Venenum de manibus credulorum extorquere: Giovanni Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologos I-IV. Edition, Übersetzung und Anmerkungen [1 ed.] 9783737014007, 9783847114000

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Venenum de manibus credulorum extorquere: Giovanni Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologos I-IV. Edition, Übersetzung und Anmerkungen [1 ed.]
 9783737014007, 9783847114000

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Benjamin Topp

Venenum de manibus credulorum extorquere Giovanni Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologos I–IV. Edition, Übersetzung und Anmerkungen

V&R unipress Universitätsverlag Osnabrück

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen bei V&R unipress. Gewinner des Förderpreises des Universitätsverlages Osnabrück 2020. Zgl. Dissertation, Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück, 2019. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1400-7

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Für Ann-Kathrin, Julius & Frederik

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1

Einleitende Untersuchung 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Giovanni Pico della Mirandola – Leben und Werk . . . . . . . . 1.2.1 Geburt und frühe Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Erster Aufenthalt in Florenz . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Eine römische Affäre und die »pax philosophorum« . . 1.2.4 Letzte Jahre in Florenz: Von der »Concordia« zu den »Disputationes« – der Kampf gegen die Feinde des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau und Inhalt der Disputationes . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Der Titel der Disputationes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Beschreibung der Textzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Druck B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1.1 Band I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1.2 Band II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Druck G . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2.1 Band I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2.2 Band II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Druck V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3.1 Band I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3.2 Band II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Druck D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.5 Druck W . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.6 Druck R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.7 Druck C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.8 Druck F . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.9 Druck O . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Die Überlieferung seit der Editio princeps . . . . . . . . 1.6.1.1 Die Familie α . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1.2 Die Familie β . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1.3 Die Drucke W und O . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

1.6.1.4 Die Drucke R und C . . . . . . . . . . . . . 1.6.1.5 Der Druck D . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1.6 Der Druck F . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Die Drucke von 1572 und 1601 . . . . . . . . . . . . . 1.6.3 Die Edition von Eugenio Garin . . . . . . . . . . . . . 1.7 Stemmatische Darstellung der Überlieferung der Disputationes 1.8 Leitende Editionskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.1 Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.2 Interpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.3 Vom Umgang mit Quellen bei der Textkonstitution . . 1.8.3.1 Die Apparate . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.3.2 Die Tituli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Abkürzungen im Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9.1 Werke von Giovanni und Giovanni Francesco Pico . . 1.9.2 Werke anderer Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Conspectus Codicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Edition 2.1 Epistola dedicatoria . . . . . . . 2.2 Prooemium Ioannis Francisci Pici 2.3 Prooemium . . . . . . . . . . . . 2.4 Liber Primus . . . . . . . . . . . 2.5 Liber Secundus . . . . . . . . . . 2.6 Liber Tertius . . . . . . . . . . . 2.7 Liber Quartus . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis 4.1 Ausgaben und Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Frühneuzeitliche Drucke . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Moderne Ausgaben von Werken Giovanni Picos 4.1.3 Moderne Textausgaben anderer Autoren . . . . . 4.2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Abgekürzt zitierte Werke und Reihen . . . . . . . . . . . 4.4 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Index nominum rerumque notabilium

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Vorwort

Giovanni Pico della Mirandola – nur wenige Namen von gelehrten Philosophen aus der Frühen Neuzeit dürften über ähnliche Strahlkraft verfügen wie der des Florentiner ›Wunderkinds‹, dessen umfassende Bildung und scharfer Verstand bereits seinen Zeitgenossen Bewunderung abverlangten. In den letzten Monaten seines – viel zu kurzen – Lebens arbeitete der italienische Humanist wie besessen an den Disputationes adversus astrologos, einer lateinischen Abhandlung, die der erste Teil einer längeren Reihe von Traktaten gegen die Feinde des wahren Glaubens werden sollte und die sich daher nicht weniger vorgenommen hatte, als die umfassendste und vollkommenste Widerlegung – oder besser: Vernichtung – der divinatorischen Astologie in der Frühen Neuzeit zu sein. Die Edition und Übersetzung der ersten vier Bücher dieses Werkes hat sich das vorliegende Buch zur Aufgabe gemacht. Den Zugang zu beiden Bereichen, der antiken und frühneuzeitlichen Astrologie und der neulateinischen Literatur, eröffnete mir mein Lehrer Prof. Dr. Stephan Heilen, der diese Arbeit anregte und in den Jahren 2013 bis 2018 an der Universität Osnabrück betreute. Das vorliegende Buch stellt eine leicht überarbeitete und ergänzte Fassung der in diesen Jahren entstandenen Dissertation dar, die im Wintersemester 2018/19 vom Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Osnabrück angenommen wurde (Tag der mündlichen Prüfung: 23. Oktober 2019). Dass diese Arbeit in der vorliegenden Form entstehen konnte, ist vor allem meinem Doktorvater Prof. Dr. Stephan Heilen zu verdanken, der dem Unterfangen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stand, immer ein offenes Ohr für Fragen hatte, mir bei manchem Problem half und mich vor manchem Irrtum bewahrte. Er ermöglichte auch eine gemeinsame Forschungsreise nach Italien, um die in den dortigen Bibliotheken liegenden Exemplare der Werke Picos untersuchen zu können, und übernahm das Erstgutachten; seinem kritischen Blick und seiner philogischen Exaktheit verdanke ich zahlreiche vermiedene Fehler und nicht begangene Irrtümer. Für das Zweitgutachten stellte sich dankenswerter Weise Prof. Wolfgang Hübner zur Verfügung, dessen umfassende Kenntnis auf dem Gebiet der antiken und frühneuzeitlichen Astrologie mich ebenfalls vor einigen Fehlern bewahrte.

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Vorwort

Während der Arbeit an den Disputationes wurde ich immer wieder von verschiedenen Personen und Institutionen untertützt. Hierzu zählen insbesondere die Biblioteca Universitaria di Bologna, die Biblioteca Palatina di Parma und die Biblioteca Nazionale Centrale in Florenz, die mir die Möglichkeit boten, die handschriftlich korrigierten Exemplare der Editio princeps der Werke Giovanni Pico della Mirandolas einzusehen, und die mir entsprechende Digitalisate zur Verfügung stellten. Auch die Biblioteca Apostolica Vaticana und die Biblioteca Laurenziana unterstützten mich bei der Suche nach weiteren Drucken. Zu größtem Dank bin ich zahlreichen weiteren Bibliotheken weltweit verpflichtet, die mich auf der – leider erfolglosen – Suche nach weiteren handschriftlich verbesserten Drucken unterstützten. Nennen möchte ich an dieser Stelle insbesondere Julie Blyth (Corpus Christi College), Anita Weaver (Huntington Library), Esther Sturm (Württembergische Landesbibliothek), Jutta Weber (Staatsbibliothek Berlin) und Teresa Kilian (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek); Dank gebührt auch der Breslauer Foundation und Felix de Marez Oyens, die mich bei der komplizierten Suche nach einem bestimmten Druck tatkräftig unterstützen. Prof. Franco Bacchelli (Bologna) war es, der mich auf die vorhandenen korrigierten Inkunabeln hinwies und dessen Forschungen dieses Projekt erst ermöglichten. Von seinem enzyklopädischen Wissen um Giovanni Pico und dessen Zeitgenossen konnte ich bei mehreren gemeinsamen Essen profiteren und seine Führung durch die Universität und die Universitätsbibliothek von Bologna haben dieses Wissen lebendig gemacht. In all den Jahren an der Universität Osnabrück waren auch meine Kolleg:innen Roswitha Papenhausen, Prof. Dr. Meike Rühl, Dr. Jessica Wissmann, Tim Helmke und Marco Tarantino immer mit einem offenen Ohr für mich da. Auch Prof. Christina Meckelnborg (Berlin), die meinen akademischen Werdegang stets förderte und unterstütze, habe ich viel zu verdanken. Besonderer Dank aber gilt meinem Freund und Doktorbruder Dr. Dennis Weh, der immer für Fragen und Diskussionen zur Verfügung stand und mich mit seinen Anregungen vor manchem Lapsus bewahrte; von unschätzbarem Wert war darüber hinaus nicht nur seine kritische Durchsicht der gesamten Arbeit, sondern auch mancher Rat im Umgang mit LATEX, für den ich ihm und seinem Mann Tobi zu tiefem Dank verpflichtet bin. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht verdanke ich nicht nur die Veröffentlichung dieses Buches, sondern auch den verliehenen Förderpreis, der mich nicht zuletzt von den Druckkosten dieser Arbeit befreite. Um Druck und Publikation der Arbeit haben sich insbesondere Oliver Kätsch und Marie-Carolin Vondracek (V&R unipress) mit Geduld und freundlicher Unterstützung verdient gemacht. So wichtig die Hilfe der genannten Institutionen und Personen auch war, ist es dennoch vor allem anderen die Unterstützung meiner engsten Familie, die dieses Buch erst möglich gemacht hat. Mein Bruder David hat es auf sich genommen, das gesamte Buch Korrektur zu lesen, obwohl er Jurist und kein Latinist ist – ein

Vorwort

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nicht unerhebliches Unterfangen. Sein kritischer Blick hat mich vor manchem Tippfehler und einigen Unklarheiten bewahrt. Großer Dank gebührt meinen Eltern Susanne und Michael sowie meinem Stiefvater Dieter, denen ich meine Neigung zu den alten Sprachen, zur Philosophie und zur Diskussion verdanke und die mich auf meinem Bildungsweg immer dabei unterstützten, meine Ziele zu verfolgen. Auch meine Schwiegereltern Ulrich und Johanna hielten mir in schwierigen Momenten unzählige Male den Rücken frei. Um ein Werk wie dieses zu verfassen ist vor allem eines nötig: Zeit – insbesondere auch solche, die anderenfalls für die Familie genutzt werden könnte. Dass dieses Buch in der vorliegenden Form entstehen konnte, ist vor allem anderen meiner Frau Ann-Kathrin und meinen Söhnen Julius und Frederik zu verdanken. Ihre Liebe, Fürsorge und Zuneigung waren mir bei allen Schwierigkeiten stets Anker und Kompass, der mich aus mancher Sackgasse führte. Ihnen, die allzu oft auf meine Anwesenheit verzichten mussten, die mir manche Müdigkeit nach langen lucubrationes nachsichtig verziehen haben und eigene Wünsche hintanstellen mussten, verdanke ich mehr, als man in Worte fassen kann – ohne sie wäre dieses Buch niemals entstanden! Ihnen sei es daher in Liebe gewidmet.

Meppen, im Dezember 2021

Benjamin Topp

1 Einleitende Untersuchung

1.1 Einleitung Καὶ τοῦτ᾿ ἀστρολόγοις ἐπιμέμφομαι ἠερολέσχαις, ὅττι σοφοὺς Πίκου μοι φθονέουσ᾿ ὀάρους. Καὶ γὰρ ὁ ἐνδυκέως τούτων τὸν λῆρον ἐλέγχων μουνάζει ἐν ἀγρῷ δηρὸν ἑκὰς πόλεως. Πῖκε, τί σοὶ καὶ τούτοις; οὔ σ᾿ ἐπέοικεν ἀγύρταις ἀντᾷραι τῆν σὴν εὐτυχέα γραφίδα.1

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Mit diesem Epigramm richtet der Dichter, Philosoph und Philologe Angelo Poliziano tadelnde Worte an seinen Freund und Kollegen Giovanni Pico della Mirandola und klagt, dass dieser über der zeitraubenden Arbeit an seinen Disputationes adversus astrologos keine Zeit mehr für freundschaftlichen Umgang und Austausch mit ihm, Poliziano, finde.2 Tatsächlich arbeitete der junge Giovanni Pico della Mirandola in den letzten Monaten seines Lebens um den Jahreswechsel 1493/94 wie besessen an einem ersten Teil seiner groß angelegten »Widerlegung der sieben Feinde der Kirche«, der umfassenden Ablehnung (oder besser: Vernichtung) der Astrologie als einer dieser sieben Feinde.3 Dass der junge Graf von Mirandola mit geradezu wahnhaftem Eifer an diesem Werk saß, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass er die zwölf Bücher der Disputationes innerhalb weniger Monate zu Papier brachte, sondern auch an der Tatsache, dass sich das Manuskript, welches er nach seinem Tode hinterließ, in einem derart chaotischen Zustand befand, dass sein Neffe Giovanni 1

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Angelo Poliziano, Epigramm Nr. 49, in: Politianus (1553: S. 633); dort findet sich allerdings falsch ἐνδικέως (3) sowie Πῖκέ τι (5). Das Epigramm ist ebenfalls abgedruckt auch bei Garin (1946: S. 3), dort allerdings μουνάξει (4) sowie ἀντᾶραι (6). Zur Biographie Giovanni Picos existieren viele Abhandlungen; exemplarisch sei hier auf die umfangreicheren Darstellungen bei Garin (1937) sowie Roullier (1989) verwiesen; einen knapperen Überblick bieten beispielsweise Bacchelli (2015) sowie Garfagnini (1996). Vgl. hierzu auch die Darstellung im Kapitel 1.2 mit Fußnote 15 (S.20). Zum Titel des Werkes vgl. Kapitel 1.4. Zum Plan Picos, eine umfassende Widerlegung ad debellandos septem hostes ecclesiae zu verfassen, vgl. die Darstellung seines Neffen in der Vita Pici (Picus 1496: I fol. a4r –a4v ). Die Datierung des Zeitraumes der Abfassung der Disputationes in die Jahre 1493/94 wird genauer in Kapitel 1.2.4 (S. 27f.) erläutert.

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Einleitende Untersuchung

Francesco, der zusammen mit seinem Leibarzt Mainardi die undankbare Aufgabe unternahm, eine Druckvorlage zu erstellen, im Widmungsschreiben an Kardinal Carafa (3) die Mühen der Wiederherstellung dieses Textes folgendermaßen beschreibt:4 Quamobrem pro eo quaepiam nec semel mandavi litteris ipsiusque opera diuturna et anxia vestigatione nobis ascita in multa exemplaria transfundenda curavi; laboratum autem mihi summopere est in reparandis libris omnem divinatricem astrologiam funditus eruentibus, quandoquidem eiusmodi characteribus delineati erant (qui erat homini mos) ob scribendi dictandique velocitatem, ut cuiusvis alterius linguae quam Latinae speciem prae se ferre viderentur, tot interliti lituris, ut non facile internosceretur, quid pro dispuncto, quid pro emendato haberi deberet, tot praeterea partibus lancinati discerptique, ut vix ab auctore ipso exscribi posse iudicaretur.

Was den jungen Philosophen, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht gerade durch Kritik an der Astrologie hervorgetreten war, dazu veranlasste, mit derart fieberhaftem Drang eine so umfassende Widerlegung der Astrologie zu verfassen, ist – obschon Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Spekulationen – unklar.5 Unabhängig davon lässt sich konstatieren, dass die Disputationes, über deren Arbeit Pico verstarb, schon allein dem Umfang nach als opus maximum des Renaissancephilosophen zu gelten haben.6 Diese Bedeutung, die den Disputationes innerhalb des Œuvres Giovanni Picos zukommt, spiegelt sich jedoch nicht in der Aufmerksamkeit wider, die dieser Ab4 5

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Zum Zustand des Manuskriptes und den Schwierigkeiten bei der Wiederherstellung vgl. auch die Darstellung unten in Kapitel 1.6 (S. 103). Vgl. den Überblick über die unterschiedlichen vertretenen Positionen der Forschung in Kapitel 1.3. Erschwert wird diese Frage durch die Tatsache, dass die früheren Werke Picos mitnichten Kritik an der Astrologie äußern; so hatte er noch in der letzten seiner 900 Conclusiones die Astrologie als ein Mittel religiöser Hermeneutik definiert, wenn er sagt (conclus. 11,72 p. 552 Farmer): Sicut vera astrologia docet nos legere in libro Dei, ita Cabala docet nos legere in libro legis. Noch deutlicher wird dies anhand des Horoskops, welches Pico in der zweiten Elegie seiner Jugendgedichte (carm. 2,23–52 Speyer) in dichterischer Form bietet und das einen deutlichen Hinweis gibt, dass Pico zumindest in jungen Jahren ein überzeugter Anhänger der Sterndeutung gewesen sein muss; vgl. hierzu auch Speyer (1964: S. 26). Hier zeichnet der noch junge Autor auch ein klares Bild der Determiniertheit des menschlichen Lebens durch ein lenkendes Schicksal, welches er in seinem Spätwerk dezidiert ablehnt (carm. 2,11–16): cogimur, est animo maior vis indita nobis, / quæ negat arbitrio vivere quemque suo. / illa reluctantes violento vexat ab axe, / illa sua mentem sub ditione tenet. / stat fati series, stat non mutabilis ordo, / stant leges, vetita non licet ire via. Zur Bedeutung astrologischer Ansichten in Picos Werken vor den Disputationes vgl. insbesondere auch die konzise Darstellung bei Akopyan (2021: S. 3–28). Ablesen lässt sich dies bereits an der Editio princeps, die die gesammelten Werke Giovanni Picos in zwei Bänden herausgab, wobei der erste Band die übrigen Werke auf 162 Blatt abdruckt, während der zweite, lediglich die zwölf Bücher der Disputationes enthaltende, Band mit 143 Blatt nur wenig kürzer ist. Vgl. hierzu auch Akopyan (2021: S. 4): »Astrology was apparently one of the most important elements of his legacy.«

Einleitung

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handlung im Rahmen der Erforschung der Werke Picos gewidmet wurde. Existieren auch inzwischen mehrere einschlägige Arbeiten zur Exegese der astrologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Positionen, die der Autor in diesem Traktat vertritt, so spielt die textkritische und editorische Auseinandersetzung mit dem Text der Disputationes seit dem Erscheinen der bedeutenden Ausgabe Eugenio Garins (1946 und 1952) keine nennenswerte Rolle.7 Hatten die Opera omnia Picos in den gut 100 Jahren nach dem Erscheinen der Editio princeps (1496) nicht weniger als zehn Nachdrucke erlebt, ist die Beschäftigung mit dem Text der Disputationes nach dem Erscheinen der ersten und einzigen ›modernen‹ Edition Garins weitgehend versiegt. Dies muss in zweierlei Hinsicht verwundern: Zum einen sind der Edition Garins, so verdienstvoll und wichtig diese auch ist, viele Fehler inhärent, die einerseits sicherlich den schwierigen Umständen der Entstehungszeit geschuldet sind, andererseits aber auch methodischer Natur sind und den Wert von Edition und Übersetzung mindestens einschränken.8 Obschon der Ausgabe Garins, die neben einem (vermeintlich) kritischen Apparat eine italienische Übersetzung des komplexen Textes bietet, das Verdienst zukommt, eine Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit den Disputationes geschaffen zu haben, die insbesondere durch die Entschlüsselung zahlreicher Quellen ein unerlässliches Hilfsmittel für die Beschäftigung mit den Werken Picos bildet, kann sie dem Anspruch, der an eine moderne textkritische Ausgabe gestellt wird, nicht in vollem Umfang gerecht werden. In dieser Hinsicht scheint es immerhin verwunderlich, dass in den inzwischen mehr als siebzig Jahren, die seit dem Erscheinen der Ausgabe Garins vergangen sind, kein nennenswerter Versuch einer Neuausgabe dieses bedeutenden Traktates in Angriff genommen wurde.9 Zum anderen gilt dies umso mehr, als für viele andere Werke Picos inzwischen mustergültige Ausgaben vorliegen, die diese Texte dem modernen Publikum erschließen und dem Anspruch textlicher Zuverlässigkeit gerecht werden.10 Eine Ausnahme bildet insbesondere Franco Bacchelli (Bologna), der sich intensiv mit Inhalt und Text der Disputationes auseinandersetzte und auf dessen wegbereitende Erkenntnisse sich diese Edition in hohem Maße stützt (vgl. vor allem Bacchelli 2004 und 2008). Eine Auseinandersetzung mit den in den Disputationes vorhandenen philosophischen Ansichten bieten beispielsweise Craven (1981), Weil (1986), vanden Broecke (2003) sowie Vasoli (2006). 8 Vgl. hierzu insbesondere die umfassende Darstellung in Kapitel 1.6.3 (S.140). Zu nennen sind hier vor allem der fehlerhafte bzw. irreführende Apparat, der ein in hohem Maße idiosynkratisches und – leider – lückenhaftes Vorgehen widerspiegelt, sowie die Tendenz, fehlerhafte Passagen des lateinischen Textes in der Übersetzung stillschweigend zu glätten. 9 Eine Einschränkung ergibt sich aus der Tatsache, dass 2004 eine Neuauflage der Edition Garins erschien, der in einem Vorwort einige Korrekturen Franco Bacchellis vorangestellt wurden, die sich insbesondere aus der Entdeckung zweier handschriftlich korrigierter Inkunabeln – für die vorliegende Ausgabe konnte eine dritte Inkunabel in Florenz ausfindig gemacht werden – sowie der Verbesserung einiger offensichtlicher Druckfehler ergaben; vgl. hierzu Bacchelli (2004). 10 Genannt seien an dieser Stelle beispielsweise die Ausgabe der nicht weniger komplexen und schwer zugänglichen Conclusiones durch Farmer (1998), die in der ›Philosophischen Bibliothek‹ von Mei-

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Einleitende Untersuchung

Dies mag sicherlich eine Ursache darin haben, dass sich die Disputationes nicht nur auf Grund ihres astrologischen und dezidiert philosophischen Inhaltes als äußerst voraussetzungsreich und schwer zugänglich darstellen, sondern auch in Folge ihres erheblichen Umfangs zumindest auf den ersten Blick eher abschreckend auf potentielle Editoren wirken. Dennoch beweist die von Stephen Farmer vorgenommene Edition der Conclusiones (1998) – eines von den Lehren der christlichhebräischen Kabbala durchwirkten, hermetisch-mystischen und in hohem Grade enigmatischen Werkes –, dass auch für Werke voraussetzungsreichen Inhaltes adäquate moderne Editionen bereitet werden können. Obschon die Disputationes also durch ihren schwierigen, astrologischphilosophischen Inhalt und enormen Umfang den modernen Editor vor nicht geringe Schwierigkeiten stellen, ist eine verlässliche Ausgabe dieses Werkes, die die Überlieferung und Genese des Textes berücksichtigt, von überlieferungsbedingten Korruptelen heilt und an offensichtlich verdorbenen Stellen diagnostisch in den Text eingreift, ein offensichtlich Desiderat – insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung Giovanni Pico della Mirandolas und der Stellung, die die Disputationes innerhalb des Gesamtwerkes dieses bedeutenden Renaissancedenkers einnehmen bzw. einnehmen sollten. In diesem Sinne soll die vorliegende Edition, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die ersten vier Bücher der Disputationes zu edieren, einen ersten Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen. Der ursprüngliche Plan, die gesamten zwölf Bücher der Disputationes neu zu edieren, musste angesichts der reinen Fülle an Stoff schnell verworfen werden; die Beschränkung auf die ersten vier Bücher, die – bevor im fünften Buch mit der Widerlegung der Theorie der großen Konjunktionen dezidiert astrologisches Terrain betreten wird – mit der Darstellung der astrologiekritischen Autoritäten im ersten Buch, dem Verhältnis von Theologie und Astrologie im zweiten Buch und der philosophischen bzw. theologischen Widerlegung astrologischer Lehren im dritten und vierten Buch eine thematisch in sich geschlossene Einheit bilden, gewährleistet so nicht nur die thematische Zusammengehörigkeit des in der vorliegenden Edition bearbeiteten Teils des Gesamtwerks, sondern stellt gleichzeitig eine unabdingbare Reduzierung des Gesamtstoffes auf ein Maß dar, welches im Rahmen einer einzelnen Abhandlung in zeitlich fixiertem Rahmen bewältigt werden kann. In diesem Sinne teilt sich die vorliegende Darstellung in zwei Hauptteile auf, einen inhaltlich-analytisch ersten Teil sowie die eigentliche Edition mit deutscher Übersetzung als zweiten Teil. So bietet der erste Teil nach einer kurzen Biographie ner erschienene Ausgabe der Schrift De ente et uno in der Ausgabe von Blum / Damschen / Kaegi et al. (2006) oder die Ausgabe der zahlreiche Zitate enthaltenden Apologia, die Paolo Fornaciari veröffentlichte (Fornaciari 2010). Weitere Ausgaben der Werke Picos finden sich im Literaturverzeichnis.

Einleitung

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Giovanni Pico della Mirandolas (Kapitel 1.2) eine ausführliche Darstellung des Inhaltes der ersten vier Bücher der Disputationes (Kapitel 1.3), die nicht nur eine thematische Einleitung zu diesen Büchern unternimmt, sondern darüber hinaus auch Verweise auf Sekundärliteratur und Quellen vorwegnimmt, die in der eigentlichen Edition im Rahmen von Fußnoten zur deutschen Übersetzung zumeist nur kurz umrissen werden können. Der kurzen Auseinandersetzung mit dem Titel der Disputationes (Kapitel 1.4), der seit der Ausgabe Garins zumeist falsch wiedergegeben wurde, folgt die ausführliche Darstellung aller bekannten Textzeugen (Kapitel 1.5) und deren Abhängigkeitsverhältnisse (Kapitel 1.6), wobei auch die von Eugenio Garin besorgte Ausgabe auf ihre Abhängigkeit von gedruckten Zeugen untersucht wird (Kapitel 1.6.3), die in die Auflistung der daraus resultierenden Editionskriterien (Kapitel 1.8), an welchen sich die vorliegenden Ausgabe orientiert, mündet: Sie gibt nicht nur Auskunft, nach welchen Kriterien textkritische Entscheidungen gefällt wurden, sondern legt ebenfalls Rechenschaft ab über die hiesige Orthographie (Kapitel 1.8.1) und Zeichensetzung (Kapitel 1.8.2) und beleuchtet die Bedeutung von Quellen für die Werke Picos im Allgemeinen und die vorliegende Edition im Besonderen (Kapitel 1.8.3). Der eigentlichen Edition (Kapitel 2), die zusammen mit der Übersetzung und den drei Apparaten den Hauptteil dieser Ausgabe ausmacht, ist eine Übersicht der Abkürzungen, die in den Apparaten verwendet werden, vorangestellt (Kapitel 1.9). Den Abschluss bildet ein Verzeichnis aller verwendeten Literatur. Bereits aus dieser knappen Zusammenfassung wird deutlich, dass die vorliegende Ausgabe lediglich ein erster Schritt auf dem Weg zu einer verlässlichen Gesamtedition der Disputationes sein kann und will. Eine wirklich fundierte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem philosophisch-kosmologischen Weltbild Picos, welches sein Werk zeichnet, kann im Rahmen dieser Edition – so lohnenswert und interessant sie in jedem Fall wäre – nicht erfolgen; dies führt zu dem Resultat, dass alle inhaltlich-exegetische Auseinandersetzung primär dem Ziel einer zuverlässigen Edition des Werkes dient. So können die ausführlichen Angaben im Quellenapparat genauso wenig Anspruch auf Vollständigkeit erheben wie die – bisweilen ebenfalls umfangreichen – Anmerkungen zur Übersetzung, die in erster Linie dem Verständnis der jeweiligen Stelle dienen und keine umfassende Einordnung in den philosophischen Kontext des Gesamtwerkes Picos, wie sie zu Recht von einem Kommentar erwartet werden dürfte, darstellen. Auch die

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Einleitende Untersuchung

deutsche Übersetzung, die sich insbesondere an die Leser wendet, denen sich das teilweise stark scholastisch geprägte Latein Picos nicht auf den ersten Blick erschließt, will keine literarische Übertragung bieten, sondern versucht, den lateinischen Text möglichst wortgetreu – und dennoch zielsprachenorientiert – wiederzugeben.11 Es lässt sich festhalten, dass die Disputationes bisher – jedenfalls, was die editorische Auseinandersetzung mit diesem Traktat betrifft – nicht die Aufmerksamkeit erhalten haben, die ihnen gemäß ihrer Stellung und Bedeutung gebührt. Daran, dass Pico selbst erheblichen Wert auf korrekte Zitate, präzise Übersetzungen und zuverlässige Textausgaben legte, hat er keinen Zweifel gelassen, wenn er über die zeitgenössischen Editionen, Übersetzungen und Kommentare der Apotelesmata des Ptolemaios sagt (disp. 2,1,3): Ptolemaeus igitur in primo Apotelesmaton [...] haec ita subicit ad verbum, quae nos voluimus transferre, quia male habentur in translatione communi et peius in translatione Avenrodan et ab eo male exponuntur; sed cum fideliter erunt translata, expositione non indigebunt…

und seine eigene Übersetzung einer für die Argumentation wichtigen Stelle aus dem Werk des Ptolemaios nur wenig später mit folgenden Worten beschließt (disp. 2,1,9): Haec ille ad verbum, quamquam aliter et mendosa et depravata in vulgatis codicibus habeantur.

Zu dem Ziel, einem Werk, über dem der anspruchsvolle Autor schließlich verstarb, die notwendige Aufmerksamkeit in Form einer zuverlässigen Ausgabe zukommen zu lassen, die erst den Grundstein für alle weitere inhaltliche Auseinandersetzung darstellt, soll die vorliegende Edition einen ersten Beitrag liefern.

11 So werden wichtige lateinische Schlüsselbegriffe an vielen Stellen im deutschen Text in Klammern beigefügt, um einen Rückbezug zum Originaltext zu vereinfachen. Eine englische Übersetzung des gesamten Werkes bereitet Darrel Rutkin (Indiana), einer der wichtigsten Spezialisten zu Giovanni Pico und dessen Disputationes, vor.

Giovanni Pico della Mirandola – Leben und Werk

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1.2 Giovanni Pico della Mirandola – Leben und Werk Über das Leben des Giovanni Pico sind, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, relativ viele Informationen auf uns gekommen. Dies hat sicherlich seinen Grund auch darin, dass der Denker Pico bereits in jungen Jahren einen starken Eindruck auf seine Umgebung machte und reges Interesse weckte.12 So lässt sich manches biographische Detail nicht nur dem umfänglichen Briefwechsel entnehmen, den Pico im Laufe seines kurzen Lebens mit anderen, zumeist ebenfalls bedeutenden, Persönlichkeiten pflegte, sondern auch den Beschreibungen, welche diese auf Grund des hinterlassenen Eindrucks schriftlich fixierten.13 Die wichtigste Quelle über das Leben des Giovanni Pico stellt dabei sicherlich die Biographie dar, die sein Neffe Gianfrancesco Pico, der auch als Editor der posthum herausgegebenen Werke, insbesondere der Disputationes, wirkte, verfasste.14

12 Vgl. etwa den Brief Giovanni Francesco Benedettos an Angelo Poliziano (Politianus 1553: S. 82f.) sowie den Brief von Baccio Ugolino an Roberto Salviato, in dem es heißt (Politianus 1553: S. 89): editi nuper a Pico Mirandula, viro sane prae omnibus, qui sint, quique fuerint admirando. 13 Vgl. beispielsweise auch die Testimonien-Sammlung in der Editio princeps der Opera omnia (Picus 1496: I fol. XXr –r ). 14 Vgl. hierzu Pusino (1927: S. 370–382). Die Vita erschien bereits in der ersten Ausgabe der Opera omnia, die Gianfrancesco selbst für den Druck betreut hatte und die 1496 in zwei Bänden aufgeteilt bei Benedetto Faelli in Bologna Druck gelegt worden waren, unter dem Titel Ioannis Pici Mirandulae viri omni disciplinarum genere consumatissimi vita per Ioannem Franciscum illustris principis Galeotti Pici filium edita im ersten Band der Ausgabe (r –v ), wo sie – einer kurzen Dedikation des Werkes an Ludovico Maria Sforza, den Herzog von Mailand, folgend – dem eigentlichen Werk Picos vorangestellt war. Vgl. zur Begründung des biographischen Unterfangens die Darstellung im Rahmen der Widmung an Ludovico Maria Sforza (Picus 1496: I fol. r ): opere pretium me facturum putavi si vitam Ioannis pici stilo prosequerer. tum ut patruo eidemque preceptori cuius spiritalibus beneficiis auctus et cumulatus sum quasi debitum munus exolverem tum ut hominem et nostro et futuris seculis proponerem admirandum: eius enim exemplo mortales et ad frugalitatem institui et impendentis obitus possunt admoneri sed et doctrina abunde locupletari cum inter omnifariam litteratos (ne citem antiquitatem) extra omnem aleam principem locum obtinuerit.

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Einleitende Untersuchung

1.2.1 Geburt und frühe Jahre

Giovanni Pico della Mirandola15 , Principe della Mirandola und Conte della Concordia, wurde am 24. Februar 1463 als fünftes Kind von Gian Francesco Pico della Mirandola und dessen Frau Giulia Boiardo in Mirandola, in der heutigen EmiliaRomagna, keine 50 km westlich der Stadt Ferrara, geboren.16 15 Zu Leben und Werk Giovanni Pico della Mirandolas existieren viele moderne Arbeiten. Immer noch grundlegend ist Garin (1937), der bis heute als der wichtigste Forscher zu Pico gelten kann und dem – neben umfangreichen exegetischen Werken – auch das Verdienst zukommt, einen Großteil der Werke, darunter auch die Disputationes, mit modernen Ausgaben und italienischer Übersetzung einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und somit den Grundstein zu einer regelrechten Pico-Renaissance gelegt zu haben. Zumindest teilweise abgelöst wurde diese Biographie durch das Erscheinen der umfangreichen Darstellung von Fernand Roulier: Jean Pic de la Mirandole (1463–1494), humaniste, philosophe et théologien (Roulier 1989), der insbesondere die Philosophie Picos detailliert beleuchtet. Einen knappen biographischen Überblick bieten des Weiteren Kristeller (1986), Garfagnini (1996), Blum (2004), Keßler (2008) sowie Bacchelli (2015); insbesondere theologische Aspekte in der Lehre Picos untersucht Monnerjahn (1960). Sie alle behandeln indessen kaum oder sogar gar nicht die Disputationes, die doch als ein wichtiges Werk Giovanni Picos zu gelten haben, wenn nicht als sein opus maximum. Eine biographische Darstellung der Ausbildung Picos ausgehend von den Disputationes bietet nun Akopyan (2021: S. 4–11). 16 Dies ergibt sich u.a. auch aus dem unter Picos Namen firmierenden Horoskop, dessen Bedeutung bereits von Eugenio Garin hervorgehoben wurde; vgl. hierzu sowie zum Horoskop im Allgemeinen insbesondere Castelli (1994) sowie Castelli (1998). Neben einem handschriftlich angefertigten Exemplar des Horoskops Picos, welches sich im Vocabularium des Girolamo Benivieni (Florenz, Codex Gianni 46 [fol. 1r ]) – abgedruckt bei Castelli (1998: S. 19) sowie bereits bei Kristeller (1993: S. 39) – befindet, existieren mehrere gedruckte Versionen: So griff beispielsweise der berühmte Renaissance-Gelehrte, Arzt und Astrologe Girolamo Cardano (1501–1576) das Horoskop des Astrologie-Kritikers Pico auf und integrierte es in seine 1547 erschienene Horoskop-Sammlung berühmter Persönlichkeiten De exemplis centum geniturarum (Nürnberg 1547) als Nr. LXV (Cardanus 1547: S. 161f.), direkt nach dem Horoskop Savonarolas; als Zeitpunkt der Geburt findet sich hier: 1463, die 24 Februarii, | hora 1, min. 42 post | meridiem. Auch der gelehrte Astronom und bekennende Astrologe Luca Gaurico (1475–1558), der immerhin noch im Jahre 1507, also ca. 10 Jahre nach der Veröffentlichung der Disputationes, eine Verteidigungsrede für die Astrologie halten sollte (Oratio de Laudibus Astrologiae), rekurriert später in seinem astrologischen Hauptwerk, dem Tractatus astrologicus (Venedig 1552), auf Picos Horoskop und übernimmt größtenteils die Informationen Cardanos; vgl. hierzu insbes. Castelli (1998: S. 27): »Il Tractatus, sia pur con alcune differenze, si fonda direttamente sull’ opera di Cardano [...]« [Hervorhebung: Castelli]. Neben leicht von seinem Vorgänger abweichenden Angaben zu den Positionen der Sterne zur Geburt Picos findet sich hier als Geburtszeitpunkt die Angabe (58r ): Anno 1463 | Februario D.H.M. [= Dies Horae Minuta]: | 24 2 42 N.S. [= Novus Stilus, also nach dem Gregorianischen Kalender]; zu Gaurico im Allgemeinen immer noch grundlegend Pèrcopo (1894: S. 123–169); ein guter Überblick findet sich auch bei Bacchelli (1999). Dass sich Gaurico explizit mit den Angriffen auf die Astrologie in den Disputationes auseinandersetzte, wird aus seiner Oratio de Laudibus Astrologiae, die einer Edition astronomisch-astrologischer Werke, insbesondere der Sphaera des Johannes von Sacrobosco, vorangestellt ist (Ioannes de Sacrobusto 1531, fol. a2r –v ), deutlich, wo er den Grafen nominatim erwähnt (a2v ): Scio equidem multos eudoxios, hoychilaces [cf. disp. 1,17] et picos esse, qui dicant magna haec esse quae promittit Astrologus. Repudianda tamen, veluti vana et ficticia. Pernegentque rerum futurarum praesensionem ex astris haberi nullo modo posse. Vgl.

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Neben seinen beiden älteren Brüdern Galeotto und Antonio Maria, die nach dem Tode des Vaters einen langwierigen Streit um das Familienerbe vom Zaun brechen sollten, hatte Pico auch zwei ältere Schwestern, Caterina, die Leonello Pio von Carpi heiraten sollte, den Vater des Alberto Pio, sowie Lucrezia, die Pino Ordelaffi, den Fürsten von Forlì heiratete.17 Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahre 1468 von seiner Mutter für ein theologisches Studium vorgesehen, reist Pico bereits um 1477 nach Bologna, um dort ein Studium des kanonischen Rechtes aufzunehmen.18 Dieses bricht er jedoch bereits im Folgejahr, nach dem Tod seiner Mutter, ab und begibt sich nach Ferrara, um dort philosophischen und literarischen Studien nachzugehen. Dort trifft er aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein erstes Mal auf den Dominikanermönch Savonarola – die Wege der beiden Männer sollten sich noch des Öfteren, insbesondere gegen Ende von Picos Leben, kreuzen.19

hierzu u.a. auch Vasoli (1988: S. 349–354). Auch Francesco Giuntini (1523–1590), einer der Schüler Gauricos, fügte das Geburtshoroskop des Florentiner Philosophen in seine – an den beiden Vorgängern Cardano und Gaurico orientierte – Horoskopsammlung (Speculum astrologiae: Lyon 1581) ein, die er seinem apologetischen Kommentar der Tetrabiblos des Ptolemaios beifügte; in dieser Sammlung finden sich Horoskope anonymer und bekannter Persönlichkeiten, darunter politischer Führer wie König Edward VI. von England (p. 402) oder Francesco II. Sforza (p. 123), Herzog von Mailand, sowie Gelehrter, wie beispielsweise Erasmus von Rotterdam (p. 273), Georg von Trapezunt (p. 538), Pietro Bembo (p. 347) und eben Giovanni Pico (p. 540). Obschon er die Daten des Horoskops von Pico abgesehen von geringfügigen Änderungen von seinen Vorgängern übernimmt, gibt er – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – die Namen der Astrologen, die den Tod Picos in dessen 33. Lebensjahr vorhergesagt haben sollen, die bei Gaurico noch anonym als tres potissimum (58r ) bezeichnet wurden, expressis verbis an: Bucius [sic!] Bellantius (Lucio Bellanti), Antonius Syrigatus (Antonio Sirigatti) und Angelus de Catastinis (Angelo Catastini). 17 Zu Pino Ordelaffi vgl. auch den DBI-Artikel von Alma Poloni, wo als Todesdatum das Jahr 1480 angegeben wird (vgl. Poloni 2013: S. 427); zum Tode Ordelaffis siehe auch die Beschreibung in disp. 2,9,8, wo Pico auf dessen Tod, der vom Astrologen Girolamo Manfredi (Hieronymus Manfredus) nicht vorhergesehen worden war, rekurriert. 18 Vgl. die Beschreibung in der Vita (Picus 1496: I fol. a3r ) sowie bei Garin (1937: S. 4f.) und Garfagnini (1996: S. 602): »Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1467 [!] übernahm seine Mutter die Sorge für seine Erziehung in der bewußten Absicht, ihm eine Verwicklung in eine nicht endende Spirale von Kämpfen aufgrund von Erbstreitigkeiten und politische-militärischen Standespflichten zu ersparen. Deshalb wurde für ihn eine kirchliche Laufbahn ins Auge gefaßt [...].« 19 Dass Pico Savonarola bereits in Bologna kennen gelernt hatte, ist zwar nicht auszuschließen, da Savonarola in den frühen 70er Jahren des 15. Jahrhunderts Mitglied im Dominikanerkloster ebendort war, entbehrt aber jedes Hinweises (vgl. Garin 1937: S. 8). Während der Einfluss des Savonarola auf Pico in dessen letzten Lebensjahren früher sehr stark betont wurde, sodass der Prediger sogar als auslösendes Moment für die Disputationes betrachtet wurde (so z.B. Soldati (1906: S. 214): »Di pietà attiva però, la sola pietà ch’ei potesse concepire, a cui lo spingevano inoltre e l’esempio del Ficino [...], e specialmente il Savonarola [...]. L’influenza savonaroliana fu invero decisiva sull’animo del Pico.«), vertritt die modernere Forschung einen gemäßigteren Einfluss des Mönches. Hierzu zählt z.B. Vasoli (2006: S. 504): »È vero che talune tracce dell’atteggiamento sa-

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Einleitende Untersuchung

1.2.2 Erster Aufenthalt in Florenz

In diese Zeit fällt außerdem ein möglicher erster Aufenthalt in Florenz, bei dem er u.a. Angelo Poliziano (1454–1494), Marsilio Ficino (1433–1499) und Girolamo Benivieni (1453–1542) kennengelernt haben könnte.20 Fest steht, dass er während seines Aufenthaltes in Ferrara u.a. mit Battista Guarini und Vespasiano Strozzi, dem Hofdichter der Familie d’Este, in Kontakt kam, ein Zirkel, der ihn zu seinen ersten lateinischen Dichtungen inspirierte.21 Doch auch das Umfeld Ferraras scheint ihn nicht lange befriedigt zu haben, sodass es ihn weiter nach Padua zieht, wo er bereits am 16. Dezember 1480 die Erlaubnis erhält, an der dortigen Universität u.a. bei Nicoletto Vernia und Agostino Nifo, zawei wichtigen Aristotelikern, zu studieren.22 Die Stadt am Po sollte die Denkweise Picos nachhaltig beeinflussen, da er an der philosophischen Fakultät dieser Stadt Gelegenheit bekam, sich intensiv mit dem Aristotelismus und den arabischen Aristoteles-Kommentatoren, insbesondere Ibn Rušd (Averroes), auseinanderzusetzen, was nicht zuletzt auf seivonaroliano nei confronti delle arti magiche e ›occulte‹ sono presenti nel testo del Pico, sebbene non costituiscano affatto il fulcro centrale del suo discorso e siano quasi sempre soltanto riferibili alla contestazione dell’esito deterministico della ›prenozione‹ astrologica.« Ganz ähnlich auch die Schlussfolgerung bei Vasoli (2008). Die These, der Dominikanermönch könnte als Auslöser für den Trakat gegen die Astrologen gedient haben, wurde bereits von Zeitgenossen des Philosophen vertreten. So schrieb beispielsweise Lucio Bellanti in seiner Schrift De astrologica veritate, seiner widerlegenden Antwort auf die Disputationes, dieser Angriff auf die Astrologie, immerhin eine der artes liberales, sei weniger die Schuld Picos, da er seine Schrift, hätte er nur länger gelebt, sicherlich verbrannt hätte (Bellant. resp. ad lect. fol. v : [Q]uis enim iure in Picum saevire potest? qui licet haec commentatus fuerit non tamen edidit. Picus enim si supravixisset: non modo opus hoc non edidisset: verum impietatis poenitentia ductus, non ambigo quin omnino combussisset.) – vielmehr sei die Schrift auf Savonarolas Einfluss auf Pico zurückzuführen: Mirum autem est, ut tam brevi temporis spacio Astrologiam falsam abiciendamque deprehenderit: nisi forte veri luminis particeps factus est ab eo (quem sepissime consulebat) fratre Hieronymo Savonarola omnem veritatem sit complexus: cuius suasu hoc opus scripsisse credendum est: cum eiusdem consilio impressum fuerit: tum quoniam vulgari sermone, non doctis sed populis (quos seducere studebat) libellum edidit: ubi leviora quedam ad verbum ex hoc opere [sc. ex Disputationibus] transtulit (Bellant. resp. 1 fol. q2r –q2v ). Zur Bedeutung des Dominikanermönches in Bezug auf eine theologische Neuausrichtung vgl. insbes. auch Edelheit (2008: S. 369–462): »The historical figure of Savonarola is related inseparably to the religious, social, political and intellectual history of Florence during the 1490s« (ebd.: S. 369); eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Pico und Savonarola kommt dabei leider zu kurz. 20 Vgl. Roulier (1989: S. 39) sowie Garin (1937: S. 5f.), der einen möglichen Aufenthalt Picos in Florenz in diesen Jahren allerdings für eher unwahrscheinlich hält; auch Garfagnini (1996: S. 603) erwähnt ihn nicht und datiert den ersten Florenzaufenthalt Picos in das Jahr 1483. Vorsichtig auch Bacchelli (2015: S. 268): »con ogni probabilità nella primavera del 1479«. 21 Vgl. u.a. Speyer (1964: S. 4) sowie Semprini (1988: S. 11f). Zehn von Picos lateinischen Gedichten dieser Jahre finden sich in der Edition von Speyer (1984); eine Datierung dieser Poesie in die Jahre vor 1481 findet sich ebd.: S. 20. Auf die Verbindung zu Battista Guarini und den studia humanitatis weist ebenfalls Keßler (2008: S. 114) hin. 22 Vgl. Garin (1942: S. 10) sowie Keßler (2008: S. 114).

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ne Bekanntschaft mit Elia del Medigo (ca. 1460–1493), »un savant juif qui jouissait de la réputation mérité de bon commentateur d’Aristote et d’Averroès«23 , zurückzuführen ist.24 Durch ihn, einen profunden Kenner nicht nur des averroistisch geprägten Aristotelismus, sondern auch der hebräischen Sprache, vermittelt, kommt Pico nicht nur zunehmend mit dem Aristotelismus bzw. der averroistischen Lesart desselben in Berührung, sondern auch mit jüdisch-hebräischer Philosophie, die sich auch in seinen Werken niederschlagen sollte; insbesondere die von Medigo publizierten Averroes-Übersetzungen, aber auch einige explizit für Pico angefertigte Übersetzungen, beeinflussten die Denkart des jungen Philosophen in hohem Maße.25 In diesem Umfeld dürften auch die ersten Kontakte Picos mit der Kabbala, jener mystisch-jüdischen Lehre, die ebenfalls von großer Bedeutung für Picos späteres Werk werden sollte, zu verorten sein.26 Auch den Theologen und Juristen Ermolao Barbaro (Hermolaus Barbarus), seinerseits ein bedeutender Humanist und späterer Aristoteles-Übersetzer (insbesondere der aristotelischen »Rhetorik«), lernte er während seines Aufenthaltes in Padua kennen und schätzen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine kollegiale Freundschaft, deren wirkmächtigstes Zeugnis wohl jene berühmte Auseinandersetzung um das richtige Verständnis und die korrekte Anwendung der Rhetorik ist, die die beiden Gelehrten im Jahre 1485 in Briefform austragen sollten: Hierbei vertrat Pico den Standpunkt, Rhetorik und Philosophie schlössen einander aus, wobei der auf der Suche nach der Wahrheit sich befindlichen Philosophie der Vorrang gebühre; Barbaro hingegen hatte die scholastischen Philosophen wegen ihres unzureichenden Stils hart gerügt und ihnen ihr »barbarisches« Latein vorgeworfen. Dass dieser Standpunkt Picos in der literarischen Fehde mit Barbaro nicht nur literarischer Lust am Disput entsprang – wie er selbst es apologetisch in seinem polemischen Brief an Barbaro formulierte27 – sondern auch einem intellektuellen Umbruch seines Denkens geschuldet war, beweist sein literarisches 23 Roullier (1989: S. 39). 24 Zum Leben und Wirken Medigos vgl. u.a. Geffen (1973) sowie – insbesondere in Bezug auf Pico – Garin (1937: S. 12f.) und Akopyan (2021: S. 5f.). Ein Abriss der Literatur zu Medigo und seinem Verhältnis zu Pico findet sich auch bei Keßler (2008: S. 235 [Anm. 52]). 25 Vgl. insbes. Garin (1937: S. 13). 26 Vgl. Semprini (1988: S. 22f.). Insbesondere in der Apologia, aber auch in seinen Theses, nimmt Pico mehrfach Bezug auf die Lehren der Kabbala bzw. seine Deutung derselben, von der er immerhin in seiner Apologia sagen kann (Pico 1969: I S. 180): Haec est prima et vera Cabala, de qua credo me primum apud Latinos explicitam fecisse mentionem, et est illa, qua ego utor in meis conclusionibus, quas cum expressè ponam contra Hebræos, ad confirmationem fidei nostrae, nescio quomodo isti Magistri habere potuerunt pro suspectis in fide. Zur Bedeutung der Kabbala im Werk Picos vgl. auch Greive (1975). Zu seiner Verurteilung kabbalistischer Lehren in den Disputationes vgl. Farmer (1998: S. 142f.). 27 Vgl. Pico (1969: I S. 358): Sed exercui me libenter in hac materia tamquam infami, ut qui quartanam laudant, cum ut ingenium periclitarer, tum hoc consilio, ut veluti Glauco ille apud Platonem iniustitiam laudat non ex iudicio, sed ut ad laudes Socratem extimulet.

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Einleitende Untersuchung

Schaffen: Hatte Pico sich noch mit seinen ersten literarischen Versuchen ganz in humanistischer Manier an antiken Dichtern wie Vergil oder Ovid orientiert, neigen sich die von ihm verfassten Traktate fortan – mit Ausnahme beispielsweise der rhetorischen Stilmittel verpflichteten Oratio de hominis dignitate – zunehmend der Philosophie zu.28 Nachdem es den jungen Pico auch aus Padua weggezogen hatte, begab er sich mit Emanuele Adramitteno und Aldo Manuzio auf die Reise nach Mirandula und Carpi.29 Spätestens 1483 siedelte er ganz nach Florenz in den Kreis um Lorenzo de’ Medici (1449–1492), genannt ›il Magnifico‹, über, dem neben dem literarisch gebildeten Fürsten selbst u.a. auch Ficino, Poliziano und Benivieni angehörten. Auf Grund des Einflusses des deutlich älteren Ficino begann Pico hier, sich mit den philosophischen Lehren des Neuplatonismus auseinanderzusetzen, neben seinem in den scholastischen Zentren Paris und Padua geschulten Aristotelismus eine wichtige Voraussetzung für seine spätere Absicht, eine Concordia philosophorum zu postulieren.30 In den Jahren zwischen 1484 und 1486 genießt Pico, nachdem die Fehde seiner Brüder beigelegt ist, nun aller finanziellen Sorgen entledigt, seine Zeit in Florenz, wo er in humanistischer Manier zusammen mit Poliziano Handschriften untersucht und sich im Zirkel um Ficino bewegt.31 Auch ein Aufenthalt an der Akademie in Paris, der Pico nachhaltig beeinflusste, fällt in diese Zeit;32 ganz im Sinne des positiven Eindruckes, den das dortige gelehrte Umfeld bei dem jungen Gelehrten hinterlassen hatte, sprach er später mehrfach anerkennend vom Stil celebratissimorum Parisiensium disputatorum.33 1.2.3 Eine römische Affäre und die »pax philosophorum«

Während seines neunmonatigen Aufenthaltes in Paris dürfte in Pico der Plan gereift sein, eine öffentliche Anhörung in Rom abzuhalten, in der er auf Grundlage seiner 900 Conclusiones die prinzipielle Vereinbarkeit aller philosophischen Schulen und Traditionen beweisen wollte.34 Hierzu trugen nicht nur die frisch er28 Vgl. hierzu auch Bausi (1996: S. 31), der von einer »duplice formazione culturale« spricht. 29 Vgl. Garin (1937: S. 14). Aldo selbst erwähnt die Zeit in einem später an Polizian verfassten Brief (Politianus 1553: S. 90): Annum abhinc tertium, quo Veneti Ferrariam oppugnabant, me ut vel dei (ut aiunt) nedum hominum bellum fugerem ex urbe Ferraria Mirandulam contuli ad Ioannum Picum, principem aetatis nostrae doctissimum. 30 Vgl. zum literarischen Talent Lorenzos u.a. einen an ihn gerichteten Brief Picos vom Juli 1484 (Pico 1969: I S. 348–351), in welchem er dessen Stil sogar den Schriften Dantes und Petrarcas vorzieht; vgl. hierzu auch Dorez / Thuasne (1897: S. 15). 31 Vgl. Garin (1937: S. 20) sowie Bacchelli (2015: S. 269f.). 32 Vgl. u.a. Roulier (1989: S. 40) sowie Garin (1937: S. 24) und Akopyan (2021: S. 6f.). 33 Vgl. u.a. Roulier (1989: S. 40 mit Anm. 17). Grundlegend zum Aufenthalt in Paris ist immer noch die umfangreiche Darstellung von Dorez / Thuasne (1897). 34 Vgl. Keßler (2008: S. 114f.) sowie Garin (1937: S. 25).

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worbenen Kenntnisse um die scholastische und averroistische Tradition, die Pico in Paris sammeln konnte, bei, sondern auch sein neues Wissen um philosophische Strömungen östlicher Tradition, das er im Rahmen eines – erzwungenen – Aufenthaltes in Perugia und Fratta hatte gewinnen können: Als Pico auf seiner Reise nach Rom im Jahr 1486 Zwischenstopp in Arezzo einlegte, entführte er dort Margherita, die Gattin von Giuliano Mariotto de’ Medici, und versuchte, mit ihr zusammen das Land zu verlassen. Die beiden wurden jedoch vom betrogenen Ehemann eingeholt und Pico wurde gefangengenommen, wobei sein Aufenthalt im Gefängnis dank der Fürsprache Lorenzo de’ Medicis nicht allzu lange währte.35 Im Anschluss an diese aventure galante begab sich Pico zunächst nach Perugia, wo er erneut mit Elia del Medigo zusammentraf und Gelegenheit hatte, dessen Erkenntnisse zu Ibn Rušd (Averroes) und Ibn Sīnā (Avicenna) mit ihm zu diskutieren. Auch mit den mystischen Lehren der Kabbala befasste sich Pico in dieser Zeit erneut unter der Anleitung von Flavio Mitridate.36 Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass nicht nur Platon und Aristoteles sowie deren Nachfolger und Exegeten (und damit auch Ibn Rušd), sondern »alle bekannten philosophischen und theologischen Schulen und Autoren bestimmte wahre und gültige Einsichten enthalten, die miteinander vereinbar sind und es deswegen verdienen, wiederaufgenommen und verteidigt zu werden.«37 In diesem Sinne sammelte er 900 Thesen aus unterschiedlichsten philosophischen und theologischen Strömungen, die er als Conclusiones DCCCC im Dezember 1486 bei Eucharius Silber drucken und in Rom und weit darüber hinaus verbreiten ließ, um ein breites Publikum für seine für Beginn des Jahres 1487 in Rom geplante Disputatio zu sammeln; dabei bot er sogar an, die Kosten für die Anreise nach Rom zu übernehmen.38

35 Zu dieser Episode vgl. Garin (1937: S. 25f) der in diesem Zusammenhang von einem »grande ... scandalo« spricht (ebd.: S. 25). Hier findet sich auch ein Zitat von Picos Schwägerin Costanza Bentivoglio, das Hinweis gibt, dass die ›Entführung‹ nicht ganz gegen den Willen der jungen Frau abgelaufen sei: »la qual femina lo seguiva volontariamente« (ebd.: S. 25). 36 Vgl. Garin (1937: S. 27–29) sowie Farmer (1998: S. 11–14). 37 Kristeller (1986: S. 51). 38 Eine entsprechende Einladung findet sich im Kolophon der Editio princeps, die jedoch in späteren Drucken nicht aufgenommen wurde. Sie lautet (Farmer 1998: S. 552): Et siquis Philosophus aut Theologus etiam ab extrema Italia arguendi gratia Romam venire voluerit, pollicetur ipse Dominus disputaturus se viatici expensas illi soluturum de suo. Zur Tatsache, dass das Angebot nur in der Editio princeps vorhanden war, vgl. ebd.: S. 3–4 mit Anm. 10. Die Conclusiones wurden weder in die Ausgabe der Opera omnia von 1496 aufgenommen noch in spätere Nachdrucke dieser Ausgabe, sondern erst wieder 1532 und dann in der großen Baseler Ausgabe (1557–1572) aufgelegt. Die Tatsache, dass die Conclusiones eigentlich 700 Thesen beinhalteten, Pico diese jedoch kurz vor dem öffentlichen Disput um weitere 200 erweiterte, schildert er selbst in einem Schreiben an Girolamo Benivieni (Dorez 1895: S. 358): Disputanda per me publice dogmata ante tuum a me discessum 700is claudebantur. Postquam abisti, ad 900a excreverunt progrediebanturque, nisi receptui cecinissem, ad mille.

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Einleitende Untersuchung

Als Einleitung zu dieser geplanten Disputation, an der nach Ansicht Picos der Papst höchstpersönlich teilnehmen sollte, verfasste er eine Rede, die als Oratio de hominis dignitate Berühmtheit erlangte und von Jakob Burckhardt als »wohl eines der edelsten Vermächtnisse jener Kulturepoche«39 bezeichnet wurde. Dass dieses Projekt einer umfassenden und synkretistischen pax philosophorum auch für die debatten- und diskussionsfreudige Renaissance außergewöhnlich ambitioniert war, belegt nicht nur die große Resonanz, auf die das Projekt stieß, sondern auch die rasche und harsche Reaktion der Kirche. Dass der junge Gelehrte dabei nicht die erwartete Zustimmung erfuhr, wird bereits aus dem zweiten Teil der Oratio deutlich, der zunehmend apologetische Töne anschlägt.40 In diesem Sinne ließ Papst Innozenz VIII. am 2. März 1487 eine päpstliche Kommission zur Untersuchung der Thesen Giovanni Picos unter dem Vorsitz von Jean Monissart, Bischof von Tourai, zusammentreten.41 Die Mitglieder der Kommission befanden mehrheitlich sieben Thesen für kritisch und räumten Pico die Möglichkeit ein, zu diesen Thesen Stellung zu beziehen, was er auch tat – allerdings mit wenig Erfolg: Bereits am 5. März kam die Kommission zu dem Schluss, die sieben besagten Thesen zu verdammen, nur kurze Zeit später kamen sechs weitere, inhaltlich als kritisch bewertete, Thesen hinzu.42 Während Pico noch in einer eilig verfassten und seinem Gönner Lorenzo de’ Medici gewidmeten Apologia versuchte, seine Disputation und sich selbst zu retten, verurteilte die Kommission, die sein Fehlverhalten auf seine Jugend zurückzuführen versuchte und ihm bescheinigte, ein begabter junger Mann zu sein, die insgesamt 13 Thesen als häretisch und belegte im August desselben Jahres das gesamte Werk mit einem Bann.43 Da die Situation ungeachtet der Tatsache, dass Pico eine uneingeschränkte »Gehorsamserklärung«44 gegenüber der päpstlichen Gewalt unterzeichnet hatte, zunehmend gefährlicher wurde und angesichts der »ténacité de ses adversaires«45 , 39 Burckhardt (1860: S. 354). 40 Vgl. hierzu u.a. Kristeller (1986: S. 52): »Der ganze zweite Teil dieser Rede war darauf angelegt, Natur und Absicht seiner Thesen zu rechtfertigen [...].« Zu den unterschiedlichen Redaktionsschritten der Oratio, die noch im Inhaltsverzeichnis der Ausgabe von 1496 als Oratio quedam elegantissima (fol.r ) bezeichnet wird, vgl. insbesondere auch Roulier (1989: S. 50). 41 Vgl. Garin (1937: S. 32–33) sowie Dorez / Thuasne (1897: S. 61–64), die auch die anderen 16 Mitglieder der Kommission namentlich aufzählen, darunter Jean Cordier von der Universität Paris, der sich als einziger auf die Seite des jungen Philosophen stellte. 42 Vgl. Garin (1937: S. 33) sowie Dorez / Thuasne (1897: S. 64–65). 43 Vgl. Garin (1937: S. 33 –35) sowie Dorez / Thuasne (1897: S. 65): »Les treize propositions étaient donc plus ou moins gravement condamnées. Tous les commissaires, sauf un, souscrivirent le procès-verbal du notaire.« Die Apologia erschien Ende Mai oder Anfang Juni bei Francesco del Tuppo in Neapel; vgl. hierzu insbes. Fornaciari (2010: S. XVI–XVII) sowie Garin (1937: S. 34). 44 Kristeller (1986: S. 49); Garin (1937: S. 34) spricht von einer »dichiarazione di sottomissione assoluta alle decisioni dei commissarî pontificî«. 45 Dorez / Thuasne (1897: S. 69).

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sah sich der junge Philosoph genötigt, bis auf Weiteres das Land zu verlassen, und reiste hastig nach Frankreich.46 In Lyon angekommen wurde er zwar auf Veranlassung eines päpstlichen Ediktes verhaftet, genoss dort allerdings freundliche Aufnahme und konnte auf Betreiben seines Gönners Lorenzo de’ Medici nach Italien zurückkehren, wo er in Florenz die letzten Jahre seines Lebens unter dem Schutz seines Patrons verbringen durfte.47 1.2.4 Letzte Jahre in Florenz: Von der »Concordia« zu den »Disputationes« – der Kampf gegen die Feinde des Glaubens

Hatte Pico während der Ereignisse um die Debatte in Rom und die Conclusiones gerade einmal Zeit gefunden, seinen Commento zu einem platonischen Gedicht seines Freundes Benivieni zu verfassen, fand er in seinen letzten Jahren in Florenz die Zeit und Ruhe, sich ausgiebig seinen literarischen und philosophischen Studien zu widmen, was sich insbesondere auch in seiner publizistischen Tätigkeit niederschlug. Hierbei schlug er auch zunehmend neue Pfade ein: Während der Commento noch stark platonischer bzw. platonisierender Denkweise verpflichtet war, wie sie in der Akademie Marsilio Ficinos vorherrschte, setzte er sich mit den späteren Werken zunehmend von Ficino und dessen Neuplatonismus ab.48 So verfasste er 1489 seinen Heptaplus, eine siebenfache Kommentierung der ersten 27 Verse der Genesis, ein den Lehren der Kabbala, die er in diesen Jahren neben biblischen Studien intensiv betrieb, in hohem Maße verpflichtetes Werk.49 Nach ausgedehnten Reisen zusammen mit Angelo Poliziano in die Bibliotheken von Bologna, Padua und Venedig verfasste er 1491 seine Poliziano gewidmete Schrift De ente et uno, das einzige (erhaltene) Werk seines geplanten opus magnum zur Einheit des Denkens von Platon und Aristoteles (Concordia Platonis et Aristotelis).50 46 Vgl. Garin (1937: S. 35f.) sowie Garfagnini (1996: S. 603). Bacchelli (2015: S. 272) spricht dezidiert von einer Flucht: »fuggiva verso la Francia«. 47 Vgl. Garfagnini (1996: S. 603) sowie Kristeller (1986: S. 49). 48 Vgl. hierzu Garfagnini (1996: S. 603) sowie Blum (2004: S. 170–177). 49 Vgl. Garin (1937: S. 39) sowie Kristeller (1986: S. 53–55). Der Heptaplus erschien als Heptaplus Ioannis Pici Mirandulae de septiformi sex dierum geneseos enarratione ad Laurentium Medicem um das Jahr 1490 bei Bartholomeo di Libri in Florenz. Vgl. hierzu Roulier (1989: S. 12). 50 Zur Reisetätigkeit Picos mit dem Ziel der Handschriftenkollation vgl. insbesondere Gentile (1997: S. 473). Zu Picos Tätigkeit als Sammler von Literatur vgl. insbes. Grafton (1999: S. 98–102), der bei Picos Sammlertätigkeit zwar eine »primitive Akkumulation des Wissens« (ebd.: S. 101) erkennt, dessen ungeachtet aber konstatiert, dass »Picos Glaube an die Würde des Menschen und die Einheit des Wahren [...] unausweichlich zur Folge [hatte], daß er alles Lesbare sammeln und lesen mußte.« (ebd.: S. 102). Dass Pico 1490 intensiv an der Concordia arbeitete, schreibt er persönlich in einem Brief an Battista Spagnuoli (Pico 1969: I S. 359): Concordiam Platonis et Aristotelis assidue mollior. Zur Übereinstimmung von Platon und Aristoteles vgl. insbes. Kristeller (1986: S. 54– 56) sowie Blum (2004: S. 171–173) und Blum / Damschen / Kaegi et al. (2006: S. XII–XV sowie

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Einleitende Untersuchung

Wann Pico neben seiner Concordia den Plan fasste, eine umfangreiche Widerlegung der sieben Feinde der Kirche zu verfassen, ist unklar. So schreibt sein Neffe und Biograph in der Vita Pici:51 Postremo ad debellandos septem hostes ecclesiae animum appulerat. Qui enim nec christo, nec illius paret ecclesiae, et quod est sequens eius est hostis, aut impius existens nullum recipit credendum dogma, sive falsis inservit idolis, subque hisce simulacris, demones adorat, Seu Mosaycam, perditissimorum iudeorun legem colit, Nefandum ve maomethem sequitur, detestandis illius placitis mancipatus, Aut christianam auditu tantum, non operibus et mente sincera, vitam vivens: evangelica documenta pervertit, Catholicaeque ecclesie non consentiens: obstinato corde recalcitrat, vel non casta fide, sed variis adulterata, prophanataque superstitionibus evangelia suscipit, Aut licet solida nitidaque ac constanti fide receperit operibus adversaretur. Hos itaque septem, quasi duces sub quibus reliqui, velut gregarii, continentur, propriis eorum armis conflicturus: ad congressum citaverat. Adversus impios philosophos, qui nullae religionis iugo colla depressi, nullique addicti numini, naturales tantum rationes adorant, eisdem rationibus dimicabat. veteris testamenti sententiis, propriisque iudaice scholae auctoramentis, validissime contra hebreos praeliabatur, cum maumethanis, Alcorano nixus, pedem contulerat. Idolorum cultores et multis vulneribus, et vi non multa prostraverat superstitionibus vanis irretitos, eos presertim qui divinatricem colunt astrologiam, et verae philosophiae, et peculiaribus rationibus astrologorum acriter taxaverat: Duodecim iam libris, et quidem absolutissimis, ex tredecim ad hoc destinatis eorum deliria insectatus fuerat. Demum hydromantiam, geomantiam, pyromantiam, haruspicinam, et caetera id genus inania singillatim exploserat.

Außer dem unbestimmten postremo gibt diese Darstellung allerdings keinen Hinweis, wann Pico mit der Abfassung der Disputationes begann.52 In einem – leider undatierten – Brief Angelo Polizianos an Giovanni Pico, in dem er eine paraphrasierende Übersetzung des Bauernkalenders bei Hesiod gibt, den Pico im vierzehnten Kapitel des dritten Buches ausführlich bespricht, richtet jener die folgenden Worte an seinen Freund:53 S. XXV–XXXVII) zur Tradition der Concordia Platonis et Aristotelis. Dass diese Vereinigung der beiden großen antiken Philosophen dem eher platonisch geprägten Weltbild Ficinos zuwiderlief, liegt auf der Hand. In diesem Sinne formulierte Ficino spitz und offensichtlich nicht ohne persönliche Befindlichkeit gegenüber dem deutlich jüngeren Pico in seinen Commentaria in Parmenidem 49 (Ficinus 1576: II S. 1164): Utinam mirandulus ille iuvenis disputationes, discursionesque superiores diligenter consideravisset, antequam tam confidenter tangeret praeceptorem, ac tam secure contra Platonicorum omnium sententiam divulgaret, et divinum Parmenidem simpliciter esse logicum, et Platonem una cum Aristotele ipsum cum ente unum, et bonum adaequavisse. Auf die Abhandlung der Concordiae Platonis et Aristotelis rekurriert Pico auch mehrfach in den Disputationes (u.a. disp. 3,4,32). 51 Picus (1496: I fol. a4r –a4v ). 52 Vgl. zu dieser Fragestellung insbesondere Bacchelli (2008: S. 141–144), der die Abfassung der Disputationes »in gran parte tra il 1493 e i primi mesi del 1494« (ebd.: S. 142) datiert. 53 Politian. epist. 12,8 (Politianus 1553: S. 168–170). Die besagte Stelle im Rusticus Polizianos sind die Verse 463–480.

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Cum superioribus diebus enarrarem Florentinae iuventuti Rusticum nostram [!], cui tu quoque poemati nonnihil tribuis: et ad eum iam locum devenissem, quo lunares dies Hesiodus secutus, alios aliis aut inspectionibus, aut operibus tribuebam: dubitare mecum coepi doctissime Pice, nunquid istiusmodi tam veteres observationes a naturae causis, an a vulgi magis credulitate profectae sint. Quare quoniam tu nunc librum cum maxime componis adversus astrologos, multiplici doctrina, magnisque argumentis instructum, quibus haec esse vel propria, vel certe finitima videri possunt, adeundus mihi praecipue es, qui praescribas quatenus his antiqui vatis legibus, quas iam nostras imitatione fecimus, obtemperandum sit [...]. Mitto etiam ad te Graecum hoc epigramma, quod effutivi nuper, astrologis istis tuis iratus, qui cum professione ipsorum rixantem, diutius etiam quam velim, ruri te remorantur.54

Während dieser Brief von anderen auf das Jahr 1483 datiert wurde, was einen Beginn der Abhandlung gegen die Astrologie bereits in die frühen 80er Jahre nahelegen würde, spricht sich Franco Bacchelli für eine Datierung in das Jahr 1493 aus.55 Die zahlreichen bisweilen wörtlichen Überschneidungen der HesiodÜbersetzung Polizianos und der Regeln, die Pico in disp. 3,14 referiert, legen nahe, dass der Brief unmittelbar in die Bearbeitung dieses Kapitels einfloss, was eine Spätdatierung im Sinne Bacchellis wahrscheinlich macht. Bei dem griechischen Epigramm handelt es sich zweifellos um das Epigramm 49, welches sich an Pico richtet.56 Darüber hinaus finden sich einige in den Disputationes verstreute Hinweise auf das Abfassungsjahr, die auf das Jahr 1493 bzw. 1494 schließen lassen: – Die Erwähnung der Stromata des Clemens Alexandrinus.57 Dies bedeutet, das Jahr 1491 kann als terminus post quem für die Abfassung des zweiten Buches gelten. – Die Erwähnung der Übersetzung des Romans ›Hayy Ibn Yaqzan‹ des arabisch-spanischen Gelehrten Abū Bakr Muhammad Ibn Tufaīl al-Qaīsī al-Andalusī (Abubater).58 Ebd.: S. 168 Vgl. Bacchelli (2008: S. 142). Politianus (1553: S. 633) sowie Garin (1946: S. 3) abgedruckt oben in Kapitel 1.1 (S. 13). Vgl. disp. 4,4,2: quorum mentionem quoque factam ab Aristotele et antiquior Isidorus et post Isidorum Clemens Alexandrinus in Stromatis meminerunt, deren Codex unicus (Laur. Plut. 5,3) 1491 von Demetrio Castreno in Konstantinopel erworben wurde und von dort nach Florenz gelangte. Im Codex finden sich darüber hinaus Marginalien, die auf Giovanni Pico und Angelo Poliziano als Leser weisen. Vgl. Gentile (1994: S. 99–100). 58 Vgl. disp. 1,50: Scripsit etiam Abubater De natalibus praedictionibus et eodem nomine alius philosophica, praecipueque librum Quo quisque pacto per se philosophus evadat, quem anno superiore ex Hebraeo vertimus in Latinum. Den Nachweis, dass diese Übersetzung im Jahre 1492 angefertigt wurde, erbringt Bacchelli (1993: S. 1–3) sowie Bacchelli (2001: S. 100–102): »Quindi la sua [sc. Pier Leone da Spoleto] traduzione di Ibn Tufayl dovrebbe risalire al 1492, o [...] agli ultimi mesi del 1491« (ebd.: S. 101). Das Werk ist aufgeführt als Nr. 65 im Katalog der hebräischen Werke im Besitz Picos bei Tamani (1997: S. 512). 54 55 56 57

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Einleitende Untersuchung

– Der Hinweis auf den Tod des Pietro Attendolo im Vorjahr (disp. 2,9,9), der am 4.12.1492 verstarb.59 – Ebenso der Verweis auf den Tod der Costanza Bentivoglio zwei Jahre zuvor, die im Jahr 1491 verstarb.60 – Der Hinweis auf das aktuelle Jahr 1493 in disp. 5,161 , 5,1262 und 9,11.63 – Auf das Jahr 1494 hingegen verweisen zwei Hinweise im ersten Kapitel des fünften Buches.64 Da diese Hinweise lediglich Termine für einzelne Bücher bezeichnen, ist es nicht auszuschließen, dass Pico das Werk bereits lange früher begann, dann aber im Jahre 1493 in großer Eile zu Ende zu schreiben anfing. Dagegen spricht allerdings, dass Pico in den früheren Werken, insbesondere den Conclusiones, die Astrologie keineswegs verwirft; so lautet beispielsweise die letzte seiner eigenen Thesen (conclus. 11,72 p. 552 Farmer): Sicut vera astrologia docet nos legere in libro Dei, ita Cabala docet nos legere in libro legis.

Es erscheint geradezu absurd, dass Pico zu einem früheren Zeitpunkt die Abfassung der Disputationes, einer umfangreichen und radikalen Widerlegung der As-

59 Vgl. hierzu Bacchelli (2001: S. 101). 60 Vgl. disp. 2,9,10: Constantia, Antonii fratris uxor amantissima, quae Romae abhinc biennium publico fere luctu totius urbis vita excessit... Ihr Todesdatum findet sich bei Bacchelli (2008: S. 142–143). 61 Arnaldus Hispanus [...] Antichristum nobis anno gratiae MCCCXLV comminabatur. Fluxere ab eo tempore anni iam supra centum quadraginta octo, et nullus adhuc Antichristus, nisi quales etiam multi tempore apostolorum (Garin 1946: S. 522). 62 Sed prius illud scire oportet, Hebraeos hoc anno, qui est a Christo MCDXCIII, annumerare a mundi constitutione, a qua suos annos dinumerant, annorum quinque milia ducentos quinquaginta tres, quare a mundo ad Christum computabunt ipsi annos tria milia septingentos et sexaginta (Garin 1946: S. 594). 63 Avenazra [...] scripsit enim anno salutis humanae millesimo centesimo quinquagesimo tertio, quia nostra fere tempora trecentis et quadraginta plus minus annis antecessit (Garin 1952: S. 344). 64 Disp. 5,1 (Garin 1946: S. 522): Olim mathematici, cum coepit Christi fides pullulare, non plus eam annis ... duraturam dixerunt, a cuius tamen initio iam millesimus quadringentesimus nonagesimus quartus annus evolvitur. Des Weiteren auch disp. 5,1, wo Pico über das Jahr 1464 spricht (ebd.): Abraham Judaeus anno Christi millesimo quadringentesimo sexagesimo quarto Messiam eorum venturum dixit ex astrologica observatione, quod tunc scilicet ea primus erat reditura siderum positio, sub qua olim Moses ex Aegypto populum eduxerat et eductis dederat legem. Ego proximo ante eum anno natus, cum iam trigesimum agam experimento didici praedictionisistius falsitatem. Da Pico 1463 geboren wurde, stand er 1494 bis zu seinem Geburtstag im 30. Lebensjahr. Bacchelli (2008: S. 1436 ) scheint die Phrase trigesimum agere als »dreißig Jahre alt sein« zu verstehen; vgl. zu diesem Ausdruck allerdings den Eintrag im OLD s.v. agere (32): »To be (in a specified year of one’s life)«. Versteht man die Phrase streng als »im dreißigsten Lebensjahr stehen«, würde dies für eine Datierung vor Picos Geburtstag am 24. Februar 1494 sprechen. Zu einer Datierung der Abfassung der Disputationes auf den Winter 1493/94 siehe auch unten.

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trologie, begann und gleichzeitig (oder kurz später) von wahrer Astrologie, die man im Buch Gottes lesen könne, berichtet.65 Dass die Disputationes innerhalb kurzer Zeit verfasst wurden, zeigt der von Giovanni Francesco Pico beschriebene Zustand des Autographs sowie eine Bemerkung Picos in disp. 2,9,2, wo es heißt: Observavi hieme ista in suburbana mea villa, in qua haec scripsimus, die Hinweis darauf gibt, dass Pico die Disputationes im Winter 1493/94 in einer Villa außerhalb Florenz verfasste. Hätte er tatsächlich den Jahreswechsel 1493/94 über den Disputationes verbracht, würde dies auch die unterschiedlichen Jahresangaben erklären, da Pico beim Abfassen des jeweiligen Abschnittes tatsächlich das im jeweiligen Falle aktuelle Jahr 1493 oder 1494 angenommen hätte – diese Ungenauigkeit hätte sicherlich in einer späteren Überarbeitung ausgeglichen werden sollen. Fest steht, dass Pico am 17. November des Jahres 1494, an dem Tag, an dem Karl VIII. die Herrschaft über Florenz nach der Vertreibung der Medici übernahm, in Folge eines heftigen Fiebers verstarb.66 Nur kurz zuvor waren seine engen Weggefährten Lorenzo de’ Medici (08.04.1492), Ermolao Barbaro (14.06.1493) und Angelo Poliziano (24.09.1494) aus dem Leben geschieden. Paul Oskar Kristeller beschreibt das Ende zu frühe Ende des jungen Philosophen mit folgenden Worten:67 Picos vorzeitiger Tod [...] bezeichnete das Ende einer bedeutenden Epoche in der Geschichte der Florentiner und der italienischen Kultur. Picos Philosophie gehörte vollständig dieser Periode an, und es ist sinnlos, darüber zu spekulieren, wie sie sich noch entwickelt haben könnte oder wie er in die folgende Periode gepaßt haben könnte, wenn ihm eine normale Lebensdauer beschieden gewesen wäre.

65 Man vergleiche hierzu beispielsweise die harsche Kritik in disp. 4,12,8: Quae [sc. stellae] si signa existimentur inter mendacia haberi non possunt, ne aut fallax fuerit aut ignorans, qui in caelesti volumine futurorum notas, ut dicunt, litterasque descripsit. Explizit Stellung zu dieser Ansicht nimmt er auch in disp. 8,4 p. II 268 Garin: Hebraeorum magistri, sicuti imagines suas astrologi, ita suum in stellis alephbetarium, hoc est suae linguae notas et elementa, invenire contendunt, nec si credulos oculos nanciscantur, minus hoc possunt illi probabiliter, quam de imaginibus astrologi persuadere. Obschon dies als Seitenhieb auf die Lehren der Kabbala interpretiert werden kann, taucht diese niemals expressis verbis in den Disputationes auf. Vgl. zur Frage, ob Pico die Kabbala zur Abfassungszeit der Disputationes ablehnte, auch Rabin (2008: S. 174–175). 66 Vgl. Kristeller (1986: S. 49). 67 Kristeller (1986: S. 49).

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Einleitende Untersuchung

1.3 Aufbau und Inhalt der Disputationes Die Disputationes adversus astrologos verstehen sich als eine umfassende – vielleicht die umfassendste – Widerlegung der astrologischen Lehre und Praxis, wie sie in der Antike und der Frühen Neuzeit gepflegt wurde.68 Kompliziert ist in jedem Fall die Frage nach der Motivation, die den jungen Philosophen dazu bewog, seine umfassende Abhandlung in kürzester Zeit mit großem Eifer zu Papier zu bringen:69 War es sein tief empfundener christlicher Glaube, der ihn dazu anhielt, angeheizt durch die Predigten des Dominikanermönches und religiösen Eiferers Girolamo Savonarola, zu dem Pico in diesen Jahren einen intensiven Kontakt pflegte?70 . War es sein bereits in der Oratio de 68 Vgl. hierzu z.B. vanden Broecke (2003: S. 55): »Published in 1496 [... the] twelve books of Disputationes against divinatory astrology contained the most extensive and incisive attack on astrology that the world had yet seen«; ähnlich auch Akopyan (2018: S. 547) sowie Vickers (1992: S. 66): »The biggest and most important of these attacks was by the talented disciple of Ficino, Giovanni Pico della Mirandola«. Baron (1927) gesteht den Disputationes zu, das »berühmteste und stoffreichste Werk« (ebd.: S. 145) zu sein, welches die Widerlegung der Astrologie zum Inhalt hat. Eine vollkommen konträre und nicht in allen Punkten nachvollziehbare Ansicht vertritt hingegen Scott Hendrix, der die Disputationes nicht als generellen Angriff auf die Astrologie versteht, sondern vielmehr als »only a circumscribed and traditional attack upon deterministic astrological beliefs, rather than a wholesale reaction of all forms of astrology« (Hendrix 2010: S. 202). So spricht er denn auch von Picos »so-called »rejection« of astrology« (ebd.: S. 200; ähnlich auch ebd.: S. 202) und setzt Worte wie »attack« generell in Anführungszeichen (so z.B. ebd.: S. 200 sowie 203). Die Frage, warum Pico in diesem Fall eine derart umfassende Widerlegung von lediglich Teilen der Astrologie in geradezu besessenem Zustand verfasste, lässt Hendrix dann auch offen (vgl. ebd.: S. 192); ob sich die Disputationes allerdings als ein »traditional statement on astrology from one skeptical of its use« (ebd.: S. 203) verstehen lassen, darf doch zumindest sehr bezweifelt werden bei einem Werk, welches in seinem Prooemium (prooem. 6) über die Astrologie verkündet: fraus est omnium pestilentissima... Darüber hinaus findet sich die Ansicht, dass Pico mit seinen Disputationes sogar eine Reform der Astrologie im Sinne des Ptolemaios beabsichtigte und sich in erster Linie gegen die arabische und scholastische Tradition der Astrologie wendete; diese Ansicht vertritt Hasse (2013), der Picos Angriff in erster Linie gegen die sassanidische Tradition der großen Konjunktionen versteht. Obschon sich Pico insbesondere im fünften Buch der Disputationes intensiv und ausführlich der Widerlegung jenes astrologischen Phänomens widmet, welches er in der Tat in Bausch und Bogen verwirft, stellt sich indessen auch hier die Frage, wie die strikte Deutung des Himmels als causa universalis, der nicht auf partikuläre Ereignisse Einfluss nehmen könne (vgl. insbes. disp. 3,3ff.), mit der Intention einer Reformierung der Astrologie im Sinne des Ptolemaios in Einklang zu bringen ist. Entsprechend konstatiert Pico, nachdem er in disp. 3,14 einen Teil der Erklärung der Mondphasen bei Ptolemaios für grundsätzlich richtig befand, da es sich hierbei lediglich um Wirkungen auf die vier Primärqualitäten handele (disp. 3,14,12): Quaecumque vero praeter haec observaverint, ea vanitatem habent manifestam, ut sequentibus patefiet. 69 Vgl. zu dieser Frage nun umfassend Akopyan (2021). 70 So vermutete es bereits Lucio Bellanti, der als ein Kritiker der ersten Stunde bereits im Jahre 1498 eine Replik auf die Disputationes verfasste, in der er sich kritisch mit der Widerlegung der Astrologie durch Giovanni Pico auseinandersetzte – vgl. hierzu insbes. vanden Broecke (2003: S. 24–27) sowie Faracovi (2008) und Akopyan (2021: S. 176–188) – und zu dem Schluss kam, Pico selbst hätte sein Werk, hätte er nur lange genug gelebt, niemals veröffentlicht; die Schuld für dieses Werk

Aufbau und Inhalt der Disputationes

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hominis dignitate eindrücklich erläuterter Glaube an die unbedingte und uneingeschränkte Willensfreiheit des Menschen?71 Oder hatte ihn zuletzt die Erfahrung der kirchlichen Ablehnung seiner Conclusiones derart aus dem Konzept gebracht, dass er all seine Ansichten über Bord werfen musste oder sogar nicht mehr ganz bei Sinnen war?72 Welche Motivation auch immer den jungen Philosophen dazu bewog, seine Disputationes zu verfassen, so macht er doch bereits in dem dem Werk vorangestellten Prooemium keinen Hehl daraus, was seine Absicht ist, wenn er die Astrologie als schlimmstmögliches Übel denunzierend zu dem Schluss kommt:73 [...] fraus est omnium pestilentissima, siquidem illa ipsa est, ut demonstrabimus, quae philosophiam omnem corrumpit, medicinam adulterat, religionem infirmat, superstitiones parit aut roborat, idolatriam fovet, prudentiam aufert, polluit mores, caelum infamat, homines miseros, anxios, inquietos et de liberis servos et in rebus paene agendis omnibus plane facit infortunatos. Quod cum ego exploratum habere mihi viderer atque compertum, putavi piaculum me facturum nulla victima expiandum, si tacerem, si dissimularem, nec vel penitus pro virili venenum hoc de credulorum manibus extorquere tentarem, hac praesertim aetate, qua, si quando alias, ad hanc fraudem omnis aetas et ordo sexusque caligat; est autem tanto magis pro veritate pugnandum, quanto plures habere cognoscitur oppugnatores, siquidem, treffe daher Savonarola (Bellant. resp. 1 [fol. q2v] – siehe oben S. 22. Zum Einfluss Savonarolas auf Picos Denken im Allgemeinen und die Disputationes im Speziellen vgl. auch Akopyan (2021: S. 127–138), der zwar zu dem Schluss kommt: »It is difficult to form a clear view of Savonarola’s influence on Pico« (ebd.: S. 138), den Einfluss des Predigers auf Picos Denken allerdings eher gering einschätzt (vgl. ebd.: S. 216). 71 Ähnlich wie bereits Hans Baron vor ihm, betrachtet Vickers (1992: S. 66) die Disputationes in diesem Sinne als das Produkt einer außergewöhnlichen Form des Renaissance-Humanismus, der die menschliche »Willensfreiheit gegen die Lehre von der Allmacht der Gestirnseinflüsse« (Baron 1927: S. 145) in Schutz nehme; diesen Ansatz vertrat 15 Jahre später in besonders eindrücklicher und prominenter Weise auch Ernst Cassirer, als er schrieb (Cassirer 1942: S. 345): »The principle of the ›primacy of spirit‹ and the ›primacy of freedom‹ is thus the real driving power in Pico’s polemic against astrology.« Auch Anthony Grafton kommt zu dem Urteil, dass Pico zunächst »von einem nivellierenden Synkretisten zu einem differenzierenden Humanisten bekehrt [werden musste] [...]. Erst nachdem er sich die theologische Hermeneutik Savonarolas angeeignet hatte, war er imstande, seine neue historische Philologie zu entwickeln« (Grafton 1999: S. 114–115). Ablehnend hingegen steht hierzu Craven (1981), der die Disputationes weder eindeutig religiös noch humanistisch inspiriert sieht: »To stress only the religious motivation does not give an adequate account of the work. A ›humanistic‹ motive, on the other hand, is a far more dubious proposition. There is a significant lack of evidence in the text for any such inspiration« (Craven 1981: S. 154). Vorsichtiger formuliert Sheila Rabin (1988), wenn sie feststellt: »While Cassirer overstated the case [...], the religious issues of free will and determinism were a continuing theme in Pico’s work« (Rabin 1998: S. 173 mit Anm. 71). Einen konzisen Überblick über die unterschiedlichen Positionen der Pico-Forschung in dieser Frage bietet Rutkin (2010: S. 117–120) sowie nun umfassend Akopyan (2021). 72 Diese Möglichkeit erwägt Hendrix (2010: S. 192). Ähnlich bereits Allen (1966: S. 22). 73 Prooem. 6–7.

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Einleitende Untersuchung ut prodesse omnibus, ita placere tantummodo bonis desideramus nec iudicium multitudinis fidem habet, ubi contra stat ratio consensusque doctorum nec nos auram spectamus popularem, sed lucem veritatis et publicam utilitatem.

Dabei unterscheidet der Autor bereits im Prooemium die divinatorische Astrologie von der mathematisch-berechnenden Astronomie, eine Unterscheidung, auf die er im Folgenden mehrfach rekurrieren wird.74 Besonders trügerisch sei die Astrologie aber im Gegensatz zu anderen Irrlehren und Pseudo-Wissenschaften deshalb, weil sie unter dem Anschein von Nutzen und Wahrheit die Sinne beneble und die so Betörten umso nachhaltiger hinters Licht führe.75 Nach der Erkenntnis der Falschheit und der Gefährlichkeit, die von der Astrologie, die bereits alle Bevölkerungsschichten durchsetzt habe, ausgehe, fühlt sich der junge Pico dazu berufen, eindringlich vor dieser falschen PseudoWissenschaft zu warnen und ihre Auswüchse, wo immer möglich, zu bekämpfen.76 Darauf aufbauend versucht Pico im ersten Buch seiner Disputationes zu belegen, dass er keineswegs der erste ist, der die Astrologie ablehnte, sondern sich vielmehr auf eine große Zahl von Vorgängern aus Politik, Religion und Wissenschaft (Astronomie und Philosophie) berufen könne, die die Astrologie abgelehnt hätten:77 a prima antiquitate bonis ita iudiciis semper visum non esse professionem, quae tot homini incommoda, tot insanias undique sub praetextu scientiae et utilitatis inveheret. Hinc Caesarum legibus et prudentum uti noxia vitae, civitatibus eliminatur; hinc oraculis prophetarum, pontificum sanctionibus, hominum sanctissimorum vocibus et doctrinis ut moribus et pietati pestifera condemnatur; hinc a philosophis et mathematicis, quicumque sapere ex libris, non loqui, didicerunt, quasi falsa, non utilis, non possibilis, non amica philosophiae vel contemnitur fere vel confutatur.

Genau dies ist es auch, was sich der Autor im ersten Buch seiner Disputationes anschickt zu beweisen: In diesem Sinne lässt er – allerdings in genau umgekehrter Reihenfolge – zunächst die Philosophen und Wissenschaftler zu Wort kommen (disp. 1,2–50), nimmt im Anschluss daran Bezug auf theologische bzw. religiöse 74 Vgl. disp. prooem. 4: ›Astrologiam‹ vero cum dico, non eam intelligo, quae siderum moles et motus mathematica ratione metitur, artem certam et nobilem et suis meritis honestissimam auctoritateque hominum doctissimorum maxime comprobatam, sed quae de sideribus eventura pronuntiat, fraudem mercenariae mendacitatis, legibus interdictam et civilibus et pontificiis, humana curiositate retentam, irrisam a philosophis, cultam a circulatoribus, optimo cuique prudentissimoque suspectam. Die Unterscheidung wird ebenfalls angeführt in disp. 1,8f. sowie 1,44f. Zur Geschichte dieser Unterscheidung vgl. insbes. Hübner (1989); zur Unterscheidung Isidors, die von der heute üblichen abweicht, vgl. ebd.: S. 31–35. 75 Vgl. disp. prooem. 5–6. 76 Vgl. disp. prooem. 7. 77 Disp. 1,1.

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Quellen (disp. 1,51–75) und referiert zuletzt diejenigen juristischen Autoritäten bzw. Quellen, die sich mit der Verdammung der Astrologie beschäftigten (disp. 1,76–81).78 Hierbei beginnt er mit den paganen Philosophen Pythagoras, Diogenes Laertius und Demokrit79 , es folgen der Akademiker Favorinus von Arelate und der Stoiker Panaitios sowie deren Nachfolger Seneca und Cicero.80 Im Anschluss daran kommen die philosophiae principes Platon und Aristoteles zu Wort, deren Nichterwähnung der Astrologie er als argumentum e silentio dafür versteht, dass sie die verachtete Kunst der Sterndeuterei ebenfalls ablehnten.81 Daran schließen spätere Philosophen von Akademie und Peripatos an: Plotin, Porphyrios sowie Alexander von Aphrodisias.82 Mit Ibn Rušd (lat. Averroes) und Ibn Sīnā (lat. Avicenna) beginnen die scholastischen Philosophen;83 ihnen folgen die neoterici Heinrich von Langenstein, Nikolaus Oresme, Giovanni Marliani sowie Paolo Toscanelli.84 Mit Marsilio Ficino und Niccolo Leoniceno schließen sich zwei Zeitgenossen Giovanni Picos an.85 Nach einem anschließenden Exkurs86 über astrologische Schriften, die unterschiedlichen Autoritäten87 fälschlicherweise zugeschrieben wurden, folgt eine kritische Würdigung der – selbstverständlich unzureichenden – philosophischen Qualitäten wichtiger Astrologieschriftsteller, darunter Ptolemaios und Abū Ma῾šar (lat. Albumasar), die von der menschlichen Neugierde und dem schönen Schein der Astrologie ihren Lebensunterhalt bezögen;88 mit einer abschließenden Erläuterung unterschiedlicher Autoritäten gleichen Namens schließt der Abschnitt über die die Astrologie ablehnenden Philosophen.89 Mit einem klar markierten Übergang wechselt der Autor das Thema und geht, mit den Propheten der Bibel beginnend, zu den kirchlichen Autoritäten über, de78 Zur inhärenten scholastischen Methodik des aneinanderreihenden Aufzählens von Autoritäten vgl. Allen (1966: S. 23). 79 Alle drei in disp. 1,2. 80 Vgl. disp. 1,3. 81 Vgl. disp. 1,4–9. 82 Vgl. disp. 1,11–1,13. 83 Vgl. disp. 1,14. 84 Vgl. disp. 1,15–21; zu scholastischen Quellen Picos, die eng mit seinem Studium in Padua bzw. Paris, den damaligen Zentren des Aristotelismus verknüpft sein dürften, vgl. Kristeller (1993: S. 244– 249) sowie Caroti (2004) und Caroti (2005), der von einem »ampio ed esplicito uso di autori medievali« (ebd.: S. 60) spricht. 85 Vgl. disp. 1,22–1,25. 86 Vgl. disp. 1,26–1,35 mit entsprechendem reditus ad rem (1,35): Sed ad astrologos revertamur… 87 Hierzu zählt er sowohl antike Autoren wie Ovid (1,30), unter dessen Namen die sicher unechte Schrift De vetula firmiere, Aristoteles (1,33), Platon (1,27) oder Hippokrates (1,32) als auch mittelalterliche Philosophen wie Thomas von Aquin (1,31). 88 Vgl. disp. 1,36–1,49; diese Argumentation sowie die Bedeutung der allzu menschlichen curiositas hierfür werden nachgezeichnet bei Vickers (1992: S. 65f.). 89 Vgl. disp. 1,50.

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ren Worte die Astrologie ebenfalls verdammten:90 Durch Belegstellen der Propheten Jesaja91 , Moses92 , Jeremias und Hiob93 sowie die Deutungen der Kirchenväter Augustinus, Basilius, Ambrosius, Theodoret, Johannes Chrysostomus, Tertullian, Hieronymus sowie Severian94 kommt Pico zu dem Schluss, dass auch die kirchlichen Gewährsmänner in Form von biblischen Propheten und den diese auslegenden Kirchenvätern die Astrologie kollektiv ablehnten.95 Diese theologisch begründete Form der Ablehnung wird zusätzlich durch kirchenrechtliche Verdammung der Astrologie in Form von päpstlichen Edikten oder Konzilsbeschlüssen, z.B. des 2. Konzils von Braga (572 n.Chr.), untermauert.96 Dabei werden auch die bedeutenden Theologen Albertus Magnus und Pierre d’Ailly von Pico kritisiert, deren übrige (theologischen) Schriften zwar seine volle Anerkennung erfahren, die astrologischen jedoch seine totale Ablehnung.97 90 Vgl. disp. 1,51: Et de philosophis quidem satis; transeamus ad prophetas, hoc est ad veteris et novae legis oracula… 91 Vgl. disp. 1,51–53. 92 Vgl. disp. 1,61. 93 Vgl. disp. 1,62. 94 Vgl. disp. 1,63–69. 95 Zu den von der Kirche gelieferten Argumenten der Ablehnung der Astrologie vgl. insbes. Vickers (1992: S. 65f.). Die keineswegs so einheitliche Haltung der Kirchenväter zur Astrologie beschreibt ausführlich Hegedus (2007), der zu dem Schluss kommt: »It is well known that the early Christians condemned, and at the same time exploited, elements of Greco-Roman culture and religion [...]. Since astrology was part and parcel of that traditional culture, we should expect a range of attitudes toward astrology among the early Christians; and, as shown in this study, the early Christians did indeed approach astrology in a variety of ways« (ebd.: S. 371). Die religiöse Argumentation Picos untersucht u.a. Rabin (2008: S. 172–174): Da der Prüfstein für die Bedeutung bzw. Kohärenz eines Systems für Pico immer der Nutzen der Religion sei, habe er den mangelnden Nutzen der Astrologie für die Religion als Argument gegen diese Pseudo-Wissenschaft herangezogen: »Since he concluded that astrology could not be directed towards Christian ends, it had to be rejected as a dangerous untruth that necessarily skewed the human mind and led away from God« (ebd.: S. 172). 96 Vgl. disp. 1,70–73. 97 Zu dieser zumindest eingeschränkten Kritik vgl. u.a. Caroti (2008: S. 77 sowie 83f.). Zu Picos Ablehnung der Autorschaft des Speculum astronomiae durch Albertus Magnus vgl. auch Hendrix (2010: S. 190–203), der seine Argumentation weitgehend darauf stützt, dass Pico Albertus Magnus und Aristoteles wider besseres Wissen als grundsätzliche Gegner der Astrologie charakterisiert und darauf aufbauend die Autorschaft des Speculum infrage stellt, obschon keiner von beiden den Einfluss des Himmels leugnete (vgl. ebd.: S. 185). Tatsächlich unterscheidet Pico in den Disputationes aber klar zwischen »celestial influence« und Astrologie, was bei Hendrix zumindest an dieser Stelle nicht ausreichend berücksichtigt wird (vgl. insbes. ebd.: S. 195; die Unterscheidung betont beispielsweise Vasoli (2006: S. 507): »Con tutto questo, il Pico non intendeva affatto porre in discussione le leggi immutabili che [...] avevano governato e governavano il mondo celeste [...]; né, tanto meno, mirava a ›precorrere‹ future rivoluzioni astronomiche, a sovvertire i perenni rapporti che la scienza degli antichi aveva stabilito tra i corpi celesti ed i loro moti, o ancora a negare che essi esercitassero talune influenze sulle cose e su certi ›effetti‹ del mondo sublunare [...].«). Dazu kommt bei Hendrix eine Überbewertung der Bedeutung des Speculum astronomiae für den Argu-

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Den Abschluss des ersten Buches bilden weltliche Gesetze und Beschlüsse, welche die Astrologie bekämpfen, allen voran antike Verbote von Astrologie sowie einige Anweisungen aus den Institutiones des Kaisers Justinian I.98 Aus der gesamten Darstellung des ersten Buches wird klar, dass sich Pico in seinen Disputationes nicht nur auf ein breites Fundament an Autoritäten stützen will, sondern dass dieser consensus omnium bonorum insbesondere auch auf kritischer Herangehensweise beruht: So dürfe man keineswegs allen Schriften, die den Namen beispielsweise des Aristoteles tragen, auch ungeprüft zugestehen, dass sie wirklich aus der Feder des antiken Philosophen stammten, sondern müsse sich anhand von vorrangig textinhärenten Kriterien (phrasis et indoles) ein Bild über die Echtheit solcher Schriften machen (disp. 1,29):99 Falli autem facile possunt et circumveniri per haec mendacia, si qui sint humaniorum litterarum rudiores, quamquam alioquin docti, cum per illas maxime et phrasim et indolem statim auctorum cognoscentes adulterina a legitimis discernamus, quamquam astrologorum nostrorum et, quae nunc in manibus artium superstitiosarum figmenta, sic abhorrent ab omni similitudine veri, ut cuivis e medio etiam pateant.

Mit dieser Herangehensweise gelingt es dem ersten Buch der Disputationes gleichsam mehrere Zwecke zu verfolgen: Zum einen eröffnet es als eine Art erweitertes Prooemium die umfassende Widerlegung der Astrologie, die die Disputationes zum Inhalt haben. Zum anderen evoziert es durch das Anführen zahlreicher Autoritäten aus zwei Jahrtausenden abendländischer (und orientalischer) Geistesgeschichte einen weit gespannten consensus omnium bonorum gegen die Auswüchse der Astrologie, dem sogar astrologische Schriftsteller selbst zuzurechnen seien; dass dies – in der Tradition der Conclusiones stehend – der Weltsicht des synkretistischen Philosophen Pico entspricht, kann kaum bezweifelt werden. So lässt sich auch erklären, dass mit Platon und Aristoteles mindestens zwei Autoritäten herangezogen werden, deren Ablehnung der Astrologie lediglich e silentio erschlossen werden kann und wird. Des Weiteren wird dabei auch die (text-)kritische Herangehensweise des philologisch geschulten Humanisten Pico, die auch im weiteren Verlauf der Abhandlung einen wichtigen Bestandteil seines methodischen Instrumentariums mentationsgang der Disputationes (vgl. Hendrix 2010: S. 198): »Pico displays his complex attitude [!] toward astrological divination in his treatment of the Speculum. This writing, the most popular defense of astrological divination to come out in the Middle Ages, the popularity of which was only growing in Pico’s lifetime, should draw a considerable amount of fire within a work designed to undermine the foundations of judicial astrology. In fact, we find the critique of the Speculum to be both limited in scope as well as rather muted.«. 98 Vgl. disp. 1,76–81. 99 Zum Begriff phrasis i.S.v. »Stil eines Autors« vgl. z.B. Quint. inst. 8,1,1 bzw. 10,1,47. Indoles bezeichnet die rhetorische Begabung bereits bei Cicero (de orat. 2,89) sowie Quintilian (inst. 3,7,15); weitere Belegstellen bietet der ThLL s.v. ›indoles‹ (7,1, p. 1220,64–70 [impr. 01.1943]).

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ausmachen wird, in nuce vorweggenommen.100 In diesem Sinne bildet das erste Buch auf formaler, inhaltlicher und methodischer Ebene eine Einleitung zu den folgenden Büchern, die die eigentliche Argumentation adversus astrologos beinhalten. Das folgende zweite Buch schließt nahtlos an das erste Buch an, indem Pico zu Beginn des Buches schreibt:101 Sed ne sola auctoritate pugnemus, demonstrabimus toto hoc opere certis rationibus reiectam iure a sanctis [= disp. 1,51–75] istam superstitionem, quia religioni maxime adversaretur; utiliter legibus interdictam [= disp. 1,76–81], quia vitae inutilis sit, immo noceat et pervehementer; rationabiliter a philosophis confutatam [= disp. 1,2–50], ut quam falsam incertamque cognoscerent. Et quamquam inde videbatur exordiendum, ut falsa demonstraretur, quoniam statim inutilis etiam reddebatur, aliter tamen faciendum putavi, ut scilicet, priusquam de eius falsitate disputarem, ostenderem amatoribus astrologorum, etiam si esset talis ista professio, qualem ipsi eam faciunt et affirmant, nullum exteriori homini ab ea commodum provenire, interiori autem non solum maxima detrimenta, sed etiam exitialia.

Somit ist auch der Rahmen dieses zweiten Buches abgesteckt, nämlich der Beweis, dass die Technik der Astrologie nicht nützlich ist und darüber hinaus sogar schädlich. Dazu behandelt der Autor zunächst die Verirrungen, die aus Fehlübersetzungen oder Irrtümern resultieren (disp. 2,1), belegt dann die Nutzlosigkeit von Wahlastrologie (lat. electiones) und astrologischen Entscheidungsfindungen (disp. 2,2–3), den mangelnden Nutzen der Astrologie (disp. 2,4) sowie ihre Schädlichkeit (disp. 2,5) der Religion gegenüber, des Weiteren die Widersprüche, die sich aus der Uneinigkeit der Astrologen ergeben (disp. 2,6), sowie die Unfähigkeit (disp. 2,7) und mangelnde Sorgfalt (disp. 2,8) der zeitgenössischen Astrologen; den Abschluss des Buches bildet der empirische Nachweis der postulierten Unfähigkeit der Astrologen anhand der Tatsache, dass ihre Vorhersagen so selten eintreffen (disp. 2,9), und wenn ab und zu aber doch, dann nur rein zufällig (disp. 2,10). Dabei beginnt er, entsprechend der im ersten Buch vorgestellten Methode, mit den Diskrepanzen innerhalb der Astrologie und stellt ein Zitat aus den Apoteles100 Vgl. u.a. Vickers (1992: S. 66): »The Disputationes is a masterpiece of humanist analysis, penetrating to the methodology of astrology, juxtaposing the authorities of many fundamental topics, and revealing a host of contradiction and confusion.« Zum philologischen Herangehen Picos vgl. das Resümee bei Gentile (1997: S. 490): »Le Disputationes certo non sono solo la discussione di passi controversi, di singoli errori, ma la critica ad una tradizione tutta intera, quella astrologica; il metodo tuttavia con cui tale critica viene affrontata rivela uno spirito che possiamo definire filologico, o communque ispirato ai metodi della filologia del tempo«. Ähnlich bescheinigt auch Vasoli (2006) Pico, er berufe sich »al criterio della ragione e dell’esperienza, le due ›vie‹ che, unite insieme, conducono sicuramente al vero sapere.« (ebd.: S. 506). 101 Disp. 2,1,1.

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mata des Ptolemaios vor (disp. 2,1,3–7 ≈ Ptol. apotel. 1,2,14–19), in welchem dieser auf verschiedene Probleme der Astrologie verweist, was grundsätzliche methodische Fragen102 aufwirft und kaum schätzbare Störfaktoren aufzeigt (disp. 2,1,5– 7), sodass es – laut Pico – auch den Astrologen selbst klar sei, dass die getroffenen Vorhersagen aufgrund von materiellen Begebenheiten, dem freien Willen, dem Schicksal oder aber dem Wirken Gottes beeinflusst oder sogar aufgehoben werden können.103 Im zweiten Kapitel wird die Wahlastrologie (electiones) als nutzlos erwiesen, bei der für ein bestimmtes Ereignis ein günstiger Zeitpunkt ausgewählt wird (Tageoder Stundenwählerei), da ein Ereignis notwendigerweise erfolgreich ausgehe oder nicht, unabhängig davon, ob man um diesen Ausgang wisse oder nicht.104 Dies sei ja gerade die Definition von Glück, dass man aus einer inneren Regung heraus ein Unterfangen beginne, welches einem erfolgreich gelingt.105 Dieser abstrakten Formulierung folgen Beispiele von Personen aus Geschichte und Politik, die sich nicht an astrologische Vorgaben hielten und dennoch – bzw. gerade deshalb – erfolgreicher waren als ihre astrologiehörigen Rivalen: Francesco Sforza, Zarathustra, Caesar sowie Kaiser Justinian I.106 Dabei macht Pico deutlich, dass sich die Liste fast unbegrenzt erweitern ließe, was er jedoch aus Respekt den Betroffenen gegenüber unterlasse;107 ratsam sei, die Astrologie als eine Art unterhaltsames Spiel zu betrachten, nicht aber, sich von ihr leiten zu lassen und ihr das anzuvertrauen, was besser bei echten Spezialisten aufgehoben wäre, allen voran die körperliche und geistige Gesundheit (disp. 2,2,11–12). Auch bei der Frage nach Entscheidungsfindungen mit Hilfe der Astrologie gelte, dass man sich besser auf die Einschätzung von Ärzten (disp. 2,3,1–4) und anderen Spezialisten (2,3,5) verlassen könne als auf die Meinung fachfremder Astrologen: Sind beide einer Meinung, sei die zweite Meinung des Astrologen unnötig; sind beide hingegen unterschiedlicher Meinung, so zeuge es laut Pico von Irrsinn, sich dem Rat des Astrologen anzuvertrauen, statt dem jeweiligen Spezialisten Gehör zu schenken. 102 Vgl. disp. 2,1,5. 103 Vgl. disp. 2,1,9: indubitata sententia est, quodcumque stella sua promiserit, posse tamen non evenire, et quia materia non idonea sit influxui suscipiendo et quia humana ab arbitrio nostro plurimum dependeant et quia fatum particulare universalioris fati adversantis potestate superetur et quia fato omni potentior et caelo maior divina providentia fieri interdum aliter ordinet, quam ordinaria caeli revolutio erat effectura. Zur Überlegenheit des Allgemeinen über das Spezielle vgl. auch disp. 3,4,1 sowie 3,27,5. Vergleichbar ist auch die Darstellung des Thomas von Aquin in der Summa contra gentiles (Thom. Aq. gent. lib.1, cap.41, n.2): ... bonum universale praeminet cuilibet bono particulari, sicut bonum gentis est melius quam bonum unius: bonitas enim totius et perfectio praeminet bonitati et perfectioni partis. 104 Vgl. disp. 2,2,3. 105 Vgl. disp. 2,2,3 sowie das Zitat aus der Eudemischen Ethik des Aristoteles (EE 8,13 1248a 1–18). 106 Vgl. disp. 2,2,4–9. Einige der Beispiele sind Ciceros Schrift De divinatione entlehnt. 107 Vgl. disp. 2,2,9–11.

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Auch für die Religion sei die Astrologie keineswegs nützlich, wie das folgende vierte Kapitel zeigt, da sie weder den notwendigen biblischen Jahresberechnungen mit großen Konjunktionen zu Hilfe komme noch prophetische Vorhersagen unterstütze.108 Entsprechend zeigt Pico zunächst, dass die Meinung Pierre d’Aillys, die großen Konjunktionen stünden in einer Verbindung zu den Religionen, fehl gehe (disp. 2,4,3–9), wobei er nachweist, dass dessen Fehler zum einen auf fehlenden mathematisch-astronomischen Kenntnissen beruhen, zum anderen auf fehlerhaften Vorlagen bzw. mangelndem Verständnis dieser;109 all dies macht Pico anhand eines offensichtlichen Rechenfehlers des Kardinals deutlich.110 Auch die Generationenberechnungen anhand dieser großen Konjunktionen seitens des französischen Theologen lehnt Pico ab, wobei er auf die Argumentation verzichtet, die er bereits in seiner Abhandlung De vera temporum supputatione (einem leider verschollenen Werk) deutlich gemacht habe (disp. 2,4,10), und beendet das Kapitel mit dem Postulat einer allgemeinen Diskrepanz von Astrologie und Theologie (disp. 2,4,11–13). Auch das folgende Kapitel widmet sich dem Verhältnis von Astrologie und Religion, wobei die Astrologie, von der es nur ein kleiner Schritt zur Häresie sei, nun nicht mehr nur als nutzlos, sondern sogar als schädlich für die wahre Religion verstanden werden soll;111 dabei zählt Pico Aussagen einzelner anerkannter Astrologen wie Abū Ma῾šar112 , ᾿Alī Ibn abi r-Riğāl (Haly filius Abenragel)113 oder Guido Bonatti114 sowie insbesondere Roger Bacon115 auf, die gewisse religiöse Ereignisse auf ketzerhafte Weise astrologisch erklären wollen, was diesen Ereignissen alles Religiöse auf der anderen Seite wieder abspreche.116 Im Laufe dieser Argumenta108 Vgl. disp. 2,4,1–2. Vgl. hierzu Rabin (2008: S. 163f.). 109 Vgl. disp. 2,4,7: qui vel mediocriter in ea arte [sc. in astronomia] profecerit, eum potius scriptorem quam astrologum fuisse iudicabit et, quaecumque dicit, potius lecta ab eo quam medulitus intellecta. Zu Pierre d’Aillys astrologischen Ansichten im Allgemeinen und seinem Verständnis der großen Konjunktionen im Besonderen vgl. Smoller (1994: S. 61–85) sowie North (1980: S. 203–205 sowie passim). Vgl. auch die Fußnote zu disp. 2,4,2. Die Thematik der großen Konjunktionen behandelt Pico ausführlich im fünften Buch seiner Disputationes, wobei die Kapitel 5,7–10 eine Abrechnung mit der Darstellung d’Aillys sind, in denen die Jahresberechnungen als exklusiver Gegenstand der Geschichtswissenschaft, nicht aber der Astrologie, definiert werden, da es insbesondere hier auf Exaktheit ankomme (vgl. disp. 5,8 pp. I 572–574 Garin); es zeigt sich, dass Pico hierbei »reveals a better historical judgement than either Nicole Oresme or Henry of Hesse before him« (North 1980: S. 205). 110 Vgl. disp. 2,4,8–9. 111 Vgl. disp. 2,5,1–2. 112 Vgl. disp. 2,5,4. 113 Vgl. disp. 2,5,5. 114 Vgl. disp. 2,5,7. 115 Vgl. disp. 2,5,9. 116 Vgl. disp. 2,5,1, Eine ähnliche Argumentationsstruktur findet sich auch disp. 4,14 die religiösen Wunder betreffend (disp. 4,14,2): ... in qua re procul dubio insanire magis videntur, quam qui haec potius fuisse aliquando non concedunt, qui et fuisse credunt, qualia narrantur et a naturalibus ta-

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tion wird dem Leser auch ein knapper Überblick über die anderen Formen des Unglaubens geboten, welche der Astrologie vergleichbar seien und zugleich von dieser abhängig: Geomantie, Chiromantie und Magie.117 Mit dem sechsten Kapitel beginnt ein neuer Abschnitt innerhalb des zweiten Buches, der sich mit den Irrtümern der Astrologie detailliert auseinandersetzt. Dabei beschäftigt sich der Autor zunächst mit dem Einwand, die Astrologie könne kaum falsch sein, da ihre Vorhersagen doch ab und zu einträfen;118 dabei führt er zunächst an, wie oft bestimmte Einflüsse sich als Störfaktoren für einmal geäußerte Vorhersagen erwiesen,119 und ergänzt im Folgenden die Uneinigkeit bzw. Diskrepanz unterschiedlicher astrologischer Traditionen.120 Somit könne nur der Zufall (casus) ausschlaggebend für etwaige korrekte Vorhersagen gewesen sein, was insbesondere auch an der mangelnden Sorgfalt der zeitgenössischen Astrologen erkennbar sei.121 Mit dieser mangelnden Sorgfalt der jüngeren Astrologen leitet der Autor zum nächsten Kapitel über, welches deren Unfähigkeit, die Texte älterer Autoritäten korrekt zu verstehen, zum Inhalt hat; dabei beruft er sich auf die von Ptolemaios in seinem Methodenkapitel (apotel. 2,1) vorgezeichnete Trennung der Astrologie in Universalastrologie und Genethlialogie.122 Darauf aufbauend verdeutlicht er anhand eines Zitates aus den Apotelesmata des Ptolemaios zur Universalastrologie, wie groß der Irrtum späterer Astrologen, allen voran des Übersetzers Plato von Tivoli sowie der Erklärer des Ptolemaios, gewesen sei, die den Text gründlich missverstanden, falsch interpretierten und sogar für textimmanente Fehler angriffen, die dem Text selbst gar nicht inhärent seien.123 Dasselbe gelte für die der Geburtsastrologie zugehörigen Begriffe des ›Alcochoden‹ sowie des ›Hyleg‹, die ebenfalls die Erfindung späterer Astrologen seien und bei Ptolemaios nicht vor-

men causis effecta, cum nulla cogitari maior possit insania, quam ut factum aliquid supra naturam naturae viribus putes. 117 Vgl. disp. 2,5,11–13. Dabei beruft sich Pico auf das Varro zugeschriebene Diktum De superstitionibus nulla est controversia prodire ab astronomia omnes et eas quasi alumnas ab illa contineri. Vgl. die Beschreibung in den Origines des Isidor von Sevilla (orig. 8,9,13), welche u.a. bei Gratian (decret. pars 2, causa 26, quaest.3 [PL 187,1342]) zitiert wird. Zu Picos Plan einer umfassenden Widerlegung aller Häresien, die auch die oben genannten mit einschließe, vgl. insbes. die Vita Pici (Picus 1496: I fol. a4r –a4v ). 118 Vgl. disp. 2,6,2: Cur, si vera eorum ars non est, praedictiones tamen eorum verae? 119 Vgl. disp. 2,6,4–5. 120 Vgl. disp. 2,6,5–9. 121 Vgl. disp. 2,6,9–10. 122 Vgl. die Unterteilung der Astrologie in καθολικόν sowie γενεθλιαλογικόν bei Ptolemaios (apotel. 2,1,2), wobei die Technik der ersteren im zweiten Buch der Apotelesmata dargelegt wird, während die Geburtsastrologie im dritten (Ereignisse vor der Geburt) und vierten (Ereignisse nach der Geburt) Buch expliziert wird. 123 Vgl. disp. 2,7,2–4.

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kämen, sondern seiner aphetischen Lehre vielmehr entgegenliefen.124 In diesem Sinne ruft er seinem fiktiven Diskussionspartner Haly empört zu: Quid desipis, Barbare, aut quid somnias? Ubi apud Ptolemaeum alchochoden legistis? Dass auch die Interrogationes falsch verstanden würden, belegt der abschließende Epilog des Kapitels (disp. 2,7,16–17) anhand eines Zitates aus dem Ptolemaios zugeschriebenen Centiloquium. Während sich das siebte Kapitel dem mangelnden Verständnis der zeitgenössischen Astrologen für die Lehren ihrer vermeintlichen Gewährsmänner verschrieben hat, widmet sich das achte Kapitel der mangelnden Sorgfalt dieser Leute. Dabei geht es zunächst um Rechenfehler sowie astronomische Ungenauigkeiten, die insbesondere auf den Gebrauch von Ephemeridentafeln zurückzuführen seien (disp. 2,8,1–5); auch das Verwenden falscher bzw. eigener Tafeln statt der Alphonsinischen gehört zu den hier aufgezeigten Sorglosigkeiten, die zwangsläufig zu einer ergebnislosen Pseudo-Wissenschaft führen müssen.125 Das folgende neunte Kapitel führt Beispiele aus unterschiedlichen Kontexten als empirischen Beleg für die Unzuverlässigkeit astrologischer Vorhersagen an;126 nach einer knappen theoretischen Reflexion folgen Beispiele für inkorrekte Wetterprognosen127 sowie unzutreffende Horoskope von Pico bekannten Personen, so seines Schwagers Pino Ordelaffi128 , des Pietro Attendolo129 , seiner Schwägerin

124 Vgl. disp. 2,7,5–15. Die Berechnung der Lebensspanne findet sich bei Ptolemaios in apotel. 3,11. Zu den aphetischen Berechnungen der Länge des Lebens vgl. auch Heilen (2015: S. 991–1003). 125 Vgl. disp. 2,8,6–7. Abschließend heißt es dort (disp. 2,8,7): Quae omnia ideo diximus, ut fiat manifestum non posse ex fide praedictionum istam praedicendi artem confirmari, cum etiam, si verissima constet ratione, artificum tamen vitio, hoc est vel ignorantia, vel negligentia, veritas de futuris sciri non possit... Unterschiedliche Rechenergebnisse auf Grund unterschiedlicher astronomischer Rechentafeln referiert Pico erneut in disp. 5,11 sowie in disp. 9,9, wo unterschiedliche Berechnungen der Planetenbahnen besprochen werden. Vgl. zu dieser Argumentation auch Vickers (1992), der Picos Angriff gegen die Astrologie zwei Kategorien zuordnet: mangelnde Übereinstimmung mit empirischer Realität sowie mangelnde Entsprechung vernünftiger Logik, also »logical consistency in argument and method« (ebd.: S. 67), und zu ersterem feststellt: »It [sc. Astrology] is inaccurate and careless: the almancs are unreliable, and astrologers who do not know their latitude can not determine the planets’ radiation.« Ähnlich auch Vasoli (2006: S. 506). 126 Vgl. disp. 2,9,1; einen klaren Hinweis auf das induktive Vorgehen bietet disp. 2,9,2: Et quid aliis egemus vel testimoniis vel coniecturis, cum ipsa hoc nobis cottidie experientia testificetur, in re praesertim, in qua, sicubi potest, maxime posse debet astrologia praestare … Mit der mangelnden empirischen Nachweisbarkeit beschäftigt sich auch das elfte Buch der Disputationes, in dem Pico auch seine Definition von empirischer Beobachtung liefert (disp. 11,1 p. II 460 Garin): Poterit astrologus, quamquam non totius constellationis particularis, tamen illius bis facere observationem. Quod cum saepius evenerit, saepius iterata observatio faciet experimentum. Die Unmöglichkeit empirischer Erfahrung zukünftiger Ereignisse demonstriert Pico in disp. 4,8,5. 127 Vgl. disp. 2,9,2–5. 128 Vgl. disp. 2,9,8. 129 Vgl. disp. 2,9,9.

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Costanza130 und seines Bruders Antonio.131 Sie werden durch zwei Beispiele aus der antiken Literatur (Seneca und Cicero) ergänzt und abgeschlossen.132 Das letzte Kapitel des zweiten Buches beschäftigt sich mit dem Einwand, dass die astrologische Technik schwerlich komplett falsch sein könne, da sie doch bisweilen auch korrekte Prognosen liefere; dem begegnet Pico mit der umgehenden Feststellung, dass wohl jede Wissenschaft, selbst die schwächste und abergläubischste, zumindest vereinzelt korrekte Ergebnisse auf Basis des Zufalls liefere.133 Dies zeige sich auch daran, dass unterschiedliche mantische Techniken oftmals unterschiedliche Ergebnisse lieferten, wobei die Astrologen auf Grund der Vielfalt an astrologischen Techniken vor allem bei bereits vergangenen Ereignissen immer eine Ausflucht fänden, zu der sie sich retten könnten, wenn ihre Prognosen nicht einträfen.134 Bei Prognosen zukünftiger Ereignisse hingegen würden sie sich – eine Art moderne Pythia – in Zweideutigkeiten und Umschweife zurückziehen, um später bei jedem Ausgang Recht gehabt zu haben.135 In einigen wenigen Fällen geschehe es aber auch, dass Geister, Glück oder sogar das Wirken Gottes positiven Einfluss auf die Prophezeiungen oder deren Ereignisse nehme und diese wahr werden lasse, doch dies mache, nach einem bei Gellius (14,1,32) überlieferten Bonmot des Favorinus von Arelate, nicht einmal ein Tausendstel ihrer Vorhersagen aus.136 An die Feststellung, dass einige wenige korrekte Vorhersagen noch keine wissenschaftliche Methodik der Prognose belegen, schließt nahtlos das dritte Buch an, welches das naturwissenschaftlich-philosophische Weltbild Picos darlegt und erläutert und somit eine umfassende Theorie himmlischen Einflusses auf die sublunare Welt darstellt.137 Nach einer kurzen Überleitung kommt er im ersten Kapitel direkt darauf zu sprechen und stellt die Untersuchung der Frage in Aussicht, ob der Himmel das bewirken könne, was die Astrologen ihm zusprechen:138 litem hanc dirimet sequens tractatus, in quo demonstratum cum fuerit, quae de caelo praedicunt, ea causas ibi vel signa non habere, quibus efficiantur vel indicentur, aut, si fiunt inde, fieri tamen aliter, quam astrologi sentiant, aut, si eo quoque modo, non tamen ab his 130 Vgl. disp. 2,9,10. 131 Vgl. disp. 2,9,11. 132 Vgl. disp. 2,9,12–15. 133 Vgl. disp. 2,10,1: ›Sed eveniunt tamen interdum quae praedixerunt!‹ At cum multo sint plura, quae non eveniunt, cur incidisse eos casu in veritatem non arbitremur? Zufällige Ereignisse menschlichen Daseins werden hingegen in disp. 4,2 abgehandelt. 134 Vgl. disp. 2,10,2–4. 135 Vgl. disp. 2,10,5–6. 136 Vgl. disp. 2,10,7–11. 137 Vgl. Craven (1981: S. 146): »In the third book he turns from the practitioners to the doctrine itself, and develops his own positive theory of astral influence.« 138 Disp. 3,1,2.

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Einleitende Untersuchung causis in caelo neque ab his rerum in terra primordiis; tum, si dentur haec omnia, certe non haec primordia, non illas causas ab hominibus posse deprehendi, vel, si deprehendi forsitan possunt, nondum tamen esse deprehensas – hoc totum, inquam, cum fuerit demonstratum, puto erit bonis ingeniis extra controversiam, si quando ad veritatem astrologus offendat, in nullam hoc causam non verius posse redigi, quam in veritatem professionis, quae tam multis videlicet iam nominibus falsa nec ullis veri rationibus nixa, sed commenticia, praestigiosa proptereaque sua natura mendax liquido apparuerit. Igitur confutationem iam ipsam aggrediamur id primum excutientes, quod totius negotii summam habet, an efficiat caelum, quae de caelo pronuntiant isti divinatores.

Dabei soll im Verlauf des dritten Buches bewiesen werden, dass der Himmel lediglich auf zweierlei Weise Einfluss auf die sublunare Sphäre ausübe, nämlich über Bewegung (motus) und Licht (lumen), es darüber hinaus jedoch keine weiteren (unsichtbaren) Einflüsse gebe.139 Aus diesen beiden Einflussquellen ergäben sich lediglich drei unterschiedliche Einflüsse, nämlich Bewegung, Licht sowie die dem Licht inhärente Hitze (calor).140 139 Vgl. disp. 3,1,3. 140 Vgl. disp. 3,1,3. Dieses naturwissenschaftliche Bild ist keine Neuerung Picos, sondern deckt sich zumindest teilweise mit den im Mittelalter gängigen Vorstellungen. Die Grundlage hierfür hatte Aristoteles in seinen Schriften, allen voran der Abhandlung »Über den Himmel« (De caelo) und »Über Entstehen und Vergehen« (De generatione et corruptione) geschaffen – zum Einfluss des Aristoteles auf Mittelalter und Renaissance im Allgemeinen vgl. Schmitt (1983) –, die einen generellen Einfluss des Himmels auf die sublunare Sphäre im Rahmen der streng hierarchischen Ordnung belegten; vgl. hierzu insbes. Grant (1987: S. 1–3). Besonders prominent sind dabei natürlich die Wirkungen der beiden Luminare Sonne und Mond (vgl. Arist. gen. corr. 2,10–11 336a 15– 338b 19 sowie für die Astrologie Ptol. apotel. 1,2,2–4); diesen Einfluss erweiterte der aristotelisch geschulte Philosoph, Astronom und Astrologe Ptolemaios, der die bei Aristoteles vorgezeichnete Theorie des Einflusses in ein aristotelisch strukturiertes sowie astrologisch ausgerichtetes Weltbild integrierte, in dem alle unvergänglichen Himmelskörper gleichermaßen Einfluss auf die vergängliche Sphäre unterhalb des Mondes und somit auch auf die Menschen nehmen (vgl. Ptol. apotel. 1,2,1–4). Diese Ansicht vertraten in der Folge auch die mittelalterlichen Scholastiker, wobei das Instrumentarium des Einflusses dabei allerdings in der Regel aus Bewegung (motus), Licht (lumen) sowie Einfluss (influentia) bestand, wobei sich lediglich die ersten beiden mit Picos Darstellung decken, während er einen wie auch immer gearteten ›Einfluss‹ strikt ablehnt (vgl. disp. 3,1,3 sowie 3,5,2: Ergo praeter motum et lucem quique prodit a luce vivificus calor alios a sideribus ad nos influxus devenire aut illis inesse corporeas alias effectivas qualitates nulla, ut vidimus apertiusque videbimus in sequentibus, experientia monstrat, cum per motum et calorificam lucem suum satis officium caelum undequaque implere posse videatur.). Dies stellt eine klare Gegenposition zu seinen scholastischen Vorgängern dar; vgl. u.a. Grant (1987: S. 10–12) sowie Grant (1994: S. 586– 617). Die Hitze spielte auch bei den Aristotelikern eine bedeutende Rolle im Konzept himmlischen Einflusses, wobei diese Hitze als durch die Bewegung der Planeten bewirkt verstanden wurde; so beispielsweise bei Aristoteles (Arist. cael. 2,7 289a 11–35); vgl. hierzu Grant (1994: S. 591–595). In diesem Sinne schreibt Thomas von Aquin in seinem Kommentar zu De caelo (2,10,12 p. 159): Dicit enim Aristoteles quod a stellis generatur et calor et lumen, trito aere ab illorum latione. Quod non videtur sic intelligendum quasi calor et lumen generentur per aeris contritionem ex motu caelestium corporum: non enim agitur hic de lumine ignis generati ex motu, ut prius dicebatur, sed de lumine

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Diese Hitze sei es, die die Körper für das Leben vorbereitet und ihnen das Leben einhaucht; davon abgesehen gelange aber kein Einfluss von den himmlischen Körpern zu den irdischen.141 Aus diesem Grunde seien die Himmelskörper allgemeine Ursachen (causae universales), die nach dem Grundsatz des allgemeinen Prinzips wirkten, nicht aber partikuläre Ursachen, deren Effekte lediglich von näherstehenden Ursachen hervorgerufen werden könnten.142 Im zweiten Kapitel des dritten Buches führt er dafür fünf Gegenargumente an, auf welche sich die Astrologen berufen, um einen Einfluss des Himmels auf die sublunare Sphäre und somit auch auf zufällige Ereignisse und menschliches Verhalten zu rechtfertigen. Diese sind:143 1. Die Ansicht, dass die sublunare Welt von Gott mittels des Himmels gelenkt werde, ist verbreitet bei Philosophen und Theologen wie Aristoteles oder Thomas von Aquin.144 Dieses Argument wird in den Kapiteln 3,3–3,12 von Pico widerlegt. 2. Die Bewegungen der Himmelskörper von Sonne und Mond üben einen großen Einfluss auf uns aus – warum also sollte es nicht auch für die anderen Himmelskörper gelten, dass sie Änderungen in der sublunaren Sphäre bewirken?145 Eine Widerlegung des zweiten Argumentes folgt in disp. 3,13– 3,19. quod causatur ab ipsis stellis, inquantum sunt entia lucida in actu. Duplex est ergo causa caloris ex corporibus caelestibus in his inferioribus generati: una quidem causa est motus, alia causa est lumen. Die Bedeutung des Abū Ma῾šar für das astrologische Konzept des Einflusses erläutert North (1986: S. 52–56) sowie North (1987: S. 7–8). Ein guter Überblick zur Theorie des himmlischen Einflusses bei Pico findet sich bei vanden Broecke (2003: S. 66–73). 141 Vgl. disp. 3,1,3. 142 Vgl. disp. 3,1,4; diese Tatsache wird in disp. 3,3 einer genaueren Untersuchung unterzogen. Vgl. hierzu auch Vasoli (2006: S. 508) sowie Rabin (2008: S. 164–165). Craven (1981: S. 146) paraphrasiert folgendermaßen: »The astrologers must admit the philosophical commonplace that the heavens are the universal cause. But such a cause does not differentiate between effects; distinctions must be accounted for in terms of proximate causes, while the universal cause does everything with all things.« 143 Dieselben Argumente finden sich auch im fünften Buch der Schrift De rerum praenotione von Giovanni Francesco Pico (rer. praen. 5,2 pp. 507–508). Einen guten Überblick zu dieser Argumentation bietet Vickers (1992: S. 26f.). 144 Vgl. disp. 3,2,2-3. Aristoteles äußert in seiner »Meteorologie« (meteor. 1,2, 339a 21–24) die Ansicht: ἔστι δ᾿ ἐξ ἀνάγκης συνεχής πως οὗτος ταῖς ἄνω φοραῖς, ὥστε πᾶσαν αὐτοῦ τὴν δύναμιν κυβερνᾶσθαι ἐκεῖθεν. ὅθεν γὰρ ἡ τῆς κινήσεως ἀρχὴ πᾶσιν, ἐκείνην αἰτίαν νομιστέον πρώτην. Der Einfluss des Himmels auf die Erde wird in Folge der Ansichten des Aristoteles insbesondere auch anhand meteorologischer Phänomene sozusagen experimentell bestätigt; vgl. hierzu u.a. Grant (1987: S. 6–9): »Indeed beginning with Aristotle there was a steady accumulation of experiences that were believed to demonstrate the reality of celestial causation in the terrestrial world« (ebd.: S. 6). 145 Vgl. disp. 3,2,4–6.

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3. Wenn meteorologische Phänomene wie Klimawechsel, Unwetter etc. von den Himmelskörpern abhängig sind und damit auch die vier Primärqualitäten, hängen auch Ernteergebnisse, Krankheiten sowie Gesundheit und Wohlergehen vom Himmel ab. Auch das Gemüt des Menschen, das bekanntlich aus jenen vier Qualitäten bestehe, müsse daher vom Einfluss der Himmelskörper abhängig sein.146 Die Widerlegung findet in disp. 3,20–23 statt. 4. Darüber hinaus müsse es besonders wirkmächtige und verborgene Einflüsse des Himmels geben, der ja viel vornehmer (also: vollkommener) als die untere sublunare Sphäre sei und dort Wunder vollbringe.147 Die Kapitel 3,24–3,26 beschäftigen sich mit diesem vorgebrachten Argument. 5. Zu guter Letzt gebe es im menschlichen Leben so viele Besonderheiten und Schicksalsfügungen, so viele besondere Begabungen und Wunder, die die Grenzen der menschlichen Natur so weit überträfen, dass diese nur auf den Himmel zurückgeführt werden könnten.148 Diese Argumentation wird im letzten Kapitel des dritten Buches kurz widerlegt, wobei auch die Darstellung des vierten Buches diese Thematik immer wieder aufgreift. Direkt im folgenden dritten Kapitel beginnt der Autor mit der Widerlegung der angeführten Gegenargumente mit dem Nachweis, dass der Himmel eine allgemeine Ursache (causa universalis) sei, da er für alle anderen Bewegungen verantwortlich sei.149 Dies bedeute allerdings gleichzeitig, dass der Himmel nur als universelle Ursache wirke und keine unterschiedlichen Wirkungen hervorrufen könne.150 Daraus lasse sich folgern, der Himmel könne nicht unterschiedliche Kinder zur gleichen Zeit entstehen lassen – von den bei Augustinus referierten Zwillingsproblemen ganz zu schweigen.151 Das vierte Kapitel widmet sich den Instrumenten des himmlischen Einflusses, Bewegung und Licht, und wie diese die Wirkung des Himmels als allgemeine Ursache transportieren. Da der Himmel der Körper mit dem höchsten Grad an Vollkommenheit sei, komme ihm auch die vollkommene, erste Bewegung zu: die 146 Vgl. disp. 3,2,7–11. 147 Vgl. disp. 3,2,12. Zur Vornehmheit des Himmels vgl. Grant (1987: S. 5) sowie Grant (1994: S. 220– 243). Aristoteles erwähnt die Thematik in seiner Schrift De caelo (cael. 1,2 269b 13–18). 148 Vgl. disp. 3,2,13–16. 149 Vgl. disp. 3,3,1–2. Diese Ansicht äußerte insbesondere Themon Iudaeus in seinen Quaestiones in quatuor libros Meteororum (Themon 1516: fol. 155v –156r ) unter Bezugnahme auf das siebte Buch der »Physik« des Aristoteles; vgl. hierzu auch Grant (1994: S. 588f.). 150 Vgl. disp. 3,3,2–3. 151 Vgl. disp. 3,3,3–7 sowie Vickers (1992: S. 57) hierzu; das Zwillingsparadox erläutert Augustinus umfassend im fünften Buch seines »Gottesstaates« (Aug. civ. 5,2–3 pp. 192,9–194,26). Vgl. hierzu die umfassende Darstellung zur Ansicht des Augustinus bezüglich dieses Problems bei Hegedus (2007: S. 52–59) sowie von Stuckrad (2000: S. 777–779).

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Kreisbewegung.152 Diese bilde die Ursache für alle anderen Bewegungen, auch die der sublunaren Sphäre;153 allerdings müsse es sich dabei notwendigerweise um eine allgemeine Ursache handeln. Des Weiteren komme dem Himmel das Licht zu, welches die Fähigkeit habe, Körper zur Vollendung zu bringen, da es die Körper mit Hilfe der ihm anhängigen Hitze (calor) für das Leben vorbereite.154 Diese Hitze verschaffe den Primärqualitäten ihre Eigenschaften, die sie alle in sich vereine.155 Der Himmel bewirke somit durch diese Hitze sowohl die irdische (Primärqualität der) Hitze als auch die übrigen Qualitäten und führe so auch meteorologische Phänomene herbei.156 Im Folgenden bespricht Pico den Unterschied dieses calor zum spiritus, jenes dünnen und unsichtbaren Körpers, der zwar – man denke an den spiritus Ficinos – die Verbindung zwischen Körper und Seele darstelle, nicht aber die Aufgaben der Hitze wahrnehmen könne.157 Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit dem detaillierten Nachweis, dass neben diesen erwähnten Instrumenten des himmlischen Einflusses keine weiteren zu uns gelangten; eine davon abweichende Meinung sei auch, entgegen landläufiger Ansicht, bei Aristoteles nicht zu finden.158 Ein beliebtes Argument der Astrologen indessen sei es, einerseits zuzugeben, dass das Licht Hitze bewirke, auf der anderen Seite aber weitere, verborgenere Einflüsse zu unterstellen, die die übri-

152 Vgl. disp. 3,4,1–2. 153 Vgl. disp. 3,4,3–5. 154 Vgl. disp. 3,4,6: quando lux summa qualitas corporum, corporeae vero naturae primus vitae gradus et summa semper ordinis infimi extrema fere superioris ordinis assequuntur, fit necessario, ut lux et consummatricem quandam habeat corporum virtutem et vitale nonnihil interim possideat, non quod ipsa aut vivat aut vitam afferat, sed corpus vitae capax ad vitam maxime praeparat et disponit, quoniam sequitur lucem quasi proprietas eius calor quidam non igneus, non aereus, sed caelestis, sicuti lux caeli propria qualitas; calor, inquam, efficacissimus maximeque salutaris, omnia penetrans, omnia fovens, omnia moderans. Eine genauere Differenzierung zwischen der himmlischen und der irdischen Hitze erfolgt in disp. 3,4,11 sowie 3,6,1–4; dass diese himmlische Hitze nicht nur heiß ist, sondern alle vier Primärqualitäten in sich vereint, macht Pico im Folgenden deutlich (vgl. disp. 3,4,9). Vgl. zu Picos Definition des calor auch vanden Broecke (2003: S. 66–71). Der calor Picos wurde bisweilen mit dem spiritus der platonisierenden Philosophie Ficinos gleichgesetzt; vgl. hierzu insbes. Kristeller (1964: S. 115–120) sowie Walker (2000: S. 55): »In the Third Book of this treatise Pico states as his own a theory of astral influence which is almost identical with Ficino’s. The heavens are the universal cause of all motion and life in the sub-lunar world. They operate by means of a heat which is not elemental, but which contains ›in perfection and virtue‹ all the elemental qualities. The heat is born by a ›celestial spirit‹, which penetrates everywhere, nourishing, tempering, forming, vivifying. It is analogous to the spirit, which, in men and animals, unites body and soul...« Ablehnend hierzu u.a. vanden Broecke (2003: S. 67f.). Vgl. zum Konzept des spiritus bei Ficino im Vergleich zu Pico auch Vasoli (2006: S. 492f.). 155 Vgl. disp. 3,4,9. 156 Vgl. disp. 3,4,14–27. 157 Vgl. disp. 3,4,29–30. Vgl. hierzu auch vanden Broecke (2003: S. 68–70). 158 Vgl. disp. 3,5,1–3. Vgl. etwa Arist. cael. 2,7 289a 19–21: ἡ δὲ θερμότης ἀπ᾿ αὐτῶν καὶ τὸ φῶς γίνεται παρεκτριβομένου τοῦ ἀέρος ὑπὸ τῆς ἐκείνων.

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gen Primärqualitäten hervorzurufen im Stande seien.159 Dies lasse sich jedoch in jeglicher Spielart widerlegen.160 Entsprechende Gegenargumente – z.B. dass auch der Einfluss des Mondes auf verborgene Weise unter die Erde gelangen könne – werden kurz entkräftet bzw. auf spätere Kapitel verschoben.161 Im folgenden Kapitel werden die Eigenschaften des Lichtes von Sonne und Mond beschrieben; dabei stellt der Autor zunächst fest, dass auch der himmlische calor, wenn er von der besseren himmlischen Sphäre in die weniger vollkommene irdische wechselt, durch den infizierenden Einfluss der Materie an Wirkung und Vollkommenheit verliere und mutatis mutandis zu elementarer Hitze, der er von den irdischen Qualitäten am ähnlichsten sei, degeneriere.162 Dabei verbinde sich die himmlische Hitze vornehmlich mit dem menschlichen spiritus und wirke so lebensspendend.163 Es ergebe sich daher, dass das Licht von Sonne und Mond lebensspendend sei, nicht aber lebensfeindlich;164 ebenso riefen beide Gestirne dieselbe Wirkung hervor, die jedoch auf Grund der schwachen Materie abgewandelt werde und somit lediglich zufällig (ex accidenti) unterschiedliche Auswirkungen habe.165 Daher seien auch zu unterschiedlichen Zeiten Meerestiere voller Wasser und ein Aderlass gefährlich oder ungefährlich, da die Flüssigkeiten der Körper durch die beiden Luminare zu unterschiedlichen Zeiten in divergenter Weise angeregt oder besänftigt würden.166 Zusammengefasst bewirken beide Himmelskörper, Sonne wie Mond, alle Primärqualitäten, je nach der unterschiedlichen Beschaffenheit des aufnehmenden Körpers.167 Im Laufe des sich anschließenden siebten Kapitels widerlegt Pico die Ansicht Ibn Ezras (Avenezra), die besagt, dass zwar alle Himmelskörper heiß seien, einige jedoch, namentlich Saturn, auf Grund ihrer Entfernung zu wenig Hitze zu uns transportieren könnten.168 Dieses Prinzip lasse sich jedoch nicht auf andere weiter entfernte Sterne übertragen, so zum Beispiel auf Regulus, einen nach astrologischer Ansicht sehr heißen Stern.169 Der Grad an Hitze hänge indessen von drei Variablen ab, deren Gewichtung allerdings bisher unklar sei: von der Menge 159 Zu dieser der scholastischen Tradition entsprechenden Erklärung vgl. u.a. auch Grant (1994: S. 87). 160 Vgl. disp. 3,5,4–10. 161 Vgl. disp. 3,5,11–13. 162 Vgl. disp. 3,6,1–3. Vgl. hierzu auch vanden Broecke (2003: S. 69f.). 163 Vgl. disp. 3,6,3–4; zum spiritus als Wirkursache komplexer Körper vgl. auch Aristoteles gen. animal. 2,3 736b 35–737a 1 sowie die Darstellung bei Ibn Sīnā (virib. cord. 1,2); einen knappen Überblick bietet auch vanden Broecke (2003: S. 68f.). 164 Vgl. disp. 3,6,5–7. 165 Vgl. disp. 3,6,8–18. 166 Vgl. disp. 3,6,15–17. 167 Vgl. disp. 3,6,18: Ad hunc ergo modum et frigefaciunt et nunc duris corporibus, nunc aquea crassitudine distillantibus incidentes exsiccant humefaciuntque siderum radii, sua tantum natura salubriter calefacientes, noxii quoque interdum non suo vitio, sed infirmitate suscipientis. 168 Vgl. disp. 3,7,1f.; Ibn Ezra äußert diese Ansicht in seinem Liber rationum (Abrah. Avenez. rat. fol. 32r ). 169 Vgl. disp. 3,7,3–4.

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des Lichtes, dessen Dichte und seiner Nähe. Ungeachtet der Frage, welcher der drei genannten Größen dabei der Vorrang zugesprochen wird, böten sich immer Gegenbeispiele, welche die Ansicht der Astrologen ad absurdum führten.170 Daran schließt sich ein weiterer Einwand im achten Kapitel an, der die Frage aufwirft, ob es möglich sei, dass alle Strahlen, die vom Himmel herabfließen, zwar an sich heiß seien, je nach Mangel an Licht, Dichte oder Wirksamkeit jedoch verhältnismäßig kalt, trocken oder feucht.171 Dieser Frage, ob die Verschiedenheit der Wirkung durch Unterschiede der himmlischen Körper hervorgerufen werden könne, widmet sich Pico direkt im folgenden Kapitel, wobei er zu dem Schluss kommt, dass die Unterschiedlichkeit aus den Zweitursachen resultiere, während die Erstursache zur Substanz gehöre.172 Dabei solle der Himmel, der durch Bewegung und Licht Wirkung auf die sublunare Sphäre ausübe, mittels seiner Bewegung dreierlei bewirken: neue Bewegung, Hitze und Licht.173 Obwohl sich aber die himmlischen Bewegungen insofern voneinander unterschieden, dass einige schneller, andere langsamer seien und einige Himmelskörper auf ihrer Bahn einen längeren Weg zurücklegen müssten als andere, verändere sich die auf der Erde übernommene Geschwindigkeit nicht.174 Auch die im Folgenden referierte Ursachenkette (suprema causa – media causa – proxima causa), auf die sich manche Unterstützer der Astrologie beriefen, ändere nichts an dieser Tatsache und führe ebenfalls unweigerlich zu dem

170 Vgl. disp. 3,7,5–7. 171 Vgl. disp. 3,8,1–3. Eine ähnliche Ansicht vertraten bereits einige mittelalterliche Aristoteliker, die unterschieden, ob ein Gestirn eine Qualität bewirke oder ob es auch über sie verfüge; vgl. Grant (1994: S. 587): »The medieval mode of expression was to call the Sun virtually hot but not actually hot.« 172 Vgl. disp. 3,9,1–4. Einen Überblick über die Verkettung von Ursachen verschiedenen Grades bietet disp. 3,9,12. 173 Vgl. disp. 3,9,5; insbesondere die Frage, wie die himmlische Bewegung Hitze auf der Erde hervorrufe, sei kompliziert (vgl. disp. 3,9,5: sed et quod aiunt, ipsum motu calefacere, difficilis quaestio est et seorsum in libris philosophiae discutienda, nam ad rem astrologicam parum attinet.) und könne im Rahmen dieser Abhandlung nicht zufriedenstellend gelöst werden. Vgl. zu dieser Frage auch Grant (1994: S. 591–595). Aristoteles erklärt die Entstehung von Hitze durch das Reiben der Planetensphären aneinander, nennt aber insbesondere die Sonne als Ursache für Hitze (vgl. Arist. cael. 289a 19–35). Auf die Wirkung des Lichts kommt Pico im folgenden Kapitel (disp. 3,10) zu sprechen. 174 Vgl. disp. 3,9,8–10. Die Uneinigkeit der Wissenschaft hinsichtlich der unterschiedlich schnellen Bewegungen der Gestirne referiert Pico in disp. 3,9,7. Als Beispiel für die immer gleiche auf der Erde rezipierte Geschwindigkeit wird ein Stein angeführt, der, egal wie schnell sich die Körper am Himmel drehten, immer mit derselben Geschwindigkeit zu Boden falle (disp. 3,9,8): Non moveretur lapis deorsum aut sursum ignis quiescente caelo; sed non ocius aut descendit ille aut hic ascendit, quia caelum rapidius revolvatur.

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Schluss, dass die spezifischen, individuellen Unterschiede der sublunaren Körper nicht von der Bewegung der himmlischen Körper ausgehen können.175 Nachdem das neunte Kapitel die Unterschiedlichkeit der himmlischen Bewegung besprochen hatte, widmet sich das zehnte Kapitel dem himmlischen Einfluss mittels des Mediums Licht. Während es die einhellige Meinung der Philosophie sei, dass die unteren Sphären bezüglich ihrer Bewegung von der obersten Fixsternsphäre abhängig seien, sei es beim Licht vorherrschende Meinung, dass alle anderen Himmelskörper von der Sonne erleuchtet würden;176 ob auch die oberen, weiter entfernten Planeten durch ihr Licht auf uns einwirkten, sei hingegen weitgehend umstritten.177 Dennoch gelte die Annahme, dass es sich hierbei jeweils um eine Ursachenkette mit vier Gliedern handele.178 Diese bestehe die Bewegung betreffend aus Fixsternsphäre (Ia), Planetensphären (IIa), Äther (IIIa) und Körpern der unteren Welt (IVa); das Licht hingegen gehe von der Sonne (Ib) aus, spiegle sich im Mond (IIb), werde von dort aus in die Luft abgestrahlt (IIIb) und im vierten Schritt an die Körper der unteren Welt weitergegeben (IVb):179 In motu primum obtinet locum (Ia) sphaera illa, vel universum, quod diurna agitatione revolvitur, unde ceteris quoque motus iste communicatur; sequitur (IIa) chorus planetarum super polos signiferi currens in adversum; nec in eo sunt plures gradus distinguendi, quoniam invicem nec moventur nec movent, quare quasi mobile unum, sicut a primo mobili rapitur, ita movet suo quoque motu, qui diversitatis dicitur a Platone180 , movet aethera, inquam, aeremque supremum (IIIa); unde quarto quoque gradu (IVa) motus ad nos et inferiora corpora provenit, dum vegetantur inde rerum naturalium particulares omnes motus. In lumine – quod cum dico, calorem a lumine profluentem semper intellego – fons totius influxus oculus mundi Sol (Ib); hic illuminat Lunam (IIb); Luna afficit aerem (IIIb); aer omnia corpora, quae sub aere et in aere vivunt (IVb)...

Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass die unterschiedlichen Planeten auf unterschiedliche Weise auf uns einwirkten: Möglich wäre auch, dass lediglich Sonne und Mond auf uns einwirkten, da das Licht von drei Faktoren abhänge: Größe, Dichte sowie Nähe des leuchtenden Körpers.181 Alle diese drei Faktoren 175 Vgl. disp. 3,9,14: Utrumvis autem sentiamus, patet nedum individuas, sed nec specificas rerum differentias a caelestibus esse, quatenus istam motus efficientiam consideramus. 176 Vgl. disp. 3,10,1–2. 177 Vgl. zu dieser Frage auch Grant (2004: S. 603f.). 178 Vgl. disp. 3,10,3: seriem quasique catenam causarum; eine ähnliche Formulierung findet sich bereits bei Augustinus (Aug. civ. 5,8 p. 201,11–15): Qui vero non astrorum constitutionem, sicuti est cum quidque concipitur vel nascitur vel inchoatur, sed omnium conexionem seriemque causarum, qua fit omne quod fit, fati nomine appellant... 179 Disp. 3,10,5–6. 180 In seiner mythologischen Interpretation der Entstehung der Welt im Dialog Timaios beschreibt Platon die Planetenbewegungen als einen »Umlauf des Verschiedenen« (Ti. 38C 8: θατέρου περίοδος). 181 Vgl. disp. 3,10,12.

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träfen in höchstem Maße gerade auf die beiden Luminare zu. In diesem Sinne sei es durchaus möglich, dass der Einfluss der oberen Planeten nicht existent oder doch zumindest verschwindend gering sei.182 Somit gebe es keinerlei Beweis dafür, dass eine andere Hitze in die sublunare Sphäre strahle, als die der Sonne, was in Folge dessen auch mutatis mutandis für das Licht gelte.183 Doch selbst, wenn man zugestehe, dass von allen Himmelskörpern eine Wirkung auf uns ausgeübt wird, müsse immer noch untersucht werden, ob ein und dasselbe Gestirn immer gleich auf uns wirke, oder ob die Wirkung Schwankungen unterliege; dieser Frage widmet sich das elfte Kapitel. So gelte es die Hypothese zu prüfen, ob es möglich sei, dass zwar alle Himmelskörper über Licht verfügten, dieses jedoch in unterschiedlichen Formen bzw. Zuständen bei ihnen vorliege.184 Dies lasse sich jedoch nur für den Mond nachweisen, nicht aber für die übrigen Himmelskörper.185 Im Übrigen müsse den Himmelskörpern jeglicher Einfluss abgesprochen werden, wenn sie sich unterhalb des Horizontes befänden, da dann auch ihr Licht nicht zu uns gelange; lediglich die Sonne wirke mittels des Mondes auch in Phasen der Unsichtbarkeit (nachts). Dasselbe gelte auch für die Eigenbewegungen der Himmelskörper (Richtung Norden oder Süden), die zwar zu unterschiedlichen Einfallswinkeln führe, keinesfalls aber durch Aspekte oder andere astrologische Schemata beeinflusst werde.186 Auch eine Verstärkung der Strahlen durch den Mond, wie es bei den Sonnenstrahlen der Fall ist, sei nicht erkennbar. Eine Vermischung der Strahlung kann Pico zwar nicht ausschließen; aus dieser ergäben sich aber nicht immer neue Wirkungen, sondern sie unterschieden sich lediglich hinsichtlich der Unterschiede der einzelnen Bestandteile.187 Die Unterschiedlichkeit der Wirkungen der himmlischen Strahlen steht im nächsten, zwölften Kapitel im Fokus der Untersuchung. Dabei wird zwischen substanziellen und akzidentiellen Eigenschaften der Strahlen in der Luft unterschieden, wobei substanzielle Eigenschaften – z.B. die Tatsache, dass sie aus Licht oder Hitze bestehen – direkt ihrer Wesenheit zugehörig und somit unveränderlich, akzidentielle Eigenschaften hingegen – beispielsweise eine gesteigerte oder verringerte Intensität – veränderlicher Natur seien.188 Da der Einfluss auf das Entstehen von Leben durch die himmlische Strahlung etwas Substantielles sei, könne er nicht 182 Vgl. disp. 3,10,14–22. 183 Vgl. disp. 3,10,23–24. 184 Vgl. disp. 3,11,4. 185 Vgl. disp. 3,11,6–7. 186 Vgl. disp. 3,11,13–15. 187 Vgl. disp. 3,11,20–21. 188 Vgl. disp. 3,12,1: Cogitemus omnium radiorum mixtionem in aere; in ea est aliquid quasi dixeris substantiale, aliquid quasi accidentale; substantiale est esse unum lumen sive unum calorem ex omnibus caeli luminibus vel congregatum vel resultantem; et hoc quidem perpetuum et immutabile est. Sed quod hic quidem radius in eo nunc sit intentior, alius sit remissior, accidentale est, mutaturque subinde pro caelestium corporum iugi mutatione. Zum Problem der intensiven Größe (intentio remissioque formarum) vgl. auch Maier (1968).

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von einer individuellen Mischung – die ja dem Akzidentiellen zuzurechnen sei – abhängen.189 Es sei somit zwar nicht auszuschließen, dass die Gestirne akzidentielle Eigenschaften bei Geburten zu beeinflussen im Stande seien; die Substanz hingegen unterliege nicht diesem Einfluss des Himmels und könne daher auch nicht anhand dessen vorhergesehen werden.190 Veränderungen auf substantieller Ebene seien hingegen immer an eigene Ursachen gekoppelt. Auf Grund dessen sei auch Augustinus der Ansicht gewesen, dass es nicht unmöglich sei, dass der Himmel Einfluss nehmen könne auf körperliche Unterschiede.191 Mit dem Ende dieses Kapitels endet die Widerlegung des ersten Gegenargumentes der Astrologen, wobei Pico zu belegen versuchte, dass der Himmel eine causa universalis darstelle und daher nicht für die partikulären Unterschiede der sublunaren Körper verantwortlich sei. Mit dem dreizehnten Kapitel beginnt die Auseinandersetzung mit dem zweiten Argument der Astrologen und insbesondere mit den Wirkungen der Sonne, die von der Astrologie oftmals den anderen Gestirnen zugeschrieben würden. Dabei werde von den Astrologen insinuiert, dass die Abhängigkeit der irdischen Körper von Sonne und Mond auch auf die anderen Himmelskörper zu übertragen sei und auch deren Strahlen daher eine verborgene Kraft nicht abgesprochen werden könne, die Änderungen in der unteren Welt bewirke.192 Dass die Jahreszeiten durch die Sonne (genauer: die Schiefe der Ekliptik) bewirkt würden, ist für Pico ein Axiom, an dem kein Zweifel herrschen kann.193 Dies habe zur Folge, dass auch damit verbundene Ereignisse (wie beispielsweise meteorologische Phänomene oder Krankheiten) an die Bewegung der Sonne gekoppelt seien, keineswegs aber an die Tierkreiszeichen, die die Sonne jeweils zu dieser Zeit durchwandere.194 Hinzu kämen Divergenzen der (sublunaren) Materie, sodass im Sommer beispielsweise nicht jeder Tag notwendigerweise gleich heiß sei, eine Tatsache, die dezidiert 189 Vgl. disp. 3,12,3–4. 190 Vgl. disp. 3,12,7–8. 191 Vgl. disp. 3,12,13–16. Vgl. Aug. civ. 5,6 pp. 198,26–199,6: Cum igitur non usquequaque absurde dici potest ad solas corporum differentias adflatus quosdam valere sidereos, sicut in solaribus accessibus et decessibus videmus etiam ipsius anni tempora variari et lunaribus incrementis atque detrimentis augeri et minui quaedam genera rerum, sicut echinos et conchas et mirabiles aestus oceani… Quid enim tam ad corpus pertinens quam corporis sexus? et tamen sub eadem positione siderum diversi sexus gemini concipi potuerunt. Zur grundsätzlichen Kritik an der Astrologie durch Augustinus vgl. u.a. von Stuckrad (2000: S. 775–779) sowie Hegedus (2007: S. 45–61) und Tester (1987: S. 108–112), der Augustinus mit folgenden Worten charakterisiert: »Augustine was an intelligent and educated young near-pagan, who had learned enough of astronomy to be impressed [...], and who had sufficient Christian background from his mother Monica to reject magic and superstitious divination through prayers and sacrifices to ›the gods‹« (ebd.: S. 109). Vgl. auch Long (1982: S. 190f.). 192 Vgl. disp. 3,13,1–3. 193 Vgl. disp. 3,13,6: Variat anni tempora Solis accessus atque recessus; hoc nos etiam iure iurando, si oporteat, asseverabimus. At hoc ipsum Zodiaci facit obliquitas, non natura signorum... 194 Vgl. disp. 3,13,8–12.

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nicht auf den unterschiedlichen Stand der Sonne zurückgeführt werden dürfe.195 Dies lasse sich auch anhand der variablen Zustände unterschiedlicher Meere beweisen, die für die Seefahrt zu bestimmten Zeiten befahrbar oder nicht befahrbar seien – auch hierbei spielten die Zeichen keinerlei Rolle.196 Seeleute, Bauern und Ärzte hingegen wiesen die Ansichten der Astrologen als unbrauchbar und nicht mit der Erfahrung vereinbar zurück, auch wenn sie sich bei der Beschreibung natürlicher Ereignisse bisweilen astrologischer Terminologie bedienten.197 Aus den unterschiedlichen Ständen der Sonne ergäben sich auch manche Unterschiede der betroffenen Menschen, die die Astrologen fälschlicherweise auf jeweils vorherrschende Planeten bezögen.198 Hinzu träten unterschiedliche Einflüsse, die sich aus der Umwelt ergeben, aus der körperlichen Beschaffenheit, den Gewohnheiten oder der Erziehung. Dies alles führe erneut zu dem Ergebnis, dass es unnötig sei, neben den genannten Einflussmöglichkeiten des Himmels weitere zu erfinden, da alles, was die obere Welt auf der Erde bewirke, auf diese zurückgeführt werden könne.199 Nachdem sich das dreizehnte Kapitel dem wirkenden Einfluss der Sonne widmete, greift das folgende vierzehnte Kapitel die Wirkungen lunarer Einflüsse auf, deren Auswirkungen auf der Erde ebenfalls nicht zu leugnen seien. Dabei widerlegt der Autor zunächst die falsche Ansicht des Ptolemaios bezüglich der Wirkung der unterschiedlichen Mondphasen auf die primären Qualitäten, die dieser in seinen Apotelesmata und dem ihm zugeschriebenen Centiloquium äußert.200 In diesem Sinne lasse sich die gesamte lunare Astrologie auf die Wirkungen des Mondes auf primäre Qualitäten und Flüssigkeiten zurückführen, was sich bereits in den Anweisungen im Bauernkalender Hesiods widerspiegele, ebenso in den Georgica Vergils, bei Proklos, Plutarch oder Columella;201 diesen Lehren fühlten sich sogar die Ärzte, beispielsweise bei Aderlass oder Schröpfkur, verpflichtet.

195 Vgl. disp. 3,13,12: Concludamus statam in temporibus anni diversitatem non aliunde, quam a calidae Solis occasu recessuque fieri pro obliquitate signiferi; quodsi nec aestates aeque fervent omnes, nec hiemes rigent, pro materiae potest dispositione contingere, quae momentum habet in aere maximum testimonio sensus et Ptolemaei [...]. Sic quod in eadem aestate sit aliis diebus calor intentior, aliis hebetior, nec hoc ipsa tamen exigat positura Solis ... 196 Vgl. disp. 3,13,15–18. Zur Abhängigkeit der hier geäußerten astrologischen Positionen von Abū Ma῾šars Introductorium bzw. den Ansichten des Albertus Magnus vgl. die Angaben im Quellenapparat zur Stelle. 197 Vgl. disp. 3,13,18–20. 198 Vgl. disp. 3,13,21–28. 199 Vgl. disp. 3,13,34f. 200 Vgl. disp. 3,14,2–5. Pico bezieht sich auf Ptol. apotel. 1,8,1f. sowie Ps.-Ptol. cent. 56 (insbesondere in der Übersetzung Giovanni Pontanos). Vgl. hierzu sowie zur Stellung dieses Werkes in den Disputationes allgemein den umfassenden Überblick bei Akopyan (2018: S. 555–560). 201 Vgl. disp. 3,14,6–11. Der Bauernkalender findet sich bei Hesiod in den »Tagen und Werken« (op. 765–828).

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Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Gezeiten, genauer gesagt dem Einfluss des Mondes auf diese – dass es sich hierbei um eine schwierige Frage handelt, konzediert Pico gleich zu Beginn des Kapitels.202 Das Kapitel beginnt mit einem längeren Zitat aus den Quaestiones naturales des Adelard von Bath, in welchem dieser seine Meinung äußert, dass die Gezeiten nicht vom Mond, sondern von einer inneren Bewegung und dem Drang der Fluten, sich zu vereinigen, bewirkt würden.203 Dieser Ansicht schließt sich Pico mit gebotener Vorsicht an, da die Wassermassen, die Teil eines elementum principale seien, der Trennung entfliehen wollten.204 Daneben entstünden in den Meeren zahlreiche Dämpfe und Winde, die das Meer zur Ausdehnung und Bewegung zwängen; lasse diese Kraft hingegen wieder nach, trete erneut Ebbe ein.205 Dies bedeute, dass die Wirkung des Mondes für die Gezeiten nicht mehr nötig sei, insbesondere, wenn man der Ansicht Abū Ma῾šars folge, der feststellte, dass bisweilen Ebbe und Flut an unterschiedlichen Orten zur selben Zeit einträten.206 Auch al-Bitrūgi bestimme nicht den Mond, sondern die allgemeine tägliche Kreisbewegung als Ursache für die Gezeiten.207 Welcher dieser Ansichten man indessen auch folge und selbst dann, wenn man den Mond als Ursache der Gezeiten erachte, bringe dies noch keine Argumente für die Astrologie hervor;208 dies gelte auch für die Ansicht, die Roger Bacon in seinem Opus maius und seinem Opus tertium äußert, die sowohl der empirischen Realität als auch den Ansichten Abū Ma῾šars zuwiderlaufe, als dessen Erklärer Bacon eigentlich angetreten sei.209 Sollte der Mond aber doch auf die Gezeiten wirken, so könne dies nur anhand seiner Bewegung geschehen – eine Mei-

202 Vgl. disp. 3,15,1 : De fluxu maris atque refluxu multiplex quaestio est... Neben dem von Pico namentlich erwähnten Adelard von Bath werden in dem Kapitel immer wieder Ansichten referiert, die dem Introductorium Abū Ma῾šars entnommen sind (vgl. etwa die Anmerkung zu disp. 3,15,9); dessen Name erwähnt Pico ebenfalls in 3,15,12. Vgl. zu Abū Ma῾šars Theorie von den Gezeiten vor allem North (1986: S. 56–59) sowie Laird (1990). 203 Vgl. Adelard. quaest. nat. 52 pp. 50–51 M. 204 Vgl. disp. 3,15,3–5: Haec illius sententia non magnopere abhorrens a similitudine veri (disp. 3,15,3). 205 Vgl. disp. 3,15,5–8. Obschon Pico diese Ansicht in 3,15,9 explizit Adelard zuschreibt, lassen sich entsprechende Aussagen in den bekannten Schriften Adelards nicht finden; die dargestellten Vorstellungen finden sich hingegen im Introductorium des Abū Ma῾šar, in der Abhandlung De causis proprietatum elementorum des Albertus Magnus sowie – zumindest teilweise – in der Schrift De fluxu et refluxu maris des Robert Grosseteste, der allerdings, wie Edgar Laird nachweisen konnte, in seiner Abhandlung der Darstellung Abū Ma῾šars folgt; vgl. Laird (1990: S. 684f.). 206 Vgl. disp. 3,15,12; die Darstellung bei Abū Ma῾šar findet sich im Introductorium tract.3, diff.4 pp. 104–108. 207 Vgl. disp. 3,15,13 sowie die Darstellung in der Abhandlung De motibus celorum des al-Bitrūgi (Alpetrag. mot. cel. 4,1–7 pp. 80–81 C). 208 Vgl. disp. 3,15,14–16. 209 Vgl. disp. 3,15,17–21. Roger Bacon beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Mondständen und deren Einfluss auf die Gezeiten insbesondere in seinem Opus maius (pp. I 140–141 B).

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nung, die bereits Thomas von Aquin beiläufig äußerte.210 Doch auch die hierzu formulierten Überschneidungen von Mondphasen und Gezeiten ließen sich nicht mit der Realität in Einklang bringen, was auch für die Darstellung Abū Ma῾šars gelte.211 Zusammenfassend könne man jedoch festhalten, dass keine dieser Meinungen einen Beleg für irgendwelche astrologischen Kräfte darstellen könne, da selbst für den Fall, dass der Mond die Gezeiten bewirke, dies auf seine Bewegung oder auf sein Licht zurückgeführt werde und daher mit den naturwissenschaftlichen (sensu latiore) Erklärungen Picos konform sei. Das anschließende sechzehnte Kapitel widmet sich mit den kritischen Tagen ebenfalls einer Thematik, die im Allgemeinen – namentlich im dritten Buch der Abhandlung Περὶ κρισίμων ἡμέρων (De diebus decretoriis) des antiken Arztes Galen (2. Jh. n. Chr.) – mit dem Einfluss des Mondes erklärt werde.212 Dabei sei Galen in der besagten Abhandlung über die kritischen Tage von einem doppelten Einfluss des Mondes ausgegangen, einmal durch sein von der Sonne entliehenes Licht, zum anderen durch die Zeichen der Ekliptik, die der Mond in relativ rascher Bewegung im Laufe eines Monats durchwandere.213 Dabei ändere der Mond Klima und Wetter als Halb- oder Vollmond, was einem quartilen Aspekt entspreche bzw. die Opposition zur Sonne bedeute, zum anderen gelte, dass eine Änderung bei medizinischen Ereignissen immer dann eintrete, wenn das Zeichen des aktuellen Mondes einen entsprechenden Aspekt zu dem Zeichen bilde, in dem er zu Beginn des jeweiligen Ereignisses stand.214 Dies entspreche mehr oder minder exakt dem jeweils siebten bzw. vierzehnten Tag eines Mondmonats, die tatsächlich laut allgemeiner Übereinkunft als kritische Tage gehandelt würden.215 Um jedoch darüber hinaus den zwanzigsten Tag als kritischen Tag belegen zu können, greife Galen auf eine Erklärung zurück, die auf den ersten Blick einleuchtend erscheine: Wenn man den siderischen Mondmonat mit einer Länge von 27 Tagen und acht Stunden in vier gleich lange Hebdomaden einteile, erhalte man vier Hebdomaden zu je sechs Tagen und zwanzig Stunden;216 drei dieser Hebdomaden hätten in Folge dessen zwanzig Tage und zwölf Stunden. Der letzte ›Tag‹ der dritten Heb-

210 Vgl. disp. 3,15,22. Thomas erwähnt die Gezeiten am Rande seiner Abhandlung De occultis operibus naturae (p. 183,49–58). 211 Vgl. disp. 3,15,24–27. 212 Zu den kritischen Tagen vgl. auch Hirai (2014: S. 267–86) sowie Pennuto (2008: S. 75–98) und Cooper (2013: S. 536–565). Zu Galens Berechnung der kritischen Tage vgl. auch die Edition, Übersetzung und mathematische Analyse der entsprechenden Passagen bei Heilen (2018). 213 Vgl. disp. 3,16,2 sowie Galen. de dieb. decr. 3,4 pp. 906–907 K. 214 Vgl. disp. 3,16,3. 215 Vgl. disp. 3,16,4–5 und Galen. de dieb. decr. 3,6 pp. 910–912 K. 216 Eine Hebdomade ist also ein Zeitraum von sieben gleich langen Einheiten, die als ›Tage‹ bezeichnet werden; dabei handelt es sich aber um ein rein mathematisches Konstrukt, welches nicht mit den natürlichen Tagen gleichzusetzen ist und in diesem Fall immerhin vier Stunden kürzer ist als eine Hebdomade von sieben Tagen à 24 Stunden.

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domade (dies hebdomaticus) falle daher je zur Hälfte mit dem zwanzigsten und dem einundzwanzigsten ›natürlichen Tag‹ zusammen.217 Anstatt es jedoch darauf beruhen zu lassen, habe Galen eine zusätzliche Methode ersonnen, um den zwanzigsten Tag dem einundzwanzigsten als kritischen Tag vorziehen zu können: Ausgehend vom synodischen Monat (29 Tage und zwölf Stunden), dem er drei Tage abzieht, an denen der Mond von der Sonne verdeckt werde und daher gemäß seiner o.g. Definition keinen Einfluss nehme, errechne er einen Zeitraum des leuchtenden Mondes (spatium lucentis Lunae) bzw. daraus resultierend einen Monat der offenbaren Sichtbarkeit (mensis manifestae visionis), innerhalb dessen dieser die Kraft habe, auf die Körper der sublunaren Sphäre mittels seines Lichtes zu wirken;218 zu diesem Zeitraum addiert er den siderischen Monat (27 Tage und acht Stunden), innerhalb dessen der Mond durch die Kraft der Tierkreiszeichen wirke, errechnet das arithmetische Mittel aus beiden, was zu einem Ergebnis von 26 Tagen und zweiundzwanzig Stunden führt, und bezeichnet den so errechneten Zeitraum als medizinischen Monat (mensis medicinalis). Die Hebdomaden dieses neuen Monates wiederum dauerten nun sechs Tage und siebzehneinhalb Stunden, womit die dritte Hebdomade nach zwanzig Tagen und viereinhalb Stunden zu Ende sei; auf den einundzwanzigsten natürlichen Tag entfielen daher lediglich viereinhalb hebdomadische (und damit kritische Stunden), was ihn offensichtlich als kritischen Tag dem zwanzigsten Tag unterlegen mache.219 An dieser Berechnung übt Pico nun scharfe Kritik, da Galen lediglich mit den Mittelwerten hantiere, was dazu führe, dass zu den errechneten Zeitpunkten tatsächliche Einflüsse (wie die oben genannten Aspekte) gar nicht bestünden; somit ließen sich zu den errechneten Zeitpunkten des lediglich mathematisch konstruierten medizinischen Monats keine astrologischen Wirkungen feststellen, da besagte Aspekte zu diesem Zeitpunkt realiter gar nicht gebildet würden.220 Bei den unterschiedlichen Begründungen für die verschiedenen kritischen Tage fände daher eine unzulässige Vermischung unterschiedlicher Monate und daher unterschiedlicher Einflüsse statt, die sich bisweilen diametral gegenüberstünden und sich daher grundsätzlich gegenseitig ausschlössen.221 Hinzu komme, dass der Mond sich zu den besagten Zeiten des siebten und vierzehnten kritischen Tages ebenfalls gar nicht in den genannten Orten aufhalte, da er sich auf seiner Bahn bald schneller, bald langsamer bewege und die genannten Zeitabschnitte bzw. -punkte lediglich als Näherungswerte gelten dürften.222 Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass Galen bei vielen späteren Ärzten und Wissenschaftlern keineswegs die Autorität besessen habe, die ihm die Jüngeren zu217 Vgl. disp. 3,16,8–9; zitiert wird Galen. de dieb. decr. 3,9 p. 929 K. 218 Vgl. disp. 3,16,11–12; Pico zitiert bzw. paraphrasiert Galens De diebus decretoriis 3,9 pp. 930–931 K. 219 Vgl. disp. 3,16,11–14. 220 Vgl. disp. 3,16,15–19. 221 Vgl. disp. 3,16,20–22. 222 Vgl. disp. 3,16,27–28.

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weisen, was aus einigen seiner Irrtümer und Fehler insbesondere auf dem Gebiet der Logik resultiere.223 Einige spätere Ärzte, allen voran Pietro d’Abano, hätten sich darüber hinaus ein System unterschiedlicher Qualitäten ausgedacht, die den Zeichen zugeordnet würden und die kritischen Tage so erklärten; dass dies weder mit den Ansichten Galens noch mit allgemeinen astrologischen Ansichten konform sei, beweist Pico im folgenden Abschnitt (disp. 3,16,38–49). All dies führe zu dem Schluss, dass die Ursache für die kritischen Tage – deren Existenz Pico im Übrigen nicht abstreitet – nicht im Mond begründet liegen könne, sondern in einer verborgenen Übereinstimmung zwischen Natur und Krankheit, die gewiss oft, aber keineswegs immer auf bestimmte Tage hinauslaufe.224 Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Perioden der vier Körpersäfte (rote Galle, schwarze Galle, Phlegma, Blut), wobei das bei Galen auf Fieber ausgelegte Konzept eines festen Ablaufes von Anfall – Pause – Anfall auf die Bewegung dieser Säfte übertragen werde.225 Dabei belegt Pico, dass diese Perioden weder auf die Bewegungen der Planeten zurückzuführen seien noch auf die des Mondes;226 eine entsprechende Kausalität habe im Übrigen auch kein antiker Arzt bei den Perioden der Fieber angenommen.227 Ähnliches gelte auch für die Achtmonatsgeburten, wie Pico im folgenden achtzehnten Kapitel feststellt: Dabei werde der Tod der nach lediglich acht Monaten im Mutterleib geborenen Kinder von der astrologisch fundierten Medizin dem Einfluss Saturns zugeschrieben, da dieser über den achten Lebensmonat (ab der Empfängnis gemessen) die Herrschaft innehabe. Um dies zu widerlegen, zitiert Pico ausführlich aus der Schrift De octimestri partu des Hippokrates, der belegt, dass den Kindern durch Gewicht und andere Unpässlichkeiten der Mutter stark zugesetzt würde und sie infolgedessen selbst geschwächt seien, was zur hohen Mortalitätsrate dieser Kinder führe.228 Das anschließende neunzehnte Kapitel widmet sich der Frage, warum diejenigen, die auf entsprechende Prognostiken insbesondere meteorologischer Phänomene angewiesen sind, also allen voran Seeleute, Ärzte und Bauern, oftmals

223 Vgl. disp. 3,16,29–36. 224 Vgl. disp. 3,16,50–57: Mihi contra videtur hinc patere de caelestibus causam huiusmodi esse non posse, quoniam, si inde esset, alias alii cretici forent, nec, qui apparet in eis, ordo servaretur (disp. 3,16,57). 225 Vgl. zu diesem Konzept des Fieberanfalls insbes. Galen. cris. 1,2 p. 552 K; die Darstellung der Perioden der Säfte folgt hingegen insbesondere derjenigen, die Pietro d’Abano in seinem Conciliator (cap. 88) bietet. 226 Vgl. disp. 3,17,1–6. 227 Vgl. disp. 3,17,7. 228 Vgl. disp. 3,18,2–4. Pico bezieht sich auf Hp. oct. 6,1–3. Zur Begründung des umfassenden Zitates vgl. die Anmerkung zu disp. 3,18,4.

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bessere Vorhersagen träfen als die Astrologen.229 Da diese auf die Methoden der Astrologie nicht zurückgriffen, scheinen diese für korrekte Vorhersagen nicht notwendig zu sein.230 Bei ihren Vorhersagen würden die Astrologen indessen eine natürliche Ordnung voraussetzen, die es realiter nicht gebe, sondern die lediglich von ihnen erdacht sei, und somit auf ein semiotisches Instrumentarium zurückgreifen, welches sich nicht mit der empirischen Realität decke.231 Die einfachen Leute hingegen würden anhand meteorologischer Zeichen auf künftige meteorologische Änderungen schließen, wie der Arzt auf Grund empirischer, an anderen Patienten gewonnener Erkenntnisse urteilt und nicht anhand einer absurden, unterstellten Verbindung mit den Eigenschaften der Himmelskörper.232 Dabei herrsche zwischen den benannten Professionen stets Einigkeit die Zukunft betreffend, bei den Astrologen aber in so hohem Maße Dissens, dass nihil dubitet Aboasar iter capere non petasatus, quo die Ptolemaeus aquarum eluviem denuntiaverit.233

Mit dem folgenden zwanzigsten Kapitel beginnt die Abhandlung des dritten Gegenargumentes der Astrologen, welches die vier Primärqualitäten und somit auch damit in Verbindung stehende Ernteergebnisse, Krankheiten etc. als vom Himmel abhängig postuliert hatte. In diesem Sinne spiele natürlich die Jahreszeit, zu welcher man geboren werde, eine bedeutende Rolle, wobei dies in jedem Falle wichtiger sei als der Einfluss vermeintlich kalter oder warmer Planeten.234 Obschon dieses hohe Maß an Bedeutsamkeit des Temperamentes in der Astrologie immer wieder Erwähnung finde, leiteten die Astrologen ihre Lehren keineswegs auf befriedigende Weise daraus ab oder zögen entsprechende Schlüsse daraus.235 Dies, so die These, die es im nächsten Kapitel zu belegen gilt, lasse den Schluss zu, dass die von den Astrologen insinuierte Folgerung nicht zutreffe, der Himmel bewirke die vier Primärqualitäten und damit auch entsprechende Ereignisse der sublunaren Welt; dies würde im Umkehrschluss nämlich bedeuten, den vollkommenen Himmel für die Unvollkommenheiten der Erde in Haft zu nehmen.236 Dies gelte z.B. auch für Überschwemmungen, die nicht durch das Zusammentreten mehrerer Wirkungen kalter Planeten bewirkt werden könnten. Daher könn229 Vgl. zu den Prognostiken aufmerksamer Bauern und Seeleute bereits Ptol. apotel. 1,2,7–11. Dieser Personenkreis ist – wie der Name bereits suggeriert – auch als primäres Publikum für antike Bauernkalender, wie sie beispielsweise Hesiod, Vergil oder Columella bieten, intendiert. 230 Vgl. disp. 3,19,3. 231 Vgl. disp. 3,19,4–5. 232 Vgl. disp. 3,19,6–8. 233 Disp. 3,19,10. 234 Vgl. disp. 3,20,1–2. 235 Vgl. disp. 3,20,3–5. Als Beispiel dient Ptolemaios, der zwar zu Beginn seiner Apotelesmata (apotel. 1,2,10–11) auf dieses Thema eingehe, es im Folgenden aber kaum berücksichtige. 236 Vgl. disp. 3,21,1–7.

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ten auch materielle Defekte und körperliche Gebrechen nicht dem Himmel zugeschrieben werden, dessen Aufgabe das Schaffen von Ordnung und Spenden von Wohltaten sei, nicht aber Übermaß, Exzess und Zerstörung; Analoges gelte ebenfalls für die vier Körpersäfte.237 So kommt Pico zu folgendem Schluss: At longe maior insania caeli virtutem damnare quam seminis, quae tanto minus errare potest atque deficere, quanto ipsa natura potentior et domina et artifici iunctior, a quo non aliter, quam per ipsum ista seminaria virtus inferior regitur atque formatur [...]. Sed ita est certe: nulla professio caelo magis iniuria astrologica superstitione, quae, quicquid a nobis fit praeter rationem culpa voluntatis, quicquid in materia evenit praeter ordinem vitio temeritatis labilisque materiae, id totum sideribus ambit imputare nec putat illorum salvam dignitatem, si non illis indignissima quaeque accepta referantur. 238

Das zweiundzwanzigste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob die menschliche Begabung und der Charakter auf die unterschiedlichen Himmelskörper zurückzuführen seien, was der Autor nur zum Teil verneint, da zwar der Himmel auf das Temperament in allgemeiner Form Einfluss nehme, keinesfalls jedoch für sämtliche individuellen Ausprägungen und Formen des Charakters zuständig sei.239 Auch Kriege und ähnliche Ereignisse könne man nicht auf den Himmel zurückführen, wie das dreiundzwanzigste Kapitel zu beweisen versucht. Dabei stellen die Astrologen eine Verbindung zwischen äußeren Ereignissen und dem inneren Temperament der vier Säfte her, welches ja – so lautet ihre Meinung – dem Himmel unterliege. Dabei stellen sie in Folge des Ptolemaios eine Verbindung von Seele und Körper her, welche die äußeren Ereignisse und die Körpersäfte in einen Zusammenhang bringt.240 An anderer Stelle hingegen lasse der antike Astronom und Astrologe äußere Ereignisse in entsprechendem Zusammenhang unerwähnt und unterlasse es, einen konkreten Kausalzusammenhang herzustellen, was den Schluss nahelege, dass auch dieser bedeutende Astrologe dies schlichtweg nicht vermochte, weil es keinen gebe. Mit dem vierundzwanzigsten Kapitel beginnt die Entkräftung des vierten Argumentes, welches verborgene Einflüsse im Himmel postuliert, da dieser in seiner unendlichen Beständigkeit viel vornehmer – sprich: vollkommener – sei als die Körper der sublunaren, vergänglichen Welt.241 Diese besonderen Fähigkei237 Vgl. disp. 3,21,8–11. 238 Disp. 3,22,12–14. 239 Vgl. disp. 3,23,2. 240 Vgl. disp. 3,23,2–3; zitiert wird Ptol. apotel. 1,3,1. 241 Verglichen wird dies mit der Kraft des Magneten, Eisen anzuziehen, was ebenfalls auf verborgene Kräfte zurückgeführt wird (disp. 3,24,1): Restat discutiendum, an praeter effectricem vim qualitatum istarum occultiores in sideribus vires eminentioresque sint, per quas facere multa possint, quae per primas illas qualitates facere non possunt, sicut sua quadam proprietate magnes ferrum trahit, peonia caducis opitulatur et aliis rebus insunt aliae potestates ipsis materiae primis affectionibus et nobiliores et efficaciores. In vergleichbarem Zusammenhang führt auch Thomas von Aquin die

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ten resultierten indessen aus der inneren Wesenheit jener Körper, da der Himmel die Vielheit der unteren Welt in einfacher Form in sich enthalte.242 Neben diesem Merkmal seiner Vorzüglichkeit benötige der Himmel keine anderen Auszeichnungen oder Eigenschaften, die seiner Würde sogar im Gegenteil abträglich wären. Gesetzt den Fall, man unterstelle allen Himmelskörpern eine individuelle Kraft, so sei diese doch, wie Pico in Kapitel 25 feststellt, verglichen mit den irdischen Einzeldingen immer eine verhältnismäßig allgemeine Kraft und schließe die Vollkommenheit der unteren Körper in ihrer Gesamtheit mit ein.243 So verfügten die Himmelskörper vielleicht über unterschiedliche Wirkungskräfte, diese wirkten aber auf alle irdischen Körper immer im selben Maße ein. Dabei definiert der Philosoph Pico den Himmel als Einheit aller Körper, wobei alle Vielheiten von der Einheit ihres ersten Prinzips abhängig seien;244 da nun der Himmel der erste und vollkommenste Körper sei, gelte für ihn der paradoxe Zustand, dass er alle Eigenschaften der irdischen Körper zugleich enthalte und nicht enthalte. In ähnlicher Weise enthalte der Intellekt der Engel auch eine vornehmere und vollkommenere Art der Erkenntnis als der Verstand der Wesen der unteren Welt, da dessen Erkenntnis in unterschiedliche Akte aufgeteilt werde, während die geistigen Wesen über einen einzigen, vollkommenen Intellekt verfügten.245 Dass aber die ErkenntWirkung des Magneten an (gent. lib.3, cap.92, n.8): Manifestum est enim quod etiam inanimata corpora quasdam vires et efficacias a caelestibus corporibus consequuntur, etiam praeter eas quae ad qualitates activas et passivas elementorum consequuntur, quas etiam non est dubium caelestibus corporibus esse subiectas: sicut quod magnes attrahat ferrum, habet ex virtute caelestis corporis, et lapides quidam et herbae alias occultas virtutes. Vgl. auch seine Argumentation in De operationibus occultis (p. 183,15–22); Ähnliches skizziert auch Albertus Magnus in seiner Abhandlung De generatione et corruptione (2,2,16 p. 442 B). 242 Vgl. disp. 3,24,3: Fluunt illae dotes et potestates a principiis intimis ipsorum corporum, hoc est ab eorum formis, sive dicere mavis essentiis; porro caelum, sicut formam dedit, quam motus ille consequitur, sic dare illis tales virtutes dicitur; quarum tamen diversitas a diversitate fit non constellationis, sed mixtionis, ex cuius varia proportione alia atque alia forma dissultat. Atque hoc ipsum ad caelorum pertinet dignitatem, siquidem, quae dividuntur in multitudinem apud ordinem inferiorem, ea simplici actu et eminentiore collecta possidet ordo superior. Eine ähnliche Erklärung liefert Thomas von Aquin in seiner Schrift De occultis operibus; vgl. hierzu auch Grant (1987: S. 3–4). 243 Vgl. disp. 3,25,1: Quicquid autem in caelo est, et si comparatum universitati caelestium particulare aliquid est, idem tamen, ad sublunaria si referatur, ut maxime sit angustum, universale est. Universale cum dico, ita intelligi volo, ut totam corruptibilis mundi perfectionem claudat in se ipso, alioquin caeleste non erit ... 244 Vgl. disp. 3,25,4: Caeli natura non videtur apertius simul et brevius explicari posse, quam si dixeris caelum unitatem esse omnium corporum; sane nulla est multitudo, quae non a sua unitate dependeat, nihil in universo, quod non ab uno quasi fontali capite derivetur; et quemadmodum in exercitu legio quaelibet ad praefectum suum, totus exercitus ad unum refertur imperatorem, ita quaevis series rerum, generis communione sibi consentiens, habet suum principium a quo deducitur, a quo fovetur, regitur et continetur; quae cum sint multa principia, quasi multiplex unitas ad simplicissimam unitatem primi principii postremo redigitur. 245 Vgl. disp. 3,25,9–10.

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nis auf unterschiedlichen Gebieten aus dem himmlischen Einfluss entstehe, dürfe stark bezweifelt werden, da diese vom Empfängnisvermögen der Materie abhängig sei, nicht aber von den Himmelskörpern oder ihrem Einfluss selbst.246 Das sechsundzwanzigste, als Epilog bezeichnete, Kapitel fasst die gewonnen Erkenntnisse der vorherigen Kapitel zusammen und kommt zu den folgenden Ergebnissen: – Außer der lebensspendenden Hitze lässt sich keine andere Wirkweise der Himmelskörper auf die sublunare Sphäre explizit beweisen.247 – Dies gilt im besonderen Maße für jene Einwirkungen auf die ersten Qualitäten, die die Astrologen den Gestirnen zuschreiben; so kann man dem Mond ebenso mit Fug und Recht unterstellen, er bewirke Hitze, wie man behaupten kann, er rufe Feuchtigkeit und Kälte hervor, wie es die Ansicht der Astrologen unterstellt.248 – Diese Ansicht lässt sich auch auf die anderen Planeten übertragen, sodass es keinen Grund gibt, ihnen verborgene Kräfte zuzuschreiben, die die Diversität der unteren Körper bewirke; vielmehr wirkten sie alle als causae universales.249 Das siebenundzwanzigste und letzte Kapitel des dritten Buches entkräftet zu guter Letzt das fünfte Argument, welches darauf abzielt, dass es Ereignisse gebe, die über das dem Menschen zugeteilte Maß derart hinausgehen, dass sie ihre Besonderheit lediglich vom Himmel beziehen könnten. Dabei müsse man zwischen zweierlei Arten von Ereignissen unterscheiden, nämlich außerordentlich guten und außerordentlich schlechten. Allerdings sei es in jedem Fall eine Kette von nächsten Ursachen, die zu einem besonderen Ereignis geführt hätte, was am Beispiel des Aristoteles ausgeführt wird: Er erhielt einen geeigneten Körper von seinen Eltern, suchte sich die Philosophie als Betätigungsfeld aus, war fleißig und ehrgeizig und lebte zu einer Zeit, da sein Talent auf fruchtbaren Boden fiel. Alle diese Ereignisse führten zu dem Ergebnis, dass er zu einem der größten Philosophen aller Zeiten werden konnte – der Himmel hingegen habe dabei keine Rolle gespielt.250 Exakt dasselbe gelte auch für negative Ereignisse, dass nämlich die Menschen eine einzige Ursache dafür am Himmel suchen, obwohl sie die körperlichen wie geistigen Eigenschaften und Voraussetzungen als Glieder der Kausalkette genauer betrachten müssten. Dazu erzählt Pico die Geschichte eines ihm bekannten Mannes, der auf Grund entsprechender Erfahrungen in seiner Kindheit bzw. Jugend eine masochistische Sexualität auslebe, die rein psychologischer Natur sei, nicht aber vom 246 Vgl. disp. 3,25,12–14. 247 Vgl. disp. 3,26,2. 248 Vgl. disp. 3,26,3–5. 249 Vgl. disp. 3,26,7–10. 250 Vgl. disp. 3,27,3–5.

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Himmel bewirkt.251 Analoges gelte auch für Alexander den Großen, der durch seine Tugenden, das Heer seines Vaters und die Gewohnheiten seines Volkes in die Lage versetzt worden sei, seine außergewöhnlichen Taten zu vollbringen; auch der Zufall habe eine gewisse Rolle bei seinem kometenhaften Aufstieg gespielt.252 Zusammenfassend müsse jedoch konstatiert werden, dass keines dieser so genannten irdischen Wunder so außergewöhnlich sei, dass es den Himmel als Urheber verdient habe:253 nihil magnum in terra praeter hominem; nihil magnum in homine praeter mentem et animum; huc si ascendis, caelum transcendis; si ad corpus inclinas et caelum suspicis, muscam te vides et musca aliquid minus. At quemadmodum quidem in illo nigro agmine formicarum sunt, quae aliis praestent robore, magnitudine, sunt victoriae, bella, paces, officia, labores, egestas, divitiae, quae contemplantibus nobis omnia exigua et nullo discrimine nihil sunt, ita nostra ista corpuscula, nostrae fortunae, nostri reges, nostrae provinciae, bella, foedera, nuptiae, caelo si comparentur, nihil sunt penitus, cui tota terra collata, cuius unam portiunculam inter se homines igne ferroque partiuntur, individuum punctum est.

