwarzburgSondershausen Geldstrafe bis 50 Talern oder Haft; in R e u ß allerer Linie Geldstrafe bis 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; in Reuß jüngerer Linie Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten; in Schaumburg-Lippe Geldstrafe von 2 bis zu 10 Talern oder im Unvermögenssall mit entsprechender Haftstrafe, für Schüler Schulstrafen; in Lippe Geldstrafe bis zu 50 M oder Haft; in Lübeck Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; in Bremen Geldbuße bis zu 50 Talern oder Haft bis zu 6 Wochen; in Hamburg Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in ElsaßLothringen Geldstrafe bis zu 300 M oder Gefängnis bis zu 3 Monaten. Ziff. 5: Aehnliche Vorschriften in bezug auf Minderjährige re.: in P reuße n mit Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten; in Braunschweig Geldstrafen von 5 bis zu 10 Talern; in Anhalt Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten; in Reuß jüngerer Linie Geldbuße von 5 bis zu 50 Talern oder Gefängnis bis zu 3 Monaten; in Lippe Geldstrafe bis 150 M oder Haftstrafe; in Elsaß-Lotbringen Geldstrafe bis zu 50 M oder im Unvermögensfall Haft bis zu 10 Tagen (f. oben bei § 1 unter D. S. 24). In einzelnen Staaten konnten Vereine, die Minderjährige 2c. als Mitglieder batten, ausgelöst werden.

Ziff. 6: Während einige Staaten, so z. B. Preußen Bestim­ mungen hatten, wonach Versammlungen aufgelöst werden konnten,

wenn anwesende Schüler oder Lehrlinge auf die Aufforderung der anwesenden Beauftragten der Polizeibehörde nicht entfernt wurden, hatten andere Staaten Strafen angedroht, wie Ziff. 6 des § 18 des RBG. So war in Bayern Geldstrafe bis zu 100 Gulden vorgesehen; im Königreich Sachsen Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu6Wocken; inMecklenburg-Schwerin Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft, wenn sie sich auf Verlangen des Vorsitzenden aus der Versammlung nicht entfernten; desgleichen in SachsenAltenburg; in Anhalt Geldbuße von 1 bis zu 5 Talern: in Schwarzburg-Rudolstadt Geldstrafe bis zu 150M oder Haft bis zu 6 Wochen; in Schwarzburg-Sondershausen des­ gleichen; in Reuß älterer Linie desgleichen; in Reuß jüngerer Linie Geldbuße von5bis zu50Talern; in Lübeck Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen (außerdem konnten solche Versammlungen, an denen Minderjährige teilnahmen, aufgelöst werden); in Elsaß-Lothringen Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft.

Die Verschiedenartigkeit der Strafbestimmungen bei denselben Reaten von strafbaren Handlungen dürfte zur Genüge die durch das RBG. geschaffene Einheitlichkeit rechtfertigen. Dazu kommt noch, daß zahlreiche weitere Strafbestimmungen und Beschränkungeir einzelner Bundesstaaten ganz weggefallen sind, die den Wert und den Fortschritt der neuen Gesetzgebung dartun. Die Strafvorschriften in §§ 18 u. 19 sind wesentlich milder und nicht so zahlreich wie in den früheren Vereinsgesetzen, namentlich dem preuß. Vereinsgesetz. Weggefallen ist u. a. die Vorschrift des letzteren Gesetzes, wonach die Teilnehmer einer nicht genehmigten Versammlung unter freiem Himmel und die Teilnehmer an einem Auszuge bestraft werden konnten; ferner ist weggefallen die Be­ stimmung, wonach derjenige bestraft wurde, der aufforderte, in einer Versammlung mit Waffen zu erscheinen oder die Aufforderung hiezu verbreitete, oder in einer Versammlung Waffen austeilte.

Reichsgesetz. In der Kommission wandten sich die Parteien gegen zahlreiche weitere Strafvorschriften. Auf Antrag der Blockparteien wurde die einzige Strafvorschrift des § 11 des Entwurfes in zwei Bestimmungen in §§ 18 und 19 geteilt. 1. Die in diesem Paragraphen aufgezählten Reate sind Uebertretungen, gehören also zur Zuständigkeit der Schöffengerichte, so­ weit sie nicht durch amtsrichterliche Strafbefehle (§§ 447 ff. StPO.) ihre Erledigung finden. Wo nach Landesgesetzen die Polizeibe­ hörden zur Erlaffung von Strafverfügungen nach §§ 453 ff. StPO, befugt sind, können sie auf diesem Wege zur Erledigung gebracht werden. Strafbefehle sind zulässig (s. Löwe; auch Sartor 1908 S. 149). „Im Unvermögensfall"; Die Geldstrafe ist ohne Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit, sogar wenn die Zahlungsunfähigkeit des Verurteilten im voraus feststeht, jedesmal in erster Linie aus-

zusprechen und nur für den Fall der nachgewiesenen Uneinbringlichkeit derselben die eventuell eintretende Freiheitsstrafe festzuseden bzw. die Geldstrafe in letztere umzuwandeln. RGSt. vom 16. Juni 1884 (Reger V S. 18). Der Höchstbetrag der Haftstrafe ist sechs Wochen (§ 18 StGB.), der Mindestbetrag ist ein Tag. Die Strafverfol­ gung von Uebertretungen verjährt in drei Monaten.

2. Ein Mißbrauch der Amtsgewalt wäre es, wenn ein Beamter über die Bestimmungen dieses Gesetzes hinaus lediglich aus der Tatsache, daß gewisse Personen an Vereinen oder Versammlungen teilgenommen oder die Räume dafür hergegeben haben, den Grund entnimmt, eine gewerbliche Konzession, die Ausdehnung der Polizei­ stunde, die Erlaubnis zur Abhaltung von Lustbarkeiten oder der­ gleichen vorzuenthalten, zu beschränken oder zu entziehen. (KommB. S. 99.) Bei der Beratung dieser Bestimmung ist u. a. — infolge entsprechender Anträge auf Strafbarkeit in solchen Fällen — auch die Frage zur Besprechung gekommen, ob es ar^gängig ist, aus der Hergabe von Räumen zu politischen Versammlungen oder dgl. eine Beschränkung z. B. hinsichtlich der Schank­ erlaubnis, der Polizeistunde, der Tanzgenehmigungen rc. herzuleiten. Hiezu hat ein Regierungsvertreter erklärt: „Die Voraussetzungen, unter denen die Erteilung der Genehmigung zum Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft versagt werden könne, seien in der GewO. (§ 33) erschöpfend geregelt. Die Erteilung der Konzession etwa unter der Bedingung, daß der Gast- oder Schankwirt nicht an gewissen Vereinen oder Ver­ sammlungen teilnehmen oder sein Lokal nicht für die Veranstaltung einer Versammlung hergebe, würde hienach, falls sie vorgekommen sein sollte, dem Gesetze widersprechen und für unzulässig zu erachten sein. (KommB. S. 95 ff. und 153 ff.). In der Kommission wurde folgender Antrag gestellt, aber ab­ gelehnt : „Beamte, Beauftragte und Abgeordnete der Polizeibehörde, die Personen, welche an Versammlungen oder Vereinen teil­ genommen oder die Räume dafür hergegeben haben, aus diesem Grunde gewerbliche Konzessionen, z. B. die Schankerlaubnis, die Ausdehnung der Polizeistunde, die Erlaubnis zur Abhaltung von Lustbarkeiten oder ähnliches vorenthalten, beschränken oder entziehen, oder ihren Arbeitgebern oder anderen Personen, von denen sie tat­ sächlich oder rechtlich abhängig sind, Mitteilung davon machen, oder ihnen sonstige Nachteile irgendwelcher Art zufügen, desgleichen Personen, die zu solchen Handlungen Beihilfe leisten, werden mit Geldstrafe bis zu 300 M bestraft, sofern nicht die Strafe des § 339 des StGB, verwirkt ist". Der Staatssekretär erklärte hiezu: „Ich erachte es als Miß­ brauch der Amtsgewalt, wenn ein Beamter lediglich aus der Tat­ sache, daß Personen an Vereinen oder Versammlungen teilgenomnien oder die Räume dafür hergegeben haben, den Grund entnimmt, eine gewerbliche Konzession, die Ausdehnung der Polizeistunde, die Er­ laubnis zur Abhaltung von Lustbarkeiten oder dgl. vorzuenthalten, zu beschränken oder zu entziehen. Die Tatbestände, in denen ein

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Bereinsgesetz vom 19. April 1908.

Mißbrauch der Amtsgewalt strafbar sei, seien im StGB, bestimmt. Es würde ein legislativer Fehler sein, gelegentlich des Vereingesedes neue Tatbestände für einen strafbaren Ä^ißbrauch der Amtsgewalt aufzustellen, die in der geeigneten Abgrenzung bereits durch das» StGB, getroffen werden." (KommB. S. 99.) Er erklärte weiter tKommB. S. 98): „Die Voraussetzungen, unter denen die Er­ teilung der Genehmigung zum Betrieb einer Gast- oder Schank­ wirtschaft versagt werden könne, seien in der Gew.O. (8 33) er­ schöpfend geregelt. Die Erteilung der Konzession etwa unter der Bedingung, daß der Gast- oder Schankwrrt nicht an gewissen Vereinen oder Versammlungen teilnehme oder sein Lokal nicht für die Veranstaltung einer Versammlung hergebe, würde hienach, falls sie vorgekommen sein sollte, dem Gesetze widersprechen und für unzulässig zu erachten sein. — Gegenüber der von einem Vorredner geäußerten Möglichkeit, daß von Polizei­ beamten falsche Berichte über den Verlauf einer Versammlung ihrer vorgesetzten Behörde eingereicht, Tatbestände unterdrückt oder unrichtige Anzeigen erstattet werden könnten, bieten die einschlägigen Vorschriften des StGB., namentlich die 88 164, 348 ff., genügen­ den Schutz."

Ziffer 1. Nach einem Urt. d. preuß. KG. vom 17. November 1898 — GoltdArch. Bd. 46 S. 382 — dauert die Verpflichtung, die Statuten (Satzungen) der Polizeibehörde einrureichen, solange fort, bis die Verpflichtung erfüllt oder die Erfüllung unmöglich ge­ worden ist, z. B. durch Ausscheiden der Vorstandsmitglieder oder weiter durch Auflösung des Vereins (vgl. 8 3 Abs. 2—4). Andere Personen, welche erst nach Ablauf der 2 Wochen (vgl. 8 3 Abs. 2) nach der Errichtung des Vereins Vorstand oder Mitglied des Vor­ standes desselben werden, sind nach dem Wortlaut des Gesetzes zur Einreichung der Satzungen nicht mehr verpflichtet, und wenn sie solches nach Ablauf jener Frist unterlassen, nicht strafbar. Diese Ansicht deckt sich sowohl mit zahlreichen Entscheidungen des Reichs­ gerichts in Strafsachen über die Verjährung bzw. den Beginn der Strafverfolgungsverjtthrung bei Ommissiv-Delikten, als auch nament­ lich mit dem Urt d. preuß. KG. vom 4. Juli 1898 — GoltdArch. Bd. 46 S. 385. Unberührt bleibt selbstverständlich die Pflicht des späteren Vorstands nach Abs. 3 des 8 3. Ueber den Begriff „Vorstand" vgl. oben Anm. 5 zu 8 3 (S. 63). Eine irrige Auffassung des Begriffes „Verein- auf feiten der Bereinsorgane schützt nicht vor Strafe, da ein Verkennen der strafrechtlichen Normen vorliegt; vgl. Urteil des RGSt. vom 2. November 1888 — Reger Bd. IX S. 470. — Beim Vorliegen eines Irrtums über Tatsachen siehe u. a. Biff. 2 Abs. 5. Jedes Vorstandsmitglied, das ein Verschulden trifft, ist straf­ bar; das Verschulden kann entweder vorsätzlich oder fahrlässig sein; es gelten hierüber die allgemeinen strafrechtlichen Grund­ sätze. Auf die innere Geschäftsordnung des Vorstands kommt es nicht an. Auch dasjenige Vorstandsmitglied, dem nur die Führung der Kasse oder die Kontrolle und Revision derselben speziell über-

tragen ist, kann sich der Verpflichtung, welche § 3 ihm auferlegt, nicht entziehen. tKG. vom 30. Juni 1892 und 16. November 1893 bei Groschuff S. 74 Anm. 2); vorausgesetzt ist aber dabei wiederum, daß dieses Vorstandsmitglied ein Verschulden trifft. Ob ein Mitglied seinen Rücktritt von der leitenden Stellung erklärt hat, ist unerheblich, wenn nicht zugleich organische Ver­ änderungen in dem Verein stattgefunden haben, durch die er die Vorsteherschast verloren hat. (ft®. DIZ. 1906 Sp. 971). Da in 83 die Verpflichtung dem Vorstand schlechthin aufer­ legt ist, so ist auch hier die Haftbarkeit jedes Vorstandsmitgliedes begründet. Den Nachweis eines besonderen Verschuldens wird man auch nicht fordern dürfen, vielmehr gilt das Unterbleiben der in § 3 vorgeschriebenen Anzeigen und Einreichungen von vornherein als schuldhaftes Zuwiderhandeln jedes Vorstandsmitgliedes gegen die Vorschriften des Gesetzes. Jedoch mutz auch hier dem einzelnen Mitglied der Beweis offen bleiben, daß die Ünterlaffung ganz ohne sein Verschulden erfolgt sei. Erhält ein Vorstandsmitglied den Auftrag zur Erfüllung der Verpflichtungen aus § 3, unterläßt dies jedoch, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder nach § 18 Ziff. 1 strafbar, wenn sie sich nicht darum bekümmert haben, ob ihr Auf­ trag auch tatsächlich ausgeführt ist. (KG. vom 16. Nov. 1893, GoltdArch. Bd. 41 S. 318 und KG. 5. Dez. 1901 bei Groschuff S. 74, DIZ. 1906 S. 970). Die sämtlichen Vorstandsmitglieder müssen die Einreichung der Satzungen und das Vorstandsmitgliederverzeichnis kontrollieren. Die Vorstandsmitglieder müssen Vorkehrungen treffen, die ihnen die Kontrolle ermöglichen; dadurch, daß sie dem Schriftführer die Anzeige übertragen und sich lediglich auf seine wahrheitswid­ rige Auskunft verlassen, können sie sich von ihrer Verantwortlichkeit nicht befreien. (KG. vom 5. Dezember 1903, DIZ. 1903 S. 550). Diese Entscheidungen gehen sehr weit; hat z. B. der Schrift­ führer erklärt, daß er die Eillreichung besorgt hat, so wird dies in der Regel die anderen Vorstandsmitglieder entlasten, da diese doch nicht annehmen können, daß sie ihr Vorstandskollege belügt. Der Unterlassung der Einreichung der Satzungen und Verzeich­ nisse steht es gleich, wenn unrichtige Satzungen und Verzeichnisse eingereicht werden. Unrichtige Satzungen liegen nicht nur dann vor, wenn die Fassung der eingereichten Urkunden mit den tatsächlich vereinbarten Satzungen nicht übereinstimmt, sondern auch dann, wenn die Satzungen rc. die Absichten des Vereins nicht richtig wiedergeben, wenn somit keine Offenheit zwischen dem Verein und der Staats­ behörde erhielt wird. (Caspar S. 106). Die Satzungen und deren Abänderungen müssen, sofern nicht Ausnahmen von der höheren Verwaltungsbehörde (vgl. § 21) zu­ gelassen sind, in deutscher Sprache eingereicht werden, wid­ rigenfalls Bestrafung eintritt. Abgesehen von § 12 hat das Reichsvereinsgesetz nur in § 3 Abs. 4 bezüglich der Abfassung der Satzungen in deutscher Sprache diese geregelt. In allen übrigen Fällen, rote bezüglich der Anzeige öffentlicher politischer Versammlungen, Einreichung des Verzeichnisses

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der Vorstandsmitglieder, des Antrags auf Genehmigung einer Ver­ sammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, der von der Polizei erforderten Auskunft, ist im Reichsvereinsgesetz über die Sprache nichts gesagt. In diesen Fällen ist die übliche Geschäfts­ sprache der einzelnen Bundesstaaten maßgebend. Diese ist säst ausnahmslos die deutsche. (Uebereinstimmend Delius S. 467). Wegen der Verjährung siehe Schluß der Anm. 1 oben und Absatz 1 dieser Ziffer.