Nach dieser ausführlichen Widerlegung der fünf astrologischen Gegenargumente im dritten Buch geht es Pico im vierten Buch darum, zu beweisen, dass selbst dann, wenn man den Astrologen ihre Gegenargumente in der Diskussion zugesteht, die Astrologie keinen Anspruch erheben könne, eine funktionierende Wissenschaft zu sein, da sie sich auf die Sterne als Zeichen für Ereignisse beruft, die weder durch diese angezeigt, noch bewirkt werden können.254 Nach dieser Einleitung beginnt Pico im zweiten Kapitel mit der Widerlegung der These, dass zufällige Ereignisse (fortuita), also solche Begebenheiten, auf 251 Vgl. disp. 3,27,7–10. Diese Episode macht besonders deutlich, wie wichtig das psychologische Element für die Argumentation Picos ist; die Gewohnheit aus Jugendjahren bringt den Bekannten zu seiner ungewöhnlichen Neigung, allerdings gegen seinen ausgesprochenen Willen, da er – wie Pico versichert – seine Neigung verabscheut (disp. 3,27,9: morbum suum agnoscit et odit). Die Modernität seiner Herangehensweise wird anhand dieses Beispieles, welches in der Deutung der philosophischen bzw. psychologischen Motive Picos bisher viel zu wenig berücksichtigt wurde, eindrücklich manifest; vgl. dazu auch bereits Grafton (1999: S. 115), der – allerdings ohne dem psychologischen Element genügend Aufmerksamkeit zu schenken – zu dem Schluss kommt: »Nicht der Kristallkäfig der Sterne, den er [Pico] zu zerschlagen versucht hatte, sondern der eiserne Käfig der Geschichte bestimmt die Möglichkeiten und setzt der Kreativität Grenzen.« 252 Vgl. disp. 3,27,11–13. Vgl. hierzu auch Cassirer (1927: S. 126f.). 253 Vgl. disp. 3,27,14 sowie zu diesem Beispiel auch Cassirer (1942: S. 343): »In the spiritual sense man stands ›above‹ the stars and above the whole of corporeal nature, so truly as he understands this nature and is able to know its order and laws. This is his real greatness and elevation. As a natural being he is a vanishing nothing; as a thinking being he understands the heavens, and in this understanding transcends them.« Kritisch hierzu insbes. Craven (1981: S. 140–142). 254 Vgl. disp. 4,1,10. Der erste Teil des Kapitels (4,1,1–7) beinhaltet eine knappe Zusammenfassung der fünf genannten astrologischen Argumente sowie ihrer Widerlegung im vorangegangenen dritten Buch.

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Grund derer man jemanden als Glückspilz oder Unglücksraben bezeichnet, ebenfalls vom Himmel abhängig seien.255 Dabei zeichnet Pico die Argumentation des Thomas von Aquin, die dieser in seiner Summa contra gentiles256 darbietet, nach: Da zufällige Ereignisse nur scheinbar einen Zusammenhang bilden, könne die Natur keine Ursache dieser Ereignisse sein, da die Natur ihrer Wesenheit nach Einheit anstrebe. Da nun auch himmlische Ursachen natürliche Ursachen seien, könnten diese nicht für zufällige Ereignisse verantwortlich sein. Wenn daher jemand vom Himmel angeregt werde, ein Grab auszuheben und dort zufällig auf einen Schatz stoße, sei der Fund dieses Schatzes kein vom Himmel verursachtes Ereignis, da dies Vernunft und Absicht voraussetze, Eigenschaften, über die eine natürliche Ursache nicht verfüge.257 Um dieses Argument differenziert untersuchen zu können, umreißt Pico zu Beginn des dritten Kapitels zunächst einmal den Begriff des ›Zufälligen‹ als dasjenige, was »ohne die Absicht des Handelnden geschieht«.258 Stoße man daher beim Graben auf einen Schatz, so geschehe dies durch Zufall (fortuito) und es gebe dafür keinen anderen Grund als das zufällige Schicksal (fortuna), welches weder göttliches Wirken noch die Natur oder überhaupt eine planende Ursache voraussetze.259 Ausschlaggebend sei, dass die Ursachen für das Graben und das Finden des Schatzes in keinerlei Zusammenhang zueinander stünden, was die planende Voraussicht Gottes oder einer anderen höheren Wesenheit aber in keinem Fall ausschließe.260 Ähnliche Definitionen von ›Schicksalsfügungen‹ hätten bereits der Kirchenvater Augustinus und der antike Platoniker Proklos geliefert.261 Dies wird erneut an einem Beispiel exemplifiziert, bei dem ein Mann ein Haus unmittelbar vor dem Einsturz verlässt, wobei die Intention, das Haus zu verlassen, generell vom Himmel beeinflusst worden sein könne, nicht jedoch in der Absicht, den Mann vor dem Tod zu bewahren; diese Intention könne in letzter Instanz nur auf Gottes Wirken zurückzuführen sein.262 Dies alles lasse den Schluss zu, dass einige Ereignisse zufällig geschehen, andere durch die Natur, durch die eigene Wahl oder den göttlichen Willen.263 255 Vgl. disp. 4,2,1–2. Als zufällig (fortuitus) gelten nach aristotelischer Vorstellung diejenigen Ereignisse, die unbeabsichtigte Folge einer Ursache sind; sie treten nicht notwendigerweise und nicht regelmäßig ein; vgl. hierzu u.a. Arist. an. post. 1,30 87b 19–27 sowie in dessen Folge Thom. Aq. summ.1 quaest.22, art.2. 256 Vgl. insbesondere die Kapitel 85 und 92 des dritten Buches der Summa contra gentiles. 257 Vgl. disp. 3,2,3–4. Vgl. auch Allen (1966: S. 28) sowie Craven (1981: S. 147). 258 Disp. 4,3,4: Fortuita fieri dicimus, quae praeter intentionem operantis eveniunt. Vgl. zu dieser Definition auch die Ansicht des Aristoteles (MM 2,8 1207b 17–20 sowie phyS. 2,5 196b 17–33, wo die Entscheidungsfreiheit (προαίρεσις) eine bedeutende Rolle spielt). 259 Vgl. disp. 4,3,4–5. 260 Vgl. disp. 4,3,8. 261 Vgl. disp. 4,3,9–10. 262 Vgl. disp. 4,3,13–14. 263 Vgl. disp. 4,3,19–20.

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Das vierte Kapitel widmet sich erneut Ereignissen, die über das menschliche Vermögen hinauszugehen scheinen, die der Mensch geneigt sei, auf den Himmel zurückzuführen.264 Dabei könne man schwerlich behaupten, dass Gott vermittels unvernünftiger Körper die irdischen Angelegenheiten lenke, sondern müsse Engel und andere himmlische Wesenheiten als vermittelnde Ursachen annehmen; da die Menschheit jene Ereignisse oftmals als ungerecht empfinde, sei es nur natürlich, dass sie zur Erklärung eine Ursache von natürlicher Notwendigkeit heranziehe, nicht aber die planvolle Absicht des ersten Schöpfers.265 Dabei gebe es auch in den Erzählungen der Heiligen Schrift viele Passagen, die unserem Gerechtigkeitsempfinden zuwider liefen, allesamt jedoch einem größeren Plan folgten, der sich bisweilen erst später zeige, oftmals aber auch gar nicht.266 Dabei sei der Schicksalsbegriff (fati nomen) in der Antike unterschiedlich verstanden worden: – So setzten einige antike Denker das Schicksal mit der Natur gleich, so beispielsweise Alexander von Aphrodisias in seiner Abhandlung De fato; einen derartigen Schicksalsbegriff könne kaum jemand ablehnen.267 – Andere hingegen betrachteten das Schicksal als eine Kette von Ursachen, wobei alle Ereignisse notwendigerweise determiniert seien, auch solche, die der Natur oder dem freien Willen unterliegen.268 – Wieder andere betrachteten das Schicksal als Anordnung von Himmelskörpern zu einem festgelegten Zeitpunkt (z.B. der Geburt), eine Ansicht, die im Rahmen der gesamten Abhandlung von ihm widerlegt werde.269 – Zuletzt betrachten einige das Schicksal als die Notwendigkeit, die sich aus dem Plan Gottes ergebe; diese betrachtet Pico ebenso wie die erste Definition als zutreffend, spricht ihr aber ab, Auswirkungen auf den freien Willen der Menschen zu haben, da dieser von Gott beabsichtigt sei und dem Wirken Gottes nicht im Wege stehe.270 All dies belege in keiner Weise die Vorhersagen der Astrologen, lasse aber korrekte Vermutungen zukünftiger Ereignisse durchaus zu. Ereignisse, die das menschliche Maß überschreiten, seien daher auf das Wirken Gottes bzw. der göttlichen Helfer oder den freien Willen des Menschen zurückzuführen, in keinem Fall aber auf den Himmel.271 264 Vgl. disp. 4,4,1; die Thematik, die mit dem fünften Gegenargument der Astrologen zusammenhängt, wurde bereits im letzten Kapitel des dritten Buches umrissen. 265 Vgl. disp. 4,4,2–3. 266 Vgl. disp. 4,4,4–6. Vgl. hierzu auch Craven (1981: S. 143). 267 Vgl. disp. 4,4,9–12. Pico bezieht sich insbesondere auf die Kapitel 6, 13 und 22 von Alexanders Schrift De fato. 268 Vgl. disp. 4,4,13–16. Pico argumentiert dagegen, dass die natürlichen Ereignisse vielmehr kontingent seien und nicht determiniert. 269 Vgl. disp. 4,4,16. 270 Vgl. disp. 4,4,17–19. 271 Vgl. disp. 4,4,19–20.

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Das folgende fünfte Kapitel widmet sich den Ereignissen, die vor der Geburt eintreten und zum Zeitpunkt der Vorhersage bereits passiert sind, sowie den Ereignissen, die sich auf andere Menschen beziehen; beispielhaft hierfür sei die Ansicht der Astrologen, das Geburtshoroskop könne Aussagen treffen über das Leben von älteren Geschwistern oder Eltern und Vorfahren.272 Dies aber würde bedeuten, dass die Ursache später stattfinde, als ihre Wirkung eintrete, was beispielsweise ᾿Alī ben Ridwān in seinem Ptolemaios-Kommentar zu rechtfertigen versuche, was Pico jedoch als abwegig und unsinnig widerlegt.273 Dieselbe Unmöglichkeit der Bewirkung durch eine jetzige Himmelskonstellation treffe auch auf Ereignisse zu, die weit in der Zukunft liegen, wie das sechste Kapitel analysiert. Diese bei Astrologen nicht seltene Ansicht werde aber bereits dadurch konterkariert, dass in diesem Falle eine Wirkung am intensivsten sei, wenn die auslösende Ursache schon längst vergangen sei – eine Tatsache, die aller Kausalität in hohem Maße zuwider laufe.274 Das siebte Kapitel widmet sich erneut der Wahlastrologie, einem besonders im Alltag gepflegten Bereich der Astrologie, die für bestimmte Unternehmungen den passenden Zeitpunkt errechnen zu können behauptet. Ungeachtet der Frage, ob man davon ausgehe, dass hierbei zum Beispiel bei einer anzutretenden Reise die Gestirne auf den jeweils Reisenden oder auf die die Reise betreffenden Umstände einwirke, gelange man immer zu unsinnigen Schlussfolgerungen, die die Wahlastrologie desavouierten.275 Auch bei einer Stadtgründung stelle sich die Frage, ob die Konstellation zum Moment der Gründung wirklich so lange andauern könne, dass sie Jahrhunderte später schlechte Auswirkungen auf Herrscher oder Beherrschte habe – eine Ansicht, die beispielsweise Ptolemaios vertritt.276 Infolgedessen dürfe auch behauptet werden, so insinuiert das achte Kapitel, dass die nicht-körperlichen Dinge genauso wenig dem Himmel unterlägen, wie es auch für die bisher angeführten Ereignisse gelte; dazu zählten beispielsweise unser Charakter, unser Gewissen, unsere Anlagen und Eigenschaften oder unser Gewissen, die sie alle klammheimlich dem Himmel untertan machten, während sie den freien Willen lautstark beschwörten.277 Dabei verstiegen sie sich sogar so weit, dass sie Vorhersagen über die Seelen der Menschen nach dem Tode zu treffen bereit seien, was nicht nur jeder Empirie entbehre, sondern auch eine Anmaßung

272 Vgl. disp. 4,5,2. 273 Vgl. disp. 4,5,3–6; Pico bezieht sich auf den Kommentar zu den Apotelesmata (Haly comment. tetr. 3,2 [= Ptol. apotel. 3,3] fol.v ). 274 Vgl. disp. 4,6,2–4. 275 Vgl. disp. 4,7,2–4. 276 Vgl. disp. 4,7,5–6. Pico bezieht sich auf die 36. Sentenz des Ptolemaios zugeschriebenen Centiloquium. 277 Vgl. disp. 4,8,2.

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gegenüber der Gerichtsbarkeit Gottes sei.278 In diesem Sinne gibt Pico den Astrologen den gutgemeinten Rat: Consulerem item in commune astrologis omnibus, ut, postquam illis Iuppiter ita favens est, tantum sibi una felicis horae supplicatione divitiarum opumque compararent, ut nostris posthac pecuniis nihil indigentes desinerent aliquando mentes imperitorum tot quotidie mendaciis emungendae pecuniae gratia ludificare.279

Als erste dieser nicht zum Körper gehörenden Eigenschaften untersucht Pico im neunten Kapitel den Charakter der Menschen, der nicht auf den Himmel, sondern auf dessen Schöpfer zurückzuführen sei; dies bedeute aber, dass die charakterlichen Verfehlungen der Menschen aus ihrer materiellen Unvollkommenheit bzw. ihrem freien Willen resultieren müssten, da sie kaum von Gott kommen könnten.280 Die Erklärung hingegen, dass alle Planeten Gutes bewirkten, was jedoch in einigen Fällen durch die Fehlerhaftigkeit der Materie degeneriere, widerspreche den Lehren der Astrologen, die die Planeten in gute und schlechte unterteilten; im Übrigen würden alle Einflüsse von der Schlechtigkeit der Materie infiziert, egal, wie gut sie seien.281 Auch die Religionen, so postuliert es das zehnte Kapitel, seien nicht dem Himmel unterworfen. Dabei gebe es Astrologen, die die Religionsgründung auf die in einer Region vorherrschenden Gestirne zurückführen, während andere sie von den großen Konjunktionen abhängig sein lassen wollen; zu den Erstgenannten gehöre beispielsweise auch Ptolemaios, der eine entsprechende Ansicht in seinen Apotelesmata äußere.282 Abschließend werden im elften Kapitel die körperlichen Anlagen behandelt, die, da sie bereits im Mutterleib gebildet werden, nicht dem Geburtshoroskop unterliegen können, sondern höchstens dem Empfängnishoroskop.283 Abschließend kommt Pico zu dem Ergebnis, dass – dies hatte auch das dritte Buch bereits mehrfach ergeben – der Himmel als generelle Ursache keinesfalls individuelle Ausprägungen bewirken könne; darüber hinaus seien auch die im Laufe dieses Buches behandelten Eigenschaften und Ereignisse wie gezeigt nicht auf die Wirkung des Himmels angewiesen.284 Das zwölfte Kapitel widmet sich der bereits von Plotin (enn. 2,3) behandelten Frage, ob der Himmel lediglich ein Zeichen der zukünftigen Ereignisse sei, nicht aber deren Auslöser. Diese Ansicht sei allerdings auch unter Astrologen nicht verbreitet, da Körper im Allgemeinen nur das bezeichnen könnten, was sie auch be278 Vgl. disp. 4,8,4–6. 279 Vgl. disp. 4,8,7. 280 Vgl. disp. 4,9,1–2. 281 Vgl. disp. 4,9,5–6. 282 Vgl. disp. 4,10,2–6; Pico nimmt Bezug auf Ptol. apotel. 2,3,22–23 sowie 42–43. 283 Vgl. disp. 4,11,1–2. 284 Vgl. disp. 4,11,3–4.

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wirken.285 Egal ob das Zeichen von der Ursache der späteren Wirkung hervorgerufen werde oder ob dasjenige, was die Ursache zur Wirkung hervorruft, auch das Zeichen gebiert, müsse man zu der Erkenntnis gelangen, dass der Himmel die Ereignisse der unteren Welt nicht als Zeichen vorhersagen könne, wenn er nicht zugleich deren Ursache ist.286 Unabhängig von der Frage, ob der Himmel Zeichen oder Ursache der kommenden Ereignisse sei, müsse man aber konstatieren, dass die Wahlastrologie hinfällig sei, da diese auf der Annahme beruhe, dass der Himmel die Vorstellungskraft der Seele anrege, eine entsprechende Frage zu stellen, deren Antwort der Astrologe an den Sternen ablesen könne.287 Dass dies unmöglich sei, wenn die Himmelskörper nur Zeichen sind, liegt auf der Hand.288 Wenn sie jedoch Ursachen sind, so stelle sich die berechtigte Frage, wie die Konstellation im Moment der eigentlichen Konsultation das bewirken könne, was bereits vorher seinen Ursprung nahm, nämlich spätestens zu dem Zeitpunkt, als sich die Frage in der Seele manifestierte.289 Vielmehr sei diese Art der Astrologie eine weitere Möglichkeit für die Astrologen, den Menschen ihr Geld aus der Tasche zu ziehen und sie mit ihren Irrlehren an der Nase herumzuführen. Auch göttliche Wunder, so die These des vierzehnten Kapitels, unterliegen nicht dem Himmel, sondern sie werden von anderen Wundern angezeigt. So könne auch ein Wunder wie die Sintflut keinesfalls von natürlichen Ursachen, wie die Gestirne sie nun einmal darstellten, bewirkt oder angezeigt werden, sondern könne lediglich durch ein anderes Wunder oder eine Offenbarung prophezeit werden.290 Dasselbe gelte auch für den Stern von Bethlehem, der keinesfalls ein normaler, natürlicher Stern war, sondern genau für diesen Zweck von Gott geschaffen worden sei, um die Geburt Jesu anzuzeigen.291 Auch wenn gewisse andere Bibelstellen so verstanden werden könnten, als ob sie die Astrologie unterstützten, so könne für alle diese Stellen gezeigt werden, dass dies nicht der Fall sei.

285 Vgl. disp. 4,12,2-3. Vgl. hierzu auch Vasoli (2006: S. 512) sowie Weil (1986: S. 121). Zu Plotins Kritik an der Astrologie vgl. auch Long (1982: S. 187f.). 286 Vgl. disp. 4,12,3–6. Zu diesem Schluss sei im Übrigen bereits Thomas von Aquin in seiner Summa theologiae (summ.2,2 quaest.95, art.5) gekommen. 287 Vgl. disp. 4,13,1. 288 Vgl. disp. 4,13,2. 289 Vgl. disp. 4,13,3. 290 Vgl. disp. 3,14,2–5. 291 Vgl. disp. 4,15,1–2. Die Erzählung vom Stern von Bethlehem findet sich im Evangelium des Matthäus (Matth. 2,1–12).

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Das letzte Kapitel des vierten Buches untersucht unter Berufung auf den Commento zu einem Gedicht Girolamo Benivienis, ob es übernatürliche Ereignisse gebe, die von den Sternen angezeigt würden, insofern sie über etwas Natürliches verfügen. Diese Ansicht habe beispielsweise bereits Pierre d’Ailly zu seiner Verteidigung vorgebracht.292 Es sei jedoch geradezu absurd, wenn man den Wundern alles Numinose und Wunderbare abgesprochen habe, danach zu fragen, was diese bewirkt habe, da man ihnen doch so alles das nehme, was sie gerade als Wunder ausmache, und somit nach dem Gewöhnlichem im Außergewöhnlichen frage:293 Ea vero iam supra naturam Dei opera, non caelorum, quod natus ex virgine, quod homo et Deus, quod in patria dominus et peregrinus in carne, quod mirabilium operum effector, quod iure dominus orbis, quod iudex vivorum et mortuorum, quod divinae gratiae auctor et dispensator, quod expulsor idolatriae, daemonum triumphator, auctor virtutum, vitiorum expulsor, pax mundi, veritatis manifestator. Haec si non quaeris, nihil quaeris; si quaeris, impie quaeris. Perfugium igitur nullum, quod astrologis parat Alliacensis, ut divina miracula dicant fieri a caelo, sed non quatenus sunt miracula...294

292 Vgl. disp. 4,16,1–2. 293 Vgl. hierzu auch Craven (1981: S. 147). 294 Disp. 4,16,3.

Der Titel der Disputationes

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1.4 Der Titel der Disputationes Betrachtet man die Literatur, die zu den Disputationes Giovanni Picos erschienen ist, so lässt sich feststellen, dass der vollständige Titel des Werkes in der Regel als Diputationes adversus astrologiam divinatricem wiedergegeben wird.295 Liest man hingegen das Schreiben Giovanni Francesco Picos an Battista Mantovano kurz nach der Redaktion der Disputationes, fällt auf, dass hier die Rede von Disputationes adversus Astrologos ist:296 Nescio an magis tibi gratulor, an mihi gaudeam, quando disputationum Ioan(nis) Pici nostri adversus Astrologos ab exemplari liturato multasque in partes discerpto omnes pene libros eruerimus, de quibus recuperandis spem omnem evolutis temporis amiseramus, id tamen operis non sine, et mea, et Ioan. Mai(nardi) nostri praestantis Philosophi huic excerpendi muneri a me praefecti, et diligentia, et labore factitatum est, horum librorum lectione puto te non tam gavisurum quod pestem hanc bonis ingeniis pernitiosam patruus ille noster extinxerit, quam de Astrologorum vanitate forte risurum.

Ähnlich schreibt er im Vorwort zu den Disputationes:297 Amatores veritatis gaudete, necnon qui illustrandae illius atque amplificandae desiderio insudatis exhilarate animos: En! prodeunt in publicum Disputationes Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos…

Unterzieht man entsprechend die Drucke der Ausgaben der Disputationes einer kritischen Untersuchung, so stellt man fest, dass in allen Überschriften, in jedem Incipit und Explicit die Rede ist von Disputationes adversus astrologos, nicht jedoch von Disputationes adversus astrologiam (divinatricem);298 dies gilt auch für die Indices der Kapitel und Bücher sowie das Inhaltsverzeichnis zu Beginn des Bandes: An allen Stellen ist die Rede von Disputationes adversus astrologos, nirgends hingegen von Disputationes adversus astrologiam. Erst in den Basler Drucken (O und seinen Nachfolgern) ist die Rede von Disputationes in Astrologiam299 oder den Disputationes de Astrologia300 ; die Subscrip295 So z.B. Garin (1946) und Garin (1952). Remé (1933) spricht lediglich von Disputationes in Astrologiam; ähnlich Thorndike (1975), der sich auf die Disputationes adversus astrologiam bezieht. 296 Vgl. Pico (1969: II S. 1340). 297 Prooem. Gianfranc. 1. 298 Eine Ausnahme bildet das Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Kardinal Caraffa (3), wo es heißt: laboratum autem mihi summopere est in reparandis libris omnem divinatricem astrologiam funditus eruentibus, quandoquidem…Dies gilt auch für den keilförmig gedruckten Titel der Ausgaben B und G, wo es heißt: Disputationes Ioannis Pici Mirandulae litterarum principis adversus astrologiam divinatricem quibus penitus subnervata corruit. Die späteren Drucke drucken diesen keilförmigen Titel zwar i.d.R. nach, setzen ihn aber nicht mehr als Titel vor den Text, sondern nach den Text (V, R sowie C in leicht veränderter Form). In W, F und O hingegen ist dieser Titel gar nicht zu finden. 299 So in den Überschriften der einzelnen Kapitel in O. 300 Im Inhaltsverzeichnis des Bandes (fol. r ).

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Einleitende Untersuchung

tiones hingegen sprechen auch hier allerdings von den Disputationes adversus astrologos. In diesem Sinne spricht einiges dafür, dass der ursprüngliche und vom Autor intendierte Titel Disputationes adversus astrologos war, was jedoch in späteren Drucken geändert wurde – wahrscheinlich aus dem triftigen Grund, dass das Werk nicht nur im vorangestellten Widmungsschreiben und (keilförmigen) Titel so bezeichnet wird, sondern dass auch in der Abhandlung selbst direkt zu Beginn von einer Widerlegung der Astrologie die Rede ist – und genauso ganz an seinem Ende. So heißt es beispielsweise direkt in disp. 1,1: Primum omnium scire lectorem volo non hoc nostrum inventum audaciamque fuisse reiiciendi confutandique astrologiam, sed a prima antiquitate bonis ita iudiciis semper visum non esse professionem, quae tot homini incommoda, tot insanias undique sub praetextu scientiae et utilitatis inveheret.

Bereits im ersten Satz des Hauptwerkes richtet sich Giovanni Pico an dieser Stelle ganz offensichtlich gegen die Astrologie, die es abzulehnen und zu widerlegen gilt, da sie keine Wissenschaft sei und nur den Anschein von Nutzen verbreite. Entsprechendes gilt für die letzten Worte des Werkes, wo es ganz zu Ende des zwölften Buches heißt:301 [...] restiterunt eis viri doctissimi [...] astrologiam, non solum qua parte laedit religionem, sed plane totam, ut vanam falsamque detestantes. Quare non ita unquam artis nomen obtinuit ut in praescriptum abierit, nam semper aliquis veritatis patronus obnunciavit.

Auch diese letzten Worte gelten weniger den Astrologen, als vielmehr der Astrologie selbst, die von ihren Widersachern als »nichtig und falsch« (vanam falsamque) bezeichnet werde und deshalb nie den Namen einer Wissenschaft erhalten könne. Auch wenn es innerhalb des Werkes an sich viele Stellen gibt, die sich eher an die Astrologen und ihre falschen Prämissen, Schlüsse und Vorhersagen richten – und dies durchaus mit der bei Pico nicht seltenen bissigen Schärfe –, könnten es die eben zitierten Passagen gewesen sein, die die Herausgeber der Basler Ausgabe, die sich auch an anderen Stellen durch Eingriffe in den Text hervortut, dazu veranlassten, den zuvor überlieferten Titel Disputationes adversus astrologos zu Gunsten des – zwar im Titel vorkommenden, darüber hinaus aber nicht weiter belegten – Titels Disputationes in astrologiam zu ändern.

301 Garin (1952: S. 530–532).

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Eugenio Garin, dessen Ausgabe seit ihrem Erscheinen die maßgebliche Ausgabe der Disputationes darstellt, übernahm seinerseits den Titel ebenfalls aus der keilförmigen Titelangabe aus B, allerdings im exakten dortigen Wortlaut Disputationes adversus astrologiam divinatricem, wobei die im Prooemium getroffene Unterscheidung der unterschiedlichen Ausprägungen der ›Astrologie‹ zum Tragen kommt. Dessen ungeachtet sprechen gewichtige Gründe dafür, dass der Autor (bzw. der Herausgeber) selbst seinem Werk den Titel einer Widerlegung der Astrologen, Disputationes adversus astrologos, geben wollte, der im Übrigen beispielsweise auch in der harschen Replik Lucio Bellantis aufgegriffen wird, der seinen Responsiones den Titel gibt: Lucii Bellanti Senensis artium et medicinae doctoris Responsiones in Disputationes Ioannis Pici Mirandulae Comitis adversus Astrologos. In diesem Sinne werden die Disputationes in der vorliegenden Edition stets als Disputationes oder Disputationes adversus astrologos bezeichnet, da davon auszugehen ist, dass diese – in allen älteren Drucken verwendete – Namensform die ursprüngliche und von Autor und Herausgeber intendierte darstellt.

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Einleitende Untersuchung

1.5 Beschreibung der Textzeugen 1.5.1 Druck B

B

Der Druck B enthält die Werke Giovanni Pico della Mirandolas aufgeteilt in zwei Bände.302

1.5.1.1 Band I

»Cōmentationes Ioannis Pici Mirandulæ in hoc volu || mine cōtentæ: quibus anteponitur vita p Ioannē frā || ciscū illustris principis Galeotti Pici filiū cōscripta.« Bologna: Benedetto Faelli303 (Benedictus Hectoris), 20.03.1496. 2°, [1] Bl. + 11 Bl. + 162 Bl., 40 Z. Den Beginn des ersten Bandes bildet das nicht signierte Deckblatt, welches neben dem o.g. Titel eine Übersicht über die im ersten Band enthaltenen Werke bietet: »Heptaplus de opere Sex dierum geneseos. || Apologia tredecim quæstionum. || Tractatus de ente & uno cum obiectionibus quibus/ || dam et responsionibus. 302 Gesamtkatalog der Wiegedrucke: M33276; HC(Add): 12992*; ISTC-Nummer: ip00632000. 303 Zu Benedetto Faelli, der zwischen 1480 und 1523 in Bologna als Buchhändler und Drucker wirkte und vorrangig mit Editionen bedeutender humanistischer Autoren reüssierte, siehe insbes. den DBI-Artikel von Alfredo Cioni (Cioni, Alfredo: Art. »Faelli, Benedetto«, in: DBI 44, 1994, S. 140– 142), Bonifati (2008: S. 176–180) sowie Norton (1958: S. 11). In den Jahren nach Picos Tod erhielt Faelli die Erlaubnis, die gesammelten Werke Pico della Mirandolas zu drucken, was ihm in einem Privileg von Ludovico Maria Sforza, dem Herzog von Mailand, garantiert wurde. Dieses Privileg findet sich doppelt abgedruckt im zweiten Band Bl. v (nach den Correctiones libri contra Astrologiam) sowie Bl. v (nach den Correctiones zu den Werken im ersten Band) und lautet: »Ludouicus Maria S forcia [!] Anglus dux Mediolani &c. Papie Anglerieq3 Co || mes: ac Genue & Cremone dominus: Conuenire existimamus ut qui suo labore || atq3 impendio ceteris omnibus esse usui querunt: & ipsi quoq3 sentiant suum pro || posirum [!] magnis principibus placere: & ubi opus sit libenter iri adiutum: iccirco cum Benedictus bibliopola Bononiensis significauerit opera omnia comitis Ioan || ni pici Mirandulensis collecta impressisse proinde que supplicauerit: ut quoniam nō || defuturi sint qui aut spe lucri allecti: aut ledendi eius studio: forsan eadem opera || deinceps alibi imprimant providere uelimus ut nec alii in dominio nostro impri || mi facere nec alibi impressa preterq3 sua vendi possint: eius petitioni morem geren || dum duximus: Mandamus igitur & edicimus nemini post hac licere per bienniū || proximum in dominio nostro predicta opera comitis Ioannis pici imprimere aut || alibi impressa in dicionem nostram afferre nisi ea que ipse Benedictus impresserit || Quod siquis huic uoluntati nostre non parere ausus fuerit sciat se preter amissio || nem omnium eiusmodi librorum etiam graues penas incursurum: Datū Comi || sub fide nostri sigilli die.yii.Iulii M.CCCC.LXXXXYI. || .B.CHALCVS«. Das Privileg ist signiert von Bartolomeo Calco (1434–1508), dem Sekretär von Ludovico Maria Sforza; zu Calco, der selbst schriftstellerisch tätig war und während seiner Dienste am Hofe des Herzog von Mailand als Gönner und Mäzen wirkte, vgl. Petrucci, Franca: Art. »Calco, Bartolomeo«, in: DBI 16, 1973, S. 573–541. Zur Vergabe von Privilegien während der Herrschaft der Sforza in Mailand vgl. Armstrong (1990: S. 3–6) mit Hinweis auf weitere von Calco signierte Privilegien u.a. an Joannes Vinzalius aus dem Jahre 1496 und an Joannes Passiranus 1497 (vgl. ebd.: S. 5).

Beschreibung der Textzeugen

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|| Oratio quedam elegantissima. || Epistolæ plures. || De precatoria [!] ad deum elegiaco carmine. || Testimonia eius vitæ & doctrinæ. || Exibunt prope dies disputationes adversus astrolo || gos aliaq3 cōplura tum ad sacra æloquia tum ad phi/ || losophiam pertinentia.« Auf der Rückseite befindet sich ein Widmungsschreiben Gianfrancesco Picos an Ludovico Maria Sforza, den Herzog von Mailand (inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Ludouico Mariæ sfortiæ vicecomiti Anglo || Mediolanensium duci .S.304 «) Daran schließt sich eine Lage von elf Blatt an, von denen die ersten fünf signiert sind: a / a2 / a3 / a4 / a5 / – / – / – / – / – / –. Sie enthalten die von Gianfrancesco Pico verfasste Biographie seines Onkels Giovanni Pico della Mirandola (inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE VIRI OMNI DISCIPLINARVM || GENERE CONSVMATISSIMI [!] VITA PER IOANNEM FRANCI/ || SCVM ILLVSTRIS PRINCIPIS GALEOTTI PICI FILIVM EDITA«). Die folgenden fünf Lagen sind von A bis E gezählt, wobei die ersten vier Lagen eine Signatur auf den jeweils ersten drei der sechs Blätter verzeichnen, während die fünfte Lage lediglich aus vier Blättern besteht, von denen die ersten beiden signiert sind, wodurch sich folgendes Schema ergibt: A / A2 / A3 / – / – / – / B / B2 / B3 / – / – / – / … / E / E2 / – / –; sie enthalten den Heptaplus (inc.: HEPTAPLVS IOANNIS PICI MIRANDULAE DE SEPTIFOR/ || MI SEX DIERUM GENESEOS ENARRATIONE AD LAVRENTI || VM MEDICEM.), v ist leer. Die folgenden zehn Lagen sind neu von AA bis KK (ohne JJ) gezählt, wobei sich die letzte Lage erneut aus nur vier Blatt zusammensetzt, von denen lediglich die ersten beiden signiert sind (alle übrigen Lagen weisen Lagensignaturen auf den ersten drei Blatt der Lage auf): AA / AA2 / AA3 / – / – / – / BB1 / BB2 / BB3 / – / – / – / … / KK1 / KK2 / – / –. Sie enthalten nach einem kurzen Widmungsschreiben an Lorenzo de’ Medici (inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA LAVRENTIO MEDICI.S.«) auf den Folia AA1r bis KK1r die Apologia (inc.: »APOLOGIA IOANNIS PICI MIRANDVULAE CONCORDIAE CO/ || MITIS.«) nebst 46 dazugehörigen Conclusiones (KK1r –r ; inc.: »CONCLVSIONES QUAS IN HOC OPERE TANQUAM CATHO || licas defendo sunt infra scripte.«) sowie ein kurzes Schreiben von Papst Alexander VI. an Giovanni Pico aus dem Jahr 1493 (v –r ; inc.: »Breue Alexandri vi. pont. Maximi Ad Io. Picū Mirandulā Concordiæ Comitē. || Dilecto filio nobili uiro Ioanni pico Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA VI.«); v ist blank. Die folgenden zwölf Lagen sind weiterhin von LL bis YY gezählt (U und W fehlen), wobei jeweils die ersten drei Blatt einer Lage signiert sind (Ausnahmen stellen NN bis NN8 dar, die auf den ersten vier Blatt signiert sind, sowie die Lage YY bis YY10, die auf den ersten fünf Blättern signiert ist): LL / LL2 / LL3 / – / – / – / MM / MM2 / MM3 / – / – / – / NN / NN2 / NN3 / NN4 / – / – / – / – / OO / OO2 /OO3 / – / – / – / … / YY / YY2 / YY3 / YY4 / YY5 / – / – / – / – / –. Sie enthalten 304 i.e. salutem dicit.

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Einleitende Untersuchung

die Schrift De ente et uno (LLr –MMv ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVULA. DE ENTE ET VNO AD ANGE/ || LVM POLITIANVM.«) nebst diverser dazugehöriger Obiectiones und Responsiones (MMv –QQr ; inc.: »PRIMAE OBIECTIONES ANTONII FAVENTINI ADVERSVS LI/ || BELLVM DE VNO ET ENTE.«); daran anschließend folgt eine von Gianfrancesco Pico verfasste Einleitung zur Oratio und den Epistulae (QQv ; inc.: »Argumentum Io. francisci pici Mirandulæ &c. in orationem & epistolas Ioannis || pici patrui &c.«), die Oratio selbst (QQ2r – RR3r ; inc.: »ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS.«) sowie Briefe von Giovanni Pico an verschiedene Empfänger und vice versa (RR3v – r ; inc.: »iOannes [!] picus Miran. Io. Francisco nepoti .S.«); an diese schließen sich die Deprecatoria ad Deum (r –v ; inc.: »Ioannis Pici Miran. Deprecatoria ad Deum«) sowie eine Sammlung von Testimonien zum Leben und Tode Picos, die u.a. verschiedenen Briefen entnommen sind (XXr –YY4v ; inc.: »Varia testimonia vitæ doctrinæ & commentationum Ioannis pici Miran. Variis || ex locis collecta: multis tamen horum celebratissimorū virorum/ tum aliorum pre || termissis.«), an. Es folgen die Duodecim regulae (YY4v –YY5v ; inc.: »Duodecim regulæ Ioannis Pici Mirandulæ partim excitantes partim dirigentes ho || mines in spirituali pugna.«) sowie die dazugehörigen Duodecim arma und Duodecim conditiones amantis (YY5v –v ). Auf den Folia r bis r finden sich erneut Testimonia sowie das Kolophon: »Opuscula hæc Ioannis Pici Mirandulæ Concordiæ Comitis. Diligenter impressit || Benedictus Hectoris Bononien. adhibita ꝓ viribus solertia & diligentia ne ab ar/ || chetypo aberraret: Bononiæ Anno Salutis. Mcccclxxxxvi.die vero.xx.Martii.«. Auf der Rückseite folgt ein Registrum huius operis: es bietet die Reklamanten für die jeweils ersten drei Blätter der Lagen ›A‹ bis ›YY‹;305 die erste, mit ›a‹ bezeichnete, Lage ist im Registrum nicht enthalten. Darunter befindet sich das Wappen des Druckers Benedetto Faelli:306 Ein weißer Kreis vor schwarzem Hintergrund, der ein Dreieck, welches den Buchstaben ›B‹ in sich trägt, sowie zwei Punkte einschließt und aus dessen Mittelpunkt sich eine längere vertikale Linie nach oben erhebt, die ihrerseits von zwei horizontalen Linien gekreuzt wird; alle Linien verdicken sich ein wenig zu den Enden hin; der rechteckige schwarze Hintergrund wird von einem weißen sowie einem schwarzen Rahmen umschlossen. Das letzte Blatt des Bandes ist leer.

305 Lediglich zwei Reklamanten werden für die Lagen ›E‹ und ›KK‹ angegeben, für die Lage ›NN‹ werden die Reklamanten der ersten vier Blätter angegeben, für die Lage ›YY‹ die Reklamanten der ersten fünf Blätter. Das erste Blatt der ersten Lage wird fälschlicherweise mit dem Reklamanten Hptaplus statt des korrekten Heptaplus bezeichnet; die übrigen Reklamanten sind korrekt. 306 Vgl. die Beschreibung bei Kristeller (1893: S. 4–5 [Nr. 11 und 12]).

Beschreibung der Textzeugen

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1.5.1.2 Band II

»Disputationes Ioannis Pici Miran || dulæ litterarum principis || aduersus astrologiā || diuinatricem qui || bus penitus sub || neruata cor || ruit« Bologna: Benedetto Faelli (Benedictus Hectoris), 16.06.1495 [=1496], 2°, 143 Bl., 40 Z. Die erste Lage von sechs Blättern ist mit doppelter Minuskel (aa) bezeichnet; das erste Blatt ist nicht signiert, die folgenden zwei Blätter tragen auf der recto-Seite eine Blattsignatur; die Blätter 4 – 6 sind wiederum nicht signiert, was folgendes Schema ergibt: – / aa2 / aa3 / – / – / –. Die Lage enthält neben dem zitierten Titel auf der ersten Seite (deren Rückseite aav leer ist) einen Widmungsbrief des Herausgebers, Giovanni Francesco Pico, an Oliviero Carafa (1430–1511), den Kardinal und Erzbischof von Neapel (fol. aa2r ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oliverio Carafæ episcopo || Sabinensi Cardinaliq3 Neapolitano. S.«);307 auf der Rückseite befindet sich das Vorwort des Herausgebers Giovanni Francesco Pico (fol. aa2v ; inc.: »Ioannes Franciscus picus Mirandula ueritatis amatoribus.«). Auf den Seiten aa3r bis r befindet sich eine Tabula, die die Kapitel aller zwölf Bücher der Disputationes auflistet (inc.: »Sūmatim hæc īsunt libris singulis disputationū Ioannis Pici Mirandulæ litteraŖ || principis aduersus astrologos.«); v ist leer. Es folgen zwölf Lagen, die mit den Minuskeln ›a‹ bis ›m‹ bezeichnet sind, deren jeweils erste drei Blätter signiert sind (a / a2 / a3 / – / – / – / … / m / m2 / m3 / – / – / –). Sie enthalten das Prooemium zu den Disputationes (ar –a2r , inc.: »Proœmium || IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN || DISPVTATIONES ADVERSVS ASTROLOGOS.«) sowie die ersten sechs Bücher dieses Werkes (a2v –v ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DIS || PVTATIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS.«), die jeweils mit eigenem Incipit und Explicit versehen sind. Auf den folgenden elf mit Majuskeln bezeichneten Lagen, die von ›A‹ bis ›L‹ bezeichnet sind (ohne ›J‹), befinden sich die übrigen sechs Bücher (A1r –r ), 307 Zu Oliviero Carafa vgl. den DBI-Artikel von Franca Petrucci (Petrucci, Franca: Art. »Carafa, Oliviero«, in: DBI 19, 1976, S. 588–596) sowie zu seiner Tätigkeit als Mäzen insbes. Norman (2009). Auf die Tatsache, dass zwischen den Carafa und der Familie Pico eine verwandtschaftliche Beziehung bestand, weist Giovanni Francesco Pico in seinem Schreiben an Oliviero Carafa (4) hin: »cum [...] ob Ioannem Thomam carafam Magdaloni comitem socerum meum: cui arctissima cognatione devinciris: sis etiam mihi necessitudine coniunctus.« Picos Neffe Giovanni Francesco selbst war seit dem Jahre 1491 mit Giovanna Carafa, der Tochter von Giovanni Tommaso Carafa (ca. 1450–1520), verheiratet; vgl. hierzu Scapparone, Elisabetta: Art. »Pico, Giovan Francesco«, in: DBI 83, 2015, S. 264–268. Zu Giovanni Francesco Picos Biographie vgl. insbesondere auch Schmitt (1967: S. 11–30); zur Hochzeit mit Giovanna Carafa vgl. ebd.: S. 12.

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Einleitende Untersuchung

das Kolophon (r ; »Disputationes has Ioannis pici Mirandulæ concordiæ Comitis/ litterarum || principis/ aduersus astrologos: diligenter impressit Benedictus Hectoris Bononiē || sis adhibita pro uiribus diligentia ne ab archetypo aberraret. Bononiæ anno salu/ || tis. Mcccclxxxxv [!] die uero .xvi Iulii.«) sowie ein Registrum huius operis (v ), welches die Reklamanten für die jeweils ersten vier Blätter aller 24 Lagen auflistet; daneben prangt das Wappen des Druckers, Benedetto Faelli.308 Auf den Seiten r bis v befinden sich die Errata corrige zu den Disputationes (inc.: »Correctiones libri contra Astrologiam«) sowie das oben zitierte Privileg; das folgende Blatt enthält die Errata corrige zu den übrigen, im ersten Band enthaltenen, Werken Giovanni Picos (inc.: »Correctiones. Hept. Apol. tractatus. de ente & uno epistolaŖ &c.«), das ebenfalls das Privileg in identischer Form enthält. Die Lagen ›A‹ bis ›K‹ bestehen aus jeweils sechs Blättern, deren erste drei Blätter signiert sind, die letzte mit ›L‹ bezeichnete Lage besteht lediglich aus fünf Blättern, von denen ebenfalls nur die ersten beiden Blattsignaturen tragen. Es ergibt sich daher für diese Lagen das folgende Schema: A / A2 / A3 / – / – / – / B / B2 / B3 / – / – / – / …/ L / L2 / – / – / –. Wie bereits im ersten Band ist der Text einspaltig gesetzt, während sich am jeweils äußeren Rand zahlreiche Marginalien befinden, die zumeist Stichworte aus dem entsprechenden Abschnitt des Textes repräsentieren oder den jeweiligen Abschnitt stichworthaft paraphrasieren (z.B. mit dem Stichwort Refutatio etc.).309 Auf jeder Seite findet sich zudem auf dem oberen Seitenrand die aktuelle Buchzahl. Darüber hinaus ist der Druck ohne nennenswerten Schmuck.

308 Vgl. die Beschreibung des Druckerwappens bei Kristeller (1893: S. 4–5 [Nr. 11 u. 12]). Die Korrektur des Jahres ergibt sich zum einen aus dem Erscheinungsdatum des ersten Bandes, der auf den zweiten, bald erscheinenden Druck hinweist (Exibunt prope dies [= propediem] disputationes adversus astrologos), zum anderen aus dem Datum des Privilegs (7. Juli 1496); auf den zweiten Punkt verweist u.a. Bacchelli (2004: S. 1 ). In einem Brief an Thomas Wolf, der auf den 24. November 1505 datiert ist, verweist Giovanni Francesco Pico darauf (Pico 1969: II S. 1344), dass er die Schrift »ungefähr neun Jahre zuvor« wiederhergestellt und veröffentlicht habe (quae omnia post eius mortem ab hinc ferme novennium a nobis reparata publicavimus). Ausführlich hierzu auch Farmer (1998: S. 175–176 [mit Anm. 121]), der sich – mit gegebener Vorsicht – ebenfalls für eine Datierung in das Jahr 1496 ausspricht. 309 Lediglich in den Obiectiones adversus libellum de uno et ente (Band I, r –r ) befindet sich die Responsio als Fließtext in einer zweiten, kleineren Spalte am Außenrand neben dem Haupttext. Auffällig ist, dass die Marginalien im ersten Band auf Seite r kommentarlos aufhören. Ob es sich um ein Versehen des Druckers handelt oder ob dieses Abbrechen beabsichtigt ist, ist nicht ersichtlich.

Beschreibung der Textzeugen

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Eingesehene Exemplare: – München, Bayerische Staatsbibliothek, 2. Inc. c.a. 3375-1 (Band I) u. 3375-2 (Band II) (Digitalisat).310 Vorlage für die Kollation war ein Digitalisat dieses Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek. Der erste Band trägt auf dem Spiegel des Vorderbandes den handschriftlichen Eintrag »sum Paulij Hirspeckij Plb [= Plebanus] in sulzPach (?)«, der in seiner Gesamtheit durchgestrichen wurde. Dabei handelt es sich vermutlich um einen Verweis auf den Besitzer, Paul Hirschpeck, der in den Jahren 1538 bis 1542 eine Stelle als Pfarrer in Sulzbach innehatte und dessen Nachlass sich teilweise im Besitz der Staatsbibliothek befindet.311 Darunter befindet sich in größeren Lettern, vermutlich von einer anderen Hand, der Eintrag »Moñrii Baumburg«. Der erste Band enthält daneben einige handschriftliche Unterstreichungen (in rot) sowie einige wenige handschriftliche Anmerkungen am Rand (insbesondere in der Vita Pici). Sämtliche Initialien sind durch Platzhalter ausgewiesen, die noch nicht mit Ausschmückungen ergänzt wurden. Lediglich der zweite, die Disputationes enthaltende, Band wurde eingesehen bei den Editionen, die handschriftliche Korrekturen tragen. Dabei handelt es sich um folgende Exemplare: – Bologna, Biblioteca Universitaria di Bologna, A.V.B.V. 35 (BB ) (Autopsie). Dieser bereits von Franco Bacchelli312 entdeckte Druck enthält zahlreiche handschriftliche Korrekturen im Text; diese sind in der Regel durch einen vertikalen Strich am Außenrand der jeweiligen Zeile gekennzeichnet. Daneben finden sich einige vereinzelte handschriftliche Anmerkungen einer zweiten Hand in italienischer Sprache (z.B. am unteren rechten Rand von Blatt L2r .) Die Blätter sind handschriftlich auf der jeweiligen recto-Seite mit durchgehender Paginierung in arabischen Ziffern von 2 (fol. a2r ) bis 144 (fol. r ) versehen, die jedoch teilweise mehrfach korrigiert und somit schwer lesbar ist. Sämtliche Initialien sind mit roter oder blauer Tinte in übergroßen Majuskeln handschriftlich eingefügt worden. – Parma, Biblioteca Palatina di Parma, Inc. Parm. 1091 (BP ) (Digitalisat). Auch auf die in diesem Druck enthaltenen Korrekturen wurde bereits von Franco Bacchelli hingewiesen, der davon ausgeht, dass das Buch aus dem Besitz von Alberto Pio da Carpi stamme.313 Auch in diesem Exemplar sind 310 Online unter http://daten.digitale- sammlungen.de/~db/0006/bsb00068573/images/ und http://daten.digitale- sammlungen.de/~db/0006/bsb00068574/images/ (zuletzt besucht am 20.11.2021). 311 Vgl. zu Paul Hirschpeck u.a. Hille (2010: S. 91). 312 Vgl. Bacchelli (2008: S. 148–150). 313 Vgl. Bacchelli (2008: S. 149): »che appartene e fu usata da Alberto Pio principe di Carpi, l’unico dei nipoti di Giovanni Pico«. Die Schlußfolgerung, dass dieses Exemplar Alberto Pio gehörte, re-

BB

BP

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Einleitende Untersuchung

Initialien und Lombarden mit roter oder blauer Tinte handschriftlich eingefügt; auf die zahlreichen handschriftlichen Korrekturen weist, wie im Exemplar aus Bologna, ein horizontaler Strich am Rand hin. Darüber hinaus verfügt BP über eine handschriftlich ergänzte Seitenzählung, die jeder Seite in lateinischen Ziffern am oberen Außenrand eine Nummer zuweist: die Zählung beginnt mit ›X‹ auf fol. ar bei und endet bei v mit ›CCLXXIX‹; aa2r bis r sind mit lateinischen Ziffern von ›1‹ bis ›9‹ ebenfalls am oberen Seitenrand nummeriert (v ist ausgelassen). – Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Banco Rari 104 (BF ) (Autopsie). Das Exemplar der Nationalbibliothek Florenz weist im Gegensatz zu den ersten beiden mit Korrekturen versehenen Inkunabeln keinerlei verzierte Initialien, Hinweise zur Provenienz oder Ähnliches auf. Die vorgenommenen Korrekturen sind, ähnlich wie bei den anderen korrigierten Inkunabeln, mit kleinen horizontalen Strichen am Rand gekennzeichnet. Darüber hinaus fehlen in dem Druck aus Florenz die Errata corrige zum ersten und zum zweiten Band. 1.5.2 Druck G

G

Der Druck G enthält ebenfalls die Werke Giovanni Pico della Mirandolas aufgeteilt in zwei Bände. Es handelt sich um einen Nachdruck der Editio princeps, der sogar das Kolophon reproduziert.314

sultiert vermutlich – Bacchelli äußert sich nicht dazu – aus dem von den Initialien ›A‹ und ›P‹ eingerahmten Wappen der Familie Pio, welches sich auf ar auf dem unteren Seitenrand unter dem Text befindet. Zur Geschichte der Familie Pio, die die Signoria von Carpi zwei Jahrhunderte lang (1329–1529) innehatten, vgl. Ori, Anna Maria: Art. »Pio«, in: DBI 83, 2015, S: 788–794. Alberto Pio (1475–1531) war der Sohn von Leonello Pio und Catarina Pico, der Schwester Giovanni Picos. Nach dem frühen Tod seines Vaters kümmerte sich auch sein Onkel Giovanni Pico um ihn, der ihm eine ausgezeichnete Bildung zukommen ließ und u.a. Aldo Manuzio als Lehrer engagierte. Später wirkte er erfolgreich als Diplomat für den Vatikan, verlor jedoch im Zuge der Schlacht von Pavia (1525) seinen gesamten Besitz an Karl V.; Alberto floh nach Rom und starb nur wenige Jahre später im Exil in Frankreich. Vgl. hierzu und zum Leben Alberto Pios im Allgemeinen insbes. Forner, Fabio: Art. »Pio, Alberto«, in: DBI 84, 2015, S. 74–80. In seiner Vita erwähnt Giovanni Francesco Pico, dass Alberto Pio in den letzten Stunden vor dessen Tod bei seinem Onkel war, wo er auch mehrfach auf dessen überragende literarische Bildung rekurriert (vgl. Picus 1496: I fol. v : iuveni, et ingenio, et bonarum artium studiis, et moribus conspicuo). Dass Alberto eines der wenigen handschriftlich korrigierten Exemplare erhielt, scheint vor diesem Hintergrund wenig überraschend. 314 Gesamtkatalog der Wiegedrucke: M33284; ISTC-Nummer: ip00633000.

Beschreibung der Textzeugen

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1.5.2.1 Band I

»Cōmentationes Ioannis Pici Mirandulæ in hoc volu || mine cōtentæ: quibus anteponit3 vita per Ioannē fran/|| ciscum illustris principis Galeotti Pici filium cōscripta.« [Lyon: Jacobinus Suigus und Nicolaus de Benedictis, um 1498.] 2°, 144 Bl. + 8 Bl., 42 Z.315 Der erste Band besteht aus 25 Lagen, deren erste 24 aus jeweils sechs Blättern bestehen, die letzte hingegen aus acht Blättern. Die Lagen sind durchgehend mit Majuskeln bezeichnet, die bei ›A‹ beginnen und bis ›Z‹ durchgeführt werden; die vorletzte Lage ist mit ›AA‹ bezeichnet, die letzte mit ›BB‹; die ersten 24 Lagen sind jeweils auf der recto-Seite der ersten drei Blätter mit Blattsignaturen versehen, die letzte, vier Blätter zählende Lage auf den ersten vier Blättern, sodass sich folgendes Schema ergibt: A / A2 / A3 / – / – / – / B / B2 / B3 / – / – / – / …/ AA / AA2 / AA3 / – / – / – / BB / BB2 / BB3 / BB4 / – / – / – / –.316 Den Beginn des ersten Bandes bildet das nicht signierte Deckblatt (fol. r ), welches neben dem o.g. Titel eine Übersicht über die im ersten Band enthaltenen Werke enthält: »Heptaplus de opere Sex dierum geneseos. || Apologia tredecim quæstionum. || Tractatus de ente & uno cum obiectionibus quibusdā/ || & respon315 Die Datierung, die auch die meisten Inkunabel-Kataloge wie der ISTC oder der Gesamtkatalog der Wiegedrucke bieten, folgt den Angaben im Catalogue des incunables der Bibliothèque Nationale in Paris (CIBN), die wiederum der Datierung von Pierre Aquilon folgt (Aquilon 1973: S. 112): »Le prestige dont jouissaint l’édition humaniste italienne est très aisément saisissable dans l’allure que les typographes lyonnais ont donnée à leurs productions; cependant pur s’assurer un débit encore plus large, la piraterie est apparue aux typographes du XVe siècle finissant et du début du XVIe siècle, comme un moyen fort efficace. C’est ainsi que l’édition des Opera de Pic de la Mirandole, soi-disant imprimée à Bologne par Benedictus Hectoris le 20 mars 1496, est en réalité bel et bien issue des presses de Jacobinus Suigus & Nicolaus de Benedictis, Italiens installés à Lyon.« Die – allerdings vorsichtige – Datierung folgt bei der Beschreibung der in der Bibliothèque Municipale de Bourges vorhandenen Exemplare dieser Inkunabel, wo es heißt (ebd.: S. 113): »pas après 1498?«. Das Kolophon am Ende des ersten Bandes ist identisch mit dem Kolophon der Editio princeps und weist auf Benedictus Hectoris als Drucker hin (s.u.). Die textkritischen Untersuchungen zu den Disputationes unterstützen die Datierung vor 1498, da der Druck G einerseits ein – mit einzelnen Verbesserungen korrigierter – recht fehlerhafter Nachdruck der Editio princeps von 1496 ist, der allerdings im Gegensatz zu allen späteren Drucken noch nicht die in der Ausgabe V vorhandenen Fehler enthält, die in der gesamten späteren Überlieferung enthalten sind, was eine zeitliche Einordnung zwischen dem Druck der Editio Bononiensis im Jahre 1496 und dem Erscheinen der Editio Veneta von 1498 auch aus Sicht der Abhähgigkeitsverhältnisse der Disputationes zumindest wahrscheinlich macht; vgl. dazu unten die textkritischen Untersuchungen und Abhängigkeitsverhältnisse in Kapitel 1.6.1.1 (S. 122). 316 Die Signaturen sind weitgehend korrekt; lediglich ›T2‹ ist fälschlicherweise als ›S2‹ nummeriert – die korrekte Signatur befindet sich allerdings schräg darunter.

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Einleitende Untersuchung

sionibus. || Oratio quedam elegantissima. || Epistolæ plures. || De precatoria [!]317 ad deum elegiaco carmine. || Testimonia eius vitæ & doctrinæ. || Exibunt propediem318 disputationes adversus astrolo || gos aliaq3 complura tum ad sacra æloquia tum ad / || philosophiam pertinentia.« Auf der Rückseite befindet sich das Widmungsschreiben Gianfrancesco Picos an Ludovico Maria Sforza, den Herzog von Mailand (inc.: Ioannes Eranciscus [!] Picus Mirandula Ludouico Mariæ sfortiæ vicecomiti Anglo || Mediolanensium duci Salutem.«). Es folgen die Vita Pici (fol. A2r –B3v ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE VIRI OMNI DISCIPLINARVM GENERE || CONSVMATISSIMI [!] VITA PER IOANNEM FRANCISCVM ILLVSTRIS || PRINCIPIS GALEOTTI PICI FILIVM EDITA.«), der Heptaplus (fol. r –F3r , inc.: »HEPTAPLIVS [!] IOANNIS PICI MIRANDVLAE DE SEPTIFORMI SEX DIE || RUM CENESEOS [!] ENARRATIONE AD LAVRENTIVN [!] MEDICEM.«), die Apologia (fol. F3v –O3v ; inc.: »APOLOGIA IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS«) nebst Widmungsschreiben (fol. F3v ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA LAVRENTIO MEDICIS«) und den dazugehörigen Conclusiones (fol. O3v –r ; inc.: »CONCLVUSIONES QVAS IN HOC OPERE TANQVAM CATHOCLICAS || DEFENDO SVNT INFRASCRIPTE.«), der Brief von Papst Alexander VI. (fol. v –r ; inc.: »Breue Alexandri vi. pont. Maximi Ad Io. Picum Mirandulam Concordiæ Comitē. || Dilecto filio nobilis uiro Ioanni Pico Comiti Mirandulae. || ALEXANDER PAPA.VI.«). Nach einer blanken Seite (fol. r ) folgt die Schrift De Ente et Uno (fol. r –r ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA DE ENTE ET VNO AD ANGELVM || POLICIANVM.«) nebst den dazugehörigen Obiectiones und Responsiones der Defensio dieser Abhandlung sowie zweier kleinerer Begleitschreiben an Antonius Faventinus (Sr –T3v ; inc.: »IOHANNES FRANCISCVS PICVS MIRANDVLA ANTHONIO FAVENTI/ || NO PHILOSOPHO INSIGNIS«319 ). Daran schließen sich nach einer kurzen Inhaltsangabe (v ; inc.: »Argumentum Io. frācisci Pici Mirandulæ &c. in orationē & epłas. Ioānis pici patrui &c.«) 317 Das fehlerhafte Spatium ist aus der Editio princeps unkorrigiert übernommen – ein Zeichen dafür, dass der Nachdruck nicht vollständig korrigiert wurde. 318 Im Gegensatz zur fehlerhaften Wortfuge bei Deprecatoria (s.o.) ist der Ausdrucke propediem in G korrigiert worden, findet sich doch in B an derselben Stelle das fehlerhafte prope dies. Die Tatsache, dass der Fehler in den Errata corrige zum ersten Band der Editio princeps explizit korrigiert wurde (vgl. Picus 1496: II fol. r : »Carta prima. prope dies. lege propediem.«), zeigt, dass die in G vorgenommenen Korrekturen tatsächlich auf die Errata corrige zurückzuführen sind, die einigen Exemplaren des Erstdruckes beigegeben worden waren. 319 Auch hier handelt es sich um einen Abschreibfehler, eigentlich müsste es heißen philosopho insigni.s. (=salutem dicit); das ›s‹ wurde hier jedoch fälschlicherweise mit dem vorhergehenden Adjektiv zusammengezogen, was den notwendigen Dativ insigni durch einen nicht sinnvollen Nominativ oder Genitiv insignis ersetzt. Tatsächlich findet sich in der Editio princeps an der entsprechenden Stelle die Überschrift in korrekter Form: »IOANNES FRANCISCVS PICVS MIRANDULA ANTONIO FA/ || VENTINO PHILOSOPHO INSIGNI.S.«

Beschreibung der Textzeugen

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die Oratio (v –v ; inc.: »ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS.«) sowie die gesammelten Briefe (v –v ; inc. deest), die Deprecatoria ad Deum (v –r ; inc.: »Ioanuis [!] Pici Miran. Deprecatoria ad Deum.«) und Testimonien (v –r ; inc.: »Varia testimonia uitæ/ doctrinæ & cōmentationum Ioannis Pici Miran. Variis ex locis || collecta: multis tum horum celebratissimorū uirorum/ tum aliorum prætermissis.«) anschließt; darunter befinden sich auch die Duodecim regulae (BB2v –BB3v ; inc.: »Duodecim regulæ Ioannis Pici Mirandulæ partim excitantes partim dirigentes hom || nes [!] in spirituali pugna.«) sowie die Duodecim arma (BB3v –v ; inc.: »Duodecim arma spiritualis pugnæ quæ in promptu haberi debent cum peccandi libi || do mentem subdit.«). Auf der letzten bedruckten Seite (r ) befindet sich das Kolophon (»Opuscula hæc Ioannis Pici Mirandulæ Concordiæ Comitis. Diligenter impræssit Bene/ || dictus Hectoris Bononien. adhibita pro viribus solertia & diligētia ne abarchetypo [!] ab/ || erraret: Bononiæ Anno Salutis.Mcccclxxxxvi.die uero.xx.Martii.«) sowie ein Registrum, welches die Reklamanten für die jeweils ersten drei (signierten) Blätter jeder Lage (bzw. die ersten vier Blätter der letzten Lage) in Tabellenform korrekt wiedergibt. 1.5.2.2 Band II

»Disputationes Ioannis Pici Miran || dulæ litterarum principis || aduersus astrologiā || diuinatricem qui || bus penitus sub || neruata cor || ruit« [Lyon: Jacobinus Suigus und Nicolaus de Benedictis, um 1498.] 2°, 6 + 120 Bl., 42 Z. Die erste Lage von sechs Blättern ist mit doppelter Minuskel (›aa‹) bezeichnet; das erste Blatt ist nicht signiert, die folgenden zwei Blätter tragen im Gegensatz zu den drei letzten Blättern auf der recto-Seite eine Blattsignatur, was folgendes Schema ergibt: – / aa2 / aa3 / – / – / –. Die Lage enthält neben dem zitierten Titel auf der ersten Seite (deren Rückseite fol. aav leer ist) den Widmungsbrief der Herausgebers (fol. aa2r ; inc.: »Ioannes Franciscus Mirandula Sacratissimo patri Oliverio Carafæ episcopo Sabinensi || Cardinaliq3 Neapolitano.S.«); auf der Rückseite befindet sich ein Vorwort des Herausgebers (fol. aa2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula ueritatis amatoribus.«). Es folgt auf den Seiten aa3r bis r die Tabula, die die Kapitel aller zwölf Bücher auflistet (inc.: »Summatim hæc insunt libris singulis disputationū Ioannis Pici Mirandulæ litterarū || principis aduersus astrologos.«) sowie ein Registrum, welches die Reklamanten für die mit Signaturen versehenen Blätter angibt; v ist leer. Darauf folgen zwölf Lagen, die mit den Minuskeln ›a‹ bis ›u‹ bezeichnet sind, deren jeweils erste drei Blätter signiert sind (a / a2 / a3 / – / – / – / … / u / u2 / u3 / – / – / –). Sie enthalten das

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Einleitende Untersuchung

Prooemium zu den Disputationes (ar –a2r , inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN DISPVTA || TIONES ADVERSVS ASTROLOGOS. || PROOEMIVM«) sowie alle zwölf Bücher dieses Werkes (a2v –v ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DISPVTA/|| TIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS.«), die jeweils über ein eigenes Incipit und Explicit verfügen. Auf der letzten bedruckten Seite (r ) befindet sich das – allerdings unvollständige – Kolophon (r ; »Disputationes has Ioannis pici Mirandulæ concordiæ Comitis/ litterarum princi || pis/ aduersus astrologos: diligenter«).320 Eingesehenes Exemplar: – Gent, Universiteitsbibliotheek, BHSL.RES.0286 (Digitalisat).321 Das Exemplar der Universitätsbibliothek in Gent weist wenig Schmuck auf; die ersten Initialien sind mit floralen und geometrischen Mustern reich ausgeschmückt, alle anderen Lombarden und Initialien handschriftlich schmucklos gezeichnet. Es enthält zahlreiche handschriftliche Unterstreichungen, Anmerkungen und Korrekturen im Text, die – zumindest die Disputationes betreffend – in erster Linie offensichtliche Druckfehler verbessern.322 Das Exemplar enthält folgenden Besitzvermerk auf fol. r : »Liber Antonii Clave Brugensis«. 1.5.3 Druck V

V

Auch der Druck V enthält die Werke Giovanni Pico della Mirandolas aufgeteilt in zwei Bände.323

320 Das Kolophon bricht mitten im Satz ab, die Angabe des Druckers und des Druckortes fehlen; ob es sich um ein Versehen handelt, oder ob die Angabe absichtlich weggelassen wurde – gab es vielleicht Probleme mit dem Privileg, welches für Benedetto Faelli ausgestellt worden war? Dies könnte evtl. auch die falsche Angabe im Kolophon des ersten Bandes erklären – bleibt Spekulation. 321 Online unter https://lib.ugent.be/catalog/rug01:001735940 (zuletzt besucht am 20.11.2021). 322 Dazu zählt z.B: die Korrektur des offensichtlich falschen quicunque in disp. 1,20 (statt qui cum) und der Korruptel patitur zu partitur (disp. 1,37). Die Verbesserung des fehlerhaften an zum korrekten aut in disp. 3,9,8 deutet darauf hin, dass der Korrektor von G nicht nur einen der Drucke von B vorliegen hatte, sondern einen der korrigierten Drucke oder zumindest auch die Errata corrige – auch wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass diese Fehler auch dem aufmerksamen Leser ohne entsprechende Vorlage aufgefallen wären, deutet die Tatsache, dass gerade jene Fehler, die auch in den Korrektur-Drucken der Editio princeps verbessert wurden, in G handschriftlich korrigiert wurden, darauf hin, dass der Korrektor ein entsprechendes Exemplar zu seiner Verfügung hatte. Die darüber hinausgehenden Korrekturen sind andererseits notwendig, da G ein sehr fehlerhafter Nachdruck der Editio princeps ist. 323 Gesamtkatalog der Wiegedrucke: M33286; HC 12993; ISTC-Nummer: ip00634000.

Beschreibung der Textzeugen

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1.5.3.1 Band I

»IOANNIS PICI MIRANDVULAE OMNIA OPERA« Venedig: Bernardino de Vitali (Bernardinus Venetus de Vitalibus), 09.10.1498. 2°, 10 Bl. + 134 Bl., 44 Z.324 Den Beginn des ersten Bandes bildet das nicht signierte Deckblatt r , welches neben dem o.g. Titel eine Übersicht über die im ersten Band enthaltenen Werke enthält (inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ vita per Ioannem Franciscum Illustris prin || cipis Galeotti Pici Filium elegantissime conscripta …«). Auf der Rückseite befindet sich ein Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Ludovico Maria Sforza, den Herzog von Mailand (inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Ludouico Mariæ sfortiæ Vicecomiti || Anglo Mediolanensium duci .S.P.D325 «). Den Rest dieser ersten mit der Majuskel ›A‹ bezeichneten Lage bilden die von Gianfrancesco Pico verfasste Biographie seines Onkels Giovanni Pico della Mirandola (A2r –r ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE VIRI OMNI DISCIPLINARVM || GENERE CONSVMATISSIMI [!] VITA PER IOANNEM FRANCI/ || SCVM ILLVTRIS [!] PRINCIPIS GALEOTTI PICI FILIVM EDITA«) sowie ein Epitaph auf Giovanni Pico (r ; inc.: Epitaphium Mirandulæ) nebst einem Gedicht über das Holz des Kreuzes Christi von Caecilius Cyprianus (r – v ; inc.: Cæcilii Cypriani episcopi Carthaginensis de ligno crucis carmen). Die Lage besteht aus zehn Blättern, die von Blatt zwei bis fünf signiert sind, was zu folgendem Schema führt: – / A2 / A3 / A4 / A5 / – / – / – / – / –. Den restlichen Großteil des Bandes bilden 24 Lagen, die mit Majuskeln von ›A‹ bis ›Z‹ (›J‹ und ›U‹ fehlen) sowie dem Zeichen ›&‹ bezeichnet sind; sie bestehen aus jeweils sechs Blättern, deren erste drei signiert sind; lediglich die Lagen ›C‹, ›D‹, ›E‹, ›R‹ und ›Y‹ bestehen aus vier Blättern, deren erste zwei eine Signatur tragen.326 Es ergibt sich daher folgendes Schema: A / A2 / A3 / – / – / – / B / …/ C / C2 / – / – / D / …/F / F2 / F3 / – / – / – / …/ R / R2 / – / – / S / S2 / S3 / – / – / – / T / …/ Y / Y2 / – / – / Z / Z2 / Z3 / – / – / – / & / &2 / &3 / – / – / –. Diese enthalten den Heptaplus (A1r –v ; inc.: HEPTAPLVS IOANNIS PICI MIRANDVLAE DE SEPTIFOR/ || MI SEX DIERVM GENESEOS ENARRATIO324 Zum venezianischen Drucker Bernardino de Vitali vgl. insbesondere Norton (1958: S. 160–161) sowie Ascarelli, Fernanda / Menato, Marco: La Tipografia del ’500 in Italia, Florenz 1989: S. 97: Er wirkte von 1495 (Kristeller 1893: S. 132: »1480«) bis in die 40er Jahre des 16. Jahrhunderts vornehmlich in Venedig, druckte aber auch später in Rom und Neapel (u.a. eine Edition der Werke des Ptolemaios). Sein Druckerzeichen (abgedruckt und beschrieben bei Kristeller 1893: S. 132– 133 [Nr. 332–334]) findet sich in keinem der eingesehenen Exemplare der beiden Teilbände abgedruckt. 325 I. e. salutem plurimam dicit. 326 Auf diese Tatsache weist auch das Kolophon hin, wo es heißt (fol. v ): »Oēs sunt terni præter C D E Y T qui sunt duerni A uero est ꝗnternus.« ›R‹ und ›T‹ sind hier vertauscht.

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Einleitende Untersuchung

NE AD LAVREN/ || TIVM MEDICEM.), die Deprecatoria (r –v ; inc.: Ioannis Pici Mirandulæ Deprecatoria ad Deum.) sowie einen Brief von Robertus Salviatus (v ; inc.: »Robertus Saluiatus Laurentio Medici Sal.«). Es folgt die Apologia (F1r –r ; inc.: »APOLOGIA MIRANDVLAE || IOANNES PICVS MIRANDVLA LAVRENTIO MEDICIS.«), die dazugehörigen 46 Conclusiones (v –r ; inc.: »CONCLVUSIONES QUAS IN HOC OPERE TANQ VAM [!] CA/ || THOLICAS DEFENDO SVNT INFRASCRIPTAE.«) sowie der Brief von Papst Alexander VI. an Giovanni Pico (r –v ; inc.: »Breue Alexādri vi. pont. Maximi Ad Io. Picū Mirandulā Concordiæ Comitē. || Dilecto filio nobili uiro Ianni [!] Pico Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA.VI.«). Daran anschließend folgt die Schrift De ente et uno (O1r –r ; inc.: »DE ENTE ET VNO. || IOANNES PICVS MIRANDVLA. DE ENTE ET VNO AD ANGE/ || LUM POLITIANUM. PROHEMIVM.«) nebst den dazugehörigen Obiectiones und Responsiones, einer umfangreicheren Verteidigung dieses Traktates durch Giovanni Francesco Pico und zweier kleinerer Begleitschreiben an Antonius Faventinus (r –v ; inc.: »IOANNES FRANCISCVS PICVS MIRANDVLA ANTONIO || FAVENTINO PHILOSOPHO INSIGNI.S.«). Nach einer knappen Einleitung zur Oratio durch den Herausgeber (v ; inc.: »Argumentum Ioan. Francisci Pici Mirandulæ &c. in orationem & epistolas || Ioannis Pici patrui &c.«) folgt daraufhin ebendiese Schrift selbst (r –v ; inc.: »ORATIO. || ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS.«), an die sich die Sammlung der Briefe (v –Z1r ; inc. deest) und Testimonien (Z1r –v ; inc.: »Varia testimonia uitæ/ doctrinæ & cōmētationū Ioānis pici Miran. uariis ex || locis collecta: multis tum horū celebratissimoŖ uiroŖ/ tum aliorū prætermissis.«) anschließt; darunter befinden sich auch die Duodecim regulae (&2v –&3v ) sowie die Duodecim arma (&3v –v ). Auf der letzten Seite befindet sich das Kolophon (v ): »Opuscula hæc Ioannis Pici Mirandulæ Concordiæ Comitis Diligenter impressit || Bernardinus Venetus. adhibita pro uiribus solertia & diligentia ne ab archetypo || aberraret: Venetiis Anno Salutis. Mcccclxxxxviii.die.ix.Octobris. || Oēs sunt terni præter C D E Y T qui sunt duerni A uero est ꝗnternus. || CVM GRATIA ET PRIVILEGIO.« 1.5.3.2 Band II

»IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DI/ || SPVTATIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS« Venedig: Bernardino de Vitali (Bernardinus Venetus de Vitalibus), 14.08.1498. 2°, 118 Bl., 44 Z.

Beschreibung der Textzeugen

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Der Band besteht aus 20 Lagen, die mit Minuskeln von ›a‹ bis ›u‹ bezeichnet sind. Bis auf eine einzige Ausnahme – die mit ›t‹ bezeichnete Lage besteht lediglich aus vier Blättern, von denen die ersten beiden signiert sind – zählen alle Lagen sechs Blätter, deren erste drei auf der jeweiligen recto-Seite signiert sind, wodurch sich folgendes Schema ergibt: a / a2 / a3 / – / – / – / b / b2 / b3 / – / – / – / …/ t / t2 / – / – / u / u2 / u3 / – / – / –. Im Gegensatz zur Editio princeps aus Bologna beginnt der Band unmittelbar mit dem Text der Disputationes (ar –v ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DI/ || SPVTATIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS«), der den größten Teil des Bandes ausmacht und dem unmittelbar das Kolophon folgt (v ): »Disputationes has Ioannis Pici Mirandulæ cōcordiæ Comitis/ litteraŖ prin/ || cipis/aduersus astrologos: diligenter impressit Venetiis per Bernardinū Venetū || Anno salutis.M.CCCCLXXXXVIII.DIE uero.XIIII.Augusti.« Erst im Anschluss daran befindet sich das Prooemium zu den Disputationes (ur –u2r ; inc.: »PROOEMIVM OPERIS CONTRA ASTROLGOS || IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN || DISPVTATIONES ADVERSVS ASTROLOGOS. PROOEMIū.«), das Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Kardinal Oliviero Carafa (u2v ; inc.: »Ioannes Fransciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oliuerio Carafæ || episcopo Sabinensi/ Cardinaliq3 Neapolitano.S.«) sowie das Vorwort Giovanni Francesco Picos (u3r ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula ueritatis amatoribus.«) und die Übersicht über den Inhalt der einzelnen zwölf Bücher und eine Auflistung deren jeweiliger Kapitel (u3v – r ; inc.: »TABVLA || Summatim hæc insunt libris singulis disputationum Ioānis Pici Mirandulæ || litterarum principis aduersus astrologos.«). Die letzte Seite enthält lediglich den Titel des Werkes, der in Form eines auf der Spitze ruhenden Dreieckes in der Mitte der Seite gedruckt ist (v ): »Disputationes Ioannis Pici Miran/ || dulæ litterarum principis ad/ || uersus astrologiā diuina/ || tricem quibus penitus || subneruata cor || ruit.«. Ähnlich wie die Editio princeps verzichtet der Druck aus Venedig auf Schmuck und Verzierungen. Abgesehen von den Platzhaltern für Initialien und Lombarden finden sich keine Ausschmückungen. Wie B ist auch V weitgehend einspaltig gesetzt, wobei neben dem Haupttext Marginalien am Außenrand zu finden sind, die den in B enthaltenen zumeist entsprechen.327 327 Die Unterschiede liegen i.d.R. ledglich in der Art der Abkürzung: so bietet B zu Beginn der Disputatones »Aristoteles« (fol. a2v ), während V an derselben Stelle »Aristote.« (fol. a1r ) druckt; dies dürfte insbesondere dem Umstand geschuldet sein, dass der Seitenrand in B ein wenig breiter ist, als in V. Darüber hinaus gibt es einen einzigen inhaltlichen Unterschied: Während B im fünften Kapitel des zweiten Buches (disp. 2,5,7) die Marginalie »Bonati ipsius error« (fol. r ) bietet, fehlt diese in V zur selben Textstelle (fol. b3r ). Außer an dieser einen Stelle stimmen die Marginalien in B und V – abgesehen von unterschiedlicher Orthographie und abweichenden Abkürzungen – jedoch überein.

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Einleitende Untersuchung

Eingesehenes Exemplar: – München, Bayerische Staatsbibliothek, 2 Inc. c.a. 3680-1 und 3680-2 (in einem Band zusammengebunden) (Digitalisat).328 Die Initialien sind zu Beginn des ersten Bandes ausgeschmückt und stellen florale Ornamente (Holzschnitt) dar, später zunehmend handschriftliche Versalien in roter Tinte (teilweise recht verschnörkelt). Im zweiten Band sind lediglich die Initialien der einzelnen Bücher bzw. des jeweils ersten Kapitels mit Holzschnitt-Versalien versehen, die übrigen Initialien sind handschriftlich eingetragene Majuskeln (rote Tinte). Der erste Band trägt auf dem vorderen Spiegel den handschriftlichen Eintrag »Iste liber attinet veñli moñrio S. Q’rini || In Tegernsee Anno dñi 1503° Inligatus.«; er stammt also aus der Provenienz des Klosters Tegernsee (St. Quirin).329 In derselben Schrift findet sich unter der Inhaltsverzeichnis (fol. r ) folgender Eintrag: »Epl’arū familiarū dñi francisti [?] philelphi libri xvirius , || Attinet Tegernsee Emptus Anno 1501. || Sunt xliv.« Dies gibt Hinweis auf das ebenfalls im Anschluss in den Band eingebundene gleichnamige Briefcorpus des Francesco Filelfo (44 Blatt). Im Text selbst finden sich vereinzelte Anmerkungen und Unterstreichungen, die jedoch keinen textkritischen Wert haben. 1.5.4 Druck D

D

Der Druck D von 1502 enthält lediglich die ersten beiden Bücher der Disputationes.330

Daventrie: Richard Pafraet, 30.04.1502. 4°, 18 Bl., 39 Z. Der Band besteht aus 18 Lagen, die mit den Majuskeln ›A‹ bis ›C‹ bezeichnet sind; sie bestehen aus acht, vier und sechs Bättern, von denen jeweils – abgesehen von der A-Lage, bei der die Signatur auf fol. A2r beginnt – die ersten drei recto-Seiten signiert sind, was zu folgendem Schema führt: – / A2 / A3 / A4 / – / – / – / – / B1 / B2 / B3 / – / C1 / C2 / C3 / – / – / –.

328 Online unter http://daten.digitale- sammlungen.de/~db/0007/bsb00078049/images/ und http://daten.digitale- sammlungen.de/~db/0007/bsb00078051/images/ (zuletzt besucht am 20.11.2021). 329 Zur Geschichte der Handschriften im Kloster Tegernsee im Mittelalter vgl. insbes. die Darstellung von Christine Eder (Eder 1972). Die Handschrift ist dieselbe, die auch die Provenienz angibt auf den beigebundenen Epistolarum libri des Francesco Filelfi; da es sich beim Käufer um den Abt Heinrich Kintzner handelte, dürfte die Provenienz-Angabe ebenfalls von ihm (oder dem damaligen Bibliothekar) stammen. 330 Panzer VI, 49, 6 (= Panzer 1798: S. 484).

Beschreibung der Textzeugen

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Im Gegensatz zu allen anderen Ausgaben, enthält dieser Band lediglich die ersten beiden Bücher der Disputationes.331 Auf fol. r , dessen Rückseite leer ist, findet sich der folgende Titel: »Joannis pici mirandule cō= || cordiȩ comitis disputationum aduersus astrologos || liber primus.« Auf der folgenden Seite A2r beginnt unter der Überschrift »Johannis [!] pici mirāndulȩ cōcordiȩ comitis disputati || onum aduersus astrologos liber primus« das erste Buch der Disputationes, welches auf fol. v endet; ebendort beginnt das zweite Buch (inc.: »Jncipit Liber Secundus«), welches widerum auf fol. r endet. Darunter befindet sich auf der selben Seite das folgende Kolophon: »Disputationū Joānis pici Mirandulȩ aduersus ||astrologos libri secūdi finis. Impressum Dauētrie || Per me Richardū pafraet Anno dñi.M.CCCCC. || ii. Ultima die Aprilis.« Der Druck ist vollkommen schmucklos und verzichtet auf alle Marginaltitel am Rand. Lediglich für die ersten Worte des Textes beider Bücher sind Spatien für die Initialien im Druck gelassen, ebenso für die Lombarden aller zehn Kapitel des zweiten Buches. Eingesehenes Exemplar: – Oxford, Corpus Christi College Library, delt.3.3(5). (Digitalisat) Das Buch befindet sich in einem Sammelband (Ledereinband des 20. Jahrhunderts) zusammengebunden mit unterschiedlichen anderen als Quaestiones bzw. Conclusiones bezeichneten Drucken aus dem 16. Jahrhundert, darunter u.a. die Quaestiones quaedam de Trinitate des Orosius (Paris 1533) oder die Conclusiones in sententias Magistri des Gilles de Delft (Aegidius Delphinus) aus Louvain (1519). Sämtliche Initialien und Lombarden sind nicht handschriftlich eingefügt und fehlen daher (anstelle der Lombarden der Kapitel sind die jeweiligen Minuskeln als Platzhalter gedruckt, die Plätze der fehlenden Initialien sind vollkommen leer); darüber hinaus weist das Exemplar keinerlei handschriftliche Einträge oder Anmerkungen auf, die auf die Provenienz o.Ä. Hinweis geben könnten. 1.5.5 Druck W Der Druck W von 1504 enthält die gesammelten Werke Giovanni Pico della Mirandolas in einem Band. 331 Irreführend ist der Eintrag im Katalog der University of Oxford (SOLO), der als Titel des in der Corpus Christi College Library enthaltenen Exemplars lediglich auf das erste Buch verweist: »Joannis Pici Mirandule cōcordie disputationum aduersus astrologos liber primus« (online unter http://solo.bodleian.ox.ac.uk/primo- explore/fulldisplay?vid=SOLO&search_scope=LSC OP_ALL&tab=local&docid=oxfaleph\protect\discretionary{\char\hyphenchar\font}{}{}0122512 65&lang=en_US&context=L&adaptor=Local%20Search%20Engine&query=any,contains,richa rd%20pafraet%20disputationes&offset=0 [zuletzt abgerufen am 03.10.2021]).

W

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Einleitende Untersuchung

Straßburg: Johann Prüß, 15.03.1504. 2°, [12] Bl. + 216 Bl., 50 Z.332 Der Band beginnt mit zwei vorangestellten Lagen, die – anders als die folgenden Lagen – noch keine Foliennummerierung am oberen Rand tragen; diese bestehen jeweils aus sechs Blättern und sind mit römischen Ziffern bzw. den Minuskeln »aa« bezeichnet, wobei – mit Ausnahme des ersten Blattes – jeweils die ersten vier Blätter eine Blattsignatur auf der recto-Seite tragen, was zu folgendem Schema führt: – / ii / iii / iiii / – / – / aa / aa2 / aa3 / aa4 / – / –. Sie enthalten das Titelblatt (fol. r ; inc.: »Opera Joannis Pi= || ci: Mirandule Comitis Con= || cordie: litteraR principis nouissime || accurate reuisa (addito generali suꝑ || omibus ¯ memoratu dignis regesto) || quarūcunque facultatū professoribus || tam iucunda q¯3 proficua.«) nebst einem Index der enthaltenen Werke (ebd.: inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ uita: per Ioannem Franciscum Illu= || stris principis Galeotti Pici filium elegantissime conscripta.«) und einer Liste der Briefpartner Picos (ebd.: inc.: »Hoc in volumine scribunt Epistolas hi viri clarissimi.«), ein nicht datiertes Widmungsschreiben von Hieronymus Emser an Johann Prüß (fol. v ; inc.: »HIERONYMVS Emser prȩsbyter Ioanni Prüs AR= || gentino Ciui atq3 Calcographo accuratissimo.S.P.D. || Conuenisti me nuper Ioannes amantissime…«) sowie ein von diesem verfasstes, zwei Distichen umfassendes Leitgedicht: (ebd.; inc.: »TETRASTICVM EIVSDEM«): »Crede mihi Lector Picana volumina scrutans || Facundus: Doctus: Relligiosus eris. || Hæc tria si vili non præponenda monetȩ ||Duxeris: infœlix iure putandus eris.«333 332 Johann Prüß der Ältere (1446–ca. 1510) wirkte seit ca. 1479 als ein bedeutender Drucker volkssprachlicher aber eben auch humanistischer Werke in Strassburg; sein Sohn Johann Prüß der Jüngere (* ca. 1490) übernahm um das Jahr 1510 die Druckerei seines Vaters; die Opera Picos dürften daher mit Sicherheit noch ein Werk des Vaters gewesen sein; vgl. zu den beiden Prüß insbes. Reske (2007: S. 870–871 sowie S. 877–878). 333 »Glaube mir, Leser, beim Wälzen der Bände Picos wirst du beredt, gelehrt und rechtgläubig werden. Hältst du diese drei Eigenschaften aber nicht für wertvoller als den schnöden Mammon, wird man dich mit Fug und Recht für einen Unglücksraben halten.« Hieronymus Emser, 1478 in der Nähe von Ulm geboren, studierte in Tübingen und Basel Theologie und wirkte später am Hof des sächsischen Herzogs als Sekretär, wo er mit bedeutenden Humanisten wie Erasmus Korrespondenzen unterhielt und eine wichtige Gegenrolle zu Martin Luther einnahm, wobei er für seine Streitschriften sogar eine eigene Hausdruckerei erwarb. Im Jahre 1504 hielt er sich nach mehreren Stationen auch kurz in Straßburg im Kreis um Jakob Wimpfeling auf, wo er u.a. die Ausgabe der Werke Picos betreute; vgl. hierzu insbesondere Kawerau (1898: S. 9 mit Anm. 14): »Seine eigne Arbeit dabei bestand in der Anfertigung eines Registers sowie in einem Vorworte und einem Beigedichte« (ebd.: S. 9). Nicht korrekt ist die bei Kawerau ebendort geäußerte Ansicht, Emser habe dabei ein Exemplar der Editio princeps zur Vorlage gehabt – dass der Druck W vielmehr in hohem Maße abhängig von der Editio Venetiana (V) ist, beweisen die textkritischen Untersuchungen. Emser selbst weist allerdings in seinem Schreiben an Prüß darauf hin, dass er ein Exemplar der Editio princeps von seinem Freund Thomas Wolf als Vorlage erhalten habe: (fol. v ): Accedit ad hoc exemplar quod habes: non vulgare: sive (ut plerumque fit) mendosum: sed Bononiense illud castigatissimum: ex vero et primo mirandulanae manus archetypo percusum: [!] cuius potestatem mihi

Beschreibung der Textzeugen

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Daran schließt sich das von Emser erstellte Registrum (iir –iiiiv ; inc.: »REGESTVM OMNIVM HVIVS VOLVMINIS OPVSCVLORVM«), das Schreiben von Giovanni Francesco Pico an die amatores veritatis (fol. r ; inc.: »Ioannes Francsicus Picus Mirandula veritatis amatoribus«) sowie ein auf den 23. März des Jahres 1504 datiertes Widmungschreiben von Jakob Wimpfeling (ebd.; inc.: »Iacobus wimpfelingus Slestatinus Lectori nobi || lissimorum operum Ioannis Pici Mirandulæ.S.«) an.334 Darauf folgt die von Giovanni Francesco Pico verfasste Vita Pici (fol. v –r ; inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ viri omni disciplinaŖ genere cōsūmatissimi vi= || ta. Per Ioannem Franciscū Illustris Principis Galeotti Pici Filium Edita.«), Cyprians Carmen de ligno crucis (v ; inc.: »Cæcilii Cypriani episcopi Cartha || ginensis de ligno crucis Carmen«) sowie zwei Epitaphe zur Erinnerung an Giovanni Pico (ebd.; inc.: »Epitaphium Mirandulæ«). Den folgenden Hauptteil des Bandes bilden 216 Folia verteilt auf 36 Lagen, die aus jeweils sechs Blättern bestehen; die ersten 23 dieser Lagen sind mit Majuskeln von ›A‹ bis ›Z‹ bezeichnet, die folgenden 13 mit Minuskeln von ›a‹ bis ›n‹. Die Lagen tragen jeweils auf den ersten vier recto-Seiten eine Blattsignatur, allein die Lagen ›f‹ und ›g‹ sind lediglich auf den ersten drei Blättern signiert, was zu folgendem Schema führt: A / A2 / A3 / A4 / – / – / B / B2 / B3 / B4 / – / – / ... / f / f2 / f3 / – / – / – / g / g2 / g3 / – / – / – / h / h2 / h3 / h4 / – / – / ... / n / n2 / n3 / n4 / – / –. Zusätzlich zu den Blatt- bzw. Lagensignaturen befindet sich in der oberen rechten Ecke jedes Blattes eine Blattzählung, die in Römischen Ziffern das jeweilige Folio von ›I‹ bis ›CCXVI‹ angibt.335 Sie enthalten den Heptaplus (fol. Ar –D2r ; inc.: »Heptaplus Ioannis Pici Mirandulæ: de Septiformi sex dierum Gene || seos enarratione ad Ad Laurentium Medicem«), die Deprecatoria ad deum inkl. Widmungsbrief (fol. D2v ), die Apologia nebst Widmungsschreiben an Lorenzo de’ Medici (fol. D3r –r ; inc.: fecit doctissimus ille communis noster amicus et benefactor Thomas Wolphius; dass es sich hierbei um ein Zitat aus dem Kolophon des besagten Erstdruckes handelt, erkannte bereits Kawerau (vgl. Kawerau 1898: S. 11314 ). Emser verfasste darüber hinaus zahlreiche theologische Schriften und besorgte eine deutsche Übersetzung des Neuen Testamentes (1527); vgl. zum Leben und Wirken Emsers insbes. Steinruck, Josef: Art. »Emser, Hieronymus«, in: TRE 9, 1982, S. 576–580 sowie – inzwischen veraltet aber immer noch eine der Standarddarstellungen – Kawerau (1898). Zur Tatsache, dass Giovanni Francesco Pico, der posthume Herausgeber der Werke Picos, im April 1505, also nur kurz nach dem Druck, Straßburg besuchte, vgl. Herding / Mertens (1990: S. 53411 [= Jacobi Wimpfelingi Opera Selecta III]). 334 Zum Humanisten und Theologen Jakob Wimpfeling (1450–1528), der unter anderem in Tübingen und Speyer sowie ab 1501 in Straßburg als Professor, Philosoph, Prediger und Historiker wirkte, vgl. insbesondere die Darstellung bei Knepper (1902 [zur Herausgabe der Werke Picos vgl. ebd.: S. 178]); einen (umfassenden) schematischen Überblick bietet die »Bio-Bibliographische Zeittafel zu Wimpfeling« bei Herding / Mertens (1990: S. 101–113). 335 Die Nummern fehlen auf den Folia CCXIV und CCXV, die Folia CLXXXV (falsch: CLXXXVI), CLXXXII (falsch: CLXXXIII) und II (falsch: IIII) sind darüber hinaus falsch beziffert.

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Einleitende Untersuchung

»Apologia Ioannis pici mirandulæ concordiæ comitis.«) und Conclusiones (fol. r –L2v ; inc.: »CONCLVSIONES: QVAS IN HOC APOLOGETICO OPERE TAN || quā catholicas defendo: sunt infrascriptæ.«). Nach dem Widmungsschreiben von Papst Alexander VI. (fol. L2v –L3r ; inc.: »Breue Alexandri .vi. pon. Maximi ad Io. Picū Mirandulam: Concordiæ Comitem || Dilecto filio: nobili viro Ioanni Pico: Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA .VI.«) folgt die Schrift De ente et uno (fol. L3r –v ; inc.: »Ioannes Picus Mirandula. de ente & vno ad angelum politianū.«) nebst Responsiones und Obiectiones, die Oratio inklusive zweier Widmungsschreiben und einem Argumentum (fol. v –v ; inc.: »Oratio Ioannis Pici Mirandulæ cōcordiæ Comitis. De hoīs dignitate.«), die Briefe (fol. v –S3r ) und Testimonia (fol. S3r –T3v ; inc.: »Varia testimonia vitæ/ doctrinæ & cōmētationū Ioannis pici Miran. varijs ex locis || collecta: multis tum horū celebratissimoŖ virorū/ tum aliorum prætermissis.«); es folgen die Duodecim regulae (fol. T3r –T4r ; inc.: »Duodecim regulæ Ioannis Pici Mirandulæpartim excitan || tes partim dirigentes homines in spirituali pugna.«), die Duodecim arma (fol. T4r ; inc.: »Duodecim arma spiritualis pugnæ quæ in promptu haberi || debent cum peccandi libido mentem subit«) sowie die Duodecim conditiones amantis (fol. T4r –v ), die von einigen Commendationes abgeschlossen werden (fol. v –v ). Die Disputationes beginnen mit dem Prooemium auf fol. Vr (inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ concordiæ Comitis in disputationes aduersus astrologos. || Prooemium.«) und enden auf fol. n3v ; es folgt das Widmungsschreiben an Oliviero Carafa (fol. n3v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oli || uerio Carafæ episcopo Sabinēsi/ Cardinaliq3 Neapolitano .S.«) sowie die Tabulae mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben der Bücher (fol. n4r –r ). Auf fol. r befindet sich auch das Kolophon: »Disputatōes has Ioānis Pici Mirandulæ/ cōcordiæ Comitis/ lȓaŖ princi= || pis aduersus Astrologos: diligenter im¯ pssit Industrius Ioannes Prūs Ci= || uis Argentinus. Anno salutis. M.CCCCCIIII. Die vero. XV. Marcij.« Der Band ist weitgehend schmucklos und enthält lediglich Spatien für Initialien und Versalien. Im Gegensatz zu D entält W erneut zahlreiche gedruckte Marginaltitel. Eingesehenes Exemplar: – Wien. Österreichische Nationalbibliothek, 71.N.6 (Digitalisat).336

336 Online unter http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ179313707 (zuletzt besucht am 20.11.2021).

Beschreibung der Textzeugen

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1.5.6 Druck R Der Druck R aus dem Jahr 1506 enthält die gesammelten Werke Giovanni Pico della Mirandolas in einem Band.

Reggio Emilia: Ludovico Mazzali (Ludovicus de Mazalis) 15.11.1506. 2°, 266 Bl., 44 Z.337 Der Druck besteht aus 54 Lagen, die ihrerseits mehrheitlich aus sechs Blättern bestehen, vereinzelt jedoch aus lediglich vier Blättern; den Beginn bildet eine Lage von 10 Blatt. Bezeichnet sind diese zunächst mit Majuskeln von ›A‹ bis ›Z‹, wobei auf ›A‹ zunächst ein zwischengeschaltetes ›a‹ folgt; den Übergang zu den folgenden mit den Minuskeln von ›a‹ bis ›u‹ bezeichneten Lagen bildet eine Lage, die als ›&‹ bezeichnet wird; alle aus sechs Blättern bestehenden Lagen sind auf den ersten drei recto-Seiten signiert, die lediglich vier Blätter umfassenden Lagen auf den beiden ersten recto-Seiten. Die erste, zehn Seiten zählende Lage, ist auf den Seiten zwei bis fünf signiert. Die Signaturen lassen sich daher wie folgt darstellen: – / A2 / A3 / A4 / A5 / – / – / – / – / – / a / a2 / a3 / – / – / – / B / B2 / B3 / – / – / – / ... / E / E2 / – / – / F / F2 / F3 / – / – / – / ... / R / R2 / – / – / S / S2 / S3 / – / – / – / ... / Y / Y2 / – / – / Z / Z2 / Z3 / – / – / – / & / &2 / &3 / – / – / – / a / a2 / a3 / – / – / – / ... / t / t2 / – / – / u / u2 / u3 / – / – / –.338 337 Die Familie Mazzali war eine Familie von Druckern, die seit den 1480er Jahren in Reggio Emilia wirkte; die bekanntesten Vertreter dieser Familie sind Alberto Mazzali sowie sein Bruder Francesco, die bis in die Anfänge des 16. Jahrhunderts hinein in Reggio tätig waren (ihr letzter datierbarer Druck stammt aus dem Jahre 1505). In welchem Verhältnis sie zu dem ansonsten weitgehend unbekannten Ludovico Mazzali stehen, ist nicht bekannt – aller Wahrscheinlichkeit nach war Ludovico jedenfalls (einer) der Nachfolger der beiden bekannten Drucker-Brüder; vgl. hierzu sowie zur Familie Mazzali im Allgmeinen Avigliano, Pasqualino: Art. »Mazzali (Mazali), Alberto e Francesco«, in: DBI 72, 2008, S. 511–513 sowie Norton (1958: S. 86): »Ludovicus was doubtless related to Franciscus Mazalis and appears to have been his successor.« Das Druckerzeichen der Familie Mazzali, abgedruckt und beschrieben bei Kristeller (1893: S. 54–55 [Nr. 148]), befindet sich nicht im Druck. Die einzigen weiteren bekannten von Ludovico bereiteten Drucke – allerdings im 4°Format – sind ein Tractatus de imprestantiis Venetorum et de usura des Gregor von Rimini (1508) sowie die Regulae grammaticales von Guarino Veronese (ebenfalls 1506). 338 In der ersten Lage befindet sich ein Fehler des Druckers, da das Folium r mit der Silbe nia den Text weiterführt, der sich auf A3r befindet (calum); somit müsste fol. r zwischen A3r und A3v gebunden werden – die Blattsignaturen sind allerdings durchgehend (und somit folgerichtig falsch); dies bedeutet, der Fehler ist nicht beim Binden entstanden, sondern muss bereits dem Drucker unterlaufen sein, der die falsche Seite in die laufende Signatur einfügte. Ebenso fehlen in der das Werk beschließenden Tabula das korrekte Blatt r , welches die Kapitelangaben zu disp. 2,7 bis disp. 4,2 enthält; statt des korrekten r befindet sich eine doppelte Version von r an dieser Stelle. Die Tatsache, dass die entsprechenden Blätter auch in C falsch eingefügt sind, kann als ein Beweis gelten, dass C ein – wenig sorgfältiger – Nachdruck auf Grundlage von R ist. Zu weiteren Details hierzu vgl. das Kapitel zur Textkritik.

R

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Einleitende Untersuchung

Auf der Titelseite (fol. r ) befindet sich neben dem Titel (»IOANNIS PICI MIRANDVLAE OMNIA OPERA.«) eine Übersicht über die im Band enthaltenen Werke sowie die Aufzählung der in den Epistolae in Korrespondenz mit Pico stehenden Briefpartner, auf der Rückseite befindet sich das Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Ludovico Maria Sforza (fol. v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Ludouico Mariæ Sfortiæ || Vicecomiti Anglo Mediolanensem [!] duci .S.P.D.«); auf der folgenden Seite beginnt die Vita Pici (fol. A2r – r ; inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ uiri omni disciplinarum genere consumatissimi [!] || uita per Ioannem Franciscum Illustris Principis Galeoti || Pici filium edita.«), der sich ein Epitaph (fol. r ; inc.: »Epitaphium Mirandulæ.«) und Cyprians Gedicht De ligno crucis (fol. r –v ; inc.: »Caecilii Cypriani episcopi Carthaginēsis de ligno crucis carmen«) anschließen. Mit der folgenden Lage beginnt der Heptaplus (fol. ar –v ; inc.: »HEPTALVS [!] IOANNIS PICI MIRANDVLAE DE SEPTIFOR- || MI SEX DIERVM GENESEOS ENARRATIONE AD LAVREN- || TIVM MEDICVM [!].«), dem sich die Deprecatoria ad deum (fol. r –v ; inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ Deprecatoria ad Deum.«) sowie ein Widmungsbrief von Robertus Salviatus an Lorenzo de’ Medici anschließen (fol. v ; inc.: »Robertus Saluiatus Laurentio Medici Sal.«). Ihm folgt mit Beginn der folgenden Lage die Apologia (fol. F1r –r ; inc.: »APOLOGIA IOANNIS PICI MIRANDVLAE || CONCORDIAE COMITIS«), der ein Widmungsschreiben Picos an Lorenzo de’ Medici vorangestellt ist, (ebd.; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA LAVRENTIO MEDICIS [!]339 «) nebst den zugehörigen 46 Conclusiones (fol. v –r ; inc.: »CONCLVUSIONES QVAS IN HOC OPERE TANQVAM CA- || THOLICAS DEFENDO SVNT INFRASCRIPTAE.«); darauf folgt das Schreiben Papst Alexander VI. (fol. r – v ; inc.: »Breue Alexādri .vi. pont. Maximi ad Io. Picū Mirandulā Concordie Comi- || tē. Dilecto filio nobili uiro Ianni [!] pico Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA. VI.«). Auf fol. Or beginnt der Traktat De ente et uno (fol. Or –v ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA. DE ENTE ET VNO AD ANGELVM POLICIANVM.«) sowie die dazugehörigen Obiectiones und Responsiones und das von Giovanni Francesco verfasste Argumentum zum folgenden Teil der Schriften. Daran anschließend folgt die Oratio (fol. r –v ; inc.: »ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS«), die auf fol. v nahtlos in die gesammelten Briefe Giovanni Picos übergeht (fol. v –&2v ; inc.: »IOannes [!] Picus Miran. Io. Francisco ex fratre nepoti. S.«). Es folgen die Duodecim regulae (fol. &2v –&3v ; inc.: »Duodecim regulæ Ioannis Pici Mirandulæ partim excitantes partim dirigentes ho || mines in spirituali pugna.«), die Duodecim arma (fol. &3v ; inc.: »Duodecim arma spiritualis pugnæ quæ 339 Wahrscheinlich eine Verschreibung statt »MEDICI S« (= Salutem dicit); vgl. die entsprechende Überschrift in C.

Beschreibung der Textzeugen

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in promptu haberi debent cum peccan || di libido mentem subdit [!]«) sowie die Duodecim conditiones amantis (fol. &3v –v ), die von einigen Commendationes abgeschlossen werden (fol. v –v ). Auf der letzten Seite befindet sich ein Kolophon: »Opuscula hæc Ioannis Pici Mirandulæ Concor- || diæ Comitis Diligenter impressit. || Oēs sunt terni præter C D E R T Y qui sunt duerni A uero ē ꝗnternus«. Die Disputationes adversus astrologos beginnen unmittelbar mit Buch 1 auf fol. ar (inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DI || SPVTATIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS.«) und enden auf fol. v ; es folgt das Prooemium (fol. ur –u2r ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN || DISPVTATIONES ADVERSVS ASTROLOGOS. PROOEMIVM.«), das Widmungsschreiben an Oliviero Carafa (fol. u2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oliuerio Ca- || rafæ Episcopo Sabinēsi/Cardinaliq3 Neapolitano.Sal.«), das Geleitschreiben Giovanni Francesco Picos (fol. u3r ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula ueritatis amatoribus.«) sowie die Tabulae mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben der Bücher (fol. u3v –r ). Bereits auf fol. 4 befindet sich auch das Kolophon: »Disputationes has Ioannis Pici Mirandulæ/ concordiȩ ue [!] Comitis/ litteraŖ ue- || raŖ principis/ aduersus astrologos. diligenter Impressit dñs Ludouicus de Maza- || lis Ciuis regiensis Anno salutis. M.D.VI. xy. Nouembris.« Eingesehenes Exemplar: – München, Bayerische Staatsbibliothek, p. lat.1223 (Digitalisat).340 Das Exemplar weist einige wenige handschriftliche Unterstreichungen und Anmerkungen am Rand auf. Auf der Titelseite (r ) finden sich einige handschriftliche Einträge, die von derselben Hand zu stammen scheinen. Zuoberst auf der Seite befindet sich der Spruch »Sanctus Quirinus Rex Martyr Patronusq3 .:.«. Nach dem Titel und vor der Aufzählung der im Buch enthaltenen Schriften findet sich die Überschrift »Contenta huius libri.:«. Unter dem gedruckten Text befindet sich der folgende Eintrag, der Hinweis auf die Provenienz gibt – auch dieses Exemplar der Disputationes gehörte zum Besitz des Klosters St. Quirin in Tegernsee: »Defensio Astrologie Contra Ioannē Picū Mirandulā. Lucii Bellantii senensis || mathematici.:341 || Tegriensis Monasterii sū hic liber. emptus ab heredibus Ven’abilis viri et || dñi. D. Ioannis Päthleri Vimxii [?] in Egern. Qui obijt Anno dñi .1535. || octauo die 340 Online unter http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10813473_00005.h tml (zuletzt besucht am 20.11.2021). 341 Ob es sich lediglich um einen Hinweis auf die Existenz dieses Werkes handelt oder ob die Schriften nebeneinanderstanden (oder sogar zusammengebunden waren?), ist nicht zu eruieren.

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Einleitende Untersuchung

Junij. Cui9 Anīa deo seuat’ et’ nalit’. Amē.«. Abgesehen von einigen Initialien und Versalien, die per Holzschnitt eingefügt oder von Hand gezeichnet wurden, ist das Exemplar vollkommen schmucklos. 1.5.7 Druck C

C

Der Druck C aus dem Jahr 1517 ist ein in Paris entstandener Nachdruck von R und enthält die gesammelten Werke Giovanni Pico della Mirandolas in einem Band.

Paris: Jean Petit (Ioannes Parvus) 09.07.1517. 2°, 260 Bl., 44 Z.342 Der Druck C besteht aus 45 Lagen, die mit Majuskeln von ›A‹ bis ›Z‹ (unterbrochen von einer mit ›a‹ bezeichneten Lage) sowie mit Minuskeln von ›a‹ bis ›v‹ bezeichnet sind; den Übergang bildet eine mit ›&‹ signierte Lage. Diese Lagen bestehen aus drei, vier oder fünf Blättern, von denen die ersten zwei, drei oder vier signiert sind. Es ergibt sich daher das folgende Schema: – / A2 / A3 / A4 / A5 /– / – / – / – / – / a1 / a2 / a3 / – / – / – / B1 / B2 / B3 / B4 / – / – / C1 / C2 / C3 / – / ... / F1 / F2 / F3 / – / – / – / G1 / G2 / G3 / G4 / – / – / ... / R1 / R2 / – / – / S1 / S2 / S3 / S4 / – / – / ... / Y1 / Y2 / Y3 / – / Z1 / Z2 / Z3 / Z4 / – / &1 / &2 / &3 / &4 / – / – / a1 / a2 / a3 / a4 / – / – / ... / l1 / l2 /l3 / – / – / – / m1 / m2 / m3 / m4 / – / – / ... / p1 / p2 / p3 / – / – / q1 / q2 / q3 / – / – / – / r1 / r2 / r3 / r4 / – / – / ... / t1 / t2 / t3 / – / v1 / v2 / v3 /v4 / – / –. Auf der Titelseite (fol. r ) befindet sich unter dem Titel (»Ioannis Pici Mirandulae Omnia Opera«) und der Liste der im Band enthaltenen Werke das Druckerzeichen von Jean Petit: ein Schild, der vor einem Baum von zwei Löwen gehalten wird, trägt die Initialien ›IP‹. Darunter befindet sich ein Banner, welches den Namen »IEHAN PETIT« trägt.343 Darunter befindet sich die Liste der Briefpartner für die Korrespondenz Giovanni Picos. Auf der Rückseite folgt das Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Ludovico Maria Sforza (fol. v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Ludouico Mariæ sfortiæ || Viceconti Anglo Mediolanensem [!]344 duci.S.P.D.«). Mit dem folgenden Blatt beginnt die Vita Pici (fol. A2r –r ; inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ viri omni disciplinarum genere consumatissimi [!] || vita per Ioannem Franciscum Illustris Principis Galeoti || Pici filium edita.«), der sich ein Epitaph (fol. r ; inc.: »Epitaphium 342 Zu Jean Petit, der zwischen ca. 1495 und 1530 in Paris als Drucker wirkte, vgl. vor allem Renouard (1965: S. 339–340). 343 Zu den Druckerzeichen Petits vgl. insbesondere Meyer (1970: S. 119–120 [Nr.136–138]), die dem hier vorliegenden ähnlich sind, aber nicht exakt entsprechen. Eine exakte Übereinstimmung findet sich mit der Nr. VIII bei Haebler (1914: S. ); diese Marke wird von Haebler auf den Zeitraum 1511 bis 1529 angegeben (vgl. ebd.: S. ). 344 Derselbe Fehler findet sich auch bereits in R.

Beschreibung der Textzeugen

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Mirandulæ.«) und Cyprians Gedicht De ligno crucis (fol. r –v ; inc.: »Caecilij Cipriani episcopi Cartaginēsis de ligno crucis carmen«) anschließen. Auf der folgenden mit ›a‹ signierten Lage beginnt der Heptaplus (fol. a1r –E3v ; inc.: »HEPTAPLVS IOANNIS PICI MIRANDVLAE DE SEPTI= || FORMI SEX DIERVM GENESEOS ENARRATIONE AD || LAVRENTIVM MEDICVM [!].«), dem sich die Deprecatoria ad deum (fol. r –v ; inc.: »Ioannis Pici Mirandulæ Deprecatoria ad Deum.«) sowie ein Widmungsbrief von Robertus Salviatus an Lorenzo di’ Medici anschließen (fol. v ; inc.: »RobertusSaluiatus [!] Laurentio Medici Salutem.D.«). Es folgen mit Beginn der nächsten Lage die Apologia (fol. F1r –r ; inc.: »APOLOGIA IOANNIS PICI MIRANDVLAE || CONCORDIAE COMITIS«), der ein Widmungsschreiben Picos an Lorenzo de’ Medici vorangestellt ist, (ebd.; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA LAVRENTIO MEDICI S.«) nebst den zugehörigen 46 Conclusiones (fol. v –r ; inc.: »CONCLVUSIONES QVAS IN HOC OPERE TANQ VAM [!] CA || THOLICAS DEFENDO SVNT INFRASCRIPTA [!].«); daran schließt das Schreiben Papst Alexanders VI. an (fol. r –v ; inc.: »Breue alexandri.vi. pont. Maximi ad Io. Picū Mirandulā Concordie Comi= || tē. Dilecto filio nobili viro Ioanni pico Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA.VI.«). Auf fol. O1r beginnt der Traktat De ente et uno (fol. O1r –v ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA DE ENTE ET VNO AD AN || GELVM POLITIANVM.«) sowie die dazugehörigen Obiectiones und Responsiones und das von Giovanni Francesco verfasste Argumentum zum folgenden Teil der Schriften. Daran anschließend folgt die Oratio (fol. r –v ; inc.: »ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS«), die auf fol. v nahtlos in die gesammelten Briefe Giovanni Picos übergeht (fol. v –&2v ; inc.: »IOANNES Picus Miran. Frācisco ex fratre nepoti. S.«). Auf den Briefwechsel folgen die Duodecim regulae (fol. &2v –&3v ; inc.: »Duodecim regulæ Ioannis Pici Mirandulæ partim excitantes, partim dirigentes || homines in spirituali pugna.«), die Duodecim arma (fol. &3v ; inc.: »Duodecim arma spiritualis pugnæ quæ in promptu haberi debent cum peccā || di libido mentem subdit [!]«) sowie die Duodecim conditiones amantis (fol. &3v –v ), die von einigen Commendationes abgeschlossen werden (fol. v –v ). Auf der letzten Seite (v ) befindet sich ein Kolophon: »Finis primi Tomi Operū Ioannis Pici Mirandulæ Comitis || Concordiæ Ducis Diligenter impressi. || Oēs sunt terni præter C D E R Y qui snnt [!] duerni A vero ē ꝗnternus«. Die Disputationes adversus astrologos beginnen unmittelbar mit Buch 1 auf fol. a1r (inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DI || SPVTATIONVM ADVERSVS ASTROLOGOS LIBER PRIMVS.«) und enden auf fol. v ; hier befindet sich auch ein Explicit: »Disputationes has Ioannis pici Mi-

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Einleitende Untersuchung

randulæ Concordiæue Comitis. literaŖ ue= || raŖ principis, aduersus astrologos expliciunt.« Ihnen folgt das Prooemium (fol. v1r –v2r ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN || DISPVTATIONES ADVERSVS ASTROLOGOS. PROOEMIVM.«), das Widmungsschreiben an Oliviero Carafa (fol. v2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oliuerio Ca= || rafæ Episcopo Sabinensi, Cardinaliq3 Neapolitano.Sal.«), das Geleitschreiben Giovanni Francesco Picos (fol. v3r ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula veritatis amatoribus.«) sowie die Tabulae mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben der Bücher (fol. v3v –r ). Auf der letzten Seite (fol. v ) befindet sich das Kolophon in Form eines auf der Spitze stehenden Dreiecks, welches in ähnlicher Form aus den früheren Drucken bekannt ist: »Disputationes Ioannis Pici Nirandulæ [!] literarum || principis aduersus astrologiam diuinatri= || cem quibus penitus subneruata corru= || it Parisijs Ioannis parui Impen= || sa fideliter & impresse & elima || tȩ. Anno salutis Millesimo || quingentesimo decimo || septimo die nona || Mensis Iunij.« Eingesehenes Exemplar: – München, Bayerische Staatsbibliothek, 2 p. lat.1224 (Digitalisat).345 Das Exemplar weist keinerlei handschriftliche Einträge, Notizen oder Unterstreichungen auf; auch jeglicher Hinweis auf die Provenienz fehlt. Initialien und Versalien sind großteils, aber nicht durchgehend, mit Holzschnitten verziert und enthalten florale Rank-Muster. 1.5.8 Druck F

F

Der Druck F stammt aus dem Jahr 1519 und erschien wie V in Venedig.

Venedig: Gulielmus de Fontaneto de Monteferrato 22.03.1519. 2°, 248 Bl., 45 Z.346 Der Druck besteht aus 32 Lagen, die ihrerseits zum größten Teil aus acht Blättern bestehen. Die erste Lage ist mit der Majuskel ›A‹ bezeichnet und besteht im Gegensatz dazu aus zehn Blättern, von denen die ersten fünf – ausgenommen das Titelblatt fol. r – jeweils auf der Recto-Seite signiert sind (– / A2 / A3 / A4 / A5 / – / 345 Online unter http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10149101_00005.h tml (zuletzt besucht am 20.11.2021). 346 Das wenige, was zu Gulielmus de Fontaneto bekannt ist, findet sich bei Norton (1958: S. 136) sowie Ascarelli / Menato (1989: S. 358): Er wirkte seit ungefähr 1514 in Venedig als Drucker und veröffentlichte insbesondere Bücher in der Volkssprache.

Beschreibung der Textzeugen

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– / – / – / –). Sie enthält auf der Titelseite (fol. r ) den Titel (»IOANNIS PICI MIRANDVLAE OMNIA OPERA.«) und die Liste der im Band enthaltenen Werke. Die Rückseite enthält das Widmungsschreiben Giovanni Francesco Picos an Ludovico Maria Sforza (fol. v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Ludouico Mariæ Sfortiæ Viceco || miti Anglo Mediolanensium duci. S.P.D.«). Auf dem folgenden Blatt beginnt die Vita Pici (fol. A2r –r ; inc.: »OANNIS [!] PICI MIRANDVULAE VIRI OMNI DISCIPLI || NARVM GENERE CONSVMATISSIMI VITA PER || IOANNEM FRANCISCVM ILLUSTRIS PRIN/|| CIPIS GALEOTTI FILIVM EDITA.«), der sich ein Epitaph (fol. r ; inc.: »Epitaphium Mirandulæ.«) und Cyprians Gedicht De ligno crucis (fol. r –v ; inc.: »Caecili Cypriani episcopi Carthaginensis de ligno crucis carmen«) anschließen. Die folgenden 23 Lagen sind mit Minuskeln von ›a‹ bis ›z‹ bezeichnet, wobei lediglich die ›r‹-Lage vier Blatt aufweist, alle anderen acht; dabei sind jeweils die ersten vier Blätter auf der recto-Seite mit einer Blattsignatur versehen, bei der mit ›r‹ bezeichneten Lage die ersten zwei. Nach drei ebenfalls acht Blatt zählenden Lagen, die mit den Zeichen ›&‹, ›?‹ und ›Ŗ ‹ bezeichnet sind, folgen fünf Lagen, die mit Majuskeln von ›A‹ bis ›E‹ bezeichnet sind; die letzten beiden bestehen aus zehn Blättern, die ersten drei aus lediglich acht Blättern. Schematisch dargestellt ergibt sich daher folgendes Bild: a / a2 / a3 / a4 / – / – / – / – / ... / r / r2 / – / – / s / s2 / s3 / s4 / – / – / – / – / ... / D1 / D2 / D3 / D4 / D5 / – / – / – / – / – / E1 / E2 / E3 / E4 / E5 / – / – / – / – / –.347 Darüber hinaus sind die jeweiligen verso-Seiten mit einem Blattkustoden am unteren rechten Rand ausgestattet. Die eigentlichen Werke Picos beginnen auf fol. ar mit dem Heptaplus (fol. ar – v ; inc.: »HEPTAPLVS IOANNIS PICI MIRANDVLAE DE || SEPTIFORMI SEX DIERVM GENESEOS || ENARRATIONE AD LAVRENTIVM || MEDICEM.«), dem die Deprecatoria ad deum (fol. r –v ; inc.: »Ioannes [!] Pici Mirandulæ elegiaco carmine ad Deum deprecatoria.«) und das Schreiben von Robertus Salviatus (fol. v ; inc.: »Robertus Saluiatus Laurentio Medici Salutem.«) folgen. Daran schließt nach einem kurzen Widmungsschreiben (fol. dr ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA || LAVRENTIO MEDICIS348 «) die Apologia (fol. dr – r ; inc.: »APOLOGIA IOANNIS PICI MIRANDV || LAE CONCORDIAE COMITIS«) nebst ihren Conclusiones (fol. r –r ; inc.: »CONCLVSIONES QVAS IN HOC OPERE TANQ VAM [!] CA || THOLICAS DEFENDO SUNT INFRASCRIPTAE. «) und dem Geleitschreiben Papst Alexanders VI. (fol. r – 347 Das Registrum (fol. v ) führt eine zusätzliche mit ›A‹ bezeichnete Lage an, die vor ›a‹ den Anfang des Buches bildet. Da im untersuchten Exemplar kein Titelblatt vorhanden war, kann dies nicht ausgeschlossen werden; das Fehlen von Titelblatt und Vita machen dies jedoch wahrscheinlich. 348 Fehler statt MEDICI S.

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Einleitende Untersuchung

v ; inc.: »Breue Alexādri.vi.pont.Maximi ad Io.Picū Mirādulā Cōcordiæ Comitē || Dilecto filio nobili uiro Ioanni Pico Comiti Mirandulæ. || ALEXANDER PAPA .VI.«) an. Auf fol. kr beginnt der Traktat De ente et uno (fol. kr –n2v ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA DE ENTE ET VNO AD || ANGELVM POLITIANVM.«) nebst Obiectiones und Responsiones; auf fol. n2v dient als Übergang zur Oratio ein von Giovanni Francesco Pico verfasstes Geleitschreiben an die Leser (inc.: »Io. Franciscus Picus Mi.cō.co.lectori.S.D.«). Es folgt die Oratio (fol. n3r –or ; inc.: »ORATIO IOANNIS PICI MIRAN. CONCORDIAE COMITIS«), die nahtlos in die Sammlung der zwei Bücher Epistolae mündet (fol. or –v ; inc.: »EPISTOLARVM IO. PICI MIRAN. CON- || CORDIAE COMITIS. LIBER PRIMVS.«).349 Auf den Briefwechsel folgen die Duodecim regulae (fol. rr –rv ; inc.: »DVODECIM REGVLARVM EPITOMA AD BENE VIVENDVM.«), die Duodecim arma (fol. rv ; inc.: »Duodecim arma spiritualis pugnæ quæ in promptu haberi debent cum peccā || di libido mentem subdit [!]«) sowie die Duodecim conditiones amantis (fol. rv –v ), die von einigen als Eulogia bezeichneten Commendationes abgeschlossen werden (fol. v –v ). Die Disputationes adversus astrologos beginnen mit dem Prooemium (fol. s1r –s2r ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS IN || DISPVTATIONES ADVERSVS ASTROLOGOS. PROOEMIū.«); ihm folgt das Widmungsschreiben an Oliviero Carafa (fol. s2r –s2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo Patti [!] Oliuerio Carafæ epi || scopo Sabinensi/ Cardinaliq3 Neapolitano.S.«), das Geleitschreiben Giovanni Francesco Picos (fol. s2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula ueritatis amatoribus.«) sowie die Tabulae mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben der Bücher (fol. s3r – v ).350 Auf fol. r setzen die Disputationes adversus astrologos mit Buch 1 ein (inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE CONCORDIAE COMITIS DI || SPVTATIONVM ADVERSVS ASTRO. L. PRIMI INCIPIVNT.«) die auf fol. v enden; hier befindet sich auch ein Explicit: »Disputationum aduersus astrologos prædicendi diuinandiq3 faculta || tem profitentes Ioannis Pici Mirandulæ liber duodecimus explicit || nuper castigatissima lima emunctus atq3 curatus.« Auf das Explicit folgt das Kolophon: »Impressum Venetiis per Gulielmum de Fontaneto de Monteferra || to. Anno Domini .M.D.XIX.Die.XXII.Martii.«; den Abschluss bildet ein Registrum: »Registrum huius Operis. || A a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z

349 Auf fol. q1r heißt es fälschlicherweise »EPISTOLARVM LIBER PRIMVS« statt »SECVNDVS«. 350 Da diese im Gegensatz zu R und C in F vollständig sind, kann F kein direkter Nachdruck eines dieser beiden Drucke sein.

Beschreibung der Textzeugen

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|| & ? Ŗ A B C D E. || Omnes sunt quaterni prȩter r qui est duernus & A D E qui sunt quaterni.351 || Quint.XXV.Car.IIII« Es folgt das Prooemium, das Widmungsschreiben an Carafa (fol. v2v ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula Sacratissimo patri Oliuerio Ca= || rafæ Episcopo Sabinensi, Cardinaliq3 Neapolitano.Sal.«). Direkt daran anschließend folgt das Geleitschreiben Giovanni Francesco Picos (fol. v3r ; inc.: »Ioannes Franciscus Picus Mirandula veritatis amatoribus.«) Eingesehenes Exemplar: – London, Warburg Institute ACH 85 (Digitalisat).352 Dem Exemplar fehlt die erste Lage ›A‹, die das Titelblatt und die Vita Pici enthält. Darüber hinaus handelt es sich um ein schmuckloses Exemplar, welches keinerlei handschriftliche Anmerkungen o.Ä. enthält. 1.5.9 Druck O Der Druck O erschien 1557 in Basel als erster Band der Gesamtausgabe der Opera omnia von Giovanni Pico und Giovanni Francesco Pico della Mirandola.353

Basel: ex officina Henricpetrina (Heinrich Petri) 1557. 2°, [8] Bl. + [8] Bl. + 923 Bl., 41354 Z.355 Der Band besteht aus 79 Lagen, von denen die ersten beiden (mit * bzw. ᶍ 1–5 auf den ersten fünf recto-Seiten signiert – ausgenommen ist die Titelseite, deren Signatur fehlt) jeweils 8 Blatt zählen. Die folgenden 69 Lagen bestehen aus jeweils sechs Blättern; sie sind auf den jeweils ersten vier recto-Seiten signiert und mit den Buchstabenkombinationen ›A‹ bis ›Z‹, ›Aa‹ bis ›Zz‹ bzw. ›AA‹ bis ›ZZ‹ bezeichnet; 351 Verschreibung statt quinterni. Zur fehlenden vermutlich ersten Lage ›A‹ im eingesehenen Exemplar s.o. 352 Online unter http://warburg.sas.ac.uk/pdf/ach85b2394642.pdf (zuletzt abgerufen am 20.11.2021). 353 Im selben Jahr erschien in Venedig eine Gesamtausgabe der Werke Picos, die bei Hieronymus Scotus gedruckt wurde: IOANNIS PICI MIRANDULAE PHILOSOPHI, ACUTISSIMI, AC PLATONICAE DISCIPLINAE SECTATORIS PRAECIPUI OMNIA QUAE EXTANT OPERA ... Venetiis apud Hieronymum Scotum. MDLVII. Bei dieser von Girolamo Scotto besorgten Ausgabe handelt es sich indessen um einen – relativ fehlerhaften – Nachdruck von F. 354 Die ersten beiden Lagen haben 68 bzw. 53 Zeilen, der beigefügte Commento 64 Zeilen. 355 Zum Drucker Heinrich Petri (1508–1579), der aus der angesehenen gleichnamigen Druckerfamilie in Basel stammte und ab 1527 in Basel die Offizin seines Vaters übernahm und dort als Drucker wirkte, vgl. den INDEX TYPOGRAPHORUM EDITORUMQUE BASILIENSIUM der Universitätsbibliothek Basel (online unter https://www.ub.unibas.ch/itb/druckerverleger/heinrich-petri/ [zuletzt besucht am 19.11.2021]) sowie Heitz / Bernoulli (1895: S. XXIII [die Druckermarken ebd.: S. 52–57]) und Reske (2007: S. 70–71). Die Ausgabe darf nicht verwechselt werden mit der 1572 ebenfalls in Basel erschienen Ausgabe der Opera omnia Picos.

O

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Einleitende Untersuchung

dasselbe gilt auch für die folgenden sechs mit ›Aaa‹ bis ›Ggg‹ bezeichneten Lagen (die mit ›Fff‹ bezeichnete Lage ist allerdings nur vier Blatt stark, deren erste drei signiert sind). Die letzte mit ›Hhh‹ bezeichnete Lage besteht aus acht Blättern, deren erste sechs auf der recto-Seite signiert sind. Dies führt zu folgendem Schema: – / *2 / *3 / *4 / *5 / – / – / – / ᶍ / ᶍ 2 / ᶍ 3 / ᶍ 4 / ᶍ 5 / – / – / – / A / A2 / A3 / A4 / – / – / ... / Z / Z2 / Z3 / Z4 / – / – / Aa / Aa2 / Aa3 / Aa4 / – / – / ... / Zz / Zz2 / Zz3 / Zz4 / – / – / AA / AA2 / AA3 / AA4 / – / – / ... / ZZ / ZZ2 / ZZ3 / ZZ4 / – / – / Aaa / Aaa2 / Aaa3 / Aaa4 / – / – / ... / Fff / Fff2 / Fff3 / – / Ggg / Ggg2 / Ggg3 / Ggg4 / – / – / Hhh1 / Hhh2 / Hhh3 / Hhh4 / Hhh5 / Hhh6 / – / –. Der Titel des Werkes (auf fol. r ) lautet: »OPERA OMNIA || IOANNIS || PICI, MIRANDV || lae Concordiaeque comitis, Theologo- || rum & Philosophorum sine controversia, principis: Viri, siue || linguarum, siue rerum, & humanarum & diuinarum, || cognitionem spectes, doctrina & in= || genio admirando. || SVNT AVTEM HAEC QVAE AB || hoc auctore felicissimé scripta sunt ... Item Cabala Ioannis Reuchlini, ad intelligenda loca quaedam Pici, ma- || gno usui futura Lectori.« Darunter findet sich die Druckermarke der officina Henricpetrina: am oberen rechten Rand kommt die Hand (Gottes?) aus den Wolken und schlägt mit einem eisernen Hammer auf einen Felsen, aus dem Flammen schlagen; in der oberen linken Ecke taucht ein Gesicht aus einer Wolke auf und bläst Wind in die entstehenden Flammen. Dem folgt der Hinweis auf das Privileg »Cum Cæsareæ Maiestatis gratia || & priuilegio. || BASILEÆ«. Auf der Rückseite befindet sich das Geleitschreiben von Papst Alexander VI. nebst seiner Erklärung zur über Pico verhängten Zensur seines Vorgängers (inc.: »Censura Alexandri P.M.eius nominis || vi. operumq3 authoris à nonnullis, calumnijs im= || petitorum [!], defensio. || ALEXANDER SERVVS SER= || VORUM DEI DILECTO FILIO. NO= || bili uiro, Ioanni pico, Comiti Mirandulæ.«) Diesem Schreiben folgt ein Widmungsbrief von Johann Herold an Anton von Schaumburg, den Erzbischof von Köln, datiert auf den 25. März des Jahres 1557 (fol. *2r –*2v ; inc.: »ANTONIO ARCHIEPISCOPO COLO= || NIAE AGRIPPINAE. VII. VIRO PRINCI- || pi, Electori, Johannes Herold. S.«), anschließend die Vita Pici (fol. *3r –r ); auf der Rückseite v befindet sich eine Eulogie von Paolo Giovio (inc.: »Pauli Iouii Ioanne Pico || Mirandula Elogium.«).356 Die folgende Lage enthält den Index (fol. ᶍr –r ; inc.: »Rerum in opera Ioannis Pici Miran- || dulæ Index copiosissimus.«) sowie eine Liste von Errata (fol. r ; inc.: »ERRATA«); v ist leer. Die eigentlichen Werke Picos beginnen auf der folgenden Lage mit der Lorenzo de’ Medici gewidmeten Vorrede zum Heptaplus (fol. Ar –A3r ; inc.: »IOANNIS PICI MI- || randulæ in Heptaplum , [!] de Septiformi sex || dierum Geneseos enarratione, ad || Laurentium Medicem, || Præfatio.«), der Praefatio zum Heptaplus 356 Zum Historiker, Biographen und Schriftsteller Paolo Giovio (lat. Paulus Iovius [1483–1552]) vgl. insbes. Zimmermann, Price: Art. »Giovio, Paolo«, in: DBI 56, 2001, S. 430–440.

Beschreibung der Textzeugen

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(fol. A3r –r ; inc.: »IOANNIS PICI MI- || randulæ in Heptaplum, de opere || sex dierum Geneseos, ad Lectorem Prȩfatio.«) sowie dem Heptaplus selbst (fol. r –F1v ; inc.: »IOANNIS PICI Mi- || randulæ, de mundo elementari, Libri || primi, Expositionis primæ || Caput I.«), dem die entsprechende biblische Textpassage vorangestellt ist (fol. v ; inc.: »VERBA IPSA PRO || phetæ quæ exponenda susce- || pimus hæc sunt.«). Die daran anschließenden Conclusiones (fol. F2r –K3r ; inc.: »IOANNIS PICI || Mirandulæ, V C.Conclusiones, || DCCCC, quas olim Romæ di= || sputandas exhibuit.«) gehen nahtlos in die Apologia samt den dazugehörigen Conclusiones (fol. K3v –v ; inc.: »IOANNIS PICI || Mirandulæ & Concordiæ co- || mitis Apologia.«) über. Die Apologia wird von einem Widmungsschreiben an Lorenzo de’ Medici eingeleitet (fol. K3v ; inc.: »IOANNES PICVS MIRAND- || DVLA, LAVRENTIO MEDICIS.«). Mit der folgenden Lage beginnt die Schrift De ente et uno (fol. Xr –v ; inc.: »IOANNES PICVS || Mirandula, de Ente & Vno ad || Angelum Politia- || num. || PROŒMIUM.«), der sich die Oratio de hominis dignitate (fol. Ddr –Ee4r ; inc.: »DE HOMINIS DI- || gnitate, Ioannis Pici Mirandulæ || concordiæ Comitis || Oratio.«) nach einem kurzen Argumentum durch Giovanni Francesco Pico (fol. Ddr ; inc.: »IOANNIS FRANCISCI PICI MIRANDULAÆ IN || Orationem & Epistolas Ioannis Pici patrui, &c. || Argumentum.«) anschließt. Auf diese wiederum folgen die Regulae dirigentes (fol. Ee4v –r ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE, SPIRITVALIS PV- r gnæ, arma XII. quæ homo cum peccandi eum libido r tenet, in promptu habere debet«), die Duodecim arma (r –v ; inc.: »IOANNIS PICI || MIRANDVLAE REGULAE XII. || partim excitantes, patim [!] dirigentes homi= || nem in pugna Spirituali«), die Duodecim conditiones amantis (fol. v –Ffv ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDULAE DE DUO- || decim conditionibus amantis«) sowie die Deprecatoria ad Deum (fol. Ff2r –Ff2v ; inc.: »IOANNIS PICI MIRANDVLAE || Deprecatoria ad Deum.«). Auf diese religiösen Werke folgen die gesammelten Briefe (fol. FF2v –Kkv ; inc.: »IOANNES PICVS MIRANDVLA, IOANNI FRANCI= || sco ex fratre nepoti, S.in eo qui est uera salus.«) sowie die Testimonien (fol. Kkv –Mm2v ; inc.: »TESTIMONIA CELEBRATISSIMORVM VIRORVM, || uitæ, doctrinæ, & commentationum, Ioannis Pici Mi- || randulæ uarijs ex locis collecta.«) Die Disputationes beginnen mit dem Prooemium auf fol. Mm2r (fol. Mm2r – Mm3r ; inc.: »IOANNIS PICI || Mirandulæ Concordiæ Comi- || tis Disputationum, in || Astrologiam, || PROŒMIUM«), dem das eigentliche Hauptwerk folgt (fol. Mm3v –r ; inc.: »IOANNIS PICI || Mirandulæ Concordiæ Comi- || tis Disputationum in || Astrologiam, || LIBER PRIMVS.«) Sie werden vom Widmungsschreiben Giovanni Picos abgeschlossen (fol. r –v ; inc.: »IOANNES FRANCISCVS PICVS MIRANDVLA SACRA= || tissimo patri Oliuerio Carafæ Episcopo Sabinensi, Car- || dinaliq3 Neapolitano, S.«).

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Einleitende Untersuchung

Mit der folgenden Lage beginnt die Schrift De arte Cabalistica des Humanisten Johannes Reuchlin, die dem Band beigefügt ist (fol. QQr –r ; inc.: »SANCTISSIMO LE- || oni decimo Pontifici Maximo, Io- || hannes Reuchlin , [!] se sup|| plex commendat.«); nach dem verspätet eingefügten Brief Giovanni Francesco Picos an die Liebhaber der Wahrheit, der eigentlich zu den Disputationes gehört (fol. v ; inc.: »IOANNES FRANCISCVS PICVS MIRANDVLA || ueritatis amatoribus.«)357 folgt auf fol. Gggr der Commento (fol. Gggv –v ) zu einem Gedicht Girolamo Benivienis, dem eine Widmung des Blasius Bonacursius vorangestellt ist (fol. Gggr ; inc.: »BLASIVS, BONACVRSIVS, || Hieronymo Beniuenio amico suo || dilectissimo. S.«). Den Abschluss bildet eine Elegie Picos zu Ehren Benivienis in lateinischer und italienischer Sprache (fol. v –r ; inc.: »ELEGIA IOANNIS PICI MI- || randulæ adolescentis Egregij ad Floren- || tiam, in laudē Hieronymi Beniuenij || eius civis, qui nuper adolescēs || & ipse Buccolicum car- men edide- || rat.«). Auf der letzten Seite (fol. r ) befindet sich auch das Kolophon: »BASILEÆ PER HEINRI- || CVM PETRI. AN- || NO M.D.LVII.«. Auf der Rückseite prangt mittig erneut das oben beschriebene Druckerwappen des Heinrich Petri. Neben der durchgehend korrekten Lagenzählung beginnt mit fol. Ar eine Seitenzählung in arabischen Ziffern von 1 bis 923, die sich jeweils am oberen äußeren Rand einer Seite befindet; diese ist allerdings nicht ganz korrekt.358 Darüber hinaus finden sich auf allen Seiten Seitenreklamanten am äußeren, unteren Rand, direkt unter dem Haupttext, die jeweils die ersten Silben der kommenden Seite angeben. Eingesehenes Exemplar: – Giovanni Pico della Mirandola / Gian Francesco Pico: Opera Omnia (1557—1573), Tomus I. Con una introduzione die Cesare Vasoli, Hildesheim 1949 (Vorlage der Ausgabe ist das Exemplar Li 40, 410:1 der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel). Die Initialien und Versalien dieses Druckes sind durchgehend ausgeschmückt und mit Holzschnitten versehen, die florale Muster oder kleine (mythische?) Szenen darstellen.

357 Zur falschen Stelle für diesen Brief vgl. die Einleitung desselben (ebd.): »EPISTOLAM HANC; OPERVM OCCVPATIONE, NEGLE || ctam, cum disputationi in Astrologiam præponi debuisset hîc ap- || posuimus, ne lector careret, quod ad eos libros legen- || dos, illum instructiorem reddere posset.« 358 So beginnt z.B. nach Seite 900 die Zählung erneut bei 897.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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1.6 Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse »Aufgabe der Textkritik ist Herstellung eines dem Autograph (Original) möglichst nahekommenden Textes (constitutio textus).«359 Macht man diesen Grundsatz der für die Textkritik immer noch fundamentalen Darstellung von Paul Maas zu eigen, scheint die Herstellung eines verlässlichen Textes der Disputationes – oder zumindest eines Textes, der den Maas’schen Kriterien zufolge einem solchen so nahe wie möglich kommt – eine einfache Aufgabe zu sein: Angesichts des verlorenen Autographs beruht die gesamte weitere Überlieferung auf gedruckten Zeugen, deren Chronologie in der Regel durch Kolophone und andere Angaben zu Drucker und Veröffentlichungsdatum leicht zu erschließen ist.360 Trägt man der Tatsache Rechnung, dass die Editio princeps von 1496 zwar posthum erschien (und das immerhin nicht weniger als zwei Jahre nach dem Tod des Autors), andererseits aber von Giovanni Francesco Pico, dem Neffen und Vertrauten des Autors selbst, betreut wurde, der zur Anfertigung des Drucks das – im Anschluss leider verlorene – Autograph seines Onkels verwenden konnte, ergibt sich ein klares Bild der Abhängigkeiten, da doch alle späteren Ausgaben (sofern sie nicht aus dem Autorenexemplar oder dem Exemplar des Herausgebers schöpfen konnten) von der Editio princeps abhängig sein müssen.361 Dass Giovanni Francesco im Zuge der Entzifferung des beinahe unleserlichen und unfertigen Manuskriptes seines Onkels auch Änderungen vornahm, belegt er selbst in einem Schreiben an Battista Mantovano vom 01. Februar (1495?):362 359 Maas (1950: S. [Nr.1]). Ähnlich auch Huygens (2000: S. 37): »Try to trace the text as far back as possible – which is not the same as to its origin: the author.«. 360 Weitere Indizien für das Alter eines Druckes sind z.B. unterschiedliche Drucktypen oder Verzierungen beispielsweise von Initialien oder Versalien, die den zeitlichen Rahmen für das Entstehen eines gedruckten Werkes mit einiger Sicherheit abstecken können (Sekundärkriterien). Dass diese Chronologie trotz des im Verhältnis zur handschriftlichen Überlieferung relativ hohen Grades an Exaktheit nicht immer zuverlässig bestimmbar ist, zeigt der nicht sicher datierbare Druck G, der zwar – nicht zuletzt anhand der eben genannten Sekundärkriterien – mit relativer Gewissheit auf den Zeitraum zwischen 1496 und 1498 datierbar ist, anhand der Binde- und Trennfehler jedoch auch gewisse Abhängigkeiten zu V aufweist und somit zu einem sicher ins Jahr 1498 zu datierenden Druck. Zu weiteren Details zu diesem hinsichtlich seiner Abhängigkeitsverhältnisse komplizierten Druck siehe unten sowie die Beschreibung der Textzeugen oben S. 78. 361 Zu welchem Zeitpunkt das Autograph verlorenging, ist leider unklar. Dass Giovanni Francesco es noch vorliegen hatte, geht aus seiner im Widmungsschreiben an Kardinal Carafa (3) geäußerten Darstellung der Mühen der Wiederherstellung dieses Textes hervor; vgl. Kapitel 1.1 (S. 14). Zur Frage, ob die handschriftlichen Korrekturen in den Inkunabeln BB , BP und BF aus dem Manuskript oder einer Abschrift abgeschrieben wurden, vgl. Bacchelli (2004: S. XXVI–XXVII) sowie die textkritischen Untersuchungen in diesem Kapitel. 362 Pico (1969: II S. 1340); der Anfang des Schreibens ist ebenfalls abgedruckt bei Bacchelli (2008: S. 145); Bacchelli datiert das Schreiben kommentarlos auf den 01. Februar des Jahres 1495 (ebd.: »il 1 febbraio 1495 Giovan Francesco esultante poté comunicare a Battista Spagnoli la notizia che

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Einleitende Untersuchung

Nescio an magis tibi gratulor, an mihi gaudeam, quando disputationum Ioan(nis) Pici nostri adversus Astrologos ab exemplari liturato multasque in partes discerpto omnes pene libros eruerimus, de quibus recuperandis spem omnem evolutis temporis amiseramus, id tamen operis non sine, et mea, et Ioan. Mai(nardi) nostri praestantis Philosophi huic excerpendi muneri a me praefecti, et diligentia, et labore factitatum est, horum librorum lectione puto te non tam gavisurum quod pestem hanc bonis ingeniis pernitiosam patruus ille noster extinxerit, quam de Astrologorum vanitate forte risurum.

Auch wenn nicht ganz klar ist, welches genaue Vorgehen mit dem Ausdruck munus excerpendi bezeichnet werden soll, scheint es sich doch in jedem Fall um einen Prozess zu handeln, der über das ledigliche Entziffern des kaum lesbaren Textes hinausgeht.363 Ganz ähnlich verwendet Giovanni Francesco das Wort ebenfalls in einem undatierten Schreiben an Battista Mantovano:364 Heri paulo ante coenae tempus, dum inconficiendo [!] Dialogo nostro laborarem, quod post tuum discessum assidue molior, venit in mentem ut unum ex capitibus rerum earum, quas ex patrui commentarijs excerpsisti stylo digererem.365 Ratus te vel hoc ientaculo allici ad vorandum copiosius, et tam avidius, quam ea quae iam comedisti concoquenda et aliqua ex parte etiam concocta cognosceres: Primum desumpsi caput, hoc est, de discentium erroribus, quod cupiebam oratione splendescere, et si id ipsum ut volebam praestare nequiverim: Hesterno vesperi in exequendo negocio horae fere dimidium sum impartitus, hodie ante coenam ad vigesimam horam absolutum est: Congessi quicquid venit ad buccam, nec ad indagandos flosculos per latissimos illos eloquentiae campos spaciari idoneum tempus concessum il lavoro era finito«); vgl. auch Bacchelli (2004: S. IX) – dort aber vorsichtiger –: »lettera da Mirandola, in data ›Cal. Febr., 1495‹?«. Der Brief an sich ist lediglich auf den 01. Februar datiert (Pico 1969: II S. 1342): Vale, et Deum pro me, et tota familia supplex exorato. Mirandulae. Calen. Februa. [= Kalendis Februariis]. Möglich wäre theoretisch auch eine Datierung in das Jahr 1496 – dies scheint jedoch relativ knapp, angesichts der Tatsache, dass die Editio princeps im März bzw. Juli dieses Jahres erschien. 363 Das Verbum excerpere o.Ä. fehlt leider im »Lessico filologico degli umanisti« (Rizzo 1984; vgl. insbes. den Index ebd.: S. 350). Dass das lateinische Verbum excerpere im Sinne von ›Exzerpte anfertigen‹ verwendet werden kann, belegen beispielsweise Quintilian (inst. 9,1,24: fallit parum diligenter intuentes, quod inveniunt in omnibus iis locis figuras et earum exempla ex orationibus excerpunt) und Cicero (inv. 2,4: quod quisque scriptor commodissime praecipere videbatur, excerpsimus). Dass es sich hierbei immer auch um einen Prozess des bewussten Auswählens handelt, liegt auf der Hand. 364 Pico (1969: II S. 1299–1300); vgl. hierzu auch Bacchelli (2008: S. 146 mit Anm. 18), der das Schreiben vorsichtig auf Ende 1496 datiert (»probabilmente della fine del 1496«). 365 Die Junktur stilo digerere findet sich bereits bei Cassian (Cassian. inst. praef. 3); ähnlich bereits Macrobius (sat. 5,14,11) sowie Ambrosius (in Luc. praef. 7). Vgl. zum Verbum digerere i.S.v. ›neu anordnen‹ im Rahmen des humanistischen Literaturbetriebes auch Rizzo (1984: S. 307): »Con in codicem [...] digerere [...] e simili si indica anche l’opera di raccolta e ordinamento di opuscoli o lettere in forma del libro«; Bacchelli erklärt die Arbeitsaufteilung von Giovanni Francesco Pico und Giovanni Mainardi folgendermaßen (Bacchelli 2008: S. 145f.): »Manardi faceva il lavoro ingrato di raccapezzarsi alla meglio nella scrittura del Conte e di cavar fuori una prima copia che poi Giovan Francesco risistemava.«

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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est, videbis nihil omissum, praeterquam opinionem illam Socratis quae liquido etiam abs te extrahi non potuit, sed nihil ad rem, vel certe parum mea quidem sententia, addita cum multa, tum varia depraehendes, non tam ad orationis filum, resque ipsas explicandas quam ad eas augendas, et amplificandas. Illud ad te mittendum censui, ut si hoc ascribendi genus laudares ad reliqua exornanda amplificandaque capita animosiores facti alacriores, et dispositiores essemus, sin minus probares ascribendo edoceremur, quid opus esset facto, ut ad hanc navandam operam quam publicae utilitatis causa suscepimus instructiores, et doctiores evaderemus. Vale, tui valent.

Dass solch ein erratisches Manuskript der Gewohnheit seines Onkels keineswegs zuwiderlief, macht Giovanni Francesco ebenfalls in der Vita seines Onkels klar:366 Sed mors adveniens tot tantarumque vigiliarum laborem, et excultae lucubrationis partum inanem fere reddidit: hocque potissimum fuit in causa, ut plurimas quamquam magna ex parte exasseatas, et dedolatas, imperfectas commnetationes dereliquerit; quod scilicet sibi ipsi tantum, non autem nobis, scribebat. Nam sicut celeri in commentando ingenio, ita veloci inscribendo [!] manu fuit: Et cum antea pulcherrimos litterarum characteres deliniaret, factum erat, ut ex usu nimiae in commentando velocitatis, vix eorum, quae exarabat, capax existeret: Huc etiam et illuc scribere solitus erat. vetusta interdum, supervenientibus novis, oblitterans: ea propter exoleta quaedam et dispuncta repperi, quaedam saltim et vellicatim exarata, omnia denique adeo confusa et inordinata, ut sylvae, aut ferragines putarentur.

Gleich darauf kommt er auch auf die Disputationes zu sprechen (ebd.): ex libro septemplici, quem adversus hostes ecclesiae pertitulaverat, pars illa, quae divinaculos astrologos genethliacosque potissimum insectatur, Ab incude, ut dici solet, ad limam perducta fuit quam non parvo tamen labore, nec mediocri cura ab exemplari liturato, et pene discerpto deprompsimus.

Aus all dem wird evident, dass die Wiederherstellung der Disputationes durch Giovanni Francesco Pico in jedem Fall eine Um- bzw. Überarbeitung dieses Werkes bedeutet, die allerdings – sollte nicht unerwarteterweise das Autograph oder eine Abschrift in einer Bibliothek zu Tage kommen – in ihrem Umfang für uns vollkommen im Dunkeln liegt.367 Entsprechend scheint es auf den ersten Blick zunächst keineswegs unstatthaft, den Druck der Editio princeps von 1496 als den zuverlässigsten (da sicherlich ältesten) Textzeugen zu definieren und sich bei der Edition gänzlich auf diesen zu verlassen. Dass dieses methodische Vorgehen nach der Maxime vetustiores potiores in diesem speziellen Fall jedoch schnell an seine Grenzen stößt, wird evident

366 Picus (1496: fol. a5r ). 367 Bemerkenswert ist insbesondere die Aussage Giovanni Francescos, er habe nach Belieben ausgewählt (congessi quicquid venit ad buccam), was auf ein hohes Maß an Umarbeitung schließen lässt.

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Einleitende Untersuchung

anhand der Tatsache, dass der Druck so fehlerhaft war, dass bereits einigen Exemplaren dieses Buches eine Liste von zu verbessernden Fehlern als Errata corrige (BEC ) beigegeben wurde.368 Folgende Korrekturen wurden dabei in BEC für die Bücher eins bis vier der Disputationes vorgenommen:369 prooem. Gianfranc. 4 potissimumi] potissimum BEC prooem. 5 facit] facie BEC 1,1 didicerint] didicerunt BEC 1,4 in silendo] silendo BEC 1,4 aut in] in BEC 1,5 philosophos] populos BEC 1,26 inscribunEC tur] inscribunt B 1,27 execrabilius] execrabilibus BEC 1,36 affuerunt] abfuerunt BEC 1,46 tamen] tum BEC 1,48 spernit] sperat BEC 1,61 nihonen] mehonen BEC 1,61 putant] supputant BEC 1,61 ab EC …] ab … id est hona B 1,61 … chisem] … chesem BEC 1,69 libro De septem artibus quem] libro quem D. s. a. quem BEC 1,70 quibus] quos BEC 1,73 infelix] felix BEC 1,78 ibi] illi BEC 1,75 EC EC illud] illos B 2,1,3 tamen] tum B 2,1,3 quare] quia BEC370 2,1,4 valet] videlicet BEC 2,1,5 dissimilibus] similibus BEC 2,1,5 EC quandocumque] quandoque B 2,1,7 eum] cum BEC 2,2,1 dicit] diem BEC 2,2,3 quilibet] quibus BEC 2,2,11 corpori] corporis BEC EC 2,3,3 quare] quia B 2,4,5 habens] habentem BEC 2,4,7 profanEC da] profunda B 2,4,8 qua] quam BEC 2,4,11 tamen] tum BEC 2,4,12 Hiero.] Henrico BEC 2,5,3 transire] transiret BEC 2,5,7 meEC lius] medius B 2,5,13 vicibus] viribus BEC 2,6,3 quare] quia BEC 2,6,5 illius] illi BEC 2,6,6 probis] probris BEC 2,7,3 quem] EC quod B 2,7,7 hylegh. alia] hyleghialia BEC 2,9,1 Et si sani si veri] At sane si veri BEC 2,9,1 om. saepe] saepe add. BEC 2,9,1 numEC quam] quotiens B 2,10,2 quare] quia BEC 2,10,4 tamen] tam BEC 2,10,6 quae] quam BEC 3,1,1 quaestionem] quaestionem poEC puli B 3,1,4 tamen] tum BEC 3,1,4 deveniamus] deveniemus BEC 368 Zu diesem methodischen Vorgehen vgl. Bacchelli (2004: S. XXIV–XXV), der auch darauf hinweist, dass in der Aldina der Opera omnia Angelo Polizianos ähnlich vorgegangen wurde (vgl. ebd.: S. XXIV27 ). 369 Entgegen der in textkritischen Apparaten üblichen Schreibweise, sind die unterschiedlichen Drucke im Folgenden rein chronologisch angeordnet; dies bedeutet, dass nicht die jeweils erste angeführte Lesart der im Text aufgenommenen entspricht, sondern die Lesart der nicht korrigierten Editio princeps sich auf der linken Seite der Lemma-Klammer befindet, die »korrigierte« Variante aus BEC hingegen auf der rechten Seite. Über die Frage, welche Variante als »besser« gelten könne und daher in den textus constitutus aufgenommen werden müsse, wird an dieser Stelle keine Aussage getroffen. Diese formal ungewöhnliche Reihenfolge wurde gewählt, um an den Stellen für Kürze zu sorgen, an welchen ansonsten – für den jeweiligen Fall unnötige – Ergänzungen notwendig wären. Die Einträge entsprechen folglich nicht in jedem Fall den im Apparat zum konstituierten Text sich befindlichen Einträgen, da an vielen Stellen diejenigen Zeugen, die für den jeweiligen Fall keine weitere Aussagekraft haben, weggelassen wurden. 370 Dieser Fehler taucht häufiger auf. Allem Anschein nach hat der Drucker die Abbreviaturen für quia und quare in der Druckvorlage durcheinandergebracht; möglich wäre natürlich auch, dass sich in der Druckvorlage quare in idiosynkratischer Verwendungsweise anstelle von quia befand.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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3,2,12 quid] quidem BEC 3,2,12 lumine] et lumine BEC 3,2,14 alius] alias BEC 3,2,15 paratissimum] pacatissimum BEC 3,3,4 tamquam ] tam BEC 3,4,8 torqueant] torpeant BEC 3,4,27 cui] cum EC B 3,5,1 esse] etiam BEC371 3,5,7 aliquibus] aliqui BEC 3,6,1 ulis] universalis 3,6,6 effecundans] fecundans BEC 3,6,8 radiis] radii BEC 3,6,9 dum solvit] dissolvit BEC 3,6,10 materia] natura EC B 3,7,5 praeterea] prae BEC 3,9,8 an] aut BEC 3,6,10 vivunt est sed] vivunt est sed est BEC 3,6,70 in sideralium fluxuum] sideralium influxuum BEC 3,6,24 sensumque] sensuque BEC 3,11,6 caloEC re] calorem B 3,11,9 pervenienribus] pervenientibus BEC 3,12,3 situ] situs BEC 3,12,8 quod] et BEC 3,13,3 colligit] colligi BEC 3,13,6 sexquimenses] sexquimensem BEC 3,13,6 calefaceret] calefecerat BEC 3,13,25 fragilitatem] frigiditatem BEC 3,14,1 vera superstitione] citra superstitionem BEC 3,14,1 obsevari] observari BEC 3,14,6 largore] largiore BEC 3,15,2 at] ac BEC 3,15,4 praesentes] partes BEC 3,15,19 posthac] post hanc BEC 3,15,20 vigore] vigorem EC B 3,16,2 obliquioribus] obliqui orbis BEC 3,16,8 consumetur] consumatur BEC 3,16,12 viginti quattuor et horas viginti] viginti septem et horas octo BEC 3,16,12 cum] eum BEC372 3,16,13 decimaEC septima] vigintiseptem B 3,16,22 erit add. BEC 3,16,24 illis] illi BEC 3,16,28 quadrangulum] quadrangulari BEC 3,16,32 inest] inhaesit BEC 3,16,39 quadrangulis] quadrangulas BEC 3,16,40 indicium] iudicium BEC 3,16,45 trigona] tetragona BEC 3,16,45 Addequod] Ad quae BEC 3,16,47 non] omnino BEC 3,16,48 quae ternos] EC quaternos B 3,16,50 periculis] periodis BEC 3,16,52 diurnioresque] diuturnioresque BEC 3,16,61 si] sed BEC 3,17,2 cum] cur BEC 3,17,2 luna] lunae BEC 3,17,2 seu] sed BEC 3,19,3 haud] aut BEC EC EC 3,21,6 tacto] tanto B 3,21,8 et] ex B 3,21,9 suae] sive BEC EC 3,21,10 quam] igitur B 3,23,2 animus] animis BEC 3,23,5 craboEC numque] crabronumque B 3,24,2 sortiti] sortiri BEC 3,25,1 sub371 Aus den Angaben in BEC geht nicht hervor, ob dieses esse oder das in 3,4,31 gemeint ist; BB und BP ändern in 3,5,1, BF in 3,4,31. Anhand dieser Uneinigkeit lässt sich jedoch gut erkennen, dass die Korrektoren der Inkunabeln nicht etwa eine korrigierte Fassung des Textes zur Vorlage hatten, sondern lediglich eine Liste (BEC oder deren Vorlage?), da eine Uneinigkeit, welche Form von esse gemeint sei, nur auftreten kann, wenn man die Korrekturen aus einer Liste entnimmt, in der nur das zu korrigierende Wort isoliert von seinem Kontext angeführt ist – schwerlich hingegen ist ein entsprechender Irrtum möglich, wenn die Korrekturen aus einem korrigierten Exemplar vorgenommen werden, befinden sich die Worte – wenn auch auf der gleichen Seite – so doch keinesfalls in derselben Zeile. Der Irrtum lässt sich jedoch gut erklären, wenn man an die verhältnismäßig ungenaue Angabe in BEC denkt, die lediglich eine Seitenzahl angibt, die nicht einmal im Druck enthalten ist – hier findet sich lediglich die Lagenzählung. Vgl. hierzu auch Bacchelli (2004: S. XXV): »L’E.C. non era, però, sufficiente a emendare gli errata dell’edizione e del resto essa era costruita con un sistema che non sempre permetteva al lettore di riconoscere prontamente nelle pagine dell’edizione l’errore e di rettificarlo« (Hervorhebung: Bacchelli). 372 Auch hier korrigiert BF ein anderes cum.

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Einleitende Untersuchung limaria] sublunaria BEC 3,27,10 adversus] adversis BEC 3,27,13 astrologus] astrologos BEC 3,27,13 favore] favere BEC 4,1,10 non add. BEC 4,3,3 nec] nunc BEC373 4,3,5 cum add. BEC 4,3,10 EC pro qua] qua B 4,3,13 thematis] thema BEC 4,4,7 sive] suae BEC 4,4,19 sunt] sint BEC374 4,7,4 ille] illa BEC 4,7,2 adque] atque BEC EC EC 4,7,3 tum] ut B 4,8,3 mentes] mentis B 4,8,7 assentiret] assentient BEC 4,9,2 autem add. BEC 4,9,2 quod] et BEC 4,11,1 confirmata] confutata BEC 4,11,1 octavo] quinto BEC 4,11,3 videres] causas videas BEC 4,11,4 Hinc add. BEC 4,12,2 ipsa] ipsi BEC EC 4,12,2 tam] eam B 4,12,3 quod natura] quodnam BEC 4,12,3 quod movent habitu et quod positione movent quasi] quod movent habitu et positione quasi BEC 4,14,4 narrari] numerari BEC 4,14,4 sint add. BEC 4,14,6 afflaturum] afflatarum BEC

Schon diese stattliche Liste der erkannten und in den Errata corrige verbesserten Fehler zeigt, wie fehlerhaft der Druck der Erstausgabe war. Wann diese Fehler bemerkt wurden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen – die Tatsache aber, dass nicht alle Drucke die beigebundenen Seiten dieser Errata corrige enthalten, legt den Schluss nahe, dass der Umfang der Fehler erst im Laufe des Druckverfahrens oder zumindest kurz danach bemerkt wurde.375 Dennoch sollte diese beträchtliche Zahl an Korrekturen nicht ausreichen; in diesem Sinne wurden in einigen gedruckten Ausgaben der Editio princeps weitere handschriftliche Korrekturen vorgenommen, um die – vermutlich mehr oder weniger erlauchte – Leserschaft dieser speziellen Exemplare nicht mit unnötigen Fehlern zu behelligen.376 Interessanterweise findet sich genau diese Art der Korrektur auch bei einem früheres Werk Giovanni Picos, nämlich in der 1487 gedruckten Apologia:377 Bei diesem Werk lassen sich 17 handschriftliche Korrekturen in allen bekannten Exemplaren der Editio princeps nachweisen, die Paolo

373 Auch an dieser Stelle gab es Uneinigkeit, ob dieses nec oder das in 4,3,2 gemeint sei. 374 Auch an dieser Stelle korrigieren die korrigierten Inkunabeln ein anderes sunt (4,4,18). Aus den Angaben bei BEC geht auch an dieser Stelle nicht sicher hervor, welches sunt gemeint ist. Die Errata corrige beziehen sich lediglich auf die betreffende Seite »57«, womit sowohl r , wo sich die erste Stelle befindet, als auch v , wo die zweite Erwähnung von sunt ist, gemeint sein können (die handschriftliche ergänzte Zählung am Rand von BB zählt diese Seite allerdings als »58«). 375 Vgl. hierzu auch Bacchelli (2004: S. XXV). 376 Wenigstens in einem Fall, BP , befand sich das Exemplar sicher im Besitz einer bedeutsamen Persönlichkeit, nämlich des Alberto Pio da Carpi. Vgl. auch Bacchelli (2004: S. XXV): »Giovan Francesco provvide a far correggere a penna, probabilmente dai suoi segretari, alcuni degli esemplari che dovevano essere inviati a personaggi illustri e a lettori di riguardo.« Ein ähnliches Vorgehen lässt sich ebenfalls bei Angelo Poliziano nachweisen, vgl. ebd.: S. XXV30 . 377 Neapel: [Francesco del Tuppo], 1487 (Hain 13000; GW M33291).

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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Edoardo Fornaciari in seiner Ausgabe der Apologia systematisch in drei verschiedene Kategorien aufteilt (vgl. Fornaciari 2010: S. LXIX):378 1. Ein durchgestrichenes Wort im Text sowie eine Korrektur am Rand (zehn Korrekturen). 2. Ein oder mehrere korrigierte Buchstaben innerhalb des gedruckten Textes (fünf Korrekturen). 3. Ein hinzugefügtes Wort am Rand mit entsprechendem Verweis im Text (zwei Korrekturen). Alle diese Formen handschriftlicher Korrekturen sind auch in einigen Exemplaren des zweiten Bandes der Gesamtausgabe der Werke Giovanni Pico della Mirandolas zu finden: Entsprechende Verbesserungen lassen sich für die Disputationes in drei unterschiedlichen Inkunabeln der Editio princeps nachweisen, einem Exemplar, welches heute in Bologna liegt (BB ), einem Druck aus der Biblioteca Palatina in Parma (BP ) sowie einer Inkunabel aus der Nationalbibliothek in Florenz (BF ). Ein eingehender Vergleich der unterschiedlichen Korrekturen dieser Exemplare zeigt, dass nicht in allen drei Inkunabeln dieselben Korrekturen vorgenommen wurden, obschon es an vielen Stellen Überschneidungen gibt.379 So haben BB und BP folgende Korrekturen gemeinsam, die sich nicht – oder in anderer Form – in BF bzw. BEC finden lassen:380 prooem. 4 mathematico BBF BEC : mathematicos BB BP 1,9 tamen BBEC : tamen del. BB BP : tam ex corr. BF 1,12 etiam BBF BEC : et BB BP 1,39 indica BBF BEC : iudica BB BP 1,54 referunt BBF BEC : reB P F EC fert B B 1,70 astrolabium BB B : astrolabium de BB BP 2,2,12 F EC sufficienter BB B : sufficienter demonstratum BB BP 2,5,11 reveretur BBF BEC : revereatur BB BP 2,5,12 huic BBF BEC : hinc BB BP 2,5,12 Ecclesiastici BBF BEC : Ecclesiastis BB BP 2,6,8 quare BBF BEC : quia BB BP 2,8,5 horoscopo in deligendo BBF BEC : in horoscopo deligenB P do B B 2,9,9 Attendalus BBF BEC : Attendolus BB BP381 2,10,2 deliniassem BBF BEC : delineassem BB BP 3,2,15 credantur BBF BEC : 378 Vgl. Fornaciari (2010: LXIX): »Graficamente, le correzioni sono di tre tipi: un primo di 10 correzioni in margine con cancellazione del testo a stampa da correggere; il secondo è composto di 5 cancellazioni di lettere e correzioni entro il testo; il terzo infine si compone di 2 aggiunte in margine con segno di rinvio nel testo.« Ein tabellarischer Überblick über die einzelnen Fehler sowie deren Zuordnung zu einer der jeweiligen Kategorien findet sich ebd.: S. LXX. 379 Auf einige Abweichungen weist bereits Bacchelli (2004: S. XXV32 ) hin. 380 Werden hierbei B und eine der verbesserten Inkunabeln bzw. die Errata corrige zusammen angeführt, heißt das, dass an dieser Stelle keine Verbesserung vorgenommen wurde. Insbesondere bei BEC findet sich in diesem Fall also streng genommen kein Eintrag zur entsprechenden Stelle; diese – methodisch daher nicht ganz korrekte – Form der Darstellung dient jedoch der besseren Übersicht. 381 BP hat an dieser Stelle zusätzlich den Marginaltitel korrigiert, was in BB nicht erfolgte.

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Einleitende Untersuchung credatur BB BP 3,4,15 universos BBF BEC : universo BB BP 3,4,19 aetheris BBF BEC : aetheri BB BP 3,4,25 vaticiniis *** BBF BEC : vaticiniis BB BP 3,5,7 aliquibus B : aliquid BB BP : aliqui BF BEC 3,12,4: F EC quide BB B : quidem BB BP 3,12,8 pertinent BBF BEC : pertinet BB BP 3,13,10 mentagram BBF BEC : mentagra BB BP 3,13,27 in F EC via BB B : invia BB BP 3,14,3 Per bella BBF BEC : Perbella BB BP 3,16,6 is BBF BEC : his BB BP 3,16,25 quartadecimaeiplena BBF BEC : B P quartadecimae plena B B 3,16,60 observaudos BBF BEC : observanB P dos B B 3,17,20 diuturrnius BBF BEC : diuturnius BB BP 3,18,4 credderetur BBF BEC : crederetur BB BP 3,21,11 praesertim del. BB BP 3,23,2 astroolgos BBF BEC : astrologos BB BP 3,25,17 Atque BBF BEC : Atqui BB BP 3,26,10 victum BBF BEC : vinctum BB BP382 3,27,16 scitet BBF BEC : sciret BB BP 4,1,10 quin BBF BEC : quando BB BP 3,2,17 diffitebit BBF BEC : diffitebitur BB BP 4,3,5 latebraque BBF BEC : latebramque BB BP 4,3,14 factum BBF BEC : fatum BB BP 4,3,15 deberF EC et BB B : debere BB BP 4,6,5 derivatum BBF BEC : derivatam BB BP 4,7,5 sive BBF BEC : sine BB BP 4,7,7 perceperunt BBF BEC : praeceperunt B P B B 4,8,7 assentiret B : assentiant BB BP : assentient BF BEC 4,9,5 condicione BBF BCorr : condicionem BB BP 4,11,1 octavo capite B : supra BB BP : quinto capite BF BEC 4,11,4 mutuetur BBF BEC : mutuentur BB BP F EC 4,12,1 praeter volando BB B : praetervolando BB BP 4,12,2 concedimus BBF BEC : concedamus BB BP 4,12,3 reliqua BBF BEC : aliqua BB BP 4,12,9 fet BBF BEC : fiet BB BP 4,14,2 credit BBF BEC : credunt BB BP 4,16,1 nulla BBF BEC : ulla BB BP

Hierzu gehört auch 4,4,15 wo lediglich BB und BP (nicht aber BF und BEC ) Korrekturen des gedruckten Textes aufweisen, wobei diese allerdings voneinander abweichen: 4,4,15 aut in infinitum BBF BEC : in infinitum BB : aut infinitum BP

Anhand dieser zahlreichen Korrekturen wird klar, dass BB und BP an vielen Stellen dieselbe (oder zumindest eine ähnliche) Korrektur vornehmen, die so weder in der dritten korrigierten Inkunabel BF auftritt noch in den Errata corrige. Bei diesen Korrekturen handelt es sich an vielen Stellen um Verbesserungen mehr oder minder offensichtlicher Druck- bzw. Schreibfehler;383 an anderen Stellen hingegen werden Fehler verbessert, deren Fehlergenese zwar paläographisch erklärbar ist, aber weniger offensichtlich und daher ein einigermaßen gründliches Lesen oder ein gerüttelt Maß an Textkenntnis voraussetzt.384

382 Es handelt sich um ein Gellius-Zitat (14,1,4); an dieser Stelle findet sich dort ebenfalls vinctum. 383 So zum Beispiel in 4,12,9 fiet statt fet oder 3,12,4 quidem statt quide. 384 Hierzu zählt beispielsweise 4,1,10 quando statt quin oder aliqua statt reliqua in 4,12,3.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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Trägt man dem Umstand Rechnung, dass in den oben genannten Fällen in BB und BP eine erkleckliche Anzahl Verbesserungen vorgenommen wurde, welche nicht in BEC aufgelistet sind, wird klar, dass die handschriftlichen Verbesserungen in diesen beiden Exemplaren der Editio princeps nicht – oder zumindest nicht allein – die Errata corrige zur Vorlage haben können. Dies bedeutet, dass die Korrekturen in diesen beiden Exemplaren entweder (I) aus mehreren Vorlagen – darunter BEC sowie eine weitere Liste an Korrekturen (k) – zusammengetragen wurden, wobei diese von einer ursprünglichen – existenten oder gedachten – Liste von corrigenda (K) abhängig wären; oder die zweite Option (II) wäre, dass beide, sowohl BEC als auch die handschriftlich korrigierten Inkunabeln BB und BP , auf ein gemeinsames Korrekturexemplar (k) zurückzuführen sind, welches jedoch in jedem Fall nur teilweise übertragen wurde.385 Stemmatisch lassen sich diese Möglichkeiten folgendermaßen schematisieren:

385 Theoretisch könnte auch die eine handschriftlich verbesserte Inkunabel aus der anderen abgeschrieben worden sein.

112

Einleitende Untersuchung

I K

k

BEC

BB BP

II k

BEC BB BP Eine eindeutige Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten erscheint schwierig; gegen I. spricht aber, dass es im Gegenzug auch einige wenige Korrekturen, gibt, die BF und BEC gemeinsam sind, die aber keine Aufnahme bei BB und BP gefunden haben – sie können schwerlich aus BEC in die handschriftlich korrigierten Exemplare übernommen worden sein, es sei denn, sie sind in BB und BP schlicht übersehen worden: 1,4 in silendo BBB BP : silendo BF BEC 1,61 putant BBB BP : supputant F EC B P F EC B B 2,10,4 tamen BB B : tam B B 3,7,6 praeterea BBB BP : F EC B P prae B B 3,13,6 calefaceret BB B : calefecerat BF BEC

Ein einziges Mal findet sich auch in BEC eine Korrektur, die in keiner der handschriftlich korrigierten Inkunabeln zu finden ist: 2,4,8 qua BBB BP BF : quam BEC

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

113

Daneben gibt es auch Fälle, in welchen lediglich eines der beiden Exemplare, BB oder BP , korrigiert wurde, während im anderen Band keine Korrektur vorhanden ist; hierzu zählen vor allem:386 prooem. 7 calliget B : caliget BP 1,15 Assia B : Hassia BP 2,2,12 B Quodsi B : Et si B 2,3,6 non bilis sed pituitae B : pituitae non bilis BB 2,5,7 caecutirent B : caecutirent, ut BP 3,16,11 soliis B : Solis P B 3,27,14 *** B : Academicus BP 4,3,8 serum B : secum BB

Obschon BB und BP also viele Korrekturen gemeinsam haben, stimmen sie auch in einigen Änderungen nicht überein. Dass es sich hierbei in erster Linie um die Korrektur offensichtlicher Schreib- bzw. Druckfehler handelt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass beide zwar aus ein und derselben Korrekturvorlage verbessert wurden, darüber hinaus jedoch einige Fehler, die sich nicht in der gemeinsamen Vorlage fanden, bei der kritischen Sichtung en passant verbessert wurden; möglich wäre auch, dass eine gemeinsame Vorlage (k?) die Verbesserungen zwar enthielt, diese jedoch in jeweils einem der beiden Exemplare übersehen wurden. Die verhältnismäßig große Anzahl gemeinsamer Korrekturen dieser beiden handschriftlich korrigierten Exemplare lässt in jedem Fall den Schluss zu, dass beide aus derselben Vorlage korrigiert wurden. An einigen Stellen korrigiert indessen auch BEC in Übereinstimmung mit BB und BP gegen BF : 2,7,7 hylegh. alia BBF : hyleghialia BB BP BEC 2,10,2 quare BBF : quia B P EC B B B 4,12,3 habitu et quod positione movent quasi B : habitu et positione quasi BB BP BEC : habitu et positione movent quasi BF

Hier handelt es sich also um Korrekturen, die in BB BP sowie BEC vorgenommen wurden, in BF jedoch entweder vergessen – so geschehen vermutlich in 2,7,7 – oder nicht vollständig ausgeführt wurden.387 Sehr selten, namentlich bei Ergänzungen hebräischer Worte, die sich lediglich in BB finden, steht BEC mit BF gegen die beiden anderen Inkunabeln, während diese unterschiedliche Varianten bieten:388 386 Auf die Angabe der übrigen Drucke mit Korrekturen, insbesondere BF und BEC , die sich mit der Lesart der unkorrigierten Editio princeps B decken, wurde hier verzichtet. 387 Um diesen zweiten Fall handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach in 4,12,3, wo BF zwar das falsche quod athetiert, nicht jedoch das ebenfalls falsche Verb movent. 388 Könnte es sich hier um einen Hinweis handeln, dass der Korrektor von BB des Hebräischen mächtig war, während es sich bei dem Korrektor der anderen Inkunabeln um einen (oder mehrere?) andere Schreiber handelte? Bacchelli mutmaßt, es könnte sich um Sekretäre Giovanni Francesco Picos gehandelt haben – vgl. Bacchelli (2004: S. XXV): »Per questo Giovan Francesco provvide a far correggere a penna, probabilmente dai suoi segretari« – und verweist auf einen ähnlichen Fall bei Giovanni Francesco Pico (vgl. ebd.: S. XXV29 ).

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Einleitende Untersuchung 1,61 …nihonen B : ‫ ְמעו ֺוֵ ן‬id est mehonen BB : …id est mehonen BP : … mehonen BF BEC 1,61 chisem B : ‫ ֶק ֶסם‬id est chesem BB : …id est chesem BP : F EC …chesem B B

In einigen wenigen Fällen deckt sich nur eine der handschriftlich verbesserten Inkunabeln mit den Korrekturen aus BEC , während die anderen eine andere Form der Änderung bieten oder nicht korrigiert sind. Zu diesen Fällen zählen: 2,9,1 Et si sani si veri BBB : At sane si veri BP BEC : At sani si veri BF 3,10,6 vivunt est sed B : vivunt sed est BP BF : vivunt est sed est BB BEC 3,16,61 si in materia BBB : sed in materiam BP : sed in materia BF BEC

In den folgenden Fällen hingegen finden sich die Korrekturen von BEC auch in zwei der handschriftlich korrigierten Exemplare, während das dritte keine Korrektur vornimmt: prooem. 5 facit BBP : facie BB BF BEC 1,48 spernit BBP : sperat BB BF EC B 1,61 ab …B : ab ‫ עו ֺנֵ ה‬id est hona BB : ab …id est hona BP BF BEC 2,1,7 eum BBB : cum BP BF BEC 2,5,3 transire BBP : transiret BB BF BEC P B F EC 2,9,1 numquam BB : quotiens B B B 3,1,4 deveniamus BBB : deveP F EC P niemus B B B 3,6,1 ulis BB : universalis BB BF BEC 3,6,8 raP B F EC diis BB : radii B B B 3,6,9 dum solvit BBP : dissolvit BB BF BEC 3,6,10 materia BBP : natura BB BF BEC 3,12,3 situ BBB : situs BP BF BEC P B F EC 3,15,20 vigoreBB : vigorem B B B 3,16,40 indicium BBP : iudiB F EC B cium B B B 3,27,13 favore BB : favere BP BF BEC 4,8,3 menP B F EC tes BB : mentis B B B 4,11,1 confirmata BBB : confutata BP BF BEC 4,11,3 quod natura BBP : quodnam BB BF BEC

Hierzu gehört auch der folgende Fall, in welchem die in BEC vorgenommene Korrektur in BB und BF missverstanden wurde, in BP hingegen fehlt: 3,6,6 effecundans BBP : secundans BEC : fecundans BB BF

In summa wird deutlich, dass BB und BP mehr Gemeinsamkeiten miteinander aufweisen als mit BF . Es spricht daher einiges dafür, dass diese beiden gemeinsam verbessert wurden. Darüber hinaus gibt es jedoch sehr viele Fälle, in denen die drei handschriftlich verbesserten Inkunabeln in ihren Korrekturen übereinstimmen, in der überwiegenden Mehrheit aller Fälle in Übereinstimmung mit den Korrekturen der Errata corrige – die Übereinstimmung aller drei handschriftlich verbesserten Inkunabeln mit BEC wird im Apparat als BCorr bezeichnet: disp. epist. 4 potissimumi B : potissimum BCorr 1,1 didicerint B : didicerunt BCorr 1,4 aut in B : in BCorr 1,5 philosophos B : populos

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

115

BCorr 1,23 inscribuntur B : inscribunt BCorr 1,27 execrabilius B : execrabilibus BCorr 1,36 affuerunt B : abfuerunt BCorr 1,46 tamen B : tum BCorr 1,64 blasphemiam B : blasphemam BCorr 1,70 quibus B : quos BCorr 1,73 infelix B : felix BCorr illud B : illos BCorr 2,1,3 tamen B : tum BCorr 2,1,3 quare B : quia BCorr 2,1,4 valet B : Corr videlicet B 2,1,5 dissimilibus B : similibus BCorr389 2,1,5 quandocumque B : quandoque BCorr 2,2,1 dicit B : diem BCorr 2,2,3 quibus B : quilibet BCorr 2,2,11 corpori B : corporis BCorr 2,4,5 habens B : habentem BCorr 2,4,7 profanda B : profunda BCorr 2,4,11 Corr tamen B : tum B 2,4,12 Hiero. B : Henrico BCorr 2,5,7 melius B : medius BCorr 2,5,13 vicibus B : viribus BCorr 2,6,3 quare B : quia BCorr 2,6,5 illius B : illi BCorr 2,6,6 probis B : probris BCorr 2,7,3 quem B : quod BCorr 2,9,1 erectas B : erectas saepe Corr B 2,10,6 quae B : quam BCorr 3,1,1 quaestionem B : quaestionem populi BCorr 3,1,4 tamen B : tum BCorr 3,2,12 quid B : quiCorr dem B 3,2,12 motu B : motu et BCorr 3,2,14 alias B : alius BCorr 3,2,15 paratissimum B : pacatissimum BCorr 3,3,4 tamquam B : tam BCorr 3,4,8 torqueant B : torpeant BCorr 3,4,27 cui B : cum BCorr 3,9,8 an B : aut BCorr 2,10,7 in sideralium fluxuum B : sideralium influxuum BCorr 3,10,24 sensumque B : sensuque BCorr 3,11,6 calore B : calorem BCorr 3,12,8 quod B : et BCorr 3,13,3 colligit B : colligi BCorr 3,13,25 fragilitatem B : frigiditatem BCorr 3,14 (Tit.) vera superstitione B : citra superstitionem BCorr 3,14,6 largore B : largiore BCorr 3,15,2 at B : ac BCorr 3,15,4 praesentes B : partes BCorr Corr 3,16,2 obliquioribus B : obliqui orbis B 3,16,8 consumetur B : consumatur BCorr 3,16,12 viginti quattuor et horas viginti B : viginti septem et horas octo BCorr 3,16,13 decimaseptima B : vigintiseptem BCorr Corr 3,16,22 hic B : erit hic B 3,16,24 illis B : illi BCorr 3,16,28 quaCorr drangulum B : quadrangulari B 3,16,39 qudrangulis B : quadrangulas BCorr 3,16,45 Adde quod B : Ad quae BCorr 3,16,47 nonB Corr : omnino B 3,16,48 quae ternos B : quaternos BCorr 3,16,50 periculis B : periodis BCorr 3,16,52 diurnioresque B : diuturnioresque BCorr 3,17,2 cum B : cur BCorr 3,17,2 luna B : lunae BCorr 3,17,2 Seu 389 Vielleicht handelt es sich bei diesem Fall um eine falsche Korrektur; an dieser Stelle ist eine Änderung zu similibus nämlich ausgeschlossen, da es sich hierbei um ein Zitat handelt – ein Blick in die zitierte Vorlage der Apotelesmatika des Ptolemaios macht deutlich, dass das in B befindliche dissimilibus korrekt ist, findet sich doch ebendort (apotel. 1,2,16): ὡς διὰ τοῦτο καὶ τὰς προρρήσεις ἀνομοίων ὄντων τῶν ὑποκειμένων παραδειγμάτων… Dies beweist, dass die Korrekturen zumindest an dieser Stelle nicht mit der Zitat-Vorlage abgeglichen wurden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine Verwechslung handelte, da sich bereits etwas weiter oben dieselbe Wortform dissimilibus findet, wenn es heißt (2,1,4): quae quasi confusa ex multis inter se dissimilibus est atque ex antiquis errantium siderum figuris aspectibusque dependet, gelangt man zum selben Schluss, da auch an dieser Stelle – auch hier handelt es sich um ein Ptolemaios-Zitat (apotel. 2,1,15) – ἀνομοίων in der Vorlage steht. Tatsächlich ist die ›Korrektur‹ nur durch ein oberflächliches Überfliegen des Textes erklärbar.

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Einleitende Untersuchung B : Sed BCorr 3,19,3 aut B : haud BCorr 3,21,6 tacto B tanto BCorr 3,21,8 et B : ex BCorr 3,21,8 suae B sive BCorr 3,21,10 quam B : igitur BCorr 3,23,2 animus B : animis BCorr 3,23,5 crabonumque B : crabronumque BCorr 3,24,2 sortiti B : sortiri BCorr 3,25,1 sublimaria B Corr : sublunaria B 3,27,10 adversus B : adversis BCorr 3,27,13 astrologus B : astrologos BCorr 4,1,10 non add. BCorr 4,3,3 nec B : nunc BCorr 3,3,5 cum add. BCorr 4,3,10 pro qua B : qua BCorr 4,3,13 Corr thematis B : thema B 4,4,7 sive B : suae BCorr 4,4,7 si add. BCorr 4,7,4 ille B : illa BCorr 4,8,2 adque B : aque BCorr 4,8,3 tum B : ut Corr B 4,9,2 autem add. BCorr 4,9,2 et B : quod BCorr 4,11,3 videres B : causas videas BCorr 4,11,4 Hinc add. BCorr 4,12,2 ipsa B : ipsi BCorr 4,12,2 tam B : eam BCorr 4,14,4 narrari B : numerari BCorr 4,14,4 sint add. BCorr 4,14,6 afflaturum B : afflatarum BCorr

Diese große Zahl gemeinsamer Korrekturen kann als sicheres Indiz dafür gelten, dass alle Korrekturen auf ein und dieselbe Korrekturvorlage (K) zurückzuführen sind, die die jeweils korrekten Lesarten enthielt. Sehr selten hingegen stehen die drei handschriftlich korrigierten Exemplare auch gegen die Verbesserungen in BEC und bieten eine andere Form der Korrektur: 1,69 libro quem De septem artibus quoniam B : libro D. s. a. quem BB BP BF : libro quem D. s. a. quoniam BEC

Auch hier könnte es sich um einen schlichten Flüchtigkeitsfehler während der Korrekturphase handeln. Hierzu zählen umgekehrt auch solche Fälle, in denen eine Korrektur in BEC fehlt, die hingegen in den handschriftlich korrigierten Inkunabeln vorliegt; dies ist bei folgenden Textstellen der Fall: 1,75 ant BBEC : aut BB BP BF 2,5,1 quae BBEC : quam BB BP BF 3,14 EC (Tit.) obsevari BB : observari BB BP BF 4,11,2 disputavimus BBEC : disputabimus BB BP BEC

Anhand des oben Dargestellten wird evident, dass die handschriftlich vorgenommenen Korrekturen nicht (nur) die Errata corrige als Vorlage gehabt haben können, finden sich doch einige Korrekturen, in denen zwei oder mehr handschriftlich verbesserte Inkunabeln miteinander übereinstimmen und Korrekturen enthalten, die sich jedoch nicht in BEC finden lassen. Andererseits gibt es eine erkleckliche Anzahl an Korrekturen, die allen Korrekturexemplaren gemeinsam sind, sodass eine gemeinsame Quelle für alle Korrekturen als sicher angenommen werden kann. Darüber hinaus gibt es wiederum Diskrepanzen der korrigierten Exemplare untereinander, die belegen, dass jedenfalls BF nicht aus einem korrigierten Buch, sondern aus einer Liste Korrekturen übernahm, die den Errata corrige ähnlich

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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gewesen sein muss und vermutlich auch nur eine Seitenangabe enthielt;390 dies würde bedeuten, dass es entweder für (alle?) Korrekturen eine gemeinsame Liste (K) gab, die es aber in ihrer Gesamtheit in keines der Exemplare geschafft hat, sondern in allen teilweise enthalten ist. Möglich wäre auch, dass die Fehler, die in den Errata corrige korrigiert werden, noch während der Druckphase oder kurz danach bei einer kritischen Durchsicht des Buches bemerkt wurden und die Errata corrige daher in noch nicht verkaufte Exemplare eingebunden wurden. Bei einem erneuten Abgleich mit der Druckvorlage wurden hingegen weitere Fehler bemerkt, die dann in handschriftlicher Form verbessert wurden, wobei einige – aber nicht alle – der in den Errata corrige verbesserten Fehler ebenfalls mit aufgenommen wurden. Dass die Errata corrige zweifellos früher als die handschriftlichen Korrekturen entstanden sein müssen, liegt auf der Hand: Anderenfalls müsste es bedeuten, dass zunächst einige Exemplare der Inkunabel handschriftlich verbessert wurden, da diese Verbesserungen aber nicht ausreichten, eine gedruckte Liste mit Errata corrige in die Bücher ex post mit eingebunden wurde, die ihrerseits einen Teil der handschriftlichen Korrekturen wieder aufnimmt – ein unpraktisches und schwer vorstellbares Prozedere. Darüber hinaus gehen zumindest die beiden Inkunabeln in Bologna und Parma mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf ein gemeinsames Exemplar (k) zurück, sodass man annäherungsweise von folgender stemmatischer Darstellung ausgehen kann: K

BEC BF

k

BB BP Dass BF entweder aus einer anderen Vorlage verbessert wurde oder zumindest mit weniger Aufmerksamkeit, ergibt sich aus einigen Stellen, an denen BF eine in BEC vorhandene Korrektur an einem anderen Wort (bzw. an dem gleichen Wort an anderer Stelle) vornimmt, als es in BB und BP der Fall ist; dies deutet darauf 390 In dieselbe Richtung deuten die handschriftlich ergänzten Seitenzahlen in arabischen Ziffern in BB und BP , die zwar in beiden Exemplaren nicht korrekt abgezählt wurden, sich aber dennoch zumindest teilweise mit den in BEC angegebenen Seitenzahlen decken.

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Einleitende Untersuchung

hin, dass die Korrekturen keineswegs aus einem verbesserten Exemplar vorgenommen wurden, insbesondere in den Fällen, in denen die Korrektur sogar auf der Rück- bzw. Vorderseite vorgenommen wurde und somit auf einer anderen Seite als BB und BP . Entstammten die Korrekturen einem verbesserten Exemplar, ließe sich ein entsprechender Irrtum kaum erklären; bedenkt man aber, dass z.B. BEC lediglich die Seitenzahl angibt, die nicht einmal in den Drucken angegeben ist, und diese auch nicht nach recto- und verso-Seite differenziert, scheint es nicht abwegig davon auszugehen, dass die handschriftlichen Korrekturen einer mit BEC vergleichbaren Liste entnommen worden, die sich allerdings nicht komplett mit BEC deckte. Bei den abweichenden Korrekturen handelt es sich um folgende Stellen:391 1,75 ibi] illi BF || 1,78 ibi BBF : illi BB BP BEC 2,10,2 quare BBF : quia BB BP BEC || 2,10,3 quare] quia BF 3,4,31 esse] etiam BF || 3,5,1 esse BBF : etiam BB BP BEC 3,15,12 hoc] hanc BF || 3,15,19 posthac BBF : post hanc B P EC B B B 3,16,12 cum BBF : eum BB BP BEC || 3,16,12 cum] eum BF 3,16,54 quare BBF : quia BB BP BEC || 3,16,56 quare] quia BF 4,4,16 sunt] sint BF || 4,4,18 sunt BBF : sint BB BP BEC

Ein ähnlicher Fall liegt vor in 3,16,32, wo BP , BF und BEC die in B gebotene Lesart inest zu inhaesit ändern, während BF das zwei Worte weiter vorne stehende quam athetiert und inhaesit am Rand notiert: 3,16,32 quam] inhaesit BF || inest BBF : inhaesit BP BF BEC

Auch hier scheint es sich um einen Flüchtigkeitsfehler zu handeln, ergibt der so konstituierte Text doch wenig Sinn. Dass der Druck BF weniger aufmerksam korrigiert wurde, zeigt sich an einer anderen Stelle, an der die Korrekturen der einzelnen Exemplare auseinandergehen. So gibt BEC für das Folium 43 folgenden Korrekturhinweis (r ): trigona. l(ege). tetragona. Allerdings findet sich auf dem betreffenden Folium (g2r ) das Wort trigona nicht weniger als viermal, sodass – insbesondere für einen astrologisch wenig versierten Korrektor – die Entscheidung, welches trigona zu tetragona zu ändern ist, nicht einfach ist.392 Bei dem betreffenden Abschnitt handelt es sich 391 Streng genommen lässt sich nicht ausmachen, auf welchen der jeweiligen Fälle BEC rekurriert; allerdings ist an diesen Stellen die Korrektur von BF i.d.R. nicht sinnvoll, die der anderen beiden Inkunabeln hingegen schon. 392 Aus astrologischer bzw. astrologiehistorischer Sicht ist klar, dass das Trigon bzw. der Gedrittschein positiv oder bestärkend wirkt, die Quadratur bzw. der Geviertschein hingegen negativ oder abschwächend; vgl. hierzu die Darstellung der Aspekte bei Ptolemaios (Ptol. apotel. 1,14) sowie bei Firmicus Maternus (Firm. math. 2,22), der das Trigon als prospera felixque radiatio (math. 2,22,4) bezeichnet, die Quadratur hingegen als minax [...] radiatio et malitiosa potestate composita (Firm. math. 2,22,6). Einen Überblick über die Aspekte im Allgemeinen sowie die Wirkungen der einzelnen Aspekte bieten Bouché-Leclercq (1899: S. 165–179) sowie Heilen (2015: S. 786–788).

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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um den ersten Teil des in der vorliegenden Edition als 3,16,45 bezeichneten Absatzes, der in B folgendermaßen lautet:393 Quod si contendant in his aspectibus394 vim consistere, debent ex consequenti illud quoque concedere: Lunam, cum ad trigona (I) signa pervenerit, morbum confirmaturam, quoniam, sicut quadrata signa discordant, ita trigona (II) concordant. Cur igitur, si trigona (III) signa suscitant naturam ex contraria qualitate ad signum aegritudinis, eadem ratione trigona (IV) ex concordi morbum non excitabunt?

Bei welcher dieser vier Möglichkeiten soll nun laut Korrektor in BEC das Wort trigona durch eine entsprechende Form von tetragona ersetzt werden? Nachdem im vorangegangenen Argumentationsgang die Rede von Quadratur und Opposition war, die eine entgegengerichtete Wirkung hätten, ergibt sich klar, dass in I und II der Aspekt des Trigons korrekt im Text ist.395 Auch bei IV muss die Bedeutung des Trigons original sein, da dessen »übereinstimmende Qualität« (ex concordi [sc. qualitate]) hervorgehoben wird, eine Eigenschaft, die nur für das Trigon gilt, gerade aber nicht für die gegenteilige Wirkungen hervorrufende Quadratur. So bleibt lediglich III, wo auch die Erklärung der »gegenteiligen Qualität« (ex contraria qualitate) den klaren Hinweis bietet, dass hier die Quadratur gemeint ist, die ja im vorherigen Kontext mit genau dieser Eigenschaft beschrieben wurde.396 Der Verfasser der Errata corrige hat also – wenn man davon ausgeht, dass dieser die Materie beherrschte, was zu erwarten ist, da er immerhin an dieser Stelle Korrekturbedarf erkannt hatte – zu Recht die dritte Erwähnung des Wortes trigona in diesem Abschnitt durch das Wort tetragona ersetzt wissen wollen. In diesem Sinne nimmt es wenig Wunder, dass alle drei handschriftlich verbesserten Inknabeln BB , BP und BF einhellig und inhaltlich korrekt das dritte trigona (III) zu tetragona ändern. Darüber hinaus finden sich allerdings auch zusätzlich I und II in BF zu tetragona »korrigiert«, ebenso IV, wo die vorgenommene Änderung allerdings wieder athetiert wurde. Der Korrektor von BF hat also an allen vier im Text auftretenden Stellen die Form trigona zu tetragona geändert, lediglich im letzten Fall den Fehler der vermeintlichen Korrektur erkannt und die Änderung zurückgenommen. Obschon unklar ist, ob er die fehlende Spezifizierung in BEC auf alle Formen von trigona übertrug, ist offensichtlich, dass der so geänderte Text in BF aus astrologischer Sicht keinerlei Sinn gibt, was ein Hinweis sein könnte, dass dieser Korrektor (im Gegensatz zu dem von BB und BP ?) über nicht genügend astrologisches Fach393 Zeichensetzung und Großschreibung sind modernisiert. Die Nummerierung des Wortes trigona ist vom Verfasser eingefügt. 394 Gemeint sind die in 3,16,39 aufgezählten Aspekte von Opposition und Quadratur. 395 Vgl. die Erklärung in 3,16,39: signa quadrata, vel opposita, contrarias habent qualitates. Zum Kampf zwischen den gegenteiligen Polen natura und morbus siehe insbes. 3,16,40. 396 Vgl. 3,16,39.

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Einleitende Untersuchung

wissen verfügte oder den Text eher flüchtig korrigierte. Schematisch dargestellt ergibt sich für diese Stelle also: 3,16,45 trigona] tetragona BF397 || trigona] tetragona BF || trigona B : tetragona BCorr || trigona] tetragona suprascr. sed postea del. BF

Auf Grund der dargestellten Ergebnisse kann festgehalten werden, dass bereits mit dem Erscheinen des Druckes B für die Herausgeber sich die Notwendigkeit ergab, diesem Druck Korrekturen beizugeben, und zwar zum einen in Form von gedruckten Errata corrige, die einigen Exemplaren des Bandes beigebunden wurden, zum anderen in Form von handschriftlichen Korrekturen in einigen Exemplaren der Inkunabel der Editio princeps. Der Vergleich der in den unterschiedlichen Exemplaren vorgenommenen Korrekturen zeigt, dass ein erheblicher Teil aller Korrekturen in allen korrigierten Exemplaren in übereinstimmender Form vorliegt; dies lässt den Schluss zu, dass es ein korrigiertes Exemplar bzw. eine Liste von Korrekturen gegeben haben muss, das den jeweiligen Korrekturen zu Grunde liegt (K). Darüber hinaus gibt es Korrekturen, die nur in einer, zwei oder drei der Korrekturversionen angefertigt wurden, wobei insbesondere BB und BP weitgehende Übereinstimmungen aufweisen, was den Schluss nahelegt, dass diese beiden Exemplare zusammen bzw. aus einer Vorlage verbessert wurden. Daneben gibt es in BF eine Reihe von Stellen, an denen die Korrekturen der Vorlage, die auch BB und BP vorlag, missverstanden wurden, was darauf schließen lässt, dass es sich bei der Vorlage für diese Korrekturen um BEC oder eine ähnliche Liste handelte. Darüber hinaus zeigen die Abweichungen der Korrekturen aller Exemplare der Editio princeps, dass die Korrekturen nicht nur aus BEC vorgenommen wurden, sondern darüber hinaus auch einer anderen Vorlage entnommen wurden. 1.6.1 Die Überlieferung seit der Editio princeps

Angesichts der Tatsache, dass zur Konstitution des Textes der Disputationes keinerlei handschriftliche Zeugnisse zur Verfügung stehen, muss die Wiederherstellung eines möglichst originalen Textes zwingend die Erstausgabe von 1496 als Ausgangspunkt haben. Trägt man jedoch der literarischen Bedeutsamkeit der Werke Giovanni Pico della Mirandolas Rechnung, die in den gut 100 Jahren nach dem Erscheinen des Erstdruckes nicht weniger als zehn Drucke aus unterschiedlichen Städten und Ländern erlebten, ergibt sich zwingend, auch diese gedruckten Zeugnisse zur Rekonstruktion eines möglichst originalen (und sinnvollen) Textes der Disputationes heranzuziehen: Dadurch eröffnet sich zum einen die Möglichkeit, die Textgenese aufzuhellen und so zu zeigen, wie sich der gedruckte Text entwickelte und 397 Die meisten späteren Drucke (VWRFO) bieten an dieser Stelle ebenfalls tetragona, lediglich G und C haben die Angabe in BEC korrekt verstanden.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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welche Fehler entstanden; zum anderen kann nur so gewährleistet werden, dass sinnvolle Verbesserungen am fehlerhaften Text der Erstausgabe, die spätere Editoren am ihnen vorliegenden Text entweder divinatorisch-konjekturell oder aber auf Grundlage von (handschriftlichen oder mündlichen?) Verbesserungen des Herausgebers der Werke selbst vornahmen, in ihrem Wert erkannt und in der vorliegenden Ausgabe aufgenommen werden, wobei jeder Leser selbst in die Lage versetzt wird, die editorischen Entscheidungen auf Grundlage der Angaben des Apparates nachzuvollziehen, kritisch zu hinterfragen oder gegebenenfalls zu verwerfen. Dass allein dieses Vorgehen bei der Textkonstitution der Disputationes die Sicherheit bietet, eventuelle Verbesserungen seitens des Herausgebers (und somit vermutlich im Sinne des Autors selbst) nicht zu übersehen, liegt auf der Hand.398 Dies gilt umso mehr, als beispielsweise beide weiteren im 15. Jahrhundert entstandenen Drucke, G und V, eine Reihe von Verbesserungen gegenüber der Editio princeps aufweisen, die auf eine – zumindest in dieser Hinsicht – sorgfältige Redaktion schließen lassen. Wie wichtig und – leider – keineswegs selbstverständlich diese Forderung ist, lässt sich nicht nur an den Inkunabeln und Drucken der Werke Giovanni Picos erkennen, sondern auch an der einzigen ›modernen‹ Ausgabe Eugenio Garins399 ablesen, die, unzweifelhaft äußerst verdienstvoll und mit der beigegeben italienischen Übersetzung auch in vielen Fällen hilfreich, bei der Textkonstitution doch den Leser fast immer im Dunkeln lässt, wie eine Lesart zu Stande kam. Auch wenn Garin nicht den Anspruch hatte, eine textkritische Ausgabe in modernem Sinne vorzulegen, suggerieren entsprechende Fußnoten, die alternative Lesarten einer Ausgabe »B« anführen, der Text sei durch den Vergleich gedruckter Zeugen entstanden; tatsächlich hatte Garin wohl B (inkl. BEC ) und O vorliegen, deren Varianten er – alles in allem leider inkonsequent – als B anführt. Hinzu kommt, dass er neben diesem Eklektizismus an vielen Stellen nicht weiter gekennzeichnete Abweichungen von allen (!) bekannten Textzeugen bietet, die in manchen Fällen (eigene?) Verbesserungen, in anderen jedoch eher Lese- oder Druckfehler darstellen dürften. Betrachtet man die textliche Überlieferung der Disputationes und versucht, die vorhandenen Zeugen anhand von Trenn- und Bindefehlern zu klassifizieren, lässt sich feststellen, dass die vorhandenen Drucke (vereinfacht gesagt) grundsätzlich zwei Familien zugeordnet werden können: B und G bilden dabei eine Familie (α), die Venetiana von 1498 (V) sowie alle späteren, auf sie zurückzuführenden Drucke 398 Hierbei darf nicht vergessen werden, dass Giovanni Francesco Pico erst 1533 verstarb; theoretisch bestünde daher die Möglichkeit, dass sich in allen Ausgaben (abgesehen von O) Korrekturen finden, die der Herausgeber der Werke selbst vorgenommen und dem jeweiligen Drucker hat zukommen lassen. 399 Vgl. Garin (1946) und Garin (1952).

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Einleitende Untersuchung

die zweite Familie (β); eine Sonderrolle kommt hierbei dem Druck O zu, der sich anhand vieler Stellen der Familie β zuweisen lässt, andererseits jedoch an so vielen Stellen Abweichungen davon bietet, dass er im Folgenden nicht als Teil der Familie β behandelt werden soll.400 1.6.1.1 Die Familie α

Autograph B β BEC G

Dass α und β zwei unterschiedliche Familien bilden, lässt sich daran ablesen, dass β zahlreiche Abweichungen im Text zu α (also zu B und G) enthält, die in allen auf V folgenden Drucken (also in Familie β) gleich sind; in der Mehrheit dieser Fälle hat auch O die Varianten, die sich in V bzw. β finden. Hierbei handelt es sich mehrheitlich um gemeinsame Fehler gegenüber dem in α gebotenen, korrekten Text:401 1,4 siquidem α : siquid βO 1,24 cognatiore α : cognatiores βO 1,25 astrologis α : astrologos βO 1,47 libido aliqua α : libido βO 1,62 ostendunt α : ostendit βO 2,1,4 materiae α : materia βO 2,2,4 fortunavit α : formavit βO 2,4,8 avidior α : auditor βO 2,5,2 securim α : securi βO 2,5,5 quod quot α : quot quot VDRCF : quotquot WO 2,6,7 a Chaldaeis a Chaldaeis α : a Chaldaeis βO 2,7,2 του επομενου κεντρου B : τον επομενον κεντρον G : ἑπομένου κέντρου O : om. β 2,7,3 Anglicam α : angelicam βO 2,7,11 praeter ea α : praeterea βO 2,7,14 rabulae α : tabulae βO 2,9,6 afferrem α : afferre βO 2,10,2 consultet α : consulet βO 2,10,4 satisfacient α : satisfaciant βO 3,2,5 dies α : dicis βO 2,4,21 ob α : ab βO ministerio α : mysterio βO 3,6,16 decubuerint α : decubuerit βO 3,7,6 compactiore α : compactione βO 3,10,4 complicatio α : conspicatio βO 3,10,24 400 So weist O z.B. Verbesserungen gegenüber β auf, die auf eine Korrektur anhand von B zurückzuführen sind, so beispielsweise prooem. Gianfranc. 1 gaudete BO : gaudere β; andererseits steht O an vielen Stellen mit β gegen α und kann anhand von zahlreichen Bindefehlern eindeutig als ein veränderter Nachdruck von W bestimmt werden; siehe dazu unten S.128. 401 Man beachte, dass O in beinahe allen diesen Fällen denselben Text wie β bietet. Eine Ausnahme stellt z.B. die Form posse in 3,10,24 dar, die sich auch in O findet, während β post bietet.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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posse αO : post β 3,12,1 sit α : fit βO 3,16,54 quidem α : quidam βO 4,3,20 libet α : liber βO 4,7,6 primisque α : proximisque βO

Darüber hinaus gibt es jedoch auch einige Fälle, in welchen der von β (oder zumindest einer Mehrheit der dieser Familie zugehörigen Drucke) gebotene Text eine Verbesserung gegenüber dem in α gedruckten Text darstellt – in den meisten Fällen handelt es sich hierbei um die Korrektur mehr oder weniger offensichtlicher Druckfehler: disp. epist. 3 ob scribendi α : obscribendi βO 1,13 Antonium αDC : Antoninum VWRFO 2,2,4 lectionibus α : electionibus βO 3,3,5 contingerunt α : contigerunt βO 3,4,28 insolutione α : in solutione βO 3,6,13 se α (sed Gc ) : sed βO 3,12,6 proprietares α : proprietates βO 3,13,19 in doctisque α : indoctisque βO 3,17,2 diuturrnius α : diuturnius βO 3,25,18 si quae α sique βO 4,8,7 proomuit α : promovit βO

Dies zeigt zum einen, dass die Drucke D, W, R, C, F und – mit Einschränkungen – auch O auf V zurückgehen und die Änderungen, die dieser Druck gegenüber B (und G) enthält, in den eigenen Text aufnehmen. Zum anderen ergibt sich hieraus, dass G, dessen Datierung auf Grund des aus B übernommenen Kolophons unsicher ist, sehr wahrscheinlich in zeitlich enger Anlehnung an B steht und, da der Druck weitgehend von den in β zu findenden Änderungen frei ist, ein korrigierter Nachdruck der Editio princeps ist. Dass dieser Druck G dabei von eher geringer Qualität ist, zeigen unzählige Druckfehler im gesamten Text. Hierzu zählen z.B.: epist. Gianfranc. 1 citra] circa G prooem. 3 specie] speciae G 1,51 contemplabantur] contemplantur G 1,77 publicas] publica G 2,2,11 redargutio] redarguitio G 2,4,2 coniunctionum] coniectionum G 2,5,1 armabit] armavit G 2,6,9 obeant] obeam G 2,8,6 ego] ergo G 2,9,1 iure] in re G 3,2,4 exsiccans] exsiccatis G 3,4,30 destituantur] destuantur G 3,6,16 influxu] in fluxu G 3,10,15 si cum] siccum G 3,13,11 signis] signus G 3,16,23 excuditur] excluditur G 3,21,5 superior] superiore G 3,25,15 eminentiore] eminentior G 4,3,2 illam] illas G 4,4,19 his quae] hisque G 4,6,5 constellatione] constellatiove G 4,13,2 indicentur] incidentur G 4,14,6 signis] signa G

Diese zahlreichen Fehler führten dazu, dass ein unbekannter Korrektor in dem für diese Ausgabe benutzten Exemplar zahlreiche handschriftliche Korrekturen insbesondere von offensichtlichen Druckfehlern vornahm, wobei er auf B bzw. BCorr zurückgriff. Wann dieser Korrektor wirkte, ist leider unklar. Zu diesen Korrekturen zählen u.a.:

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Einleitende Untersuchung 1,20 qui cum] quicunque G (corr. Gc ) 1,36 credere] crede G (corr. Gc ) 1,37 Apotelesmaton] Apotelesmatio G (corr. Gc ) 1,37 partitur] patitur G (corr. Gc ) 1,41 deprehendes] deprehendens G (corr. Gc ) 1,44 helleboro] Hellebolo G (corr. Gc ) 1,48 non add. Gc 1,48 (3x) quod] quid G (corr. Gc ) 1,61 augures] augeres G (corr. Gc ) 2,2,4 electionibus] lectionibus α (electionibus ex corr. Gc ) 2,3,4 Denique] Denieque G (corr. Gc ) 2,7,9 sine] sive G (corr. Gc ) 2,9,8 pollicitus] pollitus c G (corr. G ) 3,4 (Tit.) lumine] lumina G (corr. Gc ) 3,6,13 sed] se α (sed ex corr. Gc ) 3,9,8 an] aut BCorr Gc 3,11,17 putant] puta G (corr. Gc ) 3,13,18 autem] aut G (corr. Gc ) 3,17,1 iugiter] ingiter c G (corr. G ) 3,19,3 nautici] nauci G (nautae ex corr. Gc ) 3,26,10 ineptum] imepetum G (corr. Gc ) 4,7,5 perituros] petituros G (corr. Gc ) 4,11,2 numquam] numqui G (corr. Gc ) 3,13 (Tit.) tamen B : causa GOβ (corr. Gc )

Da diese Korrekturen alle auf bekannte Exemplare, B bzw. BCorr , zurückgeführt werden können, stellen sie für die vorliegende Edition keinen Mehrwert dar; allerdings findet sich auch eine einzige Korrektur in den ersten vier Büchern, die sich in keinem anderen Druck finden lässt: 3,22,2 in del. Gc

Bezeichnend ist, dass diese Änderung den Text keineswegs verbessert. Dass für den Druck von G auch viele Lesarten aus den Errata corrige berücksichtigt wurden, zeigt sich an folgenden Fällen, in denen G Korrekturen von BEC in den Text aufnimmt, die in den späteren Drucken von β jedoch keine Berücksichtigung finden – hier wurden wieder die falschen Lesarten von B in den Text gesetzt:402 1,1 didicerint BOβ : didicerunt BCorr G 1,46 tum BOβ : tamen BCorr G Corr 1,73 infelix BOβ : felix B G 2,1,3 tamen BOβ : tum BCorr G 2,1,3 Corr quare BOβ : quia B G 2,1,4 valet BOβ : videlicet BCorr G 2,1,5 quandocumque BOβ : quandoque BCorr G 2,2,1 dicit BOβ : diem BCorr G Corr 2,2,3 quibus BOβ : quilibet B G 2,2,11 corpori BOβ : corporis BCorr G Corr 2,4,5 habens BOβ : habentem B G 2,4,7 profanda BOβ : profunda BCorr G 2,4,8 qua BVWDRFO : quam BEC GC 2,4,11 tamen BOβ : tum BCorr G 2,4,12 Hiero Bβ (Hieron. O) : Henrico BCorr G 2,5,3 transire BOβ : transiret BB BF BEC G 2,5,7 melius BOβ : quia BCorr G 402 Dass die Korrekturen aus den Errata corrige, nicht hingegen aus den handschriftlich korrigierten Inkunabeln BB , BP und BF stammen, lässt sich an Fällen wie den folgenden belegen: 1,69 libro quem De septem artibus quoniam B : libro quem De septem artibus quem BEC GOβ : libro De septem artibus quem BB BP BF sowie 4,11,1 octavo capite B : quinto capite BF BEC GOβ : supra BB BP .

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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2,6,3 quare BOβ : quia BCorr G 2,7,7 hyleghialia BB BP BEC G : hylegh. alia Bβ : Hilech alia O 2,9,1 Et si sani si veri BOβ : At sane si veri BP BEC G : At sani si veri BF 2,10,4 tamen BOβ : tam BF BEC G 3,1,1 quaestionem BOβ : populi quaestionem BF BEC G 3,1,4 tamen BOβ : tum BCorr G 3,1,4 deveniamus BOβ : deveniemus BB BP BEC G 3,2,12 quid BOβ : quidem BCorr G 3,2,12 lumine BOβ : et lumine BCorr G 3,2,14 alius BOβ : alias BCorr G 3,3,4 tamquam BOβ : tam BCorr G 3,4,27 cui BOβ : cum BCorr G 3,7,6 praeterea BOβ : prae disci BF BEC G 3,10,24 sensuque BCorr G: sensumque Bβ : sensuum O 3,12,3 situ BOβ : situs BP BF BEC G 3,14 (Tit) vera superstione Bβ : citra superstitionem BCorr G : vana superstitione O 3,15,4 praesentes BOβ : partes BCorr G 9,15,20 vigore BOβ : vigorem BB BF BEC G 3,16,12 quattuor BOβ : septem BCorr G 3,16,12 viginti BOβ : octo BCorr G 3,16,22 igitur BOβ : igitur erit BCorr G 3,16,24 illis BOβ : illi BCorr G 3,17,2 cum BOβ : cur BCorr G 3,21,9 suae BOβ : sive BCorr G 3,23,3 animus BOβ : animis BCorr G 4,3,10 pro qua BOβ : qua BCorr G 4,12,2 ipsa BOβ : Corr ipsi B G

Dagegen gibt es keine wirklichen Korrekturen, die sich in G und β finden lassen, nicht jedoch in B bzw. einer der vorliegenden Korrekturen dieses Druckes. So verbessern G und β zwar den folgenden in B enthaltenen Fehler, der von den korrigierten Exemplaren nicht verändert wird: 1,30 error is B : erroris GOβ

Andererseits handelt es sich hier kaum um einen echten Binde- oder Trennfehler, der Schlussfolgerungen auf weitere stemmatische Abhängigkeiten zuließe, da es sich um eine notwendige und einfache Korrektur handelt, die unabhängig voneinander in G und V vorgenommen worden sein kann. Andererseits finden sich in G die folgenden Fehler gegenüber dem Text von B, die ebenfalls in β auftreten:403 1,36 mimo B : minimo GOβ exanimare B : examinare GOβ Gc )

1,46 παραδοξονB : om. GOβ 2,5,2 4,13 (Tit) tamen B : causa GOβ (corr.

403 Hierbei handelt es sich allerdings um ein fehlendes griechisches Wort, welches eher auf fehlendes Verständnis des Griechischen hinweist, sowie um Verschreibungen, die sich leicht als lectiones faciliores erkennen lassen; im ersten Fall (disp. 1,36) ist der Fehler zudem klar als solcher nachweisbar, handelt es sich doch hierbei um ein Zitat aus den Problemata des Aristoteles (Arist. prob. 18 917a 6–9), in welchem sich an der entsprechenden Stelle das Wort μῖμος findet. Alle diese Fehler können auch unabhängig voneinander entstanden sein. Dies gilt auch für die Verschreibung tamen / causa, die zwar schwieriger zu erkennen und somit zu verbessern ist, aber dennoch unabhängig in den unterschiedlichen Drucken korrigiert worden sein kann.

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Einleitende Untersuchung

Alle diese wenigen Gemeinsamkeiten von G und V bzw. β stellen keine echten Trenn- oder Bindefehler dar, aus denen auf eine Abhängigkeit von G und V geschlossen werden dürfte; vielmehr handelt es sich um Fehler bzw. Korrekturen, die in beiden Textzeugen unabhängig voneinander geschahen und in diesem Sinne als einzelne Varianten betrachtet werden können. Daneben zeigt sich jedoch, dass auch V – und in dessen Folge in der Regel auch β – einige der in B vorgenommenen Korrekturen in den Text aufgenommen hat; dazu zählen u.a.: disp. epist. 4 potissimumi B : potissimum BCorr GOβ prooem. 5 facit B : facie BB BF BEC GOβ 1,4 aut in B : in BCorr GOβ 1,5 philosophos B : populos BCorr GOβ 1,27 execrabilius B : execrabilibus BCorr GOβ 1,48 spernit B : sperat BB BF BEC GOβ 1,68 putant B : supputant BF BEC GOβ 1,70 quibus B quos BCorr GOβ 3,6,1 ulis B universalis BB BF BEC GOβ 3,6,8 radiis B : radii BB BF BEC GOβ 3,6,9 dum solvit B : dissolvit BB BF BEC GOβ 3,6,10 materia B : natura BB BF BEC GOβ 3,11,6 calore B calorem BCorr GOβ 3,13,3 colligit B : colligi BCorr GOβ 3,13,6 sexquimenses B : sexquimensem BCorr GOβ calefaceret B : calefecerat BF BEC GOβ 3,14,6 largore B Corr : largiore B GOβ 3,16,39 quadrangulis B : quadrangulas BCorr GOβ 3,24,2 sortiti B : sortiri BCorr GOβ 3,25,1 sublimaria B : sublunaria 3,27,10 adversus B : adversis BCorr GOβ 3,27,13 favore B : favere BP BF BEC GOβ 4,1,10 possunt B : non possunt BCorr GOβ 4,3,13 thematis B : thema BCorr GOβ 4,4,3 quantulumcumque α : quantulumque βO 4,4,5 scilicet B : si scilicet BCorr GOβ 4,7,4 ille B : illa Corr B GOβ 4,7,3 tum B : ut BCorr GOβ 4,14,4 narrari B : numerari BCorr GOβ 4,14,4 res B : res sint BCorr GOβ 4,14,6 afflaturum B : afflatarum BCorr GOβ

Dies bedeutet, dass auch V (und in dessen Folge β) Verbesserungen aus den korrigierten Varianten von B übernahm. Wie sich zeigt, sind viele – wenn auch nicht alle – der in β aufgenommenen Korrekturen auch in G enthalten, keineswegs aber lassen sich alle in G eingefügten Korrekturen in β wiederfinden: der Vergleich mit den in G aufgenommenen Korrekturen zeigt, dass die Schnittmenge mitnichten deckungsgleich ist, sondern dass sich deutlich mehr Korrekturen aus BCorr in G finden lassen, die nicht in V auftreten. Andererseits finden sich die folgenden Verbesserungen lediglich in β, nicht aber in G: 1,64 blasphemiam α : blasphemam BCorr Oβ 1,78 ibi α : illi BB BP BEC Oβ 3,23,5 crabonumque α : crabronumque BCorr Oβ

Dies belegt, dass ein guter Teil der in B vorgenommen Korrekturen auch in spätere Drucke übernommen wurde; allerdings gilt dies in erster Linie für die Verbesserungen, die in den Errata corrige auftreten, in sehr viel geringerem Maße lediglich

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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für jene, die handschriftlich ergänzt wurden – folgende Verbesserungen, die nicht in BEC auftreten, sondern lediglich handschriftlich vorgenommen wurden, finden sich dennoch in späteren Drucken: prooem. 4 mathematico B : mathematicos BB BP GOβ 1,9 Eudenium α : Eudemum BB BP Oβ 3,21,10 in modica α : immodica BB Oβ 3,27,16 scitet α : sciret BB BP Oβ 4,2,4 diffitebit αVWRF : diffitebitur BB BP CO 4,3,5 latebraque α : latebramque BB BP Oβ 4,7,5 sive αβ : sine BB BP O B P 4,9,5 condicione BVWRO : condicionem B B GCO

Ob diese Korrekturen tatsächlich den korrigierten Exemplaren von B entnommen wurden oder ob sie vielmehr unabhängig von diesen ebenfalls in späteren Drucken korrigiert wurden, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen; die Tatsache allerdings, dass von den zahlreichen – teilweise sehr wichtigen und wertvollen – Sonder-Korrekturen insbesondere aus BB und BP lediglich eine so geringe Anzahl in noch dazu unterschiedliche spätere Drucke eingegangen ist, scheint doch darauf hinzudeuten, dass die Exemplare mit handschriftlichen Korrekturen auf die weitere Textgenese keinen Einfluss nahmen, während die gedruckten Verbesserungen aus BEC sowohl in G als auch in V und damit in β zumindest teilweise Berücksichtigung fanden. Die Tatsache, dass sich die aus BEC übernommenen Korrekturen in G und V nicht komplett überschneiden, lässt hingegen den Schluss zu, dass beide Drucke unabhängig voneinander aus den Errata corrige ergänzt wurden. Darüber hinaus zeigt sich, dass sogar einige der in allen Korrekturvarianten gemeinsam vorgenommenen Korrekturen in keinen der späteren Drucke aufgenommen wurde; dazu zählen insbesondere: 2,6,5 illius αβO : illi BCorr 3,2,15 paratissimum αβO : pacatissimum BCorr 3,9,8 an αβO : aut BCorr Gc 4,7,3 mentes αβO : mentis BB BF BEC

In diesem Sinne lässt sich konstatieren, dass von den zahlreichen in B vorgenommenen Korrekturen aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich die aus BEC die weitere Textentwicklung beeinflussen konnten, die handschriftlich verbesserten Inkunabeln hingegen Einzelzeugen geblieben sind. Evident wird darüber hinaus, dass es sich bei G um einen Nachdruck von B handelt, der zwar anhand vieler offensichtlicher Druckfehler eine geringe Qualität beansprucht, andererseits viele korrekte Lesarten aus den Errata corrige in den Text aufnimmt, die sich in den späteren Drucken oftmals nicht wiederfinden. Darüber hinaus lassen sich in G viele Fehler, die mit V in den Text gelangen und in den späteren Drucken entsprechend enthalten sind, noch nicht finden, was die Datierung zwischen Erstdruck und V (1496–1498) zusätzlich untermauert.

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Einleitende Untersuchung

1.6.1.2 Die Familie β

V D W R F O C Dass die Drucke D, W, O, R, C und F auf V zurückzuführen sind und mit dieser Edition von 1498 eine gemeinsame Familie bilden, ist bereits dargestellt worden.404 Darüber hinaus lassen sich jedoch noch weitere Differenzierungen feststellen, die die Abhängigkeiten dieser Drucke zu- bzw. untereinander betreffen. 1.6.1.3 Die Drucke W und O

Dass O an vielen Stellen die Lesarten von β teilt und zusammen mit den auf V gegründeten Drucken eine Anzahl von Trennfehlern gegen B aufweist, ist bereits dargelegt worden.405 Dass O darüber hinaus den Druck W zur Vorlage hatte, beweisen die folgenden Bindefehler in Verbindung mit den Daten der jeweiligen Drucklegung: prooem. 6 vanitatem] unitatem WO 1,37 ducuntur] dicuntur WO 1,39 humidiorem] humiliorem WO 1,48 facile] facilia WO 1,49 subesset] subessent WO 1,55 omnia] omina WO 2,1,9 quodcumque] quocumque WO 2,2,3 fortunatus aliquis est] fortunatus est aliquis WO 2,3,3 demonstrabunt] demerabunt WO 2,4,6 quod] quid WO 2,4,8 Albumasareque] Albumanasareque WO 2,5,13 ista professio] professio ista WO 2,6,1 non om. WO 2,6,9 dixerint] dixerunt WO 2,7,4 praedicendi] praecedendi WO 2,7,14 anxii αVDRCF : an xii W : an 12 O 3,4,29 terrosum] retrorsum WO 3,6,1 conditioneque] conditionemque WO 3,7,3 sequetur] sequeretur WO 3,12,17 praetexuimus] praeteximus WO 3,15,7 atque om. WO 3,16,12 esset] etiam WO 3,16,25 vigesimum] vigesimum primum WO 3,20,4 his] hic WO 3,24,3 dedit] dedi WO 3,26,4 reddidimus] reddimus WO 3,27,5 a om. WO 4,3,7 si] si non WO 4,4,15 et om. WO 4,4,17 voluit] noluit WO 4,13,3 Quae] Quare WO

Vereinzelt weist W – und in dessen Folge auch O – gegen die übrigen Drucke von β die korrekten Lesarten auf, die sich auch in α finden lassen; ob es sich bei der geringen Anzahl von eindeutigen Stellen allerdings um einen wirklichen Rückgriff 404 Siehe oben S.122f. 405 Vgl. oben S.122.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

129

handelt oder ob an diesen Stellen lediglich ein offensichtlicher Fehler aus V, der Vorlage von W, verbessert wurde, lässt sich nicht klären. Die geringe Anzahl der Stellen sowie die relativ leicht erklärbaren Fehler dürften jedoch als Indiz gewertet werden, dass an diesen Stellen W unabhängig von α verbessert wurde. Es handelt sich hierbei insbesondere um die folgenden Fälle: 2,5,8 deligendo αWO : diligendo VDRCF : vices F

3,12,2 vires αWO : vites VRC

In einem Fall stimmen W und O sogar mit den Korrekturdrucken von B und mit G gegen die übrigen Drucke von β überein – auch hier ist unklar, ob die Korrektur direkt aus den Errata corrige (oder G?) stammt, oder ob ein Fehler in der Druckvorlage von W – also in V – verbessert wurde: 1,75 illos BCorr GWO : illud BVDRCF

Auf der anderen Seite finden sich in O (gegen W) einige Stellen, in welchen auf die korrekte Lesart aus α zurückgegriffen wurde, um einen in β vorhandenen Fehler zu korrigieren: prooem. Gianfranc. 1 gaudete αO : gaudere β 3,11,10 tactusque αO : tractusque VWRC : tractatusque F 3,10,24 posse αO : post β 3,12,4 inquam αO : in quam VWF : in qua RC 4,4,5 a Deo αO : adeo β 4,4,22 Veniet αO : Veniat β 4,8,7 utcumque αβO : utumque VRC : utrumque WF 4,8,7 astrologis αO : astrologi β

Diese Gemeinsamkeiten dürfen als Beweis dafür gesehen werden, dass O an einigen Stellen in β (m.a.W. in seiner Vorlage W) enthaltene Fehler verbesserte, indem die korrekten Lesarten aus α herangezogen wurden. Dies wird dadurch untermauert, dass sich zusätzlich einige Stellen finden lassen, an denen Korrekturen aus den verbesserten Inkunabeln in O aufgenommen wurden. Dazu zählen insbesondere die folgenden Korrekturen, die allen korrigierten Inkunabeln eigen sind: 2,6,6 probis Bβ : probris BCorr GO 2,10,6 quae Bβ : quam BCorr GO P 3,2,2 adeo αβ : a Deo B O 3,16,45 trigona Bβ : tetragona BCorr GO Corr 3,17,2 Seu Bβ : Sed B GO 3,21,6 tacto Bβ : tanto BCorr GO 3,21,8 Corr et Bβ : ex B GO 4,3,3 nec αβ : nunc BCorr O

Daneben gibt es folgende Fälle, in welchen sich die Korrekturen lediglich einer oder mehrerer Drucke aus BCorr in O nachweisen lassen: 3,12,11 sic ut αβ : sicut BP O 3,14,3 Per bella αβ : Perbella BB BP O B P EC 3,15,19 posthac αβ : post hanc B B B O 3,16,12 cum Bβ : eum BB BP BEC O : ipsum G 3,16,35 illa αβ : illi BP O 3,16,57 etiam Bβ : esse BP O 4,7,5 sive αβ : sine BB BP O

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Einleitende Untersuchung

Hierbei handelt es sich allerdings erneut um so wenige und verhältnismäßig leicht verbesserbare Stellen (im Sinne diagnostischer Konjekturen), dass eine Abhängigkeit von BEC bzw. BCorr weder eindeutig belegt noch widerlegt werden kann. Darüber hinaus weist der Druck W folgende Sonderlesarten (genauer: Sonderfehler) auf, die sich weder in β noch in O finden lassen: 2,7,14 anxii] an xii W (an 12 O) 3,5,2 motum] metum W 3,9,5 eaedem] eadem W 3,10,2 parvitatem] pravitatem W 3,13,12 fervent] servent W 3,17,7 quisquam] quispiam W 3,20,4 suae] sui W 3,27,8 adivit] audivit W 4,1,1 quod] quid W 4,1,6 esset] esse W (etiam esse O) 4,4,2 inter nos] internos W 4,4,5 asseratur a] asseratura W

Die Tatsache, dass diese Fehler nicht auch in O auftreten, zeigt, dass sie vom Herausgeber als Fehler erkannt und entsprechend verbessert wurden.406 Der Druck O hingegen weist eine große Anzahl von Sonderlesarten auf, die ihn von den übrigen Drucken trennen (Trennfehler). Hierbei handelt es sich einerseits um Druckfehler407 sowie Abschreib- bzw. Lesefehler408 , andererseits um den Versuch des Herausgebers, den ihm vorliegenden Text zu verbessern:409 epist. Gianfranc. 1 Apollonium] Apollinium O epist. Gianfranc. 3 discerptique] disceptique O prooem. Gianfranc. 1 gaudere BO gaudete β prooem. Gianfranc. 1 radicibus] radicitus O 1 (Tit) adversus astrologos] in astrologiam O 1,19 plusque] plus quam O 1,81 et] 2,1,9 omni potentior] omnipotentior O 2,2,5 fortunatiet et O or] fortunator O 2,2,11 prospiciendum] perspiciendum O 2,3,4 406 Möglich wäre auf der anderen Seite auch, dass O nicht W als Vorlage hatte, sondern dass beide auf eine gemeinsame (handschriftliche) Vorlage zurückzuführen sind, wobei die vorliegenden Fehler als Sonderfehler von W bei der Edition aus der Vorlage auftraten; angesichts der räumlichen und zeitlichen Entfernung der beiden Drucke voneinander, scheint es jedoch sehr viel wahrscheinlicher, dass der Drucker von O in Basel auf eines der zahlreichen vorhandenen Exemplare von W zurückgriff, als dass er über dasselbe Manuskript verfügte, welches sein Kollege 70 Jahre früher in Straßburg verwendete; das VD16 (P 2578) verzeichnet immerhin noch heute nicht weniger als 18 Exemplare von W in Bibliotheken des deutschsprachigen Raumes. 407 So beispielsweise epist. Gianfranc. 1 Apollonium] Apollinium O. 408 So z.B. 2,7,6 istud] illud O sowie 1,19 plusque] plus quam O, wo vermutlich eine Abbreviatur falsch interpretiert wurde. 409 So etwa 3,14,6, wo das überlieferte Wort tollitur durch das sinngleiche Verbum caeditur ersetzt wird: 3,14,6 tollitur] caeditur O. Hierzu zählt auch z.B. 4,4,3 septimi] supini O, eine offensichtliche Veränderung des voraussetzungsreichen Ausdrucks bos septimus, wobei aus den Similien deutlich wird, dass an dieser Stelle eine Korrektur mitnichten notwendig gewesen wäre; so findet sich der entsprechende Ausdruck z.B. bei Erasmus von Rotterdam (Adagia 1,10,63) sowie – in griechischer Sprache – bei Libanios (Lib. decl. 30,4 p. 620,3–4 F). Dies macht deutlich, dass der Herausgeber von O den Druck konjekturell zu verbessern suchte, an dieser Stelle jedoch eine Verbesserung nicht notwendig war.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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quae] qua O 2,4,8 XI] II O 2,4,8 Christi om. O 2,7,3 sententia] sententiae O 2,7,5 eum] cum O 2,7,6 istud] illud O 2,7,8 carceribus] carentibus O 2,7,10 agit] ait O 2,7,13 accumuletur] accumulatur O 2,8,4 fore] forte O 2,10,4 non om. O 3,4,15 nec] ne O 3,4,20 non om. O 3,4,20 perrarissima] per rarissima O 3,4,29 substernatur] substernantur O 3,5,11 non om. O 3,6,6 humiditatem] humilitatem O 3,6,7 humiditatem] humilitatem O (humimiditatem RC) 3,7,2 credi om. O 3,9,5 motu om. O 3,10,2 movent] moventur O 3,10,7 sideralium influxuum BCorr : in sideralium fluxuum B : insideralium influxuum G : insideralium fluxuum β : sideralium fluxuum O 3,10,10 cum] cum sit O 3,11,4 sit] sit quam O 3,11,8 illa] illas O 3,11,9 eripiuntur] eripiantur O 3,11,11 nos] in nos O 3,11,11 errores] errores ostendemus O 3,11,14 siquidem] si quidam O 3,11,16 minus] munus O 3,12,5 semina] semiplena O 3,12,10 proptereaque] propterea O 3,12,12 scilicet om. O 3,12,15 nutriti] nutriri O 3,13,13 assumptis] consumptis O 3,13,20 crisimis] criticis O 3,13,23 candidi] candidi sunt O 3,13,25 reddimus ] reddidimus O 3,13,34 plene] plane O 3,14,5 cum om. O 3,14,6 tollitur] caeditur O 3,14,8 ponunt] ponuntur O 3,15,8 eructuant αβ (eructiant G) : eructant O 3,15,15 astrologi] astrologorum O 3,16,6 cum is αβ : om. O 3,16,13 posterioribus] posteribus O 3,16,22 non om. O 3,15,24 Archigenon] Archigenes non O 3,16,36 ratio] ratio dicit O 3,16,10 concordi] concordia O 3,16,47 malae] mala O 3,16,56 rato] raro O 3,17,1 pausa] causa O 3,17,7 Erit igitur idem iudicium] Erit igitur idem iudicium quibus nulla potest conditio praeponderare O 3,18,4 Graeca om O 3,19,6 intelligunt O : intelligant αβ 3,19,8 non add. O 3,19,9 impudentissime] imprudentissime O 3,19,10 ab] a O 3,19,10 praesensione] praesentione O 3,20,1 faciat] facit O 3,20,3 fundo] fundamento O 3,21,2 a om. O 3,21,6 praeses] praesens O 3,21,14 iniuria] iniuriosa O 3,23,6 Poterit] profecit O 3,25,1 suam] sua O 3,25,9 unica] unita O 3,25,17 quam] qua O 3,25,18 tunc om. O 3,26,4 simul] similiter O 3,27,17 cum] cur O 4,3,2 extimari (estimari G)] existimari O 4,3,5 iste] ille O 4,3,6 quae] quo O 4,3,13 appetentes] apparentes O 4,3,20 ita om. O 4,4,3 septimi] supini O 4,4,7 praesensione] praesentione O 4,7,6 exhalare om. O 4,7,6 si om. O 4,8,5 solum id] id solum O 4,8,4 solvine] solvi O 4,10,3 in om. O 4,10,5 illis om. O 4,12,1 ita om. O

Daneben stehen jedoch auch einige Fälle, in welchen O durch eine Änderung des Wortlautes zu einer klaren Verbesserung des Textes gelangte – in diesen Fällen

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Einleitende Untersuchung

kann davon ausgegangen werden, dass es sich um genuine Lesarten handelte, die in den früheren Drucken verdorben waren:410 3,11,13 sententia O : sententiae αβ 3,11,14 cogitatur O : cogitantur αβ 3,11,19 propterea quod O : proptereaque αβ 3,13,19 videretur O : viderentur αβ 3,14,9 quia O : quare αβ 3,15,4 motum O : modum αβ 3,15,17 extendantur O : extendatur αβ 3,16,9 harum O : horum αβ 3,16,28 cui O : cuius αβ 3,16,49 custodito O : custodita αβ 3,16,53 septimae diei O : septima dies αβ 3,16,56 Galeno videtur O : Galenus αβ 3,17,2 haec O : hic αβ 3,18,1 qua O : quo αβ 3,21,11 tantum O : tam αβ 3,23,1 fiunt O : fiant αβ 3,26,9 cum O : eum αβ 4,4,19 intervallo O : proximi intervallo αβ 4,7,4 in somnis O : insomnis αβ 4,13,1 auferetur O : auferretur αβ

Alles in allem handelt es sich bei O folglich um einen wichtigen Druck, der nicht nur gegen seine Vorlage W an vielen Stellen ursprüngliche Lesarten aus α bzw. BEC bietet, sondern darüber hinaus an einigen Stellen (diagnostische?) Konjekturen vornimmt, die teilweise von einigem Wert sind. Da O darüber hinaus jedoch über eine große Anzahl von Sonderlesarten verfügt, die den Text an vielen Stelle nicht substanziell verbessern, muss in jedem Fall einer Abweichung von früheren Drucken genau überprüft werden, ob eine Lesart in O über das Potential verfügt, eine originäre Lesart zu sein, oder ob es sich genauso gut um eine reine Variante handeln könnte. Diese (nicht immer einfache) Entscheidung muss im Einzelfall und mit Blick auf den jeweiligen Kontext getroffen werden, um nicht Gefahr zu laufen, einen geglätteten oder anderweitig durch den Herausgeber des Druckes O ›verbesserten‹ Text zu bieten, der indessen nicht der Intention des Autors Giovanni Pico della Mirandola entspricht. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Edition eine frühere Lesart gegen O beibehalten, wenn nicht zwingende (grammatikalische oder inhaltliche) Gründe vorliegen, die die in O gebotene Lesart wahrscheinlich machen; darüber hinaus muss in jedem Einzelfall die Plausibilität einer entsprechenden Verschreibung geprüft werden.411

410 Entgegen der in diesem Kapitel üblichen Darstellungsweise sind die folgenden Angaben nach den üblichen Regeln der Gestaltung kritischer Apparate angeordnet, sodass die erste Lesart die im Text aufgenommene ist. 411 So lässt sich beispielsweise die Lesart proximi intervallo in 4,4,19 durch das wenige Worte vorher auftretende proximi leicht als Dittographie erklären, was eine originäre Lesart intervallo bei O unterstützt; gegenteilig jedoch verhält es sich in 3,14,6, wo alle Drucke einhellig tollitur bieten, während sich in O caeditur findet – in diesem Fall ist eine Verschreibung mehr als unwahrscheinlich, sodass es sich bei caeditur um eine inhaltliche Glättung handelt, die nicht notwendig ist, ist doch die Junktur arborem tollere durch die Parallele bei Columella (Colum. 5,6,37) erklärbar: quod ne fiat, diligentis patris familiae est primam quamque arborem senio defectam tollere et in eius locum nouellam restituere.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

133

1.6.1.4 Die Drucke R und C

So wie O direkt abhängig ist von W, handelt es sich bei C um einen Nachdruck von R, was sich bereits darin äußert, dass tatsächlich auch die Seiten gleich bedruckt sind, die gleiche Anzahl von Wörtern etc. enthalten; diese Abhängigkeit lässt sich auch anhand der Lesarten in den Disputationes erkennen, wo R und C eine große Anzahl gemeinsamer Bindefehler aufweisen. Dazu zählen u.a.: epist. Gianfranc. 1 et om. RC epist. Gianfranc. 2 et om. RC epist. Gianfranc. 3 dictandique] distandique RC epist. Gianfranc. 5 suffuraberis] suffuguraberis RC prooem. Gianfranc. 2 veraeque] verae RC prooem. 1 tectius] rectius RC prooem. 5 exoculato] exosculato RC prooem. 6 praecognitione] praemittat cognitione RC 1,62 aut] ut RC 2,2,10 facta] factam RC 2,6,5 sit] sint RC 2,8,3 iam] in RC 2,9,3 ea die] ea de die RC 2,9,8 reluit] reluet RC 3,2,7 seruntur] feruntur RC 3,2,11 hoc] hoc est RC 3,9,10 ista] iste RC 3,10,12 Solem] sole solem RC 3,11,4 moveantur] moveant RC 3,19 (Tit.) vera] versa RC 3,23,2 suscitent] suscitant RC 3,25,18 omnis] vis RC 3,25,18 illae] illi RC 3,27,16 et om. RC 4,1,4 sublimi] sublimum RC 4,4,1 potentius] putentius RC 4,11,2 monstroso] monstruoso RC 4,12,6 effectricibus] affectricibus RC

Daneben finden sich einige Stellen, an denen R von C abweicht. Die Tatsache, dass C an dieser Stelle nicht dieselben Fehler wie R enthält, beweist, dass C die Fehler in seiner Vorlage erkannt hat und zu verbessern versuchte. Dies lässt sich an einigen Stellen sehr gut exemplarisch zeigen: So bietet R in 4,4,3 statt des korrekten agentem, was auch alle Drucke vor R bieten, ein offensichtlich falsches Wort ahentem, wo das ›h‹ aus einem umgekehrten ›g‹ entstanden zu sein scheint. An derselben Stelle findet sich in C das Wort absentem, was deutlich macht, dass C das falsche Wort seiner Vorlage als Fehler erkannte und durch eine diagnostische Konjektur (absentem) ersetzte, was zwar eine paläographisch mögliche Verschreibung darstellt, im Kontext der Stelle allerdings unmöglich und an dieser Stelle daher sehr viel unpassender ist als das in früheren Drucken überinstimmend bezeugte agentem. Dasselbe Vorgehen lässt sich in 4,9,3 erkennen, wo C ebenfalls versucht, den ihm vorliegenden Text (in R) zu verbessern, in welchem aus dem korrekten os durch regelwidrige Aspiration das fehlerhafte hos geworden ist – ein Fehler, der sich bereits in der Vorlage von R, nämlich V, findet und so in β Einzug erhielt, obschon nicht alle Drucke dieser Familie hos bieten; da die Form hos an dieser Stelle keinen Sinn ergibt, ändert C die Form durch Wechsel lediglich des letzten Buchstabens zu hoc, was sich im Kontext auf das folgende profanum beziehen lässt. Auch hierbei handelt es sich um eine grundsätzlich plausible Verbesserung, die

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Einleitende Untersuchung

dennoch weit zurückbleibt hinter der originalen Lesart os profanum.412 Darüber hinaus bietet R jedoch an vielen Stellen auch Abweichungen von den früheren Drucken, die lediglich Fehler (ohne Versuch einer Korrektur) darstellen. An den folgenden Stellen weicht der Text in R von dem in C gebotenen (bzw. von früheren Drucken) in diesem Sinne ab: 1,5 gemellos] gemellus R 2,5,2 desisterem] desidesterem VR 2,6,2 mendacia] mendecia R 2,7,4 varia] vana R 3,15,6 ducunt (inducunt G)] dicunt R 3,16,33 cerebro] crebro RO 3,20,3 hic] hinc WR 3,21,13 malam] malem R 4,1,7 nutabunda] mutabunda R 4,4,3 agentem] ahentem R (absentem C) 4,9,3 os αFO : hos VWR (hoc C)

Daneben findet sich eine Reihe von Stellen, an denen C Sonderlesarten bietet, die von allen anderen Editionen abweichen. Auch hier lässt sich an einigen Stellen exemplarisch erkennen, dass dem Herausgeber von C daran gelegen war, den vorgefundenen Text zu verbessern. So bietet C in 4,4,10 merita statt des in allen anderen Ausgaben gedruckten debita. Dabei handelt es sich auch an dieser Stelle um ein Zitat, nämlich aus der Aeneis Vergils, wo es heißt (Aen. 4,696): Nam quia nec fato merita nec morte peribat. C korrigiert also das vermeintlich falsch zitierte Vergil-Zitat seiner Vorlage und ersetzt das fehlerhafte debita durch das in der Vergil-Überlieferung einhellig tradierte merita.413 Dies bedeutet, dass die Lesart debita an dieser Stelle nicht dem Originalwortlaut Vergils entsprechen kann; unklar ist allerdings, ob Pico an dieser Stelle Vergil falsch aus dem Gedächtnis zitierte oder ob er die – wenngleich falsche – Lesart debita in seinem Vergiltext las. Vielleicht hat er auch nur das in seinem Kontext zutreffendere Wort debita verwendet, ohne Rücksicht auf den poetischen und damit streng formgebundenen Kontext zu nehmen. Ungeachtet der Frage, aus welchem Grund Pico die Form debita an dieser Stelle verwendete, wird sie dennoch – mit entsprechendem Hinweis im Apparat – im Text belassen, da es sich hierbei ja um den vom Autor intendierten Wortlaut handeln dürfte. 412 Der Ausdruck os profanum findet sich bereits bei Augustinus (Aug. serm. 88,22 [PL 38,521]). 413 Dass die Vergil-Überlieferung die Lesart debita nicht kennt, zeigen die einschlägigen textkritischen Ausgaben von Mynors (1969), Conte (2011) sowie Geymonat (2 2008) ad loc., von denen lediglich der umfangreiche Apparat bei Geymonat eine – ebenfalls offensichtlich falsche – Variante merito einer einzelnen Handschrift (c) zur Stelle verzeichnet (auch keine weiteren Ergänzungen zur Stelle in den Addenda [ebd.: S. 747]). Dies kann indessen nicht verwundern, da die Form dēbĭtā, die einen – im Hexameter in dieser Form generell nicht verwendbaren – Creticus bildet, an dieser Stelle metrisch gänzlich unmöglich ist, an der nach der Länge des -ō von fato eine Doppelkürze gefolgt von einer Länge (wie bei merita) oder zwei Längen benötigt werden (debita in anderer Versstellung hingegen findet sich häufiger bei Vergil: georg. 1,223; Aen. 2,538; 3,184 et saepius). Rein inhaltlich hingegen passt das Wort debita im entsprechenden Kontext bei Pico besser. Die Stelle dürfte also absichtlich bzw. ohne Rücksicht auf das dichterischem Kontext entstammende Zitat falsch sein.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

135

Ähnlich verhält es sich in disp. 4,4,6, wo C als einziger Druck die korrekte Form Mardonium bietet, während α Maridonium, die übrigen Drucke aus β hingegen Martdonium schreiben; die richtige Form ist gewährleistet durch die Zitatvorlage bei Herodot (9,16), wo eine Episode von Μαρδόνιος erzählt wird. Da auch hier unklar ist, ob der Fehler auf den Autor Pico, den Drucker oder den Herausgeber zurückzuführen ist (und somit nicht auszuschließen ist, dass Giovanni Pico die Variante Maridonius in seiner Herodot-Ausgabe las), wird die ›Korrektur‹ aus C nicht in den Text dieser Ausgabe übernommen. Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten abweichenden Lesarten in C jedoch um Fehler. Zu diesen Sonderlesarten in C zählen: epist. Gianfranc. 4 redivios] redivinos C prooem. Gianfranc. 1 lectoribus] electoribus C prooem. Gianfranc. 2 incomparabilis] incorporabilis C prooem. 1 praestigium] perstigium C prooem. 2 boni cum] ponicum C prooem. 2 mero] vero C prooem. 2 ab] ad C prooem. 3 serium] feriunt C prooem. 5 propius] proprius C prooem. 7 putavi] putavit C 2,4,7 disserentis αVWFO : differentiis DR : differentis C414 2,5,13 utinam] at C 3,3,6 fatus] natus C 3,5,10 caeli om. C 3,7,6 Saturniis Ioviisque (Iovisque F)] saurni iovisque C 3,10,5 diversitatis] diversitas C 3,12,1 intentior] intensior C 3,13,4 sugillare] sigillare C 3,15,10 fit] sit C 3,21,10 illi om. C 3,27,13 late] lata C 4,1,10 indicari] iudicari C 4,4,17 nos] non C 4,4,17 faciam] faciem C 4,4,20 is] hic C 4,5 (Tit.) attinent] attinet C 4,9,3 os αFO : hos VWR : hoc C

Dass C jedoch auch über eigene diagnostische Konjekturen hinaus versuchte, den Text auf andere Weise zu ›verbessern‹, ergibt sich aus der Tatsache, dass sich an nicht wenigen Stellen offensichtliche Rückgriffe auf die Editio princeps finden lassen; dabei übernimmt C an diesen Stellen Lesarten aus B, obwohl diese zumeist durch Korrekturen in den Errata corrige (und den handschriftlich korrigierten Inkunabeln) bereits verbessert wurden und seit G in (fast) allen Drucken übernommen wurden. Da sich diese falschen Lesarten in keinem der späteren Drucke bis auf C, auch nicht in dessen direkter Vorlage R, finden lassen, lässt sich diese Tatsache nur damit erklären, dass der Herausgeber von C an diesen Stellen B zum Vergleich heranzog und sich dazu entschloss, die älteren Lesarten aus der Editio princeps in den Text zu übernehmen. Ob hierzu ein Druck der Ausgabe B verwendet wurde oder ob sich die Varianten in seinem Exemplar von R (als Marginalien oder ähnliches) befanden, muss dahingestellt bleiben; dass dieser Rückgriff auf B indessen (von einigen Fällen abgesehen) in auffälliger Weise konzentriert in einigen wenigen Kapiteln des dritten Buches vorkommt – insbesondere dem 414 Auch hier ist der – letztlich erfolglose – Versuch, den vorliegenden Text zu verbessern, klar erkennbar.

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Einleitende Untersuchung

komplizierten und langen Kapitel über die kritischen Tage (3,16) –, könnte ein Indiz dafür sein, dass Lesarten aus der Editio princeps als Marginal- oder Interlinearglossen in das Exemplar des Druckes R der Disputationes eingetragen wurden, welches C als Vorlage für den Druck diente.415 Dafür spricht auch die Tatsache, dass es sich hierbei fast ausschließlich um solche Stellen handelt, an denen tatsächlich Korrekturen vorgenommen wurden und diese seitdem in allen Drucken verbessert wurden; hätte der Herausgeber von C tatsächlich ein Exemplar der Editio princeps zum Vergleich vorliegen gehabt, ließe sich schwer erklären, warum er nicht auch in den oben besprochenen Fällen, in welchen der Text seiner Vorlage als offensichtlich fehlerhaft erkannt wurde, auf das vorliegende Buch zurückgriff. Bei den aus B herangezogenen Lesarten handelt es sich um die folgenden Fälle: 3,13,25 frigiditatem BCorr GVWRFO : fragilitatem BC 3,16,2 obliqui orbis BCorr GVWRFO : obliquioribus BC 3,16,13 vigintiseptem BCorr GVWRFO : decima septima BC 3,16,28 quadrangulari BCorr GVWRFO : quadrangulum BC 3,16,32 inhaesit BB BF BEC GVWRFO : inest BC 3,16,40 iudicium BB BF BEC GVWRFO : indicium BC 3,16,45 Ad quae BCorr GVWRFO : Adde quod BC 3,16,47 omnino BCorr GVWRFO : non BC 3,16,48 quaterCorr nos B VRFO : quater nos W : quae qua ternos G) : quae ternos BC 3,16,50 periodis BCorr GVWRFO : periculis BC 3,16,52 diuturnioresque BCorr GVWRFO : diurnioresque BC

Tatsächlich lassen sich darüber hinaus einige wenige Stellen finden, an welchen C Varianten aus α in seinen Text aufnimmt, die sich weder in seiner Vorlage R noch in anderen Drucken der Familie β finden lassen. Diese sind:416 prooem. 6 seriae αC : serie VWRFO 3,14,3 diffusius αC : diffusus VWRFO 3,15,7 pleniore αC : plenior VWRFO 3,15,21 ex oriente αC : exoriente VWRFO

Es kann somit als sicher gelten, dass die Korrekturen direkt aus B stammen, nicht aber aus G. An den folgenden Stellen greift C im Gegenzug auf eine Lesart zurück, die von BEC verbessert wurde, in den von V abhängigen Drucken (und somit auch in seiner Vorlage R) jedoch nicht berücksichtigt wurden:417 2,4,8 qua BVWDRFO : quam BEC GC 2,10,2 BB BP BEC GC quia : quare B P BVWDRFO 4,2,3 diffitebitur B B CO : diffitebit αVWRF 415 Vgl. etwa die handschriftlichen Verbesserungen in Gc , die neben der Beseitigung allgemeiner Druckfehler auch Korrekturen aus den Errata corrige enthalten. 416 Allein mit G teilt sich C die folgenden Lesart: 3,1,5 consectum BVWRFO : confectum GC. Da die Verschreibung von ›f‹ und ›s‹ jedoch auf Grund des Schaft-s sehr leicht eintritt, ist dieser Fall alleine wenig aussagekräftig. 417 R und C greifen in einem Fall gemeinsam auf eine entsprechende Lesart zurück: 3,12,8 et BCorr RC : quod αVWFO.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

137

Ob diese wenigen Überschneidungen den Schluss zulassen, dass C auch eine Version der Errata corrige vorliegen hatte, darf zumindest bezweifelt werden; dem offensichtlichen Eklektizismus des Druckers oder Herausgebers wäre jedoch zuzutrauen, dass er diese Vorlage nur vereinzelt hinzuzog und in den übrigen Fällen auf B direkt zurückgriff. Zusammenfassend lässt sich C als Druck beschreiben, der einerseits offensichtlich der Vorlage R entstammt und mit dieser – neben einer großen Zahl eigener Fehler – zahlreiche Bindefehler teilt. Darüber hinaus wurden in C jedoch einige Korrekturen vorgenommen, die teils konjektureller Natur sind, zu einem anderen Teil aber auch älteren Ausgaben entnommen sind (Kontamination). Verwunderlich ist, dass in einigen Fällen offensichtliche Verbesserungen in den Korrekturexemplaren von B, die auch in alle vor C erschienenen Drucke aufgenommen worden waren, in C gegen die ursprünglichen in B enthaltenen Varianten ausgetauscht wurden. Ob dies mit einer Vorlage, die entsprechende Varianten als Glossen verzeichnete, zu erklären ist, muss bis zum Auffinden dieses Exemplars Spekulation bleiben. 1.6.1.5 Der Druck D

Auch bei D handelt es sich um einen Nachdruck des Druckes V, der allerdings lediglich die Bücher I und II der Disputationes enthält, ohne Einleitung, Widmungsschreiben o.Ä.418 Die Tatsache, dass es sich um einen minderwertigen Nachdruck handelt, wird dadurch deutlich, dass sich in D zahlreiche Fehler gegenüber seiner Vorlage finden lassen, denen offensichtliche Irrtümer oder Druckfehler zu Grunde liegen. Hierzu zählen zum Beispiel: 1,1 vocibus] noctibus D 1,2 prudentum] prudentium D 1,3 incessuerunt] incessiverunt D 1,9 antiquatorum] antiquorum D 1,14 in] in in D 1,16 fieri] fine D 1,27 boni] homini D 1,30 et vitam om. D 1,56 quia] quare D 1,62 iudiciis] indiciis D 1,73 etiam] esset D 1,80 calce] calice D 2,1,5 autem] aut D 2,2,11 pro duce om. D 2,3,5 ei] enim D 2,4,2 necessario] necessaria D 2,4,10 conscripsimus] conscribimus D 2,4,11 sunt] sint D 2,4,13 docet] decet D 2,5,12 reginam] riginam D 2,7,7 initia] initio D 2,9,1 facticiis] factiis D 418 Garin (1942: S. 93) führt diese Ausgabe ohne Kommentar oder Hinweis auf die fehlenden Bücher als »Disputationum adversus astrologos libri« an. Auch der Katalog der Bodleian Library in Oxford (SOLO), der das Exemplar dieses Druckes (delt.3.3(5)) verzeichnet, welches für die vorliegende Edition hinzugezogen wurde, verweist lediglich auf das erste Buch, wenn er das Werk unter dem Titel »Joannis Pici Mirandule cōcordie disputationum aduersus astrologos liber primus« führt (auch kein weiterer Hinweis in den weiterführenden Beschreibungen); vgl. die Homepage des Kataloges: http://solo.bodleian.ox.ac.uk/primo-explore/fulldisplay?docid=oxfaleph0122512 65&context=L&vid=SOLO&lang=en_US&search_scope=LSCOP_ALL&adaptor=Local%20Sear ch%20Engine&tab=local&query=any,contains,picus%201502&sortby=rank&offset=0 (zuletzt abgerufen am 01.11.2021).

138

Einleitende Untersuchung

Über diese Fehler hinaus bietet D keinerlei textkritisch relevante Abweichungen, die die Textkonstitution bereichern könnten. Dies bedeutet, dass die abweichenden Lesarten, die der Druck D bietet, im Allgemeinen nicht in den kritischen Apparat aufgenommen werden; nur an sehr wenigen Stellen, an denen D beispielsweise eine Auslassung von mehreren Wörtern aufweist oder eine abweichende Lesart bietet, die eventuell aus einer Korrektur des Textes hervorgegangen sein könnte, wird diese im kritischen Apparat mit dem Siglum D vermerkt. 1.6.1.6 Der Druck F

Auch der Druck F ist ein Nachdruck von V und somit der Familie β zuzuordnen. Wie die anderen Drucke auch, bietet auch F einige Sonderlesarten im Gegensatz zu den anderen in β enthaltenen Drucken. Die meisten dieser Lesarten sind allerdings falsch. Hierzu zählen insbesondere: prooem. Gianfranc. 1 vanitatum] vanitatem F 1,1 audaciamque] audaciam F 1,1 visum] visum eam F 1,2 Democriti] Hinc Democriti F 1,2 caeli scrutantur plagas] scrutaturque caeli plagas F 1,5 sed] sed et F 1,23 mathematica] mathematicam F 1,44 illa] illam F 1,65 eadem] ea eadem F 1,65 censoria] censorio F 2,1 (Inc.) Liber Secundus] Incipiunt Lib. Secundi F 2,4 (Tit.) existimarunt] duplici ratione existimarunt F 3,1 (Inc.) Liber Tertius BVWRCO : Liber Primus G : Libri Terti incipiunt F 4,11,10 tactusque αO : tractusque VWRC : tractatusque F 3,12,2 vires αWO : vites VRC : vices F 3,13,16 illi] illa F 3,19,3 quam quae (quam G)] quamquam F 3,21,7 horum] eorum F 3,21,7 nec Platonem nec Aristotelem in Timaeo vel in Meteoris] nec Platonem in Timaeo nec Aristotelem in Metheoris F 3,21,13 quo rem malam (malem R)] quorum malam F 3,24,7 reubarbarum] reubarbarumque F 3,26,2 e] ex F 4,1 (Inc.) Liber Quartus] Libri Quarti incipiunt F 4,7,1 eis] eius F 4,10,5 partitio] partio F

In vielen dieser Fälle handelt es sich offensichtlich weniger um Irrtümer als vielmehr um Versuche, den Text der Vorlage (wahrscheinlich V) zu verbessern, z.B. durch Wortumstellungen419 oder Ergänzungen420 . Auch die Verbesserung des sinnlosen tractusque, welches VWR und C in 4,11,10 statt des in α gedruckten

419 So zum Beispiel in 3,21,7, wo alle früheren Drucke nec Platonem nec Aristotelem in Timaeo vel in Meteoris bieten, F hingegen die Lesart nec Platonem in Timaeo nec Aristotelem in Metheoris, die in ihrer korrekten Unterteilung und Zuteilung der Werke zu ihrem jeweiligen Autor zwar präziser ist, dennoch an dieser Stelle wohl nicht originär. 420 So zum Beispiel ein angehängtes -que in 3,24,7 oder ein athetiertes -que in 1,1.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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und korrekten tactusque bieten, zum – ebenfalls wenig sinnvollen – tractatusque gehört in diese Kategorie.421 Daneben gibt es jedoch auch Textstellen, an denen die Verbesserung, welche F als einziger Druck bietet, durch den Kontext gerechtfertigt wird oder sogar zwingend notwendig ist. Hier ist epist. Gianfranc. 1 zu nennen, wo das ansonsten einhellig überlieferte Attribut eruditum in der Junktur vulgus eruditum et rude kaum richtig sein kann, während die in F gebotene Lesart ineruditum inhaltlich überzeugt und als einfache Verschreibung auch hinsichtlich der Fehlergenese plausibel erklärbar ist. Ähnliches gilt für 3,15,5, wo der Meeresboden als profunda, dura, montibus422 crebris aspera et inaequalis charakterisiert wird: Die Parallele bei Abū Ma῾šar, der nachweislich Picos Quelle war, macht deutlich, dass hier die Oberfläche des Meeresgrundes (montibus) gemeint sein muss, die als uneben bezeichnet wird, nicht aber die Wasseroberfläche, die mit motibus bezeichnet werden würde (Album. introd. tract.2, diff.3 p. 107): Loca enim que non sunt profunda nec dura, nec fuerint in eis montes.423 Daneben weist F an einigen Stellen Lesarten auf, die aus α entlehnt zu sein scheinen, während die anderen Drucke der Familie β einen abweichenden Text bieten. Hierzu zählen insbesondere:424 1,28 commentitios αF : commentitos VDWRCO 3,4,4 excitentur αF : excitantur VDWRCO 4,10,4 extincto αF : extinctio VWRCO

Trotz der geringen Anzahl an Stellen ist hier eine Kontamination mit Lesarten aus α nicht ausgeschlossen; ob in diesen Fällen jedoch tatsächlich Lesarten aus α entlehnt wurden oder ob es sich lediglich um treffende Konjekturen handelt, muss erneut offen bleiben: Da der Herausgeber von F bewiesenermaßen bemüht war, den Text seiner Vorlage zu verbessern, ist beides möglich. Es kann jedoch in jedem Falle festgehalten werden, dass die Korrekturen, sollten sie aus α entlehnt worden sein, nur sehr wenige sind. 1.6.2 Die Drucke von 1572 und 1601

Nach der Basler Ausgabe der Opera omnia (O) in den Jahren 1557–1573 erlebte das Werk Giovanni Pico della Mirandolas noch eine Neuauflage im Jahre 1572 421 Seltsam ist das abgewandelte Incipit aller Bücher, wo statt des zu erwartenden Singular ein Plural eingeführt wird (so z.B. 3,1 (Inc.), wo F statt Liber Secundus die Junktur Incipiunt Lib. Secundi bietet), eine grammatikalisch korrekte, syntaktisch und inhaltlich hingegen inkorrekte Änderung. 422 Alle anderen Drucke bieten motibus, eine Verschreibung, die inhaltlich zunächst einleuchtet und durch einen übersehenen Nasalstrich auf dem ›o‹ leicht zu erklären ist. 423 Die Gemeinsamkeit der Bezeichnungen profunda und dura legt nahe, dass an dieser Stelle eine wörtliche Bezugnahme auf Abū Ma῾šars Liber introductorius als Prätext vorliegt. 424 Aus α stammt auch die folgende Lesart, die später auch wieder in O enthalten ist: 4,9,3 os αFO : hos VWR : hoc C.

140

Einleitende Untersuchung

(Basel: ex officina Henricpetrina) sowie im Jahre 1601 (Basel: Sebastian Henricpetri), die jedoch beide Nachdrucke der Opera omnia von 1557 aus derselben Offizin sind.425 So nimmt es nicht Wunder, dass beide Drucke dieselben Fehler aufweisen, die auch O enthält. Dazu zählen insbesondere die Stellen, an denen O im Gegensatz zu allen vorherigen Drucken ein Wort (oder mehrere Wörter) auslässt: 2,10,4 non om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,4,20 non om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,5,11 non om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,7,2 credi om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,9,5 motu om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,12,11 scilicet om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,14,5 cum om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,16,6 cum his om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,18,4 Graeca om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,21,2 a om. O, ed. 1572, ed. 1601 3,25,18 tunc om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,3,20 ita om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,7,6 exhalare om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,12,1 ita om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,10,3 in om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,10,5 illis om. O, ed. 1572, ed. 1601 4,7,3 si om. O, ed. 1572, ed. 1601

Darüber hinaus teilen diese Bücher auch alle anderen Sonderfehler, welche bereits O enthielt; auch der abweichende Titel Disputationes in astrologiam, mit welchem O die Disputationes als erster Druck bezeichnete, findet sich in diesen Ausgaben konsequent angewendet. Da es sich also bei diesen beiden Ausgaben um klar abhängige Nachdrucke der Edition von 1557 handelt (inklusive einiger zusätzlicher jeweils eigener Fehler), werden diese beiden Editionen nicht weiter für die Textkonstitution in der vorliegenden Ausgabe herangezogen. Nach diesem letzten Nachdruck der Opera omnia von 1557 zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts erlahmte das Interesse an den lateinischen Werken Giovanni Pico della Mirandolas, zumindest was die Drucktätigkeit anging.426 1.6.3 Die Edition von Eugenio Garin

Tatsächlich sollte es mehr als 300 Jahre dauern, bis sich mit Eugenio Garin wieder ein Gelehrter an die Aufgabe wagte, die Werke Giovanni Pico della Mirandolas herauszugeben. So gab er, selbst gerade einmal 30 Jahre alt und frischgebackener Dozent für Philosophiegeschichte an der Universität Florenz, in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Werke Giovanni Pico della Mirandolas in drei

425 Bei der Ausgabe von 1572 stimmen auch die Lagen- und Blattzählungen überein, die Seiten sind i.d.R. exakt gleich bedruckt, sodass auch die Reklamanten der früheren Ausgabe in der Mehrheit aller Fälle erhalten blieben und übernommen werden konnten. 426 Vgl. hierzu u.a. die umfassende bibliographische Übersicht bei Roulier (1989: S. 9–36), der allerdings die Ausgabe von 1601 als Vorlage des 1969 erschienen Nachdrucks angibt, nicht korrekterweise die Ausgabe von 1557; vgl. des Weiteren die Appendix bei Garin (1942: S. 49–51 [hier: 50]) sowie Garin (1937: S. 89–99).

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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Bänden mit einer italienischen Übersetzung heraus.427 Diese Edition eines Großteils der Werke Giovanni Pico della Mirandolas stellte einen Meilenstein nicht nur für die Edition der Werke des Renaissancephilosophen dar, sondern auch für die philosophisch-exegetische Auseinandersetzung mit dessen Œuvre, welches nun erstmals nicht nur in einer »modernen« lateinischen Ausgabe vorlag, sondern noch dazu mit einer italienischen Übersetzung, Einleitung sowie unzähligen Anmerkungen zu Quellen, Querverweisen etc. versehen war und es dem modernen Leser so unvergleichlich einfacher machte, die Werke des Grafen von Mirandola zu lesen. Wie schwierig dieses Unterfangen in den Wirren von Faschismus und des II. Weltkriegs gewesen sein muss, lässt sich ex post kaum ermessen. In diesem Sinne schreibt beispielsweise Marco Bertozzi in seinem Vorwort zur Neuauflage der Garin-Edition der Disputationes (2004): »L’avvertenza al primo di questi due volumi reca la data ›Firenze, dicembre 1943‹. Dunque, un’opera condotta in tempo di guerra, con tutte le difficoltà che si possono ben immaginare, su un testo poi ›non sempre agevole‹, che doveva essere reso più accessibile ai lettori attraverso numerosi riferimenti alle fonti pichiane e per mezzo di ›ampie annotazioni finali‹.«428

Hinzu kommt, dass Garin zwar bereits einige Studien zur Renaissance verfasst hatte, bis zu seiner Monographie über Giovanni Pico aus dem Jahre 1937 aber keineswegs als Spezialist auf diesem Gebiet galt;429 dennoch gelang es ihm unter diesen widrigen Umständen, seine Edition der Werke Giovanni Pico della Mirandolas abzuschließen, die im Falle der Disputationes die allgemein gültige Ausgabe für alle weitere Beschäftigung werden sollte.430 Bei aller Anerkennung, die dem Verdienst Garins um Picos Werke im Allgemeinen und die Disputationes im Besonderen gebührt, darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass seine Edition und Übersetzung an nicht wenigen Stellen mit Fehlern behaftet sind, die – obschon sicherlich zu einem Großteil den damaligen Umständen geschuldet – teils auf hastige Überarbeitung zurückzuführen sein dürften, teilweise aber auch auf methodische Defizite. Dazu zählt, dass 427 Der erst Band (Florenz 1942) enthält die Oratio de hominis dignitate (101–165), den Heptaplus (167–383), den Traktat De ente et uno (385–441) sowie den Commento (443–581), der in italienischer Sprache verfasst keine Übersetzung benötigte. Die beiden anderen Bände (Florenz 1946 und Florenz 1952) enthalten jeweils sechs Bücher der Disputationes adversus astrologiam divinatricem [!], wobei lateinischer Text und italienische Übersetzung wie im ersten Band einander gegenüberliegen. Zur Tatsache, dass Eugenio Garin 1937 Dozent für Philosophiegeschichte wurde, vgl. Torrini (2008: S. 19–20). 428 Garin (2004: S. XII). 429 Vgl. hierzu sowie zu Garins Forschung zu Giovanni Pico della Mirandola im Allgemeinen Torrini (2008: S. 19–29 [hier: 19f.]). 430 Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem (Original-)Text über die Edition Garins hinaus wurde dadurch ermöglicht, dass innerhalb kürzester Zeit zwei der Basler Ausgaben als Nachdrucke erschienen, die Ausgabe von 1557 im Jahre 1969 (Hildesheim: Olms 1969 [Nachdruck 2005]), die Edition von 1572 gut zwei Jahre später (Turin: Bottega d’Erasmo 1972).

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Einleitende Untersuchung

die Ausgabe Garins im Gewand einer kritischen Ausgabe daherkommt, indem sie beispielsweise die Signaturen der Folia des Erstdruckes am Rande abdruckt oder immer wieder Hinweise auf abweichende Lesarten in mehr oder minder kritischen Fußnoten unter dem konstituierten Text bietet. Bedauerlicherweise erweisen sich diese aber an einigen Stellen als falsch oder sogar irreführend, sodass hier von einer kritischen Ausgabe, die modernen Ansprüchen genügen kann, nicht gesprochen werden kann. Im Vorwort des ersten Bandes dieser Edition erläutert Garin im Vorwort sein editorisches Vorgehen für die in diesem Band enthaltenen Werke.431 Im zweiten, die ersten sechs Bücher der Disputationes enthaltenden, Band, fehlt eine entsprechende Darstellung leider weitgehend. Die einzige Stellungnahme zu Kriterien seiner Edition findet sich am Ende der Einleitung, wo er unter Rückgriff auf den ersten Band seiner Edition folgendes bemerkt:432 »Di questo suo carattere si è tenuto conto in questa edizione che, mentre nel testo segue la prima edizione di Bologna del 1496 curata da Gian Francesco con i medesimi criteri adottati per le opere già edite nel volume precedente, cerca di illustrare, con una serie di annotazioni e di larghe citazioni dalle fonti, quei luoghi che rimarrebbero altrimenti particolarmente oscuri.«

Daneben findet sich im ersten Teil der Edition eine bibliographische Liste der Werke Picos, die auch die unterschiedlichen Drucke der Gesamtausgabe beinhaltet.433 Zusätzlich führt Garin bei den Ausgaben einzelner Werke bei den Disputa431 Vgl. Garin (1942: S. 52–59). Hier erwähnt er auch die Errata corrige (ebd.: S. 54 mit Anm. 2), ohne allerdings darzulegen, inwiefern er auf diese in seiner Edition zurückgreift. 432 Garin (1946: S. 17). 433 Vgl. Garin (1942: S. 89f.). Hier findet sich allerdings der Druck C (Paris: Jean Petit 1517) folgendermaßen betitelt (ebd.: S. 90): »Omnia opera. Parisiis impensa Joannis Parvi, anno MDV, die nona mensis iunii.« unter Verweis auf »Panzer, VIII, 39« (ebd.); der korrekt datierte Druck C fehlt indessen. Ein Vergleich mit den bei Garin schlicht als ›Panzer‹ zitierten Annales Typographici (= Panzer, Georg Wolfgang: Annales Typographici ab anno MDI ad annum MDXXXVI continuati, Band 8, Nürnberg 1800, 39 [Nr. 942]) zeigt, dass es sich tatsächlich um den Druck C handelt, der hier unter der Rubrik Parisiis geführt wird als: »Joannis Pici Mirandulae Opera. Parisiis impensa Joannis Parvi, anno millesimo quingentesimo decimo septimo die nona mensis Junii«. Der offensichtliche Verweis sowie das gemeinsame Datum (die nona mensis Junii) machen klar, dass es sich bei Garin schlicht um einen Fehler beim Abschreiben handelt, was wiederum den Schluss nahelegt, dass er selbst die entsprechende Ausgabe nie eingesehen hatte. In seiner Einleitung zum Nachdruck der Ausgabe der Opera omnia von 1572 (Pico 1971: S. VII) hingegen zählt Eugenio Garin lediglich die von Ludovico Mazzali besorgte Ausgabe des Jahres 1506 auf mit dem Verweis: »alcuni esemplari ceduti a Jean Petit hanno mutato il frontespizio e la marca tipografica«; darauf folgt die von Fontaneto di Monteferrato besorgte Ausgabe des Jahres 1519 (F), der Druck C fehlt hingegen. Wie hartnäckig solche scheinbar kleinen Fehler indessen sein können, lässt sich exemplarisch daran festmachen, dass noch fast ein halbes Jahrhundert später Ferdinand Roulier in seiner umfangreichen Darstellung der Philosophie Picos unter den bilbiographischen Anga-

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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tiones erneut die Drucke B – offensichtlich als Grundlage seiner Edition – sowie D an, da dieser als einziger der Drucke lediglich die ersten Bücher der Disputationes enthält, nicht aber die gesammelten Werke. Dass Garin in seiner Edition der Disputationes die Editio princeps ihrerseits als Textgrundlage verwendete, wird zudem nahegelegt durch die Tatsache, dass er in einigen Anmerkungen Varianten zum von ihm konstituierten Text bietet, die mit der Majuskel ›B‹ bezeichnet werden und allem Anschein nach die entsprechenden Lesarten der Edition von 1496 bieten, die in seinem Text verbessert wurden. Woher diese Verbesserungen stammen, bleibt indessen offen. Die relevanten Stellen lassen sich wie folgt darstellen:434 prooem. 4 mathematicos] mathematico B (40,12) prooem. 6 fit] sit B (44,17) 1,17 Anchialum] Archealum B (58,15) 1,17 Scylax] Hoychilax B (58,17) 1,46 τὸ μὲν πρῶτον ἰδίαν – ] τὸ μὲν πρῶτον et cetera quae sequuntur B (76,15–18) 1,50 Alchasibi] Altasibi B (80,16–17) 1,50 Tofail] Tripdis B (80,17) 1,58 adultae] adulta B (84,30) 1,58 nunc] num B (86,3) 1,65 Eusebium] Enselaum B (90,10) 2,1,9 quia] quare B (104,24) 2,2,3 quia] quare (106,21) 2,3,3 quia] quare B (114,25)435 2,3,4 praesenti] praesentis B (116,2)436 2,5,11 revereatur] reveretur B (134,9–10)437 2,6,1 eventaque] eventa quae B (136,17)438 2,6,4 infelicitate] infelicitatem B (138,22) 2,7,5 facit] faciunt B (148,3) 2,7,13 dimissorem] divisorem B (152,21) 2,8,6 excentrico] erentico B (160,1) 3,2,2 a Deo] adeo (180,10) 3,2,8 affectus] effectus B (184,5) 3,2,13 tam] tum B (186,10) 3,2,15 credatur] credantur B (186,24)439 3,3,6 satus] fatus B (192,17) 3,3,7 facultates vel parentum] vel facultates parentum B (192,25) 3,4,11 lucis] luci B (198,30) 3,4,32 illae] illis B (208,25) 3,5,11 disiunctam] disiuncta B (214,23) 3,6,7 omnibus hoc esse] hoc ben einen entsprechenden Druck anführt (Roulier 1989: S. 10): »Joannis Pici Mirandulani Omnia Opera, Jean Petit, Paris 1505.« Allerdings findet sich hier zusätzlich die Ausgabe von 1517, die als ein Nachdruck [!] dieser ersten Ausgabe firmiert (ebd.): »Joannis Pici Mirandulani Omnia Opera, Jean Petit, Paris, rééd. de l’édition précédente«. 434 Die Paragraphen beziehen sich auf die in der vorliegenden Edition getroffene Einteilung des Textes; zusätzlich ist in runden Klammern die entsprechende Seite und Zeile der Edition Garins (Garin 1946) angegeben. Die Reihenfolge der angegeben Worte sagt daher nichts über deren Stellung in der vorliegenden Ausgabe aus, sondern bildet nur den bei Garin vorliegenden Befund ab. Zur Tatsache, dass das bei Garin angeführte Sigel »B« nicht mit dem hier verwendetet B für die Editio princeps übereinstimmt, vgl. die weiteren Ausführungen unten. 435 Diese Korrekturen finden sich auch in BB und BP ; ob Garin diese korrigierten Inkunabel vorliegen hatte, ist unsicher. 436 B hat allerdings nicht, wie die Notiz bei Garin suggeriert, natura praesentis, sondern naturae praesentis. Die Angabe ist also unvollständig. 437 Diese Korrektur findet sich ebenfalls bereits in BB und BP . 438 Die von Garin in den konstituierten Text aufgenommene Variante findet sich bereits in O. 439 Diese Korrektur findet sich ebenfalls bereits in BB und BP .

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Einleitende Untersuchung (220,7) 3,7,6 vulgatam] vulgatam terrae (232,3) 3,8,1 quamquam] quaeque B (232,19) 3,9,5 motum] motu B (236,9) 3,9,7 nobilius ... ignobilius] nobilior ... ignobilior B (236,23) 3,10,12 proportione] propositione B (248,17)440 3,10,21 deserantur] deseratur B (252,12) 3,10,21 fatiscant] fatiscat B (252,13)441 3,10,24 sensuum] sensumque B (254,1)442 3,11,2 Hic] Hi B (254,17)443 3,11,11 in nos] nos B (258,28)444 3,11,14 cogitatur] cogitantur B (260,11)445 3,12,15 vim] vini B (274,5)446 3,14,5 quia] quare B (298,19)447 3,14,10 quia] quare B (302,13) 3,15,1 Adelardus] Adelandus B (304,18) 3,15,4 partes ] praesentes B (306,15)448 3,15,17 quartum] Quintum B (312,18) 3,15,22 quidem divo] qui dicit (318,1)449 3,15,26 accessus] accessum B (320,7) 3,16,24 illi] illis B (332,16) 3,16,24 Archigenem] Archigenon B (332,17)450 3,16,35 illi] illa B (338,3)451 3,16,53 septimae diei] septima dies B (340,7–8)452 3,16,57 esse] etiam B (340,32)453 3,17,2 cur] cum B (350,9)454 3,19,6 intelligunt] intelligant B (360,8)455 3,19,8 non om. B (360,28)456 3,21,13 qui] quo B (376,3) 3,23,1 positione] positioni B (378,28) 3,23,1 fiunt] fiant B (380,2)457 3,24,3 dedit] dedi B (386,3)458 3,25,2 perfectam] perfectum B (392,1) 3,26,8 humiles] humili B (404,29) 4,2,3 qua] quae B (426,18) 4,2,3 quo] quae B (426,19)459 4,3,6 habent] habet (432,8) 4,3,21 infortuniisque] infortuniis quae B (456,3) 4,5,4 fata] facta B (460,15) 4,7,4 ne quae] neque B (468,24) 4,7,4 de equo] de

440 B hat propōne, was sowohl die Abbreviatur von propositione als auch von proportione sein kann; vgl. die ähnlichen Abbreviaturen bei Cappelli (1928: S. 287); G und O haben hingegen propositione. 441 Die letzten beiden Angaben sind falsch; B hat in beiden Fällen ebenfalls den Plural deserantur und fatiscant, ebenso alle anderen Drucke. 442 Diese Korrektur findet sich ebenfalls schon in BCorr – dass diese Garin bekannt waren, geht aus seiner Einleitung hervor; ob er die Errata corrige auch für die Textkonstitution der Disputationes heranzog, ist hingegen unklar. 443 Nur O hat die falsche Lesart Hi – Garin zitiert also den Druck O als »B«. 444 Auch O hat in nos. 445 Cogitatur findet sich ebenfalls bereits in O. 446 Ein Blick in die Vorlage (Aug. civ. 5,2 p. 192,26) zeigt, dass die Korrektur sicher ist. 447 Auch diese Verbesserung ist bereits im Druck O zu finden. 448 Die Korrektur zu partes ist ebenfalls bereits in BCorr vollzogen. 449 Auch O liest quidem divo. 450 An dieser Stelle liest O grammatikalisch inkorrekt Archigenes non. 451 Auch O hat bereits illi. 452 Auch O hat septimae diei. 453 Ebenfalls aus O entnommen. 454 Die Korrektur zu cur liegt bereits in BCorr vor. 455 Intelligunt ist bereits in O. 456 Auch O hat bereits das Wort non ergänzt. 457 O liest ebenfalls fiunt. 458 Dedi findet sich nur in W und O, nicht jedoch in B. Garin zitiert also an dieser Stelle vermutlich ebenfalls O. 459 Die letzten beiden Angaben sind irreführend, B hat ebenfalls qua und quo, was auch Garin im Text schreibt.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

145

quo B (468,25)460 4,8,3 mentis] mentes B (474,18) 4,10,1 in bonis erroris] in bonis erroris B [!] (486,4)461 4,12,3 conditioque] Conditione B (494,3)462 4,15,3 [tempus] curandi] curandum B (514,2)463

Anhand dieser Fälle wird klar, dass Garin in seiner Edition neben einigen Fehlern an vielen Stellen Verbesserungen anführt, die bereits im Druck O enthalten sind, ohne diese als solche zu kennzeichnen;464 dass er den Druck O benutzt haben muss wird anhand der Stellen klar, an denen er einen in O enthaltenen Text irrtümlich B zuweist.465 Daneben finden sich viele andere Stellen, an denen Garin früheren Drucke, insbesondere dem Druck O, gegen die in B gebotene Lesart folgt, ohne eine entsprechende Abweichung zu markieren. Dazu zählen: epist. Gianfranc. 3 discerptique] disceptique OGarin 1,8 plusque] plusquam OGarin 1,24 cognatiore α : cognatiores βOGarin 1,25 astrologis α : astrologos βOGarin 1,30 error is B : erroris GOβGarin 1,53 tum α : tunc βOGarin 1,55 omnia] omina WOGarin 1,56 indicio] iudicio BP Garin 2,1,7 tum] cum BEC GGarin 2,2,3 quilibet] quiCorr bus B G 2,2,3 fortunavit α : formavit βOGarin 2,2,11 corpori] corporis BEC GGarin 2,4,6 quod] quid WOGarin 2,4,7 profanda] profunda BCorr GGarin 2,4,8 avidior α : auditor βOGarin 2,5,2 securim α : securi βOGarin 2,5,5 quod quot α : quot quot VDRFC : quotquot WOGarin 2,6,1 non om. WOGarin 2,6,7quare] quia BCorr GGarin 2,6,9 dixerint] dixerunt WOGarin 2,6,14 probis] probris BCorr GOGarin 2,7,3 sententia] sententiae OGarin 2,7,6 istud] illud OGarin 2,7,9 praecedentes] praecedentis Garin 2,7,13 accumuletur] accumulatur OGarin 2,9 (Tit.) ostenditur α : ostendit βOGarin Et si sani si veri] At sane si veri BP BEC GGarin 2,9,1 numquam] quotiens BB BF BEC GGarin 2,9,4 fore] forte OGarin 2,10,2 quare] quia BB BP BEC GCGarin 2,10,2 consulet α : consultet βOGarin 460 B und G haben ebenfalls equo, quo hingegen steht in β und O. 461 Die Angabe ist nicht sinnvoll; der Text Garins weicht nicht von B oder anderen Drucken ab. 462 B hat entgegen der Notiz Garins conditiove, GO und β haben hingegen conditione. 463 Text und Notiz sind irreführend: Soll tempus eine Ergänzung oder eine Athetese sein? Die eckigen Klammern legen eine Athetese nahe – vgl. Maas (1950: S. 11) –, allerdings hat B nur curandum; es muss sich daher um eine Ergänzung handeln, die allerdings im Apparat nicht erklärt wird. 464 Dazu zählen: 2,6,1 eventaque] eventa quae B (136,17); 3,11,11 in nos] nos B (258,28); 3,11,14 cogitatur] cogitantur B (260,11); quia] quare B (298,19); 3,15,22 quidem divo] qui dicit (318,1); 3,16,35 illi] illa B (338,3); 3,16,53 septimae diei] septima dies B (340,7–8); 3,16,57 esse] etiam B (340,32); 3,19,6 intelligunt] intelligant B (360,8); 3,19,8 non om. B (360,28); 3,23,1 fiunt] fiant B (380,2). Offensichtliche Fehler sind 3,10,21 deserantur] deseratur B (252,12); 3,10,21 fatiscant] fatiscat B (252,13)4,2,3; qua] quae B (426,18);4,2,3 quo] quae B (426,19); 4,7,4 de equo] de quo B (468,25); 4,10,1 in bonis erroris] in bonis erroris B [!] (486,4). 465 Hierbei handelt es sich um die folgenden Stellen: 3,11,2 Hic] Hi B (254,17) sowie 3,24,3 dedit] dedi B (386,3). In beiden Fällen ist die von Garin mit ›B‹ bezeichnete Lesart realiter in O zu finden, nicht aber in der Editio princeps.

146

Einleitende Untersuchung 2,10,4 non om. OGarin 2,6,6 quae] quam BCorr GOGarin 3,1,1 quaestionem] populi quaestionem BCorr GGarin 3,2,12 motu] motu et BCorr GGarin 3,2,14 alias] alius BCorr GGarin 3,2,15 paratissimum] pacatissimum BCorr Garin 3,3,4 tamquam] tam BCorr GGarin 3,3,5 contingerunt α : contigerunt βOGarin 3,3,8 torqueant] torpeant BCorr Garin 3,4,27 cui] cum BCorr GGarin insolutione α : in solutione βO Garin 3,4,29 substernatur] substernantur OGarin 3,4,29 terrosum] retrosum WOGarin 3,4,32 a om. WOGarin 3,6,9 dum solvit B : dissolvit βBCorr GGarin 3,6,10 materia B : natura βBCorr GGarin 3,6,22 se α : sed βOGarin 3,7,6 praeterea] prae disci BF BEC GGarin Corr 3,9,8 an] aut B Garin 3,10,6 vivunt est sed] vivunt sed est BB BF Garin : vivunt est sed est BB BEC : vivunt sed O 3,10,10 cum] cum sit OGarin 3,10,22 reddit] redit COGarin 3,11,13 sententiae] sententia OGarin 3,11,16 minus] munus OGarin 3,11,19 proptereaque] propterea quod OGarin 3,12,6 proprietares α : proprietates βOGarin 3,12,8 pertinent] pertinet BB BP Garin 3,12,10 proptereaque] propterea OGarin 3,12,13 tamen] tam BP Garin466 3,13,6 calefaceret B : Corr calefecerat B GOβ Garin 3,13,32 plene] plane OGarin 3,14 (Tit.) vera superstitione (citra superstitionem BCorr G)] vana superstitione OGarin 3,14,5 cum om. OGarin 3,15 (Tit.) quam tam et si B : quantam et si Gβ : quam et si OGarin 3,15,4 modum] motum OGarin 3,15,17 extendatur] extendantur OGarin 3,15,20 vigore] vigorem BB BF BEC GGarin 3,16,9 horum] harum OGarin 3,16,13 posterioribus] posteribus OGarin 3,16,21 vigesimum] vigesimum primum WO Garin 3,16,22 et om. WOGarin 3,16,28 cuius] cui OGarin 3,16,32 inest B : inhaesit BP BF BEC GVWRFOGarin 3,16,45 trigona αC : tetragona VWRFOGarin 3,16,45 Adde quod BC : Ad quae BCorr GVWRFOGarin 3,16,47 non BC : omnino BCorr GVWRFOGarin 3,16,47 malae] mala OGarin 3,16,49 custodita] custodito OGarin 3,16,50 periculis BC : periodis BCorr GVWRFOGarin 3,16,52 diurnioresque BC : diuturnioresque BCorr GVWRFOGarin 3,16,56 Galenus] Galeno videtur OGarin 3,16,56 rato] raro OGarin 3,16,60 quidem α : quidam βOGarin 3,19,9 impudentissime] imprudentissime OGarin 3,19,10 praesensione] praesentione OGarin 3,20,1 faciat] facit OGarin 3,20,3 fundo] fundamento OGarin 3,20,12 his] hic WOGarin 3,21,6 tacto] tanto BCorr GOGarin 3,21,6 praeses] praesens OGarin 3,21,8 dictis] ex dictis BCorr GOGarin 3,21,11 tam] tantum OGarin 3,21,14 iniuria] iniuriosa OGarin 3,23,1 fiant] fiunt OGarin 3,23,2 mundana] mundanda RCOGarin 3,24,3 sortiti B : sortiri BCorr GOβGarin 3,26,2 reddidimus] reddimus WOGarin 3,26,9 eum] cum OGarin 3,27,1 astruere] adstruere OGarin 4,3,3 nec] nunc BCorr OGarin 4,3,5 latebraque α : la-

466 Auch in der an dieser Stelle zitierten Vorlage (Aug. civ. 5,6 p. 199,3) findet sich tam. Die Korrektur ist in jedem Falle sinnvoll.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse

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tebramque BB BP OβGarin 4,4,3 septimi] supini OGarin 4,4,19 proximi om. OGarin 4,7,5 sive] sine BB BP OGarin 4,7,6 primisque α : proximisque βOGarin 4,7,6 exhalare om. OGarin 4,8,5 solum id] id solum OGarin 4,9,4 solvine] solvi OGarin 4,10,3 in om. OGarin 4,13,3 Quae] Quare WOGarin

Diese erhebliche Anzahl von Abweichungen von der Editio princeps macht deutlich, dass Garin in seiner Edition an vielen Stellen – entgegen seiner Erklärung – von dem im Erstdruck gebotenen Text abweicht, um einem anderen, späteren Textzeugen – sehr wahrscheinlich O – zu folgen. Auch einige Änderungen aus den Errata corrige finden sich in der Ausgabe von Garin. Dass er diese Abweichungen ohne weitere Kennzeichnung in seine Edition aufnahm, zeigt, dass Garin beim Konstituieren seines Textes sehr eklektisch vorging, was jedoch für den Leser auf Grund mangelnder Kennzeichnung nicht mehr nachvollziehbar ist. Zu diesen – vermutlich beabsichtigten – Abweichungen tritt eine ganze Reihe von weiteren Änderungen im Gegensatz zu dem in B und allen anderen früheren Drucken vorhandenen Text, die ebenfalls nicht gekennzeichnet werden und in den meisten Fällen wohl als Versehen zu betrachten sind: prooem. Gianfranc. 1 ornamentum] ornamen Garin prooem. Gianfranc. 1 vanitatum (vanitatem F)] vanitas Garin prooem. Gianfranc. 2 provectorique] provectiorique Garin prooem. Gianfranc. 3 elidite (elidire RC)] elicite Garin prooem. disp. 2 et om. Garin prooem. disp. 5 cuiquam] cuique Garin prooem. disp. 5 et om. Garin prooem. disp. 5 intextas] intextam Garin prooem. disp. 6 cum] tum Garin proem. disp. 6 sit] fit Garin prooem. disp. 7 virili] virili parte Garin prooem. disp. 7 stat ratio] ratio stat Garin 1,1 libris] libris et Garin 1,2 est add. Garin 1,4 quisquam] quisque Garin 1,4 suarum] suorum Garin 1,5 cognitionem] conditionem Garin 1,6 quo genere] quo Garin 1,9 inexcusabile] inescusabile Garin 1,11 decessit] dicessit Garin 1,12 sugillavit] fugillavit Garin 1,16 praeterquam] praeter Garin 1,17 etiam om. Garin 1,20 de se ipso] se ipsum Garin 1,23 naturas] naturam Garin 1,23 cuique] quisque Garin 1,30 testimoniis] testimonia Garin 1,30 credere om. Garin 1,37 sententia] sententiam Garin 1,40 illum] illos Garin 1,41 loquentiae] eloquentiae Garin 1,42 prosequeremur] prosequemur Garin 1,45 praedictionem] praedictionum Garin 1,45 attigerint] attigerit Garin 1,49 vides] videas Garin 1,51 ita] ira Garin 1,58 etiamnum] etiam nunc Garin 1,59 impietatem] impietate Garin 1,62 rationem] rationes Garin 1,62 subiciunt] subiciant Garin 1,65 esse om. Garin 1,69 nostrae] nostra Garin 1,71 et om. Garin 1,71 illa detentione] damnatione Garin 1,73 aliis] iis Garin 1,76 poterat] poterant Garin 2,1,4 tum] cum Garin 2,2,4 enim] idem Garin 2,3 (Tit.) astrologiam] astronomiam Garin 2,3,1 demonstravimus] de-

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Einleitende Untersuchung monstrabimus Garin467 2,4,2 illi] illa Garin 2,4,8 quadragentesimum] quadringentesimum Garin 2,4,8 annos] annum Garin 2,4,8 coniunctionem] conuunctionem Garin 2,4,12 historiae] historicae Garin 2,4,13 e om. Garin 2,5,2 religionis] religioni Garin 2,5,2 omnis] omnes Garin 2,5,3 ille] illum Garin 2,5,3 Pharao] Pharaon Garin 2,5,3 Iordanem] Iordanum Garin 2,5,9 sabbati] sabbatis Garin 2,5,12 sibi om. Garin 2,5,12 ea om. Garin 2,5,13 nos] non Garin 2,6,2 mendacia] mendaciam Garin 2,6,11 imitemini] imitamini Garin 2,6,8 quod] quos Garin 2,6,9 ita] ista Garin 2,6,9 plurimum] plurimos Garin 2,7,3 quare] quia Garin 2,7,4 eam] eum Garin 2,7,17 confodienda] confondenda Garin 2,9,6 vita] vitam Garin 2,9,10 reliquit] relinquit Garin 2,9,13 istam] illam Garin 2,9,15 videri] videre Garin 2,10,2 videbit] vibebit Garin 2,10,3 cur] cum Garin 2,10,3 ipse] ibi Garin 2,10,8 tamen] tam Garin 2,10,8 astronomum] astronomorum Garin 2,10,8 mihi ipsi] ipsi mihi Garin 2,10,10 obliget] obligent Garin 3,1,1 quas] quae Garin 3,1,2 sentiant] sentiunt Garin 3,1,2 deprehendi] deprehendi posse Garin 3,1,2 veri] veris Garin 3,1,5 adiciamus] adiciemus Garin 3,2,2 Aristotelis] Aristoteles Garin 3,2,5 affert] effert Garin 3,2,10 producant] producunt Garin 3,2,13 tum] tam Garin 3,2,14 habilis] abilis Garin 3,2,16 meritas om. Garin 3,3,1 ut om. Garin 3,3,2 non add. Garin 3,4,2 primus] primum Garin 3,3,4 et om. Garin 3,3,9 calores] colores Garin 3,3,11 elementalis] elementaris Garin 3,3,11 sicuti] sicut Garin 3,3,11 luci] lucis Garin 3,3,13 calida] calida est Garin 3,4,14 generet] generat Garin 3,4,15 alia om. Garin 3,4,18 faeculentaque] faeculenta Garin 3,4,26 ipsius] eius Garin 3,4,28 suscipiendae] suspiciendae Garin 3,4,30 perque] per Garin 3,4,32 illis] illae Garin 3,4,32 speciem] species Garin 3,5,3 quadam] quidem Garin 3,5,4 sicuti] sicut Garin 3,5,10 universo] universum Garin 3,6,1 etiam om. Garin 3,6,2 duobus] duobis Garin 3,6,21 octimestri] octrimestri Garin 3,6,8 Soli] Sol Garin 3,6,9 illo] ullo Garin 3,6,9 ipsa] ipso Garin 3,6,12 afferat] afferrat Garin 3,6,13 animalium] animali Garin 3,6,13 humiditate] humiditatem Garin 3,6,10 habitiora] habiliora Garin 3,7,3 Saturno] Saturni Garin 3,7,4 ab add. Garin 3,7,6 terrae om. Garin 3,7,7 Venere] Venerem Garin 3,8,2 varia] varie Garin 3,9,1 prodit] perdit Garin 3,9,8 ut] unde Garin 3,9,10 posset] potest Garin 3,9,13 facit om. Garin 3,10,1 fit] sit Garin 3,10,12 et] ed Garin 3,10,22 semper om. Garin 3,11,4 sit add. Garin 3,11,8 illa (illas O)] illos Garin 3,11,9 qui] quis Garin 3,11,13 feruntur] ferentur Garin 3,12,2 istius] illius Garin 3,12,3 in om. Garin 3,12,5 accidentalem] accidentale Ga-

467 Hier handelt es sich um eine sinnvolle Korrektur, die aber im Apparat bei Garin nicht angezeigt wird.

Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse rin 3,12,8 respondet] respondent Garin 3,12,9 mutationes] mutationum Garin 3,12,13 obinantium] opinantibus Garin 3,12,13 ad add. Garin 3,12,16 dici merito] merito dici Garin 3,13,4 sugillare] fugillare Garin 3,13,8 id om. Garin 3,13,8 signi] signis Garin 3,13,16 eadem] eaedem Garin 3,13,19 neque] nec Garin 3,13,23 feruntur om. Garin 3,13,25 aquilonaribus] aquilinaribus Garin 3,13,26 et om. Garin 3,13,30 quis] qui Garin 3,14,2 sui] sua Garin 3,14,4 humectatione] humefactione Garin 3,16,10 saepius] saepe Garin 3,16,12 Luna] Lunam Garin 3,15,5 deminuitur] diminuitur Garin 3,15,7 hinc om. Garin 3,15,11 terrae] terris Garin 3,15,19 contendente] intendente Garin 3,15,24 decimam octavam] undecimamoctavam Garin 3,15,25 contrahuntur] contrahantur Garin 3,16,1 referri] refelli Garin 3,16,8 octo] XXVII Garin 3,16,8 primus] primum Garin 3,16,12 viginti om. Garin 3,16,19 virtutem] virtutum Garin 3,16,23 illi] illam Garin 3,16,25 aestimemus] aestimamus 3,16,25 novilunio] plenilunio Garin 3,16,26 argumentantur] argumentatur Garin 3,16,26 oppositis] in oppositis Garin 3,16,30 id] in Garin 3,16,37 propius] proprius Garin 3,16,39 discordat] discordant Garin 3,16,49 diei add. Garin 3,16,50 videmus] videbimus Garin 3,16,52 lentiores] leniores Garin 3,16,55 sunt observata] observata sunt Garin 3,16,58 canerent] caneret Garin 3,16,59 hisdem] hic de Garin 3,18,2 restitutum] restitutus Garin 3,19,6 flatus] status Garin 3,19,8 labefactaretur] labefacteretur Garin 3,19,8 in illis] illis in Garin 3,19,10 ab] a Garin 3,19,10 quas] quae Garin 3,20,4 quare] quia Garin 3,20,4 qualitatibus] qualitatibis Garin 3,22,1 causarias] casuarias Garin 3,22,3 vaticinantur] vaticinant Garin 3,23,2 pituitosos] pituosos Garin 3,23,3 quamvis] quasi Garin 3,23,5 genere alia] generalia Garin 3,24,9 neque] nec Garin 3,25,1 declaratum] declaratus Garin 3,25,2 efficiet] efficit Garin 3,25,2 atque] et Garin 3,25,10 hae] haec Garin 3,25,14 sicut] sicut ut Garin 3,25,14 intensio] intentio Garin 3,25,16 potestatem] potestantem Garin 3,25,17 vitam] vita Garin 3,26,3 effundat] effundet Garin 3,26,6 causa] causam Garin 3,26,8 succulentas ostreas] succulenta ostrea Garin 3,26,9 facit] facet Garin 3,27,4 melius] melium Garin 3,27,6 genus] genere Garin 3,27,13 non om. Garin 4,1,1 est add. Garin 4,1,1 ista] ita Garin 4,1,6 quales del. Garin 4,1,9 etiam om. Garin 4,3,8 veri] vero Garin 4,3,8 consilium] consilio Garin 4,3,9 accepit] accipit Garin 4,3,12 agere] ageret Garin 4,3,15 fabulas om. Garin 4,3,20 cognationes] cognitiones Garin 4,4,1 aut potentius sentiunt om. Garin 4,4,5 temeritateque] necessitateque Garin 4,4,6 et] ut Garin 4,4,7 alligatos] alligatum Garin 4,4,14 ad add. Garin 4,4,18 et om. Garin 4,4,18 negaret] negarent Garin 4,4,18 sed om. Garin 4,4,19 posset] potest Garin 4,5,3 ex] e Garin 4,6,2 eum] cum Garin 4,6,2 hoc] goc

149

150

Einleitende Untersuchung Garin 4,6,2 tunc] tum Garin 4,6,4 eum] cum Garin 4,6,5 et add. Garin 4,7,3 Quaero] Quare Garin 4,7,5 recipiatur] accipiatur Garin 4,7,7 si om. Garin 4,7,7 astrologum] astrologorum Garin 4,8,5 poterant] poterat Garin 4,9,4 obstrusarum] abstrusarum Garin 4,10,1 Hinc] Hic Garin 4,10,3 tot om. Garin 4,10,5 illis om. Garin 4,11,1 alvum] ex alvo Garin 4,11,2 in om. Garin 4,11,4 familiae] familiis Garin 4,12,3 causa om. Garin 4,12,9 reliquae om. Garin 4,12,12 et om. Garin 4,13,2 an] aut Garin 4,13,6 responsurus] repsonsurum Garin 4,14,2 illam] illa Garin 4,14,3 potuit fieri] fieri potuit Garin 4,14,3 inundatione] mundatione Garin 4,14,4 fient] fiunt Garin 4,14,6 Sol] Sole Garin 4,15,1 fuerit] fierit Garin 4,15,2 somnis] somniis Garin 4,15,6 certam] certa Garin 4,16,3 effectus] effectos Garin

Die Tatsache, dass es sich bei diesen mehr als 200 Abweichungen von der von Garin als Editionsgrundlage definierten Ausgabe B auch an einigen Stellen um durchaus gelungene Verbesserungen des Textes handelt, vermutlich also um diagnostische Konjekturen Garins, lässt die Situation noch undurchsichtiger erscheinen. Aus diesem Grunde wurden in der vorliegenden Edition alle Abweichungen, die sich zu der Edition Garins finden, im kritischen Apparat aufgelistet, nicht, um mit beckmesserischer Pedanterie oder gar Häme die Fehler des großen Renaissanceforschers aufzuzählen, sondern um dem heutigen Leser die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil über eventuelle Konjekturen Garins zu bilden. Da Garin selbst in seiner Edition leider nicht genügend Handhabe zur Verfügung stellt, zwischen Lesefehlern, Tippfehlern und beabsichtigten Änderungen zu unterscheiden, werden alle Abweichungen der hiesigen Edition vom Text Garins im Apparat angeführt, auch diejenigen, die offensichtliche Irrtümer sind.468

468 Um offensichtliche Irrtümer handelt es sich beispielsweise bei: prooem. Gianfranc. 1 ornamentum] ornamen Garin; 1,9 inexcusabile] inescusabile Garin; 1,12 sugillavit] fugillavit Garin; 2,7,17 confodienda] confondenda Garin; 2,10,2 videbit] vibebit Garin; 3,19,8 labefactaretur] labefacteretur Garin; 3,20,4 qualitatibus] qualitatibis Garin; 3,26,9 facit] facet Garin;4,15,1 fuerit] fierit Garin.

Stemmatische Darstellung der Überlieferung der Disputationes

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1.7 Stemmatische Darstellung der Überlieferung der Disputationes Das folgende Stemma gibt die in Kapitel 1.6 gewonnenen Erkenntnisse zu den Abhängigkeiten der einzelnen Drucke untereinander in graphischer Form wieder. Gestrichelte Linien, die allesamt von BEC oder B ausgehen, bezeichnen eine Übernahme einzelner Verbesserungen bzw. Lesarten aus diesen Vorlagen in den jeweiligen Druck (Kontamination). Durchgehende Linien hingegen bezeichnen eine direkte Abhängigkeit. Zur Frage, ob BB und BP auf einen gemeinsamen Zeugen (k1) zurückgehen, direkt von B abstammen oder eine andere Grundlage haben müssen, vgl. oben S. 116.

Autograph K

B V D W R

G F

O C (S)

k1

k2

BB BP BF BEC

152

Einleitende Untersuchung

1.8 Leitende Editionskriterien Die vorliegende Edition versucht, den Text der Disputationes nach Möglichkeit in einer sinnvollen und für moderne Leser lesbaren Fassung wiederzugeben, die der vom Autor beabsichtigten soweit wie möglich entspricht. Dabei gilt es, insbesondere zwei Fehlerquellen zu erkennen und – wo möglich – zu beseitigen: 1. Zum einen muss die Edition weitestgehend in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt werden, d.h. ohne die zahlreichen Fehler, die sich in späteren Drucken finden und den Text in seiner ursprünglichen Form (bzw. in der durch die Editio princeps als ältester fassbarer Textform überlieferten Gestalt) entstellen. In diesem Sinne besteht die erste Aufgabe darin, diese Fehler ausfindig zu machen und den Text von ihnen zu bereinigen. 2. Zum anderen ist es die Aufgabe, die Editio princeps als ältesten Textzeugen auf Fehler zu untersuchen und diese nach Möglichkeit zu verbessern. Hierbei müssen sowohl solche Korrekturen berücksichtigt werden, die von späteren Editoren vorgenommen wurden und in die nachfolgenden Drucke eingeflossen sind, als auch bei Bedarf eigene diagnostische Konjekturen vorgenommen werden, um verderbte Stellen möglichst zu heilen. Um den zweiten Punkt gewährleisten zu können wird grundsätzlich von der Hypothese ausgegangen, dass das Werk fehlerfrei aus der Feder des Autors hervorging; obschon die Äußerungen des Editors darauf hindeuten, dass die Disputationes sich beim Tod des Autors in einem alles andere als perfekten Zustand befanden, lässt sich nämlich ex post nicht mehr zwischen solchen Fehlern unterscheiden, die vom Autor stammen, und solchen, die der Editor – oder Drucker – eingebracht hat. Dies sei an einem Beispiel erläutert. In disp. 2,7,13 heißt es: Vide quomodo sunt vera dogmata astrologorum et quomodo praedicere isti vera de vitae spatio possint, praesertim cum his, quae diximus, erroribus maximus accumuletur, quod…

Diesen Satz überliefern alle Textzeugen, von orthographischen Details abgesehen, im o.g. Wortlaut.469 Bereits auf den ersten Blick wird allerdings klar, dass der Satz so schwerlich korrekt sein kann, da das Relativpronomen quae (Akk. Pl. n.) nicht mit dem maskunlinen Substantiv erroribus kongruieren kann.470 469 Auch Garin übernimmt den Satz in seiner Edition und übersetzt (vgl. Garin 1946: S. 152f.): »Considera dunque la verità dei fondamenti degli astrologi, con quanta esattezza costoro possano predire la durata della vita, soppratutto quando si aggiunga, a quelli che abbiamo già detto, quest’ altro grossissimo errore.« Garin liest jedoch (mit O) den Indikativ accumulatur, nicht den Konjunktiv accumuletur. 470 Zum Geschlecht des Wortes error vgl. den entsprechenden Eintrag im Thesaurus Linguae Latinae s.v. error (ThLL 5,2, p. 814,63–66 [impr. 05.1935]); im hier edierten Teil der Disputationes finden

Leitende Editionskriterien

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Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze, den Fehler zu lokalisieren und entsprechend zu beheben: Entweder es handelt sich um eine Verschreibung des Relativpronomens (I) und man ändert quae zu quos, wobei zum Adjektiv maximus das Substantiv error gedanklich zu ergänzen ist: »...zumal zu den bereits genannten Fehlern noch als größter Fehler hinzukommt, dass...«; oder (II) der Fehler liegt im Substantiv erroribus und man lässt die Junktur his, quae diximus i.S.v. »dem bereits Gesagten« (wobei gedanklich ein Bezugswort zum Relativpronomen quae wie verba zu ergänzen wäre) unverändert und ändert erroribus zu error ab, um so ein mit dem Adjektiv maximus kongruierendes Prädikativum zu erhalten: »... zumal zu dem bereits Gesagten als größter Fehler hinzukommt, dass...« Welche der beiden Lösungsmöglichkeiten die korrekte ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.471 Genauso wenig kann geklärt werden, wann dieser Fehler genau aufgetreten ist: Offensichtlich handelt es sich um einen Fehler, der entweder Giovanni Pico beim hastigen Verfassen des Manuskripts unterlief, oder aber genauso gut Giovanni Francesco (bzw. dem Drucker) bei der Überarbeitung der Unterlagen seines Onkels unterlaufen sein könnte und bei den Korrekturen übersehen wurde.472 Fest steht in jedem Fall, dass beide Picos den Fehler unzweifelhaft korrigiert hätten, wären sie auf ihn aufmerksam geworden, widerspricht er doch den fundamentalen Regeln der (lateinischen) Grammatik. In diesem Sinne wird der Text in der vorliegenden Edition in korrigierter Form ediert, wobei der beigegebene textkritische Apparat dem Leser ermöglicht, die Korrektur nachzuvollziehen und ggf. zu abweichenden Schlüssen zu kommen.

sich für das Wort error 36 Belege (epist. Gianfranc. 4; prooem. Gianfranc. 1; prooem. 3; 1,26; 1,30; 1,35; 1,39; 1,49; 1,54 [hos errores]; 1,55; 1,57 [2x]; 1,58 [illos errores]; 1,62; 1,75; 2,4,7; 2,4,11; 2,4,12; 2,5,2; 2,5,10; 2,7,3; 2,7,4; 2,7,6 [2x]; 2,7,12; 2,7,13; 2,7,17; 2,8,3; 2,8,11; 3,11,11; 3,11,14; 3,16,49; 4,3,7; 4,10,1 [earum scripsi]; 4,14,1; 4,15,2), wobei keine Stelle darauf hinweist, dass Pico es als Neutrum verstanden haben könnte. 471 Beide Verschreibungen, quos zu quae und error zu erroribus, lassen sich paläographisch einigermaßen plausibel erklären; allerdings scheint die Verschreibung des Relativpronomens (I) wahrscheinlicher, insbesondere, da die Junktur quae diximus in Bezug auf ein – explizit genanntes oder im Geiste zu ergänzendes – Bezugswort verba häufiger bei Pico vorkommt (z.B. disp. 3,4,21; 3,20,1; 4,4,19). Hinzu kommt, dass eine Verschreibung des Wortes error zu erroribus (II) trotz des anschließenden kongruenten Adjektives maximus unwahrscheinlicher scheint als die relativ rasche Verwechslung von quos und quae. Aus diesem Grunde wird in dieser Edition quos mit entsprechender Notiz im Apparat in den textus constitutus aufgenommen. 472 In anderen Fällen wurden solche Kongruenzfehler verbessert, so in den Errata corrige (disp. 1,70) oder in BB und BP (disp. 3,5,7).

154

Einleitende Untersuchung

Ein entsprechendes Beispiel für einen Fehler, der sich erst im Laufe der Überlieferung in den Text einschlich, sich dann aber umso hartnäckiger dort halten konnte, findet sich in der Überschrift zu Kapitel 2,9, die in B noch folgendermaßen lautet: Raro evenire, quae dicunt astrologi, quod tum externis, tum domesticis exemplis ostenditur.

In allen späteren Drucken findet sich statt der passiven Form ostenditur jedoch die aktive Form ostendit, die auch Garin in seiner Edition übernimmt.473 Dies ist nur möglich, wenn man als Subjekt nicht von einem unpersönlichen »man« ausgeht, sondern ein konkretes Substantiv wie »der Autor« oder »Giovanni Pico« unterstellt – dies wäre allerdings der einzige Fall für eine Überschrift in den Disputationes, in der in der sich die dritte Person Aktiv auf den Autor bezieht.474 Dies spricht dafür, dass es sich schlicht um einen Fehler beim Kopieren handelte, der jedoch nicht weiter auffiel und daher nicht beseitigt wurde.475 Entsprechend den hier gebotenen Editionskriterien wird im besprochenen Fall die in B gebotene, korrekte Lesart des Titels zu disp. 2,9 übernommen, wobei der textkritische Apparat die entsprechenden Abweichungen der späteren Editionen anzeigt. Dass B inklusive der an den Exemplaren dieses Druckes vorgenommenen Korrekturen als die für die Edition maßgebliche Stufe der Textgenese gilt, hat mehrere Gründe; zum einen ist es die (aus heutiger Perspektive) älteste verfügbare Form des Textes, da jegliche handschriftlichen Zeugen fehlen. Dies bedeutet, dass B der von Paul Maas erhobenen Forderung nach der »Herstellung eines dem Autograph (Original) möglichst nahekommenden Textes« im Falle der Disputationes zumindest chronologisch am nächsten kommt.476 In den Fällen, in welchen sich in den späteren Drucken Varianten finden, die als ungefähr gleichwertig mit einer in B gebotenen Lesart gelten dürfen, wird in diesem Sinne die von B gebotene Lesart in den textus constitutus aufgenommen, während ein entsprechender Hinweis im Apparat auf die abweichende Lesart späterer Drucke verweist. Varianten aus späteren Drucken wurden nur dort der Lesart von B vorgezogen, wo diese offen473 Vgl. Garin (1946: S. 160f.). Die Übersetzung lautet folgerichtig: »Che di rado si verificano le predizioni degli astrologi; il che l’autore dimostra sia con esempi altrui che non vicende familiari.« 474 Alle anderen Überschriften sind in unpersönlicher Formulierung (Passiv, AcI, etc.) Ganz ähnlich beispielsweise auch die Überschrift zu disp. 3,3 (Retorquetur prima ratio atque ostenditur caelum causam esse universalem neque ad ipsam individuorum varietatem referendam) sowie zu 3,9: Solvitur obiectio atque ostenditur neque specificas neque individuales rerum differentias a caeli motu pendere. In beiden Fällen findet sich ein unpersönliches Passiv. 475 Diese These gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man berücksichtigt, dass das Wort ostenditur in B (fol. c3v ) an der besagten Stelle mit einer Abbreviatur (oñdit’) abgekürzt wird, die zwar gängig ist, am Seitenrand – die gesamte Überschrift ist in einer Zeile enthalten – jedoch nur schwer zu lesen. Hinzu kommt, dass das Zeichen für die Passivendung (’) grundsätzlich leicht zu übersehen ist. 476 Vgl. Maas (1950: S. [Nr.1]).

Leitende Editionskriterien

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sichtlich falsch ist oder eine deutliche Verbesserung des Textes aus der späteren Lesart hervorgeht.477 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass der hier gebotene textkritische Apparat zwar ein Varianten-Apparat ist, also abweichende Lesarten dokumentiert und somit über den konstituierten Text Rechenschaft ablegt, dass er jedoch nicht den Anspruch erhebt, alle abweichenden Varianten zu verzeichnen. Nicht in den kritischen Apparat aufgenommen wurden insbesondere offensichtliche Druckfehler wie auf dem Kopf stehende oder verstellte und falsche Buchstaben: Angesichts der Tatsache, dass die gesamte Überlieferung aus frühneuzeitlichen Inkunabeln und Drucken besteht, würde die Aufnahme aller Druckfehler in den kritischen Apparat diesen über Gebühr aufblähen, während der daraus zu ziehende Nutzen für das Verständnis der Disputationes minimal wäre.478 1.8.1 Orthographie

Hinsichtlich der Darstellung des Textes antiker wie frühneuzeitlicher Autoren, finden sich zur korrekten Darstellung der Orthographie sehr unterschiedliche Ansichten und Herangehensweisen.479 Nach den Empfehlungen von Lothar Mundt werden bei der Edition neulateinischer Texte generell drei unterschiedliche methodische Herangehensweisen unterschieden: Erstens (I) eine buchstabengetreue, diplomatische Textwiedergabe, zweitens (II) eine nach den Regeln des klassischen Lateins konsequent standardisierte Edition sowie drittens (III) eine Edition, die durch Normalisierung und gleichzeitiges Erhalten einiger typischer Eigenheiten eine Synthese der ersten beiden Formen darstellt.480 Obschon jede dieser Herangehensweisen Vor- und Nachteile besitzt, ist jeder Editor neulateinischer Literatur – sensu latiore jeder Editor von Literatur überhaupt – gezwungen, sich für die eine oder andere Methode zu entscheiden, wobei 477 In den Fällen, in welchen die Lesart späterer Drucke besser erschien, jedoch Zweifel bestanden, ob sie die ursprüngliche Lesart darstellt und nicht etwa eine spätere Verbesserung, wurde ein entsprechender Zusatz wie fort. recte o.Ä. im Apparat ergänzt. Dass hierbei an vielen Stellen das Urteil des modernen Herausgebers die maßgebliche Rolle spielt, ist ein methodologisches Problem, welches jeder Edition, die kein Faksimile oder Transkript eines einzelnen Textzeugen darstellt, inhärent ist. Da der kritische Apparat jedoch über die abweichende Lesarten Auskunft erteilt, muss letztlich der jeweilige Leser selbst eine individuelle Entscheidung treffen. 478 Aus druckhistorischer Perspektive sind die Druckfehler bestimmter Drucker und Drucke sicherlich interessant – diejenigen, die im Hinblick auf drucktypische oder druckertypische Details Interesse an derartigen speziellen Einzelheiten haben, werden aber in jedem Falle eigene Kollationen anhand der Originale oder entsprechender Scans vornehmen, was in Zeiten zunehmender Verfügbarkeit alter Drucke und Handschriften durch die weit vorangeschrittene Digitalisierung oftmals nicht einmal mit größerem Aufwand verbunden ist. So lassen sich beispielsweise fast alle Drucke der Disputationes (mit Ausnahme der handschriftlich korrigierten Exemplare) online einsehen. 479 Vgl. hierzu z.B. Rabbie (1996: S. 25–48 [hier: 26]). 480 Vgl. Mundt (1992: S. 186–190 [hier: 186f.]). Mundt selbst präferiert die dritte Methode. Vgl. zu dieser Einteilung insbesondere auch Rabbie (1996: S. 31–33).

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Einleitende Untersuchung

insbesondere die Extremfälle (I und II) in den seltensten Fällen in dogmatischer Striktheit Anwendung finden dürften.481 In diesem Sinne kann I zwar den Anspruch erheben, historisch korrekt zu sein und den Anforderungen an moderne Editionstechnik zu genügen, andererseits wird hier ein Text produziert, der für jeden Leser, der nicht mit den zahlreichen Abkürzungen und Idiosynkrasien neulateinischer Texte im Allgemeinen und – im vorliegenden Fall – Giovanni Pico della Mirandolas im Besonderen vertraut ist, schwer oder gar nicht verständlich sein dürfte.482 In strenger Form angewendet würde der erste Satz des Prooemiums der Disputationes beispielsweise folgendermaßen lauten, wenn man die Editio princeps (B) für eine buchstabengetreue Repräsentation zu Grunde legt: Homerus atq3 Cæcilius, antiꝗssimi uates pessimos eē prædicant inimicos, qui sub amicoR spē nos circūueniunt.

Dass diese Textgestaltung selbst für erfahrene erfahrene Latinisten, sofern sie nicht über neulateinische Editionserfahrung verfügen, nicht leicht verständlich ist, liegt auf der Hand. Löst man die im Text enthaltenen Abbreviaturen hingegen nach Schema III auf, so sieht man sich vor das methodische Problem gestellt, dass ein und dasselbe Wort im selben Text in unterschiedlichen Fassungen auftaucht: So finden sich beispielsweise allein in Druck B – der als ältester Textzeuge in jedem Fall relevant für die Orthographie wäre – für das Wort praedicere die folgenden Schreibweisen zum Teil nur wenige Worte voneinander entfernt: – – – –

p¯dicere predicere prædicere praedicere

Auch wenn sich diese Schreibweisen in einer modernen Edition relativ mühelos darstellen lassen, sieht man sich als Herausgeber unweigerlich vor die Frage gestellt, welche Form des Suffixes man bei der Auflösung einer im Text befindlichen Abbreviatur (¯ pdicere) wählen soll: Egal, für welche Form man sich entscheidet,

481 Vgl. hierzu Rabbie (1996: S. 31): »I have, for that matter, nowhere found the application of this principle in all its strictness«. Vgl. zu den hiermit verbundenen Einschränkungen auch Sidwell (2017: S. 402f.). 482 Vgl. hierzu die polemische Formulierung bei Rabbie (1996: S. 30f.): »The knowledge of Latin amongst non-classicists (but I’m afraid this also holds for some classicists) has so dramatically declined during the last 25 years, that presenting them with a Neo-Latin text in its original form amounts to wasted effort.«

Leitende Editionskriterien

157

die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Beleg des Wortes eine andere orthographische Form aufweist, ist hoch; darüber hinaus stellt die abgekürzte Form im Druck eine bewusst mehrdeutige Schreibweise dar, deren Auflösung an dieser Stelle möglicherweise eine Abweichung von der Autorintention (bzw. der Absicht des Druckers) darstellt. In diesem Sinne wurde die Entscheidung gefällt, im vorliegenden Text nach den Regeln des klassischen Latein streng zu standardisieren, wobei auch eine Unterscheidung von ›u‹ und ›v‹ nach dem frühneuzeitlichen Lautwert vorgenommen wird.483 Dies scheint in umso höherem Maße gerechtfertigt, als für die Disputationes keinerlei handschriftliche Überlieferung vorliegt, sodass eine Wiedergabe orthographischer Besonderheiten im besten Falle zwar die Eigenheiten des Herausgebers bzw. des Druckers repräsentieren würde, kaum aber die Gewohnheiten Giovanni Pico della Mirandolas, auf dessen idiosynkratischen Schreibstil bereits hingewiesen wurde. Leider stößt auch diese Methode schnell an ihre Grenzen, insbesondere bei Namen und Termini, die im klassischen Latein nicht vorkommen. So wird der persische Aristoteliker und Astrologe Abū Ma῾šar in disp. 1,50 als Abumasar (in den Drucken B und G) oder Albumasar (in den Drucken VWDRCF und O) bezeichnet, in disp. 2,4,12 tritt er hingegen in einigen Drucken (WR) als Albumaser auf. In ähnlicher Weise wird der im siebten Kapitel des zweiten Buches auftretende Terminus technicus des »Hylegh« sowohl als Hylegh bezeichnet als auch als Hyleg oder Hilech – welcher Namensform ist nun der Vorzug vor den anderen zu geben? Eine mögliche Variante wäre der Rückgriff auf die etymologisch korrekte Form »Hyleg«, wobei aber die Rückübertragung heutiger etymologischer Erkenntnisse auf die in der Frühen Neuzeit verwendete Schreibform als ein Anachronismus zu werten wäre, der wenig bis gar nichts über die Gewohnheiten dieser Frühen Neuzeit auszusagen vermag.484 Aus diesem Grunde wird bei Namen und entsprechenden Termini technici, für die sich keine standardisierte Schreibweise finden lässt, diejenige orthographische Variante beibehalten, die der älteste fassbare Druck, die Editio princeps, bietet; dies 483 Als Richtschnur gilt, wo möglich, der Thesaurus Linguae Latinae, Worte, die in ihm nicht enthalten sind, werden nach den Regeln des Oxford Latin Dictionary (allerdings unter Wahrung der Unterscheidung von ›u‹ und ›v‹ nach Lautwert) geschrieben. In jedem Fall wurde den Eigenschaften Textkohärenz und Lesbarkeit der Vorzug vor allzu dogmatischem Festhalten an formulierten Prinzipien eingeräumt. 484 Zur Etymologie von ›Hyleg‹ aus Arabisch »(al-)hīlāğ« bzw. Mittelpersisch »hīlāk« siehe Kunitzsch (1977: S. 49f.). Den Beweis, dass eine standardisierte Namensform für dieses astrologische Phänomen noch nicht existierte, bietet das Lexicon mathematicum, immerhin gut hundert Jahre jünger als der jüngste Druck der Disputationes (O), das den Hyleg unter dem Lemma Hyleg seù Hylech anführt (Vitali 1668: S. 229 [s.v. Hyleg]).

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Einleitende Untersuchung

führt zwar dazu, dass ein und derselbe Name bzw. derselbe Begriff bei mehrfacher Erwähnung in unterschiedlicher Schreibweise erscheint, andererseits kann so eine gewisse Kontinuität gewährleistet werden, die im Übrigen immerhin von Giovanni Francesco Pico insofern abgesegnet wurde, als sich keine orthographischen Korrekturen in den entsprechenden Korrekturexemplaren von B finden lassen. Um den Variantenapparat nicht weiter aufzublähen, sind orthographische Abweichungen auch von Namen generell nur dann angeführt, wenn sie besonders auffällig sind oder für das Verständnis des Kontextes notwendig; ansonsten wurde stillschweigend die Schreibweise der Editio princeps beibehalten. Da dies an manchen Stellen zu Verwirrungen führen kann, sind in der Deutschen Übersetzung i.d.R. die Namen in standardisierter Schreibweise angegeben. Bei griechischen Namen werden in der Übersetzung i.d.R. die griechischen Umlaute und die entsprechenden Endungen beibehalten;485 lediglich bei Namen, die im Deutschen in anderer Form gängig sind, wurde diese Form gewählt, so z.B. »Plotin« statt »Plotinos«. Arabische Namen sind nach den Umschriftregeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft transliteriert, so zum Beispiel »al-Qabīṣī« statt »Alchabitius«, wobei die lateinische Form zumeist in Klammern nachgestellt ist, da die lateinischen Namen oftmals stark von den arabischen Pendants abweichen.486

1.8.2 Interpunktion

Die Interpunktion ist nach den Regeln der deutschen Interpunktion an moderne Lesegewohnheiten angepasst – eine Forderung, die fast alle Regelwerke für die Edition neulateinischer Texte aufstellen.487 Satzwertige Konstruktionen wie ein AcI oder ein Ablativus absolutus sind dabei in der Regel nicht mit Kommata vom 485 So z.B. »Ptolemaios« statt der latinisierten Form »Ptolemaeus« oder der in der Frühen Neuzeit gängigen Form »Ptholomaeus« oder »Porphyrios« statt der lateinischen Endung »Porphyrius«. 486 So zum Beispiel »Ibn Sīnā« und die lateinische Form »Avicenna«. 487 Vgl. etwa Rabbie (1996: S. 34): »For punctuation the same seems to hold as for spelling: a choice has to made between in toto preservation or adaptation to modern principles. In this case, however, there does not seem to be much latitude; in view of Latin being an inflectional language without much regularity in word order a punctuation that is not based upon »modern« principles will soon give occasion to complete incomprehensibility of the text.« Etwas vorsichtiger Mundt (1992: S. 188): »Weist der Originaltext aber eine in sich sinnvolle [...] Interpunktion auf, so sollte sie möglichst bewahrt, allenfalls nur sporadisch [...] modifiziert werden.« Ähnlich – obschon ungleich apodiktischer – Huygens (2000: S. 54f.): »Don’t scatter commas all over [the text], just keep together what belongs together, both grammatically and logically [...]. Pay attention to the punctuation of your manuscript(s). Whilst on the whole being unsuitable for modern readers, it may frequently provide the editor with a clue as to the author’s intention, and, in the case of quotations, as how he read and (mis)understood them.« Zu den Regeln der früneuzeitlichen Interpunktion, die keineswegs immer rhetorisch oder inkonsequent gehandhabt wurde, vgl. insbes.

Leitende Editionskriterien

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Hauptsatz abgetrennt; lediglich an Stellen, an welchen fehlende Kommata das Verständnis des Satzes erschweren, wurden die Syntax verdeutlichende Satzzeichen eingefügt. Relativsätze sind im Normalfall mit Kommata abgegrenzt, nicht hingegen dann, wenn dadurch Schwierigkeiten beim Verständnis des Textes auftreten können, z.B. in einigen Fällen, in welchen sie als Subjekt- oder Objektsätze fungieren, ohne dass ein Bezugswort (z.B. in Form eines Demonstrativpronomens) im Hauptsatz zu finden ist.488 In allen Fällen ist die in den Drucken vorhandene Zeichensetzung im vorliegenden Text immer berücksichtigt und zu Rate gezogen worden, wenn sie beispielsweise Hinweis auf syntaktisch zusammenhängende Wörter oder Phrasen geben kann.489 Dass auch der Herausgeber der Editio princeps mit der im Druck B vorliegenden Interpunktion nicht in jedem Falle einverstanden war, zeigen einige der in BP vorgenommenen Korrekturen, die Verbesserungen ebendieser Interpunktion darstellen. Hier hat der Korrektur beispielsweise Klammern ergänzt490 , die Groß- und Kleinschreibung verbessert491 sowie an einigen Stellen die Interpunktion (und Orthographie) grundlegend geändert; so findet sich disp. 1,11 in B folgendermaßen interpungiert:492 Plotinus in platonica familia primae fere auctoritatis habetur. Eum scribit Porphyrius cum diligentem astrologiae operam dedisset/ comperissetque tandem artis vanitatem falsitatemque praedictionum omnem astrologis fidem abrogasse. Quare libro quoque dicato cui titulus de stellarum efficientia dogmata astrologorum asseverate risit et confutavit. Quod aegre ferens Maternus multa super eius morte mentitur: quasi de eo poenas sumpserit fatum. nam illa esse falsissima ex Porphyrio ipso Plotini discipulo facile intelligitur: qui et genus morbi quo decessit: et causam et cur Roma discesserit plane fideliterque describit.

In der in BP gebotenen, korrigierten Fassung lautet der folgende Abschnitt hingegen:493 Plotinus in platonica familia primae fere auctoritatis habetur. Eum scribit Porphyrius cum diligentem astrologiae operam dedisset/ comperissetque tandem artis vanitatem, falsitatemque praedictionum omnem astrologis fidem abrogasse. Quare libro quoque dicato, cui titulus Burkard (2003); eine Übersicht über die Funktion der unterschiedlichen Satzzeichen findet sich ebd.: S. 20–22. 488 Dies führt letztlich notwendigerweise zu einer gewissen Inkonsequenz im Umgang mit Kommata, die jedoch wissentlich zu Gunsten eines möglichst hohen Maßes an Textverständnis in Kauf genommen wurde, dem schließlich auch die Zeichensetzung verpflichtet sein muss. 489 Vgl. hierzu auch Burkard (2003: S. 24): »Als den Hauptzweck der Interpunktion betrachtete man im 16. Jahrhundert die Vermeidung von Missverständnissen.« 490 So z.B. prooem. 3 (ut sic dicam). 491 So z.B. 1,39 Arabs statt arabs. 492 Der Abschnitt ist aus B übernommen, lediglich Abkürzungen sind aufgelöst; die Groß- und Kleinschreibung ist hingegen beibehalten worden. 493 Geänderte und ergänzte Interpunktionszeichen sind unterstrichen.

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Einleitende Untersuchung

de stellarum efficientia, dogmata astrologorum asseveratè risit et confutavit. Quod aegre ferens Maternus multa super eius morte mentitur: quasi de eo poenas sumpserit fatum, nam illa esse falsissima ex Porphyrio ipso Plotini discipulo facile intelligitur, qui et genus morbi, quo decessit, et causam, et cur Roma discesserit, plane fideliterque describit.

Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass die in BP vorgenommenen Korrekturen der modernen Interpunktion ziemlich nahe kommen, auf jeden Fall deutlich näher als die ursprünglichen Interpunktionszeichen der Editio princeps. In der vorliegenden Edition lautet derselbe Text: Plotinus in Platonica familia primae fere auctoritatis habetur. Eum, scribit Porphyrius, cum diligentem astrologiae operam dedisset comperissetque tandem artis vanitatem falsitatemque, praedictionum omnem astrologis fidem abrogasse; quare libro quoque dicato, cui titulus De stellarum efficientia, dogmata astrologorum asseverate risit et confutavit. Quod aegre ferens Maternus multa super eius morte mentitur, quasi de eo poenas sumpserit fatum; nam illa esse falsissima ex Porphyrio ipso, Plotini discipulo, facile intelligitur, qui et genus morbi, quo decessit, et causam et cur Roma discesserit plane fideliterque describit.

1.8.3 Vom Umgang mit Quellen bei der Textkonstitution

Quellen und Bezüge zu anderen Werken, die sowohl markiert als auch unmarkiert eingefügt werden, stellen ein konstitutives Element der Disputationes und ihrer Argumentationsstruktur dar, die einen consensus omnium bonorum derjenigen evoziert, die sich gegen die Astrologie ausgesprochen hätten.494 Dass diese auch bei der Konstitution des Textes eine bedeutende Rolle spielen und in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden müssen, soll im Folgenden erläutert werden. Als exemplarisch für das Betrachten des Umgangs mit Quellen bei Giovanni Pico an sich können insbesondere einige Kapitel aus dem zweiten Buch der Disputationes gelten, welches von den Fehlern und Missverständnissen der Astrologie und insbesondere der Astrologen und Astrologieschriftsteller handelt. Hierbei kommt der Autor immer wieder auch auf das Problem zu sprechen, dass sich die Texte zur Astrologie nicht nur an vielen Stellen uneinig sind, sondern dass viele unterschiedliche oder sogar einander widersprechende Konzepte aus falschen Interpretationen der großen Autoritäten auf diesem Gebiet entstanden sind, welche 494 Bei der sog. Markierung handelt es sich um textinhärente Intertextualitätsmerkmale (sog. marker), welche der Dechiffrierung eines vorliegenden (intertextuellen) Verweises dienen. Diese speziellen marker, die mehr oder weniger explizit sein können, sind es, die dem Leser den intertextuellen Verweis signalisieren. In Anlehnung an Gerard Genette und Manfred Pfister unterscheidet der Anglist Jörg Helbig in seiner Monographie »Intertextualität und Markierung« (1996) vier verschiedene Stufen der Markierung von Intertextualität, die sich aus der unterschiedlich deutlichen Markierung der intertextuellen Verknüpfung ergeben: Nullstufe, Reduktionsstufe, Vollstufe und Potenzierungsstufe; vgl. hierzu Helbig (1996: S. 83–142).

Leitende Editionskriterien

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– hier sieht man den kritischen Blick des Humanisten Pico – oft auf fehlerhaften Editionen oder unzureichendem Textverständnis beruhen. So fügt er gleich zu Beginn des zweiten Buches im ersten Kapitel ein langes lateinisches Zitat ein, bei dem es sich um eine exakt markierte Übersetzung aus den Ἀποτελεσματικά (lat. Quadripartitum) des Ptolemaios handelt;495 bereits hier macht Pico deutlich, dass seine Übersetzung nicht den bereits im Druck vorliegenden scholastischen Übersetzungen aus dem Arabischen folgt, also weder der von Platone da Tivoli (Plato Tiburtinus) um 1138 angefertigten noch der von Egidio de’ Tebaldi (Aegidius de Thebaldis) verfassten Übertragung aus dem 13. Jahrhundert. Vielmehr übersetzt Pico, nachdem er dezidiert seinen Unmut über die fehlerhaften und ungenügenden Übersetzungen seiner Vorgänger äußerte, die Stelle selbständig ins Lateinische, wobei er sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern – wie er selbst sagt und wie aus der Übersetzung auch deutlich wird – auf den griechischen Originaltext stützt:496 Ptolemaeus igitur in primo Apotelesmaton, postquam iudicia astrologorum saepe esse mendacia dixit vicio praedicentis, tum haec ita subicit ad verbum, quae nos voluimus transferre, quia male habentur in translatione communi et peius in translatione Avenrodan et ab eo male exponuntur; sed cum fideliter erunt translata, expositione non indigebunt: »Verum illud tum liquet...«497

495 Disp. 2,1,4–7. 496 In diesem Fall ist sicher belegt, dass Pico über ein handschriftliches Exemplar dieses bedeutenden astrologischen Werkes verfügte, den Laurentianus Graecus 28,20, der sich sicher zumindest eine Zeit lang im Besitz des Humanisten befand; auf Blatt 1r trägt er den Besitzvermerk olim Laurentii de medicis Repertus inter libros Comitis Ioannis Mirandulani. Vgl. zu diesem Codex auch die Praefatio der Edition der Ἀποτελεσματικά (Hübner 1998: S. XII) sowie den Eintrag im CCAG I (1898) pp. 3– 4 [nr. 3]. Zur Bedeutung der Werke des Ptolemaios für die Kritik Picos vgl. Akopyan (2018 [insbes. S. 550–555]) sowie Akopyan (2021 [insbes. S. 71–87]). 497 Disp. 2,1,3–4. Als translatio communis wird die Übersetzung von Platone da Tivoli bezeichnet; zur Tatsache, dass die Übersetzung von Platone da Tivoli in der Renaissance die wirkmächtigste war, vgl. Vuillemin-Diem / Steel (2015: S. 1): »Tiburtinus’ translation became the standard translation used by scholars for several centuries [...]. The Tiburtinus translation remained the standard text throughout the Renaissance.« Zu Platone da Tivoli, dem Verfasser mehrerer astronomischastrologischer Traktate, der mehrere astrologische Werke aus dem Arabischen und Griechischen übersetzte, vgl. u.a. Haskins (1924: S. 11); er wirkte u.a. in Barcelona und übersetzte dort im Jahre 1138 die Apotelesmatica des Ptolemaios ins Lateinische. Bei der translatio Avenrodan handelt es sich um die Übersetzung von Egidio de’ Tebaldi aus Parma, die um kurz nach 1270 von den Apotelesmatica des Ptolemaios sowie dem beigegebenen Kommentar des ῾Alī ben Riḍwān (lat. Avenrodan) entstand, was den von Pico verwendeten Namen als translatio Avenrodan erklärt; vgl. hierzu u.a. Hasse (2015: S. 373) sowie zu den Übersetzungen der Tetrabiblos im Allgemeinen VuilleminDiem / Steel (2015: S. 1–2).

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Einleitende Untersuchung

Innerhalb dieses äußerst umfangreichen Zitates findet sich nun an einer Stelle das Wort dissimilibus, welches in allen Korrekturexemplaren (BCorr ) übereinstimmend zu similibus verändert wurde. Da die Korrekturen der Errata corrige sowie die handschriftlichen Verbesserungen durch die Hand Giovanni Francescos in der Regel hohen Wert haben und fast immer die richtige Lesart bieten, ist man schnell geneigt, auch dieser Verbesserung zu folgen und dissimilibus entsprechend durch Tilgung der negierenden Vorsilbe zu similibus zu verbessern498 : Ceterum quis non videt evenire illud posse, ut figurae ipsae atque aspectus magis minusve inter se similes sint longis temporum anfractibus? Ut autem concordia prorsus eadem cunctorum, quae in caelo sunt, praesertim si terram quoque adiunxeris, revertatur, ne sperandum quidem videtur, nisi quis forsitan inaniter glorioseque se iactet in comprehendendis cognoscendisque rebus, quae vel comprehendi suapte natura penitus nequeunt, vel eo certe spatio temporis, quod sit hominis modo sensibus indultum; quo fit, ut [dis]similibus propositis exemplis etiam quandoque in praescitis aberretur.

Dass die Form similibus im vorliegenden Umfeld des sicherlich kausal oder modal zu verstehenden Ablativus absolutus, der die Begründung bzw. die Umstände des hin und wieder auftretenden Irrens angibt, wenig sinnvoll und sogar konträr zu den vorausgehenden Feststellungen ist, lässt sich bei einem raschen Überfliegen der zugegebenermaßen komplizierten Stelle kaum feststellen. Prüft man jedoch die Picos Übersetzung zu Grunde gelegte Quelle, den Ptolemaios-Text, findet man an dieser Stelle einhellig im Genitivus absolutus, der das Pendant zu Picos Ablativus absolutus darstellt, die Form ἀνομοίων überliefert, während kein Zeuge abweichend davon ὁμοίων, das griechische Pendant zu similibus, bietet:499 ὡς διὰ τοῦτο καὶ τὰς προρρήσεις ἀμομοίων ὄντων τῶν ὑποκειμένων παραδειγμάτων…

Die Tatsache, dass sich unter den bekannten Handschriften, die die Form ἀνομοίων bieten, mit dem Codex Laurentianus Graecus 28,20 auch ein Exemplar befindet, von dem bekannt ist, dass es sich im Besitz Giovanni Picos befand, unterstützt die These, dass Pico an der besagten Stelle das Adjektiv ἀνόμοιος las und dieses im Lateinischen korrekt durch das Pendant dissimilis wiedergab. Allerdings ist die Junktur similibus exemplis bzw. simili exemplo weitaus häufiger innerhalb der Latinität belegt, als es bei dissimilibus exemplis oder dissimili exemplo und ähnliche Verbindungen der Fall ist.500 Dies lässt den Schluss zu, 498 Disp. 2,1,5. 499 Ptol. apotel. 1,2,16; Hübner (1998) bietet keine relevante Abweichung im Apparat ad loc. 500 Die Junktur similibus exemplis findet sich beispielsweise bei Cicero (part. 126) sowie in der Cicero zugeschriebenen Rhetorik an Herennius (Rhet. Her. 2,46,1); simili exemplo findet sich u.a. bei Quintilian (inst. 8,4,11). Für dissimilibus exemplis lässt sich kein Beispiel finden, die Verbindung von exemplum mit dem Adjektiv dissimilis findet sich überhaupt erst seit Seneca (benef. 2,32,2: exemplum ... dissimile).

Leitende Editionskriterien

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dass die vermeintliche Korrektur Giovanni Francescos an dieser Stelle durch eine allzu flüchtige Lektüre des Textes zu erklären ist, sodass die geläufigere Junktur die weniger geläufigere (aber korrekte) ersetzte, ohne dass der Herausgeber dem intertextuellen Verweis nachgegangen wäre und den Originaltext herangezogen hätte – eine Art lectio facilior. Da an dieser Stelle mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass Pico selbst die Form ἀνομοίων in seiner Vorlage las und daher in seinem Text das Wort dissimilis intendierte, darf der moderne Herausgeber an dieser Stelle nicht der Änderung Giovanni Francesco Picos folgen, obschon dessen Korrekturen in der Regel bessere Lesarten bieten; vielmehr muss die ursprüngliche Form dissimilibus im Textus constitutus beibehalten werden, während die vermeintliche Korrektur durch den Herausgeber der Erstausgabe als abzulehnende Variante in den kritischen Apparat aufgenommen wird. Auch an anderen Stellen hilft das Finden und Bestimmen der jeweiligen Quelle dabei, den Text in seiner intendierten (ursprünglichen) Form wiederherzustellen. So zitiert Pico im 26. Kapitel des dritten Buches einen längeren Absatz des Philosophen Favorinus von Arelate. In der Editio princeps lautet dieser Absatz:501 Potius igitur stant nobis contra illos ista experimenta, quam ut contra fidem astrologorum opinionibus arrogent, nisi, quemadmodum dicebat Phavorinus, ut supra etiam tetigimus, quia oceanus, quasi Lunae comes, cum ea simul senescit adolescitque, putant argumentum esse ad persuadendum omnium rerum humanarum et parva et maxima, tamquam stellis atque sideribus evincta, duci atque regi. Sed longe dispar atque, ut idem astrologos ludens iactabat, nimisque ineptum et absurdum est, ut, quantum aestus oceani cum Lunae curriculo congruit, negotium quoque alicuius, quod ei forte de aquae ductu cum rivalibus apud iudicem est, existimemus ipsum quoque quasi habena quadam de caelo victum502 gubernari.

Dass dieser Absatz grammatikalisch bzw. syntaktisch nicht ganz korrekt sein kann, fällt bereits beim ersten Lesen auf: Insbesondere der zweite Satz (Sed longe dispar...) kann in dieser überlieferten Form nicht korrekt sein. Tatsächlich lässt sich die Passage als Zitat aus dem Referat des Favorinus von Arelate gegen die Astrologen identifizieren, welches in den Noctes Atticae des Aulus Gellius (14,1) überliefert wird; an dieser Stelle heißt es bei Gellius (Gell. 14,1,3–4):503 Atque eos, quoniam viderent terrena quaedam inter homines sita caelestium rerum sensu atque ductu moveri, quale est, quod oceanus quasi lunae comes cum ea simul senescit adolescitque, hinc videlicet sibi argumentum ad suadendum paravisse, ut crederemus, omnia rerum 501 Disp. 3,26,10. 502 Das Wort victum ist in BB und BP zu vinctum geändert. 503 Die unterstrichenen Passagen decken sich (mehr oder minder) wörtlich mit den bei Pico zitierten Abschnitten.

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Einleitende Untersuchung

humanarum et parva et maxima, tamquam stellis atque sideribus evincta, duci et regi. Esse autem nimis quam ineptum absurdumque, ut, quoniam aestus oceani cum lunae curriculo congruit, negotium quoque alicuius, quod ei forte de aquae ductu cum rivalibus aut de communi pariete cum vicino apud iudicem est, ut existimemus, id negotium quasi habena quadam de caelo vinctum gubernari.

Vergleicht man die beiden Textabschnitte, wird evident, dass es zwischen Pico und seiner Quelle Abweichungen gibt, die zum einen auf einer gewollten Umstellung bzw. Anpassung an den Kontext beruhen, zum anderen kleinere Abweichungen in der Wortwahl darstellen.504 Darüber hinaus finden sich allerdings auch Abweichungen, die nicht beabsichtigt scheinen oder zumindest dergestalt sind, dass sie, wenn man die bei Gellius überlieferte Wortwahl bei Pico in den Text aufnimmt, die syntaktische Konstruktion reparieren können: Dies sind zum einen die Junktur nimis quam statt nimisque, zum anderen quoniam statt quantum. Beide Verschreibungen sind paläographisch leicht mit ähnlichen Abkürzungen zu erklären, wobei insbesondere das Einfügen der kausalen Subjunktion quoniam notwendig ist, um den Text syntaktisch zu korrigieren. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass die besagten Stellen im Manuskript Giovanni Picos korrekt wiedergegeben waren (oder zumindest korrekt beabsichtigt waren), im Laufe der weiteren Überarbeitung jedoch spätestens mit dem Druck der Editio princeps falsch publiziert wurden und in allen späteren Editionen falsch erhalten blieben. Da jedoch an der Intention des Autors diese Stelle betreffend kein Zweifel bestehen kann, sind die notwendigen Änderungen in der vorliegenden Edition entsprechend in den Textus constitutus aufgenommen worden. Kleinere Abweichungen von dem bei Gellius überlieferten Text hingegen sind lediglich im Apparat vermerkt, da nicht rekonstruiert werden kann, ob diese Abweichungen auf eine abweichende Vorlage, einen mnemotechnischen Lapsus des Autors oder eine überlieferungsbedingte Änderung zurückgehen.505 So lautet die Stelle in der vorliegenden Edition: 1 2 3 4 5

Potius igitur stant nobis contra illos ista experimenta, quam ut contra fidem astrologorum opinionibus arrogent, nisi, quemadmodum dicebat Phavorinus, ut supra etiam tetigimus, quia oceanus, quasi Lunae comes, cum ea simul senescit adolescitque, putant argumentum esse ad persuadendum omnium rerum humanarum et parva et maxima, tamquam stellis atque sideribus evincta, duci atque regi. Sed longe dispar atque, 504 So lässt Pico beispielsweise die für seine Argumentation nebensächliche Erwähnung des Nachbarn bei Gellius (aut de communi pariete cum vicino) aus und ändert die Konstruktion, indem er den Finalsatz ut crederemus, der bei Gellius den folgenden AcI (omnia – regi) auslöst, wegfallen lässt und stattdessen den AcI direkt von dem übergeordneten persuadendum abhängig macht (bei Gellius steht das Simplex suadendum). 505 So zum Beispiel Picos duci atque regi statt des bei Gellius überlieferten duci et regi. Auf einen Gedächtnisfehler könnte die Junktur et absurdum statt des bei Gellius überlieferten absurdumque hindeuten.

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ut idem astrologos ludens iactabat, nimis quam ineptum et absurdum est, ut, quoniam aestus oceani cum Lunae curriculo congruit, negotium quoque alicuius, quod ei forte de aquae ductu cum rivalibus apud iudicem est, existimemus ipsum quoque quasi habena quadam de caelo vinctum gubernari.

Dazu macht der textkritische Apparat die folgenden Angaben: 4 persuadendum] fort. scribendum suadendum (cf. Gell. 14,1,3 ) omnium] omnia Gell. 14,1,3 5 atque2 ] et Gell. 14,1,3 6 nimis quam correxi coll. Gell. 14,1,4 : nimisque ΩGarin et absurdum] absurdumque Gell. 14,1,4 quoniam correxi coll. Gell. 14,1,4 : quantum ΩGarin 8 ipsum] id negotium Gell. 14,1,4 9 vinctum BB BP Garin (cf. Gell. 14,1,4) : victum αβO

Ein anders geartetes Beispiel eines diesmal unmarkierten Verweises findet sich im ersten Buch der Disputationes, in welchem Pico einen Katalog von Schriftstellern und Persönlichkeiten aus Geschichte und Politik seit der Antike anführt, die die Astrologie mehr oder minder dezidiert verworfen hätten. Darunter befänden sich auch unbekanntere antike Philosophen und Astronomen: So belege der Philosoph Panaitios, dass ein gewisser Kassander sowie Archelaus, beides ausgezeichnete Astronomen, niemals von der divinatorischen Astrologie Gebrauch gemacht hätten; auch der Mathematiker ›Hoychilax von Halikarnassos‹ habe die gesamte Astrologie verworfen (disp. 1,17): Cassandrum et Archelaum, cum in astronomia praecellerent, hoc praedictionis genere numquam usos auctor est Panaetius; Hoychilax Halicarnasseus, quamquam doctissimus in omni mathematica, totum hoc tamen divinandi per astra genus repudiavit.

Während der überlieferte Text auf den ersten Blick unverdächtig erscheint, lässt sich schnell feststellen, dass die Suche nach jenem Mathematiker Hoychilax ebenso wie die nach dem Astronomen Archelaus ins Leere läuft – über Männer dieses Namens scheint es keinerlei Hinweise aus der Antike zu geben; bekannt hingegen ist der Name des Astronomen Cassander. Damit ließe sich der Fall nun ad acta legen, tauchen doch bei Pico im Zuge gelehrten Name-droppings auch anderswo Namen auf, deren Identifizierung nicht möglich ist. Dieser Befund ändert sich aber, wenn man als den der gesamten Stelle zu Grunde liegenden Prätext einen Abschnitt aus dem zweiten Buch von Ciceros De divinatione identifiziert – eines Gewährsmannes, auf welchen Pico gerne und häufig rekurriert, der jedoch im Umfeld dieses Verweises eben nicht namentlich erwähnt wird. Obschon der intertextuelle Verweis also unmarkiert eingeführt wird, handelt es sich offensichtlich um ein Zitat des genannten Absatz aus De divinatione, wo Cicero im Rahmen des zweiten Buches Vorhersagen jeglicher Art zu widerlegen trachtet, darunter eben auch die Astrologie. Dort heißt es (Cic. div. 2,88):

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Einleitende Untersuchung

Nominat etiam Panaetius, qui unus e Stoicis astrologorum praedicta reiecit, Anchialum et Cassandrum, summos astrologos illius aetatis, qua erat ipse, cum in ceteris astrologiae partibus excellerent, hoc praedictionis genere non usos. Scylax Halicarnassius, familiaris Panaeti, excellens in astrologia idemque in regenda sua civitate princeps, totum hoc Chaldaeicum praedicendi genus repudiavit.

Augenblicklich wird klar, dass es sich bei den nicht zu identifizierenden Namen um Anchialos, nicht Archelaus, und um Skylax von Halikarnassos, nicht Hoychilax handeln muss, Namen, über die außer dem vorliegenden Referat Ciceros leider wenig bekannt ist. Folgerichtig korrigiert Eugenio Garin in seiner Ausgabe der Disputationes beide Namen entsprechend und schreibt Anchialum bzw. Scylax im Text, als ob es sich um einen Schreibfehler des Autors gehandelt habe.506 Zieht man jedoch zeitgenössische in Norditalien gedruckte Ausgaben der Schrift De divinatione zu Rate, so zeigt sich, dass diese ziemlich einhellig Archel(l)aum bzw. Hoychilax bieten. So druckt beispielsweise die 1471 in Rom bei Wendelin Speyer erschienene Edition Archelaum und Cylax, ebenso eine 1494 bei Christophorus de Pensis in Venedig gedruckte Ausgabe Archellaum und Hoychylax, genauso wie die zwei Jahre später ebendort bei Simon Bevilaqua erschienene Edition.507 Auch an dieser Stelle liegt es auf der Hand, dass die innerhalb des intertextuellen Bezuges auftretenden Abweichungen als abweichende Lesarten des Prätextes erklärbar sind, welchen Pico vorliegen hatte. Somit handelt es sich an dieser Stelle nicht um einen Fehler im Pico-Text, sondern um eine Verschreibung, die bereits der Vorlage Picos und somit dem Prätext inhärent war. Da nach Paul Maas nun Aufgabe des Editors die Herstellung eines dem Autograph möglichst nahekommenden Textes ist, nicht aber dessen Korrektur, scheint es für die constitutio textus unablässig, die prosopographisch korrekten Varianten im Apparat bzw. in Fußnoten zu erläutern, die vom Auto aber sicher so (wenn auch prosopographisch falsch) intendierten Namen im Text zu erhalten.

506 Vgl. Garin (1946: S. 58). Die überlieferten Varianten werden dort in Fußnoten referiert, was den Schluss zulässt, dass es sich um eine Korrektur Garins handelt. 507 Dass sich auch spätere Interpreten nicht an diesen Namensformen gestört zu haben scheinen, beweist beispielsweise Luca Gaurico, der in seiner Oratio de Laudibus astrologiae die Namen Picos und des besagten Hoychilax in einem Atemzug aufzählt (Ioannis de Sacro Busto 1531: fol. a2v ): Scio equidem multos eudoxios, hoychilaces. & picos esse, qui dicant magna hæc esse, quæ promittit Astrologus.

Leitende Editionskriterien

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Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig für die editorische Arbeit nicht nur das korrekte Identifizieren von Zitaten und Quellen ist, sondern wie bedeutsam es dabei ist, möglichst alle Texte, welche Pico benutzt haben könnte, und die der jeweiligen Stelle zu Grunde liegen (könnten), ausfindig zu machen, da Lesarten, die von den heute etablierten Texten abweichen, auf Pico selbst vorliegende Überlieferungsvarianten zurückzuführen sein könnten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Zitate, Entlehnungen und Paraphrasen, die einen wichtigen Teil der Argumentationsstruktur der Disputationes darstellen, auch bei der Textrekonstruktion berücksichtigt werden müssen. Alle Passagen, die als Zitate aus anderen Autoren bestimmt werden können, werden daher nicht nur im Quellenapparat als solche gekennzeichnet, sondern auch mit ihren Vorlagen verglichen, und bei abweichenden Lesarten wird auf diese im textkritischen Apparat hingewiesen; notwendige Änderungen, die sich aus dem Vergleich mit den jeweiligen Vorlagen ergeben, werden mit entsprechendem Hinweis im Apparat in den konstituierten Haupttext übernommen. 1.8.3.1 Die Apparate

Der vorliegenden Edition sind drei Apparate beigegeben, ein Quellenapparat (bezeichnet als Font.), ein Similienapparat (Sim.) sowie ein textkritischer Apparat (App. crit.).508 Im Quellenapparat werden die von Pico herangezogenen Quellen aufgelistet, unabhängig davon, ob sie markiert oder unmarkiert eingeführt werden. Ist es schon oftmals bei markierten Zitaten schwierig genug herauszufinden, auf welche Quelle Pico referiert, ist es bei unmarkierten Zitaten umso schwieriger und nicht selten sogar unmöglich. Dies bedeutet, dass, um die Quellen ausfindig zu machen, zum einen markante Phrasen in die gängigen Suchmaschinen eingegeben wurden, um eventuelle literarische Vorbilder ausfindig zu machen; zum anderen wurden die Quellen, die Pico an anderer Stelle nominatim erwähnt, immer wieder überprüft, ob sie auch an anderen Stellen Pate für die Argumentation des Autors standen. In diesem Sinne findet sich beispielsweise sehr oft der Philosoph und Theologe Thomas von Aquin im Quellenapparat aufgeführt, und das auch in vielen Passagen, in denen der Name des Aquinaten im eigentlichen Text gar nicht 508 Zur Forderung, neulateinischen Editionen einen zweiten Apparat neben dem kritischen Apparat, zumeist also einen Quellenapparat, beizugeben, vgl. z.B. Sidwell (2017: S. 403): »Far more important [than the apparatus criticus] in most cases will be an apparatus fontium«. Ähnlich bereits Huygens (2000: S. 60–65) sowie Rabbie (1996: S. 36–37). In der Tat ist ein zweiter Apparat auch in Ausgaben klassischer Autoren nicht unüblich, vgl. z.B. den umfangreichen Testimonien-Apparat in der Teubner-Ausgabe der Ilias von Martin West (1998) oder bereits in der ebenfalls bei Teubner erschienen Horaz-Ausgabe von Friedrich Klingner (1959).

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Einleitende Untersuchung

fällt. Dies liegt zum einen daran, dass sich Pico in sehr hohem Maße der scholastischen Terminologie bedient, die sich eben auch in den Werken des Thomas von Aquin finden lässt, was zu terminologischen Übereinstimmungen führt, zum anderen jedoch daran, dass viele philosophische Gedanken, die der italienische Humanist äußert, bereits bei dem scholastischen Kirchenlehrer vorgezeichnet sind, insbesondere in dessen Summa, seinem Sentenzenkommentar oder seinem Kommentar zu der aristotelischen Schrift De caelo oder den Meteora; auch die Schrift De operationibus occultis wird von Pico in seinen Disputationes intensiv rezipiert. Diese detaillierte Aufzählung der Quellen dient dabei nicht nur dem Leser als Hilfsmittel, die zahlreichen Zitate, die der Philosoph Pico in sein Werk einflocht, zu identifizieren und im Bedarfsfall selbst zu Rate zu ziehen, sondern sind nicht selten auch wichtig für textkritische Entscheidungen. Dass dabei – insbesondere im Falle eines notorischen Viellesers wie Giovanni Pico – in keinem Fall erschöpfende Vollständigkeit geboten werden kann, liegt auf der Hand; dennoch können die Quellen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Werkes bieten und im besten Falle eine Vorlage darstellen für einen umfangreichen Kommentar, der für die Disputationes – und das insbesondere für die philosophischen ersten Bücher, die einen wichtigen Einblick in die Gedankenwelt eines der bedeutsamsten Renaissancephilosophen gewähren können – ein wichtiges Desiderat darstellt. Der zweite Apparat, der als Similienapparat bezeichnet werden kann, bietet zum einen Verweise auf Parallelstellen in den Disputationes bzw. dem Gesamtwerk Picos; hier werden auch vom Autor eingefügte Querverweise mit entsprechenden Stellenangaben versehen. Zum anderen werden hier Parallelstellen aus den relevanten Schriften des Editors, Giovanni Francesco Pico, die sich ebenfalls mit der Astrologie beschäftigen und teilweise verbatim mit den Disputationes übereinstimmen, aufgelistet: Bei diesen Schriften handelt es sich um die Abhandlung De rerum praenotione sowie die lediglich handschriftlich überlieferte Quaestio de falsitate astrologiae, die als eine knappe Zusammenfassung dieser beiden Werke dient.509 Darüber hinaus werden an dieser Stelle ebenfalls die Passagen aus Lucio

509 Zur Schrift De rerum praenotione vgl. insbes. Akopyan (2021: S. 142–158 und passim) sowie Schmitt (1967: S. 192): Die Schrift wurde erstmals in der Ausgabe der Opera von 1507/1508 gedruckt, war allerdings bereits früher verfasst worden, wie aus einem Schreiben Giovanni Francesco Picos an seinen Freund, den humanistisch gebildeten Dominikanermönch Zanobi Acciaiuoli, hervorgeht, das auf den 28. Mai 1502 datiert ist: scies me nonnulla volumina de Rerum Praenotione instituisse… (Pico 1969: II S. 1275). Zitiert wird sie nach dem Nachdruck der Ausgabe der Opera omnia von 1557 (Hildesheim 1969 = Basel 1557; auf dem Kolophon [p. ] findet sich allerdings der Eintrag: »ANNO SALUTIS NOSTRAE RECVPERATAE MMLXXIII«). Die Quaestio de falsitate wurde von Walter Cavini (Cavini 1973) ediert; nach dieser Ausgabe wird hier zitiert. Eine eingehendere Untersuchung dieser Abhandlung, die eine kurze Zusammenfassung des fünften Buches von De rerum praenotione darstellt, bietet nun auch Akopyan (2021: S. 145–146).

Leitende Editionskriterien

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Bellantis Responsio zitiert, die sich in ihrer Widerlegung einzelnen Abschnitten der Disputationes widmen.510 Bei dem dritten, textkritischen Apparat handelt es sich um einen – nach klassischem Verständnis – in der Regel positiven kritischen Apparat. Dabei steht die in den Textus constitutus aufgenommene Form voran und ist entweder von einer Lemma-Klammer gefolgt oder von einem trennenden Doppelpunkt. Die LemmaKlammer bedeutet, dass alle Editionen, die danach nicht explizit genannt werden – ausgenommen sind die Korrekturversionen BB , BP , BF und BEC bzw. Gc – übereinstimmend die als Lemma genannte Lesart bieten, während die darauf folgende Variante nur in den explizit angeführten Editionen vorkommt. So bietet z.B. der erste Eintrag zu disp. 1,1 5 audaciamque] audaciam F

Dies bedeutet, dass sich der Eintrag auf das Wort audaciamque in Zeile 5 bezieht, welches in allen Editionen – also auch den Korrekturexemplaren, die, wenn nicht anders angegeben, mit B übereinstimmen – in dieser Form überliefert ist; einzig der Druck F hat die Variante audaciam, lässt also das enklitische -que aus. Da diese in einem einzigen, noch dazu relativ späten, Druck überliefert ist und keine wirkliche Verbesserung darstellt, wird die Lesart in der vorliegenden Edition gemäß der oben definierten Kriterien nicht in den Text übernommen, sondern der Textus constitutus übernimmt die in allen anderen Zeugen einhellig überlieferte Form audaciamque; der Apparat hingegen verweist auf die entsprechende Form in der oben dargestellten Weise. Kurz darauf bietet der Apparat den folgenden Eintrag: didicerunt BCorr GGarin : didicerint BOβ

Dieser Eintrag bezieht sich auf das Wort didicerunt in Zeile 10 (die Zeilennummer steht vor dem vorherigen, ebenfalls auf Zeile 10 bezogenen Eintrag und wird im Apparat, wie üblich, nicht erneut aufgezählt), welches in dieser Form (im Indikativ Perfekt Aktiv) in den korrigierten Exemplaren (BB , BP , BF und BEC ), in G und bei Garin als Korrektur zu didicerint zu finden ist. Die Drucke B, O sowie die Gruppe β, also V, D, W, R, C und F, bieten hingegen die Lesart didicerint, die als die schlechtere Lesart bewertet und daher nicht in den Text aufgenommen wurde. 510 Lucii Bellanti Senensis artium et medicinae doctoris responsiones in disputationes Ioannis Pici Mirandulani comitis adversus astrologos, in: Lucii Bellantii Senensis mathematici ac physici liber de astrologica veritate. Et in disputationes Ioannis Pici adversus astrologos responsiones, Venedig: Bernardinus Venetus de Vitalibus 1502, fol. qr –r . Zu Bellantis Antwort auf die Disputationes vgl. insbesondere auch Akopyan (2021: S. 176–188), der die Schrift als »deeply rooted in the Aristotelian tradition and its medieval followers« (ebd.: S. 187f.) und somit »loyal to the medieval view of astrology« ( ) versteht.

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Einleitende Untersuchung

Auf die Aufnahme orthographischer Unterschiede im textkritischen Apparat wurde, wie bereits erwähnt, weitgehend verzichtet, da dies den Apparat weiter aufgebläht hätte, die unzähligen zusätzlichen Informationen jedoch kaum Wissenswertes vermittelt hätten, sondern nur die unterschiedlichen orthographischen Gewohnheit verschiedener Drucker dokumentiert hätten. 1.8.3.2 Die Tituli

Alle Drucke mit Ausnahme von D und O bieten am Seitenrand Tituli, die in der Regel wichtige Stichworte (wie z.B. Namen oder termini technici) des jeweiligen Abschnittes aufgreifen und als kleine Überschriften bzw. Orientierungshilfen am Seitenrand fungieren. Oftmals findet sich dort auch der jeweilige Schritt einer längeren Argumentation bezeichnet (z.B. als confutatio oder responsio), bisweilen auch in kleinen Sätzen.511 Diese Tituli stimmen in den Drucken weitestgehend überein, was darauf hindeutet, dass spätere Editionen die in B vorhandenen Titel übernommen haben. Allerdings finden sich in den späteren Editionen zahlreiche Druckfehler und Abkürzungen, die in der vorliegenden Edition nicht in den Apparat aufgenommen wurden, da sie – ebenso wie orthographische Abweichungen – keine Aussagekraft für den Text des Autors haben. In diesem Sinne werden in der vorliegenden Edition die in B gebotenen Tituli wiedergegeben, wobei Abweichungen von späteren Editionen nur in sehr seltenen Fällen Aufnahme in den kritischen Apparat fanden. Aufgenommen wurden lediglich handschriftliche Ergänzungen von Tituli in den drei handschriftlich korrigierten Inkunabeln, da diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Editor der Werke selbst zurückgehen. Zahlreiche Tituli, die den übrigen Drucken fremd sind, bietet der Druck F.512 Einträge im kritischen Apparat, die sich auf einen Titulus beziehen, sind mit der Bezeichnung Tit. versehen.513

511 So zum Beispiel disp. 4,4,18: Declaratur sententia Damasceni et Gregorii Niseni. Nicht selten steht der Konjunktiv der indirekten Frage (so z.B. 3,16,32: Qualis Galenus in litteris quibusque in rebus eidem sit credendum) oder ein AcI (so z.B. disp. 3,16,30: Falso opinionem Galeni ascribi Hyppocrati et Avicennae), wobei ein finites Verbum i.S.v. quaeritur oder dicit zu ergänzen ist. 512 Auch diese wurden jedoch nicht in den Apparat übernommen, da sie zum einen ohne textkritischen Nutzen für den Pico-Text sind, zum anderen wohl kaum auf den Editor, geschweige denn den Autor selbst zurückgehen dürften, der die Edition in Form eines unfertigen Arbeitsexemplares hinterließ und kaum Tituli am Rand hinterlassen haben dürfte, die erst fast 25 Jahre nach seinem Tod auftauchten. 513 Die Übereinstimmung der Drucke, die marginale Tituli bieten, wird mit dem Buchstaben ω bezeichnet. Orthographische Abweichungen sowie unterschiedliche Abkürzungen – die an den Rändern gedruckten Tituli sind aus Platzmangel teilweise sehr stark und kaum regelhaft abgekürzt – finden dabei keine Berücksichtigung.

Abkürzungen im Apparat

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1.9 Abkürzungen im Apparat Alle im Text bzw. Apparat verwendeten Zitate antiker Autoren richten sich nach den maßgeblichen (i.d.R. Teubner- bzw. Oxford-) Ausgaben, die der Indexband des Thesaurus Linguae Latinae (ThLL)514 bzw. der Index des Liddell / Scott / Jones (LSJ, S. XVI–XXXVIII) anführen. Spätantike griechische Autoren werden nach den Ausgaben des Index des Patristic Greek Lexicon (PGL, S. XI–XLV) zitiert. In den Fällen, in welchen auf eine (oder mehrere) davon abweichende Ausgaben rekurriert wird, wird dies explizit angegeben.515 Alle Abkürzungen für lateinische Autoren und deren Schriften folgen – soweit enthalten – den Abkürzungen des ThLL. Die Abkürzungen für griechische Autoren und Werke folgen weitgehend den Abkürzungen im LSJ bzw. (für spätere Autoren) im PGL. Der Verständlichkeit halber wird von diesen Abkürzungen in einigen Fällen zugunsten einer längeren Form abgewichen. Dabei wurde jedoch darauf geachtet, dass alle Abkürzungen verständlich und möglichst leicht nachvollziehbar sind. Abkürzungen, die sich auf Autoren beziehen, die nicht in den angegeben Bänden zu finden sind, werden im folgenden Abkürzungsverzeichnis des kritischen Apparates angeführt. Die Werke von Giovanni und Giovanni Francesco Pico della Mirandola werden ohne Verfassernamen mit dem jeweiligen Kürzel zitiert; alle anderen Angaben beziehen sich auf den Verfasser und das jeweilige Werk. 1.9.1 Werke von Giovanni und Giovanni Francesco Pico

comment. Beniv.

Bürklin, Thorsten (Hg.) (2001): Giovanni Pico della Mirandola: Kommentar zu einem Lied der Liebe. Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Thorsten Bürklin. Hamburg: Meiner. (Meiner: Philosophische Bibliothek 533)

514 2. Aufl. 1990. 515 Die entsprechenden Ausgaben finden sich im Literaturverzeichnis am Ende des Buches aufgeführt. Texte, die lediglich in den – veralteten – Ausgaben der Patrologia Latina bzw. Patrologia Graeca vorliegen, werden i.d.R. mit Verweis auf den jeweiligen Band und die entsprechende Seite zitiert.

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conclus.

ent. un.

heptap.

orat. de hom. dign.

quaest. falsit.

rer. praen.

Einleitende Untersuchung

Farmer, S. A. (Hg.) (1998): Syncretism in the West: Pico’s 900 Theses (1486). The Evolution of Traditional Religious and Philosophical Systems. With Text, Translation, and Commentary by S.A. Farmer. Medieval and Renaissance Texts and Studies: Tempe. (MRTS 167) Blum, Paul Richard / Damschen, Gregor / Kaegi, Dominic et al. (Hg.) (2006): Giovanni Pico della Mirandola: Über das Seiende und das Eine. De ente et uno. Hamburg: Meiner. (Meiner: Philosophische Bibliothek 573) Heptaplus Ioannis Pici Mirandulae. De septiformi sex dierum geneseos enarratione ad Laurentium Medicem. In: Garin (Hg.) (1942): G. Pico della Mirandola: De hominis dignitate. Scritti vari a cura di Eugenio Garin. Vallecchi: Florenz, S. 168–383. von der Gönna, Gerd (1997): Giovanni Pico della Mirandola: Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen. Auf der Grundlage der Editio princeps herausgegeben und übersetzt von Gerd von der Gönna. Stuttgart: Reclam. Ioannis Francisci Pico Mirandulae [...] Quaestio de falsitate astrologiae in genethliacorum confutationem. In: Cavini, Walter (1973): Un inedito di Giovan Francesco Pico della Mirandola: La Quaestio de falsitate astrologiae. In: Rinascimento 13, 1973, S. 137–171. Ioannis Francisci Pici Mirandulae [...] De rerum praenotione libri IX. In: Giovanni Pico della Mirandola (1969): Opera omnia (1557–1573). Con una introduzione di Cesare Vasoli. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Basel 1557- Olms: Hildesheim, Band 2, S. 366–709.

Abkürzungen im Apparat

173

1.9.2 Werke anderer Autoren

Abrah. Avenez. introduct.

Abrah. Avenez. nat.

Abrah. Avenez. rat.

Abrah. Avenez. revol.

Adelard. quaest. nat.

Aeth. cosmograph.

Abrahe Avenare Liber introductionis qui dicitur principium sapientie. In: Abrahe Avenaris Iudei Astrologi peritissimi in re iudicali opera, ab excellentissimo Philosopho Petro de Abano post accuratam castigationem in latinum traducta. Venedig 1507, fol. A2r –D3v . Abrahe Avenare Liber de revolutionibus et nativitatibus. In: Abrahe Avenaris Iudei Astrologi peritissimi in re iudicali opera, ab excellentissimo Philosopho Petro de Abano post accuratam castigationem in latinum traducta. Venedig 1507, fol. v –v . Abrahe Avenare Liber de rationibus. In: Abrahe Avenaris Iudei Astrologi peritissimi in re iudicali opera, ab excellentissimo Philosopho Petro de Abano post accuratam castigationem in latinum traducta. Venedig 1507, fol. r –r . Abrahe Avenare Liber de revolutionibus (qui dicitur coniunctionum). In: Abrahe Avenaris Iudei Astrologi peritissimi in re iudicali opera, ab excellentissimo Philosopho Petro de Abano post accuratam castigationem in latinum traducta. Venedig 1507, fol. r –Y1r . Müller, Martin (1934): Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, herausgegeben und untersucht von Martin Müller. Münster: Aschendorff. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 31,2) Prinz, Otto (1993): Die Kosmographie des Aethicus. München: Monumenta Germaniae Historica. (MGH QQ 14)

174

Albert. cael.

Albert. caus. element.

Albert. gen. corr.

Albert. in Matth.

Albert. metaph.

Albert. meteor.

Albert. mineral.

Einleitende Untersuchung

Alberti Magni De caelo et mundo. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 4, S. 1–343. Alberti Magni De causis proprietatum elementorum. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 9, S. 585–657. Alberti Magni De generatione et corruptione. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 4, S. 345–476. B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Enarrationes in Evengelium Matthæi. Vives: Paris 1893, Band 20. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Metaphysicorum libri XIII. Vives: Paris 1890, Band 6. Alberti Magni Meteora. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 4, S. 477–832. Alberti Magni Mineralia. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 5, S. 1– 116.

Abkürzungen im Apparat

Ps.-Albert. secret. mul. Albert. somn. vig.

Ps.-Albert. specul.

Albert. summ. theol.

Album. introd.

Album. magn. coniunct.

Alfrag. aggreg.

175

Albertus Magnus de secretis mulierum et virorum. Augsburg [ca. 1503]. Alberti Magni De somno et vigilia. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1890, Band 9, S. 121–212. Zambelli, Paola (Hg.) (1992): The Speculum Astronomiae and its Enigma. Astrology, Theology and Science in Albertus Magnus and his Contemporaries. Kluwer: Dordrecht. (Boston Studies in the Philosophy of Science 135) Alberti Magni Summa theologiae sive scientia de mirabili scientia dei. In: B. Alberti Magni [...] Opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata [...] etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti Borgnet. Vives: Paris 1894–1895, Band 21–23. Lemay, Richard (Hg.) (1995): Albumasar: Liber introductorii maioris ad scientiam judiciorum astrorum. Texte latine de Jean de Séville avec la Révision par Gérard de Crémone. Édition critique par Richard Lemay. Istituto Universitario Orientale: Neapel, Band 5. Yamamoto, Keiji / Burnett, Charles (Hg.) (2000): Abū Ma῾šar: On Historical Astrology. The Book of Religions and Dynasties (On the Great Conjunctions). The Latin Versions. Brill: Leiden / Boston / Köln, Band 2. Campani, Romeo (Hg.) (1910): Alfragano (Al-Fargānī): Il ›libro dell’aggregazione delle stelle‹ (Dante, Conv., II, VI–134), secondo il codice Mediceo-Laurenziano Pl. 29 – Cod. 9, contemporaneo a Dante, pubblicato con introduzione e note da Romeo Campani. Lapi: Città di Castello.

176

Alpetrag. mot. cel.

Alpetrag. planet. theor.

Anon. comm. in Ptol. apotel.

Appon. concil.

Aver. cael.

Aver. coll.

Aver. destr.

Aver. exp. cant.

Einleitende Untersuchung

Carmody, Francis J. (Hg.) (1952): AlBiṭrūjī: De motibus celorum, critical edition of the Latin translation of Michael Scot, edited by Francis J. Carmody. University of California Press: Berkeley / Los Angeles. Alpetragii Arabi Planetarum theorica phisicis rationibus probata, nuperrime latinis litteris mandata a Calo calonymus Neapolitano. Venedig 1531. Wolf, Hieronymus (Hg.) (1559): Εἰς τὴν τετράβιβλον τοῦ Πτολεμαίου ἐξηγητὴς ἀνώνυμος. In Claudii Ptolemæi Quadripartitum enarrator ignoti nominis, quem tamen Proclum fuisse quidam existimant. Basel 1559, S. 1–80. Conciliator differentiarum philosophorum: et praecipue medicorum clarissimi viri Petri de Abano Patavini. Venedig 1476. Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 5: Aristotelis De coelo, De generatione et corruptione, Meteorologicorum, De plantis. Cum Averrois in eosdem commentariis [...]. Venedig 1562, fol. 1r –271v . Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 10: Averrois Cordubensis Colliget libri VII. Cantica item Avicennae cum eiusdem Averrois commentariis [...]. Venedig 1562, fol. 1r –306r . Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 9: Averrois Cordubensis Sermo do Substantia Orbis. Destructio destructionum Philosophi Algazelis [...]. Venedig 1562, fol. 15r –172v . Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 10: Averrois Cordubensis Colliget libri VII. Cantica item Avicennae cum eiusdem Averrois commentariis [...]. Venedig 1562, fol. 220r –306r .

Abkürzungen im Apparat

Aver. metaph.

Aver. phys.

Avic. cael. mun.

Avic. canon.

Avic. metaph.

Avic. virib. cord.

Barthol. Parm. brevil.

177

Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 8: Aristotelis Metaphysicorum libri XIIII. Cum Averrois Cordubensis in eosdem commentariis [...]. Venedig 1562. Aristotelis Opera cum Averrois commentariis volumen 4: Aristotelis De physico auditu libri octo. Cum Averrois Cordubensis in eosdem commentariis [...]. Venedig 1562. Gutman, Oliver (Hg.) (2003): PseudoAvicenna: Liber celi et mundi. A critical Edition with Introduction. Brill: Leiden / Boston. (Aristoteles semitico-latinus 14) Avicennae Arabum medicorum principis Canon medicinæ ex Gerardi Cremonensis versione. In: Avicennae Arabum medicorum principis. Canon Medicinæ [...]. Eiusdem De viribus cordis. De removendis nocumentis in regimine sanitatis. De syropo aceroso. Cantica. 2 Bde. Venedig 1595, I 1 – II 333. Avicenna: De philosophia prima sive scientia divina. In: Avicennae Perhypatetici philosophi: ac medicorum facile primi opera in lucem redacta [...]. Logyca. Sufficientia. De celo et mundo. De anima. De animalibus. De intelligentiis. Aplharabius de intelligentiis. Philosophia prima. Venedig 1508, fol. 70r –109v . Libellus Avicennae De viribus cordis. In: Avicennae Arabum medicorum principis. Canon Medicinæ [...]. Eiusdem De viribus cordis. De removendis nocumentis in regimine sanitatis. De syropo aceroso. Cantica. 2 Bde. Venedig 1595, II 334–352. Bartholomaei de Parma (Bononiensis) Breviloquium artis geomantiae seu liber consiliorum ad singulas quaestiones volens artem. Bayerische Staatsbibliothek: BSB Clm 398.

178

Bellant. resp. disp.

Bonat. tractat.

Bonavent. coll. in Hex

Cron. Salim.

Corp. iur. canon.

Dion. Ar. cael. hier.

Einleitende Untersuchung

Lucii Bellanti Senensis artium et medicinae doctoris responsiones in disputationes Ioannis Pici Mirandulani comitis adversus astrologos. In: Lucii Bellantii Senensis mathematici ac physici liber de astrologica veritate. Et in disputationes Ioannis Pici adversus astrologos responsiones. Venedig 1502, fol. q1r –r . Guidonis Bonati Foroliviensis mathematici de astronomia Tractatus [...]. Adiectus est Cl. Ptolemaei liber Fructus, cum Commentariis utilissimis Georgii Trapezuntii. Basel 1550. Doctoris Seraphici S. Bonaventurae S. R. E. Episcopi Cardinalis Opera omnia, iussu et auctoritate R. P. Aloysii a Parma [...] studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura ad plurimos codices mss. emendata anecdotis aucta prolegomenis scholiis notisque illustrata, Bd. V: Opuscula varia theologica. Typographia Collegii S. Bonaventurae: Quaracchi 1891, S. 329–449. Holder-Egger, Oswald (Hg.) (1905– 1913): Cronica fratris Salimbene de Adam ordinis minorum. Weidmann: Berlin. (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 32) Friedberg, Emil (Hg.) (1955): Corpus Iuris Canonici editio Lipsiensis secunda, post Aemilii Ludovici Richteri curas [...] recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg. Pars prior: Decretum magistri Gratiani. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt. Sancti Dionysii Areopagitæ De cœlesti hierarchia. In: S. Dionysii Areopagitæ Opera omnia quæ exstant, studio et opera Balthasaris Corderii [...] accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne [...]. Paris 1857, Band 1, S. 120–368. (PG 3)

Abkürzungen im Apparat

Dion. Ar. div. nom.

Erasm. adag.

Ps.-Eustath. in hex. metaphr.

Ficin. apolog.

Ficin. disp. contra iudic. astrolog.

179

Sancti Dionysii Areopagitæ De divinis nominibus. In: S. Dionysii Areopagitæ Opera omnia quæ exstant, studio et opera Balthasaris Corderii [...] accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne [...]. Paris 1857, Band 1, S. 586–997. (PG 3) Saladin, Jean-Christophe (Hg.) (2010): Les Adages d’Érasme, préésentés par les Belles Lettres et le GRAC (UMR 5037). Belles Lettres: Paris. (online unter https://web. archive.org/web/20120114123112/http: //sites.univ-lyon2.fr/lesmondeshumaniste s/wp-content/uploads/Adages.pdf) Amand de Mendieta, Emmanuel / Rudberg, Stig (Hg.) (1997): Basilius Caesariensis: Homilien zum Hexaemeron. Akademie-Verlag: Berlin. Marsilii Ficini Apologia, in qua de Medicina, Astrologia [...] agitur. In: Ficinus (1576): Opera. Basel, Band 1, S. 572–574. Marsilio Ficino: Disputatio contra iudicium astrologorum. In: Kristeller, Paul Oskar (Hg.) (1937): Supplementum Ficinianum. Marsilii Ficini Florentini [...] opuscula inedita et dispersa primum collegit [...] Paulus Oscarius Kristeller. Olschki: Florenz, Band 2, S. 11–76.

180

Ficin. in enn.

Ficin in Prisc.

Ficin. praedic. stell. mag.

Ficin. vit.

Gratian. decret.

Grossetest. quaest. flux.

Einleitende Untersuchung

Wyttenbach, Daniel / Moser, G.H. / Creuzer, Friedrich (Hg.) (1835): ΠΛΟΤΙΝΟΥ ΑΠΑΝΤΑ. Plotini opera omnia. Porphyrii Liber De Vita Plotini Cum Marsilii Ficini Commentariis Et Eiusdem Interpretatione Castigata. Annotationem In Unum Librum Plotini Et In Porphyrium Addidit Daniel Wyttenbach. Apparatum Criticum Disposuit, Indices Concinnavit G.H. Moser [...] annotationes Explicandis Rebus ac Verbis Itemque Nicephori Nathanaelis Antitheticum Adversus Plotinum Et Dialogum Græci Scriptoris Anonymi Ineditum De Anima Adjecit Fridericus Creuzer. 3 Bde. Clarendon: Oxford. Marsilii Ficini Florentini expositio in interpretationem Prisciani Lydi super Theophrastum. In: Ficinus (1576): Opera. Basel, Band, S. 1801–183. Marsilii Ficini Florentini Praedicatio de stella magorum, cuius ductu pervenerunt ad Christum regem Israelis iam natum. In: Ficinus (1576): Opera. Basel, Band 1, S. 489–491. Kaske, Carol V. / Clark, John R. (Hg.) (1989): Marsilio Ficino: Three Books on Life. A Critical Edition and Translation with Introduction and Notes. MRTS: Binghamton. (Medieval and Renaissance Text and Studies 57) Decretum Gratiani, emendatum et [...] illustratum, Gregorii XIII. Pont. Max. jussu editum; post Justi Henningii Boehmeri curas denuo recognovit et edidit J.-P. Migne. Paris 1861. (PL 187) Dales, Richard C. (1966): The Text of Robert Grosseteste’s Questio de fluxu et refluxu maris with an English Translation. In: ISIS 57, 1966, S. 455–474.

Abkürzungen im Apparat

Haly comment. tetr.

Haly comment. centil.

Haly iudic. astr.

Henric. Hass. tract. contra astrolog. coniunct.

Io. Damasc. fid. orth.

Ioann. As. summ. astrolog.

181

Liber quadripartiti Ptholemei [...] cum commento Haly Heben Rodan [...]. In: Liber quadripartiti Ptholemei. Centiloquium eiusdem. Centiloquium Hermetis. Venedig 1493, fol. Ar –v . Liber centum verborum Ptholemei cum commento Haly. In: Liber quadripartiti Ptholemei. Centiloquium eiusdem. Centiloquium Hermetis. Venedig 1493, M1r – P2v .516 Albohazen Haly filli Abenragel Libri de iudiciis astrorum, summa cura [...] vindicati [...] per Antonium Stupam Rhoetum Praegalliensem [...]. Basel 1551. Tractatus contra astrologos coniunctionistas de eventibus futurorum. In: Pruckner, Hubert (Hg.) (1933): Studien zu den astrologischen Schriften des Heinrich von Langenstein. Teubner: Leipzig / Berlin, S. 139– 206. (Studien der Bibliothek Warburg XIV) Ioannes Damascenus: Expositio accurata fidei orthodoxæ. In: Sancti patris nostri Joannis Damasceni [...] Opera omnia quæ exstant, et ejus nomine circumferuntur [...], opera et studio P. Michaelis Lequien [...] accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne [...]. Paris 1864, Band 1, S. 790–1227. (PG 94) Summa astrologiæ iudicialis de accidentibus mundi quæ anglicana vulgo nuncupatur Ioannis eshcuidi [= eschuidi] niri [!] anglici peritissimi scientiæ astrologiæ. Venedig 1489.

516 Zur Tatsache, dass der Verfasser dieses Kommentars zum Centiloquium nicht identisch ist mit dem Verfasser des Tetrabiblos-Kommentars, vgl. Hasse (2016): S. 374f.

182

Einleitende Untersuchung

Ioann. de Mont. dialog. int. Vienn. et Cracov.