Ziffer 2. § 18 Ziff. 2 und § 19 Ziff. 1 zitieren beide den 8 7 und 8 9. Dieser scheinbare Fehler rührt daher, daß in der Kommission I. Lesung im Gegensatz zur Regierungsvorlage, welche die jetzigen 88 18 und 19 in ihrem 8 11 zusammengefaßt hatte, letztere Be­ stimmung auseinandergeriffen wurde. Hier wurde richtigerweise die Verfehlung gegen 8 7 (8 4 Abs. 1 nnd 2 des Entw.) unter die schärfere Strafbestimmung des 8 19 (8 11 a der Komm.-Beschl.) gestellt. In II. Lesung wurde als „Kompromißantrag" ein Antrag in der Fassung der nunmehr geltenden Bestimmungen der 88 18 und 19 eingebracht, der in Ziff. 3 des 8 18 den 8 4 und den in II. Lesung ergänzend aufgenommenen 8 4b, jetzt 8 7 zitierte und in 819 (8 Ila) Ziff. 1 das Zitat „8 7" (84 Entw.) durch 89 (84b der KommBeschl.) ergänzte. Diese Beschlüsse H. Lesung wurden in der zweiten und dritten Beratung des Plenums ohne Aenderung angenommen. In Wirklichkeit ist kein Fehler vorhanden, denn während es sich bei den 88 5 mit 8 nm öffentliche politische Versanimlungen in geschloffenen Räumen handelt, handelt es sich um die öffentlichen Versammlungen nach 8 7 hier nur, wenn die in 8 9 Abs. 1 vor­ gesehene, durch landesrechtliche Bestimmung gestattete Bekannt­ machung an Stelle der Genehmigung in Betracht kommt (siehe 8 19 Ziff. 1, wo das Wort „Bekanntmachung" fehlt). Den Ver­ anstalter oder Leiter einer Versammlung nach 8 7 ohne Anzeige oder Genehmigung trifft die Strafe nach 8 19 Ziff. 1. Auch hier, wie in allen 6 Ziffern, handelt es sich um Polizei­ delikte, daher ist vorsätzliches und fahrlässiges Zuwiderhandeln straf­ bar, wenn Schuld vorliegt. Wenn einer irrtümlich glaubt, er habe die polizeiliche Genehmigung erhalten, die Anzeige erstattet usw., ist er straffällig (s. RGSt. vom 15. Januar 1891 und Bd. XXVI S. 265). Der Täter ist also, wie erwähnt, sowohl bei vorsätzlicher als bei fahrlässiger Begehung strafbar. Bewußtsein der Widerrechtlichkeit oder Strafbarkeit ist nicht erforderlich (Johow Bd.6S.251). Irrtum über Tatsachen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, schließt nach 8 59 StGB, die Bestrafung aus, im Fall der Fahrlässigkeit aber nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nickt durch Fahrlässigkeit ver­ schuldet ist. Ob letzteres der Fall, ist Tatsrage. Im allgemeinen gilt, daß, wenn das Gesetz die Zulässigkeit einer Handlung aus­ drücklich an die vorgängige Erfüllung einer polizeilichen Vorschrift knüpft, der Handelnde verpflichtet ist, sich, bevor er die Handlung vornimmt, über die stattgehabte Beobachtung jener Vorschrsst glaub-

haft zu vergewissern, und sich zu diesem Zwecke entlveder die anitliche Bescheinigung der zuständigen Polizeibehörde vorleaen zu lassen oder selbst die nötigen Erkundigungen bei dieser Behörde einzuziehen. (Jobow Bd. 11 S. 302.) Wer sich statt deffen auf die Versicherungen Dritter verläßt, handelt fahrläsiig (GoltdArch. 46 S. 380). Der Unternehmer der Versammlung, welcher einen anderen mit der Anmeldung derselben bei der Polizeibehörde beauftragt hat, muß sich die Bescheinigung der Polizei vorlegen lassen oder selbst die nötigen Erkundigungen einziehen. Unterläßt er das im Vertrauen aus den anderen, so kann er sich bei tatsächlich nicht erfolgter Anzeige nicht mit Unkenntnis schützen (KG. vom 17. No­ vember 1898; DIZ. 1899 S. 135). Hinsichtlich der Frage, ob auch dann eine Bestrafung eintreten könne, wenn der Veranstalter seinerseits alles getan hat, die An­ meldung rechtzeitig zu bewirken, aber seitens der betreffenden Behörde z. B. die Erteilung der Bescheinigung hingezMen oder fiar verweigert wird, ist zu bemerken, daß, wenn der Anmelder einerseits alles getan hat, um die Anzeige ordnungsgemäß zu be­ wirken, eine Bestrafung nicht deswegen eintreten kann, weil die Versammlung ohne die vorgeschriebene Anzeige abgehalten wird; es ermangelt dann für die Strafbarkeit das Willensmoment. Wenn schon bei Uebertretungen nach der Praxis Vorsatz Voraus­ setzung der Strafbarkeit nicht ist, so ist doch auch bei Uebertretungen das Verschuldungsprinzip maßgebend. Konkret ausgedrückt: wenn die Anmeldung rechtzeitig zur Post gegeben ist, kann eine Bestrafung wegen Nichtanmeldung nicht erfolgen. (Erklärung des Regierungsvertreters in der Kommission, KommB. S. 63). Bezüg­ lich der Bekanntmachung nach § 6 Abs., 1 (f. dort das Nähere, vor alleni die landesrechtlichen Vollzugsbestimmungen) muß der Ver­ anstalter sich von der rite erfolgten Bekanntmachung genau überzeugen. Strafe nach Ziff. 2 tritt erst ein, wenn die Versammlung be­ gonnen hat ts. unten). Falls an Versammlungen der Wahlberechtigten nach § 6 Abs. 2 auch Nichtwahlberechtigte teilnehmen (z. B. Frauen, Ausländer), kann eine Bestrafung des Veranstalters oder Leiters nicht er­ folgen, da es sich in § 6 nur um Ausnahmen von der formellen Vorschrift der Anmeldungspflicht, nicht aber um das materielle Recht der Teilnahme an Versammlungen handelt; dieses Recht regelt § 1. Vgl. oben § 6 Anm. 1. Vgl. oben § 7 und § 9 samt Anm. Zur Strafbarkeit des Veranstalters oder Leiters genügt der Umstand, daß politische Angelegenheiten in einer Versammlung erörtert sind (vgl. oben 8 5 S. 70 ff.), nicht schon dann, wenn die Versammlung nur zur Besprechung privater oder öffentlicher Angelegenheiten zusammenberufen war, vielmehr ist die Strafbar­ keit davon abhängig, daß politische Angelegenheiten beraten werden sollten. (Derselben Ansicht ist Caspar S. 75, anderer Meinung Delius S. 500). Geht eine Versammlung, welche ursprünglich nicht zur Er­ örterung politischer Angelegenheiten bestimmt war, doch dazu über, Müller-Schmid, Vereinst,esetz.

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so wird sie freilich anzeigepflichtig. — Ein solcher Lebergang ist nicht anzunehmen, wenn z. B. in einer geselligen Versammlung ein Toast auf einen Fürsten ausgebracht oder sonstwie grlegentlich eine politische Saite berührt wiro (f. auch S. 166 § 17). Es ist nicht erforderlich, datz in der Versammlung sllbst Ver­ anstalter oder Leiter tätig geworden sind und daß eine förmliche Eröffnung und Konstituierung der Versammlung stattgefmden hat. (KG. vom 17. November 1898 DIZ. 1899 S. 135). Mit der er­ zielten Vereinigung einer Anzahl Personen an denr bestimnten Orte und zu dem bestimmten Zwecke, wenn es auch zur Eröffnung und Konstituierung der Versammlung gar nicht gekommen ist (HoltdArch. Bd. XXVI S. 580), ist der Tatbestand der Ziffer 2 erfillt.