Ioann. Saresb. polycrat.

Iocund. Traiect. vit. Servat.

Maim. aph.

Oresm. tract. contra astrolog.

Paul. 1482

Middelb.

prognost.

Joannis de Monteregio Dialogus inter Viennensem et Cracoviensem adversus Gerardum Cremonensem in planetarum theoricas deliramenta. In: Schmeidler, Felix (Hg.) (1972): Joannis Regiomontani Opera collectanea, Faksimiledrucke von neun Schriften Regiomontans und einer von ihm gedruckten Schrift seines Lehrers Purbach. Zusammengestellt und mit einer Einleitung herausgegeben von Felix Schmeidler. Zeller: Osnabrück, S. 511– 530. Joannis Saresberiensis Polycraticus sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum. In: Joannis cognomine Saresberiensis Cannotensis episcopi Opera omnia juxta editionem Oxoniensem quam nuper ad fidem codicum mss. exegit J.A. Giles [...] accurante J.-P. Mignet. Paris 1855, S. 379–822. Wilhelm, Friedrich (1910): Unveröffentlichtes aus der Vita S. Servatii des Jocundus. In: Wilhelm, Friedrich (1910): Sanct Servatius oder wie das erste Reis in deutscher Zunge geimpft wurde: ein Beitrag zur Kenntnis des religiösen und literarischen Lebens in Deutschland im elften und zwölften Jahrhundert. Beck: München, S. 278– 283. Aphorismi Rabi Moysis [i.e. Maimonidis] medici antiquissimi ac celeberrimi, ex Galeno medicorum principe collecti [...]. Basel 1579. Tractatus Magistri Nicolai Orem contra astrologos. In: Pruckner, Hubert (Hg.) (1933): Studien zu den astrologischen Schriften des Heinrich von Langenstein. Teubner: Leipzig / Berlin, S. 227–245. (Studien der Bibliothek Warburg XIV) Paulus de Midalburgo: Prognosticon anni 1482. Venedig 1481.

Abkürzungen im Apparat

Paul. 1484

Middelb.

prognost.

Petr. Alliac. concord. astron.

Petr. Alliac. elucid.

Petr. Alliac. leg. sect.

Petr. Alliac. vigintiloq.

Petr. Lombard. in Cor.

183

Paulus de Midiburgo: Prognosticon ad viginti annos duratura ad anum 1504. Augsburg 1484. De concordantia astronomie veritatis et narrationis historice. In: Concordantia astronomie cum theologia. Concordantia astronomie cum hystorica narratione. Et elucidarium duorum precedentium: domini Petri de Aliaco cardinalis Cameracensis. Augsburg 1490, fol. r –e1v . Elucidarium astronomice concordie cum theologica et historica veritate. In: Concordantia astronomie cum theologia. Concordantia astronomie cum hystorica narratione. Et elucidarium duorum precedentium: domini Petri de Aliaco cardinalis Cameracensis. Augsburg 1490, fol. e1v – v . Petri de Alliaco Tractatus contra astronomos sive de legibus et sectis. In: Joannis Gersonii [...] Opera omnia [...] opera et studio M. Lud. Ellies de Pin [...]. Antwerpen 1706, Band 1, S. 778–804. Vigintiloquium de concordia astronomice veritatis cum theologia domini Petri de Aliaco cardinalis Cameracensis. In: Concordantia astronomie cum theologia. Concordantia astronomie cum hystorica narratione. Et elucidarium duorum precedentium: domini Petri de Aliaco cardinalis Cameracensis. Augsburg 1490, fol. a2r – v . Petri Lombardi magistri sententiarum Parisiensis quondam episcopi collectanea in omnes D. Pauli Apostoli epistulas. In: P. Lombardi magistri sententiarum, Parisiensis episcopi Opera omnia [...], accurante J.-P. Migne. Paris 1854. (PL 191)

184

Petr. Lombard. sent.

Piccolom. cosmograph. Pont. in Ps.-Ptol. cent.

Pont. reb. coel.

Ptol. alm.

Ptol. apotel.

Ptol. tetrabib. transl. Plat. Tib.

Ps.-Ptol. cent. (transl. Pont.)

Rab. Maur. mag. art.

Einleitende Untersuchung

Petri Lombardi Novariensis cognomine magistri sententiarum, episcopi Parisiensis sententiarum libri quatuor. In: P. Lombardi magistri sententiarum, Parisiensis episcopi Opera omnia [...], accurante J.-P. Migne. Paris 1855, 519–964. (PL 192) Cosmographia Pii Papae in Asiæ et Europæ eleganti descriptione [...]. Paris 1509. Io. Ioviani Pontani commentariorum in centum Claudij Ptolemæi sententias libri duo. Basel 1531. Ioannis Ioviani Pontani De rebus cœlestibus Libri XIIII. Eiusdem de Luna fragmentum. Basel 1530. Heiberg, J.L. (1898–1903): Claudii Ptolemaei opera quae exstant omnia, I: Syntaxis mathematica. 2 Bde. Teubner: Leipzig. Hübner, Wolfgang (Hg.) (1998): Claudii Ptolemaei opera quae extant omnia (volumen III 1) ΑΠΟΤΕΛΕΣΜΑΤΙΚΑ post F. Boll et Æ Boer secundis curis edidit Wolfgang Hübner. Teubner: Stuttgart / Leipzig. Liber quadripartiti Ptholemei (in latinum convertit Plato Tiburtinus). In: Liber quadripartiti Ptholemei. Centiloquium eiusdem. Centiloquium Hermetis. Venedig 1493, fol. Ar –v . Io. Ioviani Pontani commentariorum in centum Claudij Ptolemæi sententias libri duo. Basel 1531. B. Rabani Mauri De magicis artibus. In: B. Rabani Mauri Fuldensis abbatis et Moguntini archiepiscopi Opera omnia [...] aucta et illustrata accurante J.-P. Migne [...]. Paris 1864, Band 4, S. 1095–1120. (PL 110)

Abkürzungen im Apparat

Rog. Bac. dieb. crit.

Rog. Bac. dieb. crit.

Rog. Bac. op. mai.

Rog. Bac. op. tert.

Rog. Bac. vic. contract.

Thab. de hiis

Thdt. affect.

185

Elfferding, Hans (Hg.) (1913): Roger Bacons Schrift über die kritischen Tage, mit einer Abhandlung über Bacons medizinische Anschauungen eingeleitet und zum ersten Mal nach der Handschrift in Erfurt herausgegeben. Inaugural-Dissertation [...] vorgelegt von Hans Elfferding (Berlin). Bartholomäus: Erfurt. Palitzsch, Friedrich (Hg.) (1918): Roger Bacons zweite (astrologische) Schrift über die kritischen Tage. Inaugural-Dissertation [...] vorgelegt von Friedrich Palitzsch (Dresden). Noske: Leipzig. Bridges, John Henry (Hg.) (1897 / 1910): The ›Opus Majus‹ of Roger Bacon. Edited, with Introduction and Analytical Table by John Henry Bridges. 2 Bde. Clarendon: Oxford. Rogeri Baconis Opus tertium. In: Brewer, J.S. (Hg.) (1859): Fr. Rogeri Bacon: Opus tertium. Opus minus. Compendium philosophiæ, edited by J.S. Brewer. Longman, Geen, and Roberts: London, S. 3–310. Steele, Robert (Hg.) (1909): Metaphysica fratris Rogeri ordinis fratrum minorum de vicijs contractis in studio theologie. Clarendon: Oxford. (Opera hactenus inedita Rogeri Baconis I) Liber Thebit Benchorath De hiis que indigent expositione antequam legatur Almagesti. In: Carmody, Francis (Hg.) (1960): The Astromical Works of Thabit B. Qurra. University of California Press: Berkeley / Los Angeles, S. 131–139. Raeder, Johannes (Hg.) (1904): Theodoreti Graecarum affectionum curatio. Ad codices optimos denuo collatos recensuit Ioannis Raeder. Teubner: Leipzig.

186

Theon. Smyrn. astrol.

Thom Aq. anim.

Thom. Aq. cael.

[Thom. Aq.] fat.

Thom. Aq. gent.

Thom. Aq. meteor.

Einleitende Untersuchung

Martin, T[homas] H[enry] (Hg.) (1849): Theonis Smyrnæi Platonici Liber de asronomia cum Sereni fragmento. Textum primus edidit, latine vertit descriptionibus geometricis, dissertatione et notis illustravit Th.H. Martin. Dezobry & Magdeleine: Paris. Bazán, B.C. (Hg.) (1996): Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]: Quaestiones disputatae de anima. Commissio Leonina: Rom, Band 24/1. Thomas Aquinas (1886): In libros Aristotelis de caelo et mundo expositiones. In: Sancti Thomae Aquinatis [...] Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Commissio Leonina: Rom, Band 3, S. 1–257. Sancti Thomae Aquinatis De fato. In: Sancti Thomae Aquinatis Opuscula omnia genuina quidem necnon spuria melioris notae debito ordine collecta cura et studio R.P. Petri Mandonnet. Opuscula spuria. Paris 1927, Band 5, S. 399–415. Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]: Summa contra gentiles [...] cum commentariis Francisci de Sylvestris Ferrariensis [...]. Commissio Leonina: Rom 1918– 1930, Band 13–15. Thomas Aquinas: In libros Aristotelis Meteorologicorum expositio. In: Sancti Thomae Aquinatis [...] Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Commissio Leonina: Rom 1886, Band 3, S. 323–421.

Abkürzungen im Apparat

Thom. Aq. mot. cord.

Thom. Aq. op. occ.

Thom. Aq. quaest. pot.

Thom. Aq. quodlib.

Thom. Aq. sent.

Thom. Aq. sent. metaph.

Thom. Aq. spirit. creat.

187

Thomas Aquinas: De motu cordis ad magistrum Phillipum de Castro Caeli. In: Sancti Thomae Aquinatis [...] Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Commissio Leonina: Rom 1976, Band 43, S. 125–130. Thomas Aquinas: De operationibus occultis naturae ad quendam militem ultramontanum. In: Sancti Thomae Aquinatis [...] Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Commissio Leonina: Rom 1976, Band 43, S. 181–186. S. Thomae Aquinatis Quaestiones disputatae cura et studio Raymundi Spiazzi, Band 2: De potentia. De anima. De spiritualibus creaturis. De unione verbi incarnati. De malo. De virtutibus in communi. De caritate. De correctione fraterna. De spe. De virtutibus cardinalibus, cura et studio P. Bazzi. Marietti: Rom 10 1965, S. 1–276. Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]: Quaestiones de quolibet. Quodlibet I, II, III, IV, V, XII. Commissio Leonina: Rom / Paris 1996, Band 25/2. S. Thomae Aquinatis ordinis praedicatorum doctoris communis ecclesiae Scriptum super libros sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, Editio nova cura R.P. Mandonnet. 4 Bde. Lethielleux: Paris 1929–1956. Thomas Aquinas (2 1964.): In duodecim libros metaphysicorum Aristotelis expositio. Ed. iam a M.-R. Cathala exarata retractatur cura et studio Fr. Raymundi M. Spiazzi. Marietti: Turin. Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]: Quaestio disputata de spiritualibus creaturis. Commissio Leonina: Rom 2000, Band 24/2.

188

Thom. Aq. summ.

Thom. Aq. super Iob.

Walahfrid. carm.

Einleitende Untersuchung

Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Summa theologiae. Commissio Leonina: Rom 1888–1906, Band 4–12. Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P.M. edita [...]. Expositio super Iob ad litteram. Commissio Leonina: Rom 1965, Band 26. Dümmler, Ernst (Hg.) (1884): Walahfridi Strabi carmina. In: Id. (Hg.): Poetae Latini aevi Carolini, recensuit Ernestus Dümmler. Weidmann: Berlin, Band 2. (Monumenta Germaniae Historica. Poetae Latini medii aevii 2)

Conspectus Codicum

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1.10 Conspectus Codicum Editiones maioris momenti inde ab editione principi usque ad editionem Basilensem potissimae sunt hae: B

G

V

W R C F

O

BB BP BF BEC Garin

α β Ω

Disputationes Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos, Bononiae: Benedictus Hector, 16.VI.1495. (editio princeps) Opera Ioannis Pici Mirandulae, Bononiae: Benedictus Hectoris Faelli, 20.III.1496. [re vera Lyon: Jacobinus Suigus, ante 1498] Disputationes Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos, Venetiis: Bernardinus de Vitalibus, 14.VIII.1498. Opera Ioannis Pici Mirandulae, Argentinae: Ioannes Prüs, 15.III.1504. Omnia Opera Ioannis Pici Mirandulae, Regiae: Ludovicus de Mazalis, 15.XI.1506. Disputationes Ioannis Pici Nirandulae [!], Parisiis: Ioannes Parvus, 9.VI.1517. Disputationes adversus astrologos Ioannis Pici Mirandulae, Venetiis: Gulielmus de Fontaneto de Monteferrato, 22.III.1519. Opera Omnia Ioannis Pici Mirandulae, Basileae: Henricus Petri 1557 (Nachdruck: Hildesheim 1969). Correctiones editionis Bononiensis (B) exemplaris Bibliothecae Bononiensis (A.V.B.V. 35). Correctiones editionis Bononiensis (B) exemplaris Bibliothecae Regiae Parmensis (Inc. Parm. 1091). Correctiones editionis Bononiensis (B) exemplaris Bibliothecae Florentinae (Banco Rari 104). Errata corrige editioni Bononiensi (B) addita (fol. L4r – L4v ). G. Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologiam divinatricem. A cura di Eugenio Garin, 2 Bde., Florenz 1946–1952. (Edizione nazionale dei classici del pensiero italiano 2 + 3) consensus editionum B G consensus editionum V W R C F consensus editionum omnium (nonnumquam praeter BCorr )

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Einleitende Untersuchung

BCorr ω

consensus editionum correctiones continentium (BB BP BF BEC ) tituli in editionibus (praeter F et O) – non respicit ad variationes orthographicas

huc atque illuc citatur: D

Disputationes Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos, Daventrie: Richardus Pafraet, 30.IV.1502. [lib. 1 + 2]

2 Edition

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Edition

2.1 Epistola dedicatoria aa2

r

| Ioannes Franciscus Picus Mirandula sacratissimo Oliviero Carafae, Episcopo Sabinensi Cardinalique Neapolitano s(alutem dicit) 1. Apollonium Thyanaeum, pater amplissime, dum ob litteras capessendas peregrinationem illam a Philostrato postea celebratam suscepturus esset, optasse legimus, ut viros bonos et inveniret et agnosceret idque etiam a Sole concessum iri sibi multis precibus expetivisse. Quod quidem votum citra culpam non laudari magnopere non potest, sicut ipsa ad Solem deprecatio non vituperari; hoc enim vulgus ineruditum et rude congenito veritatis noscendae lumine passim praedicat, ut validissimas omittam rationes et divinorum eloquiorum testimonia. At si optandum est id muneris efflagitandumque a Deo optimo maximo, illis procul dubio summopere laetandum est, quibus non modo obtigerit bonos agnoscere, sed etiam hos ipsos et in propria familia et sanguinis sibi nexu devinctos reperire potius quam invenire indeque aliquem eorum fructuum consequi, quos bonorum parit amicitia. 2. Quae mihi divina beneficentia evenisse neque infitias eo neque dissimulo, cum Ioannem Picum Mirandulam, Galeotti patris fratrem, hominem profecto dignum, quem Apollonius trans Caucasum et Brachmanas, sed et ad usque adversum orbem avide rimaretur, intra parietes domesticos compererim multisque ab eo beneficiis cumulatus extiterim. Huic ego nobiscum degenti dum par pari referendum esse quoad possem iudicavissem, eo magis defuncto censui debere rependi suscepta officia, quo, cum eius gloria et studiorum periclitabatur utilitas et non mediocrem ecclesia patiebatur iacturam.

Font.: 3–6 Apollonium – expetivisse ] cf. Philost. VA 31 p. 18,3–5 K 19–20 par pari referendum ] cf. Cic. orat. 220; Ter. Eun. 445 App. crit.: 1 Picus om. G 3 Apollonium] Apollinium O 4 suscepturus] suscepturum Garin 6 citra] circa G 8 ineruditum FGarin : eruditum αVWRCO 12 et1 om. RC 17 Apollonius] Apollinius R et om. RC adversum orbem] adversu morbem C (ut vid.) 19 dum] fort. scribendum cum 20 censui] consui RC

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Epistola dedicatoria

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Giovanni Francesco Pico della Mirandola grüßt den hochehrwürdigen Olivier Carafa, Bischof von Sabina und Kardinal von Neapel 1. Ich habe gelesen, hochgeehrter Vater, dass Apollonius von Tyana, als er jene später von Philostratos gefeierte Studienreise unternehmen wollte, den Wunsch hegte, gute Männer zu finden und zu erkennen und es sogar mit vielen Bitten von der Sonne einforderte, dass ihm dieser Wunsch erfüllt werde. Diesen Wunsch jedenfalls muss man – abgesehen von der damit verbundenen Schuld – loben, wie man das Gebet an die Sonne sehr tadeln muss; denn dies verkündet auch das ungebildete Volk allenthalben, das des Lichtes, welches ihm angeboren ist und nach der Wahrheit trachtet, unkundig ist, um die überzeugenden Argumente und die Zeugnisse göttlicher Sprüche beiseite zu lassen. Wenn man jene Gabe jedoch vom besten und höchsten Gott erbitten und einfordern muss, müssen sich zweifelsohne jene am meisten darüber freuen, denen es nicht nur gelungen ist, gute Leute als solche zu erkennen, sondern genau diese in der eigenen Familie aufzunehmen und durch Blutsverwandtschaft an sich gebunden wiederzufinden und nicht nur auf sie zu stoßen und somit einen Nutzen daraus zu ziehen, wie ihn die Freundschaft mit guten Männern hervorbringt. 2. Dass mir dies durch göttliche Wohltätigkeit zuteil wurde, als ich Giovanni Pico della Mirandola, den Bruder meines Vaters Galeotto, einen Menschen, der in der Tat würdig gewesen wäre, dass ihn Apollonius jenseits des Kaukasus und der Brachmanen und sogar bis zum entgegengesetzten Erdkreis1 suchte, in den eigenen vier Wänden kennen lernte und mit vielen von ihm empfangenen Wohltaten überhäuft wurde, will ich weder in Abrede stellen noch leugnen. Während ich zwar bereits zu der Zeit, als er noch bei uns weilte, der Ansicht war, dass ich ihm nach besten Möglichkeiten Gleiches mit Gleichem vergelten müsse, glaubte ich dennoch umso mehr, ihm nach seinem Tode die erhaltenen Dienste zurück-

1

Der Begriff orbis adversus bezeichnet den Erdteil der Antipoden (vgl. in derselben Bedeutung auch Plin. nat. 10,19), also den Teil der Erde, auf dem, nach Ansicht beispielsweise des Martianus Capella (6,603–609), die Menschen andersherum leben, mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben.

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3. Quamobrem pro eo quaepiam nec semel mandavi litteris ipsiusque opera diuturna et anxia vestigatione nobis ascita in multa exemplaria transfundenda curavi; laboratum autem mihi summopere est in reparandis libris omnem divinatricem astrologiam funditus eruentibus, quandoquidem eiusmodi characteribus delineati erant (qui erat homini mos) ob scribendi dictandique velocitatem, ut cuiusvis alterius linguae quam Latinae speciem prae se ferre viderentur, tot interliti lituris, ut non facile internosceretur quid pro dispuncto, quid pro emendato haberi deberet, tot praeterea partibus lancinati discerptique, ut vix ab auctore ipso exscribi posse iudicaretur. 4. Hos ego libros (si non magis thesauri quam libri) veluti redivivos a nobisque nuperrime ab interitu revocatos cum, cui destinare inscribereque deberem, diu mecum cogitassem, occurristi tu mihi, Praesul sacratissime, a quo digredi nullatenus valui. Nam cui et congruentius et honestius quam tibi doctissimi hominis eiusdemque consanguinei litteraria monumenta dedicare potui? Et illa potissimum, quae nostrae Christianae religioni adversos errores refellunt, cum et litteris polleas et ob Ioannem Thomam Carafam Magdaloni comitem, socerum meum, cui ar[c]tissima cognatione devinciris, sis etiam mihi necessitudine coniunctus atque eam inter ipsius religionis homines geras personam, quae sit proxima supremae. 5. Ea igitur volenter suscipe et, cum a maximis versandis negotiis aliquid otii suffuraberis, perlegas, obsecro, in ipsa lectione simul cogniturus simul gavisurus artem illam astrologicam sive, ut loquar rectius, pestem, quae iam truci elata rabie

App. crit.: 2 transfundenda] trans fundenda R 5 delineati] deliniati G ob scribendi α : obscribendi βO dictandique] distandique RC 6 interliti] interlicti G 8 lancinati] lancniati RC discerptique] disceptique OGarin 9 exscribi] ex scribi RC 10 redividos] redivinos C 14 potissimum] potissimumi B (corr. BCorr ) 15 adversos] adversarios fort. scribendum (cf. disp. 2,1); sed cf. Tac. hist. 5,13,2 17 artissima scripsi coll. Plin. epist. 5,14,5 : arctissima ΩGarin 20 suffuraberis] suffuguraberis RC

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Epistola dedicatoria

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zahlen zu müssen, als mit seinem Ruhm auch der Nutzen seiner Studien in Gefahr geriet und auch die Kirche einen nicht unerheblichen Verlust erlitt. 3. Aus diesem Grunde habe ich an seiner Stelle mehr als einmal gewisse Gedanken zu Papier gebracht und habe mir die von ihm verfassten Werke in langer und vorsichtiger Untersuchung angeeignet und für ihre Vervielfältigung gesorgt; bei der Wiederherstellung des Textes der Bücher, die die divinatorische Astrologie von Grund auf zerstören, habe ich mich aber sehr bemühen müssen, weil sie in einem derartigen Gekrakel auf Grund des hohen Tempos beim Schreiben und Diktieren hastig aufs Papier geworfen wurden (so war es die Gewohnheit dieses Mannes), dass es sich um jede beliebige andere Sprache als um die Lateinische zu handeln schien und sie mit so vielen durch Korrekturen entstandene Flecken überzogen waren, dass es nicht leicht zu unterscheiden war, was als gestrichen zu gelten habe und was als von ihm verbessert; außerdem waren die Bücher in dermaßen viele Teile zerrissen und geradezu zerrupft, dass man glauben konnte, der Autor selbst wäre kaum noch im Stande, es noch einmal abzuschreiben. 4. Als ich lange überlegte, wem ich diese Bücher (wenn es sich denn nicht mehr um Schätze als um Bücher handelt), die sozusagen erst kürzlich wiederbelebt und vom Tode zurück ins Leben geholt wurden, zukommen und widmen solle, kamst du mir in den Sinn, hochehrwürdiger Kardinal, den ich mir keineswegs wieder aus dem Kopf zu schlagen vermochte. Denn wem hätte ich auf passendere und respektvollere Weise das schriftstellerische Andenken an einen hochgebildeten und noch dazu blutsverwandten Mann widmen können als dir? Und das gilt insbesondere für das Werk, das die Irrtümer, die unserer christlichen Religion feindlich zuwiderlaufen, widerlegt, da du sowohl literarisch gebildet bist, als auch über Giovanni Tommaso Carafa2 , den Grafen von Maddaloni, meinen Schwiegervater, mit dem du deinerseits eng verwandt bist, sogar durch familiäre Bande mit mir verbunden bist und noch dazu unter den Würdenträgern der Kirche selbst ein Amt ausübst, das dem höchsten aller Ämter am nächsten steht. 5. Nimm diese Bücher daher wohlwollend entgegen, und wenn es dir gelingt, von deinen umfangreichen Aufgaben ein wenig freie Zeit zu stehlen, lies sie bitte, da du beim Lesen erkennen und zugleich freudig anerkennen wirst, dass jene

2

Gianfrancesco Pico hatte im Jahre 1491 Giovanna Carafa geheiratet, deren Vater Giovanni Tomasso Carafa, Graf von Maddaloni (bei Neapel) war.

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quamquam subdola fronte virus insimulans in nostrum exitium debacchabatur, ipsius Ioannis Pici patrui ope validissime extinctam. Vale, pater amplissime. Mirandulae, IV. Kal. Iulias.

App. crit.: 4 IV. Kal. Iulias αβ (Iulais R) : 4. Cal. Iulias O : IV. Cal. Iulias Garin

Epistola dedicatoria

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astrologische Wissenschaft, oder besser gesagt: Pest, die schon, angetrieben von wildem Wahnsinn und dennoch mit trügerischer Miene das Gift verheimlichend nach unserem Untergang lechzte, durch Wirkung meines Onkels Giovanni Pico auf höchst wirksame Weise ausgelöscht wurde. Lebe wohl, hochgeehrter Vater. Mirandola am siebenundzwanzigsten Juni.

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2.2 Prooemium Ioannis Francisci Pici v

aa2

| Ioannes Franciscus Picus Mirandula veritatis amatoribus. 1. Amatores veritatis gaudete necnon, qui illustrandae illius atque amplificandae desiderio insudatis exhilarate animos: En! prodeunt in publicum Disputationes Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos, et Pici illius, cuius mentis sublimitatem, cuius doctrinam omnigenam iam paene totus terrarum orbis obstupuit. Disputationes, inquam, quae veritatis osores atque oppugnatores dolere et, qui emungendae pecuniae gratia astrologicae vanitati impendunt operam, aut eiulare atque dirumpi cogent aut errorem deserere. Nec solidam minuat laetitiam, quod ille morte nobis immatura, sibi tarda, vocatus ad Deum libros hosce nec extrema lima terserit atque expoliverit nec ultimum, qui totius operis futurus erat epilogus, ad eandem ab incude perduxerit: id forte deest ad operis exuberantius ornamentum, non ad lectorum perfectum emolumentum. Et quamquam sane alias vanitatum haec et superstitionum omnium arbor ab prophetarum oraculis sit explosa et detestata, ab nostris theologis philosophisque tum Graecis tum Latinis tum Barbaris expilata frondibus, exsibilata atque etiam securibus vel aliqua ex parte percussa, sit item ab imperatoriis legibus pontificiisque sanctionibus radicibus eruta et loco mota, humana tamen curiositate saepius reportata est in pristinamque foveam replantata, adminiculata et roborata ita, ut numquam in totum eliminata et ad internitionem usque validissimis rationis instrumentis perducta fuerit.

Sim.: 13 prophetarum oraculis ] cf. disp. 1,1 16 imperatoriis legibus pontificiisque sanctionibus ] cf. disp. 1,1 App. crit.: 2 gaudete BO : gaudere GVRCF 5 obstupuit] obstipuit RC 11 incude] incunde R 12 ornamentum] ornamen Garin lectorum] electorum C 13 vanitatum αVRCO : vanitatem F : vanitas Garin 16 item] autem Garin pontificiisque] pontificisque C radicibus] radicitus O

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Prooemium Ioannis Francisci Pici

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Giovanni Francesco Pico della Mirandola an die Liebhaber der Wahrheit. 1. Ihr Liebhaber der Wahrheit, freut euch, und ihr, die ihr das Verlangen verspürt, sie ans Licht zu fördern und zu verbreiten, seid heiter im Herzen: Wohlan! die Disputationes adversus astrologos (›Erörterungen gegen die Astrologen‹) des Giovanni Pico della Mirandola treten in die Öffentlichkeit und zwar des Pico, dessen geistige Erhabenheit und umfassende Bildung bereits fast den gesamten Erdkreis in Staunen versetzt hat; seine Disputationes, sage ich, die die Hasser und Feinde der Wahrheit zwingen werden, zu leiden, und die diejenigen, die ihre Mühe auf diese astrologische Pseudo-Wissenschaft verwenden, um andere um deren Geld zu prellen, zwingen wird, entweder laut aufzuheulen und vor Wut zu platzen oder von ihrer Täuschung abzulassen. Auch die Tatsache, dass jener, der durch seinen für uns zu frühen, für ihn selbst aber zu späten Tod zu Gott gerufen wurde, diese seine Bücher weder mit dem letzten Schliff der Feile abreiben und glätten konnte, noch einen geplanten abschließenden Epilog für das gesamte Werk vom Amboss zu nehmen und der Feile zu überlassen im Stande war, kann uns unsere aufrichtige Freude nicht trüben: so fehlt es dem Buch vielleicht an noch mehr außerordentlichem Schmuck, nicht aber den Lesern an vollkommenem Nutzen. Obwohl zweifellos dieser Baum aller Pseudo-Wissenschaften und allen Aberglaubens an anderer Stelle von den Prophezeiungen der Propheten verworfen und verwünscht wurde, von unseren Theologen und den Philosophen der Griechen, Römer und Barbaren seines Laubs beraubt, ausgezischt und zumindest teilweise sogar mit Äxten traktiert wurde, obwohl er ebenso durch die Gesetze der Kaiser und die Verordnungen der Kirche entwurzelt und von seinem Platz verpflanzt wurde, wurde er dennoch durch die menschliche Neugierde allzu oft wieder zurückgetragen, in seine angestammte Grube gepflanzt und dermaßen ge-

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2. Modo Picus noster infaustam arborem a radice ad truncum, a trunco ad ramos, a ramis ad folia, torrentissimo igni verae philosophiae veraeque theologiae propriisque incomparabilis illius ingenii inventis et meditatis exussit penitus atque redegit in cinerem, quem adeo rapidissimo flatu eloquentiae dispersit ut cuicumque illius fautori provectorique – nisi idem mentis emotae fuerit – super illius exitio prae dolore conclamandum sit vel, abiecta spretaque vanitate, prae gaudio exultandum. 3. Eia igitur, litterati homines nationum omnium, his rationibus animum armate: his fulcite testimoniis cum humanis tum divinis, quibus veluti bipennibus ponderosissimis ac facibus ignitis excisae atque extinctae arboris germina, si qua forte intra terrae viscera delitescentia male culti agri vitio repullularent, elidite, conterite, convellite, exterminate.

App. crit.: 2 veraeque] verae RC 3 incomparabilis] incorporabilis C 4 adeo] a deo RC 5 provectorique] provectiorique Garin 6 prae dolore αVO : praedolere RC : prae dolere F 10 germina] gemina O 11 repullularent] repullarent RC elidite αVFO : elidire RC : elicite Garin

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Prooemium Ioannis Francisci Pici

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stützt und gekräftigt, dass er niemals in seiner Gesamtheit zerstört und durch die zuverlässigsten Hilfsmittel der Vernunft zum völligen Absterben gebracht werden konnte. 2. Neulich aber hat unser lieber Pico den unseligen Baum von der Wurzel bis zum Stamm, vom Stamm zu den Ästen und von den Ästen zu den Blättern mit dem glühend heißen Feuer wahrer Philosophie und wahrer Theologie und mit den eigenen Erfindungen und Studien seines unvergleichlichen Talents gänzlich versengt und zu Asche verbrannt, die er wiederum mit dem so ungestümen Hauch seiner Beredsamkeit verstreut hat, dass jeder seiner Förderer und Gönner, wenn sie nicht von Sinnen sind, auf Grund seines Todes vor Schmerz laut aufschreien oder auf Grund des verächtlichen Verrisses der Pseudo-Wissenschaft vor Freude laut jubeln muss. 3. Wohlan also, ihr gebildeten Männer aller Länder, wappnet euren Geist mit den folgenden von ihm angeführten Argumenten, stützt euch auf die hier enthaltenen Zeugnisse von Menschen wie Göttern und zerquetscht, zermalmt, zerreißt und zerstört mit ihnen wie mit schweren Äxten und brennenden Fackeln die Sprößlinge des zerschnittenen und zerstörten Baumes, falls einige von ihnen zufällig in den Eingeweiden der Erde verborgen auf Grund des schlecht bestellten Landes wieder aufkeimen konnten.

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2.3 Prooemium a

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| Ioannis Pici Mirandulae Concordiae Comitis in Disputationes adversus astrologos Prooemium

1. Homerus atque Caecilius, antiquissimi vates, pessimos esse praedicant inimicos, qui sub amicorum specie nos circumveniunt; qua sententia nulla verior dici, nulla salubrior praecipi potest. Quamquam quid egemus testimonio poetarum, cum divina nos veritas, vitae morumque magistra, sub ovium pelle lupos evitari et, ne de facie iudicaremus, admonuit? Siquidem hoc unum inimicorum genus, quod nec averti nec everti possit quodque superare ipsi non volumus, sed occurrimus, ultro exosculamur, excipimus, et ab illo contra nos ipsos, non contra illud, ut oportuit, stamus; quod sane praestigium, quia magno constat, et altius introspiciendum et diutius examinandum nec temere admitti nec statim profligari debet; ubi vero detecta fallacia est, tanto acrius explodendum, quanto tectius ad perniciem sub praetextu beneficentiae illabebatur. 2. Nec minus mala putanda sunt, quae ideo non videntur esse pessima, quia bonis interdum sint admixta, cum tanto noceant exitialius, quanto per speciem admixtionemque boni, cum facilius admittuntur, tum admissa, quod semel invasere, tenacius occupant retinentque potentius; quo pacto, si cum mero venen-

Caecilius ] cf. Gell. 15,9,1 Font.: 3 Homerus ] cf. Hom. Od. 15,69–71 monuit ] cf. Vulg. Matth. 7,15; Lact. inst. 5,3,23; Hier. epist. 22,38,7; 147,11,3

6–7 sub ovium – ad-

Sim.: 3–7 Homerus – admonuit ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr 7–13 Siquidem – illabebatur ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr 14–17 Nec minus – potentius ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr 202.17–204.3 quo pacto – celerius ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr App. crit.: 1–2 in Disputationes adversus astrologos] Disputationum in astrologiam OGarin 10 praestigium] perstigium C 12 tectius] rectius RC 16 admixtionemque] admixtionem que G boni cum] ponicum C 17 mero] vero C

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Vorwort der Disputationes adversus astrologos des Giovanni Pico della Mirandola, Graf von Concordia 1. Homer und Caecilius, jene uralten Dichter, verkünden, dass diejenigen die schlimmsten Feinde seien, die uns unter dem Anschein, unsere Freunde zu sein, umschleichen; eine Weisheit, die wahrer wäre als diese, lässt sich nicht äußern, und man kann keine Warnung äußern, die nützlicher wäre. Wozu bedürfen wir indessen des Zeugnisses der Dichter, wenn uns doch die göttliche Wahrheit, die Lehrerin von Leben und Charakter, dazu ermahnt, die Wölfe im Schafspelz zu meiden, und davor warnt, ein Urteil nach dem ersten Anschein zu fällen? Dies gilt in ganz besonderem Maße für jene Art von Feinden, die man weder abwehren noch vertreiben kann und die wir selbst gar nicht überwinden wollen, sondern die wir treffen, freiwillig in unsere Arme schließen und in unseren Kreis aufnehmen, auf deren Seite wir gegen uns selbst und nicht, wie es sich gehörte, gegen sie selbst ins Felde ziehen; diese Gaukelei muss man freilich, da sie teuer zu stehen kommt, sowohl einem eingehenderen Blick unterziehen als auch einer länger andauernden Untersuchung, und man darf ihr weder blindlings Zutritt gewähren noch darf man sie unverzüglich vertreiben; sobald ihre Betrügerei allerdings offenbart wurde, muss man sie umso schärfer missbilligen, je verborgener sie unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit zum Verderben schlich. 2. Und man darf das, was nur deswegen nicht gänzlich schlecht scheint, weil es bisweilen dem Guten beigemischt ist, nicht für weniger schlecht halten, weil es in umso verderblicherem Maße schadet, je mehr es unter dem Anschein und im Schein der Beimischung mit dem Guten einerseits einfacher Zutritt erhält, an-

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um propinetur, quamquam sua natura saluberrimum merum est, attamen veneni malitiam illam tum suo sapore dissimulat, tum vigore ad venas et intimius adigit et celerius. Est autem hoc observandum cum in omni vita, tum in artibus maxime et disciplinis, quarum illae perniciosissimae, quae, praestigia cum sint aut alio genere vanitates, ita tamen mendacio lenocinium aliquod praetenderunt, ut scientiae vel artis nomen sibi vendicaverint: sive illud captatum ab antiquitate fictis auctoribus lenocinium, sive a magnis promissis illecebra curiositatis et cupiditatis humanae, sive ab aliquo fuco specieque probabilitatis, cum interdum sint falsa probabiliora veris Aristotele teste, praesertim non introspecta nec explorata, populo praesertim et multitudini, cui proprium errare decipique semper fuit et nihil sapere. 3. Quid autem exitialius, quid inexpugnabilius, quam cum titulo sapientiae ipse se nobis error insinuat, ut, quod ille dixit, operam demus, ut cum ratione insaniamus? Non aliud hoc, quam consilium et mentem, cuius sola vis abigendae falsitati nobis innata est, missam facere, ut mendacium ipsius et testimonio honestius et potestate robustius et praesidio munitius evadat; porro nulli spes ultra ad sanitatem, cum natura ipsa adiuvat morbum. Hoc autem, ut dudum dicebam,

Font.: 8–9 cum interdum – Aristotele teste ] Arist. top. 8,11 161a 30–33 niamus ] cf. Ter. Eun. 63; Cic. Tusc. 4,76

13–14 quod ille – insa-

Sim.: 12–16 Quid autem – evadat ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr 204.17–206.6 Hoc autem – insaniendi ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qr App. crit.: 2 et om. Garin 8 ab] ad C

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dererseits aber, nachdem der Zutritt erst einmal gewährt wurde, dasjenige, was es einmal befallen hat, umso hartnäckiger in Beschlag hält und umso mächtiger in seinen Bann zieht; ebenso verdeckt zum einen reiner Wein durch seinen Geschmack trotz allem jene Boshaftigkeit des Giftes, wenn man ihn zusammen mit Gift einnimmt, obwohl der Wein seiner Natur nach vollkommen heilsam ist, zum anderen treibt er das Gift durch seine Kraft umso tiefer und umso rascher in die Adern hinein. Dies muss man indessen zwar in allen Bereichen des Lebens beachten, ganz besonders aber bei den Wissenschaften, von denen gerade diejenigen die verderblichsten sind, die, obschon sie Gaukeleien oder Pseudo-Wissenschaften anderer Art sind, dennoch durch Lug und Trug irgendeine Art von lockendem Reiz zur Schau stellten, sodass sie für sich den Titel einer Wissenschaft oder Kunst in Anspruch nehmen konnten: sei es, dass es sich um einen Reiz handelt, der seit alters durch erfundene Schriftsteller empfangen wird, sei es durch die großen Versprechungen und die Verlockung menschlicher Neugierde und Begierde, sei es durch irgendeine Schminke und den reinen Anschein von Wahrscheinlichkeit, da ja bisweilen das Falsche wahrscheinlicher ist als das Wahre, wie Aristoteles sagt, zumal wenn es weder gründlich untersucht noch verstanden ist, und ganz besonders für die breite Masse des Volkes, deren Charakteristikum es ja schon immer war, in die Irre zu gehen, getäuscht zu werden und den Verstand nicht zu nutzen.3 3. Was aber ist verderblicher, was schwieriger zu bezwingen, als dass sich bei uns ein Irrtum unter dem Decknamen der Weisheit einschleicht, sodass das gilt, was jener berühmte Mann sagte: dass wir uns bemühen, mit Verstand von Sinnen zu sein?4 Dies wiederum bedeutet nichts anderes, als Verstand und Geist fahren zu lassen – allein dessen Kraft ist uns angeboren, um Falschheit zu widerlegen –, sodass der Fehler durch gerade dessen Urteil umso ehrenhafter, durch dessen Kraft

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Im achten Buch seiner Topica schreibt Aristoteles (top. 8,11 161a 30–31): οὐδὲν γὰρ κωλύει τινὶ δοκεῖν τὰ μὴ ὄντα μᾶλλον τῶν ἀληθῶν. Dass dieser Ausspruch des Aristoteles auch in – mehr oder minder – sprichwörtlicher Form im Umlauf war, beweisen u.a. die Auctoritates Aristotelis, in denen die Aussage in der Form Nihil prohibet quaedam falsa esse probabiliora quibusdam veris überliefert ist (Hamesse 1974: S. 331). Es handelt sich hierbei um ein Zitat aus dem Eunuchus des Terenz (Eun. 61–63): incerta haec si tu postules / ratione certa facere, nihilo plus agas / quam si des operam ut cum ratione insanias. Dass die Worte, die sich eigentlich auf die in der Komödie beschriebene Liebe beziehen, bereits in der Antike zum Spruchgut gehörten, belegt die Tatsache, dass Cicero die Stelle in seinen Tusculanae disputationes (Tusc. 4,76) zitiert.

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Duplex astrologia

Astrologos varia nomina sortitos

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evenit per insaniam, quae sub specie vel artis vel scientiae populo se circumfert et venditat, non ideo minus insana, quod sapientiam summa cute mentitur, sed quo fallacior, eo perditior; quemadmodum apud medicos nulli delirant, ut sic dicam, deliratius, quam qui delirio praeferunt vultum serium; est autem haec propria labes omnium superstitionum, quarum non alia professio, quam praecepta tradere insaniendi; sed in primis hunc sibi titulum vendicavit astrologia, | sicut et inter ipsas superstitiones, quarum mater alumnaque merito existimatur, obtinet principatum. 4. ›Astrologiam‹ vero cum dico, non eam intelligo, quae siderum moles et motus mathematica ratione metitur, artem certam et nobilem et suis meritis honestissimam auctoritateque hominum doctissimorum maxime comprobatam, sed quae de sideribus eventura pronuntiat, fraudem mercenariae mendacitatis, legibus interdictam et civilibus et pontificiis, humana curiositate retentam, irrisam a philosophis, cultam a circulatoribus, optimo cuique prudentissimoque suspectam, cuius olim professores gentilicio vocabulo ›Chaldaei‹ vel ab ipsa professione ›genethliaci‹ dicebantur; mox, ut nominis communione honestarentur, ›mathematicos‹ se dixerunt et ›astrologos‹, quasi haec quoque de liberalibus disciplinis una foret, quae de sideribus cum ratione loqueretur, hoc se tantum discrimine separans ab illa vera mathematica, ut illi astronomiae, ipsi astrologiae nomen daretur, nimis

Font.: 7 quarum – existimatur ] cf. Isid. orig. 8,9,13; August. civ. 7,35; Bonavent. coll. in Hex. 6,15 (Opera omnia 5,351); Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.3 (PL 187,1342) 14–17 cuius – astrologos ] cf. Isid. orig. 8,9,9–36; Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.1 (PL 187,1342) Sim.: 6–8 inter ipsas – principatum ] cf. disp. 2,5,11 12–14 legibus – suspectam ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv legibus – pontificiis ] cf. disp. 1,72 13–14 irrisam – circulatoribus ] cf. disp. 4,3,15 14–16 cuius – dicebantur ] cf. disp. 1,61 App. crit.: 4 serium] feriunt C 9 Tit. Duplex astrologia add. BP 14 Tit. Astrologos varia nomina sortitos add. BP 16 mathematicos] mathematico B (corr. BB BP )

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Prooemium

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umso stärker und durch dessen Schutz umso gesicherter daraus hervorgeht; vielmehr gibt es darüber für niemanden mehr Hoffnung auf Heilung, wenn die Natur selbst die Krankheit schützt. Dies aber geschieht, wie ich schon längst sagte, durch den Wahnsinn (per insaniam), der unter dem Vorwand, eine Wissenschaft oder Kunst zu sein, in der Menge des Volkes umherschweift und sich feilbietet, und der nicht etwa deswegen weniger wahnsinnig wäre, weil er auf der obersten Oberfläche vorgibt, Weisheit zu sein, sondern der umso verderblicher ist, je trügerischer er ist; ebenso ist nach dem Urteil der Ärzte niemand in seinem Wahnsinn wahnsinniger – wenn man so sagen kann – als diejenigen, die in ihrem Wahn ein ernstes Gesicht zur Schau stellen; dieser Makel aber ist allem Aberglauben gemeinsam, der keine andere Berufung hat, als Lehren zum Wahnsinn zu vermitteln; vor allen anderen aber hat die Astrologie diesen Titel für sich in Anspruch genommen, wie sie ja auch den ersten Rang einnimmt unter den verschiedenen Ausprägungen des Aberglaubens, für deren Nährmutter man sie verdientermaßen hält. 4. Wenn ich aber von ›Astrologie‹ spreche, so meine ich nicht diejenige, die die Massen und Bewegungen der Gestirne mit mathematischen Methoden berechnet, eine zuverlässige, vornehme und durch ihre Verdienste sehr ehrenhafte Wissenschaft, die durch die Autorität hochgelehrter Männer in umfänglicher Weise gebilligt wurde, sondern ich spreche von derjenigen, die anhand der Gestirne zukünftige Ereignisse prognostizieren will, eine Täuschung gedungener Lüge, die durch staatliche und religiöse Gesetze verboten und von menschlicher Neugierde bewahrt wird, die von Philosophen verspottet und von den Gauklern, die ihr anhängen, verehrt wird, die gerade bei den besten und weisesten Männern in Verdacht steht und deren Lehrer sich entweder einst mit dem Namen bezeichneten, der zu ihrem Volk gehörte, nämlich als ›Chaldäer‹, oder die ihrem Beruf nach

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improbo zelo alieni tituli invadendi, siquidem astrologia alterius artis nomen, ut declarabimus; ipsam vero divinatricem semper hoc ambitu laborantem, ut nominari vellet ab astris, non altero modo, sed utroque cognomento dignabimur et ad illius de motu siderum tractantis aemulationem pro astrologia astrologiam, pro astronomia astronomiam satis congrue, satis pro merito nuncupabimus. 5. De qua, utcumque de nomine decidatur, ego quidem cum rationibus nixus, tum praeiudiciis hominum sapientissimorum, nihil dubitaverim affirmare non esse inter artes praestigiosas, quae aut plus fallat credulos et imperitos, aut quae persuasis fallendo plus noceat, tanto reliquis superstitionibus exitialior, quanto

Sim.: 208.6–210.1 De qua – veritatem ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv

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als ›Nativitätssteller‹ (genethliaci) bezeichnet wurden; bald darauf nannten sie sich ›Mathematiker‹ und ›Astrologen‹, um sich durch die Gemeinsamkeit des Namens aufzuwerten, als ob auch sie eine der freien Wissenschaften (liberales diciplinae) wäre, die vernünftig von den Gestirnen spräche, mit dem einzigen Unterschied zu jener wahren mathematischen Astronomie, dass jene den Namen ›Astronomie‹ trage, sie aber als ›Astrologie‹ bezeichnet würde, aus dem allzu unredlichen Eifer heraus, sich einen fremden Namen anzueignen, da ja auch der Name ›Astrologie‹ bereits der anderen Wissenschaft gehörte, wie wir darstellen werden;5 die divinatorische Astrologie aber, die immer unter jenem ehrgeizigen Ziel litt, dass sie nach den Sternen benannt werden wollte6 , werde ich nicht mit einem von beiden Namen bezeichnen, sondern ich werde sie beider Bezeichnungen für würdig erachten, und gemäß ihrer Nachahmung jener Wissenschaft, die die Bewegungen der Gestirne behandelt, werde ich sie als Astrologie der Astrologie gemäß bezeichnen, als Astronomie aber der Astronomie gemäß, in passender Übereinstimmung und gemäß ihres jeweiligen Verdienstes. 5. Zu welcher Bezeichnung man auch immer für sie kommt, ich für meinen Teil möchte, gestützt auf Argumente und insbesondere die Vorverurteilungen sehr weiser Männer, nicht zögern, zu bekräftigen, dass sie nicht unter die betrügerischen Wissenschaften zu rechnen ist, die leichtgläubige und ungebildete Geister

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Vgl. die Darstellung in disp. 12,1 p. II 488 Garin, wo es über Abraham heißt: Abraam Aegyptiis astrologiam tradidisse Iosepho credamus sed non divinatricem superstitiosam, frequentiorem apud idolatras quam apud veri Dei cultores, qui Deus Abraam nuncupatur, a Mose et a prophetis fugillatam, qui se tamen Abrae traditionem et praecepta sequi profitebantur. Verum illam potius mathematicam de siderum motibus molibusque scientiam, cuius usus frequens Hebraeis et necessarius pro statis cerimoniarum temporibus observandis, cuiusque studio delegatum Hysachar tribum, Hebraeorum monumentis proditum est. Haec non sine arithmetica discitur, quoniam tota fere numeris constat et mensuris, quam simul cum astrologia Aegyptiis demonstrasse Abraam, scribit Iosephus, qui si divinatricem potius istam intellexisset, falsus omnino esset, siquidem ait hanc astrologiam, quam primus Aegyptiis Abraam indicaverat, a Chaldaeis Aegyptios accepisse. Liquet autem a superioribus, suam sibi Aegyptios ad praedicendum astrologiam fecisse, cui nihil fere cum dogmatis Chaldaeorum sit commune; sed in ea quae de siderum motibus est, paucos se Chaldaeos exercuisse, absque eis ad alios defluxisse docet Ptolemaeus in Magna compositione; non aliam igitur quam mathematicam istam Iosephus intellexit. Es handelt sich hierbei um ein Zitat aus den Origines des Isidor, der über die Astronomie schreibt (orig. 3,25,2): Astronomiam primi Aegyptii invenerunt. Astrologiam vero et nativitatis observantiam Chaldaei primi docuerunt. Abraham autem instituisse Aegyptios Astrologiam Iosephus auctor adseverat. An der entsprechende Stelle bei Josephus Flavius ist hingegen von τὰ περὶ ἀστρονομίαν die Rede (ant. Iud. 1,167). Gemeint ist das griechische Wort ἄστρον, welches – zumeist im Plural – bereits seit Homer (z.B. Il. 8,555) das Gestirn am Himmel bezeichnet (vgl. LSJ s.v. ἄστρον). Das dazugehörige lateinische Lehnwort astrum ist seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert belegt. Laut Isidor (orig. 3,60,2) werden mit dem Plural astra insbesondere große Sterne versehen.

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propius accedere visa ad veritatem. Nam illae quidem in prima facie notas suae dementiae levitatisque praeferentes vix cuiquam imponunt praeterquam penitus exoculato, haec in sinu habens et in praecordiis alens insaniam, praefert speciem habitumque sapientiae, ut, si eminus inspectes vel per transennam, forma capiaris, si cominus admoveris oculum exploratorem, ipsam videas umbram aut quasi larvam et sub aperta luce fallaciam tenebrarum abomineris. Ita est certe, ita per rationes manifestissimas luce clarius fiet nullam esse maiorem fallaciam, nullam perniciosiorem; ostentat procul caelum et planetas, unde facile credas in tam sublimi, tam lucido spectaculo nihil non posse verissime praevideri; mox, ubi attentius consideraveris, vides et sublime adeo esse speculum, ut imagines illuc terrenarum rerum non ascendant, et ita lucidum, ut ad eius fulgorem nostra caliget infirmitas; tum, propius cum accesseris, videbis intextas illius peplo pro caelestibus portentuosas effigies et stellas in animalia transformatas et plenum fabulis caelum, immo pro vero caelo commentitium caelum, non factum a Deo, sed ab astrologis fictum. Sic instructa videtur omni firmamento dogmatis comprobati quae simul et libros circumferat magnis nominibus praetitulatos et rationes tam multas decretorum suorum et praeter rationem experimenta, tam diuturnis observationibus, tam diligentibus annotamentis corroborata, tum ab usu tot saeculorum et tam multarum aetatum approbatione recepta.

Font.: 12 intextas – peplo ] cf. Ciris 21 Sim.: 6–8 Ita est – perniciosiorem ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv 8–15 ostentat – fictum ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv 17–19 rationem – recepta ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv App. crit.: 1 illae BP : ille αβO facie] facit B (corr. BB BF BEC ) 2 praeferentes] praeseferentes O cuiquam Ω : cuique Garin (cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. qv ) praeterquam scripsi : praeterque Ω 3 exoculato] exosculato RC (vide supra disp. prooem. 1) et om. Garin 11 caliget] calliget B (corr. BP ) 12 propius] proprius C intextas] intextam Garin 15 comprobati] comprobari RC (fort. recte?)

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in höherem Maße hinters Licht führt oder denjenigen, die sie überzeugen konnte, durch Täuschung noch mehr schadet, da sie den übrigen Ausprägungen des Aberglaubens um so viel an Verderblichkeit überlegen ist, wie sie den Anschein erweckt, näher an die Wahrheit zu gelangen. Denn jene übrigen stellen zwar bereits auf den ersten Blick Zeichen ihres Wahns und ihrer Leichtfertigkeit zur Schau, können sie aber kaum jemandem auferlegen, der nicht vollkommen verblendet ist, sie aber trägt den Wahnsinn im Herzen und nährt ihn in ihren Eingeweiden und erweckt doch den Anschein von Weisheit, sodass man, wenn man sie von fern betrachtet oder nur im Vorbeigehen einen Blick auf sie erhascht, von ihrer Schönheit vereinnahmt wird, wenn man jedoch sein prüfendes Auge näher bringt, sieht man, dass sie selbst ein Schatten oder eine Art von Maske ist, und im vollen Licht wird man von der Täuschung ihrer Schattengestalt abgestoßen. Genau so verhält es sich, so wird es durch glasklare Beweise offensichtlich, dass es keine größere Täuschung gibt und keine verderblichere; allenthalben stellt sie von fern Himmel und Planeten zur Schau, weshalb man leicht zu dem Glauben kommen kann, bei einem derart erhabenen und leuchtenden Anblick könne es nichts geben, was nicht höchst zutreffend vorhergesagt werden könne; bald darauf aber sieht man, sobald man ihn einmal aufmerksamer betrachtet hat, dass der Spiegel derart erhaben ist, dass die Abbilder der irdischen Dinge gar nicht dorthin aufsteigen können, und dass er derart leuchtend ist, dass unsere schwächliche Natur hinsichtlich seines gleißenden Lichtes vollkommen im Dunkeln tappt; später, wenn man näher herangetreten ist, wird man zu der Erkenntnis gelangen, dass in seinen Mantel widernatürliche statt himmlischer Bilder eingewebt sind und in Tiere verwandelte Sterne, und dass der Himmel voller Märchenfiguren ist, oder besser gesagt: dass es sich statt des wahren Himmels um einen erfundenen Himmel handelt, ein Himmel nicht von Gott gemacht, sondern von den Astrologen erdacht. So scheint sie

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6. Mirum, quam per caligines istas et nebulas oculis imperitia offensis et speciosam et venerabilem et seriae plenam auctoritatis imaginem sui repraesentat; quas ubi tenebras et praestigia radio rationis et diligenti tractatione discusseris, videbis in illis libris nihil esse | libratum, in auctoribus nullam auctoritatem, in rationibus nihil rationale, in experimentis nihil consonum, nihil constans, nihil verum, nihil credibile, nihil solidum, sed pugnantia invicem, falsa, vana, ridicula, ut vix credas qui scripserunt fidem adhibuisse his, quae scribebant. Quod vero spectat ad vanitatem, non invenias temere quae plus spei proponat suis aurariis, quae maiora desiderabiliora promittat: prudentiae se facit conservatricem, cuius de futuris coniecturam certa praecognitione stabiliat, sed et philosophiae, cuius maxima pars, quae de caelis, ut isti volunt, per caeli influentiam ad liquidum absolvatur; de medicina non attinet dicere, de nautica, de agricultura, dum non solum futura praenunciat his, sed et vires caelorum ad terrena deducit, unde omnium artium opera efficacissime, unde omnium artium magistri quod volunt facile consequantur. Et haec quidem veteribus sed etiam neotericis persuasit religioni, si diis placet, cum universae, tum Christianae, plurimum conferre auctoritatis et emolumenti et, ut semel dicatur, imitata suum magistrum et regna mundi adorantibus se promittit et suum lignum gustantibus aemulationem divinitatis, boni malique cognitionem, quae non modo ullis, ut pollicetur, vitae usibus commoda sit, sed fraus est omnium pestilentissima, siquidem illa ipsa est, ut demonstrabimus, quae philosophiam omnem corrumpit, medicinam adulterat, religionem infirmat, superstitiones parit aut roborat, idolatriam fovet, prudentiam aufert, polluit mores, caelum infamat, homines miseros, anxios, inquietos et de liberis servos et in rebus paene agendis omnibus plane facit infortunatos.

Font.: 17 regna mundi ] cf. Vulg. Matth. 4,8–9 18 lignum – cognitionem ] cf. Vulg. gen. 2,16–17 19 vitae usibus commoda sit ] cf. Aug. gen. ad litt. 2,14 p. 54,18–24 Sim.: 9–10 prudentiae – stabiliat ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. q2r 1,64; Bellant. resp. disp. prooem. fol. q2r

19 vitae – sit ] cf. disp.

App. crit.: 2 seriae αC : serie VWRFO 7–8 vanitatem BVRCF : vanitem G : unitatem WO 10 praecognitione] praemittat cognitione RC et] ex RC 11 de1 om. RC 15 cum] tum Garin 16 Christianae] christiane αC 19 nullis scripsi : ullis Ω sit] fit Garin 23 inquietos] quietos CO

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durch jegliche Stütze erwiesener Lehre derart gefestigt zu sein, dass sie gleichzeitig Bücher in Umlauf bringt, die die Namen großer Männer tragen, und für ihre Lehren so viele logische Schlüsse und empirische Beweise anführt, die jeglicher logischer Deduktion zuwiderlaufen, erst gestärkt durch so lange andauernde Beobachtungen und so sorgfältige Berechnungen, dann bestätigt durch die praktische Anwendung und die Zustimmung so vieler unterschiedlicher Jahrhunderte. 6. Wunderlich ist, wie es ihr gelingt durch jene neblige Finsternis hindurch in den Augen, die durch mangelnde Erfahrung behindert sind, ein Abbild ihrer selbst zu erzeugen, das wohlgestaltet, liebenswert und voll ernster Autorität ist; hat man jene Schatten und dieses Gaukelwerk erst einmal mit dem Strahl der Vernunft und sorgfältiger Untersuchung zerstäubt, wird man erkennen, dass sich in jenen Büchern kein wohl abgewogenes Wort befindet, jene Schriftsteller über keinerlei Autorität verfügen, in den logischen Argumenten nichts Logisches ist, in den empirischen Beobachtungen nichts Stimmiges, nichts Nachprüfbares, nichts Wahres, nichts Glaubhaftes, nichts Zuverlässiges, sondern vielmehr einander Widersprechendes, Falsches, Nichtiges, Lächerliches, sodass man kaum glauben kann, dass die Verfasser ihren eigenen Schriften Glauben schenken konnten. Was jedoch ihre Nichtigkeit betrifft, kann man wohl auf gut Glück keine Kunst finden, die ihren Günstlingen mehr Hoffnungen in Aussicht stellt, die Größeres und Erstrebenswerteres verspricht. Sie macht sich zur Bewahrerin der Klugheit, deren Vermutungen zukünftige Ereignisse betreffend sie durch sichere Vorhersage stützt, aber auch der Philosophie, deren größter Teil, der den Himmel betrifft, nach ihrem Willen durch Einfluss des Himmels gänzlich aufgelöst wird. Auf die Medizin muss man nicht zu sprechen kommen oder auf die Kunst der Seefahrt oder des Landbaus, solange sie für diese nicht nur zukünftige Ereignisse vorhersagt, sondern auch die Kräfte der Himmelskörper ins Irdische herabzieht, wodurch die Werke aller Wissenschaften in höchst erfolgreichem Maße gelingen und die Lehrer aller Wissenschaften genau das, was sie wollen, mühelos erreichen. Davon hat sie allerdings die Leute in alter wie in jüngster Zeit überzeugt, dass sie der Religion, sowohl der Religion an sich, wenn es den Göttern so beliebt, als auch der christlichen Religion im Speziellen, größtes Ansehen und höchsten Nutzen angedeihen lasse und, um es einmal auszusprechen, in Nachahmung ihres Lehrmeisters ver-

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7. Quod cum ego exploratum habere mihi viderer atque compertum, putavi piaculum me facturum nulla victima expiandum, si tacerem, si dissimularem, nec vel penitus pro virili venenum hoc de credulorum manibus extorquere tentarem, hac praesertim aetate, qua, si quando alias, ad hanc fraudem omnis aetas et ordo sexusque caligat; est autem tanto magis pro veritate pugnandum, quanto plures habere cognoscitur oppugnatores, siquidem, ut prodesse omnibus, ita placere tantummodo bonis desideramus – nec iudicium multitudinis fidem habet, ubi contra stat ratio consensusque doctorum – nec nos auram spectamus popularem, sed lucem veritatis et publicam utilitatem. Prooemium finit.

Sim.: 1–5 Quod – caligat ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. q2r 5–9 est autem – utilitatem ] cf. Bellant. resp. disp. prooem. fol. q2r App. crit.: 1 putavi] putavit C 3 virili] virili parte Garin fort. recte? sed cf. Erasm. adag. 1,1,93: pro virili nostra 8 stat ratio] ratio stat Garin 10 Prooemium finit om. O

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spricht sie ihren Bewunderern die Reiche der Welt und denjenigen, die von ihrem Baum kosten, die Nachahmung von Göttlichkeit und die Erkenntnis von Gut und Böse, obwohl sie nicht nur den Anforderungen des täglichen Lebens keinen Nutzen bringt – dies verspricht sie nämlich –, sondern sogar der verderblichste Betrug von allen ist, da sie es, wie ich zeigen werde, selbst ist, die jede Philosophie vom rechten Weg abbringt, die Medizin verfälscht, die Religion schwächt, Aberglauben erzeugt oder zumindest kräftigt, Götzendienst befördert, Klugheit vernichtet, die Sitten verdirbt, den Himmel in Verruf bringt, die Menschen elend, ängstlich und unruhig zurücklässt, aus freien Männern Sklaven macht und sie in eigentlich allen Angelegenheiten offensichtlich glücklos verfahren lässt.7 7. Da ich dies allem Anschein nach genauestens erkannt zu haben schien, kam ich zu dem Glauben, ich würde eine Sünde begehen, die durch kein Sühneopfer zu tilgen sei, wenn ich schwiege und mein Wissen für mich behielte und nicht sogar nach besten Kräften versuchte, jenes Gift den Händen der Leichtgläubigen zu entwinden, und zwar ganz besonders zu jener Zeit, zu der, wenn überhaupt irgendwann einmal, Menschen jeden Alters, jeden Standes und jeden Geschlechtes diesen Schwindel betreffend im Dunkeln tappen. Für die Wahrheit muss man aber um so mehr den Kampf suchen, je mehr ihrer Feinde man erkennt, zumal ich zwar den Wunsch hege, allen nützlich zu sein, dennoch aber lediglich den guten Menschen zu gefallen trachte – das Urteil der Masse findet auch gar kein Vertrauen, wenn ihm die Vernunft und die Übereinkunft der Gelehrten entgegen steht – und nicht auf die Gunst der Menge schiele, sondern das Licht der Wahrheit und den allgemeinen Nutzen im Blick habe. Ende des Prooemiums.

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Pico bezieht sich auf verschiedene Stellen der Bibel. So versucht im Matthäus-Evangelium Satan Jesus zu verführen (Vulg. Matth. 4,1–11), wobei er ihn u.A. mit folgenden Worten lockt (Vulg. Matth. 4,8–9): Iterum adsumpsit eum diabolus in montem excelsum valde et ostendit ei omnia regna mundi et gloriam eorum et dixit illi: haec tibi omnia dabo, si cadens adoraveris me. Vor dem Hintergrund dieses Bibel-Zitates wird auch klar, dass mit der Bezeichnung des »Lehrmeisters« (magister suus) Satan gemeint ist. Die zweite Anspielung geht auf das Buch Genesis zurück, wo Gott dem Menschen die Anweisung gibt, im Paradies nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen (Vulg. gen. 2,16–17): praecepitque ei dicens ex omni ligno paradisi comede de ligno autem scientiae boni et mali ne comedas in quocumque enim die comederis ex eo morte morieris. Dieser Anweisung entziehen sich die Menschen bekanntermaßen auf Veranlassung der Schlange, die Eva die Gottähnlichkeit verspricht (Vulg. gen. 3,5: scit enim Deus quod in quocumque die comederitis ex eo aperientur oculi vestri et eritis sicut dii scientes bonum et malum), was schließlich zum Sündenfall und der Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies führt (Vulg. gen. 3,1–24).

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2.4 Liber Primus v

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Caesarum leges Oracula prophetarum Pontificum sanctiones Doctrinae sanctorum hominum Philosophi Mathematici

Pythagoras

|Ioannis Pici Mirandulae Concordiae Comitis Disputationum adversus astrologos Liber Primus

1. Primum omnium scire lectorem volo non hoc nostrum inventum audaciamque fuisse reiiciendi confutandique astrologiam, sed a prima antiquitate bonis ita iudiciis semper visum non esse professionem, quae tot homini incommoda, tot insanias undique sub praetextu scientiae et utilitatis inveheret. Hinc Caesarum legibus et prudentum uti noxia vitae civitatibus eliminatur; hinc oraculis prophetarum, pontificum sanctionibus, hominum sanctissimorum vocibus et doctrinis ut moribus et pietati pestifera condemnatur; hinc a philosophis et mathematicis, quicumque sapere ex libris, non loqui didicerunt, quasi falsa, non utilis, non possibilis, non amica philosophiae vel contemnitur fere vel confutatur. Id quod aliis, vel nescientibus vel denegantibus, priusquam rationibus res agatur, hoc libro sumus declaraturi, ut post tales accusatores non ad invidiam nobis haec accusatio, sed potius ad pudorem bonae frontis hominibus, si qui suscipiant, possit esse defensio. 2. Exordium vero faciemus a philosophis, quorum maior auctoritas quam prudentum et communior interdum esse solet quam prophetarum. Pythagoram astrologiae fidem non praestasse tum auctor est Theodoretus, tum Laertius quoque

Font.: 216.17–218.1 Pythagoram – indicaverunt ] cf. Ps.-Plut. placit. philosoph. 5,1 p. 5,904E Sim.: 3–6 Primum – inveheret ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q2v 6–7 Hinc – eliminatur ] cf. disp. 3,19,10 216.17–218.1 Pythagoram – indicaverunt ] cf. rer. praen. 5,6 pp. 535–536; Bellant. resp. disp. 1 fol. q2v App. crit.: 1–2 adversus astrologos] in astrologiam O 3–4 audaciamque] audaciam F 5 visum] visum eam F 10 libris] libris et Garin didicerunt BCorr GGarin : didicerint BOβ 16 quam] quae OW

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Liber Primus

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Erstes Buch der Disputationes adversus astrologos des Giovanni Pico della Mirandola, Graf von Concordia

1. Als allererstes will ich, dass der Leser weiß, dass das Ablehnen und Widerlegen der Astrologie nicht mein kühner Einfall war, sondern dass seit dem frühesten Altertum diejenigen, die über ein gutes Urteilsvermögen verfügen, der Ansicht waren, die Astrologie sei kein wissenschaftliches Fach, da sie unter dem Deckmantel von wissenschaftlicher Nützlichkeit dem Menschen so viele Nachteile und so viel Unsinn von allen Seiten zufüge. Daher wurde sie durch die Gesetze der Kaiser und Rechtskundigen für lebensgefährlich erklärt und aus den Gemeinwesen entfernt; daher wurde sie durch die Vorhersagen der Propheten, die Verordnungen der Priester, nach Worten und Lehrmeinungen der heiligsten Männer als Sitten und Religion verderbend eingestuft und verurteilt; daher wurde sie von den Philosophen und allen Mathematikern, die bei ihrer Lektüre gelernt haben, weise zu sein und nicht nur daherzureden, als falsch und nicht nützlich, nicht möglich, nicht günstig für die Philosophie, entweder geradezu verachtet oder widerlegt. Dies will ich für andere, die es entweder nicht wissen oder es abstreiten, bevor die Beweisführung durch Argumente beginnt, in diesem Buch deutlich machen, dass – in der Folge solch bedeutender Ankläger – diese Anklage nicht zu Missgunst uns gegenüber führt, sondern vielmehr denjenigen, die eine Verteidigung auf sich nehmen, die Schamesröte ins Gesicht treiben kann. 2. Den Anfang will ich bei den Philosophen machen, deren Einfluss größer ist als der der rechtskundigen Männer und auch bisweilen allgemeingültiger zu sein pflegt als derjenige der Propheten. Dafür, dass Pythagoras der Astrologie keinen

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218 Democritus Phavorinus Panaetius

Carneades Bion Epicurus Plato Aristoteles

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Diogenes et Plutarcus indicaverunt. Democriti illud fertur: »quod ante pedes, nemo spectat, caeli scrutantur plagas.« 3. Achademicus Phavorinus et Panetius Stoicus ipsam incessuerunt; ridetur eadem a Seneca, confutatur a Cicerone; sed et disputantem adversus illam Carneadem et divinis infensum Bionem philosophum quis ignorat? Quodsi superat omnem insaniam, cui nec insanus accedat Orestes, quantum insaniae continet astrologia, cui nec multa delirans assentiri potuit Epicurus? 4. Plato et Aristoteles, philosophiae principes, indignam putaverunt, de qua verbum aliquando facerent, tota sua philosophia plus eam silendo, quam quisquam voce scriptisve, condemnantes. Nam, qui aliter sentiunt, illud, quaeso, respondeant, cur toto decursu suarum commentationum, ubi vel proprietates explicandae caelestium, vel causae inferiorum inde erant petendae, astrologicum illi nihil umquam attulerint. An ad philosophum haec spectare non putarunt: partes universi primas et nobilissimas, corpora mota rursusque moventia, causas efficacissimas, sine quibus fieri quicquam in natura aut cognosci non possit, siquidem tales esse credantur, quales eas astrologi faciunt? De quibus universalia quaedam cognoscere, qualia scribunt philosophorum duces, si qua propria magis possent intelligi, non philosophi, sed imperfecti philosophi est.

Font.: 1–2 quod – plagas ] Enn. scaen. 244 p. 160 Vahlen = Cic. div. 2,30; rep. 1,30; cf. Tusc. 5,114 3 Phavorinus ] cf. Gell. 14,1 Panetius Stoicus ] cf. Cic. div. 2,88 4 Seneca ] cf. Sen. apocol. 3,1-2 Carneadem ] cf. Cic. fat. 31 5 divinis infensum Bionem ] cf. Diog. Laert. 4,55; Stob. 2,1,20 p. 7 Wachsmuth 6 Orestes ] cf. Pers. 3,118; Epicurea 253 p. 187 Usener; Eur. Or. 259 7 Epicurus ] cf. Epicur. Ep. 1,76–78; Epicurea 395 pp. 261–262 Usener; Cic. nat. deor. 2,162 Sim.: 4 confutatur a Cicerone ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q2v 7 Epicurus ] cf. disp. 12,7 p. II 526 Garin; Bellant. resp. disp. 1 fol. q2v est add. Garin (cf. app. font.) 2 caeli scrutantur App. crit.: 1 Democriti] Hinc Democriti F plagas] scrutaturque caeli plagas F 3 incessuerunt] incessiverunt D (cf. disp. 6,7 p. II 70 Garin; 8,5 p. II 276 Garin; ThLL 7,1 p. 889,11–14) 9 silendo : in silendo B (in del. BF BEc ) quisquam] quisque Garin 11 suarum] suorum Garin 15 in] aut in B (aut del. BCorr ) siquidem] siquid βO

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Glauben geschenkt habe, ist einerseits Theodoret Gewährsmann, und auch Diogenes Laertius und Plutarch haben andererseits darauf hingewiesen. Es gibt jenen Ausspruch des Demokrit: »Was vor den Füßen liegt, sieht keiner, sondern man untersucht die Himmelsgewölbe.« 3. Der akademische Philosoph Favorinus und der Stoiker Panaitios haben die Astrologie scharf angegriffen; sie wird von Seneca verlacht und von Cicero widerlegt. Wer aber kennt nicht auch Karneades, wie er gegen jene Argumente ins Feld führt, und den Philosophen Bion, den Feind des Göttlichen? Und wenn das allen Wahnsinn übertrifft, was nicht einmal der wahnsinnige Orestes tut, wie viel Wahnsinn enthält dann die Astrologie, der nicht einmal Epikur beistimmen konnte, obwohl er vieles im Wahn äußerte? 4. Platon und Aristoteles, die Fürsten der Philosophie, erachteten die Astrologie nicht für würdig, sie irgendwann auch nur mit einem Wort zu erwähnen, wobei sie sie in ihrer ganzen Philosophie mehr dadurch verurteilen, dass sie sie gänzlich verschweigen, als irgendjemand anderes durch Wort und Schrift es vermag. Denn wer anderer Ansicht ist, soll bitteschön darauf Antwort geben, warum sie im gesamten Umfang ihrer Abhandlungen nirgends ein Wort über die Astrologie verlieren, wenn entweder die Eigenschaften der himmlischen Körper dargelegt werden oder die Ursachen der unteren Welt von dort gesucht werden müssen. Oder glaubten sie etwa, dies betreffe einen Philosophen nicht: die ersten und vornehmsten Teile des Universums, die bewegten Körper, die wiederum selbst in Bewegung setzen, die wirksamsten Ursachen, ohne die nichts in der Natur geschehen oder verstanden werden kann, sofern man ihnen solche Eigenschaften zugesteht, wie sie ihnen die Astrologen geben? Über diese nun allgemeine Vermutungen anzu-

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5. Cur igitur Aristoteles libros suos De caelo tam ieiunos reliquit, ubi tam multa, tam splendida dicere potuit, et, si potuit, debuit de stellis, de planetis, eorum efficientiam, proprietates, cognitionem indicans nobis? Cur in Meteorologicis imbrium, cometarum, ventorum causas perscrutatus astrologicarum rerum semper obliviscitur? Cur in libris De animalium generatione nec gemellos, nec partus portentosos atque monstrificos, nec sexus numerumve puerperii, nec formam, nec qualitates ad sidera aut refert aut referri posse meminit in transcursu? Cur idem in Timaeo facit et Plato? Cur ante Platonem Timeus ipse Pythagoreus in libro De natura, summus, ut ait Plato, philosophus pariter et astronomus? Cur et Ocelus idem Leucanus | in libro De mundo, testimonio etiam ipse Platonis in philosophia eminentissimus? An haec quasi parva contempserunt, quae, si sunt vera, maiora esse non possunt? An non contempserunt quidem, sed ignoraverunt et in Aegypto Babyloniaque versati non potuerunt haec intelligere decantata apud hos populos et cuique de medio etiam nota? 6. Professionis certe suae non esse, ut diximus, non putaverunt, nisi suam ignorarunt professionem, ut philosophi munus crederent apum et formicarum minutissime quaerere proprietates, Iovis et Saturni etiam non putarent, praesertim si veritatem super his non solum observatio docet, sed et ratio monstrat, quod scriptores astrologi maxime contendunt.

Font.: 9 ut ait Plato ] cf. Plat. Tim. 20a 10–11 testimonio – Platonis ] cf. Diog. Laert. 8,80 12– 13 in Aegypto Babyloniaque versati ] cf. Diog. Laert. 3,6; Philostr. VA 1,3; Plut. isid. 10; Cic. fin. 5,87; Plin. nat. 30,8; Apul. Plat. 1,3 p. 90 Moreschini Sim.: 9–10 Ocelus idem Leucanus ] cf. rer. praen. 5,6 p. 536 App. crit.: 3 cognitionem] conditionem Garin 5 gemellos] gemellus R 12 non2 om. RC sed et F 13 populos] philosophos B (populos ex corr. BCorr )

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stellen, wie sie diese führenden Philosophen schriftlich niederlegen, wenn doch vielmehr spezielle Eigenschaften erkannt werden könnten, zeugt nicht von einem Philosophen, sondern von einem unvollkommenen Philosophen. 5. Warum also hat Aristoteles seine Bücher »Über den Himmel« (De caelo) so nüchtern gelassen, wo er doch so viel so Glänzendes hätte schreiben können und, wenn er es konnte, auch hätte schreiben müssen über die Sterne und die Planeten, indem er uns deren Wirkung, Eigenheiten und ihre Kenntnis hätte aufzeigen können? Warum vergisst er, wenn er in seinen »Büchern über die Meteorologie« (Meteorologica) die Ursachen von Regen, Kometen und Winden erforscht, immer die astrologischen Begebenheiten? Warum führt er in seiner Abhandlung »Über die Zeugung der Tiere« (De generatione animalium) weder Zwillingsgeburten noch Deformierungen oder Missgeburten, weder Geschlecht noch Anzahl, Form oder Eigenschaften von Nachkommen entweder auf die Gestirne zurück oder erwähnt zumindest beiläufig, dass man sie darauf zurückführen könnte? Warum macht auch Platon in seinem »Timaios« (Timaeus) dasselbe? Warum macht es auch der pythagoreische Philosoph Timaios selbst bereits vor Platon in seinem Buch »Über die Natur« (De natura), nach Platons Urteil ein gleichermaßen ausgezeichneter Philosoph und Astronom? Warum macht auch Okellos von Leuka es so in seinem Buch »Über die Welt«(De mundo), der sogar nach dem Zeugnis Platons der herausragendste Vertreter auf dem Gebiet der Philosophie war? Verachteten sie etwa das als zu klein, was – gesetzt, es ist wahr – größer nicht sein kann? Oder verachteten sie es nicht einmal, sondern wussten es gar nicht und verstanden trotz Aufenthaltes in Ägypten und Babylon diese Dinge nicht, die bei diesen Völkern Gemeingut und sogar jedem einfachen Menschen bekannt sind? 6. Gewiss – wie ich bereits sagte – glaubten sie nicht, dass es außerhalb ihres Faches liege, außer sie hatten keinerlei Kenntnis über ihr Fach, sodass sie es zwar für Aufgabe eines Philosophen hielten, die besonderen Eigenschaften von Bienen und Ameisen bis ins kleinste Detail zu untersuchen, es aber nicht als dessen Aufgabe ansahen, die Eigenschaften von Jupiter und Saturn zu untersuchen, zumal wenn die Wahrheit darüber nicht nur die reine Beobachtung lehrt, sondern

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De sideribus quid naturalis consideret

Quid astrologus quid astronomus

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7. Quidnam igitur aliud dici potest, quam in ea fuisse Platonem Aristotelemque sententia, non esse causas caelestia, quorum dicunt astrologi, nec astrologiam vel artem esse vel scientiam, cuius erat cum aliis alioquin mentio facienda, sed ex ludicris unam, sive fraudibus potius circulatorum, quo genere geomantiae, hydromantiae praestigia, incantationes, quarum veteres nulli philosophi inter scientias artesque meminerunt. 8. Nam, si foret ars, astrologia penderet a naturali scientia, sicuti medicina, ut, quemadmodum medicus a philosopho fruticum, herbarum, animalium naturam mutuatur, quibus utatur ad sanitatem corporibus conciliandam, ita discat astrologus a philosopho siderum vires et proprietates, quibus utatur, et uti doceat ipse ad praedicendum; nam, qui divinatricem astrologiam partem aut finem mathematicae putat astronomiae plusque cum ea, si qua esse putetur, quam cum naturali philosophia habere commertii, is, quam longe fallatur, postea declarabimus. 9. Nunc tantum admonemus rem positam doctis extra controversiam ad philosophum pertinere scire de sideribus, quicquid eorum substantiam ordinemque consequitur, ad motus et moles eorum dimetiendas astronomo delegato, ad praevidenda futura de habitu posituraque eorum astrologo, si quis artifex scilicet esse concedatur astrologus. Quare nimis omnino dormitans et inexcusabile Platonis Aristotelisque silentium foret ea nec indicantium quidem, quae fuerant illis etiam exactissime pertractanda; quod ubique apud Platonem miscellaneam agentem omnigenamque doctrinam, tum apud Aristotelem in Problematis maxime licet admirari – quo libro de mathematicis deque omnibus artibus et disciplinis quaestiones proponens et earum ex omni genere dogmatum etiam antiquatorum afferens solutiones – hiscere tamen astrologicum verbum nusquam invenitur; licet item in Ethicis ad Eudemum, ubi de bona fortuna disseruit.

Font.: 25 Ethicis ad Eudemum ] cf. Arist. EE 8,14 1246b 37–1248b 7 App. crit.: 4 quo genere] quo Garin 12 plusque] plus quam O (plusquam Garin) 14 doctis ex. corr. BB BP : doctis tam ex. corr. BF : doctis tamen aβOGarin 18 inexcusabile] inescusabile Garin 25 Eudemum] Eudenium B (corr. BB BP )

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auch die methodische Überlegung zeigt, was die astrologischen Schriftsteller ja in höchstem Maße behaupten. 7. Was kann man also anderes sagen, als dass Platon und Aristoteles der Ansicht waren, die himmlischen Körper seien nicht Ursachen der Ereignisse, für die die Astrologen sie halten, und dass die Astrologie weder Kunst (ars) noch Wissenschaft (scientia) sei, die man ansonsten zusammen mit den anderen erwähnen müsste, sondern eine von den Schauspielkünsten oder vielmehr von den Betrügereien der Gaukler wie die Blendwerke und Beschwörungen der Geomantie und der Hydromantie, die keiner der alten Philosophen unter die Künste und Wissenschaften zählte. 8. Wäre die Astrologie nämlich eine Kunst, würde sie auf der Naturwissenschaft beruhen, wie es die Medizin tut. Daher könnte der Astrologe genau so, wie ein Arzt vom (Natur-)Philosophen Wissen über die natürliche Beschaffenheit von Sträuchern, Kräutern und Lebewesen entlehnt, um sich dessen zu bedienen und so die Körper wieder gesund zu machen, die Kräfte und Eigenschaften der Gestirne vom Philosophen lernen, um sich ihrer für Vorhersagen zu bedienen und diese wiederum selbst lehren zu können. Denn wie sehr sich derjenige irrt, der die divinatorische Astrologie für einen Teil oder sogar die Vollendung der mathematischen Astronomie hält, und glaubt, sie habe mehr mit dieser (wenn er sie für real hält) gemeinsam als mit der Naturphilosophie, werde ich später zeigen. 9. Jetzt mache ich nur darauf aufmerksam, dass die ganze Sache für die Gelehrten außer Frage steht, dass es zum Fachgebiet eines Philosophen gehört, auf dem Gebiet der Gestirne alles zu wissen, was sich aus ihrer Substanz und ihrer Anordnung ergibt, wobei die Berechnung ihrer Bewegungen und ihrer Masse dem Astronomen überlassen wird, Vorhersagen über die Zukunft anhand ihrer Erscheinung und ihrer Lage zu treffen hingegen dem Astrologen, wenn denn der Astrologe als Autorität eines Faches betrachtet werden darf. Daher wäre das gänzliche Schweigen über die Astrologie von Platon und Aristoteles ein Zeichen von Schläfrigkeit und unverzeihlich, wenn sie noch nicht einmal auf das hinweisen, was sie im Gegenzug vielmehr genauestens hätten behandeln müssen. Gewiss dürfte dann dies überall bei Platon, der ein bunt gemischtes und vielfältiges Gebiet umreißt, und bei Aristoteles, insbesondere in seinen »Problemen« (Problemata)

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Plotinum scripsisse contra astrologos

Maternus

Origenes multis rationibus astrologiam damnavit Eudoxus

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10. Quo si satis indicio non movemur, audiamus discipulos utriusque philosophi eam nobis sententiam testificantes, quam magistri silendo nobis eloquuntur: 11. Plotinus in Platonica familia primae fere auctoritatis habetur. Eum, scribit Porphyrius, cum diligentem astrologiae operam dedisset comperissetque tandem artis vanitatem falsitatemque, praedictionum omnem astrologis fidem abrogasse; quare libro quoque dicato, cui titulus De stellarum efficientia, dogmata astrologorum asseverate risit et confutavit. Quod aegre ferens Maternus multa super eius morte mentitur, quasi de eo poenas sumpserit fatum; nam illa esse falsissima ex Porphyrio ipso, Plotini discipulo, facile intelligitur, qui et genus morbi, quo decessit, et causam et cur Roma discesserit plane fideliterque describit. 12. Origenes Adamantius, in philosophica secta sicut in omnibus disciplinis eminentissimus, saepe multisque rationibus astrologicam vanitatem sugillavit, nisi forsitan eius testimonium minus faciunt homines superstitiosi, quoniam fuit etiam christianus; sed non fuit christianus Eudoxus, qui et Platonem audivit et

Font.: 4 Porphyrius ] cf. Porph. Plot. 10; Ficin. in enn. 2,3 p. I 205 W 6 De stellarum efficientia ] cf. Plot. 2,3 7 Maternus ] cf. Firm. math. 1,7,14–22 9 ex Porphyrio ipso ] cf. Porph. Plot. 2 11 Origenes ] cf. Orig. Cels. 4,12; 6,80 14 Eudoxus ] cf. Cic. div. 2,87 Platonem audivit ] cf. Diog. Laert. 8,8,86 Sim.: 3–6 Eum – abrogasse] cf. rer. praen. 5,6 p. 537; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 4 Porphyrius ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 11–12 Origenes – sugillavit ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin; rer. praen. 5,6 p. 537; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r App. crit.: 10 decessit] dicessit Garin 12 sugillavit] fugillavit Garin 14 et1 ex corr. BB BP : etiam aβO

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– eine Schrift, in der er aus dem Bereich der Mathematik und aller anderen Künste und Wissenschaften Fragestellungen aufwirft und deren Lösungen gemäß allen Lehrmeinungen, sogar den ältesten, anfügt – äußerst verwundern, dass dennoch nirgends ein Wort über die Astrologie auch nur beiläufig gemurmelt wird. Dasselbe gilt für die »Eudemische Ethik«, in der er den glücklichen Zufall abhandelte. 10. Wenn wir uns von diesem Hinweis nicht ganz überzeugen lassen, wollen wir die Schüler der beiden Philosophen hören, wie sie eben die Meinung bezeugen, die uns ihre Lehrer durch ihr Schweigen ausformuliert haben: 11. Plotin8 nimmt mehr oder minder den ersten Platz innerhalb der platonischen Schule ein; er habe – so schreibt Porphyrios – nachdem er sich intensiv mit der Astrologie beschäftigt hatte und schließlich erkannt hatte, wie nichtig und falsch diese Wissenschaft ist, den Astrologen jedwede Glaubwürdigkeit bei Vorhersagen abgesprochen; deshalb verlacht und widerlegt er auch eifrig in jener Schrift, die den Titel »Von der Wirksamkeit der Sterne« hat, die Lehrmeinungen der Astrologen. Dies nahm ihm Firmicus Maternus übel und erfand viele Unwahrheiten über seinen Tod, gerade so, als ob das Schicksal Plotin bestraft hätte; dass das vollkommen falsch ist, lässt sich nämlich leicht bei seinem Schüler Porphyrios selbst nachlesen, der sowohl die Art der Krankheit, an welcher jener verstarb, als auch ihren Grund und warum er Rom verließ, klar und zuverlässig beschreibt. 12. Origenes Adamantius9 , in der Philosophie wie auf allen anderen Gebieten herausragend, verhöhnte oftmals und mit vielen Argumenten die Nichtigkeit der Astrologie, wenn nicht die abergläubischen Leute seinem Urteil vielleicht weniger Bedeutung zukommen lassen, weil er auch ein Christ war. Eudoxos hingegen,

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Zu den astrologischen Ansichten des Neuplatonikers Plotin (204 – 270 n.Chr.) vgl. Tester (1987: S. 53f.) sowie Gundel / Gundel (1966: S. 314), die ihm – trotz seiner Ablehnung der Himmelskörper als Ursachen des Schicksals insbesondere in seiner Enneade 2,3 – eine »von Inkonsequenzen in keiner Weise freie [...] Auffassung« (ebd.) im Hinblick auf astrologischen Fatalismus attestieren. Vgl. hierzu auch Long (1982: S. 187f.), der zu dem Schluss kommt (ebd.: S.187): »Plotinus’ attitude towards astrology is complex.« Kirchenvater und Theologe (ca. 185–250 n.Chr.). Zu seiner Ablehnung der Astrologie vgl. etwa seinen Genesis-Kommentar (zu Gen. 1,14 = Philocalia 23) sowie seine Schrift Contra Celsum (z.B. 6,80, wo er von der ἀπατηλὸς γενεθλιαλογία spricht). Ähnlich wie bei seinem Zeitgenossen Tertullian war seine Einstellung der Astrologie gegenüber ambivalent: Während er beispielsweise die Anbetung der Gestirne in Cels. 5,6–13 als heidnisch verurteilt, belegt er gleichzeitig die große Bedeutung, die ihnen ebenfalls im Christentum zukommt. So könnten seiner Ansicht nach siderische Ereignisse durchaus irdische Änderungen anzeigen, wie es beispielsweise der Stern von Bethlehem getan habe (Cels. 1,58f.). Vgl. hierzu Hegedus (2007: S. 329–338).

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Averrois astrologiam ubique lacerat

Avicenna probat ab astrologis futura praevideri non posse

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in Aegypto versatus est et habitus princeps astronomorum sua tempestate; qui tamen nihil creden | dum astrologis ex hominum genituris eorum fata praedicentibus scriptum reliquit. 13. Alexander ex Aphrodisiade, summus auctor in Aristotelica philosophia, De fato librum ad Caesares Severum primum et Antoninum filium scribens et fati reiecit necessitatem et de astrologicis siluit; ad quae fati tamen commemoratio trahit vel transversos. Nec forsitan aliud ei consilium elucubrandae commentationis, quam ut propensum Severi Caesaris animum ad istiusmodi superstitionem philosophica ratione castigaret. 14. Averrois, celeber in eadem familia philosophus et rerum naturalium gravis aestimator, ubique astrologiam lacerat, damnat, insectatur; nam in Prima quidem philosophia astrologorum opinionem de caelestibus imaginibus, quibus subesse terrena figurae similis animalia putant, fabulosam dicit – qua tamen sublata ruit maxima pars astrologicae superstitionis. Idem Cantica exponens Avicennae alibi quidem ait contraria esse philosophiae, alibi fere omnia falsa dogmata astrologorum, tum artem ipsam in universum vanam et infirmam. In libris item Adversus Algazelen artificiosas imagines, in quas caeli virtutes derivare se posse putant astrologi, prorsus inefficaces asseveravit. Avicenna, vir magnus in omnibus disciplinis, ultimo suae Primae philosophiae libro multis rationibus comprobavit ab astrologis praevideri futura non posse, quare nec eorum praedictionibus ullam fidem adhibendam.

Font.: 1 in Aegypto versatus est ] cf. Diog. Laert. 8,8,86–87 qui – reliquit ] cf. Cic. div. 2,88 7–9 Nec forsitan – castigaret ] cf. Alex. Aphr. fat. 39 11–12 Prima philosophia ] cf. Aver. metaph. 1 comm. 19; metaph. 12 comm. 44 15 contraria esse philosophiae ] cf. Aver. exp. cant. pars 2, tract. 1 fol. 236k 16–17 Adversus Algazelen ] cf. Aver. destr. disp. 16 fol. 122d 18 Avicenna ] cf. Avic. metaph. 10,1 Sim.: 4–7 Alexander – transversos ] cf. rer. praen. 5,6 p. 539; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 10–14 Averrois – superstitionis ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin; rer. praen. 5,6 p. 539; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 14–18 Idem – asseveravit ] cf. rer. praen. 5,6 p. 539 18–20 Avicenna – non posse ] cf. rer. praen. 5,6 pp. 539–540; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r App. crit.: 5 Antoninum VWRFO : Antonium aCGarin

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der auch Platon hörte, eine Ägyptenreise unternahm und zu seiner Zeit als bedeutendster Astronom galt, war kein Christ; dennoch schrieb er, man dürfe den Astrologen keinen Glauben schenken, wenn sie den Menschen anhand ihrer Geburt ihr Schicksal vorhersagen. 13. Alexander von Aphrodisias, ein äußerst bedeutender Schriftsteller auf dem Gebiet der aristotelischen Philosophie, verfasste ein den Kaisern Severus I. und dessen Sohn Antoninus gewidmetes Buch »Über das Schicksal« (De fato), in dem er sowohl die Notwendigkeit des Schicksals ablehnte als auch kein Wort über astrologische Ereignisse verlor; darauf zielt aber die Erwähnung des Schicksals, wenn auch auf Umwegen, ab. Vielleicht aber hatte er keine andere Absicht beim Ausarbeiten seiner Abhandlung, als den zu derartigem Aberglauben neigenden Kaiser Severus mit philosophischer Vernunft auf dem rechten Pfad zu halten. 14. Ibn Rušd (Averroes), ein berühmter Philosoph derselben Schule und eine wichtige Autorität in naturwissenschaftlichen Fragen, zerreißt die Astrologie überall, verdammt und verhöhnt sie; denn in seiner »Metaphysik« bezeichnet er die Ansicht der Astrologen über die himmlischen Talismane (imagines), denen die irdischen Lebewesen von ähnlicher Gestalt unterworfen sein sollen, als Märchen – beseitigt man sie indessen, fällt der größte Teil des astrologischen Aberglaubens in sich zusammen.10 In seiner Auslegung des »Lehrgedichts über die Medizin« (Cantica) des Ibn Sīnā (Avicenna) bezeichnet er die Grundsätze der Astrologen an der einen Stelle als widersprüchlich gegenüber der Philosophie, an anderer Stelle nennt er sie fast durchweg falsch, dann wiederum nennt er die ganze Kunst generell nichtig und schwach. Ebenso versichert er in seinen Büchern »Gegen alGhazali«, dass die unnatürlichen Talismane (imagines), von denen die Astrologen die Einflüsse des Himmels ableiten zu können glauben, gänzlich wirkungslos

10 Vgl. zur astrologischen Theorie der imagines, also von Abbildern, die in Talismane o.Ä. eingraviert wurden, auch die ausführliche Darstellung bei Marsilio Ficino in seinem Traktat De vita (3,18 pp. 332–342 Kaske / Clark). Einen generellen Überblick zu Theorie und Praxis der imagines bietet Weill-Parot, Nicolas: Les »images astrologiques« au Moyen Âge et à la Renaissance: Spéculations intellectuelles et pratiques magiques (XIIe-XVe siècle), Paris 2002.

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Eudoxus monuit ne astrologis crederemus

Cassander Archelaus Hoychilax

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15. Mitto Henricum ex Hassia compluresque neotericos illustres in Academia Parisiensi dicatis operibus hanc vanitatem persequentes, quamquam maxima pars philosophorum contempserunt eam potius, quam confutaverunt, sicut artes alias circulatrices et aniles fabellas et deliria praestigiatorum. 16. Sed illud animadversione dignum, quod astronomi quoque ipsi professionem istam reiecerunt, quod fieri omnino non potuit praeterquam conscientia compertae falsitatis, cum alioquin illis in caelestium motibus exercitatissimis tantum accederet et scientiae et gloriae et quaestus, quantum astrologiae fidei et auctoritatis. 17. At ille, quem citavimus nuper, Eudoxus Gnidius, summus fuit in mathematicis, cuius in astronomicis rebus iudicio nititur Aristoteles; sed prudentissimus legislator (scripsit enim leges civibus suis) et sub Philistio medicus insignis et philosophus sub Platone; qui tamen, ne crederemus astrologis, nos admonuit litterisque mandavit; ita scilicet ei mathematica ratio demonstraverat et magister etiam Plato persuaserat. Cassandrum et Archelaum, cum in astronomia praecellerent, hoc praedictionis genere numquam usos auctor est Panaetius; Hoychilax Halicarnasseus, quamquam doctissimus in omni mathematica, totum hoc tamen divinandi per astra genus repudiavit.

Font.: 2 hanc vanitatem persequentes ] cf. Henric. Hass. tract. c. astrolog. coniunct. 1,1 p. 139 Pruckner 10–14 Eudoxus – mandavit ] cf. Cic. div. 2,87 12 legislator ] cf. Diog. Laert. 8,88 sub Philistio medicus ] cf. Diog. Laert. 8,86; Callim. frg. 429 Pfeiffer 13 philosophus sub Platone ] cf. Diog. Laert. 8,86 15 Cassandrum et Archelaum ] cf. Cic. div. 2,88 17 Hoychilax Halicarnasseus ] cf. Cic. div. 2,88 Sim.: 1 Henricum ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin; rer. praen. 5,7 p. 556 10 citavimus nuper ] cf. supra disp. 1,12 Eudoxus – mandavit ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin; rer. praen. 5,6 p. 540; Quaest. falsit. p. 157,21–24 15 Cassandrum et Archelaum ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin rer. praen. 5,6 p. 540–541 App. crit.: 1 Hassia ex corr. BP cf. rer. praen. 5,7 p. 556 : Assia aβ : Asia O 6 praeterquam] praeter Garin conscientia] conscientiae F 11 et addendum putavi 12 Philistio] expectes Philistione (cf. Diog. Laert. 8,86:) Φιλιστίωνος τοῦ Σικελιώτου 15 etiam om. Garin Archelaum] Anchialum docte corr. Garin (coll. Cic. div. 2,88); sed cf. e.g. ed. Venetiis 1494, ubi scriptum Archellaum 16 auctor est BGWCGarin (auth– O) : auctorem VRF Hoychilax] Scylax docte corr. Garin (coll. Cic. div. 2,88); sed cf. e.g. ed. Venetiis 1494, ubi scriptum Hoychylax

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seien. Ibn Sīnā (Avicenna), auf allen Gebieten ein bedeutender Mann, bewies im letzten Buch seiner »Metaphysik« (Prima philosophia) anhand zahlreicher Argumente, dass die Astrologen die Zukunft nicht vorhersehen können, weshalb man ihren Vorhersagen auch keinen Glauben schenken dürfe. 15. Heinrich von Langenstein und viele berühmte jüngere Zeitgenossen der Pariser Akademie, die in ihren Schriften den Irrglauben der Astrologie angreifen, lasse ich beiseite, obwohl der größte Teil dieser Philosophen sie mehr verachtete, als dass sie versuchten, sie zu widerlegen – genauso wie auch andere effekthaschende Pseudo-Wissenschaften, einfältige Ammenmärchen und von Scharlatanen erzählte Lügengeschichten. 16. Dies jedoch ist bemerkenswert, dass auch die Astronomen selbst jene Betätigung ablehnten, was keinesfalls hätte geschehen können, wenn sie nicht ihre Falschheit erkannt hätten, zumal ihnen andernfalls, da sie größte Erfahrung mit den Bewegungen der Gestirne haben, soviel an Wissen, Ruhm und Gewinn zuteil werden würde wie der Astrologie an Glaubwürdigkeit und Ansehen. 17. Doch jener Eudoxos von Knidos, den ich eben schon erwähnte, war der Beste auf dem Gebiet der Mathematik – auf sein astronomisches Urteil stützte sich sogar Aristoteles; er war aber auch ein kluger Gesetzgeber, verfasste er doch für seine Bürger Gesetze; unter Philistios’ Anleitung war er ein bekannter Arzt; unter Platon hingegen ein bedeutender Philosoph. Dennoch hat er uns in seinen Schriften dazu ermahnt, den Astrologen keinen Glauben zu schenken; dies hatte ihn die mathematische Vernunft gelehrt, davon hatte ihn sein Lehrer Platon überzeugt. Panaitios ist Quelle dafür, dass Kassandros und Anchialos, obschon sie äußerst bewandert in der Astronomie waren, niemals von derartigen Vorhersagen Gebrauch machten. Skylax von Halikarnass war zwar auf allen Gebieten der Mathematik äußerst gelehrt, verachtete jedoch diese Art von Vorhersagen anhand der Sterne.11

11 Vgl. hierzu das Kapitel zu den Quellen in den leitenden Editionskriterien (S. 165); die falschen Namen ›Archelaus‹ und ›Hoychilax‹ lassen sich auf eine entsprechende Variante der Überlieferung in der von Pico als Quelle herangezogenen Schrift De divinatione (2,88) zurückführen.

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Paulus Florentinus r

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18. Veniamus ad neotericos: Nicolaus Oresmius, et philosophus acutissimus et peritissimus mathematicus, astrologicam superstitionem peculiari commentario indignabundus etiam insectatur nihil ratus illa fallacius, nihil detestabilius, nihil omnibus quidem ordinibus, sed principibus maxime viris esse pestilentius. 19. Ioannes Marlianus nostra aetate summus in mathematicis et erat et habebatur; is non modo praedictionibus istis semper abstinuit, sed etiam de ipsarum falsitate postremis annis scribere instituerat, quamquam (erat enim longaevus) interceptus morte id non effecerit. Aiebat homo minime gloriosus habere se adversus astrologos certissimas demonstrationes; quod cum alii, tum familiaris illi Luchinus noster et ipse praecellens mathematicus mihi non semel rettulerunt. 20. Paulus Florentinus, in medicina quidem, sed praecipue in mathematicis Graece Latineque doctissimus, quotiens de ista professione rogabatur, totiens eam incertam fallacemque asseverabat afferens inter cetera de se ipso evidens experimentum, qui, cum quinque et octuaginta iam implesset annos, in sua tamen genitura, quam examinarat diligentissime, vitalem nullam constellationem repperisset. 21. Afferrem multos ex his etiam, qui vivunt, et philosophos et astronomos | idem sentientes, sed nescio, an invidiam adversus se concitari velint hominum caeli fatique potentium.

Font.: 1 Nicolaus Oresmius ] cf. Oresm. tract. contra astrolog. 1 p. 227 Pruckner 5 summus ] cf. Ficin. vit. 3,18 p. 336 Kaske/Clark 11 Paulus Florentinus ] cf. Ficin. disp. contra iudic. astrolog. p. 66 K; Ficin. in enn. 2,3 p. I 225 W Sim.: 1 Nicolaus Oresmius ] cf. disp. 12,7 p. II 530 Garin; rer. praen. 5,6 p. 540; quaest. falsit. p. 157,27 5 Ioannes Marlianus ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 10 Luchinus ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 11 Paulus Florentinus ] cf. disp. 9,6 p. II 310 Garin (et saepius); rer. praen. 5,6 p. 541; quaest. falsit. p. 157,28; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r App. crit.: 3 illa conieci : ille ΩGarin 7 erat enim longaevus uncis inclus. BP ipsum Garin 14 qui cum] quicunque G (corr. Gc )

13 de se ipso] se

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18. Kommen wir nun zu den Jüngeren: Nikolaus Oresme, ein äußerst scharfsinniger Philosoph und ein sehr erfahrener Mathematiker, äußert in einem eigenen kleinen Traktat seinen Unwillen über den astrologischen Aberglauben und greift die Astrologie sogar an in der Überzeugung, nichts sei trügerischer, nichts verabscheuenswerter, nichts für alle Stände, insbesondere aber für die führenden Männer, verderblicher als jene. 19. Giovanni Marliani war der bedeutendste Mann auf dem Gebiet der Mathematik zu unserer Zeit und galt auch als solcher; er hielt sich nicht nur von derartigen Vorhersagen immer fern, sondern hatte auch den Vorsatz gefasst, noch in seinen letzten Lebensjahren über ihre Falschheit zu schreiben, wurde aber (er war nämlich schon hochbetagt) vom Tode daran gehindert, das Werk zu Ende zu führen.12 Obwohl er ein Mann von großer Bescheidenheit war, behauptete er, über äußerst zuverlässige Beweise gegen die Astrologen zu verfügen. Dies bestätigte mir unter anderem auch mehrfach unser gemeinsamer Freund Luchinus13 , selbst ein ausgezeichneter Mathematiker. 20. Paolo Toscanelli14 , in der Medizin, besonders aber in der Mathematik in griechischer und lateinischer Sprache äußerst bewandert, versicherte jedes Mal auf die Frage nach diesem Gebiet, die Astrologie sei unzuverlässig und trügerisch, und er führte unter anderem einen offensichtlichen Versuch, den er an sich selbst unternommen hatte, an: obschon er bereits im 86. Lebensjahr stand, hatte er dennoch in seinem Geburtshoroskop, welches er äußerst sorgfältig untersucht hatte, keine Konstellation finden können, die auf ein langes Leben hingewiesen hätte. 21. Ich könnte noch zahlreiche zeitgenössische Philosophen und Astronomen anführen, die derselben Meinung sind, vermute jedoch, dass sie nicht die Missgunst der Männer, die über den Himmel und das Schicksal verfügen, auf sich ziehen wollen.

12 Vgl. zu Marliani u.a. auch die Darstellung in Marsilio Ficinos De vita (3,18 p. 336 Kaske / Clark), der zu berichten weiß, dieser sei durch ein vom Arzt Mengo Bianchelli angefertigtes Amulett von seiner Angst vor Donner geheilt worden: Accepi a Mengo, physico praeclaro, eiusmodi imaginem factam Iove ibidem coniuncto cum Sole liberavisse Ioannem Marlianum, mathematicum nostro seculo singularem, a pavore quo sub tonitru affici consueverat. 13 Wer mit der Bezeichnung Lucinus noster gemeint ist, ist unklar. 14 Die Episode erscheint umfangreicher bei Ficino in der Disputatio contra iudicium astrologorum (p. 66 Kristeller), wo Toscanelli als »Paulus Orticinus Florentinus« bezeichnet wird. Gemeint ist Paolo dal Pozzo Toscanelli (1397–1482), ein Freund von Nikolaus Cusanus und Leon Battista Alberti, mit dem zusammen er u.a. den Gnomon in Santa Maria del Fiore anbrachte; vgl. Mahn-Lot (1986: S. 247–250). Ficino führt die Anekdote ebenfalls als Zeichen für die Unfähigkeit der Astrologie (in enn. 2,3 p. I 225 W) an.

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Politianus

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22. Porro noster Marsilius scripsit adversus eos aperte Plotini vestigia secutus, in quo interpretando et enarrando magnopere rem Platonicam iuvit, auxit et illustravit; quodsi valetudini consulens hominum aliquando corrogat sibi de caelo quaedam etiam auxilia, optat ille potius ita fieri posse, quam credat. Testari hominis mentem fidelissime possum, quo familiariter utor, nec habui, ad detegendam istam fallaciam qui me saepius et efficacius adhortaretur, nec, quotiens una facetiamur, uberior nobis occasio segesque ridendi quam de vanitate astrologorum, praesertim si tertius interveniat Politianus; intervenit vero semper omnium superstitionum mirus exibilator. 23. Forte vero nec Nicolai Leoniceni nostri iudicium super hac re dissimulandum: is, cum mathematica ut omnes liberales scientias fideliter teneat, ita tamen hanc vanam iudicat prophetantem astrologiam, ut nec, qui scripserunt, praesertim doctiores, fidem putet adhibuisse his, quae scribebant; quodsi causam interroges, cur igitur scripserint, respondet partim avaritia, partim imperitia principum effectum. »Nam cum«, inquit ille, »in dimetiendis astrorum motibus et corporibus, quod mathematica facit astronomia, praecellentes illi viri die noctuque laborarent, nullum erat eis inde apud principes emolumentum, quibus scilicet nihil curae, quam magno sidera corpore aut quam veloci motu per caeli spatia revolverentur.« Hoc illi cum vidissent, ne caelestia perscrutantes interim essent inopes terrenorum, lepidam excogitasse fallaciam, qua sibi principum animos obligarent et suae professionis facerent amatores; quare commentos ab his astris omnium

Font.: 1 noster Marsilius ] cf. Ficin. epist. 12 (Opera I,958); Ficin. apolog. (Opera I,573): At quoniam medicina sine favore coelesti [...] saepius est inanis, saepius etiam noxia, nimirum ad eandem sacerdotis charitatem Astronomia pertinet, ad quam attinere diximus medicinam. Sim.: 1–4 noster Marsilius – credat ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 8–9 Politianus – exibilator ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 232.10–234.5 Forte vero – confirmarentur ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r App. crit.: 11 mathematica] mathematicam FGarin 12 hanc] hac RC 20 qua] quam VDRCF

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22. Indessen hat mein Freund Marsilio Ficino15 auf den Spuren Plotins offen gegen jene Stellung bezogen; in den Schriften, in denen er Plotin auslegt und erklärt, hat er die platonische Position nachdrücklich unterstützt, gefördert und deutlich gemacht; wenn er jedoch als Arzt für die Gesundheit der Menschen sorgt und sich bisweilen ein wenig Beistand vom Himmel erbittet, dann vielmehr in der Hoffnung, dass es passieren könne, als in dem festen Glauben. Ich kann die Gesinnung dieses Mannes, mit dem ich freundschaftlichen Umgang pflege, vollkommen zuverlässig bezeugen, und es gibt niemanden, der mich öfter und nachdrücklicher dazu ermuntert hat, jene trügerische Pseudo-Wissenschaft zu enthüllen. Bei all unseren gemeinsamen Späßen hat uns darüber hinaus nichts reichlicher Gelegenheit und Anlass zum Spott gegeben als die Nichtigkeit der Astrologen und das ganz besonders, wenn unser Freund Poliziano als dritter mit von der Partie war. Mit ihm kam aber immer ein außerordentlicher Verächter allen Aberglaubens hinzu. 23. Gewiss darf auch das Urteil meines Freundes Niccolò Leoniceno16 in dieser Angelegenheit nicht verschwiegen werden: Obschon er die mathematische Astronomie wie alle Teilgebiete der Artes liberales genau beherrscht, hält er die vorhersagende Astrologie für so falsch, dass er der Ansicht ist, nicht einmal ihre Verfasser, insbesondere die Gelehrten unter ihnen, hätten ihren Schriften Glauben geschenkt; auf die Frage, warum sie denn ihre Schriften verfasst hätten, antwortet er dann, es sei teilweise aus Habgier, teilweise aus Unwissenheit der Fürsten geschehen: »Denn«, so sagt er, »obwohl sich jene Männer, die sich ausgezeichnet mit dem Messen der Gestirnsbewegungen und dem Erforschen der Himmelskörper, also dem Aufgabengebiet der mathematischen Astronomie, auskennen, Tag und Nacht damit abquälten, konnten sie damit keinen Vorteil bei ihren Herrschern erringen; diese hatten natürlich keinerlei Interesse an Fragen nach der Größe der Gestirne oder der Geschwindigkeit, mit der sie das Firmament durchwan-

15 Zur zwiespältigen Einstellung Ficinos zur Astrologie vgl. u.a. Kaske (1986: S. 371–380), Bullard (1990: S. 687–708) sowie Copenhaver (1984: S. 523–554). Ficino selbst äußert sich dazu u.a. in einem Brief an Poliziano (Politianus 1553: S. 134–135). 16 Der Arzt und Gelehrte Niccolo Leoniceno (1428–1524) hatte im Jahre 1497 eine Schrift über die Syphilis veröffentlicht, in der er u.a. die Sterne als Begründung für diese Krankheit zurückgewiesen hatte. Die Schrift löste eine hitzige Debatte aus, in der sich u.a. auch der Wittenberger Gelehrte Martin Pollich als Fürsprecher der Thesen Leonicenos einbrachte. Vgl. hierzu Hirai (2010), Hirai (2012: S. 297–324) sowie Brosseder (2004: S. 206). Einen Überblick über Leben und Werk Leonicenos bietet Pellegrini, Paolo: Art. »Niccolò da Lonigo«, in: DBI 78, 2013, S. 409–414.

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fortunas, sed praecipue principum, dependere, liberos scilicet, vitam, imperia, victorias, valetudinem; sibi vero, qui illorum diu motus et naturas observassent, penitus cognitum et exploratum, quid cuique vel boni pollicerentur vel adversi denuntiarent; tum habere praeterea ad manum se remedia, quibus praevisa mala repellerentur, bona confirmarentur. 24. Nam, si felix hora notaretur, imagines ex materia quadam caelestibus illis naturis cognatiore posse conflari, ad quas miris machinamentis deducta virtus ab astris felicissimos faceret homines rerumque potentes, illarum vel tactu vel gestatione, quicquid appeterent, facile consequentes. Quibus omnibus rebus quo plus fidei facerent, illud addidisse revelata sibi divinitus huius artis secretiora mysteria, quemadmodum a potentissimo Mercurii numine et Petosirim et Aesculapium accepisse quam plurima legitur apud Maternum; tum vero principes illiteratos et curiosos et rerum, quas promittebant, appetentissimos, adductos facile, ut crederent, ut professores foverent et praemiis studia haec quotidie magis et magis excitarent.

Font.: 6–7 imagines–cognatiore ] cf. Thom. Aq. op. occ. p. 186,291–295; Albert. mineral. 2,3,2 p. 51–52 B; Ps.-Albert. specul. 11 pp. 246,103–250,139 Z 12 apud Maternum ] cf. Firm. math. 4 prooem. 5; math. 1,3,1 App. crit.: 1 principum] principium F 2 naturas] naturam Garin 3 cuique] quisque Garin 7 cognatiore] cognatiores βOGarin 10 revelata] revellata B (revelata ex corr. BB ) 12 post plurima dist. Garin

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dern.« Sobald sie dies erkannt hätten, hätten sie, um nicht bei der Untersuchung des Himmlischen irdischer Güter entbehren zu müssen, sich jene anmutige Täuschung ausgedacht, mit der sie sich das Interesse der Fürsten verpflichteten und sie zu Liebhabern ihres Berufsstandes machten; daher hätten sie auch ersonnen, dass von den Sternen das Schicksal aller, vornehmlich aber das der Fürsten abhänge, insbesondere deren Nachkommen, das Leben, Herrschaft, Siege und Gesundheit; sie selbst aber, die sie die Bewegung und das Wesen der Gestirne lange beobachtet hätten, wüssten ganz genau, welche guten und schlechten Ereignisse jeder einem jeden von ihnen verspreche; außerdem hätten sie dann geradewegs Gegenmaßnahmen griffbereit, mit deren Hilfe man die vorhergesagten Übel verhindern, die guten Ereignisse jedoch verstärken könne. 24. Wenn man nämlich einen Glück verheißenden Zeitpunkt erkannt hätte, könne man Abbilder (imagines)17 aus jeweils bestimmtem Material, das der jeweiligen Natur jener Himmelskörper verwandter sei, zusammenfügen; der himmlische Einfluss, der mit Hilfe wundersamer Kunstgriffe in jene überführt wurde, könne dann die Menschen sehr glücklich machen und ließe sie Herr über diese Dinge werden, wobei sie durch das Berühren der Abbilder oder ihr Tragen leicht all das erreichen könnten, was auch immer sie sich wünschten. Um all diesen Dingen mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen, hätten sie jenes hinzugefügt, dass ihnen die geheimnisvollen Mysterien dieser Kunst durch göttliche Vermittlung enthüllt worden seien, wie auch Petosiris und Äskulap sehr vieles vom äußerst mächtigen Hermes erhalten hätten, wie bei Firmicus Maternus steht; die damaligen Herrscher seien ungebildet und neugierig gewesen und äußerst begierig auf das, was die Astrologen versprachen, und seien leicht dazu zu veranlassen gewesen, es zu glauben, die Lehrer zu begünstigen und durch Belohnungen derartige Studien tagtäglich mehr und mehr anzutreiben.

17 Gemeint sind Talismane. Ps.-Albertus unterschiedet in seinem Speculum astronomiae (cap. 11) drei Arten von Talismanen, von denen jedoch lediglich die dritte, die imagines astronomicae, erlaubt seien. Detaillierte Anleitungen zum Herstellen solcher Talismane bietet u.a. die Schrift Picatrix (lateinische Übersetzung arabischer Schriften zu Magie und Astrologie), die »ein zentrales Bindeglied zwischen dem spätantiken Neuplatonismus [...] und der ›okkulten Philosophie‹ und Magia naturalis eines Agrippa von Nettesheim« (von Stuckrad 2007: S. 185) darstellt. Auch Marsilio Ficino beschreibt in seiner Abhandlung De vita (3,15 und 3,16) Herstellung und Wirkung unterschiedlicher Talismane, steht deren Wirkung jedoch eher kritisch gegenüber (vgl. insbes. 3,15 p. 320 Kaske / Clark): Ego quoque ambigo saepius ac, nisi et omnis antiquitas et omnes astrologi vim mirabilem habere putarent, habere negarem. Negarem equidem non omnino…

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Liber de proprietatibus elementorum, de secretis falso Aristoteli ascribuntur v

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25. Haec serio noster Leonicenus nec procul a vero super astrologis loquitur et sentit. 26. Cavendum autem imprimis, ne qua nobis ad fidem irrepant astrologi mentita magnis auctoribus volumina perscribentes, quod est illis cum omni superstitione commune. Nam quoniam, quae produntur ab his, ratione confirmari non possunt, sive ipsi illa vera credunt, sive credi volunt ab aliis, libros huiuscemodi fabularum viris clarissimis et antiquissimis inscribunt et fidem errori suo de fictis auctoribus aucupantur. 27. Ex hoc genere liber De proprietatibus elementorum, in quo de magnis agitur coniunctionibus, et De secretis ad Alexandrum, quos tribuunt Aristoteli nulla culpa boni philosophi, nullo demerito, sicut libros Platonis De vacca magi circumferunt et, quos vocant Institutionum, execrabilibus somniis figmentisque refertos, et a Platone non minus alienos, quam ista sint mendicabula a Platonis procul et probitate et sapientia. 28. Sic olim haeretici Gnostici nuncupati Zoroastri libros ostentabant, quibus haeresim | suam de Zoroastri antiquitate venerabilem facerent, quos novos et commenticios esse, non Zoroastri, Porphyrius multis argumentationibus demonstravit. 29. Falli autem facile possunt et circumveniri per haec mendacia, si qui sint humaniorum litterarum rudiores, quamquam alioquin docti, cum per illas ma-

Font.: 17 Porphyrius ] cf. Porph. Plot. 16; Ficin. vit. Plot. 16 Sim.: 9 De proprietatibus elementorum ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541 10 De secretis ad Alexandrum ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541 11 De vacca ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541 App. crit.: 1 astrologis α: astrologos βOGarin 7 inscribunt ex corr. BCorr : inscribuntur αβOGarin 12 execrabilibus] execrabilius B (corr. BCorr ) 15 ostentabant] ostendebant G 17 commentitios αFGarin : commentitos VWRCO

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25. So spricht und denkt mein Freund Leoniceno voller Ernst über die Astrologen und er ist damit nicht weit von der Wahrheit entfernt. 26. Insbesondere aber muss man auf der Hut sein, dass sich die Astrologen nicht irgendwie in unser Vertrauen einschleichen, indem sie erfundene Schriften berühmten Schriftstellern zuschreiben – ein Vorgehen, das ihnen mit jedem Aberglauben gemeinsam ist. Weil nämlich ihre eigenen Ansichten mit vernünftiger Überlegung nicht bewiesen werden können – sei es, dass sie sie selbst für wahr halten, sei es, dass sie wollen, dass andere sie glauben – schreiben sie Bücher voller derartiger Märchen den berühmtesten und ältesten Schriftstellern zu und haschen nach Glaubwürdigkeit für ihre falschen Vorstellungen von erfundenen Schriftstellern. 27. Dazu zählt das Buch »Von den Eigenschaften der Elemente« (De proprietatibus elementorum), welches von den großen Konjunktionen handelt, und die Schrift »Über die Geheimnisse an Alexander« (De secretis ad Alexandrum)18 , die sie Aristoteles ohne ohne jegliche Schuld und ohne jedes Zutun des trefflichen Philosophen zuweisen, genauso wie die Magier die Schrift »Von der Kuh« (De vacca)19 als Bücher Platons verbreiten und sie als »Unterweisungen« (Institutiones)20 bezeichnen, die voll sind von verdammungswürdigen Traumbildern und Erfindungen und von Platon nicht weniger entfernt, als jene Bettler von Platons Glaubwürdigkeit und Weisheit entfernt sind. 28. So verbreiteten einst die Häretiker, die sich selbst Gnostiker nannten, Bücher von Zarathustra, wodurch sie ihren häretischen Ansichten durch die Altehrwürdigkeit Zarathustras den Anschein von Ehrwürdigkeit verliehen; Porphyrios aber konnte mit vielen Argumenten darlegen, dass diese jung und komplett erfunden und nicht etwa die Schriften Zarathustras waren. 29. Diejenigen aber, die über geringere literarische Bildung verfügen – auch wenn sie ansonsten gebildet sind –, können durch diese Lügen leicht getäuscht und hinters Licht geführt werden, während wir anhand unserer literarischen Bil-

18 Das auch als Secretum secretorum bezeichnete Werk ist eine dem Aristoteles zugeschriebene, sicher unechte Abhandlung alchemistischen, magischen und astrologischen Inhaltes. 19 Zu dieser und allgemein den okkulten Schriften, die im Mittelalter unter Platons Namen firmierten, vgl. Peters (1968) sowie Hasse (2002: S. 52–54). Zu den bereits von Oresme und William von Auvergne geäußerten Zweifeln an der Verfasserschaft Platons vgl. ebd.: 57f. 20 Ein anderer Name für die Schrift, die auch als De vacca bezeichnet wurde; vgl. hierzu auch Hasse (2002: S. 53).

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xime et phrasim et indolem statim auctorum cognoscentes adulterina a legitimis discernamus, quamquam astrologorum nostrorum et, quae nunc in manibus artium superstitiosarum figmenta, sic abhorrent ab omni similitudine veri, ut cuivis e medio etiam pateant. 30. Quis enim adducatur, ut Ovidium De vetula Ovidium credat, in quo de magnis etiam coniunctionibus et christiana lege mirabilia pronuntiantur – adeo, ut Rogerius Bacon, magnus astrologiae patronus, nullius libentius scriptoris testimoniis utatur, nisi forte praeferat Arthephium, qui omnino secreta alia prodit innumera, quale illud: inspecto non astro, sed lotio posse hominis et vitam et ingenium et conditiones denique omnes ad unam praecognosci. Sic magnam quoque ille fidem Ethico philosopho, cuius liber De cosmographia translatus dicitur ab Hieronymo; est autem lectio adeo deridicula, ut nulla magis, sed frequenter citata a Rogerio nostro in Epistula ad Clementem ita, ut fere adducar compositum ab eo libellum quendam, cui titulus De erroribus studentium theologiae, quo imprimis volumine error is accusatur, quod theologi nostri mysteria religionis magis ex Aristotele ceterisque philosophis confirment, quam ex auctoribus, quos modo nominavimus: Ethico, Artephio, Ovidio De vetula poetisque similibus. Praescribitur vero liber Alberto, sed mendacissime, cum numquam in theologicis suis scriptis haec ille somnia memoraverit, sed merito ad Baconem videtur referendus, cuius alia scripta in ea eum fuisse sententia facile declarant illorum semper auctorum testimoniis oraculisque perscatentia; quibus si potuit credere, nihil mirum, si credere potuit etiam astrologiae.

Font.: 5 Quis enim adducatur eqs. ] cf. Petr. Alliac. leg. sect. 2 (= Gersonii opera ed. 1706, 782A–782B) 12 ab Hieronymo ] cf. Aeth. cosmograph. incip. (= MGH QQ 14, 87): Incipit liber Ethico translato philosophico edito oraculo Hieronimo Presbytero dilatum ex chosmografia... 14 libellum quendam ] cf. Rog. Bac. vic. contract. p. 1 Steele Sim.: 5 De vetula ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r De vetula – pronuntiantur ] cf. rer. praen. 5,6 p. 541 9–10 inspecto – praecognosci ] cf. Mainard. epist. medicin. 1,2 p. 18,8sq. App. crit.: 3 cuivis] cuius GWRCF 9 et vitam om. D 13 adducar] adducat VWRFCO 15 error is B : erroris GOβGarin 21 testimoniis] testimonia Garin credere om. Garin

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dung sofort den Stil und die Eigenart jener Autoren erkennen und falsche von echten Schriften unterscheiden können – indessen stehen die Erfindungen der Astrologen unserer Zeit und das, was nun an Erfindungen der abergläubischen Künste im Umlauf ist, in so starkem Widerspruch zu jedem Anschein von Wahrheit, dass es sogar jedem einfachen Menschen klar sein muss. 30. Wer nämlich könnte sich dazu verleiten lassen zu glauben, Ovids »Von der alten Frau« (De vetula)21 sei wirklich von Ovid, ein Werk, in dem auch große Konjunktionen abgehandelt werden und Wunderbares über die christliche Religion verkündet wird – und das in dem Maße, dass Roger Bacon, ein großer Fürsprecher der Astrologie, die Zeugnisse keines Autors lieber verwendet, wenn er nicht gerade Artephius22 den Vorrang einräumt, der überhaupt zahllose andere Geheimnisse wie jenes anführt: Eines Menschen Leben, Talent und die Umstände seines Lebens könnten schließlich alle bis aufs Letzte vorhergesagt werden, wenn man nicht sein Gestirn, sondern seinen Stern-Harn untersucht. So hat er auch Vertrauen in das Buch des Philosophen Aethicus, dessen Schrift »Über die Kosmographie« (De cosmographia) von Hieronymus übersetzt worden sein soll. Bei der Lektüre erscheint es aber dermaßen lächerlich wie kein anderes Buch; dennoch wurde es oft von unserem Freund Roger Bacon in seinem »Brief an Papst Clemens« (Epistula ad Clementem)23 zitiert, sodass ich beinahe geneigt bin zu sagen, er habe auch jenes Büchlein verfasst mit dem Titel »Über die Irrtümer der Theologiestudenten« (De erroribus studentium theologiae), in welchem insbesondere der Vorwurf erhoben wird, unsere Theologen belegten die Mysterien der Religion mehr mithilfe des Aristoteles und der übrigen Philosophen als mit jenen Autoren, die ich soeben nannte: Aethicus, Artephius, Ovids De vetula und ähnliche Dichter. Das Buch wird zwar Albertus zugeschrieben, jedoch fälschlich, da er doch in seinen

21 Dieses sicher unechte Werk firmierte im Mittelalter unter dem Namen Ovids; Roger Bacon bezieht sich mehrfach auf dieses Werk in seinem Opus maius. Zur Kritik an der Autorschaft Ovids und zu diesem Werk i.A. vgl. auch Klopsch (1967: S. 84). 22 Artephius war ein Astrologe und Alchemist des 12. Jahrhunderts; das Wenige, was über ihn bekannt ist, findet sich bei Buntz (1980: S. 1057–1058). 23 Gemeint ist der Brief an Papst Clemens IV. als pars pro toto für das gesamte Opus maius, dem er vorangeht.

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31. Ita vero superstitiosum hoc genus hominum frontem perfricuerunt, ut etiam sub Aquinatis Thomae titulo libros circumferant De necromanticis imaginibus, ut iam minus mirandum, quod nescio quos Ptolemaei De anulis sed et Ad Aristonem astrologicos fingant libros, quos Ptolemaeus numquam scripsit; qua temeritate vel ignorantia Eboracensis etiam cuiusdam opusculum multi referunt ad Albertum. 32. Commemorant et Hyppocratis libros De prognosticis aegritudinum ex siderum cursu, quos, puto, ignorabat Hyppocrates, cum Prognosticorum libros scripsit a Galeno expositos et tota Graecia celebratos – aut, si noverat, quasi tamen secretiora seposuit puris et rite initiandis communicanda. 33. Praetereo, quae super pluviis, super quaestionibus Alchindus et alii Pythagorea et Aristotelea commemorant et, qui liber inscribitur Aristotelis De regiminibus, ita loquuntur ipsi, caelestibus. 34. Qui utinam ad sanctos etiam viros profana non rettulissent et libri cuiusdam De excantationibus interpretem divum Hieronymum non fecissent; quamquam, si

Font.: 3–4 Ad Aristonem ] cf. Ps.-Albert. Specul. 6 p. 226,12–15 Z Aver. cael. 168H (Opera V, fol. 144v )

12–13 De regiminibus ] cf.

Sim.: 2 sub Aquinatis Thomae titulo ] cf. rer. praen. 5,6 p. 540; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 7–10 Commemorant – seposuit ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 14–15 libri cuiusdam – fecissent ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 240.15–242.2 si angelos – dicunt ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542

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theologischen Schriften niemals solche Traumbilder erwähnt; es scheint aber mit gutem Recht Bacon zugeschrieben werden zu müssen, dessen andere Schriften ebenfalls mühelos Beweis ablegen, dass er eine solche Meinung vertrat, da sie von Zeugnissen und Vorhersagen jener Schriftsteller geradezu übersprudeln; wenn er diesen Glauben schenken konnte, nimmt es kein Wunder, dass er auch der Astrologie glauben konnte. 31. Jene abergläubischen Menschen haben aber so sehr jede Scham abgelegt, dass sie sogar im Namen des Thomas von Aquin Bücher verbreiten unter dem Titel »Über die Talismane der Nekromantie« (De necromanticis imaginibus); man muss sich daher umso weniger wundern, dass sie irgendwelche Abhandlungen »Über die Ringe« (De anulis)24 im Namen des Ptolemaios verbreiten, aber auch »An Ariston« (Ad Aristonem)25 gerichtete Schriften astrologischen Inhalts erfinden, die Ptolemaios niemals verfasst hat. Aufgrund dieser Leichtfertigkeit – oder besser: Unkenntnis – schreiben viele das Werk eines gewissen Mannes aus York ebenfalls Albertus zu.26 32. Sie erwähnen auch Schriften des Hippokrates »Über die Prognostik von Krankheiten anhand der Bahn der Sterne«, die Hippokrates meiner Meinung nach nicht kannte, als er seine Bücher »Über die Prognostik« schrieb, die von Galen erläutert und in ganz Griechenland gefeiert wurden – oder wenn er sie doch kannte, trennte er sie doch als esoterisch ab, um sie nur mit den Reinen und den Bräuchen gemäß Eingeweihten zu teilen. 33. Die Schriften »Über den Regen« und »Über Fragen«, die al-Kindi und andere als Werke des Pythagoras und des Aristoteles erwähnen, übergehe ich, und ebenfalls jenes Buch (sie nennen es selbst so) »Über die himmlischen Herrschaften« (De regiminibus coelestibus), das unter dem Namen des Aristoteles zirkuliert. 34. Ach, hätten sie doch dermaßen weltliche Werke wenigstens nicht heiligen Männern untergeschoben und nicht den heiligen Hieronymus zum Übersetzer

24 Vgl. zu diesem Werk Burnett (1996: S. 1–7). 25 Gemeint ist die unter dem Namen des Ptolemaios überlieferte Schrift Sacratissime astronomie Ptholemei liber diversarum rerum; quem scripsit ad Heristhonem filium suum; tractans compendiose de diversis rebus (Venedig 1509). Die Schrift findet ebenfalls Erwähnung im Speculum astronomiae (Ps.-Albert. specul. 6 p. 226,15 Z), wo sie unter dem Titel Ad Aristoxenum allerdings auch als Schrift des Aristoteles genannt wird. 26 Gemeint ist wohl Robert von York (Robertus Anglicus / Eboracensis), der mehrere astrologische Werke verfasste; ob er mit dem Verfasser eines Kommentars zur Sphaera Sacroboscos identisch ist, ist umstritten; vgl. hierzu Jüttner (1995: S. 914).

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Proprium philosophi

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angelos infamarunt, facile possunt homines, dum et haec quidem deliria ab Adae angelo, illa a Salomonis, alia a Thobiae custode tradita dicunt. 35. Sed ad astrologos revertamur omissis magis, ad quos quasi confines erroris communio nos deduxit. 36. Aristoteles, quid de hoc hominum genere sentiret, uno verbo monstravit, qui in Problematis cum mimo et praestigiatore astrologum deputavit. At, dices, si nihil tale isti philosophi scripserunt, qui tamen ea scripserunt, fuere philosophi, qualis Albumasar, Ptolemaeus, Haly Abenzagel, Iulius Firmicus, innumeri alii tum Latini, tum Graeci barbarique auctores astrologiae, viri et doctrina et ingenio praestantissimi. Tu, vir, me opportune admonuisti, ne id | solum dicerem adversus te, neglectam a philosophis astrologiam, sed et, quicumque eam etiam scripsissent, aut nihil aut male philosophatos; quare relinquite nobis, si diis placet, et Pitagoram et Platonem et Aristotelem et vestros vobis habeatis Aomaras, Alchabitios, Avenazras, Abenzageles: qui omnes quantum abfuerunt a philosophico ingenio, palam demonstrabitur, cum accedere illos fabulosissimis rebus et asseverare, quae nullam habeant rationem, et pugnantia dicere et seipsos evertere palam ostendemus; quae diversissima a philosopho sunt, cuius maxime proprium nihil credere, nihil affirmare, quod vel evidentia vel ratione demonstrari non possit.

Font.: 5 Aristoteles ] Arist. prob. 18 917a 6–9 Sim.: 6–9 At – alii ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 15–19 accedere – non possit ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 App. crit.: 6 mimo BGarin : minimo GOβ sed cf. Arist. prob. 18 917a 8 ubi scriptum μῖμος 8 post Haly dist. B (corr. BP ) 14 abfuerunt] affuerunt B (abf- ex corr. BCorr ) 17 Tit. Proprium philosophi add. in marg. BP 18 credere] crede G (corr. Gc )

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der Schriften eines Unbekannten »Über die Zaubersprüche« (De excantationibus) gemacht; wenn sie indessen Engel entehren, können sie es auch leicht bei Menschen, wenn sie behaupten, dieser Irrsinn käme vom Engel des Adam, jener vom Engel des Salomon, wieder anderer von Raffael, dem Engel des Tobias.27 35. Doch wir wollen zu den Astrologen zurückkehren und die Magier beiseite lassen, zu denen uns, da sie sozusagen deren Geistesverwandte sind, die gemeinsame Irrlehre führte. 36. Aristoteles hat mit einer einzigen Wendung gezeigt, was er von dieser Art von Menschen hielt, als er in seinen »Problemen« (Problemata) den Astrologen als Schauspieler und Betrüger bezeichnet. ›Doch wenn diese Philosophen nichts Derartiges geschrieben haben‹, wirst du sagen, ›so waren dennoch die, die es geschrieben haben, Philosophen, wie Abū Ma῾šar, Ptolemaios, Haly Abenragel, Julius Firmicus Maternus und unzählige andere lateinische, griechische und arabische Astrologie-Schriftsteller, ausgezeichnete Männer, was Bildung und Verstand betrifft.‹ Du, Kerl, hast mich passenderweise daran erinnert, dass ich nicht nur das gegen dich ins Feld führe, dass die Astrologie von den Philosophen vernachlässigt wurde, sondern auch sage, dass sogar alle, die über die Astrologie geschrieben haben, entweder gar keine oder zumindest nur schlechte Philosophie betrieben haben. Überlasst uns daher, bei den Göttern, Pythagoras, Platon und Aristoteles, und behaltet für euch solche Leute wie ῾Umar Ibn al-Farrukān (Omar Tiberiadis)28 , Al-Qabīșī29 , Ibn Ezra und ῾Alī Ibn abi r-Riğāl (Haly filius Abenragel)30 : Wie weit diese alle von philosophischem Scharfsinn entfernt waren, wer-

27 Gemeint sind Schriften, als deren Urheber die entsprechenden Engel bezeugt wurden; so wurde beispielsweise auch Salomon als Autor der Ars notoria oder der Schrift De quatuor anulis angeführt. 28 Zum persischen Astronomen und Astrologen ῾Umar ibn al-Farrukān aț-Țabarī (Omar Tiberiadis), der im achten Jahrhundert in Bagdad wirkte, vgl. Hasse (2016: S. 396f.); zwei seiner astrologischen Werke wurden unter den Namen De interrogationibus bzw. De nativitatibus im zwölften Jahrhundert von Johannes von Sevilla und Hugo von Santalla ins Lateinische übersetzt (vgl. ebd.: S. 396). 29 ῾Utmān Al-Qabīșī (lat. Alchabitius) war ein arabischer Astronom und Astrologe im 10. Jahrhundert; seine »Einleitung in die Kunst der Sterndeutung«, der Liber introductorius, wurde 1142 von Johannes von Sevilla ins Lateinische übersetzt und stellt eine der meist rezipierten astrologischen Abhandlungen des späten Mittelalters und der Renaissance dar (vgl. von Stuckrad 2007: S. 178); einen knappen Überblick zu Leben und Werk des Alchabitius bietet Hasse (2016: S. 328–330). 30 Abū l–Hasan ῾Alī Ibn abi r-Riğāl (lat. Haly filius Abenragel) war ein arabischer Astrologe, der in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Tunesien wirkte; einen knappen Überblick über sein Leben und Werk bietet Hasse (2016: S. 371f.). Insbesondere sein 1485 in Augsburg gedrucktes Werk Preclarissimus liber completus in iudiciis astrorum quem edidit Albohazen Haly filius Abenragel machte ihn zu einem der meistrezipierten Astrologen der Renaissance (vgl. Hasse 2016: S. 372).

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Qualis Ptolemaeus in litteris

Sententia Ptolemaei

Contra Ptolemaeum

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37. Sed, age, dicamus hic et aliquid, unde constet auctores astrologiae aut parum aut male philosophatos. Porro Ptolemaeum principem aliorum facile concedent; est enim doctissimus astrologorum et, quod attinet ad mathematica, vir ingeniosissimus; quod autem ad genethliacos, quemadmodum dici solet, optimus malorum. Is igitur, quo iudicio philosophicas res tractaverit, et in prooemiis Magnae compositionis, quam vocant Almagestum, et in libris Apotelesmaton satis indicavit. Exordiens enim libros mathematicos partitur philosophiam contemplatricem ex Aristotelis sententia in tria genera: theologicum, naturale et mathematicum. Tum rationem partitionis exponens, »omnia,« inquit, »quae sunt, ex tribus constant: materia, forma et motu, quae separari ab invicem cogitatione quidem possunt, re autem non possunt; ab his igitur tribus tria illa genera philosophiae ducuntur: a motu theologicum, cum primi motus causa non aliud sit quam Deus; a materia physicum; a forma mathematicum.« 38. Haec est Ptolemaei sententia, in qua tot esse apud bonos philosophos errata quot verba nemo paulo doctior dubitaverit; neque enim omnia ex illis tribus; quodsi, ›omnia‹ dum dicit, naturales res intelligit, quomodo circa has versabitur ipsa philosophia, in tria illa deinde genera divisa: physicum, divinum et mathematicum? Sed neque ex naturalibus quicquam constat ex motu, quamquam non fiat nec permaneat sine motu. Sed demus ei hanc veniam loquendi. Aristoteles ip-

Font.: 4–5 quemadmodum – malorum ] cf. Mart. 12,36,3; Serv. Aen. 8,127 7–8 partitur – mathematicum ] Ptol. alm. prooem. 1 pp. 5–7 Heiberg ex Aristotelis sententia ] cf. Arist. met. 5,1 1026a 17–19 9–13 omnia – mathematicum ] cf. Ptol. alm. prooem. 1 pp. 5–6 Heiberg Sim.: 2–4 Ptolemaeus – optimus malorum ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 5–6 Is enim – indicavit ] cf. rer. praen. 5,6 p. 542 7–13 Exordiens – mathematicum ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r –q3v 8–13 Tum rationem – mathematicum ] cf. rer. praen. 5,6 pp. 542–543 14–19 Haec est – sine motu ] cf. rer. praen. 5,6 p. 543; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3r 244.19–246.3 Aristoteles ipse – investigetur ] cf. rer. praen. 5,6 p. 543 App. crit.: 6 Apotelesmaton] Apotelesmatio G (Apotelesmatum ex corr. Gc ) 7 partitur] patitur G (corr. Gc ) 8 sententia] sententiam Garin 11 ducuntur] dicuntur WO 12 materia] matheria B (corr. BB BP )

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den wir offenlegen, wenn wir zeigen werden, dass jene sich mit unglaubwürdigen Wunderdingen auseinandersetzen, Behauptungen ohne jede logische Stringenz aufstellen, widersprüchliche Meinungen äußern und sich selbst widerlegen; all das ist das Gegenteil dessen, was ein Philosoph tut, dessen wichtigstes Merkmal es ja eben ist, nichts anzuerkennen, nichts zu bekräftigen, was nicht entweder durch Empirie oder durch logischen Beweis bewiesen werden kann. 37. Aber, wohlan, wir wollen auch hier etwas anführen, woraus sich klar ergibt, dass die Astrologie-Schriftsteller entweder zu wenig oder nur schlecht Philosophie betrieben haben. Gewiss werden die Anhänger der Astrologie schnell zugeben, dass Ptolemaios als Anführer alle anderen übertrifft; er verfügt nämlich über die größte Bildung von allen Astrologen und ist, was die Mathematik angeht, ein brillanter Mann; was aber die Nativitätssteller angeht, so ist er, wie man zu sagen pflegt, der Beste unter den Bösen. Mit welcher Herangehensweise er philosophische Fragen behandelt, hat er in der Einleitung seiner »Großen Zusammenstellung« (Magna compositio), die sie Almagest nennen, und in seinen Apotelesmata zur Genüge gezeigt. Denn zu Beginn seiner astronomisch-mathematischen Abhandlung teilt er die theoretische Philosophie in der Nachfolge des Aristoteles in drei Teile ein: in Theologie, Naturphilosophie und Mathematik. Danach erklärt er den Sinn dieser Teilung und stellt fest: »Alles Seiende besteht aus drei Teilen, nämlich Materie, Form und Bewegung, die zwar theoretisch voneinander getrennt werden können, nicht jedoch in der Realität; von jenen drei Teilen leiten sich also auch jene drei Arten der Philosophie ab: Die Theologie von der Bewegung, da die Ursache der ersten Bewegung nichts anderes ist als Gott; die Physik von der Materie; die Mathematik von der Form.«31 38. Dies also ist die Meinung des Ptolemaios, die aus Sicht der guten Philosophen nicht weniger Irrtümer als Worte enthält – daran kann wohl niemand, der über etwas Bildung verfügt, zweifeln. Denn es besteht ja keineswegs alles aus diesen drei Teilen. Wenn er aber, während er von ›allem‹ spricht, die natürlichen Dinge versteht, wie beschäftigt sich dann die Philosophie an sich, die ja in jene drei Teile, nämlich Physik, Theologie und Mathematik aufgeteilt ist, mit jenen?

31 Es handelt sich hierbei zunächst um ein wörtliches Zitat aus dem Almagest. Mit den Worten ab his igitur beginnt jedoch eine freiere Paraphrase Picos der bei Ptolemaios folgenden Abschnitte zu den Definitionen der einzelnen genera.

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Contra eundem

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se, quem probat, quomodo ei dabit a motu oriri genus theologicum, cum et ipse deus, quatenus primi motus auctor et causa, non a theologo, sed a philosopho investigetur? Reliqua etiam aut falsa, aut quae facile videas ab homine prolata parum perito gnaroque philosophiae. 39. Iam vero ex libris Apotelesmaton, quos vocant Quadripartitos, insigniores errores et magis evidentes, cum et Lunam humidiorem credit, quia humidus vapor a terra ad eam reliquis astris terrae proximiorem ascendat et eadem ratione aridum Saturnum, quia ab his vaporibus magis elongetur; eundem vero et frigidum esse, quia sit procul a calore Solis; Iovem temperatum, quod inter gelidum Saturnum et fervidum Martem medius collocetur, atque alia hoc genus multa de siderum proprietatibus, quae exsibilabunt philosophi potius quam confutabunt. Et quamquam magistri errorem erubescens Arabs enarrator conetur in sensum alium Ptolemaei verba transferre, ipse tamen defendi vel excusari se Ptolemaeus non patitur, qui adeo haec asserit, affirmat et saepius iterat, ut de sensu eius dubitatio nulla relinquatur. Tu vero ex uno hoc disce omnes et ex optimo iudica deteriores.

Font.: 1–2 ipse deus – investigetur ] cf. Arist. met. 1,2 983a 1–5 6–9 Lunam – calore Solis ] Ptol. apotel. 1,4,2–3 9–10 Iovem – collocetur ] Ptol. apotel. 1,4,5 12–13 errorem erubescens – transferre ] Haly comment. tetr. 1,4 fol. A2v ; cf. Album. introd. tract. 4, diff. 1 pp. 137–140 Sim.: 6–11 Lunam humidiorem – confutabunt ] cf. rer. praen. 5,6 p. 543; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3v App. crit.: 6 humidiorem] humiliorem WO 15 iudica ex corr. BB BP prob. Garin : indica αβO

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Aber auch bei den natürlichen Dingen besteht nichts aus Bewegung, obwohl sie nicht ohne Bewegung geschehen und andauern können. Aber wir wollen ihm diese Ungenauigkeit zugestehen. Wie kann Aristoteles selbst, den er als Autorität anerkennt, ihm zugestehen, dass die Theologie aus der Bewegung entsteht, wenn doch Gott selbst, insofern er der Urheber und Ursache der ersten Bewegung ist, nicht von einem Theologen, sondern von einem Philosophen untersucht wird? Das Übrige ist sogar entweder falsch oder doch zumindest dergestalt, dass man leicht sieht, dass es von jemandem dargelegt wurde, der zu wenig Erfahrung und Kenntnis auf dem Gebiet der Philosophie besaß. 39. Aus den Büchern der Apotelesmata, die sie die »Viergeteilten« (Quadripartitum bzw. Tetrabiblos) nennen, ergeben sich sogar noch unerhörtere und offensichtlichere Fehler; so wenn er den Mond für feuchter hält, weil sich feuchter Dampf von der Erde zu ihm erhebe, da er der Erde näher stehe als die übrigen Sterne, oder, auf Grund derselben Überlegung, Saturn für trocken hält, weil er von diesen Dämpfen weiter entfernt sei; Saturn sei jedoch auch kalt, weil er weit entfernt sei von der Hitze der Sonne; Jupiter sei gemäßigt, weil er in der Mitte zwischen dem kalten Saturn und dem glühenden Mars stehe und vieles anderes Derartiges von den Eigenschaften der Gestirne, was die Philosophen eher ausbuhen, als dass sie versuchen werden es zu widerlegen. Und obwohl einer seiner arabischen Kommentatoren32 aus Scham über den Irrtum seines Lehrers versucht, den Worten des Ptolemaios einen anderen Sinn zu geben, lässt Ptolemaios selbst nicht zu, dass man ihn verteidigt oder entschuldigt, weil er dies alles so fest behauptet, bekräftigt und mehrfach wiederholt, dass es keinen Zweifel an seinem Verständnis geben kann. Du aber, verstehe anhand dieses einen Beispieles alle anderen und bewerte die schlechteren Astrologen anhand dieses Mannes, der der beste unter ihnen ist.

32 Gemeint ist ῾Alī ben Ridwān. In seinem Kommentar zur Tetrabiblos (Venedig 1493) erklärt er (fol. B3v ): Et quia luna lucem habet a sole, convenit ut habeat modicum calorem, quoniam facit sicut per accidens. Et hoc est id quod vult dicere Ptholemeus. Im Folgenden nimmt er wörtlich Bezug auf Abū Ma῾šar, der in seinem Introductorium maius Kritik an der Darstellung des Ptolemaios geäußert hatte (tract.4, diff.1 p. 138): Quod autem dixit [sc. Ptolemaeus] quod natura lune sit humida propter proximitatem circuli eius a terra et receptionem vaporum qui eriguntur ex terra (ad eam): hoc repellitur a sapientibus. Es folgt eine Erklärung, dass der Abstand von Erde und Mond viel zu groß sei, als dass die Dämpfe von der Erde diesen erreichen könnten. ῾Alī ben Ridwān widerspricht dem und stellt fest, dass das Ausdünsten der Dämpfe in Richtung Mond jedoch ausreiche, um zu belegen, der Mond sei wie ein feuchter Magnet, der seinerseits wiederum Feuchtigkeit anziehe.

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248 Qualis Albumasar

Quo tempore Ptolemaeus v

Qualis Maternus

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40. Primus fere a Ptolemaeo habetur Albumasar: is nec philosophus fuit nec dialecticus et in mathematicis imperitus; erat enim grammatices artis professor et a scribendis historiis, ut narrat Avenrodan, ad astrologiam se convertit, in qua etiam sua professione quam esset verus vel hinc cognoscas, quod Ptolemaeum astrologum ex Aegypti regibus putat fuisse, qui Alexandro successerunt, quasi inter hos et illum non plus quingentis etiam | annis intercesserit, cum reges Ptolemaei ante Christum per trecentos annos floruerint, Ptolemaeus astrologus sub Adriano scripserit et Antonino. Vide mirum rerum altissimarum indagatorem et observatorem fidelem, qui in re tam aperta tanta sit ingenii vel somnolentia vel tarditate! Idem in astrologicis rebus quantum erraverit, quam apertis confessisque mendaciis institerit quasi veris, postea declarabimus. 41. Quid memorem Maternum et in rudimentis arithmeticae sic allucinantem, ut scribat, quid decernat Mercurius, cum in nocturna genitura caeli medium occupaverit, quasi a Sole Mercurius plus triginta aut circiter partibus abesse umquam possit, aut a caeli medio Sol per noctem plus septuaginta semper non absit. Mitto alia multa, in quibus cum semper multae loquentiae, exiguae semper sapientiae hominem deprehendes.

Font.: 3 narrat Avenrodan ] Haly comment. tetr. 1,1 fol. A2v 4–5 Ptolemaeum – fuisse ] cf. Album. introd. tract. 4, diff. 1 p. 137; Haly comment. tetr. 1,1 fol. A2v : albumasar et alii [...] crediderunt quod hic ptholemeus erat fuerit unus ex regibus alexandrie 13–14 scribat – occupaverit ] cf. Firm. math. 3,7,21 Sim.: 4–8 Ptolemaeum astrologum – Antonino ] cf. rer. praen. 5,6 p. 544; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3v 12–17 Maternum – deprehendes ] cf. rer. praen. 5,6 pp. 544–545; quaest. falsit. pp. 167,37–168,5; Bellant. resp. disp. 1 fol. q3v –q4r App. crit.: 6 illum] illos Garin 7 trecentos scripsi : quadringentos ΩGarin 12 arithmeticae] arithmetricae α 14 triginta scripsi coll. Ptol. apotel. 1,18,8 et rer. praen. 5,6 p. 544 : quadraginta ΩGarin 16 loquentiae] eloquentiae Garin tum addidi 17 deprehendes] deprehendens G (corr. Gc )

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40. Als erster nach Ptolemaios gilt Abū Ma῾šar: er war weder ein Philosoph noch ein Meister der Dialektik und in der Mathematik nicht bewandert, denn er war Professor auf dem Gebiet der Grammatik und wendete sich vom Verfassen historischer Traktate der Astrologie zu, wie ῾Alī ben Ridwān erzählt. Wie sehr er auf diesem neuen Fachgebiet die Wahrheit sagt, kann man wohl schon daran erkennen, dass er glaubt der Astrologe Ptolemaios sei einer von den Königen Ägyptens, die die Nachfolge von Alexander dem Großen antraten – als ob zwischen diesen und ihm nicht mehr als 500 Jahre lägen, da die Ptolemäischen Könige 300 Jahre lang vor Christi Geburt herrschten, der Astrologe Ptolemaios jedoch unter den Kaisern Hadrian und Antoninus Pius schrieb.33 Da sehe man sich den wunderbaren Untersucher und Beobachter der höchsten Dinge an, der in einer dermaßen offensichtlichen Frage ein so schläfriges Gemüt und geistige Trägheit an den Tag legt. Wie große Fehler derselbe in astrologischen Fragen beging, auf wie vielen offensichtlichen und anerkannten Irrtümern er beharrte, als ob sie wahr seien, werden wir später noch darlegen. 41. Wozu soll ich auf Firmicus Maternus eingehen, der auch bei den Grundlagen der Arithmetik dermaßen unsinnig daherredet, dass er beispielsweise schreibt, welche Auswirkungen Merkur hat, wenn er bei einer nächtlichen Geburt in der Himmelsmitte steht, als ob er jemals von der Sonne mehr als ungefähr 30°34 entfernt sein könnte, oder als ob die Sonne nachts nicht immer mindestens 70° von der Himmelsmitte entfernt wäre. Viele andere Stellen will ich beiseite lassen, an denen man Firmicus Maternus zwar immer große Beredsamkeit zugute halten muss, aber eben auch immer nur geringe Kenntnisse.35

33 Vgl. Boll (1894: S. 58–60). Die Herrschaft der Ptolemäer über Ägypten begann kurz nach dem Tode Alexanders des Großen (323 v. Chr.) mit der Machtübernahme seines Generals Ptolemaios und endete mit der Annexion Ägyptens durch Rom nach der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) ca. 300 Jahre später. Die Tatsache, dass Pico die Zahlen eher zu hoch ansetzt (Antoninus Pius verstarb im Jahre 161 n.Chr.), dürfte seiner Argumentation geschuldet sein – dennoch muss davon ausgegangen werden, dass die falsche Angabe der Herrschaftsdauer der Ptolemäer weniger einem Rechenfehler als einem Überlieferungsfehler geschuldet sein dürfte. 34 Der überlieferte Wert für die maximale Elongation Merkurs, also den maximalen Abstand zwischen Sonne und Merkur (in Ekliptikalgraden), von 40° ist definitiv zu hoch; antike Quellen sprechen von ungefähr 22° – so z.B. Plin. nat. 2,38, der sich u.a. auf den babylonischen Astrologen Kidenas beruft – oder sogar nur 20° (Mart. Cap. 8,881; vgl. Neugebauer (1975: S. 804–805)); Ptolemaios lässt Merkur maximal ein Zeichen, also 30° entfernt von der Sonne stehen, was auch Giovanni Pontano, ein Zeitgenosse Picos, in seiner Schrift De rebus coelestibus übernimmt (1,11 p. 20) – diesen Wert könnte Pico ursprünglich auch gemeint haben. Vgl. hierzu Weh (2017: S. 207). 35 Tatächlich handelt es sich bei der besagten Stelle aus der Mathesis des Firmicus Maternus um eine astronomisch nicht mögliche Position Merkurs. Zu kurz greift die Erklärung Bellantis, Firmicus habe an dieser Stelle die untere Himmelsmitte gemeint, die er auch als medium caelum bezeichne (Bellant. resp. disp. 1 [fol. q3v ]), da Firmicus in diesem Zusammenhang mehrfach auf den zehnten Ort, also die obere Himmelmitte verweist. In diese Richtung geht auch die ausführliche Antwort Giovanni Francesco Picos (cf. rer. praen. 5,6 pp. 544–545).

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250 Qualis Mallius

Qualis Bonatus

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42. Iam Mallium, nisi esset poeta, bone Deus, quo risu prosequeremur, qui caelestes illas, quas fingit, imagines paucis stellis inchoatas potius dicit quam absolutas, ne pluribus ibi ignibus accensis incendio mundus flagraret. 43. Ad iuniores non descendo, homines plebeios et idiotas, ad quos, quasi ad iustos possessores, tota fere professio devoluta est. 44. Est Bonatus inter eos primae auctoritatis; is non ignarus modo est philosophiae, sed furit plane atque delirat. Lege eius primum librum De iudiciis, in quo super opere ipse prooemiatur: mentior, nisi helleboro dignum hominem iudicaveris. Struit, ubi desipit minus, rationes quasdam, quibus astrologiam probet esse veram; illas quid dicam falsas? immo, supra quam dici possit, pueriles atque ridiculas. Quam vero putat efficacissimam, illa est: quadrivium destrui, si astrologia tollatur; esse enim unam ex quattuor artibus mathematicis. 45. Vide, ut nescit etiam, quid sit hoc ipsum, quod profitetur! Astrologia enim haec divinatrix, quam confutamus, tantum distat ab ea, quae mathematicis annumeratur, quantum a tenebris lux, quantum veritas distat a mendacio. Et haec quidem, quae futurorum praedictionem usurpat, si prior illa veriorque tollatur, stare non potest; at non remeat ratio, ut divinatrice sublata mathematica quoque illa auferatur. Quod adeo est perspicuum vel his, qui prima harum artium attigerint elementa, ut pluribus hoc declarare superfluum sit.

Font.: 1–3 caelestes – flagraret ] Manil. 1,456–472 3 mundus flagraret ] cf. Manil. 5,745 11–12 quadrivium – mathematicis ] Bonat. tractat. tract.1, cap.14 pp. 18–20 Sim.: 1–3 Mallium – flagraret ] cf. rer. praen. 5,6 p. 545; quaest. falsit. p. 168,9–12; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r 6–12 Bonatus – mathematicis ] cf. rer. praen. 5,6 pp. 545–546; quaest. falsit. p. 168,12–16; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r App. crit.: 1 prosequeremur] prosequemur Garin 11 illa] illam F 16 praedictionem] praedictionum Garin 18–19 attigerint] attigerit Garin

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42. Bei Gott, mit welchem Spott würden wir Manilius36 überziehen, wenn er kein Dichter wäre, der sagt, dass jene von ihm erdachten Abbilder mehr mit wenigen Sternen skizziert als vollendet seien, damit die Welt nicht durch zu viele dort entzündete Feuer in Flammen aufgehe. 43. Zu den jüngeren Autoren lasse ich mich nicht herab, denn es sind einfache und einfältige Menschen – ganz so, als ob die gesamte Profession an ihre verdienten Besitzer gelangt wäre. 44. Guido Bonatti genießt unter ihnen größtes Ansehen; er ist nicht nur philosophisch ungebildet, sondern offensichtlich wahnsinnig und gänzlich von Sinnen. Man lese nur einmal das erste Buch seiner Abhandlung »Über die astrologischen Urteile« (De iudiciis), in dem er selbst eine Einleitung zu seinem Werk verfasst hat. Ich will ein Lügner sein, wenn man nicht zu dem Schluss kommt, jener Mensch habe eine Behandlung mit Nieswurz37 verdient. Dort, wo er weniger von Sinnen ist, führt er einige Argumente an, anhand derer er beweist, dass die Astrologie wahr ist; wozu sagen, dass diese falsch sind? Ja, sie sind vielmehr kindlicher und lächerlicher, als man es in Worte fassen könnte. Für den schlagkräftigsten hält er folgenden Beweis: Wenn man die Astrologie beseitigt, werde das Quadrivium zerstört; die Astrologie sei nämlich eines der mathematischen Fächer. 45. Bemerkenswert ist, dass er nicht einmal weiß, was sein Fach ist! Denn die divinatorische Astrologie, die wir hier widerlegen, ist so weit von jener entfernt, die zu den mathematischen Fächern zählt, wie das Licht vom Schatten oder die Wahrheit von der Lüge. Und sicher kann diese Astrologie, die sich mit der Vorhersage zukünftiger Geschehnisse beschäftigt, auch nicht Bestand haben, wenn man jene erstere und korrektere beseitigt. Doch das Argument lässt sich nicht umkehren, dass auch jene mathematische Astrologie hinfällig würde, wenn man die divinatorische beseitigt hat. Dies ist selbst für diejenigen, die erst mit den ersten

36 Zu abweichenden bzw. entstellenden Varianten des Namens dieses römischen Dichters im Allgemeinen und Speziellen bei Pico vgl. z.B. Grant (1952). 37 Nieswurz (lateinisch (h)elleborus, griechisch ἑ-/ἐλλέβορος) galt in der Antike als ein Heilmittel u.a. gegen Wahnsinn, vgl. u.a. Plin. nat. 25,60. Namentlich in der Komödie (z.B. Plaut. Men. 950) und der Satire (z.B. Hor. serm. 2,3,82–84) wird diese Pflanze daher spöttisch mit Wahnsinnigen in Verbindung gebracht.

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46. Ptolemaeus ipse in prooemiis Apotelesmaton, postquam de duplici dicit astronomia, tum ad priorem et mathematicam referens sermonem ita inquit: »τὸ μὲν πρῶτον« et cetera quae sequuntur. Quodsi forte quibusdam interdum bonis iudiciis non displicuit ista professio, non statim tamen est bonum, quod bonus etiam aliquis non improbaverit, quoniam et boni non semper usquequaque boni, et docti praerogativam omnibus numeris pauci consequuntur, et, si dicendum est aliquid παράδοξον, non omnes docti philosophi philosophi semper sunt. 47. Sed illud etiam opus meminisse: esse veritates quasdam, quibus nobis libido aliqua reluctatur, esse, quibus nulla; in primo genere omnia, quae sunt de moribus, et theologica multa continentur; in altero maxima pars, quae de physicis rebus et mathematicis est. Porro hanc veritatem, quam nos tractamus de vanitate astrologiae, ad primum genus spectare manifestum est, quoniam innatum homini curiositatis vitium illi repugnat; quod cum sit inter omnia potentissimum, cum sit homini proprium quatenus homo est, efficit interdum, ut plures huic veritati vel investigandae non vacent vel inventae etiam non libenter accedant. 48. Et quemadmodum multi post tractatas Philosopho | adversus avaritiam evidentissimas rationes opibus tamen inhiant cumulandis, sic plerique, postquam eis constiterit vera omnino esse posse, quae astrologi dicunt, ab astrologis tamen innata curiositas aegre se divellit; et si rerum avidi novarum etiam fabulas audimus libenter, ita curiosi futurorum et mentientes in illis astrologos cum voluptate sentimus. Accedit, qui nos semper infatuat, nimius amor nostri, qui, quaecumque attinent ad nos, prospera vel adversa, facile sperat, facile timet et ad

Font.: 1 in prooemiis Apotelesmaton ] Ptol. apotel. 1,1,1 EN 4,3 1121b 10–1122a 16

16–17 tractatas – rationes ] cf. Arist.

Sim.: 1 Ptolemaeus ] cf. rer. praen. 5,6 p. 546; quaest. falsit. p. 168,15–16 7 non omnes – philosophi ] cf. rer. praen. 5,6 p. 546; Bellant. resp. disp. 1 fol. q2v App. crit.: 2 tum BCorr G : tamen BOβ 3 το μεν πρωτον B : om. et lac. ind. Gβ : Duo sunt Syre quibus pervenitur ad astronomicas praedictiones, praecipua quidem et maxima... O : τὸ μὲν πρῶτον ἰδίαν ἔχον ... περιώδευται suppl. Garin ex Ptol. apotel. 1,1,1 7 παραδοξον B : om. et lac. ind. Gβ (lac. om. O) 9 aliqua α : om. Oβ seq. Garin 16 a suppl. Garin 18 non suppl. Garin (cf. Gc ) 22 sperat GOβ : spernit B (corr. BB BN BEC ) facile2 αRCFGarin : facila V : facilia WO

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Grundlagen dieser Fächer in Berührung gekommen sind, derart offensichtlich, dass es überflüssig ist, es hier mit weiteren Worten darzulegen. 46. Ptolemaios sagt selbst in der Einleitung zu seinen Apotelesmata, als er nach der Darlegung der zweigeteilten Sternkunde auf jene erste und mathematische Astrologie zu sprechen kommt: »Jene erste Gattung etc.« Wenn aber eventuell dieses Fach bisweilen auch gewisse Leuten mit gutem Urteilsvermögen nicht ablehnten, so ist doch noch lange irgendetwas nicht gleich gut, weil irgendein guter Mensch es nicht missbilligte, weil auch die Guten nicht immer in jeder Hinsicht gut sind und nur wenige Gelehrte in jeder Hinsicht vorzüglich sind; außerdem, wenn man etwas Paradoxes sagen darf, sind nicht alle gebildeten Philosophen immer Philosophen. 47. Doch auch an jenes gilt es sich zu erinnern, dass es gewisse Wahrheiten gibt, denen sich irgendein Wollen unsererseits widersetzt, anderen nicht. Zu den ersten zählt alles, was zur Ethik gehört, und vieles aus dem Bereich der Theologie; zum zweiten zählt der größte Teil der Physik und der Mathematik. Nun ist aber offensichtlich, dass jene Wahrheit, die wir hier abhandeln, jene von der Nichtigkeit der Astrologie, zur ersten Art gehört, weil das dem Menschen angeborene Laster der Neugierde sich ihr zu widersetzen versucht. Da dieses Laster das wirksamste von allen ist und zum Menschen in seinem Menschsein gehört, bewirkt es bisweilen, dass zu viele sich entweder nicht um die Suche nach dieser Wahrheit bemühen oder sich sogar, wenn sie sie gefunden haben, nicht gerne mit ihr befassen. 48. Und ebenso, wie viele dennoch begierig sind, Reichtümer anzuhäufen, obwohl der Philosoph38 offensichtliche Argumente gegen die Habgier darlegen konnte, so kann sich bei den meisten die ihnen angeborene Neugierde, selbst nachdem ihnen klar geworden ist, dass die Äußerungen der Astrologen keinesfalls komplett richtig sein können, kaum von den Astrologen losreißen. Und wenn wir aus der Gier nach Neuem heraus sogar gerne Märchen hören, dann hören wir aus der Neugierde nach der Zukunft heraus mit Lust auch den Astrologen zu, wie

38 Es ist nicht ganz eindeutig, ob Pico an dieser Stelle mit Philosophus direkt auf Aristoteles abzielt, der im Mittelalter, insbesondere bei den arabischen Kommentatoren, einfach als »der Philosoph« (philosophus) bezeichnet wurde, oder lediglich einen verallgemeinernden Singular verwendet.

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Affinitate nominis quosdam deceptos

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ea quaerenda, etiam ubi inveniri scimus non posse, caeca tandem identidem cupiditate sollicitat. 49. Quid quod vulgato hoc diuturno consensu praeiudicatum quasi multi existimant etiam omnino esse aliquid astrologiam, nec illud eis umquam venit in mentem, ut introspicerent quisnam fundus huic rei aut quam solidum firmamentum subesset? Quare, quoscumque fere ista vanitas tenuit, invenies aut parum fuisse philosophos aut certe parum astrologos, quorum altero ne videantur, altero ne iudicentur errores eorum, effici potest; denique gustata forte potuit placuisse quibusdam, potata vero philosophi palato numquam satisfecit. Habet enim in fronte aliquid, quod alliciat, quod magnum, quod verisimile, quod utile videatur; sed, ubi altius introspexeris, falsa, incerta, fabulosa omnia vides aut nullis aut debilissimis quibusdam coniecturis nata, de quibus postea, libris sequentibus, abundanter lateque disseremus. 50. Verum illud forte et aliquem fefellerit, quod, cum sint aliquorum et philosophorum et astrologorum affinia nomina, poterit existimari eosdem fuisse, qui et philosophica et astrologica conscripserint. Est enim Albumasar apud philosophos, est item apud astrologos; sed quamquam haec nomina Latinus sermo confuderit, apud Arabes tamen diversa dignoscuntur: nam, qui philosophus est, Abumasar, qui autem astrologus, Aboasar appellatur. Scripsit etiam Abubater De natalibus praedictionibus et eodem nomine alius philosophica, praecipueque librum

Sim.: 16–19 Est – appellatur ] cf. rer. praen. 5,6 p. 546 praen. 5,6 p. 546

254.19–256.2 Scripsit – filius ] cf. rer.

App. crit.: 6 subesset αVRFGarin : subessent WO : subesse C 10 quod1 ] quid G (corr. Gc ) quod2 ] quid G (corr. Gc ) quod1 ] quid G (corr. Gc ) quod2 ] quid G nondum corr. 11 vides] videas Garin (expectes videbis)

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sie die Zukunft vom Himmel herablügen. Dazu kommt noch unsere allzu große Eigenliebe, die uns immer betört, die leicht Hoffnungen nährt und ebenso leicht bei allem, was uns betrifft, sei es Glück oder Unglück, Ängste schürt und uns ohne Unterlass in blinder Begierde dazu antreibt, es selbst dort zu suchen, wo wir genau wissen, dass man es nicht finden kann. 49. Was soll man dazu sagen, dass, da dies dauerhaft und weit verbreitet sozusagen allgemeine Zustimmung erfährt, viele bereits ungeprüft der Meinung sind, es gebe überhaupt eine Art der Astrologie, und dass es ihnen nie in den Sinn kommt, genauer hinzusehen und zu untersuchen, auf welcher Grundlage diese Behauptung ruht oder wie fest ihre Stützen sind? Daher wird man feststellen, dass beinahe alle, die diese Pseudowissenschaft faszinierte, entweder keine ausreichenden Philosophen waren oder aber keine ausreichenden Astrologen; dies konnte dazu führen, dass deren Irrtümer den einen nicht als solche sichtbar wurden, von den anderen aber nicht als solche erkannt wurden. Schließlich konnte sie, hat man einmal von ihr gekostet, vielleicht manchen gefallen, hat man sie aber ganz aufgenommen, hat sie den Gaumen des Philosophen jedoch niemals befriedigt. Denn auf den ersten Blick hat sie etwas Anziehendes, etwas, was groß, wahrscheinlich und nützlich erscheint. Sobald man aber einmal tiefer hineingesehen hat, sieht man, wie falsch, unsicher und unglaubwürdig dies alles ist, und dass alles entweder auf keinen oder doch zumindest auf äußerst schwachen Vermutungen basiert, die wir später in den folgenden Büchern genauestens und ausführlich untersuchen werden. 50. Doch auch diese Tatsache mag manchen vielleicht getäuscht haben, dass man glauben kann, da manche Philosophen und Astrologen ähnliche Namen tragen, es seien dieselben gewesen, die sowohl philosophische als auch astrologische Traktate verfassten. So gibt es beispielsweise einen Abū Ma῾šar (Albumasar) bei den Philosophen und ebenso einen Astrologen gleichen Namens.39 Während aber die lateinische Übersetzung jene Namen durcheinandergebracht hat, wird sie bei den Arabern doch voneinander unterschieden, denn der Philosoph heißt

39 Gemeint sind der Astrologe Abū Ma῾šar, lateinisch Albumasar, sowie der zumeist al-Farabi genannte Philosoph Abū Nasr Muhammad al-Fārābī. Vgl. hierzu auch ausführlich Steinschneider (1869: S. 137f.).

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Liber ab auctore versus in Latinum ex Hebraeo

Testimonia prophetarum

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Quo quisque pacto per se philosophus evadat, quem anno superiore ex Hebraeo vertimus in Latinum; sed ille Altasibi, hic vero Tripdis filius; eadem in plerisque affinitas nominum, quamquam et temporum et professionum magna dissensio. 51. Et de philosophis quidem satis; transeamus ad prophetas, hoc est ad veteris et novae legis oracula, ab Esaia exordium facientes. Is igitur, cum Babyloniis, apud quos haec secta maxime viguit, unde astrologi etiam Chaldaei dicebantur, futurum excidium minaretur et Cirum regem Persarum per ducentos etiam annos, antequam nasceretur, »unctum« appellatum, adversus illos dimicantem tubis excitaret, ita Chaldaeorum civitatem desolandam alloquitur: »Stent nunc et salvent te augures caeli, qui contemplabantur sidera et supputabant menses, ut annunciarent eventura tibi. Ecce, facti sunt quasi stipula; ignis combussit eos, nec liberabunt animam suam de manu flammae«. 52. Et ante haec paucis interiectis de hac caelestium observatione eos ita taxaverat: »Sapientia haec et scientia tua decipiet te; veniet super te malum et nescies ortum eius; et irruet super te calamitas, quam non poteris expiare«. 53. In quibus verbis Propheta divinus duplicem astrologorum temeritatem accusat, quarum altera est putare se ex caelo posse futura praevidere, altera, cum sint

Font.: 8 unctum ] cf. Vulg. Is. 45,1 9–12 Stent nunc – flammae ] cf. Vulg. Is. 47,13–14 Sapientia – expiare ] Vulg. Is. 47,10–11

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Sim.: 5–9 Is – alloquitur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 547 9–12 Stent – flammae ] cf. rer. praen. 4,8 p. 489; 5,7 pp. 547–548; quaest. falsit. p. 159,16–18; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r 14–15 Sapientia – expiare ] cf. rer. praen. 5,7 p. 547; quaest. falsit. p. 159,13–16; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r 256.16–258.1 In quibus –confirmare ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548 App. crit.: 2 Tripdis αVWO : Tripidis RCF : Tofail Garin 9 ita] ira Garin 14 decipiet] expectes decepit (cf. Vulg Is. 47,10; rer. praen. 5,7 p. 547; sed cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r )

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Abū Ma῾šar, der Astrologe hingegen wird Aboasar genannt. Auch Abu Bakr (Abubater)40 hat über Geburtsprognosen geschrieben und ein anderer Abu Bakr41 philosophische Traktate unter dem gleichen Namen, insbesondere das Werk Wie ein jeder aus sich heraus Philosoph wird, das wir im vergangenen Jahr aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt haben. Doch der eine ist der Sohn des Alchasibius, der andere der Sohn des Tofail. Die gleiche Ähnlichkeit der Namen gilt bei den meisten, obwohl ein großer Unterschied darin besteht, wann sie gelebt haben und auf welchem Gebiet sie tätig waren. 51. Zu den Philosophen soll das reichen; wir wollen zu den Propheten übergehen, also zu den Weissagern des alten und neuen Testaments angefangen bei Jesaja. Denn als er den Babyloniern, bei denen jene Lehre in höchstem Ansehen stand – daher wurden die Astrologen auch Chaldäer42 genannt – den drohenden Untergang vorhersagte und den Perserkönig Kyros sogar 200 Jahre vor dessen Geburt als »Gesalbten« ansprach und ihn zum Kampf gegen diese mit Posaunen antrieb, spricht er folgendermaßen zur Gemeinschaft der Chaldäer, deren Zerstörung drohte: »Es sollen nun herantreten und dir helfen die Meister des Himmelslaufes und die, die die Sterne betrachteten und die Monate berechneten, um verkünden zu können, was dir geschehen wird. Siehe, sie sind wie zu Stoppeln geworden; das Feuer verbrannte sie und sie werden ihre Seele nicht vor der Hand des Feuers retten können.« 52. Und kurz zuvor, nach wenigen Worten über diese Beobachtung des Himmels, hatte er sie folgendermaßen getadelt: »Deine Weisheit und deine Kunst werden dich täuschen; es wird ein Unheil über dich kommen und du wirst seinen Beginn nicht kennen und es wird ein Unheil über dich hineinbrechen, das du nicht wirst sühnen können.« 53. Mit diesen Worten beschuldigt der göttliche Prophet die Astrologen zweifacher Verblendung: Die eine bestehe darin, zu glauben, anhand des Himmels die

40 Gemeint ist Abū Bakr al-Hasan al-Hasīb (9. Jh. n. Chr.). Sein astrologisches Hauptwerk, der Liber de nativitatibus (Nürnberg 1540), bezeichnet ihn als Albubater, magni Alchasili filius (fol. b1r ). 41 Gemeint ist Abū Bakr Muammad Ibn Tufaīl al-Qaīsī al-Andalusī (Lat. Abubacer), ein arabischspanischer Gelehrter (12. Jh. n. Chr.). Sein Hauptwerk ist der Bildungsroman ›Hayy Ibn Yaqzan‹ (lat. philosophus autodidactus); vgl. zu diesem Werk auch Ben-Zaken (2011). Zur Übersetzung durch Pier Leone da Spoleto auf Anweisung Picos vgl. Bacchelli (2001: S. 100–102) sowie Bacchelli (1993). Das Werk ist aufgeführt als Nr. 65 im Katalog der hebräischen Werke Picos bei Tamani (1997: S. 512). 42 Die lateinische Bezeichnung Chaldaei bezieht sich sowohl auf das Volk der Babylonier (vgl. z.B: Cic. div. 1,91; Lucr. 5,727) als auch auf die Astrologen, für die jenes Volk bekannt war (vgl. Cic. div. 1,2).

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Confutatio v

Prima ratio

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praevisa, vel depellere mala vel bona confirmare. »Veniet igitur«, inquit, »malum, cuius nescies ortum«, hoc est: quod tibi nec Mars nec Saturni frigida stella praesignificaverit; tum: »nec irruentem calamitatem poteris expiare«, hoc est: horarum electionibus et astrologicis imaginibus aut superstitiosis aliis machinamentis a te propellere. 54. Dignum autem animadversione confutari per haec responsiones eorum, qui Chaldaei pariter esse volunt et Christiani; soliti enim dicere non simpliciter | damnari a sanctis et prophetis astronomiam, sed quatenus solum aut vitia aut virtutes refert ad caelum aut rerum humanarum eventa fatali necessitate devincit. Quare, cum hos errores boni etiam astrologi confutent, non astrologiae scientiam, sed astrologorum quorundam errata illos abominari. 55. Dicant igitur mihi et Petrus Alliacensis et quicumque hac se defensione defendunt, an ad mores spectaret, quod Assyriis bellum rex Persarum inferret. Et iam, si ad mores non attinet, cur praevideri tamen a summis astrologis id non posse Propheta existimaverit. Quodsi in eo etiam errore fuissent, ut, quae essent futura, necessario ventura putarent, non eis obiceretur venturam calamitatem per eos non expiandam, quam nec expiari posse ipsi tamen sperarent, qui necessario eventuram illam ut omnia existimarent?

Font.: 6–9 responsiones – devincit ] Petr. Alliac. vigintiloq. 2: errores tres possunt notari precipui. Primus est eorum, qui ex astris omnia futura necessitate fatali evenire senserunt. Sim.: 1–3 Veniet – praesignificaverit ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548 3–5 tum – propellere ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548; quaest. falsit. p. 159,23–24 6–11 Quare – abominari ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548; quaest. falsit. pp. 159,30–160,1 confutari – devincit ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548; quaest. falsit. p. 159,25–30; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r 9–11 responsiones – abominari ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r –q4v 12–15 Dicant igitur – existimaverit ] cf. rer. praen. 5,7 p. 548; quaest. falsit. p. 159,27–30; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4v 15–18 Quodsi – existimarent ] cf. rer. praen. 5,7 p. 549; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4v App. crit.: 3 tum α : tunc βOGarin 6 Tit. Confutatio in marg. add. BP 9 refert BB BP : referunt αβOGarin devincit BP : devinciunt αβOGarin 12 Tit. Prima ratio in marg. add. BP 13–14 et iam] etiam O (ut vid.) 18 omnia (oīa) αVRCF : omina (omīa)WOGarin

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Zukunft vorhersehen zu können; die andere darin, Unheil abwehren oder Glück bekräftigen zu können, nachdem es einmal vorhergesehen wurde. »Es wird ein Unheil über dich kommen, dessen Beginn du nicht kennen wirst«; das bedeutet: ein Ungück, das dir weder Mars noch der kalte Saturn vorhersagen können. Dann: »Das über dich kommende Unheil wirst du nicht sühnen können«; das heißt: dass du es nicht mit Stundenwählerei und astrologischen Bildern oder anderen abergläubischen Erfindungen von dir wirst abwenden können. 54. Bemerkenswert allerdings ist, dass dadurch auch die Antworten derjenigen, die gleichzeitig Chaldäer und Christen sein wollen, widerlegt werden; denn sie sagen gewöhnlich, dass die Sternkunde nicht einfach von den Heiligen und Propheten verdammt werde, sondern nur insofern sie Laster oder Tugenden auf den Himmel zurückführt oder Ereignisse menschlicher Angelegenheiten schicksalhafter Notwendigkeit verpflichtet. Daher würden auch gute Astrologen, wenn sie diese Irrtümer widerlegen, nicht die wissenschaftliche Astrologie, sondern nur die Fehler einiger Astrologen ablehnen. 55. Pierre d’Ailly und alle, die sich auf jene Verteidigung stützen, sollen mir also sagen, ob es den Charakter betraf, dass der Perserkönig den Assyrern den Krieg erklärte. Und weiter, wenn es sich nicht auf den Charakter bezieht, warum der Prophet Jesaja dann glaubte, dies könne dennoch nicht von den besten Astrologen vorhergesehen werden. Wenn sie aber auch jenen Fehler gemacht hätten, zu glauben, die Zukunft würde auch notwendigerweise eintreten, würde es ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie das kommende Unheil nicht sühnen könnten, welches sie dennoch selbst nicht einmal zu sühnen hoffen durften, da sie ja der Meinung waren, es werde, wie ja auch alles andere, notwendigerweise eintreten?

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Tertia

Responsio Confutatio

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56. Sed nec ullo recto iudicio bonae artes damnantur, quia mali quidam eis abutuntur; alioquin damnanda erat in primis sacrarum lectio litterarum, unde tot haereses, tot suas insanias indocti quidam superbique confirmarunt; damnanda item philosophia, quoniam hic philosophus animam mortalem, ille unicam dicat in omnibus; alii negent providere Deum hominibus, alii ullam omnino esse religionem. At evertentur hac ratione omnia bona, cum nihil sit adeo bonum, quo abuti natura hominum non possit. 57. Quare, qui ita se defendunt, iudicium Ecclesiae, quod contemnere erubescunt, oblique interim graviter calumniantur; sed cogi omnino possunt, ut vel repudiare istam vanitatem vel a maioribus suis, hoc est Ecclesiae ducibus, deviare in sinistra non possint. Nam quacumque illi ratione astrologiam damnaverint, dicant, quaeso, iusta ne damnaverint, an iniusta? Iniusta dicere nolunt; si iusta, cur non cum illis vos quoque eam pariter damnatis? ›Sed damnamus‹, inquient, ›et nos illos errores, propter quos illis astrologia displicuit‹. At ego illud quaero: »cur non propter eosdem illa displicet vobis?« Nam interdicere illos astrologiam non quadamtenus, sed omnino omnem prosequi, abominari palam est et mox ostendemus. 58. Vos factum contenditis propter quosdam errores. Esto. Sed illud respondete, an recto iudicio propter illos errores tota abiciatur; si recto, cur non idem facitis vos? Immo quam damnaverunt, vos approbatis; quam insectati sunt, de-

Sim.: 1–3 Sed – confirmarunt ] cf. rer. praen. 5,7 p. 549; quaest. falsit. p. 160,1–4 3–7 damnanda – possit ] cf. rer. praen. 5,7 p. 549; quaest. falsit. p. 160,1–4 8–13 Quare – damnatis ] cf. rer. praen. 5,7 p. 549 14–17 At ego – ostendemus ] cf. rer. praen. 5,7 pp. 549–550 18–20 Vos factum – facitis vos ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 260.20–262.6 Immo – demonstrat ] cf. rer. praen. 5,7 p. 549 iudicio BP Garin : indicio αβO 3 quidam] quidem App. crit.: 1 Tit. Secunda in marg. add. BP Garin 8 Tit. Tertia in marg. add. BP 11 vitare vel aliud verbum negativum scribendum statui 13 Tit. Responsio in marg. add. BP 14 Tit. Confutatio in marg. add. BP 19 iudicio corr. Garin : indicio Ω

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56. Die freien Künste hingegen werden mit keinem rechten Urteil verdammt, nur weil gewisse schlechte Leute sie missbrauchen, da andernfalls vor allem anderen auch die heilige Schrift verurteilt werden müsste, aus der so viele Sekten, so viele ungebildete und überhebliche Leute Argumente für ihren Wahnsinn ziehen. Ebenso müsste man die Philosophie verdammen, weil der eine Philosoph die Seele für sterblich erklärt, der andere eine einzige Seele in allem sieht, die einen behaupten, Gott sorge nicht für die Menschen, die anderen jegliche Art von Religion leugnen. Doch mit dieser Argumentation könnte man alles Gute über den Haufen werfen, da nichts in so hohem Maße gut ist, dass es die menschliche Natur nicht missbrauchen könnte. 57. In diesem Sinne verdrehen diejenigen, die sich so verteidigen, das Urteil der Kirche, das zu missbilligen sie sich scheuen, bisweilen hinterrücks in hohem Maße. Man kann sie aber durchaus zwingen, dass sie es nicht vermeiden können, entweder jene Pseudo-Wissenschaft abzulehnen oder von ihren Vorfahren, also den Kirchengrößen, auf krumme Wege abzuweichen. Denn egal mit welchem Argument jene die Astrologie verurteilt haben, sie sollen mir bitteschön sagen, ob sie sie zu Recht verurteilt haben oder zu Unrecht. Zu Unrecht wollen sie nicht sagen; wenn aber zu Recht, warum verurteilt nicht auch ihr mit jenen zusammen gleichermaßen die Astrologie? ›Aber auch wir verurteilen jene Irrtümer, infolge derer jenen die Astrologie missfiel‹ werden sie sagen. Ich wiederum frage Folgendes: ›Warum missfällt euch nicht auch infolge dieser Fehler die Astrologie?‹ Denn es ist offensichtlich (und ich werde es in Kürze darlegen), dass jene sie nicht nur in gewissem Maße verbieten, sondern sie in Bausch und Bogen verwerfen und verabscheuen. 58. Ihr behauptet, es sei lediglich in Folge gewisser Irrtümer passiert. Nun gut, sei es drum. Aber gebt auch hierauf Antwort, ob sie mit Fug und Recht wegen jener Irrtümer als ganze verworfen wird. Wenn ja, warum tut ihr nicht dasselbe? Ganz im Gegenteil, ihr heißt sie gut, die jene verurteilt haben; ihr verteidigt sie,

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262 Responsio

Confutatio

Achibas

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fenditis; quam interdixere, disseminatis; quam sciri nolunt, publice docetis. An, quod inquit Alliacensis, crescenti fidei potuit obesse, ideoque primi eam doctores nascentis Ecclesiae sunt prosecuti; nunc adulta non nocet, immo prodest etiam et vehementer? Atqui hoc postea confutabitur, nam pestiferam illam ut olim, ita nunc etiam esse palam demonstrabimus, quod ipsa etiamnum experientia demonstrat. 59. ›Sed nec erat illa damnanda, sed eius abusus.‹ Cur igitur philosophiam quidem non damnabant, sed impietatem quorundam philosophorum, non autem pariter astrologos, sed ipsam astrologiam? Utique quoniam in philosophia, si quid erratur, professoris est vitium; in astrologia, ipsa professio vitium. Quorum auctoritatem una cum ratione etiam nos secuti adversus impios disputantes non philosophiam, sed philosophorum errata confutavimus; hic autem non astrologos, sed astrologiam, quoniam ipsa astrologia error est. 60. Sed redeamus ad testimonia prophetarum. 61. Deus per Mosen ita loquitur nobis: »Gentes augures et divinos audiunt; tu autem a Domino Deo aliter es institutus.« Pro eo autem, quod nos legimus ›augures‹, in Hebraeo est ›‫‹מעו ֺוֵ ן‬, ְ id est ›mehonen‹, per quos Achibas, maximus doctor

Font.: 2–4 quod – vehementer ] Petr. Alliac. vigintiloq. 4 deut. 18,14 Sim.: 15–16 Deus – institutus ] cf. rer. praen. 5,7 p. 546 rer. praen. 4,8 p. 488; 5,7 pp. 546–547

15–16 Gentes – institutus ] cf. Vulg.

262.16–264.4 Pro eo – nuncupari ] cf.

App. crit.: 1 Tit. Responsio in marg. add. BP 3 adultae corr. Garin : adulta Ω 4 Tit in marg. add. BP 5 etiamnum αVWRCFO : etiam non D : etiam nunc Garin 8 impietatem] impietate Garin 17 ‫ ְמעו ֺוֵ ן‬id est mehonen BB : …id est mehonen BP : …mehonen BF BEC G Garin : …nihonen B : …Mehonem β : ‫ ְמעֹנְ נִ ים‬O Tit: Achibas correxi : Achinnas ω Achibas scripsi coll. Hieron. epist. 21,10 et Vat. Lat. 4273 (fol. 11v ) : Achinnas Ω

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die jene heftig angegriffen haben; ihr verbreitet sie, die jene verboten haben; ihr lehrt sie in aller Öffentlichkeit, die sie nicht gelehrt sehen wollten. Oder stimmt es etwa, was Pierre d’Ailly behauptet, dass sie der Kirche schaden konnte, als die sich noch im Wachstum befand, und dass die ersten Lehrer der entstehenden Kirche sie deswegen verfolgt haben, dass sie der nun erwachsenen Kirche aber nicht schade, sondern ihr von Nutzen sei, und zwar von großem Nutzen? Doch dies wird später widerlegt werden, denn wir werden beweisen, dass sie auch jetzt genauso verderblich wie einst ist, was auch heutzutage bereits die Empirie beweist. 59. ›Aber man müsste nicht die Astrologie verurteilen, sondern nur ihren Missbrauch.‹ Also warum verurteilten sie dann zwar nicht die Philosophie, sondern die Gottlosigkeit gewisser Philosophen, nicht aber gleichermaßen die Astrologen, sondern gleich die Astrologie selbst? Gewiss, weil es, wenn es zu einem Fehler kommt, auf dem Gebiet der Philosophie der Fehler desjenigen ist, der die entsprechende Äußerung macht; bei der Astrologie hingegen ist das Fach selbst der Fehler. Deren vernünftigem Argument sind auch wir gefolgt bei unserer Argumentation gegen die Frevler, wobei wir nicht die Philosophie, sondern die Irrtümer der Philosophen widerlegt haben. Hier aber greifen wir nicht die Astrologen, sondern die Astrologie an, weil die Astrologie selbst der Fehler ist.43 60. Doch wir wollen zu den Zeugnissen der Propheten zurückkehren: 61. Gott sagt uns durch Moses: »Die Heiden hören auf die Seher und die Wahrsager; du aber bist von Gott anders unterrichtet worden.« Für jenes Wort aber, welches bei uns ›Seher‹ heißt, steht im Hebräischen ME’ONEN44 , womit laut Akiba Ben-Josep45 , dem bedeutendsten hebräischen Gelehrten, diejenigen bezeichnet 43 Als Vorbilder angesprochen sind die Kirchenlehrer, die in 1,57 als Ecclesiae duces apostrophiert wurden. Zu deren Einstellung zur Astrologie vgl. insbesondere die umfassende Darstellung bei Hegedus (2007). 44 Die Form ME’ONEN (‫)מעו ֺוֵ ן‬ ְ findet sich tatsächlich wenige Verse zuvor (deut. 18,10), während die hebräische Bezeichnung an der zitierten Stelle (deut. 18,14) ME’ONENIM (‫)מעֹנְ נִ ים‬ ְ lautet. Der Druck O bietet folgerichtig die Form ‫מעֹנְ נִ ים‬. ְ 45 Dass sich Pico auch mit der hebräischen Thora-Auslegung auseinandersetzte, ist klar bezeugt. Auch die Kabbala, jene mystische Tradition des Judentums, war ihm vertraut. Die Auseinandersetzung mit dieser Tradition verlangte, neben Picos eigenen, wahrscheinlich eher rudimentären Hebräisch-Kenntnissen, eine Übersetzung dieser Literatur, die unter anderem Flavio Mitridate für ihn vornahm. In einer der aus dieser Zusammenarbeit überlieferten Handschriften, dem Vat. Lat. 4273 (fol. 11r ), heißt es zu dem hier erwähnten Rabbi Akiba Ben-Josep: Ideo sancti doctores nostri cabaliste prohibent ne quis usque ad annum quadragesimum ei vacet, quando presupponunt predicta sciri, sicut lectum est apud eos de Eliseo ubi dicitur quod quatuor intrarunt paradisum: Simeon Azzaides, Simeon Zoomides, Eliseus, et Achibas, quorum unus mortuus est, alter lesus, tertius oberravit. Quartus pace intravit et exivit, et paradisus ille refertur ad Deum sanctum et benedictum; vgl. hierzu auch Andreatta (2014). Im Kommentar von Rabbi Schlomo Ben-Jizchak heißt es zu deut. 18,10: »Rabbi Akiba said: Such are people who assign times (‫ עונות‬plural of ‫» עונה‬period«, »time«) – who say, »This time is auspicious to begin some work«...« (online unter https://www.sefaria.org/Deut eronomy.18.10?lang=en&with=Rashi&lang2=en&p3=Sifrei_Devarim.171.9&lang3=en [zuletzt abgerufen am 22.08.2021]).

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Avenazra

Hieremias

Ambrosius Iob

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Hebraeorum, eos ait intelligi, qui tempora supputant et felices horas ac infelices observant (derivat | enim dictio illa ab ›‫‹עו ֺנֵ ה‬, id est ›hona‹, quod ›horam‹ significat); Hieronymus ›augures‹ transtulit; sed et apud Esaiam astrologos ›augures‹ vidimus nuncupari. Neque enim nomen astrologorum usquam in sacris litteris; nam et ipsa habet varias locutiones et varias variis temporibus superstitio ista appellationes sortita est; olim enim ›Chaldaei‹ et ›genethliaci‹; Augustini temporibus ›mathematici‹ et ›planetarii‹; nunc ›astrologi‹ passim vocitantur. Quod autem Hieronymus et eo loco et alibi plerumque transtulit ›divinos‹, in Hebraeo est ›‫ ֶ‹ק ֶסם‬id est ›chesem‹, quod Avenazra ipse, quamquam astrologus, ait: »hoc est quidem commune omnibus divinantibus, sed proprium magis nomen astrologorum.« 62. Hieremiae illud quis ignorat: »A signis caeli nolite timere, quae gentes timent«? Quid igitur homo Christianus astrologorum iudiciis vel gaudet vel tristatur, a quibus nihil sperandum Esaias, Hieremias nihil timendum – immo per utrumque divina nobis veritas affirmat, cum totum hoc, quod profitentur, sicut inquit Ambrosius, quaerere absurdum, cum, quae pollicentur, sint impossibilia? Unde caeli dominator apud Iob: »Numquid nosti ordinem caeli et pones ratio-

Font.: 3–4 apud Esaiam ] cf. Vulg. Is. 47,13 6–7 mathematici et planetarii ] cf. August. confess. 4,3; civ. 5,4; cf. Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.95, art.5; 12–13 A signis – timent ] cf. Vulg. Ier. 10,2 16 Ambrosius – impossibilia ] cf. Ambr. hex. 4,4,13 264.17–266.1 apud Iob – in terra ] cf. Vulg. Iob 38,33 Sim.: 4–7 Neque – vocitantur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 546; quaest. falsit. pp. 158,32–159,3; cf. Isid. orig. 8,9,9–36; Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.1 (PL 187,1342) 7–11 Quod autem – astrologorum ] cf. rer. praen. 5,7 p. 546; quaest. falsit. p. 159,3–6 12–13 Hieremiae – timent ] cf. Heptap. 2,7 p. 244 G: Hoc praedicat Hieremias: Ne timeatis, inquit, signa caeli, quae gentes timent; cf. Heptap. 7,2 p. 342 G; rer. praen. 5,7 p. 547; quaest. falsit. p. 139,29–31; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r 16 Ambrosius – impossibilia ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 162,16–20 264.17–266.1 apud Iob – caelorum rationem ] cf. rer. praen. 5,7 p. 546; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4r App. crit.: 1 supputant BF BEC GOβ : putant B 2 derivat BB BP : derivatur αβOGarin dictionem illam correxi : dictio illa ΩGarin ab ‫ עו ֺנֵ ה‬id est hona BB : ab …id est hona BP BF BEC G : ab …B : ab …hona VW : ab …nona RCF : ab ‫ עו ֺנֵ ן‬O : ab hona (lac. non ind.) Garin hona] expectes honah horam significat om. GO 4 augures] augeres G (corr. Gc ) 9 ‫ ֶק ֶסם‬id est chesem BB (deut. 18,10: ‫ )ק ֵֹסם‬: …id est chesem BP : …chesem BF BEC GVWRCF : chisem B : ‫ ק ִֹסמים‬O 12 gentes] gnetes G (corr. Gc ) 264.17–266.1 rationem] rationes Garin

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werden, die die Zeiten berechnen und günstige und ungünstige Stunden wählen (er leitet den Ausdruck nämlich vom hebräischen Wort ’ONAH ab, was soviel heißt wie ›Stunde‹). Hieronymus hat ›Seher‹ (augures) als Übersetzung gewählt; aber auch bei Jesaja wurden die Astrologen, wie wir gesehen haben, als ›Seher‹ bezeichnet. Denn der Begriff ›Astrologe‹ (astrologus) findet sich nirgendwo in den heiligen Schriften. Es gibt nämlich auch unterschiedliche Ausdrücke dafür und jene Form des Aberglaubens hat zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Namen erhalten. In früheren Zeiten nämlich sprach man von ›Chaldäern‹ und ›Nativitätsstellern‹; zur Zeit des Augustinus hießen sie ›Mathematiker‹ (mathematici) und ›Planetarier‹ (planetarii). Heutzutage nennt man sie allenthalben ›Astrologen‹. Was aber Hieronymus sowohl an dieser Stelle als auch anderswo in der Regel als ›göttliche Wahrsager‹ (divini) übersetzte, lautet im Hebräischen ›QESEM‹, worüber auch Ibn Ezra selbst sagt, obwohl er selbst Astrologe ist:46 »Dies ist zwar auch der allgemeine Ausdruck für alle Wahrsager, vor allem aber das spezielle Wort für ›Astrologen‹.« 62. Wer kennt nicht jenen Spruch des Jeremias: »Habt keine Angst vor den Zeichen des Himmels, die die Heiden fürchten«? Warum also begegnet ein Christ den Urteilen der Astrologen mit Freude oder Furcht, von denen man laut Jesaja nichts erhoffen, laut Jeremias nicht befürchten darf – vielmehr bestätigt sich uns durch beide Propheten die göttliche Wahrheit, weil alles, was sie lehren, nach den Worten des Ambrosius unsinnig zu erfragen ist, was sie versprechen, unmöglich? Daher sagt der Herrscher des Himmels beim Propheten Hiob: »Kennst

46 Vgl. Ibn Ezras Kommentar zu Deuteronomium 18,10: »Kosem (one that useth divination) is most probably a general term. It refers to those who issue decrees and declare things will undoubtedly be so. The term gazerin (magicians) is similar. The word kesem (divine sentence) in ›A divine sentence is in the lips of the king‹ (Prov. 16:10) is close in meaning to it. The particulars are a soothsayer (me’onen), or an enchanter (menachesh), or a sorcerer (mechashef ). It is also possible that kosem is a specific term for astrologers and that kesamim (divinations) refers to divination that astrologers make based on the primary and secondary stars.« (online unter https://www.sefaria.org/Ibn_Ezra _on_Deuteronomy.18.10?lang=bi [zuletzt besucht am 22.08.2021]). Vgl. auch seinen Kommentar zu Jesaja 47,13 sowie seine Erklärung zu Leviticus 19,26.

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Testimonia Augustini

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nem eius in terra?«; et infra: »Quis enarrabit caelorum rationem?« Duplex enim error astrologorum: alter, quod multa caelo subiciunt, quae inde non dependent; alter, quod, quae etiam efficit caelum, inde tamen ab eis, ut putant, praevideri non possunt, quod allata in medium apud Iob verba nobis ostendunt; et, cum doctores Ecclesiae utrumque pariter refellant, quomodo dici potest id eos tantum non probare, quod libertatem tollat arbitrii aut fati necessitatem inducat? 63. Augustini ratio illa de geminis nonne eo tendit, ut omnem tollat ab eis praescientiam futurorum? Idem in Enchiridion nonne ipsam solam temporum observationem, ut haec fausta, illa infausta putemus, ad magnum dixit pertinere peccatum, cum tamen in hac horarum dierumque electione libertatem potius nostram exerceamus, quam auferamus? 64. Sed ita est certe, displicebat eis undique astrologia, licet ea maxime parte, qua religionem et mores caelo subiciebat; hac eam execrabantur, ubique confutabant; hac impiam arbitrabantur, ubique vanam; hic blasphemam, ubique superstitiosam; hic abhominabilem, ubique ridiculam. Quare Augustinus in libro De doctrina christiana ad perniciosam dixit superstitionem pertinere eos, qui genethliaci dicuntur, non solum quia actiones nostras, sed quia et actionum eventus a stellis putent procedere; et in libro Confessionum de planetariis loquens, hoc est

Font.: 1 Quis – rationem ] Vulg. Iob 38,37: quis enarravit [enarrabit v.l.] caelorum rationem 7 Augustini ratio illa de geminis ] Aug. civ. 5,2 pp. 192,9–193,28 eo tendit – futurorum ] cf. Aug. civ. 5,1 pp. 191,31–192,8 8–10 in Enchiridion – peccatum ] Aug. enchir. 21,79; cf. Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.7 (PL 187,1370) 10–11 in hac horarum – auferamus ] Ps.-Albert. specul. 15 p. 266 Z: De electionibus vero est quaestio minus difficilis, non enim libertas arbitrii ex electione horae laudabilis coercetur, quin potius in magnarum rerum inceptionibus electionem horae contemnere est arbitrii praecipitatio, non libertas. 15–18 Augustinus – procedere ] Aug. doctr. christ. 2,29,46; 2,21,32 266.18–268.1 in libro Confessionum – damnat ] Aug. confess. 4,3; cf. Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.95, art.5 Sim.: 1–4 Duplex enim – non possunt ] cf. rer. praen. 5,7 p. 546 5–6 id …non probare – arbitrii ] quaest. falsit. p. 161,21–22 8–10 in Enchiridion – peccatum ] quaest. falsit. p. 161,17–19 266.18– 268.1 in libro Confessionum – damnat ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 162,21–23 App. crit.: 2 subiciunt] subiciant Garin 4 ostendunt αGarin : ostendit βO 14 blasphemam BCorr βO : blasphemiam BG

6 aut] ut RC

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du die Ordnung des Himmels etwa nicht und willst seine Herrschaft auf der Erde verorten?« und kurz darauf: »Wer wird die Ordnung des Himmels erklären?« Der Fehler der Astrologen ist nämlich ein zweifacher: Zum einen ordnen sie vieles dem Himmel unter, was nicht von ihm abhängt; zum anderen können viele Dinge, die der Himmel wirklich bewirkt, dennoch nicht von ihnen anhand dessen vorhergesehen werden, wie sie es glauben – dies beweisen uns die bei Hiob verkündeten Worte; wie aber kann man, wenn die Kirchenlehrer beides gleichermaßen ablehnen, behaupten, sie würden nur das nicht anerkennen, was den freien Willen beseitigt oder auf die Notwendigkeit des Schicksals schließen lässt?47 63. Zielt jenes Argument des Augustinus über die Zwillinge nicht darauf ab, ihnen jegliche Vorkenntnis zukünftiger Dinge abzusprechen? Sagte er nicht entsprechend in seinem »Handbüchlein über den wahren Glauben« (Enchiridion), jene Tagewählerei, also dass wir den einen Zeitpunkt als günstig, den anderen als ungünstig erachten, sei eine große Sünde, obwohl wir bei jener Stunden- und Tagewählerei unsere Freiheit ja eher ausüben als einschränken? 64. Aber genau so ist es48 , gewiss erregte die Astrologie in jeder Hinsicht ihr Missfallen, ganz besonders jedoch in der Hinsicht, dass sie die Religion und den Charakter dem Himmel unterwirft. Diesen Teil verfluchten sie, zu widerlegen versuchten sie alles an ihr; hierin betrachteten sie sie als frevelhaft, als nichtig auch in jeder anderen Hinsicht; hierin hielten sie sie für blasphemisch, als abergläubisch sahen sie sie in jeder anderen Hinsicht auch; hier war sie für sie verabscheuenswert, lächerlich in jeder Beziehung. Daher sagte Augustinus in seinem Buch »Über den christlichen Glauben« (De doctrina Christiana), die sogenannten Nati-

47 In seiner Responsio versucht Lucio Bellanti das Argument Picos, bereits die Propheten des alten Testamentes hätten die Astrologie abgelehnt, zu widerlegen, indem er behauptet, diese Aussagen bezögen sich lediglich auf spiritalia, also Geistiges (Responsio fol. q4v); dem widerspricht energisch Giovanni Francesco Pico, wenn er sagt (quaest. falsit. p. 159,19–20): Quibus confutantur eorum responsiones qui solum dicunt astrologiam damnari qua liberum tollit arbitrium et qua de spiritalibus loquitur. Ähnlich auch seine Darstellung in De rerum praenotione (rer. praen. 5,7 p. 548): Effugere hinc non potes neoterice defensor cum attinere ad mores et non attinere dicis: nam illud falsum. 48 Mit den Worten ita est certe schließt Pico an den vorletzten Absatz an, in welchem das Missfallen der Kirchenlehrer expliziert wurde.

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Basilius Ambrosius Theodorethus

Chrisostomus Bardesanes

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astrologis, »quos Christiana«, inquit, »et vera pietas expellit et damnat« et illud Moseos exponens »posita sidera in signa et tempora«, »non signa«, inquit, »dicit, quae observare vanitatis est, sed vitae usibus necessaria, qualia nautae, agricolae, et id genus artifices observant.« 65. Eodem loco Basilius eam occupatissimam esse dixit vanitatem; Ambrosius inutilem et impossibilem; Theodoretus a philosophis etiam confutatam; Chrisostomus vanam, falsam, ridiculam. Legamus Bardesanem, Eusebium, Didymum, Apollinarem, Tertulianum et innumeros alios plures etiam Apostoli-

illud MoFont.: 1–4 illud Moseos …inquit – observant ] Aug. gen. ad litt. 2,14 p. 54,18–24 seos – tempora ] cf. Vulg. gen. 1,14 5 Basilius – vanitatem ] cf. Ps.-Eusthat. in hex. metaphr. 1,3,6 (p. 7,23–24 Amand de Mendieta/Rudberg): fabulosa astrologia, id est occupatissima vanitas; cf. Bas. hom. in hex. 6,5–7 (= PG 29,127–134) Ambrosius inutilem et impossibilem ] Ambr. hex. 4,4,13 6–7 Theodoretus – confutatam ] Thdt. qu. 15 in Gen. (= PG 80,95–96): Τῆς γὰρ γενεθλιαλογίας τὴν ματαιολογίαν οὐδὲ Πυθαγόρας ... οὐδὲ οἱ Στωϊκοὶ προσεδέξαντο 7 Chrisostomus – ridiculam ] Chrys. hom. 6 in Mt. (= PG 57,61–72) Bardesanem ] cf. Euseb. praep. evang. 6,10; Ficin. in enn. 3,1 pp. I 408–410 W) 8 Apollinarem ] cf. Sidon. epist. 8,11,10 Tertulianum ] Tert. idol. 9 Sim.: 1–4 illud Moseos exponens – observant ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 164,17–21 5 Eodem loco Basilius – vanitatem ] cf. rer. praen. 5,7 p. 553; quaest. falsit. p. 161,3–6 Ambrosius – impossibilem ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 150,8–11; 161,13–14 6–7 Theodoretus – confutatam ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 156,26 7 Chrisostomus – ridiculam ] cf. rer. praen. 5,7 pp. 553–554; quaest. falsit. p. 149,36–37; 161,6 App. crit.: 5 esse om. Garin 7 Eusebium corr. Garin : Enselaum Ω

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vitätssteller bezögen sich auf eine schädliche Form des Aberglaubens, weil sie der Meinung sind, nicht nur unsere Handlungen gingen von den Sternen aus, sondern auch die Ergebnisse unserer Handlungen. Und im vierten Buch seiner »Bekenntnisse« (Confessiones) sagt er, wo er auf die Sterndeuter49 , womit die Astrologen gemeint sind, zu sprechen kommt, dass »wahre christliche Frömmigkeit sie vertreibe und verurteile«, und bei der Auslegung der Worte Moses »die Sterne sind Zeichen und Zeiten«, meint Augustinus, es seien »nicht die Zeichen der Sternbilder gemeint, die zu beobachten sinnlos ist, sondern jene Wetterzeichen, die für die Anforderungen des täglichen Lebens notwendig sind, wie sie die Seeleute, Bauern und andere, die ein derartiges Handwerk ausüben, beobachten.« 65. In der Erklärung derselben Stelle nennt Basilius sie einen sehr gebräuchlichen Schwindel50 , für Ambrosius ist sie unnütz und unmöglich, für Theodoret sogar von den Philosophen widerlegt. Johannes Chrysostomus nennt sie nichtig, falsch, lächerlich. Lasst uns Bardesanes51 , Eusebius, Didymus, Apollinaris, Tertullian lesen und unzählige andere Kirchenväter und – wozu noch mehr? – wir kön-

49 Im eigentlich überlieferten Text bezeichnet Augustinus die Astrologen als plani, was die Bedeutung »Eindringling« hat (vgl. z.B. Aug. c. acad. 3,15,34) nicht jedoch als planetarii. Eine Nebenüberlieferung bietet jedoch das – etymologisch besser zu verstehende (vgl. z.B. Isid. orig. 19,24,17) – planetarii, ebenso die Wiedergabe bei Gratian (Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.2 [PL 187,1340]). Auch Thomas von Aquin zitiert die entsprechende Augustinus-Passage in seiner Summa theologiae mit der Lesart planetarii (Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.95, art.5: Sed contra est, quod Augustinus dicit, Illos planetarios...). 50 In seiner 6. Homilia in hexaemeron (De generatione luminarium) behandelt Basilius (4. Jh. n. Chr.) die Astrologie, der er ablehnend gegenübersteht, in den Kapiteln 5 bis 7. So leitet er diesen Exkurs ein mit den Worten Sed qui fines praetergrediuntur, sententiam illam ad defendendam genethliacorum artem trahunt (Bas. hom. in hex. 6,5 [= PG 29,127]). Die Bezeichnung der Astrologie als ocupatissima vanitas findet sich allerdings nicht bei Basilius selbst, sondern in einer dem (Pseudo)Eustathius zugeschriebenen Metaphrase des Hexaemeron des Basilius (1,3,6 [= Amand de Mendieta / Rudberg 1997: S. 7]). Dass Pico ein Exemplar des Hexaemeron des Basilius besaß, ist belegt (Nr. 661 bei Kibre (1966: S. 208)), für Ps.-Eustathius fehlen entsprechende Hinweise. 51 Bardesanes von Edessa (154–222 n. Chr.) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter Syriens im frühen Christentum (vgl. von Stuckrad (2000: S. 655–663) sowie, insbesondere zu seiner Kritik an der geographischen Astrologie, Boll (1894: S. 181f.)). Seine Abhandlung Περὶ εἱμαρμένης (»Vom Schicksal«) ist teilweise überliefert bei Eusebius (praep. evang. 6,10). Zur Tatsache, dass Pico hier wahrscheinlich aus der 1448 verfassten Übersetzung der Praeparatio Evangelica durch Georg von Trapezunt zitiert, vgl. Akopyan (2020: S. 50). Bardesanes’ Werke, unter anderem ein Traktat über die Konjunktionen von Planeten (vgl. die Edition der Testimonien und Fragmente bei Parisot / Nau / Kmosko (1907: S. 612–615)), sind der Astrologie zumeist eher zugetan; allerdings übt er Kritik an der Opposition von Individualschicksal und dem Schicksal einer größeren Gemeinschaft. Vgl. speziell zur Astrologie bei Bardesanes auch Dihle (1989: S. 160–168). Als Gewährsmann gegen Astrologie wird er dezidiert angeführt bei Ficino (Ficin. in enn. 3,1 p. I 408 W): Ostendit inter haec vanum esse terrarum quidem orbem in septem climata partiri, et alium planetarum dicere in alio climate dominari…

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Eusebius Didymus Appolinaris Tertulianus b1v

Hieronymus

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cos viros et – quid plura? – videmus Hebraeos, haereticos, gentes, eadem genus hominum hoc censoria virgula prosequutos. 66. Quo factum, ut miraretur Augustinus, cum redarguentia haec astrologos testimonia tali celebritate in ecclesiis legerentur, plena tamen esse conventicula nostris hominibus, qui tempora rerum agendarum acciperent a mathematicis. 67. Idem, cum super psalmo tertio et sexagesimo ad populum | contionaretur, mathematicum produxit poenitentem, qui professioni scilicet renuntiaverat non aliter, quam si aut Iudaeus aut Ethnicus aliquis regenerationis lavacrum accepisset. Quam pulchre idem interpretans Ioannem insaniae nostrae nos admonet, qui ad astrologos liberi intramus, ut exeamus servi et mendaciis emptis libertatem illis nostram erogamus. In libro vero De natura daemonum ait expresse nemini licere post Christum genituram alicuius de caelo interpretari. 68. Hieronymus ex opprobriis Aegypti, hoc est reliquiis idolatriae, esse ait requirere stellarum cursus et futurorum ex eis eventa rimari.

Font.: 2 censoria virgula ] cf. Quint. inst. 1,4,3; Hier. epist. 51,2; 84,7 3–5 miraretur – mathematicis ] Aug. in Gal. 35; cf. Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.7 (PL 187,1370) 6–8 Idem – accepisset ] Aug. in psalm. 61, enarr. 23 9–11 Idem – erogamus ] cf. Ficin. disp. contra iudic. astrolog. p. 26 K idem – erogamus ] Aug. in euang. Ioh. 8,11; cf. doctr. christ. 2,31 11–12 ait – interpretari ] Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.3 (PL 187,1343); cf. Isid. orig. 8,9,26; Rab. Maur. mag. art. (PL 110,1098); Tert. idol. 9,4 13–14 Hieronymus – rimari ] Orig. (!) hom. 5 in Ios. (PG 12,851); cf. Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.2, cap.9 (PL 187,1341) Sim.: 6–8 Idem – accepisset ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555: Idem super psalmo tertio et sexagesimo dum concionaretur 11–12 In libro – interpretari ] cf. rer. praen. 537 p. 555; quaest. falsit. p. 161,14–17 13–14 Hieronymus – rimari ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555; quaest. falsit. p. 163,30–32 App. crit.: 1 eadem] ea eadem F 2 censoria] censorio F 4 Tit. Eusebius correxi : Euselaus BG : Enselaus VRC : om. WF 6 tertio] primo expectes coll. Aug. in psalm. 61 13 reliquiis] reliquis RC

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nen sehen, dass auch die Hebräer, die Häretiker und die Heiden diese Menschen mit derselben Rute der Zensoren verfolgt haben.52 66. Daher wunderte sich Augustinus auch darüber, dass unsere Gemeinden voller Menschen seien, die die richtigen Zeitpunkte für Unternehmungen von den Astrologen beziehen, obwohl in den Kirchen jene den Astrologen widersprechenden Schriften so zahlreich gelesen werden. 67. Er stellt auch in seinen Erläuterungen zum 61. Psalm53 einen reuigen Astrologen dar, der seinem Beruf abgeschworen hat – ganz so, also ob ein Jude oder irgendein Heide das Bad der Wiedergeburt erhalten hätte.54 Wie treffend erinnert er uns an unseren Irrsinn in seiner Auslegung des Johannes-Evangeliums, wenn wir als freie Männer die Astrologen aufsuchen, um sie als Sklaven wieder zu verlassen, und ihnen unsere Freiheit gegen ihre Lügen verkaufen. In seiner Schrift »Über die Natur der Dämonen« (De natura daemonum) sagt er ausdrücklich, niemand dürfe nach der Geburt Christi die Geburt eines anderen anhand des Himmels interpretieren.55 68. Hieronymus sagt, es sei eine der Sünden Ägyptens, also einer der Überreste des Götzendienstes, nach dem Lauf der Sterne zu fragen und daraus die zukünftigen Ereignisse zu erforschen.56 52 Zur ›Rute der Zensoren‹ vgl. Erasmus, Adagia 1,5,58: Ad eandem formam pertinent haec quoque: Notare ungui, quod soleat ungui signum apponi, ubi quid parum placet… In eundem sensum ›censoria virgula‹ legitur identidem apud divum Hieronymum pro castigandi notandique auctoritate… A censoribus Romanis traductum, quorum partes erant notare, si quid in moribus civitatis dignum emendatione iudicassent, ac mulctam dicere. Eodem pertinent spongia, lima, caelum, quae in emendationis proverbium abierunt. Spongia deletur, quod non placet. Lima detrahitur et expolitur, quod redundat quodque incultum est. Caelo deformatur item ac fingitur id, quod est rudius. 53 Nach moderner Zählung handelt es sich um den 61. Psalm. Ob Pico hier ein Lapsus unterlaufen ist oder ob es sich um unterschiedliche Zählweisen handelt, ist unklar. 54 Mit dem Ausdruck ›Bad der Wiedergeburt‹ (lavacrum regenerationis) wird die Taufe bezeichnet (vgl. insbes. Vulg. Tit. 3,5: sed secundum suam misericordiam salvos nos fecit per lavacrum regenerationis et renovationis Spiritus Sancti). Die Wiedergeburt (gr. παλιγγενεσία) bezeichnet dabei die von Paulus geforderte Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durch die heilige Taufe (Vulg. Rom. 3,6–11). 55 Eine derartige Schrift des Augustinus ist nicht bekannt; vermutlich handelt es sich um eine (Namens-)Verwechslung mit der Abhandlung De divinatione daemonum, die jedoch eine derartige Passage auch nicht enthält. Gratian (Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.3 [PL 187,1343]) allerdings, dem Pico im vorliegenden Abschnitt als Quelle folgt, schreibt diese Zitate, die realiter auf Isidor von Sevilla (orig. 8,9,26) und Hrabanus Maurus (De magicis artibus [PL 110,1098] = De universo 15,4) zurückzuführen sind, Augustinus’ Abhandlung De natura daemonum zu. Der Quellenverweis Garins ad loc. auf Augustinus’ De divinatione daemonum 6 hingegen ist falsch. 56 Erneut handelt es sich um einen – wie die Parallelen bei Giovanni Francesco Pico belegen – verbreiteten Irrtum, dass dieses Zitat Hieronymus zuzuschreiben sei, und erneut ist dieser Irrtum wohl auf Picos Quelle Gratian (decret. pars 2, causa 26, quaest.2, cap.9 [PL 187,1341]) zurückzuführen, die dies unter dem Namen des Hieronymus anführt. Tatsächlich findet sich das besagte Zitat jedoch bei Origenes in der 5. Homilia in Josuam (PG 12,851): Est et illud opprobrium Aegypti, quod, si neglexeris, etiam post Jordanis transitum, et post baptismi secundam circumcisionem, vetustae consuetudinis inustione suggeritur, observare auguria, requirere stellarum cursus, et even-

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Detestatio astrologiae per ecclesiastica decreta Alexander III

Synodus Martini

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69. Severianus in libro De septem artibus, quem falso quasi Cassiodori citat Rogerius, postquam de vera dixit astronomia: »Tum ea«, inquit, »quae attinent ad praevidenda futura, ita debere nesciri, ut nec scripta esse videantur; sunt enim fidei nostrae sine dubitatione contraria«. Haec ille ad verbum. 70. Quodsi quos tantorum hominum et tam praecellentium sententia nihil movet, deterreat saltem pontificalis auctoritas, quae istam professionem ita nostris hominibus interdicit, ut Alexander tertius, pontifex maximus, sacerdotem nescio quem integro anno a ministerio altaris voluerit abstinere, quod per astrolabium de cuiusdam ecclesiae furto investigando aliquid esset perscrutatus, quamquam, ut idem Pontifex testatur, nullam ibi aut magicam aut aliam superstitionem admisisset. 71. In Martini pontificis synodo scriptum non vere Christianos aut Lunae cursus aut stellarum aut inanem signorum fallaciam pro domo facienda vel sociandis coniugiis observare; sed et sub nomine etiam haruspicum astrologus decreto Gre-

Font.: 1–4 Severianus – contraria ] Cassiod. inst. 2,7,4; cf. Isid. orig. 3,71,38 7–9 Alexander tertius – esset perscrutatus ] Decretal. Gregor. IX, lib.5, tit.21, cap.2 (p. 822sq. F) 10–11 ut idem – admisisset ] Decretal. Gregor. IX, lib.5, tit.21, cap.2 (p. 823sq. F); cf. Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.92, art.2 12–14 In Martini – observare ] Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.5, cap.3 (PL 187,1346 = Corp. iur. canon. p. I 1027sq. F]) 272.14–274.1 sub nomine – pronuntiatur ] Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.5, cap.1 (PL 187,1346 = Corp. iur. canon. p. I 1027 F]) Sim.: 1 Severianus ] cf. rer. praen. 5,7 p. 555 7–11 Alexander – admisisset ] cf. rer. praen. 5,7 p. 557; quaest. falsit. p. 160,21–24; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4v 12–14 In Martini – observare ] cf. rer. praen. 5,7 p. 557 272.14–274.1 sub nomine – anathema pronuntiatur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 557 App. crit.: 1 libro De septem artibus quem BB BP BF : libro quem D. s. a. quoniam B : libro quem D. s. a. quem BEC GOβ 4 nostrae] nostra Garin 5 Quodsi scripsi : Quod, si male dist. Garin : Quod si Ω quos BCorr GOβ : quibus B 9 de add. BB BP 14 et om. Garin

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69. Severian sagt in seiner Schrift »Über die sieben Künste« (De septem artibus), die Roger Bacon fälschlich unter dem Namen Cassiodors zitiert, nachdem er von der richtigen Astronomie gesprochen hat: »Jene aber, die sich auf die Vorhersage von Zukünftigem beziehen, muss man in so hohem Grade nicht kennen, dass sie den Anschein haben, nicht geschrieben zu sein; denn sie laufen unserem Glauben ohne jeden Zweifel zuwider.«57 So jener wörtlich. 70. Wenn aber irgendwelche Leute die Ansicht solch bedeutender und ausgezeichneter Männer nicht beeindruckt, sollte doch wenigstens die päpstliche Autorität sie davon abschrecken, die uns Christen jene Beschäftigung so nachdrücklich untersagt, dass Papst Alexander III. einem gewissen Priester ein ganzes Jahr den Dienst am Altar untersagen ließ, weil er durch die Hilfe eines Astrolabiums etwas über einen Diebstahl aus irgendeiner Kirche herauszufinden versuchte, obwohl er, wie derselbe Papst bezeugt, dabei keine Magie oder eine andere abergläubische Praktik anwendete.58 71. In der Synode des Bischofs59 Martin wurde schriftlich fixiert, nur diejenigen, die keine echten Christen seien, würden den Lauf des Mondes, der Sterne oder die nichtige Täuschung der Tierkreiszeichen beim Bau eines Hauses oder beim Schließen einer Ehe berücksichtigen.60 Unter der Bezeichnung ›Haruspex‹ tus ex iis futurorum rimari, servare somnia caeterisque hujusmodi superstitionibus implicari. 57 Entgegen der Meinung Picos handelt es sich an besagter Stelle um ein Zitat aus dem zweiten Buch (2,7,4) der Institutiones Cassiodors (ca. 485–580), welches auch mit dem Titel De artibus ac disciplinis liberalium litterarum bezeichnet wird. Dass die Verwechslung zumindest auch textlich begründet war, zeigt der Bibliothekskatalog der Universitätsbibliothek Leiden (Nr. IV: Codices Perizoniani), der zu den Folia 13–15’ des Codex Q 11 folgenden Eintrag verzeichnet (de Meyier 1946: S. 65f.): »Iulii Severiani de septem disciplinis immo Cassiodori de artibus ac disciplinis liberalium litterarum …« Die Verwechslung ließe sich also erklären, wenn Pico ebenfalls eine Handschrift (die Vorlage der Handschrift des Perizonius?) vorliegen hatte, die den entsprechenden Text unter dem Namen des Severian führte. Die in Bacons Opus maius befindlichen Cassiodor-Zitate (Rog. Bac. op. mai. 4,5,1 p. 1,177 B = Cassiod. inst. 2 praef. bzw. Cassiod. inst. 2,3,22) sind ebenfalls jenem zweiten Buch Cassiodors entlehnt (vgl. aber die irreführende Angabe bei Garin ad loc). 58 Zur Verurteilung der Astrologie durch das offizielle Christentum vgl. auch von Stuckrad (2007: S. 119f.) sowie Gundel / Gundel (1966: S. 332–339, insbes. S. 338f.). 59 Dass die Bezeichnung Martins als ›pontifex‹ an dieser Stelle zumindest irreführend ist (kurz zuvor hatte Pico Alexander III. als pontifex maximus bezeichnet), beweist die Parallele in der Quaestio de falsitate Gianfrancesco Picos (quaest. falsit. p. 160,16–19), wo es heißt: Item XXVI, quaest. V ex Concilio Martini Papae … Das Pontifikat Papst Martins I. (649–653) fand allerdings fast 100 Jahre nach den besagten Konzilen statt. Tatsächlich kann der Begriff pontifex sowohl einen Bischof bzw. Erzbischof als auch den Papst bezeichnen (vgl. Habel / Gröbel 1989: S.296 s.v. ›pontifex‹). Zur Person des Martin von Braga (gest. 580) vgl. Collins (1992: S. 191–192). 60 Gemeint ist das zweite Konzil von Braga, welches 572 in Braga (im Norden Portugals) unter dem Vorsitz von Bischof Martin von Braga zusammentrat (eine erste Synode war 561 ebendort zusammengekommen); hierbei wurden, neben Änderungen die Liturgie betreffend, insbesondere auch die Lehren des Priszillianismus, einer der Astrologie zugeneigten Strömung des Christentums, als häretisch verurteilt (zum Priszillianismus und Priszillian im Speziellen sowie dessen Bedeutung für die Astrologie vgl. Hegedus (2007: S. 339–351)). Im 72. Kapitel der Konzilsakten wird folgender Erlass schriftlich fixiert (vgl. Bruns 1839: S. 56–57): Non liceat Christianis tenere traditiones gentili-

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gorii iunioris anathema pronuntiatur; et in Concilio Toletano: »Si ipse presbyter aut diaconus fuerit, in monasteriis relegatur sceleris ibi poenas perpetua illa detentione daturus.« 72. Solent enim, ut docet Augustinus in libro De natura daemonum, sub haruspicum nomine apud nostros designari, qui dies et horas in agendis negotiis operibusque custodiunt, ubi notari illa maxime videtur pars astrologiae, quae est de electionibus. Quis iam igitur audeat homo Christianus (cunctis enim nunc mihi sermo) astrologiam tueri, sequi, extollere, a lege prohibitam, a prophetis damnatam, a sanctis irrisam, a pontificibus et sacrosanctis synodis interdictam?

Font.: 1–3 in Concilio – daturus ] Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.5, cap.5 (PL 187,1347 = Corp. iur. canon. p. I 1028 F) 4–6 ut docet Augustinus – custodiunt ] Rab. Maur. mag. art. (PL 110,1098); cf. Isid. orig. 8,9,17 Sim.: 1–3 in Concilio – daturus ] cf. rer. praen. 5,7 p. 557; quaest. falsit. pp. 160,24–161,1; Bellant. resp. disp. 1 fol. q4v App. crit.: 2–3 illa detentione] damnatione Garin

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aber wird ein Astrologe in einem Dekret Papst Gregors des Jüngeren mit dem Kirchenbann belegt.61 Und im Konzil von Toledo heißt es:62 »Wenn es ein Priester oder Diakon selbst war, wird er ins Kloster verbannt, wo er den Rest seines Lebens inhaftiert verbringen und dort die Strafe für sein Verbrechen büßen wird.« 72. Denn mit der Bezeichnung ›Haruspex‹ pflegt man, wie Augustinus in seiner Abhandlung »Über die Natur der Dämonen« (De natura daemonum) sagt, diejenigen unter uns zu bezeichnen, die Tage und Stunden bei der Ausübung von Arbeiten und Werken berücksichtigen; dies scheint insbesondere jenen Teil der Astrologie zu bezeichnen, der die sogenannte Frageastrologie beinhaltet.63 Welcher Christ könnte es folglich nun noch wagen (denn ich spreche jetzt zu allen) die Astrologie zu berücksichtigen, ihr zu folgen, sie zu rühmen, da sie doch von

um, et observare vel colere elementa, aut lunae aut stellarum cursus, aut inanem signorum fallaciam pro domo facienda, vel ad segetes vel arbores plantandas, vel coniugia socianda. Zur Bedeutung der Konzile von Braga für die Astrologie vgl. insbes. von Stuckrad (2007: S. 121). 61 Das Dekret bezieht sich auf das unter Papst Gregor II. in Rom stattfindende Konzil des Jahres 721. 62 Es handelt sich hierbei um das vierte der insgesamt 18 Konzile von Toledo, welches im Jahr 633 unter dem Vorsitz des Bischofs Isidor von Sevilla stattfand. Im 29. Kapitel (vgl. Bruns 1839: S. 232) heißt es dort: Si episcopus quis aut presbyter sive diaconus vel quilibet ex ordine clericorum magos aut aruspices aut ariolos aut certe augures vel sortilegos …consulere fuerit deprehensus, ab honore dignitatis suae depositus monasteriis poenam excipiat ibique perpetuae poenitentiae deditus scelus admissum sacrilegii luat. 63 Die Tagewählerei oder Katarchenhoroskopie beschäftigt sich – im Gegenteil zur Genethlialogie (Geburtsastrologie) – nicht mit dem Horoskop, welches für den Zeitpunkt einer Geburt gestellt wird, sondern interessiert sich für bestimmte Entscheidungen oder Fragen, die oftmals den Beginn einer Handlung bezeichnen. Vgl. Bouché-Leclercq (1899: S. 458): »La théorie des καταρχαί, au contraire, née en dehors de la métaphysique, au sein des religions et croyances populaires, ne considère que les causes immédiates et successives non pas de nos actes, qui peuvent être posés librement, mais des conséquences heureuses ou malheureuses, du succès ou de l’insuccès des actions humaines. Elle borne son ambition à enseigner le moment opportun d’agir, en toute espèce d’entreprises ou initiatives (καταρχαί), et elle se charge de le trouver dans les positions actuelles des corps célestes.« Tester (1987: S. 88) spricht von einem »moving forward of the birth-chart into the future to see what effects the changed positions of the havenly bodies will have. But the same procedure can be used to find out about an event or action now, by setting up the chart for this time.« Dabei unterscheidet man zwischen interrogationes bzw. quaestiones auf der einen Seite (vgl. die Erklärung dieser astrologischen Methodik bei Pico disp. 4,13,1), bei denen auf eine spontane Frage eine Antwort in der aktuellen Himmelkonstellation gesucht wird, sowie electiones bzw. auspicationes auf der anderen Seite, bei welchen für ein bestimmtes Ereignis ein günstiger Zeitpunkt im Vorhinein ausgewählt wird; vgl. auch die Definition bei Vitali (1686: S. 165): Electiones Astrologicae sunt temporum opportunitates ad aliquid aggrediendum assumptae. Pico selbst definiert die electiones oder auspicationes als (disp. 2,2,1) horam [...], qua auspicari actiones nostras debeamus, ut feliciter fiat, quod facturi sumus.

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73. Quodsi mihi opponas Albertum, theologum praestantissimum, fautorem tamen astrologorum, admonebo te primum multa referri in Albertum, quae Alberti non sunt, quod et supra tetigimus; tum, si mihi forte obicias librum De licitis et illicitis, in quo reicit quidem magos, astronomicos autem probat auctores, respondebo existimari quidem a multis esse illud opus Alberti, sed nec ipsum Albertum, nec libri inscriptionem usquequaque hoc significare, cum auctor ipse, quicumque demum fuerit, nomen suum consulto et ex professo dissimulet. Quid? Quod in eo multa leguntur indigna homine docto et bono Christiano, qualia illa sunt: imagines fieri posse, quibus etiam non unus homo, sed una etiam civitas tota vel felix fiat, vel infortunata; tum non esse magicos libros abiciendos, qui Ecclesiae utiles futuri aliquando sint. Est enim hoc plane adversum iudicio ipsius Ecclesiae, quae illos, ubi locorum fuerint inventi, uri iubet et prorsus exterminari; nam qua

Sim.: 3–11 De licitis et illicitis – aliquando sint ] cf. rer. praen. 7,2 p. 633: in Primo contra Astrologos negat Alberti esse illud opus, quod De licitis et illicitis praetitulatur App. crit.: 10 felix BCorr G : infelix BOβGarin

12 uri] uti GD

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der Kirche verboten, von den Propheten verdammt, von den Heiligen verspottet und von den Bischöfen und heiligen Synoden untersagt wurde? 73. Wenn man mir jetzt Albert den Großen entgegenhält, einen ausgezeichneten Theologen, der dennoch die Astrologie unterstützte, so will ich als erstes daran erinnern, dass viele Werke Albert zugeschrieben werden, die nicht von ihm sind, was wir weiter oben bereits behandelt haben; wenn man mir dann sein Buch »Über das Erlaubte und das Verbotene« (De licitis et illicitis)64 als Gegenargument vorbringt, in dem er zwar die Magier ablehnt, ›astrononomische‹65 Schriftsteller jedoch anerkennt, will ich antworten, dass freilich viele jene Schrift für ein Werk Alberts halten, dass aber weder Albert selbst noch der Titel des Buches an irgendeiner Stelle darauf hinweisen, weil der Verfasser selbst, wer auch immer es schlussendlich gewesen sein mag, seinen Namen absichtlich und vorsätzlich verheimlicht. Was spielt es für eine Rolle, dass in diesem Werk vieles gesagt wird, dass eines gebildeten Mannes und frommen Christen nicht würdig ist, wie beispielsweise jene Aussage, es könne Talismane geben, durch die nicht nur ein einzelner

64 Gemeint ist das sog. Speculum astronomiae, als dessen Autor im Allgemeinen Albert der Große galt. Zur Tatsache, dass Pico als einer der ersten die Autorschaft Alberts für diese wirkmächtige Schrift ablehnte, vgl. Zambelli (1992: S. 19–21) sowie Hendrix (2010: S. 188–204). 65 Gemeint sind astrologische Schriftsteller. Das Speculum astronomiae bezeichnet jedoch sowohl die Astronomie als auch die Astrologie als astronomia; vgl. Ps.-Albert. specul. 1 p. 208 Z: Duae sunt magnae sapientiae et utraque nomine astronomiae censetur.

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ratione utile erit servare integros libros, quos utillimum erat numquam esse conscriptos? Quae utique, aut non scripsit Albertus aut, si scripsit, dicendum est cum Apostolo: »In aliis laudo, in hoc non laudo«. 74. Sed sicut invidiae est quaerere in magnis viris potius quod damnes, quam quod extollas, ita insaniae, sicubi defecerunt, non potius damnare velle, | quam imitari. 75. Laudabo ego in Petro Aliacensi studium litterarum, experientiam rerum, multiplicem lectionem et quod scite atque subtiliter theologica quaedam scripserit et tractaverit; quod vero altero opusculo astrologiam historiae, altero theologiae conciliare voluerit, ut ibi veram, hic piam ratione probaret, plane non laudo, sed damno, execror atque detestor, cum tueri positionem nullam possimus aut magis falsam aut religioni magis adversam; de qua re, quoniam in sequentibus libris late disseremus, nihil ultra hoc loco dicendum. Ibi enim etiam suis fautoribus testatum abunde relinquemus esse illos libellos et inimicos religioni et tot erratis historicis et astrologicis plenos, ut dici nostrum illud possit: »si vis errorem tollere, tolle librum«.

Font.: 3 In aliis laudo, in hoc non laudo ] cf. Vulg. 1 Cor. 11,22; Petr. Lombard. in 1 Cor. 11,22 (PL 191,1640) 9 altero opusculo astrologiam historiae ] cf. Petr. Alliac. concord. astron. prooem. altero theologiae conciliare ] cf. Petr. Alliac. vigintiloq. prooem. 15–16 si vis – librum ] cf. Vulg. I reg. 21,9: si istum vis tollere, tolle Sim.: 2–3 Quae utique – non laudo ] cf. rer. praen. 7,2 p. 633; 7,7 p. 659 App. crit.: 1 utillimum BVRC (utilimum WO) : utilissimum GF 3 aliis] iis Garin BF 12 aut] ant B (corr. BB BP BF ) 14 illos BCorr GWOGarin : illud BVRCF

10 ibi] illi

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Mensch, sondern sogar ein ganzer Staat glücklich oder unglücklich wird; des Weiteren auch, dass man die magischen Schriften nicht ablehnen dürfe, da sie der Kirche noch einmal von Nutzen sein würden. Denn dies läuft dem Urteil der Kirche selbst offensichtlich zuwider, die Anweisung gibt, jene Schriften, wo auch immer man sie findet, zu verbrennen und kurzerhand auszulöschen. Mit welchem Argument nämlich wird es sich als nützlich erweisen, diese Schriften zu bewahren, die dann den größten Nutzen hätten, wenn man sie gar nicht erst verfasst hätte. Diese Werke66 also hat Albert entweder gar nicht geschrieben, oder aber man muss, wenn er sie doch geschrieben hat, mit dem Apostel sagen: »Das eine lobe ich an ihm; das andere aber nicht.« 74. Wie es aber ein Zeichen von Missgunst ist, bei großen Männern lieber etwas zu suchen, was man verurteilen kann, als etwas, was man lobend erwähnen kann, so zeugt es von Irrsinn sie da, wo sie sich wirklich geirrt haben, nicht so sehr verurteilen zu wollen, als lieber nachzuahmen. 75. Pierre d’Ailly will ich für seinen literarischen Eifer loben, seine große Erfahrung auf allen Gebieten, seine umfassende Belesenheit und dafür, dass er kenntnisreich und akkurat theologische Fragen schriftlich behandelt hat; dass er aber in einem Werk die Astrologie mit der Geschichtswissenschaft, in dem anderen mit der Theologie in Einklang bringen wollte, um sie mit logischer Argumentation in der einen Schrift für korrekt, in der anderen für fromm erklären zu können, lobe ich offensichtlich nicht, sondern ich lehne es ab, verdamme und verfluche es, da wir uns keine Sichtweise vorstellen können, die falscher wäre oder der Religion mehr zuwiderlaufen würde. Da wir dies jedoch in den folgenden Büchern eingehend abhandeln wollen, soll an dieser Stelle nichts weiter dazu gesagt werden. Dort werden wir es sogar seinen Unterstützern klar beweisen, dass jene Schriften sowohl der Religion widerstreben, als auch dermaßen mit religiösen und astrolo-

66 Gemeint ist eigentlich dieses eben besprochene Werk, nämlich De licitis et illicitis. In disp. 1,30 hatte Pico hingegen auch andere Werke angeführt, die zwar unter dem Namen des Albertus firmierten, vermutlich aber nicht von ihm verfasst seien (vgl. oben S.239).

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Testimonia iuris civilis

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76. Diximus de philosophis et de prophetis. Restant leges civiles, hoc est Caesarum ac prudentium iussa atque iudicia, quorum finis potissimum consulere utilitatibus, quibus hominum vita bene beateque transigatur; quae cum inter omnia bonis maxime artibus adiuvetur, noxiis perturbetur, summo studio curaverunt, ut illae quidem abundarent, hae nullae (quantum fieri poterat) essent in civitatibus. 77. Quod ut consequerentur, illarum professoribus praemia, honores decreverunt; harum autem publicas ignominias et supplicia tanto graviora, quanto noxias magis artes illas existimarunt. 78. Illi igitur de astrologis quid putaverint, nemo nescit, qui legales Iustiniani Caesaris codices legerit, in quibus ars mathematicorum (sic enim se vocabant astrologi) ut abominabilis interdicitur, mandante imperatore, ne quis mathematicum consulat, sed omnibus sileat perpetuo curiositas iudicandi. 79. Si quis autem mathematicum consuluerit, capitis ei, quod est summum supplicium, poena denuntiatur; quod profecto non statuisset sapientissimus imperator tot et sapientum usus et legibus et iudicio, nisi non solum vitae inutilem, sed perniciosam hominibus istam professionem experientia demonstrasset. 80. Ipse felicissimus Iustinianus ita hoc hominum genus horrebat, ut, si quis in eius comitatu deprehenderetur mathematicus, summis ad eculeum usque tor-

Font.: 9–12 legales Iustiniani Caesaris – curiositas iudicandi ] Inst. Iust. 9,18,5: Nemo haruspicem consulat aut mathematicum, nemo hariolum… sileat omnibus perpetuo divinandi curiositas. 13–14 Si quis – denuntiatur ] Inst. Iust. 9,18,5: supplicium capitis feret gladio ultore prostratus, quicumque iussis obsequium denegaverit 280.17–282.1 si quis – lueret poenas ] Inst. Iust. 9,18,5 Sim.: 1–5 Restant leges – in civitatibus ] Bellant. resp. disp. 1 fol. q4v 7–8 harum autem – existimarunt ] cf. rer. praen. 5,5 p. 557; quaest. falsit. p. 157,29–30 9–12 legales Iustiniani Caesaris – curiositas iudicandi ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 557–558; quaest. falsit. p. 158,2–7 13–14 Si quis – denuntiatur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 558 280.17–282.1 si quis – lueret poenas ] cf. rer. praen. 5,5 p. 558; quaest. falsit. p. 157,33–35

App. crit.: 5 poterat] poterant Garin expectes divinandi (cf. Inst. Iust. 9,18,5)

9 illi BB BP BEC Oβ : ibi BG (non corr. BF )

12 iudicandi]

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gischen Fehlern behaftet sind, dass auch hier jener Spruch von uns gilt: »Wenn du den Irrtum beseitigen willst, beseitige das Buch.« 76. Wir haben nun die Philosophen und die Propheten abgehandelt. Übrig sind noch die staatlichen Gesetze, also die Anweisungen und Urteile der Herrscher und ihrer Berater, deren vorrangiges Ziel es ist, für die Annehmlichkeiten zu sorgen, durch die das menschliche Leben gut und glücklich verbracht wird; da dieses neben allem anderen insbesondere durch die schönen Künste gefördert wird, durch schädliche Wissenschaften jedoch in Unruhe versetzt wird, haben sie größte Mühe darauf verwendet, dass jene ersteren in reichlichem Maße vorhanden waren, jene anderen jedoch – soweit es an ihnen lag – gar nicht in den Staaten vorkamen.67 77. Um dies zu erreichen, beschlossen sie, den Lehrern der schönen Künste Belohnungen und Ehrungen zukommen zu lassen, den Lehrern der schädlichen Künste jedoch öffentliche Demütigungen und Strafen, wobei diese umso härter waren, je schädlicher sie ihre Künste einschätzten. 78. Was jene also von den Astrologen hielten, weiß ein jeder, der die Gesetzessammlungen des Kaisers Justinian gelesen hat, in welchen die Wissenschaft der Mathematiker – so nämlich bezeichneten sich die Astrologen selbst – als verdammenswert bezeichnet und untersagt wird und der Kaiser Befehl gibt, niemand dürfe einen Mathematiker befragen, sondern die Neugierde nach Vorhersagen solle bei allen für alle Zeit ruhen. 79. Wenn aber jemand einen Mathematiker befragt habe, so solle über ihn die Todesstrafe verhängt werden, was die höchste Form der Strafe ist. Dies hätte der äußerst weise Kaiser sicherlich nicht beschlossen, der sich auch auf die Gesetze und das Urteil so vieler weiser Männer stützen konnte, wenn nicht die Erfahrung gelehrt hätte, dass diese Beschäftigung nicht nur nutzlos für das weitere Leben ist, sondern auch schädlich für die Menschen. 80. Der vom Glück sehr begünstigte Kaiser Justinian selbst schauderte dermaßen vor dieser Art von Mensch, dass ein Mathematiker, wenn er im Gefolge des Kaisers ertappt wurde, für seinen Leichtsinn mit den höchsten Foltern bestraft

67 Zu Astrologieverboten in antiker Rechtsprechung vgl. von Stuckrad (2007: S. 121–124) sowie Fögen (1993).

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Conclusio libri huius

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mentis temeritatis suae lueret poenas. Tum postremo de hac loquens superstitione pronuntiat imperator eiusdem esse culpae affines, et qui docent ista et qui addiscunt. Ante Iustinianum etiam nonne legimus saepe expulsos urbe Roma omnes mathematicos? Quod in calce istarum disputationum aperte demonstrabimus. 81. Quodsi omnis ratio recta vel prudentia regitur vel philosophia perficitur vel divini splendoris radiis illuminatur, erit profecto astrologia omni recto iudicio profligata, quam et prudentissimi legum latores exterminarunt et doctissimi philosophorum confutaverunt et viri divini atque sanctissimi abominati sunt. Disputationum Joannis Pici Mirandulae adversus astrologos libri primi finis.

Font.: 2–3 pronuntiat – addiscunt ] Inst. Iust. 9,18,2 5 ratio recta vel prudentia regitur ] Arist. EN 1141b 8–33; cf. Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.56, art.3: Cum enim prudentia sit recta ratio agibilium… Sim.: 3–4 Ante Iustinianum – mathematicos ] cf. rer. praen. 5,5 p. 558; quaest. fals. pp. 157,35–158,2 4 in calce istarum disputationum ] cf. disp. 12,7 App. crit.: 7 et] et et O 9–10 Disputationum – finis om. F Garin

Disputationum] Disputationis

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wurde bis hin zum hölzernen Folter-Pferd.68 Später verkündet der Kaiser, wenn er über diesen Aberglauben spricht, diejenigen, die solches lehren, und diejenigen, die solches lernen, seien derselben Tat mitschuldig. Und lesen wir nicht, dass bereits vor Justinian oftmals alle Mathematiker aus der Stadt Rom verbannt wurden? Dies werden wir am Schluss dieser Abhandlung deutlich darlegen. 81. Wenn aber jede vernünftige Überlegung geradewegs entweder von Klugheit geleitet wird oder von der Philosophie vollendet wird oder aber von den Strahlen des göttlichen Glanzes erleuchtet wird, dann wird die Astrologie in der Tat von jedem, der gutes Urteilsvermögen besitzt, abgelehnt, die Astrologie, die die klügsten Gesetzgeber auslöschen wollten, die von den gelehrtesten Philosophen widerlegt und von Theologen und heiligsten Männern verabscheut wurde. Ende des ersten Buches der Disputationes adversus astrologos des Giovanni Pico della Mirandola.

68 Dass mit dem Wort eculeus (eigtl. »kleines Pferd« – Deminutiv zu equus) eine Art Streckbank bezeichnet wird, legt die Beschreibung bei Isidor (orig. 5,27,21) nahe: Eculeus autem dictus quod extendat.

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2.5 Liber Secundus v

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| Ioannis Pici Mirandulae Disputationum adversus astrologos Liber Secundus

Caput I – Incertam esse artem istam iudicio etiam principum illius. 1. Sed ne sola auctoritate pugnemus, demonstrabimus toto hoc opere certis rationibus reiectam iure a sanctis istam superstitionem, quia religioni maxime adversaretur; utiliter legibus interdictam, quia vitae inutilis sit, immo noceat et pervehementer; rationabiliter a philosophis confutatam, ut quam falsam incertamque cognoscerent. Et quamquam inde videbatur exordiendum, ut falsa demonstraretur, quoniam statim inutilis etiam reddebatur, aliter tamen faciendum putavi, ut scilicet, priusquam de eius falsitate disputarem, ostenderem amatoribus astrologorum, etiam si esset talis ista professio, qualem ipsi eam faciunt et affirmant, nullum exteriori homini ab ea commodum provenire, interiori autem non solum maxima detrimenta, sed etiam exitialia. 2. Quod priusquam aggrediamur, praefari quaedam oportet, ex quibus intelligamus quantum suae professioni summi ipsi astrologorum principes tribuant. 3. Ptolemaeus igitur in primo Apotelesmaton, postquam iudicia astrologorum saepe esse mendacia dixit vitio praedicentis, tum haec ita subicit ad verbum, quae

Font.: 16 Ptolemaeus – primo Apotelesmaton ] Ptol. apotel. 1,2,14–19 praedicentis ] Ptol. apotel. 1,2,12–13

postquam iudicia – vitio

Sim.: 16–17 Ptolemaeus – praedicentis ] cf. rer. praen. 5,9 p. 579 17 tum haec ita subicit ad verbum ] cf. rer. praen. 5,9 p. 579: tum subiunxit quae nos – Avenrodan ] cf. rer. praen. 5,9 p. 579 App. crit.: 1 Pici] Pigi (ut vid.) F Disputationum] Disputationes F adversus astrologos] in Astrologiam O Liber Secundus] Incipiunt Lib. Secundi F 17 tum BCorr G : tamen BOβGarin (cf. rer. praen. 5,9 p. 579)

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Zweites Buch der Erörterungen gegen die Astrologen des Giovanni Pico della Mirandola

Kapitel 1 – Selbst nach dem Urteil ihrer führenden Männer ist diese Kunst nicht zuverlässig. 1. Um jedoch nicht nur auf literarische Vorbilder beim Kampf zurückzugreifen, werde ich in dieser ganzen Schrift mit zuverlässigen Argumenten darlegen, dass jener Aberglaube von den heiligen Männern mit Fug und Recht abgelehnt wurde, weil sie der Religion in höchstem Maße zuwiderlaufe; dass sie nützlicherweise durch Gesetze verboten wurde, weil sie dem Leben nicht nur keinen Nutzen, sondern sogar in höchstem Maße Schaden bringt; dass sie vernünftigerweise von den Philosophen widerlegt wurde, weil sie erkannten, wie falsch und unzuverlässig sie ist. Und obwohl es den Anschein hat, man müsse damit anfangen zu beweisen, dass sie falsch ist, weil sie sich dann sofort auch als nutzlos erwiese, glaubte ich doch es anders machen zu müssen, dass ich nämlich vor der Auseinandersetzung mit ihrer Falschheit den Bewunderern der Astrologen zeige, dass, selbst wenn jene Beschäftigung so wäre, wie sie selbst sie nachdrücklich darstellen, keinem, der nicht eingeweiht ist, aus ihr ein Vorteil entstehe – einem Eingeweihten jedoch nicht nur sehr großer, sondern sogar tödlicher Schaden. 2. Bevor wir dies jedoch beginnen, müssen wir dennoch einige Worte vorausschicken, anhand derer man versteht, wie viel selbst die höchsten Autoritäten der Astrologen ihrem Fachgebiet zutrauten. 3. Ptolemaios fügt beispielsweise im ersten Buch seiner Apotelesmata folgende Passage wörtlich an, nachdem er festgestellt hat, dass die Urteile der Astrolo-

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nos voluimus transferre, quia male habentur in translatione communi et peius in translatione Avenrodan et ab eo male exponuntur; sed cum fideliter erunt translata, expositione non indigebunt: 4. »Verum illud tamen liquet: etiam si quis disciplinas istas vestigiis rite, quantum fieri possit, indagaverit, necesse esse tamen, ut is etiam quam saepissime offendat, non videlicet ob illa, quae supra diximus, sed vel ob ipsam potius rei naturam, vel quoniam maior est nostra imbecillitas, quam ut tantae professionis magnitudini pares simus. Etenim cum omnis contemplatio, quaecumque in materiae affectionibus versatur, magis verisimilia captet, quam quicquam pro vero decernat, tum vero hoc illius maxime proprium, quae quasi confusa ex multis inter se dissimilibus est atque ex antiquis errantium siderum figuris aspectibusque dependet, quoniam, quae circa rerum eventus observata sunt a priscis, ea nos aetati nostrae, quotiens quidem ad eundem modum se res habet, accommodamus. 5. Ceterum quis non videt evenire illud posse, ut figurae ipsae atque aspectus magis minusve inter se similes sint longis temporum anfractibus? Ut autem concordia prorsus eadem cunctorum, quae in caelo sunt, praesertim si terram quoque adiunxeris, revertatur, ne sperandum quidem videtur, nisi quis forsitan inaniter glorioseque se iactet in comprehendendis cognoscendisque rebus, quae vel comprehendi suapte natura penitus nequeunt, vel eo certe spatio temporis, quod sit hominis modo sensibus indultum; quo fit, ut dissimilibus propositis exemplis etiam quandoque in praescitis aberretur.

Font.: 1 in translatione communi ] cf. Plat. Tiburt. quadrip. fol. r –r : planum est etiam … investigant quandoque fallenter 2 in translatione Avenrodan ] cf. Aegid. Theb. quadrip. fol. v –r : Quare manifestum est … complete sciri non possunt 8–10 contemplatio – decernat ] cf. Ptol. synt. 1,1 pp. 6,12–7,4 Sim.: 4–8 Verum illud – pares simus ] cf. rer. praen. 5,11 p. 579 9–10 magis verisimilia – decernat ] cf. Bellant. resp. disp. 2,1 fol. q5r App. crit.: 1 voluimus] volumus G quia BCorr GGarin : quare BOβ 4 tamen scripsi coll. Ptol. apotel. 1,2,14: ἀλλ᾿ ὁμῶς ἐναργὲς : tum Ω omnibus addidi dubitanter coll. Cic. Att. 2,7,2 et Erasm. adag. 4,2,18 6 videlicet BCorr GGarin : valet BOβ 8 Etenim] Et enim α materiae αGarin : materia βO 10 tum] cum Garin (falso dist. ante cum) 14 ipsae] ipse B 15 ut] aut D 20 dissimilibus] similibus BCorr sed cf. apotel. 1,2,16: ἀνομοίων 21 quandoque BCorr GGarin : quandocumque BOβ

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gen durch Fehler des Voraussagenden oftmals fehlerhaft sind – eine Stelle, die ich selbst übersetzen wollte, weil sie in der allgemein üblichen Übersetzung übel zugerichtet ist und sogar noch schlimmer in der Übersetzung von ῾Alī ben Ridwān und nur schlecht von ihm erklärt wird; in originalgetreuer Übersetzung wird sie jedoch gar keiner Erklärung bedürfen: 4. »Jenes indessen ist dennoch klar: dass, selbst wenn jemand jene Wissenschaften von Grund auf so gut wie möglich gelernt hat, er sich notwendigerweise trotzdem in vielen Fällen irrt, und zwar offensichtlich nicht aus den oben genannten Gründen, sondern entweder auch wegen der Beschaffenheit der Sache selbst, oder weil unsere Schwäche größer ist, als dass wir einer so umfassenden Beschäftigung gewachsen wären. Wenn nämlich bereits jede theoretische Untersuchung, die sich mit der Beschaffenheit der Materie befasst, mehr nach Wahrscheinlichkeiten strebt, als irgendetwas mit Sicherheit als wahr zu definieren, dann gilt dies aber im Besonderen für jene Wissenschaft, die sozusagen aus vielen untereinander verschiedenen Einzelteilen zusammengemischt ist und von den alten Konstellationen der Wandelsterne abhängt, weil wir die Erkenntnisse, die die Alten über die Auswirkungen gewonnen haben, an die Gegebenheiten unserer Zeit anpassen, sooft sie sich ebenso verhalten. 5. Wer kann im Übrigen nicht erkennen, dass es passieren kann, dass die Konstellationen am Himmel selbst mehr oder minder in ähnlicher Form eintreten im Laufe langer Dauer? Dass aber ganz genau dieselbe Übereinstimmung von allen Gestirnen am Himmel – insbesondere, wenn man die Erde hinzunimmt – wiederkehrt, scheint man nicht einmal hoffen zu dürfen, es sei denn man rühmt sich zu Unrecht und auf prahlerische Weise, Eigenschaften gänzlich erfasst zu haben, die entweder von ihrer natürlichen Beschaffenheit her gar nicht vollständig erfasst werden können, oder doch zumindest nicht innerhalb jenes beschränkten zeitli-

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6. Atque in his aspiciendis, quae circa ambientem nos rerum naturam proveniunt, nihil praeterea est arduum , in ipsis autem genituris atque in privatis omnino singulorum collationibus nec parvae nec leves incidunt causae, quibus sui cuique mores conciliantur; nam et seminum differentiae plurimum | valent ad generis proprietatem, quando, etiam si idem corpus ambiens idemque finitor sit, plurimum tamen momenti habet unumquodque seminum ad universalem figurae peculiaris informationem, puta in homine, equo et aliis. 7. Afferunt et loca generationis non minimum discriminis. Nam si genus idem seminis, ut videlicet humanum, statusque idem fuerit ambientis omnia corporis, plurimum tamen ex regionum diversitate corporibus animisque distant qui gignuntur. Plurimum quoque interest ad vitae actus variandos, etiam si cetera paria sint, quibus quisque cibis aut quibus utatur moribus. Quod nisi unumquodque horum intra ambientis corporis causam contineatur (quod vim scilicet hanc habet potissimam, ut illis ipsis, quamobrem talia sint, pars aliqua sit causae, quod contra non fit) plurimum habere omnino possunt, in quo haesitent hi, qui se omnia posse opinantur, quamvis non eadem plane sint, ex sola tamen sublimium corporum motione dignoscere.« 8. Haec ibi Ptolemaeus, qui primo etiam enuntiato alterius libri, qui inscribitur Fructus, vulgo Centiloquium dicitur, de scientia loquens astrologiae »ita«, inquit, »fieri nequit, ut qui sciens est particulares rerum formas pronuntiet, sicuti

Font.: 4–5 seminum – proprietatem ] cf. Cic. div. 2,94 7 in homine, equo et aliis ] cf. Plot. 2,3,12 288.19–290.3 ita – particularia ] cf. Ps.-Ptol. cent. 1 transl. Pont. Sim.: 8–12 Afferunt – moribus ] Ficin. disp. contra iudic. astrolog. p. 30 K 288.18–290.3 Haec ibi – particularia ] cf. disp. 4,4; rer. praen 5,11 p. 579; Bellant. resp. disp. 2,1 fol. q5r App. crit.: 1 quae] que α 2 praeterea] praeter ea Garin post arduum lacunam suspicor coll. Ptol. apotel. 1,2,17: μηδεμιᾶς ἐνταῦθα συμπαραλαμβανομένης αἰτίας τῇ κινήσει τῶν οὐρανίων ante in dist. BP 14–15 quod – fit] locum errorem continere patet e Ptol. apotel. 1,2,19: τούτῳ δὲ (τοῦτο Laur. Plut. 28,20 [om. particula δὲ]) ἐκεῖνα μηδαμῶς; expectes igitur quod contrario non fit vel simil. 15 non scripsi : cum BP BF BEC GGarin : eum BOβ (non corr. BB ) 16 quamvis – sint uncis includ. BB 20 sicuti αGarin : secuti βO

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chen Rahmens, der den menschlichen Sinnen gestattet ist; so ergibt es sich, dass auch bisweilen bei Vorhersagen Irrtümer entstehen auf Grund der unterschiedlichen Vorbilder, auf welche sich diese stützen. 6. Bei der Beobachtung der Ereignisse innerhalb der Atmosphäre besteht darüber hinaus keine Schwierigkeit. Bei Untersuchungen, die Geburten betreffen, und bei individuellen Untersuchungen ganz und gar einzelner Eigenschaften, kommen jedoch Ursachen hinzu, die weder klein noch unbedeutend sind, an die sich der jeweilige Charakter eines jeden anpasst. Denn die unterschiedliche Beschaffenheit der Samen hat größten Einfluss auf die Eigenschaften der Art, wenn sogar bei derselben Atmosphäre und demselben Horizont dennoch ein jeder Samen größte Bedeutung hat für die generelle Ausformung der individuellen Gestalt, zum Beispiel beim Menschen, beim Pferd oder bei anderen Lebewesen. 7. Auch die Regionen der Geburt bewirken nicht unbedeutenden Unterschied. Denn bei derselben Art des Samens, zum Beispiel des menschlichen Samens, und demselben Zustand der alles umgebenden Atmosphäre unterscheiden sich die Neugeborenen doch auf Grund der unterschiedlichen Gegenden hinsichtlich ihres Körpers und ihres Geistes sehr. Größten Einfluss auf die unterschiedlichen Verhaltensweisen hat auch, wenn alle anderen Voraussetzungen gleich sind, welche Nahrung jemand zu sich nimmt, oder in welchen Lebensumstände er sich befindet. Wenn nicht jeder einzelne von diesen Umständen zur Wirkung der Atmosphäre hinzugenommen wird (die natürlich jene besondere Kraft hat, für jene Dinge trotz ihrer Beschaffenheit ein Teil der Ursache zu sein, jene aber nicht für sie), können sie denjenigen größte Schwierigkeiten bereiten, die im Glauben sind, sie könnten alles allein anhand der Bewegung der himmlischen Körper erkennen, obwohl sie offensichtlich nicht dieselben69 sind.« 8. So schreibt Ptolemaios an dieser Stelle, der im ersten Spruch seines anderen Buches, das den Titel »Frucht« (Fructus) trägt, im allgemeinen aber »Buch der 100 Sprüche« (Centiloquium) genannt wird, über die Astrologie als Wissenschaft

69 Der Laur. Plut. 28,20, das Exemplar Picos, bietet– entgegen der heute anerkannten Lesart καὶ τὰ μὴ τέλεον ἐπ᾿ αὐτῇ – im griechischen Text καὶ τὰ μὴ τέλεον αὐτά. Diesen Wortlaut übersetzt Pico an der vorliegenden Stelle.

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nec sensus particularem, sed generalem quandam suscipit sensibilis rei formam oportetque tractantem haec rerum coniectura uti. Soli autem numine afflati praedicunt particularia.« 9. Haec ille ad verbum, quamquam aliter et mendosa et depravata in vulgatis codicibus habeantur. Sed et Arabum et Hebraeorum, qui astrologica scribunt, indubitata sententia est, quodcumcque stella sua promiserit posse tamen non evenire et quia materia non idonea sit influxui suscipiendo et quia humana ab arbitrio nostro plurimum dependeant et quia fatum particulare universalioris fati adversantis potestate superetur et quia fato omni potentior et caelo maior divina providentia fieri interdum aliter ordinet, quam ordinaria caeli revolutio erat effectura. Quae cum passim sparsa apud astrologos, tamen simul omnia leges apud Avenazram capite primo libri De nativitatibus.

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Caput II – Auspicationes, quas electiones dicunt, inutiles esse testimonio unius astrologi, ratione et experientia.

1. Iam haec si sint vera, proferat astrologus, quodnam emolumentum ex eius praedictionibus vita consequatur. Respondebit fortasse duplex: alterum ver-

Font.: 12 apud Avenezram – nativitatibus ] cf. Abrah. Avenez. nat. 1 fol. v –M1r Sim.: 5–12 Sed et – De nativitatibus ] cf. rer. praen. 5,11 p. 579 cf. Bonat. tractat. tract.1, cap. 9 [p. 12–13]

16 Respondebit fortasse duplex ]

App. crit.: 6 quodcumque] quocumque WO 8 quia corr. Garin : quare Ω 9 quia tacite corr. Garin : quare Ω omni potentior] omnipotentior O 16 pro vita fortasse scribendum vitae

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sagt:70 »So kann es nicht geschehen, dass der Wissende die individuellen Formen von Dingen vorhersagt, wie auch die Wahrnehmung nicht die individuelle, sondern die allgemeine Form eines wahrnehmbaren Gegenstandes aufnimmt und es ist notwendig, sich bei diesen Dingen auf Annahmen zu stützen. Lediglich diejenigen, die vom göttlichen Wesen behaucht wurden, können individuelle Ereignisse vorhersagen.« 9. Dies sind seine Worte, obschon sie in den allgemein verbreiteten Exemplaren abgewandelt, fehlerhaft und entstellt zu finden sind. Doch auch die Ansicht der arabischen und hebräischen Astrologie-Schriftsteller steht nicht in Zweifel, dass alles, was der Stern eines jeden ankündigt, dennoch auch nicht eintreten könne, sowohl wegen der fehlenden Eignung der Materie zur Aufnahme des Einflusses als auch weil alles Menschliche in hohem Maße von unserem freien Willen abhängig sei oder weil das individuelle Schicksal von der Macht des ihm entgegenwirkenden allgemeinen Schicksals bezwungen werde oder weil die jedes Schicksal beherrschende, dem Himmel überlegene, göttliche Vorsehung das Geschehen bisweilen anders verfügt, als die gewöhnliche Drehung des Himmels es zu bewirken im Begriff stand. Obwohl man dies überall verteilt bei den Astrologen lesen kann, kann man es dennoch alles zusammen bei Ibn Ezra (Avenezra) lesen, und zwar im ersten Kapitel seiner Schrift »Über die Geburten« (De nativitatibus).

Kapitel 2 – Jene Art der Vorhersage, die man Wahlastrologie nennt, ist nutzlos nach dem Zeugnis eines einzigen Astrologen, nach Vernunft und Erfahrung. 1. Sollten diese Vorhersagen nun der Wahrheit entsprechen, so soll der Astrologe deutlich machen, welcher Vorteil sich aus ihnen im Leben ergibt. Er wird

70 Zu dieser sicherlich nicht von Ptolemaios verfassten Schrift vgl. u.a. Gundel / Gundel (1966: S. 211). Pico scheint hier auf die Übersetzung Giovanni Pontanos zurückzugreifen, in der der erste Spruch folgendermaßen lautet (Ps.-Ptol. cent. 1 transl. Pont.): Fieri enim nequit, ut qui sciens est, particulares rerum formas pronunciet: sicuti nec sensus particularem, sed generalem quandam suscipit sensibilis rei formam; oportetque tractantem haec rerum coniectura uti. Soli autem numine afflati praedicunt particularia. Vgl. zu Picos Rückgriff auf die Übersetzung Pontanos auch Akopyan (2018: S. 550) sowie Gentile (1997: S. 482).

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Auspicationes inutiles esse

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um diem et horam doceri, qua auspicari actiones nostras debeamus, ut feliciter fiat, quod facturi sumus; alterum, cum praedicit quod est futurum, unde illa est utilitas, ut, quibus in rebus infelices nos fore cognoverimus, illis abstineamus, contra ea aggrediamur, in quibus felicitatem natalitia nobis hora polliceatur. 2. Sed age, excutiamus utrumque ab eo exordientes, quod primo loco proponebatur, et, quoniam nobis cum astrologis disputatio, utamur his maxime assumptionibus, quae apud eos verissimae existimantur. 3. Aut igitur in re, quam auspicato facturus es, favorabile tibi caelum natalis constellatio fecit aut adversum: si adversum, non prodest auspicatio ex sententia Ptolemaei, quia rem illam infeliciter semper aggredieris et ab ea semper feliciter abstinebis; si favorabile, nulla opus horarum electione, sed tua tibi electio sufficit, quoniam tunc felicissime rem illam aggredieris, cum | te ad illam animus invitabit. Neque enim aliud est esse fortunatum – si fortunatus aliquis est a caelo – quam vim nostram imaginariam, famulam rationis, ita caelitus moveri, ut his et modis et temporibus unumquodque faciendum suscipiamus, quibus quam felicissime votum perfici possit.Quocirca dixit Aristoteles non prodesse fortunato consilium in ea scilicet re, in qua eum natura fortunavit, ne forte alio te consilium distrahat et abducat, quam institutus ille animi impetus te vocabat.

Font.: 10–11 sententia Ptolemaei ] cf. Ps.-Ptol. centil. 6; Ps.-Ptol. centil. 6 transl. Pont. Aristoteles – vocabat ] Arist. EE 8,13 1248a 1–18 Sim.: 9–13 Aut – invitabit ] cf. rer. praen. 5,9 p. 566; Bellant. resp. disp. 2,2 fol. q5r – vocabat ] cf. rer. praen. 5,9 p. 566; Bellant. resp. disp. 2,2 fol. q5r

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14–19 Neque

App. crit.: 1 diem BCorr G : dicit BOβGarin qua αGarin : quam βO 8 verissimae] verissime α 11 quia corr. Garin : quare Ω cf. rer. praen. 5,9 p. 566 14 fortunatus aliquis est] fortunatus est aliquis WO 16 quibus BCorr GGarin : quilibet BOβ 18 fortunavit α : formavit βOGarin

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vielleicht auf zweifache Art antworten: Der eine Vorteil sei es, den korrekten Tag und die Stunde zu erhalten, an dem wir unsere Vorhaben beginnen müssen, damit das, was wir tun wollen, glückt. Der andere Vorteil sei es, wenn er die Zukunft vorhersagt, woraus sich jener Nutzen ergibt, dass wir uns von den Dingen fernhalten, von denen wir erfahren haben, dass sie uns unglücklich machen werden, jene Dinge hingegen unternehmen, bei denen uns unsere Geburtsstunde Glück verheißen hat. 2. Doch wohlan, ich will beides widerlegen, angefangen bei der ersten Feststellung, und will dabei, da ich mit Astrologen streite, von jenen Annahmen besonders Gebrauch machen, die bei ihnen als vollständig wahr gelten. 3. Entweder hat die Stellung der Planeten zur Geburt dir bei der Sache, die du nach Einholen der Vorzeichen unternehmen willst, die Gunst des Himmels in Aussicht gestellt oder Widrigkeiten. Wenn es Widrigkeiten sind, so bringt die Vorhersage nach Ansicht des Ptolemaios keinen Nutzen, da du jene Unternehmung immer mit unglücklichem Ausgang anfangen wirst und dich immer glücklich von ihr fernhalten wirst. Wenn sie indessen günstig ist, so bedarf es keiner Stundenwählerei, sondern deine eigene Wahl wird ausreichend sein, da du jenes Unternehmen dann mit glücklichem Ausgang beginnen wirst, wenn dir der Sinn danach steht. Denn vom Glück begünstigt zu sein bedeutet – wenn überhaupt jemand vom Himmel aus vom Glück begünstigt ist – nichts anderes, als dass unsere Vorstellungskraft, die Dienerin der Vernunft, vom Himmel so in Bewegung gesetzt wird, dass wir unter diesen Bedingungen und zu dem Zeitpunkt alles das zu unternehmen beginnen, wodurch unser Wunsch aufs glücklichste in Erfüllung geht. Aus diesem Grund hat Aristoteles festgestellt, dass einem vom Glück Begünstigten eine Überlegung nicht von Nutzen ist, zumindest nicht auf dem Gebiet, auf dem ihn die Natur mit Glück gesegnet hat, damit nicht deine Überlegung dich

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Franciscus Sfortia

Zoroaster Ninus

Pompeius Caesar Caesar Iustinianus Iulianus

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4. Mitto quod Haly, interpres Ptolemaei, frivolam esse ait et inefficacem hanc partem astrologiae, quae est de electionibus. Mitto fidem ipsam experientiae, qua nulla certior, nulla constantior; ea enim quotidie facit manifestum eos potissimum in suis rebus agendis parum esse felices, qui vanam hanc temporum discretionem observant. Contra longe feliciores, qui ista superstitione reiecta sola electione et prudentia ducibus utuntur. 5. Quis enim nostra aetate fortunatior Francisco Sfortia, qui militari felicitate amplum sibi et florentissimum Insubrium paravit imperium et posteris auctum confirmatumque reliquit? Cui tamen semper omnes astrologi vel odio fuere vel contemptui, nedum eos in suis rebus aut bellicis aut domesticis consiliarios adhiberet. 6. Quis Zoroastre inter antiquos in astrologia, in magicis et in omni superstitione potentior? Et tamen eum in bello et vicit et occidit Ninus, nec astrologus utique nec magus. 7. Pompeius divinatorum responsis plurimam fidem, Caesar nullam adhibebat; illi adversa, huic felix laetaque fortuna. 8. Caesarem Iustinianum exterminatorem, ut vidimus, astrologorum domi et militiae felicissimum quis ignorat? Contra Iulianus imperator, et Christiani nominis inimicus et omnium superstitionum curiosissimus observator, quam brevi, quam infeliciter et vitam amisit pariter et imperium!

Font.: 1–2 Haly – electionibus ] cf. Haly Aven. comment. centil. 2 fol. O1r 12–13 Quis Zoroastre – potentior ] cf. Cic. div. 1,119; 2,52–53; Suet. Iul. 59 13–14 eum – nec magus ] cf. Iustin. 1,1; Aug. civ. 21,14 p. 517,15–19 15 Pompeius – fidem ] cf. Cic. div. 2,24: ille admodum extis et ostentis movebatur 18–20 Iulianus – imperium ] cf. Amm. 25,3,1–25 Sim.: 1–2 Haly – electionibus ] cf. disp. 4,7; rer. praen. 5,9 p. 567 2–6 Mitto fidem ... experientiae – ducibus utuntur ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569 7 Francisco Sfortia ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569; Savon. tratt. 3,3 pp. 345–346 12–14 Quis Zoroastre – nec magus ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569 15–16 Pompeius – fortuna ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569; Bellant. resp. disp. 2,2 fol. q5v 17 ut vidimus ] vide supra disp. 1,79–81 18–20 Iulianus imperator – imperium ] cf. rer. praen. 4,8 pp. 487–488 App. crit.: 2 electionibus] lectionibus α (-e- sscr. Gc ) WO 7 fortunatior] fortunator O

3 enim] idem Garin

5 post contra dist.

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zufällig vom Weg abbringt und in eine andere Richtung drängt als die, in welche dich jener Drang der Seele einlud. 4. Die Tatsache, dass Haly, der Ptolemaios-Kommentator, jenen Teil der Astrologie, der die Wählerei beinhaltet, als albern und wirkungslos bezeichnet, übergehe ich. Auch das Argument, das sich aus der Erfahrung ergibt – und keines ist zuverlässiger als dieses, keines gewisser –, will ich beiseite lassen: Es macht tagtäglich ebendas deutlich, dass besonders diejenigen in ihren Tätigkeiten zu wenig Glück genießen, die diese nichtige Art der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts beachten. Diejenigen hingegen sind bei weitem glücklicher, die jenen Aberglauben verwerfen und sich nur von ihrer Entscheidung und ihrer Klugheiten leiten lassen. 5. Wer wäre nämlich zu unseren Lebzeiten glücklicher als Francesco Sforza? Er hat sich mit Glück bei der Kriegsführung ein großes und blühendes mailändisches Reich erschaffen und es seinen Nachfolgern vergrößert und befestigt hinterlassen. Er jedoch hat alle Astrologen immer entweder gehasst oder zumindest verachtet – davon, dass er sie als Berater in Fragen des Krieges oder der Verwaltung hinzugezogen hätte, kann keine Rede sein.71 6. Wer war in der Antike mächtiger, was die Astrologie, die Magie und allen Aberglauben betrifft, als Zarathustra? Dennoch besiegte Ninos ihn im Krieg und tötete ihn, obwohl er weder Astrologe war noch Magier. 7. Pompeius hat den Prophezeiungen seiner Wahrsager größtes Vertrauen geschenkt, Caesar keines; Pompeius litt unter den Widrigkeiten des Schicksals, Caesar war es freundlich und hold gesinnt. 8. Wer wüsste nicht, dass Kaiser Justinian, der, wie wir sahen, die Astrologen vertreiben ließ, im Krieg und im Frieden vom Glück im höchsten Maße gesegnet war? In wie kurzer Zeit und wie unglücklich hingegen hat Kaiser Julian, ein Feind des Wortes ›Christ‹ und ein besonders aufmerksamer Anhänger allen Aberglaubens, gleichermaßen sein Leben verloren und seine Herrschaft!72

71 Gemeint ist Francesco I. Sforza (1401–1466), der Begründer der Sforza-Dynastie in Mailand; zu seiner Einstellung der Astrologie gegenüber vgl. insbes. Azzolini (2012: S. 65–72), die jedoch zu einem von Picos apodiktischem Urteil abweichenden, differenzierteren Ergebnis kommt und vorsichtig vermutet (ebd.: S. 71): »Francesco Sforza may not have been an active supporter of astrology.« 72 Kaiser Julian (331–363 n. Chr.) genannt Apostata, war ein Nachfolger und Verwandter des Kaisers Konstantin; im Gegensatz zu diesem wandte er sich aber vom – von Konstantin zur Staatsreligion erhobenen – Christentum ab, da er sich heidnischen Kulten und dem neuplatonischen Mystizismus zugehörig fühlte, und versuchte dieses sogar während seiner kurzen Regentschaft (361–363) zurückzudrängen. Er starb während eines Feldzuges nach Persien im Alter von nur 32 Jahren. Zur Stellung der Astrologie in seinem Werk, insbesondere dem Sonnenhymnus, vgl. Papathanassiou (1990).

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9. Possem ego tamen unum aut alterum etiam astrologos doctos et mihi familiares afferre nominatim, quibus fides istius vanitatis, ad quam scilicet vitae rationem instituerant, vel exitio fuit vel detrimento non mediocri; sed nolo homines alioquin bonos infamare et in re veritati non admodum necessaria sanctae amicitiae iura violare. 10. Sed utinam huic quidem patrimonium non abstulisset, illi patriam et vitam, multos spe vana stolidos et insanos, multos timore miseros non effecisset! Ita mea delicta Deus non videat, ut nullos vidi earum rerum magis egenos, quas suis hominibus astrologia promittit, quam qui astrologiae penitus se devoverunt et per eam caeli favorem in horas singulas aucupantur. Mutavit vir quidam magnus mihi notus vitae rationem, facta ex hoc consilio prioris fortunae iactura non mediocri, astrologica maxime spe commonitus, quod in nova professione magnas felicitates caelesti favore esset consecuturus. At vero in ea cum adversam quotidie magis fortunam experiretur, solitus erat dicere a Marte se deceptum nolens illud dicere, quod erat verius, ab astrologica vanitate se deceptum. Idem paulo post obiit morte etiam valde miserabili, quam nec a caelo ipse praeviderat. Parabat enim multa et magna moliebatur, ut qui sibi adhuc longos vivendi fines constituisset. 11. Possem multa hoc genus connumerare, sed refugit animus narrationem earum rerum, quae vix sine lacrimis possum memi | nisse, et, quoniam inciderunt in homines amicissimos, commiserationem exigunt potius a me, quam reprehensionem. Sed utinam haec, dissimulatis nominibus, veterum amicorum invita redar-

Font.: 7–8 mea delicta ] cf. Vulg. psalm. 68,6 App. crit.: 11 facta] factam RC 15–16 morte … miserabili] expectes mortem … miserabilem 296.21–298.1 redargutio] redarguitio GGarin

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9. Ich könnte dennoch den einen oder anderen sogar gebildeten und mir bekannten Astrologen namentlich erwähnen, für den das Vertrauen in diese Schwindelei, nach der er seine Lebensweise ausgerichtet hatte, entweder tödlich ausging oder doch mit nicht unerheblichem Schaden verbunden war; ich habe aber nicht die Absicht, Menschen, die ansonsten rechtschaffen sind, in Verruf zu bringen und wegen einer Sache, die zu einem wahrhaften Urteil geradezu so gut wie nutzlos ist, die Gesetze des heiligen Bandes der Freundschaft zu verletzen. 10. Doch ich wünschte, sie hätte nicht den einen um sein Erbe, einen anderen um Vaterland und Leben gebracht, hätte nicht viele durch falsche Hoffnung zu Narren und Wahnsinnigen gemacht und nicht viele vor Furcht unglücklich werden lassen. So wahr mir Gott helfe: Ich habe niemanden gesehen, der weniger von den Dingen hatte, welche die Astrologie ihren Anhängern in Aussicht stellt, als diejenigen, welche sich der Astrologie gänzlich verschrieben haben und mit ihrer Hilfe die Gunst des Himmels zu jeder Stunde erlangen wollen. Ein bedeutender, mir bekannter Mann änderte seine gesamte Lebensweise und erlitt einen nicht unerheblichen Verlust seines früheren Vermögens, weil er von der Hoffnung, die die Astrologie ihm im höchsten Maße versprach, dazu ermahnt wurde, dass er mit seinem neuen Beruf durch himmlische Gunst großes Glück erreichen werde. Da er jedoch in seinem neuen Beruf tagtäglich in zunehmendem Maße sein Unglück erfahren musste, pflegte er zu sagen, er sei von Mars hinters Licht geführt worden, weil er nicht sagen wollte, er sei vom astrologischen Schwindel getäuscht worden, was der Wahrheit näher gekommen wäre. Derselbe Mann starb kurz darauf eines erbärmlichen Todes, den er selbst nicht vom Himmel vorhergesehen hatte. Denn er hatte noch viel vor und begann große Vorhaben, wie es jemand zu tun pflegt, der für sich noch eine lange Lebensspanne festgesetzt hat. 11. Ich könnte noch viele solche Geschichten erzählen, doch mein Herz scheut sich davor, Dinge zu erzählen, an die ich kaum ohne Tränen zurückdenken kann, und die, da sie Menschen trafen, denen ich in höchstem Maße verbunden bin, eher mein Mitleid einfordern als meinen Tadel. Aber ich habe den Wunsch, dass diese öffentliche Bezichtigung alter Freunde, die ich nur ungern und ohne namentliche

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gutio amicis viventibus prosit, quos per omnia, quae mihi cum illis amicitiae iura intercedunt, per fortunas eorum, per vota felicitatis, admonitos et rogatos etiam atque etiam velim, ne umquam in suis rebus vanitatis istius consilio se committant. Habeant eam, si ita libet, quasi poeticam fabulam, super qua rideant, ludant, iocentur; pro duce, pro magistra vitae non habeant. Sed ubi saluti corporis erit consulendum, medicos consulant; ubi externis prospiciendum, prudentiae et rationis oculis utantur, quorum utrumque divina nos sapientia docet, quae et creatum medicum dicit ab Altissimo ad nostram necessitatem et prudentiam ait homini esse servandam, ut eruatur a via mala. 12. De astrologia nihil tale scriptum invenimus, cuius professionem ita probavimus esse inutilem, ut illi etiam tantum tribueremus, quantum astrologi putant tribuendum. Nam cum erit deinde probatum nihil eam habere veritatis, erit extra omnem controversiam sufficienter demonstratum, quod hic probare sumus conati, periculosissime credi res nostras consilio astrologorum. Quodsi quando ex

Font.: 7–8 creatum – necessitatem ] cf. Vet. Lat. Sirach. 38,1: Honora medicum propter necessitatem etenim illum creavit Altissimus 8–9 prudentiam – via mala ] cf. Vulg. prov. 2,11–12 Sim.: 8–9 prudentiam – via mala ] cf. rer. praen. 8,3 p. 677 corporis BCorr GGarin : corpori BOβ App. crit.: 5 pro duce om. D perspiciendum O 13 demonstratum add. BB BP 14 Quodsi] Et si BB

6 prospiciendum]

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Nennung äußere, meinen Freunden, die noch am Leben sind, von Nutzen sein möge, die ich bei allen Banden der Freundschaft, die mich mit jenen verbindet, bei ihrem Vermögen, ihrem Wunsch, glücklich zu sein, immer und immer wieder bittend ermahnen will, sich niemals in ihren Angelegenheiten dem Rat jener Schwindelei anzuvertrauen. Wenn es ihnen beliebt, sollen sie sie als eine Art Märchen ansehen, über die sie lachen, scherzen und spotten können; als Führerin oder Lehrerin ihres Lebens sollen sie sie nicht hinzuziehen! Sondern sie sollen, wo die körperliche Gesundheit betroffen ist, Ärzte aufsuchen, wo man aber auf Dinge außerhalb des Körpers achten muss, von ihrer Klugheit und der Vernunft ihrer Augen Gebrauch machen: beides lehrt uns die göttliche Weisheit, die da sagt, dass der Arzt vom höchsten Gott zu unserer Notwendigkeit geschaffen wurde und dass der Mensch die Klugheit achten soll, um vom schlechten Weg abzukommen. 12. Über die Astrologie finden wir nichts Derartiges geschrieben, deren Fach wir so als nutzlos bewiesen haben, dass wir ihr nur soviel Glauben schenken, wie die Astrologen selbst es für nötig halten. Denn indem dann der Beweis erbracht sein wird, dass sie nicht auch nur einen Funken Wahrheit besitzt, wird zur Genüge unstrittig sein, was wir hier versuchten zu beweisen, dass es in höchstem Maße gefährlich ist, unsere Angelegenheiten dem Plan der Astrologen anzuvertrauen.

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illorum praedictionibus recte usu accidat, non in rationem, quae nulla sit apud eos, sed in temeritatem casumque esse referendum.

Caput III – Non esse utilem astrologiam in decernendo, quid sit agendum, quid fugiendum.

Prudentia quid sit

1. Alterum, ut supra dicebamus, astrologiae emolumentum fingi potest, ut scilicet eam rem prosequamur, quam nos sequi iusserit astrologus, contra ea fugiamus, quae ille vetat. Quod utique vel superfluum esse vel noxium ita demonstrabimus, nam quod ille praedicit aut ad ea attinet, quae sunt corporis, aut quae externa atque fortuita. 2. In his igitur, quae sunt corporis, si spectant ad valetudinem, quaero astrologi ne iudicio iudicium quoque medici pariter consentiat, an ab eo potius sit diversum. Si idem sentit uterque, nihil tibi confert astrologus, quod medicus solus praestare non possit; si dissentiunt, utri potius, quaeso, putas accedendum? Sane, si medicum repudiando astrologo te committas, insaniae poenas dabis. In agendis rebus similiter interrogo, ne quod astrologia consulit prudentia etiam consulat faciendum, an haec sibi iudicia penitus adversentur? Si consonum, quid quod intra nos est tam procul quaeramus in caelo? Si dissentiunt, quis recte, quis rationabiliter factum defendat, quod in rebus agendis prudentia relinquatur, quae nihil aliud est, quam recta ratio rerum agendarum?

Font.: 18–19 prudentia – rerum agendarum ] cf. Arist. EN 6,5 1140b 4–7; cf. Thom. Aq. summ. 1,2 quaest.56, art.2: prudentia est in ratione, cum sit recta ratio agibilium App. crit.: 1 accidat] expectes veniat 3 astrologiam] astronomiam Garin 7 vetat] expectes vetueris demonstrabimus tacite corr. Garin : demonstravimus Ω 18 Tit. Prudentia quid sit add. in marg. BP

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Wenn jedoch irgendwann etwas von ihren Vorhersagen wirklich einmal korrekt eintritt, so darf man es nicht auf wissenschaftliche Berechnung – die gibt es bei ihnen nicht – zurückführen, sondern auf Unüberlegtheit und blinden Zufall.

Kapitel 3 – Die Astrologie ist nutzlos bei Entscheidungen, was man tun und was man vermeiden muss. 1. Wie oben gesagt, kann man sich einen zweiten Vorteil der Astrologie ausdenken, nämlich dass wir die Sache verfolgen, die uns der Astrologe zu verfolgen empfiehlt, das jedoch vermeiden, was er verbietet. Dass dies entweder überflüssig ist oder sogar schädlich, werden wir entsprechend beweisen, denn das, was jener vorhersagt, bezieht sich entweder auf den Bereich, der zum Körper gehört, oder auf das, was außerhalb des Körpers liegt und dem Zufall unterworfen ist. 2. Bei dem, was zum Körper gehört, frage ich, wenn es sich auf die Gesundheit bezieht, ob auch das Urteil des Arztes mit dem Urteil des Astrologen übereinstimmt, oder ob es vielmehr von diesem verschieden ist. Wenn beide derselben Ansicht sind, so leistet der Astrologe für dich keinen Beitrag, den der Arzt nicht alleine leisten könnte. Wenn beide unterschiedlicher Meinung sind, an wen, bitteschön, glaubst du müsse man sich eher wenden? Ohne Zweifel wirst du, wenn du dich in die Hände des Astrologen begibst und den Arzt zurückweist, für deinen Wahnsinn bestraft werden. Was die Handlungen betrifft, frage ich auch, ob die Klugheit ebenfalls zu der Handlung rät, zu der die Astrologie rät, oder ob sich die Entscheidungen gegenseitig grundsätzlich unterscheiden. Stimmen sie überein, warum suchen wir dann nach dem, was in uns ist, in so weiter Entfernung am Himmel? Und wenn sie voneinander abweichen, wer könnte rechtfertigen, dass es korrekt und vernünftig war, bei Handlungen die Klugheit beiseite zu lassen, die doch nichts anderes ist als die rechte Vernunft bei Handlungen.

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Exemplum in externis

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3. Sed erunt haec exemplis dilucidiora: Praedixerit igitur astrologus Martem tibi hoc anno tritaeum comminari, excitaturum enim bilem ex potestate, quam in annua habet conversione; quare utendum frigidis potius et vitae rationem adversus ardorem Martis instituendam. Hoc ipsum, quod de caelo ipse praenuntiat, aut ipsa quoque signa demonstrabunt, quae a corporis tui dispositionibus petuntur quibusque medicorum nititur coniectura, aut non demonstrabunt: Si demonstrabunt, hoc tibi erit satis indicii ad praecavendam futuram malam valitudinem; si non demonstrent, rogo recte ne factum putes, ut, cum nulla erunt indicia bilis exaestuantis, | sed lotium albicans et crassum, venarum segnes pulsus, facies pallore deformis, membrorum pigricies reliquaque id genus, quibus medici pro notis utuntur, non bilis, sed pituitae dominium indicabunt, tu tamen bilem evacues, quia Martem tibi de caelo astrologus finxerit minitantem. Quid, quod nec prudens tibi astrologus consulet, qui, etiam si de Marte illa vere pronuntiet, potest naturalis tua temperatura, potest universalis ipsius anni dispositio, potest vitae ratio, qua diu usus fueris, ad contrarium te vertisse. 4. Denique causam unam videt astrologus, quae hoc possit efficere, et illam remotam ac universalem. Medicus non modo ex propriis et propinquis iudicat causis, sed rem ipsam percipit sensu et, quod ex omnium simul causarum complexione dissultat ipsa hoc monstrante naturae praesentis evidentia tenet. Mitto, quod qui [etiam] astrologorum iudiciis favent, non ita tamen insaniunt, ut minus illa falli medicorum iudiciis putent.

Sim.: 8–11 nulla – utuntur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 12–15 Quid – vertisse ] cf. rer. praen. 3,7 pp. 461–463 13–15 potest – vertisse ] cf. Ficin. disp. contra iudic. astrolog. p. 19; 31 K 16–17 causam – universalem ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 App. crit.: 5 demonstrabunt] demerabunt WO (demrabunt VDRCF) 6 demonstrabunt] demerabunt WO demonstrabunt] demerabunt WO 8 demonstrent] demonstrarent G 11 non bilis sed pituitae] pituitae non bilis ex. corr. BB quia BF BEC Garin : quare BGOβ 13 quia scripsi : qui ΩGarin illa] fortasse ille scribendum 16 Denique] Denieque G (corr. Gc ) quae] qua O 19 naturae praesentis] natura praesenti Garin (qui dist. post natura) 20 etiam ante qui transferendum putavi (cf. e.g. disp. 9,4) : qui etiam ΩGarin

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3. Doch dies wird durch Beispiele deutlicher werden: Gehen wir einmal davon aus, ein Astrologe hat dir prophezeit, dass Mars dir in diesem Jahr mit einem Drei-Tage-Fieber droht, da er mit seiner Kraft, die ihm bei seinem Jahresumlauf zur Verfügung steht, deine Galle erregen werde; auf Grund dessen müsstest du eher zu kalten Speisen greifen und deine Lebensweise der Hitze des Mars entgegen gerichtet einstellen. Ebendas, was er vom Himmel herab vorhersagt, werden jedoch entweder die Anzeichen selbst anzeigen, die von deiner körperlichen Veranlagung ausgehen und auf die sich die Diagnose der Ärzte stützt, oder sie werden es nicht anzeigen: Wenn sie es anzeigen, wird dir dies als Anzeichen ausreichen, um dich vor einer zukünftigen Krankheit in Acht zu nehmen; zeigen sie es nicht an, so frage ich, ob du es dennoch für richtig hältst, dass du, obwohl es keine Anzeichen aufwallender Galle gibt, sondern weißlich dicker Urin, ein langsamer Pulsschlag, ein vor Blässe entstelltes Gesicht, Trägheit der Glieder und anderes Derartiges, was die Ärzte als entsprechende Anzeichen betrachten, eine Vorherrschaft des Schleims (Phlegma) anzeigen, Galle abführst, weil Mars, wie es sich ein Astrologe ausgedacht hat, vom Himmel herab droht? Diesen Ratschlag wird dir ein kluger Astrologe auch nicht geben, da dich, selbst wenn er mit jener Vorhersage Mars betreffend Recht hat, dein natürliches Temperament, die generelle Beschaffenheit des Jahres an sich, dein Lebenswandel, den du lange pflegtest, zum Gegenteil gewendet haben kann. 4. Zu guter Letzt sieht der Astrologe nur eine Ursache, die dies bewirken kann, und zwar eine entfernte und allgemeine. Der Arzt aber fällt sein Urteil nicht nur anhand von speziellen und naheliegenden Ursachen, sondern erfasst die Sache selbst mit seiner Wahrnehmung und greift auf das Resultat des Zusammenspiels aller gleichzeitigen Ursachen zurück, welches ihm die gegenwärtige Natur mit ihrer Offensichtlichkeit selbst zeigt. Was soll man sonst dazu sagen, dass selbst diejenigen, die den Urteilen der Astrologen ihr Ohr leihen, nicht dermaßen von Sinnen

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5. Proponamus simile exemplum in tractatione rerum externarum: ut principi scilicet consulat mathematicus, ne bellum ineat cum inimicis, quoniam Mars ei parum propitius sit. Quaero, utrum quo tempore hoc illi dederit consilium nulla iusta causa bellandi principi sit, aut, si causa bellandi, nulla tamen occasio opportunitasque vincendi; an potius et bellandi iusta causa non desit et ad victoriam omnia suppetant instrumenta. Si dederis primum, iure non bellabit, sed sola duce prudentia, si sileat etiam omnino mathematicus. Si secundum, nec ipse utique astrologus, si non sua intersit, abstinendum bello iudicabit; et, si abstineat, quid erit aliud, quam sensum et evidentiam ob rationem coniecturamque relinquere?

Font.: 9 ob rationem coniecturamque ] cf. Cic. div. 2,42 App. crit.: 6–7 duce] ducis fortasse scribendum

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sind, dass sie glauben, jene könnten sich weniger täuschen als die Ärzte in ihrem Urteil? 5. Ein ähnliches Beispiel will ich bei der Abhandlung der nicht-körperlichen Dinge anführen, nämlich, dass ein Astrologe seinem Fürsten den Rat gibt, keinen Krieg mit seinen Feinden anzufangen, da Mars ihm zu wenig gewogen sei. Ich stelle die Frage, ob der Fürst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Astrologe ihm diesen Ratschlag gibt, keinen guten Grund zum Kämpfen hat, bzw., wenn er doch einen guten Grund hat, dann zumindest keine günstige Gelegenheit, einen Sieg zu erringen; oder fehlt es vielmehr gar nicht an einem guten Grund und es stehen alle Mittel zum Sieg zur Verfügung? Geht man vom ersten aus, wird der Fürst zu Recht keinen Krieg führen, sondern nur auf Anraten der Klugheit, selbst wenn der Astrologe gänzlich dazu schweigt. Im zweiten Fall wird freilich nicht einmal der Astrologe selbst urteilen, man dürfe keinen Krieg führen, es sei denn, es liegt in seinem Interesse; und wenn der Fürst keinen Krieg führt, was wird das denn anderes sein, als seine augenscheinliche Sinneswahrnehmung zu Gunsten von methodischer Berechnung und Vermutung beiseite zu lassen.

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Opinio Rogeri Bacconis et Petri Alliacensis Prima ratio Petri

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Caput IV – Non esse astrologiam religioni utilem, quod Rogerius Bacon et Petrus Alliacensis existimarunt. 1. At si vitae inutilis est, an religioni utilis fortasse? Quod putasse videtur et Rogerius Bacon et Petrus Alliacensis atque hic quidem duplici maxime ratione: 2. Altera, quod ex magnarum quas vocant coniunctionum astrologica supputatione haberi veritas possit de numero annorum ab Adam ad Christum, de quibus inter ecclesiasticos codices tanta sit concertatio; altera, quod confirmari prophetarum possint oracula, si illorum praedictionibus astrologicae quoque praedictionis testimonium adiciatur. Nam, cum omne verum omni vero sit consonum, necessario verum astronomicae scientiae theologicae veritati esse concordem, quin immo prae omnibus aliis scientiis illi veluti ancillam dominae subservire, cum invisibilia Dei per ea, quae facta sunt, visibilia conspiciantur. Nihil sit autem inter illa caelo

Font.: 5–7 altera – concertatio ] Petr. Alliac. vigintiloq. 1 7–9 altera – adiciatur ] Petr. Alliac. vigintiloq. 5; cf. Petr. Alliac. elucid. 1 306.9–308.2 cum omne verum – annuntiat firmamentum ] cf. Petr. Alliac. vigintiloq. 1 omne verum omni vero sit consonum ] cf. Arist. EN 1,8 1098b 11–12: τῷ μὲν γὰρ ἀληθεῖ πάντα συνᾴδει τὰ ὑπάρχοντα 11–12 invisibilia Dei – visibilia conspiciantur ] cf. Vulg. Rom. 1,20: Invisibilia enim ipsius a creatura mundi per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur Sim.: 5–6 Altera – Christum ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 p. 550

7–9 altera – adiciatur ] cf. rer. praen. 5,7

App. crit.: 2 existimarunt] duplici ratione existimarunt F eidem) 12 sit] expectes esse

11 illi] illa Garin (sed cf. Vigintiloq. 1:

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Kapitel 4 – Die Astrologie hat keinen Nutzen für die Religion, wie Roger Bacon und Pierre d’Ailly glaubten. 1. Doch wenn sie für das Leben nicht nützlich ist, ist sie vielleicht für die Religion nützlich? Dies scheint sowohl Roger Bacon geglaubt zu haben als auch Pierre d’Ailly, und dieser insbesondere auf zweifache Weise: 2. Zum einen könne man aus der astrologischen Berechnung der sogenannten großen Konjunktionen die wahre Anzahl der Jahre von Adam bis Christus berechnen, über die in den kirchlichen Schriften so große Uneinigkeit besteht.73 Zum anderen könne man die Weissagungen der Propheten bestätigen, wenn man ihren Weissagungen auch das Zeugnis astrologischer Vorhersagen hinzufüge. Da nämlich jede Wahrheit mit jeder anderen Wahrheit übereinstimme, sei notwendigerweise die Wahrheit der astronomischen Wissenschaft mit der der theologischen Wahrheit übereinstimmend.74 Vielmehr diene die Astronomie der Theo-

73 Zum Begriff der Konjunktion (Lat. coniunctio), also der »scheinbare[n] Berührung zweier Himmelskörper auf derselben ekliptikalen Länge« (Heilen 2015: S. 750) vgl. Heilen (2015: S. 749–759) sowie Bouché-Leclercq (1899: S. 245f.). Antike Belegstellen finden sich z.B. bei Ptol. apotel. 1,24 sowie Porph. isag. 11, pp. 198,26–-199,6 Boer / Weinstock. Als astrologisch besonders bedeutend galten die auf Grund der langsamen Umlaufzeiten nur alle 20 Jahre und somit verhältnismäßig selten stattfindenden Konjunktionen der beiden ›oberen‹ Planeten, Jupiter und Saturn. Je nachdem, welchem der vier Elemente das Sternbild zugeordnet ist, in welchem sich die Konjunktion ereignet, ergibt sich neben der großen Konjunktion (magna coniunctio) eine Folge von 240 Jahren (maior coniunctio), in der alle Konjunktionen in Zeichen stattfinden, die demselben Element zugeordnet sind, bzw. von 960 Jahren (maxima coniunctio), wenn nach Durchlaufen der Konjunktionen aller Zeichen aller vier Elemente ein universeller Neubeginn ansteht; vgl. hierzu insbesondere Smoller (1994: S. 21–23) sowie North (1980: S. 185–187). 74 Bei der Aussage omne verum omni vero sit consonum handelt es sich um ein abgewandeltes Aristoteles-Zitat (EN 1,8 1098b 11–12), wo es heißt: τῷ μὲν γὰρ ἀληθεῖ πάντα συνᾴδει τὰ ὑπάρχοντα. Entsprechend lautet die lateinische Variante in der Averroes-Ausgabe (Opera 3, p. 10r ): Cum vero enim consonant omnia, quae in re insunt… Dass der Spruch allerdings ebenfalls in der von Pico zitierten abgewandelten Form der Autorität des Aristoteles zugeschrieben wurde, beweisen u.a. die Auctoritates Aristotelis (ed. Hamesse 1974: S. 233), wo die Aussage in der Form Omnia vera vero consonant überliefert ist. Pierre d’Ailly, Picos Quelle an dieser Stelle, schreibt (vigintiloq. 1): quia secundum philosophum omne verum omni vero consonat necesse est veram astronomie scientiam sacre theologie concordare. Quippe cum etiam eidem tamquam domine ancilla debeat pre ceteris scientiis subservire. Cuius ratio est, quod teste apostolo Invisibilia dei a creatura mundi per ea que facta sunt intellecta conspiciuntur sempiterna quoque eius virtus et divinitas. Sed inter omnes creaturas visibiles celestia corpora de quibus astronomia considerat sua multitudine ac magnitudine suorumque motuum et influentiarum mira varietate variaque virtute in dei cognitionem et admirationem maxime nos inducunt, propter quod merito ait psalmista: Celi enarrant gloria dei et opera manuum eius annunciat firmamentum. und verweist somit, im Gegensatz zu Pico, auf Aristoteles, der – scholastischer Tradition entsprechend – antonomastisch als ›der Philosoph‹ (philosophus) bezeichnet wird.

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nobilius, unde illud Davidicum: »Caeli enarrant gloriam Dei et opera manuum eius annuntiat firmamentum«. 3. Quam ipse opinionem quasi opere comprobaturus opusculum scribit per viginti theoremata, quae vocat ›verba‹, distinctum, in quo plane tot errata, quot verba; titulus est De concordia astrologiae et theologiae, quasi non legerit Paulum exclamantem: »quae societas luci cum tenebris? aut quae participatio Christi cum Belial?« Nititur autem in eo opere duo illa efficere, quae dicebamus, ut scilicet, quae prophetae afflati divinitus praedixere, caelesti etiam constellatione ostendat praesignata; tum, ut annorum ab Adam ad Christum computatio ex astrologorum dogmatis investigetur. 4. Adicit alterum huic opusculum De | concordia astronomiae et historiae, in quo septem a mundi exordio coniunctiones maximas notans ad illas nititur referre,

Font.: 1–2 Davidicum – firmamentum ] cf. Vulg. psalm. 18,2 5–7 Paulum exclamantem – Belial ] cf. Vulg. 2 Cor. 6,14–15 Sim.: 5–7 Paulum exclamantem – Belial ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 App. crit.: 2 annuntiat B(anu-)VWCFO (cf. Petr. Alliac. vigintiloq. 1) : aununtiat GR : anuntiant BP : nunciat Garin

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logie sogar vor allen anderen Wissenschaften wie eine Dienerin ihrer Herrin, da das unsichtbare Wesen Gottes anhand dessen, was erschaffen wurde, als sichtbar wahrgenommen wird. Unter diesen wiederum sei nichts vornehmer als der Himmel, woher jener Ausspruch Davids rühre: »Die Himmel künden den Ruhm Gottes und das Firmament erzählt von der Arbeit seiner Hände.« 3. Er schrieb, als hätte er die Absicht gehabt, diese Meinung selbst in einer Schrift zu bestätigen, eine kleine Abhandlung, die in 20 Lehrsätze, die er als »Worte« (verba) bezeichnet, eingeteilt ist; darin finden sich offensichtlich ebenso viele Irrtümer wie ›Worte‹.75 Sie trägt den Titel »Über die Übereinstimmung von Astrologie und Theologie«76 , als hätte er nicht Paulus gehört, der ausruft: »Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Oder welche Teilhabe Christus mit Belial?« Er bemüht sich aber in diesem Werk jene zwei bereits genannten Ziele zu erreichen, nämlich einerseits zu zeigen, dass das, was die Propheten in göttlicher Eingebung prophezeit haben, bereits von einer Stellung des Himmels vorgezeichnet sei; andererseits will er zeigen, dass die Berechnung der Jahre von Adam bis Christus anhand der Lehren der Astrologen angestellt werden kann. 4. Dieser Abhandlung stellt er eine zweite »Über die Übereinstimmung von Astronomie und Geschichte« an die Seite, in der er die sieben großen Konjunktio-

75 Es handelt sich hierbei um ein Wortspiel mit der Bezeichnung ›verbum‹, die sowohl das normale Wort als auch den Lehrsatz (wie bei Pierre d’Ailly) bezeichnen kann. Gegenüberstellungen nach der Art »so viele ... wie Worte« finden sich häufiger insbesondere bei spätantiken Schriftstellern, so z.B. bei Cassiodor (inst. 1,16,2) sowie Hieronymus (Hier. epist. 53,8): Apocalypsis Ioannis tot habet sacramenta, quot verba. 76 Gemeint ist das bereits erwähnte, 1414 verfasste Vigintiloquium, welches den Titel trägt: Vigintiloquium de concordia astronomicae veritatis cum theologia; vgl. hierzu Smoller (1994: S. 104–105).

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Causa erroris Alliacensi

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quae mediis temporibus magna et mirabilia ex historiis colliguntur, astrologorum hinc dogma confirmaturus, qui ex magnis illis coniunctionibus magnas semper in rebus humanis et legum et regnorum fieri volunt mutationes. 5. Et quidem optarem scripsisse illum potius, quae mihi laudanda essent, quam confutanda, quoniam ut ingenium habentem ad litteras amo et personam veneror, quam in ecclesia gessit! 6. Sed forte illi etiam rem facturus sum gratam, si, quod parum caute et vere se profuturum scripsit ecclesiae, cum et falsum et noxium proculdubio inveniatur, iusta hac redargutione, quantum erit in nobis, obliteretur. 7. Duxit autem hominem alioquin doctum in hunc errorem ignorantia potissimum astronomiae: quam cum post studia theologiae, in quibus in celeberrima Parisiensi academia se exercuerat, coepisset iam senex paululum degustare, allectus est magnifica illa specie istius artis de maximis disserentis et quae in primis humana curiositas scire desiderat; et, priusquam eo pervenisset, ut infirmitatem dogmatis profunda examinatione deprehenderet, scripsit properanter nimis duo illa opuscula, de quibus factus paulo peritior retractavit deinde multa in eo libello, quem vocat Elucidarium, cum tamen in eo multae sint tenebrae. Quos omnes libellos si quis legat rudis astronomiae, tanto magis mirabitur, quanto minus intelliget; sed qui vel mediocriter in ea arte profecerit, eum potius scriptorem quam astrologum fuisse iudicabit et, quaecumque dicit, potius lecta ab eo quam medulitus intellecta.

Font.: 7–8 se profuturum scripsit ecclesiae ] cf. Petr. Alliac. vigintiloq. 2 Sim.: 16–17 de quibus – tenebrae ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 App. crit.: 4 et quidem] equidem fortasse scribendum 5 habentem BCorr G : habens BOβGarin 7 quod] quid WOGarin 13 disserentis αVWFO : differentis R : differentiis C 15 profunda BCorr GGarin : profanda BOβ

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nen seit Entstehung der Welt aufzählt, und den Versuch unternimmt, die seitdem von der Geschichtswissenschaft gesammelten großen und erstaunlichen Ereignisse auf sie zurückzuführen;77 auf diese Weise versucht er, die Lehre der Astrologen als gültig zu erweisen, die ja anhand jener großen Konjunktionen immer auch die Änderungen von Religionen und politischen Herrschaften im menschlichen Leben erklären wollen. 5. Sicherlich würde ich mir zwar wünschen, er hätte lieber etwas verfasst, was ich loben kann, als etwas, was ich widerlegen muss, da ich ihn für seine literarische Begabung liebe und die Rolle, die er in der Kirche spielte, verehre. 6. Aber vielleicht werde ich ihm sogar einen Gefallen erweisen, indem ich das, was er mit mangelnder Vorsicht und Wahrheit geschrieben hat, nämlich dass er der Kirche von Nutzen sein werde, nach besten Kräften mit einer gerechtfertigten Widerlegung auslösche, weil es sich zweifellos als unwahr und schädlich zugleich herausstellt. 7. Den ansonsten gelehrten Mann hat jedoch insbesondere seine Unwissenheit auf dem Gebiet der Astronomie zu diesem Fehler verleitet: Nachdem er von dieser erst in hohem Alter nach seinem Theologiestudium, welches er in der hochberühmten Akademie zu Paris betrieben hatte, Kostproben zu nehmen begonnen hatte, wurde er von jenem großartigen Schein dieser Wissenschaft in den Bann gezogen, die die größten Fragen abhandelt und das, was die menschliche Neugierde vor allem anderen zu wissen wünscht; und er verfasste, bevor er an den Punkt kam, die Schwäche der Lehre durch tiefgehende Untersuchung aufzudecken, allzu hastig jene zwei kleinen Abhandlungen; als er dann auf diesem Gebiet später ein wenig mehr Erfahrungen gesammelt hatte, überarbeitete er viele Punkte aus diesen Abhandlungen erneut in jener Schrift, die er »Erleuchtung« (Elucidarium) nennt, obwohl in ihr viel Finsternis ist.78 Liest jemand, der der Astronomie nicht

77 Gemeint ist der 1414 entstandene Traktat »Von der Übereinstimmung der astronomischen Wahrheit und der historischen Darstellung« (De concordantia astronomie veritatis et narrationis historice). Im Prolog dieses Werkes heißt es unter anderem (Petrus Alliacensis 1490: r ): Ad tractatum nostrum de concordantia astronomie et theologie hunc secundum de concordia astronomice veritatis et narratione hystorice superaddere decrevimus … non quidem hystoriam omnimodam texendo, sed notabiliora hystoriarum gesta et cronicarum tempora coniunctionibus adaptando. 78 Der Titel Elucidarium lässt sich im Deutschen als »Erleuchtung« oder »Aufklärung« wiedergeben; das dazugehörige Verbum elucidare findet sich beispielsweise in der Bibel (Sirach 24,31). Der Titel nimmt seinerseits Bezug auf den im 11. Jahrhundert entstandenen Dialogus de summa totius christianae theologiae des Honorius Augustodunensis, eine weit verbreitete Gesamtdarstellung der Theologie. Entsprechend erklärt sich das Wortspiel.

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312 Unde sumpserit sua dogmata Detegitur Alliacensis ignorantia

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8. Fere autem quaecumque scribit ex Rogerio Bacone, Abraham Iudaeo, Henrico Macliviensi, Albumasareque et Summa nescio qua Ioannis cuiusdam Britanni ad verbum accipiuntur. Quod ipse autem esset avidior tantum et parum peritus rerum astronomicarum, vel hinc potest cognosci, quod in ipso Elucidario, quod est eius opus emendatissimum, cap. XI ait fuisse nos, cum illa scribebat, anno scilicet Christi quarto supra millesimum et quadringentesimum in aerea triplicitate futurosque per annos adhuc unum et sexaginta, donec scilicet super mille et quadringentos quintus et sexagesimus annus ageretur. Tunc igitur futuram magnam Saturni et Iovis coniunctionem cum ab aerea ad aqueam triplicitatem mutatione. 9. Ea vero mutatio per annos fere quadraginta praecesserat, anno scilicet Christi quinto et sexagesimo supra mille atque trecentos, quo tempore, die nona atque vigesima mensis Octobris, in septima parte Scorpionis Saturnus et Iuppiter simul fuerunt, et deinceps in aqueis semper

Font.: 4 Elucidario ] cf. Petr. Alliac. elucid. 11 Sim.: 1–3 Fere autem – accipiuntur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 4–10 in ipso – mutatione ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 11 Ea vero – praecesserat ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 anno scilicet – se coniunxerunt ] cf. disp. 5,6 App. crit.: 2 Albumasareque] Albumanasareque WO qua BVW RFO : quam BEC GC (sed cf. disp. 2,8,6; 4,4,7; rer. praen. 5,7 p. 550) 3 avidior α : auditor βOGarin 5 XI] II O 6 Christi om. O quadringentesimum Garin : quadragentesimum Ω 7 annos] annum Garin 9 coniunctionem] conuunctionem Garin

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kundig ist, alle diese Bücher, wird er sie umso mehr bewundern, je weniger er sie versteht; wer aber auch nur mittelmäßige Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht hat, wird zu dem Urteil kommen, dass Pierre d’Ailly eher ein Schriftsteller als ein Astrologe war und dass er alles, was er sagt, eher gelesen als tiefgehend verstanden hat. 8. Beinahe alles, was er schreibt, ist indessen wörtlich von Roger Bacon, Abraham Iudaeus79 , Heinrich von Mechelen80 , Abū Ma῾šar und aus der Summa eines gewissen Johannes von Britannien entnommen.81 Dass er selbst aber lediglich ziemlich versessen auf astronomisches Wissen war und auf diesem Gebiet allzu wenig kundig, kann man auch daran erkennen, dass er im Elucidarium selbst – es handelt sich hierbei um sein fehlerhaftestes Werk – im 11. Kapitel behauptet, wir befänden uns zur Zeit der Abfassung im Jahre 1404 nach Christi Geburt in der Triplizität der Luft und würden uns noch 61 Jahre lang in ihr befinden, nämlich bis zum Jahr 1465. Dann aber werde es mit dem Übergang von der Triplizität der Luft zur Triplizität des Wassers eine große Konjunktion der Planeten Saturn und Jupiter geben.82 9. Dieser Übergang war jedoch bereits ungefähr 40 Jahre früher eingetreten, nämlich im Jahre 1365 nach Christi Geburt, als Saturn und Jupiter am 29. Oktober auf 7° Skorpion in Konjunktion standen und seitdem bis zur heutigen Zeit immer in Zeichen in Konjunktion traten, die dem Element Wasser zugeordnet sind.83 79 Gemeint ist Abraham Ibn Ezra (lat. Avenezra (1089–1164)), ein in Toledo geborener, jüdischer Verfasser mystischer, philosophischer und astrologischer Traktate. Zu Ibn Ezra und zur Verwechslung mit Abraham bar-Hija vgl. Steinschneider, Moritz: Abraham Judaeus – Savasorda und Ibn Esra. Zur Geschichte der mathematischen Wissenschaften im 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Mathematik und Physik 12, 1867, S. 1–44. Zu Ibn Ezra als Quelle für Pierre d’Ailly vgl. Smoller (1994: S. 53 und 72). 80 Gemeint ist Henrik Bate von Mechelen (Lat. Henricus Batensis bzw. Macliviensis), ein Mathematiker, Philosoph, Astronom und Astrologe der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Er übersetzte u.a. Werke von Ibn Ezra und Abū Ma῾šar und verfasste selbst astronomische Tafeln, die sog. Tabulae mechlinenses, die wohl um 1290 entstanden; vgl. hierzu North (1989). 81 Gemeint ist Johannes von Eschenden (Lat. Ioannes Eschuid), dessen Summa astrologiae iudicialis de accentibus mundiquae anglicana vulgo nuncupatur (Venedig: Ioannes L. Santritter, 1489) Pierre d’Ailly intensiv als Quelle für sein Elucidarium heranzieht, um frühere Fehler zu verbessern. Vgl. hierzu Smoller (1994: S. 96) sowie Smoller (1998: S. 211–240 [insbes. 220f.]). Vgl. zu Johannes von Eschenden auch Thorndike (1934: S. 325–346). 82 Vgl. Petr. Alliac. elucid. 11 (fol. v ): fuit ibi mutatio triplicitatis terre in aeream, in qua triplicitate adhuc ad presens sumus et erimus in eius participatione et significatione usque ad annos 1465, vel circa. et ibidem tunc erit coniunctio eorum et etiam mutatio triplicitatis aeree in aquaticam… 83 Eine moderne Nachberechnung mit Hilfe der Software swissephemeris ergibt eine Konjunktion dieser beiden Planeten am 25. (!) Oktober des Jahres 1365 auf 7° Skorpion. Johannis de Muris schreibt in einem Brief an Papst Clemens VI. (Duhem 1954: (IV) S. 35–37), die Konjunktion sei am 30. Oktober eingetreten. Dass es sich bei der für das Jahr 1465 bei Ailly beschriebenen Konjunktion auch um eine Verwechslung handeln könnte, da er im Kapitel zuvor die Konjunktion des Jahres 1365 und deren Auswirkungen umfassend beschreibt (Petr. Alliac. Elucid. 10 fol. r ): fuit etiam alia … in anno domini 1365 in 8 gradu scorpionis…, scheint unwahrscheinlich, da er von einem

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signis ad haec usque tempora se coniunxerunt. Noster vero Alliacensis, quod per centum fere annos ante contigerat, futurum adhuc praestolabatur. 10. Alteram autem utilitatem, quam ex astrologia idem putavit provenire, de vero scilicet annorum numero colligendo, abundanter refellimus eo libro, quem De vera temporum supputatione conscripsimus, quamquam, si iuvaret rempublicam Christianam hac parte astrologia, non ad eam spectaret, quam hic confutamus, in futurorum praedictione versantem, sed ad veram astronomiam, quae una est ex liberalibus disciplinis, cuius est tempora supputare et siderum motus mathematica ratione metiri. 11. Sed non hic locus confutandi eius errores, quod sequentibus libris sumus facturi. Ibi enim, quod attinet ad concordiam philosophiae et theologiae, ostendemus, quae a prophetis enuntiata sunt, a caelo nec fieri nec significari atque ita, si vera etiam sit astrologia, praedictionem | tamen earum rerum ad eam non pertinere. Qui vero, quatenus quidem supra naturam sunt, eximunt a caelo, quatenus autem naturale aliquid est in eis, et fieri a caelo et praevideri per caelum contendunt, hos ostendemus nihil dicere, cum dicere aliquid tamen videantur, tantum autem abesse, ut prophetica oracula per astrologorum decreta utiliter confirmentur, ut nihil fieri possit ad infirmandam religionem potentius et efficacius; tum, qui hoc facere sunt conati et mendaces, semper esse deprehensos et imperitos astronomiae, tum historica professione plurimum aberrare.

Sim.: 6–10 si iuvaret – metiri ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 4–5 11 sequentibus libris ] cf. disp. 4,12 et saepius

7–10 non ad eam – metiri ] cf. prooem.

contigerat] contingerat G App. crit.: 2 quod] cum corr. (non liq.) BP fortasse scribendum astrologiae 21 tum BCorr G : tamen BOβ

12 pro philosophiae

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Unser Freund Pierre d’Ailly allerdings wartete darauf, dass ein Ereignis eintrete, welches sich bereits ungefähr 100 Jahre früher ereignet hatte. 10. Den zweiten Nutzen, der sich nach Meinung desselben Mannes aus der Astrologie ergebe, nämlich die wahre Berechnung der Jahre, habe ich ausführlich in jener Schrift, die ich »Über die wahre Berechnung der Jahre« (De vera temporum supputatione) verfasst habe, widerlegt. Gleichwohl, wenn er dem Christentum durch diesen Teil der Astrologie helfen würde, würde er sich nicht auf jene Astrologie beziehen, die ich hier widerlege, die sich mit der Vorhersage zukünftiger Ereignisse beschäftigt, sondern auf die wahre Astronomie, die zu den freien Künsten gehört84 : Ihre Aufgabe ist es, die Zeiten zu berechnen und die Bewegungen der Gestirne mathematisch zu berechnen. 11. Doch dies ist nicht der Ort seine Irrtümer zu widerlegen, was ich in den folgenden Büchern in Angriff nehmen werde. Denn dort werde ich die Übereinstimmung von Philosophie und Theologie betreffend zeigen, dass die Verkündigungen der Propheten vom Himmel weder bewirkt noch angezeigt werden, und die Vorhersage solcher Dinge, auch wenn die Astrologie wahr wäre, daher dennoch nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehören würde. Diejenigen aber, die diese Ereignisse, insofern sie über die Natur hinausgehen, von der Kraft des Himmels ausnehmen, insofern aber etwas Natürliches an ihnen ist, behaupten, dies werde vom Himmel bewirkt und angezeigt, reden, wie ich zeigen werde, nur Nichtiges, obwohl sie den Anschein erwecken, etwas Stichhaltiges zu sagen, und ich werde zeigen, dass die Vorhersagen der Propheten so weit davon entfernt sind, durch die Lehrsätze der Astrologen wirksam bestätigt werden zu können, dass keine Behauptung mächtiger und wirksamer sein könnte, um die Religion zu schwächen; des Weiteren werde ich zeigen, dass diejenigen, die dies versuchten, zwar immer auch der Unwahrheit überführt wurden und der Ahnungslosigkeit auf dem Gebiet der Astronomie, dass sie jedoch am meisten Fehler auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft machen.

zukünftigen Ereignis spricht. An besagter Stelle beschreibt er auch die Rückläufigkeit der beiden Planeten, welche Einfluss auf das Trigon habe, in welchem die Konjunktion stattfand. Vgl. hierzu auch Smoller (1994: S. 109). 84 Gemeint sind die septem artes liberales, die aus den drei Fächern (sog. Trivium) Dialektik, Rhetorik und Grammatik sowie den vier Fächern (sog. Quadrivium) Musikwissenschaft, Arithmetik, Geometrie und eben der Astronomie bestehen.

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12. In universum autem non solum quod ad leges et divina miracula pertinet, sed ad alias et humanarum rerum mutationes, quas ex magnis, ut dicunt, coniunctionibus praenuntiare multi voluerunt, ibi eorum vanitatem et falsitatem dogmatis aperiemus, ubi nobis cum Albumasare auctore illius erroris, cum Henrico eius interprete, cum Abraam Israelita, cum Ioanne Oxoniensi erit pro veritate certatio. Alliacensis librum, in quo idem facere voluit, De concordia scilicet astrologiae et historiae narrationis, ita a capite totum retexemus, ut a prima illa, quam notat, coniunctione ad postremam usque decurrentes ubique et de caelestibus pariter et de terrenis nihil ab eo sanum aut veritati proximum dictum ostendamus neque unam ex illis septem, quas notat, coniunctionibus, quo putat, tempore contigisse, sed ab ipsa temporum, hoc est rerum gestarum, enarratione ac vera supputatione magnopere esse diversam. 13. Sed videamus et illa, quae postea afferebat, an aliquid faciant, vera scilicet omnia invicem consonare et caelos Dei gloriam enarrare. Sane illud primum verissimum est, sed ita erat deinde assumendum, cum falsa sit astrologia, theologicae veritati non posse concordare. Davidicum testimonium Paulus apostolus

Font.: 13–14 quae postea – enarrare ] Petr. Alliac. vigintiloq. 1 vera – consonare ] cf. Arist. EN 1,8 1098b 11–12 14 caelos – enarrare ] cf. Vulg. psalm. 18,2 (iuxta LXX): Caeli enarrant gloriam Dei et opera manuum eius adnuntiat firmamentum 316.16–318.1 Paulus – referendum ] cf. Vulg. Rom. 10,18 Henrico BCorr G : Hiero Bβ : Hieron. O 5 OxoApp. crit.: 4 Albumasare] Albumasere WR niensi] Exoniensi WFO 7 historiae] historicae Garin (fortasse recte?)

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12. Im Allgemeinen will ich dort aber nicht nur, was die Religionen und göttlichen Wunder betrifft, sondern auch was die anderen Veränderungen im menschlichen Leben angeht, die viele anhand der sogenannten großen Konjunktionen vorhersagen wollen, ihre leeren Behauptungen und die Nichtigkeit ihrer Lehre aufzeigen, wo ich mit Abū Ma῾šar, dem Begründer jener Irrlehre, mit seinem Erklärer Heinrich von Mecheln, mit Abraham dem Israeliten85 und mit John von Oxford86 um die Wahrheit streiten werde. Das Buch von Pierre d’Ailly, in welchem er genau das beweisen wollte, »Über die Übereinstimmung der Astrologie und der Darstellung der Geschichte«87 , werde ich von Beginn an komplett aufwickeln, um zu beweisen, dass er, wenn man von der ersten Konjunktion, die er aufzählt, bis zur letzten alles durchgeht, an keiner Stelle über die himmlischen wie über die irdischen Dinge gleichermaßen irgendetwas Zutreffendes oder auch nur der Wahrheit Nahekommendes äußert; außerdem, dass keine von den von ihm erwähnten großen Konjunktionen zu dem Zeitpunkt sich ereignet hat, an dem er es glaubt, sondern dass jede in hohem Maße abweicht von der Darstellung und korrekten Berechnung der Zeitgeschehnisse, also derjenigen der Geschichtsschreibung. 13. Doch wir wollen auch prüfen, ob das als Argument überzeugt, was er später anführt, dass alle Wahrheit gegenseitig übereinstimme und die Himmel den Ruhm Gottes verkünden.88 Jenes erste ist freilich zutreffend, doch man hätte dann davon ausgehen müssen, dass die Astrologie, da sie nicht wahr ist, mit der Wahr-

85 Gemeint ist der jüdische Schriftsteller Abraham Ibn Ezra; zu seiner Rolle als Vorbild für Pierre d’Ailly vgl. Smoller (1994: S. 53 bzw. 72 [mit Anm. 73]). 86 Gemeint ist der bereits erwähnte Johannes von Eschenden, der insbesondere in Oxford tätig war; vgl. hierzu sowie zu seinem Nachwirken u.a. Carey (1992: S. 73–76). 87 Gemeint ist die 1414 verfasste Concordia astronomice veritatis et narratione hystorice (so der Titel in der Ausgabe Venedig 1489). Eine genauere Darstellung dieses Werkes bietet Smoller (1994: S. 66–69) unter dem Titel Concordantia astronomie cum hystorica narratione. 88 Pico bezieht sich an dieser Stelle auf das Verbum primum des Vigintiloquiums, also der (zeitlich) ersten der drei großen Schriften Pierre d’Aillys, welche sich mit der Theorie der großen Konjunktionen auseinandersetzen (vgl. Smoller 1994: S. 62–66). An dieser Stelle heißt es (Petr. Alliac. vigintiloq. 1, fol. v ): quia secundum philosophum omne verum omni vero consonat necesse est veram astronomie scientiam sacre theologie concordare … merito ait psalmista: Celi enarrant gloriam dei et opera manuum eius annunciat firmamentum. Die zeitliche Einordnung postea scheint sich also auf die Reihenfolge der Argumentation zu beziehen, die Pico zu Beginn des Kapitels (s.o) vornimmt, wobei die Bestätigung der biblischen Propheten das zweite Argument für den Nutzen der großen Konjunktionen sei, die wahre Berechnung der in der Bibel angeführten Jahre hingegen das erste.

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ad caelestes apostolorum mentes docet referendum, qui gloriam illam Dei annuntiaverunt, de qua postea scribitur: »Lex Domini immaculata convertens animas.« Sed et si referatur ad visibile caelum, quae ista est consequentia, si caeli enarrant gloriam Dei, favere ea gloriae Dei, quae de caelo astrologi fabulantur? Sed invisibilia, inquit, eius et virtus atque divinitas visibilibus intelliguntur, sed a philosopho, cuius proprium est e caeli ordine, motu, natura ad invisibilem caeli divinum opificem conscendere. Astrologus, si est aliquid, caelum invite videt et de caelo ad terram oculos deflectit; solus philosophus ex visibilibus invisibilia speculatur.

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Caput V – Quam noxia sit astrologia quamque pestifera Christianae religioni. 1. Sane lustranti mihi undique omnia et ecclesiae hostes exploranti non video, unde omnibus pariter plus copiarum, plus armorum adversus veritatem suppeditetur quam ex ista professione: hinc enim ad impietatem, hinc ad malam religionem, hinc ad haereses, hinc ad vanam superstitionem, hinc ad perditos mores irrevocabilemque malitiam praeceps et facillimus lapsus. Unde enim se potius adversus tela religionis armabit impietas, quam ut divina miracula, quibus omnis potissimum religio confirmatur, ad caelum pertendat esse referenda? Si martyres mortem contemnentes, si apostolos paucos, inopes, indoctos, evangelicae mundum legi subicientes obicias, si ipsos etiam ab inferis homines revocatos, ut maiora

Font.: 2 Lex Domini immaculata convertens animas ] Vulg. psalm. 18,8 (iuxta LXX) 4–5 invisibilia – intelliguntur ] cf. Petr. Alliac. vigintiloq. 1; cf. Vulg. Rom. 1,20 Sim.: 8 solus philosophus – speculatur ] cf. orat. de hom. dign. p. 28 App. crit.: 6 e om. Garin 15 armabit] armavit G

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heit der Theologie nicht übereinstimmen könne. Der Apostel Paulus lehrt, dass wir jenen Ausspruch Davids auf die himmlischen Seelen der Apostel beziehen müssen, die den Ruhm Gottes verkünden, über den später geschrieben steht: »Das vollkommene Gesetz des Herrn, das die Seelen wieder zurückbringt«. Aber selbst wenn man es auf den sichtbaren Himmel bezieht, wie ergibt sich daraus, dass, wenn die Himmel den Ruhm Gottes verkünden, das, was die Astrologen über den Himmel erfinden, den Ruhm Gottes fördert? Das Unsichtbare Gottes aber, so sagt er, und seine Kraft und seine Göttlichkeit werden an Sichtbarem erkannt, und zwar vom Philosophen, dessen Eigenschaft es ist, von der Himmelsordnung, dessen Bewegung und Natur aus zum unsichtbaren göttlichen Schöpfer aufzusteigen. Der Astrologe hingegen, wenn es sich dabei um eine eigene Kategorie handelt, sieht den Himmel nur ungern und senkt die Augen vom Himmel herab auf die Erde. Allein der Philosoph untersucht das Unsichtbare anhand des Sichtbaren.

Kapitel 5 – Wie schädlich und verderblich die Astrologie für die christliche Religion ist. 1. Und in der Tat, während ich mir alles in jeder Hinsicht genau ansehe und die Feinde der Kirche ausforsche, kann ich nicht sehen, woher allen gleichermaßen mehr Truppen und mehr Waffen gegen die Wahrheit zur Verfügung gestellt werden als von diesem Fach. Denn von ihm aus kann man jäh und ganz leicht abgleiten zur Gottlosigkeit, zur falschen Religion, zu den Ketzereien, zum nichtigen Aberglauben, zu verdorbenem Charakter und unwiderruflicher Schlechtigkeit. Woher wird nämlich die Gottlosigkeit eher ihre Mittel gegen die Waffen der frommen Religion beziehen können als aus der Behauptung, die Wunder Gottes, auf die sich jede Religion insbesondere stützt, seien auf den Himmel zurückzufüh-

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quidem quam ut humana, meliora quam ut a daemone efficiantur, diriment in eis virtutem, nisi quam solus agnoscet sideris cursus et caelestis afflatus facere potuerit. 2. Quod si quis dicat, nonne hoc erit securim reli | gionis radicibus admovere? Si persuadet, nonne illam exanimare et penitus extirpare? Quodsi dicas non esse hoc artis vitium, sed professorum in ipsa sua professione errantium, fatebor ita esse; neque enim hunc ego astrologiae errorem dicebam, sed facilem esse ab ea lapsum in hunc errorem; nec, si vera esset astrologia, propterea ab hoc munere desisterem, ut ab eo periculo homines diverterem, quoniam nulla veritas mendaciis est confirmanda, sed, cum sit falsa, utiliter eius falsitas detegetur, quae, si vera putetur, possit in mentibus imperitorum tam gravem pestilentiam generare; quamquam, si videas omnis alicuius artis professores easdem habere vanitates, parum absit, ut culpa in artem ipsam vere non referatur. 3. Ego vero ex scriptoribus astrologiae praecipuis neminem legi, qui religionem et leges omnes ut reliquas res humanas constellationibus siderum non subiciat. Ptolemaeus in secundo libro Apotelesmaton, quod apud hanc gentem illud nu-

Font.: 320.16–322.2 Ptolemaeus – imperitante ] cf. Ptol. apotel. 2,3,19–38 Sim.: 5–13 Quodsi dicas – non referatur ] cf. quaest. falsit. p. 142,12–16 14–15 Ego vero – subiciat ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 320.16–322.2 Ptolemaeus – imperitante ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 in fortasse delendum 2 quam BB BP BN : quae BOβGarin 4 seApp. crit.: 1 quam] qua F curim α : securi βOGarin religionis] religioni Garin 5 persuadet] expectes persuadeat exanimare BGarin : examinare GOβ 9 desisterem] desidesterem VR 12 omnis] omnes Garin

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ren?. Wenn man die Märtyrer und ihre Todesverachtung als Argument anführt und die Apostel, die, obwohl sie nur wenige, mittellose und ungebildete Männer waren, die Welt dem Gesetz des Evangeliums unterworfen haben, wenn man sogar die vom Tode wieder auferstandenen Männer anführt, die Größeres vollbringen sollten, als in der menschlichen Macht steht und Besseres, als von Dämonen89 bewirkt werden kann, nimmt man ihnen ihre Wunderkraft, abgesehen von der, die der Lauf der Gestirne allein anerkennt und der Einfluss des Himmels möglicherweise bewirkt. 2. Wenn aber jemand dies behauptet, heißt das nicht, er kommt den Wurzeln der Religion mit der Axt gefährlich nahe? Wenn er diese Ansicht verbreitet, heißt das nicht, dass man die Religion ihrer Seele berauben und von Grund auf ausrotten will? Wenn man aber sagt, dass dies nicht der Fehler der Wissenschaft an sich sei, sondern der Lehrer, die sich in ihrer eigenen Lehre irren, so will ich zugestehen, dass dies zutrifft. Ich nannte nämlich dies nicht einen ›Fehler der Astrologie‹, sondern sagte, dass es leicht sei, von ihr zu diesem Fehler abzugleiten. Ich würde aber auch dann, wenn die Astrologie wahr wäre, nicht deswegen von meiner Aufgabe ablassen, die Menschen von dieser Gefahr abzubringen, weil keine Wahrheit durch Irrtümer bestätigt werden kann, sondern ihre Falschheit wird, wenn sie falsch sein sollte, zum allgemeinen Nutzen ans Licht gebracht werden, da sie, wenn man sie für wahr hält, in den Herzen der Unwissenden solch schwere Seuche bewirken kann; wenn man indessen sieht, dass alle Lehrer irgendeines Faches dieselben Irrlehren anbieten, fehlt nicht viel, dass man die Schuld mit Fug und Recht auf das Fach selbst zurückführt. 3. Ich aber habe insbesondere von den Astrologie-Schriftstellern keinen gelesen, der nicht die christliche Religion und alle Glaubensrichtungen sowie alle menschlichen Angelegenheiten den Konstellationen der Gestirne unterwirft.

89 Zur negativen Wirkung von Dämonen vgl. auch Picos Zweiteilung der Magie in der Oratio, deren schlechte Variante ganz auf dem Wirken von Dämonen beruht (orat. de hom. dign. p. 58): Proposuimus et magica theoremata, in quibus duplicem esse magiam significavimus, quarum altera daemonum tota opere et auctoritate constat, res medius fidius execranda et portentosa. Von einem duplex … malorum demonum genus spricht Pico auch in der neunten These secundum Porphyrium (p. 308 F).

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men, apud aliam aliud coleretur, non aliunde natum intelligit, quam ex varia siderum imaginumque natura populis illis et gentibus imperitante. Nec procul ab eo loco Graecus quidam interpres Ptolemaei miraculum Moseos, qui sicco pede cum populo mare rubrum transivit, factum ait, quod ille accessum et recessum maris observaverit, quasi non simul in iisdem aquis et illaesus populus Hebraeorum transiret et cum astrologis suis Pharao submergeretur; quasi non Iosue Iordanem sicco pede transierit, in quo nulli aestus, nulla undarum reciprocatio fingitur ab eis. Sed haec alibi omnia atque his similia nugamenta satis confutavimus. 4. Albumasar Arabs et legem Saracenorum et Iudaicam et nostram et omnes pariter leges sic a caelo derivat, ut quaenam quamque constellatio fecerit et ad quot unaquaeque annos sit permansura ex eadem constellatione pronuntiet; in quibus rebus quam parum tum astrologiae tum veritatis inveniatur, post declarabimus. Interpres eius Henricus Macliviensis ita deliravit, ut navem etiam invenerit in caelo, ad quam Noe arcam illam suam sit fabricaturus; quod Alliacensis quasi divinum inventum maxime est admiratus. 5. Denique redigi ab eis legem in ordinem earum rerum, quae cursu naturali et caeli mutatione contingunt, hinc cognosci potest, quod, quot annorum revolutio-

Font.: 3–5 Nec procul – observaverit ] cf. Georg. Val. Placent. in Ptol. apotel. 2,103 fol. v miraculum Moseos – transivit ] cf. Vulg. exod. 14,21–29 9–11 Albumasar – pronuntiet ] Album. magn. coniunct. tract.1, diff.4 p. 28 13–14 Henricus – fabricaturus ] cf. Petr. Alliac. elucid. 1 fol. e2v 14–15 quod Alliacensis – admiratus ] cf. Petr. Alliac. elucid. 1 fol. e2v 322.17–324.2 hinc cognosci – volunt cognosci ] cf. Album. magn. coniunct. tract.2, diff.8 Sim.: 2–8 Nec procul – ab eis ] cf. rer. praen. 5,7 p. 550 9–11 Albumasar – pronuntiet ] cf. rer. praen. 5,7 pp. 550–551 13–15 Interpres – admiratus ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 App. crit.: 4 ille] illum Garin 6 transiret BB BF BEC G : transire BOβ Pharao] Pharaon Garin Iordanem] Iordanum Garin 9 Iudaicam coniecit Heilen coll. rer. praen. 5,7 et Album. magn. coniunct. tract.1, diff.4 : suam Ω 17 quod quot a : quot quot VRCF : quotquot WOGarin

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Ptolemaios kommt im zweiten Buch seiner Apotelesmata zu der Einsicht, dass die Tatsache, dass bei dem einen Volk eine Gottheit verehrt werde, bei einem anderen Volk eine andere, nirgends anders herrühre als von der veränderlichen Natur der Gestirne und Sternbilder, die über jene Völker und Stämme herrsche. Nicht weit von dieser Stelle entfernt erklärt ein gewisser griechischer Kommentator des Ptolemaios, dass das Wunder Moses’, der trockenen Fußes mit seinem Volk das Rote Meer durchquert habe, geschehen sei, weil jener Ebbe und Flut des Meers beobachtet habe – ganz so, als ob es nicht dieselben Wasserfluten wären, die das Volk der Hebräer unbeschadet durchquerte und in denen der Pharao mitsamt seinen Astrologen unterging;90 als ob nicht Josua den Jordan trockenen Fußes durchquert habe, in dem sie keine Fluten und und kein Zurückfließen der Wellen erdichten können. Doch alle diese und ähnliche nichtige Äußerungen habe ich anderswo zur Genüge widerlegt.91 4. Der Araber Abū Ma῾šar leitet die Religion der Araber, die jüdische, unsere und alle gleichermaßen so vom Himmel ab, dass er die Frage, welche Konstellation eine jede Religion bewirkt und wie viele Jahre lang eine jede von ihnen dauern werde anhand ebendieser jeweiligen Konstellation zu klären behauptet; wie wenig Astrologie und wie wenig Wahrheit sich in diesen Dingen befindet, werde ich nachher zeigen. Sein Kommentator Heinrich von Mechelen war derart von Sinnen, dass er sogar ein Schiff am Himmel entdeckt haben will, nach dem Noah seine Arche konstruiert haben soll; Pierre d’Ailly hat dies als göttlichen Einfall im höchsten Maße bewundert.92 5. Schließlich kann man die Tatsache, dass sie die Religion zu den Dingen zählen, die nach dem naturgesetzlichen Ablauf der Dinge und Veränderungen am

90 Pico bezieht sich auf den – allerdings lateinischen – Kommentar des Giorgio Valla (ca. 1450– 1499), der 1502 in Venedig im Druck erschien (Preclarissimi viri Georgij valle Commentationes. In Ptolomei quadripartitum...); vgl. zu diesem Werk auch Hübner (2014: S. 20 [mit Anm. 16]). Hier heißt es (fol.v ): ut in mari rubro refluxu facto effugium invenit Moyses cum iudeorum populo ut ante dixit particulares circumstantias perite et eleganter distribuendo… 91 Wo Pico sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, ist nicht klar. 92 Bei seiner Darstellung wichtiger Schriftsteller zur Übereinstimmung von Theologie und Astrologie im ersten Kapitel seines Elucidarium, kommt Pierre d’Ailly auch auf Heinrich von Mechelen zu sprechen, den er als henricus de machlinia magnus alberti magni discipulus (Petr. Alliac. elucid. 1 fol.e2v ) vorstellt; dieser habe am Himmel eine imago navis que archam Noe significare poterat (ebd.) entdeckt.

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nes ab ascendente legis ad eius usque casum sunt futurae, e caelo volunt cognosci; et Haly Abenzagel, ut reliquos taceam, felicitatem et sterilitatem anni inde pronuntiat, ut, si ascendens legis loco Iovis aut Veneris applicuerit, fertilis annus sit futurus; contra, si locis siderum infelicium. 6. Abraam Iudaeus, non qui dicitur Avenazra, ut falso credidit Alliacensis, sed quem vocant ›Nasi‹, hoc est ›Patriarcham‹, nonne et legem Mosaicam, egressionem Iudaeorum ex Aegypto et quaecumque sub lege populo contigere, ad varias coniunctiones inepte quidem atque ridicule referre conatus est? 7. Sed utinam soli, quos commemoravimus, inter tenebras malae religionis lucem huius veritatis non pervidissent; utinam nostri homines in Evangelii splendore non ita caecutirent, ut [non] peius quam illi de nostra et illorum religione sentirent! Insanus ille Bonatus usum ait dominum Iesum horarum electione, cum apostolis consulentibus, ne in Iudaeam rediret, respondit XII esse horas diei. Horam enim, inquit, sibi elegit, qua illi eum laedere non possent – quasi illos, cum voluit, non prostraverit et inter eos in luce diei medius transiens eos non latuerit. Mitto, quam temerarie, quam blaspheme de divina Francisci familia loquatur et divini amoris miraculum Martis opus fuisse fabuletur.

Font.: 2–4 Haly – infelicium ] cf. Haly, iudic. astr. 8,2 [p. 353–354] 5–8 Abraam Iudaeus – conatus est ] cf. Abrah. Avenez. revol. prooem. (fol. r ) 12–14 Insanus ille Bonatus – non possent ] cf. Bonat. tract. astrol. 1,13 (p. 18) 13 XII esse horas diei ] cf. Vulg. Ioh. 11,9 16–17 Mitto – fabuletur ] cf. Bonat. tract. astrol. 3,2,14 pp. 99–100; 3,2,22 p. 152; 5,141 pp. 210–211; cf. Cron. Salim. p. 78; 163; 368 (= MGH 32) Sim.: 2–4 Haly – infelicium ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 5–8 Abraam Iudaeus – conatus est ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 9–12 Sed utinam – sentirent ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 12–15 Insanus ille Bonatus – non latuerit ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 Insanus ille Bonatus ] cf. Bellant. resp. disp. 1 fol. q5v usum ait – electione ] cf. Savon. tratt. 1,4 p. 291 16–17 Mitto – fabuletur ] cf. rer. praen. 5,7 pp. 551–552 App. crit.: 1 sunt] expectes sint 7 post lege fortasse Hebraeorum addendum (coll. rer. praen. 5,7 p. 551) 8 inepte] ineptae B (corr. BP ) ridicule GOβ : ridiculae B (corr. BP ) : ridicula D 11 ut add. BP non athetendum putavi 15 medius BCorr G : melius BOβ

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Himmel geschehen, daran ablesen, dass sie anhand des Himmels erkennen wollen, wie viele Jahresumläufe vom Aszendenten des Horoskops einer Religion bis zu ihrem Untergang geschehen werden. Haly Abenragel, um von den anderen nicht zu reden, sagt die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit eines Jahres so voraus, dass, wenn der Aszendent im Horoskop der Religion mit dem Ort Jupiters oder der Venus in Konjunktion stehe, das Jahr fruchtbar werde, das Gegenteil jedoch, wenn der Aszendent mit den Orten der übelwollenden Gestirne in Konjunktion stehe. 6. Hat nicht Abraham der Jude, und zwar nicht derjenige, der ›Avenazra‹ genannt wird, wie Pierre d’Ailly fälschlich glaubte93 , sondern der ›Nasi‹ genannt wird, das bedeutet ›Patriarch‹, die mosaische Religion, den Auszug der Juden aus Ägypten und alles, was innerhalb einer Religion dem Volk passierte, auf die unterschiedlichen Konjunktionen zurückzuführen versucht, freilich auf unangemessene und lächerliche Weise. 7. Ich wünschte aber, nur die bereits Erwähnten hätten durch die Finsternis falscher Religion das Licht der Wahrheit nicht hindurch schimmern sehen. Wären doch unsere Landsleute im Glanz des Evangeliums nicht derart verblendet, dass sie schlechter als jene anderen über unsere und ihre Religion denken! Jener verrückte Bonatti behauptet, unser Herr Jesus habe von der Stundenwahl Gebrauch gemacht, als er den Aposteln, die ihn fragten, ob er nach Judäa zurückkehren werde, geantwortet habe, es gebe zwölf Stunden des Tages.94 Er habe sich nämlich, so behauptet Bonatti, eine Stunde gewählt, zu der ihm jene Schergen der Pharisäer keinen Schaden bringen können – ganz so, als ob er jene nicht, wenn er

93 Gemeint ist der jüdische Mathematiker, Philosoph und Astrologe Abraham bar Hiyya ha-Nasi (Savasorda), der im 12. Jahrhundert in Spanien wirkte. Tatsächlich bezeichnet Pierre d’Ailly in seinem Elucidarium, dessen Kapitel 30–33 ein Zitat aus Savasordas Abhandlung De redemptione Israhel darstellen, den Autor seiner Quelle mit den Worten (Petr. Alliac. Elucid. 25 [fol.v ]): quidam Abraham iudeus dictus avenesre. Die Verwechslung mit Abraham Ibn Ezra scheint allerdings bereits vor Pierre d’Ailly zu datieren – so wird der Autor des Liber de redemptione Israhel u.a. auch im Explicit einer in Leipzig liegenden Handschrift (Univ. Lat. 1467 [bei Vescovini (2014: S. 118) als 1767 bezeichnet]) mit den Worten eingeführt (ebd.: S. 227r ): Explicit liber Abrae Avenarre.... Vgl. zu dieser Verwechslung sowie zum Autor im Allgemeinen Vescovini (2014: S. 118–119) sowie Sela (2017: S. 163–186 [insbes. 175–180]). 94 Es handelt sich um eine Episode aus der Auferstehung des Lazarus im Johannesevangelium (vgl. Vulg. Ioh. 11); nachdem die Pharisäer Jesus aus dem Tempel und Judäa vertrieben haben (vgl. ebd.: 10,31), beschließt er auf die Nachricht von der Erkrankung des Lazarus hin, trotz der drohenden Gefahr durch die Schergen der Pharisäer nach Judäa zurückzukehren (vgl. ebd.: 11,6–11).

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Rogerius Bacon

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8. Sed quid quaerimus remotiora? In his, quae quotidie de annorum eventibus publico | vaticinio foras invulgantur, nonne et legem Christianam Christi Mercuriique doctrina esse perfectam et Iovis religionem et a Virgine suscipere puritatem †ita† haec oculis et non indignantibus Christiani homines legunt et in Prooemiis nescio cuius theoricae adversus Gerardum deliramenta multa disputantis nonne etiam scriptum est, cum de novo deligendo pontifice tractaretur, devote supplicandum, ut sidus Mercuriale suo sancto radio temperet? Aiunt enim Mercurio nostram subesse legem, atque ideo homines Christi Mercurii homines vocavit; quod nescio qui possit homo Christianus aequis auribus audire. 9. Rogerius Bacon eo usque est evectus, ut scribere non dubitaverit errare Christianos, qui die sabbati non ferientur et operibus vacent ritu Iudaeorum, cum sit ea dies Saturni, quae stella rebus agendis parum commoda et felix existimatur. In quibus verbis non solum nostros accusat, sed Mosen, immo aperte ex propheta astrologum facit, docens, quae de sabbati feriis ille constituit, non divini alicuius mysterii, sed astrologici dogmatis habere rationem. 10. Quae omnia si quis recto iudicii examine penset, videbit nullo magis errore pietatem verae religionis offendi, cum aeque sit impium totaliter nullam putare esse religionem et ex caelo fatali quadam eam necessitate deducere.

Font.: 3 a Virgine suscipere puritatem ] cf. Rog. Bac. op. mai. p. I 257 B; p. I 261 B; Album. introd. tract.6, diff.1 4–7 in prooemiis – temperet ] cf. Ioann. de Mont. dialog. int. Vienn. et Cracov. p. 516 10–12 Rogerius Bacon – existimatur ] cf. Rog. Bac. op. mai. p. I 383 B 13–14 Mosen – constituit ] cf. Vulg. exod. 20,8–11; deut. 5,12–14 Sim.: 1–3 In his – religionem ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 10–12 Rogerius Bacon – existimatur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552; Agrip. incert. 31 p. 79 App. crit.: 4 ita] locus deperditus; fortasse scribendum et 6 deligendo αWOGarin : diligendo VRCF 7 suos scripsi coll. Ioann. de Mont. dialog. int. Vienn. et Cracov. p. 516 : suo Ω sancto] felici Ioann. de Mont. loc. cit. p. 516 10 eo usque WO : eousque αVRCF 14 sabbati] sabbatis Garin

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wollte, hätte niederstrecken können und nicht mitten unter ihnen am helllichten Tage verborgen an ihnen hätte vorbeigehen können. Wie unüberlegt und ketzerisch er über die heilige Gemeinschaft des Franziskus spricht und das Wunder der göttlichen Liebe auf das Wirken des Mars zurückführt, will ich dabei übergehen. 8. Aber wozu in die Ferne schweifen? Lesen nicht Christenmenschen in den Almanachen, die täglich über die Ereignisse eines Jahres mit öffentlicher Weissagung unter die Menschen gebracht werden, die christliche Religion sei durch die Lehre von Christus und Merkur vollendet worden und sei eine Religion Jupiters und habe ihre Reinheit von der Jungfrau erhalten und das in dieser Form und mit Augen, die sich nicht einmal darüber entrüsten? Steht nicht in der »Einleitung irgendeiner theoretischen Schrift, die viele Hirngespinste gegen Gerard anführt«, man müsse, da es um die Wahl eines neuen Papstes gehe, demütig darum bitten, dass das Gestirn Merkurs mit seinem heiligen Strahl die ihm zugehörigen Menschen richtig beeinflusse?95 Denn die Astrologen behaupten, dass unsere Religion dem Merkur unterliege und daher nannte er die Christen »Männer Merkurs«. Welcher Christ das gleichgültig hinnehmen kann, weiß ich nicht. 9. Roger Bacon hat sich so weit verstiegen, dass er nicht einmal mehr zögerte zu schreiben, die Christen würden sich irren, die nicht am Tag des Sabbat ihren Feiertag feierten und sich nach jüdischem Brauch vom Arbeiten fern hielten, da dieser Tag der Tag Saturns sei, dessen Stern als allzu ungeeignet und unglückbringend für das Erledigen von Arbeiten gilt. Mit seinen Worten greift er nicht nur unsere Leute an, sondern Moses, und macht sogar aus dem Propheten ganz offen einen Astrologen, wobei er uns weißmachen will, dass dessen Ausführungen über den Feiertag des Sabbat nicht irgendeinem göttlichen Mysterium, sondern der astrologischen Lehre Rechnung tragen. 10. Wenn man dies alles mit der rechten Prüfung des Urteils abwägt, wird man sehen, dass der fromme Glaube rechter Religion durch keine Irrlehre in höherem Maße angegriffen werden kann, da es gleichermaßen frevelhaft ist zu glauben, es gebe überhaupt keine Religion, wie sie vom Himmel herab mit einer Art schicksalhafter Notwendigkeit abzuleiten.

95 In seinem um 1475 erschienenen Dialogus inter Viennensem et Cracoviensem, auch bezeichnet als Disputationes contra Cremonensia deliramenta, schreibt der Königsberger Astronom und Mathematiker Johannes Regiomontanus anlässlich einer bevorstehenden Papstwahl (Schmeidler 1972: S. 516): orandus …deus est …utque Mercurium suos felici radio temperare iubeat homines devote supplicandum est.

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Idolatria Haereses

Superstitio Varro Geomantia Magia Chiromantia

Mores

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11. Quodsi qua astrologo capessenda religio sit, ad quam erit propensior quam ad idolatriam, ut eos potissimum deos et colat et revereatur, a quibus omnia hominibus et bona et mala putet provenire? Iam haereses Manichaeorum arbitrii libertatem tollentes unde potius putamus emanasse, quam ex ista de fato astrologorum falsa opinione? De superstitionibus nulla est controversia prodire ab astronomia omnes et eas quasi alumnas ab illa contineri confirmat Varro. 12. Geomantiam omnes illius scriptores astrologiae filiam vocant. Magi ita huius artis usum sibi necessarium putant, ut magiae clavem astrologiam appellent. Chiromantici in vola manus septem pro numero planetarum montes effingunt, unde ex lineis, quae ibi conspiciuntur, futura praevideantur. 13. Sed has fatuitates particulatim prosequemur, cum post eversam dominam ac reginam reliquam omnem superstitionum turbam in cursu proteremus. Sed parere eam omnes et sine ea stare non posse hinc satis manifestum, quod nulla est superstitio, quae dierum et horarum electionibus non utatur, de qua eas sola instruit astronomia, ut de ipsa illud Ecclesiastis dici possit: »Vanitas vanitatum astrologia et omnis superstitio vanitas«. 14. De moribus plura dicere non oportet, cum satis pateat patrocinium vitio maius dari non posse, quam si caelum auctorem habere existimetur, nihilque esse, quod nos minus metuere gehennan aut sperare felicitatem faciat. Quae si procul dubio vera sunt, etiam si vera esset ista professio, quaenam utilius veritas ignorar-

Font.: 3–4 haereses – tollentes ] cf. August. confess. 5,5,8 5–6 prodire – Varro ] cf. Isid. orig. 8,9,13; August. civ. 7,35; Bonavent. coll. in Hex. 6,15 (Opera omnia 5,351); Gratian. decret. pars 2, causa 26, quaest.3 (PL 187,1342) 7 Geomantiam – vocant ] cf. Barthol. Parm. brevil. 1 (fol. 1r ) 15– 16 Vulg. eccles. 1,2 Sim.: 3–5 Iam haereses – falsa opinione ] cf. rer. praen. 1,6 pp. 385–386; Agrip. incert. 31 p. 81 Geomantiam – vocant ] cf. Agrip. incert. 36 p. 84 Magi – appellent ] cf. rer. praen. 5,7 p. 547 cf. rer. praen. 4,7 p. 485

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hinc App. crit.: 2 revereatur BB BP OGarin : reveretur BGβ 8 sibi om. Garin 13 ea om. Garin BB BP OβGarin : huic α 15 Ecclesiastis BB BP : Ecclesiastici αβOGarin 18 existimetur BB BP : existimentur αβOGarin 19 nos] non Garin 20 ista professio] professio ista WO

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11. Wenn der Astrologe sich aber für irgendeine Religion entscheiden müsste, welcher wird er eher zugeneigt sein als der Götzenverehrung, sodass er gerade die Götter verehrt und fürchtet, von denen seiner Ansicht nach alles Gute und alles Schlechte für den Menschen ausgeht? Woher entsprang denn nun unserer Ansicht nach die Häresie der Manichäer, die den freien Willen beseitigen, eher, als aus jener falschen Ansicht der Astrologen über das Schicksal? Es besteht kein Zweifel, dass alle abergläubischen Kulte von der Sternkunde ausgehen, und Varro bestätigt, dass sie wie ihre Zöglinge in ihr enthalten sind. 12. Die Geomantie96 bezeichnen alle Schriftsteller, die sich mit ihr befassen, als Tochter der Astrologie. Die Magier halten die Anwendung jenes Faches für so notwendig, dass sie die Astrologie als Schlüssel zur Magie bezeichnen. Die Handleser malen sich in der hohlen Hand sieben Hügel gemäß der Anzahl der Planeten aus, wobei sie anhand der Linien, die dort zu sehen sind, die Zukunft voraussagen. 13. Diesen Unsinn werde ich jedoch einzeln widerlegen, wenn ich nach der Zerstörung ihrer Herrin und Königin die ganze restliche Schar der abergläubischen Kulte im Laufschritt zertreten werde. Dass sie alle nährt und sie ohne sie nicht bestehen können, wird an der Tatsache klar, dass kein abergläubischer Kult auf die Wahl von Tagen und Stunden verzichtet, über die sie allein die Sternkunde in Kenntnis setzt, sodass über sie jener Spruch des Predigers Salomo gilt: »Die Nichtigkeit aller Nichtigkeiten ist die Astrologie, und aller Aberglaube ist nichtig.« 14. Über den Charakter braucht man nicht mehr zu sagen, da es zur Genüge deutlich ist, dass es keine wirksamere Verteidigung gegen dieses Laster geben kann, als wenn man davon ausgeht, dass der Himmel einen Urheber hat und er keinen Grund bietet, den Weltuntergang weniger zu fürchten oder auf Glückseligkeit zu hoffen.97 Obschon dies ohne Zweifel wahr ist – selbst wenn die Astrolo-

96 Bei der Geomantie im eigentlichen Sinne handelt es sich um die Weissagung anhand des Elementes Erde (vgl. Boehm 1987: S. 635–647 [hier: 635]). So weist bereits der römische Universalgelehrte Varro (bei Isidor: Isid. orig. 8,9,13) den jeweiligen Elementen eine Form der Weissagung zu: Varro dicit divinationis quattuor esse genera, terram, aquam, aerem et ignem. Hinc geomantiam, hydromantiam, aeromantiam, pyromantiam dictam; vgl. auch die Darstellung bei Gianfrancesco Pico (rer. praen. 4,3 p. 469). Während über die antike Geomantie nichts weiter bekannt ist, wird der Begriff seit dem Mittelalter für die (aus dem Orient stammende) Punktierkunst verwendet, wobei eine bestimmte Anzahl von zufällig ausgebreiteten Punkten bestimmten Anordnungen zugewiesen wird, um so ein Orakel zu erhalten (vgl. Boehm 1987: S. 636–642). Während Pico die Geomantie deutlich als eine Form des Aberglaubens (superstitio) bezeichnet, bezeichnet der Autor des Speculum astrologiae sie nicht als solche (Ps.-Albert. specul. 17 p. 272 Z): In geomantia vero nihil tale [sc. speculum idolatriae] invenio … et multi sunt qui ei testimonium perhibent. 97 Vgl. die ähnliche Formulierung von den Pflichten eines Christen in einem Brief Picos an seinen Neffen Gianfrancesco (Pico 1969: II S. 1271): Venite benedicti, possidete regnum paratum vobis a constitutione mundi [cf. Vulg. Matth. 25,34]: cur nihil minus aut timemus quam gehennam, aut speramus quam regnum Dei? Zur Bezeichnung gehenna für die Hölle vgl. auch die Definition Isidors (orig. 14,9,9) als locus ignis et sulphuris.

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etur? Et cum sit falsa, quae utilius falsitas impugnatur? Quam utique provinciam utinam tantis viribus exsequar, quam eam iuvandae religionis et veritatis tuendae desiderio sum complexus.

Caput VI – Fallacem esse hanc artem, si qua sit, tum propter plura, tum propter discrepantes astrologorum sententias.

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Ptolemaeus

1. Hactenus confutari utiliter astrologiam ostendimus indignumque esse illius patrocinium et philosopho homini et christiano. Nunc, priusquam cum astrologis pedem conferentes confutationem aggrediamur, videamus quantum illam res ipsa | eventaque refellant. Quota enim quaeque res evenit praedicta ab eis? Aut, si evenit quippiam, cur non istud even[er]it? 2. Quo magis soleo mirari nonnullos, qui disputantibus adversus istam artem illud semper obiciunt: ›Cur, si vera eorum ars non est, praedictiones tamen eorum verae?‹ Praeclare enim secum agi putet astrologus, si nobis praedictionum falsitatem obicientibus possunt aliqua satisfacere; tantum abest, ut ex hoc loco argumentum adversus nos posse sumere se putet. Attulimus supra verba Ptolemaei conantis dissolvere istam quaestionem, in quibus vidimus eum mendacia astrologorum non solum in ipsos astrologos parum vel peritos vel diligentes, sed in ipsam etiam artem reiecisse, quae sit incerta et falli plurimum possit.

Sim.: 15–18 Attulimus – possit ] cf. disp. 2,1,4–7 viribus BCorr G : vicibus BOβGarin 9 eventaque OGarin : eventa App. crit.: 2 utinam] at C que F : eventa quae αVWRC 10 non om. WOGarin evenit scripsi : evenerit ΩGarin 13 putet scripsi : putat Ω 15 se] si F 16 mendacia (mendecia R)] mendaciam Garin

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gie wahr wäre, welche Wahrheit würde man zum größeren Nutzen nicht kennen? Und da sie falsch ist – welche Falschheit wird zum größeren Nutzen angegriffen? Ich wünsche mir, meine Aufgabe mit soviel Erfolg zu erfüllen, wie ich sie aus dem Verlangen, der Religion zu Hilfe zu kommen und die Wahrheit zu beschützen, in Angriff genommen habe.

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Kapitel 6 – Jene Wissenschaft ist, wenn es sich um eine handelt, trügerisch aus vielen Gründen und auf Grund der voneinander abweichenden Ansichten der Astrologen. 1. Bis hierher habe ich gezeigt, dass die Widerlegung der Astrologie nützlich ist und ihre Verteidigung sowohl eines Philosophen als auch eines Christen unwürdig ist. Jetzt aber will ich, bevor ich ins Handgemenge mit den Astrologen gerate und sie zu widerlegen versuche, sehen, wie sehr die Wirklichkeit selbst und die empirischen Ereignisse die Astrologie widerlegen. Denn wie wenige der von ihnen hervorgesagten Ereignisse treten auch wirklich ein? Oder wenn überhaupt irgendein Ereignis eintritt, warum trat dann nicht auch jenes andere, ebenfalls vorhergesagte Ereignis ein? 2. Umso mehr pflege ich mich über einige Leute zu wundern, die, wenn sie Erörterungen gegen jenes Fach anstellen, immer jenen Einwand vorschützen: ›Warum sind, wenn ihre Wissenschaft schon nicht wahr ist, ihre Vorhersagen dennoch wahr?‹ Denn der Astrologe mag ruhig der Ansicht sein, es laufe äußerst glimpflich für ihn, wenn uns irgendetwas zufriedenstellen kann beim Vorwurf der Falschheit der Vorhersagen; abwegig ist es, dass er glauben könnte, hieraus ein Argument gegen uns konstruieren zu können. Ich habe oben die Worte des Ptolemaios zum Versuch, diese Frage zu lösen, angeführt: Dabei hat er, wie wir gesehen haben, die Lügen der Astrologen nicht nur auf die Astrologen selbst, die zu unerfahren oder

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332 Porphyrius

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3. Porphyrius ipse oraculorum responsa, inquit, falsa deprehendebantur, quia numina illa ex caelestibus causis, quas habent exploratas, illa praenuntiabant; fallax autem praenuntiatio, quae ex illis. Quodsi daemones ipsi, quos nihil latet rerum caelestium, futura inde perspicientes decipiuntur, de hominibus, quaeso, quid iudicabimus? Quorum qui sunt qui et fuere excellentissimi, istius artis (si ulla est) ne millesimam quidem partem umquam attigerunt. Denique inter omnes artes, quarum omnium proprium est excidere a veritate, nullius esse iudicium magis incertum nec ipsi, credo, astrologi denegabunt. ›Nam et arbitrium‹, inquiunt, ›hominis multa aliter facit evenire et materiae fluxus atque mobilitas caelestium saepe actionum opera frustratur et aliud alio fatum vertitur vel impeditur.‹ 4. Quodsi res humanas diligenter examines, nullam fere invenies, in qua non aliquid ex his, quae diximus, praevisum etiam vere de caelo exitum non immutet. Nam et hominis proprium arbitrio et ratione res suas disponere et id, quod materiae undique annexum est et colligatum, illius mutationi vehementer est obnoxium. Tum, cum nihil sit male, ita omnes fere invicem homines dependent, ut non sit, quem alterius vel laedere vel iuvare fortuna non possit. Sic et filius felix patris infelicitatem, infelicem exitum etiam, et infelix felicem ex bono parentis fato sortietur et servus sua genitura parum fortunatus fortunato domino aget feliciter; sic militis fatum ex fato imperatoris et fortuna aegroti ex medico et contra medici ex aegroto aliter atque aliter fieri continget.

Font.: 1–3 Porphyrius – ex illis ] cf. Eus. praep. 6,5; Iamb. myst. 3,7; Ficin. disp. contr. iud. astrol. p. 19 K; Ficin. in enn. 2,3,7 pp. I 220–221 W Sim.: 1–5 Porphyrius – iudicabimus ] cf. rer. praen. 5,11 p. 579 Porphyrius – ex illis ] cf. rer. praen. 2,3 p. 412; quaest. falsit. p. 146,20–22; Bellant. resp. disp. 2,6 fol. q6r 8–10 Nam et – impeditur ] cf. rer. praen. 5,11 p. 579 15–18 ita omnes – fato sortietur ] Bellant. resp. disp. 2,6 fol. q6r 18–20 servus – continget ] cf. rer. praen. 5,11 pp. 579–580; Bellant. resp. disp. 2,6 fol. q6r App. crit.: 1 quia BCorr GGarin : quare BOβ 5 ulla] nulla C 17 infelicitatem] infelicitate Garin infelix αGarin : felix βO

6 attigerunt] attingerunt GRC

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zu sorglos sind, zurückgeführt, sondern auch auf das Fach selbst, da es unzuverlässig sei und in höchstem Maße anfällig für Fehler. 3. Porphyrios selbst sagt, Orakelsprüche würden sich als unwahr erweisen, da jene göttlichen Wesen sie anhand der himmlischen Ursachen vorhersagen könnten, die sie erkannt haben; wenn sich aber selbst die Dämonen, denen im Bereich des Himmlischen bei dieser Art von Blick auf die Zukunft nichts verborgen bleibt, täuschen, was sollen wir dann aber, bitteschön, für ein Urteil über die Menschen treffen? Von diesen haben diejenigen, die die besten sind, und diejenigen, die die besten waren, niemals auch nur ein Tausendstel dieser Wissenschaft (wenn es sich denn dabei um eine handelt) erfasst. Außerdem werden, wie ich glaube, selbst die Astrologen nicht leugnen, dass von allen Fächern, deren Kennzeichen es ist, von der Wahrheit abzuweichen, das Urteil keines anderen Faches unzuverlässiger ist. ›Denn der freie Wille des Menschen‹, so argumentieren sie, ›bewirkt, dass vieles auf andere Weise geschieht, und die Unbeständigkeit der Materie und die Beweglichkeit der Gestirne behindern oftmals die Wirkung von Handlungen und das eine Schicksal wird von einem anderen verändert oder verhindert.‹ 4. Wenn man aber die menschlichen Angelegenheiten sorgfältig untersucht, wird man fast nichts finden, bei dem nicht eine der eben genannten Eigenschaften sogar das korrekt anhand des Himmels vorhergesehene Eintreten eines Ereignisses verändert. Es ist nämlich die Eigenschaft des Menschen, nach seinem freien Willen und seinem Verstand seine Dinge zu ordnen, und das, was mit der Materie verbunden und verknüpft ist, ist sehr empfänglich für jede ihrer Veränderungen. Selbst in dem Fall, dass es nichts Böses gibt, sind beinahe alle Menschen derart voneinander abhängig, dass es niemanden gibt, dem nicht vom Schicksal eines anderen entweder geschadet oder geholfen werden könnte. So wird ein glücklicher Sohn das Unglück seines Vaters oder sogar einen unglücklichen Tod erlangen und ein unglücklicher Sohn einen glücklichen anhand des guten Schicksal des Vaters; ein Sklave aber, der durch seine Geburt wenig vom Glück begünstigt ist, wird auf Grund seines glücklichen Herrn vom Glück begünstigt werden; auf diese Weise

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334 Mira et multa inter astrologos dissensio

Ptolemaeus adversus astrologos Aegyptios

Dissensio inter Chaldaeos Aegyptiosque astrologos Discordia c1v Discordia Arabum inter se et cum Graecis

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5. Ex quibus omnibus illud declaratur, quam saepe non evenire sit necessarium, quod cuique praedixerit mathematicus, etiam si sit vera ista professio, nedum ut veritas professionis ex veris professorum praedictionibus possit comprobari. Quid, quod tanta inter auctores istius artis dogmatis est dissensio, ut vel omnes vel maximam eorum partem de futuris mendacia dicere sit necessarium? Admirantur ipsi maxime et venerantur aliquos Aegyptios, Persas et Indos et Babylonios quasi antistites caelestium mysteriorum et eorum nomina quasi numina infla[n]ti[bu]s buccis imperitorum quotidie auribus insonant. At si veri illi, vera, o astrologi, dicere vos non potestis, qui iuniorum libros solos habetis, quos imitemini, a vetere illa disciplina undique discrepantes. 6. Ptolemaeus enim, parens vester, astrologiam, quae scilicet erat Aegyptiorum, ubique taxat atque convellit, nunc eam parum dicens consonam rationi, nunc aliis probris lacessens, quod libros Apotelesmaton legenti facile constat. 7. Neque vero solummodo ab illis Ptolemaeus, sed illi inter se pariter dissentiebant, Indi scilicet a Chaldaeis, a Chaldaeis Aegyptii, cum et a se invicem et ab his et aliis |Indi et ab his omnibus Persae. Nec ipsa minus inter se Graeca quam Barbara concors astrologia, cum, quae reicit Ptolemaeus, Doroteus amplectitur et alia quoque Paulus, alia Ephestion, alia alii sentiunt et opinantur nec ex eis quemquam invenies, qui auctoritate experimenti eventorum fidem non colligat. Arabes nonne et inter se et a Graecis digladiantur? Porro sicut Ptolemaeus illam antiquam, ita Ptolemaei astrologiam abicit Albumasar adeo, ut in eis libris legi nihil dicat, quod vel rationi vel experientiae consonum inveniatur.

Font.: 11–13 Ptolemaeus – constat ] cf. Ptol. apotel. 1,21,1–8 21–22 Ptolemaei – inveniatur ] cf. Album. introd. tract.1, diff.7 Sim.: 2–3 si sit vera – comprobari ] cf. quaest. falsit. p. 166,8–18 11–12 Ptolemaeus – convellit ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586; quaest. falsit. p. 146,32 15–16 Indi – Persae ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586; quaest. falsit. p. 146,32 16–18 Nec ipsa – opinantur ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586 19–20 Arabes – digladiantur ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586 21–22 Ptolemaei – inveniatur ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586; quaest. falsit. p. 146,32–34 App. crit.: 2 nedum Garin : ne dum Ω 5 sit] sint RC 7 inflatis correxi coll. Hor. epist. 1,1,21 et Hier. epist. 36,14 (PL 22,458) : inflantibus Ω 8 illi BCorr : illius αβOGarin 9 imitemini] imitamini Garin 13 probris BCorr GOGarin : probis Bβ 15 a Chaldaeis2 om. βO

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wird sich auch das Schicksal eines Soldaten anhand des Schicksal seines Feldherren und das Schicksal eines Kranken nach dem seines Arztes und umgekehrt das des Arztes nach dem des Patienten verändern. 5. Anhand all dieser Beispiele kann man klar darlegen, wie oft nicht notwendigerweise das geschieht, was der Astrologe einem jeden vorhergesagt hat, sogar wenn diese Wissenschaft als wahr angenommen wird – davon, dass man die Wahrheit des Faches anhand der wahren Vorhersagen der in diesem Beruf Tätigen beweisen könnte, kann gar keine Rede sein. Was soll man dazu sagen, dass zwischen den Schriftstellern, die die Lehre dieser Wissenschaft beschreiben, so große Uneinigkeit herrscht, dass entweder alle oder doch zumindest ein Großteil von ihnen notwendigerweise Lügen über die Zukunft verbreiten muss? Sie selbst bewundern und verehren in höchstem Maße irgendwelche Ägypter, Perser, Inder und Babylonier als eine Art Oberpriester himmlischer Mysterien und trompeten ihre Namen wie die von göttlichen Wesen täglich mit aufgeblasenen Backen in die Ohren der Unwissenden. Wenn sie jedoch Recht haben, so könnt ihr, ihr Astrologen, nicht ebenfalls die Wahrheit sagen, da ihr nur die Schriften der Jüngeren habt, um sie nachzuahmen, die von jenem alten System allenthalben abweichen. 6. Denn Ptolemaios, euer Stammvater, tadelt überall die Astrologie, wie sie die Ägypter pflegten, und zerreißt sie, wobei er sie bald als zu wenig vernunftgemäß bezeichnet, bald andere Vorwürfe äußert, wie man leicht bei der Lektüre der Apotelesmata feststellen kann. 7. Doch in der Tat stimmte nicht nur Ptolemaios mit diesen nicht überein, sondern sie waren sich auch gleichermaßen untereinander uneins, die Inder stimmten nicht mit den Chaldäern98 überein, die Ägypter nicht mit den Chaldäern, wobei die Inder schon untereinander nicht übereinstimmen und auch nicht mit den Genannten und anderen, die Perser wiederum von ihnen allen abweichen. Auch die griechische Astrologie an sich zeigt nicht weniger Einigkeit als die barbarische, wenn Dorotheus das anerkennt, was Ptolemaios ablehnt, und auch Paulus (von Alexandria) eine Meinung hat, Hephaistion (von Theben) eine andere, wieder andere Anderes meinen und glauben und man unter ihnen niemanden finden wird, der nicht Glaubwürdigkeit über den Ausgang von Ereignissen anhand der

98 Gemeint sind die babylonischen Astrologen.

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Discordia Hebraeorum cum Graecis et Arabicis

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8. Contra Avenrodan nullum fuisse locutum in astrologia cum ratione ait praeter Ptolemaeum et quodsi inspexeris dicta aliorum, invenies ea multum a veritate remota, dicta vero Ptolemaei nullo modo posse falsa reperiri. Hebraei quoque Hebraeorumque primus Abraam Avenazra dissentit a Ptolemaeo et Albumasarem saepe laceravit, immo totum eius librum, qui Latine censetur De magnis coniunctionibus, abiciunt atque repudiant. Si veri igitur erunt sequaces Ptolemaei, nonne et veteres Arabes eorum sectatores necessario mentiuntur? Et si libri illi, quod isti iactant, in omnium erant admiratione, quia vera prodebant, nonne necessario et risu fuit Ptolemaeus dignus et Albumasar suo quisque saeculo et alii similiter ab illorum decretis omnino deviantes? 9. Et tamen ita fuisse semper comperies, ut apud omnem gentem, apud omnem aetatem viri fuerint semper, qui vera praedici dixerint ab astrologis, quod non veritate dogmatum, sed casu contigit, nec umquam defuisse, qui fallaciam istam

Font.: 1–2 Avenrodan – Ptolemaeum ] cf. Haly Aven. Comment. Tetr. 1,4 [fol. A2r ] 4 Abraam Avenazra – Ptolemaeo ] cf. Abrah. Avenez. revol. prooem. fol. r Albumasarem saepe laceravit ] Abrah. Avenez. revol 1 fol. v Sim.: 1–2 Contra Avenrodan – Ptolemaeum ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586; quaest. falsit. p. 146,34–36 3–6 Hebraei – repudiant ] cf. rer. praen. 5,12 p. 586 Hebraei – laceravit ] cf. quaest. falsit. pp. 146,36–147,1 App. crit.: 6 abiciunt atque repudiant] abicit atque repudiat fort. scribendum (cf. rer. praen. 5,12 p. 586) 7 que addidi 8 quod] quos Garin quia BB BP Garin : quare αβO 9 dignus add. BP 11 ita] ista Garin 12 dixerint αVRCF : dixerunt WOGarin

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Autorität empirischer Erfahrung gewinnen will. Liegen nicht die Araber im Streit sowohl miteinander als auch mit den Griechen? Wie zudem Ptolemaios jene alte Astrologie zurückweist, so lehnt Abū Ma῾šar die Astrologie des Ptolemaios so sehr ab, dass er sagt, in seinen Büchern könne man nichts lesen, was entweder mit der Vernunft oder mit der Erfahrung übereinstimmt. 8. ῾Alī Ridwān behauptet indessen, niemand habe auf dem Gebiet der Astrologie vernünftig gesprochen außer Ptolemaios, und wenn man die Aussagen von anderen untersucht, wird man herausfinden, dass sie weit davon entfernt sind wahr zu sein, bei Ptolemaios hingegen könne man auf keine Weise falsche Aussagen finden. Auch die Juden und der führende jüdische Denker Ibn Ezra sind nicht einer Meinung mit Ptolemaios und zerreißen Abū Ma῾šar, ja sein ganzes Werk, welches auf Latein De magnis coniunctionibus (»Von den großen Konjunktionen«)heißt, verwerfen und verschmähen sie. Wenn also die Anhänger des Ptolemaios richtig liegen, müssen dann nicht notwendigerweise die alten Araber und ihre Schüler die Unwahrheit sagen? Und wenn jene Schriften, wie sie sich brüsten, allgemeine Bewunderung fanden, weil sie wahre Tatsachen ans Tageslicht brächten, müssen dann nicht notwendigerweise sowohl Ptolemaios als auch Abū Ma῾šar beide zu ihrer Zeit dem allgemeinen Gespött gedient haben, ebenso wie andere gleichermaßen, die von deren Lehrmeinungen vollständig abweichen? 9. Dennoch wird man feststellen, dass das immer so gewesen ist, dass es bei allen Völkern und zu allen Zeiten Männer gegeben hat, die behaupteten, dass die Astrologen die Wahrheit vorhersagten – was nicht wegen der Wahrheit der Lehre geschah, sondern auf Grund von Zufall – und dass es niemals Mangel gegeben

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Nota

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non ludibrio atque conptemptui aut etiam odio habuerint. Sed quicquid de priore saeculo fuerit, sane hac nostra tempestate professorum veritate dogma confirmari non potest, cum et malos plurimum auctores sequantur et bonos non intelligant, tum ita negligenter obeant istud munus, ut nesciant multa, quae scire eos oporteat, plura etiam omittant, quae sint consideranda, et labori parcentes et ad pecuniae quaestus properantes. 10. Quodsi docere hic potius astrologiam quam confutare instituissem, funderem manum ad errata iuniorum profitentium hanc artem; sed non hoc meum consilium. Annotare tamen fortasse aliqua fuerit operae pretium, quo magis fiat manifestum non posse eos vera praedicere, etiam si verissima essent dogmata astrologorum.

App. crit.: 3 plurimum] plurimos Garin

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hat an Männern, die jene Pseudowissenschaft nicht verspotteten und verachteten oder sogar hassten. Was auch immer jedoch für die frühere Zeit gilt, offensichtlich kann die Lehre in unserer Zeit nicht durch die Wahrheit ihrer Lehrer bestätigt werden, da sie meistens den schlechten Gewährsmännern folgen und die guten nicht verstehen, insbesondere aber weil sie jene Aufgabe dermaßen nachlässig angehen, dass sie viele Dinge, die sie wissen müssten, nicht wissen und noch mehr Dinge, die sie beachten müssten, beiseite lassen, da sie mühevolle Arbeit scheuen und sich eilig finanziellen Gewinn beschaffen wollen. 10. Hätte ich mir aber vorgenommen, in diesem Werk die Astrologie eher zu lehren als sie zu widerlegen, würde ich die Hand nach den Fehlern der Jüngeren ausstrecken, die diese Wissenschaft lehren; doch dies ist nicht meine Absicht. Dennoch ist es vielleicht der Mühe wert, einige Dinge anzumerken, damit umso deutlicher wird, dass diese Leute selbst dann nicht die Wahrheit sagen könnten, wenn die Lehren der Astrologie vollkommen wahr wären.

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Caput VII – De ignorantia astrologorum nostrae aetatis.

Ptolemaeus

1. Praenuntiata hominum ista vel sunt universalia, ut cum ex schemate anni, ex defectu Solis et Lunae, ex congressionibus siderum superiorum futura in universum bona aut mala praenuntiant, vel sunt particularia, qualia ex propria uniuscuiusque genitura de privato illius fato aliquid divinant. In primo genere nihil efficacius defectu luminarium, a quibus utpote universalissimis causis universales maxime inferiorum mutationes eveniunt. In altero nihil habet maius momentum aequatione, quae de spatio vitae et annorum numero fieri solet. In utroque mirum, quantum aberrent neoterici barbarique scriptores, quorum auctoritas ususque potissimus apud nostros astrologos. 2. Scribit Ptolemaeus secundo libro Apotelesmaton in defectu Solis duo in primis observanda, locum scilicet, in quo deficit Sol, et angulum, qui eum locum

Font.: 2–5 Praenuntiata hominum – divinant ] cf. Ptol. apotel. 2,1,2–3 5–7 In primo genere – eveniunt ] cf. Ptol. apotel. 2,5,1; Ps.-Ptol. cent. 24 7–8 In altero – fieri solet ] cf. Ptol. apotel. 3,11,1 340.11–342.1 Scribit – sequitur ] Ptol. apotel. 2,8,1–2 Sim.: 340.11–342.5 Scribit Ptolemaeus – elicitur ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6r App. crit.: 9 neoterici] neotorici G (corr. Gc )

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Kapitel 7 – Von der Unwissenheit der zeitgenössischen Astrologen. 1. Besagte Vorhersagen der Menschen sind entweder genereller Art, sodass sie anhand der Jahresprognostik, anhand von Sonnen- und Mondfinsternissen und anhand der Konjunktionen der oberen Planeten generelle gute oder schlechte zukünftige Ereignisse vorhersagen, oder sie sind speziell, wie die, die anhand der jeweiligen Geburtskonstellation eines jeden Einzelnen etwas über dessen Schicksal vorhersagen. Auf dem ersten Gebiet ist nichts wirksamer als eine Finsternis der Luminare, von denen im besonderen Maße aus – sie sind ja die allgemeinsten Ursachen – die allgemeinen Veränderungen der unteren99 Dinge bewirkt werden. Auf dem zweiten Gebiet ist nichts einflussreicher als die Berechnung, die sich aus der Lebensspanne und der Anzahl der Jahre gewöhnlich ergibt. Auf beiden Feldern ist es wunderlich, wie sehr die jüngeren und barbarischen100 Schriftsteller sich irren, die bei unseren Astrologen in Ansehen stehen und vornehmlich herangezogen werden. 2. Im zweiten Buch seiner Apotelesmata schreibt Ptolemaios, man müsse bei einer Sonnenfinsternis insbesondere zwei Dinge beobachten, nämlich den Ort, in

99 Mit inferior wird die sublunare, also unterhalb des Mondes befindliche, Sphäre im geozentrischen Weltbild bezeichnet, die Wandel und Verfall unterworfen ist; hierzu gehören insbesondere die irdischen Lebewesen und der Mensch. So schreibt z.B. Thomas von Aquin in seiner Summa theologiae (summ.1 quaest.39, art.8): omnia inferiora dicuntur vivere. 100 Gemeint sind die Astrologieschriftsteller, die nicht Latein (oder Griechisch) schreiben, also insbesondere die arabischen.