Ziffer 3. Wenn dem Beauftragten die Zulaffung ganz verweirert wird, kann die Versammlung nach § 14 Ziff. 3 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 aufgelöst werden. Macht die Polizeibehörde vor der Be­ fugnis der Auflösung keinen Gebrauch, so kann sie hefür eine Strafe nach § 18 Ziff. 3 aussprechen, da letztere Strafbefrgnis auch für den Fall gegeben ist, daß der Beauftragte in der Verammlung gar nicht zugelaffen wird, ebenso wie wenn ihm kein oder kein ange­ messener Platz eingeräumt bzw. auf Verlangen ein solcher rerweigert wird. In § 14 des preuß. Gesetzes und anderen Gesetzen wai dies aus­ drücklich ausgesprochen. Derselben Ansicht ist Friedenthal 1J08 S. 71. Ueber die Begriffe „V e r a n st a l t e r ", „Leiter" s. >ben § 10. „Veranstalter" ist, wer die Versammlung einberuft, veranlaßt oder anregt. Veranstalter können auch mehrere zusamnen sein, auch ein Verein. Siehe auch 8 7. Ueber „angemessenen Platz", über „Beauftregte der Polizeibehörde" usw. s. oben § 13 Abs. 2. Ueber die subjektiven Voraussetzungen siehe oben bi Ziffer 2 S. 176, was hier analoge Anwendung findet. Veranstalter und Leiter sind nicht immer zugbich straf­ bar, wenn einer von ihnen gegen die dortigen Bestmmungen verstoßen bat. Siehe auch Anm. zu Ziff. 3 des § 19. „Versammlung", d. h. öffentliche Versmnmllng, vgl. Anm. 5 zu 8 13 und Anm. 1 zu 8 5. Polizeibehörde s. § 10 u. 8 21 sowie Ausführungsbestinmungen der Bundesstaaten.

Ziffer 4. Versammlung ist auch hier, wie in Ziff. 3, jede öffenliche Ver­ sammlung nach 88 13 und 14 (f. dort). Vgl. auch Anm.l. u. 2 zu 8 16 u. Anm. 8 zu 8 10. Strittig erscheint, ob die Bestrafung auch dann eintitt, wenn die Versammlung ungesetzlich, d. h. aus einem in 8 14 nicht an­ gegebenen Grunde, aufgelöst wurde. Das Karnmerger. Kecht 1907 S. 784) hat die Frage bejaht. Sicher ist, daß die irrtünnche Auf­ fassung der Teilnehmer, daß sie nicht verpflichtet gewesen sein, die für aufgelöst erklärte Versammlung sofort zu verlassen, ein nentschuldbarer strafrechtlicher Irrtum ist: Anders wenn sie nachweisn können.

daß sie die Auflösungserklärung ohne Schuld nicht gehört haben. Siehe Recht 1907 S. 471; Delius S. 488, v. Sartor 1908 S. 153 für bloße Beschwerden bei unrechtmäßigem Grunde, anders Thilo S. 86: Die letztere Meinung erscheint logischer. Die Unmöglichkeit der Folgeleistung schafft natürlich Straflosigkeit; ebenso der schuldlose Mangel an Kunde von der Auflösung. Gleichgültig ist es, von wem der Teilnehmer von der erfolgten Auflösung hört. Die Strafvorschrift richtet sich sogar gegen Eigentümer und Mieter lRGSt. XL S. 300), der sich zu­ nächst einmal entfernen muß, s. auch Delius S. 490. Wird der privatrechtlich Berechtigte durch die Polizei in seinen Rechten ver­ letzt, so kann er nach Maßgabe des BGB. sein Recht verfolgen. Die Bestrafung erfolgt auch, wenn der Beamte vergeffen hat, die Gründe anzugeben, als er die Versammlung aufgelöst hat: Dagegen Beschwerde gegen die Unterlassung der Angabe der Gründe! Eine besondere Aufforderung zum Entfernen nach der Auflösung ist unnötig lWiderstand: § 113 RStGB.) s. auch RGSt. vom 2. Juli 1894, IW. S. 503: Es genügt darnach die Entfernung in einen anderen, vom Saal völlig getrennten Raum lz. B. die Gaststube). Bon Waffengewalt spricht das Gesetz im Gegensatze zu einer Reihe bisheriger Gesetze nicht (f. Delius, der für Preußen auf Allerh. Erlaß vom 4. Februar 1854 MBl. d. i. V. S. 69 und Dienstinstruktion der Gendarmen hinweist). Siehe im übrigen oben bei 88 14 u. 16.

Ziffer 5. Subjektiv ist erforderlich, daß gerade den zu Bestrafenden ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit, vgl. KG. in GoltdArch. XXXIX S. 453, DIZ. 1897 S. 146) trifft. Dazu ist nicht er­ forderlich, daß er bei der Aufnahme des Mitgliedes, welches nicht ausgenommen werden durfte, positiv mitgewirkt hat, sofern er den durch den Verein ausgesprochenen gesetzwidrigen Willen exekutiert. Es ist also jeder strafbar, der, trotzdem er weiß oder wissen muß, daß solche Mitglieder vorhanden sind, dem Verein als Vorstand usw. angehört (5R®St. XXVIII S. 71). Auch genügt es, wenn der Vorstand usw. weiß, daß der Verein eine Einwirkung auf gewisse Angelegenheiten bezweckt, sofern diese im Sinne des Gesetzes „politische" sind: irrtümliche Annahme des Vorstandes usw., die betr. Zwecke seien „nicht politische", schützt nicht vor Strafe (RGSt. XV S. 309). Nur die Vorstandsmitglieder sind strafbar. Ihre Strafbarkeit ist, wie betont, nicht durch einen besonderen strafrechtlichen Dolus bedingt und es ist ausreichend, daß die mit Strafe bedrohte Handlung aus der freien Willensbestimmung des Täters hervorgegangen ist, insbes. ist „das Bewußtsein, daß der Verein ein politischer ist, mit Rücksicht auf den polizeilichen Charakter der Strafvorschrift nicht als Vorbedingung und Voraussetzung für die Bestrafung zu erachten". lDelius 1908 S. 502.) Haben z. B. die Vorsteher usw. geglaubt, „daß sozialpolitische Erörterungen nicht als politische" anzuseyen seien, so kann ein solcher Rechtsirrtum, eine solche unrichtige Auffassung des Gesetzes nicht exkulpieren, auch dann nicht, wenn bei der Polizei12*

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behörde selbst Zweifel über die Qualität der fraglichen Vereine bestanden haben sollten (KG. vom 13. März 1884, Johow VI S. 301; RGSt. vom 18 Februar 1887 Bd. XV S. 309). Ziff. 5 ist ein Dauerdelitt. Die Verjährung beginnt mit der Beendigung der gesetzwidrigen Mitgliedschaft; vgl. Schluß der Anm. 1 oben und Abs. 1 der Anm. Ziff. 1. Die Mitgliedschaft an einem Verein selbst ist für den Jugendlichen selbst dann nicht strafbar, wenn er durch falsche Angaben über sein Alter die Aufnahme erwirkt bat (s. Ziff. 6). Der Vorstand ist aber nicht verpflichtet, eine besondere Prüfung anzustellen, ob eine Person bereits 18 Jahre alt ist: Es genügt die glaub­ würdige Versicherung. Bei öffentlichen politischen Versammlungen ist der Veranstalter oder der Leiter derselben nicht strafbar, wenn er Personen unter 18 Jahren in derselben duldet; vgl. § 18 Ziff. 6. Anders ist es, wenn eine nicht öffentliche politische Vereins­ versammlung in Frage steht. Hier kommt Ziff. 5 in Betracht. Strafbar sind aber hier nur die Vorstandsmitglieder, nicht die Veranstalter und Leiter der einzelnen Versamnilung. Ziff. 5 gilt nur von ^politischen Vereinen". Ueber den Irrtum über den Begriff „Verein" s. oben Ziff. 1; über die Straf­ barkeit beim Borliegen eines Irrtums über Tatsachen s. oben auch Ziff. 2 S. 175 ff. „Dulden": fahrlässiges und vorsätzliches Dulden ist nicht bloß die Aufnahme gestatten, sondern auch das fernere Bleiben im Verein nicht beanstanden.

Ziffer 6. Die Anwes enheit in einer Versammlung genügt zur Straf­ barkeit. Anwesenheit liegt nach Delius 1908 S. 503 auch vor, wenn im Falle des § 8 des VG. der Betreffende sich unter den an der Erörterung sich beteiligenden Personen außerhalb des eigentlichen Versammlungsraumes befindet, mag er auch selbst an der Er­ örterung sich nicht beteiligen. Diese Auffassung aber ist sehr zweifelhaft. Unter „Versammlung" im Sinne des § 18 Ziff. 6 sind die in § 17 genannten Versammlungen verstanden. Bei der Bestrafung einer in einer Versammlung anwesenden Person unter 16 Jahren ist zu berücksichtigen, daß nach § 56 StGB. Angeschuldigte, welche bei Begehung der strafbaren Handlung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, freizusprechen sind, wenn sie bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Ein­ sicht nicht besessen haben. Nach § 57 Ziff. 4 StGB, kann in be­ sonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden. Dies wird wohl vor allem dann Anwendung finden, wenn keine polizeiliche Anordnung in concreto erfolgt ist oder keine Belehrung über das jetzige Vereinsgesetz (§ 17). Das „Dulden* in Versammlungen durch den Leiter re. ist, wie bereits bei Ziff. 5 betont, gegen diesen nicht strafbar. Unter „Versammlung" im Sinne der Ziff. 6 sind auch Vereins­ versammlungen politischer Vereine verstanden.

Ferner sind damit alle öffentlichen Versammlungen gemeint, seren sie in geschloffenen Räumen oder auf öffentlichen Straßen, wenn sie nach § 17 „politische" Versammlungen sindsiehe im übrigen oben § 17, vor allem bezüglich der Veranstaltungen zu geselligen Zwecken, welchen auch jugendliche Personen im Sinne des § 17 anwohnen können. Slras-eftimmrmgen für Versammlungen, Bergehen.

§ 19. )

Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark^), an deren Stelle im Unvermögensfalle Haft^) tritt, oder mit Haft^) wird bestraft5): 1. wer eine Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne die vorgeschriebene An­ zeige oder Genehmigung (§§ 7, 9) veranstaltet oder leitet; 2. wer unbefugt in einer Versammlung oder in einem Aufzuge bewaffnet erscheint (§ 11); 3. wer entgegen den Vorschriften des § 12 dieses Gesetzes eine öffentliche Versammlung veranstaltet, leitet oder in ihr als Redner auftritt.

Bisheriges Recht. Ad 8tff. 1: In den früheren Landesrechten waren folgende Strafen beim Tatbestand des § 19 Ziff. 1 des RVG. angedroht: in Preußen für Teilnehmer Geldbuße von 1 bis 5 Talern, für Ordner, Leiter, Redner und Aufforderer Geldbuße von 5 bis 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten; in Bayern Geldstrafen bis zu 100Gulden; im Königreich Sachsen Geldstrafen von 1 bis 50 Talern oder mit Gefängnis von 3 Tagen bis 3 Monaten; in Baden Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 4 Wochen für Teilnehmer, Geldstrafe bis zu 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten für Veranstalter re. in B r a u nschweig Geldstrafe von 20 bis 50 Talern, in schweren Fällen Gefängnis von 4 Wochen bis zu 3 Monaten; in Anhalt Geld­ buße von 1 bis 5 Talern; in Schwarzburg-Rudolstadt Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; in Schwarz­ burg-Sondershausen Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in Reuß älterer Linie Geldstrafe bis 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; in Reuß jüngerer Linie für Teilnehmer Geldbuße von 1 bis 5 Talern, für Ordner, Leiter rc. Geldbuße von 5 bis 50 Talern oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 3 Monaten;

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in Lippe Geldstrafe bis zu 50 M oder mit Haft: in Lübeck Geldstrafe bis zu 150 M oder mit Haft bis zu 6 Wochen; in Bremen Geldbuße bis zu 50 Talern oder Haft bis zu 6 Wochen; in Hamburg Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in ElsaßLothringen Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft. (S. oben bei § 7 Sinnt, am Anfang). Ad Ziff. 2. Entsprechend den Bemerkungen zu Ziff. 1: in Preußen mit Gefängnis bis zu 6 Monaten; in Bayern Ge­ fängnisstrafe bis zu 1 Jahr, bei milderen Umständen Geldstrafe bis zu 100 Gulden; im Königreich Sachsen Geldstrafe von 1 bis 100 Talern oder Gefängnis von 3 Tagen bis zu 6 Monaten; in Württemberg Geldstrafe bis zu 36 in Baden Geld­ strafe bis zu 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; in M e ck l e nburg-Schwerin Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in Mecklenburg-Strelitz Geldstrafe bis 150 M oder Haft; in Braunschweig Gefängnis von 8 bis 14 Tagen; in SachsenMeiningen Geldstrafe bis zu 85 3f oder Haft bis zu 14 Tagen; in Sachsen-Altenburg Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft bis zu 6 Wochen; in Anhalt Gefängnis bis zu 6 Monaten; in Schwarzburg-Rudolstadt Geldstrafe bis zu 150^ oder Haft bis zu 6 Wochen; in Schwarz bürg-Sondershausen Geld­ strafe bis zu 50 Talern oder Haft; in Reuß älterer Linie Geldstrafe bis 600 M oder Gefängnis bis zu 6 Monaten; in R e u ß jüngerer Linie Gefängnis bis zu 6 Monaten oder Arbeitshaus; in Lippe Geldstrafe bis zu 150 M oder Haft; in Bremen Geldbuße bis zu 50 Talern oder Haft bis zu 6 Wochen; in Elsaß-Lothringen Geldstrafe bis zu 300 M oder Gefängnis bis zu 3 Monaten. In manchen Staaten konnten die Ver­ sammlungen aufgelöst werden.

Reichsgesetz. 1. neu eingeschaltet bzw. aus § 18 herausgenommen durch die Kommission als sog. Kompromißantrag, da über die Höhe der Strafe der Regierungsvorlagen, s. diese oben S. 11 (§ 11 der Reg.Vorlage) geklagt wurde. 2. Diese Reate (§ 19) sind Vergehen (§ 1 StGB.), es ist also der Mindestbetrag der Strafe nach § 27 des StGB. 3 M. RG. vom 16. März 1882 (Reger II 385). Diese Reate gehören zur Zuständigkeit der Schöffengerichte (§ 27 Ziff. 2 des GBG ). Die Verjährung tritt nach 3Jahren ein; vgl. § 67 Abs. 2 StGB. 3. Vgl. Sinnt. 1 Abs. 2 zu 8 18 S. 172. Für die Umwandlung dieser Strafe sind die Vorschriften der §§ 28 und 29 StGB, an­ zuwenden. Bei der Umwandlung der Geldstrafe ist also der Betrag von 3 bis 15 M einer eintägigen Freiheitsstrafe gleich zu achten. 4. Im Maximum Haft von 6 Wochen; während in § 18 die Haftstrafe nur subsidiär angedroht ist ist sie hier auch primär angedroht (vgl. Sinnt. 1 zu 8 18); d. h. das Gericht hat die Wahl, ob es Geldstrafe oder Haft aussprechen will. L. Vgl. Sinnt. 2 zu § 18.