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Ioannes Astedensis

Graecus interpres Apotelesmaton Ptolemaei

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proxime sequitur, ut, si gratia exempli in nona caeli regione de | fectus obtigerit, decimi loci angulus observetur; si in undecima vel duodecima, angulus orientis. Quamquam autem ibi Graece scribitur τοῦ ἑπομένου κέντρου, hoc est »sequentis anguli«, in vulgata translatione habetur »anguli praecedentis«, unde contrarius omnino sensus elicitur. 3. Data est barbaris erroris occasio ita, ut Ioannes Astendensis in eo opere, quod vulgo vocant Summam Anglicam, cui fides praecipua apud nostros, postquam se longa et argumentosa torsit quaestione, tandem ex sententia Ptolemaei definit eum debere angulum observari, non qui sequatur, sed qui praecedat locum, in quo defectus luminaris acciderit; quod esse omnino sententiae Ptolemaei contrarium ex eo patet, quod diximus, quia scilicet Graece ἑπομένου est scriptum, hoc est »sequentis«, non προηγουμένου, hoc est »praecedentis«. 4. Sed quia etiam paulo post Ptolemaeus explicans ipse, quinam sint isti anguli, meridianum Solis et orientem angulum nominavit, ibi admonet nos Graecus interpres omitti angulum occidentis, qui sequi defectus locum non potest, nisi

Font.: 4 in vulgata translatione – praecedentis ] cf. Ptol. tetrabib. transl. Plat. Tib. 2,7 [!] fol. E6r 6 Ioannes Astendensis ] cf. Ioann. As. summ. astrolog. 1,3,4 p. 20v 13–14 paulo post – nominavit ] cf. Ptol. apotel. 2,8,4 342.14–344.2 Graecus interpres – non putant ] cf. Anon. comm. in Ptol. apotel. p. 70 Sim.: 6–10 Data est – acciderit ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6r 342.15–344.1 omitti – obscuraretur ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6r App. crit.: 3 Quamquam scripsi : Quoniam ΩGarin scribitur] expectes scriptum est τοῦ ἑπομένου κέντρου Garin (cf. Ptol. apotel. 2,8,2) : του επομενου κεντρου B : τον επομενον κεντρον G : ἑπομένου κέντρου O : lac. ind. β (om. D) 6 Tit. Astendensis correxi 7 quod BCorr : quem ΩGarin Anglicam αGarin : angelicam βO 10 sententiae OGarin : sententia αβ 11 quia corr. Garin : quare Ω ἑπομένου OGarin : επομενου B : om. Gβ (lac. non ind. D) 12 προηγουμένου scripsi : om. Bβ (lac. non ind. DW) : επομενον G : ἡγουμένου O : προηγμένου Garin 14 ibi scripsi : ubi ΩGarin

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dem die Sonne sich verfinstert, und den Kardinalpunkt101 , der auf diesen Ort als nächster folgt, sodass beispielsweise der Kardinalpunkt des zehnten Ortes102 beachtet werden muss, wenn die Sonnenfinsternis im neunten Himmelsort stattfindet, der Aszendent hingegen, wenn sie sich im elften oder zwölften Ort ereignet. Obwohl dort aber auf Griechisch steht τοῦ ἑπομένου κέντρου, das heißt »des folgenden Kardinalpunktes«, steht in der allgemein verbreiteten Übersetzung anguli praecedentis (»des vorhergehenden Kardinalpunktes«), woraus sich die vollkommen gegenteilige Bedeutung ergibt.103 3. Den Barbaren wurde so eine Gelegenheit zum Irrtum gegeben, sodass Johannes von Eschenden der bei unseren Zeitgenossen besonderes Vertrauen genießt, in seinem Werk, welches allgemein Summa Anglica genannt wird, nachdem er sich in einer langen und spitzfindigen Erörterung gewunden hat, schließlich behauptet, nach Meinung des Ptolemaios müsse der dem Ort der Sonnenfinsternis vorangehende Kardinalpunkt beachtet werden, nicht der folgende; dass dies der Meinung des Ptolemaios gänzlich entgegengesetzt ist, wird anhand des von mir bereits Erläuterten deutlich, da nämlich im Griechischen ἑπομένου geschrieben steht, also »der folgende«, nicht aber προηγουμένου, was soviel heißt wie »der vorangehende«. 4. Weil aber Ptolemaios kurze Zeit später bei der Erklärung jener Kardinalpunkte die obere Kulmination und den Aszendenten anführte, weist uns ein Griechischer Kommentator darauf hin, dass der Untergangspunkt an dieser Stel-

101 Die Kardinalpunkte sind die Hauptpunkte am Himmel, nämlich der Aufgangspunkt (Aszendent), der Untergangspunkt (Deszendent) sowie die obere Kulmination oder Himmelmitte (medium caelum) und die untere Kulmination (imum caelum); vgl. hierzu auch Heilen (2015: S. 643) sowie Hamel (2010: S. 375). 102 Gemeint ist die ›obere Himmelsmitte‹ (medium caelum), der nach dem Aszendenten bedeutendste Kardinalpunkt; vgl. hierzu sowie zur – mathematisch nicht korrekten – Ineinssetzung von Zeichen und Ort Heilen (2015: S. 643). Vgl. auch die Definition der Himmelmitte bei Firmicus Maternus (Firm. math. 2,15,4): Medium vero caelum est ab horoscopo X. signum. 103 Tatsächlich findet sich in der Übersetzung von Platone da Tivoli (Ptol. tetrabib. transl. Plat. Tib. 2,7 fol. E6r ): eclypsis locus indicatur et signorum etiam in quibus erratice et non erratice consistunt stelle, que signo eclypsis et signo anguli precedentis eclypsi donando disponunt. Bereits in der Antike gab es immer wieder Missverständnisse bezüglich der Unterscheidung von »folgen« (sequi) und »vorausgehen« (praecedere), je nachdem, ob die Tagesrotation oder die Planetenbewegung durch den Tierkreis als Orientierung dient. Bei den hier besprochenen Orten hingegen gibt es keinerlei Zweideutigkeit, da diese immer auf die Tagesrotation Bezug nehmen; vgl. zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten auch Heilen (2015: S. 1220f.), der auch auf ähnliche Verwechslungen eingeht. Eine umfassende Darstellung der astrologischen Technik der Dodekatropos, also der Einteilung des Himmels in Orte, findet sich ebd.: S. 689–702.

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Haly Abenzagel Hylegh

Ptolemaeus

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sub terra Sol obscuraretur, quod, cum accidit, vim futurorum effectricem habere non putant. Quodsi praecedens angulus esset observandus, et oriens omitti debuit a Ptolemaeo, qui praecedere Solem deficientem nisi sub terra non potest, et occidens annumerari, qui, sive octavo sive nono caeli loco defecerit, praecurrere semper eum et antecedere invenietur. Ex hoc autem errore tota praedicendi ratio commutatur, cum nihil in praedicendo magis respiciant, quam naturam et statum siderum cum loco luminarium, tum illi angulo praedominantium; qui cum alius erit atque alius, erit etiam alius aliusque dominator; et pro diversa dominantis sideris natura varia, immo contraria, fiet semper de futuris eventis pronuntiatio. 5. Super spatio vitae praevidendo quam nihil videant isti divinaculi, paucis ostendam. Haly Abenzagel, oraculum astrologorum huius aetatis, quarta parte operis sui ex sententia ait Ptolemaei quinque esse hylegh (ita enim ipsi loquuntur): Solem, Lunam, horoscopum, partem Fortunae et locum plenilunii vel novilunii proxime antecedentis; praeter autem haec quinque planetas considerandos in illis quinque locis et ius et auctoritatem obtinentes. In proximo capite de eo loquens, quem vocant ›alchochoden‹, est autem annorum dator, »Ptolemaeus«, inquit, »alchochoden facit planetam, qui plus auctoritatis habuerit in hylegh, sive eum respexerit, sive non respexerit«, et ita deinceps multa iterat saepe de hoc alchochoden ex sententia Ptolemaei.

Font.: 1–2 quod cum accidit – non putant ] cf. Ptol. apotel. 3,11,4 11–15 Haly Abenzagel – obtinentes ] cf. Haly iudic. astr. 4,3 p. 147 15–18 Ptolemaeus – non respexerit ] cf. Haly iudic. astr. 4,4 p. 148 Sim.: 2–4 Quodsi praecedens – annumerari ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6r 11 Haly – aetatis ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v praedicendi] praecedendi WO 9 varia] vana R App. crit.: 5 eum Garin : eam Ω 10 praevidendo] praecidendo Garin divinaculi] divinatorculi G 12 hylegh del. et hylegialia in marg. add. BF 17 facit corr. Garin : faciunt Ω 18 eum] cum O

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le beiseite gelassen werde, der dem Ort der Finsternis nicht folgen könne, es sei denn, die Sonne würde sich unter der Erde verdunkeln – dann aber, so glauben sie, habe dies keine wirkende Kraft über zukünftige Ereignisse.104 Wenn hingegen der vorangehende Ort betrachtet werden müsste, hätte Ptolemaios sowohl den Aufgangspunkt beiseite lassen müssen, da dieser der verfinsterten Sonne nur unter dem Horizont vorhergehen kann, als auch den Untergangspunkt hinzuzählen müssen, der – wenn sie sich im achten oder neunten Ort verfinstert – ihr immer vorangehen und vorauseilen wird. Infolge dieses Fehlers wird aber der ganze Sinn der Vorhersage auf den Kopf gestellt, da die Astrologen bei der Vorhersage nichts in höherem Maße berücksichtigen als die Beschaffenheit und die Position der Himmelskörper, die einerseits über den Ort, an dem sich die Luminare befinden, herrschen, andererseits über jenen Kardinalpunkt; wenn er jedoch jedes Mal ein anderer ist, wird auch sein Beherrscher jedes Mal ein anderer sein; und gemäß der unterschiedlichen Beschaffenheit des herrschenden Gestirns wird sich immer auch eine unterschiedliche oder vielmehr sogar gegenteilige Vorhersage zukünftiger Ereignisse ergeben. 5. Wie sehr es zutrifft, dass diese Wahrsagerlinge nichts über die Lebensspanne wissen, werde ich mit wenigen Worten beweisen. Haly Abenragel, der für die zeitgenössischen Astrologen eine Art Orakel ist, sagt im vierten Teil seines Werkes, gemäß Ptolemaios’ Meinung gebe es fünf Hyleg (so nennen sie sie nämlich): Sonne, Mond, Aszendent, Glückslos und den Ort des nächsten vorangegangen Voll- oder Neumondes. Zusätzlich müsse man die fünf Planeten betrachten, die in diesen fünf Orten Recht und Herrschaft innehaben.105 Im folgenden Kapitel, wo er über den sogenannten ›Alcochoden‹ spricht, also den ›Geber der Jahre‹, sagt er: »Ptolemaios macht den Planeten zum Alcochoden, der am meisten Einfluss im Hyleg hat, sei es, dass er mit ihm einen Aspekt bildet, sei es, dass er keinen Aspekt

104 Vgl. Anon. comm. in Ptol. apotel. p. 70: οὐκ ἔλαβεν ὡς ἑπόμενον, ἀλλ᾿ ἐσιώπησε τὸ δύνον [!]. ἐὰν γὰρ λάβῃ τίς τοῦτο τὸ κέντρον ὡς ἑπόμενον, εὑρίσκεται ὑπὸ γῆν ἡ ἔκλειψις, ὅπερ οὐδὲν ἡμῖν προσήκει. Die Bezeichnung sub terra ist in Bezug auf den Horizont gemeint. 105 Der Hyleg ist ein Ort im Horoskop, der Gesundheit und Leben beeinflusst und somit für die Länge des Lebens von Bedeutung ist (vgl. Hamel 2010: S. 333). So schreibt Haly (Haly iudic. astr. 4,3 p. 147): Ptolemaeus …aspiciebat quinque hylech, qui sunt Sol, Luna, gradus ascendentis, pars fortunae, et locus coniunctionis vel oppositionis praecedentis nativitatem et planetae virtutem habentes in suis locis.

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Evidentissimus error astrologorum

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6. Nostri astrologi, qui hunc et alios barbaros sequuntur in eodem errore versantes, quisnam sit hylegh, quis sit alchochoden, ex sententia Ptolemaei in omni genitura perscrutantur. At vero apud ipsum Ptolemaeum tam est nihil omnino istud alchochoden, quam est nihil hircocervus atque chimera. Lege omnes eius libros, lege omnes interpretes, lege etiam barbaras translationes nec dictionem aut dictionem ei respondentem apud eum invenies. Nam ista quidem opinio aliud faciens in genituris hylegh, aliud vitae annorumque largitorem, quem appellant »alchochoden«, posteriorum est. 7. Ptolemaeus – nec eo antiquiores tale aliquid umquam opinati sunt – ipse loca primum enumerat, quae vocat »aphetica«, Arabes »hyleghialia«, Latine dicere possumus »dimissoria«, sic dicta ab eo, quod inde vitae cursus quasi ex carceribus dimissionis initia sorti | atur; et sunt loca illa supra terram vel occidenti vel horoscopo aliqua affinitate connexa. 8. Tum aphetas, hoc est ›dimissores‹, ipsos constituit, qui ex illis locis, quasi carceribus, suo (ut ita dixerim) afflatu vitae impetum largiantur, quos esse vult Solem, Lunam, horoscopum, partem Fortunae et praedominantes in illis locis erraticas stellas. Praeter hos, quibus hyleghii omnes numerantur, nullum alium facit annorum distributorem, quamquam quod hi, quos diximus, aphetae largiuntur et accumulari et exhauriri posse putet commercio felicium siderum vel infelicium.

Font.: 9–10 Ptolemaeus – aphetica ] cf. Ptol. apotel. 3,11,3–4 14–17 Tum aphetas – erraticas stellas ] cf. Ptol. apotel. 3,11,5 18–19 quod hi – vel infelicium ] cf. Ptol. apotel. 3,11,10 Sim.: 3–8 At vero – posteriorum est ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v hircocervus] hycrocervus FO 10 hyleghialia BB BP BEC G : App. crit.: 4 istud] illud OGarin hylegh. alia Bβ : Hilech alia O 12 loca scripsi : nota ΩGarin 15 carceribus] carentibus O

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bildet« und so wiederholt er oft im Folgenden vieles über diesen Alcochoden nach Meinung des Ptolmaios.106 6. Die zeitgenössischen Astrologen, die ihm und anderen Barbaren folgen, die denselben Fehler begehen, untersuchen bei jeder Geburt nach Anweisung des Ptolemaios, wer der Hyleg ist und wer der Alcochoden. In Wahrheit jedoch findet sich bei Ptolemaios selbst ebenso wenig jener Alcochoden, wie sich dort ein Ziegenhirsch findet oder eine Chimäre.107 Lies alle seine Bücher, lies alle seine Kommentatoren, lies sogar die barbarischen Übersetzungen: dennoch wirst du diesen Ausdruck oder auch nur einen entsprechenden Ausdruck nirgends bei ihm finden. Denn jene Ansicht, dass der Hyleg bei Geburten das eine bewirkt, etwas anderes der Geber des Lebens und der Jahre, den sie Alcochoden nennen, ist freilich die Ansicht der späteren Astrologen. 7. Ptolemaios und auch seine Vorgänger haben niemals etwas derartiges erwähnt: Er selbst zählt zuerst die Orte auf, die er »aphetische Orte« nennt, die Araber hingegen »Hylegialia«, Lateinisch können wir sie »dimissoria«108 nennen, die so genannt werden, da der Lauf des Lebens aus ihnen wie aus den Schranken der Rennbahn entsandt seinen Anfang nimmt, und jene Orte sind über dem Horizont und bilden entweder mit dem Deszendenten oder mit dem Aszendenten irgendeinen Aspekt. 8. Dann bestimmt er die Aphetai (Entsender), also die ›dimissores‹ selbst, die von jenen Orten aus wie aus den Schranken der Rennbahn durch ihren Hauch109 den Schwung des Lebens gewähren; diese sind nach seinem Willen Sonne, Mond, der Aszendent sowie das Glückslos und die in jenen Orten herrschenden Wandelsterne. Außer diesen, unter die auch alle Hyleg gezählt werden, erwähnt er keinen anderen Verteiler von Jahren, obwohl er glaubt, dass das, was die von uns Aphetai

106 Vgl. Haly iudic. astr. 4,4 p. 148: Ptolemaeus dicit, quod alcochoden est planeta habens maius dominium in hylech, et quod ille planeta, qui habet plures dignitates in hylech est alcochoden sive aspiciat, sive non aspiciat. 107 Ziegenhirsch (lat. hircocervus, griech. τραγέλαφος) und Chimäre galten in der antiken Literatur als Paradebeispiele für Fabelwesen; während sich das Motiv bereits in der Komödie findet (z.B. Aristoph. ra. 937), gilt insbesondere der Ziegenhirsch auch bei Aristoteles (z.B. phys. 4,1 208a 30; int. 1 16a 16–18) und Platon (z.B. resp. 6,4 p. 488A 6) als Beispiel für sinnloses Zusammenfügen unterschiedlicher Elemente bzw. als Paradebeispiel eines zwar vorstellbaren, reell jedoch nicht existenten Wesens. In der Bibel hingegen (Vulg. deut. 14,5,2 sowie Iob 39,1,1) sowie bei Plinius (nat. 8,120) wird eine (existierende) Antilopen- oder Ziegenart mit diesem Namen bezeichnet. 108 Also zu den dimissores (Entsendern) gehörig. 109 Wortspiel mit der Ähnlichkeit der Begriffe aphetes und afflatus.

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Haly

Error Haly

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9. Barbari et nostrates praeter istos aphetas, quos ipsi »hylegh« vocant, alium esse credunt ex sententia etiam Ptolemaei, qui vivendi spatia decernat, quem vocant »alchochoden«; de qua re, ut dicebam, nihil usquam ipse Ptolemaeus, ex cuius tamen opinione de eo ipsi multa quaerunt, disputant et definiunt. Nec solum errant in hoc, unde tota rei summa dependet, sed in ipsorum etiam hyleghiorum numeratione, cum inter ea Haly locum novilunii aut plenilunii praecedentis poni dicat a Ptolemaeo. Quod tamen, sive nocturna fuerit genitura, sive diurna, faciendum numquam censet Ptolemaeus. 10. Quid, quod iste Haly accusat Ptolemaeum quasi secum pugnantem gloriaturque magnopere super hac Ptolemaei taxatione, in qua neminem sibi umquam ait adversatum, et Deo secretorum revelatori gratias agit ingentes? Pugnare autem ita eum dicit, quod octavum locum inter hylegia non enumerat, quia horoscopum non respiciat, in alchochoden tamen deligendo nihil putet referre, respiciat hylegh an non respiciat. 11. Quid desipis, Barbare, aut quid somnias? Ubi apud Ptolemaeum alchochoden legistis? Sed scio, quid eum ceterosque deceperit: Ptolemaeus inter hylegia planetas ponit in reliquis locis hyleghialibus dominantes; isti rem esse eos diversam putant ab hylegiis, ut reliqua quattuor, Sol, Luna, horoscopus et pars Fortunae, cui et falso novilunium pleniluniumque addiderunt, sola hylegii haberent rationem, planetae eorum locorum dominatores annos decernerent. Et quoniam Ptolemaeus de dominantibus planetis nusquam dixit esse necessarium, ut hylegia aspicerent, mirati sunt, cur illa duo, quae scilicet ipsi duo esse putant, hyleg scilicet et alchochoden, aspectus societate copulanda non existimaverit, cum nulla

Font.: 6–7 Haly – a Ptolemaeo ] Haly iudic. astr. 4,3 p. 147 9–14 Haly – non rexpiciat ] cf. Haly iudic. astr. 4,4 p. 151 11 Deo secretorum revelatori ] cf. Vulg. Dan. 2,47 16–17 Ptolemaeus – dominantes ] cf. Ptol. apotel. 3,11,5 Sim.: 5–8 in ipsorum – Ptolemaeus ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v App. crit.: 6 praecedentis corr. Garin : praecedentes Ω 7 sive1 ] sine G (corr. Gc ) 11 agit] ait O 16 legistis] fort. scribendum legisti

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bezeichneten, gewähren, gesteigert oder verringert werden kann durch den Einfluss Glück oder Unglück verheißender Sterne. 9. Die Barbaren und unsere Zeitgenossen glauben, es gebe auch nach Ansicht des Ptolemaios außer jenen Aphetai, die sie selbst »Hyleg« nennen, etwas anderes, was die Lebensspanne bestimmt, was sie als »Alcochoden« bezeichnen; darüber findet sich bei Ptolemaios jedoch, wie ich bereits sagte, nirgends etwas, obwohl sie nach seiner angeblichen Lehrmeinung viele Dinge anhand des Alcochoden untersuchen, erörtern und bestimmen. Sie irren sich aber nicht nur darin, wovon die ganze Sache abhängt, sondern auch in der Anzahl der Hyleg selbst, da Haly behauptet, Ptolemaios rechne unter jene auch den Ort des vorangegangenen Neuoder Vollmonds. Dass man dies bei einer Nacht- oder Taggeburt berücksichtigen müsse, äußert Ptolemaios allerdings niemals. 10. Was soll man dazu sagen, dass dieser Haly Ptolemaios beschuldigt, er würde sich selbst widersprechen, und sich sowohl sehr für diese Kritik an Ptolemaios brüstet, bei der ihm niemals jemand widersprochen habe, als auch Gott als dem Enthüller der Geheimnisse seinen größten Dank ausspricht? Er behauptet aber, Ptolemaios widerspreche sich selbst, weil er den achten Ort nicht zu den Hyleg rechne, da er selbst keinen Aspekt zum Aszendenten bilde, bei der Bestimmung des Alcochoden hingegen glaube er, es spiele keine Rolle, ob er einen Aspekt zum Hyleg bilde oder nicht.110 11. Warum bist du so töricht, Barbar, oder was erträumst du dir da? Wo habt ihr jemals bei Ptolemaios etwas von einem Alcochoden gelesen? Ich weiß indessen, was ihn und die übrigen in die Irre geführt hat: Ptolemaios zählt zu den Hyleg die Planeten, die in den übrigen aphetischen Orten herrschen. Jene aber glaubten, es handle sich bei diesen Planeten um etwas anderes als bei den Hyleg, sodass die übrigen vier, also Sonne, Mond, Aszendent und Glückslos, denen sie fälschlicherweise noch den (vorangegangenen) Neu- oder Vollmond hinzufügten, allein die Bedeutung des Hyleg hätten, während die Planeten, die in jenen Orten herrschten, die Anzahl der Jahre bestimmten. Und da Ptolemaios nirgends über

110 Vgl. Haly iudic. astr. 4,4 p. 151: Tamen ego miratus sum de eo quod non accipit hylech in octava domo, licet non aspiciat, quum ipse accipiat dominos hylech non aspicientes pro alcochoden, similiter eos qui addunt in vita sine aspectu. Haec videtur diversitas sui ipsius, de quo miratus sum, nec aliquem vidi nec audivi qui contradicat mihi in hic quod dico de Ptolemaeo. Benedictus tamen et laudatus sit ille qui est cognitor secretorum.

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sit tamen culpa Ptolemaei, si inter ea, quae unum sunt, societatem aspectus non quaesivit. Non enim apud eum umquam, cum Sol aut Luna erunt hylegialia, alius erit planeta praeter ea vitae dispositor, sed tunc utitur dominatore planeta, cum in annorum donatione reliqua hylegia auctoritatem non habent. 12. Quod cum est, nullum potest relinqui vitali planetae commercium cum aliquo hyleghiorum, quod praeter eum scilicet nullus inveniatur; quod nescio quomodo isti ex verbis Ptolemaei non intellexerint, aut non ex eis aliquis hoc deprehenderit, sed ita in hunc errorem gregatim omnes abierint, ut non sit, qui alchochoden et hylegh ex sententia Ptolemaei non requirat. 13. Vide, quomodo sunt vera dogmata astrologorum et quomodo praedicere isti vera de vitae spatio possint, praesertim cum his, quos diximus, erroribus maximus accumuletur, quod numerum annorum etiam ex opinione Ptolemaei praescribunt planetae, qui sit vitae largitor, iuxta illud apud eos vulgatum, annos tot esse Solis maiores, tot minores, tot medios, tot Lunae, tot Martis, atque ita de sideribus aliis, cum tamen Ptolemaeus et | Aegyptiacam istam reiciat opinionem nullam eam dicens habere rationem et, ubi de vitae spatio loquitur, non ex natura planetarum, sed ex numero partium circuli aequatoris annos dinumeret inter locum vitae, hoc est dimissorem, et letalem alium, sive interimentem, interceptarum, ad quem scilicet primum lassescentis iam vitae cursus graviter offendat natum, ut, cum aphetes inter finitorem et fastigia caeli fuerit collocatus, inambulatio illa servetur, quam

Font.: 2–4 Non enim – non habent ] cf. Ptol. apotel. 3,11,7 15–16 Ptolemaeus – habere rationem ] cf. Ptol. apotel. 1,21,5 16–17 ubi de vitae – locum vitae ] cf. Ptol. apotel. 3,11,10; 3,11,15–16 350.20–352.1 inambulatio – ἀκτινοβολίαν ] cf. Ptol. apotel. 3,11,9; Heph. 1,16; Ps.-Porph. isag 24 pp. 202,11–203,15 App. crit.: 3 praeter ea α : praeterea βOGarin 10 sunt] expectes sint 11 quos scripsi : quae ΩGarin 12 accumuletur αβ : accumulatur OGarin 17 inter correxi coll. disp. 6,18 (p. II 134 Garin) et Ptol. apotel. 3,11,15 : iuxta Ω 18 dimissorem corr. Garin : divisorem Ω

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die herrschenden Planeten sagt, sie müssten notwendigerweise in einem Aspekt zu den Hyleg stehen, wunderten sie sich, warum jene zwei, die sie natürlich nur selbst für zwei unterschiedliche Dinge hielten, nämlich der Hyleg und der Alcochoden, nach Ansicht des Ptolemaios nicht durch einen Aspekt in Verbindung miteinander stehen müssen, wobei Ptolemaios dennoch keine Schuld trifft, wenn er zwischen dem, was ein und dasselbe ist, keine Verbindung durch Aspektbildung behandelt hat. Denn bei ihm wird niemals, wenn Sonne oder Mond Hyleg sind, zusätzlich dazu ein anderer Planet Lebensspender sein, sondern er greift nur dann auf einen herrschenden Planeten zurück, wenn die übrigen Hyleg beim Bestimmen der Jahre keinen Einfluss haben. 12. Tritt dieser Fall ein, kann der lebensspendende Planet keinen Aspekt mit irgendeinem der Hyleg bilden, da natürlich außer ihm selbst kein solcher zu finden ist; wie sie dies aus den Worten des Ptolemaios haben missverstehen können oder warum nicht irgendeiner von ihnen diesen Irrtum bemerkt hat, weiß ich nicht, aber sie sind alle scharenweise diesem Irrtum dermaßen verfallen, dass es keinen gibt, der nicht nach (vermeintlicher) Anweisung des Ptolemaios nach dem Alcochoden und dem Hyleg sucht. 13. Sieh nun, wie zutreffend die Lehren der Astrologen sind und wie sie die Länge der Lebenszeit vorhersagen können, zumal da zu den Fehlern, die wir bereits genannt haben, der größte noch hinzukommt, nämlich dass sie die Anzahl der Jahre sogar nach Meinung des Ptolemaios dem Planeten zuschreiben, der der Lebensspender ist111 – gemäß jener Ansicht, die bei ihnen verbreitet ist, es gebe so und so viele größere Jahre der Sonne, so und so viele kleinere Jahre und so und so viele mittlere Jahre und ebenso viele des Mondes, des Mars und aller anderen Gestirne, obschon Ptolemaios einerseits diese ägyptische Ansicht mit dem Hinweis ablehnt, sie habe keinerlei vernünftige Grundlage, andererseits an den Stellen, an denen er von der Länge des Lebens spricht, die Jahre nicht anhand der Eigenschaften der Planeten bestimmt, sondern anhand der Anzahl der äquatorialen Bogen-

111 Gemeint ist die Lehre der sogenannten Planetenjahre, bei der die Lebensdauer von einem jeweils zu bestimmenden Planeten besonders abhängig ist. Steht dieser zum Zeitpunkt der Geburt günstig, verleiht er eine entsprechende Höchstzahl von Jahren, anderenfalls entsprechend geringere Werte, die nach einem komplexen System berechnet werden. Vgl. zu dieser Lehre insbesondere Heilen (2015: S. 648–650), der ebd. auch einen systematischen Überblick über die jeweiligen Jahre der Planeten bietet (Tabelle 11).

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Graeci vocant ἀκτινοβολίαν, hoc est »radiosam proiectionem«, cum autem a fastigio declinaverit ad occasum utroque versum ducta, utamur percensione, quam vocant ὡριμαίαν, nos dicere »horariam« possumus. 14. Quae omnia ita nesciunt nostri astrologi, ut, haec etiam si legant, monstra audire se putaturos equidem nihil dubitem; et nos tamen illorum praedictionibus nimis misere creduli Nestoream nobis senectam promittentibus dominicae vocis obliviscimur iubentis esse paratos, qui nec diem obitus nostri nec horam sciamus. Si brevem vitam fuerint comminati, torquemur anxii dies et noctes et unius rabulae vox omnem nobis eripit vitae iucunditatem. 15. Inquit Haly, si planeta fortunator fuerit in horoscopo, addet ex sententia Ptolemaei annis vitae annos suos minores, et tamen, ut mox dicebam, apud Ptolemaeum nulli sunt planetarum anni vel maiores, vel medii, vel minores, et de an-

Font.: 1 hoc est radiosam proiectionem ] cf. Ptol. tetrabib. transl. Plat. Tib. 3,10 [!] fol. D5v 2–3 quam vocant – possumus ] cf. Ptol. apotel. 3,11,9 6–7 dominicae vocis – sciamus ] cf. Vulg. Matth. 25,13; 24,44 10–11 Inquit Haly – minores ] cf. Haly. iudic. astr. 4,4 p. 151; 4,6 p. 155 Sim.: 6–7 dominicae vocis – sciamus ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v App. crit.: 1 ἀκτινοβολίαν OGarin : ακτινοβολιαν BG : om. et lac. ind. β (lac. non ind. D) 3 ὡριμαίαν O : ωριαιαν BG : om. et lac. ind. β (lac. non ind. D) : ὡριαίαν Garin 8 anxii αVRCF : an xii W : an 12 O rabulae αGarin : tabulae βO

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grade abzählt, die zwischen dem Ort des Lebens, also dem Entsender (dimissor), und einem anderen, tödlichen Ort, der die Jahre wegnimmt, liegen, bei dem angekommen der Lauf des bereits ermattenden Lebens zum ersten Mal ernsthaft in Gefahr gerät, sodass, wenn der Aphetes zwischen Horizont und dem Himmelsgipfel aufgestellt ist, jene Wanderung112 beachtet werden muss, die die Griechen ἀκτινοβολία (Aktinobolie), das heißt »Strahlenwurf« (radiosa proiectio), nennen, wenn er sich aber vom höchsten Punkt des Himmels zum Untergangspunkt neigt, wir auf jene auf beide Seiten mögliche Durchmusterung113 zurückgreifen, die die Griechen ὡριμαία (Horimaia) nennen und die wir »Stundenlehre« (horaria) nennen können.114 14. All das betreffend sind unsere zeitgenössischen Astrologen derart unwissend, dass sie, selbst wenn sie dies hier läsen, zweifellos glauben würden, sie hörten abenteuerliche Geschichten. Wir hingegen schenken dennoch allzu leichtgläubig ihren Vorhersagen Gehör, wenn sie uns das Alter von Nestor versprechen, und vergessen dabei die Stimme unseres Herrn, die uns befiehlt bereit zu sein, da wir weder den Tag unseres Todes wissen noch die Stunde. Sollten sie uns aber nur ein kurzes Leben angedroht haben, quälen wir uns ängstlich Tag und Nacht und die Stimme eines einzelnen Schreihalses entreißt uns allen Frohsinn unseres Lebens. 15. Haly sagt, dass, wenn ein lebensspendender Planet im Aszendenten steht, er nach Ansicht des Ptolemaios den Lebensjahren seine kleineren Planetenjahre hinzufügen werde, und dennoch finden sich bei Ptolemaios, wie ich schon sagte,

112 Paulus Alexandrinus spricht ebenfalls von einem περίπατος (Paul. Alex. 35 p. 95,11-16); vgl. hierzu auch Heilen (2015: S. 987). 113 Zum Begriff percensio vgl. disp. 6,18 (p. II 134 Garin) : Iam partes quibus utuntur in omni praedictione, nonne merum figmentum, res vana, dogma voluntarium? Numera, inquiunt, gradus inter hunc planetam et illum interceptos, et cum totidem ab horoscopo gradus percensueris ubi numerus desinet, pars erit ibi rei cuiuspiam significatrix, non aliter observanda quam planetae, quam stellae. 114 Zur Aktinobolie, einem komplexen Verfahren zur Berechnung der Lebenszeit, und der dazugehörigen Horimaia-Lehre vgl. Heilen (2015: S. 1215–1230) sowie Bouché-Leclercq (1899: S. 247–251).

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norum additione loquens Ptolemaeus aliam omnino viam sequitur usus horarum partitione, quam ille (puto) non intellexit. 16. Sed non oportet singula prosequi, alioquin in immensum liber excresceret. 17. Iam in ipsis quaestionibus, quas vocant interrogationes, nonne etiam ita insigniter errant, ut ex uno errore tota respondendi ratio pervertatur? Vulgatum enim quasi proloquium est apud eos septimum thematis locum, hoc est Occidentem, dari rei quaesitae, et tamen Ptolemaeus hunc locum non consulenti aut rei, de qua consulitur, sed ipsi, qui consulitur, mathematico praecipit dari, quod et mathematici Indorum observabant adeo, quod, cum Occidens et dominus Occidentis male se haberent, quaestioni non respondebant errorem scilicet metuentes. Sexcenta hoc genus haberem eorum errata, quae referrem, nisi illud potius spectarem, ut tota professio errare declararetur. Nam nuper Ptolemaei libros cum barbaris et Latinis auctoribus conferenti fuerunt fere omnia verubus confodienda.

Font.: 7–11 Ptolemaeus – metuentes ] cf. Pont in Ps.-Ptol. 14 p. 29; Haly Aven. comment. centil. 14 fol. O2r Sim.: 5–11 Vulgatum enim – metuentes ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v App. crit.: 13 confodienda] confondenda Garin (fortasse scribendum configenda?)

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keine Planetenjahre, weder größere, noch mittlere, noch kleinere, und Ptolemaios verfolgt, wenn er von der Berechnung der Jahre spricht, eine komplett andere Methode, indem er von einer Einteilung der Stunden Gebrauch macht, die jener, wie ich glaube, nicht verstanden hat. 16. Doch es ist nicht zweckdienlich, einzelne Fehler zu verfolgen, da unser Buch ansonsten ins Unermessliche anwachsen würde. 17. Irren sie sich denn nicht in den Fragen selbst, die sie ›Frageastrologie‹ (Interrogationes)115 nennen, derart verheerend, dass der gesamte Sinn der Antworten in Folge eines einzelnen Fehlers bereits ins Absurde verkehrt wird? Es ist bei ihnen nämlich allgemein bekannt und fast schon ein Axiom, dass der siebte Ort des Horoskops, also der Deszendent, dem gesuchten Gegenstand zugewiesen wird, und dennoch schreibt Ptolemaios vor, diesen Ort nicht dem Fragenden oder dem Gegenstand, dem die Frage gilt, zuzuweisen, sondern dem Astrologen selbst, der befragt wird; diesem Grundsatz folgten auch die indischen Astrologen in so hohem Maße, dass sie sogar, wenn der Deszendent und der Hausherr des Deszendenten schlecht standen, auf die Frage keine Antwort gaben, da sie nämlich einen Irrtum fürchteten.116 Ich wüsste weitere 600 derartiger Fehler von Astrologen, die ich anführen könnte, wenn ich nicht vielmehr darauf abzielte zu beweisen, dass sich die ganze Wissenschaft irrt. Als ich nämlich neulich die Bücher des Ptolemaios mit denen der Barbaren und der lateinischen Schriftsteller verglich, musste ich beinahe alles mit Spießen durchbohren.117 115 Die Frageastrologie (interrogationes) gehört zur Katarchenastrologie, welche anhand der Stellung der Gestirne zu einem bestimmten Zeitpunkt günstige und ungünstige Handlungen bestimmt (vgl. Hamel 2015: S. 377); sie bezieht sich weniger auf die Geburt als auf den »Anfang« (griech. ἀρχή) einer Handlung wie Heirat, Geschäftsgründung oder Taufe, aber auch den Beginn einer Reise etc. (vgl. von Stuckrad 2007: S. 389). 116 In seinem Kommentar zum Centiloquium des Ps.-Ptolemaios schreibt Giovanni Pontano zum 14. Spruch (Pontan. comment. centil. 14): occidens, id est septima coeli domus in figura constituenda danda est mathematico, ut consultoris sit prima domus, consulti septima. Scio quantos mihi concitem adversarios, sed veritas praeferenda est. Im Anschluss zitiert er als Beleg einen Graecus interpres (vgl. hierzu Rinaldi 1999) mit den Worten: Quamobrem Indi mathematici, quum septimum locum, eiusque dominium male se habentes inveniebant, ad ea de quibus consulebantur, nihil respondebant, veriti ne falsa pronunciarent. Da bekannt ist, dass Pico ein Exemplar des Centioloquium-Kommentars Pontanos besaß, kann davon ausgegangen werden, dass die wörtlichen Übereinstimmungen an dieser Stelle ein Zitat nahelegen; vgl. dazu Rinaldi (2013: S. 345–346). Bereits im Kommentar des Haly findet sich zur Stelle allerdings der Eintrag (Haly comment. centil. 14 fol. O2r ): Astrologi vero indi quando infortunatum erat septimum et eius dominus: interrogationem differebant: et etiam loqui de illa timore erroris. 117 Es handelt sich hierbei um ein schwer zu übersetzendes Wortspiel: Das lateinische Wort veru bezeichnet zum einen den Bratspieß, mit dem etwas durchbohrt werden kann (vgl. etwa Verg. Aen. 1,212 oder Ov. met. 6,646, die beide den Ablativ Plural veribus benutzen; die Form verubus findet sich hingegen bei Petr. 137,12 oder Picos Zeitgenossen Battista Mantovano [calam. 1,941]). Zum anderen kann es aber den obelus (griech.: ὀβελός) bezeichnen, ein einem Bratspieß nicht unähnliches textkritisches Zeichen, welches die alexandrinischen Homer-Kommentatoren verwendeten, um ihres Dafürhaltens unechte Verse marginal als solche zu kennzeichnen. In diesem Sinne

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Caput VIII – De indiligentia astrologorum nostrae aetatis, quae tanta est, ut, etiam si vera esset astrologia, veri ipsi esse non possent.

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1. Iam vero indiligentia quanta! Paucos enim invenies etiam ex his, qui supputandi habent rationem (qua tamen eorum maxima pars caret), qui, ut veram positionem siderum assequantur, ad ephemeridas non confugiant; quod et quodam loco testatur Bonatus his verbis: »sapientes«, inquit, »istius artis utuntur almanach« – sic enim Arabes vocant ephemeridas. Hoc autem qui faciunt, et perperam dicere et omittere multa est necessarium, unde omnis praedictionum veritas infirmetur; fere enim ibi numquam de latitudine planetarum ulla significatio; qua ignorata ubi non errabit, ubi non mentietur astronomus, si vera istius artis decreta existimamus?

Font.: 6–7 Bonatus – almanach ] Bonat. tractat. tract.3, par.2, cap. 9 p. 138

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Kapitel 8 – Über die mangelnde Sorgfalt der zeitgenössischen Astrologen, die so groß ist, dass, selbst wenn die Astrologie wahr wäre, sie selbst nicht Recht haben könnten. 1. In der Tat, wie groß ist ihre mangelnde Sorgfalt! Denn man wird sogar unter denen, die über das mathematische Wissen verfügen, das bei dem größten Teil von ihnen nicht vorhanden ist, nur wenige finden, die nicht Zuflucht nehmen zu Ephemeriden, um die wahre Stellung der Gestirne zu ermitteln. Dies bestätigt auch Bonatti an einer bestimmten Stelle mit folgenden Worten: »Die weisen Männer des Faches machen Gebrauch vom Almanach« – so nennen nämlich die Araber die Ephemeriden. Diejenigen aber, die so handeln, machen notwendigerweise viele falsche Angaben und lassen vieles aus, wodurch die gesamte Wahrhaftigkeit der Vorhersagen erschüttert wird; denn dort findet sich beinahe niemals ein Hinweis auf die Breitengrade der Planeten; doch an welcher Stelle wird der Sterndeuter (as-

benutzt es beispielsweise auch Hieronymus (epist. 96,7): obelon [...] praeposuit, quam nos Latine ›veru‹ possumus dicere, quo ostenditur iugulandum esse et confodiendum, quod in authenticis libris non invenitur. Vgl. auch die Definition bei Isidor (Isid. orig. 1,21,3): Obolus, id est virgula iacens, adponitur in verbis vel sententiis superflue iteratis, sive in his locis, ubi lectio aliqua falsitate notata est, ut quasi sagitta iugulet supervacua atque falsa confodiat[!]. Sagitta enim Graece ὀβελός dicitur.

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2. Maximam enim habere vim putant sidera in initiis duodecim caeli locorum constituta, prae | sertim in cardinalibus; at in illis, cum erunt, non esse et, cum non erunt, esse putabit, qui solam eam, quae in rectum, progressionem observans declinationem ad latus siderum non prospexit; cum enim stella vel ad aquilonem verget vel ad meridiem, et serius oritur et velocius semper ea parte signi, in qua est, collocatur; atque ita interdum putabis supra terram esse planetam, qui erit sub terra, et iam occidisse, qui supra finitorem conspicuus etiam apparebit. 3. Quod cum in omni praedictione errorem pariat, magis tamen eos tum faciet excidere a veritate, cum natalitiam horam ex conceptionis hora investigabunt, quia, si Lunam proximam esse contingat occidenti, poterit putari iam occidisse, quando erit adhuc supra terram, et contra nondum esse demersam, cum latebit sub occidente; quod ab hora conceptionis per multos etiam dies faciet aberrare. Planetarum radiationes latitudine ignorata quis recte determinaverit? Quis inambulationem sideris alicuius, sic enim Graece dicitur, vulgo ›directio‹ nuncupatur, recte dimetietur, cum omnis semper utroque versum a via Solis sideris declinatio vel locorum aliquot annis rei eventum velociorem faciat vel tardiorem?

Font.: 9 natalitiam horam – investigabunt ] cf. Ps.-Ptol. cent. 51 Sim.: 9 natalitiam horam – investigabunt ] cf. disp. 9,4 13–16 Planetarum radiationes – tardiorem ] cf. disp. 9,10 inambulationem – directio nuncupatur ] cf. disp. 9,12 App. crit.: 10 iam] in RC 12 occidente scripsi : oriente Ω 14 inambulationem Garin : in ambulationem Ω

faciet] facit Garin

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tronomus) sich nicht irren, wird er nicht lügen, wenn er diesen nicht berücksichtigt, wenn wir davon ausgehen, dass die Prinzipien dieser Wissenschaft korrekt sind? 2. Die Astrologen glauben nämlich, dass die Gestirne ihre größte Wirkung haben, wenn sie sich an den jeweiligen Anfängen der zwölf Orte des Himmels befinden, insbesondere an den Kardinalpunkten; indessen wird man glauben, dass sie sich nicht mehr in jenen befinden, obwohl sie dort noch sind, und wird glauben, dass sie dort noch seien, obwohl sie sich dort nicht mehr befinden, wenn man lediglich das gerade Fortschreiten entlang der Ekliptik berücksichtigt, auf die seitliche Neigung der Gestirne jedoch nicht Acht gibt; denn wenn ein Himmelskörper sich entweder nach Norden oder nach Süden neigt, geht er später auf und gelangt immer schneller in den Teil des Tierkreiszeichens, in welchem er sich dann befindet; und daher wird man bisweilen der Meinung sein, ein Planet sei noch über dem Horizont, der sich bereits darunter befindet, und ein anderer sei bereits untergegangen, der sogar noch sichtbar über dem Horizont erscheint. 3. Obwohl dies bei jeder Vorhersage einen Fehler in sich birgt, wird es dennoch in noch höherem Maße jene dann dazu verleiten, von der Wahrheit abzuweichen, wenn sie die Geburtsstunde anhand der Stunde der Empfängnis untersuchen, weil der Mond, wenn er sich in der Nähe des Untergangspunktes befindet, den Anschein erwecken kann, er sei schon untergegangen, wenn er sich noch über der Erde befindet, und andererseits glauben lässt, er sei noch nicht untergegangen, obwohl er sich unter dem Horizont verborgen hält;118 dies führt dazu, dass man bei der Berechnung des Zeitpunktes der Empfängnis sogar um viele Tage abweicht.119 Wer könnte die Aspekte der Planeten korrekt bestimmen, wenn er die richtige Breite nicht kennt? Wer würde die Wanderung (inambulatio) – so

118 Es handelt sich eindeutig um eine Verwechslung von oriens und occidens im Text, da der Mond – so Picos Argument – bereits untergegangen sei, was natürlich am Untergangspunkt im Westen (occidens) geschieht. Zu diesen sog. ›polaren Fehlern‹ vgl. Briggs (1983). 119 Da der exakte Zeitpunkt der Empfängnis für die Horoskopie kaum feststellbar war, entwickelte man mehrere Methoden, mittels derer man, ausgehend von der Himmelskonstellation zum Zeitpunkt der Geburt, die Konstellation zum Zeitpunkt der Empfängnis bestimmen konnte. Die bekannteste dieser Regeln ist die sog. ›Petosirisregel‹, bei der »die Position des Empfängnismondes der des Geburtsaszendenten und umgekehrt die des Empfängnisaszendenten der des Geburtsmondes« (Heilen 2015: S. 512) entspricht; vgl. u.a. Procl. in Plat. rem publ. pp. II 59,3–-60,2 sowie die Darstellung in der Isagoge des Porphyrios (Porph. isag. 38 p. 210,12–15), der unterschiedliche Methoden nennt, die aber zumeist mit dem Mond zusammenhängen. Einen umfassenden Überblick bietet auch Frommhold (2004).

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4. Hinc in stellis non erraticis disponendis quantus etiam lapsus, cum vulgo eo loco collocentur, ad quem recta in lineam progressione feruntur; cum qua autem caeli parte in variis regionibus vel occidant vel oriantur vel initiis etiam reliquarum domorum affulgeant, omnino non considerent! 5. Quid, quod et locum planetarum parum saepe ex fide ostendunt ephemerides non solum vitio librariorum, sed saepe auctoris, qui aut parum diligens fuerit aut parum peritus? Mitto, quod alii aliis utuntur astronomi tabulis interdum parum exactis aut, cum quidem etiam ille suum sibi fecit diarium, a veritate parum aberrantibus, hac autem tempestate magnopere. Sed tabulas Ptolemaei iam omnes reiciunt, Alphonsi pars magna doctiorum sequuntur, in cuius radicibus evidentem iam constat esse falsitatem. Sed nec minus somniculosi in horoscopo deligendo et duodecim reliquis locorum caelestium initiis capessendis. 6. Vidi ego multos et peritia non mediocres et boni etiam nominis in ista professione nescio qua sua uti tabella pro distribuendis XII domibus (sic eas vocant), quocumque caelo natus ille fuisset, cuius genituram erant inspecturi. Quodsi aliquando volunt esse diligentes, notata climatis differentia, quam solam eis Alphonsus ostendit, vix ultra exactius aliquid perscrutabuntur. Iam declinationes ab aequatore et circumferentias planetarum et sublimationes varias in circulo brevio-

Sim.: 16–17 Alphonsus ] cf. Bellant. resp. disp. 2,7 fol. q6v App. crit.: 11 in horoscopo deligendo BB BP : horoscopo in deligendo αβOGarin

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nämlich heißt es auf Griechisch, allgemein spricht man von ›Direktion‹120 – eines Gestirns richtig abmessen, wenn immer jede Neigung eines Gestirns vom Weg der Sonne oder der Orte zu beiden Seiten ein um einige Jahre früher oder später eintretendes Ereignis bewirkt? 4. Welch großer Irrtum ergibt sich auf Grund dessen bereits bei der Berechnung der Fixsterne, wenn sie im Allgemeinen dort positioniert werden, wohin sie sich in geradliniger Bewegung bewegen; dabei berücksichtigen sie aber überhaupt nicht, mit welchem Teil des Himmels sie in unterschiedlichen Gegenden untergehen oder aufgehen oder sogar in den ersten Graden der übrigen Häuser hell aufscheinen. 5. Was soll man dazu sagen, dass die Ephemeriden die Position der Wandelsterne allzu selten korrekt angeben, was nicht nur durch Fehler von Kopisten entsteht, sondern oftmals durch den Fehler des Verfassers, der entweder zu wenig sorgfältig war oder zu wenig erfahren? Ich übergehe, dass die einen Astronomen die einen Tafeln benutzen, die anderen wieder andere, die bisweilen zu wenig genau sind oder zumindest zwar zu der Zeit, als der Verfasser für sich sein Tagebuch berechnete, von den korrekten Positionen wenig abwichen, nun zu unserer Zeit jedoch in hohem Maße falsch sind. Die Tafeln des Ptolemaios aber lehnen inzwischen alle ab und ein Großteil der Gelehrten folgt den Alphonsinischen Tafeln, die, soviel steht fest, bereits in ihren grundlegenden Annahmen einen offensichtlichen Irrtum enthalten. Nicht weniger unaufmerksam sind sie aber beim Bestimmen des Aszendenten und dem Festlegen der restlichen Anfänge der zwölf Himmelsorte. 6. Ich habe viele gesehen, die, obschon sie über nicht nur mittelmäßige Erfahrung verfügten und auf diesem Gebiet einen guten Ruf genossen, irgendeine Tabelle benutzten, um die zwölf Häuser – so nennen sie sie nämlich – aufzuteilen, unabhängig davon, unter welchem Himmelstrich derjenige auch immer geboren worden war, dessen Geburt sie untersuchen wollten. Wenn sie aber irgendwann einmal sorgfältig sein wollen, werden sie nach der Berücksichtigung des Län-

120 Bei Direktionen handelt es sich um astrologische Prognosetechniken, die auf Grundlage der Gestirnsbewegungen ausgehend vom Geburtsmoment Vorhersagen den weiteren Lebenslauf betreffend treffen (vgl. Hamel 2010: S. 237f.). Bei dem Begriff directio handelt es sich um die neulateiniche Bezeichnung für die oben erwähnte aphetische Methode der Berechnung der Lebenszeit, der moderne terminus technicus lautet ›Primärdirektion‹; vgl. hierzu Heilen (2015: S. 992). Den Begriff inambulatio verwendet Pico auch bei der Beschreibung des Strahlenwurfes als einem aphetischen Verfahren (disp. 2,7,13; siehe oben, S.353).

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re vel in excentrico, motuum latidunalium vicissitudines in genituris diudicandis quis nunc observat? De aequandis diebus quam multa nesciunt, quam multa perperam dicunt iuniores! 7. Quae omnia ideo diximus, ut fiat manifestum non posse ex fide praedictionum istam praedicendi artem confirmari, cum etiam, si verissima constet ratione, artificum tamen vitio, hoc est vel ignorantia vel negligentia, veritas de futuris sciri non possit, ut, si id non persuadetur astrologiae fidem non adhibendam, persuadeamus saltem, istis, ut dicitur in epigrammate ἀστρολόγοις ἀλόγοις, astrologis ne fides adhibeatur.

Caput IX – Raro evenire, quae dicunt astrologi, quod tum externis, tum domesticis exemplis ostenditur.

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1. At sane si veri essent, etiam non omnino, sed magnopere, non solum non eiecti civitatibus et apud prudentissimum quemque ludibrio semper habiti, sed summo in hono | re apud omnem aetatem, apud omnes gentes fuissent. Tanta scilicet est hominum curiositas praesciendi futura, praesertim, quae ad se attinent, et de his, qui hoc praestant, tanta iure etiam opinio et existimatio. Et tamen erec-

Font.: 8 ἀστρολόγοις ἀλόγοις ] Anth. Pal. 7,687 Sim.: 362.12–364.2 non solum non – quotiens legimus ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 532–533; quaest. fals. p. 166,21–24 362.16–364.1 erectas saepe statuas ] cf. Bellant. resp. disp. 2,8 fol. q6v App. crit.: 1 excentrico Garin : ecentrico BP C : erentico αVWRF : exentnio O 5 etiam esset WO 8 ἀστρολόγοις ἀλόγοις Garin : αστρολογοις αλογοις BG : om. et lac. ind. β (lac. non. ind. D)O 10 quae] qui G (corr. Gc ) 11 ostenditur B : ostendit βGOGarin 12 At sane si veri BP BEC GGarin : At sani si veri BF : Et si sani si veri BOβ

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gendifferenz im jeweiligen Klima, welche Alphons ihnen als einzige anzeigt, darüber hinaus kaum mehr irgendetwas anderes genauer untersuchen. Wer beachtet heutzutage beim Beurteilen von Geburtskonstellationen die Abweichungen vom Äquator, die Umläufe der Planeten, verschiedene Apogäen121 im Epizykel oder im Exzenter oder die Schwankungen der Bewegungen der Breiten? Wie viel wissen die Jüngeren bei der Berechnung der Zeitgleichung nicht, wie viel Unsinniges behaupten sie dort?122 7. Dies alles habe ich deshalb erwähnt, um deutlich zu machen, dass anhand der Zuverlässigkeit der Vorhersagen jene Technik der Vorhersagen nicht bestätigt werden kann, da wahres Wissen um zukünftige Dinge, selbst wenn die Technik auf vollkommen zutreffender Theorie basiert, dennoch durch den Irrtum derjenigen, die von ihr Gebrauch machen, also entweder durch ihr Unwissen oder ihre Unachtsamkeit, nicht erlangt werden kann; wenn man sich daher nicht davon überzeugen lassen will, dass der Astrologie kein Vertrauen geschenkt werden darf, so wollen wir sie wenigstens dazu überreden, den, wie es in jenem Epigramm heißt, unsinnigen Astrologen keinen Glauben zu schenken.

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Kapitel 9 – Dass die Vorhersagen der Astrologen selten eintreffen, wird sowohl an fremden als auch an eigenen Beispielen gezeigt. 1. Wenn die Astrologen jedoch Recht hätten, und zwar nicht einmal in allen Punkten, sondern nur in weiten Teilen, wären sie nicht nur nicht aus den Städten verbannt worden und hätten nicht bei allen klugen Leuten immer nur Spott hervorgerufen, sondern sie hätten zu allen Zeiten und bei allen Völkern in höchsten Ehren gestanden – denn die menschliche Neugierde die Zukunft zu wissen

121 Das Apogäum ist der Punkt, an welchem die Planeten auf ihrer (scheinbaren) Kreisbahn um die Erde dieser am fernsten liegen; nach astrologischer Vorstellung verfügen die Gestirne im Apogäum über besondere Stärke. 122 Gemeint ist die jeweilige Umrechnung von wahrer Sonnenzeit, die vom Ortsmeridian abhängig ist und die z.B. von einer Sonnenuhr angegeben wird, und der davon abweichenden mittleren Sonnenzeit; vgl. z.B. Ptol. synt. 3,9.

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tas saepe statuas, decretos publicos honores et philosophis legimus et medicis et poetis et imperatoribus; astrologis quotiens legimus? Sed legimus eiectos, irrisos, in fabulam etiam populi versos ita, ut fabularum allegoriae, quae de sensu vitaque communi plerumque ducuntur, taxationem istius vanitatis apud veteres continerent. Qui enim Homerum allegorice exponunt, per illam Ichari fabulam, qui facticiis pennis caelo tenuiore se committens in mare praecipitatus est, astrologos aiunt designari, qui pennis temerariae professionis in caelum se substollentes, cum [de] caelestibus suis dogmatis, quibus sublimari videntur, quid sint praedicturi, in pelagus ruunt mendaciorum. 2. Et quid aliis egemus vel testimoniis vel coniecturis, cum ipsa hoc nobis cottidie experientia testificetur, in re praesertim, in qua, sicubi potest, maxime posse debet astrologia praestare veritatem, aeris scilicet mutationibus praedicendis, pluvia, siccitate, aestu, frigore, ventis, grandine, terrae motu; in quibus adeo falsi cottidie deprehenduntur, ut nullius fere umquam diei status eorum praedictionibus respondeat. Observavi hieme ista in suburbana mea villa, in qua haec scripsimus, insignem omnem singulis diebus aeris mutationem ipsis interim ante oculos positis decretis astrologorum. Ita salubre mihi ubique faveat caelum, ut in dierum supra centum atque triginta iugi observatione non plus sex aut septem tales vidi dies, quales in eorum libris futuros ante praevideram!

Font.: 5 illam Ichari fabulam ] cf. Lucian Astr. 15 Sim.: 5–9 Qui enim – mendaciorum ] cf. quaest. fals. p. 157,7–11 App. crit.: 1 saepe add. BCorr 2 quotiens BB BF BEC G Garin : numquam BOβ dicuntur WO 8 de delendum putavi 14 umquam BB BP : numquam aβOGarin

4 ducuntur]

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ist so groß, insbesondere dann, wenn sie einen selbst betrifft, und denjenigen, die dies gewährleisten können, gilt mit Recht so große Anerkennung und großes Ansehen. Und dennoch können wir lesen, dass oftmals Statuen errichtet und öffentliche Würdigungen beschlossen wurden für Philosophen, Ärzte, Dichter und Feldherren; wie oft aber lesen wir, dass dies für Astrologen geschah? Aber wir lesen, dass sie verbannt und verspottet wurden, dass sogar der Volksmund Geschichten über sie erzählt, und dies dergestalt, dass deren allegorische Auslegungen, die meistens dem allgemeinen Sinn und Leben entsprechen, eine Kritik dieser Pseudo-Wissenschaft bei den Alten enthielten. Denn diejenigen, die Homer allegorisch auslegen, sagen, dass durch jene Erzählung von Ikarus, der sich am dünneren Teil des Himmels nachgemachten Federn anvertraute und ins Meer stürzte, auf die Astrologen angespielt werde, die sich auf den Federn ihres ruchlosen Fachs in den Himmel aufschwingen und dann mit ihren himmlischen Lehrmeinungen, durch die sie das zu erhöhen scheinen, was sie vorhersagen, ins Meer der Lügen hinabstürzen. 2. Und wozu benötigen wir weitere Zeugnisse oder Vermutungen, wenn doch jene Erfahrung uns täglich selbst davon Zeugnis ablegt, noch dazu auf einem Gebiet, auf dem die Astrologie, wenn sie es irgendwo kann, in höchstem Maße wahre Aussagen geben können müsste, nämlich bei der Vorhersage von Luftveränderungen, Regen, Dürre, Hitze, Kälte, bei Wind, Hagel und Erdbeben; hierbei werden die Astrologen jedoch tagtäglich so sehr der Unwahrheit überführt, dass beinahe an keinem Tag der Wetterzustand ihren Vorhersagen entspricht. Ich habe in jenem Winter in meinem Landhaus vor der Stadt, in dem ich dieses Werk hier verfasst habe, jeden Tag jede auffallende Veränderung des Klimas beobachtet, wobei ich die Lehrsätze der Astrologen vor Augen hatte. So zuträglich möge mir der Himmel immer sein, dass ich bei der mehr als 130 Tage dauernden ständigen Beobachtung nicht mehr als sechs oder sieben Tage gesehen habe, die so waren, wie ich zuvor in ihren Büchern gesehen hatte, dass sie sein würden!

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366 Pandulphus Collenutius

Ambrosius

Salubre dogma

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3. Meminit, puto, adhuc Pandulfus Collenutius meus, iuris quidem consultus, sed in omnibus litteris ingeniosissime eruditus, quantum nobis Bononiae risum super ista re dederit quidam mathematicus, qui nos ea die copiosissimos imbres iubebat expectare, quam totam lucidissimus Sol et clarissimam et serenissimam reddidit. 4. Ambrosius in Exameron »cum ante«, inquit, »dies aliquos esset sermo de pluvia, quae fore utilis diceretur, ait quidam: ›ecce! neomenia dabit eam.‹ Attamen nullus imber effusus est, donec praecibus ecclesiae scilicet imber datus manifestaret, non de initiis Lunae eum sperandum esse, sed de providentia misericordiaque Creatoris.« 5. Haec ille; ex cuius verbis et vanitas astrologiae et efficacia religionis re ipsa comprobatur. Possunt igitur, qui sunt rationum minus capaces et suam fidem istis hominibus mancipaverunt, hac se via asserere in libertatem, ut de aeris statu identidem eos interrogent, de quo cum falsa eos dicere fere semper invenient, facile animadvertent, si de nubibus etiam nebulones isti tanta mentiuntur, multo magis in hominum et populorum fatis diudicandis falsa praedicturos, cum hic scilicet praedicantur et quae caelo subiacent minus et quae difficilius longe laboriosiusque praevidentur. 6. Quodsi, quae super hominum genituris quotidie mercenario vaticinio fabulantur, quis examinaverit, videbit etiam multo plura mentiri, quam cum super aeris qualitate respondent. Et nisi, dum minutatius aliorum prosequor ineptias, inepti ego vitium mihi metuerem, afferrem multas et viventium et iam vita functorum genituras, felicium infelices et infelicium oppido quam felicissimas; in qua

Font.: 6–10 Ambrosius – misericordiaque Creatoris ] Ambr. hex. 4,7,30 App. crit.: 3 ea die] ea de die RC 7 fore aβ (cf. Ambr. hex. 4,7,30) : forte OGarin 19 mercenario] mercennario B (corr. BP ) 22 afferem aGarin : afferre βO vita] vitam Garin

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3. Daran kann sich, glaube ich, auch noch mein Freund Pandolfo Collenuccio123 erinnern, der zwar ein Rechtsgelehrter ist, aber auch auf allen wissenschaftlichen Gebieten überaus begabt und gelehrt ist, wie sehr uns in Bologna ein gewisser Astrologe Anlass zum Gelächter über diese Frage gab, der uns ermahnte an dem Tag reichliche Regengüsse zu erwarten, der dank strahlenden Sonnenscheines zu einem sehr hellen und heiteren Tag von früh bis spät wurde. 4. Ambrosius sagt in seinem Hexaemeron (»Kommentar zur Schöpfungsgeschichte«): »Als vor einigen Tagen ein Gespräch über den Regen stattfand, der, wie es hieß, nützlich sein würde, sagte ein gewisser Mann: ›Seht! Der Neumond wird ihn uns bringen.‹ Dennoch ergoss sich so lange kein Regen, bis er durch die Gebete der Kirche gebracht wurde und so deutlich machte, dass man nicht auf Regen hoffen dürfe, der von den Anfängen des Mondlaufes gegeben wird, sondern von der Vorsehung und der Barmherzigkeit des Schöpfers.« 5. So sagt jener; aus seinen Worten ergibt sich, dass sowohl die Nichtigkeit der Astrologie als auch die Wirksamkeit der Religion durch das Eintreten eines Ereignisses bewiesen werden. Folglich können diejenigen, die Vernunftgründen weniger zugänglich sind und diesen Leuten ihr Vertrauen schenken, sich auf diese Weise in die Freiheit führen, indem sie sie immer wieder nach dem Wetter befragen; wenn sie herausfinden werden, dass sie dies betreffend beinahe immer die Unwahrheit sagen, werden sie leicht bemerken, dass diese Windbeutel, wenn sie schon die Wolken betreffend derart lügen, umso größere Lügen verkünden werden, was das Schicksal von Menschen und ganzen Völkern betrifft, da sie hier ja Vorhersagen treffen über Dinge, die weniger dem Himmel unterworfen sind und bei weitem komplizierter und mühseliger vorherzusehen sind. 6. Wenn man aber untersucht hat, was sie über die Geburtshoroskope von Menschen täglich in gut bezahlten Vorhersagen daherschwatzen, wird man erkennen, dass sie bei viel mehr Dingen lügen, als wenn sie über das Wetter Auskunft geben; und würde ich nicht den Vorwurf der Torheit fürchten, wenn ich detailliert die törichten Albernheiten anderer verfolge, würde ich viele Geburtshoroskope von

123 Zu Leben und Werk des Humanisten Pandolfo Collenuccio (1444–1504), der nach einem Studium in Padua zunächst in Bologna und später in Florenz wirkte, vgl. Melfi (1982: S. 1–5). Angelo Poliziano widmete ihm u.a. seine Narrationes Amatoriae (vgl. Politianus 1553: S. 436).

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Pinus Ordelaphus Lucretia soror Hieronymus Manfredus astrologus

Petrus Attendolus Helenora neptis ex fratre

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re sane tam nihil mentior, quam scio divinam veritatem, cui praesens expeditio militat, mendaciis nostris nec egere nec delectari. 7. Sed contentus ero domesticis quibusdam exemplis | quibus praesertim admonitos velim, qui diuturnamet a mathematicis vitae promissionem habentes Evangelicae vocis obliviscuntur monentis nos vigilare, ne dies Domini occupet imparatos. 8. Pino Ordelapho, principi Foroliviensi, cui Lucretia soror nupserat, quo anno obiit omnimodam vitae incolumitatem fuerat pollicitus Hieronymus Manfredus, astrologus nostra aetate singularis, a quo tamen nihil mirandum minus praevisam aliorum mortem, qui nec suam ipse praeviderit. Nam cum proxima aestate vita sit functus, in istius tamen anni publico vaticinio, qui scilicet ei fuit fatalis, multa et mira sequenti anno dicturum se non semel pollicebatur; qui nescio oppignoratam fidem quomodo reluet, nisi forte de caelo verius nunc terrena despiciat, quam de terra olim caelestia suspiciebat. 9. Petrus Attendolus, iuvenis ingeniosus, qui Heleonoram habuit uxorem, Galeoti fratris filiam, obiit anno superiore, subiti et inopinati morbi molestia necatus, cum nihil ei tamen tale astrologus praedixisset, cui maxime ille credebat, sed securitatem vitae promisisset.

Font.: 4–6 Evangelicae vocis – imparatos ] cf. Vulg. Matth. 24,42–44 Pino – nupserat ] cf. vit. Pici Sim.: 7–14 Pino – suspiciebat ] cf. Bellant. resp. disp. 2,9 fol. q6v fol. *3r 8 Hieronymus Manfredus ] cf. Bellant. resp. disp. 2,9 fol. q6v 15–16 Heleonoram – filiam ] cf. disp. 5,14 App. crit.: 7 principi scripsi : principe ΩGarin 8 pollicitus] pollitus G (corr. Gc ) 13 reluit] reluet RC 15 Tit. Attendolus corr. BP : Attendalus Ω Attendolus BB BP : Attendalus Ω

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Lebenden und bereits Verstorbenen anführen, Unglück verheißende von glücklichen und äußerst Glück verheißende von ganz und gar unglücklichen Menschen. In dieser Angelegenheit freilich lüge ich ebenso wenig, wie ich weiß, dass die göttliche Wahrheit, für die unsere derzeitige Unternehmung kämpft, unsere menschlichen Lügen weder benötigt noch Gefallen an ihnen findet. 7. Ich will mich aber mit einigen gewissen Beispielen aus meiner Familie begnügen, da ich mit ihnen jene ermahnt wissen will, die, da sie von den Astrologen das Versprechen auf ewiges Leben erhalten haben, die Stimme des Evangelisten vergessen, die uns mahnt, achtsam zu sein, damit uns der Tag des Herrn nicht unvorbereitet überrascht. 8. Pino Ordelaffi124 , dem Fürsten von Forlì, der mit meiner Schwester Lucrezia verheiratet war, hatte Girolamo Manfredi125 , ein ausgezeichneter Astrologe unserer Zeit, in dessen Todesjahr ein in jeder Hinsicht wohlbehaltenes Leben versprochen; indessen ist es kein Wunder, dass er den Tod anderer weniger vorhersagen konnte, als er auch seinen eigenen Tod nicht vorhersah. Denn als er im letzten Sommer aus dem Leben schied, hatte er dennoch in der öffentlichen Weissagung dieses Jahres, welches freilich sein letztes war, nicht nur einmal versprochen, dass er im folgenden Jahr viele wunderbare Dinge sagen werde. Wie er das als Pfand erhaltene Vertrauen einlösen wird, weiß ich nicht, es sei denn, sein Blick vom Himmel herab auf die irdischen Dinge ist nun näher an der Wahrheit als damals von der Erde zu den himmlischen Dingen hinauf. 9. Pietro Attendolo, ein begabter junger Mann, der Eleonora, die Tochter meines Bruders Galeotto, zur Frau hatte, starb im vergangenen Jahr, dahingerafft von einer plötzlichen und unvermuteten Krankheit, obwohl ihm sein Astrologe, dem er größtes Vertrauen schenkte, nichts Derartiges jemals prophezeit, sondern ein sicheres Leben versprochen hatte.

124 Gemeint ist Pino Ordelaffi III. (1436–1480); zu seinem Leben vgl. Poloni (2013). 125 Zum Arzt, Intellektuellen und Astrologen Girolamo Manfredi (ca. 1430–1493) vgl. insbesondere Trombetti (2007) sowie zu seinem astrologischen Wirken Thorndike (1934: S. 459–461); dort heißt es allerdings fälschlich, Pico kritisiere Manfredi, da »he had failed to foresee either his wife’s death or his own« (ebd.: S. 461 [mit Verweis auf die vorliegende Stelle]). Manfredi galt als einer der erfolgreichsten Astrologen seiner Zeit und veröffentlichte zahlreiche Jahresprognostiken für die Jahre ab 1475 (vgl. Thorndike (1934: S. 460), der ihn aber mit Scipio de Manfredis zu verwechseln scheint, wenn er seine Prognostica in die Jahre 1475–1496 datiert, also mehr als zwei Jahre nach seinem Tod enden lässt: Während das letzte überlieferte Prognosticon von Girolamo Manfredi ins Jahr 1494 datiert, existiert ein Exemplar seines Namensvettern für das Jahr 1496).

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370 Constantia fratris uxor

Seneca

Cicero

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10. Constantia, Antonii fratris uxor amantissima, quae Romae abhinc biennium publico fere luctu totius urbis vita excessit, nonne vanitatem istius artis nobis testificata est? Quae, quo anno desiderium nobis sui reliquit, non solum prosperae valetudinis, sed felicissimae etiam vitae ab astrologo promissionem acceperat. Quod illa nihil oblita, cum iam animam agens collacrimantis viri, a quo unice diligebatur, manum teneret: »En«, inquit, »quam vera vaticinia astrologorum!« 11. Contra ipsi Antonio fratri, Deus bone, quae mala, quas moles molestiarum, quantum periculorum hoc anno astrologia minitabatur; et tamen nullam ille caelorum expertus iniuriam: vixit, sospite familia, re salva, valetudine integra, nulla vel infortunii vel periculorum quassatione iactatus. 12. Et ne forte mentiri solum nostros putes astrologos, scias idem etiam veteribus accidisse: 13. Seneca quodam loco lacerans Claudium Cesarem scelestissimum introducit Mercurium apud deos illius mortem procurantem et, ut obiter istam convellat vanitatem, inter alias causas, quibus Mercurius mortem persuadet imperatoris, »commiseratione«, inquit, »hoc etiam Chaldaeorum faciatis, qui iam tot annis illum efferunt.« Praedicebant scilicet mathematici singulis annis Claudium moriturum nec tamen ille moriebatur. 14. Quod cum legerem, venerunt in mentem nostri divinaculi, qui Romanum pontificem ipsi quoque singulis annis efferunt. 15. Scribit Cicero et Pompeio et Crasso et Caesari a Chaldaeis praedictum neminem eorum nisi senectute, nisi domi, nisi cum claritate esse moriturum; quare

Font.: 13–17 Seneca – efferunt ] cf. Sen. apocol. 3,1 div. 2,47

370.21–372.2 Scribit Cicero – refelli ] Cic.

Sim.: 13–18 Seneca – moriebatur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 533; quaest. fals. p. 166, 32–36 19–20 nostri divinaculi – efferunt ] cf. rer. praen. 5,5 p. 533 370.21–372.2 Scribit Cicero – refelli ] cf. quaest. fals. p. 166,24–32 App. crit.: 3 reliquit] relinquit Garin 6 En] et RC 14 istam] illam Garin

prosperae] prospere α

4 felicissimae] felicissime αC

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10. Hat nicht Costanza, die geliebte Ehefrau meines Bruders Antonio, die vor inzwischen zwei Jahren in Rom beinahe unter Staatstrauer der gesamten Stadt aus dem Leben schied, uns die Nichtigkeit jener Wissenschaft bezeugt? Sie hatte nämlich für das Jahr, in dem sie uns das Verlangen nach ihr hinterließ, nicht nur gute Gesundheit, sondern sogar ein äußerst glückliches Leben von ihrem Astrologen versprochen bekommen. Dies hatte sie nicht vergessen, als sie, während sie schon ihren Lebensatem aushauchte, die Hand ihres weinenden Mannes, von dem sie bedingungslos geliebt wurde, hielt und sagte: »Sieh nur, wie wahr sind doch die Prophezeiungen der Astrologen!« 11. Jedoch meinem Bruder Antonio selbst, guter Gott, welche Übel, welchen Berg an Unheil und welche Menge an Gefahren hatte ihm die Astrologie für jenes Jahr angedroht; und dennoch musste er kein Unrecht des Himmels erfahren: er lebte mit unversehrter Familie, unangetastetem Besitz und bester Gesundheit von keinem Schicksalsschlag und keiner Gefahr erschüttert weiter. 12. Damit man aber nicht denkt, nur unsere Astrologen würden lügen, soll man wissen, dass dasselbe schon den Alten widerfuhr: 13. Seneca lässt an einer bestimmten Stelle, an der er den äußerst verbrecherischen Kaiser Claudius verunglimpft, Merkur auftreten, der für dessen Tod bei den Göttern sorgen will, und der, um beiläufig die Nichtigkeit der Astrologen zu bekräftigen, neben anderen Gründen, mit denen er von der Notwendigkeit des Todes des Kaisers überzeugt, folgenden anführt: »Tut es aus Mitleid mit den Astrologen, die ihn schon bereits seit so vielen Jahren zu Grabe tragen.« Denn die Astrologen sagten jedes Jahr von neuem hervor, dass Claudius sterben werde, und dennoch starb er einfach nicht. 14. Als ich dies las, kamen mir unsere zeitgenössischen Möchtegern-Weissager in den Sinn, die auch selbst den Römischen Papst jedes Jahr zu Grabe tragen. 15. Cicero schreibt, dass sowohl Pompeius als auch Crassus und Caesar von den Astrologen geweissagt worden war, sie alle würden nur in hohem Alter, zu

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et mirum videri sibi, inquit orator prudentissimus, quemquam extare, qui credat his, quorum praedicta quotidie videat re et eventis refelli.

Caput X – Cur astrologi aliquando vera praedicant.

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1. ›Sed eveniunt tamen interdum, quae praedixerunt!‹ At cum multo sint plura, quae non eveniunt, cur incidisse eos casu in veritatem non arbitremur? Quid, quod nulla est ars tam anilis, tam vanae superstitionis, quae non eodem argumento vera comprobetur, quia aliquando scilicet accidat, quod ex ea praedictum sit; neque enim ulla est, quae hoc non assequatur, etiam quam tute ipse tibi temerariam fortuitamque confinxeris. 2. Quare dicant mihi, qui ratione ista moventur, putent ne omnem artem divinatricem veram, an | multas potius vanas et falsas: Si multas falsas, probabo ego illas veras eodem argumento, quia interdum scilicet eveniat, quod praenuntiaverint. Si omnes veras, pugnantia eos credere demonstrabo, quia de eisdem rebus diversae artes divinatrices idem non respondent. Expertus enim ego sum saepe atque centies, cum super eadem quaestione figuram mihi et geomanticam interpunxissem et astrologicam delineassem, alium mihi in notis, alium in sideribus eventum apparuisse. Quod si quis forte non credit, experiatur ipse et super eiusdem hominis fato consultet chiromantem, astrologum et geomantem, et videbit fere semper non idem in manus lineis designari, quod vel ex notis geomanticis vel

Sim.: 4–5 Sed eveniunt – arbitremur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 5–9 Quid – confinxeris ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 10–14 Quare dicant – respondent ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 372.14–374.1 Expertus sum – pronuntiabitur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 App. crit.: 1 videri] videre Garin 8 tute scripsi coll. rer. praen. 5,5 p. 534 : tu te ΩGarin 12 quia BB BP BEC GC Garin : quare BVWRFO 15 centies BP GWFO Garin : cencies B : ceneies V : ceneis RC 16 delineassem BB BP : deliniassem αβOGarin 18 consultet α : consulet βOGarin videbit] vibebit Garin

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Hause und ruhmreich sterben. Daher, so sagt der äußerst kluge Redner, scheine es ihm sonderbar, dass es noch irgendjemanden gebe, der diesen Leuten Glauben schenkt, obwohl er tagtäglich sieht, dass ihre Vorhersagen durch die tatsächlichen Begebenheiten und Ereignisse widerlegt werden.

Kapitel 10 – Warum die Astrologen manchmal doch die Wahrheit vorhersagen. 1. ›Aber dessen ungeachtet treffen die Ereignisse, die sie vorhersagen, dennoch manchmal ein!‹ Warum sollten wir jedoch, da es bei weitem mehr ist, was nicht eintrifft, nicht der Meinung sein, dass sie durch Zufall einen wahren Sachverhalt getroffen haben? Außerdem gibt es keine Wissenschaft, die so leichtgläubig und erfüllt von unsinnigem Aberglauben ist, dass sie nicht mit derselben Argumentation als wahr bewiesen werden kann, weil natürlich irgendwann auch etwas eintrifft, was mit ihrer Hilfe vorhergesagt wurde; denn es gibt keine Wissenschaft, der dies nicht gelingen könnte, selbst die nicht, die man sich selbst erdacht hat, sei sie noch so auf blindem Zufall gegründet. 2. Wer sich von diesem Argument beeindrucken lässt, soll mir daher sagen, ob er glaubt, dass jede Wissenschaft, die Vorhersagen trifft, wahr ist, oder vielmehr viele unnütz und falsch? Wenn viele falsch sind, werde ich mit demselben Argument ihre Wahrheit beweisen, da ja bisweilen das eintrifft, was sie vorhergesagt haben. Wenn aber alle wahr sind, werde ich beweisen, dass diejenigen, die dies glauben, einander Widersprechendes für richtig halten, da unterschiedliche Wissenschaften, die Vorhersagen treffen, über ein und dieselbe Sache nicht dieselbe Auskunft geben. Denn ich habe unzählige Male erfahren, dass mir, wenn ich mir dieselbe Frage betreffend eine geomantische Figur mit Punkten aufgezeichnet habe und eine astrologische Konstellation skizziert habe, ein Ereignis in

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Astutia astrologorum

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ex planetis astrologicis pronuntiabitur. Et si eventum rei respiciat, veritatem ibi magis inveniet, ubi minus sperabit, sive quod ibi plus possit casus, ubi minus est rationis, sive quod in illis spiritalis improbitas libentius nos ludificet. 3. Astrologorum praedicta multiplex tamen adiuvat fallacia, cur saepius apotelesmaton fide non tam probentur, quam probari multis videantur. Nam si de praeteritis eis est dicendum, ut ostendatur talia evenisse, qualia caelum significabat, nihil eis deest ad irretiendos animos imperitorum, quoniam nulla siderum est positio, nulla genitura, in qua et prosperae et adversae significationis multiplex constellatio non inveniatur, cum praesertim non pauciora ipsi sibi finxerint in caelo, quam ibi ab initio sidera Deus formaverit; quare semper habebunt in praeteritis rebus, unde positionem tueantur. 4. Raro enim non invenient in planetis, quod volent, tam multis eos modis et felices faciunt et infelices, plus in caelestibus scilicet iuris habentes quam in terrenis; ita eis semper caeli locus vel signi bonitas vel malitia vel alterius stellae radiatio vel cum Sole amor, cum horoscopo odium vel amicitia suffragabitur; aut, si tandem illi non satisfacient, auxilium implorabunt a stellis non erraticis, in quibus ipsi numquam non errant; aut, si nec ipsae satisfacient, satis praesto erunt eis vel

Sim.: 1–3 veritatem – nos ludificet ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 4–5 Astrologorum – videantur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 535 5–7 de praeteritis – imperitorum ] cf. rer. praen. 5,5 p. 535 7–9 nulla – inveniatur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 535 14–15 signi bonitas – amicitia ] cf. rer. praen. 5,5 p. 535 15 cum Sole – amicitia ] cf. disp. 6,5 App. crit.: 4 cur] cum Garin 9 ipsi] ibi Garin 10 quare] quia BF 12 non om. OGarin BF BEC G : tamen BOβGarin 17 satisfacient αGarin : satisfaciant βO

tam

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den Schriftzeichen erschien, ein anderes in den Sternen. Sollte jemand dies aber nicht glauben, so soll er es selbst versuchen und über das Schicksal ein und desselben Mannes einen Handleser, einen Astrologen und einen Geomanten aufsuchen, und er wird sehen, dass beinahe niemals dasselbe in den Handlinien bezeichnet wird, was auch nach den geomantischen Zeichen oder anhand der von Astrologen konsultierten Sterne prophezeit wird. Und wenn man das tatsächliche Ereignis berücksichtigt, wird man die Wahrheit eher dort finden, wo man sie weniger zu hoffen findet, sei es, dass der Zufall dort größeren Einfluss hat, wo es weniger Vernunft gibt, sei es, dass die Unredlichkeit der Geisteswesen126 in jenen allzu gerne ihr Spielchen mit uns treibt. 3. Den Vorhersagen der Astrologen hilft dabei dennoch eine vielfältige Art der Täuschung, weshalb sie häufiger nicht in so hohem Maße durch das korrekte Eintreten von Ereignissen bestätigt werden, wie viele meinen, dass sie bestätigt würden. Gilt es nämlich über bereits vergangene Ereignisse sprechen müssen, um darzulegen, dass sie so eingetreten sind, wie der Himmel sie bezeichnete, fehlt ihnen kein Hilfsmittel, um den Verstand der Ungebildeten einzufangen, da es keine Konstellation von Gestirnen gibt, kein Horoskop, in dem sich nicht vielfältige Konstellationsmöglichkeiten sowohl von glückbringender als auch von unglückbringender Bedeutung finden ließen, und das, zumal sie sich nicht weniger Konstellationen am Himmel ausgedacht haben, als Gott am Anfang dort Sterne geschaffen hat; daher werden sie bei vergangenen Ereignissen immer eine Möglichkeit finden, ihren Standpunkt zu verteidigen. 4. Denn selten werden sie in den Planeten nicht das finden, was sie wollen, da sie sie auf so vielfältige Weise zu Wohl- und Übeltätern machen, wobei sie sicherlich über mehr Recht in himmlischen Angelegenheiten verfügen als in irdischen. So wird ihnen immer entweder ein Himmelsort (locus) oder die gute Wirkung eines Zeichens oder dessen schlechtes Wirken oder der Strahlenwurf eines anderen Gestirns oder Liebe mit der Sonne oder Hass mit dem Aszendenten oder

126 Mit dem Ausdruck spiritalis improbitas scheint sich Pico auf das Wirken von Geistern bzw. Dämonen zu beziehen; so versteht es auch Gianfrancesco Pico, wenn er die Stelle folgendermaßen paraphrasiert (rer. praen. 5,5 p. 534): sive quod ibi plus possit casus, ubi minus est rationis, sive quod in illis maligni daemones libentius fallant. In disp. 3,6,6 bezeichnet Pico solche Wesen in ähnlicher Weise als corpuscula spiritualia.

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Euripidis sententia

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Indorum imagines vel partes Aegyptiorum vel antiscia Firmici vel dodecatemoria Chaldaeorum vel fictum omnino aliquid ab eis, in quo tanto magis quasi super occulto dogmate glorientur, quanto magis et falsum erit et commentitium. 5. In futuris praedicendis minus habent occasionis ad fallendum, quamquam nec in his desint; nam et multa coniciunt terram potius, ut dicitur, quam caelum observantes, Euripidis illud recordati »Bene qui coniciet, is vates optimus esto«. Et generaliter quaedam enuntiant, quae non possunt fere non evenire aut non putari saltem non evenisse; et ambigue proferunt more oraculorum multa semper aliquid excipientes, quo possit illud, quod est praedictum, vel minui vel augeri vel impediri, ut, si evenerit, non dicas non praedictum, si non evenerit, nihilominus veri existimentur. Explicitum, particulare, certum ab eis raro audies quicquam et,

Font.: 6 Bene – esto ] cf. Cic. div. 2,12; Cic. Att. 7,13,4; Eur. frg. 973 (Nauck); Plut. Moral. 3,339a5 Sim.: 1–2 Indorum imagines – ab eis ] cf. rer. praen. 5,5 p. 535 Indorum imagines ] cf. disp. 8,3–8,5 pp. II 242–285 Garin partes Aegyptiorum ] cf. disp. 6,18 pp. II 134–147 Garin antiscia Firmici ] cf. disp. 6,12 dodecatemoria Chaldaeorum ] cf. disp. 6,16 pp. II 124–131 Garin; 6,19 pp. II 146–151 Garin 6 Euripidis – esto ] cf. disp. 4,4; rer. praen. 1,5 p. 381 App. crit.: 6 recordati BVWFOGarin : recordari GRC

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Freundschaft zwischen Gestirnen zu Hilfe kommen. Oder aber, wenn sie zuletzt nicht ausreichen, werden sie die Fixsterne um Hilfe anflehen, bei denen sie selbst sich niemals nicht irren.127 Oder, wenn selbst diese nicht mehr ausreichen, werden ihnen die imagines128 der Inder oder die Lose (partes)129 der Ägypter oder die Gegenschatten (antiscia)130 des Firmicus oder die Zwölfteile (duodecatemoria)131 der Chaldäer oder irgendeine andere von ihnen erfundene Sache ausreichend zur Verfügung stehen, wobei sie sich sozusagen umso mehr für eine okkulte Vorschrift rühmen, je falscher und erfundener sie ist. 5. Bei der Vorhersage zukünftiger Ereignisse haben sie weniger Gelegenheit zur Täuschung, obwohl sie auch hierbei nicht gänzlich fehlt. Denn sie äußern viele Vermutungen wobei sie, wie man sagt, eher die Erde als den Himmel im Blick haben und jenen Vers des Euripides im Gedächtnis: »Wer eine treffende Vermutung macht, der wird der beste Seher sein.« Und im Allgemeinen verkünden sie gewisse Dinge, die beinahe nicht nicht eintreten können, oder von denen man zumindest nicht glauben kann, dass sie nicht eingetreten sind; vieles verkünden sie auch nach Art der Orakel auf zweideutige Weise und machen dabei immer einen

127 Lateinisches Wortspiel mit der Ähnlichkeit der Bezeichnung der Fixsterne als stellae non erraticae (eigtl. »Nicht-Wandelsterne«) und dem verwandten Verbum für »irren«, errare. 128 Die imagines, Bilder am Himmel, die mit bestimmten Dekanen aufgehen, werden von Pico im achten Buch der Disputationes ausführlich widerlegt; dabei zeigt er auch deren arabischen Hintergrund auf; vgl. disp. 8,5 pp. II 276–285 Garin 129 Vgl. zur Bedeutung der (zumeist sieben) Lose (lat. sortes bzw. partes, griech. κλῆροι) Manil. 3,160– 202; Firm math. 4,17–18 sowie Paul. Alex. 23 (umfassend dazu auch Heilen (2015: S. 1158–1182)): Die Lose, insbesondere die wichtige pars Fortunae, werden zurückgeführt auf die Ägypter Nechepso und Petosiris und werden unterschiedlich gedeutet; generell wird dabei die ekliptikale Länge zwischen zwei Himmelskörpern (zumeist den Luminaren) berechnet und in einem zweiten Schritt ausgehend von einem anderen Ort des Horoskops (zumeist des Aszendenten) abgetragen, sodass ein bestimmter Punkt bestimmt wird, dem eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Heilen 2015: S. 1158–1167). Pico selbst definiert die Methode in disp. 6,18 folgendermaßen (disp. 6,18 p. II 134 Garin): ›Numera‹, inquiunt, ›gradus inter hunc planetam et illum interceptos et, cum totidem ab horoscopo gradus percensueris, ubi numerus desinet, pars erit ibi rei cuiuspiam significatrix, non aliter observanda quam planetae, quam stellae.‹ Dass Pico mit partes tatsächlich die Lose meint, wird deutlich anhand seiner Aussage ebd., wo es heißt: nam vulgo sortes istae partes dicuntur, loca vero apud Maternum. 130 Bei dieser insbesondere von Firmicus Maternus gelehrten Technik (Firm. math. 2,29) werden die Zeichen des Zodiak einander zugeordnet, wobei sie anhand einer zwischen 0° Krebs und 0° Steinbock entlang der Sonnwenden gedachten Linie gespiegelt werden. 131 Bei den duodecatemoria (griech. δωδεκατημόρια) handelt es sich um eine ursprünglich aus der babylonischen Astrologie stammende Technik der Vorhersage, wobei die zwölf Zeichen des Zodiak in jeweils zwölf Einheiten zu jeweils 2,5° unterteilt werden, die jeweils wieder einem der Zeichen zugeordnet werden; vgl. z.B. Manil. 2,693–737; Firm. math. 2,13 sowie Paul. Alex. 22 pp. 45,10– 47,12; einen Überblick bietet Bouché-Leclercq (1899: S. 299–303). Pico selbst setzt sich mit dieser Art der Horoskopie in den Kapitel 16 und 19 des sechsten Buches auseinander.

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Eulogium de Apollinis templo

Augustinus sententiav

super veris astrologorum praedictionibus

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cum tale aliquid audent, vel, quod est rarissimum, casu probant, vel, quod est frequentissimum, experientia refelluntur. 6. Sed accidit, quod de templo ille dixit Apollinis, ut bene dicta memoriter celebrentur, errata nemo recordetur, quoniam et haec sciri nolent, qui eis favent, et, qui contemnunt, tam haec quam illa omnino nesciunt. 7. Non est autem praetereundum quod dicit Augustinus et ratio persuadet, occulta daemonum afflatione, quam nescientes patiuntur, assequi eos interdum veritatem, | quam alioquin non assequerentur; quod fieri putandum, si mirabili praedictione particulariter aliqui factum dictumve pronuntiaverint, quod nec ipsam artem astrologiae praestare posse testatus est Ptolemaeus. 8. Sed mirabitur aliquis, quomodo hoc nescientes patiantur et tamen, quicquid praedicunt, afflatione [tamen] daemonica praedicere illa eos putemus; at vero hoc fieri multis modis potest, de quibus astrologos in re simili admonebo: Est enim confessum apud eos alium esse alio magis fortunatum astronomum in assequenda veritate, pari in utroque ingenio, doctrina et diligentia; hoc igitur ›esse fortunatum‹ dicant mihi ipsi, quid sit, si non alia via vestigant veritatem quam ex dog-

Font.: 6–8 Augustinus – assequerentur ] cf. Aug. civ. 5,9 p. 206,9–25; Aug. gen. ad litt. 2,9 pp. 44,4–45,4; Orig. in num. 16,7; Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.95, art.2 8–10 mirabili – Ptolemaeus ] cf. Ps.-Ptol. cent. 1 Sim.: 3–4 de templo – recordetur ] cf. rer. praen. 1,2 p. 375; quaest. falsit. p. 167,2–3 6–8 Non est – assequerentur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 8–10 quod fieri – Ptolemaeus ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 378.11–380.2 Sed mirabitur – aeque fortunatus ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 App. crit.: 1 probantur scripsi : probant ΩGarin 5 quam BCorr GOGarin : quae Bβ 12 tamen del. putavi : tamen Ω : tam Garin 14 astronomum] astronomorum Garin 16 mihi ipsi] ipsi mihi Garin

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Zusatz, wodurch das, was vorhergesagt wurde, entweder eingeschränkt oder erweitert oder verhindert werden kann, sodass man, wenn es sich ereignet hat, nicht sagen kann, es sei unvorhergesehen, wenn es sich aber nicht ereignet, ihre Vorhersagen dennoch für wahr gehalten werden können. Eine genaue, auf ein einzelnes Ereignis bezogene und entschiedene Aussage wird man von ihnen selten hören, und wenn sie etwas derartiges wagen, werden sie entweder, was nur äußerst selten der Fall ist, durch den Zufall bestätigt oder, was äußerst häufig passiert, durch die Erfahrung der Wirklichkeit widerlegt. 6. Es trifft aber zu, was jener über den Tempel des Apollo sagt, dass gut gesprochene Worte sich im Gedächtnis verbreiten, sich aber niemand an Irrtümer erinnert, zumal diejenigen, die den Astrologen gewogen sind, von diesen nichts wissen wollen, und diejenigen, die ihnen mit Verachtung begegnen, sowohl die Fehler als auch die treffenden Worte gar nicht kennen. 7. Man darf jedoch nicht jene Feststellung des Augustinus unbeachtet lassen, zu der auch die Vernunft rät, dass sie durch den heimlichen Hauch der Dämonen, der ihnen ohne ihr Wissen widerfährt, bisweilen die Wahrheit treffen, die sie anderenfalls nicht getroffen hätten; man muss davon ausgehen, dass dies geschieht, wenn sie in einer wunderbaren Prophezeiung vorhersagten, dass ein einzelnes Ereignis geschehe oder Wort gesprochen werde, was nach Zeugnis des Ptolemaios selbst die Kunst der Astrologie nicht zu leisten vermag. 8. Mancher wird sich indessen wundern, wie es möglich ist, dass ihnen dies ohne ihr Wissen widerfährt, und wir dennoch glauben sollen, dass sie das, was auch immer sie vorhersagen, vom Hauch der Dämonen eingegeben vorhersagen. Doch dies kann auf viele unterschiedliche Weisen erfolgen und ich werde die Astrologen in einer vergleichbaren Situation daran erinnern. Es gilt nämlich als allgemein ausgemacht unter ihnen, dass der eine Astrologe beim Erreichen einer zutreffen-

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matis artis; quae qui aeque aut melius etiam tenuerit, non erit tamen in veritate praedicenda aeque fortunatus? 9. Porro hoc aliud non est, quam, quoniam fere semper super eadem re variae constellationes et super eadem constellatione pugnantes vel diversae auctorum opiniones occurrunt, flecti caelitus animum praedicentis in veram sententiam, multa tentando incidere imprudenter in veritatem. Hoc igitur idem etiam poterit occulta et latens daemonis inspiratio, a qua quis actus agi tamen se non percipiat; quod, cum fit, qualiter fiat, non est nunc latius explicandum. 10. Sed neque hoc solum daemones posse divina potestas et sapientia sinit, sed illud etiam, ut, quod falso prius fuerat praedictum, opere implentes ipsi verum efficiant, nullam decentius summa iustitia poenam exigente, quam ut, quae divinae

Font.: 6 multa tentando – in veritatem ] cf. Gell. 14,1,33 Sim.: 3–6 Porro hoc – in veritatem ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 6–7 Hoc igitur – inspiratio ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 380.9–382.2 Sed neque – suam ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 534–535 App. crit.: 3 quam] qua V (ut vid.)

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den Voraussage mehr Glück hat als der andere, obwohl beide gleich begabt sind, gleich gelehrt und gleich sorgfältig. Doch was das heißt, ›Glück haben‹, das sollen sie selbst mir beantworten, wenn sie nicht der Wahrheit auf anderem Wege nachspüren als nach den Regeln ihrer Wissenschaft; wenn einer diese gleich gut oder sogar besser erlernt hat, wird er dennoch beim Treffen einer zutreffenden Voraussage nicht gleichermaßen Glück haben? 9. Doch dies ist dann nichts anderes, als dass der Verstand desjenigen, der die Vorhersage macht, vom Himmel herab zur zutreffenden Meinung gelenkt wird und durch vielfaches Versuchen unabsichtlich auf die Wahrheit stößt, weil es beinahe immer über ein und dieselbe Sache unterschiedliche Konstellationen und über ein und dieselbe Konstellation einander widersprechende oder unterschiedliche Ansichten der Schriftsteller gibt. Eben dies wird auch der geheime und verborgene Hauch des Dämonen können, den man nicht als Lenker wahrnimmt, wenn er einen lenkt. Wie dies geschieht, wenn es geschieht, muss an dieser Stelle nicht ausführlicher erläutert werden. 10. Doch die göttliche Macht und Weisheit lässt die Dämonen nicht nur dies bewirken, sondern lässt sie auch bewirken, dass das, was zuvor falsch prophezeit wurde, doch wahr wird, indem sie selbst es in die Tat umsetzen, wobei die

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veritati superba ingenia non subduntur, nebulonis deinde unius et sycophantae mendaciis et fidem et libertatem obliget suam. 11. Sed, puto, satis multa iam diximus, cur aliquando isti nugatores vera aliqua effutire et spargere videantur, quamquam, ut a principio dicebamus, non est in hac re magnopere laborandum, quando, quae temere vel astute vera praedicunt, prae his, quae mentiuntur, teste Phavorino, pars ea millesima numquam inveniatur. Disputationum Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos libri secundi finis.

Font.: 1–2 sycophantae – fidem ] cf. Gell. 14,1,32 3–4 aliquando – spargere videantur ] cf. Gell. 14,1,32 5–6 quae temere – numquam inveniatur ] Gell. 14,1,33 Sim.: 5–6 quae temere – numquam inveniatur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 534 App. crit.: 2 obligent Garin (cf. rer. praen. 5,5 p. 535) : obliget Ω 7–8 Disputationum – finis om. W

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höchste Gerechtigkeit mehr als anständig keine andere Strafe fordert, als dass die hochmütigen Herzen, die sich der göttlichen Wahrheit nicht unterwerfen, dann ihren Glauben und ihre Freiheit dem Lügengebäude eines einzelnen Schwätzers und Verleumders verpflichten. 11. Doch ich glaube, ich habe bereits zur Genüge gesagt, warum diese Schwätzer anscheinend auch wahre Vorhersagen schwatzen und verbreiten, obschon man sich mit dieser Frage, wie bereits zu Beginn gesagt, nicht allzu sehr abmühen muss, weil das, was sie blindlings oder schlau an wahren Vorhersagen machen, laut dem Zeugnis des Favorinus, angesichts ihrer Lügen, niemals auch nur ein Tausendstel ausmachen wird. Ende des zweiten Buches der Erörterungen gegen die Astrologen des Giovanni Pico della Mirandola.

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2.6 Liber Tertius Ioannis Pici Mirandulae Disputationum adversus astrologos Liber Tertius

Caput I – Quid libro praecedenti actum sit et quid deinceps agendum quove ordine.

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1. Solvimus populi quaestionem sciscitantis identidem super astrologis, unde responsis illorum fides, si professioni nulla soliditas. Dixi ›quaestionem populi‹, qua scilicet accurati doctioresque non utantur, quibus notum nec saepius evenire, quae dicant, sed raro quasique dixeris ex accidenti, nec, si eveniant, colligi tamen necessario veram artem, sicut nec ideo necessario falsam, quod in praedictis saepissime mentiuntur, siquidem possunt ex praeceptis veris pronuntiari falsa, non tam ob artis | omnimodam falsitatem quam opinabilem coniecturalemque incertitudinem, ut artificis omiserim vel ignorantiam vel indiligentiam; sicut contra vera de falsis non veritate dogmatis, sed astutia pronuntiantis, sive felicitate sive casu sive occulta promotione praenoscentium numinum, quae praedicunt, sive aliis de causis, quas superiore libro satis explicavimus. Quod si cui persuaderi non potest, revocet ad memoriam, quanta paulo ante super incuria, super erratis astrologorum aetatis nostrae (utinam citra odium invidiamque!) disseruimus nec poterit (nisi falli cupit) adduci, ut, quotiens veritatem assequuntur, putet eam ab illis inventam potius quam repertam.

Sim.: 10–12 siquidem – indiligentiam ] cf. quaest. falsit. p. 166,17–18 cf. quaest. falsit. p. 166,10–13

13–14 vera – numinum ]

adversus astrologos] App. crit.: 1 Pici om. Garin 2 Disputationum] Disputationes F in astrologiam O Liber Tertius BVWRCO : Liber Primus G : Libri Terti incipiunt F 3 sit] est Garin 6 populi BCorr GGarin : om. BOβ 15 quas] quae Garin 17 disseruimus CFGarin : diseruimus BVWRO : deseruimus G

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Drittes Buch der Disputationes adversus astrologos des Giovanni Pico della Mirandola

Kapitel 1 – Was im vorangegangen Buch bereits besprochen wurde und was noch besprochen werden muss oder in welcher Reihenfolge es geschehen muss. 1. Wir haben die Frage der einfachen Leute geklärt, die immer wieder danach fragen, woher die Zuverlässigkeit der Vorhersagen der Astrologen kommt, wenn der Wissenschaft kein festes Fundament zu eigen ist. Ich sagte ›die Frage der einfachen Leute‹, da die sorgfältigen und gebildeteren Menschen diese Frage nicht stellen, denen bekannt ist, dass weder die Vorhersagen häufig zutreffen, sondern selten und sozusagen zufällig, noch dass sie, wenn sie dennoch einmal zutreffen, notwendigerweise auf eine auf wahren Prämissen gegründete Wissenschaft schließen lassen und genauso, dass diese deshalb nicht notwendigerweise falsch sein müsste, weil die Astrologen bei ihren Vorhersagen sehr oft lügen, da ja anhand von korrekten Prämissen falsche Vorhersagen getroffen werden können, weniger auf Grund der umfassenden Falschheit der Wissenschaft als vielmehr wegen der auf Meinungen und Vermutungen gestützten Ungewissheit, ganz zu schweigen von der Unwissenheit oder mangelnden Sorgfalt desjenigen, der sie ausführt; ebenso können umgekehrt auch zutreffende Vorhersagen auf Grund von falschen Prämissen getroffen werden, nicht wegen der Wahrheit der Wissenschaft, sondern durch die Gerissenheit desjenigen, der die Vorhersage macht, sei es durch Glück, Zufall oder eine verborgene Förderung der göttlichen Wesenheiten, die die Dinge, die sie vorhersagen, bereits im Vorhinein wissen, oder sei es aus anderen Gründen, die wir im vorangegangenen Buch zur Genüge dargelegt haben. Wenn sich

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2. Omnino litem hanc dirimet sequens tractatus, in quo demonstratum cum fuerit, quae de caelo praedicunt, ea causas ibi vel signa non habere, quibus efficiantur vel indicentur, aut, si fiunt inde, fieri tamen aliter, quam astrologi sentiant, aut, si eo quoque modo, non tamen ab his causis in caelo neque ab his rerum in terra primordiis; tum, si dentur haec omnia, certe non haec primordia, non illas causas ab hominibus posse deprehendi vel, si deprehendi forsitan possunt, nondum tamen esse deprehensas – hoc totum, inquam, cum fuerit demonstratum, puto, [fu]erit bonis ingeniis extra controversiam, si quando ad veritatem astrologus offendat, in nullam hoc causam non verius posse redigi, quam in veritatem professionis, quae tam multis videlicet iam nominibus falsa nec ullis veri rationibus nixa, sed commenticia, praestigiosa proptereaque sua natura mendax liquido apparuerit. Igitur confutationem iam ipsam aggrediamur id primum excutientes, quod totius negotii summam habet, an efficiat caelum, quae de caelo pronuntiant isti divinatores. 3. Id quod ita tractabitur a nobis, ut hoc quidem libro defendamus agere caelum in nos tantum motu et lumine; praeter haec frustra occultiores afflatus alios cogitari; tum a lumine illo siderum et motu non aliud communicari materiae patienti quam motum, lucem et calorem – calorem, inquam, et corpora consummantem influxu generali et ad vitam vitaeque functiones capacia vitae corpora disponentem – hoc ab omnibus fluere stellis, quamquam non sit confessum omnium ad nos etiam planetarum defluvia provenire; quicquam vero praeter ea largiri sidera rebus inferioribus nec ratione probari nec experimentis convinci nec auctorita-

Sim.: 17–18 a lumine – calorem ] cf. conclus. 10,4 p. 272 (sec. Is. Narbonens.) 18–20 Calorem – disponentem ] v. infra disp. 3,4,6 p. 412,18sq. 20–21 hoc – provenire ] cf. disp. 3,10 App. crit.: 3 sentiant] sentiunt Garin 6 deprehendi] deprehendi posse Garin 8 erit scripsi : fuerit ΩGarin 10 veri] veris Garin 11 proptereaque] propterea que B 18 consummantem OGarin : consumantem αVWRF : consumentem C 19 influxu GW : in fluxu BVRCFOGarin

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jemand davon nicht überzeugen lassen will, so soll er sich ins Gedächtnis rufen, was wir vor kurzem über die mangelnde Sorgfalt und die Irrtümer der zeitgenössischen Astrologen ausgeführt haben (hoffentlich ohne Hass und Missgunst!), und er wird sich nicht dazu verleiten lassen (es sei denn, er möchte sich täuschen lassen) zu glauben, dass sie, sooft sie die Wahrheit erreichen, sie mehr gefunden hätten, als dass sie zufällig auf sie gestoßen wären. 2. Diese Auseinandersetzung wird die folgende Abhandlung zur Gänze auflösen, in der nach dem Beweis, dass das, was die Astrologen vom Himmel herab vorhersagen, dort weder Ursachen noch Anzeichen hat, wodurch es bewirkt oder angezeigt werden könnte, oder, wenn es von dort bewirkt geschieht, dennoch anders geschieht, als die Astrologen meinen, oder aber, wenn es auch auf eben diese Weise geschieht, dann weder durch diese Ursachen im Himmel noch durch diese Ursprünge der stofflichen irdischen Elemente; schlussendlich aber, wenn man dies alles einräumt, dass diese Anfänge und jene Ursachen nicht von Menschen erkannt werden können oder zumindest, wenn sie vielleicht begriffen werden können, dennoch noch nicht begriffen wurden – nach dem Beweis also all dieser Aussagen wird es meiner Meinung nach für Leute mit gutem Verstand außer Zweifel stehen, dass es, wenn ein Astrologe zufällig einmal über die Wahrheit stolpert, auf nichts mit weniger Recht zurückgeführt werden kann, als auf die Wahrheit einer Wissenschaft, die sich offensichtlich als in jeglicher Hinsicht falsch erwiesen hat, als auf so viele falsche Annahmen gestützt, als erfunden und abergläubisch und daher als von ihrer Natur her lügnerisch. Daher wollen wir nun ihre Widerlegung selbst in Angriff nehmen und dabei die Frage als erste kritisch untersuchen, die den Hauptpunkt des ganzen Unterfangens in sich birgt, nämlich ob der Himmel das bewirkt, was jene Hellseher vom Himmel herab vorhersagen. 3. Dies wird derart von uns abgehandelt werden, dass wir in diesem Buch die Annahme verteidigen, dass der Himmel auf uns nur durch Bewegung (motus) und Licht (lumen) wirkt und dass andere, verborgenere Einflüsse vergeblich erfunden werden. In einem zweiten Schritt wird bewiesen, dass der empfangenden Materie von jenem Licht der Gestirne nichts anderes zukommt als Bewegung, Licht und Hitze (calor) – die »Hitze«, die durch ihren allgemeinen Einfluss Körper zur Vollendung führt und die Körper, die für Leben empfänglich sind, vorbereitet für das Leben und die Lebenstätigkeiten132 – des Weiteren, dass dies von allen Ge-

132 Vgl. hierzu auch disp. 3,4,6: fit necessario, ut lux et consummatricem quandam habeat corporum virtutem et vitale nonnihil interim possideat, non quod ipsa aut vivat aut vitam afferat, sed corpus vitae capax ad vitam maxime praeparat et disponit, quoniam sequitur lucem, quasi proprietas eius, calor quidam non igneus, non aereus, sed caelestis, sicuti lux caeli propria qualitas – calor, inquam, efficacissimus maximeque salutaris omnia penetrans, omnia fovens, omnia moderans.

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te persuaderi procerum philosophiae; quin haec omnia obstare, ne praeter hos communes influxus pertinere caelestium vim ad sublunaria corpora aliquo pacto intelligamus. 4. Quare peculiares rerum proprietates, etiam corporeas, sive quae speciem, sive quae rem particularem consequantur, a stellis originem non habere, praeterquam ratione principii universalis, sed a propria natura ipsarum rerum causisque earum proximis et cognatis. Atque ipsam hanc nostram opinionem non aliis magis, quam quibus utuntur astrologi contra nos argumentis, asseveratam probabilemque reddemus; quod cum fuerit satis explicatum, tum ad eum tractatum quarto libro deveniemus, ut, si demus astrologis vires occultas inesse radiis praeter lucis effectum atque caloris, unde homines reliquaque natura varias sortiri dotes et potestates peculiariter possint, eas tamen non inesse illis, quas existimant, vires, nec ab eis, quae de caelo divinant, apertissimis rationibus et consensu philosophorum theologorumque omnium, quicumque illustriores, indubium faciamus. 5. Id quod ubi confectum satis videbitur singulis retra | ctatis, quae de sideribus vaticinantur, adiciamus et illud relinquemusque testatissimum, quae non fiunt a caelo, a caelo non significari, hoc est, quorum caelestia causae non sunt, eorum nec esse signa; quare nullam esse rationem, quamobrem praevideri de caelo possint.

Font.: 16–18 quae non fiunt – esse signa ] cf. Plot. 2,3,7; Ficin. in enn. 2,3 pp. I 250–251 W 10 deveniemus BB BP BEC G : deveniamus App. crit.: 9 tum BCorr G : tamen BOβGarin BOβGarin 15 confectum GCGarin : consectum ut vid. BVWRFO 16 adiciamus Ω : adiciemus Garin (fort. recte?)

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stirnen zu uns fließe, obwohl es nicht allgemein anerkannt ist, dass auch von allen Planeten Ausflüsse zu uns gelangen; dass aber weder mit vernünftigen Schlussfolgerungen gezeigt noch mit Versuchen erwiesen werden kann oder durch die Autorität der führenden Philosophen die Überzeugung gewonnen werden kann, dass die Gestirne außer diesen den sublunaren Dingen irgendetwas übergeben; ja vielmehr, dass sogar all dies uns daran hindert zu dem Glauben zu kommen, die Kraft der Himmelskörper erstrecke sich irgendwie auf die sublunaren Körper, außer durch diese allgemeinen Einflüsse. 4. Ferner, dass aus diesem Grund die speziellen Eigenschaften der Dinge, auch die körperlichen, sei es, dass sie die ganze Gattung betreffen, sei es, dass sie den einzelnen Gegenstand betreffen, ihren Ursprung nicht von den Sternen haben, abgesehen nach dem Grundsatz des allgemeinen Prinzips133 , sondern von der eigenen natürlichen Beschaffenheit der Gegenstände selbst und den ihnen nächsten und verwandten Ursachen. Und diese unsere Meinung werden wir nicht so sehr mit anderen als vielmehr mit denjenigen Argumenten, die die Astrologen gegen uns anführen, als korrekt und wahrscheinlich belegen; wenn dies zur Genüge erläutert wurde, werden wir im vierten Buch zu jener Abhandlung voranschreiten, dass wir, wenn wir den Astrologen zugestehen, dass den Strahlen versteckte Kräfte außer der Wirkung des Lichtes und der Hitze innewohnen, von denen die Menschen und die übrige Natur ihre diversen Eigenschaften und Kräfte im Einzelfall erlangen können, unzweifelhaft anhand von offensichtlichen Überlegungen und der einhelligen Übereinkunft aller bedeutenderen Philosophen und Theologen belegen, dass den Strahlen dennoch nicht die von ihnen unterstellten Kräfte innewohnen oder dass von ihnen das kommt, was sie vom Himmel vorhersagen. 5. Sobald dies den Anschein erwecken wird, genügend belegt zu sein, und nach der Widerlegung einzelner Prognosen, die sie vom Himmel herab vorhersagen, wollen wir auch jenes noch hinzufügen (und wir werden es vollkommen unzweifelhaft lassen), dass die Dinge, die vom Himmel nicht bewirkt werden, vom Himmel auch nicht angezeigt werden können, kurz: dass die himmlischen Körper das-

133 Nämlich dadurch, dass die Himmelskörper eine causa universalis sind.

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6. Nunc praestaturi, quod primum proposuimus, videamus, quibus nos petant, qui omnia stellis quasi evincta duci gubernarique contendunt, ut mox eadem non repellamus solum, sed in adversarios ipsos, vi maiore quam venerint, ope divina freti propellamus.

Caput II – Quinque rationes, quibus astrologia roborari posse videtur.

Prima ratio

1. Rationes, quibus astrologi persuadere conantur mutationes quascumque sublunaris mundi sed et rerum omnium diversitates, tum fortuitos casus et hominum mores ingeniaque pendere de stellis, hae potissimae sunt: 2. Theologorum et philosophorum una vox est mundum inferiorem a Deo per caelum gubernari. Hoc Aristotelis vulgatissima illa sententia docet: necessario mundum hunc inferiorem superioribus motibus esse contiguum, ut omnis eius virtus inde gubernetur.

Font.: 2 omnia – contendunt ] cf. Gell. 14,1,3 p. 190,21–22 9–10 Theologorum – gubernari ] cf. Boeth. cons. 1,6,7; Thom. Aq. summ. 1 quaest.106, art.1 10–12 Aristotelis – gubernetur ] Arist. meteor. 1,2 339a 21–23 Sim.: 9–12 Theologorum – gubernetur ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507; 5,3 p. 511; 5,3 p. 512 App. crit.: 9 Tit. Prima ratio add. BP Garin

a Deo BP OGarin : adeo αβ 10 Aristotelis] Aristoteles

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jenige, dessen Ursache sie nicht sind, auch nicht als Zeichen anzeigen können. Deshalb werden wir zeigen, dass es kein Argument dafür gibt, dass sie vom Himmel herab Vorhersagen treffen können. 6. Da wir nun das einlösen wollen, was wir in Aussicht gestellt haben, wollen wir die Argumente ansehen, mit denen diejenigen uns angreifen, die behaupten, dass alles von den Sternen gleichsam gefesselt geführt und geleitet werde, damit wir dieselbe Argumentation bald nicht nur widerlegen, sondern unseren Gegnern selbst mit größerer Kraft als die, mit der sie uns entgegenkam, in vollem Vertrauen auf den göttlichen Beistand entgegenschleudern können.

Kapitel 2 – Fünf Argumente, durch die die Astrologie anscheinend gestärkt werden kann. 1. Folgendes sind insbesondere die Argumente, mittels derer die Astrologen versuchen, uns zu überzeugen, dass alle beliebigen Änderungen der sublunaren Welt, aber auch die unterschiedlichen Eigenschaften aller Dinge, zudem auch zufällige Ereignisse und der Charakter der Menschen sowie deren Begabungen von den Sternen abhängig sind: 2. Es ist die einhellige Meinung von Theologen und Philosophen, dass die untere Welt von Gott durch den Himmel gelenkt werde. Dies lehrt jener allgemein verbreitete Ausspruch des Aristoteles, dass diese untere Welt notwendigerweise unmittelbar an die oberen Bewegungen angrenze, sodass jede ihrer Kräfte von dort gelenkt werde.134

134 Vgl. Arist. meteor. 1,2 339a 21–24: ἔστι δ᾿ ἐξ ἀνάγκης συνεχής πως οὗτος ταῖς ἄνω φοραῖς, ὥστε πᾶσαν αὐτοῦ τὴν δύναμιν κυβερνᾶσθαι ἐκεῖθεν. ὅθεν γὰρ ἡ τῆς κινήσεως ἀρχὴ πᾶσιν, ἐκείνην αἰτίαν νομιστέον πρώτην. In der Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke (ca. 1215–1286) lautet der Abschnitt: Est autem ex necessitate continuus iste superioribus lationibus, ut omnis ipsius uirtus gubernetur inde. Unde enim motus principium omnibus, illam causam putandum primam. Pico zitiert (bzw. paraphrasiert) die Stelle noch mehrfach im dritten Buch der Disputationes (z.B. disp. 3,4,22–23) wo er contiguus (›berührend‹) durch eine Form von continuus (›zusammenhängend‹) ersetzt: Aristoteles hanc naturae partem vulgatum id protulit, continua superioribus esse inferiora … sowie est ex necessitate continuus iste superioribus lationibus. Dass auch Moerbeke in seiner Übersetzung an dieser Stelle mit continuus dasselbe meint, was auch contiguus bezeichnet, belegt Thomas von Aquin (meteor. 1,2 p. 329): Et dicit quod necessarium est quod iste mundus inferior consistat ex quatuor elementis, sic continuatis superioribus lationibus, idest corporibus circulariter motis: continuum autem hic accipit pro contiguo, ut scilicet nihil sit medium inter ea. Johannes Duns Scotus lehnt in seinem Kommentar der Meteorologie des Aristoteles (in meteor. 1, quaest.3, art.1) ab, dass der Himmel continuus sei, erkennt jedoch an, dass er contiguus sei. Aristoteles selbst definiert die Eigenschaft συνεχής in seiner Physik (phys. 5,3 227a 10–15) sowie seiner Metaphysik (metaph. 11,12 1069a 5–14).

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Secunda ratio

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3. Sic Aurelius quoque dixit Augustinus per corpora subtiliora grossiora haec regi atque moveri. 4. Quis igitur, inquiunt, dubitaverit mutationes quascumque rerum terrenarum a motibus fieri corporum superiorum? Quod vel ipsa quoque demonstrat experientia variatis anni temporibus ex accessu Solis ad nos atque recessu, unde viventium quoque omnium habitus et conditio variatur, dum temperat arva caelum, dum varias fruges redditque rapitque. Sed et in diurna revolutione Sol aeris qualitates immutat, plus, minus, tum meridie, mane, vespere, calefaciens, exsiccans, humori, frigori derelinquens. 5. Luna quantas habeat vires in omnia corpora, praesertim fluxiora, quis ignorat? Aestus haec oceani faciens, ascendens atque descendens pontum movet et terris immittit et aufert, sed et summersa fretis, concharum et carcere clausa ad Lunae motum variant animalia corpus; crisimi dies a medicis observati lunae solisque motus sequuntur. Luna plena, nascente, dividua, persaepe cieri tempestates et in corporibus agitari videmus humores; hinc pastoribus, nauticis, agricultoribus observationes multae de lunae motibus acceptae multiplicique experientia multis retro saeculis comprobatae. 6. Cur igitur, si luminarium manifestiores impressiones et in permutandis inferioribus auctoritatem persentimus, cessare reliquas stellas et inefficaces esse cre-

Font.: 1–2 Aurelius – moveri ] cf. Aug. trin. 3,4,9; Thom. Aq. summ. 1 quaest.115, art.3; summ. 3 quaest.13, art.2 3–9 Quis igitur – derelinquens ] cf. Ptol. apotel. 1,2,1–2 6–7 temperat arva – rapitque ] cf. Manil. 2,87–88: sic temperat arva | caelum, sic varias fruges redditque rapitque 10–15 Luna – humores ] cf. Ptol. apotel. 1,2,3 11–12 pontum movet – aufert ] cf. Manil. 2,89: immittit et aufert 12–13 et summersa – corpus ] cf. Manil. 2,93–94 15–17 hinc pastoribus – comprobatae ] cf. Ptol. apotel. 1,2,7–8 392.18–394.2 Cur igitur – afficiantur ] cf. Ptol. apotel. 1,2,5 Sim.: 1–2 Aurelius – moveri ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 4–7 Quod vel ipsa – rapitque ] cf. rer. praen. 5,2 p.507 7–9 Sed et – frigori derelinquens ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 10–15 Luna – videmus humores ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 15–17 hinc pastoribus – comprobatae ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 App. crit.: 4 Tit. Secunda ratio add. BP 5 variatis BOβGarin : varietis BP : varietatis G 7 varias scripsi (coll. Manil. 2,88) : variat ΩGarin 12 aufert scripsi (coll. Manil. 2,89) : affert Ω : effert Garin 13 dies αGarin : dicis βO

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3. So sagte auch Aurelius Augustinus, dass durch jene feinen Körper die hiesigen dickeren gelenkt und bewegt würden.135 4. Wer also, so sagen sie,136 könne bezweifeln, dass alle beliebigen Änderungen der irdischen Dinge von den Bewegungen der höheren Körper verursacht werden? Dies lehrt auch die Empirie selbst anhand der wechselnden Jahreszeiten, die dadurch entstehen, dass die Sonne uns näher kommt oder sich weiter entfernt, wodurch sich auch das Befinden und die Ausgangslage aller Lebewesen verändert, wenn der Himmel die Felder wärmt und die unterschiedlichen Feldfrüchte gibt und wieder nimmt. Aber auch bei ihrer täglichen Rotation ändert die Sonne die Eigenschaften der Luft, wenn sie am Mittag, am Morgen oder am Abend bald mehr, bald weniger Hitze verursacht, wenn sie Trockenheit bringt oder sich zurückziehend zu Feuchtigkeit und Kälte führt. 5. Wer wüsste nicht, welch große Kräfte der Mond auf alle Körper hat, insbesondere die flüssigeren? Er schafft die Gezeiten des Meeres, setzt bei seinem Aufund Abstieg das Meer in Bewegung, wirft das Meer aufs Land und nimmt es wieder fort, aber auch die Lebewesen, die in den Tiefen des Meeres verborgen sind und im Panzer der Muscheln eingeschlossen, verändern ihren Körper gemäß der Bewegung des Mondes; die kritischen Tage, die die Ärzte beobachten konnten, folgen den Bewegungen von Mond und Sonne. Dass bei Vollmond, Neumond oder Halbmond oftmals Gewitter aufziehen und in den Körpern die Säfte in Bewegung versetzt werden, können wir beobachten; davon ausgehend haben die Hirten, Seeleute und Bauern viele Beobachtungen über die Bewegungen des Mondes angenommen und durch vielfache Erfahrung vor vielen Jahrhunderten bestätigt. 6. Warum also sollten wir glauben, wenn wir doch die offensichtlichen Einwirkungen der Luminare und ihre Bedeutung bei den Änderungen der unteren Kör-

135 In De trinitate stellt Augustinus fest (3,4,9): Sed quemadmodum corpora crassiora et inferiora per subtiliora et potentiora quodam ordine reguntur, ita omnia corpora per spiritum vitae… Dass er als corpora crassiora die Elemente Erde und Wasser bezeichnet, Luft und Feuer bzw. Licht hingegen als corpora subtiliora, ergibt sich aus seinem Brief an Rufius Volusianus (epist. 137,2): Hominum iste sensus est, nihil nisi corpora valentium cogitare; sive ista crassiora, sicut sunt humor atque humus, sive subtiliora, sicut aeris et lucis (zitiert u.a. von Albertus Magnus in der Summa theologiae pars 2, tract.11, quaest.51). Thomas von Aquin zitiert die vorliegende Stelle mehrfach in seinen Werken, dabei einmal, in der Summa theologiae – ebenso wie Pico an der vorliegenden Stelle –, mit dem Adjektiv grossiora statt crassiora (summ. 3 quaest.13, art.2), was darauf hinweisen könnte, dass Pico die Passage aus der Summa theologiae als Vorlage heranzog und nicht direkt Augustinus zitiert. 136 Es folgt eine Paraphrase des zweiten Kapitels der Apotelesmatika des Ptolemaios (Ptol. apotel. 1,2,1–2).

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Tertia ratio

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damus nec eorum vires ad nos, quamquam occultiores, pervenire, quibus subdita illis corpora variis modis afficiantur? Quarum gnari atque prudentes secretiora quaedam de futuris eventis possint praecognoscere, quam quae medici, pastores, agricolae, nautici praedivinant. 7. Praeterea nemo pernegaverit aeris habitum tempestatesque de siderum statu posituraque variari, cum et calor et frigus et siccitas et humiditas et quaecumque in sublimi fiunt impressiones a caelestibus motibus et influxibus generentur; quodsi terrae visceribus inclusi sicciores halatus terram movent, si causationes in aere ex quattuor illarum qualitatum vel exuberantia vel defectu, si caritatem annonae vel humiditas nimia facit vel siccitas, cum aut fructus leguntur aut seruntur invicem fertilitatem status aeris modicus et opportunus, quis negabit a stellis non modo tempestatum | mutationes et terrae motus, sed pestilentias quoque et morborum varia genera in hominibus, in pecoribus, salubritatem regionum et fertilitatem sterilitatemque provenire? 8. Tum, si constamus nos quoque ex iisdem qualitatibus et corporis temperatura, mores ingeniaque variantur, integra tamen libertate cur non fieri potest, ut

Font.: 2–4 Quarum gnari – praedivinant ] cf. Ptol. apotel. 1,2,7; 1,2,10–11 5–7 Praeterea – generentur ] cf. Ptol. apotel. 1,2,7–8; 1,2,10 8–14 quodsi – provenire ] cf. Ptol. apotel. 2,1,4 394.15– 396.3 si constamus – comitantur ] cf. Ptol. apotel. 1,2,10 Sim.: 5–7 Praeterea – generentur ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 8–14 quodsi – provenire ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 394.15–396.6 Tum – mutantur ] cf. rer. praen. 5,2 p. 507 App. crit.: 5 Tit. Tertia ratio add. BP

10 seruntur] feruntur RC

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per deutlich wahrnehmen können, dass die anderen Gestirne dahinter zurückbleiben und wirkungslos sind, und dass deren Kräfte, obschon sie verborgener sein mögen, nicht zu uns gelangen, denen die Körper unterworfen sind und daher von jenen auf vielfältige Weise beeinflusst werden? Diejenigen, die sich dieser Einflüsse bewusst sind und zugleich verständig sind, könnten Geheimnisse über zukünftige Ereignisse vorhersagen, die verborgener sind als diejenigen, die Ärzte, Hirten, Bauern und Seeleute vorhersehen können. 7. Außerdem könnte wohl niemand leugnen, dass der Zustand der Luft und die Wetterlage entsprechend dem Stand und der Stellung137 der Gestirne sich verändert, wenn sowohl die Hitze als auch die Kälte und die Trockenheit und die Feuchtigkeit und auch alle anderen meteorologischen Phänomene, die in der Höhe geschehen, von den himmlischen Bewegungen und Einflüssen erzeugt werden. Wenn aber trockenere Ausdünstungen138 , die in den Eingeweiden der Erde eingeschlossen sind, die Erde in Bewegung versetzen, wenn beschwerliche Einflüsse in der Luft aus dem Übermaß oder dem Mangel jener vier Qualitäten139 entstehen, wenn allzu große Feuchtigkeit oder Trockenheit eine Knappheit an Getreide hervorruft, im Gegensatz dazu jedoch ein gemäßigtes und günstiges Klima während der Zeit der Ernte oder Saat Fruchtbarkeit erzeugt, wer wird dann noch leugnen, dass von den Sternen nicht nur Wetterumschwünge und Erdbeben, sondern auch Seuchen und unterschiedliche Krankheiten bei Mensch und Vieh ausgehen, dass das gesunde Klima von Gegenden, ihre Fruchtbarkeit und ihre Fruchtlosigkeit davon abhängen? 8. Wenn des Weiteren auch wir aus denselben Qualitäten bestehen, und sich die Zusammensetzung unseres Körpers, unser Charakter und unsere Begabun-

137 Pico scheint die Worte status, positura und condicio gleichbedeutend für die Position der Planeten zu benutzen. 138 Halatus oder exhalatio (vgl. e.g. disp. 3,15,20) bezeichnet die von Aristoteles als ἀναθυμίασις bezeichnete Ausdünstung (vgl. z.B. Arist. met. 2,3 357b 24–26), bei der »unter Einwirkung der Sonnenwärme [...] Feuchtes zu Dampf und Trockenes zu Rauch wird« (Althoff 2005: S. 42). Die trockenen Ausdünstungen, die unter der Hitze der Sonne aus der Erde aufsteigen, sind dabei insbesondere für atmosphärische Erscheinungen wie Kometen, Sternschnuppen oder auch Winde verantwortlich, die feuchten hingegen kondensieren und bilden Regen, Hagel etc. (vgl. ebd.). Auch in der Verdauung spielt laut Aristoteles die ἀναθυμίασις eine Rolle, wobei feste Nahrung umgewandelt wird (vgl. ebd.), sodass King (2021: S. 135) zu dem Schluss kommt, sie »achieves two noteworthy aims in terms of its explanatory power: it anchors life in the material world, and, as the change of state of food, is the formation of the living thing itself.« 139 Gemeint sind die vier Primärqualitäten oder Elementarqualitäten warm, kalt, feucht und trocken; vgl. auch die Darstellung bei Aristoteles (z.B. Arist. gen. corr. 2,3 330a 30–330b 7). Einen knappen Überblick zu Bedeutung und Entwicklung der Theorie der Primärqualitäten, bei Aristoteles Grundlage allen Entstehen und Vergehens, bietet Althoff (1992: 11–24 sowie passim).

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Ptolemaeus

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propensiones in nobis ad iram, mansuetudinem, ad affectus alios bonos et malos a sideribus fiant bilem, sanguinem, pituitam, atram bilem vel suscitantibus vel frenantibus, quos humores affectus illi plerumque comitantur? Cur non pariter siccae calidaeque caelorum impressiones bilem exacuentes in nobis ad litem, iurgia, contumelias, inimicitias excitare possunt, unde bella, caedes, vastationes, unde imperia regnaque mutantur? 9. Post haec ita colligit Ptolemaeus: »Si faciunt stellae diversitatem corporis et animi, derivatur haec deinceps ad ea, quae sunt quidem extrinseca, sed habent cum illis affinitatem, qualem cum corpore uxor facultates, cum animo dignitas et honores.« 10. Haec est praecipua ratio Ptolemaei nec omnium effectricem siderum vim probat aliter ullo loco, quam ex efficientia primarum qualitatum, quas producendo cetera quoque producant consequenter; quare nec alias affert causas, quod haec quidem Saturnus, haec Iuppiter, illa vero Mars operetur, quam quod Iuppiter sit

Font.: 7–10 Post haec – honores ] Ptol. apotel. 1,3,1 396.13–398.2 nec alias – fervidus ] cf. Ptol. apotel. 1,4,3–5 Sim.: 7–10 Post haec – honores ] cf. rer. praen. 5,2 pp. 507–508 11–13 Haec est – consequenter ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508; Bellant. resp. disp. 3,2 fol. v –r1r App. crit.: 1 affectus corr. Garin : effectus Ω producunt Garin

9 et addidi coll. Ptol. apotel. 1,3,1

13 producant]

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gen verändern, warum kann es nicht sein, dass, obwohl unsere Freiheit bestehen bleibt, die Neigungen in uns zum Zorn, zur Sanftmut und den anderen guten wie schlechten Stimmungen auch von den Sternen ausgehen, indem diese unsere Galle, unser Blut, unseren Schleim und unsere schwarze Galle entweder in Erregung versetzen oder im Zaum halten, also die Säfte, die meist von jenen Stimmungen begleitet werden?140 Warum können nicht auch gleichermaßen trockene und heiße meteorologische Phänomene, die unsere Galle anstacheln, uns zum Streit, zu Zank, zu Beleidigungen und Feindschaften anregen, woraus Kriege entstehen, Morde und Verwüstungen, weshalb Reiche und Herrschaften Wechseln unterworfen sind. 9. Im Anschluss an diese Überlegungen kommt Ptolemaios zu folgendem Ergebnis: »Wenn die Sterne die unterschiedliche Beschaffenheit von Körper und Seele bewirken, gilt dies in abgeleiteter Form auch für jene Dinge, die zwar außerhalb gelegen sind, aber mit jenen in Verbindung stehen, wie die Ehefrau oder das Vermögen mit dem Körper, Ansehen und Rang jedoch mit dem Geist.« 10. Dies ist die besondere Ansicht des Ptolemaios, und er erkennt an keiner Stelle die wirkende Kraft aller Gestirne auf andere Weise an als anhand der Wirksamkeit der ersten Qualitäten, die, indem sie jene hervorrufen, auch alles andere in Folge hervorrufen; daher führt er auch keine anderen Gründe an, warum Sa-

140 Gemeint ist das Zusammenspiel der vier »Säfte« Blut (sanguis), Schleim (pituita oder phlegma), gelber bzw. roter (bilis rubra) und schwarzer (bilis atra) Galle, deren jeweilige Mischungsverhältnisse im Körper für Gesundheit und Krankheit sorgen. Das Konzept dieser Humoralpathologie geht zurück auf das Corpus Hippocraticum und galt bis in die Neuzeit hinein als grundlegend für die Medizin. Auch Picos medizinische Vorstellungen bauen auf dessen Grundsätzen auf; so setzt er sich beispielsweise mit der Speziallehre der Perioden der Körpersäfte später (disp. 3,17) dezidiert auseinander.

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Quarta ratio

Ratio quinta

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planeta calidus et humidus, Saturnus siccus et frigidus, Mars siccus magis et fervidus. 11. Hoc de stellis erraticis, hoc de non erraticis pariter sentit ex natura primarum qualitatum erraticas, ex erraticarum natura iudicans non erraticas. 12. Verum enimvero possent alii relictis primis qualitatibus ad occultas vires eminentioresque confugere, quas inesse caelestibus plurimas et efficacissimas ambigi non conveniat. Si quidem in terrenis quascumque singulares et excellentes dotes intuemur, eas caeli solemus munera existimare, quae non elementares, de quibus illa corpora coalescunt, qualitates, sed infusam illis potius virtutem caelitus consequantur, quanto igitur magis non carebunt huiusmodi viribus et proprietatibus nobilissima illa corpora, luce tam clara, mole tam vasta, agitatione tam rapida? Aut quonam pacto, si cum motu et lumine transmittuntur ad terram, non erunt mirabilium apud nos effectrices? 13. Postremo cursus humanarum rerum, de quibus astrologorum potissime divinatio, caeli fatique potestatem vel nolentibus undique persuadere videtur, in quo varietas ipsa familiaris et frequentissima; tum multa supra vires nostrae mortalitatis fieri videmus, multa praeter rationem et meritum, plurima praeter ordinem et institutum conditionis humanae, quae causas alibi, quam in caelo, nullas habere posse videntur. 14. Hic habilis ad philosophiam, ille nascitur ad poeticam; alius litteras aspernatus vel civile negotium vel arma libentius feliciusque pertractat. Unde ista varietas

Font.: 3–4 ex natura – non erraticas ] cf. Ptol. apotel. 1,2,1; 1,4,1; 1,9,1 Sim.: 5–13 Verum enimvero – effectrices ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 14–19 Postremo – posse videntur ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 20–21 Hic habilis – pertractat ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 398.21–400.2 Unde – dissimilitudo ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 App. crit.: 3 hoc] hoc est RC 7 quidem BCorr G : quid BOβGarin 12 et BCorr GGarin : om. BOβ 16 tum] tam Garin 20 habilis] abilis Garin alius BCorr GGarin : alias BOβ

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turn das eine bewirkt, Jupiter etwas anderes, wieder etwas anderes aber Mars, als den, dass Jupiter als Planet heiß und feucht ist, Saturn trocken und kalt, Mars noch trockener und glühend heiß. 11. Diese Ansicht vertritt er gleichermaßen bei Wandelsternen und Fixsternen, da er die Wandelsterne nach der Beschaffenheit der ersten Qualitäten beurteilt, die Fixsterne aber nach der Beschaffenheit der Wandelsterne. 12. Natürlich könnten andere die ersten Qualitäten beiseitelassen und zu verborgenen und sichtbareren Kräften Zuflucht nehmen141 – dass diese in großer Zahl und mit großer Wirksamkeit den himmlischen Körpern innewohnen, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Wenn wir allerdings bei den irdischen Dingen irgendwelche einzigartigen und ausgezeichneten Gaben betrachten, halten wir sie gewöhnlich für Geschenke des Himmels, die nicht die Folge elementarer Qualitäten sind, aus denen jene Körper sich zusammenfügen, sondern vielmehr einer ihnen vom Himmel eingeflößten Kraft, in wie viel höherem Maße werden dann jene vornehmsten Körper über derartige Kräfte und Eigenschaften verfügen, deren Licht so hell strahlt, deren Masse so gewaltig ist und deren Bewegung so rasch ist? Oder wie könnten sie, die mit Bewegung und Licht zur Erde gesendet werden, nicht Auslöser für Wunder bei uns sein? 13. Zu guter Letzt scheint der Lauf der menschlichen Begebenheiten, die die Vorhersagen der Astrologen insbesondere betreffen, uns auch gegen unseren Willen in jeder Hinsicht von der Macht des Himmels und des Schicksals zu überzeugen: Unbeständigkeit ist hier vertraut und sehr häufig; dann sehen wir vieles, was außerhalb der Kräfte unserer Sterblichkeit geschieht, vieles, was gegen Vernunft und Verdienst sich ereignet, sehr vieles, was gegen die geordnete Absicht der menschlichen Natur ist, dessen Gründe scheinbar nirgends anders liegen können als im Himmel. 14. Der eine ist geeignet für die Philosophie, der andere ist zur Dichtung geboren, wieder ein anderer verschmäht die Wissenschaften und beschäftigt sich lieber

141 Die in diesem Abschnitt lediglich namenlosen ›anderen‹ zugewiesene Meinung findet sich insbesondere bei Thomas von Aquin in der Abhandlung De operationibus occultis naturae. Vgl. zu dieser Schrift insbes. Grant (1987: S. 2–5).

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400 Alexander Aristoteles Plato Pythagoras Socrates

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ingeniorum? Est, qui divitias nihili faciat; est, qui animam lucro vendat; hic sobrius, ille nequam, hic audax, ille meticulosus; unde tanta in moribus dissimilitudo? 15. Alexander orientem tam cito vicit, quam vidit; unde impetus tantae felicitatis? Quae vis Aristoteli, praeceptori illius, quae Platoni, prius Pythagorae, Socrati, ceteris naturae secreta reseravit? Haec ratio maior, quam ut de terra pullulasse credatur. Illa rursus astrorum fortuitis cursibus quis non ascribat: hominem innocentem condemnari, nocentem praemiis affici; industriam plurimorum, solertiam, ingenium, doctrinam mendicare, aliorum ignaviam nequitiamque locupletari; piratam caedibus cruentatum inter mille pericula maris et terrae tandem domi inter suos et senectute vita fungi, hominem mitissimum et pacatissimum vel a nolentibus imprudenter gladiis obtrun | cari? Tum portenta ingeniorum quaedam et monstra vel fetidis gaudentium vel, ut semel dicatur, a legibus exorbitantium humanitatis nonne illam sibi vim quandam necessitatemque fatalis potentiae testari videntur? 16. Haec sunt illa, quibus cum plena sit vita mortalium, persuadent multis istas bonorum malorumque vicissitudines meritas vel immeritas tantamque rerum varietatem a stellarum motibus fieri, quarum impulsibus fragilis et caduca mortalitas aegre aut numquam reluctari possit.

Font.: 9–10 piratam – fungi ] cf. Firm. math. 1,7,3 math. 1,7,2–3

10–11 hominem – obtruncari ] cf. Firm.

Sim.: 3–4 Alexander – felicitatis ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 4–6 Quae vis – credatur ] cf. rer. praen. 5,2 p. 508 App. crit.: 6 credatur BB BP Garin : credantur αβO 10 pacatissimum BCorr Garin : paratissimum αβO 16 meritas om. Garin

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und erfolgreicher mit Politik oder greift zu den Waffen. Woher kommt jene Unterschiede in den Veranlagungen? Es gibt den einen, der sich aus Reichtum nichts macht, und es gibt einen anderen, der seine Seele für Gewinn verkauft; der eine ist vernünftig, der andere ein Nichtsnutz, der eine ein Draufgänger, der andere ein Hasenfuß; woher kommt jene Verschiedenheit der Charaktere? 15. Alexander der Große hat den Orient so schnell besiegt, wie er ihn sehen konnte – woher kommt jener Impuls so großen Glücks? Welche Kraft hat seinem Lehrer Aristoteles, welche Platon und bereits früher Pythagoras, Sokrates und allen übrigen die Geheimnisse der Natur erschlossen? Jener Grund ist zu groß, als dass man glauben könnte, er sei aus der Erde emporgewachsen. Wer möchte im Gegenzug nicht jene Ereignisse dem zufälligen Lauf der Gestirne zuschreiben: Dass ein Unschuldiger verurteilt, ein Schuldiger belohnt wird? Dass der Fleiß der Mehrheit, ihre Klugheit, ihre Begabung und Bildung betteln gehen müssen, die Faulheit und Nutzlosigkeit von andern hingegen zu Wohlstand gelangt? Dass ein Pirat, beschmiert vom Blut seiner Morde, zwischen all den Gefahren zu Wasser und zu Lande dennoch schließlich zu Hause im Kreise seiner Liebsten hochbetagt aus dem Leben scheidet, ein äußerst sanfter und friedfertiger Mensch hingegen sogar unabsichtlich aus Dummheit heraus mit Schwertern niedergemetzelt wird? Scheint dann nicht der ungeheure Abschaum an Veranlagungen, der sich an Widerwärtigkeiten weidet oder, um es einmal auszusprechen, von den Gesetzen der Menschlichkeit abweicht, jene gewisse Kraft und Notwendigkeit der Macht des Schicksals zu beweisen? 16. Dies sind die Ereignisse, womit sie, da das Leben der Menschen voll davon ist, viele davon überzeugen, dass jene Wechselschläge von Gut und Böse, seien sie verdient oder unverdient, und jene Wechselhaftigkeit der Ereignisse von den Bewegungen der Gestirne ausgehen, deren Anstoß die zerbrechliche und schwache Menschennatur kaum oder sogar niemals Widerstand zu leisten vermag.

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Caput III – Retorquetur prima ratio atque ostenditur caelum causam esse universalem neque ad ipsam individuorum varietatem referendam.

Concussis rationibus astrologorum non sequi quod contendunt

Retorquetur prima ratio

1. Nos istas rationes astrologorum nedum labefactare, sed exaugere studuimus, ne quid se defraudatos expostularent. Primum autem illud lectorem scire volumus, etiam si rationibus his concederetur, non propterea sequi, ut aliqua possit esse astrologia; quod sequentibus libris innotescet. 2. Sed adeo illis non concedimus, ut ex iisdem locis valida contra eos argumenta sumamus; nam, quod ad primam attinet rationem: simulatque dixerunt astrologi motum omnem inferiorem a caeli motu dependere, statim dogmati suo contradixerunt, cum inde illud sequatur tritum apud philosophos, esse caelum universalem causam effectuum inferiorum. Causa autem universalis effectus non distinguit neque, cur hoc fiat aut illud, quaeritur ab ea, sed a proximis causis, quae variae et differentes sunt, pro effectuum differentia et varietate; et cum ex his alia aliud faciat, universalis causa cum omnibus omnia facit. 3. Quod cum manifeste appareat in rebus natura specieque diversis, mirum, quomodo non intelligant multo magis idem credendum de varietate individuorum, quae quanto magis et particularis est et a materia plurimum trahens origi-

Font.: 10–11 tritum – inferiorum ] cf. Arist. gen. corr. 2,10–11 336a 15–338b 19; Thom. Aq. quaest. pot. 5,6,1; Rog. Bac. op. mai. p. I 379 B Sim.: 5–6 si rationibus – astrologia ] cf. rer. praen. 5,3 pp. 508–509 8–13 simulatque – varietate ] cf. rer. praen. 5,3 p. 509; Bellant. resp. disp. 3,3 fol. r1r 10–11 esse – inferiorum ] cf. quaest. falsit. p. 153,19–23 402.15–404.1 Quod cum – universalem ] cf. rer. praen. 5,3 p. 509 App. crit.: 5 ut om. Garin 7 a Deo] a deo RC

post argumenta non add. Garin

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Kapitel 3 – Widerlegung des ersten Argumentes sowie der Beweis, dass der Himmel eine universelle Ursache ist und die unterschiedliche Ausprägung von Individuen nicht auf ihn zurückzuführen ist. 1. Wir haben uns bemüht, die Argumente der Astrologen keineswegs zu schwächen, sondern sie zu bestärken, damit sie nicht einfordern können, sie seien um etwas betrogen worden. Als erstes aber will ich, dass der Leser weiß, dass, selbst wenn man diesen Argumenten ihre Berechtigung zugesteht, daraus nicht der Schluss folgt, dass es deshalb irgendeine Astrologie gibt; dies wird in den folgenden Büchern klar werden. 2. Aber wir gestehen ihnen ihre Berechtigung in so hohem Maße nicht zu, dass wir aus denselben Stellen schlagkräftige Argumente gegen sie anführen wollen. Denn, was die erste Argumentation betrifft: Sobald die Astrologen einmal behaupteten, dass alle Bewegung der unteren Sphäre von der Bewegung des Himmels abhänge, haben sie im selben Moment ihrer Lehrmeinung widersprochen, da sich hieraus ja jener Allgemeinplatz der Philosophen ergibt, dass der Himmel die universelle Ursache causa universalis) der unteren Wirkungen sei. Eine generelle Ursache unterscheidet aber nicht in ihren Wirkungen, noch kann man sie befragen, warum sie das eine oder andere bewirkt, sondern man muss die nächsten Ursachen (causae proximae) befragen, die vielfältig und unterschiedlich sind, entsprechend der unterschiedlichen Ausprägung der Wirkungen; und während von diesen jede etwas anderes bewirkt, wirkt die universelle Ursache auf alle Dinge gleichzeitig und auf dieselbe Weise. 3. Da dies ja offensichtlich erkennbar ist bei Dingen, die von ihrer natürlichen Beschaffenheit und ihrer Gattung her unterschiedlich sind, ist es verwunderlich, warum sie nicht erkennen, dass dasselbe auch in umso höherem Maße für die un-

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nem, minus referri potest in causam maxime et formalem et universalem. At quis non videt caelum cum equo equum generare, cum leone leonem nec esse ullam siderum positionem, sub qua de leone leo, de equo equus non nascatur? 4. Cur [non] eadem ratione cum diversis parentibus diversos caelum pariet filios, licet eadem similive constellatione? Quod ipsa experientia comprobatur, cum interdum eadem hora natos et sub eadem inclinatione caeli, fortuna tamen, ingenio, corpore diversissimos videamus. Quo loco plagam astrologus vitare non potest. Solent enim, cum partus geminorum illis obicitur, ad Nigidianam rotam confugere, in qua non est bis eundem locum atramento designare; sed et hic male se explicant, cum non possint ipsi tam rapidi momenti assequi differentiam, ex qua tamen sit tanta, ut volunt, differentia fati. 5. Quare, dum efficientiam caeli conantur defendere, alios incidunt laqueos, ut de illa scilicet efficientia scientiam se habere non posse inviti confiteantur. Tum nos et illis geminos non obicimus, quorum, cum alter exeat post alterum, quae intercedit morula, ansulam eis praebet aliquid respondendi, sed natos simul eo-

Font.: 2 caelum – leonem ] cf. Albert. gen. corr. 2,2,11 p. 437 B; metaph. 7,2,9 p. 444 B 8–9 partus geminorum – designare ] cf. Aug. civ. 5,2–3 pp. 192,9–194,26 (= Nig. Fig. test. 17 [ed. Swoboda 1889,137]); adnot. Lucan. 1,639 Sim.: 2–3 quis – nascatur ] cf. rer. praen. 5,3 p. 509 4–7 Cur – videamus ] cf. rer. praen. 5,3 p. 510; Bellant. resp. disp. 3,3 fol. r1r 7–11 Quo – fati ] cf. Bellant. resp. disp. 3,3 fol. r1r 8–9 Solent – designare ] cf. rer. praen. 5,3 p. 510 9–11 male – fati ] cf. rer. praen. 5,3 p. 510 404.12–406.5 Quare – existimentur ] cf. rer. praen. 5,3 pp. 510–511

4 non delendum putavi App. crit.: 1 tanto addidi 12 ante alios fort. add. in (sed. cf. Hist. Aug. avid. 2,2)

10 tam BCorr GGarin : tamquam BOβ

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terschiedliche Beschaffenheit der Individuen gelten muss, die, je spezieller sie ist und ihren Ursprung in höchstem Maße in der Materie hat, umso weniger auf eine in höchstem Maße formale und universelle Ursache zurückgeführt werden kann. Wer aber sieht nicht, dass der Himmel mit einem Pferd ein weiteres Pferd erzeugt, mit einem Löwen aber einen Löwen, und dass es keine Sternenkonstellation gibt, unter der von einem Löwen kein Löwe, von einem Pferd kein Pferd geboren wird? 4. Warum aber soll der Himmel nach derselben Argumentation mit unterschiedlichen Eltern dann aber unterschiedliche Kinder zeugen, obschon die Himmelskonstellation dieselbe ist oder zumindest eine ähnliche? Dies beweist schon die Empirie selbst, wenn wir bisweilen sehen könne, dass Kinder, die zur selben Stunde und unter derselben Himmelsneigung142 geboren wurden, dennoch höchst unterschiedlich sind, was ihr Glück, ihre Begabung und ihren Körper angeht. An dieser Stelle können die Astrologen einen Fallstrick nicht vermeiden. Denn sie pflegen, wenn man ihnen die Zwillingsgeburten entgegenhält, zum Rad des Nigidius Zuflucht zu nehmen, auf dem man nicht zweimal dieselbe Stelle mit Tinte markieren kann.143 Aber auch hier verteidigen sie sich schlecht, weil auch sie selbst jenen äußerst kurzen Zeitabschnitt nicht erfassen können,144 aus dem sich – ihrer Meinung nach – ein so großer Unterschied des Schicksals ergibt. 5. Daher fallen sie in andere Fallgruben beim Versuch, die Wirksamkeit des Himmels zu verteidigen, sodass sie gegen ihren Willen zugeben müssen, gerade diese Wirksamkeit betreffend über keinerlei Wissen verfügen zu können. Deshalb halten wir ihnen nicht die Zwillinge entgegen, deren unterschiedliche Geburts-

142 Gemeint sind die – je nach geographischer Breite variierenden – Aufgangszeiten der Tierkreiszeichen; vgl. hierzu Heilen (2015: S. 1361) sowie zur Bezeichnung dieses Phänomens als inclinatio caeli Vitr. 1,1,10: disciplinam vero medicinae novisse oportet propter inclinationem caeli, quae Graeci κλίματα dicunt, et aeris et locorum, qui sunt salubres aut pestilentes, aquarumque usus; vgl. des Weiteren auch die Erläuterung im parallelen Abschnitt bei Gianfrancesco Pico (rer. praen. 5,3 p. 510). 143 Pico bezieht sich auf das Gleichnis von der Töpferscheibe des Nigidius, welches Augustinus bei der Diskussion der Zwillingsgeburten anführt (Aug. civ. 5,3 pp. 193,32–194,26). Dabei soll der Universalgelehrte und Astrologe Nigidius Figulus (1. Jh. v. Chr.) zweimal hintereinander auf eine schnell sich drehende Töpferscheibe dunkle Farbe getupft haben; beim anschließenden Stillstand habe man sehen können, dass die beiden Punkte dennoch weit voneinander entfernt waren; ebenso verhalte es sich laut Nigidius mit der schnellen Drehung des Himmels zwischen den zwei Geburten von Zwillingen. 144 Gemeint ist der äußerst geringe Zeitunterschied der Geburtshoroskope von Zwillingen, der – wie aus der Parallelstelle bei Gianfrancesco Pico deutlich wird – nicht mathematisch berücksichtigt werden könne (rer. praen. 5,3 p. 510): Nam cum rapidi momenti non possint ipsi differentiam assequi, quo pacto de iis quae eiusmodi infantibus eventura sunt pronunciare poterunt…

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dem momento, ex diversis parentibus, intra eandem tamen eiusdem regionis et latitudinem et longitudinem, de quorum genitura idem thema caeli describere, eadem pronunciari debet astrologus, tam de his, quae post natalem horam evenient, quam quae intra matris etiam alvum illis contigerunt, ut sicut eadem hora nati, ita eadem concepti ab illa existimentur. 6. De his, inquam, quid respondebit astrologus, cum eadem scilicet omnino constellatio, non idem tamen utriusque fatum apparebit? An poterit aliud dicere, nisi insaniat, quam afflatus illos sidereos virtute et potestate universales a proximis et secundis causis determinari et distingui? Quod si est, quomodo illi de omni individuorum varietate, exposita siderum hora geniturae, reddituros se causam | pollicentur, quod hic niveus, ille niger, hic brevi, ille procero corpore, hic tardo ingenio, ille solerti, hic omnibus gratus, ille molestus, hic ad philosophiam, ille satus ad mercaturam, hic dives, ille egenus, hic brevis vitae, ille longaevus?

Sim.: 6–9 De – distingui ] cf. rer. praen. 5,3 p. 511 praen. 5,2 p. 508

12–13 philosophiam – mercaturam ] cf. rer.

App. crit.: 4 contigerunt βOGarin : contingerunt α 5 illa scripsi : illo ΩGarin 10 positione addendum putavi 13 satus Garin (cf. Prop. 3,9,19) : fatus αVWRFO : natus C (cf. rer. praen. 5,2 p. 508)

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zeitpunkte, wenn der eine nach dem anderen auf die Welt kommt, ihnen einen kleinen Rettungsanker für mögliche Antworten zuwerfen, sondern die Kinder, die im selben Augenblick geboren wurden, von verschiedenen Eltern, und dennoch auf demselben Breiten- und Längengrad desselben Gebietes, für deren Geburt der Astrologe dasselbe Geburtshoroskop entwerfen muss und dieselben Vorhersagen äußern muss, sowohl was die Ereignisse nach der Geburtsstunde angeht, als auch diejenigen, die ihnen sogar schon im Mutterleib passierten, da man annehmen muss, dass sie ebenso zur selben Stunde von ihr empfangen wurden, wie sie zur selben Stunde geboren wurden. 6. Was, so frage ich, wird der Astrologe darauf antworten, wenn zwar die Sternenkonstellation beider dieselbe, offensichtlich aber nicht ihr Schicksal dasselbe sein wird? Wird er – wenn er bei Verstand ist – etwas anderes sagen können, als dass jene himmlischen Einflüsse, die nach Kraft und Vermögen allgemein sind, von den nächsten und zweitrangigen Ursachen (proximae et secundariae causae)145 bestimmt und unterschieden werden? Trifft dies zu, wie können sie dann noch versprechen, für jede unterschiedliche Beschaffenheit der Individuen, wenn

145 Als causa secundaria oder causa secunda werden in der scholastischen Tradition diejenigen Wirkursachen bezeichnet, die der causa prima, also Gott oder dem Himmel, nachgeordnet sind und auf der Ebene der Geschöpfe wirken; vgl. u.a. Thom. Aq. sent. lib.1, dist.12, quaest.1, art.2.

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7. Quae tota sub eadem specie varietas individuorum longe minus a caelo est, quam quae sub genere eodem diversitas specierum, ut nunc leo, nunc homo, nunc asinus, nunc elephas pariatur, quae, sicuti omnia specificam proximarum causarum differentiam consequuntur, ita illa individua vel seminum differentiam consequuntur (si corporeas qualitates) vel ingenii, educationis, arbitrii (si animales) vel facultates parentum, propriae electionis, prudentiae, occasionum (si fortuitas externasque consideremus).

Font.: 1–7 Quae– consideremus ] cf. Ptol. apotel. 1,2,18–19 Sim.: 1–7 tota – consideremus ] cf. rer. praen. 5,3 p. 511 App. crit.: 5–6 animales vel facultates Ω : animales facultates vel Garin 6 propriae] proprie α

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die Stellung der Sterne zur Stunde der Geburt dargelegt wurde, die Gründe angeben zu können, warum der eine weiß ist, der andere schwarz, einer von kleinem, der andere von großem Wuchs, der eine langsam, der andere schnell von Begriff, der eine beliebt, der andere unbeliebt bei allen, einer für die Philosophie geboren, der andere Kaufmann zu werden, einer reich, der andere mittellos, einer kurzlebig, der andere zu langem Leben bestimmt? 7. Diese umfassende Verschiedenheit der Individuen ein und derselben Gattung hängt bei weitem weniger vom Himmel ab als die Verschiedenheit der Arten ein und derselben Gattung, sodass bald ein Löwe, bald ein Mensch, bald ein Esel, bald aber ein Elefant geboren wird, die ebenso alle Folge eines artbildenden Unterschieds146 der nächsten Ursachen sind, wie jene individuellen Eigenschaften einem Unterschied der Samen entspringen (wenn wir die körperlichen Beschaffenheiten betrachten) oder einer unterschiedlichen Ausprägung von Anlage, Erziehung und (freiem) Willen (wenn wir die seelischen Fähigkeiten betrachten) oder der unterschiedlichen Möglichkeiten der Eltern, der eigenen Wahl, von Verstand und Gelegenheiten (wenn wir die zufälligen und außerhalb liegenden Einflüsse betrachten).

146 Durch den artbildenden Unterschied (differentia specifica) unterscheiden sich die Exemplare einer Art von allen anderen Exemplaren der nächsthöheren Gattung; vgl. Arist. Top. 6,6 143a 29–143b 10. Auf den artbildenden Unterschied zwischen Esel und Mensch geht auch Thomas von Aquin (z.B. Thom. Aq. sent. lib.3, dist.1, quaest.2, art.1) ein.

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Caput IV – Caelum qualiter motu agat et lumine et elementorum meteorologicorum, mineralium viventiumque universalis causa est. 1. Quanto igitur causa universalis particularibus causis divinior et eminentior, tanto nos sicuti verius, ita honorificentius de caelo sentimus quam astrologi. Quae ratio universalis efficentiae quo magis elucescat, tum quid efficiat caelum, quid non efficiat, clarius explicetur, altius exordiendum de natura caeli dicere deque eius actionibus erga corpora inferiora. 2. Caelum corpus naturale est, omnium corporum naturalium perfectissimum. Corpus naturale tam motus quam sensibilis qualitas consequuntur; perfectissimo igitur corporum naturalium perfectissimus quoque motus et sensibilium perfectissima congruunt; nullus motus perfectior orbiculari, nulla qualitas perceptibilis sensu luce perfectior. Erunt igitur haec caelestis corporis propria. Quare immarcessibili quoque substantia caelum, quando motus eius et qualitas contrarium nihil habent; sed et, quoniam perfectissimum corpus, primum quoque loco, scilicet supremum, esse debet, cui primus etiam motus debeatur.

Font.: 9 Corpus – consequuntur ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.2, quaest.2, art.1–2 13–15 motus – debeatur ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.14, quaest.1, art.2 Sim.: 3–7 Quanto – inferiora ] cf. disp. 3,27,5; Bellant. resp. disp. 3,4 fol. r1r App. crit.: 1 lumine] lumina G (corr. Gc ) 2 est] expectes sit 11 qualitas addidi 13 immarcessibili WRFO : in marcessibili αVC : immarcescibili Garin 15 primus] primum Garin

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Kapitel 4 – Auf welche Weise der Himmel mit Bewegung und Licht wirkt und die universelle Ursache von meteorologischen Ereignissen, Mineralien und Lebewesen ist.147 1. Je näher also die allgemeine Ursache (causa universalis) im Vergleich zu den individuellen Ursachen (causa particularis) zum Göttlichen ist und je ausgezeichneter, desto wahrhafter zum einen, zum anderen aber auch ehrenhafter denken wir vom Himmel im Vergleich zu den Astrologen. Damit dieses Argument der allgemeinen Wirksamkeit umso deutlicher zum Vorschein kommt und damit des Weiteren auch umso deutlicher erläutert wird, welche Wirkung vom Himmel ausgeht und welche nicht, gilt es, höher anzusetzen und von der natürlichen Beschaffenheit des Himmels sowie über sein Wirken auf die unteren Körper zu sprechen. 2. Der Himmel ist ein natürlicher Körper, ja der vollkommenste aller natürlichen Körper. Sowohl seine Bewegung als auch die sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit machen einen natürlichen Körper aus; folglich kommen sowohl die vollkommenste Bewegung als auch die höchste Vollkommenheit sinnlicher Wahrnehmbarkeit dem vollkommensten Körper zu; keine Bewegung aber ist vollkommener als die kreisförmige, keine sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit ist vollkommener als Licht. Dies werden also die Eigenschaften des himmlischen Körpers sein. Daher ist auch die Substanz des Himmels unvergänglich, da seine Be-

147 Das ganze Kapitel ist stark abhängig vom »Sentenzenkommentar« Thomas von Aquins bzw. seiner Schrift De motu cordis; vgl. hierzu die Verweise im Quellenapparat.

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Actionem caeli per motum universalem esse

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3. Est autem, quod primum in unoquoque genere, causa reliquorum sub ea serie contentorum, licet non omnia eandem causae habeant rationem. 4. Quare, quod primo motu movetur, reliqua mota movet nec illo cessante cetera movebuntur, sicut in minore quoque mundo, si cesset motus cordis, omnes animalis motus perire necesse est; quocirca recte dixit Aristoteles libro octavo Physicae auscultationis motum primi caeli vitam esse omnibus, quandoquidem evidentissima est et communis operatio vitae intimus motus. Ergo una haec caeli dignitas et efficacia erga mundum inferiorem, ut pro illius agitatu infatigabili ceteri motus omnes et ordinentur et excitentur. 5. Quae quidem efficientia quam sit universalis nec inferiores motus hac ratione distinguat, satis evidens est, quoniam, sicut descendenti glebae, ita flammae sursum se moventi et alio genere motibus omnibus unus et idem caelestis motus pariter cooperatur. 6. Altera illi de luce praerogativa; nam, quando lux summa qualitas corporum, corporeae vero naturae primus vitae gradus et summa semper ordinis infimi extrema fere superioris ordinis assequuntur, fit necessario, ut lux et consummatricem quandam habeat corporum virtutem et vitale nonnihil interim possideat, non quod ipsa aut vivat aut vitam afferat, sed corpus vitae capax ad vitam maxime praeparat et disponit, quoniam sequitur lucem quasi proprietas eius calor quidam non

Font.: 1–2 Est – contentorum ] cf. Thom. Aq. sent. lib.3, dist.10, quaest.2, art.1; summ. 1,2 quaest.22, art.2 3–5 Quare – necesse est ] cf. Thom. Aq. mot. cord. p. 127,24–33 4 in minore quoque mundo ] cf. Arist. phys. 8,4 252b 26–27; Thom. Aq. sum. 2,1 quaest.2, art.8 5–6 Aristoteles – omnibus ] cf. Arist. phys. 8,1 250b 11–15; cf. Thom. Aq. mot. cord. p. 127,64–66; sent. lib.2, dist.14, quaest.1, art.1 11–12 sicut – moventi ] cf. Thom. Aq. mot. cord. p. 127,17 14 lux summa qualitas corporum ] cf. Thom. Aq. sent. lib.4, dist.49, quaest.4, art.5 15–16 summa – assequuntur ] cf. Thom. Aq. sum. 1 quaest.108, art.6; spirit. creat. art.6; sent. lib.3; dist.26; quest.1, art.2 Sim.: 1–2 Est autem – rationem ] cf. rer. praen. 5,3 pp. 512–513 derans ] cf. rer. praen. 5,3 p. 513

412.19–414.3 sequitur – mo-

App. crit.: 1 unoquoque Garin : uno quoque Ω 9 et1 om. Garin excitentur FGarin : excitantur αVWRCO 16–17 consummatricem GCO : consumatricem BVWRFGarin

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wegung und seine Eigenschaft kein Gegenteil besitzen. Er muss aber auch, da er der vollkommenste Körper ist, der erste hinsichtlich seiner Stellung sein, also der höchste, dem auch die erste Bewegung (primus motus) zukommt. 3. Außerdem ist das, was das Erste in einer jeden Gattung ist, die Ursache der übrigen Dinge, die unter dieser Folge zusammengefasst sind, obschon nicht alle dieselbe Ursache zur Grundlage haben. 4. Daher bewegt das, was von der ersten Bewegung bewegt wird, auch das übrige Bewegte und dieses Übrige wird sich nicht mehr bewegen, wenn dessen Bewegung nachlässt; ebenso gehen auch notwendigerweise alle Bewegungen eines Lebewesens im Mikrokosmos zu Ende, wenn die Bewegung des Herzens aufhört. Aus diesem Grunde sagt Aristoteles zutreffend im achten Buch seiner »Physikvorlesung« (Physica), dass die Bewegung des ersten Himmels das Leben für alles darstelle, da die innerste Bewegung die offensichtlichste und allgemeine Lebenstätigkeit ist. Also sind diese würdevolle Vorrangstellung des Himmels und seine Wirkung auf die untere Welt eins, sodass gemäß seiner unermüdlichen Bewegung alle übrigen Bewegungen geregelt und angeregt werden. 5. Es ist zur Genüge offensichtlich, wie allgemein diese Wirkung ist und wie sehr sie die unteren Bewegungen nicht auf diese Weise unterteilt, insbesondere, da ein und dieselbe Bewegung des Himmels gleichermaßen auf die Scholle, die sich senkt, wie auf die Flamme, die sich empor erhebt, und ebenso auf alle anderen Bewegungen einwirkt. 6. Die andere Wirkung, die ihm zukommt, ist das Prärogativ des Lichtes. Denn da das Licht die höchste Eigenschaft der Körper ist, die körperlichen Naturen aber die erste Stufe des Lebens und das jeweils Höchste der untersten Stufe das Letzte einer höheren Stufe erreicht, hat das Licht notwendigerweise die Fähigkeit zur Vollendung der Körper und besitzt inzwischen einiges, was zum Lebendigsein gehört, nicht weil es selbst entweder lebt oder Leben schenkt, sondern weil es den

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Pythagorici

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igneus, non aereus, sed caelestis, sicuti lux caeli propria qualitas – calor, inquam, efficacissimus maximeque salutaris, omnia penetrans, omnia fovens, omnia moderans. 7. Hoc est caeli munus praecipuum, quo corpora perficiuntur et viventia disponuntur ad vitam, praeter agitationem circularis motus, non modo necessariam, ut lumen istud atque calorem devehat ad nos et per vices opportunitate mira plus minus terris impartiatur, sed ut motos nos quoque calori | reddat habiliores, qui de perpetue moto corpore iugiter emanat. 8. Huius beneficentissimi vim caloris in toto corruptibili mundo pervidemus, tam incohatis, quam absolutis, tam inanimis, quam animatis; nam elementa quidem continet et conservat sicuti locus eorum et forma quasique artifex, omnia quidem ambiens, sed per omnia quoque intime se diffundens; et quemadmodum illud primi motus privilegium, ut torpeant sine eo reliqui motus, ita primae sensibilis qualitatis, uti sine illa ceterae qualitates agere nihil possint. 9. Quare si caelesti calore destituantur, nec frigiditatem agere frigus poterit, nec calor caliditatem; non enim calor ille sidereus frigori contrarius, sicuti calor igneus vel aereus, sed omnes continet elementares qualitates eminentia simplici, sicuti caeli natura continet omne corpus, sicuti motus circularis omnes motus, sicuti lux omnes colores et, quod Pythagorici dicerent, sicuti unitas continet omnes

Font.: 1 sicuti – qualitas ] cf. Thom. Aq. de 108 art. 7 p. 281,154–157 11 quasique artifex ] cf. Arist. phys. 2,3 195a 29–b 30 18 motus circularis omnes motus ] cf. Arist. phys. 8,9 265a 13–15; Thom. Aq. cael. 2,1 19 lux omnes colores ] cf. Thom. Aq. sent. lib.3, dist.23, quaest.2, art.1 Pythagorici – numeros ] cf. Arist. metaph. 7,11 1036b 17–20; Dion. Ar. div. nom. 5,6 (PG 3,820) Sim.: 9–12 Huius – diffundens ] cf. quaest. falsit. p. 170,10–15 414.17–416.1 omnes continet – numeros ] cf. rer. praen. 5,3 p. 513 414.19–416.1 unitas – numeros ] cf. ent. un. 4 p. 18 App. crit.: 7 habiliores αV : hiliores WRFO : hilariores C : abiliores Garin BCorr Garin : torqueant BOβ : toreant G 19 colores Garin : calores Ω

13 torpeant

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Körper, der für das Leben empfänglich ist, in höchstem Maße auf das Leben vorbereitet und richtig anordnet, da dem Licht, wie eine Art ihm zugehörige Eigenschaft, eine gewisse Hitze folgt, nicht wie die des Feuers oder der Luft, sondern eine himmlische, wie das Licht die dem Himmel zugehörige Eigenschaft ist; diese Hitze, so sage ich, ist äußerst wirksam und höchst heilsam, sie durchdringt alles, wärmt alles, lenkt alles. 7. Sie ist das besondere Geschenk des Himmels, durch das die Körper vollkommen und alles Lebende für das Leben vorbereitet wird, abgesehen von der Kreisbewegung, die nicht nur notwendig dafür ist, um dieses Licht und die Hitze zu uns herab zu bringen und abwechselnd durch erstaunlich günstige Veranlagung mehr oder weniger auf die Länder zu verteilen, sondern auch dafür, dass wir, wenn wir bewegt wurden, aufnahmebereit für die Hitze sind, die aus dem in unendlicher Bewegung sich befindlichen Körper fortwährend herausfließt. 8. Die Kraft dieser wohltätigen Hitze können wir in der ganzen vergänglichen Welt sehen, an den Dingen, die in der Entstehung sind wie in den Vollendeten, am Unbeseelten und am Beseelten, denn diese Kraft enthält und bewahrt die Elemente, wie deren Position (locus) und Form (forma) und zwar wie eine Art Künstlerin, indem sie alles einerseits umgibt, andererseits aber auch durch alles im Innersten durchströmt. Und wie dies das besondere Kennzeichen der ersten Bewegung ist, dass alle übrigen Bewegungen ohne sie in Ruhe verharren, so ist es das Kennzeichen der ersten sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaft, dass ohne sie alle übrigen Eigenschaften148 nichts bewirken können. 9. Wenn sie also von der himmlischen Hitze alleingelassen werden, kann weder die Kälte Kälte bewirken, noch die Hitze Hitze. Denn jene himmlische Hitze ist nicht das Gegenteil der Kälte, so wie die Hitze des Feuers oder der Luft, sondern sie enthält alle elementaren Qualitäten mit einfacher Vollkommenheit, wie die natürliche Beschaffenheit des Himmels jeden Körper enthält, wie die Kreisbewegung

148 Gemeint sind die auf elementarer Ebene sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten Hitze, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit, die von Thomas von Aquin als qualitates primae tangibiles bezeichnet werden (so z.B. meteor. 1,2).

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Error aliquorum

Unde decepti

Similitudo idonea

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numeros, ut fallantur, qui negant conservari caelitus elementa frigida posse, nisi praeter calorem influant et sidera frigiditatem. 10. Dicerent enim aliquid, si calida conservaret caelum calore eiusdem naturae et rationis; sed omnia pariter, calida, frigida, humida, sicca conservat sua ista qualitate, quae, sicuti nulla est ex illis quattuor qualitatibus, ita claudit in se omnes, non quales sunt in elementis, sed quale quod multiplex in unitate concluditur, virtute scilicet principali, per quam illas ita regit, ut et quamlibet ipsimet uniat conservando et in ipsis totum conservet omnes moderando et ex ipsis alia pariat omnes commiscendo. 11. Verum fallit nomen caloris, quod cum audimus, rem intelligimus statim adversam frigiditati. At caelesti illi calori proximior quidem natura calor elementalis quam elementalis frigiditas, sicuti etiam est perfectior; sed nihil hoc prohibet illum ab utriusque elementi proprietatibus exaltatum utraque virtute complecti, sicuti ›candorem‹ cum dicimus, rem adversam videmus dicere fusco nigroque colori nec tamen negaverit quispiam non secus nigrum colorem quam album candore lucis et conservari et efficacem fieri, licet alius luci natura[e] proximior nomen etiam fere habeat commune, ut et ›candidus‹ appelletur interdum. Denique, si substantia caeli, utpote primi corporis, omne corpus perfectissime continet et virtute, debet necessario eius propria qualitas omnem corpoream qualitatem virtute perfectioneque continere.

sicuti] App. crit.: 11–12 elementalis] elementaris Garin 12 elementalis] elementaris Garin sicut Garin 13 utramque virtutem scripsi : utraque virtute Ω 16 luci] lucis Garin natura scripsi (vide supra: illi calori…natura) : naturae Ω

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alle Bewegungen enthält, wie das Licht alle Farben enthält oder, wie die Pythagoräer sagen würden, wie die Einheit alle Zahlen in sich birgt; daher täuschen sich alle, die abstreiten, dass kalte Elemente durch den Einfluss des Himmels bewahrt werden können, es sei denn, dass die Sterne auch außer der Hitze die Kälte ausstrahlen.149 10. Sie würden ein korrektes Argument haben, wenn der Himmel lediglich das Heiße durch seine Hitze erhalten würde, die über dieselbe natürliche Beschaffenheit und dasselbe Wesen verfügt; aber er bewahrt alles gleichermaßen, Heißes wie Kaltes, Feuchtes und Trockenes durch seine Qualität, die zwar keine von jenen vier Qualitäten ist, sie aber alle in sich vereint, allerdings nicht in der Art, wie sie in den Elementen sind, sondern wie etwas, das als eine Vielheit in einer Einheit enthalten ist, nämlich durch ihr vorrangiges Vermögen (virtus), mittels dessen sie jene derart lenkt, dass sie sowohl eine jede mit sich selbst vereinigt durch Bewahren, und das Ganze in ihnen bewahrt, indem sie alle im richtigen Maß hält und aus ihnen selbst andere Dinge hervorbringt, indem sie alle miteinander vermischt. 11. Doch der Ausdruck ›Hitze‹ (calor) täuscht: Wenn wir nämlich ›Hitze‹ hören, stellen wir uns sofort das Gegenteil von Kälte vor. Aber jener himmlischen Hitze ist zwar ihrer natürlichen Beschaffenheit nach die elementare Hitze näher, als es die elementare Kälte ist, da sie auch vollkommener ist; doch das ist kein Hindernis dafür, dass sie, nachdem sie von den Eigenschaften beider Elemente in einen höheren Zustand versetzt wurde, die beiden Kräfte in sich vereint, ganz so, wie wir, wenn wir von ›hellem Glanz‹ (candor) sprechen, etwas vor uns sehen, was das Gegenteil ist von dunkler und schwarzer Farbe, und dennoch wird niemand leugnen, dass schwarze Farbe nicht anders als weiße vom hellen Glanz des Lichts sowohl bewahrt wird als auch zur Wirksamkeit gebracht wird, obschon die eine Farbe gemäß ihrer natürlichen Beschaffenheit dem Licht nähersteht und sogar beinahe einen gemeinsamen Namen hat, sodass auch dieses bisweilen als ›hell glänzend‹ (candidus) bezeichnet wird. Darüber hinaus muss, wenn die Substanz des Himmels, insbesondere da der Himmel der erste Körper ist, jeden Körper auf vollkommene Weise und durch ihr Vermögen in sich enthält, notwendigerweise

149 Vgl. hierzu Thom. Aq. cael. 2,10,12 p. 159: Quod autem quaedam astra dicantur infrigidare vel humectare, Averroes in Commento dicit hoc non esse per se, sed inquantum agunt calorem proportionatum unicuique corpori: unde reprehendit Avicennam, qui dicit quod stellae faciunt et infrigidationem et calefactionem…

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Calor caelestis cum causis proximis omnes corporum gignit qualitates

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12. Haec est, quam calorem caelestem vocamus, sobolem lucis, vocamusque calorem et quod vitaliter calefacit, et quod inter omnes elementorum proprietates calor illi proximat magis; ita, cum a sua ille caelesti conditione degenerat, huius maxime operationem exerceat, ut postea declarabimus. 13. Igitur, si calor iste perfectione virtuteque continet corporum inferiorum omnes qualitates, omnes etiam cum causis illarum proximis et generabit et vegetabit; sicuti calor ipse seminalis, licet calor est aut dicitur, materiam tamen omnem foetus, sive illa calida, sive frigida, regit, digerit, servat, format, moderatur. 14. Propterea, si quis quaerat a me frigiditatemne caelum faciat per se an ex accidenti, respondebo, si quidem quaeras, quid se ipso faciat caelum nulla media causa, fieri ab illo per se tantum calorem, ceteras qualitates ex accidenti, sicuti calor ipse per accidens frigefacit, ut sequenti capite declarabimus; si vero, quid tamquam universalis causa cum secundariis causis agat, agere illum per se tam frigiditatem quam caliditatem, tam siccitatem quam humiditatem, quomodo non minus cum aqua generat aquam, quam cum igne generet ignem; nec magis posset sine illo aqua aquam quam ignis ignem generare. 15. Cum autem generat elementorum substantias, generat consequentes quoque illas proprietates, quare cum aqua frigiditatem, cum igne calorem facit. Et si quidem hoc modo negaremus per se fieri aliud a caelo quam calorem, sequerentur absurda illa, quae dicit Thomas: »Frigiditatem, siccitatem et hu | miditatem non per se esse in universo, sed per accidens, nec formas omnes substantiales in-

Font.: 7 calor ipse seminalis ] cf. Arist. gen. animal. 2,3 736b 33–737a 7 9–10 frigiditatemne – accidenti ] cf. Ficin. in enn. 2,3 pp. I 214–217 W 418.20–420.1 Thomas – contineri ] cf. Thom. Aq. cael. 2,10; summ.1 quaest.115, art.3 App. crit.: 3 conditione GRCOGarin : condictione BVWF 7 est expectes sit aut scripsi : et Ω 8 calida] calida est Garin 15 generet] generat Garin 18–19 si quidem scripsi : siquidem ΩGarin 21 universo BB BP (cf. Thom. Aq. cael. 2,10) : universos αβOGarin nec] ne O

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auch die ihr zukommende Beschaffenheit (qualitas) jede körperliche Beschaffenheit durch ihr Vermögen und ihre Vollkommenheit in sich enthalten. 12. Diese Beschaffenheit ist das, was wir als ›himmlische Hitze‹ bezeichnen, den Spross des Lichtes, und wir bezeichnen sie als ›Hitze‹, weil sie einerseits in lebensspendender Weise erhitzt und andererseits von allen Elementareigenschaften die Hitze ihr am nächsten kommt. Daher übt jene himmlische Hitze vor allem auch die Wirkung der elementaren Hitze aus, wenn sie von ihrem himmlischen Zustand sich zurückentwickelt, wie wir später erläutern wollen. 13. Es gilt daher, wenn jene Hitze alle Eigenschaften der unteren Körper durch ihre Vollkommenheit und ihr Vermögen in sich enthält, dass sie diese alle auch mitsamt ihren nächsten Ursachen hervorbringt und in Bewegung setzt, wie auch die Hitze des Samens selbst, mag sie nun eine Hitze sein oder nur als ›Hitze‹ bezeichnet werden, dennoch die gesamte Materie des Ungeborenen, sei sie nun heiß oder kalt, leitet, teilt, bewahrt, formt und ins rechte Maß bringt. 14. Daher werde ich, wenn mich jemand fragen sollte, ob der Himmel die Kälte direkt gemäß seiner eigenen Natur (per se) oder zufällig (ex accidenti) erzeugt, antworten, zumal wenn du fragst, was der Himmel durch sich selbst (se ipso) bewirke ohne eine Zwischenursache, dass durch ihn gemäß seiner eigenen Natur nur die Hitze entsteht, die übrigen Qualitäten zufällig, wie die Hitze selbst zufällig Kälte bewirkt, wie wir im folgenden Kapitel darlegen werden; wenn du aber fragst, was er als universelle Ursache mit den zweitrangigen Ursachen bewirkt, werde ich antworten, dass er durch seine eigene Natur gleichermaßen Hitze und Kälte bewirkt, ebenso Trockenheit wie Feuchtigkeit, wie er nicht weniger mit Wasser das Wasser hervorbringt, als mit Feuer das Feuer: Genauso wenig könnte das Wasser ohne ihn Wasser hervorbringen, wie das Feuer anderes Feuer. 15. Indem er aber die elementaren Substanzen hervorbringt, bringt er auch jene aus ihnen sich ergebenden Wesensmerkmale hervor, weshalb er mit dem Wasser die Feuchtigkeit bewirkt, mit dem Feuer aber die (elementare) Hitze. Und wenn wir nach dieser Argumentation ablehnen würden, dass von sich aus etwas anderes durch den Himmel geschieht als Hitze, würde jene Folgerung des Thomas von

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Calor caelestis quomodo meteorologicorum causa sit

Aristotiles Plato

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feriorum corporum in virtute caelestium corporum contineri.« Quae nullo modo sequuntur, cum negamus caelum per se et ex se vel aerem vel inferiora alia corpora frigefacere. 16. Quocirca probant rationes illae Thomae non quod negamus ipsi, sed quod asserimus. 17. Vidimus in elementa quid agat caelum et universalem hic primum efficientiam comprobavimus; descendamus ad alia, quae fiunt ex elementis. 18. Idem igitur ille calor, filius lucis, suscitans e terrenis corporibus vaporosos halatus, extenuans crassa faeculentaque dissolvens, parit ea, quae fiunt in sublimi, diversa pro diversitate materiae, quae sursum tollitur. 19. Nam si vapor a fluxo tollitur corpore, facit humidas impressiones in media aut infima regione aeris; si a sicco atque terrestri tollitur evaporatio ignea ad superiora, quae contigua aetheri, necessario ex motus et ignis vicinitate concalescit. 20. Haec igitur omnia quoque calor ille caelestis operatur, sive frigida illa sive calida, quoniam de vaporibus omnia, quos solus elicit calor; omnia igitur calor et universaliter omnia, cum eorum distinctio atque varietas non a varietate constellationis, ut astrologi fabulantur, sed penes materiam et locum, in quo generantur, ut ex meteorologicis Aristotelis libris et Timaeo Platonis innotescit.

Font.: 8–10 Idem – tollitur ] cf. Arist. meteor. 1,4 341b 6–342a 33; meteor. 2,4 359b 27–360a 33; Albert. meteor. 2,1; 3,1 11–12 vapor – aeris ] cf. Albert. meteor. 2,1,1 pp. 519–520 B 12–13 a sicco – concalescit ] cf. Arist. meteor. 341b 6–35; Albert. meteor. 1,4,1 pp. 509–510 B App. crit.: 2 alia om. Garin 9 faeculentaque BOβ : feculentaque G (corr. Gc ) : faeculenta Garin 13 aetheri BB BP : aetheris αβOGarin 16 non om. O

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Aquin in Folge dessen sinnlos werden, dass nämlich »Kälte, Hitze und Feuchtigkeit sich im Universum nicht durch sich selbst (per se) befinden, sondern zufällig (per accidens), und dass nicht alle elementaren Formen der unteren Körper auf der Wirkung der himmlischen Körper beruhen.« Dies lässt sich jedoch keineswegs folgern, wenn wir ablehnen, dass der Himmel an sich und aus sich heraus entweder die Luft oder andere untere Körper kalt macht. 16. Daher bestätigen jene Argumente des Thomas nicht das, was wir selbst ablehnen, sondern das, was wir geltend machen wollen. 17. Wir haben gesehen, welche Wirkung der Himmel auf die Elemente hat und haben hier zuerst einmal seine universelle Wirksamkeit bewiesen; jetzt wollen wir zu anderen Dingen herabsteigen, die sich aus den Elementen ergeben. 18. Jene Hitze selbst also, dieser Spross des Lichtes, bringt, indem er die feuchten Ausdünstungen der irdischen Körper emporhebt, Dichtes verdünnt und Klümpchen auflöst, jene Dinge hervor, die in der Höhe entstehen, die je nach der unterschiedlichen Materie, die empor gehoben wird, auch selbst unterschiedlich sind. 19. Denn wenn eine Ausdünstung (vapor)150 von einem flüssigen Körper aufsteigt, bewirkt sie feuchte Wetterphänomene in der mittleren oder untersten Luftschicht;151 erhebt sich jedoch eine feurige Ausdünstung von einem trockenen und irdenen Körper in die höheren Gefilde, die an den Äther grenzen, dann erhitzt sie sich notwendigerweise auf Grund der Nachbarschaft zu Bewegung und Feuer. 20. Auch dies alles bewirkt also jene himmlische Hitze, sei es nun kalt oder heiß, da alles von den Ausdünstungen entsteht, die nur die Hitze hervorlockt. Die Hitze bewirkt also alles, und sie bewirkt alles auf generelle Weise (universaliter), da die trennende Unterschiedlichkeit der Dinge nicht von der unterschiedlichen Anordnung der Gestirne bewirkt wird, wie die Astrologen schwatzen, sondern von der Beschaffenheit der Materie abhängt und dem Ort des Entstehens, wie aus der Meteorologie des Aristoteles und Platons Timaios deutlich hervorgeht.

150 Zur begrifflichen Schwierigkeit dieses von Aristoteles als ἀναθυμίασις bezeichneten Phänomens vgl. die Erläuterung bei Arist. meteor. 2,4 359b 27–34. 151 Gemeint sind Phänomene wie Tau, Regen, Hagel oder Schnee; vgl. Albert. meteor. 2,1,1.

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Fatigatio inanis quorundam Aristotelis interpretum

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21. Propterea tractaturus Aristoteles hanc naturae partem vulgatum id protulit, continua superioribus esse inferiora, quo virtus eorum omnis inde gubernetur. Id quod, quamvis universalius accipi vere possit ob ea, quae diximus de caelesti motu atque calore, quibus omnia moventur foventurque, dictum tamen ab Aristotile propter meteorologicas impressiones, de quibus maxime tunc agebat; quare probaturus vel explicaturus, quod dixerat, adiunxit horum quidem omnium inferiora esse materiam, caelum autem efficientem causam. 22. Miror autem interpretes quosdam fatigari, ut a calumnia defendant, quod omnem virtutem inferiorem caelitus dixerit gubernari, quasi in his verbis nostra quoque libertas periclitetur nec videant ex verborum contextu ad elementa dumtaxat pertinere quod dicitur; ›mundum‹ enim ibi cum dicit, elementaria corpora spatium hoc replentia sublunare mundum vocat, non cum elementis ipsa quoque, quae mundum istum inhabitant. 23. Hoc de serie patet orationis evidentissime; nam, postquam dixit a se determinatum in libris superioribus quattuor esse corpora infra caelum, ignem, aerem, aquam, terram, tum ita subiungit: »Quoniam itaque circa terram totam mundus ex his constat corporibus, cuius affectiones dicturi sumus, est ex necessitate continuus iste superioribus lationibus, ut omnis ipsius virtus gubernetur inde.« 24. Mundus igitur, cuius omnem virtutem a corpore superiori gubernari dixit, haec ipsa est moles quattor elementorum, quando nec alius mundus continuus est

Font.: 2–3 continua – gubernetur ] cf. Arist. meteor. 1,2 339a 21–23 6–7 adiunxit – causam ] cf. Arist. meteor. 1,2 339a 23–32 8 fatigant – defendant ] cf. Thom. Aq. summ.1, quaest.115, art.6 14– 16 a se – terram ] cf. Arist. meteor. 1,2 339a 11–16 16–18 Quoniam – inde ] cf. Arist. meteor. 1,2 339a 19–23 App. crit.: 2 continua] contigua expectes (cf. disp. 3,2,2) Garin

3 ob αGarin : ab βO

18 ipsius] eius

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21. Außerdem hat Aristoteles, als er diesen Teil der Natur abhandeln wollte, jene allgemein bekannte Wahrheit zu Tage gefördert, dass die unteren Dinge von den oberen fortgesetzt werden, weshalb ihre gesamte Wirkung von dort gesteuert wird. Obschon man dies tatsächlich allgemeiner auffassen könnte wegen der Tatsachen, die wir über die himmlische Bewegung und Hitze bereits festgestellt haben, durch die alles bewegt und gewärmt wird, wurde es von Aristoteles dennoch wegen der meteorologischen Phänomene geäußert, die er an dieser Stelle besonders besprach; daher fügte er auch, weil er seine Darlegungen beweisen oder erläutern wollte, hinzu, dass die unteren von allen diesen Körpern die Materie darstellten, der Himmel aber die Wirkursache (causa efficiens). 22. Ich wundere mich aber darüber, dass gewisse seiner Exegeten sich abmühen, ihn gegen den Vorwurf der Falschaussage zu verteidigen, weil er feststellt, dass alle unteren Wirkungen vom Himmel gesteuert werden, als ob mit diesen Worten auch unsere Freiheit in Gefahr geriete und als ob sie nicht anhand des Zusammenhanges erkennen könnten, dass seine Worte lediglich auf die Elemente Bezug nehmen; wenn er dort nämlich von der ›Welt‹ spricht, so bezeichnet er als ›Welt‹ die den Elementen zugehörigen Körper, die diesen sublunaren Raum füllen, nicht jedoch zusammen mit den Elementen auch diejenigen Körper selbst, die diese Welt bewohnen. 23. Dies ergibt sich vollkommen klar aus dem Gang der Argumentation; nach seiner Feststellung nämlich, dass er in den vorangegangenen Schriften festgestellt habe, dass es vier unterschiedliche Körper unterhalb des Himmels gebe, Feuer, Luft, Wasser und Erde, fügt er folgende Aussage an: »Da also die Welt um die gesamte Erde herum aus diesen vier Körpern zusammengesetzt ist, deren Zustände wir behandeln wollen, ist jene notwendigerweise mit den oberen Gesetzen zusammenhängend, sodass alle ihre Kraft vom oberen Körper gesteuert wird.« 24. Die Welt, deren gesamte Kraft nach seinen Worten vom oberen Körper gesteuert werde, ist also jene Masse der vier Elemente, da weder eine andere Welt

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Caelum quomodo causa mineralium d3r Obiecto Solutio

Opinio Platonicorum

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superioribus lationibus nec alterius mundi dicturus erat affectiones in eo libro, in quo certe de plantis, de animalibus nulla mentio est, sed de iis tantum, quae fiunt in elementis, ut cometis aliisque impressionibus et quaecumquae aeris et aquae communes passiones sunt, ut in prooemiis paulo ante ipse praefatur. 25. Proinde desinant nostri divinatores in annuis vaticiniis hoc philosophi testimonium quasi suae fraudis honestamentum roburque praetendere, cum vel eo maxime libro deroget astrologiae prudentissimus Aristoteles, dum nec pluviarum nec terrae motuum nec huiusmodi aliorum effectuum causas quaerit in sideribus, sed in materia, pro cuius varietate, non pro diversitate constellationis, aliter atque aliter illos Solis calor afficiat. 26. Sic igitur se res habet in meteorologicis impressionibus. 27. Corpora perfectiora expertia vitae, qualia gemmae atque metalla, sicuti ex inferiori materia coalescunt, | ita radiosi illius caloris vi digeruntur atque formantur. Nec obstat, quod a luce prodire calorem hunc diximus, nec lux tamen ad subterranea quaedam loca pertingit, in quibus id genus praeciosissima mixta generantur; nam, si non illa vera opinio Platonicorum quorundam penetrare omnia corpora cum diaphano lucem, licet corporibus vel densissimis inculcata vel per rarissima dispersa non videatur, certe illud negari non debet diffusum a luce calorem eo posse pertingere, quo lux ipsa non pervenit, sicut potest trans parietem calor ignis sentiri nec potest tamen ipsa flamma videri.

Font.: 2–4 fiunt in elementis – passiones sunt ] cf. Arist. meteor. 1,1 338b 21–25 5–6 desinant – praetendere ] cf. Paul. Middelb. prognost. 1484 fol. a3r ; prognost. 1482 fol. a1r 16–18 opinio – videatur ] cf. Iul. in Sol. 7 pp. 133C–134B; Prisc. Lyd. 17–26; Ficin. in Prisc. Lyd. 17–26 (Opera II, 1809–1814) App. crit.: 5 post vaticiniis lac. ind. αβ (corr. BB BP ) 14 Tit. Obiectio correxi : obiecto ω 17 cum BCorr GGarin : cui BOβ per rarissima OGarin : perrarissima αβ (prarissima G)

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mit jenen oberen Gesetzen zusammenhängt, noch er die Absicht hat, die Zustände einer anderen Welt in dieser Schrift zu behandeln, in der sicherlich weder Pflanzen noch Tiere Erwähnung finden, sondern lediglich das, was auf der Ebene der Elemente geschieht, wie z.B. Kometen und andere Wetter-Phänomene, sowie alle Änderungen, die Luft und Wasser gemeinsam sind, wie er selbst kurz zuvor in seiner Einleitung vorausschickt. 25. Demgemäß sollen es die Wahrsager unserer Zeit unterlassen, bei ihren jährlichen Prognosen dieses Zeugnis des Aristoteles vorwegzuschicken als Schmuck und schlagkräftigen Beweis ihres Betruges, obwohl der über alle Maßen kluge Aristoteles in diesem Buch sogar ganz besonders der Astrologie eine Wirkung abspricht, wenn er die Gründe für Regen, Erdbeben und andere derartige Ereignisse keinesfalls in den Sternen sucht, sondern in der Materie, nach deren unterschiedlicher Beschaffenheit die Hitze der Sonne jene Ereignisse stets anders beeinflusst, nicht jedoch nach der jeweils unterschiedlichen Himmelskonstellation. 26. So also verhält es sich mit den meteorologischen Phänomenen. 27. Die vollkommeneren Körper, die frei sind von Leben, wie es Edelsteine und Metalle sind, werden zwar aus der Materie der unteren Welt gebildet, aber durch die Kraft jener strahlenden Hitze in Ordnung und Form gebracht. Und weder steht etwas im Wege zu behaupten, dass die Hitze nicht vom Licht ausgehen könnte, noch dass das Licht nicht trotzdem an die entsprechenden unterirdischen Orte gelangen kann, an denen derartige wertvolle zusammengesetzte Körper gebildet werden; denn wenn jene Ansicht gewisser Platoniker nicht zutreffend ist, dass das Licht mit seinem durchscheinenden Wesen alle Körper durchdringe, mag es auch in sehr dichte Körper eingepresst oder durch sehr dünne zerstreut nicht sichtbar sein, so kann man gewiss nicht abstreiten, dass die vom Licht ausgeströmte Hitze dorthin gelangen kann, wohin das Licht selbst nicht reicht, wie man beispielsweise auch die Hitze eines Feuers durch eine Wand fühlen kann und dennoch die Flamme selbst nicht sehen kann.