Ziffer 1. In Ziff-1 sind selbstverständlich „öffentliche Versammlungen" wie in §§ 5—9 verstanden. Ueber den Begriff „öffentlich" siehe oben Anm. 1 zu 8 5, über den Begriff „Versammlung" siehe oben S. 35 ff. und S. 70 ff., siehe auch unten S. 185 und 186. Es sind hier öffentliche Versammlungen jeder Art verstanden, ohne Rücksicht darauf, ob die Versammlungen zur Erörterung poli­ tischer Angelegenheiten zusammengetreten sind oder nicht, ob sie vom Vereine veranstaltet sind oder nicht. Beschränkungen, wie sie einige frühere Landesgesetze hatten, wie z. B. Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, daß Äfentliche Versammlungen zu politischen Zwecken unter freiem Himmel nicht stattfinden dürfen, sind im Reichsvereinsgesetz ganz weggefallen und aufgehoben. Ueber Schulfeste siehe § 20 samt Anm. 3 und oben Anm. 11 zu 8 7 oben S. 103. „Versammlung unter freiem Himmel" ist der Gegensatz zu Versammlung in geschlossenem Raum (vgl. § 8). „Aufzug" = „Aufzug auf öffentlichen Straßen oder Plätzen" (vgl. § 7 Abs. 1). „Anzeige"; gemeint ist die Anzeige im Sinne des 89 Abs. 1 des Gesetzes. „Genehmigung" ist die Genehmigung nach 87 und 8 9 Abs. 2 Satz 2. Siehe im übrigen 88 7 und 9, insbesondere oben S. 101 ff. und S. 114 ff.

Ziffer 2 s. 8 11 oben. Hier wird also nur direkt der Teilnehmer gestraft, nicht der Veranstalter oder Leiter des Aufzugs, der Bewaffnete duldete. Ueber die Auflösung einer Versammlung bei Anwesenheit von Bewaffneten s. 8 14 Ziff. 4 S. 156.

Ziffer 3. Die Fassung der Ziff. 3 bringt richtig zum Ausdruck, daß nicht Veranstalter, Leiter und Redner immer zugleich strafbar sind, wenn einer von diesen dreien gegen 812 verstoßen hat, sondern immer nur derjenige von diesen dreien, der für seine Person gegen eine Bestimmung des 8 12 schuldhast gehandelt hat. Wenn z. B. in einer Versammlung, die in deutscher Sprache zu führen ist, ohne Borwissen des Veranstalters und Leiters ein Redner zu einer fremden Sprache greift, so ist nur dieser strafbar, nicht aber der Leiter oder Veranstalter. Wenn ferner beispielsweise in einem der Kreise mit alteingesessener, 60 Prozent fremdsprachiger Bevöl­ kerung der A eine polnische Versammlung veranstaltet, die der B leitet und in der C als Redner auftritt, so würden Leiter und Redner sich nicht strafbar machen, wenn ihnen glaubwürdigerweise vom Veranstalter gesagt würde, daß A die Versammlung vor­ schriftsmäßig angemeldet und die polizeiliche Bescheinigung darüber erhalten bat; hatte A in dieser Richtung etwas unterlassen, so wäre nur er straffällig. Eine Verpflichtung, sich die polizeiliche Be-

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scheinigung in Original vom Veranstalter vorzeigen zu lasten, legt das Gesetz weder dem Versammlungsleiter noch dem Redner auf. Borsichüge Leiter und vorsichtige Redner werden freilich gut daran tun, sich die Bescheinigung vorlegen zu lasten, vor allem die ersteren. Zur Bestrafung des Redners und des Leiters gehört in einem solchen Falle der gegen sie zu führende Nachweis, daß sie davon gewußt haben, daß der Veranstalter gegen § 12 verstoßen hat. Freilich kann der Beweis auch durch die sonstigen Umstände ge­ führt werden, falls naheliegt, daß Veranstalter, Leiter und Redner im gegenseitigen Einverständniffe handelten; vgl. im übrigen oben 8 12. Die Vorschrift gilt nur für öffentliche Versammlungen. Wenn jemand irrtümlich glaubt, es handle sich um eine Wahl­ versammlung im Sinne des Abs. 2 (§ 12) oder der betr. Ort habe 6O°/o alteingesessene Bevölkerung mit nichtdeutscher Sprache, so ist der Irrende straffällig; es sei denn, daß die Unkenntnis nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist. Das Weitere ist quaestio facti. „Redner" ist auch, wer nur eine kurze Ansprache gehalten hat (RG. vom 7. November 1899 S. 480); nicht dagegen, wer sich erst zum Worte gemeldet hat. Gleichgültig ist, ob der Redner förmlich das Wort erhalten hat oder es sich selbst genommen hat (s. auch Sartor 1908 S. 157).

Durch Gesetz re. augeorduete Bersammlrmgeu.

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Die Vorschriften dieses Gesetzes finden keine Anwen­ dung auf die durch das Gesetzt oder die zuständigen Be­ hörden angeordneten Versammlungen^). 1. entspricht dem § 12 des Entw. 2. Darunter fallen vor allem die Parlamente, die Versainmlungen der kommunalen Körperschaften sowie der öffentlichen Verbände (Mot. S. 7, 39) (Reichstag, Landtage, Landesausschuß für Elsaß-Lothringen, sowie die kommunalen Organe, Berufsgenostenschaften, Kaufmannsgerichte, Gewerbegerichte, Krankenkassenorgane, Akttengesellschaften, Hilfskasten, Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften, Schiedsgerichte für Unfallversicherung usw.). Kirchliche Versammlungen fallen nicht unter § 20 (s. § 24), falls nicht staatliche Behörden ihre Versammlungen „anordnen". Vorausgesetzt ist bei § 20, daß die betr. Versammlung auch in Slesetzlicher Weise zusammenberufen ist. Andernfalls, z. B. bei Zuammenberufung einer privaten Versammlung von Stadtverordneten (-Gemeindekollegien) durch einen anderen als den Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter ist § 20 nicht anwendbar (KG. Bd. 14 S. 354, GoltdArch. 42 S. 441; vgl. KommB. S. 102 ff.), ebenso, wenn Nicht­ mitglieder zu solchen Versammlungen (z. B. bei Jnnungsversammlungen) zugezogen werden (s. Delius S. 506).

Diese Versammlungen sind natürlich auch dann ausgenommen, wenn sie sich mit politischen Angelegenheiten beschäftigen lMot. S. 29). Zu § 20 ist in der Kommission (KommB. S. 101) u. a. der An­ trag gestellt worden, ähnlich wie früher nach Art. 26 des bayr. Bereinsgesetzes, auch die Vorberatungen oerMitglieder der in 8 20 genannten Körperschaften aufzunehmen, da sonst zu befürchten sei, daß z. B. in Bayern nunmehr eine andere Praxis Plah greife. Hiezu hat der Kgl. bayr. Bevollmächtigte zum Bundesrat bereits in der Kommission des Reichstags folgende für die allgemeine Auslegung wichtige, richtige Erklärung abgegeben (KommB. S. 103): „Er wünsche lebhaft, daß der angebliche Gegensatz zwischen Nord und Süd nicht immer von neuem betont werde, und wolle deshalb nur kurz auf das Hinweisen, was er bereits in einer früheren Sitzung gesagt habe, daß nämlich nach der im bayerischen Landtage von feiten des Herrn Staatsministers des Innern ge­ gebenen Zuscme auch ein Reichs-Vereinsgesetz in der gleichen, nicht engherzigen Weise wie das bisherige Bereinsgesetz zum Vollzug Selangen würde, im übrigen könne er aber auch die gehegten Beirchtungen bezüglich der Auslegung des Begriffs „Vorberatungen" überhaupt nicht als begründet anerkennen; wenn mehrere Mit­ glieder einer durch das Gesetz oder die zuständigen Behörden an­ geordneten Versammlung zu einer Vorberatung zusammen kämen, ohne daß sie eine allgemeine oder öffentliche Einladung erließen, so würde wohl kein Richter — weder in Bayern noch in Deutsch­ land überhaupt — dazu kommen, das als eine öfsentlicheBersammlung anzusehen." 3. Die von Behörden anaeordneten Schulfeste fallen auch hierunter (f. Delius a. a. O. S. 507). Ebenso die öffentlich an­ erkannten Verbände für Armen- und Schulsachen: s. Urt. d. Kam­ merger. vom 18. März 1901 S. 121/01. Selbstverständlich sind auch hier nur „öffentliche" Ver­ sammlungen gemeint. Wenn ein bestimmter Personenkreis zu­ sammentritt, so ist das keine öffentliche Versammlung. Ob die Ver­ sammlung zu einer öffentlichen wird, wenn Dritte, außerhalb des bestimmten Personenkreises stehende Personen zugezogen werden, ist eine Tatfrage. Bon der Veranstaltung einer öffentlichen Versammlung kann nicht gesprochen werden, wenn der Kreis der teilnehmen­ den Personen ein so abgegrenzter und individuell bestimmter ist, wie es bei einer Zusammenkunft der Bürgermeister oder der Stadtverordneten — Gemeinderäte re. — etwa einer Provinz oder e i n e r bestimmten Art von Städten der Fall ist. (KommB. S. 104.) Es unterliegt keinem Zweifel, daß nur, wenn eine in der Individualität und Zusammensetzung unbeschränkte und unbeschränk­ bare Anzahl von Personen einer Versammlung beiwohnt, eine öffentliche Versammlung vorliegt. (Ausführungen des Abg. Dr. Müller-Meiningen StenB. S. 4682.) In der Kommission des Reichstags spielte die Frage eine große Rolle, ob die Zusammenkünfte von Gemeindevertretern usw., also „die Versammlung der mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten