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Viventium quomodo causa sit caelum

Spiritus medium quoddam corporis et animae

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28. Sic nihil est, quod prohibeat infusam montibus et cavernis lucem intus ipsam quidem non intrare repulsam opacitate corporis et densitudine, quae non sunt luci suscipiendae idoneae dispositiones, sed tamen intus mittere suum calorem, quia, licet non possint talia corpora illuminari, calefieri tamen possunt etiam magis, quam quae rara sunt atque perspicua. Quomodo vero huiusmodi rerum mixtio fiat a caelo, quomodo rursus a secundis causis, in solutione dicemus quartae rationis. 29. Reliqua sunt ea, quae de caloris istius afflatu vivunt, quippe, ut paulo ante collegimus, cum summum teneat in corporibus ista qualitas gradum, sicut habet, ut corpora ipsa perficiat, qualia diximus, ita, ut proxime substernatur vitae quasique extrema compilet invicem corpori vitam et vitae corpus. Quapropter in omnibus etiam viventibus inter hoc, quod videtur crassius habitaculum, et animam, vitae fontem, medius est, quem spiritum appellamus, tenuissimum corpus et invisibile, luci calorique illi sidereo maxime cognatum, cui vita praecipue adest perque eum suas in hoc visibile atque terrosum vires explicat atque diffundit. Sic in materia seminali latet hoc genere spiritus, cuius in primis utitur ministerio vis illa divinior, artifex vitalium operum, vice animae fungens, a qua defluxit, et speciem generantis propagans in materiam, quamm occupavit. 30. Non sunt autem vel gignendis corporibus vel servandis vel muneribus sensuum obeundis utiles isti spiritus, si caelestis spiritus, hoc est caloris, quem diximus, ope destituantur, qui mobilior, purior, efficacior, proptereaque proximior vitae roborat infirmitatem spiritus inferioris et suo commertio reddit animae co-

Sim.: 11–13 Quapropter – appellamus ] cf. heptap. 4,1 p. 270 6 in solutione βOGarin : insolutione α App. crit.: 3 suscipiendae] suspiciendae Garin 10 substernatur αβ : substernantur OGarin 15 terrosum αVRCF : retrorsum WOGarin 16 ministerio αGarin : mysterio βO (misterio VWRC) 17 a qua αGarin : aqua βO

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28. So gibt es keinen Grund, warum das Licht, das in Berge und Höhlen eingedrungen ist, zwar nicht selbst ganz ins Innere gelangen kann, da es von der Undurchsichtigkeit und Dichte des Körpers – Eigenschaften, die nicht dazu geeignet sind, Licht aufzunehmen – zurückgeworfen wird, aber nicht dennoch seine Hitze ins Innere senden kann, da solche Körper, auch wenn sie nicht erleuchtet werden können, dennoch erhitzt werden können, und das sogar in höherem Maße als Körper, die weniger dicht sind und durchsichtig. Die Frage, wie eine Mischung derartiger Körper vom Himmel abhängen kann und wie des Weiteren von zweiten Ursachen, werden wir bei der Auflösung des vierten Argumentes erörtern. 29. Übrig ist noch das, was vom Einfluss dieser Hitze lebt, da, wie wir kürzlich bereits gefolgert haben, jene Eigenschaft die höchste Stufe unter den Körpern einnimmt, weil sie das Vermögen besitzt, die Körper selbst zu vollenden, wie wir bereits sagten, sodass sie dem Leben ganz aufs Nächste untergeordnet ist und, sozusagen als gegenteilige Extrempunkte, Leben und Körper sowie Körper und Leben gegenseitig zusammenbringt. Daher gibt es auch in allem, was lebendig ist, zwischen dem scheinbar zu dichten Wohnsitz und der Seele als Quelle des Lebens etwas in der Mitte, was wir den Geist (spiritus) nennen, einen äußerst dünnen und unsichtbaren Körper, der dem Licht und jener himmlischen Hitze in höchstem Grade verwandt ist, dem insbesondere das Leben zugehörig ist und mit Hilfe dessen das Licht seine Kräfte in den sichtbaren und irdischen Körper entfaltet und sendet. So ist jene Art von Geist in der Materie des Samens verborgen, dessen Dienst vor allem jene göttlichere Kraft in Anspruch nimmt, Schöpferin der Lebensfunktionen, die die Arbeit der Seele verrichtet, der der Geist entspringt, und die Gattungszugehörigkeit des Erzeugers in die Materie trägt, die er in Besitz nimmt. 30. Diese Arten von Geist sind allerdings nicht nützlich, um Körper zu zeugen oder zu bewahren oder die Aufgaben der Sinne zu verrichten, wenn ihnen die Hilfe des himmlischen Geistes versagt wird, also dessen, was wir Hitze (calor) nannten, die, weil sie beweglicher, reiner, wirksamer und daher näher am Leben

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Caelum nec probari vivere quia vegetet viventia Concordia Platonis et Aristotelis

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gnatiorem; ut iam non sit argumentum vivere caelum, quia vegetet suis radiis ea, quae vivunt, nam vivunt haec quidem omnia per suas animas perque animae vim seminibus insitam propagantur suffragante illis calore caeli, non quasi vivifico, sed ad vitam ob id, quod diximus, commodissime proximeque disponente. 31. Nemo autem dixerit in luce sive per lucem esse, quae ab anima est, vim videndi, quamquam sine luce non videamus. 32. Possit aliis, necne, vita caeli rationibus comprobari, disputatum a nobis in Concordia Platonis et Aristotelis. Ita patet in corporeo mundo nihil quidem fieri sine caelo; verumtamen quod hoc aut illud fiat, id a caelo non esse, sed a secundis causis, cum quibus omnibus caelum talia facit, qualia ipsae facere natae sunt, sive illis ad speciem sive ad individuum causae pertineant.

App. crit.: 2 perque] per Garin 5 esse BOβGarin : etiam BF BEC G WOGarin 11 illis] illae Garin speciem] species Garin

9 a2 αVF : e RC : om.

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ist, die Schwäche des Geistes der unteren Welt stärkt und durch ihre Einwirkung der Seele verwandter macht. Daher soll dies nicht mehr als Argument dafür dienen, dass der Himmel am Leben sei, weil er durch seine Strahlen das, was am Leben ist, belebt, denn all das lebt freilich durch seine eigene Seele und wird verbreitet durch die Kraft der Seele, die den Samen eingepflanzt ist, und dabei steht die Hitze des Himmels ihnen helfend zur Seite, nicht weil sie etwas Lebendiges wäre, sondern weil sie die Dinge aus den genannten Gründen auf ganz passende Weise und ganz aus der Nähe für das Leben anordnet. 31. Niemand könnte indessen sagen, dass die Sehkraft, die von der Seele stammt, im Licht oder durch das Licht existiere, obschon wir ohne Licht nicht im Stande sind zu sehen. 32. Ob der lebendige Himmel durch andere Argumente bestätigt werden kann oder nicht, haben wir in der Darstellung der Übereinstimmung zwischen Platon und Aristoteles dargelegt.152 So ergibt sich, dass in der körperlichen Welt zwar nichts ohne den Himmel geschieht; die Tatsache aber, dass dieses oder jenes geschieht, ist nicht vom Himmel abhängig, sondern von all den zweiten Ursachen, mit denen der Himmel die Dinge so schafft, wie sie die zweiten Ursachen selbst ihrer Entstehung nach schaffen, sei es, dass die Ursachen sich bei ihnen auf die ganze Gattung beziehen, sei es auf das einzelne Individuum.

152 Es handelt sich hierbei um eine groß angelegte Schrift Giovanni Picos, in der er die Vereinbarkeit bzw. sogar Übereinstimmung der Lehren der beiden großen antiken Philosophen, Platon und Aristoteles, belegen wollte. Erhalten ist von dieser Schrift lediglich ein Teil, der Traktat De ente et uno; vgl. hierzu u.a. Farmer (1998: S. 30) sowie Blum / Damschen / et al. (2006: S. XXI–XXV). Das Werk war offensichtlich in Dekaden angelegt (so schreibt er in De ente et uno 5, p. 32). Zu einer eventuellen Rekonstruktion aus dem Werk Giovanni Francesco Picos vgl. Farmer (1998: S. 161– 164).

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Caput V – Praeter communem motus et luminis influentiam nullam vim caelestibus peculiarem inesse.

Sphaerae caelestes an agant in nos calore

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1. Est autem caloris istius effusio communis omnibus stellis, siquidem naturam caelestem consequitur universam sicuti lux, sed an sphaeris conveniat, dubium; nam, si non illae lucidae, nec caloris istius propagatrices; si lucidae, quaestio est, an raritate lux, sicuti fit invisibilis, fiat erga nos etiam parum efficax, ut Avicenna scribit in libro De caelo. De stellis ipsis, quaecumque veniunt sub obtutum, dubitari non potest, nisi caelestem illis naturam et lucis dotes pariter adimamus. 2. Ergo praeter motum et lucem quique prodit a luce vivificus calor alios a sideribus ad nos influxus devenire aut illis inesse corporeas alias effectivas qualitates nulla, ut vidimus apertiusque videbimus in sequen | tibus, experientia monstrat,

Font.: 6–7 Avicenna – De caelo ] cf. Avic. cael. mun. 13–16 Sim.: 430.9–432.2 Ergo – videatur ] cf. Bellant. resp. disp. 3,5 fol. r1r

App. crit.: 6 fit] sit G quentibus αVWRF

etiam BB BP BEC Garin : esse αβO 11 in sequentibus COGarin : inse-

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Kapitel 5 – Außer dem allgemeinen Einfluss von Bewegung und Licht ist den himmlischen Körpern keine eigene Kraft inhärent. 1. Das Ausschütten jener Hitze ist also allen Sternen gemeinsam, da die sie sich aus der allgemeinen natürlichen Beschaffenheit des Himmels so ergibt wie das Licht, doch es ist zweifelhaft, ob sie auch den einzelnen Sphären zukommt: Wenn diese nämlich nicht leuchtend sind, verbreiten sie auch nicht jene Hitze; wenn sie indessen leuchtend sind, so lautet die Frage, ob das Licht durch seine mangelnde Dichte, zumal es ja auch unsichtbar wird, auch uns gegenüber zu wenig wirksam wird, wie Ibn Sīnā (Avicenna) in seiner Schrift »Über den Himmel« (De caelo) schreibt. Was die Sterne, die in unseren Blick geraten, selbst angeht, kann kein Zweifel bestehen, wenn wir ihnen nicht ihre himmlische Natur und die Gaben des Lichtes gleichermaßen absprechen wollen. 2. Folglich lehrt, wie wir bereits gesehen haben und in den folgenden Kapiteln noch deutlicher sehen werden, keinerlei Erfahrung, dass außer Bewegung und Licht und der lebensspendenden Hitze, die vom Licht ausgeht, andere Einflüsse

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Opinio quorundam

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cum per motum et calorificam lucem suum satis officium caelum undequaque implere posse videatur. 3. Sic Aristoteles non aliter usquam dixit affici nos a caelo, quam motu atque calore, id quod Averrois et Plotinus, magni in sua quisque familia viri, asseverantissime voluerunt; et sane, quod attinet ad frigorificas influentias, videtur ratio id valde pernegare. Solent enim, qui contra sentiunt, cum lucem omnem caliditatis effectricem esse convincuntur, ita decernere: esse omnes quidem stellas, quaecumque lucent, generali quadam communique omnibus proprietate productivas caloris, sed per proprias deinde illis vires competere, ut haec siccitatem, illa frigus, humiditatem alia largiatur; sic noctes in plenilunio esse calidiores, quia lumen uberius plus calefaciat; verum id non obstare, quin Luna propria influentia vel frigefaciat aerem vel humefaciat. 4. Ego igitur eos interrogo, calorem ne istum, quem communem omnibus stellis sicuti lucem esse fatentur, ipsum ne, inquam, talem credant, qualem nos diximus, continentem eminentissime omnes quattuor qualitates ideoque omnium cum secundis causis productivum, seipso vero diffusivum tantummodo sui ipsius; an potius contineri non credunt in eo ceteras affectiones, sed calorem dumtaxat, frigus vero, ut diversam rem a calore, a particulari alia sideris alicuius virtute manare?

Font.: 7–10 omnes – largiatur ] cf. Ficin. in enn. 2,3,1 p. I 207 W 10–12 noctes – humefaciat ] cf. Arist. part. animal. 4,5 680a 33–34; Thom. Aq. cael. 2,10,12; Ficin. in enn. 2,3,5 pp. I 213–214 W Sim.: 10–12 noctes – humefaciat ] cf. Bellant. resp. disp. 3,6 [!] fol. r2r 13–18 Ego igitur – manare ] cf. rer. praen. 5,5 p. 527; Bellant. resp. disp. 3,5 fol. r1r App. crit.: 1 motum] metum W 8 quadam] quidem Garin 13 Tit. Reprobatio add. BP 14 sicuti] sicut Garin

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von den Gestirnen zu uns herab gelangen oder ihnen andere körperlich wirksame Qualitäten innewohnen, da der Himmel seiner Verpflichtung durch seine Bewegung und das Licht, welches die Hitze verursacht, in jeder Hinsicht zur Genüge nachkommen zu können scheint. 3. So sagt auch Aristoteles nirgendwo, dass wir anderweitig vom Himmel beeinflusst werden als durch Bewegung und Hitze, was Averroes und Plotin, beide in ihrer eigenen philosophischen Schule bedeutende Männer, beharrlich behaupteten; in der Tat scheint die logische Vernunft dieser Tatsache, was die Kälte bewirkenden Einflüsse betrifft, sehr zuwiderzulaufen. Denn gewöhnlich erklären diejenigen, die gegenteiliger Ansicht sind, wenn man sie davon überzeugen kann, dass jedes Licht Hitze bewirkt, dass zwar alle Sterne, die leuchten, auf Grund einer allgemeinen und ihnen allen gemeinsamen Eigenschaft Hitze hervorbrächten; im Folgenden hätten sie aber durch die ihnen eigenen Kräfte die Möglichkeit, dass der eine Trockenheit bewirke, der andere Kälte, wieder ein anderer Feuchtigkeit; daher seien die Nächte bei Vollmond heißer, da das reichlicher vorhandene Licht des Mondes in höherem Maße Hitze erzeuge; dies sei allerdings kein Hindernis dafür, dass der Mond durch seine eigene Einwirkung die Luft entweder kalt oder feucht mache. 4. Folglich stelle ich diesen Leuten die Frage, ob sie jene Hitze selbst, die, wie sie zugeben, allen Sternen ebenso gemeinsam sei wie das Licht, ob sie sie selbst also für ebenso beschaffen halten, wie wir sie beschrieben haben, dass sie nämlich in höchstem Maße alle vier Qualitäten in sich enthalte und in Folge dessen zusammen mit den Zweitursachen alle Dinge bewirke, durch sich selbst allerdings lediglich die Kraft habe, sich selbst zu verbreiten? Oder glauben sie vielmehr, dass die Hitze die übrigen Zustände nicht in sich enthalte, sondern lediglich die Hitze, die Kälte hingegen als eine Eigenschaft, die von der Hitze verschieden ist, von einer anderen, individuellen Kraft irgendeines Gestirns ausfließe?

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Efficax ratio

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5. Utramvis eligant, incidunt, nisi fallor, in incommoda non mediocria: 6. Si primum respondent, ita instabo: non alicui ex propria ratione et, si volunt in sideribus ita dici, specifica convenire aliquid imperfectius eo, quod illi convenit ex communiori natura, cum semper universali differentiae contractior differentia perfectionis gradum adiungat. At qualitas ea, quae continet omnem qualitatem, perfectior ea est, quae tantum frigoris est effectiva: non igitur, si debetur illa stellis communi omnibus generalique conditione, debebitur alicui stellae ex propria natura frigefaciens influentia. 7. Ergo restat divisionis alterum membrum, in quo non minus haereant est necesse, siquidem nulli competit ex natura propria repugnans aliquid proprietatibus illi de communi natura convenientibus, ut, si competit homini, quatenus animal est, habere sensum, non potest eidem, quatenus est homo, stupiditas convenire; aut si, quatenus vivit, competit illi intimi motus habere principium, fieri poterit, ut, quatenus hoc illud vivens est, ratio aliqua congruat inanimatae immobilitatis. 8. Quin potius particularis gradus id, quod in communi ratione est, distinguit, ut, si viventis absolute sit non extrinsecus tantum, sed intrinsecus moveri, necessario sit animalis naturae, quae viventium species est, principium esse intimae alicuius operationis, et rationalis rursus, quae species alia est, intimae operationis alterius.

Sim.: 2–8 Si primum – influentia ] cf. rer. praen. 5,5 p. 527; Bellant. resp. disp. 3,5 fol. r1r nulli competit – convenire ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 527–528; Bellant. resp. disp. 3,5 fol. r1r App. crit.: 10 aliquid BB BP : aliqui BF BEC : aliquibus BOβGarin : alicui G

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5. Für welche Alternative sie sich auch entscheiden, so geraten sie doch, wenn ich mich nicht irre, in nicht gerade mittelmäßige Schwierigkeiten: 6. Wenn sie die erste Antwort bevorzugen, bedränge ich sie auf folgende Weise: Keinem Gestirn komme anhand seiner eigenen und, wenn sie bei Gestirnen so sagen wollen, speziellen Wesenheit irgendetwas zu, was in höherem Maße unvollkommen ist als das, was ihm auf Grund einer allgemeineren Natur zukommt, da ein spezielleres unterscheidendes Merkmal einem allgemeinen immer eine Stufe der Vollkommenheit hinzufügt. Jedoch die Qualität, die alle Qualitäten in sich enthält, ist vollkommener als die Qualität, die lediglich die Kälte bewirkt: wenn diese Qualität folglich den Gestirnen auf Grund einer ihnen allen gemeinsamen und allgemeinen Beschaffenheit zukommt, ist folglich keinem Gestirn auf Grund seiner individuellen natürlichen Beschaffenheit ein Kälte bewirkender Einfluss zu eigen. 7. Daher bleibt nur das andere Glied der zweifachen Frage übrig, bei dem sie notwendigerweise nicht weniger ins Stolpern geraten, da keinem Gestirn in Folge seiner individuellen natürlichen Beschaffenheit eine Eigenschaft zu eigen sein kann, die im Widerspruch steht zu den Eigenschaften, die ihm auf Grund seiner allgemeinen natürlichen Beschaffenheit zukommen; wenn es daher einem Menschen, insofern er ein Lebewesen ist, zukommt, über einen Verstand zu verfügen, kann er nicht zugleich, insofern er ein Mensch ist, über Dummheit als Eigenschaft verfügen; oder wenn es ihm, insofern er lebt, zukommt, über das Prinzip der inneren Bewegung zu verfügen, wird es unmöglich sein, dass – insofern es genau dieses Prinzip ist, das das Leben ausmacht – ein anderes Prinzip der unbeseelten Unbeweglichkeit damit im Einklang steht. 8. Vielmehr bewirkt sogar die individuelle Seinsstufe eine Unterscheidung dessen, was im allgemeinen Begriff begründet liegt, sodass, wenn es die Eigenschaft des Lebenden schlechthin ist, nicht nur von außen in Bewegung versetzt zu werden, sondern auch von innen, notwendigerweise das Prinzip einer inneren Tätigkeit eine Eigenschaft der beseelten Natur ist, die als Art das umfasst, was am Le-

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Solutio rationum adversae partis

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9. Pari igitur exemplo si naturam caelestem, quatenus est caelestis, consequitur calor ille vivificus, non consequetur peculiarem naturam sideris alicuius effectiva vis frigiditatis et siccitatis, quae sunt vitae contrariae qualitates. 10. Sic nos adversus illos argumentamur. Rationes autem opinionis adversae partim solutae sunt, partim suis quoque locis postea dissolventur; nam quod sequi putabant, et frigida elementa non posse caelitus conservari et ceteras qualitates a calore futuras in universo per accidens, tum nec fore verum, quod creditur, omnes substantiales corporum formas in virtute caelestis naturae contineri – omnia haec in praecedentibus iam dissolvimus sicut et illud, quod in his locis plurima generentur actione caelesti, ad quae lumen caeli tamen non pertingit. 11. Duo reliqua sunt: alterum non posse tam subito a calore ad frigus et quidem intensum permutari aerem, ut experientia deprehenditur, nisi superveniens frigus novae constellationis opus credatur; alterum quomodo Luna sub terras atque adeo sub terrarum ima perlata moveat aestus oceani, ad quem lunares indubie radii tunc non pertingunt, nisi per influentiam agat hoc et a lumine et a calore lumen consequente disiuncta. Haec vero postea dissolventur: primum capite XIII, quo de mutationibus inferiorum a| Sole tractabitur; alterum, ubi de causa reciprocationis oceani late disputabitur a nobis; tantum hic satisfaciemus quaerentibus, quomodo Luna per interlunium nos afficiat, cum tamen per id tempus minime nos illuminet.

Font.: 7–8 quod – contineri ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.17, quaest.3; summ.2,2 quaest.96, art.2 Sim.: 1–3 Pari igitur – qualitates ] cf. rer. praen. 5,5 p. 528; Bellant. resp. disp. 3,5 fol. v 5–10 nam quod – pertingit ] cf. Bellant. resp. disp. 3,5 fol. r1r –v 17–18 alterum – nobis ] cf. disp. 3,15 App. crit.: 7 universo] universum Garin 10 caeli tamen αVWRFGarin : tamen C : tamen caeli O 11 non om. O 16 disiunctam Garin : disiuncta Ω 18 hic] sic Garin

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ben ist; das Prinzip der vernunftbegabten Natur, die ja eine andere Art darstellt, ist hingegen das einer anderen inneren Tätigkeit.153 9. Wenn also nach dem gleichen Grundsatz jene lebensspendende Hitze aus der himmlischen Natur, insofern sie himmlisch ist, sich ergibt, wird keine Kraft, die Hitze und Kälte – beides Eigenschaften, die dem Leben entgegengesetzt sind – bewirkt, sich aus der besonderen natürlichen Beschaffenheit irgendeines Gestirns ergeben. 10. Dies ist die Argumentation, mit der wir uns ihnen entgegenstellen. Die Gegenargumente aber sind zu einem Teil bereits entkräftet, der andere Teil wird später an der jeweils geeigneten Stelle entkräftet werden; denn was sich ihrer Meinung nach als Folge ergab, dass einerseits die kalten Elemente nicht durch die Kraft des Himmels bewahrt werden können und die übrigen aus der Hitze entstehenden Qualitäten in der Welt andererseits zufällig entstehen werden, und dass es nicht wahr sei, was man allenthalben glaubt, dass alle substanziellen Formen der Körper in der Kraft der himmlischen Natur begründet seien – all das haben wir in den vorangegangenen Kapiteln bereits widerlegt und ebenso auch jenes Argument, dass in denjenigen Regionen viele Dinge durch die Wirkung des Himmels entstehen, die das Licht des Himmels dennoch gar nicht erreichen kann. 11. Zwei Einwände bleiben übrig; zum einen, dass die Luft, noch dazu angespannte Luft, nicht so schnell von Hitze zu Kälte wechseln kann, dass man es empirisch feststellen kann, außer die hinzukommende Kälte gelte als Werk einer neuen Konstellation. Der andere Einwand zielt darauf ab, wie der Mond, wenn er unter die Erde und sogar zum tiefsten Punkt der Erde gelangt, die Meeresströmung bewegt, die die Strahlen des Mondes dann zweifellos nicht erreichen können, es sei denn er bewirkt dies durch eine Einwirkung, die sowohl vom Licht als auch der Hitze, die sich aus dem Licht ergibt, getrennt ist. Diese Einwände aber werden wir an späterer Stelle widerlegen: Den ersten in Kapitel 13, in welchem die von der Sonne ausgehenden Veränderungen der unteren Welt abgehandelt werden; den zweiten dort, wo wir über die Ursache der Gezeiten des Meeres ausführlich spre-

153 Die gesamte Stelle sowie die daran geäußerte Kritik Lucio Bellantis wird ausführlich besprochen im entsprechenden Kapitel von De rerum praenotione bei Gianfrancesco Pico (rer. praen. 5,5 pp. 527–529).

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12. Galenus sicuti non illuminat, ita nec afficere quopiam pacto eam in coitu nos affirmat proptereaque mensem facit dierum sex atque viginti horarumque duodecim, quot dies sunt, quibus ad nos Lunae lumen cum efficacia pervenit, triduum fere illa sub Solis radiis delitescente. 13. Agit autem in nos Luna Soli congrediens eo modo, quo quis agit nihil agendo; nam destituens corpora suo lumine nocet illis, sed eadem adolescens plenius alit et succulentius implet. Quodsi credimus adesse proprium Lunae lumen, licet obscurissimum et tenuissimum, unde in coitu non omnino fugit obtutum, poterit credi retineri illam efficaciam nonnihil etiam ab illo lumine.

Caput VI – Lunae lumen sicuti et Solis vitale esse neutrumque frigus aut humiditatem praeterquam per accidens facere. 1. Est igitur, ut ad unum quaecumque diximus conferantur, calor iste caelestis opifex universalis rerum corporearum nec est, cur credamus a stellis alios flatus terrenis corporibus inspirari, ne aut plus superioribus illis corporibus aut minus demus inferioribus, quam oporteat. Tantum lector hoc ad memoriam revocet: quicquid a natura meliore deteriori participatur, et ob hoc ipsum, quod inde exit et quod pro captu conditioneque suscipientis admittitur, necessario fieri et quoquomodo aliud et, quam sit ex origine sua prima, deterius; aliud, quia peregrinae

Font.: 1–4 Galenus – delitescente ] cf. Galen. de dieb. decr. 3,9 pp. 930–931 Sim.: 1–4 Galenus – delitescente ] cf. disp. 3,16,11; rer. praen. 5,4 p. 518 App. crit.: 9 retineri scripsi : retinere ΩGarin 12 diximus om. WO 13 universalis] ulis B (universalis ex corr. BB BF BEC ) 17 conditioneque] conditionemque WO

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chen werden. An dieser Stelle werden wir lediglich denjenigen Genüge leisten, die die Frage stellen, wie der Mond während der Zeit des Neumondes auf uns einwirken könne, wo er uns doch während dieser Zeit nur in geringer Weise beleuchtet. 12. Galen vertritt die Meinung, dass der Mond, ebenso wie er uns während einer Konjunktion mit der Sonne nicht beleuchtet, während dieses Zeitraumes keinerlei Wirkung auf uns ausüben könne, und aus diesem Grunde schafft er einen Monat mit 26 Tagen und zwölf Stunden, da dies die Anzahl der Tage ist, an denen das Licht des Mondes uns mitsamt seiner Wirkung erreicht, wohingegen er sich ungefähr drei Tage lang unter den Strahlen der Sonne verbirgt. 13. Der Mond wirkt aber auf uns auf dieselbe Weise, wenn er mit der Sonne in Konjunktion tritt, wie jemand Wirkung ausübt, der es unterlässt, Wirkungen auszuüben. Wenn er nämlich abnimmt und die Körper seines Lichtes beraubt, bringt er ihnen Schaden, doch derselbe Mond nährt sie und erfüllt sie in reichlichem Maße mit Säften, wenn er zunimmt. Wenn wir aber glauben, es gebe ein dem Mond eigenes Licht, mag es auch noch so verborgen und dünn sein, durch welches er bei der Konjunktion nicht gänzlich dem Blick verborgen bleibt, wird man auch zu dem Glauben gelangen können, seine Wirksamkeit werde auch in gewissem Maße von seinem Licht zurückgehalten.

Kapitel 6 – Das Licht des Mondes ist ebenso lebensspendend wie das der Sonne und keines von beiden bewirkt Kälte oder Feuchtigkeit außer durch Zufall. 1. Jene himmlische Hitze ist also, um unsere bisherigen Äußerungen in einer Aussage zusammenzufassen, der durch allgemeine Wirkung schaffende Stoff der körperlichen Dinge, und es gibt keinen Grund zu glauben, den irdischen Körpern würden durch die Sterne andere Einflüsse eingehaucht, um weder jenen oberen Körpern noch mehr Einfluss zuzugestehen noch den unteren weniger, als ihnen gebührt. Lediglich dies möge der Leser sich in Erinnerung rufen: Was auch immer von einer besseren Natur an eine schlechtere abgegeben wird, wird notwendiger-

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naturae alienaeque commiscetur; deterius, quia deteriori, quae, cum aliunde multiiugis etiam afficiatur impressionibus, colluvione multarum affectionum inficit necessario atque confundit, quod loco meliore susceperat. 2. Proinde hoc ipsum evenire quoque dubium non est in calore isto caelesti, quotiens in sublunari mole recipitur, ut a naturali scilicet sua et actione et perfectione deficiat. Fit autem id duobus modis: nam, et cum sua natura salutaris sit semper, imbecillitate suscipientis evadit tamen interdum noxius, et cum nullam faciat elementarium qualitatum, utpote ab illis sua proprietate diversus, degenerat tamen in elementari natura ad actiones elementorum, praecipue vero caloris, cui, sicuti nomine, ita natura proximat magis. 3. Quare facit saepe, non tam quod caelestis, quam quidem quod igneus calor et elementarius facere solet; quae non fieri ab illo natura sua, sed materiae vitio patet hac evidentia, ut omittamus rationem, quod, cum inter sublunaria corpora materiam reperit sibi cognatam, et beneficus semper et vivifice tantum calorificus invenitur. Etenim nulla potius talis quam spiritus, et praesertim humanus, qui sanguineus vapor, tenuis, clarus, mobilis caelo, quemadmodum scribunt Aristoteles et Avicenna, proportione respondet.

Font.: 16–17 caelo – respondet ] cf. Arist. gen. animal. 2,3 736b 35–737a 1; Avic. virib. cord. 1,2 App. crit.: 1 quae cum scripsi : qui cum Ω : quicum Garin 2 etiam om. Garin 6 duobus] duobis Garin

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weise, auch auf Grund dessen, dass es von dort (= vom Besseren) fortgeht, und der Tatsache, dass es gemäß dem Fassungsvermögen und dem Zustand des Empfängers Annahme findet, in gewisser Hinsicht anders und schlechter, als es seinem ersten Ursprung nach ist. Anders wird es, weil es sich mit einer anderen und fremden Natur vermischt; schlechter aber wird es, weil es mit einer schlechteren Natur vermischt wird, die, da sie auch von anderswoher durch vielfältige Einwirkungen beeinflusst wird, durch das chaotische Gemisch vieler Einwirkungen das, was sie von einem besseren Ort erhalten hatte, notwendigerweise infiziert und durcheinanderbringt. 2. Entsprechend besteht auch kein Zweifel, dass genau dies mit jener himmlischen Hitze geschieht, wann immer sie von irdischer Masse aufgenommen wird, nämlich dass sie von ihrer natürlichen Wirkungsweise und Vollkommenheit abfällt. Dies geschieht aber auf zwei unterschiedliche Weisen: Denn einerseits wird sie, obwohl sie ihrer natürlichen Beschaffenheit nach immer heilsam ist, durch die Schwäche des aufnehmenden Körpers dennoch bisweilen schädlich; zum anderen verkümmert sie, obschon sie keine der elementaren Qualitäten bewirkt, da sie sich ja von diesen in ihrer eigentümlichen Beschaffenheit unterscheidet, dennoch in der elementaren Natur zu Wirkungen auf elementarer Ebene, insbesondere solchen der elementaren Hitze, der sie einerseits dem Namen nach, andererseits aber auch ihrer natürlichen Beschaffenheit nach am nächsten kommt. 3. Daher bewirkt sie häufig das, was nicht so sehr himmlische Hitze als vielmehr die Hitze des Feuers und somit Hitze auf elementarer Ebene gewöhnlich bewirkt. Dass dies nicht auf Grund ihrer natürlichen Beschaffenheit, sondern wegen der Unvollkommenheit der Materie durch sie geschieht, ergibt sich offensichtlich daraus, um die Begründung beiseite zu lassen, dass sie sich, wenn sie unter den irdischen Körpern eine Materie findet, die ihr verwandt ist, immer als wohltätig und lediglich lebensspendend Hitze verbreitend erweist. Und keine Materie ist ihr in höherem Maße ähnlicher als der Geist (spiritus), und insbesondere der des Menschen, der eine sanguinische, dünne, helle und bewegliche Ausdünstung

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r Hippocrates

Aristoteles

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4. Hunc caeli calor ita semper fovet et roborat, ut fere sit illi, quod ad crassius corpus ipse spiritus est, cui, si nocet interdum, non alia ratione nocet quam ex infirmitate suscipientis, cuius signum radio eodem imbecillum laedi et roborari robustiorem, ut hic etiam illud sit verum, habenti dari, non habenti auferri et id quod habet; non igitur a Sole, quod illi nocet, quoniam alteri non profuisset, sed a materiae debilitate, quae sub pondere tantae bonitatis aegritudine sua fatiscit. 5. Alioquin quae sunt parta Solis radiis quo plus insolantur, plus vitae vigorisque nanciscuntur; propterea nemo putaverit aut calorem edacem aut contrariam vitae siccitatem a Sole profluere, sicut nec a Luna suffocantem aut fluxam nimio plus humiditatem frigiditatemque torpificam. 6. Quando, hoc si esset, Lunae lumen adolescens vim insitam rebus genitalem non adiuvaret, quo corpora vegetarentur et cum ipsa pariter adolescerent, nec plena Luna, quod | Hippocrates scribit in libro De octimestri partu, conceptibus utilis foret fecunditatem in femina mareque secundans, nec verum diceretur ab Aristotele Lunam esse principium, quasi alterum minorem Solem, conducereque ad omnes generationes et perfectiones. 7. Nam quo pacto haec vera, si non eius lumen sua natura sit almum, vitale, fecundum, sicut et Solis et siderum aliorum, quibus omnibus hoc esse sicut cae-

Font.: 4–5 habenti – habet ] cf. Vulg. Matth. 25,29 13–14 Hippocrates – secundans ] cf. Hp. oct. 4,6–7 15–16 Lunam – perfectiones ] cf. Arist. gen. animal. 4,10 777b 24–26 Sim.: 13–14 Hippocrates – secundans ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457 14–16 nec verum – perfectiones ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457; quaest. falsit. p. 169,9–10 App. crit.: 7 parta scripsi : paria ΩGarin 10 humiditatem] humilitatem O 13 octimestri] octrimestri Garin 14 secundans BEC : effecundans B (fecundans ex corr. BB BF ) : fecundans GOβGarin 18 omnibus hoc esse] hoc Garin esse] fortasse scribendum est

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ist, die dem Himmel, wie Aristoteles und Ibn Sīnā schreiben, ihrem Verhältnis nach entspricht. 4. Diesen Geist fördert und stärkt die himmlische Hitze beständig derart, dass sie für ihn beinahe das darstellt, was der Geist selbst für den dichteren Körper ist, für den er zwar manchmal schädlich ist, aber aus keinem anderen Grund als auf Grund der Schwäche des empfangenden Körpers, für den es bezeichnend ist, dass er durch ein und denselben Strahl, wenn er schwach ist, geschwächt wird, wenn er aber eher stark ist, noch gestärkt wird; daher gilt an dieser Stelle auch jenes Sprichwort, dass dem, der bereits hat, gegeben wird, demjenigen aber, der nichts hat, auch noch das genommen wird, was er hat; daher kommt das, was ihm schadet, nicht von der Sonne, weil es dann einem anderen nicht von Nutzen gewesen wäre, sondern von der Schwäche der Materie, die unter dem Gewicht so großer Güte durch ihre eigene kränkliche Natur geschwächt wird. 5. Ohnehin erlangt das, was durch Sonnenstrahlen entstanden ist, umso mehr an Leben und Kraft, je mehr es der Sonne ausgesetzt ist; daher könnte niemand glauben, dass von der Sonne eine verzehrende Hitze ausgehe oder eine dem Leben entgegengesetzte Trockenheit; ebenso wenig könnte man glauben, dass vom Mond erstickende oder allzu flüssige Feuchtigkeit oder lähmende Kälte ausgehe. 6. Denn das Licht des zunehmenden Mondes würde in diesem Falle die den Dingen eingeborene Zeugungskraft nicht unterstützen, wodurch die Körper belebt werden und mit ihm selbst im gleichen Maße zunehmen, und der Vollmond selbst wäre, wie Hippokrates es in seiner Schrift »Über Achtmonatskinder« (De octimestri partu) formuliert, nicht der Empfängnis nützlich, indem er die Fruchtbarkeit bei Frau und Mann stimuliert; ebenso wenig wäre die Ansicht des Aristoteles korrekt, dass der Mond ein Prinzip sei, eine zweite kleinere Sonne sozusagen, die zu allen Zeugungen und jeder Vollendung ihren Beitrag leiste. 7. Denn wie könnte das wahr sein, wenn sein Licht nicht seiner natürlichen Beschaffenheit nach nährend, lebensspendend und fruchtbar wäre wie auch das der

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lestis quoque proprietas omnibus est communis? Verum, ut dicebamus, caelestis hic calor, sicuti pro patientis debilitate nimius fit interdum, ita pro elementari natura, in quam delabitur fere, evadit calor elementalis, ut non temere eum caelestem agnoscas, praeterquam in corpusculis spiritalibus, quae declaravimus inter omnia corpora caelo esse simillima. His enim infusus et perficit omnem mixtionem et operibus animae perficiendis ubique famulatur; ceterum duris, asperis, crassis, aquosis, faeculentis corporibus incidens, a caelesti degenerans proprietate, facit fere, quae solet calor ipse elementalis: hic siquidem, cum potentior fuerit, urit, exsiccat, in cinerem redigit; contra, si tenuis et exiguus, fluxum facit humoremque dissolvit. Sic caelesti calori pro materiae conditionibus evenit, unde opinio nata Solem siccitatem facere, Lunam augere humiditatem, quia scilicet Solis calor ardentior, Lunae vero tepidior. 8. Sed in idoneis affinibusque subiectis nec exsiccabit radius Solis humorem salutarem nec generabit Luna inutilem noxiamve humiditatem, sed operabitur idem sua natura sidus utrumque, licet Luna remissius quod intentius Sol efficiet; ex accidenti vero per infectionem peregrinae materiae dissimiliter illis eveniunt, Soli ut exsiccet, Lunae ut humefaciat. Nam radii Solis, cum propinquiores nobis, ut in borealibus signis, vel rectioribus angulis nos attingunt, ut in meridie, vel cum in concavis asperis et contumacibus coeunt coartati repulsique dissiliunt, ignea proprietate, quam tali vel violentia vel infectione sortiuntur, corpora, quibus incidunt, siccant et torrefaciunt.

Sim.: 4 in corpusculis spiritalibus ] cf. heptap. 4,1 pp. 270–271 G App. crit.: 3 elementalis] elementaris Garin 8 elementalis] elementaris Garin 11 humiditatem αVWF : humimiditatem RC : humilitatem O 16 Soli] Sol Garin 17 ut2 αGarin : om. βO radii βGO : radiis BGarin (radii ex corr. BB BF BEC )

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Sonne und der anderen Gestirne, denen allen diese Eigenschaft wie auch die Eigenschaft, dem Himmel anzugehören, gemeinsam ist? Nun ist diese himmlische Hitze, wie wir sagten, zwar bisweilen allzu übermächtig im Vergleich zur Schwäche des aufnehmenden Körpers, angesichts der elementaren natürlichen Beschaffenheit aber, in die sie in der Regel herabfließt, wird sie zur elementaren Hitze, sodass man sie nicht geradewegs als himmlische Hitze erkennt, außer in den feinen Körperchen, die zum Geist (spiritus) gehören, die, wie wir feststellten, von allen Körpern dem Himmel am ähnlichsten sind.154 In diese eingedrungen vollendet sie nämlich jede Mischung und hilft der Seele an jeder Stelle ihre Werke zu vollenden. Wenn sie aber im Übrigen auf harte, schroffe, dicke, wässrige oder trübe Körper stößt, bewirkt sie, da sie von ihrer himmlischen Eigenschaft abweichend schlechter wird, ungefähr dasselbe, wie es die elementare Hitze selbst gewöhnlich bewirkt: Denn wenn sie hier zu mächtig wird, so verbrennt sie, trocknet aus und verwandelt zu Asche; ist sie hingegen dünn und schwach, so macht sie flüssig und löst die Feuchtigkeit auf. So ergeht es der himmlischen Hitze gemäß der jeweiligen materiellen Voraussetzungen, woraus die Meinung entstand, dass die Sonne Trockenheit bewirke, der Mond hingegen die Feuchtigkeit vermehre, da ja die Hitze der Sonne eher sengend ist, die Hitze des Mondes eher lauwarm. 8. Bei geeigneten und verwandten Trägern aber wird ein Sonnenstrahl weder zu Austrocknung des heilsamen Saftes führen, noch wird der Mond eine nutzlose oder schädliche Feuchtigkeit erzeugen, sondern beide Gestirne werden gemäß ihrer natürlichen Beschaffenheit dasselbe bewirken, wenn auch der Mond dasselbe mittels qualitativer Minderung bewirkt, was die Sonne auf qualitativ gesteigerte Weise bewirkt. Ihre Wirkungen unterscheiden sich jedoch durch Zufall (ex accidenti) auf Grund der Beeinflussung der wesensfremden Materie, sodass die Sonne Austrocknung bewirkt, der Mond jedoch Feuchtigkeit. Denn die Sonnenstrahlen trocknen und dörren die Körper, auf die sie fallen, auf Grund ihres feurigen Wesensmerkmales, das sie mit derartiger Gewalt und so gewaltsamer Verbindung erlangen, aus, wenn sie uns aus der Nähe erreichen (wie zum Beispiel in nördlichen

154 Vgl. die Darstellung oben disp. 3,6,3.

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9. Invicem Luna suo illo exiguo tenuique calore, si quod humidum corpus fluvidumque tetigerit, solvit, quod in illo reperit humiditatis facitque fluvidius, non afferens ipsa frigidam et aquosam illam humiditatem, sed quam invenit in aquoso et frigido corpore, suo ipsa calore dissolvit evocatque diffundens. 10. Est enim haec natura caloris, ut, si validior est, humiditates, quas de corporibus evocat, evocatas consumat; si debilior, evocat illas, quia est calor idem scilicet medicans, sed quia debilis, deficit in conatu nec evocatas absumit ulterius. 11. Sic ex accidenti Luna quidem humectat immodice, Sol desiccat, sed et uterque frigiditatem facit ex accidenti, nam, quemadmodum scribit Aristoteles, principia sunt ambo frigoris et caloris et terminum tum principii, tum finis qualitatum earum motus horum siderum obtinet. 12. Quod quomodo sit intelligendum idem auctor alibi declarat; nam »facit«, inquit, »Sol per totum annum hiemem atque aestatem idemque Luna facit per mensem, sed est ista diversitas, quod haec quidem a Sole per accessum atque discessum, a Luna non hoc modo, sed alterum fit increscente luce, alterum decrescente.« Sic igitur Sol a nobis procul digrediens frigori nos derelinquit atque ita frigus facere dicitur; sic et Luna, cum lumine ad coitum identidem spoliatur, frigefacere dicitur, non quod afferat frigus, sed quod a nocturna frigiditate minus quam alias nos tueatur.

Font.: 9 Aristoteles ] cf. Arist. gen. animal. 4,10 777b 24–30 12–16 facit – decrescente ] cf. Arist. gen. animal. 4,2 767a 5–8 Sim.: 8–11 Sic – obtinet ] cf. rer. praen. 3,6 p. 458; Bellant. resp. disp. 3,6 fol. r2r 12–16 facit – decrescente ] cf. rer. praen. 3,6 p. 458 17–19 Luna – tueatur ] cf. rer. praen. 3,6 p. 458 App. crit.: 1 illo] ullo Garin 4 ipsa] ipso Garin dissolvit GOβGarin : dum solvit B (dissolvit ex corr. BB BF BEC ) 5 natura GOβGarin : materia B (sed corr. BB BF BEC ) 15 increscente scripsi coll. Arist. gen. animal. 4,2 767b 7–8 (cf. rer. praen. 3,6 p. 458) : in crescente ΩGarin 17 spoliatur scripsi : spoliatum ΩGarin 18 afferat] afferrat Garin

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Sternbildern) oder wenn sie uns in zunehmend rechtem Winkel erreichen, wie am Mittag, oder wenn sie sich an rauen und Widerstand bietenden Luftabschnitten verdichtet sammeln und reflektiert zurückspringen. 9. Im Gegensatz dazu löst der Mond, wenn er irgendeinen feuchten und flüssigen Körper berührt, mit seiner ihm eigenen dünnen und zarten Hitze das, was sich an Feuchtigkeit in diesem befindet, und versetzt ihn in einen flüssigeren Zustand, wobei er selbst jene Kälte und jene wasserartige Feuchtigkeit nicht hinzufügt, sondern indem er die Feuchtigkeit, die er im wässrigen und kalten Körper vorfindet, durch seine eigene Hitze selbst auflöst, sie hervorlockt und sich ausbreiten lässt. 10. Dies ist nämlich die natürliche Eigenschaft der Hitze, dass sie, wenn sie kräftiger ist, die Feuchtigkeit, die sie den Körpern entzieht, nach dem Entziehen verbraucht; ist sie hingegen schwächer, so entzieht sie sie ebenfalls, da es sich ja um dieselbe heilende Hitze handelt, weil sie aber schwach ist, versagt sie bereits beim Versuch und kann die entzogene Feuchtigkeit nicht weiter verbrauchen. 11. Nach diesem Grundsatz des Zufälligen (ex accidenti) bewirkt der Mond übermäßige Feuchtigkeit, die Sonne hingegen Trockenheit, aber auch beide Gestirne bewirken zufällig Kälte, da sie beide, wie Aristoteles darstellt, Ursprungsgründe (principia) von Kälte und Hitze sind und die Bewegung dieser Gestirne sowohl das Ende dieses Ursprungsgrundes als auch die Grenze ihrer Qualitäten bewirkt. 12. Wie dies zu verstehen sei, erklärt derselbe Autor an anderer Stelle. »Die Sonne bewirkt nämlich«, so sagt er, »im Laufe eines ganzen Jahres Winter und Sommer, und dasselbe gilt für den Mond im Laufe eines Monats, doch der Unterschied besteht darin, dass es durch die zu- und abnehmende Nähe der Sonne geschehe, beim Mond aber nicht auf diese Weise, sondern das eine durch das Zunehmen des Lichtes, das andere beim Abnehmen.« So setzt uns die Sonne, wenn sie sich von uns entfernt, der Kälte aus, und bewirkt so, wie man sagt, die Kälte; ebenso sagt man, dass der Mond, wenn er auf dem Weg zur Konjunktion zunehmend seines Lichtes beraubt wird, Kälte bewirke und zwar nicht deswegen, weil

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13. Ceterum examinatione dignum, quod Aristoteles in eisdem libris De animalium scilicet generatione, tempora decrescentis mensis humidiora dicit esse et frigidiora, cum tamen vulgo confessum sit senescente Luna siccari humiditates. Hoc ego ita solverim: Luna decrescente viget humiditas non a Luna proveniens, sed ab elementis inferioribus, quibus Luna minus resistit et debilitata calore et sub finitorem maximam partem noctis delitescens, quare humiditas illa quoque aquea, insalutaris, excrementicia, unde novilunio propinquante vapores multi tolluntur, seges pluviarum, fluuntque plerumque menstrua plenius, ut Aristoteles in Historiis | et De animalium generatione scribit; adolescente vero Luna crescit humiditas, vel qualis in corporibus praeerat facta fluidior, vel vivifica magis beneficio lunaris caloris accedens. 14. Sic enim putat Aristoteles ex lunaribus incrementis echinos et id genus viventia fieri pleniora, non aliam ob causam, quam quod illa, frigida cum sint, ut quae sanguine carent, feta Lunae lumine uberiore, sicuti vitalius incalescunt, ita melius concoquant, unde necessario succulentiora et habitiora fiunt. 15. Fluunt igitur et crescente Luna humiditates et decrescente, sed aliae atque aliae: crescente bonae, decrescente malae; quo clarissime patet non humefacere

Font.: 1–3 Aristoteles – humiditates ] cf. Arist. gen. animal. 4,2 767a 3–5 8–9 fluuntque – scribit ] cf. Arist. gen. animal. 2,3 738a 16–18; hist. an. 7,2 582a 34–b 4 12–13 putat Aristoteles – pleniora ] cf. Plin. 2,99–100; Arist. gen. animal. 5,3 783a 18–b 2 Sim.: 1–3 examinatione – humiditates ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457 4–6 Luna – delitescens ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457 6–9 humiditas – scribit ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457; quaest. falsit. p. 169,13–15 9–11 adolescente – accedens ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457; quaest. falsit. p. 169,12–13 12–15 putat Aristoteles – fiunt ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457; quaest. falsit. p. 169,8–9 16–17 Fluunt – malae ] cf. rer. praen. 3,6 p. 457 App. crit.: 1–2 animalium] animali Garin 3 humiditates αVWFO : humiditatis RC : humiditatem Garin 5 sed βOGarin : se α (corr. Gc ) 15 habitiora] habiliora Garin (sed cf. Plu. mor. vol.4, pp. 226–227 B [= quaest. conv. 6,3]: εὐχυμότερα...καὶ τροφιμώτερα; Plaut. Epid. 1,1,32)

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er Kälte brächte, sondern weil er uns vor der nächtlichen Kälte weniger schützt als zu anderen Zeiten. 13. Im Übrigen ist auch das einer Untersuchung wert, was Aristoteles in derselben Schrift, nämlich in der Abhandlung »Über die Entstehung der Tiere« (De generatione animalium) sagt, dass nämlich die Zeiten des abnehmenden Mondes feuchter seien und kälter, obschon dessen ungeachtet allgemein gesagt wird, die Feuchtigkeit werde vom schwindenden Mond ausgetrocknet. Diesen Widerspruch könnte ich auf folgende Weise lösen: Bei abnehmendem Mond herrscht die Feuchtigkeit vor, allerdings nicht die, welche vom Mond ausgeht, sondern jene von den Elementen der unteren Welt, denen der Mond dann in geringerem Maße Widerstand leistet, da er durch die Hitze geschwächt ist und den Großteil der Nacht unter dem Horizont verborgen bleibt, weshalb jene Feuchtigkeit auch wässrig ist und ungesund und Ausscheidungen bewirkt, woraus sich bei nahendem Neumond viele Dämpfe erheben und Regenfluten und meistens auch der Monatsfluss reichlicher ist, wie Aristoteles in seiner »Geschichte der Tiere« und seiner Schrift »Über die Entstehung der Tiere« schreibt. Bei zunehmendem Mond hingegen wächst auch die Feuchtigkeit, wobei die in den Körpern vorherrschende entweder flüssiger wird oder lebensspendender, wenn sie dank der Hitze des Mondes zu uns gelangt. 14. Auf diese Weise schwellen nach Ansicht des Aristoteles in Folge der Zunahme des Mondes die Seeigel und andere derartige Lebewesen an, und dies aus keinem anderen Grund, als dass sie, da sie, als Lebewesen die kein Blut enthalten, kalt sind, angefüllt vom reichhaltigeren Licht des Mondes, je mehr sie in lebendige Hitze geraten, umso besser verdauen können, weshalb sie notwendigerweise saftreicher und genährter werden.155 15. Die unterschiedlichen Arten der Feuchtigkeit fließen also sowohl bei zunehmendem Mond als auch bei abnehmendem, aber jeweils unterschiedliche: bei

155 Aristoteles erwähnt den Seeigel (ἐχῖνος πόντιος) mehrfach in seinen zoologischen Schriften, u.a. in De generatione animalium 5,3 783a 19–20, allerdings im Zusammenhang mit der Behaarung von Lebewesen: bei diesen Tieren vertreibe die Kälte (also auch die vom Mond bewirkte) die Hitze und bewirke so die Härte der äußeren Schale (gen. animal. 5,3 783a 15–29). Direkt auf den Zusammenhang zwischen dem Mond und dem Zustand von Seeigeln u.ä., der bei Aristoteles lediglich implizit vorhanden ist, verweisen u.a. Plinius der Jüngere (2,99–100), Manilius (2,93–94) sowie Gellius (20,8,4).

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Lunam, quia frigida et humida sit – nam talis humiditas crescit Luna decrescente –, sed quia salubriter et vivifice calida, quando sub copia luminis eius illa fiunt humidiora corpora et robustiora nec aliter humidiora quam vi caloris et altricem vim adiuvantis et, quod illi est proprium, evocantis humores ab intimis ad extrema. 16. Quocirca tunc quoque sanguinis missio commodissime fit, ut magnopere erraverit Haly Hamec astrologus, qui deficiente Luna dixit incidendas venas. Igitur asseverate concludamus humorem, qui cum Luna pariter augetur propterea, quod illius augetur influxu, saluberrimum esse humorem, non elaxantem corpora fluxu aut frigiditate mortificantem, sed firmiora vivacioraque reddentem, attestante vel illa experientia fide medicorum omnium comprobata, qui per initia mensis decubuerint, eos iniuriam morbi fortius ferre, et qui conclamati iam animam agunt, vix ascendente Luna deseri vita posse. 17. Potest autem et Sol et Luna non solum deserendo nos lumine, sed afficiendo, quamquam id quoque per accidens, frigefacere. Sol quidem, dum aut nimia exsiccatione mortificat aut vitalem calorem provocat foras aut pluvias generat ex marinis vaporosis halatibus, quos plures omnino suscitat, quam dissolvat, aut ventos commovens, aut aliis etiam de causis; Luna vero per apertos tenui suo calore rarefactosque patentius meatus corporis nocturnum frigus suis quoque radiis tenuatum in nos uberius intromittens. Hinc enim ille, unde multi falluntur Lunam frigidam existimantes, ille, inquam, dormientibus sub lunaribus radiis torpor at-

Font.: 7 erraverit – venas ] cf. Haly comment. centil. 56 fol. r ; Rog. Bac. op. mai. pp. I 382–384 B 16–17 pluvias – halatibus ] Albert. meteor. 2,1,16 pp. 531–532 B 450.21–452.1 dormientibus – frigiditas ] cf. Rog. Bac. op. mai. p. I 142 B App. crit.: 8 propterea quod BB : proptereaque αβOGarin 11–12 decubuerint αGarin : decubuerit βO 21 sub lunaribus RFGarin : sublunaribus αVWCO

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zunehmendem Mond gute, bei abnehmendem Mond hingegen schlechte. Daraus ergibt sich vollkommen klar, dass der Mond die Feuchtigkeit nicht auf Grund seiner kalten und feuchten Eigenschaft bewirkt – solche Feuchtigkeit nimmt nämlich auch bei abnehmendem Mond zu –, sondern weil er eine Gesundheit und Leben spendende Hitze besitzt, wenn jene Körper durch die große Menge des von ihm ausgehenden Lichtes feuchter und kräftiger werden, wobei die Feuchtigkeit nirgendwo anders ihren Ursprung hat als in der Kraft der Hitze, die die nährende Kraft unterstützt und die Säfte von innen nach außen hervorlockt – eine Eigenschaft, die für sie kennzeichnend ist. 16. Aus diesem Grunde findet ein Aderlass am besten auch zu diesem Zeitpunkt statt, sodass sich der Astrologe Haly Hamec durchaus irrt, wenn er behauptet, man müsse die Adern bei abnehmendem Mond öffnen. Daher wollen wir mit gebotenem Ernst den Schluss ziehen, dass der Saft, der zusammen mit dem Mond im gleichen Maße zunimmt, weil er durch dessen Einfluss zunimmt, äußerst gesund ist, nicht deshalb, weil er die Körper weit macht durch seinen Fluss oder durch seine Kälte abtötet, sondern weil er sie stärker und lebendiger macht, was sogar auch jene Erfahrung bezeugt, die durch das Vertrauen aller Ärzte bekräftigt wird, dass diejenigen, die zu Beginn eines Monats erkranken, die unverdiente Krankheit stärker ertragen, und diejenigen, die bereits an der Bahre betrauert ihr Leben aushauchen, bei aufgehendem Mond ihr Leben kaum verlieren können. 17. Sowohl Sonne als auch Mond können aber nicht nur Kälte bewirken, indem sie uns ihr Licht entziehen, sondern auch, indem sie uns ihr Licht zukommen lassen, obschon auch dies zufällig (per accidens) geschieht: Denn die Sonne ihrerseits bewirkt dies, wenn sie durch übermäßige Dürre abtötet, die lebensspendende Hitze aus dem Körper fortlockt oder nebligen Meeresdunst in Regen verwandelt, den sie in größerem Umfang erzeugt als auflöst, oder wenn sie Winde in Bewegung setzt, oder aus vielen anderen Gründen; der Mond hingegen bewirkt Kälte, indem er uns durch die Bahnen unseres Körpers, die durch seine schwache Hitze

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que frigiditas, cui de terra scilicet atque aqua per noctem aerem occupanti viam facit in corpus radius sideris imbecillior. 18. Ad hunc ergo modum et frigefaciunt et nunc duris corporibus, nunc aquea crassitudine distillantibus incidentes exsiccant humefaciuntque siderum radii, sua tantum natura salubriter calefacientes, noxii quoque interdum non suo vitio, sed infirmitate suscipientis.

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Caput VII – Non posse defendi dogmata astrologorum, ut putavit Avenazra, si omnes stellae ponuntur calidae. Solutio quaedam Abraam

1. Verum dicet aliquis fore satis astrologis, si vel hoc pacto siccitatem haec stella faciat, illa humorem, alia qualitates alias. 2. Nam et Abraam Avenazra, magnus in astrologica professione, stellas tantum caloris effectrices esse contendit nec aliter credi posse de corporibus lucidis et perpetuo motis; verum stellas aliquas dici frigidas, quia non tantum nobis caloris impartiantur, quantum sit satis temperamento nostro. Sic Saturnum frigoris accusari, quia procul a terra positus et Iove minor tepidius quam oportebat inferiorem naturam foveat proptereaque, cum fuerit geniturae dominus, non ob frigus impressum, sed caloris inopiam mortem significare.

Font.: 11–13 Abraam – motis ] Abrah. Avenez. rat. fol. r 14–16 Saturnum – foveat ] Abrah. Avenez. rat. fol. K2r ; cf. Ficin. in enn. 2,3 p. I 214 W 16–17 cum fuerit – significare ] Abrah. Avenez. rat. fol. K2r –K2v Sim.: 11–17 Abraam – significare ] cf. Bellant. resp. disp. 3,7 fol. r2r App. crit.: 12 credi om. O 17 sed] se G (corr. Gc )

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geöffnet und gelockert sind und weit offen stehen, die nächtliche Kälte, die ebenfalls durch seine Strahlen verdünnt wurde, in reichlichem Maße zuführt. Daher kommt jene betäubende Kälte, auf Grund derer viele dem Irrtum anhängen, der Mond sei kalt, jene Kälte, die diejenigen befällt, die unter den Strahlen des Mondes schlafen und für die der schwächere Strahl des Gestirns, wenn sie sich aus der Erde und dem Wasser erhebt und des Nachts die Luft befällt, den Weg in den Körper freimacht. 18. Auf diese Weise also bewirken die Strahlen beider Himmelskörper sowohl Kälte als auch, wenn sie bald in harte Körper eindringen, bald in Körper, die vor wässriger Dichte triefen, Trockenheit und Feuchtigkeit, wobei sie lediglich durch ihre natürliche Veranlagung gesunde Hitze hervorrufen, bisweilen jedoch auch schädlich sind, jedoch nicht auf Grund ihres eigenen Verschuldens, sondern auf Grund der Schwäche des aufnehmenden Körpers.

Kapitel 7 – Die Lehrsätze der Astrologen kann man nicht verteidigen, wie Ibn Ezra glaubt, indem man annimmt, alle Sterne seien heiß. 1. Es wird aber jemand einwenden, dass es den Astrologen ausreiche, wenn der eine Stern auf diese Weise Trockenheit bewirkt, ein anderer Feuchtigkeit, wieder ein anderer jeweils andere Qualitäten. 2. Denn auch Abraham Ibn Ezra (Avenezra), ein bedeutender Astrologe, behauptet, die Sterne bewirkten lediglich die Hitze und dass man nicht anders von leuchtenden und ununterbrochen bewegten Körpern glauben könne; einige Sterne allerdings würde man als kalt bezeichnen, da sie uns nicht so viel Hitze zukommen ließen, dass es für unser Temperament ausreichend wäre. Daher bezichtige man Saturn der Kälte, da er in weiter Distanz zur Erde und kleiner als Jupiter die irdische Natur weniger erwärme, als notwendig wäre, und aus diesem Grunde,

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3. Ego vero Avenazram laudo de calore stellarum recte sentientem, sed nimis amavit professionem, cuius dogmata non perviderit veritati illi necessario repugnare: nam procedat in Saturno quod dixit, ut frigidus habeatur, quia calidus parum ideoque mortificet; in reli | quis ista ratio non procedit, quae nec procedit undique in Saturno, quandoquidem, qui parum calet, planeta humefacit per accidens, ut declaravimus, non exsiccat; ipsi vero Saturnum siccum esse contendunt. Praeterea nonne statim sequetur evidenter stellas omnes haerentes, praesertim citra primum magnitudinis gradum, Saturno esse frigidiores, siquidem et minores illo et remotiores a terra sunt? Non aliter autem frigidae stellae, quam quia calidae parum. 4. Erit igitur Cor leonis frigida stella, quae tamen astrologis decernitur esse flagrantissima; tum in ipsis planetis, si penes hoc principium, quod recipitur ab

Font.: 11–12 esse flagrantissima ] cf. Ptol. apotel. 1,9,6; Gem. 3,5; Firm. math. 6,2,2 (lucido splendore fulgentem) App. crit.: 7 sequeteur] sequeretur WO 8 Saturno] Saturni Garin 9 terra sunt] terrasunt Garin 11 astrologis] ab astrologis Garin

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wenn er Herr der Geburt (dominus geniturae) sei, den Tod bezeichne, nicht etwa wegen der Kälte, die er durch seine Einwirkung hervorruft, sondern auf Grund des Mangels an Hitze. 3. Ich aber heiße zwar die korrekte Ansicht des Ibn Ezra über die Hitze der Sterne gut, aber er liebte seinen Beruf zu sehr und sah nicht, dass dessen Lehrsätze zu jener Wahrheit notwendigerweise in Widerspruch stehen: Denn für Saturn mag gelten, was er sagte, dass er als kalt gelte, da er zu wenig heiß ist und deshalb den Tod bewirkt; für die übrigen Gestirne gilt dieses Argument aber nicht, das auch nicht in jeder Hinsicht für Saturn gilt, da der Planet, der in zu geringem Maße heiß ist, zufällig Feuchtigkeit bewirkt, wie wir erklärten, nicht aber Trockenheit; die Astrologen selbst aber behaupten, Saturn sei trocken. Folgt daraus außerdem nicht sofort ganz offensichtlich, dass alle Fixsterne, insbesondere unterhalb des ersten Größengrades, kälter sind als Saturn, da sie ja kleiner sind als er und weiter von der Erde entfernt liegen? Doch die Sterne sind aus keinem anderen Grunde kalt, als deshalb, weil sie über zu wenig Hitze verfügen. 4. Folglich wird Regulus, das Herz des Löwen (Cor leonis), als kalter Stern gelten, obwohl er von den Astrologen als in höchstem Maße flammend (flagrans)

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Tria faciunt caloris intentionem

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Avenazra, voluerimus examinare, quae plus stella, quae minus nos calefaciat, nullo pacto consona colligemus dictis astrologorum. 5. Tria enim fere facient intentionem caloris: magnitudo lucis, densitas et propinquitas. Non est autem ad liquidum exploratum, quantum magnitudo densitati, quantum densitas magnitudini, quantum alteri vel utrique praeponderet ipsa propinquitas; quare ratiocinari volentibus in incerto res erit nec arbitrari poterit sensus, cum praeter Solis et Lunae ceterorum radios non persentiat; et hoc primum obstat astrologis, quorum ars nulla, si remanent in ambiguo vires caelestium radiorum. 6. Coniecturam vero sequi volentibus apparebit omnino aliud, quam quod ipsi determinarunt; nam molem quidem considerantibus Martis radii Saturniis Ioviisque minus calidi putabuntur. Quodsi calidiores esse respondeant, quia de proximo magis et de compactiore luce prodeant, dicam nullo modo esse credibile tantum haec posse prae disci parvitate, ut Saturnus, fere quinquagesies maior, frigore torpeat aestuante Marte; alioquin, si tam parum detrahit efficaciae luminis corporis exiguitas, addit vero tam multum cum propinquitate copia lucis, fovebimur magis a Venere quam ab ulla stellarum praeter Solem et Lunam, quando alma superne nectareum ridens late splendet Cytherea, unde sola inter omnes facit umbram nec est stella terrae proximior, quam iuxta vulgatam terrae opinionem Veneris orbis amplitudine non excedat.

Font.: 14 fere quinquagesies maior ] cf. Alphrag. aggreg. 22 pp. 148–150 18 alma superne – Cytherea ] Chalc. comm. 72 p. 120,3–4 19–20 nec est – excedat ] cf. Plin. nat. 2,66 App. crit.: 11–12 Saturniis Ioviisque αVWRO Garin : saturniis iovisque F : saturni iovisque C 13 compactiore α : compactione βO 14 prae disci BF BEC GGarin : praetera BOβ quinquagesies] quinquagies G 15 si delendum putavit Garin 18 superne Garin (cf. Chalc. comm. 72 p. 120,3) : supernae Ω (supernę RC) Cytherea] Cythera G 19 terrae om. Garin

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bezeichnet wird; auch bei den Planeten selbst werden wir feststellen, wenn wir gemäß des von Ibn Ezra übernommenen Prinzips untersuchen wollen, welches Gestirn uns mehr Hitze bringt und welches weniger, dass wir Antworten erhalten werden, die in keiner Weise mit den Darstellungen der Astrologen übereinstimmen. 5. Dreierlei nämlich bewirkt etwa eine qualitative Zunahme an Hitze: die Menge an Licht, seine Dichte und Nähe. Es ist allerdings noch nicht ausreichend untersucht, in welchem Maße die Menge wichtiger ist als die Dichte, die Dichte wichtiger als die Menge, oder um wieviel die Nähe selbst einem oder auch beiden an Bedeutung vorangeht; aus diesem Grunde wird die Angelegenheit für diejenigen, die mit rechnerischen Methoden herangehen wollen, unsicher bleiben, und die Wahrnehmung wird kein Sinnesurteil treffen können, da sie außer den Strahlen von Sonne und Mond die Strahlen der anderen Gestirne nicht wahrnehmen kann; dieses Ergebnis allerdings steht den Astrologen als erstes im Weg, deren Wissenschaft keine Wissenschaft ist, wenn die einwirkenden Kräfte der himmlischen Strahlen im Unklaren verbleiben. 6. Denjenigen aber, die sich auf Vermutungen stützen wollen, wird die Sache gänzlich anders erscheinen, als die Astrologen selbst sie bestimmten: Wenn man nämlich die Masse betrachtet, wird man zu dem Schluss kommen, dass Strahlen des Mars weniger heiß seien als diejenigen Saturns oder Jupiters. Wenn sie aber zur Antwort geben, dass sie heißer seien, weil sie von einem näher gelegenen Ort ausgehen und von einem kompakteren Licht, dann werde ich antworten, dass dies in keinem Falle glaubwürdig sei, dass diese Eigenschaften so großen Einfluss hätten, angesichts der geringen Größe seiner Scheibe, dass Saturn, der beinahe 50-fach größer ist, vor Kälte schlaff ist, während Mars vor Hitze glüht; wenn anderenfalls aber die geringe Ausdehnung eines Körpers die Wirksamkeit des Lichtes in so geringem Maße einschränkt, die Menge des Lichtes aber zusammen mit der Nähe so viel an Wirksamkeit hinzufügt, dann werden wir wohl mehr von der

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7. Et tamen eam damnant frigiditatis plerique astrologorum, sicut omnes a Iove et Marte superari plurimum calore non dubitant, in quo rursus ad imaginationem corporis si se referunt, erit id factum deinde parum ex ratione, ut, cum Iuppiter non multo plus quam Saturnus discum Veneris superet habita scilicet ratione tantae vastitatis nec multo item illo terrae proximior, ita tamen definiant, ut longe magis Venere calefaciat Iuppiter, longe minus Saturnus, immo foveant quidem corpora Venus et Iuppiter, Saturnus ea frigiditate mortificet.

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Caput VIII – Obiectio adversus ea, quae dicta sunt. 1. ›Sed esto‹, inquiet aliquis, ›nec cognitae sint astrologis differentiae radiorum, nec cognosci possint; pertinet hoc ad aliam quaestionem.‹ Nunc illud videndum, an ista possit in radiis esse diversitas, ut, quamquam omnes sua natura calidi sint et vivifice calidi, pro copia tamen luminis et inopia, sive tenuitate vel efficacia, alter alteri collatus frigidus et contrarius vitae dici possit et hic siccus, alius humidus, sive hoc sua natura sive contagio elementaris materiae faciat.

Font.: 1 damnant – astrologorum ] cf. e.g. Abrah. Avenez. introduct. fol. A3r App. crit.: 6 Venere] Venerem Garin 11 quamquam Garin : quaeque Ω

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Venus als von irgendeinem anderen Gestirn erwärmt außer Sonne und Mond, da die nährende Kytherea oben nektarsüß lächelt und weithin glänzt; daher wirft sie außer der Sonne als einzige einen Schatten, und es gibt keinen der Erde näheren Planeten, den die Bahn der Venus nach einhelliger Ansicht aller Menschen nicht an Umfang übertreffen würde. 7. Und dennoch bezichtigen die meisten Astrologen die Venus der Kälte und ebenso wenig besteht bei allen Zweifel, dass sie von Jupiter und Mars in puncto Hitze um ein vielfaches übertroffen wird;156 wenn sie sich dabei aber widerum auf die Vorstellung ihres Körpers beziehen, gilt dies nicht auf Grund logischer Argumentation, dass sie, obwohl Jupiter die Scheibe der Venus in nicht viel höherem Maße an Größe übertrifft als Saturn – wenn man der enormen Größe beider Gestirne Rechnung trägt – und er der Erde nicht viel näher ist als Saturn, dennoch festlegen, dass Jupiter in weit höherem Maße erhitzt als Venus, Saturn jedoch in weitaus geringerem Maße, dass Venus und Jupiter die Körper (auf der Erde) sogar mit Wärme hegen, Saturn jedoch sie durch Kälte abtötet.

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Kapitel 8 – Einwand gegen das bereits Gesagte. 1. ›Nun gut‹, wird man einwenden, ›die unterschiedliche Beschaffenheit (differentia) der verschiedenen Strahlen mag den Astrologen nicht bekannt sein und mag auch nicht erforscht werden können – das gehört zu einer anderen Untersuchung.‹ Jetzt aber muss man Folgendes prüfen: ob in den Strahlen solch eine Verschiedenheit sich befinden kann, dass – obschon alle ihrer natürlichen Beschaffenheit nach heiß (und zwar auf lebensspendende Weise heiß) sind – dennoch je nach Menge und Mangel an Licht, sei es hinsichtlich mangelnder Dichte

156 Als frigida et humida bezeichnet die Venus z.B. Ibn Ezra (introduct. fol. 3r ); ähnlich auch AlQuabisi (Alcab. introd. 2, fol. v ). Dass die Ansichten hierbei jedoch auseinandergehen, beweist Ptolemaios, bei dem die Venus mit (mäßiger) Hitze in Verbindung gebracht wird (Ptol. apotel. 1,4,6: θερμαίνει); ihm folgt u.a. Abū Ma῾šar (Album. intr. mai. 4,2 bzw. 4,3). Insofern nimmt es kein Wunder, dass Pico die Ansicht, Venus bewirke Kälte, nur »den meisten« Astrologen zuschreibt. Einigkeit herrscht hingegen, dass Jupiter und Mars heißer sind; vgl. hierzu auch die Erklärung im Tetrabiblos-Kommentar des ῾Alī ben Ridwān (Haly comment. tetr. 1,4 fol. B4 r ): Vult dicere quod eius [sc. Veneris] calor est minor multum illo iovis: et propter hoc et propter humiditatem quam facit dicimus quod est quodammodo frigida et plus humida.

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2. Nam si hoc, quid prohibeat, quamquam caelum causa sit universalis, cum tamen pro continuo motu aliter atque aliter se habeat, pro vario siderum habitu aliter causis ipsis inferioribus cooperari, ut non omnis tam varietas effectuum ab ipsis inferioribus, sed ab ipsa quoque varia universalis causae dispositione contingat, praesertim si non tantum luminis qualitate vel quantitate, sed aliis suis dotibus peculiaribusque proprietatibus stellae invicem differunt, | quod adversus nos quarta ratio praetendebat? 3. Tunc enim videtur fieri posse, ut per motum atque calorem sideribus omnibus, quatenus caelestia sunt, communem communis quoque illa caelo debeatur efficientia, sed per influxus, qui particulares astrorum naturas consequuntur, par-

App. crit.: 4 varia] varie Garin

8 ante tunc non dist. Garin

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oder Wirksamkeit, ein Strahl verglichen mit einem anderen kalt und dem Leben entgegengesetzt genannt werden kann, einer trocken und ein anderer feucht, sei es, dass seine natürliche Beschaffenheit dies bewirkt, sei es die Verunreinigung durch die den Elementen zugehörige Materie. 2. Denn wenn dies der Fall ist, welchen Hinderungsgrund gibt es dann dafür, dass der Himmel, obwohl er eine allgemeine Ursache (causa universalis) ist, ungeachtet dessen, dass er sich gemäß seiner unendlichen Bewegung immer in einem anderen Zustand befindet, je nach dem unterschiedlichen Zustand der Gestirne auf andere Weise mit den Ursachen der unteren Welt zusammenwirkt, sodass nicht so sehr die gesamte Vielfalt seiner Wirkungen nur von den Ursachen der unteren Dinge abhängt, sondern auch von der jeweils unterschiedlichen Disposition der allgemeinen Ursache selbst, zumal dann, wenn die Gestirne sich nicht nur hinsichtlich Qualität oder Quantität des Lichtes voneinander unterscheiden, sondern auch durch andere, ihnen eigene Einflüsse und individuelle Charakteristika (diese Behauptung erhob ja das vierte gegen uns gerichtete Argument)? 3. Denn dann ist es scheinbar möglich, dass durch Bewegung und Hitze, die allen Himmelskörpern, insofern sie eben zum Himmel gehören, gemeinsam sind, auch jene allen gemeinsame Wirksamkeit dem Himmel selbst zukommt, dass aber

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ticularius aliquid fiat ab eo perque varias item eiusdem stellae et ad alias stellas et ad caeli loca corporaque terrena figuram, positionem et habitudinem variet non mediocriter opera causarum inferiorum atque ita stet prima adhuc argumentatio astrologorum effectuum ipsam etiam diversitatem referens ad caelestia.

Caput IX – Solvitur obiectio atque ostenditur neque specificas neque individuales rerum differentias a caeli motu pendere. 1. Opportuna obiectio multa revocans in memoriam, quae nos illis obiciamus, et fere ita est: mala causa, quo se plus defendit, plus prodit; contra veritas sicut ignis, quo plus excutitur, plus clarescit. 2. Ita igitur satisfaciemus: 3. Declarabimus primum quae sit in influxu caelesti diversitas vel pro diversa natura multiplicium siderum, vel pro varia sideris eiusdem volubilique mutatione, dicemusque de his quid evidentia, vel ratio naturalis, necessaria demonstratione praescribat; nam quid errent circa haec adversarii, plus exigit opere, quam ut peragatur in transcursu; quare sequentibus libris tractabitur. 4. Hic cum satis fuerit explicatum, quid possit a constellatione differre constellatio, videbimus quantum habeat illa diversitas in variandis effectis inferioribus

App. crit.: 2 positionem correxi : positum Ω 8 prodit] perdit Garin 11 in om. G 14 circa haec BGarin : circa GOβ operae scripsi (cf. disp. 5,13 p. I 602,15 Garin) : opere Ω prob. Garin (-e pro -ae scriptum?)

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durch die Einflüsse, die sich aus der jeweils individuellen natürlichen Beschaffenheit der Gestirne ergeben, jeweils noch individuellere Ereignisse durch den Himmel bewirkt werden und dass er durch den jeweils unterschiedlichen Aspekt, die verschiedene Position und den jeweiligen Zustand ein und desselben Sterns im Hinblick auf andere Sterne, auf die Orte (loca) des Himmels und auf die irdischen Körper, das Wirken der unteren Ursachen ebenso in nicht unerheblicher Weise verändert und somit das erste Argument der Astrologen, welches auch die Unterschiedlichkeit der Wirkungen auf die Himmelskörper zurückführt, greifen würde.

Kapitel 9 – Auflösung des Einwandes und Beweis der Tatsache, dass weder die besonderen Verschiedenheiten der Dinge noch die individuellen von der Himmelsbewegung abhängig sind. 1. Der Einwand kam uns gelegen, da er uns viele Argumente ins Gedächtnis ruft, die wir ihnen entgegenhalten wollen, und es gilt in der Regel Folgendes: Je mehr sich eine schlechte Sache verteidigt, umso mehr gibt sie sich als solche zu erkennen; die Wahrheit hingegen ist wie ein Feuer: Je mehr man sie schürt, desto heller strahlt sie. 2. Auf folgende Weise also wollen wir Genüge leisten: 3. Als erstes werden wir erklären, welche Verschiedenheit im himmlischen Einfluss besteht, und zwar entweder gemäß der unterschiedlichen natürlichen Beschaffenheit der vielfach unterschiedlichen Gestirne oder gemäß des jeweils unterschiedlichen und wandelbaren Zustandes des jeweils selben Gestirns, und auch darüber, was die Erfahrung oder die naturwissenschaftliche Logik mit zwangsläufigem Beweis hierzu vorschreibt, werden wir sprechen; denn die Irrtümer unserer Widersacher auf diesem Gebiet erforderten zu viel Mühe, als dass man sie beiläufig abhandeln könnte; aus diesem Grund werden sie in den folgenden Büchern abgehandelt. 4. An dieser Stelle aber werden wir, nachdem ausreichend dargestellt wurde, inwieweit eine Konstellation von einer anderen Konstellation sich unterscheiden

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Motu caelum tria facere

Aristoteles

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auctoritatis. Unde et quod ipsi volumus confirmabitur: primariam substantialem fereque totam eorum distinctionem a secundariis esse causis; et astrologorum fallacia magis detegetur profitentium de caelestibus causis praedictionem huiusmodi distinctionis. 5. Diximus caelum agere in nos motu et luce. Motu creditur tria facere: movere, calefacere et lumen afferre. Tertium hoc postea tractandum est, cum de luce tractabitur; sed et quod aiunt, ipsum motu calefacere, difficilis quaestio est et seorsum in libris philosophiae discutienda, nam ad rem astrologicam parum attinet. Sane quomodo motu moveat, superius explicavimus, dum scilicet motus omnes a primo motu dependent, sicut a motu cordis animalis motus. Videamus igitur, quantum spectat ad motum, an aliae aliter stellae moveant et an eaedem alias aliter; tum de luce videbimus. 6. Differunt motus siderum triplici ratione: primum quod alia velocius moventur, alia tardius; secundo quod haec pluribus, illa motibus paucioribus; tertio pro situ regionis, in qua moventur, quod haec illis sublimiores obtinent sedes et ampliora spatia peragunt. 7. Aristoteles multitudinem motuum et paucitatem pertinere non putat ad effectarum sive motarum rerum diversitatem, sed pro dignitate moventium fie-

Font.: 464.17–466.1 Aristoteles – assequatur ] Arist. cael. 2,12 292a 22–293a 14; cf. Thom. Aq. cael. 2,15,8 p. 180 Sim.: 13–16 Differunt – peragunt ] cf. Bellant. resp. disp. 3,9 fol. r2r App. crit.: 5 Tit. add. BP 7 motu Ω : motum Garin 8 attinet] attine VW O : motus Garin 11 eaedem VRCFO : eedem α : eadem W

9 motu αβ : om.

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kann, überprüfen, welchen Einfluss diese Verschiedenheit auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Wirkungen der sublunaren Welt hat. Aufgrund dessen wird sich einerseits bestätigen, was wir bestätigt wissen wollen, dass nämlich die Erstursache zur Substanz gehört und daher die gesamte Unterschiedlichkeit der Wirkungen der sublunaren Welt von den Zweitursachen abhängen; andererseits wird die Falschheit der Astrologen in höherem Maße entlarvt, wenn sie eine Aussage über himmlische Ursachen anhand einer derartigen Verschiedenheit verkünden. 5. Wir haben festgestellt, dass der Himmel auf uns einwirke mittels Bewegung und Licht. Durch Bewegung soll er dreierlei bewirken: in Bewegung setzen, Hitze hervorrufen und Licht bringen. Jener dritte Punkt soll später behandelt werden, wenn es um das Licht geht; ihre Behauptung jedoch, dass der Himmel selbst durch seine Bewegung bereits Hitze hervorruft, ist eine schwierige Frage und muss gesondert in philosophischen Abhandlungen besprochen werden, da sie zu wenig mit der Astrologie in Zusammenhang steht.157 Wie der Himmel durch seine Bewegung Bewegung erzeugt, haben wir freilich weiter oben bereits erklärt, weil nämlich alle Bewegungen von der ersten Bewegung abhängig sind, wie die Bewegungen eines Lebewesens von der Bewegung des Herzens. Wir wollen also, was die Bewegung betrifft, prüfen, ob sich die verschiedenen Gestirne unterschiedlich bewegen und ob sich dieselben Gestirne zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich bewegen; im Anschluss wollen wir das Licht behandeln. 6. Die Bewegungen der Gestirne unterscheiden sich in dreifacher Weise: als erstes weil sich einige schneller bewegen, andere aber langsamer; zweitens weil ein Teil mehr Bewegungen ausführt, ein anderer weniger; drittens aber unterscheiden sie sich je nachdem, in welcher Region sie sich bewegen, da sich einige weiter oben befinden als andere und daher weitere Strecken zurücklegen. 7. Aristoteles ist der Meinung, dass die hohe und geringe Anzahl von Bewegungen keinen Einfluss habe auf die Unterschiedlichkeit der bewirkten oder

157 Vgl. hierzu u.a. Grant (1994: 591–595); locus classicus der antiken Philosophie ist die Darstellung des Aristoteles in der Schrift »Über den Himmel« (cael. 289a 19–35).

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Macrobius

Avenazra Alpetragius

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ri, ut quod nobilior paucis, ignobilior non nisi multis motibus assequatur. De velocitate tarditateque eorum nihil satis exploratum; nam Aurelius Macrobius imitatus antiquiores affirmat pari passu procedere omnes planetas, cui sententiae suffragabitur Avenazra collocans in eadem sphaera Solem, Venerem et Mercurium epicyclorum sedibus separatos. Qui vero faciunt illos inaequales, inter se digladiantur; nam Alpetragius, qui videntur velociores, eos astruit esse tardiores; contra alii restitutionis tempus observant, quod omnino fallat necesse est, nisi quis proportionem morarum spatiorumque pensiculatius examinaverit. Verum utcumque se res habeat, si quidem motu calefaciunt, velociore motu magis ca | lefacient. 8. Quod autem ad istam, quam dicebamus, principalitatem motuum attinet, nullam potest hoc facere varietatem, quando motus inferiores a caeli motu dependent, quatenus ille primus et circularis motus ita, ut nihil referat segnior aut concitatior: Non moveretur lapis deorsum aut sursum ignis quiescente caelo; sed non ocius aut descendit ille aut hic ascendit, quia caelum rapidius revolvatur. Tantum habet inde, ut moveatur, sicut a natura universali vegetante quemlibet motum, speciem motus a sua substantia, remissionem et intentionem a movente, ab impetu, a figura, a similibus aliis condicionibus habet. 9. Proinde non aliter nos movebit Saturnus, quia tardius ipse movetur quam Mars, qui rapidior existimatur; nam quod dicunt astrologi, serius dare segniores planetas quae largiuntur, postea confutabitur. Nunc dari nihil aliud ab eis per mo-

Font.: 2–3 Macrobius – planetas ] cf. Macr. somn. 1,21,5–7 4–5 Avenazra – separatos ] Abrah. Avenez. rat. fol. 34r 6–7 Alpetragius – tardiores ] cf. Alpetrag. planet. theor. pp. 5–7; Rog. Bac. op. mai. p. I 139 B ignobilior] ignobilius Garin App. crit.: 1 nobilior] nobilius Garin 15 aut1 BCorr Gc Garin : an αβO 16 ut] unde Garin

12 hoc] expectes haec

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bewegten Dinge, sondern dass es je nach der Würde desjenigen, der in Bewegung setzt, geschehe, dass der weniger Vornehme nur mit vielen Bewegungen das erreicht, was der Vornehmere mit wenigen Bewegungen erzielt. Über ihre Schnelligkeit und Langsamkeit gibt es noch keine hinreichend bewiesene Forschung; denn Aurelius Macrobius behauptet in Nachahmung der Älteren, alle Planeten bewegten sich gleichen Schrittes voran – eine Ansicht, die Ibn Ezra unterstützt, indem er Sonne, Venus und Merkur auf derselben Sphäre verortet, verschieden lediglich was den Sitz ihrer Epizykel betrifft. Diejenigen aber, die sie unterschiedlich schnell verstehen, sind untereinander uneins: Denn al-Bitrūği bekräftigt, dass diejenigen, die schneller zu sein scheinen, langsamer seien. Andere wiederum beachten die Zeit der erneuten Zusammenkunft, was notwendigerweise in die Irre führt, wenn man nicht das Verhältnis der zurückgelegten Zeiten und Strecken genauer untersucht hat. Aber wie auch immer sich die Sache verhält, es gilt, dass sie, wenn sie durch Bewegung Hitze hervorrufen, durch schnellere Bewegung mehr Hitze hervorrufen. 8. Was aber jene erwähnte vorrangige Bewegung betrifft: Dies kann keinen Unterschied bewirken, da die sublunaren unteren Bewegungen von der Bewegung des Himmels abhängen, inwieweit jene Bewegung die erste und kreisförmig ist, sodass es keinen Unterschied macht, ob die Bewegung langsamer oder schneller ist: Ohne Einfluss des Himmels würde sich kein Stein nach unten bewegen oder ein Feuer nach oben; doch weder bewegt sich dieser schneller nach unten noch jenes schneller nach oben, nur weil sich der Himmel schneller dreht. Es wird lediglich eine bestimmte Bewegung dorther empfangen, wie von der allgemeinen belebenden Natur eine beliebige Bewegung, die Art der Bewegung von der eigenen Substanz, das Nachlassen oder die Zunahme vom Beweger, vom Bewegungsimpuls, von der äußeren Gestalt oder von ähnlichen anderen Bedingungen kommt. 9. Dementsprechend wird Saturn uns nicht nur deshalb anders in Bewegung versetzen als der als schneller geltende Mars, weil er selbst sich langsamer bewegt. Denn die Meinung der Astrologen, die langsameren Planeten würden ihre Gaben

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Quaestio

Opinio

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tum suum defendimus, quam ut ipsi quoque moveamur, quod certe non aliter fit ab eis sive tardius ipsi sive velocius circumagantur. 10. Porro de eodem planeta non est, quod ambigamus diversis nos ab illo moveri modis, quia aliter alias ipse moveatur, quando firmum philosophorum dogma est, esse motus caelestes sibi similes semper sibique pares nec supprimere cursum sidera aut vertere, licet hoc ita videatur nobis, id quod ad eccentricos circulos vel ad diversos motus contra se nitentes vel ad alia id genus refertur a mathematicis. Tantum ista posset esse diversitas, ut per epicyclorum ima delati felicius nos afficerent utpote propinquiores, quod astrologorum tamen decretis potius dissonat quam consentiat, ut in sequentibus latius explicabitur. 11. De dignitate graduque motorum sive corporum, quae moventur, quaestio est, idem omnes faciant pariter in his rebus, quae fiunt, an alius motor aliud. 12. Sunt enim, qui putent totum, quod fit, a proxima fieri causa nec aliud agere superiora, quam ut ipsam proximam causam moveant ad agendum tot interpositis a natura mediis causis, non ut aliud alia faciat, sed ut ordine suo res efficiatur, cum nec fieri effectus nisi a cognata causa possit et illa inefficacior pro materiae vinculis, quibus inferiora strictius obligantur, quam ut non mota moveat; quae cum rursus statim a nobilissimis et supremis causis moveri non possit, intercedere tot oportuit medias, quot in ordine causarum dignitatum gradus intercedebant; quare credunt hi a totidem fieri causis, non quod operis partem aliam sibi alia vendicet, cum essentiali invicem nexu colligantur, sed quoniam, ut idem agant, alia necessario de triplici serie movetur ab alia.

App. crit.: 8 ista] iste RC cycliorum βO (epiccliorum R)

posset] potest Garin epicyclorum Garin : epycicliorum α : epi12 ne addidi motor] motior RC

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später vergeben, wird später widerlegt werden. Nun wollen wir die Ansicht verteidigen, dass sie durch ihre Bewegung nichts anderes vergeben, als dass auch wir selbst uns bewegen, was sicherlich nicht auf andere Weise von ihnen ausgeht, je nachdem ob sie selbst sich langsamer oder schneller um die Erde drehen. 10. Ferner gibt es keinen Grund, dass wir bei ein und demselben Planeten unschlüssig sind, ob wir auf unterschiedliche Weise von ihm bewegt werden, da er sich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich bewegt, weil es die feste Meinung der Philosophen ist, dass die himmlischen Bewegungen sich stets ähnlich sind und sich gleichen und dass die Gestirne weder ihre Bewegung unterdrücken noch sie ändern, auch wenn es für uns so scheinen mag, was von den Astronomen auf die exzentrischen Kreise oder die gegeneinander gerichteten unterschiedlichen Bewegungen zurückgeführt wird oder auf andere derartige Gründe. Es könnte also lediglich folgende Verschiedenheit geben, dass die Planeten uns glücklicher machen, wenn sie auf den untersten Punkten der Epizykel sich bewegen, da sie uns näher stehen, was dennoch den Ansichten der Astrologen eher widerspricht, als dass es mit ihnen übereinstimmt, wie im Folgenden ausführlicher erläutert werden soll. 11. Was die Würde und den Grad der Beweger betrifft oder der bewegten Körper, so lautet die Frage, ob sie alle gleichermaßen dasselbe in den Dingen, die geschehen, bewirken oder ob jeder andere Beweger etwas anderes bewirkt. 12. Einige sind nämlich der Ansicht, das alles, was geschieht, von einer nächsten Ursache (proxima causa) bewirkt werde und dass die obere Welt nicht anders handle, als dass sie ebendiese nächste Ursache zum Handeln in Bewegung setze, wobei die Natur so viele Zwischenursachen (causae mediae) dazwischengeschaltet habe, dass nicht eine jede etwas anderes bewirke, sondern dass eine Sache ihrer Reihenfolge nach bewirkt werde, da eine Wirkung nur von einer verwandten Ursache (cognata causa) bewirkt werden kann, und jene verwandte Ursache angesichts der materiellen Fesseln, denen die Elemente der unteren Welt strengstens unterworfen sind, weniger wirksam sei, als dass sie Unbewegtes in Bewegung versetzen könnte; da diese wiederum nicht unmittelbar von den vornehmsten und höchsten Ursachen bewegt werden kann, mussten so viele Zwischenursachen da-

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Differentia inter actionem in nos per motum et per lumen e1v

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13. Sunt contra, qui velint non idem facere in his, quae fiunt, superiorem causam et inferiorem, sed pro gradibus perfectionum, quas substantia continet operis, illam a causis quoque dependere gradatim inter se ordinis profectione distantibus. Propterea rationem in opere communiorem ad causam pertinere magis communem, hoc est in efficiendo: sicut praestantiorem, ita magis universalem; atque ita quae fiunt habere quod sunt a Deo, quod sint substantiae a causa, quae deinceps, rursus quod sunt corpora ab ea, quae consequitur, donec ad propriam deveniatur rei speciem et naturam, quae ad ipsam quoque propriam et proximam causam referatur. 14. Utrumvis autem sentiamus, patet nedum individuas, sed nec specificas rerum differentias a caelestibus esse, quatenus istam motus efficientiam consideramus.

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Caput X – Stellas alias a Sole et Luna aut nihil, aut certe parum, in nos agere. 1. Diximus de motu; reliquum est de lumine. Sed avertere prius oportet differentias quasdam inter actionem stellarum in nos per motum ab ea, quae fit per lumen; illius | virtus a movente magis anima quam a moto corpore, huius ab ipso corpore planetae; illa sphaerarum potius quam astrorum, haec astrorum creditur

Font.: 5–9 atque ita – referatur ] cf. Thom. Aq. anim. 1 App. crit.: 1 facere om. Garin 6 a Deo BVWFO : adeo GRC 15 fit] sit Garin 17 illa correxi : ille Ω

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zwischentreten, wie Stufen an Würde in der Reihenfolge der Ursachen dazwischen lagen. Daher sind sie der Ansicht, dass ein bewirktes Werk durch ebenso viele Ursachen geschehe, und zwar nicht, weil eine jede von ihnen einen anderen Teil des Werkes für sich in Anspruch nimmt, obwohl sie durch eine Verbindung ihres Wesens miteinander verknüpft sind, sondern weil jeweils jede von einer anderen in dreifacher Reihe158 notwendigerweise bewegt wird, um dasselbe zu bewirken. 13. Auf der anderen Seite wollen manche, dass bei den bewirkten Dingen die weiter oben gelegene Ursache und die weiter unten gelegene nicht dasselbe bewirken, sondern dass sie je nach dem Grad an Vollkommenheit, die die Substanz des Werkes enthält, von den Ursachen abhänge, die sich auch stufenweise untereinander hinsichtlich der Ursprungs der Reihenfolge unterscheiden. Daher beziehe sich ein allgemeinerer Begriff bei einer Sache auch auf eine allgemeinere Ursache, das bedeutet hinsichtlich der Wirkung: Je ausgezeichneter etwas sei, umso allgemeiner sei es. Daher hätten die Dinge, die geschehen, ihr Sein von Gott, ihr Sein als Substanz von der nächst stehenden Ursache, ihr Sein als Körper von der Ursache, die unmittelbar folgt, bis man an die der Sache eigene spezifische Wesenheit und natürliche Beschaffenheit gelangt, die auch auf die eigene und nächste Ursache selbst zurückgeführt werden kann. 14. Welche der beiden Alternativen wir auch für richtig halten, offensichtlich stammen keinesfalls die individuellen, aber auch nicht die spezifischen Unterschiede der Dinge von den himmlischen Körpern, insofern man jene Wirkung der Bewegung betrachtet.

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Kapitel 10 – Die anderen Sterne außer Sonne und Mond haben entweder gar keine Wirkung auf uns oder zumindest zu wenig. 1. Über die Bewegung haben wir gesprochen; übrig bleibt noch, vom Licht zu sprechen. Zunächst einmal gilt es jedoch, gewisse Unterschiede auszuräumen zwischen der Wirkung, die die Sterne mittels Bewegung auf uns ausüben, und der Wirkung, die sie mittels Licht ausüben: Die Kraft des Ersteren kommt eher von

158 Gemeint ist die Reihenfolge suprema causa / causa universalis – media causa – proxima / cognata causa...

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potius quam sphaerarum; in illa dependent a superioribus inferiora, cum nulli sit dubium motu primi orbis subditos planetas et cum reliquis Solem circumagi. 2. De lumine contra putatur consentientibus fere philosophis non modo Lunam, sed reliquas quoque stellas a Sole illuminari. Plus item movent nos quae sunt altiora, quando in illorum virtute cetera movent; sed luminis in nos, si alia paria sint, de loco propinquiore potentior est influentia. Sed nec liquet, ut declarabimus, agantne in nos lumina corporum superiorum an Lunae tantum et Solis, cetera hucusque cum efficacia non pertingant ob lucentium corporum vel parvitatem vel distantiam. De motu dubium non est, in quo, ut diximus, superiora potiora sunt. 3. Ex quibus omnibus colligi potest, quod a philosophis dicitur, ordine quodam essentiali seriem quasique catenam causarum invicem necti pendereque deorsum; ad hanc maxime motus efficientiam pertinere, quando hoc agmen ordoque causarum et in moventibus magis animis intelligitur quam in corporibus et proprium eius est, ut a primis secunda dependeant et superior causa plus habeat virium et potestatis quam quaelibet inferiorum, nedum cesset superior et inferior agat.

Font.: 3–4 non modo – illuminari ] cf. Arist. meteor. 1,8 345b 8–9; Isid. nat. 24,1–2; Isid. orig. 3,61; Rog. Bac. op. mai. pp. I 127–130 B; Albert. meteor. 2,3,6 pp.181–183 B 12–13 seriem – deorsum ] cf. Aug. civ. 5,8 p. 201,14–15; Boeth. cons. 5,2,2; Chalc. comm. 204 p. 183,6–10 App. crit.: 4 movent] moventur O

8–9 parvitatem] pravitatem W

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der bewegenden Seele als vom bewegten Körper, die Kraft des Zweiteren kommt vom Körper des Planeten selbst; jene Wirkung durch Bewegung soll mehr zu den Sphären als zu den Sternen gehören, jene durch Licht aber mehr zu den Sternen als zu den Sphären; was die Wirkung durch Bewegung betrifft, sind alle weiter unten gelegenen von den weiter oben gelegenen abhängig, da niemand bezweifelt, dass die ihr unterliegenden Planeten und – mit den übrigen zusammen – auch die Sonne von der Bewegung der ersten Sphäre in Umlauf gebracht werden. 2. Was hingegen das Licht betrifft, so glaubt man, – und hier sind sich beinahe alle Philosophen einig – dass nicht nur der Mond, sondern auch die übrigen Sterne von der Sonne beleuchtet werden. Ebenso bewegen uns die weiter oben gelegenen in höherem Grade, zumal sie die übrigen durch die von ihnen ausgehende Kraft in Bewegung setzen; der Einfluss des Lichts auf uns aber ist wirksamer von einem näher gelegenen Ort aus, wenn alle anderen Bedingungen gleich sind. Es ist aber, wie wir noch zeigen werden, auch unklar, ob die Lichter der oberen Körper auf uns wirken oder nur die von Sonne und Mond, während die übrigen nicht wirkungsvoll bis zu uns gelangen auf Grund der geringen Größe der leuchtenden Körper oder ihrer zu großen Entfernung. Was die Bewegung betrifft, besteht kein Zweifel, dass bei ihr, wie bereits gesagt, die weiter oben gelegenen Körper die wirksameren sind. 3. Aus allen diesen Argumenten lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass, was auch Philosophen behaupten, gemäß einer Art wesentlicher Ordnung (ordo essentialis) eine Reihe und sozusagen Kette von Ursachen gegenseitig ineinander geflochten werde und von oben abhänge; zu ihr gehöre die Wirksamkeit der Bewegung in hohem Maße, da jene geordnete Schar an Ursachen in den die Bewegung verursachenden Wesen mehr wahrgenommen wird als in den Körpern und es auch ihre kennzeichnende Eigenschaft ist, dass die Zweitursachen von den Erstursachen abhängen und eine höhergelegene Ursache über mehr Kraft und Einfluss verfügt als jede beliebige weiter unten sich befindliche, nicht zu reden davon, dass eine weiter oben befindliche Wirkursache versagen und die weiter unten gelegene wirken könnte.

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4. Non tamen negamus habere calorem Solis ad seminales calores rationem causae in essentiali ordine superioris, sed non ultra protenditur iste ordo. Quare non est hic illa ducta a primo ad infimum per intermedios gradus complicatio causarum, de qua loquuntur, sed in moventium, quatenus sunt moventia, serie completius invenitur. 5. Est tamen utrobique quaternarium fere observare progressum: in motu primum obtinet locum sphaera illa, vel universum, quod diurna agitatione revolvitur, unde ceteris quoque motus iste communicatur; sequitur chorus planetarum super polos signiferi currens in adversum; nec in eo sunt plures gradus distinguendi, quoniam invicem nec moventur nec movent, quare quasi mobile unum, sicut a primo mobili rapitur, ita movet suo quoque motu, qui diversitatis dicitur a Platone, movet aethera, inquam, aeremque supremum; unde quarto quoque gradu motus ad nos et inferiora corpora provenit, dum vegetantur inde rerum naturalium particulares omnes motus. 6. In lumine (quod cum dico, calorem a lumine profluentem semper intellego) fons totius influxus oculus mundi Sol; hic illuminat Lunam; Luna afficit aerem; aer omnia corpora, quae sub aere et in aere vivunt; sed est ista diversitas, quod a mobili primo movemur per planetas, a Sole aliter quam per Lunam illuminamur.

Font.: 6–14 quaternarium – omnes motus ] cf. Arist. cael. 2,12 292b 1–293a 14; Thom. Aq. cael. 2,18,5–14 pp. 193–196 8 chorus planetarum ] cf. Plat. Ti. 40C 3–4; Albert. cael. 2,3,10 p. 194 B 11– 12 qui – Platone ] cf. Plat. Ti. 38C 7–8; Chalc. transl. p. 38c 16 oculus mundi Sol ] cf. Ov. met. 4,226–228; Hier. epist. 98,2,2: sol et luna, duo mundi, ut ita dicam, clarissimi oculi Sim.: 6 quaternarium fere observare progressum ] cf. Bellant. resp. disp. 3,10 fol. v App. crit.: 3 complicatio α : conspicatio βO 11 diversitatis] diversitas C 15 profluentem] superfluentem C 17 vivunt sed est BP BF GGarin : vivunt est sed Bβ : vivunt est sed est BB BEC : vivunt sed O

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4. Trotzdem leugnen wir nicht, dass die Hitze der Sonne für die Arten der Hitze des Samens als Ursache dient, die in jener wesentlichen Ordnung weiter oben steht, doch diese Reihe dehnt sich nicht weiter aus. Daher handelt es sich hier nicht um jene Verkettung von Ursachen, angefangen beim ersten Schritt bis hin zum letzten über mehrere Zwischenschritte, über die sie sprechen, sondern in der Reihenfolge der Beweger findet sich ein höheres Maß an Vollkommenheit, insofern sie Beweger sind.159 5. Dennoch kann man auf beiden Seiten ungefähr ein vierfaches Fortschreiten beobachten: Bei der Bewegung beansprucht jene auch als Universum bezeichnete Sphäre den ersten Platz, welche sich in ewiger Bewegung dreht und von der aus jene Bewegung auch den übrigen Sphären mitgeteilt wird; daraufhin folgt der Reigen der Planeten, der über die Pole des Tierkreises in die entgegengesetzte Richtung eilt; auch hierbei können nicht mehrere unterschiedlichen Stufen unterschieden werden, da sie weder voneinander bewegt werden noch sich gegenseitig bewegen, weshalb ein einziges Bewegliches auf dieselbe Art, wie es vom ersten Beweglichen (primum mobile) mitgerissen wird, auch durch seine eigene Bewegung – Plato spricht hier von der Bewegung der Vielfachheit160 – den Äther bewegt, so behaupte ich, und die oberste Luftschicht; von dort gelangt die Bewegung in einem vierten Schritt zu uns und den Körpern der unteren Welt, wenn alle individuellen Bewegungen der natürlichen Dinge von dorther in Bewegung versetzt werden.161 6. Was das Licht betrifft – wenn ich von Licht spreche, so verstehe ich darunter immer die vom Licht ausströmende Hitze –, so ist die Quelle des gesamten Einflusses die Sonne, das Auge der Welt; sie beleuchtet den Mond; der Mond wirkt auf die Luft ein; die Luft wirkt auf die Körper, die unter der Luft und in der Luft leben. Doch diese Verschiedenheit bedeutet, dass wir vermittels der Planeten vom

159 Die Einschränkung ist insofern berechtigt, als der motus nicht nur auf die Sterne zurückzuführen ist, wie es für den calor bzw. das Licht gilt, sondern auf Gott als ersten Beweger – und somit eine Stufe weiter oben anzusiedeln ist. 160 In seiner mythologischen Interpretation der Entstehung der Welt im Dialog Timaios beschreibt Platon die Planetenbewegungen als einen »Umlauf des Verschiedenen« (Ti. 38C 8: θατέρου περίοδος); in der Übersetzung des Ka (transl. p. 38c) wird dies als vitales diversae naturae motus wiedergegeben. 161 Vgl. hierzu insbes. den Kommentar zur aristotelischen Schrift De caelo des Thomas von Aquin (Thom. Aq. cael. 2,18,5–14 pp. 193–196), der eine fünffach abgestufte Ordnung nach dem Grad an Perfektion und der jeweiligen Bewegung darlegt: Gott – Fixsternsphäre – obere Planeten – Sonne und Mond – Erde und irdische Körper.

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Solutio

Obiectio e2r

Ratio Avenrodan

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7. Quae nos omnia ob id potissimum recensemus, ut, priusquam sermo de differentia sideralium influxuum habeatur, sciamus non constare pertingantne, qualescumque sint, illi superiores influxus ad nostram regionem, sed quod de minutioribus quibusdam stellis creditur ab astrologis, credi possit de omnibus etiam planetis praeter Solem et Lunam. 8. Cui quoniam opinioni obstare poterat id in primis, quod caelestia corpora causae sint essentiales inferiorum rerum, in quo ordine nulla cessare possit, volui declarare hunc ordinem non ad corpora illuminantia, sed ad moventes virtutes potius pertinere. Nam frustra condita a Deo sidera, quorum non persentiantur afflatus, astrologi dicere non possunt, ne illa sint frustra, de quibus hoc ipsum ultro confitentur, alioquin forsitan nec candelabrum hoc sublime tot luminibus radians factum ob id primo putant, ut nocturnis nostris oculis lucem afferens lustret lucifugis habitata cubilia talpis. 9. Sed cur, inquies, tot sidera, si nobis Sol unus Lunaque sufficiunt? Hoc caelesti naturae conveniebat, hoc rerum or | do, hoc universi totius perfectio postulabat nec, si non omnia nos illuminant, sequitur, ut non alius inde nobis et usus et commoditas esse possit. 10. Avenrodan sic argumentatur: »Agunt in nos Sol et Luna, igitur cetera, cum sint omnia eiusdem naturae«. Placet species argumentationis et Aristotelem sapit, qui sic quoque argumentatur: »Luna non movetur proprio motu, sed cum sphaera, quod eius maculae declarant; idem ergo de ceteris iudicandum, cum una natura omnium caelestium«.

Font.: 11 candelabrum hoc sublime ] cf. Paul. Nol. epist. 18,6 13 habitata cubilia talpis ] cf. Walahfrid. carm. 4,2,43 p. 336 D = PL 114,1122; Verg. georg. 1,183; 4,243 18–19 Avenrodan – naturae ] cf. Haly comment. tetr. 1,2 fol. v 19–22 Aristotelem – caelestium ] cf. Arist. cael. 2,8 290a 24–290b 11; cael. 2,11 291a 11–23 App. crit.: 2 sideralium influxuum BCorr Garin : in sideralium fluxuum B : insideralium influxuum G : insideralium fluxuum β : sideralium fluxuum O 10 ne] expectes ut…non 14 Tit. Obiectio add. BP 21 cum] cum sit OGarin

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ersten Beweglichen in Bewegung versetzt werden, von der Sonne hingegen anders beleuchtet werden als vom Mond. 7. All dies besprechen wir insbesondere deshalb, damit wir uns, bevor das Gespräch auf den Unterschied der Einflüsse der Gestirne gerichtet wird, darüber im Klaren sind, dass es nicht feststeht, ob jene Einflüsse der oberen Welt, wie auch immer sie seien mögen, in unsere Region gelangen, dass man aber das, was die Astrologen über einige der kleineren Sterne glauben, sogar von allen Sternen glauben kann abgesehen von Sonne und Mond. 8. Da dieser Ansicht vor allem dies im Wege hätte stehen können, dass die himmlischen Körper Wesensursachen (causae essentiales) der Dinge der unteren Welt sind – eine Reihenfolge, in der keine Ursache wirkungslos sein kann – wollte ich erläutern, dass diese Reihenfolge nicht zu den Körpern, die Licht bewirken, gehöre, sondern vielmehr zu den Kräften, die in Bewegung setzen. Denn die Astrologen können nicht behaupten, dass die Gestirne, deren Einfluss wir nicht deutlich spüren, umsonst von Gott geschaffen worden seien, ohne dass auch diejenigen umsonst geschaffen wurden, deren spürbare Wirkung auf uns sie freiwillig zugeben; anderenfalls glauben sie vielleicht auch nicht, dass jener himmlische Leuchter, der in so vielen Lichtern erstrahlt, zunächst einmal darum geschaffen worden sei, um – obwohl er unseren nächtlichen Augen auch nebenbei Licht zuführt – die von lichtscheuen Maulwürfen bewohnten Gemächer zu erhellen. 9. Aber wozu gibt es, so wird man einwenden, so viele Sterne, wenn uns Sonne und Mond alleine ausreichen? Es passt zur natürlichen Beschaffenheit des Himmels, die natürliche Reihenfolge und die Vollkommenheit des gesamten Universums erfordern es, und wenn uns nicht alle erleuchten, folgt daraus nicht, dass es für uns von dort keinen anderen Nutzen und keine Annehmlichkeit geben kann. 10. ῾Alī ben Ridwān argumentiert folgendermaßen: »Sonne und Mond wirken auf uns, folglich wirken auch die übrigen Himmelskörper, da sie alle dieselbe natürliche Beschaffenheit haben.« Der äußere Schein der Argumentation erregt Gefallen, und er kennt seinen Aristoteles, der ebenfalls so argumentiert: »Der Mond bewegt sich nicht durch seine eigene Bewegung, sondern zusammen mit seiner Sphäre, was seine Flecken belegen; zum selben Schluss muss man also bei

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478 Ratio Avenrodan vertitur contra astrologos

Tria actionem lucis in nos efficacem reddere Ptolemaeus Ieber Theon Concurrunt tria illa in Sole

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11. Quare nos iisdem vestigiis insistentes ita colligemus: Sol calefacit, igitur Luna, quia sunt omnes eadem natura. Et recte nos quidem colligemus, quoniam hoc tantum ratio probat: esse easdem omnium conditiones, quatenus absolute ad se considerantur; sed cum ad alias comparas, quoniam non eodem modo comparantur, ratio vacillat, quoniam, si eadem quidem sua natura facturus est Sol, quae Saturnus, non sequitur, ut uterque erga nos idem faciat, quia alter ut propinquus, alter ut remotus nobis comparatur. 12. Sic qui dicerent agere in nos tantum Solem et Lunam, habent, quas afferant, rationes suae suspicionis, licet in omnibus sit caelestibus eadem natura; nam luminis efficacem in nos actionem tres praecipue faciunt lucentis corporis conditiones: magnitudo, densitas et propinquitas. 13. Haec in Sole concurrunt omnia praecellenter, nam et proximus nobis, praesertim si supra Lunam collocatur, quod veteres et post Ptolemaeum Ieber Theonque contendunt, et corpore ita vasto, ut maximam stellarum plus sexqualtera proportione superet; tum densissima luce conspicitur omnium fulgentissimus. 14. Luna adeo nostris regionibus est finitima, ut non possit non afficere, quae etiam contingit; inde lux eius efficax necessario, quae non alia fere quam solaris. Has non ita conditiones in aliis reperias, ut, quod de Luna Soleque concesseris, nequeas de reliquis [non] concedere. Sed obstabit forsitan in octavae sphaerae lumi-

post Ptolemaeum – conFont.: 13 veteres ] cf. Plat. Ti. 38D 1–5; Procl. in Ti. pp. III 62–63 D tendunt ] cf. Theon. Smyrn. astrol. 15 pp. 180–195 M; Geber. astron. lib. 7 pp. 103–106 14–15 plus – proportione ] cf. Alfrag. aggreg. 22 Sim.: 13–14 supra Lunam – contendunt ] cf. rer praen. 5,11 p. 580; quaest. falsit. p. 144,19–21 et] ed Garin 14 sexqualtera αβ : sesquialtera O : sexApp. crit.: 8 Solem] sole solem RC quialtera Garin 15 proportione Bβ (ppoe) : propositione GO 19 non delendum putavi

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den übrigen kommen, da alle Himmelskörper über ein und dieselbe natürliche Beschaffenheit verfügen.« 11. Daher wollen wir in dieselben Fußspuren treten und folgendermaßen schlussfolgern: Die Sonne bewirkt Hitze, also bewirkt auch der Mond Hitze, weil alle Himmelskörper dieselbe natürliche Beschaffenheit haben. Und wir werden freilich korrekte Schlüsse ziehen, weil dies bereits die Vernunft beweist, dass alle über dieselben Eigenschaften verfügen, insofern man sie schlechtweg in Bezug auf ihre jeweilige Wesenheit betrachtet; vergleicht man sie aber, da sie nicht auf dieselbe Weise verglichen werden können, mit anderen, gerät der Vernunftbeweis ins Schwanken, da man nicht folgern kann, dass, selbst wenn Sonne und Saturn gemäß ihrer natürlichen Beschaffenheit dasselbe bewirken würden, beide dieselbe Wirkung auf uns ausüben, da die eine als uns nahe verglichen werden muss, der andere als entfernt von uns. 12. So haben diejenigen, die behaupten, nur Sonne und Mond würden auf uns wirken, Argumente, die sie für ihre Vermutung anführen können, obschon alle Himmelskörper dieselbe natürliche Beschaffenheit besitzen; denn die auf uns wirkende Tätigkeit des Lichtes bewirken insbesondere drei Eigenschaften eines leuchtenden Körpers: seine Größe, seine Dichte sowie seine Nähe. 13. All dies trifft ausgezeichnet auf die Sonne zu, denn sie ist uns am nächsten, insbesondere dann, wenn sie direkt oberhalb des Mondes positioniert wird, was die Alten und nach Ptolemaios Geber und Theon behaupteten, und hat einen so gewaltigen Körper, dass sie den größten Stern im Verhältnis von mehr als 3:2 übertrifft und zudem strahlt sie von allen Sternen am meisten auf Grund ihres dichten Lichtes.162 14. Der Mond ist so nah an unseren Gefilden, dass er gar nicht im Stande ist, keinen Einfluss auszuüben auf das, was er sogar berührt; daher ist sein Licht notwendigerweise wirksam, das ja fast nichts anderes ist als Sonnenlicht. Diese Bedingungen kann man bei den anderen Himmelskörpern nicht derart finden, dass man das, was man Mond und Sonne zugesteht, den übrigen nicht zugestehen

162 Während der nächstgrößere Fixstern bei al-Farġānī (aggreg. 22), dessen Darstellung Pico an dieser Stelle folgt, 107-mal größer ist als die Erde, ist die Sonne seines Erachtens 166-mal größer als die Erde; dies entspricht relativ gut dem von Pico postulierten Verhältnis 3:2, welches allerdings bei al-Farġānī nicht explizit erwähnt wird.

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Quantitas syderis Maximarum haerentium stellarum Iovis Saturni Martis

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nibus etiam maximis ipsa distantia; obstabit eadem in Saturno Ioveque sideribus, quae sicut terrae propinquiora, ita etiam illis minora sunt. 15. Traduntur enim maximae haerentes stellae terrae molem centies septiesque continere, at Iuppiter nonagesies quinquies, Saturnus nonagesies tantum et semel; quae non sunt dicta tamen scrupulosissime, et si sequimur experientiam, videmus haerentium illarum, quamquam adeo vastae magnitudinis, radios nocte non persentiri, etiam si cum illis supra finitorem Saturnus et Iuppiter nos irradient. 16. Mars longe magis corpore decrescit, quam situ propinquat, nam proportionem habet ad terram sexqualtera paulo maiorem, ut unus Sol centum fere Martes includat; est enim Sol terra maior centies sexagesies sexies. 17. Proinde cur absurdissima dixerit, qui sensu testante vires Solis in corpora fassus credat fieri posse, ut vires ad haec Martii sideris non pertingant, tanto illo minoris et remotioris item a terra? Credat idem de stella Veneris remotiore forsitan etiam a nobis, quam sit Sol, certe longe minore, quam sit ipsa etiam terra, cuius nec pars trigesima esse putatur; nam Mercurius Luna minor, sicut a nobis quoque distantior. Quare quid mirum, quod hic quoque tam parum sentiatur, quam raro quoque conspicitur, cui tamen astrologi tribuere plurimum solent?

Font.: 2 illis minora ] cf. Alfrag. aggreg. 22 3–4 maximae – continere ] cf. Alfrag. aggreg. 22; Rog. Bac. op. mai. pp. I 235–236 B 4 Iuppiter – quinquies ] cf. Alfrag. aggreg. 22; Rog. Bac. op. mai. p. I 235 B Saturnus – semel ] cf. Alfrag. aggreg. 22; Rog. Bac. op. mai. p. I 235 B 5–7 videmus – persentiri ] cf. Macr. somn. 1,17,16 8–9 Mars – maiorem ] cf. Alfrag. aggreg. 22; Thab. de hiis 42 p. 136 C; Rog. Bac. op. mai. p. I 235 B 10 Sol – sexies ] cf. Alfrag. aggreg. 22; Thab. de hiis 41 p. 136 C; Rog. Bac. op. mai. p. I 234 B App. crit.: 7 Tit. haerentium corr. BP : horrentium ω 9 sexqualtera αβ : sesquialtera O : sexquialtera Garin 15 trigesima scripsi coll. Alfrag. aggreg. 22; Rog. Bac. op. mai. p. I 234 B : vigesima Ω nam] expectes item

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kann. Vielleicht aber wird selbst bei den größten Lichtern der achten Sphäre ihre Entfernung selbst ein Hinderungsgrund sein; diese wird auch bei den Gestirnen von Saturn und Jupiter hinderlich sein, die zwar näher an der Erde liegen, aber auch kleiner sind als jene. 15. Man sagt nämlich, dass die Fixsterne des größten Grades die Masse der Erde um ein 107-faches beinhalten, Jupiter hingegen um ein 95-faches, Saturn aber nur um das 91-fache. Dennoch sind diese Angaben nicht vollkommen exakt, und wenn wir der Empirie folgen, erkennen wir, dass man die Strahlen jener Fixsterne, obschon diese von so enormer Größe sind, nachts nicht spürt, selbst dann nicht, wenn Saturn und Jupiter zusammen mit ihnen über dem Horizont stehen und uns anstrahlen. 16. Mars nimmt an Größe bei weitem mehr ab, als er uns seine Position betreffend näher kommt, denn er hat ein Größenverhältnis zur Erde, das ein wenig größer ist als 2:3, sodass eine Sonne beinahe 100-mal den Mars beinhalten könnte; denn die Sonne ist 166-mal so groß wie die Erde. 17. Warum sollte also jemand vollkommen abwegige Behauptungen aufstellen, der nach dem Zugeständnis, dass die Kräfte der Sonne auf die Körper wirken (so bezeugt es auch die Wahrnehmung) glaubt, dass es nicht möglich sei, dass die Kräfte des Mars zu jenen Körpern gelangen, da er um ein vielfaches kleiner ist als die Sonne und ebenso weiter von der Erde entfernt ist als sie? Dasselbe kann man vom Stern der Venus glauben, die vielleicht noch weiter von uns entfernt ist als die Sonne, und die sicher bei weitem kleiner ist als die Erde selbst, von deren Größe sie nicht einmal ein Dreißigstel einnimmt;163 denn Merkur ist kleiner als der Mond und auch weiter von uns entfernt. Weshalb nimmt es dann Wunder, dass auch er so wenig gefühlt wird und auch so selten gesehen wird, dem doch die Astrologen sehr viel Wirkung zuweisen?

163 Vgl. die Beschreibung der Größe der Venus bei al-Farġānī (aggreg. 22): Corpus quidem Mercurii est una pars de 22 milibus partibus fere corporis terrae. Et Veneris est 37 pars terrae. Ihm folgt mit leichter Abweichung Roger Bacon (op. mai. p. I 234 B): corpus Mercurii est una pars de 22 millibus partibus Terrae, et Venus est 39 pars Terrae secundum Alfraganum. Thabit ben Qurra, ein arabischer Mathematiker und Astronom des 9. Jahrhunderts, bezeichnet die Größe der Venus ebenfalls als ein 37stel der Erde (Thab. de hiis 42 p. 137 C).

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482 Confirmatio huius opinionis per Aristotelem Aristotilis

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Opinio Pici

Coloratur aptissime sententia quae supra afferebatur

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18. Sed et ita putantibus astipulari videtur Aristoteles, qui quidem, cum de motu agit, omnium meminit, ut in libro De caelo, et supremi maxime motus, ut in postremo Physicae auscultationis, quoniam scilicet moventur ab his motibus omnia corpora. 19. Cum vero de calore illo vivifico fovente rerum generationes perficienteque loquitur, aut tantum Solis, ut cum a Sole et homine generari hominem dixit, aut Solis et Lunae, ut in libris De animalium genera | tione, facit mentionem, ut, si quis hanc Aristotelis opinionem fuisse contendat, nullis possit eius philosophiae dictis refutari. 20. Nos non tam illud quam hoc asseveramus, quicquid deorsum pervenit a sideribus aliis, id pertenue, perexiguum esse, ut si forte siderum luminibus nocturnis aer nonnihil mitescat, quo fiat generationi accomodatior. 21. Quamquam si quis generationem omnem uni Soli referat acceptam, possit ita decernere, ut, quod lumine suo per diem Sol operatur, operetur et nocte per id lumen ad Lunam quasi speculum repercussum, unde reflectatur ad terram, natura vices has sapientissime disponente, quoniam ferre iugiter Solis radios imbecillitas terrena non possit; quare nocte per Lunam illos excipiat fractiores, imbecilliores proptereaque suae infirmitati magis accommodatos, ut nec plane deserantur luce vegetali,nec sub illius iterum plenitudinem quasi fatiscant. 22. Quo pacto etiam salutarius ad nos primo vere Sol redit, postquam tota hieme procul fuit, quam si prope nos semper assiduus habitasset; quin adeo premitur bono caeli, si nimium sit, nostra fragilitas, ut nec Luna ipsa †se tota† solares

Font.: 2 De caelo ] cf. Arist. cael. 2,12 291b 35–292a 3 6 a Sole – hominem ] Arist. phys. 2,2 194b 13; cf. Rog. Bac. op. mai. p. I 281 B; p. 1,380 B; Thom. Aq. summ.1 quaest.91, art.2; summ.1 quaest.115, art.3 7 Solis – generatione ] cf. Arist. gen. animal. 4,10 777b 18–29 15 quasi speculum ] cf. Macr. somn. 1,19,12

App. crit.: 3 Physicae FOGarin : philosophicae αVW : phicae RC 16 ferre] fere GF 20 salutarius] fort. scribendum salutarior redit COGarin : reddit αVWRF 22 se tota] locus deperditus; fortasse delendum se

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18. Doch auch denjenigen, die dieser Meinung sind, scheint Aristoteles beizupflichten, der ja, wenn er von der Bewegung spricht, alle Planeten erwähnt, wie in der Schrift »Über den Himmel« (De caelo), und insbesondere die äußerste Bewegung, wie im letzten Buch seiner »Physik«, da ja alle Körper von diesen bewegten Himmelskörpern in Bewegung versetzt werden. 19. Wenn er aber von jener lebensspendenden Hitze spricht, die das Entstehen der Dinge fördert und vollendet, erwähnt er entweder nur die Sonne, wie in seiner Aussage, dass der Mensch von der Sonne und vom Menschen erzeugt werde, oder Sonne und Mond, wie in seiner Abhandlung »Von der Entstehung der Tiere«, sodass jemand, der behauptet, dies sei die Meinung des Aristoteles gewesen, nicht mit den philosophischen Aussagen des Aristoteles widerlegt werden könnte. 20. Wir wollen aber nicht so sehr dies behaupten, als vielmehr dass alles, was von oben herab von den anderen Sternen zu uns gelangt, äußerst dünn und klein sei, wie wenn die Luft zufällig durch nächtliche Himmelslichter ein wenig milder wird und daher der Erzeugung umso angepasster ist. 21. Wenn indessen jemand die gesamte Erzeugung als von der Sonne empfangen versteht, könnte er zu dem Schluss kommen, dass die Sonne das, was sie tagsüber durch ihr Licht bewirkt, auch nachts durch dieses Licht, welches zum Mond wie zu einem Spiegel zurückgeworfen wird und von dort zur Erde geworfen wird, bewirkt, wobei die Natur die Rollen hierbei äußerst klug vergeben hat, da die irdische Schwäche die Sonnenstrahlen nicht ununterbrochen ertragen könnte; daher nimmt sie sie nachts durch den Mond auf, wenn sie gebrochener und kraftloser sind und somit der irdischen Schwachheit in höherem Maße angepasst, sodass sie weder vollkommen des belebenden Lichtes entbehren noch unter dessen erneuter Fülle sozusagen erschöpft werden. 22. Auf diese Weise kehrt die Sonne sogar noch heilsamer im Frühling zu uns zurück nach ihrer Abwesenheit über den gesamten Winter, als wenn sie beständig immer in unserer Nähe ihr Quartier gehabt hätte; ja unsere Zerbrechlichkeit wird so sehr von diesem Gut des Himmels, wenn es im Übermaß vorhanden ist, un-

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semper radios nobis refundat, sed nunc parcius, nunc uberius, pro suis ad Solem schematismis, quos ad eam utilitatem divina cura sic ordinavit, quando nec propria luce ob eam causam proximum nobis sidus implevit. 23. Si igitur totam naturam circumspicias, nullum videbis ab ea indicium dari foveri a se res inferiores alio calore quam Solis; quod sicut pertinaciter non defendimus et in consortium huius officii stellas, multis hoc philosophis opinantibus, admittere non recusamus, ita coarguimus astrologos putantes in aliqua genitura, si pertinent ad stellas hominum geniturae, principatum interdum deberi planetis aliis posthabito Sole vel Luna, sive diurna sive nocturna fuerit genitura, sicut ipsum quoque Solem opprimi radiis aliorum et male affici posse putant, ut quasi unus e numero in ordinem plane redigatur. 24. Verum de his postea; nunc tantum admonemus magis ab evidentia sensuque redargui qui plurimum posse stellas alias a Sole credunt in permutandis inferioribus, quam qui fere nihil eas posse contendunt, totam hanc sicut illustrationem, ita vegetationem inferioris mundi Phoebeae lampadi tribuentes, unde nobis per noctem lucerna quoque lunaris accenditur.

Font.: 2 ad – ordinavit ] cf. Ps.-Albert. specul. 3 p. 220 Z 3,637 App. crit.: 1 semper om. Garin 14 posse αOGarin : post β

15 Phoebeae lampadi ] cf. Verg. Aen.

12–13 sensuque BCorr G : sensumque Bβ : sensuum OGarin

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ter Druck gesetzt, dass selbst der Mond nicht immer alle Sonnenstrahlen zu uns zurücksendet, sondern bald sparsamer, bald großzügiger, je nach seinen Konstellationen zur Sonne, die die göttliche Sorge zu jenem Zweck so angeordnet hat, weil sie aus jenem Grunde jenes uns am nächsten liegende Gestirn nicht mit eigenem Licht erfüllt hat. 23. Wenn man also die gesamte Natur betrachtet, wird man erkennen, dass von ihr kein Hinweis dafür gegeben wird, dass die Dinge der unteren Welt von ihr von einer anderen Hitze als der Sonnenhitze gewärmt werden. Obwohl wir diese Tatsache zwar nicht hartnäckig verteidigen und uns nicht weigern zuzugeben, was auch viele Philosophen glauben, dass auch die Sterne beim Erfüllen dieser Aufgabe mitwirken, widerlegen wir aber dennoch die Astrologen in ihrer Ansicht, dass bei einer beliebigen Geburt, wenn die Geburten der Menschen auf die Sterne zurückgeführt werden können, die Vorherrschaft bisweilen anderen Planeten, Sonne und Mond hintangestellt, gebühre, sei es eine Tag- oder eine Nachtgeburt, wie sie auch der Meinung sind, die Sonne selbst könne von den Strahlen der anderen unterdrückt und schlecht beeinflusst werden, sodass ihr sozusagen als einer unter vielen ihr Platz in der Reihe zugewiesen wird. 24. Doch dazu später; jetzt wollen wir nur daran erinnern, dass diejenigen, die der Ansicht sind, andere Sterne erhielten größten Einfluss auf Änderungen der unteren Welt von der Sonne, mehr von der offensichtlichen sinnlichen Erfahrung widerlegt werden als diejenigen, die behaupten, dass sie beinahe keinen Einfluss hätten, und sowohl die Erleuchtung der hiesigen Sphäre als auch die Belebtheit dieser unteren Welt in Gänze der Fackel des Phöbus zuweisen, von der für uns nachts auch die Leuchte des Mondes entzündet wird.

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Caput XI – Quo pacto stellae eadem alias aliter in nos agere possint.

Paulus Apostolus

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1. Verum demus astrologis et nobis quoque non id magnopere pernegantibus defluere a stellis omnibus aliquid in nos; restat examinandum, quod illorum obiectio postulabat, an idem eadem semper, an idem quoque diversae largiantur, ut, si non idem, videamus, an ex illa diversitate varientur quoque inferiores effectus. 2. Proprias esse vires unicuique stellae praeter motum et lumen in quarta ratione probant ex caeli nobilitate viribusque corporum quorundam, quae a caelo esse putantur; has itaque ibi dissolvemus. Hic tantum pro ratione ipsam stellarum afferunt diversitatem, ut, cum stella differat a stella sintque omnibus lux motusque communes, habeant necessario praeter haec propria quaedam, quibus invicem differant. 3. Sed Paulus dixit: »Stella differt a stella claritate.« 4. Quid igitur, si, quemadmodum, cum sit omnibus circularis motus communis, ita differunt motu, ut haec velocius, illa tardius movea[n]tur (quamquam nec hoc ipsum concedatur ab omnibus), pariter sit de luce, ut scilicet luce conveniant, lucis conditionibus differant, dum compactior, copiosior, contra rarior vel tenuior lux unius sideris quam alterius? 5. Erit enim, qui credat plus a sphaera etiam sua stellam quam a stella stellam esse diversam; nec aliter tamen illa differunt quam ra | ritate densitateque; quodsi recipiatur, consequenter putabitur non aliter eorum actionem in nos variari,

Font.: 12 Paulus – claritate ] Vulg. I Cor. 15,41 App. crit.: 8 Hic] Hi O 14 moveatur scripsi (sed vide infra) : moveantur αVWFO : moveant RC 17 quam] sit quam OGarin 19 illa] expectes illae

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Kapitel 11 – Wie die Sterne zu verschiedenen Zeitpunkten auf unterschiedliche Weise dieselbe Wirkung auf uns ausüben können. 1. Wir wollen es den Astrologen aber zugestehen, und das ohne uns sehr dagegen zu sträuben, dass von allen Sternen etwas zu uns herabfließt; zu untersuchen bleibt noch das, was ihr Einwurf forderte, ob ein und derselbe Stern immer dieselbe Wirkung ausübt oder ob auch unterschiedliche Sterne dasselbe spenden, sodass wir, wenn es sich nicht um dasselbe handelt, sehen können, ob auch die Wirkungen der unteren Welt sich gemäß jener Verschiedenheit unterscheiden. 2. Dass jeder Stern seine eigenen Kräfte hat neben Bewegung und Licht, belegen sie im vierten Argument anhand des hohen Rangs des Himmels und der Kräfte gewisser Körper, die vom Himmel kommen sollen; sie werden wir daher auch an dieser Stelle entkräften. Hier führen sie lediglich die Unterschiedlichkeit der Sterne als Argument an, sodass sie, wenn sich ein Stern von einem anderen Stern unterscheidet und allen Licht und Bewegung gemeinsam sind, notwendigerweise davon abgesehen auch gewisse Eigenschaften haben müssen, hinsichtlich derer sie sich untereinander unterscheiden. 3. Paulus aber sagte: »Ein Stern unterscheidet sich von einem Stern hinsichtlich der Helligkeit.« 4. Was also, wenn sich die Gestirne ebenso, wie sie sich, obwohl ihnen allen eine Kreisbewegung zu eigen ist, hinsichtlich ihrer Bewegung derart unterscheiden, dass sich der eine schneller bewegt, der anderee langsamer (obschon nicht einmal das von allen zugegeben wird), hinsichtlich ihres Lichtes unterscheiden, dass sie nämlich das Licht gemeinsam haben, sich jedoch hinsichtlich der Eigenschaften des Lichtes unterscheiden, wenn das Licht dichter und reichlicher vorhanden ist bei einem Gestirn, hingegen in geringerem Maße und dünner bei dem anderen? 5. Es wird sicherlich jemanden geben, der glaubt, ein Stern unterscheide sich sogar in höherem Grad von seiner eigenen Sphäre, als ein Stern von einem anderen; und dennoch unterscheiden sich jene in nichts anderem als hinsichtlich des

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quam ut, quae densiora, maiora, propinquiora, plus ea lucis, plus caloris effundant, minus quae rariora, minora, remotiora; denique idem esse spiramen ab omnibus calidae lucis lucidique caloris, unde salus, vita fomentumque corporibus, tantumque differre, quod ab aliis tenuius, ab aliis exuberantius, ab his cominus et ab illis eminus inspiratur. 6. Ceterum de eadem stella quid decernemus pro sui motus perpetua volubilitate? Porro sententia Peripatheticorum est stellas non mutare qualitatem, sed locum, praeter Lunam, quae lumine fulgens mutuatic[i]o pro suis ad Solem conversionibus plus minus identidem illuminatur. Quare pro versura, quam fecerit a Sole, lumen nobis uberius parciusque refundet et cum lumine suo calorem; sic destituit fere nos in novilunio parte, qua nos respicit, destituta lucibus, fovet amplius et calefacit in plenilunio, sicut adolescens magis, minus decrescens. 7. Quae varietas in sideribus esse non potest luce stabili propriaque fulgentibus. Propterea mutationum fere omnium, quae frequentius accidunt corporibus, si qua caelitus causa, solet esse de Luna, quia mutabilis ipsa non modo situ, sed qualitate proxime nos contingit. 8. Aliis planetis sola per motum locorum mutatio fit, unde varietas influendi non alia, quam ut intentius remissiusque nos afficiant, quatenus huc illuc migrantes fiunt nobis propinquiores et remotiores. Duplex autem illis motus: universalis et proprius. Vehit ad nos illa quotidie motus universalis supra terram extollens

Font.: 8 lumine – mutuatico ] cf. Plin. 2,45 App. crit.: 8 mutuatico scripsi coll. Gell. 20,1,41 : mutuatitio Ω : mutatitio Garin BCorr GOβ : calore B 20 illa αβ : illas O : illos Garin (fort. recte?)

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Verdünnt- und Verdichtetseins. Bei der Aufnahme wird man hingegen folgerichtig davon ausgehen, dass ihre Wirkungen auf uns sich nicht anders unterscheiden, als dass diejenigen, die dichter sind, größer und näher an uns, mehr Licht und Hitze aussenden, diejenigen, die dünner, kleiner und entfernter sind, hingegen weniger; des Weiteren auch, dass derselbe Hauch heißen Lichts und leuchtender Hitze von allen komme, woraus sich Gesundheit, Leben und Erwärmung der Körper ergibt, und dass der Unterschied lediglich darin liege, dass er von den einen in geringerem Maße, von den anderen im Übermaß, von den einen aus der Nähe, von den anderen aber aus der Ferne eingehaucht werde. 6. Was können wir im Übrigen über ein und dasselbe Gestirn für Feststellungen treffen angesichts der ewigen Unbeständigkeit seiner Bewegung? Es ist ja auch die Ansicht der Aristoteliker, dass die Sterne nicht ihre Eigenschaft (qualitas) ändern, sondern nur ihren Ort (locus), abgesehen vom Mond, der in geliehenem Licht erstrahlt und unaufhörlich in höherem oder geringerem Maße je nach Ausrichtung zur Sonne beleuchtet wird. Je nach Neigungswinkel zur Sonne sendet er daher das Sonnenlicht in höherem oder geringeren Maße zu uns zurück und zusammen mit seinem Licht auch die Hitze; so verlässt er uns beinahe bei Neumond, wenn der Teil von ihm, mit dem er auf uns herabblickt, vom Licht verlassen ist, wärmt aber weithin und erhitzt bei Vollmond, wie er auch mehr als zunehmender, weniger als abnehmender Mond erhitzt. 7. Diese Verschiedenheit kann bei den Sternen nicht herrschen, die in beständigem und eigenem Licht erstrahlen. Außerdem stammt gewöhnlich für beinahe alle Veränderungen, die bei den Körpern in recht hoher Zahl geschehen, die Ursache, wenn sie schon vom Himmel kommt, vom Mond, da er, selbst veränderlich nicht nur hinsichtlich seiner Position, sondern auch seiner Qualität, uns aus nächster Nähe berührt. 8. Bei den anderen Planeten geschieht die Veränderung des Ortes lediglich durch Bewegung, weswegen die verschiedenen Einflüsse nicht anders geschehen, als dadurch, dass sie in gesteigerter oder in nachlassender Weise auf uns einwirken, insofern als sie hier- und dorthin wandeln und uns so näher und ferner kom-

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An stellae sub terram mersae in nos aliquid possint Avicenna Albertus

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eripitque quotidie ducens sub occasum; unde primum diversitas agendi, quod de fastigio fortissimos radios eiaculantur, quia rectiores cadunt ad perpendiculum, quare, quanto magis culmini proximant, tanto potentius nos afficiunt, quanto magis inde descendunt, imbecillius; sub terram mersi possint in nos aliquid necne, discutiendum. 9. Nam, cum prope finitorem nondum plane nobis eripiuntur, possunt aliquid certe, licet perexiguum, radiis adhuc ad nos ex obliquo pervenientibus. Ceterum, cum terrae latebris penitus latent et a nobis longius auferuntur, si nihil posse credidero, sensus suffragabitur ratione non repugnante, siquidem credi qui potest aliter, si verum, quod hactenus defendebamus, nihil ad nos a caelo nisi luce vehente pervenire, quod Avicenna quoque dixit in Libris meteorologicis lumen vocans vehiculum virtutum omnium caelestium et Albertus in Libro de somno vigiliaque confirmavit. 10. Quocirca, sicut lumen ad nos tunc non pertingit, ita nec ulla virtus utique pertinget. Solum Solem adesse nobis et nocte dicemus eam ob causam, quod sororem vicariam faciens per impressum illi splendorem nobis affulget. Nisi forsitan illud quoque dici possit: cum sit aer iste superior inferiori continuus, de Solis ibi praesentia nonnihil istum quoque aerem sic foveri, ut futurus frigidior sit, si nul-

Font.: 11–12 Avicenna – caelestium ] cf. Avic. metaph. 9,5; cael. mun. 14; Thom. Aq. sent. lib.2, dist.13, quaest.1, art.3 12–13 Albertus – confirmavit ] cf. Albert. somn. vig. 1,1,7 pp. 131–132 B Sim.: 10–12 nihil – caelestium ] cf. disp. 7,7; heptap. 2,4 p. 238 G App. crit.: 6 eripiuntur] eripiantur O 7 perexiguum OGarin : per exiguum αβ pervenientibus] pervenienribus B (-ient- ex corr. BB BF BEC ) 9 qui] quis Garin 15 adesse BP OGarin : ad esse αβ

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men. Ihre Bewegung aber ist eine zweifache: eine allgemeine und eine eigene Bewegung. Die allgemeine Bewegung bringt sie täglich zu uns, indem sie sie über die Erde erhebt, und entführt sie uns täglich, indem sie sie im Westen untergehen lässt. Daher ergeben sich zunächst die unterschiedlichen Wirkungen, weil sie die stärksten Strahlen vom höchsten Punkt herabwerfen auf Grund des zunehmend lotrechten Fallens, weshalb sie auf uns umso wirksamer einwirken, je mehr sie sich dem Gipfelpunkt nähern, umso schwächer hingegen, je weiter sie von dort herabsteigen. Ob sie unter die Erde herabgesunken auf uns wirken können oder nicht, bleibt zu untersuchen. 9. Wenn sie nämlich nahe dem Horizont uns noch nicht ganz entführt werden, können sie gewiss noch auf uns Wirkung ausüben, wenn auch eine äußerst geringe, da ihre Strahlen uns immer noch schräg einfallend erreichen. Wenn ich schließlich der Meinung wäre, dass sie, wenn sie vollkommen im Schatten der Erde verborgen sind und weiter von uns forteilen, keine Wirkung mehr auf uns ausüben, wird mir die sinnliche Wahrnehmung zu Hilfe eilen und auch die Vernunft sich nicht widersetzen – denn wie könnte man anderer Ansicht sein, zumal wenn das wahr ist, was wir bisher verteidigt haben, dass nichts vom Himmel zu uns gelangt, was nicht vom Licht getragen wird, was auch Ibn Sīnā in seinen »Schriften zur Meteorologie«164 formulierte,165 wenn er das Licht als Fortbewegungsmittel aller himmlischen Kräfte bezeichnete, und Albert der Große dies in seiner Abhandlung »Über Schlafen und Wachsein« (De somno vigiliaque) bestätigte. 10. Wie daher das Licht zu dieser Zeit nicht zu uns gelangt, so kann freilich auch keine Kraft zu uns gelangen. Wir wollen aber behaupten, dass lediglich die Sonne uns auch nachts beistehe, und zwar aus dem Grund, dass sie ihren Bruder zum Stellvertreter macht und uns mittels des ihm aufgedrückten Glanzes erleuchtet. Vielleicht kann man sogar Folgendes behaupten: Da jene weiter oben befindli-

164 Die genaue Quelle ist unklar. Anscheinend ist damit die Ibn Sīnā zugeschriebene Schrift De caelo et mundo gemeint, in deren 14. Kapitel der Autor die Bedeutung des Lichtes für die Einflüsse auf die sublunare Sphäre beschreibt. 165 Vgl. hierzu die Darstellung Picos im Heptaplus (heptap. 4,1 p.272 Garin): Accedit quod, quemadmodum omnis caelorum virtus (ut scribit Avicenna) vehiculo lucis ad terram transfertur.

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lus omnino Sol nullam aeris partem illuminet; sed hoc ipsum, si quicquam est, quam sit fere nihil, oculi tactusque renuntiabunt. 11. Astrologi, si quas sibi somniavere virtutes, quibus tota terrae moles nihil obstat, saltem nec in somno sic delirent, ut non concedant has virtutes imprimi nobis purius et efficacius, cum per aerem tantum ambientem nos effunduntur, quam cum brutae terrae densissima crassitudo tota illis est perforanda. Quod quando non concedunt, quis eos defenderet ab insania? Putant enim siderum vires duodecimo loco, qui supra finitorem proximus orienti sese tollens una tantum mansione distat a summo, torpidas et cessatrices et imbecillas, easdem in imo terrae vigoris et efficaciae plurimum habere. Sed eorum errores postea; nunc tantum, quid decerni debeat ex ratione, tractamus. 12. Diximus de motu uni | versali. 13. Motu proprio planetae nunc ad austrum feruntur, nunc ad aquilonem, quod et facere stellae creduntur haerentes iuniorum sententia; facit idem Sol, non quod ab occupata semel orbita deflectat, sed quod illa obliqua nunc proximum eum nobis, nunc remotiorem reddit: proximum in aquilone, remotum in meridie.

Sim.: 7–10 Putant – habere ] cf. Bellant. resp. disp. 3,11 fol. v App. crit.: 2 tactusque αO : tractusque VWRC : tractatusque F 5 nos αβ : in nos OGarin 10 errores] errores ostendemus O 13 feruntur] ferentur Garin 14 sententia OGarin : sententiae αβ (pro dat. auct. habendum?)

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che Luft unmittelbar mit der unteren in Zusammenhang steht, werde durch die Anwesenheit der Sonne auch jene Luftschicht derart erwärmt, dass sie zukünftig kälter sein würde, wenn überhaupt keine Sonne mehr irgendeinen Teil der Luft erleuchtet; doch, wenn es sich hierbei um eine Tatsache handelt, dann werden die Augen und der Tastsinn kundgeben, wie sehr es beinahe nichts ist. 11. Wenn die Astrologen sich aber im Traum irgendwelche Kräfte ausgedacht haben, denen die gesamte Masse der Erde nicht im Weg stehen kann, können sie doch zumindest auch in ihrem Schlaf nicht dermaßen verrückt sein, dass sie nicht zugestehen wollen, dass sich diese Kräfte uns in reinerer und wirksamer Form einprägen, wenn sie sich lediglich durch die uns umgebende Luft ausbreiten können, als wenn sie die gesamte dichte Materie der plumpen Erde durchbohren müssen. Wenn sie das nicht zugeben wollen, wer würde sie gegen den Vorwurf des Irrsinns verteidigen? Sie sind nämlich der Meinung, dass die Kräfte der Himmelskörper am zwölften Ort (duodecimus locus), der sich über dem Horizont als direkter Nachbar des Aufgangspunktes erhebt, nur durch ein Haus vom höchsten Punkt entfernt, starr, zögerlich und schwach seien, an der unteren Himmelsmitte tief unter der Erde hingegen größte Kraft und Wirkung hätten.166 Doch zu ihren Irrtümern später; an dieser Stelle handeln wir nur das ab, was auf Grund der Argumentation besprochen werden muss. 12. Die allgemeine Bewegung haben wir abgehandelt. 13. Aufgrund ihrer eigenen Bewegung eilen die Planeten bald Richtung Süden, bald Richtung Norden, was nach Meinung der Jüngeren auch bei den Fixsternen der Fall sein soll;167 dasselbe tut auch die Sonne, nicht weil sie von ihrer einmal beanspruchten Kreisbahn abweicht, sondern weil jene schiefe Bahn sie uns einmal näher bringt, ein anderes mal weiter entfernt: Am nächsten ist sie im Norden, weit entfernt im Süden.168

166 Als ›Orte‹ (loci) werden jene zwölf Segmente bezeichnet, die »jenes sphärische Koordinatensystem, das als ein imaginäres festes Raster das Gesichtsfeld des nach Süden blickenden Beobachters« (Heilen 2015: S. 689) einteilt, welches die Planeten vor dem Hintergrund der Tierkreiszeichen auf ihrem (scheinbaren) Weg um die Erde täglich durchlaufen; vgl. die ausführliche Darstellung bei Heilen (2015: S. 689–702). Zur unterschiedlichen Reihenfolge dieser Orte ihrer astrologischen Wirksamkeit nach vgl. u.a. Firm. math. 2,15–20, dem Pico zu folgen scheint, sowie ausführlich Heilen (2015: S. 792–798): Während das unter der Erde gelegene Imum Medium Caelum als einer der wichtigsten Orte gilt, ist der 12. Ort (Malus daemon) der Ort mit dem wenigsten Einfluss. 167 Gemeint ist wohl die Schwankung der Ekliptikschiefe, die im Laufe der Zeit abnimmt; vgl. hierzu Heilen (2008: S. 152). 168 Gemeint ist die Schiefe der Ekliptik, auf welcher die Sonne die Erde scheinbar umrundet, was durch den unterschiedlichen Einfallwinkel die Jahreszeiten auf der Erde hervorruft.

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An Luna recipiat radios aliorum planetarum sicut Solis

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14. Unde alia nascitur varietas influendi, siquidem maior efficacia radiis inclinantibus ad nos, minor secedentibus versus austrum. Praeter haec aut similia his quaecumque cogitatur in actione stellarum diversitas, vana prorsus et irrationabilis, qualis apud astrologos, quod eandem stellam pro locis duodecim, pro signis, quae praetercurrit, pro stellis vel haerentibus vel errantibus, quibus certa ratione copulatur intervallis, quos aspectus vocant, affici aliter atque aliter putant et diversissimas ad influendum vires adipisci; contra quem errorem totus se liber sextus accinget. 15. Hic tantum per initia capitis huius auctoritatem illis Peripateticorum obiciemus negantium in stellis mutationem aliam quam situs, praeterquam in Luna; nam si mutationem dumtaxat corruptricem et nocentem excludunt, non oportuit Lunam excludi, quando nec ipsa sic mutatur a Sole, quamquam nec a noxiis, ut videbimus, astrologi mutationibus sidera liberant labefactantibus etsi non substantiam, vires tamen eorum et facultates; sed haec postea. 16. Illud ambigat quis de Luna, recipiat ne planetarum aliorum radios sicut Solis? Apparet enim probabile, propterea quod sua natura susceptaculum potius incidentis lucis quam lucida, sed et omnium infima, videatur ad hoc munus potissimum esse parata. Verum nec maiorum auctoritas nec ipse sensus accedit, siquidem coeunte Luna cum Sole, si tunc Iovis aut Martis radiis opponatur, unde reddere nobis illorum lumen plenius debet, nihil tamen habere radiorum et lucis agnoscitur.

App. crit.: 1 siquidem] si quidam O 3 cogitatur OGarin : cogitantur αβ 7 errorem] errore WRC 9–10 obiciemus] fort. scribendum obiecimus 15 Tit. An…] n…B (lit. -A- om.) 17 munus OGarin : minus αβ 19 coeunte] coheunte B

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14. Daraus erwachsen unterschiedliche andere Einflüsse, zumal ihre Wirksamkeit größer ist bei den Strahlen der uns zugeneigten Sonne, kleiner hingegen, wenn sie sich Richtung Süden entfernt. Was man sich abgesehen davon oder von ähnlichen Darstellungen über die Unterschiedlichkeit der Wirkungen der Sterne ausdenkt, ist gänzlich nichtig und läuft der Vernunft zuwider, wie bei den Astrologen, die der Meinung sind, dass ein und derselbe Himmelskörper entsprechend den zwölf Orten, entsprechend den Zeichen, an denen er vorbeizieht, entsprechend den Fix- oder Wandelsternen, mit denen er in bestimmten festgelegten Verhältnissen, die sie Aspekte nennen, in Verbindung steht, jeweils auf andere Weise beeinflusst werde und jeweils vollkommen unterschiedliche Einflusskräfte erhalte; gegen diese Irrmeinung wird sich unser gesamtes sechstes Buch wappnen. 15. An dieser Stelle wollen wir ihnen lediglich zu Beginn dieses Kapitels die Autorität der Aristoteliker entgegenhalten, die der Ansicht sind, es gebe bei den Sternen keine andere Änderung als die Position, abgesehen vom Mond; denn schlössen sie wenigstens die Veränderung durch Vergehen und durch Schaden aus, hätte der Mond nicht ausgeschlossen werden müssen, da selbst er von der Sonne nicht derart verändert wird, obwohl die Astrologen, wie wir noch sehen werden, die Himmelskörper auch nicht von schädlichen Veränderungen freisprechen, die, wenn auch nicht ihre Substanz, so immerhin ihre Wirkungen und Kräfte zum Wanken bringen können; doch dazu später mehr. 16. Könnte irgendjemand daran zweifeln, dass der Mond die Strahlen der anderen Planeten ebenso wie die Sonnenstrahlen aufnimmt? Denn dies scheint nur wahrscheinlich, weil er, da er auf Grund seiner natürlichen Beschaffenheit eher ein Empfänger einfallenden Lichtes ist als selbst leuchtend, aber auch der unterste von allen Planeten ist, für diese Aufgabe in höchstem Maße geeignet zu sein scheint. Aber weder die Autorität der Vorfahren noch die sinnliche Wahrnehmung selbst schließt sich dem an, insbesondere, da man vom Mond nicht erkennen kann, dass er bei einer Konjunktion von Sonne und Mond, wenn er dann den Strahlen von Jupiter oder Mars gegenübersteht, weshalb er uns deren Licht in vollerem Umfang weitergeben müsste, überhaupt über Strahlen oder Licht verfügt.

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Coniunctionem Lunae cum sideribus infortunatam potius quam fortunatam esse

An ex mixtione radiorum nova vis coalescat

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17. Tetigimus hanc quaestionem, quoniam, si de ceteris quoque lumen hauriret, fierent erga nos planetae efficaciores hac etiam ratione, quod Lunae copularentur, transmissa per eam ad nos virtute, quae per se minus forsitan huc attingeret. Verum si fieret hoc, fieret aliter omnino, quam astrologi putant; putant enim eius maxime sideris ad nos radios Lunam traicere, cum quo simul invenitur; ego vero, quanto longius a sidere Luna digreditur, tanto plus luminis sideris eius communicari nobis per eam non dubito, tanto minus, quanto minus distant, minimum, aut certe nihil, cum nihil distant. 18. Moveor evidenti experientia, quod iuncta Soli nec Solis radios ad nos transmittit mole corporis eius maxime negotium facessente; quanto minus igitur radios aliorum et solaribus longe tenuiores et remotiores a Luna! Vide, quantum fallantur qui fortunatam diem et genituram credunt, qua Luna cum beneficis stellis congrediatur, infortunatam, qua cum malis, cum non aliud sit illis congredi Lunam, quam illorum influxus per densitudinem Lunae nobis intercipi. 19. Forsitan autem et illud habet rationem, ut in permutandis inferioribus habeat nonnihil praerogativae planeta matutinus, propterea quod exoriens ante Solem sibi vendicet aerem priusquam a Sole totus occupetur; sed hoc, si quid est, haud magnum habere momentum potest. 20. Restat examinandum, an ex mixtura radiorum nova vis coalescat effectrix operis novi, quod singuli seorsum radii non efficerent. Plotinus negat hanc ra-

Font.: 496.20–498.2 Plotinus – dissultet ] cf. Plot. 2,3,1; Ficin. in enn. 2,3,1 p. I 406 W Sim.: 496.19–498.4 Restat – permutentur ] cf. Bellant. resp. disp. 3,11 fol. v App. crit.: 4 putant1 ] puta G (corr. Gc )

16 propterea quod OGarin : proptereaque αβ

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17. Wir haben diese Fragestellung berührt, da die übrigen Planeten, wenn der Mond deren Licht einsaugen würde, uns gegenüber aus dem Grunde größere Wirksamkeit hätten, dass sie mit dem Mond in Verbindung stünden, da durch seine Hilfe ihr Einfluss auf uns weitergeleitet würde, der nur durch sich vielleicht in geringerem Maße hierher gelangte. Würde dies aber geschehen, so würde es auf andere Weise geschehen, als die Astrologen glauben. Sie glauben nämlich, dass der Mond die Strahlen insbesondere des Sternes zu uns weiterleite, mit dem er sich zusammen befindet; ich hingegen habe keinen Zweifel, dass uns umso mehr Anteil an Licht eines jeweiligen Planeten durch den Mond gegeben wird, je weiter sich der Mond von einem Planeten entfernt, umso weniger hingegen, je weniger sie voneinander entfernt sind, sehr wenig oder sogar gar nichts, wenn sie keinen Abstand haben. 18. Dazu veranlasst werde ich durch die augenscheinliche Erfahrung, dass der Mond, wenn er mit der Sonne in Konjunktion steht, auch nicht deren Strahlen zu uns weiterleitet, da die enorme Masse ihres Körpers ihm in höchstem Maße zu schaffen macht; in wie viel geringerem Maße gilt dies erst für die Strahlen der anderen Planeten, die viel dünner sind als die Sonnenstrahlen und viel weiter vom Mond entfernt? Sieh nur, wie sehr sich diejenigen irren, die den Tag und die Geburt für vom Glück gesegnet halten, bei der der Mond mit den Planeten, die Wohltäter sind, in Konjunktion steht, für unglücklich hingegen, wenn er mit Übeltätern in Konjunktion steht, da die Tatsache, dass der Mond mit diesen zusammenkommt, nichts anderes bedeutet, als dass deren Einflüsse durch die dichte Masse seines Körpers von uns abgehalten werden. 19. Vielleicht aber gilt auch Folgendes, dass ein Planet in der Phase der morgendlichen Sichtbarkeit einigen Vorrang bei Veränderungen der Dinge der unteren Welt hat, da er, wenn er vor der Sonne sich erhebt, die Luft für sich in Anspruch nimmt, bevor die Sonne sie in Gänze für sich beanspruchen kann; doch auch dies kann, wenn es überhaupt gilt, keinen großen Einfluss ausüben. 20. Es bleibt noch zu untersuchen, ob aus der Mischung von Strahlen eine neue Kraft erwächst, die wiederum eine neue Tätigkeit bewirkt, welche die einzelnen

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diis accidere posse temperaturam, ut eorum coalitu nova virtus sive forma nova dissultet, puto, quoniam radii non corpora sicut liquores nec affixae corporibus qualitates, quarum more nec in corporibus suscipiuntur, ut scilicet vel inficiantur inde vel ex habitu suo quoquomodo permutentur. Quocirca verisimile fit isti philosopho non usu venire radiis, quod plurimis qualitatibus, ut ex aliqua concretione sive mixtura in aliam formam ex omnibus coalescentem aliquando commutentur, praesertim cum hoc non sine interitu confluentium ad idem simplicium particulariumque qualitatum sole | at evenire; quem in radiis non facile quis cogitabit. 21. Quodsi demus astrologis radios commisceri vel calores a radiis profluentes, illud asseveramus: radios omnes misceri semper, non autem quasi esse asymbolos, qui aliis per eos, quos nunc vocant aspectus, minime foederentur. Quare mixtura praesentis horae, momenti, anni, mensis, diei non variat ab alterius temporis radiosa mixtione, praeterquam his de causis, quibus variari siderum actiones exposuimus, ut sit aliud scilicet noctis, aliud diei temperamentum, aliud recedentibus

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Strahlen voneinander getrennt nicht bewirken könnten. Plotin widerspricht der Ansicht, dass aus den Strahlen eine derartige Mischung entstehen könne, dass ihrer Vereinigung eine neue Kraft oder neue Form entspringen könnte – ich glaube, weil die Strahlen weder Körper sind wie z.B. Flüssigkeiten noch die den Körpern anhaftenden Qualitäten darstellen und auch nicht wie diese in den Körpern aufgenommen werden, und so nämlich entweder von dort verunreinigt werden oder von ihrem ursprünglichen Zustand (habitus) irgendwie abgewandelt werden. Daher ist es für jenen Philosophen wahrscheinlich, dass bei den Strahlen nicht notwendig eintritt, was bei den meisten Beschaffenheiten (qualitates) eintritt, nämlich dass sie in Folge irgendeiner Verdichtung oder Mischung irgendwann zu einer neuen Form verändert werden, die aus allen (einzelnen) zusammenwächst, zumal dies gewöhnlich nicht geschieht, ohne dass die einzelnen einfachen und individuellen Beschaffenheiten, die zu einem neuen Ganzen zusammenfließen, sich auflösen; dieses Auflösen wird man sich wohl bei Strahlen nicht leicht vorstellen können. 21. Wenn wir aber den Astrologen zugestehen, dass sich die Strahlen vermischen, oder aber die Hitze, die von den Strahlen ausfließt, so behaupten wir dennoch weiterhin standhaft Folgendes: Alle Strahlen mischen sich immer, aber nicht so, als ob sie keinen eigenen Beitrag zu leisten im Stande wären und sich mit anderen mittels dessen, was man heute ›Aspekte‹ nennt, keineswegs verbinden können. Daher unterscheidet sich die Mischung der derzeitigen Stunde, des Augenblicks,

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astris ad meridiem, aliud inclinantibus ad aquilonem, unde sola caloris exoritur intentio atque remissio.

Caput XII – Quae effectuum varietas in caeli redigi possit et quae non.

In mixtione radiorum est aliquid substantiale et aliquid accidentale

Substantialia in caelo

1. Cogitemus omnium radiorum mixtionem in aere; in ea est aliquid quasi dixeris substantiale, aliquid quasi accidentale; substantiale est esse unum lumen sive unum calorem ex omnibus caeli luminibus vel congregatum vel resultantem; et hoc quidem perpetuum et immutabile est. Sed quod hic quidem radius in eo nunc sit intentior, alius sit remissior, accidentale est mutaturque subinde pro caelestium corporum iugi mutatione. 2. Ratio distinctionis istius nostrae facile patet: etenim in caelo, quod scimus huius caloris esse principium, aliquod substantiale dici potest, sicut substantialia dicimus esse, quae substantiam rei consequuntur inseparabiliter: talia sunt immarcessibile corpus et primum omnium corporum, circularis figura, motus in orbem et cum suo calore lumen omnia vegetans et, si quidem proprias habent sidera potestates, sunt illae etiam vires siderum substantiales.

Font.: 12–13 immarcessibile corpus ] cf. Chrys. stat. 10,5 (PG 49,118) 13 primum omnium corporum ] cf. Macr. somn. 1,17,8 Sim.: 4–9 Cogitemus – mutatione ] cf. Bellant. resp. disp. 3,11 fol. v App. crit.: 8 sit1 αGarin : fit βO vites VRC : vices F

intentior] intensior C 10 istius] illius Garin 15 vires αWO :

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des Jahres, des Monats und des Tages nicht von der Strahlenmischung eines anderen Zeitpunktes, abgesehen von den Gründen, aus denen sich die Handlungen der Gestirne wie dargelegt verändern, nämlich dass es eine andere Mischung bei Tag gebe als bei Nacht, eine andere von den Gestirnen, die zum Süden herabsteigen, als von denen, die sich Richtung Norden neigen, woraus sich jene qualitative Steigerung (intensio) und Abnahme (remissio) der Hitze ergibt.

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Kapitel 12 – Welche unterschiedlichen Wirkungen auf den Himmel zurückgeführt werden können und welche nicht. 1. Denken wir nun über die Mischung aller Strahlen in der Luft nach; sie hat etwas sozusagen Substantielles, die Wesenheit Betreffendes (substantiale) an sich, und etwas Akzidentielles, nicht der Wesenheit Anhaftendes (accidentale) an sich; das Substantielle ist, dass es lediglich ein Licht gibt oder eine Hitze, die aus allen Himmelslichtern zusammengemischt ist oder ihnen allen entspringt; und dieses ist ewig und unveränderlich. Dass aber der eine Strahl in dieser Mischung von gesteigerter Qualität ist (intentior), ein anderer aber von verringerter (remissior), ist etwas Akzidentielles und verändert sich folglich entsprechend der beständigen Wandlung der Himmelskörper. 2. Der Grund dieser von uns getroffenen Unterscheidung ist leicht ersichtlich: Denn auch im Himmel, der, wie wir wissen, der Ursprung dieser Hitze ist, kann man etwas als substantiell bezeichnen, wie wir die Dinge als substantiell (substantialia) bezeichnen, die untrennbar aus der Substanz einer Sache sich ergeben: Dazu gehören der unvergängliche Körper und der erste aller Körper (primum corpus), die Kreisfigur sowie die Kreisbewegung und das Licht, das mit seiner Hitze zusammen alles belebt, und wenn die Gestirne denn weitere eigene Wirkungen haben, sind auch jene substantielle Kräfte der Himmelskörper.

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3. Est aliquid rursus in caelo et stellis sicut variabile, ita accidentale, ut in omnibus astris sola mutatio situs atque in Luna vicissitudo lucis. Quod igitur in mixtura est, radiorum substantialia caeli consequens dicimus substantiale, quod accidentalia accidentale; ut complecti quidem Saturniam potestatem et Ioviam et Solarem ceterasque similiter, substantialiter sit in ea, sed has habere intentiores vel remissiores illas pro radiorum varietate accidentaliter dicitur. 4. Adiutus igitur Sol ista virtute superiori, quae non est virtus utique mutabilis, alioquin semper non adesset agentibus omnia causis, ut adesse conspicitur, adiutus, inquam, ab ea generat hominem, quatenus homo est, et hunc hominem, quatenus hoc semine et ex hac materia generat; quare ad hanc effectus substantialem conditionem, sive naturam sive caracterem individuum spectes, indifferens quaelibet constellatio est. 5. Quod vero ex constellationis diversitate, hoc est vario siderum statu habitudineque, ad terram plus minusve caloris in aerem effunditur et pro alia radiorum mixtura nova calidae lucis proportio mensuraque dissultat, hoc est, quod accidentale in caelestibus, accidentalem quoque in effectis rebus facit diversitatem; ut si

Font.: 502.16–504.1 si quis – conceptum ] cf. Hp. oct. 4,6–7 App. crit.: 1 in2 om. Garin 2 situs BP BF BEC G : situ BOβGarin 4 quidem] quide B (corr. BB BP ) 7 Sol O : Socrates αβGarin 8 ita addendum putavi 9 inquam αO : in quam VWF : in qua RC 16 accidentalem] accidentale Garin

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3. Es gibt auf der anderen Seite etwas im Himmel und den Sternen, was ebenso veränderlich ist wie akzidentiell, wie dass bei allen Gestirnen eine Veränderung allein hinsichtlich des Ortes stattfindet sowie beim Mond auch der Wechsel seines Lichtes. Dasjenige also, was bei der Mischung der Strahlen aus den substantiellen Eigenschaften des Himmels resultiert, nennen wir substantiell, was aus den akzidentiellen folgt, nennen wir akzidentiell: Die Tatsache, dass sie die Kraft des Saturn, des Jupiter und der Sonne und ähnlich auch die der anderen Gestirne in sich enthält, gehört substantiell zu dieser Mischung, dass sie jedoch die einen Kräfte in qualitativ gesteigerter Form, die anderen in verringerter Form enthält, je nach unterschiedlichem Zustand der Strahlen, kann man als akzidentiell bezeichnen. 4. Daher bringt die Sonne, unterstützt durch jene höhere Kraft, die ja keine veränderliche Kraft ist, da sie ansonsten den Ursachen, die alles bewirken, nicht immer so beistehen würde, wie sie ihnen offensichtlich beisteht, durch sie also unterstützt, sage ich, bringt sie den Menschen, insoweit er Mensch ist, hervor und sie zeugt diesen speziellen Menschen, insofern sie ihn mit diesem speziellen Samen und aus jener speziellen Materie erzeugt; aus diesem Grunde ist eine beliebige Himmelskonstellation einflusslos auf die substantielle Beschaffenheit der Wirkung in diesem Fall, sei es, dass man die Natur des Körpers betrachtet, sei es dessen individuellen Charakter. 5. Dass aber aus den unterschiedlichen Konstellationen, also aus der unterschiedlichen Position und dem Verhältnis der Gestirne zueinander, sich mehr oder weniger Hitze zur Erde in die Luft ergießt und dass je nach der jeweiligen Mischung der Strahlen ein anderes, neues Mischungsverhältnis und Maß an heißem Licht sich ergibt, ist das Akzidentielle bei den Gestirnen, und es bewirkt auch die

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quis dicat in plenilunio fieri meliorem conceptum et crescente Luna plus augescere fetum et sub temperato caeli statu melius affici semina proptereaque meliorem quoque sobolem procreari. 6. Hoc genus illa diversitas, quae de caelestium varia positione in substantiis generandis esse potest, quam accidentalem dicimus et adventiciam, quoniam, ut declaravimus, ipsa propria substantialisque nota concepti fetus de suo principio proximo substantialique materia sua dependet; tum ad accidentales quoque proprietates plus accidentia seminis et materiae faciunt, utpote cognatiora, proximiora intimioraque, quam extrinseca dispositio aeris ambientis, id quod experientia quotidie manifestat ita, ut, si quis pro parentum seminibus filis non effingatur et inde ducat suam similitudinem, monstris enumerandum dicat Aristoteles. 7. Proinde nihil nobis obstiterit universales tantum causas sidera facientibus et effectus distinctionem quaerentibus a causa secundaria, quod varia siderum dispositio pro mutationibus aeris corporum vel genitorum iam vel | generandorum variare dispositionem aliquo modo possit, quando, ut diximus, haec accedens extrinsecus et generalis valde mutatio est. 8. Ea vero, quae pertinet ad substantiam et qualitates intimas, magis et propius a propriis indubie trahit originem proptereaque de caelo provideri nullo modo potest. Et hoc quidem verum in corporis rebus, quae perfecta substantia sunt, quibus omnibus adsunt efficientes proximae causae, vel quod illis proportione respon-

Font.: 10–11 si quis – Aristoteles ] cf. Arist. gen. animal. 4,4 770b 3–5 App. crit.: 2 semina] semiplena O 4 quae] qua G 7–8 proprietates βOGarin : proprietares α 17 pertinet BB BP Garin : pertinent αβO et1 BCorr RC : quod αVWFO Garin 504.20– 506.1 respondet] respondent Garin

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akzidentiellen Unterschiede der bewirkten Dinge, zum Beispiel, wenn man sagt, dass während eines Vollmondes die Empfängnis besser gelinge und dass bei zunehmendem Mond die Leibesfrucht stärker zunehme und dass bei mildem Klima die Samen besser gedeihen und daher auch ein besserer Spross hervorgebracht werde. 6. Dergestalt ist jene Unterschiedlichkeit, die von der jeweils unterschiedlichen Stellung der Himmelskörper ausgehend bei der Erzeugung von Einzelwesen (substantia) auftreten kann, die wir akzidentiell (accidentalis) nennen und von außen kommend (adventicius), da, wie bereits dargestellt, das jeweils eigene und substantielle Merkmal einer empfangenen Leibesfrucht abhängig ist von dem ihr nächsten Prinzip169 und seiner substantiellen materiellen Beschaffenheit (substantialis materia sua). Des Weiteren wirken die Akzidentien170 von Samen und Materie auch mehr auf die akzidentiellen Eigenschaften ein, da sie ja einen höheren Verwandtschaftsgrad, größere Nähe und Innerlichkeit besitzen, als der äußerliche Zustand der umgebenden Luft, was auch die Erfahrung täglich verdeutlicht, sodass Aristoteles sagen kann, dass man einen Sohn, wenn er nicht nach den Samen seiner Eltern sich formt und dorther seine Ähnlichkeit bezieht, zu den Ungeheuern zählen muss. 7. Entsprechend steht aus unserer Sicht, da wir die Gestirne lediglich zu allgemeinen Ursachen machen und die unterschiedliche Ausprägung der Wirkungen der jeweiligen Zweitursache zuschreiben, nichts im Wege, dass der unterschiedliche Zustand der Gestirne je nach Luftveränderung auch irgendwie den Zustand der bereits geborenen oder noch zu gebärenden Körper verändern kann, da diese Veränderung, wie bereits gesagt, von außen hinzutritt und äußerst allgemein ist. 8. Diejenige Veränderung aber, die zur Substanz gehört und zu den Qualitäten, die innerlicher sind, hat ihren nähergelegenen Ursprung zweifellos in jeweils eigenen Ursachen und kann deswegen keineswegs vom Himmel vorhergesehen werden. Und diese Tatsache gilt freilich für die körperlichen Dinge, die über vollendete Substanz verfügen, bei denen alle Wirkursachen zugleich die nächsten Ursa-

169 Die causa proxima ist, insbesondere im Gegensatz zur causa prima, diejenige Ursache, die dem Bewirkten in der Ursachenkette als nächste kommt, während die causa prima als Ausgangsursache die vom Bewirkten am weitesten entfernte Ursache bezeichnet. 170 Also das, was von außen zukommt und nicht in der Substanz des jeweiligen individuellen Körpers selbst wurzelt.

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det, ut in his, quae generantur ex putrefactione, et mixtis inanimatis, de quibus in quartae rationis solutione dicemus. 9. Sed enim aeris mutationes ad calorem et frigus humoremque et siccitatem nulla media causa facere caelum potest; quas ideo tamen universaliter facit, quoniam ex se tantum salubriter calefaciens facit cetera ex accidenti pro conditione materiae, sicut uno eodemque calore durescit limus et cera liquescit et sub eodem sole lintea, dum lavantur, albescunt et lavantis interim facies denigratur. 10. Ceterum, quoniam haec accidentalis mutatio est, plurimum in ea potest id, quod in caelesti constellatione accidentale vocavimus, hoc est siderum positus et habitudo, unde vis radiorum intenditur atque remittitur proptereaque plus minus in aerem calor invalescit. Scilicet ob hoc ipsum pro vario Solis flexu variant quattuor anni tempora; et oriens atque occidens, ascendens atque descendens easdem fere facit in die quattuor mutationes. 11. Sunt autem inter has primas corporum qualitates et inanimata mixta medium quasi locum sortitae meteorologicae impressiones, quarum etiam efficiens causa caelum, inferiora materia sunt; unde plus earum diversitas quam corporum perfectorum a caelesti dispositione dependet – sicut vere et autumno fere fiunt tonitrua, aestate grandines, hieme nives et pluviae – minus autem quam absolutae ipsae quattuor qualitates, quandoquidem has facit radius in materiam lapsus sua virtute, illae moventur quidem radio, sed de materia inferiore concrescunt; qua-

Font.: 1 mixtis inanimatis ] cf. Thom. Aq. op. occ. p. 185,214–222 3–4 aeris – potest ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.1, quaest.1, art.4; quaest. pot. 3,8,15 4–6 universaliter – materiae ] cf. Thom. Aq. sent. metaph. lib.7, lect.6, n.23 6–7 uno eodemque – denigratur ] cf. Alex. Aphr. prob. 1,90 p. I 30 Ideler uno eodemque – liquescit ] cf. Verg. ecl. 8,80–81 15–16 quarum – materia sunt ] cf. Thom. Aq. quodlib. 3, quaest.14, art.1 App. crit.: 3 mutationes] mutationem Garin 10 proptereaque αβ : propterea OGarin 17 a om. O (hab. Garin) sicut BP O : sic ut αβ 18 absolutae Garin : absolute Ω (fort. rectum)

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chen sind, oder was ihnen verhältnismäßig entspricht wie bei den Lebewesen, die aus Fäulnis entstehen171 , und den zusammengesetzten unbeseelten Körpern172 , über die wir in der Widerlegung des vierten Argumentes sprechen werden. 9. Denn der Himmel kann ohne wirkende Mittelursache eine Veränderung der Luft hin zu Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit bewirken; dennoch bewirkt er diese Qualitäten deswegen allgemein (universaliter), da er lediglich aus sich heraus heilsam erhitzt und so auch das Übrige zufällig (ex accidenti) je nach Zustand der Materie bewirkt, wie durch ein und dieselbe Hitze beispielsweise Schlamm sich erhärtet und Wachs sich verflüssigt und unter ein und derselben Sonne Laken beim Waschen weiß werden, während das Gesicht desjenigen, der wäscht, gleichzeitig dunkel wird. 10. Da weiterhin diese Veränderung akzidentiell ist, hat das bei ihr größte Wirkung, was wir bei der Himmelskonstellation akzidentiell genannt haben, also die Position der Gestirne und ihr Verhältnis, nach welchem die Kraft der Strahlen qualitativ zu- und abnimmt und die Hitze deshalb mehr oder weniger Geltung in der Luft bekommt. Aus diesem Grunde wechseln sich nämlich die vier Jahreszeiten nach dem unterschiedlichen Stand der Sonne ab und ihr Auf- und Untergang, ihr Auf- und Absteigen bewirkt im Laufe eines Tages beinahe dieselben vier Veränderungen. 11. Es befinden sich aber zwischen diesen ersten körperlichen Qualitäten173 und den zusammengesetzten unbeseelten Körpern, sozusagen auf dem mittleren Platz, die meteorologischen Phänomene (impressiones meteorologicae), deren Wirkursache auch der Himmel ist, ihre Materie aber die Körper der unteren Welt; daher hängt ihre unterschiedliche Ausformung mehr vom himmlischen Zustand (dispositio) ab als die der vollkommenen Körper – so entstehen beispielsweise im Frühling und Herbst meist Donner, im Sommer Hagelschauer, im Winter Schneetreiben und Regengüsse – allerdings in geringerem Maße als die vier Qualitäten

171 Gemeint ist die von Aristoteles beschriebene Spontanzeugung von zumeist niederen Lebewesen wie Muscheln und Schnecken (gen. animal. 3,11 762a 8–35); in der scholastischen AristotelesExegese wird diese als generatio ex putrefactione bezeichnet (vgl. z.B. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.2, quaest.1, art.4). Vgl. hierzu insbes. auch Lehoux (2017). 172 Gemeint sind die aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzten Körper von Metallen, Edelsteinen etc. (vgl. z.B. Thom. Aq. op. occ. p. 185,214–222). 173 Gemeint sind die elementaren Eigenschaften wie Hitze, Kälte etc.

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Augustinus

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propter pro illius plurimum conditione variantur, ut in tractatu tertiae rationis latius explicabimus. 12. At perfectae substantiae, quae non solum materiam, sed et propriam habent efficientem causam, quicquid (ut saepe idem repetatur) substantiale propriumque sortiuntur, a propriis habent causis, caelo per immobilem suum influxum ut universali causa cooperante, permutabilem vero nonnihil, extrinsecam aliquam generalemque valde mutationem faciente, de qua tamen astrologi dicere nihil etiam possunt, quippe quae nec a causis caelestibus, quas finxerunt, nec ab hora natali, sed ab aliis principiis pendeat, ut postea declarabimus; nam nunc quidem id tantum investigamus, quid efficiat scilicet caelum, quid non efficiat. 13. Haec igitur intellegens, quae disseruimus, Aurelius Augustinus non usquequaque dixit absurde putari posse ad solas corporum differentias afflatus quosdam valere sidereos. Non asseruit ita esse, non accusavit aliter sentientes, sed elevavit culpam sic opinantium eam non tam »absurdam« opinionem, quam »non usquequaque absurdam« esse pronuntians. Id, quod tamen de quibus etiam corporum differentiis esset intelligendum, explicaturus adiunxit: »Sicut in solaribus accessibus et decessibus videmus ipsius anni tempora variari et lunaribus incrementis atque decrementis augeri et minui quaedam genera rerum, sicut echinnos et conchas et mirabiles aestus oceani«. Haec illius verba, in quibus nihil vides annumeratum, quod ad perfectae alicuius substantiae faciat generationem; quarum diversitates, quamquam maxime corporales, ad stellas referri non debere, sed pro-

Font.: 11–13 non usquequaque – sidereos ] Aug. civ. 5,6 p. 198,26–27 Aug. civ. 5,6 p. 198,28–31; cf. Apul. met. 11,1,1; mund. 19 p. 155

16–19 Sicut – oceani ]

App. crit.: 10 scilicet om. O 12 putari] dici Aug. civ. 5,6 p. 198,26 14 opinantium] opinantibus Garin 17 videmus] videmus etiam Aug. civ, 5,6 p. 198,28 18 decrementis] detrimentis Aug. civ. 5,6 p. 198,30 (v.l.: decrementis); cf. Apul. met. 11,1,1; mund. 19 p. 155; Sidon. epist. 4,16,2 19 conchas Garin : choncas α : chonchas βO 21 sed] sed ad Garin

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selbst, die gerade nicht davon abhängen, da diese der Strahl mit seiner Kraft nach seinem Hineingleiten in die Materie bewirkt, jene meteorologischen Phänomene hingegen zwar vom Strahl in Bewegung gesetzt werden, sie aber aus Verdichtung von Materie der unteren Welt entstehen; aus diesem Grunde verändern sie sich stark entsprechend dem Zustand der Materie, wie wir in der Abhandlung des dritten Argumentes ausführlich darstellen werden. 12. Die vollendeten Substanzen hingegen, die nicht nur eigene Materie haben, sondern auch eine eigene Wirkursache, beziehen alles das (um dieselbe Tatsache öfter zu wiederholen), was sie an Substantiellem und Eigenen erhalten, von ihren eigenen Ursachen, während der Himmel durch seinen unbeweglichen Einfluss als generelle Ursache mitwirkt, obschon er eine durchaus veränderliche, von außen wirkende und sehr allgemeine Veränderung bewirkt, über die die Astrologen dennoch gar nichts sagen können, da sie weder von den himmlischen Ursachen, die sie sich ausdachten, noch von der Stunde der Geburt abhängig ist, sondern von anderen Prinzipien, wie wir an späterer Stelle zeigen werden; hier wollen wir lediglich untersuchen, welche Wirkung der Himmel hat und welche nicht. 13. Wegen seines Verständnisses dessen, was wir ausgeführt haben, sagte Aurelius Augustinus, es sei nicht in jeder Hinsicht abwegig zu glauben, dass gewisse himmlische Ausströmungen gewissen Einfluss auf die rein körperlichen Unterschiede ausüben könnten.174 Er hat nicht behauptet, es sei so, er hat nicht diejenigen beschuldigt, die anderer Ansicht sind, sondern er hat die Schuld derjenigen, die solcher Meinung sind, erleichtert, indem er jene Meinung nicht so sehr als »abwegig« bezeichnete, sondern vielmehr als »nicht in jeder Hinsicht abwegig«. Zur Erklärung dessen, was zum Verständnis solcher körperlicher Unterschiede notwendig ist, fügte er dennoch hinzu: »Wie wir sehen können, dass sich durch das Herantreten und Sichabwenden der Sonne die Jahreszeiten ändern und durch die Zunahme und Abnahme des Mondes gewisse Arten von Dingen zu- und abnehmen, wie beispielsweise Seeigel und Muscheln und die sonderbaren Gezeiten des

174 Vgl. Aug. civ. 5,6 pp. 198,26–199,6: Cum igitur non usquequaque absurde dici potest ad solas corporum differentias adflatus quosdam valere sidereos, sicut in solaribus accessibus et decessibus videmus etiam ipsius anni tempora variari et lunaribus incrementis atque detrimentis [var. lect.: decrementis] augeri et minui quaedam genera rerum, sicut echinos et conchas et mirabiles aestus oceani…Quid enim tam ad corpus pertinens quam corporis sexus? et tamen sub eadem positione siderum diversi sexus gemini concipi potuerunt.

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Hyppocrates Possidonius

r Verba Augustini quinto De civitate Dei

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ximas causas, statim admoniturus adiecit: »Quid tam ad corpus quam corporis sexus? Et tamen sub eadem positione siderum diversi sexus gemini concipi potuerunt«. 14. Haec ibi. 15. Paulo ante supra confirmans eandem sententiam probaverat Hyppocratem ex propriis et secundariis causis rationem reddentem, quod duo fratres simul aegrotarent simulque convalescerent. Possidonium vero non probaverat ad constellationis | parilitatem id referentem: »Acceptabilior«, inquit, »multo coniectura medicinalis, quoniam parentes, ut erant corpore affecti, dum concumberent, ita primordia conceptorum affici potuerunt, ut consecutis ex materno corpore prioribus incrementis paris valetudinis nascerentur; deinde in una domo eisdem alimentis nutriti, ubi aerem et loci positionem et vim aquarum plurimum valere ad

Font.: 1–3 Quid – potuerunt ] Aug. civ. 5,6 p. 199,3–6 5–7 Hyppocratem – convalescerent ] cf. Aug. civ. 5,2 p. 192,11–14; 193,8–12 510.8–512.4 Acceptabilior – insolentiae ] Aug. civ. 5,2 pp. 192,20–193,6 tam BP Garin (cf. Aug. civ. 5,6 p. 199,3) : App. crit.: 1 Quid] Quid enim Aug. civ. 5,6 p. 199,3 tamen αβO 8 multo] et de proximo credibilior Aug. civ. 5,2 p. 192,20–21 12 nutriti] nutriri O vim Garin (cf. Aug. civ. 5,2 p. 192,26) : vini Ω

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Meeres.« Dies sind seine Worte und man sieht nichts, was er angefügt hätte, was sich auf die Erzeugung irgendeiner vollkommenen Substanz bezöge. Zur Mahnung, dass sich deren Unterschiede, obwohl sie meistens körperlich seien, nicht auf die Sterne zurückführen ließen, sondern auf die nächsten Ursachen, fügt er umgehend hinzu: »Was gehört so sehr zum Körper wie das Geschlecht des Körpers? Und dennoch kann man unter derselben Gestirnskonstellation Zwillinge unterschiedlichen Geschlechts empfangen.« 14. Dies sagt er an dieser Stelle. 15. Ein wenig vorher hatte er zur Bekräftigung derselben Meinung die Ansicht des Hippokrates gebilligt, der anhand von eigenen Ursachen und Zweitursachen Rechenschaft ablegt darüber, dass zwei Brüder zur gleichen Zeit krank seien und genesen können. Poseidonius hingegen hatte er nicht gebilligt, der dies auf die Gleichheit der Himmelskonstellation zurückgeführt hatte: »Bei weitem annehmbarer«, sagt er, »ist die medizinische Annahme, da das körperliche Befinden der Eltern, als sie den Beischlaf vollzogen, die Anfänge der empfangenen Kinder so beeinflussen konnte, dass sie, nachdem sich das erste Wachstum aus dem Mutterleib ergeben hatte, mit gleichem Gesundheitszustand geboren wurden; da sie

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corpus vel bene vel male accipiendum medicina testatur, eisdem etiam exercitationibus assuefacti tam similia corpora gererent, ut etiam ad aegrotandum uno tempore, eisdem causis similiter moverentur. Ad constitutionem vero id caeli siderumve referre, quando concepti sive nati sunt, nescio cuius sit insolentiae«. 16. Haec noster Augustinus, cuius ipsa verba praetexuimus, quod multi id tantum ex eo intelligentes usurpatum saepius a nostris, non absurde corporum differentias ad afflatus sidereos pertinere, putant opinatum Augustinum omnem effectuum corporalium diversitatem esse a caelo proindeque de illis Augustino consentiente astrologos posse vaticinari, parum memores nihil tam dici merito posse corporale quam corporis ipsius temperamentum, cuius tamen causas in caelo quaerentes »insolentiae« titulo taxantur ab Augustino.

caeli siderumve] caeli ac App. crit.: 3 eisdem] eisdemque Aug. civ. 5,2 p. 192,30 (v.l.: eisdem) siderum Aug. civ. 5,2 p. 193,1 5 praetexuimus] praeteximus WO 9 dici merito] merito dici Garin

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später im selben Haus mit derselben Ernährung aufgezogen worden seien, wobei die Medizin belege, dass das Klima, die Lage des Ortes und die Beschaffenheit des Wasser größten Einfluss darauf nehmen können, ob der Körper von guter oder schlechter Konstitution sei, und da sie sogar an dieselben körperlichen Ertüchtigungen gewohnt waren, hätten sie so ähnliche Körper, dass sie sogar durch dieselben Ursachen zur gleichen Zeit in ähnlicher Weise zur Krankheit angeregt worden seien. Dies aber auf die Anordnung des Himmels oder der Gestirne zum Zeitpunkt ihrer Empfängnis oder Geburt zurückzuführen, ist ein Zeichen von unbegreiflicher Dreistigkeit.« 16. Dies sind die Worte unseres geschätzten Augustinus, dessen eigene Worte ich beigefügt habe, da viele nur diese Aussage von ihm kennen, die auch wir schon öfter verwendet haben, dass es nämlich nicht abwegig sei, dass körperliche Unterschiede auf himmlische Ausströmungen sich bezögen, und daher zu dem Glauben kommen, dass Augustinus der Ansicht gewesen sei, alle Unterschiedlichkeit körperlicher Wirkungen stamme vom Himmel und dass die Astrologen entsprechend – mit Zustimmung des Augustinus – anhand von diesen Vorhersagen treffen könnten, wobei sie zu wenig an die Tatsache denken, dass man nichts mit größerem Fug und Recht als körperlich bezeichnen kann als das Temperament (temperamentum) des Körpers selbst; wenn sie aber für dieses die Ursachen im Himmel suchen, werden sie von Augustinus der »Dreistigkeit« bezichtigt.

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Caput XIII – Solem multa operari, quae ab aliis stellis fieri astrologi putant. 1. Primam astrologorum argumentationem retorquentes in eos declaravimus longa digressione, sed necessaria, quid in nos ageret caelum et caelestium actio quomodo variaretur, sive stellas ipsas sive materiam suscipientem consideremus. Unde palam factum est esse caelum causam universalem nec effectuum distinctionem, praesertim principalem substantialemque, inde esse petendam. 2. Nunc ordine convenienti, quasi gradu facto per ea, quae disputavimus, secundae rationi solvendae manus admoliemur. Quoniam scilicet deprehenditur variari dispositiones inferiorum corporum ad Solis et Lunae varias ad nos habitudines, idem aliis de rebus et planetis contendebant esse credendum; nam ›vices‹, inquiunt, ›quattuor temporum per solares anfractus et omnium corporum status cum ex illa vicissitudine, tum pro lunaribus incrementis decrementisque variatur.‹ 3. Quid igitur? Duo scilicet sunt, quae colligi putant ex his: primum, ut, sicut echinos, conchas, oceanum, corporum humiditates ad curricula Lunae videmus immutari generaliterque terrenam molem pro Solis annua revolutione pariter et diurna, ita de ceteris quoque rebus assentiamur eas stellis evinctas ab illis gubernari; alterum, ut manifesta Solis et Lunae potestas in permutanda sublunari materia cogat idem nos credere de radiis aliorum siderum, hoc est illis quoque, quamquam occultiorem, vim tamen inesse magnam in permutandis rebus et multipliciter afficiendis.