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Personen, wofern sie sich auf die Erörterung ihrer Amtsangelegenbeiten beschränken", wie ein Zentrumsantrag sich ausdrückte, unter § 12 ljetzt § 20) fallen. Solche Versammlungen sind natürlich keine „öffentlichen" politischen Versammlungen im Sinne des § 5, sondern Zusammen­ künfte bestimmter Personentreise, auf welche §20 Anwendung findet. Ebenso lehnte man den folgenden Antrag ab, da man die Frage, wenn dritte Personen zugezogen werden, im Gesetze nicht lösen könnte. Der Antrag lautete: § 12 (der Vorlage) folgendermaßen zu fassen: „Auf die durch das Gesetz oder durch die gesetzlichen Autoritäten angeordneten Versammlungen, auf die Vorberatungen von Mit­ gliedern dieser Versammlungen, auf die Zusammenkünfte und Vor­ beratungen anderer Personen, denen öffentlich-rechtliche Aufgaben übertragen sind, z. B. Vorstände und Delegierte von Krankenkassen, eingeschriebenen Hilfskaffen, Knappschaftskaffen, Beisitzer der Schiedsgerichte bei der Alters- und Jnvaliditäts- und Unfall­ versicherung, Gewerbegerichtsbeisitzer u. a., auch wenn dritte Per­ sonen hinzugezogen werden, finden die Bestimmungen der §§ 3 bis 10 keine Anwendung." Zur Begründung des Antrags wurde angeführt: „Durch die Beschlüsse zu § 2 letzter Absatz (§ 3 des Ges.) und § 3 a (§ 5 des Ges.) über die Vereine und Versammlungen von Wahlberechtigten sei der Anttag nicht erledigt. Jene Beschlüsse entbinden die Wahlberechtigten nur von der Verpflichtung, Satzungen und Borstandsverzeichnis einzureichen und Versamm­ lungen anzumelden. Der durch jene Anträge „verschandelte" Artikel 26 des bayerischen Gesetzes beziehe sich aber auch auf Vorberatungen der Mitglieder der auf Gesetz usw. be­ ruhenden Körperschaften. In der Richtung des bayerischen Ge­ setzes müffe § 12 des Entwurfs ergänzt werden. Daß der Ent­ wurf sich überhaupt nur auf öffentliche Versammlungen beziehe, genüge nicht. In Preußen habe man alle Versammlungen von Arbeitern schlechthin als öffentlich betrachtet. Auf die Justiz sei kein Verlaß. Ueberall wo nur die Presse oder dritte, nicht direkt beteiligte Personen mit anwesend gewesen seien, habe man öffent­ liche Versammlungen anaenommen. Im Antrag seien nur Bei­ spiele aufgeführt. Der Antrag stelle keineswegs einen besonders „liberalen" Fortschritt dar, er sei eigentlich selbstverständlich. Noch im vergangenen Jahre sei eine im Reichstagsgebäude abgehaltene Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten unter Zu­ ziehung von Zeitungsvertretern als öffentliche Versammlung denun­ ziert worden. Nach der Auslegung der preußischen Gerichte würden solche Sitzungen auch künftig als öffentlich behandelt werden können, weshalb im Antrag die Worte eingefügt seien: „auch wenn dritte Personen hinzugezogen werden". (Bericht S. 101.) Der Staatssekretttr erwiderte: „Der Antrag sei so dehnbar, daß er in ein Gesetz nicht paffe. Es bleibe unklar, welche Versammlungen nickt unter § 12 (§ 20 des Ges.) fallen würden. Es werde im Deutschen Reicke wenig Menschen geben, denen nicht irgendwelche öffentlichrechtliche Ausgaben über-

tragen seien. Aus der preußischenJudikatur dürsten nicht ohne weiteres Schlüsse aus die Anwendung des Reichsvereinsgesetzes gezogen werden. Was die angeführte Sitzung der sozialdemokratischen Ab­ geordneten im Reichstag anlange, so sei hie^u zu bemerken, daß die preußische Verordnung auch private Vereinigungen dem Vereins­ und Versammlungsrecht unterstelle, salls darin öffentliche An­ gelegenheiten erörtert oder beraten werden sollen. Der Ärtwurf dagegen beschäftigte sich überhaupt nur mit öffentlichen Ver­ sammlungen. Wenn ein bestimmter Kreis von Personen zusammen­ trete, so sei das keine öffentliche Versammlung. Ob die Ver­ sammlung jur öffentlichen werde, wenn dritte, außerhalb des bestimmten Personenkreises stehende Personen zugezogen werden, sei eine Tatfrage, die im Gesetze nicht gelöst werden könne; nach der Faffuny des Antrags würde eine Versammlung auch dann eine nichtöffentliche sein, wenn etwa drei Stadtverordnete eine beliebige Anzahl von Nichtstadtverordneten einlüden. Versammlungen indi­ viduell bestimmter Personenkreise würden nach dem Reichsvereinsgesetze nicht als öffentliche behandelt werden können. Der Antrag sei eingebracht worden, ehe die Beschlüsse der Kommission zu den 88 2 und 3a (§§ 3 u. 5 des Ges.) gefaßt wurden. Seines Erachtens sei durch letztere der Antrag erledigt." Der Antrag wurde nach längerer Debatte aus obigem Grunde abgelehnt (s. im übrigen auch die Ausführungen des Abg. MüllerMeiningen oben S. 185). Ein Mitglied der Kommission führte aus, daß auf Seite 39 tvgl. oben Anm. 2) der Begründung ausgeführt sei, welche Ver­ sammlungen unter § 12 (8 20 des Ges.) fallen. Man vermiffe hier die kirchlichen Versammlungen. Seien diese hier nicht mit­ getroffen? Man gehe wohl nicht fehl, wenn man annehme, daß die kirchlichen Versammlungen an sich durch 8 16 (8 24 des Ges.) vom Vereinsgesetz ausgenommen seien. Ein Vertreter der verbündeten Regierungen erklärte letztere Annahme für richtig. Die kirchlichen Veranstaltungen seien in 816 ijetzt § 24) überhaupt ausgeschloffen. Deshalb bedurfte es ihrer Anführung bei § 12 (jetzt 8 20) nicht. Auch in der bayr. AbgK. wurden obige Fragen von einem Zentrumsabgeordneten aufgeworfen und richtig vom bahr. Minister d. I. in der Sitzung vom 19. Mai 1906 dahin beantwortet: „Es ist ferner die Frage gestellt worden, wie es mit den Zu­ sammenkünften von Beamten von Arbeitervereinen stünde. Wenn die betreffenden Personen zusammenkommen nur als Vorstände, das ist als bestimmte Persönlichkeiten, so ist das keine öffentliche Versammlung. Es ist das auch kein Verein, sondern es ist gerade so, wie wenn z. B. die Bürgermeister bayrischer Städte zusammen­ kommen, um irgendeine Frage zu besprechen. Hier treten einfach die bestimmten Beamten von bestimmten Vereinen zusammen; das sind individuell bestimmte Persönlichkeiten und infolgedessen unter­ liegen solche Zusammenkünfte nicht den Bestimmungen des Reichs­ vereinsgesetzes über öffentliche Versammlungen." Also bei diesen öffentlichen Versammlungen des 8 20 kann man auch bewaffnet erscheinen ; es bedarf keiner Anzeige ober öffent-

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lichen Bekanntmachung, die Bersammlungsleitung richtet sich nach den Spezialbestimmungen des betr. Gesetzes, ebenso die Frage der Verhandlungssprache, der event. Auflösung usw.

Psli-eiKeh-rde« re. der Sivzelftaateu.

8 31?)

Welche Behörden2) unter der Bezeichnung „Polizei­ behörde", „untere Verwaltungsbehörde" und „höhere Ver­ waltungsbehörde" zu verstehen find, bestimmt die Landes­ zentralbehörde. 1. § 21 entspricht dem § 13 des Entw.

2. Das Gesetz konnte eine einheitliche Bezeichnung der zu­ ständigen Polizeibehörde nicht haben wegen der Verschiedenheiten in den Bundesstaaten. Eine Aenderung der Rechtszustände in Preußen, insbesondere der Organisation der Verwaltungsbehörden soll hiedurch nicht ein­ treten. (KommB. S. 104). Vgl. hiezu die unten abgedruckten Ausführungsbestimmungen der Einzelstaaten. Einreichung an falsche Stelle (bei falscher Behörde) genügt nicht und schützt nicht vor Strafe. Siehe auch Verzeichnis der Be­ hörden bei § 7. A«S den AuSsühruugSbeftimmuugeu der BuudeSftaaleu zu § 21.

Preußen.

Für Preußen bestimmt die preuß. MBek. vom 8. Mai 1908: Am Sinne des Reichsvereinsgesetzes ist unter der Bezeichnung „Polizeibehörde" die Ortspolizeibebörde, unter der Bezeichnung „untere Verwaltungsbehörde" der Landrat, in den Hohenzollernschen Landen der Oberamtnrann, in Stadtkreisen die Gemeinde­ behörde, unter der Bezeichnung „höhere Verwaltungsbehörde" der Regierungspräsident, im Landespolizeibezirk Berlin der Polizei­ präsident von Berlin zu verstehen.

Baheen.

Für Bayern bestimmt die MBek. vom 12.Mai 1908: „Höhere Verwaltungsbehörden" im Sinne des Vereinsgesetzes sind die Kreisregierungen, Kammern des Innern, und untere Ver­ waltungsbehörden die Distriktsvolizeibehörden, in München die Kgl. Polizeidirektion. „Polizeibehörden" im Sinne des § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 13 Abs. 1 und 2, § 14 Abs. 1 und 2 des Gesetzes sind die Distriktspolizeibehörden, in München die Kgl. Polizeidirektion und „Polizeibehörden" im Sinne des § 5 des Gesetzes die Ortspolizei­ behörden, in München die Kgl. Polizeidirektion.

Sachsen. Für das Königreich Sachsen bestimmt die sächsische AusfVO. vom 13. Mai 1908: In 8 1 wird der Begriff der Verwaltungsbehörden definiert; danach ist die höhere Verwaltungsbehörde die Kreishauptmannschast, die untere Verwaltungsbehörde die Amtshauptmannschaft oder in Städten mit revidierter Städteordnung der Stadtrat, bzw. die besondere Sicherbeitspolizeibehörde lPolizeidirektion, Polizeiamt). Polizeibehörde im Sinne des § 3 des Vereinsgesetzes (für poli­ tische Vereine und die vorgeschriebene Einreichung von Satzungen usw.) ist die Ortspolizeibehörde, das ist in Städten mit revidierter Städteordnung der Stadtrat oder die besondere Sicherheitsvolizeibehörde (Polizeidirektion, Polizeiamt), im übrigen der Bürger­ meister, Gemeindevorstand, Gutsvorsteher.

Württemberg. Für Württemberg bestimmt Ziff. IV der Kgl. Bollzugsverfügung: Zur Entgegennahme der Satzungen und der Berzeichniffe der Vorstandsmitglieder politischer Vereine, sowie der Anzeigen von Aenderungen der Satzungen oder der Zusammensetzung des Vor­ stands solcher Vereine ist die Ortspolizeibehörde am Sitze des Vereins zuständig. Die Ortspolizeibehörde ist jedoch verpflichtet, die eingekommenen Satzungen, Verzeichnisse und Anzeigen unver­ züglich dem Oberamt zu übergeben. Die zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes schon bestehen­ den politischen Vereine haben bei der nächsten Aenderung der Satzungen oder der Zusammensetzung des Vorstands die Satzungen und die vollständigen Verzeichnisse der Vorstandsmitglieder einzureichen, soweit dies nicht bereits geschehen ist. Höhere Verwaltungsbehörde im Sinne des § 3 Abs. 4 des Gesetzes ist die Kreisregierung. Baben.

Für Baden bestimmt § 1 der VO. vom 11. Mai: In den Fällen der 88 3, 7, 9, 13 und 14 des Ges. ist das Bezirksamt zuständig. Die Verrichtung der höheren Verwaltungs­ behörde und der Landeszentralbehörde geschieht durch das Mini­ sterium des Innern.

Mecklenburg. Für die beiden Mecklenburg bestimmt 8 7 der dortigen Vollzugsvorschriften: „Polizeibehörde" im Sinne des Vereinsgesetzes ist die Orts­ polizeibehörde, „höhere Verwaltungsbehörde" die Großherzogliche Landesregierung. Bezirk der unteren Verwaltungsbehörde im Sinne des 8 12 Abs. 3 letzter Satz des Vereinsgesetzes ist das Großherzogtum.

Sachsen-Altenburg. Für Sachsen-Altenburg sagt die VollEO. vom 12. Mai 1908 Ziff. 4: Im Sinne des Gesetzes ist unter der Bezeichnung „Polizeibehörde" das Herzogliche Landratsamt für die Landgemeinden, der Stadtrat für die Stadtgemeinden, unter der Bezeichnung „höhere Verwaltungs­ behörde" das Herzogliche Ministerium, Abteilung des Innern, zu verstehen (8 21 des Gesetzes).

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Anhalt. Für daS Herzogtum Anhalt ist bestimmt lGesetzessammlung S. 278): Unter der Bezeichnung „Polizeibehörde" und „untere Ver­ waltungsbehörde" sind für die Städte Dessau, Zerbst, Cöthen und Bernburg die Polizeiverwaltungen daselbst, für die übrigen Ort­ schaften die He^oglichen Kreisdirektionen zu verstehen. „Höhere Verwaltungsbehörde" ist die Herzogliche Regierung, Abteilung des Innern. Schwarzburg-SonLershause«. Für Schwarzburg-Sonders­ hausen bestimmt die AusfBO. vom 14. Mai 1908 (Gesetzessammlung 11. Stück 1908 S. 71): „Polizeibehörde" im Sinne des Gesetzes ist die Ortspolizei­ behörde unter Erstreckung ihrer örtlichen Zuständigkeit auf diejenigen nach Art. 3 der Gemeindeordnung von den Gemeindebezirken aus­ geschlossenen selbständigen Bezirke, welche örtlich innerhalb des Gemeindebezirks oder demselben am nächsten belegen sind. „Höhere Verwaltungsbehörde" im Sinne des § 3 Abs. 4 des Gesetzes ist der Landrat.

Schaumburg-Lippe. Für Schaumburg-Lippe sagt Art. 3 der VollzVO.: Unter „Polizeibehörde" sind in den Städten die Polueiverwaltungen, in den Kreisen die Landräte zu verstehen; als Bezirke der „unteren Verwaltungsbehörden" (§ 12 des Reichsgesetzes) gelten die Städte und Kreise; unter „höherer Verwaltungsbehörde" ist das Ministerium zu verstehen. Lippe-Detmold. Das Fürstentum Lippe-Detmold hat in der VollzVO. bestimmt: Unter der Bezeichnung „höhere Verwaltungsbehörde" ist die Fürstliche Regierung zu verstehen. Als „untere Verwaltungsbehörde" und „Polizeibehörde" gelten in ländlichen Bezirken die Fürstlichen Berwaltungsämter, in den Städten die Magistrate.

Schwarzburg-Rudolstadt.