Font.: 10–12 vices – variatur ] cf. Aug. civ. 5,6 p. 198,25–32; Apul. met. 11,1,1; mund. 19 p. 155; Gell. 20,8,4–7 11 solares anfractus ] cf. Cic. rep. 6,12; Macr. somn. 1,6,83; Mart. Cap. 8,858 (de luna) 13–14 sicut – oceanum ] cf. Aug. civ. 5,6 p. 198,31 15–16 terrenam – diurna ] cf. Arist. gen. corr. 2,11 338b 3–5 16–17 stellis – gubernari ] cf. Gell. 14,1,3–4 App. crit.: 2 retorquentes] retorquentas G (corr. Gc ) 13 colligi BCorr GOβ : colligit B 14 echinos] echinnos α conchas] chonchas WO

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Kapitel 13 – Die Sonne bewirkt vieles, was nach Ansicht der Astrologen von anderen Gestirnen ausgeht. 1. Beim Zurückwenden des ersten Argumentes der Astrologen gegen sie selbst habe ich in einem langen, aber notwendigen, Exkurs dargelegt, welche Wirkung der Himmel auf uns hat und wie sich die Wirkung der Himmelskörper ändert, sei es in Hinsicht auf die Sterne selbst oder sei es im Hinblick auf die Materie als Empfänger. Daraus ist deutlich geworden, dass der Himmel eine allgemeine Ursache (causa universalis) ist und die unterschiedlichen Wirkungen, insbesondere die ursprünglichen und die Substanz betreffenden, nicht bei ihm gesucht werden dürfen. 2. Nun werden wir, in passender Reihenfolge, Hand anlegen, das zweite Argument zu entkräften, nachdem wir sozusagen durch das, was wir erörtert haben, einen Schritt vorangekommen sind. Da es sich nämlich erwies, dass sich die Zustände der Körper der sublunaren Welt entsprechend dem unterschiedlichen Verhalten von Sonne und Mond uns gegenüber verändern, behaupteten sie, man müsse dasselbe auch von anderen Dingen und anderen Planeten annehmen. Denn sie sagen: ›Der Wechsel der vier Jahreszeiten ändert sich durch den Schiefstand der Sonne und auch der Zustand aller Körper durch jenen Wechsel, besonders aber durch das Zu- und Abnehmen des Mondes.‹ 3. Wie also weiter? Es gibt nämlich zwei Schlussfolgerungen, die sich ihrer Ansicht nach daraus ziehen lassen: Erstens, dass wir, genauso wie wir sehen können, dass sich Seeigel, Muscheln, das Meer und die Säfte der Körper nach dem Lauf des Mondes ändern und, ganz allgemein, die Masse der Erde gleichermaßen nach dem jährlichen und täglichen Umlauf der Sonne, ebenso auch bei den übrigen Dingen beipflichten können, dass sie in engstem Zusammenhang mit den Sternen stehen und von ihnen gelenkt werden. Zweitens, dass die offensichtliche Kraft von Sonne und Mond bei der Änderung der sublunaren Materie uns dazu zwingen könne,

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4. Nos neutrum colligi palam faciemus, quin haec ipsa, quae pro se afferunt, favere potius aliter suspicantibus; quod priusquam fiat, observationum illarum omnium ex principiis iam constitutis rationem reddemus, ut pateat, sicut argumentis, ita nec experimentis nos adduci de siderum efficientia caelestiumque virtutum mutatione sentire aliud, quam quod hactenus ipsa naturali ratione duce praescripsimus; nec interim cessabo multas astrologorum fallacias, multa obiter eorum errata sugillare. 5. Exordiamur igitur ab operibus Solis. 6. Variat anni tempora Solis accessus atque recessus; hoc nos etiam iure iurando, si oporteat, asseverabimus. At hoc ipsum Zodiaci facit obliquitas, non natura signorum, hoc est non ideo flagrat in Leone Sol, quia signum Leonis aut Solis domus aut calidum signum, ut fabulantur astrologi, sed quod in eo Sol constitutus et proximius ad aerem nostrum et per sexquimensem proximior ante calefecerat: | alioquin et in Cancro ferventissimus est, cum non sit tamen etiam apud eos Solis domus aut exaltatio Cancer nec sit igneum signum, sed aquaticum. 7. Sic in Ariete fere mundum instaurat floribus evocatis auctisque seminibus, quia tunc primum rediens ad nos fecundum commodumque teporem corporibus

Font.: 11–12 signum – calidum signum ] cf. Ptol. apotel. 1,18,1–3; Firm. math. 2,2,3; Album. introd. tract.5, diff.3 15 nec – aquaticum ] cf. Album. introd. tract.2, diff.3 Sim.: 9–11 Variat – signorum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 513 11–12 non ideo – astrologi ] cf. rer. praen. 5,4 p. 513; Bellant. resp. disp. 3,12 fol. r3r 12–15 in – aquaticum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 513 516.16– 518.3 in Ariete – ad illos ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 513–514 App. crit.: 1 quin αβ (qn) : quando OGarin (qñ) 7 sugillare αVWRFO : sigillare C : fugillare Garin (v. disp. 1,12) 13 sexquimensem BCorr GOβGarin (cf. Varro rust. 1,27,1; 3,10,7) : sexquimenses B calefecerat BF BEC GOβGarin : calefaceret B

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dasselbe auch von den Strahlen der anderen Gestirne zu glauben, das hieße, dass auch ihnen eine, wenn auch verborgenere, Kraft innewohne, die großen Einfluss auf die Veränderungen und vielfach unterschiedlichen Zustände der Dinge hätte. 4. Ich hingegen werde deutlich machen, dass keine von beiden Schlussfolgerungen korrekt ist, dass sogar vielmehr genau das, was sie als Stütze ihrer Argumentation heranziehen, eher denjenigen, die anderer Ansicht sind, zu Hilfe kommt; bevor dies geschieht, wollen wir aber Rechenschaft ablegen über die Beobachtungen all dieser Dinge anhand der bereits festgesetzten Prinzipien, damit klar wird, dass wir weder durch logische noch durch empirische Argumente überzeugt werden können, eine andere Ansicht über die Wirksamkeit von Gestirnen und die Änderungen himmlischer Kräfte zu vertreten als die, die wir bisher durch naturwissenschaftliche Argumentation beschrieben haben. Ebenso wenig werde ich unterdessen zögern, viele Fehlschlüsse und Irrtümer der Astrologen beiläufig schlagend zu widerlegen. 5. Den Anfang aber wollen wir mit den Werken der Sonne machen. 6. Die Jahreszeiten ändern sich durch das Hinzutreten und das Abkehren der Sonne; dies will ich sogar, wenn es nötig sein sollte, unter Eid beschwören. Doch die Schiefe des Tierkreises bewirkt eben diese Tatsache, nicht die natürliche Beschaffenheit der Zeichen, was bedeutet, dass die Sonne nicht deshalb im Löwen sengend heiß ist, weil das Zeichen des Löwen das Haus der Sonne ist oder weil es ein heißes Zeichen ist, wie die Astrologen es schwatzend behaupten, sondern weil die Sonne, wenn sie im Löwen steht, einerseits näher an unsere Luftschicht herangetreten ist, andererseits aber auch bereits seit anderthalb Monaten aus der Nähe Hitze auf diese hatte einwirken lassen; übrigens ist sie auch äußerst glühend im Zeichen des Krebses, obwohl der Krebs selbst nach deren Ansicht weder das Haus noch die Erhöhung der Sonne ist und auch kein feuriges Zeichen, sondern ein wässriges. 7. So erneuert sie sozusagen die Welt im Zeichen des Widders, indem sie Blumen hervorkommen und Samen wachsen lässt, weil sie bei dieser ersten Rück-

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inspirat. Astrologorum vero fabulamentum est Solis exaltationem Arietem esse, quasi non ad alios populos idem in Libra faciat Arieti adversa, quod apud nos facit in Ariete, dum scilicet hinc recedens accedit ad illos. Totius igitur varietatis, quae cum tempore evenit, sola causa est Solis ad terras, quas habitamus, maior minorve distantia, unde plus, minus ab eo caloris participamus. 8. Hinc quoque vere tonitrua fiunt, quia, cum pervenerit Sol ad Arietem, dissolvitur aeris calore hiemalis humiditas, unde multa ad aerem sursum tollitur evaporatio, seges scilicet nubium, unde tonitrua fulminaque proveniunt. Quod si astrologi quoque intelligunt, quae ista demum vel somnolentia vel fallendi cupiditas, ut, quasi natura illius signi, hoc est Arietis, operaretur, Arietem esse definiant signum suscitans pluvias atque tonitrua? Quare Lunam quoque in Ariete tonitrua facere non dicerent ullo pacto, si possent aut vellent animadvertere id, non pro signi eius virtute, sed Solis ad signum id pervenientis actione contingere. 9. Pari fallacia scriptum a Ptolemaeo in Libris Apotelesmaton Lunam in Ariete, si facit morbum, praecipue facere vitiliginem, quam ἀλφούς Graeci dicunt, vulgo morpheam; in Cancro mentagram, quam lichenas Graeci, vulgo impetigines; in Libra lepram; in Capricorno lentigines.

Font.: 1 Astrologorum – Arietem ] cf. Ptol. apotel. 1,20,1; Firm. math. 2,3,5; Rog. Bac. op. mai. pp. I 291–292 B 2–3 ad alios – ad illos ] cf. Mart. Cap. 8,874 6–8 cum – evaporatio ] cf. Ptol. apotel. 1,10,1; Mart. Cap. 8,872–874 10–11 Arietem – tonitrua ] cf. Ptol. apotel. 1,12,2 14–16 Lunam – morpheam ] Ptol. apotel. 3,13,14; cf. Ptol. tetrabib. transl. Plat. Tib. 3,12 (= 3,13 Hübner) fol. v ; Firm. math. 3,5,30 15 ἀλφούς ] Ptol. apotel. 3,13,14; cf. Plat. Ti. 85a 16 morpheam ] cf. Avic. canon. lib.4, fen.7, tract.2, cap.9, p. II 244a in Cancro – impetigines ] Ptol. apotel. 3,13,14; cf. Firm. math. 3,5,30 in Libra lepram ] Ptol. apotel. 1,13,14 17 in Capricorno lentigines ] cf. Ptol. apotel. 3,13,14 Sim.: 3–5 Totius – participamus ] cf. rer. praen. 5,4 p. 514 6–8 vere – proveniunt ] cf. disp. 8,3; rer. praen. 5,4 p. 514 14–17 Pari – lentigines ] cf. rer. praen. 5,4 p. 514 16 in Cancro – impetigines ] cf. Mainard. epist. medicin. 7,10 p. 94,14–23; Pont. reb. coel. 10,9 p. 296 in Libra lepram ] cf. Pont. reb. coel. 10,9 p. 296 17 in Capricorno lentigines ] cf. Pont. reb. coel. 10,9 p. 296 App. crit.: 12 id om. Garin 13 signi] signis Garin

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kehr zu uns den Körpern fruchtbare und günstige Wärme einhaucht. Nach dem Gespinst der Astrologen aber ist der Widder die Erhöhung der Sonne, ganz so als ob sie nicht dieselbe Wirkung, die sie bei uns im Widder ausübt, bei anderen Völkern in der Waage hätte, die dem Widder gegenüberliegt, da sie natürlich bei ihrem Aufbruch von hier sich dieser südlichen Hemisphäre nähert. Ursache für die gesamte Unterschiedlichkeit, die sich mit dem Fortschreiten der Zeit ergibt, ist also lediglich der größere oder geringere Abstand der Sonne zu den Ländern, die wir bewohnen, auf Grund dessen wir mehr oder weniger an ihrer Hitze teilhaben. 8. Daraus ergibt sich auch im Frühling Donner, da die feuchte Winterluft, wenn die Sonne in den Widder tritt, von der Hitze aufgelöst wird, weshalb viel verdunstetes Wasser175 in die Luft aufsteigt, die Saat der Wolken, die Donner und Blitz hervorbringt. Wenn die Astrologen dies aber auch verstehen, was ist das dann für eine Schläfrigkeit oder Lust am Irrtum, dass sie den Widder als ein Zeichen festlegen, das Regen und Donner hervorruft, ganz so als ob es die natürliche Beschaffenheit jenes Zeichens, also des Widders, wäre, die dies bewirken würde? Deshalb würden sie doch auch keinesfalls sagen, dass die Tatsache, dass der Mond im Widder Donner bewirke – wenn sie es wahrnehmen könnten oder wollten – nicht in Folge der Kraft dieses Zeichens geschieht, sondern in Folge der Handlung der Sonne, die in dieses Zeichen tritt. 9. Einer ähnlichen Täuschung unterlag Ptolemaios, als er in seinen Apotelesmata schrieb, dass der Mond, wenn er im Widder stehend eine Krankheit bewirke, insbesondere Schuppenflechte (vitiligo) hervorrufe, die die Griechen als ›Alphos‹ (ἀλφός) bezeichnen, die allgemein aber als ›morphea‹176 bezeichnet wird;

175 Der Begriff evaporatio ist eine Übersetzung des griechischen Begriffes ἀναθυμίασις, der die Verdunstung des Wassers bezeichnet; vgl. etwa Arist. Lat. De Mundo 394a 7–9: Due namque quaedam ex eo evaporationes sublimantur continuo in aerem qui super nos subtilium partium ac invisibiles… Vgl. hierzu auch Albert. meteor. 3,3,2–4 pp. 640–644 B. 176 Giovanni Pontano weist in seiner astrologischen Schrift De rebus coelestibus ebenfalls auf diese neue Bezeichnung hin (reb. coel. 10,9 p. 296): Luna … si Arietem ipsa permeabit, quod aequinoctiale signum est, vitiligines decernet, atque albis maculis nati corpus asperget, cui vitio nomen est nunc Morphea. Ibn Sīnā (canon. lib.4, fen.7, tract.2, cap. 9) spricht ebenfalls von der Schuppenflechte als morphea.

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Quare non omnes aestates aeque calidae

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10. Tractum enim hoc ab aeris statu, quando per illa signa Sol defertur, hoc est a veris qualitate, quo tempore Sol est in Ariete; aestatis, cum est in Cancro; autumni, cum Libram; hiemis, cum percurrit signum Capricorni, siquidem condicionibus horum temporum illa morborum genera quadrant: veri vitiligo, quae facile tunc invadat occupetque supremam cutem ob humores ea potissimum anni parte redundantes; aestati mentagra, quae de sicciore materia acutioreque provenit; autumno lepra, siquidem atrae bilis infectio existimatur; lentigines hiemi, quae de frigidioribus superantiis humidioribusque generantur. 11. Extrema igitur tarditas, quod a Sole fit aerem magis vel minus calefaciente pro varietate sui situs, adscribere signis, sub quibus per ea tempora Sol defertur; aut, si hoc intelligunt, quasi tamen non intelligerent putare alios quoque planetas in iisdem signis eadem operari. 12. Concludamus statam in temporibus anni diversitatem non aliunde quam a Solis occasu recessuque fieri pro obliquitate signiferi; quodsi nec aestates aeque fervent omnes nec hiemes rigent, pro materiae potest dispositione contingere, quae momentum habet in aere maximum testimonio sensus et Ptolemaei; nec eam ad caelum referre necesse est, praeterquam velut ad universalem causam omnis rei corporeae, ut ex Meteorologicis Aristotelis libris intelligere licet. Sic quod in eadem aestate sit aliis diebus calor intentior, aliis hebetior, nec hoc ipsa tamen exigat positura Solis; mutatio facit inferior vel excitatus scilicet ventus alicubi vel

Font.: 16 testimonio – Ptolemaei ] cf. Ptol. apotel. 1,2,18 339a 21–32; 1,9 346b 20–23

18 ut – libris ] cf. Arist. meteor. 1,2

Sim.: 4–8 veri – generantur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 514; 3,7 p. 462 13–18 Concludamus – licet ] cf. rer. praen. 5,4 p. 514 520.18–522.3 Sic – experiamur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 514 App. crit.: 5 occupetque] ococcupetque V 6 mentagra BB BP : mentagram αβO fort. scribendum adustioreque (cf. rer. praen. 5,4 p,514) 15 fervent] servent W

acutioreque]

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im Krebs hingegen Kinnflechte (mentagra), die die Griechen als ›Lichen‹ (λειχήν) bezeichnen, die im allgemeinen jedoch ›impetigo‹ heißt; im Zeichen der Waage die Lepra (lepra); im Steinbock hingegen entstünden linsenförmige Pigmentstörungen (lentigines).177 10. Dies leite sich nämlich aus den klimatischen Bedingungen ab, wenn die Sonne durch jene Zeichen wandere, das heißt aus der Qualität des Frühlings, wenn die Sonne im Widder steht; aus der Qualität des Sommers, wenn sie im Krebs ist; aus der des Herbstes, wenn sie in der Waage sich befindet; aus der Qualität des Winters, wenn sie das Zeichen des Steinbock durchläuft, zumal jene Arten von Krankheiten zu den Umständen dieser Zeitpunkte passen: Die Schuppenflechte (vitiligo) zum Frühling, die dann leicht auf Grund der Säfte, die zu dieser Jahreszeit besonders reichlich vorhanden sind, die oberste Hautschicht befallen und in Beschlag nehmen kann; zum Sommer die Kinnflechte (mentagra), die sich aus der zunehmend trockenen und angespannten Materie ergibt; zum Herbst die Lepra (lepra), die man ja für eine Infektion der schwarzen Galle hält; die Pigmentstörung (lentigo) hingegen, die aus dem Übermaß an Kälte und Feuchtigkeit entsteht, zum Winter. 11. Es spricht daher für einen kompletten Mangel an Geistesschärfe, wenn sie das, was von der Sonne ausgeht, die die Luft je nach ihrem Stand in höherem oder geringerem Maße erhitzt, den Zeichen zuschreiben, unter denen die Sonne zu den jeweiligen Zeitpunkten steht; oder, wenn sie es doch verstehen, zu glauben, auch die anderen Planeten könnten dieselbe Wirkung in den selben Zeichen ausüben – ganz so, als würden sie es doch nicht verstehen. 12. Wir können also den Schluss ziehen, dass die auf unterschiedlichen Jahreszeiten beruhenden Unterschiede sich aus nichts Anderem als aus dem Heranund Wegtreten der Sonne gemäß der Schiefe der Ekliptik ergeben. Wenn aber weder alle Sommer gleich heiß sind noch alle Winter gleich kalt, kann dies entsprechend des Zustandes der Materie geschehen, der größten Einfluss auf das Klima hat, wie es die sinnliche Wahrnehmung und Ptolemaios bezeugen; doch man muss diesen Zustand nicht notwendigerweise auf den Himmel zurückführen, außer als allgemeine Ursache jedes körperlichen Gegenstandes, wie man aus den

177 Vgl. die Definition bei Isidor (orig. 4,8,3): Lentigo est vestigia macularum parvula in rotunditatem formata, ab specie lenticulae dicta.

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inundatio pluviae vel hoc genere quodpiam aliud, quod a nobis procul ita fieri potest, ut causam ipsi non videamus, cuius vim cum effectu ad nostrum usque caelum redundantem nihilominus experiamur. 13. Quodsi planetae sunt aliis alii calidiores et, quicumque minus calent, possunt ex accidenti dissolutis humoribus nec assumptis pluvias generare nebulisque praetexere caelum, unde deficit calor, intenditur frigus, contra, qui ferventiores, ad siccitatem caloremque condu | cere, non abest a principiis nostris, ut ad aeris mutationem varii sideris dominatus aliquid faciat, modo non alium hic dominatum intelligamus, quam ut nobis proximior aut radiis rectioribus nos illuminat. Verum quoniam, si quid pervenit ad nos a stellis superioribus, id omnino pertenue esse suspicamur, praesertim quod ad sensibiles istas pertinet qualitates, tum causae tempestatum, si quaerantur in caelo, plerumque non inveniuntur, sive de stellis ex astrologorum sententia, sive philosophorum, ut definivimus, sentiamus. 14. Videtur hoc totum, quod actionibus luminarium detrahit et adiungit, ad materiam potius esse referendum; ipsa vero luminaria, alterum solo situ, alterum etiam permutata luce permutat; neutrum pro signorum natura, quae percurrunt, pro locis, quibus insident, pro planetis, quibus configurantur, ut per consequentia manifestabitur.

Sim.: 4–10 Quodsi – illuminat ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515 10–11 Verum – qualitates ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515 App. crit.: 5 assumptis] consumptis O

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»Büchern über die Meteorologie« des Aristoteles erkennen kann. So bewirkt nicht einmal die Stellung der Sonne selbst, dass die Hitze an einigen Tagen in ein und demselben Sommer gesteigerter ist, an anderen hingegen mehr nachlässt; dies bewirkt eine Veränderung der unteren Welt: ein irgendwo aufkommender Wind, ein überschwemmender Regenguss oder ein anderes derartiges meteorologisches Phänomen, das so weit von uns entfernt stattfinden kann, dass wir selbst die Ursache nicht erkennen können, obwohl wir die Kraft, die wirkend bis zu unserem Himmelsstrich strömt, nichtsdestotrotz zu spüren bekommen. 13. Wenn aber manche Planeten heißer sind als andere und diejenigen, die weniger heiß sind, zufällig (ex accidenti) nach der Auflösung der Feuchtigkeit diese nicht aufnehmen können und damit Regen erzeugen und den Himmel mit Wolken säumen können, was zu einer Abnahme der Hitze, aber einer Zunahme der Kälte führt, die glühenderen andererseits zu Trockenheit und Hitze beitragen, widerspricht es nicht unseren Grundsätzen zu behaupten, dass die Herrschaft verschiedener Gestirne etwas zur Änderung des Klimas beiträgt, solange wir nur unter »Herrschaft« nichts anderes verstehen, als dass ein Planet uns aus größerer Nähe oder mit in zunehmend rechterem Winkel einfallenden Strahlen erleuchtet. Da wir aber die Vermutung hegen, dass, wenn irgendetwas von den oberen Sternen zu uns gelangt, es überhaupt nur ganz fein ist, besonders was jene sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten betrifft, dann kann man die Ursachen für Unwetter, wenn man sie am Himmel sucht, meist nicht finden, sei es, dass wir der Ansicht der Astrologen über die Sterne folgen, oder sei es der der Philosophen, wie wir sie abgegrenzt haben. 14. All dies, was den Handlungen der Luminare zusätzliche Wirkung verleiht oder entzieht, muss anscheinend vielmehr auf die Materie zurückgeführt werden; die Luminare selbst aber bewirken Veränderung, eines allein durch seine Position, das andere auch durch die Veränderung seines Lichtes; keines von beiden hingegen bewirkt Veränderung entsprechend der natürlichen Beschaffenheit der Zeichen, die sie durchlaufen, entsprechend der Orte (locus), an denen sie sich niederlassen, oder entsprechend der Planeten, zu denen sie Aspekte bilden, wie anhand der folgenden Darstellung deutlich werden wird.

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Nauticis quae utilis non superstitiosa temporum observatio

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15. Quare, quod mare Persicum Sole Virginem ingrediente fluctibus agitetur et aestuet, praecipue vero cum pervenit ad Sagittarium, rursus placidum sit et navigabile Sole ad Pisces delato, et praesertim ad Geminos, contra Indicum sub Virgine et Sagittario tranquillum, sub Piscibus et Geminis non navigabile sit, non de qualitate signorum, sed de situ Solis condicioneque materiae provenit, quod astrologi quoque confitentur. Proinde utilis fuerit nec superstitiosa nauticis observatio horum temporum habita maris ratione, quod navigant. 16. A quibus etiam observati dies, quibus abstinendum navigatione praedicant, si quam habent a caelo causam, aliunde habere quam a Sole non possunt, quoniam stata de illis et perpetua observatio est; quare ad Solem tantum referri potest, cuius iisdem temporibus eadem fere omnino semper est habitudo, ad alias constellationes nullo modo, quae numquam eaedem iisdem corporibus inveniuntur. Verbi gratia suspecti dies nauticis semper: Martii primus, VII, XV, XVII, XIX et XXV; Aprilis [sex.] quintus, , VI, XII, XX; Februarii sextus, XII, XV, XVII, XIX, XX. Hac illi invariabili observatione semper utuntur aiuntque per hos dies magnas maris plerumque fieri mutationes vel ad tranquillitatem, vel ad tempestatem; quare, dubii cum sint eventus, securius agent, qui abstinent, ne forte in malum mutatio eveniat.

Font.: 1–3 mare Persicum – Geminos ] cf. Album. introd. tract.3, diff.8; Albert. caus. element. 1,2,8 p. 617 B 3–4 contra Indicum – non navigabile ] cf. Album. introd. tract.3, diff.8; Albert. caus. element. 1,2,8 p. 617 B 5–6 astrologi quoque confitentur ] cf. Album. introd. tract.3, diff.8; Albert. caus. element. 1,2,8 p. 617 B Sim.: 8–10 A quibus – observatio est ] cf. Bellant. resp. disp. 3,1 fol. r3r pestatem ] cf. rer. praen. 3,6 p. 458

15–16 aiuntque – tem-

App. crit.: 4 non C (cf. Album. introd. tract.3, diff.8: nullus hominum possit navigare) : om. αVWRFO 12 eaedem Garin : eadem Ω 14 sex. delendum et post quintus transponendum putavi (vel potius secundus scribendum ?) VII scripsi coll. rer. praen. 3,6 p. 458 : VI Ω 15 illi] illa F

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15. Daher hängt die Tatsache, dass das Persische Meer von den Fluten aufgepeitscht wird und heftig tost, wenn die Sonne in die Jungfrau tritt, insbesondere aber dann, wenn die Sonne den Schützen erreicht, dass es aber wieder sanft und befahrbar ist, wenn die Sonne in die Fische eintritt, und ganz besonders, wenn sie die Zwillinge erreicht, das Indische Meer hingegen ruhig ist, wenn die Sonne in Jungfrau und Schütze steht, nicht befahrbar hingegen, wenn sie in den Fischen und den Zwillingen ist, nicht von der Beschaffenheit der Zeichen ab, sondern von der Position der Sonne und dem Zustand der Materie, was auch die Astrologen zugeben. Entsprechend dürfte die Beobachtung dieser Zeitpunkte den Seemännern wohl nützlich sein, nicht aber abergläubisch, wenn sie der Beschaffenheit des Meeres, auf dem sie fahren, Rechnung tragen. 16. Wenn eine Ursache der Tage, die sie beobachtet haben, an denen man sich, wie sie verkünden, von der Seefahrt fernhalten solle, im Himmel liegt, so kann sie nirgendwo anders sein als in der Sonne, da die Beobachtung jener Tage regelmäßig und andauernd ist, weshalb sie nur auf die Sonne zurückzuführen sein kann, deren Zustand zu denselben Zeitpunkten immer ungefähr dieselbe ist, keineswegs jedoch auf andere Gestirnskonstellationen, die zwischen denselben Himmelskörpern zu entsprechenden Zeitpunkten niemals dieselben sind. Zum Beispiel sind den Seeleuten folgende Tage verdächtig: der erste, siebte, fünfzehnte, siebzehnte, neunzehnte und fünfundzwanzigste März, der fünfte, sechste, siebte, zwölfte und zwanzigste April; der sechste, zwölfte, fünfzehnte, siebzehnte, neunzehnte und zwanzigste Februar. Von dieser unveränderlichen Beobachtung machen sie immer Gebrauch und behaupten, dass an diesen Tagen meistens große Veränderungen des Meeres stattfänden, sodass entweder Windstille oder Unwetter aufträten; da die Ereignisse unsicher sind, werden folglich diejenigen sorgloser handeln können, die sich an diesen Tagen von der Seefahrt fernhalten, damit nicht zufällig eine Veränderung zum Schlechten stattfindet.

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Duplex potest esse causa malitiae illorum dierum

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17. Hoc igitur ad siderum posituras, quas astrologi notant observarique praecipiunt, redigi non potest, cum per easdem anni partes illae similes non redeant, sed dissimillimae; qu[i]a illos ipsos dies gubernatoribus semper suspectos interdum innocuos navigationi felicissimosque pronuntiabit astrologus et, quos illi non multum cavent, periculosissimos, ut eam horam vario statu Solis atque planetarum mixta se illi agmina repraesentabunt. Quapropter nauta huiusmodi regulas uti suis principiis inimicissimas non probabit. 18. Quae cum diutina experientia et sublimis artis usu quotidie comprobentur, astrologorum vanitatis fidem locupletissimam faciunt. Possunt autem duplicem habere causam, alteram a Sole, alteram ab aqua, ut, sicuti nostri corporis humores suos habent periodos, quibus moventur, ita habeat suos oceanus a Sole, quoniam secundum sui ad nos accessus recessusve momenta et maris et corporum omnium immutare dispositionem evidenti fide cognoscitur. 19. Illud autem admonendum esse lectorem oportet hanc temporum varietatem ab his, qui rem rusticam et nauticam scribunt, per occasum et ortum stellarum fixarum denotari, ut Arcturi, Vergiliarum, Hyadum ceterarumque similiter, non quod ipsae sint, quarum influxus caventur vel expetuntur – alioquin nec astrologi hoc dicerent, qui per se illas, praesertim nisi cardines teneant, esse volunt inefficaces – sed ut magistris illarum artium illiteratis indoctisque visibile

Font.: 16 Arcturi Vergiliarum Hyadum ] cf. Hom. Il. 18,486–487; Hes. op. 615; Verg. georg. 1,138 Arcturi ] cf. Arat. 745 Vergiliarum ] cf. Arat. 255–267; Varro rust. 3,28,2 Hyadum ] cf. Arat. 173 Sim.: 11–13 a Sole – cognoscitur ] cf. rer. praen. 3,6 p. 458; Bellant. resp. disp. 3,12 fol. r3r 526.14– 528.2 Illud autem – videretur ] cf. rer. praen. 3,5 p. 452; quaest. falsit. p. 165,8–10 App. crit.: 3 dissimillimae] dissimilime α quare scripsi : quia Ω 5 ad addidi 9 autem] aut G (corr. Gc ) 11 suos] suas O (sed periodus semper pro masculino; cf. e.g. disp. 3,17: periodos…referendos) 13 cognoscitur] cogniscitur B 19 illiteratis Bβ : illi teratis G (corr. Gc ) : illustratis O indoctisque βO : in doctisque α

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17. Dies kann also nicht auf die Gestirnskonstellationen zurückgeführt werden, die die Astrologen betrachten und zu beachten vorschreiben, da sie zu den jeweils selben Abschnitten des Jahres nicht in ähnlicher Weise wieder auftreten, sondern in gänzlich unterschiedlicher. Daher wird der Astrologe eben diese Tage, die den Seemännern immer verdächtig sind, bisweilen als unschädlich für die Seefahrt und sogar äußerst glückverheißend verkünden und diejenigen, vor denen sich jene nicht besonders in Acht nehmen, als äußerst gefährlich, je nachdem wie sich ihm die Scharen der Himmelskörper vermischt mit dem unterschiedlichen Stand der Sonne und der Planeten zur entsprechenden Stunde darstellen werden. Aus diesem Grunde wird der Seemann derartige Regeln, die ja seinen Prinzipien vollkommen zuwiderlaufen, nicht für gut befinden. 18. Da dies durch die tägliche Erfahrung und die Anwendung der Wissenschaft des Himmels tagtäglich belegt wird, macht es die Nichtigkeit der Astrologen sehr glaubwürdig. Es kann aber zwei Ursachen hierfür geben, die eine von der Sonne, die andere vom Wasser, da der Ozean seine Perioden von der Sonne bezieht, ebenso wie die Säfte unseres Körpers ihre Perioden haben, innerhalb derer sie bewegt werden, da man erkennen kann, dass entsprechend der Bewegungen der Sonne zu uns und von uns weg offensichtlich der Zustand sowohl des Meeres als auch aller Körper sich verändert. 19. Daran aber muss man den Leser erinnern, dass jener Wechsel der Jahreszeiten von den Schriftstellern, die über Landwirtschaft und Seefahrt schreiben, durch Untergang und Aufgang von Fixsternen bezeichnet wird, wie beispielsweise des Arkturus, der Plejaden, der Hyaden und ähnlich auch von anderen Sternen, nicht weil sie es selbst sind, deren Einflüsse man vermeidet oder sucht – anderenfalls würden auch die Astrologen dies nicht behaupten, die sie grundsätzlich für unwirksam halten, zumal wenn sie nicht in einem Kardinalpunkt stehen – sondern um den unbelesenen und ungebildeten Lehrmeistern jener Handwerke ein

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signum sit, quo tempus illud dinoscatur, quod neque perpetuum simul | et conspicuum invenire melius, quam in emersu occasuque stellarum videretur, postea neque quod apud rude vulgus plus auctoritatis et observantiae conciliaret. 20. Quod scribitur a medicis aegritudines hiemales aestate solvi, aestivales hieme interdum et, quae hieme invadunt, vere, quaeve vere, decedere sub autumnum et, quae denique quocumque anni tempore fiunt, diverso terminari, , quoniam scilicet horum temporum qualitas diversa pro Solis ad terras vicinitate atque distantia, quod autem de Luna dicunt sub crisimis diebus, id vanum et irrationale; sed hoc postea, cum de Luna dicemus. 21. Ab eisdem Solis progressionibus est affectio varia rerum cum expertium vitae, tum viventium omnium sub inclinationibus caeli diversis, quod non omnes eadem terrae ferant et populorum mores habitudoque corporum varia sit in regionibus variis; nec praeter Solem alias opinari constellationes, alia signa aliosve planetas, quibus illa loca subiaceant, nos oportet. 22. Fertur Sol semper inter Cancrum et Capricornum; quare quicumque inter circulum aequidialem et aestivale solstitium habitant, calidissimam necessario habitant regionem; qui vero sub aquilone positi sunt, cum a Sole plurimum absint, frigidissimam; medii inter hos temperatam. Et quoniam dextra caeli pars oriens est, efficacior ibi virtus Solis quam in occidentali; hinc reddi ratio omnium potest, quantum pertinet ad caelestem causam, quae de rerum proprietate feruntur. Nam gemmae, aromata, quaeque talia hoc genus plus caelestis caloris desiderant, ad ori-

Sim.: 10–14 Ab eisdem – nos oportet ] cf. Bellant. resp. disp. 3,13 fol. r3r gemmae – producuntur ] cf. rer. praen. 3,6 p. 459

528.20–530.1 Nam

App. crit.: 1 neque] nec Garin 2 videretur O : viderentur αβ 6–7 id verum rationaleque addendum putavi (v. infra: id vanum et irrationale) 8 crisimis αβ (crismis F) : criticis O 19 efficacior] efficiator α 21 talia] alia fort. scribendum

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sichtbares Zeichen zu geben, an dem sich jener Zeitpunkt ablesen lässt, den man in ewiger Wiederkehr und guter Sichtbarkeit anscheinend nirgends besser finden kann als im Auf- und Untergang der Sterne und es später auch nichts gab, was sich beim ungebildeten Volk mehr Ansehen und Ehrfurcht verschaffen konnte. 20. Was die Ärzte schreiben, dass Winterkrankheiten im Sommer sich auflösten, Sommerkrankheiten bisweilen im Winter, dass Krankheiten, die im Winter ausbrechen, im Frühling oder diejenigen, die im Frühling ausbrechen, zu Beginn des Herbstes verschwänden, dass schließlich alle, die zu irgendeiner bestimmten Jahreszeit einträten, zu anderen wieder verschwänden, ist wahr und logisch, da nämlich die Qualität dieser Jahreszeiten auf Grund der Nähe und Ferne der Sonne zur Erde verscheiden ist; was sie hingegen über den Mond an den kritischen Tagen behaupten, ist nichtig und entbehrt jeder Logik; doch dazu später mehr, wenn wir über den Mond sprechen. 21. Von ebendiesem Voranschreiten der Sonne hängt auch der unterschiedliche Zustand einerseits der unbelebten Dinge, andererseits aber insbesondere auch aller Lebewesen unter verschiedenen Himmelsgegenden ab, da nicht alle Länder dasselbe hervorbringen können und die Sitten der Völker und die äußere Gestalt der Körper in unterschiedlichen Gegenden unterschiedlich sind; aber deshalb dürfen wir nicht meinen, dass es außer der Sonne noch andere Konstellationen, andere Zeichen oder andere Planeten gebe, denen jene Gegenden unterlägen. 22. Die Sonne wandert immer zwischen Krebs und Steinbock; aus diesem Grunde wohnen alle diejenigen, die zwischen dem Kreis der Tag- und Nachtgleiche und der Sommersonnenwende leben, notwendigerweise in einer sehr heißen Gegend; diejenigen aber, die im Norden leben, in einer sehr kalten, da sie am weitesten von der Sonne entfernt sind; diejenigen, die mitten zwischen diesen wohnen, bewohnen eine gemäßigte Gegend. Da nun der Sonnenaufgang (Osten) die Glück verheißende Seite des Himmels ist, verfügt die Kraft der Sonne dort über größere Wirksamkeit als im Sonnenuntergang (Westen);178 von dieser Feststellung ausgehend kann man auch Aufschluss über alle Aussagen, die über die

178 Die Bezeichnung des Ostens als dextra caeli pars scheint sich auf die positive Wirkung des Aszendenten (=Aufgangspunkt) im Horoskop zu beziehen; würde das Adjektiv dexter hingegen an dieser Stelle »rechts« bedeuten, würde dies der in der Astrologie obligatorischen Südperspektive zuwiderlaufen.

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Homo ubique nascitur

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entem austrumque producuntur, pariterque leones et tigrides, elephantes iisdem terris feruntur et quae alia calorem exigunt animalia potentem, ut generentur, ut vivant et in suo vigore permaneant. 23. Solus homo ubique terrarum nascitur et servatur ob amplam naturae suae sub multiformi habitu latitudinem, sub qua homo, ut differret ab homine vi specificae differentiae, vanam dederit tamen aliquibus etiam philosophis suspicionem. Qui igitur meridianam incolunt partem, quanto calidiorem aerem spirant, tanto sunt intus frigidiores, quare timidi sunt, effeminati, et quod antiqua hodiernaque experientia probatur, nati ad serviendum. Fiunt autem haec, quia calor immodicus ita corpora elaxat, ut caloris intestini maximam partem evocet atque absumat, unde ad summa corporis eductus penetraliaque deserens in cute nigredinem, in corde relinquit timididatem; contra, qui sub frigido caelo degunt Boream versus, animosi, fortes et candidi ratione contraria. 24. Utraque vero gens, sive quae plurimum est sub Sole sive quae longius dimovetur ab eo, parum humani habet et parum sociabilis est ob caloris et frigoris exuberantiam, per quam a mediocri recedit temperamento, in quo nostra natura

Font.: 7–9 Qui igitur – ad serviendum ] cf. Arist. probl. 14,8 909b 9–15; 14,16 910a 38–b 8; Vitr. 6,1,4 9–13 calor immodicus – ratione contraria ] cf. Arist. probl. 14,8 909b 9–24; 14,14 910a 12–25; 14,16 910a 38–b 8; Vitr. 6,1,3–4; Ptol. apotel. 2,2,4 530.14–532.3 Utraque vero – meticulosa ] cf. Arist. probl. 14,1 909a 13–17; Ptol. apotel. 2,2,2–4 Sim.: 2–3 quae alia – permaneant ] cf. rer. praen. 3,6 p. 459 App. crit.: 2 feruntur om. Garin 10 elaxat] fort. scribendum relaxat 13 candidi] candidi sunt O 16 exuberantiam CO : exuperantiam BF : exuberantia W : exuperantia VG : exuperatia R

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Eigenschaft der (Einzel-)Dinge geäußert werden, geben, insofern ein Bezug zur himmlischen Ursache besteht. Denn Edelsteine, Gewürze und alles andere dieser Art, was mehr himmlische Hitze benötigt, wird in Richtung Sonnenaufgang und Süden hervorgebracht, ebenso wie auch Löwen, Tiger, Elefanten und andere Lebewesen, für deren Zeugung, Leben und kräftiges Fortbestehen machtvolle Hitze erforderlich ist, in denselben Ländern entstehen. 23. Lediglich der Mensch wird überall auf der Erde geboren und kann dort wegen der weitläufigen Breite seiner natürlichen Beschaffenheit im Hinblick auf die vielgestaltige Ausgangslage leben – dass ein Mensch vom anderen sich im Hinblick auf diese unterscheidet Kraft der artbildenden Verschiedenheit (differentia specifica)179 , hat dennoch sogar schon irgendwelchen Philosophen Anlass zu leeren Vermutungen gegeben. Die Einwohner des südlichen Teiles der Erde sind folglich von innen heraus umso kälter, je heißer die Luft ist, die sie atmen; deshalb sind sie ängstlich, von weibischer Natur und, was durch Erfahrungen aus alter und neuer Zeit bewiesen wird, zum Dienen geboren. Sie aber werden so, weil die maßlose Hitze die Körper dermaßen weitet, dass sie den Großteil der in den Eingeweiden befindlichen Hitze herauslocken und verbrauchen kann, wodurch sie zum oberen Teil des Körpers gelangt und die Eingeweide verlässt und so dunkle Farbe auf der Haut, im Herzen jedoch Ängstlichkeit zurücklässt; diejenigen hingegen, die ihr Leben unter kaltem Himmel verbringen, im Norden, sind nach umgekehrter Schlussfolgerung mutvoll, tapfer und hellhäutig. 24. Beide Völker hingegen, sowohl das, welches am direktesten der Sonne ausgesetzt ist, als auch das, welches weiter von ihr entfernt ist, haben zu wenig Menschliches an sich und sind zu wenig gesellschaftsfähig auf Grund des Überflusses an Hitze und Kälte, wodurch sie vom gemäßigten Temperament abweichen, auf dem unsere Natur vornehmlich ruht. Beide Völker sind aber

179 Der ›artbildende‹ bzw. ›spezifische‹ Unterschied ist derjenige Unterschied, hinsichtlich dessen sich ein zu definierender Gegenstand von den anderen Gegenständen, die in der nächsthöheren Gattung (genus proximum) enthalten sind, unterscheidet; vgl. hierzu u.a. den Artikel »Unterschied, spezifischer« im Historischen Wörterbuch der Philosophie (Westermann 2001: S. 313–325). Aristoteles erwähnt diese εἰδοποὸς διαφορά zuerst in seinen Topica (6,6 143b 7–10). Vgl. zu den ontologischen Grundbegriffen der Verschiedenheit bei Thomas von Aquin auch generell Patt (2007: S. 208–211).

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Error astrologorum Graecorum

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potissimum sita est. Sed et utraque gens immanis et agrestis cum ob eam, quam diximus, communem causam, tum altera quidem quia ferox, altera quia meticulosa. 25. Non igitur, quod astrologi Graeci fabulantur, quia extremis climatibus noxii planetae Saturnus Marsque dominantur, ideo populi illi immaniores nec, quia meridianis Saturnus, ideo timidi et vitae brevis, quia vero Mars aquilonaribus, ideo bellicosiores; figmentum hoc, in quo nec ceteri concordant astrologi, qui non praeficiunt Martem aquilonaribus, sed Lunam. Nos nec Marte utentes neque Luna propriam ex Sole reddimus rationem condicionum utriusque gentis, quam praeter aliam somniare sibi nugalis potius est quam philosophi. Dominatur, ut dicunt, etiam Saturnus in India, et tamen ibi longaevi sunt; cur igitur breviaevi meridionales ob Saturni | frigiditatem exuberantem, cur timidi? Nam et ibi gignuntur ferocissima bruta, licet omnia tamen in septentrione scribit Aristoteles esse viriliora. 26. Sed humana mediocritas extrema aegerrime patitur et, qua ratione ventres hieme calidiores quam aestate, ita illi sub nimio ardore intus frigescunt vixque exacto vitae anno trigesimo senectute conficiuntur, ut narrat Avicenna. Aquilonares sub gelida sede penitissime fervent in principibus membris concluso calore multoque sanguine et grossiore; tanto australibus robustiores, quanto illi spirituum sanguinisque subtilitate ingeniosiores evadunt. Mediae nationes nec inopia sanguinis nec crassitudine hebetes, sicut prudentiores et sapientiores, ita facti ad principandum et, ut sic dixerim, magis homines sunt.

Font.: 4–5 extremis – dominantur ] cf. Ach. Tat. intr. Arat. 29 pp. 64–65 Maas; Ptol. apotel. 2,3 6– 7 Mars – bellicosiores ] cf. Ptol. apotel. 2,3,12–13 11 Saturnus in India ] cf. Ptol. apotel. 2,3,28 13 omnia – viriliora ] cf. Arist. gen. animal. 4,11 765b 34–35; hist. animal. 6,19 573b 34–574a 1 14–16 ventres – Avicenna ] cf. Avic. canon. lib.1, fen.3, doctr.5, cap.1, p. I 190; Hp. Aph. 1,15 p. 3,710 K condicionum] App. crit.: 8 aquilonaribus] aquilinaribus Garin 9 reddimus] reddidimus O conditionem Garin 12 frigiditatem BCorr GVWRFO : fragilitatem BC : frigitatem Garin exuberantem] exsuperantem Garin 21 et om. Garin

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auch wild und roh, einerseits aus jener genannten, beiden gemeinsamen Ursache,andererseits aber, weil das eine ungebändigt wild ist, das andere voller Furcht. 25. Folglich sind jene Völker nicht etwa, wie die griechischen Astrologen es sich ersinnen, deshalb wilder, weil die Übeltäter Saturn und Mars über jene äußersten Zonen die Herrschaft innehaben, und es sind weder die einen deshalb ängstlich und kurzlebig, weil Saturn über die südlichen Gegenden herrscht, noch die anderen deswegen kriegerischer, weil Mars die nördlichen Gegenden beherrscht; dies ist nur eine Erfindung, in der auch die übrigen Astrologen nicht übereinstimmender Meinung sind, die den nördlichen Gegenden nicht Mars voranstellen, sondern den Mond. Wir aber greifen weder auf Mars noch auf den Mond zurück, wenn wir als Grund für die jeweils besondere Beschaffenheit beider Völker die Wirkung der Sonne deklarieren – sich einen anderen als diesen auszudenken, ist indessen eher Kennzeichen eines Komikers als eines Philosophen. Es herrsche aber auch, so sagen sie, Saturn in Indien, und dennoch sind die Menschen dort langlebig; warum also sollten die Südländer nur kurzlebig sein in Folge der übermäßigen Kälte des Saturn, warum ängstlich? Denn auch dort entstehen äußerst wilde Tiere, mögen auch alle Lebewesen im Norden, wie Aristoteles schreibt, männlicher sein. 26. Der menschliche Hang zum Mittelmaß jedoch erträgt die Extreme nur mit größter Mühe und nach demselben Argument, dass die Bäuche im Winter heißer sind als im Sommer, erstarren jene von innen heraus vor Kälte unter allzu großer Hitze und scheiden aus dem Leben, wenn sie kaum einmal das 30. Lebensjahr erreicht haben, wie Ibn Sīnā zu berichten weiß. Die im Norden, am kalten Pol lebenden Menschen hingegen glühen von innen heraus an den Hauptgliedern180 durch die eingeschlossene Hitze und das viele dichtere Blut; sie kommen in so viel höherem Maße belastbarer auf die Welt als die südlichen Menschen, wie jene auf Grund der Zartheit von Atem (spiritus) und Blut begabter auf die Welt kommen. Die in der Mitte gelegenen Völker sind weder durch Blutarmut noch durch die

180 Gemeint sind das Herz (principium virtutis vitae), das Gehirn (principium virtutis sentiendi et movendi) sowie die Leber (principium nutriendi), die als membra principalia, also Hauptglieder, bezeichnet werden; vgl. die Darstellung des Ibn Sīnā (Avic. canon. lib.1, fen.1, doctr.5, cap.1, p. I 30).

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Panaetius

Unde ingeniorum et morum diversitas

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27. Haec de caelesti circulatione generalis varietas incolarum terrae, cui peculiares admodum multae ex sublunari dispositione terrarum, aeris et aquae, dum alia scilicet vel paludibus invia vel stagnantibus aquis regio semimarcida nebularum identidem caliginosis noctibus obsidetur, alia venti[s] pervia asperitatibus vel editior montibus. Tenui iam te his plus, quam oporteat. 28. Transeunt haec a terris ad aerem et habet ipse aer ex se suas proprietates, alias scilicet aliis locis, ut Panaetius ait; non de caelo petitas, sed de suis principiis habet ut suas; quae quidem discrimina in afficiendis corporibus plus minus aere possint in ambiguo est. Permutare haec habitatores ipsis statim suis afflatibus patet per ea, quibus vescuntur, quae pro sola aquarum aerisque conditione vel noxia, vel salutaria fieri nemo est, qui nesciat. Hinc prima ob caelestem a Sole impressionem corporum est diversitas, quam alia statim de victus ratione consequitur. 29. At ingeniorum morumque varietas et a corporis habitu pendet et ab educatione assuetudinis fundamento, quae naturae viribus proximat. Accedunt leges,

Font.: 3 stagnantibus aquis regio semimarcida ] cf. Claud. rapt. Pros. 1,282 aerem ] cf. Vitr. 8,2,3 7 Panaetius ] fort. ex Cic. Tusc. 1,42–43 Sim.: 13–14 At – proximat ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525 rer. praen. 5,5 pp. 525–526

6 Transeunt – ad

534.14–536.4 Accedunt – declaratur ] cf.

App. crit.: 3 invia BB BP OGarin : in via αβ 4 venti scripsi : ventis ΩGarin ait Panaetius Garin 8 habet ut scripsi : habuit et Ω

7 Panaetius ait Ω :

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Dicke des Blutes träge, sondern sind zum einen klüger und weiser, zum anderen zum Herrschen geboren und sozusagen in höherem Maße Menschen. 27. Diese generelle Unterschiedlichkeit der Erdbewohner ergibt sich aus der himmlischen Kreisbewegung, zu der ziemlich viele besondere Unterschiedlichkeiten kommen infolge der sublunaren Beschaffenheit von Erde, Wasser und Luft, wenn zum Beispiel ein Gebiet, das entweder wegen Sümpfen ungangbar oder wegen ausgetretener Wassermassen ziemlich ungesund181 ist, allenthalben von finsteren Nebelschwaden in Dunkelheit gehüllt wird, ein anderes dem rauen Wehen des Windes ausgesetzt ist oder auf Bergrücken erhöht liegt. Nun habe ich dich mit diesen Dingen bereits über Gebühr aufgehalten. 28. Diese unterschiedlichen Einflüsse gehen von der jeweiligen Erde in die Luft über; zusätzlich hat die Luft selbst aus sich heraus ihre eigenen eigentümlichen Eigenschaften und zwar jeweils unterschiedliche an unterschiedlichen Orten, wie Panaitios182 sagt; sie verfügt über diese aber nicht, weil sie vom Himmel ausgehen, sondern weil sie von den der Luft eigenen Prinzipien abstammen und somit zu ihr gehörig sind; welche Unterschiede sie allerdings in ihrer Wirkung auf die Körper durch ein Mehr oder Weniger an Luft bewirken, ist umstritten. Dass die Einwohner diese durch ihre eigenen Ausdünstungen augenblicklich ändern können, ergibt sich anhand der Dinge, von denen sie leben, die entsprechend lediglich des Zustandes von Wasser und Luft entweder schädlich oder gesundheitsförderlich sind, wie jeder weiß. Daraus ergibt sich die erste Unterschiedlichkeit der Körper auf Grund des himmlischen Einflusses der Sonne, aus der sich in logischer Konsequenz sofort jene andere Unterschiedlichkeit auf Grund der unterschiedlichen Lebensweise ergibt. 29. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Veranlagungen und Charaktere ist abhängig sowohl von der Beschaffenheit (habitus) des Körpers als auch von der Erziehung als Grundlage der Gewohnheit, die sich den Kräften der Natur annähert. Dazu kommen auch die religiösen Bindungen183 , die auf diesem Gebiet

181 Zur Bedeutung des ansonsten nicht belegten Adjektivs semimarcidus vgl. Hoven (2006: S. 504 [s.v. ›semimarcidus‹]): »assez insalubre«. 182 Die von Pico referierte Klimatheorie scheint eher auf den griechischen Philosophen Poseidonius zurückzugehen, so z.B: frg. 196 (Edelstein / Kidd); vgl. zu dessen Klimatheorie auch Schmidt (1980: S. 13–32). Zu einer möglichen Positionierung des Panaitios zu diesem Thema vgl. insbes. Müller (1993: S. 46). Eine exakte Zuordnung ist darüber hinaus allerdings bisher nicht möglich. 183 Es ist nicht ganz klar, ob Pico an dieser Stelle mit dem Begriff lex auf Gesetze oder auf Religionen Bezug nimmt. Der Kontext legt eigentlich Ersteres nahe (vgl. auch die entsprechende Stelle bei Eusebius [praep. ev. 6,10]), die Junktur beneficio Christianae legis am Ende des Absatzes scheint hingegen auf Zweiteres hinzudeuten.

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Exemplum de Gallis

Qualitas regionis multum facit ad artes capiendas

Responsio astrologorum

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quibus in ea re plurimum est momenti, adeo ut feras nationes mansuetissimas reddere, si rite ferantur, et contra fortissimas enervare et ex optimis reddere malas, si sunt malae, facillime possunt, unde arbitrii libertas contra omnem naturae necessitatem evidentissime declaratur. Infames olim Galli fuere amoribus puerorum, si Ptolemaeo etiam credimus et Aristoteli, quod ita nunc scelus beneficio Christianae legis et sanctissimi principis Ludovici regis exhorrent ut sub caelo nulla natio magis. 30. Nec tamen oportet unius populi niti exemplis, cum orbis fere totius evangelica praedicatio mores et instituta mutaverit, quae a primis fuerant edita. Potest autem ad artes magisteriaque capessenda regionis qualitas multum, quam quis scilicet primum sortiatur, ut vel mercaturae navigationique se dedat opportuna mari civitate, vel litteris accademiae proxima, vel militiae, si infestis finitimis aut civilibus intus factionibus agitetur; sunt, quos fertilitas copiaque desides homines et voluptuarios facit, exiguitas atque sterilitas laboriosos, industrios, diligentes. 31. ›Verum enimvero‹ dicet aliquis forte astrologorum, ›nos haec non negamus, sed asserimus tecum ac praedicamus; verum esse praeterea locis alias proprietates ex videlicet privatis influxibus peculiarique constellatione contendimus, pro trigono, pro planeta, pro signo, cui regio subest, pro caeli dispositione, sub qua

Font.: 4–5 Infames – Aristoteli ] Arist. pol. 2,6 1296b 22–27; Ptol. apotel. 2,3,13–14; cf. Diod. Sic. 5,32,7; Athen. 13,603a; Eus. praep. ev. 6,10,27 Sim.: 4–7 Infames – magis ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526; Ficin. disp. contra iudic. astrolog. p. 56 K 8–9 Nec – edita ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 9–14 Potest autem – diligentes ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 6 sanctissimi] sanctisimi Garin App. crit.: 4 Tit. Exemplum de Gallis] de Gallis add. BP 10 capessenda ex corr. BP : capescenda Ω quis] qui Garin 11 sortiatur] fort. scribendum sortitur

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größten Einfluss ausüben, sodass sie ganz leicht aus wilden Völkern die friedlichsten machen können, wenn sie regelgerecht eingehalten werden, und im Gegensatz dazu die tapfersten Völker ganz leicht entkräften und aus den besten schlechte machen können, wenn sie selbst schlecht sind – anhand dessen behauptet sich die Willensfreiheit gegen alle Notwendigkeit der Natur ganz offensichtlich. Einst standen die Gallier in schlechtem Ruf wegen ihrer Liebe zu Knaben, zumindest wenn wir Ptolemaios und Aristoteles Glauben schenken dürfen, ein Verbrechen, vor welchem sie jetzt durch die Wohltat des christlichen Gesetzes und des hochheiligen Kaisers Ludwig derart erschaudern wie kein anderes Volk unter dem Himmel. 30. Aber es gehört sich indessen nicht, sich auf die Beispiele eines einzigen Volkes zu stützen, da die Verkündung des Evangeliums Bräuche und Grundsätze beinahe des gesamten Erdkreises geändert hat, die von den ersten Menschen bestimmt worden waren. Die Beschaffenheit des Gebietes, welches man anfangs zufällig erhält, vermag aber großen Einfluss zu nehmen auf das Erlernen von Wissenschaften und Ergreifen der Berufe, sodass sich jemand aus einer günstig am Meer gelegenen Stadt dem Handel, der Seefahrt oder der Wissenschaft widmet, wenn er aus der Nähe einer Akademie stammt, dem Kriegsdienst hingegen, wenn seine Stadt von feindlichen Nachbarn oder Bürgerkriegen im Innern erschüttert wird; manche Leute machen Fruchtbarkeit und Überfluss träge und wollüstig, Mangel und Unfruchtbarkeit hingegen arbeitsam, fleißig und sorgfältig. 31. ›Aber freilich‹, wird einer der Astrologen vielleicht sagen, ›wir leugnen dies gar nicht, sondern wir stimmen dir bei und bekräftigen deine Ansicht; wir behaupten aber, dass es außerdem an den unterschiedlichen Orten andere Eigenschaften gibt, die sich offensichtlich aus den jeweils individuellen Einflüssen und der besonderen Himmelskonstellation ergeben, je nach dem Gedrittschein, dem Planeten, dem Zeichen, dem das Gebiet unterliegt, je nach der Anordnung des

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Confutatio f1v

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civitatis iacta fundamenta, sub qua eius imperium aut rex aut tyrannus invasit. Vera igitur ut sint, quae tu dicis, non sequitur, ut vera quoque nostra esse non possint.‹ 32. Sed nec ego ex his, quae commemoravi, egregiissimi divinatores, illud confici puto, ut non possint esse, quae fingitis, sed ut intelligamus ita plene per ea, quae diximus, causam reddi | posse omnifariae diversitatis et locorum et gentium, ut quaerere alias causas minime necessarium sit; nam quas vos supra, astrologi, introduxistis et falsas et fabulosas esse sequentia demonstrabunt. 33. Verum disputantibus nobis adversus ea, ad quae populorum regionumque ipsi diversitatem refertis, futurum erat, ut quaereret aliquis, quaenam igitur esset

App. crit.: 5 plene αβ : plane OGarin 6 locorum] olcorum O

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Himmels, unter der die Grundsteine der Stadt gelegt wurden oder unter der entweder ein König oder ein Tyrann in ihr Gebiet einfielen. Mag also auch das, was du sagtest, wahr sein, so folgt daraus nicht, dass unsere Ansichten nicht auch wahr sein können.‹ 32. Doch auch ich, ihr trefflichen Wahrsager, glaube nicht, aus dem von mir Gesagten lasse sich der Schluss ziehen, dass eure Hirngespinste nicht wahr sein könnten, sondern dass wir zu der Ansicht kommen, durch das von mir Dargelegte könne ein so vollständig ausreichender Grund für die vielseitige Verschiedenheit von Gegenden und Völkern angegeben werden, dass es keineswegs mehr darüber hinaus notwendig ist, weitere Gründe dafür zu suchen; das Folgende wird nämlich beweisen, dass die weiter oben von euch, ihr Astrologen, angeführten Argumente falsch und erfunden sind. 33. Während ich jedoch gegen das argumentierte, worauf ihr selbst die Unterschiedlichkeit der Völker und Gegenden zurückführt, musste es sich ergeben, dass jemand die Frage stellen würde, was denn nun der Grund sei für diese so große Unterschiedlichkeit; daher musste ich, bevor ich die falschen Gründe widerlegen

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causa tantae varietatis; proinde priusquam falsas everteremus, veras demonstrasse causas oportuit, ut hinc illa vestra non necessaria intelligantur, quae postea ut ficta et impossibilia redarguentur. 34. Sic nec caeli illum vivificum calorem, de quo supra tam multa diseruimus, nec Solis efficaciam ideo introduximus, ut vestra convelleremus, nec illud item ex siderum ad nos distantia propinquitateque radios intendi atque remitti. 35. Sed priusquam commenticias vestras nugas refelleremus ostenderemusque absurdissime mutationem pro locis, signis, aspectibus sidereae potestatis a vobis fingi, notum facere volui, quicquid caeli vis efficit in nobis auctoritate philosophorum, testimonio sensus, iudicioque rationis, id totum per communem influxum luminis saluberrime calidi de perpetuo moto corpore iugiter emanantis fieri sufficientissime posse; quare alias fingere virtutes seu stellares influxus ad corpora esse superfluum; post quae deinde facilius decla[ra]retur, quas vos finxistis, credere non iam superfluum esse, sed insanum.

App. crit.: 4–5 disseruimus corr. Garin 13 declaretur scripsi : declararetur Ω

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konnte, die wahrhaft zutreffenden angeführt haben, damit man davon ausgehend bemerkt, dass eure Argumente, die dann später als erfunden und unmöglich widerlegt werden, nicht einmal notwendig sind. 34. In diesem Sinne habe ich weder jene lebensspendende Hitze des Himmels, über die ich bisher so viel erörtert habe, noch die Wirksamkeit der Sonne deshalb eingeführt, um eure Argumente zu widerlegen, genauso wenig wie jenes Argument, dass die Strahlen in Folge des größeren oder geringeren Abstandes der Gestirne zu uns sich qualitativ steigern (intendere) oder nachlassen (remittere). 35. Bevor ich aber eure erlogenen Einfälle widerlegen und beweisen werde, dass die von euch ausgedachte Veränderung der sublunaren Welt gemäß der Orte, Zeichen und Aspekte der Kraft der Sterne vollkommen abwegig ist, wollte ich zur Kenntnis geben, das alles, was die Kraft des Himmels bei uns bewirkt, gemäß der herrschenden Meinung der Philosophen, des Zeugnisses der Wahrnehmung und des Urteils der Vernunft in hinreichender Weise durch den allgemeinen (communis) Einfluss des auf heilsame Weise heißen Lichtes, welches allmählich aus dem ewig bewegten Körper entströmt, bewirkt werden kann, weshalb es überflüssig ist, sich andere Kräfte oder stellare Einflüsse auf die Körper auszudenken; im Anschluss daran wird dann umso einfacher gezeigt werden können, dass es nicht mehr nur überflüssig, sondern sogar wahnsinnig ist, an die Kräfte zu glauben, die ihr euch ausgedacht habt.

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Caput XIV – Lunae vis quomodo varietur et dies quosdam Lunae citra superstitionem observari.

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1. Ostendimus ex operibus Solis astrologorum dogmata non necessario probari; idem de operibus Lunae faciendum. 2. Ptolemaeus in Apotelesmatis Lunam dicit ab interlunio quousque dividua sit humiditatis amplius effectivam esse; inde ad plenitudinem usque caloris, a plenitudine siccitatis donec item sit dividua, tum ad coitum usque frigiditatis. Ita illam in prima orbis sui quadra veris et aeris, in secunda aestatis et ignis, in tertia autumni terraeque, in quarta hiemis atque aquae naturam habere et horum qualitates temporum in corporibus tunc maxime excitare. 3. Perbella magis ista divisio quam naturalis et vera, quandoquidem caloris ista conditio, ut, cum est debilis, humiditatem nec moveat, ut qui scilicet vix sentiatur; cum efficaciae nonnihil habet, solvere adoriatur solvatque diffusius, quo potentior est, nisi eatenus invalescat, ut, quam fluere facit, humiditatem absumat; nam exsiccat tum ille, non humectat. 4. At Lunae calor, utpote valde tenuis, haud ita umquam intenditur, ut exsiccet, sed intra fines eos excrescit, quibus humefacit corpora calore, non arefacit; quo fit, ut, quo plus luminis habet Luna, plus efficiat humiditatis veluti et plus caloris; invicem sicut lumine destituitur, ita pariter et humefacit minus et calefacit.

Font.: 5–7 Ptolemaeus – frigiditatis ] Ptol. apotel. 1,8,1; cf. Macr. somn. 1,6,59–61 7–10 Ita – excitare ] cf. Pont. in Ps.-Ptol. cent. 56; 61; Macr. somn. 1,6,60; Haly comment. tetr. 1,8 fol. r Sim.: 5–10 Ptolemaeus – excitare ] cf. Bellant. resp. disp. 3,14 fol. r3r 11–15 caloris – humectat ] cf. rer. praen. 3,6 p. 456 16–19 Lunae calor – calefacit ] cf. rer. praen. 3,6 p. 456 App. crit.: 1–2 citra superstitionem BCorr G : vera superstione Bβ : vana superstitione OGarin 2 observari] obsevari B (corr. BB BP BF ) 8 sui] sua Garin quadra veris GCF : quadraveris (ut vid.) BVWRO 11 Perbella BB BP OGarin : Per bella αβ 13 diffusius αC : diffusus VWRFO

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Kapitel 14184 – Von den Änderungen der Kraft des Mondes und dass die Beobachtung gewisser Mondtage keinesfalls von Aberglauben zeugt. 1. Ich habe gezeigt, dass die Lehren der Astrologen sich nicht notwendigerweise anhand der Wirkungen der Sonne beweisen lassen; dasselbe gilt es mit den Wirkungen des Mondes zu tun. 2. Ptolemaios sagt in seinen Apotelesmata, dass der Mond von Neumond bis zum zunehmenden Halbmond mehr Feuchtigkeit bewirkt, von da bis zum Vollmond Hitze, Trockenheit vom Vollmond bis zum abnehmenden Halbmond, schließlich Kälte bis zur Syzygie (Neumond). Daher habe er im ersten Viertel seines Umlaufes die natürliche Beschaffenheit von Frühling und Luft, im zweiten von Sommer und Feuer, im dritten von Herbst und Erde, im vierten aber von Winter und Wasser und errege gerade dann in besonders hohem Maße die Qualitäten dieser jeweiligen Jahreszeiten in den Körpern. 3. Diese Einteilung ist aber eher hübsch als naturgemäß oder wahr, zumal die Beschaffenheit von Hitze dergestalt ist, dass sie, wenn sie schwach ist, auch nicht die Feuchtigkeit erregen kann, da sie ja kaum wahrgenommen wird; wenn sie hingegen größere Wirksamkeit besitzt, beginnt sie die Feuchtigkeit zu lösen, und je kräftiger sie ist, desto ausgedehnter löst sie sie, es sei denn, sie heizt sich dermaßen auf, dass sie die Feuchtigkeit, die sie zum Fließen bringt, aufzehrt; denn dann bewirkt die Hitze Trockenheit, keine Feuchtigkeit. 4. Die Hitze des Mondes hingegen, die ja sehr fein ist, steigert sich niemals so sehr, dass sie Trockenheit bewirkt, sondern sie nimmt innerhalb jener Grenzen zu, innerhalb derer sie die Körper mit Hitze feucht macht, nicht jedoch austrocknet. So kommt es, dass der Mond umso mehr Feuchtigkeit bewirkt, je mehr Licht er

184 Vgl. zu Picos Beschäftigung zu diesem Thema insbesondere auch den Briefwechsel mit Angelo Poliziano (Politianus 1553: S. 168–170), der einige der hier geäußerten Anweisungen Hesiods teilweise wörtlich vorwegnimmt.

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Ptolemaeus in libro centum enuntiatorum

Experimenta

Cur crescentis lunae tempus plantationi commodum

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Potius ergo veris naturam qualitatemque sequetur a primo quadrangulo ad plenilunium, quam ab interlunio ad quadrangulum ipsum primum, siquidem veris natura humida definitur; nec potest a secundo quadrangulo ad coitum hiemen reprae | sentare, autumnum a plenilunio ad ipsum quadrangulum, siquidem autumnus siccus, hiems humida est. Luna vero, postquam fuerit plena, donec semiplena est, humefacit et inde ad coitum usque desiccat, ut scilicet eius humectatione cessante; quare tum etiam duratura ligna caeduntur. 5. Multo igitur rectius ipse Ptolemaeus in libro Centum enuntiatorum dixit a primo Lunae quadrangulo, ex quo scilicet a congressu Solis abscessit, fluere corporum humiditates ad secundum usque quadrangulum, in reliquis vero temporibus decrescere. Quod quidem praeter rationem, quam diximus, ipsa quoque experimenta testantur; nam crescente Luna humidi fit accessio, decrescente fit imminutio, quia non lucis tantum hoc qualitas, sed motus eius quoque ad augmentum vel decrementum operatur; quocirca, cum Sole digressa incipit exoriri, donec media illuminetur, plus humefacit calefacitque, quam cum tantundem possidens luminis secunda dichotoma tendit ad congressum, quia scilicet illic lumen augescit, hic deficit. 6. Haec est tota lunaris astrologia a medicis, ab agricolis, a nautis utiliter et naturaliter observata; nam in universum quidem plantationi commodum existi-

Font.: 4–5 autumnus – humida ] cf. Ptol. apotel. 1,10,1 5–7 Luna – caeduntur ] cf. Pont. in Ps.-Ptol. cent. 56 8–11 Ptolemaeus – decrescere ] cf. Ps.-Ptol. cent. 56 transl. Pont. 544.19–546.1 plantationi – Lunae ] cf. Colum. 5,11,2; Plin. nat. 18,322–325 Sim.: 5–7 Luna – caeduntur ] cf. rer. praen. 3,6 p. 456 resp. disp. 3,14 fol. r3r

8–17 Multo igitur – deficit ] cf. Bellant.

App. crit.: 4 autumnum] atumnum G (corr. Gc ) 6 humectatione] humefactione Garin 15 calefacitque] calefacique V cum om. OGarin 16 quia OGarin : quare αβ

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hat, und auch umso mehr Hitze; im Gegenzug bewirkt er auch gleichermaßen weniger Feuchtigkeit und Hitze, wenn er über weniger Licht verfügt. Folglich wird er also eher der natürlichen Beschaffenheit des Frühlings vom ersten Viertel185 bis zum Vollmond folgen, als vom Neumond bis zum ersten Viertel selbst, da die Natur des Frühlings ja feucht ist. Auch kann er nicht vom Halbmond bis zum Neumond den Winter darstellen, den Herbst aber vom Vollmond bis zum (zweiten) Halbmond selbst, da der Herbst trocken ist, der Winter hingegen feucht. Der Mond aber bewirkt, nachdem er voll geworden ist, bis zum Halbmond Feuchtigkeit und von da an bewirkt er bis zum Neumond Trockenheit und zwar aus dem Grund, dass seine feuchte Wirkung nachlässt; deshalb kann dann auch Holz zur dauerhaften Verwendung geschlagen werden. 5. Viel zutreffender ist folglich die Ansicht, die Ptolemaios selbst in seinem Centiloquium äußerte, dass die Flüssigkeiten der Körper vom ersten Viertel des Mondes, also wenn er von der Syzygie mit der Sonne forteilt, bis zum zweiten Viertel fließen, zu den übrigen Zeiten aber abnehmen. Dies wird außer durch die von uns angeführte Argumentation auch durch Versuche selbst belegt; denn bei zunehmendem Mond geschieht eine Zunahme des Feuchten, bei abnehmendem Mond hingegen eine Abnahme, weil dies nicht nur die Beschaffenheit des Lichtes, sondern auch seine Bewegung hin zur Zunahme oder Abnahme bewirkt; wenn er sich daher nach der Trennung von der Sonne zu erheben beginnt, bewirkt er, bis er zur Hälfte erleuchtet ist, mehr Feuchtigkeit und Hitze, als wenn er als abnehmender Mond – obschon er über ebenso viel Licht verfügt – der Zusammenkunft mit der Sonne entgegeneilt, weil er im ersten Fall an Licht zunimmt, im anderen Falle jedoch abnimmt. 6. Dies ist die gesamte Mondastrologie, die von den Ärzten, Bauern und Seeleuten zu ihrem Nutzen naturgemäß beachtet wird. Im Allgemeinen nämlich hielten

185 Gemeint ist die Phase zwischen Neumond und zunehmendem Halbmond gemäß der vier Mondphasen (Neumond – zunehmender Halbmond – Vollmond – abnehmender Halbmond – Neumond); Pontano übersetzt Ps.-Ptol. cent. 56 mit ähnlichen Worten: Quum luna est in primo quadrangulo, hoc est ex quo a Solis coniunctione recessit, corporum humiditates ad secundum usque effluunt, in reliquis autem decrescunt.

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Cur decrescentis materiae caedendae

Verificatio quorundam dictorum Hesiodi Plutarchus

Declaratio cuiusdam loci Vergilii

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maverunt tempus adolescentis Lunae, quod largiore semina humore cibata ipsa quoque velocius adolescant, decrescentis vero caedendae materiae, quoniam tum omnis materia siccior atque attenuatior est, quare non tam facile marcet carieque conficitur; contra si qua tollitur Luna lumine aucta, quia tunc humor exuberat, facile putrescit atque corrumpitur. 7. Quapropter iure laudat Hesiodus nonam Lunae diem arboribus conserendis, sicut et decimamtertiam, quoniam, ut ait Plutarchus, insita vis radicibus pleniore iam lumine spargitur, eandem incommodam seminibus iaciendis facit, quod iactum semen pluvias magis desideret, ut computrescat et germinet. Porro decimamsextam negat idoneam plantationi, quia deficiens lumen germina satis non evocet. 8. Quare, quod Virgilius dixit, »septima post decimam felix et ponere vites« et quae sequuntur, haud ita possit intelligi, ut decimam septimam diem significet; nam haec vitibus ponendis minime felix lumine deminuto, sed aut primam septimam, quae sit post decimam, meliorem, id est decimamquartam, iudicavit, qua et plena Luna non infeliciter vites ponuntur, aut, quod rationi consonat magis, duos dies laudavit, septimam et decimam, sed decimam magis, quare ›post decimam‹, inquit, ›septima felix est.‹ Sic enim se res habet, siquidem die septima Luna dividua satis caloris humorumque radicibus plantarum suppeditat, sed idem facit uberiusque dies decima.

quoniam – conficitur ] cf. Tzetz. schol. Font.: 2 decrescentis – materiae ] cf. Plin. nat. 18,322 in erga 780 p. 354 G 4–5 humor – corrumpitur ] cf. Procl. Hes. op. 780 p. 280 M 6–7 Hesiodus – decimamtertiam ] cf. Hes. op. 772–773; 810–812; 780–782; Politian. rust. 471–472 7–9 Plutarchus – germinet ] Plu. in Hes. erg. 780 pp. VII 94–95 B; cf. Politian. epist. 12,8 p. 169 10–11 decimamsextam – evocet ] Hes. op. 782; cf. Plu. in Hes. erg. 782 p. VII 95–96 B; Politian. epist. 12,8 p. 170 12 Virgilius – vites ] Verg. georg. 1,284 14–18 aut primam – felix est ] cf. Serv. georg. 1,284 quia App. crit.: 1 largiore] largore B (corr. BCorr ) 4 tollitur] caeditur O (sed cf. Colum. 5,6,37) OGarin : quare αβ 8 pleniore αC (cf. Plu. in Hes. erg. 780 p. VII 95 B: πλεῖον ὂν τὸ ἐκ τῆς σελήνης ... φῶς) : plenior VWRFO 12 vites αVFO (cf. Verg. georg. 1,284: vitem [v.l.: vites]) : vires WRC 15 iudicavit] indicavit G 16 ponuntur] ponunt O

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sie die Zeit des zunehmenden Mondes als geeignet für das Einpflanzen, weil die Samen selbst durch die reichlicher vorhandene Feuchtigkeit genährt auch schneller zunehmen würden, die Zeit des abnehmenden Mondes hingegen als geeignet für das Fällen von Holz, weil dann alles Holz trockener und dünner ist und deshalb nicht so leicht morsch wird und von Fäulnis befallen. Wenn hingegen Holz gefällt wird während der Zunahme des Mondlichtes, wird es leicht faulig und morsch, weil in dieser Zeit die Feuchtigkeit im Übermaß vorhanden ist. 7. Aus diesem Grunde lobt Hesiod zu Recht den neunten Tag des Mondes als geeignet für das Pflanzen von Bäumen, ebenso auch den 13., da, wie Plutarch sagt, die den Wurzeln eingepflanzte Kraft sich schon durch das vollere Licht verteilt, verwirft denselben jedoch für das Streuen von Samen, weil der gestreute Samen mehr Regen benötigt, um faulig zu werden und auszukeimen. Ferner spricht er dem 16. Tag ab geeignet für Pflanzungen zu sein, da das abnehmende Licht die Samen nicht genügend hervorlocken könne.186 8. Daher kann man die Worte Vergils »der siebte nach dem zehnten Tag ist auch geeignet, Weinreben zu setzen« usw. nicht so verstehen, dass er damit den 17. Tag bezeichnet; denn dieser ist auf Grund des verringerten Lichtes keineswegs geeignet, um Weinreben zu setzen, sondern entweder meinte er, dass der erste von jeweils sieben Tagen187 , der nach dem zehnten komme, besser sei, also der 14., an dem Vollmond herrscht und der für das Pflanzen von Reben nicht ungünstig ist, oder, was eher dem Verständnis entspricht, er lobte zwei unterschiedliche Tage, den siebten und den zehnten, den zehnten jedoch in höherem Maße, weshalb, wie er sagt, nach dem zehnten Tag der siebte geeignet sei. So nämlich verhält es sich, zumal der Mond am siebten Tag den Wurzeln der Pflanzen als Halbmond genügend Hitze und Flüssigkeit zur Verfügung stellen kann, doch dasselbe kann er am zehnten Tag, und noch dazu in noch reichlicherem Maße.

186 Während Hesiod den sechzehnten Tag als ἀσύμφορος (op. 782) bezeichnet, paraphrasiert Plutarch in seinem Kommentar diesen Tag als ὠφέλιμος ... τοῖς φυτοῖς (Plu. in Hes. erg. 782 p. VII 95 B). Poliziano schreibt in seinem Brief an Pico über den neunten Tag (Politian. epist. 12,8 p. 169): Nonum vocat innoxium, pangendis arboribus aptum, gignendisque liberis. Über den 16. Tag heißt es dort (ebd.): Ita sextusdecimus quoque maribus magis quam foeminis congruit, quod est eius tepidius tunc, et minus humidum lumen: unde nec habilis plantationi, quod germina non evocet. 187 Als würde in Wochen von jeweils sieben Tagen gerechnet; vgl. die Erläuterung des Servius (Serv. georg. 1,284): alii quartam decimam accipiunt, ut sit: felix est septima duplicata, id est cuius numerus post decimam invenitur, quo die re vera vites melius ponimus.

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Proclus f2v

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9. Omnino decimaseptima, praeterquam imperite et falso, denotari non potuit, cum sit illa non ponendis arboribus, sed caedendis magis idonea, quod Hesiodus quoque tradit, ob eam scilicet, quam diximus, causam humidi decrescentis. Quare tunc aedificandis navibus ligna parantur, quas oportet perennare diutius. Quod autem tunc quoque comportari fruges in aream iubet Graecus poeta, hanc habet rationem, ut scribit Proclus, quod soleant post plenilunium venti suscitari, quibus a grano palea ipsa glumaque discriminetur. Sicut autem in his diebus operum causa et ratio facile cognoscitur, ita possunt alii Lunae dies certis operibus | esse commodiores ratione non ita manifesta, licet de naturalibus illis quoque, quae diximus, principiis orta, siquidem tanti luminis portio cum re aliqua consonare potest congrua portione, quae dissonabit ab alia. 10. Quo forsitan genere illa sunt, quod castrari Hesiodus sexta Luna praecipit agnos, octava boves et sues, duodecima mulos, sextam et decimam sextam maribus gignendis opportuniorem quam feminis, decimam vero feminis. Verum magis castrari vitulos autumno Luna decrescente iubet ratione nota, quia emasculandis metuunt fluxus humiditatum, propterea et siccum tempus et siccam Lunam desiderat, qua de causa castratum prohibent etiam multa potione. Sic evidens ratio, cur sextam et decimamsextam maribus gignendis opportuniorem quam feminis dicat Hesiodus, feminis vero decimamquartam, quoniam, ut est saepius repetitum a nobis, crescit humor cum lumine; quare plena Luna stillabunt excrementa generationis humidiora, unde proles feminea magis quam mascula.

Font.: 1–3 decimaseptima – tradit ] cf. Hes. op. 805–808; cf. Varro rust. 1,17,1; Colum. 11,2,11; Politian. epist. 12,8 p. 170 4 aedificandis – diutius ] cf. Hes. op. 807–808 5 comportari – poeta ] cf. Hes. op. 805–807; Politian. epist. 12,8 p. 170 6–7 Proclus – discriminetur ] cf. Procl. Hes. op. 805 pp. 292–294 M; Politian. epist. 12,8 p. 170 12–13 sexta – agnos ] cf. Hes. op. 785–786; Politian. epist. 12,8 p. 169 13 octava – sues ] cf. Hes. op. 790–791; Politian. epist. 12,8 p. 169 duodecima mulos ] cf. Hes. op. 791; Politian. epist. 12,8 p. 169 sextam – opportuniorem ] cf. Hes. op. 785–788; 782–783; Politian. epist. 12,8 pp. 169–170 14 decimam quartam – feminis ] cf. Hes. op. 794–795; Politian. epist. 12,8 p. 170 15 castrari – decrescente ] cf. Colum. 6,26; Plin. nat. 18,322 17 castratum – potione ] cf. Colum. 6,26 App. crit.: 14 quartam addidi coll. Hes. op. 794–795 et infra 20 saepius] saepe Garin

15 quia Garin : quare Ω

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9. Überhaupt konnte der 17. Tag nicht gemeint sein, außer auf ignorante und falsche Weise, weil er nicht für das Setzen von Bäumen, sondern für das Fällen geeigneter ist, was auch Hesiod überliefert, und zwar aus genau dem von uns erwähnten Grund, nämlich der abnehmenden Feuchtigkeit.188 Daher werden zu diesem Zeitpunkt Hölzer für den Schiffbau bereitgestellt, die längere Zeit Bestand haben müssen. Dass der griechische Dichter aber auch Anweisung gibt, zu diesem Zeitpunkt die Feldfrüchte in die Tenne zu bringen, hat, wie Proklos schreibt, den Grund, dass sich gewöhnlich nach dem Vollmond Winde erheben, durch die die Spreu und der Balg vom Korn getrennt werden.189 Wie sich aber an diesen Tagen Ursache und Begründung für die Arbeiten190 leicht erkennen lassen, können andere Mondtage für gewisse Arbeiten noch passender sein, wobei die Begründung nicht so offensichtlich ist, obschon sie sich aus den von uns erwähnten natürlichen Prinzipien ergibt, da das Verhältnis des so bedeutenden Lichtes mit einem anderen Einfluss übereinstimmen kann, der über den gleichen Anteil verfügt, der von einem anderen abweicht. 10. Von dieser Art sind vielleicht die Vorschriften, die Hesiod macht, dass man am sechsten Mondtag Lämmer beschneiden müsse, am achten Rinder und Schweine, am zwölften Maulesel, dass der sechste und der sechzehnte Tag geeigneter seien männliche Nachkommen zu zeugen als weibliche, der zehnte aber dafür weibliche zu zeugen. Dringendere Anweisung gibt er aber dafür, die Kälber im Herbst zu beschneiden und bei abnehmendem Mond, auf Grund des bekannten Argumentes, weil man bei den kastrierten Tieren den Ausfluss der Flüssigkeiten fürchtet, weswegen das auch eine trockene Jahreszeit und einen trockenen Mond verlangt, weshalb man das kastrierte Tier auch davon abhält, viel zu trinken. Ebenso offensichtlich ist der Grund dafür, dass Hesiod den sechsten und sechzehnten Tag für geeigneter hält für die Zeugung männlicher Nachfahren, für

188 In seinem Brief an Pico beschreibt Poliziano den 17. Tag mit den folgenden Worten (Politian. epist. 12,8 p. 170): Decimoseptimo caedi arbores tempestivum, quod decrescere luna incipit, et humor qui cariem facit, imminuitur. Comportari quoque iubentur in aream fruges: quoniam venti post pleniluniam surgant, quibus a grano palea ipsa, et gluma discernantur. 189 So heißt es bei Proklos (Hes. op. 804 p. 362 G): διότι μετὰ πανσέληνον τρέπεται ὁ ἀὴρ [sic!] καὶ ἀνέμων γίνονται κινήσεις, οἳ τοῖς λικμῶσίν εἰσι χρήσιμοι, διασκεδαννύντες ἀπὸ τῶν καρπῶν τὸ ἄκαρπον. 190 Es handelt sich hierbei um ein Wortspiel mit dem lateinischen Titel von Hesiods Lehrgedicht Opera et dies.

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Nautae

Medici

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11. Ad hunc modum alia rediges ad naturales causas ab Hesiodo tradita, qui tamen nonnulla, licet admodum pauca, miscet ex vetere superstitione, sed nihil usquam, quod astrologis faveat. Gubernatores item ex his vicibus adventicii luminis in Luna dies multos citra superstitionem observare utiliter possunt, quando plurimum potest illa variatio lucis in aeris habitu permutando; quare prudenter in novilunio et plenilunio navigationibus abstinent, quando per haec solent tempora tempestates plerumque suscitari. 12. Ipsi quoque medici recte consulunt aegris dies observantes in auctu crementoque Lunae, ne fluentes plus minus eos lateant humiditates in affecto praesertim corpore, quod propria vi destitutum magis sit opportunum iniuriae peregrinae. Nam gratia exempli adolescente Luna venam incidere, contra ventosare deficiente potius quam adolescente, rationem forte habebit, cum incisio venae expellat, ventosa attrahat; quare ebullientibus expansisque ad extrema corporis per initia mensis humoribus plus forte quam oporteat attractae materiae educerentur. Nisi quis dicat artis opera semper esse feliciora, quae cum naturae progressione concordent. Sed haec medicorum iudicio relinquantur. Quaecumque vero praeter haec observaverint, ea vanitatem habent manifestam, ut sequentibus patefiet.

App. crit.: 11 Luna] Lunam Garin

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weibliche hingegen den vierzehnten, weil, wie schon allzu oft von uns wiederholt, die Flüssigkeit mit dem Licht zunimmt. Daher werden die feuchteren Rückstände der Zeugung191 bei Vollmond mehr tropfen, weshalb der Nachwuchs eher weiblich als männlich ist. 11. Entsprechend wird man auch andere, bei Hesiod überlieferte Details auf natürliche Ursachen zurückführen, obwohl er manches, wenn auch recht weniges, dem alten Aberglauben entnimmt und seinen Vorschriften beimischt – jedoch an keiner Stelle irgendetwas, was die Astrologen unterstützen könnte. Ebenso können die Führer von Schiffen anhand des Wechsels des ankommenden Lichtes am Mond viele Tage ganz ohne Aberglauben zu ihrem Nutzen beobachten, weil jene Veränderung des Lichts höchsten Einfluss auf Änderungen des Zustands des Klimas bewirkt; deshalb halten sie sich klugerweise an Neu- und Vollmond von der Seefahrt fern, da zu diesen Zeiten meistens Stürme zu entstehen pflegen. 12. Sogar die Ärzte behandeln ihre Patienten richtig, indem sie die Tage beim Zunehmen und Wachsen des Mondes beobachten, damit ihnen nicht die mehr oder weniger fließenden Flüssigkeiten verborgen bleiben, insbesondere im kranken Körper, weil er, von seiner eigenen Kraft im Stich gelassen, empfänglicher ist für Leiden von außen. Denn es wird beispielsweise sicher vernünftig sein, bei zunehmendem Mond eine Ader zu öffnen, hingegen eher bei abnehmendem als bei zunehmendem Mond zu schröpfen, da die Öffnung der Ader austreibt, die Schröpfung hingegen anzieht; deshalb werden durch die hervorsprudelnden und bis in die Extremitäten ausgedehnten Flüssigkeiten des Körpers zu Beginn eines Monats vielleicht mehr aufgenommene Stoffe ausgeleitet, als notwendig wäre. Es sei denn jemand möchte behaupten, dass die Leistungen einer Wissenschaft immer dann erfolgreicher seien, wenn sie mit dem Fortschreiten der Natur übereinstimmen. Doch dies soll dem Urteil der Ärzte überlassen werden. Was sie aber abgesehen davon beobachtet haben, gehört offensichtlich alles dem Aberglauben zugerechnet, wie in den folgenden Kapiteln dargelegt werden wird.

191 Unter der Bezeichnung excrementa generationis humidiora sind die mit der Fortpflanzung verbundenen Flüssigkeiten, also insbesondere der Samen sowie der Monatsfluss der Frau gemeint; excrementum ist die lateinische Übersetzung des von Aristoteles als περίττωμα bezeichneten Nahrungsrückstandes, den er in seiner Abhandlung De generatione animalium beschreibt (vgl. gen. animal. 1,18 724b 26–27: λέγω δὲ περίττωμα μὲν τὸ τῆς τροφῆς ὑπόλειμμα). In der Übersetzung des Theodorus Gaza heißt dieselbe Stelle: Excrementum appello reliquias alimenti (abgedruckt in den Opera des Averroes, Venedig 1562–1574, Band 6b, 54r F). Dass auch Sperma eine Form des excrementum ist, sagt Aristoteles wenig später ausdrücklich (Arist. gen. animal. 1,19 726b 26–28).

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Caput XV – Aestus maris in aliam causam quam in Lunam referri posse, in quam tametsi referantur, nihil inde iuvari astrologiam. Opinio Saracenorum ex mente Adelandi

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1. De fluxu maris atque refluxu multiplex quaestio est, cum omnibus videatur hoc a Luna procedere. Adelandus ex opinione Saracenorum causam accessus maris atque recessus hanc et narrat et probat: 2. »Nam cum ipsa,« inquit, »maris sibi brachia, puta quae interiecta terrae dirimit moles, obviare atque confluere impetu concito properent, fit tum montibus interpositis, tum ipsius terrae si | tu, ut ab eodem cursu, dum deficiunt, referantur, utque inde, quo ea paternus ac naturalis impellit motus, loci ipsius positu revocentur. Luna vero in causa non est, alioquin eveniret hoc idem in maribus torridae zonae vicinioribus, cum nec magis absint a Luna, ut quamobrem illius vim non persentiant, nec humidae minus undae natura putantur; et tamen nulla ibi reciprocatio, quia scilicet deest causa, quam diximus, concurrentium partium mole terreni situs hiantium.«

Font.: 6–14 Nam cum – hiantium ] cf. Adelard. quaest. nat. 52 pp. 50–51 M Nam cum Sim.: 6–14 Nam cum – hiantium ] cf. quaest. falsit. p. 168,21–22; pp. 168,26–169,1 – revocentur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515 10–14 Luna – hiantium ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515 App. crit.: 2 quam tametsi scripsi : quam tam et si B : quantam et si Gβ : quam et si OGarin 7 fit] sit Garin 9 ea scripsi coll. Adelard. quaest. nat. 52 p. 51 M : et Ω ac BCorr GOGarin : at BVWR : et F : ad C 11 ut quamobrem] fort. scribendum quam ut 12 putantur] expectes putentur 13 quia OGarin : quare αβ

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Kapitel 15 – Die Gezeiten können auf eine andere Ursache als den Mond zurückgeführt werden; wenn man sie aber auf diesen zurückführt, bringt dies der Astrologie keine Unterstützung. 1. Die Frage nach Ebbe und Flut des Meeres ist kompliziert, obwohl es für alle den Anschein hat, dass dieses Phänomen vom Mond ausgehe. Adelard führt zustimmend folgenden Grund nach Meinung der Sarazenen192 für das Hinzutreten und Wiederabfließen des Meeres an: 2. »Denn da sich die Arme des Meeres selbst, nämlich diejenigen, die die dazwischenliegende Erdmasse voneinander trennt, anschicken, Widerstand zu leisten und zusammenzufließen im dringenden Drang, sich zu vereinigen, geschieht es bisweilen durch dazwischenliegende Gebirge, bisweilen durch die Lage der Erde selbst, dass sie, wenn sie nachlassen, auf demselben Weg zurückfließen und von dort, wohin sie die väterliche natürliche Bewegung drückte, durch die Lage des Ortes selbst zurückbeordert werden. Der Mond hingegen ist nicht der Grund dafür, anderenfalls müsste dasselbe Phänomen sich auch in den Meeren, die der heißen Zone näherliegen, ereignen, da sie weder weiter vom Mond entfernt sind, sodass sie deswegen dessen wirkende Kraft nicht zu spüren bekämen, noch ihre Wellen als von Natur aus weniger feucht gelten; und dennoch gibt es dort keine Gezeiten, da es offensichtlich dort auch nicht die genannte Ursache gibt, nämlich die einzelnen Teile, die zusammenfließen wollen und durch die Masse der dazwischenliegenden Erde auseinanderklaffen.«193 192 Pico bezieht sich im Folgenden auf die Quaestiones naturales des Adelard von Bath, der dieses Werk vermutlich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts verfasste; vgl. hierzu Müller (1934: S. 76– 78). In der Einleitung dieses Werkes, das in den literarischen Rahmen eines Lehrgespräches mit seinem Neffen gebettet ist, hält dieser Adelard vor, er gebe allzu oft nur die Lehrmeinungen der Sarazenen wieder (quaest. nat. prooem. p. 5 M): cum Saracenorum sententias te saepe exponentem auditor tantum notaverim earumque non paucae satis futiles mihi videantur. Adelard selbst fügt dagegen an (ebd.): Nolo enim, si, quae dixero, minus provectis displiceant, ego ipse etiam eis displicere…Quare causam Arabicorum, non meam agam. Pico bezieht sich vermutlich auf den im Text bei Adelard vorgezeichneten Begriff Saraceni, der an dieser Stelle gleichzusetzen ist mit Arabes. In seinen Theses schreibt Pico mehrere Thesen der Ansicht eines Andelandus Arabs zu, den er allerdings unter den Neuplatonikern führt (conclus. 21,1–8 pp. 302–305 F); entsprechend zählt er ihn auch in einem Brief an Ficino zu den Zeitgenossen Plotins (Pico 1969: I S. 367–368): quid de arabicis? in quibus …Adelandi cuiusdam, qui sub Ammonio Plotini magistro in Aegypto philosophatus est, multae sunt quaestiones; vgl. hierzu auch Farmer (1998: S. 1441 ). 193 Pico bezieht sich auf das 52. Kapitel der Quaestiones naturales des Adelard von Bath (quaest. nat. 52 p. 51 M): Cum enim ipsa brachia sibi obviare atque confluere impetuose festinent, fit tandem, tum montium interpositione, tum ipsius terrae situ quodam elatiore, ut ab eodem cursu, dum deficiunt, referantur. Itaque fit, ut quo ea paternus ac naturalis impellit motus, ab eodem loci ipsius reducat situs licet non ignorem quosdam esse, qui hunc motum vi lunari dicant aestuare. Quod si verum esset, in maribus illis, quae torridae zonae viciniora sunt, vis talis non minus valeret. Nunc vero illa omni fere tali carent agitationem eo videlicet, quod ab illa causa, quam supra scripsimus, procul remota sunt, lunae tamen viciniora. Adelard selbst führt die Gezeiten also dezidiert nicht auf die

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Alia opinio

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3. Haec illius sententia non magnopere abhorrens a similitudine veri, quando naturali propensione feruntur elementi cuiusque partes ad suam integritatem. 4. Quid igitur mirum, si disclusae loco terris interiacentibus partes oceani, dum concurrere gestiunt, litora feriant accedentes et obiectu repulsae pariter retrocedant? Qua causa sublata – quod in australi pelago evenit – videmus hos aestus non apparere. Ita quispiam dixerit hunc accedendi recedendique motum naturalem esse aquae non quatenus aqua est, sed quatenus partes habet elementi principalis obiectu molis terrenae diremptas et separatas. 5. Quae ratio si cui non satisfacit, audiat aliam: confitentur astrologi non evenire tales recursus in omnibus aquis, etiam marinis, sed in his tantum, quarum terra profunda, dura, montibus crebris aspera et inaequalis, aqua vero multa, quae nec adiectu fluminum crescit nec digressu deminuitur, sed diuturnam ibi traxerit sedem densitudine spissa. 6. Quocirca conceptaculum fiat alumnaque vaporum multorum nec tenuium nec facile difflabilium, qui de suis parentibus, hoc est aquosa terra, aqua terrosa, deque caeli calore ducunt amaritiem illam notam atque salsuginem. Has quoniam

Font.: 6–8 quispiam – separatas ] cf. Thom. Aq. quaest. pot. 4, art.1, ad 20 10–13 in his – spissa ] cf. Album. introd. tract.3, diff.5 pp. 106–107; diff.8 p. 126; Albert. caus. element. 1,2,5 p. 608 B 14–15 conceptaculum – difflabilium ] cf. Albert. caus. element. 1,2,5 pp. 608–609 B 15 aquosa – terrosa ] cf. Albert. caus. element. 1,2,5 p. 608 B: Et dispositio quidem maris est, quod est spissa, et salsa, terrestreitati admixta 16 deque – salsuginem ] cf. Adelard. quaest. nat. 51 p. 50 M; Albert. caus. element. 1,2,5 p. 608 B Has – apparere ] cf. Album. introd. tract.3, diff.5 pp. 107–108; Albert. caus. element. 1,2,7 p. 614 B Sim.: 2 naturali – integritatem ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515; quaest. falsit. p. 168,22–24 554.14–556.2 Quocirca – apparere ] cf. rer. praen. 5,4 p. 515 App. crit.: 3 partes BCorr GGarin : praesentes BOβ 6 motum OGarin : modum αβ 11 montibus FGarin (cf. Album. introd. tract.2, diff.3 p. 107: Loca enim que non sunt profunda nec dura, nec fuerint in eis montes) : motibus αVWRCO 12 deminuitur] diminuitur Garin 16 ducunt BVWCFO : inducunt G : dicunt R

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3. Dies ist seine Meinung, die nicht weit von der Wahrheit abweicht, weil die Teile eines jeden Elementes durch ihr natürliches Streben (propensio) ihre unversehrte Einheit (integritas) anstreben. 4. Wen wundert es daher, wenn die durch dazwischenliegende Erdmassen räumlich voneinander getrennten Teile des Meeres beim Herantreten an die Küsten diese schlagen, während sie versuchen zusammenzufließen, und durch das Hindernis zurückgestoßen gleichermaßen zurückfließen? Wenn diese Ursache jedoch nicht zum Tragen kommt – im südlichen Meer ist dies der Fall – können wir sehen, dass diese Gezeiten nicht auftreten. So könnte jemand sagen, dieses Heranund wieder Abfließen sei die natürliche Bewegung des Wassers, nicht insofern es Wasser ist, sondern insofern es sich dabei um Teile eines grundsätzlichen Elementes (elementum principale) handelt, die durch das Hindernis der Erdmasse geschieden und getrennt sind. 5. Wenn dieses Argument jemanden nicht überzeugt, soll er ein anderes hören: Die Astrologen geben zu, dass solche Rückflüsse nicht in allen Gewässern stattfinden, nicht einmal in allen Meeren, sondern lediglich in denjenigen, deren Grund tief ist, hart, rau und uneben von zahlreichen Erhebungen, deren Wasser jedoch in großer Masse vorhanden ist und weder durch hineinfließende Flüsse vermehrt noch durch deren Abfließen vermindert wird, sondern das für sich dort einen dauerhaften Platz durch seine träge Dichte erlangt hat. 6. Deshalb wird es zum nährenden Gefäß vieler Dämpfe, und zwar solcher, die weder dünn noch leicht auflösbar sind und die ihren bekannten bitteren Geschmack und ihr Salzigsein von ihren Eltern haben, also vom wässrigen Land (aquosa terra) und dem landhaften Wasser (terrosa aqua) und von der Hitze des

Mondbewegung zurück. Eugenio Garin zitiert in seiner Ausgabe ebenfalls den Text des Adelard, verweist allerdings – den Hinweis auf Isidor von Sevillas De rerum natura (13,18) bei Müller (1934: S. 51) missverstehend – auf »Isaac [!], De rer. nat. 40« (Garin 1946: S. 306).

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conditiones et fontes et flumina, sed et maria quaedam non habent, ideo in illis dicunt hos aestus non apparere. 7. Poterit autem cuipiam hinc apparere satis aperta et sufficiens causa marinae reciprocationis, siquidem de tali terra et aqua vapores identidem, quales diximus, ventique suscitantur, unde in aqua fit ventus atque tumultus, praesertim quod ex motu impulsuque isto et vaporum admixtione calescit, quare locum quaerit ampliorem, quo se diffundat. 8. Accedit quasi tertia causa motus reflexio ventorum vellicantium aquae summa ad infernas illius partes, qui spirantibus inde ventis implicati proruunt aquas in superna conati; tum aquae necessario, dum eructuant, abundant tumescuntque et reiectae pariter et pulsae, revolutae propriam faciunt accessionem. Rursus ubi vis illa dissolutis vaporibus conflamescit, subsidunt atque sternuntur et in angustiis se contrahentes ab occupatis locis abscedunt. Quae vaporum ventorumque generatio pro natura maris, sicut perpetua ferme est perpetuaque dissolutio, videtur iugis reciprocationis causa sufficiens, unde | redit frigida, quae prius tepens advenerat.

Font.: 4–7 vapores – diffundat ] cf. Album. introd. tract.3, diff.5 pp. 106–107 8–11 reflexio – accessionem ] cf. Album. introd. tract.3, diff.5 p. 106 10 in superna conati ] cf. Tert. anim. 19 13– 16 Quae – advenerat ] cf. Album. introd. tract.3, diff.5 pp. 109–110; Albert. caus. element. 1,2,5 p. 610 B App. crit.: 3 hinc om. Garin 5 atque om. WO 10 eructuant Bβ : eructiant G : eructant O 14 est BB : esse αβOGarin

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Himmels. Weil sowohl Quellen als auch Flüsse, aber auch einige Meere über diese Bedingungen nicht verfügen, träten deswegen, so sagen sie, in ihnen keine Gezeiten auf. 7. Jedem aber wird die Ursache für die Gezeiten des Meeres offenkundig und ausreichend genug erscheinen, weil aus dem Land und Wasser, das über die beschriebenen Eigenschaften verfügt, sich ebenso wie die Winde allenthalben solche Dämpfe, wie wir sie beschrieben haben, erheben, woraus im Wasser Wind und Wirbel entsteht, da es ja infolge der Bewegung, jener Einwirkung und der Vermischung der Dämpfe in Hitze gerät, weshalb es einen weitläufigeren Platz sucht, in den es sich ausdehnen kann. 8. Als sozusagen dritte Ursache für die Bewegung kommt das Drängen der miteinander ringenden Winde von der Meeresoberfläche in die weiter unten befindlichen Teile, die, nachdem sie sich mit den von dort wehenden Winden vereinigt haben, eilig das Wasser in die weiter oben gelegenen Teile drücken. Dann bewirkt das Wasser notwendigerweise, während es ausspeit, zunimmt und anschwillt, gleichermaßen zurückgeschlagen wie vorangetrieben, beim Zurückwälzen sein charakteristisches Hinzukommen (Flut). Sobald aber jene Kraft nach Auflösung der Dämpfe wieder in Flammen gerät, sinkt das Wasser ab und setzt sich am Grund ab, und indem es sich in Engpässen zusammenzieht, zieht es sich von den Orten, die es eingenommen hatte, wieder zurück. Da diese Erzeugung von Dämpfen und Winden gemäß der natürlichen Beschaffenheit des Meeres beinahe unendlich ist und ebenso auch deren Auflösung unendlich ist, scheint sie ein ausreichender Grund (causa sufficiens) für das ständige Zu- und Abfließen zu sein, weshalb das Wasser kalt zurückkehrt, das zuvor warm angekommen war. 9. So erklärt es uns Adelard.194

194 Die von Pico an dieser Stelle geäußerten Ansichten lassen sich in der Darstellung der Gezeiten des Adelard in den Quaestiones naturales nicht finden; die Darstellung entspricht eher den Erklärungen in der Introductio des Abū Ma῾šar bzw. in der Abhandlung De causis et proprietatibus elementorum des Albertus Magnus. Dies bedeutet, dass Pico entweder die Quellen durcheinanderbringt oder an dieser Stelle einer anderen Quelle folgt (also Abū Ma῾šar oder Albertus Magnus oder einem weiteren Autor, der eine entsprechende Erklärung für die Gezeiten bietet), ohne diese explizit zu nennen. Möglich wäre darüber hinaus auch, dass Pico einer anderen (verlorenen?) Darstellung aus dem übrigen Werk des Adelard folgt oder aber die entsprechenden Erklärungen der anderen Autoren als weiterführende Interpretation der Darstellung in den Quaestiones naturales versteht. Ließe sich die Quelle eindeutig zuordnen, müsste der Name Adelandus im Falle eines eindeutigen Lapsus im Text entsprechend geändert werden (vgl. die Angabe im kritischen Apparat ad loc.); dies ist jedoch nicht der Fall.

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Aboasar

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9. Quod significat nobis Adelandus. 10. Et possunt quidem tuentes istam opinionem rationem reddere, cur maiora quaedam maria non reciprocent, licet adsint et venti et halatus: fit enim etiam illis idem sane effectus, sed pelagi vastitas litorumque summotio speciem tollit accessus atque recessus, ut id potius videatur bene dictum aquas videri hoc quam alternantes, hoc est fluctuantem potius aestum quam reciprocantem. 11. Quae si rationi consonant naturali, si consonant experimentis, cur parum probabilia iudicari debent aut cur necessarium praeter has causas addere Lunae motum secum aquas deorsum etiam in sublime trahentem, praesertim cum non illa respondeant, quae respondere sit necesse, ut cum aucta lumine Luna, cum velocior cursu, cum propinquior terrae, cum declinans ad aquilonem a via Solis, cum in signis aquilonaribus posita, tunc uberiores fiant accessus, contra tenuiores, cum se aliter habet, quam dicebamus? 12. Porro non videtur, quid ita sentientibus obici possit praeter ipsam aquarum tam in ascensu quam in descensu cum Luna concordiam; quae, si verum quod fatetur Aboasar, nescio quo pacto vel ipsa satis obici possit. Scribit enim non eadem ubique esse accessionis initia atque recessus, etiam ubi nulla de finitore varietas, sed interdum usu evenire, ut, quo tempore quodam loco recedunt aquae, alibi tunc accessum aggrediantur. Nec ipse dissimulat hoc plurimis causam praebuisse suspicandi motus illos a Lunae motibus non dependere; cuius diversitatis quamquam reddere rationem conatur, ut Lunam nihil minus esse causam defendat, sequitur tamen inde pro Luna capi argumentum non posse, unde potius con-

Font.: 3–5 fit enim – recessus ] cf. Album. introd. tract.3, diff.8 pp. 126–127; Grossetest. quaest. flux. 3,23–44 pp. 467–468 16–19 Scribit – aggrediantur ] cf. Album. introd. tract.3, diff.4 pp. 104–108; Albert. caus. element. 1,2,4 p. 607 B 19–20 Nec ipse – dependere ] cf. Album. introd. tract.3, diff.4 pp. 104–108 App. crit.: 1 pro Adelandus fort. scribendum Albertus vel Albumasar? 3 fit] sit C 5–6 post potius quod addendum putavi stantes vel simile aliquod excidisse suspicor 11 terrae] terris Garin 19 hoc] hanc BF

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10. Diejenigen, die diese Meinung vertreten, können auch einen Grund dafür angeben, warum einige größere Meere keine Gezeiten haben, obwohl es Winde und Ausdünstungen gibt; denn auch bei diesen ergibt sich beinahe dieselbe Wirkung, aber die enorme Größe des Meeres und die Entfernung der Gestade lässt das Hinzu- und Abfließen aus dem Blick verschwinden, sodass jener Ausspruch gut geäußert erscheint, dass das Wasser dadurch allem Anschein nach als sich abwechselt, das bedeutet, dass die Wogen eher nur aufwallen als hin- und zurückzufließen. 11. Wenn diese Erklärungen der natürlichen Logik entsprechen, wenn sie mit der Empirie übereinstimmen, warum müssen sie dann als zu unwahrscheinlich beurteilt werden oder warum muss man neben diesen Ursachen notwendigerweise noch die Bewegung des Mondes hinzufügen, die das Wasser mit sich von unten sogar in die Höhe hebt, zumal jene Eigenschaften nicht übereinstimmen, die übereinstimmen müssen, nämlich dass, wenn der Mond vermehrt Licht hat, wenn er schneller auf seiner Bahn eilt, wenn er der Erde näher ist, wenn er von der Sonnenbahn nach Norden abweicht, wenn er sich in den nördlich gelegenen Zeichen befindet, dann auch stärkere Fluten eintreten würden; andererseits weniger starke, wenn sich der Mond anders verhielte als gesagt? 12. Weiterhin lässt sich nicht erkennen, was man denjenigen, die dieser Ansicht sind, entgegenhalten könnte außer der Übereinstimmung des Wassers selbst mit dem Mond sowohl im Aufstieg als auch im Abstieg. Trifft die Ansicht des Abū Ma῾šar zu, weiß ich nicht, wie man ihnen selbst das richtig entgegenhalten kann. Er schreibt nämlich, es gebe nicht überall dieselben Anfänge von Flut und Ebbe, sogar dort, wo es keinen Unterschied hinsichtlich des Horizonts gebe, sondern bisweilen ereigne es sich, dass zum selben Zeitpunkt an einem Ort Ebbe eintrete, anderswo hingegen gleichzeitig die Flut. Er verheimlicht auch selbst nicht, dass dies sehr vielen Leuten Anlass zum Argwohn gab, dass diese Bewegungen von den Mondbewegungen nicht abhängig seien. Obschon er versucht, eine Erklä-

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Alia opinio Alpetragii

Quaestionem hanc astrologiae impertinentem esse r

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tradicendi praestatur occasio, plurimumque haec intra se distant: a temporibus aestus evidenter lunarem causam confirmari et ab illis non evidenter confutari. 13. Alpetragius attulit huius motus caelestem causam nec a Luna, verum a diurno motu, quo moventur omnia, sed inferiora minus. Ignis enim sphaera rotatur in orbem; inordinatus motus in aere fit, qui in aqua desinit in accessum atque recessum. 14. Quae equidem omnia potius disputo quasi philosophus causam investigans veram istius effectus, quam ut astrologis contradicam, quando hic nihil astrologicis rebus accedit receditve, si accessus istos atque recessus cursibus astrorum aliorum aut Lunae referamus. 15. Quoniam hoc ipsum est, ut verissime dixit Phavorinus, magis astrologi fallacia, qui, cum viderint terrena quaedam inter homines sita caelestium rerum sensu atque ductu moveri, quale est, quod oceanus, quasi Lunae comes, cum ea simul senescit adolescitque, hinc videlicet sibi argumentum | ad persuadendum paravere, ut crederemus omnia rerum humanarum et parva et maxima tamquam stellis atque sideribus evincta duci atque regi. 16. Mögen die Gezeiten auch vom Mond ausgehen, was wir auch selbst gerne und leichthin glauben wollen: was ist das für ein Argument für die Astrologen oder gegen uns? Denn keinesfalls lässt sich daraus, wie manche glauben, verstehen, dass die Gestirne nicht nur durch Bewegung und Licht auf uns einwirken, sondern durch verborgene Einflüsse (occulti influxus), da der Mond auch unterhalb des untersten Punktes der Erde gelegen die Gewässer bewege, die sein Licht dennoch zu diesem Zeitpunkt nicht erreichen könne. 17. Roger Bacon wollte in seinem »Brief an Papst Clemens IV.« auf folgende Weise den Grund für die Gezeiten anhand des Lichts des Mondes angeben: »Wenn sich nämlich«, so sagt er, »der Mond über das Meer eines Gebietes erhebt, fallen die Strahlen des Mondes in spitzen Winkeln, weshalb sie schwächer sind und deswegen Dämpfe aus den Tiefen des Meeres emporheben, die sie nicht aufbrauchen können, Dämpfe, die die Wassermassen mit Blasen werfender Schwellung einsaugen, sodass sie aus ihren Kanälen ausgedehnt werden, ganz so wie ein Feuer, das man unter einem Topf mit Beikost entzündet hat, das Wasser verdampft, weshalb der Dampf über den Rand des Gefäßes herabwallt. 18. Deswegen fließt, während diese Anziehung der hervorsprudelnden Dämpfe (vapores ebullientes) also andauert, das Wasser aus seinen angestammten Plätzen; sobald sich der Mond aber seiner Kulmination nähert, fallen die Strahlen in einem Winkel ein, der einem rechten Winkel unaufhörlich ähnlicher wird, und sie selbst werden deshalb auch stärker; umso mehr sich der Mond also erhebt, desto stärker werden schließlich auch die Strahlen, und zwar schließlich so stark, dass

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v Confu-tatio Bacconis

Prima ratio

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que aquae declinant, sicut in illa ipsa olla, cum magis calor invaluit, vaporibus absumptis subsidet liquor et in vasis ima se recipit.« 19. Movet autem post hanc quaestionem propositam, quonam scilicet pacto tendens ab occasu ad imum terrae vim movendi retinet Luna. Nam tunc ascendunt aquae pariter atque Luna ab ortu ad summum contendente nec tamen, ut confitetur, radiorum vis ulla mediam terram penetrare potest. Hoc igitur ipse ita dissolvit: »Caelum,« inquit, »supremum, sive octavum sive nonum, necessario densum est, quandoquidem terminat visum, qui denso tantummodo terminatur. Proinde lunares radios illuc protensos ad partem adversam reflecti necessarium est.« Idcirco, si ab occidente Luna ad imum terrae movetur, virtus eius in quadram aliam caeli vigebit oppositam facitque reflexo radio quod faciebat ab oriente pergens ad summum. 20. Hoc est Bacconis inventum, in quo adeo sibi placet, | ut primum se accessus atque recessus in oppositas quadras rationem reddidisse glorietur, cum sint tamen in eius dictis tot pudenda errata, quot verba. Primum contradicit, non di-

Font.: 5–6 ut confitetur – potest ] cf. Rog. Bac. op. mai. p. I 141 B 13–14 in quo – glorietur ] cf. Rog. Bac. op. tert. 37 p. 120 B App. crit.: 3 post hanc BB BP BEC O : posthac αβGarin

5 contendente Ω : intendente Garin

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sie Dämpfen, die Auflösung bewirken, gleichen, sodass, nach Ansicht Rogers, die Flut deswegen zunehmend träger wird, wenn sich der Mond dem Süden nähert; neigt sich der Mond dann wieder herab, neigen sich auch die Wassermaßen ihrem Rückfluss zu, ganz so, wie auch in jener Schüssel sich die Flüssigkeit, wenn die Hitze zunehmend die Oberhand gewonnen hat, unten absetzt, sobald die Dämpfe aufgebraucht sind, und sich am Boden des Gefäßes sammelt.«196 19. Im Anschluss aber handelt er besagte Frage ab, wie der Mond, wenn er vom Untergangspunkt zur unteren Erdmitte eilt, seine Kraft, Dinge in Bewegung zu setzen, behält. Denn auch dann erheben sich die Gewässer gleichermaßen wie innerhalb des Zeitraumes, wenn der Mond vom Aufgangspunkt zur Himmelsmitte voranschreitet, und dennoch kann, wie er zugibt, keine Kraft der Strahlen die Erdmitte durchdringen. Diese Schwierigkeit löst er selbst auf folgende Weise: »Der äußerste Himmel, sei es nun die achte oder die neunte Sphäre, ist notwendigerweise dicht, da er ja die Sicht begrenzt, die nur von etwas Dichtem begrenzt wird; entsprechend werden die Mondstrahlen, die bis dorthin gelangt sind, notwendigerweise in die entgegengesetzte Richtung zurückgeworfen.« Aus diesem Grund entfaltet die Kraft des Mondes, wenn er sich vom Untergangspunkt zur unteren Erdmitte bewegt, ihre Wirkung in einem anderen, gegenüberliegenden Himmelsquadranten und bewirkt durch den zurückgeworfenen Strahl das, was sie bewirkte, als er sich vom Aufgangspunkt zur oberen Himmelsmitte erhob. 20. Das ist die Erfindung des Bacon, bei der er sich so sehr gefällt, dass er sich rühmt, er habe als erster die Begründung für Ebbe und Flut in die entgegengesetzten Gebiete gegeben, obschon doch in seinen Darstellungen so viele beschämende Fehler wie Worte sind.197 Zunächst widerspricht er, ich will nicht sagen der Em-

196 In seinem Opus maius schreibt Roger Bacon (Rog. Bac. op. mai. pp. I 140–141 B): Propter quod considerandum est, quod quando luna ascendit super mare alicujus regionis, ejus radii cadunt ad angulos obliquos, ut quilibet qui novit casum angulorum potest hoc scire. Et quia cadunt ad angulos tales, oportet quod sint debilis virtutis, ut prius ostensum est. Et ideo solum possunt elevare vapores a fundo maris, et ampullas tumentes, et ingurgitantes aquas maris, ut expellantur a canalibus suis, quos vapores non possunt radii ad aerem extrahere nec consumere propter debilitatem suam; et ideo oportet ut aqua fluat a sedibus suis, donec durat hujusmodi ebullitio vaporum. Sed cum luna accedit ad medium coeli, cadunt magis et magis radii ejus ad angulos rectos, et fortificantur super corpus maris, ac extrahunt vapores ad aerem et consumunt, unde debilitatur fluxus [...]. Et pono exemplum sensibile ad istud. Nam in pulmento posito super ignem, ignis in principio resolvit vapores, et facit eos exire orificium vasis: quando vero fortificatus est et continuatur, consumit vapores, et liquor residet in fundo vasis. 197 In seinem Opus tertium schreibt Bacon (op. tert. 37 p. 120 B): Sed tamen unum de famosioribus et maximis exemplis in rebus, et de difficilioribus, scilicet de fluxu et refluxu maris, explicavi, assignans causam hujus per multiplicationem radiorum lunae secundum lineas et angulos, et per reflexiones radiorum, ubi valde pulchra accidit consideratio sapientiae, et toti vulgo ignota; in qua pulchre potestis conferre cum omni sapiente.

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Secunda ratio

Tertia ratio

Quarta

Quinta

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xerim experimento, sed Aboasari certe, cuius se facit interpretem, qui vigorem accessus esse tradit, cum ad summum caeli Luna provenerit, nec prius remitti, quam coeperit illa descendere. Contra Baccon, quo magis proximat summo Luna, remitti putat accessum dissolutis vaporibus lumine calidiore nec vidit Lunae lumen ita numquam intendi, ut marinas exhalationes nedum possit consumere, sed nec suscitare tantas, quantis opus est in commovendis accessibus. 21. Quod si perneget contumacius, illud fateatur oportet vel invitus aliquot dies circa novilunium nullos futuros aestus oceani, siquidem eo tempore aut nullum aut adeo tenue Lunae lumen, ut nulla possit quavis impudentia dici par procreandis in mari tot vaporibus iisdemque etiam dissolvendis. Postremo cur non fortiores radii descendentis quam ascendentis? Cur descendens revocat aquas, effundit ascendens? Curque non imbecilliores a summo parum declinantes, quam tunc primum exorientes? Cur ibi recessum, hic accessum facit? Siquidem, quemadmodum ipse sentit, radiorum vigor intensiore calore reprimit accessum, quoniam eorundem debilitas auget. Denique quis credat reflexis radiis Lunae sub terram decurrentis inesse vim tantam, ut possint etiam suscitatos vapores absumere, aut, si id non possunt, quae causa recessus Luna delata sub finitorem fundamento Bacconis, quamobrem Luna decedente recedant quae accedant exoriente?

Font.: 1–3 Aboasari – descendere ] cf. Album. introd. tract.2, diff.4 p. 103 App. crit.: 1 vigorem BB BF BEC GGarin : vigore BOβ 18 quamobrem] quambrem B (corr. BB BP ) recedant scripsi : decedant Ω exoriente VWRFOGarin : ex oriente αC

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pirie, aber doch gewiss Abū Ma῾šar, zu dessen Erklärer er sich macht; dieser lehrt, dass der Scheitelpunkt der Flut eintritt, wenn der Mond zur oberen Himmelsmitte gelangt ist, und dass sie erst nachlässt, wenn er anfängt zu sinken. Bacon hingegen geht davon aus, dass die Flut nachlässt, je weiter sich der Mond der Kulmination nähert, auf Grund der durch das zunehmend heißere Licht aufgelösten Dämpfe, und er sieht dabei nicht, dass sich das Mondlicht niemals so steigern (intendi) kann, dass es die Meeresausdünstungen – um vom Aufbrauchen gar nicht zu reden – in so hohem Maße anregen könnte, wie es notwendig wäre, um die jeweilige Flut in Bewegung zu setzen.198 21. Auch wenn er dies umso beharrlicher abstreitet, muss er doch, wenn auch unwillig, zugeben, dass es einige Tage lang um Neumond herum keine Gezeiten des Meeres geben würde, da ja zu dieser Zeit das Mondlicht entweder gar nicht vorhanden oder aber so schwach ist, dass sich auch mit noch so großer Dreistigkeit nicht sagen lässt, es sei ausreichend, um im Meer so viel Dunst hervorzurufen und denselben dann sogar wieder aufzulösen. Warum sind schlussendlich die Strahlen des absteigenden Mondes nicht stärker als die des aufsteigenden? Warum ruft er das Wasser beim Abstieg zurück, während er es beim Aufstieg ausströmen lässt? Warum sind die Strahlen nicht schwächer, wenn sie ein wenig vom höchsten Punkt abweichen, als wenn sie sich zum ersten Mal erheben? Warum bewirkt der Mond an der einen Stelle Ebbe, an einer anderen aber Flut? Und das, zumal, wie er selbst meint, die Kraft der Strahlen durch die gesteigerte Hitze die Flut unterdrückt, da die Schwäche derselben sie vermehrt. Zu guter Letzt: Wer könnte glauben, dass den zurückgeworfenen Strahlen des unter die Erde hinabeilenden Mondes so viel Kraft innewohne, dass sie sogar die aufgewirbelten Ausdünstungen aufbrauchen können, oder, wenn sie es nicht können, was ist der Grund für die Ebbe auf Grundlage der Argumentation Bacons, wenn der Mond unter den Horizont hinabgelangte, weshalb beim Abstieg des Mondes das, was bei seinem Aufgang zum Land floss, wieder von diesem wegfließt? 22. Bacon soll also seine Erfindungen für sich behalten; ich will solch einen Effekt, wenn er zum Mond gehört, auf dessen Bewegung zurückführen, welche

198 Im entsprechenden Kapitel bei Abū Ma῾šar heißt es (introd. tract.2, diff.4 p. 103): Incipitque mare veniens cum Luna augmentari, et non desinit esse ita quousque pervenit Luna ad medium coelum in eodem loco. Et tunc pervenit accessio ad perfectionem suam. Roger Bacon hingegen lässt die Flut bereits auf Grund des hohen Grades an Verdampfung schwächer werden, während der Mond sich der Himmelsmitte nähert (op. mai. p. I 141 B): … debilitatur fluxus paulatim, secundum quod luna appropinquat lineae meridiei; et quando venit ad illam lineam sunt vapores castigati et consumpti…

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Thomas

Variae observationes r

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22. Habeat ergo Baccon haec sua sibi commenta; nos, si pertinet ad Lunam talis effectus, ad eius id motum referamus, quem tacito naturae consensu oceani motus imitatur, quare ascendit cum ascendente, descendit cum descendente; quod quidem divo Thomae placuisse videtur in libro De occultis operibus naturae. Nec putemus hos aestus auctionem aquarum esse vel imminutionem, sed, quod ipsae exprimunt voces, accessum atque recessum non aucti vel imminuti, sed extendentis se maris ascensu descensuque contrahentis. 23. Dicimus autem haec de noctis aestu atque diei. Nam si qua maria sunt, ut est scriptum a quibusdam, posita semper in accessu, dum augetur Lunae lumen, a coitu scilicet ad plenilunium, rursus in recessu, cum diminuitur a plenilunio usque ad coitum, non sequuntur illa Lunae motum in sphaera, sed motum, ut sic dixerim, luminis in Luna, decrescentis in ea pariter et crescentis, cuius variatio potest eum quoque, qui fit quotidie, nonnihil variare. 24. Sed non consentiunt traditae super hoc observationes. Nam et Aegyptii et qui navigant ad occidentem a meridie primi diei mensis lunaris ad undecimum usque diem | vigorari dicebant accessum, ab undecima ad decimam octavam partemque diei sequentis debilitari; inde ad vigesimam sextam rursus intendi, remitti subinde usque ad mensis initium. Quotiens autem accessus maior, minor recessus, et contra commutata ratione.

Font.: 4 divo Thomae – naturae ] cf. Thom. Aq. op. occ. p. 183,49–58 8–11 si qua – ad coitum ] cf. Album. introd. tract.2, diff.4 p. 103; Albert. caus. element. 1,2,4 p. 606 B 14–18 Aegyptii – initium ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117 18–19 Quotiens – ratione ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117 App. crit.: 4 quidem divo OGarin : qui dicit αβ (fortasse recte?) 6 imminuti BOβ (iminuti F) : immuniti G 14 Tit. Variae observationes add. BP 15 primi] expectes quarti cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117 16 decimam octavam] undecimamoctavam Garin 17 remitti] remiti α 18 mensis initium] expectes tertium et dimidium diem post mensis initium vel similia coll. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117

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die Meeresbewegung nach einer heimlichen natürlichen Übereinstimmung nachahmt, weshalb das Meer sich mit dem aufsteigenden Mond erhebt und wieder zurückebbt, wenn er hinabsteigt; dies scheint auch dem heiligen Thomas von Aquin gefallen zu haben in seiner Schrift »Über die verborgenen Tätigkeiten der Natur« (De occultis operibus naturae).199 Genauso wenig will ich glauben, dass diese Gezeiten eine Vermehrung oder Verringerung der Wassermasse bedeuten, sondern, was schon die Begriffe selbst ausdrücken, ein Hinzutreten (accessus) und ein Zurücktreten (recessus) des Meeres, das weder vermehrt noch verringert ist, sondern sich bei seiner Erhebung ausdehnt und bei seiner Senkung wieder zusammenzieht. 23. Diese Aussage gilt aber für die Gezeiten sowohl am Tag als auch in der Nacht. Wenn es nämlich Meere gibt, wie es von einigen Leuten geschrieben wurde, die immer der Flut unterliegen, während das Mondlicht zunimmt, also von der Konjunktion (Neumond) bis zum Vollmond, der Ebbe hingegen, wenn das Mondlicht vom Vollmond bis zur Konjunktion abnimmt, folgen jene nicht der Bewegung des Mondes auf seiner Sphäre, sondern sozusagen der Bewegung des Lichtes am Mond,200 das gleichermaßen mit ihm ab- und zunimmt, deren Änderung auch jene tägliche Bewegung in geringem Maße abweichen lassen können. 24. Doch die hierzu überlieferten Beobachtungen stimmen nicht miteinander überein. Denn die Ägypter und diejenigen, die Richtung Westen segeln, stellten fest, dass vom Mittag des ersten Tages des Mondmonats bis zum elften Tag die Flut an Kraft gewinne, vom elften Tag aber bis zum 18. Tag plus der Hälfte des Folgetages201 schwächer werde; von da an nehme sie bis zum 26. Tag wieder zu, anschließend nehme sie wieder ab bis zum Beginn des neuen Monats. Wann immer aber die Flut stärker ist, wird die Ebbe schwächer, und umgekehrt gilt Entsprechendes.202 199 Bei Thomas von Aquin heißt es (op. occ. p. 183,49–58): Ex utrisque autem horum [sc. caelestia corpora et substantiae separatae] alique actiones vel motus in corporibus inferioribus inveniuntur, que non procedunt ex aliqua forma inferioribus corporibus impressa, sed solum ex superiorum agentium motione. Aqua enim maris fluentis et refluentis talem motum sortitur preter proprietatem elementi ex virtute lune, non per aliquam formam aque impressam sed per ipsam lune motionem, qua scilicet aqua movetur a luna. 200 Also nicht der täglichen Kreisbewegung des Mondes um die Erde (Aufgang – Himmelmitte – Untergang – untere Himmelmitte), der auch die Sonne und die anderen Planeten (scheinbar) unterliegen, sondern seiner Bewegung im Laufe eines Monats im Verhältnis zur Sonne und somit hinsichtlich der Zu- und Abnahme seines Lichtes. 201 Gemeint ist der Mittag des 19. Tages des Mondmonats. 202 Die Darstellung bei Pico folgt der Darstellung der Gezeiten nach Ansicht der Ägypter, wie sie Abū Ma῾šar in seinem Introductorium maius (3,6) bietet. Der Tatsache, dass die dort gebotenen Darstellungen fehlerhaft sind, trägt auch Pico Rechnung: Denn laut Abū Ma῾šar werde von einem Mondmonat von 291/2 Tagen ausgegangen, der seinerseits in vier Zeiträume von ca. siebeneinhalb Tagen zerlegt werde. Daraus ergäben sich vier Zeiträume, von denen jeweils zwei ein Vorherrschen von Ebbe bzw. Flut bezeichneten: Vom 27. Tag eines Monats bis zum Mittag des vierten Tages des Folgemonats seien dies diminutionis aque, von dort bis zum elften Tag herrsche augmentatio

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25. Sunt alii, qui dicant verum hoc deprehendi in fluminum aquis de fontibus decurrentium, quae memoratis diebus aliis extenduntur, aliis contrahuntur ad capita. De mari vero proditum aliter ab orientalibus, qui nec inter se consentiunt; nam sunt, qui tradant primo ultimoque decano mensis accessus imminui, medio crescere; quod eam habere videtur rationem, ut pleniore lumine crescant, defectiore decrescant. Alii non esse pluribus diebus perpetuum, ut vel augescant accessus vel deficiant, sed aut una aut altera die fieri, sive cum intenduntur sive cum remittuntur. 26. Aboasar quattuor facit vices in hunc modum: primam post coitum, cum recedere incipit Luna, quousque sit semiplena; tum ait accessum imminui ea proportione, qua discedit a Sole Luna, ut, cum venit iam ad quadrangulum, debilissimi sint; secundam inde usque ad plenilunium, quo tempore gradatim intenduntur, ut ad summum perveniat Luna plena; tertiam a plenilunio donec iterum sit

Font.: 1–3 Sunt alii – capita ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117 3–6 ab orientalibus – decrescant ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 118 6–8 Alii – remittuntur ] Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117 9 Aboasar – vices ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 pp. 113–114 primam – debilissimi sunt ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 113 12–13 secundam – plena ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 114 570.13–572.1 tertiam – lumine ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 113 App. crit.: 2 contrahuntur Garin : contrahantur Ω (vel potius scribendum extendantur?) 4 tradant scripsi : tradunt ΩGarin 10 accessum] accessus Garin

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25. Andere wiederum sagen, man könne die Wahrheit dies betreffend am Wasser der aus ihren Quellen strömenden Flüsse erkennen, das sich an besagten Tagen ausdehnt beziehungsweise zu den Ursprüngen zusammenzieht. Anderes aber ist von den Leuten aus dem Osten über das Meer überliefert, die auch untereinander nicht einig sind; denn einige geben an, dass die Flut im ersten und in der letzten Zehntagesspanne des Monats abnehme, in der mittleren aber zunehme; dies scheint den Grund zu haben, dass die Wassermenge bei vollerem Licht zunimmt, bei schwächerem hingegen abnimmt. Andere wiederum behaupten, es geschehe nicht ununterbrochen an bestimmten Tagen, dass die Flut zu- oder abnehme, sondern mal an dem einen, mal an dem folgenden Tag, sei es, dass das Wasser zunimmt oder sei es, dass es abnimmt. 26. Abū Ma῾šar stellt vier derartige Phasen folgendermaßen dar: Die erste von der Konjunktion (Neumond), wenn der Mond beginnt sich von der Sonne zu entfernen, bis zum Halbmond; dabei nehme die Flut in dem Maße ab, in dem der Mond sich von der Sonne fortbewegt, sodass sie, wenn er im rechten Winkel zur Sonne steht, am schwächsten sei; die zweite Phase gehe von hier bis zum Vollmond, wobei die Flut schrittweise zunehme, sodass sie bei Vollmond ihren Scheitelpunkt erreiche; die dritte Phase reiche vom Vollmond bis zum abnehmenden

aque, bis zum Mittag des 19. Tages erneut diminutio aque sowie bis zum vollendeten 26. Tag erneut augmentatio (Album. introd. tract.3, diff.6 p. 117). Deutlich wird, dass die angegebenen Zeiträume nicht der angegebenen Dauer von siebeneinhalb Tagen entsprechen. Pico folgt der Darstellung bei Abū Ma῾šar weitgehend, statt am Mittag des vierten Mondtages lässt er seine erste Periode jedoch am Mittag des ersten Tages beginnen. Ob es sich hierbei um ein Missverständnis handelt oder den Versuch, die unklare Berechnung der Vorlage zu verbessern, ist unklar. Eine ähnliche Aufteilung eines Monats in (vier) Abschnitte von gleicher Länge findet sich im folgenden Kapitel in der Darstellung der kritischen Tage nach Galen.

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Contra Aboasarem

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dividua decrescente simul accessu cum lumine; quartam inde ad coitum; tum vero vehementiores subinde fieri accessus ita, ut coeunte Luna sint vehementissimi. 27. Sed hoc nullam habere potest rationem, siquidem luminis haec differentia, quod ad propositum attinet, multum, paucum lumen, crescens et decrescens. Si vel multa vel crescente luce fit accessus, quarta fallitur observatio; si pauca vel decrescente, secunda; si multa, sed decrescente, fallitur tertia; si pauca crescente, fallitur prima. 28. Verum quaecumque potius recipiatur harum traditionum, patet nihil nos cogi novam comminisci potestatem in Luna praeter motum et lucem, quare mare commoveat, quando proditae omnes in accessibus maris recessibusque diversitates vel a motus diversitate scandentis sideris vel declinantis, vel a lucis damnis et incrementis evidentissime causam habere possunt.

Font.: 1–2 quartam – vehementissimi ] cf. Album. introd. tract.3, diff.6 p. 113

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Halbmond, wobei die Flut zusammen mit dem Licht abnehme; die vierte Phase dauere von hier bis zur nächsten Konjunktion; dann aber würden die Fluten entsprechend heftiger, sodass die heftigsten zusammen mit der Konjunktion von Sonne und Mond einträten. 27. Dafür kann es aber keinen guten Grund geben, weil es ja diese Verschiedenheit des Lichtes (differentia luminis) ist, die im vorliegenden Fall eine Rolle spielt, ob es nämlich viel oder wenig Licht, ob es zunehmendes oder abnehmendes Licht ist.203 Wenn also die Flut bei viel Licht oder bei zunehmendem Licht stärker ist, täuscht die vierte Beobachtung; wenn bei wenig oder abnehmendem Licht, die zweite; tritt sie bei viel Licht, aber abnehmendem, ein, geht die dritte Beobachtung fehl; tritt sie bei wenigem aber zunehmendem Licht ein, so täuscht sich die erste. 28. Egal welcher dieser überlieferten Ansichten man folgen mag zwingt uns offensichtlich nichts dazu, uns am Mond eine neue Kraft auszudenken, abgesehen von Bewegung und Licht, mittels derer er das Meer in Bewegung versetzt, weil alle unterschiedlichen Ansichten, die Ebbe und Flut des Meeres betreffend geäußert wurden, ganz offensichtlich ihre Ursache entweder in der unterschiedlichen Bewegung des aufsteigenden oder sich herabneigenden Gestirns des Mondes haben können oder in der Ab- und Zunahme seines Lichtes.

203 Auch Abū Ma῾šar betont mehrfach, dass die Menge des Mondlichtes hierbei eine Rolle spiele, so in der Einleitung der dargestellten Passage (Album. introd. tract.3, diff.6 p. 112): scientia fortitudinis accessionis et eius debilitatis, multitudinis quoque ac paucitatis aque eius aspicitur ex viii. rebus. Quarum prima est: longitudo Lune a Sole, et augmentatio vel diminutio luminis eius. Albertus Magnus, der sich ebenfalls auf die vier bei Pico zitierten Phasen beruft, erläutert, dass in der ersten Phase die zunehmende Entfernung zur Sonne die Abnahme der Flut bewirke, bei zunehmendem Halbmond jedoch der quartile Aspekt zur Sonne das Licht stärke (Albert. caus. element. 1,2,5 p. 607 B).

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Caput XVI – Galeni sententia de creticis diebus, eos ad Lunam referentis, confutatur.

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1. Crisimos, quos Latine iudicatorios dixeris, ad Lunam referri tam falso, quam superstitiose equidem non dubito; quod latius est declarandum. 2. Galenus, auctor inter medicos istius opinionis, tertio libro De diebus creticis duplicis meminit lunaris influentiae, quarum altera sit a Sole, cuius accipit Luna lumen, altera a signis obliqui orbis, quae motu proprio singulis mensibus permeat Luna. Tum ponit ex sententia astrologorum quasique experientia comprobatum in oppositis locis atque quadrangulis magnas a Luna commotiones excitari, | quod tam in habitudine eius ad Solem, quam etiam ad signa, nulla Solis habita ratione verum esse contendit: 3. Ad Solem, quoniam, cum fit Luna dividua (fit autem in quadrangulis fere locis a coitu) rursusque cum impletur (quod in oppositis locis est), aeris statum et tempestates immutet. Ad signa per hunc modum, ut quicquid coeperit posita Luna, verbi gratia, in Tauro, semper accidat in ea re mutatio, cum pervenerit Luna

Font.: 5–8 Galenus – permeat Luna ] Galen. de dieb. decr. 3,4 pp. 906–907 K 8–11 Tum ponit – contendit ] Galen. de dieb. decr. 3,5 p. 910 K quasique experientia comprobatum ] cf. Galen. de dieb. decr. 3,1 p. 900 K: ἅπαντά γε τὰ τοιαῦτα περὶ ὧν ἔμπροσθεν εἴρηται, πρὸς τῆς ἐμπειρίας ἱκανῶς μαρτυρεῖται 12–14 Ad Solem – immutet ] Galen. de dieb. decr. 3,4 pp. 904–906 K; 3,5 pp. 908–910 K 574.14–576.2 Ad signa – adversa ] Galen. de dieb. decr. 3,5 pp. 910–911 K Sim.: 3–4 Crisimos – non dubito ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 5–8 Galenus – permeat Luna ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 8–11 Tum – contendit ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517; Bellant. resp. disp. 3,16 fol. v 574.12–576.2 Ad Solem – adversa ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 App. crit.: 3 referri] refelli Garin 7 obliqui orbis BCorr GVWRFO : obliquioribus BC

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Kapitel 16 – Widerlegung der Ansicht Galens über die kritischen Tage, die er auf den Mond zurückführt.204 1. Daran, dass es ebenso falsch wie abergläubisch ist, die kritischen Tage, die man im Lateinischen als richterliche Tage (dies iudicatorii) bezeichnen kann, auf den Mond zurückzuführen, habe ich für meinen Teil keinerlei Zweifel; doch dies bedarf einer ausführlicheren Darlegung. 2. Galen, unter den Ärzten der Begründer dieser Ansicht, erwähnt im dritten Buch seiner Schrift De diebus creticis (›Über die kritischen Tage‹)205 einen zweifachen Einfluss des Mondes: Der eine geht von der Sonne aus, deren Licht der Mond aufnimmt; der andere von den Zeichen der Ekliptik, die der Mond durch seine Eigenbewegung innerhalb jeweils einzelner Monate durchwandert. Dann behauptet er anhand der Ansicht der Astrologen und als ob es empirisch belegt wäre, dass der Mond, wenn er in Opposition oder Geviertschein steht, große Krisen206 bewirke, was, wie er behauptet, sowohl anhand seines Verhältnisses zur Sonne als auch zu den Tierkreiszeichen ohne der Sonne Rechnung zu tragen wahr sei: 3. Im Verhältnis zur Sonne, da der Mond bei Halbmond (was ungefähr an den Orten geschieht, die im Geviertschein207 zum Ort der Konjunktion stehen) und ein weiteres Mal bei Vollmond (was an den Orten geschieht, die in Opposition zum Ort des Neumondes stehen) das Klima und das Wetter ändere. Im Verhält-

204 Weitere Informationen zur astrologisch fundierten Medizin der Renaissance sowie zu den kritischen Tagen im Besonderen bieten Hirai (2014: S. 267–286) sowie Pennuto (2008: S. 75–98) und Cooper (2013: S. 536–565). 205 Gemeint ist die Schrift Περὶ κρισίμων ἡμερῶν (De diebus decretoriis). 206 Die Krise (griechisch κρίσις) bezeichnet nach antiker Medizintheorie den Zeitpunkt einer schnellen Veränderung im Krankheitsverlauf. Dabei gibt es nach antiker Vorstellung bestimmte (eben kritische) Tage, an denen solche Krisen vornehmlich auftreten. Der Begriff commotio bezeichnet bei Pico die crisis. Vgl. hierzu und zu den kritischen Tagen i.A. Cooper (2013: S. 536f.). Bei Pietro d’Abano bezeichnet der Begriff commotio speziell den Beginn einer Krise (vgl. concil. 104 fol. v ). Vgl. zu den kritischen Tagen auch die Definition bei Giovanni Pontano in seinem Kommentar zum Centiloquium (centiloq. 60 pp. 107–109 [hier: 107]): dictum autem critici, quod morborum ipsorum perinde ac iudices sint. 207 Zeichen, die in bestimmten Verhältnissen zueinander stehen, üben laut einhelliger astrologischer Meinung gewisse Einflüsse aus; ausgegangen wird dabei von den zwölf Zeichen der 360° umfassenden Ekliptik, die in einzelne Segmente unterteilt wird. Dabei hat der Geviertschein oder quartile Aspekt (die jeweiligen Zeichen bilden einen 90°-Winkel) i.d.R. ebenso wie die Opposition (180°) negative Bedeutung, während Gedrittschein (120°) und Sextil (60°) positive Wirkung ausüben (vgl. zu den Apekten und ihren Wirkungen Ptol. apotel. 1,14; Porph. isag. 8; Paul. Alex. 10); die positive oder negative Konnotation spielt an dieser Stelle jedoch keine Rolle.

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deinceps ad Leonem, ad Scorpium, ad Aquarium, quae sunt loca Tauro tetragona vel adversa. 4. Confirmat hoc auctoritate Aegyptiorum asseverantium, si in alicuius genitura Ariete (quod pro exemplo sit) stellae felices insederint, natum bene se habiturum, quotiens Luna aut Arietem aut quadrata signa, vel opposita permeaverit; contra male, si infelices. 5. Hinc putat Galenus creticorum dierum causam fieri evidentissimam; sunt enim praecipue cretici septimus et quartus decimus. Pervenit autem Luna septima die ad signum ab illo quartum, quod tenuit inchoante morbo, decima vero quarta ad signum oppositum, cum septem et viginti diebus et tertia fere diei parte restitutionem suam absolvat. Cum igitur Luna in his locis, quadrangulis scilicet et adversis, citet commotiones, efficit per hos dies, septimum scilicet et quartumdecimum, quibus ad ea loca pervenit[ur], ut morbi quoque tumultus excitetur, ad salutem quidem aegritudine prospera, ad mortem perniciosa.

Font.: 3–6 Confirmat – infelices ] Galen. de dieb. decr. 3,6 pp. 910–911 K ciosa ] Galen. de dieb. decr. 3,6 p. 912 K

11–14 Cum – perni-

Sim.: 3–6 Confirmat – infelices ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517; Bellant. resp. disp. 3,16 fol. r 7–11 Hinc – absolvat ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 11–14 Cum – perniciosa ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 App. crit.: 4 Ariete] expectes aut Arieti aut in Ariete 5 Arietem scripsi (coll. Galen. de dieb. decr. 3,6 pp. 910–911 K) : Taurum ΩGarin 13 pervenit correxi : pervenitur ΩGarin

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nis zu den Zeichen dergestalt, dass alles, was seinen Anfang dann nimmt, wenn der Mond beispielsweise im Zeichen des Stieres steht, immer eine Veränderung erfährt, wenn der Mond dann in den Löwen, den Skorpion und den Wassermann eintritt, also in die Zeichen, die zum Stier in Geviertschein oder Opposition stehen. 4. Dies bekräftigt er mit Hilfe der Ägypter, die der Ansicht waren, dass, wenn bei jemandes Geburt die glückbringenden Sterne208 im Zeichen des Widders standen, es ihm gut ergehen werde, wann immer der Mond den Widder durchquert oder die dazu in quartilem Aspekt oder in Opposition stehende Zeichen; dass es ihm hingegen schlecht ergehe, wenn die Unglück verheißenden Sterne in diesem Zeichen standen.209 5. Davon ausgehend ergibt sich die Ursache für die kritischen Tage für Galen ganz offensichtlich; kritische Tage sind nämlich vor allem der siebte und der vierzehnte Tag. Der Mond gelangt aber am siebten Tag in das vierte Zeichen210 von dem Zeichen aus gerechnet, in welchem er sich zu Beginn der Krankheit befand, am 14. Tag aber in das in Opposition stehende Zeichen, da er nach gut 271/3 Tagen seinen ursprünglichen Zustand erreicht. Da also der Mond an diesen Orten, die im Geviertschein oder in Opposition zum Ausgangsort stehen, Krisen hervorruft, bewirkt er auch an diesen Tagen, also am siebten und vierzehnten, an denen er an diese Orte gelangt, das Auftreten von Krankheitskrisen, und zwar bei günstigem Krankheitsverlauf hin zur Gesundung, bei ungünstigem Verlauf aber hin zum Tod.

208 Als Wohltäter (ἀγαθοποιοί) im astrologischen Sinne gelten in der Regel Jupiter und Venus sowie der Mond (der an dieser Stelle allerdings nicht gemeint ist), als Übeltäter (κακοποιοί) hingegen Saturn und Mars; Sonne und Merkur können sowohl als Übeltäter als auch als Wohltäter fungieren; vgl. hierzu u.a. Ptol. apotel. 1,5. Im Lateinischen werden diese Termini meist mit stellae benivolae bzw. malivolae wiedergegeben (z.B. Firm. math. 2,20,3). Pico verwendet anstatt dessen häufiger die Charakterisierung felix bzw. infelix (vgl. z.B. disp. 10,9 p. II 410 Garin). 209 Der Ausgangstext bei Galen. de dieb. decr. 3,6 p. 912 K stellt klar, dass der Widder sowie die zu ihm die Aspekte Geviertschein und Opposition bildenden Zeichen (Krebs, Waage, Steinbock) eine Wendung zum Guten bewirkten (καλῶς ἀπαλλάσσει), wenn sie bei der Geburt von den Wohltätern besetzt würden, der Stier und die entsprechenden Zeichen jedoch durch die bei Geburt sich im Stier befindlichen Übeltäter eine Wendung zum Schlechten (κακῶς ... καὶ ἀνιαρῶς διάγει) bewirke. Da Pico diesen Teil jedoch stark reduziert wiedergibt und die Übeltäter, die bei Geburt (vgl. das Perfekt insederint) in den entsprechenden Zeichen stünden, lediglich mit den letzten Worten en passant erwähnt, scheint es sich um eine sinnwahrende Verkürzung der Galenstelle zu handeln, da es unerheblich ist, welches Zeichen in den Blick genommen wird – wichtig ist nur, ob bei der Geburt Wohltäter oder Übeltäter in diesen Zeichen standen. 210 Also in das Zeichen, welches im eben erwähnten Geviertschein zum Ausgangszeichen steht.

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6. Quoniam vero putavit Galenus cum his diem vigesimum creticum esse, non vigesimum primum, quod credidit Archigenes, elaboravit reddere rationem, quomodo ipse quoque vigesimus dies septimus esset. 7. Et primum hoc nec absurda nec difficili probatione monstravit: 8. Nam cursus quidem Lunae diebus septem et viginti et octo horis adiectis consummatur; quod, si in quattuor hebdomadas partiaris, erit hebdomada quaelibet ex diebus sex, horis viginti; quare hebdomadae tres dies habebunt viginti horasque duodecim. Quocirca vigesimus primus dies, hoc est hebdomaticus tertius, in lunari cursu partim ad vigesimum diem naturalem, partim ad XXI. pertinebit; nam eius horae XII vigesimum terminabunt, reliquae primum et vigesimum incohabunt. 9. Atque ita fiet cretica commotio die vigesimo proveniente Luna ad secundum quadrangulum in hebdomada scilicet tertia; rursusque eandem non effugiet rationem, si ad vigesimam primam naturalem diem differatur, quod in acutis solet aegritudinibus evenire, sicut illud in diuturnioribus; harum ambitu quidem per pares, illarum per impares numeros discurrente. 10. Hoc postquam dixerat ipse Galenus, quod deinde quasi proprium inventum rettulit Apponensis, novum commentum excogitavit, per quod non paria faceret cum Archigene cretico influxu ad diem utramque pertinente, sed colligeretur vigesimam totam esse creticam, vigesimam primam non esse.

Font.: 2 Archigenes ] Galen. de dieb. decr. 1,10 p. 816 K; Avic. canon. lib.4, fen.2, tract. 2, cap. 2 pp. II 104–105 elaboravit – esset ] Galen. de dieb. decr. 3,9 pp. 928–933 K 5–6 cursus – consummatur ] cf. Galen. de dieb. decr. 3,4 p. 907 K; Macr. somn. 1,6,48; Beda. rat. comp. 5 (PL90,582) 6–7 in quattuor – viginti ] Galen. de dieb. decr. 3,9 p. 929 K 14–16 ad vigesimam primam – discurrente ] Galen. de dieb. decr. 3,9 p. 929 K 18 Apponensis ] Appon. concil. 104 Sim.: 1–3 Quoniam – septimus ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 5–11 cursus – incohabunt ] cf. rer. praen. 5,4 p. 517 12–13 Atque ita – tertia ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 517–518 14–16 ad vigesimam primam – discurrente ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 17–20 Hoc – non esse ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 App. crit.: 1 cum his ex corr. BB BP quas seq. C : cum is αVWRF : om. O 5 et2 add. BF octo] XXVII Garin consummatur GOGarin (cf. Sen. epist. 74,20) : consumatur BCorr VWRF : consumetur BC 8 primus] primum Garin 15 harum OGarin : horum αβ

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6. Da aber Galen glaubte, mit diesen Tagen zusammen sei der zwanzigste Tag ein kritischer, nicht aber der einundzwanzigste, was Archigenes glaubte, bemühte er sich zu erklären, inwiefern der zwanzigste Tag selbst auch ein siebter Tag sei. 7. Dies zeigt er anfangs auch mit einem weder abwegigen noch schwer verständlichen Beweis: 8. Denn ein Umlauf des Mondes211 wird innerhalb von siebenundzwanzig Tagen und acht Stunden vollendet; teilt man das in vier Hebdomaden212 , so hat jede Hebdomade sechs Tage und zwanzig Stunden; daher haben drei Hebdomaden zwanzig Tage und zwölf Stunden. Aus diesem Grund bezieht sich der einundzwanzigste Tag, also der dritte hebdomadische Tag213 , im Umlauf des Mondes teilweise auf den zwanzigsten ›natürlichen‹ Tag, teilweise auf den einundzwanzigsten; zwölf seiner Stunden bringen nämlich den zwanzigsten Tag zu Ende, die übrigen zwölf beginnen den einundzwanzigsten Tag. 9. Daher beginnt eine Krise am zwanzigsten Tag, wenn der Mond in den zweiten Geviertschein eintritt, nämlich in der dritten Hebdomade. Dieselbe Erklärung gilt auch für die Krise, wenn sie erst am einundzwanzigsten natürlichen Tag eintritt, was bei akuten Krankheiten gewöhnlich geschieht, am zwanzigsten jedoch bei chronischen Krankheiten, deren Verlauf eine gerade Anzahl von Tagen misst, der von akuten Krankheiten jedoch eine ungerade Anzahl von Tagen. 10. Nachdem Galen selbst diese Worte geäußert hatte, die Pietro d’Abano später wie seine eigene Erfindung anführte, ersann er eine neue Erfindung, dank derer er nicht mehr der gleichen Ansicht ist wie Archigenes, der den kritischen Einfluss auf beide Tage bezieht, sondern aus der sich ergibt, dass der gesamte zwanzigste Tag ein kritischer sei, der einundzwanzigste hingegen nicht.

211 Gemeint ist ein siderischer Umlauf, also der Zeitraum, innerhalb dessen der Mond an einen Ausgangspunkt am Fixsternhimmel (von der Erde aus betrachtet) zurückkehrt. 212 Also in gleiche Abschnitte von jeweils sieben gleich langen ›Tagen‹. 213 Gemeint ist der Tag, der die dritte Hebdomade beschließt, also der letzte Tag der dritten Hebdomade.

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11. Sic igitur commentus est: Tempus, quo ad Solis coitum Luna redit, dies viginti novem, horae duodecim, qui fere vulgo mensis existimatur. Demamus dies, quibus Luna non apparet obruta Solis radiis, quoniam tum vim permutandi inferiora non habet: reliqui erunt dies viginti sex horaeque XII, fere enim tres dies occulitur. 12. Atque hos dies, quod est spatium lucentis Lunae, diebus adiciamus, quibus peragrat signa, quos viginti septem et horas octo computat. Erit summa dies quinqua | ginta tres et horae viginti, quorum medietas dies viginti sex et horae viginti duae. Hoc spatium cogitavit Galenus mensura non irrationabili positioni dierum creticorum, ‡quod cum videret dimidium solum dierum‡, quibus Luna, cum permeat zodiacum, tum a Sole illuminatur, quasi tum bis in se lunaris influxus potestates complecteretur et quae scilicet est a signis et quae a Sole, quarum utraque fieri commotionem in morbis esset verisimile. 13. Dictus hic postea numerus a posterioribus ex Galeni auctoritate »mensis medicinalis«, sicut eum, qui ex diebus vigintinovem , »coniunctionis«; qui ex diebus viginti sex horisque duodecim, »manifestae visionis«; qui ex vigintiseptem et tertia diei parte, »peragrationis« mensem vocant. Ex hoc autem invento, quod volebat, Galenus assequebatur adversus Archigenem.

Font.: 1–2 Tempus – existimatur ] Galen. de dieb. decr. 3,9 p. 930 K; Appon. concil. 104 fol. r3r ; Avic. canon. lib.4, fen. 2, tract. 2, cap. 2 p. II 104; Rog. Bac. op. tert. 54 p. 214 B 2–5 Demamus – occulitur ] Galen. de dieb. decr. 3,9 pp. 930–931 K; Avic. canon. lib.4, fen.2, tract.2, cap. 2 p. I 104 17 vocant ] cf. e.g. Appon. concil. 104 fol. r3r ; Petr. Alliac. Elucid. 39; Rog. Bac. dieb. crit. p. 20 P Sim.: 1–2 Sic igitur – mensis existimatur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 2–5 Demamus – occulitur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 6–13 Atque – verisimile ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 16 coniunctionis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 manifestae visionis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 17 peragrationis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 octo App. crit.: 3 Solis BP WCFOGarin : soliis BGVR 7 septem BCorr G : quattuor BOβGarin BCorr G : viginti BOβGarin 8 viginti1 om. Garin 10 quod – dierum] locus deperditus cum Bβ : ipsum G : eum BB BP BEC O 11 cum] eum BF 13 esset] etiam WO 14 posterioribus] posteribus OGarin 15 horisque duodecim addidi 17 vigintiseptem BCorr GVWRFOGarin : decimaseptima BC

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11. So also lautet seine Erfindung: Der Zeitraum, innerhalb dessen der Mond erneut zur Konjunktion mit der Sonne zusammenkommt, beträgt neunundzwanzig Tage und zwölf Stunden – ihn bezeichnet man im Allgemeinen als einen ›Monat‹. Davon wollen wir die Tage abziehen, an denen der Mond von den Strahlen der Sonne verdeckt ist und nicht erscheint, da er zu dieser Zeit nicht die Kraft hat, Veränderungen in der sublunaren Welt zu bewirken: übrig bleiben sechsundzwanzig Tage und zwölf Stunden, denn er wird ungefähr drei Tage lang verdeckt. 12. Diese Tage wiederum, also den Zeitraum des leuchtenden Mondes, wollen wir den Tagen hinzufügen, innerhalb derer der Mond die Zeichen des Tierkreises durchwandert, wofür er siebenundzwanzig Tage und acht Stunden berechnet. Dies ergibt zusammen dreiundfünfzig Tage und zwanzig Stunden, deren arithmetisches Mittel bei sechsundzwanzig Tagen und zweiundzwanzig Stunden liegt. Diesen Zeitraum erdachte sich Galen also mit seiner nachvollziehbaren Rechnung für die Bestimmung der kritischen Tage, ‡weil er erkannte, dass es lediglich diese Hälfte der Tage ist‡, an welchen der Mond auf seinem Weg durch den Tierkreis gerade von der Sonne beleuchtet wird, als ob er sozusagen die beiden Möglichkeiten des Einflusses des Mondes zweifach in sich vereinigte, nämlich diejenige, die von den Zeichen ausgeht, und diejenige, die von der Sonne kommt, wobei es wahrscheinlich sei, dass durch beide Einflussmöglichkeiten eine Krise bei Krankheiten auftritt. 13. Diese Anzahl wurde im Nachhinein von den Späteren in der Nachfolge Galens »medizinischer Monat« (mensis medicinalis)214 genannt, wie man den aus neunundzwanzig Tagen bestehenden Monat als den »Monat der Konjunktion« (mensis coniunctionis) bezeichnet.215 Der Zeitraum, der aus sechsundzwanzig Tagen und zwölf Stunden besteht, heißt »Monat der offenbaren

214 Vgl. z.B. die Darstellung bei Pietro d’Abano (Petr. Appon. concil. 104 fol. r3r ): Tertius autem compositus est qui secundum fantasiam Galeni ex mense peragrationis sive proprie impressionis et mense communis illationis conficitur. Coniunguntur namque isti duo menses in adinvicem… Et hic mensis medicinalis a Galeno appellatus existit. 215 Gemeint ist der synodische Monat, also die Dauer eines Umlaufes des Mondes um die Erde zwischen zwei gleichen Mondphasen (i.d.R. von Neumond zu Neumond). Vgl. zur Begrifflichkeit auch Petr. Appon. concil. diff. 104 fol. r3r .

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14. Nam si totus mensis dies XXVI horaeque XXII erunt, ebdomadae huius mensis singulae ex diebus sex horisque decem septem et dimidia parte horae; quare medietas mensis dies tredecim et horae undecim. Septimae igitur diei naturalis primae horae usque ad decimam septimam ad septimam quoque medicinalis mensis diem spectabunt proptereaque erunt creticae; reliquum diei ad octavum medicinalem diem pertinebit. Decimaquarta dies naturalis undecim tantum habebit primas horas ex postremis decimae quartae medicinalis, cuius antecedentes horae tredecim cum decima tertia die naturali computabuntur. Tertiam vero ebdomadam medicinalem, cum sit ebdomada quaelibet dierum sex, horarum decem et septem cum dimidia, patet terminari in vigesima die naturali tantum quattuor horis et dimidia parte horae superexcrescentibus, quae in vigesimum primum referuntur. Atque ita conficitur, quod Galenus imprimis optabat et cuius gratia hoc totum commentum fabricatus est, ut dies vigesima longe magis quam vigesima prima ebdomatica consequentique ratione cretica putaretur. 15. Hunc sibi gratis laborem sumpsit Galenus; neque enim oportuit. Nam satis ex mora peragrationis zodiaci dies vigesima cretica defendebatur, praesertim cum non neget ipse vigesimam quoque primam esse creticam, quin et plerumque in acutis morbis.

Font.: 1–14 Nam – putaretur ] Galen. de dieb. decr. 3,9 pp. 928–933 K; cf. Rog. Bac. dieb. crit. pp. 21–22 P; Appon. concil. 104 fol. r3r 17–18 non neget – acutis morbis ] Galen. de dieb. decr. 3,9 p. 928 K Sim.: 8–14 Tertiam – putaretur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 15–18 Hunc ... laborem – acutis morbis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 Hunc – Galenus ] cf. quaest. falsit. p. 169,18–19 App. crit.: 1 ebdomadae GVWRCF : ebdomodae B : hebdomadae O 8–9 ebdomadam GVWRCF : ebdomodam B : hebdomadam O 9 ebdomada GVWRCF : ebdomoda B : hebdomada O 11 superexcrescentibus] super excrescentibus Garin 14 ebdomatica scripsi : ebdomoda α : ebdomada βO

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Sichtbarkeit« (mensis manifestae visionis); der Zeitraum von siebenundzwanzig und einem Dritteltag heißt »Monat der Durchwanderung« (mensis peragrationis).216 Mit dieser Erfindung erreichte Galen sein gegen Archigenes gerichtetes Ziel. 14. Wenn nämlich der gesamte Monat sechsundzwanzig Tage und zweiundzwanzig Stunden hat, hat eine einzelne Hebdomade217 dieses Monats sechs Tage und siebzehneinhalb Stunden; das arithmetische Mittel dieses ›Monats› beträgt daher dreizehn Tage und elf Stunden. Die ersten siebzehn Stunden des siebten natürlichen Tages sind daher auch auf den siebten Tag des medizinischen Monats zu beziehen und sind daher kritische Stunden218 ; der Rest des Tages gehört zum achten medizinischen Tag. Der vierzehnte natürliche Tag hat lediglich die ersten elf Stunden gemeinsam mit den letzten Stunden des vierzehnten medizinischen Tages, dessen vorangehende dreizehn Stunden zum dreizehnten natürlichen Tag gehören.219 Die dritte medizinische Hebdomade endet offensichtlich bereits am zwanzigsten natürlichen Tag, da jede einzelne Hebdomade aus sechs Tagen und siebzehneinhalb Stunden besteht, wobei lediglich viereinhalb Stunden über diesen hinauswachsen, die zum einundzwanzigsten Tag gehören.220 Auf diese Weise also erfüllt sich das, was sich Galen vor allem anderen wünschte und auf Grund dessen er sich diese ganze Erfindung ausgedacht hat, dass nämlich der zwanzigste Tag weit mehr als der einundzwanzigste als hebdomadischer221 Tag und mit entsprechender Logik als kritischer Tag betrachtet werden könne. 15. Diese Mühe hat sich Galen umsonst gemacht; sie wäre nämlich gar nicht notwendig gewesen. Denn der zwanzigste Tag ließ sich ausreichend anhand der Dauer der Durchwanderung des Tierkreises durch den Mond als kritischer Tag verteidigen, zumal er selbst ja auch gar nicht leugnet, dass auch der einundzwanzigste Tag ein kritischer ist, bei akuten Krankheiten sogar in der Mehrzahl aller Fälle.

216 Es handelt sich um den siderischen Monat. 217 Gemeint ist ein Viertel des medizinischen Monats. 218 Zur zu Grunde liegenden Hebdomadenlehre der kritischen Tage vgl. auch Roscher (1906: S. 55– 86). 219 Nach obiger Definition hat eine Hebdomade des medizinischen Monats sechs Tage und siebzehneinhalb Stunden; zwei haben daher 13 Tage und elf Stunden, die die ersten elf Stunden des »natürlichen« vierzehnten Tages ausmachen. 220 Drei medizinische Hebdomaden zählen insgesamt 20 Tage und viereinhalb Stunden; diese viereinhalb Stunden entfallen somit auf den einundzwanzigsten Tag, der lediglich über viereinhalb kritische Stunden (gegenüber neunzehneinhalb nicht-kritischen) verfügt. 221 Also als letzter Tag einer Einheit, die einen Monat in vier gleich große Teile teilt.

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16. Neque vero nos ista rettulimus, ut inter Archigenem Galenumque arbitraremur praescriptum egredientes, sed ne, cum referri dies creticos ad Lunam non posse demonstraverimus, sive receptam a Sole sive a signis virtutem in ea consideremus, putaret quispiam non plene satisfactum, quod mixtum quasi quendam influxum Galenus introduxisset, qui praecipue dies creticos excitaret. Non enim hoc aut Galenus forsitan fecit aut, si fecit, facere tamen rationabiliter potuit. 17. Nam si cum illo dicamus Lunam in quadratis loco alicui primordiali signis et oppositis commotiones suscitare rursusque, cum quadrangulis et oppositis Solis radiis illuminatur, non possumus hos a Luna eventus expectare, praeterquam his temporibus, quibus altero illorum modorum se habet, si de illis scilicet causis eventus expectatur. 18. Nam, si utroque tempore parit tales effectus pro cuiusque temporis habitu et constellatione, credamus misceri utriusque constellationis virtutem in eo tempore, quo nulla illarum constellationum invenitur, non alio | argumento, quam quod tempus illud medietas sit summae utriusque temporis simul connumerati? Non sani hominis esse non sanus etiam iuret Horestes. 19. Quare, si Galenus in ebdomadis istius sui mensis medicinalis et eius medietate vim istam excitatricem esse putat, non autem in ebdomadis aut medietate

Font.: 5–6 Non enim – rationabiliter potuit ] cf. Appon. concil. 104 fol. r3r Sim.: 1–5 Neque vero – excitaret ] cf. rer. praen. 5,4 p. 518 7–11 si cum illo – expectatur ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 518–519 12–15 Nam – simul connumerati ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519 584.17–586.7 Quare – simul ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519 App. crit.: 7 Tit. : contra Galenum post Prima ratio add. BB BP 16 non sani – Horestes corr. Heilen / Topp coll. Pers. 3,118 (cf. Heilen / Topp 2019) : non scimus nos esse non sumus etiam inter et (interim G) Horestes Ω 17 ebdomadis β (heb- OGarin) : ebdomodis α

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16. Ich habe diese Überlegungen aber nicht angeführt, um eine Entscheidung zwischen Galen und Archigenes zu treffen und somit über die mir gesteckten Grenzen hinauszugehen, sondern damit niemand, wenn ich dargelegt habe, dass die kritischen Tage nicht auf den Mond zurückgeführt werden können, egal ob wir eine von der Sonne empfangene Kraft bei ihm vermuten oder eine Kraft, die von den Tierkreiszeichen ausgeht, glaubt, es sei nicht zur Genüge dargelegt, dass Galen eine Art von gemischtem Einfluss eingeführt habe, der insbesondere die kritischen Tage bewirke. Denn Galen hat das entweder vielleicht gar nicht gemacht oder er hätte es, wenn er es doch gemacht hat, dennoch vernunftgemäß machen können. 17. Denn wenn wir im Anschluss an Galen sagen, der Mond rufe in den Zeichen, die zu einem beliebigen Ausgangsort in Quadratur oder Opposition stehen, kritische Veränderungen hervor und dasselbe erneut, wenn er von den Strahlen der Sonne, die in Quadratur oder Opposition steht, erleuchtet wird, können wir diese Ereignisse vom Mond nur zu den Zeiten erwarten, zu denen er sich lediglich in einem der besagten Zustände befindet, wenn man denn überhaupt glaubt, dass von diesen Ursachen Ereignisse ausgehen. 18. Wenn er nämlich zu jedem der beiden Zeitpunkte solche Wirkungen je nach Stellung und Konstellation jedes Zeitpunktes hervorruft, sollen wir dann glauben, dass sich die Wirkungen beider Konstellationen zu dem Zeitpunkt miteinander vermischen, an dem gar keine von diesen Konstellationen vorhanden ist, und zwar aus keinem anderen Grund, als dass jener Zeitpunkt lediglich ein Mittelwert ist, der aus der Summe der beiden addierten unterschiedlichen Zeiträume ermittelt wird? Sogar der wahnsinnige Orest würde wohl beschwören, dass das die Aussage eines Mannes sei, der nicht bei Verstand ist. 19. Wenn daher Galen glaubt, in den Hebdomaden dieses seines medizinischen Monats und in dessen Mittelwert befinde sich besagte Krisen bewirkende Kraft,

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Secunda ratio

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mensis, quo vel a Sole Luna illuminatur vel zodiaci signa percenset, invehit nobis, cum vis illa excogitati mensis ad astrologicos nullos influxus redigi possit, hoc est nec ad quadrata vel opposita signa nec ad quadrangulares oppositasve Lunae cum Sole figurationes; nam servari conflarique horum virtutem in eo tempore, quo ista non sunt, nimis, ut dixi, absurdum et commenticium nec, qui defendere Galenum voluerunt simulque creticos dies Lunae cursibus coaptare, promissis stare potuerunt, sed nunc quidem hoc, nunc illud tuentur, numquam utrumque simul. 20. Quaeratur enim, cur quartadecima dies cretica sit, ad Lunae cursus peragrationisque mensem se recipient, quoniam per eam diem ad opposita signa Luna deveniat. Haec ratio parti mensis medicinalis quadrat, siquidem ebdomada eius secunda in diem XIII naturalem recedit supersuntque ex ea horae XI tantum ad quartam decimam pertinentes. Est enim, ut diximus, ebdomada quaelibet mensis Galeni dierum sex, horarum decem et septem cum dimidia. 21. Quare dies decimatertia plus cretica erit dicenda quam quartadecima, cum illa horas tredecim creticas, haec tantum undecim habeat. Hic ergo relicta virtute mixtionis et facticii mensis ad peragrata zodiaci spatia confugient. Contra ut vigesimum diem creticum faciant, mense Galeni, non peragrationis, utuntur. 22. Sed et si quis aegrotet pridie, quam Luna coeat, habeatque diem septimam creticam, quomodo id erit ex influentia potestatis tam a Sole receptae, quam a sig-

Font.: 5–6 qui defendere Galenum voluerunt ] cf. Appon. concil. 104 fol. r3r et – ipso Galeno ] cf. Appon. concil. 104 fol. r3r Sim.: 14–17 Quare – utuntur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519 rer. praen. 5,4 p. 519

586.18–588.2 Sed

586.18–588.2 Sed et – ipso Galeno ] cf.

App. crit.: 4 virtutem] virtutum Garin 10 non addidi 12 ebdomada β (heb- OGarin) : ebdomoda α 17 vigesimum] vigesimum primum WO””Garin 18 et om. WOGarin

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nicht aber in den Hebdomaden oder der Mitte desjenigen Monats, innerhalb dessen der Mond von der Sonne erleuchtet wird222 oder die Zeichen des Tierkreises durchwandert223 , kommt er uns zu Hilfe, da die Kraft jenes erfundenen Monats auf keinerlei astrologische Einflüsse zurückgeführt werden kann, also weder auf Zeichen, die im Geviertschein oder Opposition stehen, noch auf einen quartilen Aspekt oder eine Opposition, die der Mond zur Sonne bildet;224 denn dass deren Einflüsse zu dem Zeitpunkt erhalten bleiben und sich vermengen, an dem sie gar nicht auftreten, ist, wie gesagt, allzu abwegig und frei erfunden, und auch diejenigen, die Galen verteidigen und zugleich die kritischen Tage dem Lauf des Mondes anpassen wollten, konnten ihre Versprechen nicht halten, sondern verteidigen bald den einen Einfluss, bald den anderen, niemals aber beide zusammen. 20. Denn auf die Frage, warum der vierzehnte Tag als kritischer gilt, werden sie sich zum Lauf des Mondes und zum Monat der Durchwanderung flüchten, da der Mond im Laufe dieses Tages in das in Opposition zum Ausgangszeichen stehende Zeichen gelange. Diese Berechnung deckt sich nicht mit dem entsprechenden Abschnitt des medizinischen Monats, da dessen zweite Hebdomade am dreizehnten natürlichen Tag endet und lediglich elf ihrer Stunden zum vierzehnten natürlichen Tag gehören; eine jede Hebdomade des Galenischen Monats besteht ja, wie gesagt, aus sechs Tagen und siebzehneinhalb Stunden. 21. Daher wird man den dreizehnten Tag eher als kritischen Tag bezeichnen müssen als den vierzehnten, da er dreizehn kritische Stunden hat, während jener lediglich elf hat. Bei dieser Frage werden sie also die Kraft der Mischung und des erfundenen Monats beiseitelassen und Zuflucht in der vom Tierkreis zurückgelegten Strecke suchen. Um hingegen den zwanzigsten Tag zu einem kritischen zu machen, greifen sie auf den galenischen (medizinischen) Monat, nicht den Monat der Durchwanderung zurück. 22. Wenn aber jemand am Vortag der Konjunktion (Neumond) zu erkranken beginnt und der siebte Tag kritisch ist, wie kann das auf Grund der Wirkung eines

222 Gemeint ist der oben beschriebene mensis manifestae visionis. 223 Gemeint ist der siderische Monat, den Pico als mensis peragrationis bezeichnete (vgl. percenset). 224 Dies wäre ja nur in den beiden anderen Monaten, dem synodischen bzw. dem siderischen Monat, der Fall. In einem errechneten Mittelmonat aus beiden hingegen können diese Aspekte natürlich nicht zu den entsprechenden Zeitpunkten gebildet werden. Klarer ist die Darstellung bei Gianfrancesco Pico (rer. praen. 5,4 pp. 518–519): Absurdum igitur nimis et fatuum misceri conflarique utriusque constellationis virtutem illo tempore, quo illarum nulla constellationum invenitur.

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Tertia ratio

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nis, cum maximam partem eorum dierum sicuti non viderit, ita solari virtute Luna nos non affecerit auctore ipso Galeno? Necesse igitur erit hic quoque eos ad signa se convertere, quorum solus influxus ex quadrati virtute creticam illi septimam diem fecerit. 23. Mitto, quod omnino facticius ille Galeni mensis nec naturae moneta percussus. Ita enim excuditur, quasi tres dies Luna semper a Sole obtegatur, sed et mane quandoque conspicitur priusquam Sol exoriatur et vespere eius diei novaculari facie, quod et experientia indicat et testatur Alphraganus. Tum de spatio quoque lunaris motus ita determinat, quasi semper eodem passu moveretur, non autem velociore interdum, interdum tardiore, quod in astronomicis supputationibus demonstratur. 24. Habeat igitur suum sibi Galenus mensem, quem ne nobis importunius ingerat, concedamus illi, quos mavult, dies esse creticos Archigenem non repudiantes. 25. Eos ego nullis Lunae cursibus regi firmiter assero, sive acceptam a Sole, sive a signis virtutem aestimemus; nam ea quidem, quae a Sole, solida et naturalis, ut declaravimus, sed ad eam cretici dies pertinere non possunt, nisi nos morbi semper in novilunio aggrederentur; alioquin nec diei septimae Luna dimidia nec quartadecimae plena respondebit, in quibus quadrangularis et adversa Solis configuratio ciet humores.

Font.: 5–6 naturae moneta percussus ] cf. Apul. apol. 38,26: Latina moneta percussa 8 testatur Alphraganus ] Alphrag. aggreg. 25 p. 158 Campani 10–11 astronomicis supputationibus ] cf. Ptol. alm. 4,4–5 pp. 282–324 H Sim.: 5–8 Mitto – Alphraganus ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519; quaest. falsit. p. 169,21–24 8–11 Tum – demonstratur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519; quaest. falsit. p. 169,25–27 12–13 importunius ingerat ] cf. Lact. inst. 5,2,1 14–19 Eos ego – ciet humores ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519 16 ut declaravimus ] cf. disp. 3,14 erit BCorr G : om. BOβ 3 illi] illam Garin 6 excuditur] excluditur App. crit.: 2 non om O G 13 illi BCorr GGarin : illis BOβ Archigenem non corr. Garin : Archigenon αβ : Archigenes non O 15 aestimemus] aestimamus Garin 17 novilunio] plenilunio Garin 18 quartadecimae plena VWRFO : quartadecimaeiplena B(corr. BB BP ) : quartadecima plena GC : quartaedecimae plena Garin (cf. rer. praen. 5,4 p. 519)

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Einflusses geschehen, der ebenso von der Sonne wie von den Zeichen empfangen wird, wenn nach Ansicht Galens selbst225 während des größten Teiles dieser Tage der Mond uns weder sehen noch unter Einfluss der Sonne auf uns Wirkung ausüben kann? Auch hier werden sie also notwendigerweise Zuflucht bei den Tierkreiszeichen suchen, da es allein deren Einfluss ist, der für den Kranken durch den quartilen Aspekt jenen Tag zu einem kritischen macht. 23. Dass jener galenische Monat gänzlich ausgedacht ist und nicht vom Münzstempel der Natur geprägt ist, will ich beiseite lassen. Denn er ist so geschmiedet, als ob der Mond volle drei Tage lang von der Sonne verdeckt würde, wobei er doch sowohl in der Morgendämmerung, vor Sonnenaufgang, bisweilen zu sehen ist als auch am Abend desselben Tages mit sichelförmigem Antlitz, was sowohl die Erfahrung lehrt als auch al-Farġānī226 feststellt. Des Weiteren legt er die vom Mond in seiner Bewegung zurückgelegte Strecke so fest, als ob er sich immer mit derselben Geschwindigkeit bewege, nicht aber manchmal schneller, manchmal langsamer, was in den astronomischen Berechnungen gezeigt wird. 24. Soll also Galen seinen Monat behalten und wir wollen ihm, damit er ihn uns nicht umso dreister vorhält, zugestehen, dass die Tage, die er kritisch haben will, auch kritische sind, ohne dass wir zugleich Archigenes zurückweisen. 25. Ich behaupte standhaft, dass diese Tage nicht durch die Bahn des Mondes gelenkt werden, sei es, dass wir von einer von der Sonne empfangenen Kraft ausgehen, sei es von einer von den Zeichen erhaltenen; die von der Sonne empfangene Kraft ist nämlich (wie bereits erläutert) fest und natürlich, aber die kritischen Tage können nicht auf sie zurückgehen, es sei denn, Krankheiten würden uns immer bei Neumond befallen; anderenfalls fällt weder Halbmond auf den siebten

225 Vgl. die Erklärung zum »Zeitraum des leuchtenden Monats« (spatium lucentis Lunae) oben (3,16,11). 226 Ahmad Ibn Muhammad Ibn Katir al-Farġānī (lat. Alphraganus) war ein persischer Astronom des 9. Jh. Sein astronomisches Compendium, der Liber aggregationis scientiae stellarum, 1135 von Johannes von Sevilla ins Lateinische übersetzt, wurde die wirkmächtigste arabische astronomische Abhandlung in Europa; vgl. Hasse (2016: S. 331–333). In seiner Quaestio de falsitate astrologiae paraphrasiert Gianfrancesco Pico die vorliegende Stelle (p. 169,21–24), verwechselt dabei aber alFarġānī (Alphraganus) mit al-Bitrūği (Alpetragius).

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Reflexio argumenti g1r

Responsio

Confutatio

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26. Restat ea, quae a signis. Haec vero cum nulla est, ut sequentia declarabunt, tum, si qua foret, ad creticos dies nullo modo spectabit, id quod ipsi dicunt. Nam si argumentantur ab experientia, die septima fit commotio rursusque quartadecima et per hos dies in quadratis est signis Luna vel in oppositis; ex hac igitur signorum permutatione illae sequuntur commotiones. 27. | Nos contra sic: die septima fit commotio rursusque quartadecima nec per hos dies plerumque vel in quadratis est Luna locis vel oppositis; non igitur de hac signorum permutatione commotio illa suscitatur. 28. Utra pars verioribus nitatur assumptionibus, nemini dubium, cui lunares motus penitus non ignoti; nam cum inferiora permeans epicycli velocius Luna fertur, sexta die ad quadrata signa pertingit et decimatertia interdum ad opposita; cum vero superiora tardius circumfertur, non prius quam die octava vel nona quadrangulari fit loco. Quodsi respondeant ob hanc causam interdum illas quoque dies creticas fieri, aliquid dicerent, si, cum Lunae cursus est tardus, tunc octava vel nona die commoverentur humores; cum vero velox, sexta; cum medio quodam modo se haberet, septima. 29. Verum non hoc observatio docet, sed usu frequenter evenit, ut Luna quidem pigriore septima det iudicium interdum et sexta, concitatiore vero differantur

Font.: 10–13 nam cum – fit loco ] cf. Alphrag. aggreg. 25 pp. 157–158 Campani; Appon. concil. 104 fol. r3r Sim.: 6–8 die septima – suscitatur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 519 9–13 Utra pars – fit loco ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 519–520 13–16 Quodsi – septima ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 App. crit.: 2 Tit. Argumentum ab experientia add. BP 3 argumentantur] argumentatur Garin 7 in ante oppositis add. Garin 9 cui OGarin : cuius αβ 13 quadrangulari BCorr GVWRFOGarin : quadrangulum BC Tit. Responsio add. in marg. BP 17 Tit. Confutatio add. in marg. BP

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Tag noch Vollmond auf den vierzehnten, an denen der Geviertschein bzw. die Opposition zur Sonne die Säfte in Bewegung setzt. 26. Bleibt die Kraft, die von den Tierkreiszeichen ausgeht. Hierbei aber handelt es sich einerseits nicht um eine Kraft, wie die folgende Darstellung zeigen wird, wenn sie aber andererseits eine Kraft wäre, wird sie keineswegs für die kritischen Tage Geltung haben, was sie selbst auch sagen. Wenn sie nämlich von der empirischen Realität ausgehend argumentieren, tritt eine Krise am siebten Tag und erneut am vierzehnten Tag auf, und an diesen Tagen befindet sich der Mond in den Zeichen des jeweiligen Geviertscheins oder der Opposition227 ; aus diesem Wandel der Zeichen ergeben sich also jene Krisen gerade nicht. 27. Ich dagegen argumentiere folgendermaßen: Die Krise tritt am siebten Tag und erneut am vierzehnten auf, aber der Mond ist an diesen Tagen meistens gar nicht in den Orten im Geviertschein oder in Opposition; aus diesem Wandel der Zeichen ergibt sich also jene Krise gerade nicht. 28. Welche von beiden Parteien sich auf die zutreffenderen Annahmen stützt, kann für niemanden zweifelhaft sein, dem die Bewegungen des Mondes zumindest nicht vollkommen unbekannt sind; denn wenn der Mond im unteren Teil des Epizykels sich schneller bewegt, gelangt er bereits am sechsten Tag in das jeweilige Zeichen im Geviertschein und bisweilen am dreizehnten Tag in das in Opposition; wenn er aber im oberen Teil langsamer seine Bahn zieht, ist er nicht früher als am achten oder neunten Tag am Ort der Quadratur.228 Wenn sie aber darauf antworten, dass aus diesem Grund auch jene Tage bisweilen zu kritischen Tagen würden, würden sie nichts ganz Grundloses behaupten, wenn dann am achten oder neunten Tag die Säfte in Bewegung geraten würden, wenn der Lauf des Mondes langsam ist; wenn er hingegen schnell ist, am sechsten Tag; wenn er irgendwo dazwischen ist, am siebten Tag. 29. Dies aber lehrt die Beobachtung nicht, sondern erfahrungsgemäß ereignet es sich häufig, dass bisweilen der siebte und sechste Tag ein Urteil geben, wenn

227 Gemeint ist: in Geviertschein oder Opposition zum Zeichen bei Neumond (und damit bei Krankheitsbeginn). 228 Es handelt sich hierbei um das als »Evektion« bezeichnete Phänomen einer periodisch auftretenden Anomalie der Mondbahn, welche bereits Ptolemaios berechnet hatte; vgl. Neugebauer (1975: S. 84–100). Vgl. hierzu auch Petr. Appon. concil. 104 fol. v : quando luna fuerit in opposito augis epicicli, in loco scilicet terrae propinquiori; tunc enim dicitur velox cursu seu cita… Cum autem fuerit in parte superiori epicili videlicet in auge: motus tunc retardatur praedictus… et propter hoc contingit quandoque crisim quartadecimae diei et in tredecima laudabiliter breviari.

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Falso opinionem Galeni ascribi Hyppocrati et Avicennae Celsus Asclepiades

Qualis Galenus in litteris quibusque in rebus eidem sit credendum

Moses Avicenna

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commotiones ad octavam et nonam; quod advertentes plurimi medicorum pernegarunt hunc ordinem in morbis a natura servatum a lunaribus cursibus dependere; nec, qui aliter prodiderunt, quicquam induxit quam vel amor astrologicarum rerum vel auctoritas Galeni; quae tamen in hac re quantum habeant ponderis, mox dicemus. 30. Falso autem quidam ex neotericis hoc quoque Avicennam et Hyppocratem opinatos tradunt. Nam Hyppocrates quidem nusquam super hoc verbum, sed hunc potius ordinem rettulisse nixus ad numeros, quos libenter observare natura soleat, id quod Celsus Asclepiadesque notarunt. Avicenna, cum meminisset opinionis referentis haec ad Lunam, »multa«, inquit, »in his dictis ambiguitas.« Tum quaestionem reiecit, ut cuius perscrutatio ad medicum non spectaret, quin illi potius esset impedimento. 31. Valeat igitur Galeni auctoritas apud nos, ubi decernitur qui dies cretici sint quoque pacto tractandus aeger, cum vel apparent vel praevidentur. 32. Nam hoc medici officium, in qua professione praecellentem Galenum vereque divinum cum doctorum consensu probamus et admiramur. At cum causa investigatur eorum dierum, quod altioris hoc opus philosophiae, non modo praeiudicii, sed nec maioris testimonii loco sententia fuerit Galeni, quando, quod Moses Aegyptius et Avicenna, magni viri magnique in medicina Galeni fautores, tradunt, plus ramis scientiarum reliquarum quam radicibus inhaesit.

Font.: 7–8 Hyppocrates – numeros ] cf. Hp. Progn. 20 L 2, pp. 168–172; Hp. Aph. 2,24; 4,36; Galen. de dieb. decr. 2,5 pp. 868–872 K; Cels. 3,4,11–12 p. 106–107 M 9 Celsus Asclepiadesque ] cf. Cels. 3,4,12 p. 106 M Avicenna – impedimento ] Avic. canon. lib.4, fen.2, tract.2, cap. 2 p. I 104 19–20 Moses – radicibus inhaesit ] Avic. canon. lib.1, fen.1, tract.1, cap. 1 p. I 8; Maim. aph. 24 Sim.: 7–9 Hyppocrates – notarunt ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520; quaest. falsit. p. 169,28–29 9–12 Avicenna – impedimento ] cf. quaest. falsit. p. 169,29–32 15–20 Nam hoc – inhaesit ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520; quaest. falsit. p. 169,32–33 App. crit.: 3 post nec expectes eos 9 id] in Garin 15 qua] quam VW 18 non addendum putavi 20 quam falso del. et inhaesit in marg. add. BB inhaesit BP BF BEC GVWRFOGarin : inest BC

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der Mond schwerfälliger ist, bei hastiger eilendem Mond hingegen die Krise sich auf den achten und neunten Tag verschiebt. Die Mehrzahl der Ärzte, die dies erkannt hatten, lehnte es vollkommen ab, dass diese Reihenfolge, die von der Natur beachtet wird, bei Krankheiten vom Lauf des Mondes abhänge. Diejenigen aber, die sich anderslautend geäußert haben, hat nichts anderes dazu verleitet als entweder ihre Liebe zu astrologischen Zusammenhängen oder die Autorität Galens; wie viel Gewicht diese beiden Dinge in der Angelegenheit aber haben, werden wir in Kürze erklären. 30. Einige der Jüngeren behaupten nun aber fälschlicherweise, dass auch Ibn Sīnā und Hippokrates dieser Ansicht gewesen seien. Denn Hippokrates verliert nirgends ein Wort darüber, sondern er bemühte sich vielmehr, jene Reihenfolge auf eine in der Natur gewöhnlich vorkommende Zahlenfolge zurückzuführen, was auch Celsus und Asklepiades bemerkten. Wenn Ibn Sīnā die Ansicht, die die kritischen Tage auf den Mond zurückführt, erwähnt,229 stellt er fest: »In diesen Darstellungen befindet sich viel Zweideutigkeit.« Im Anschluss verwirft er die Fragestellung, weil deren Untersuchung nicht zum Gebiet eines Arztes gehöre, ja ihn sogar an seiner Arbeit hindere. 31. Die Autorität Galens mag also bei uns Einfluss besitzen, wo es um die Entscheidung geht, welche Tage kritisch sind und mit welcher Therapie ein Kranker zu behandeln sei, wenn die entsprechenden Tage auftreten oder vorhersehbar sind.230 32. Denn dies ist die Aufgabe eines Arztes, und dass Galen in diesem Beruf ausgezeichnet und geradezu göttlich war, billigen wir mit Zustimmung der Ärzte voller Bewunderung. Wenn jedoch die Ursache jener Tage untersucht wird, was Aufgabe der höheren Philosophie ist, dürfte Galens Meinung keinerlei Stellenwert haben, weder im Sinne eines Vorurteils noch als bedeutsames Zeugnis, da er, was Mosche ben Maimon231 und Ibn Sīnā, beides bedeutende Männer und auf me-

229 Vgl. die Darstellung bei Ibn Sīnā (canon. lib.4, fen.2, tract.2, cap.2, p. II 104). 230 Vgl. zu dieser Unterscheidung die entsprechenden Kapitel von aktuellen und zukünftigen Krisen bei Averroes (Aver. collig. 4,32). 231 Zu dessen Kritik an Galen vgl. auch Schliwski (2016: S. 511–524).

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33. Sane ridetur a dialecticis figura eius quarta syllogismorum et in philosophia tam saepe proteritur et validissimas non persentit rationes, ut philosophicum in eo iudicium desideretur a multis. Non potest intelligere quonam pacto superst[it]e anima et immortali cesset ab opere cerebri temperamento dissoluto, fatigatumque a se ait hac quaestione Platonicum quendam; quasi nave soluta superstes nauta non cesset a navigatione. Nec intelligit, quod a philosophis demonstratur, universales rerum notiones ab intellectu tantum nostro comprehendi nec a brutorum etiam ingenio. 34. In temporis cognitione quid haesitet, non est temporis huius narrare. Neque enim hic de Galeni philosophia; tantum haec delibavimus, quo Moseos et Avicennae iudicium super eo confirmaremus simulque caveretur, ne cui illius auctoritas imponeret in accipienda superstitione. 35. Nam in hac ipsa, de qua agitur, astrologia, parum illum peritum lunaris motus supputatio docet; nec eum defendit aliter Apponensis, quam quod eius aetate nondum caelestium motuum ratio ad liquidum fuerat explorata. Sit igitur illi fides

Font.: 1 ridetur – syllogismorum ] cf. Aver. comm. med. in Arist. analyt. pr. 8 (Opera 1, p. 24r a); Aver. collig. 2,19 (Opera 10, p. 28v ) 3–5 quonam pacto – cesset ab opere ] Galen. q. anim. mor. 3 p. 4,775 K: εἰ δὲ ἀθάνατός ἐστιν (sc. ἡ ψυχή), ὡς Πλάτων βούλεται, διὰ τί χωρίζεται, ψυχθέντος σφοδρῶς ἢ ὑπερθερμαθέντος ... τοῦ ... ἐγκεφάλου ... ; 5 fatigatumque – Platonicum quendam ] Galen. q. anim. mor. 3 p. 4,775 K: ἐπεὶ δ᾿ οὔτ᾿ ἐκεῖνός (sc. Πλάτων) ἐστιν ἔτι, καὶ τῶν Πλατωνικῶν διδασκάλων οὐδεὶς οὐδεμίαν αἰτίαν ἐδιδάξατό με nave – navigatione ] cf. Arist. de an. 2,1 413a 8–9; Plat. resp. 6,4 488a –489a ; Alex. aphr. de an. 1,29; Plot. 4,3,21; Albert. summ. theol. 2, tract.12, quaest.70, membr.1 p. 33,20b B 6–8 Nec intelligit – ingenio ] Galen. phil. hist. 24 pp. 304–305 K 9 temporis – haesitet ] cf. Simp. in phys. 4,11 pp. 708,22–709,28 D 14–15 nec eum defendit – explorata ] Appon. concil. 104 fol. r3r : Quod forte is nondum vidit ... cum nondum motus tempore suo fuissent perfecti inventi: iste syllogismus est falso in principiis ... in quo est manifestum, quod non habuit veram radicem in Logica Sim.: 1–8 Sane – ingenio ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 9–12 Neque – superstitione ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 13–15 Nam in hac – explorata ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 App. crit.: 2 proteritur dubitanter correxi coll. rer. praen. 5,3 p. 509 : perterretur Ω 4 superstes correxi coll. Galen. q. anim. mor. 3 p. 4,775 K : superstite ΩGarin immortalis correxi coll. Galen. q. anim. mor. 3 p. 4,775 K : immortali ΩGarin opere] corpore fort. scribendum cerebri correxi : cerebro αVWRFGarin : crebro RO temperamento correxi : tamen non ΩGarin 15 illi BP OGarin : illa αβ

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dizinischem Gebiet Anhänger Galens, überliefern, mehr den Ästen der übrigen Wissenschaften anhing als deren Wurzeln. 33. Seine vierte Figur des Syllogismus wird gewiss von den Dialektikern verlacht232 , und auf dem Gebiet der Philosophie wird er so oft zerstampft und bemerkt so oft die stärksten Argumente nicht, dass viele bei ihm ein philosophisches Urteil vermissen. Er233 kann nicht verstehen, wie die Seele ihren Dienst aufgeben kann, obwohl sie unversehrt ist und unsterblich, nachdem sich die richtige Mischung des Gehirns aufgelöst hat234 , und er sagt, er habe einen Anhänger Platons mit dieser Frage unablässig behelligt – als ob der überlebende Seemann nicht das Steuern des Schiffes beendete, wenn sein Schiff zerstört wurde. Ebenso versteht er nicht, was die Philosophen belegen, dass die allgemeinen Begriffe der Gegenstände nur von unserem Intellekt verstanden werden können, nicht vom Verstand der Tiere.235 34. Dies ist auch nicht der richtige Zeitpunkt darzulegen, wie unsicher er bei der Bestimmung des Zeitbegriffes ist;236 denn hier geht es nicht um die Philosophie Galens. Wir haben uns nur exemplarisch das herausgesucht, anhand dessen wir das Urteil von Moses und Ibn Sīnā über ihn bestätigen können, und damit man sich zugleich davor hüte, sich seine Autorität auferlegen zu lassen, wenn es darum geht, den Aberglauben anzuerkennen. 35. Dass er nämlich auf dem Gebiet, um das es hier geht, die Astrologie, allzu wenig gebildet war, zeigt seine Berechnung der Mondbewegung; auch verteidigt ihn Pietro d’Abano nicht anders, als dass zu seiner Zeit die Bewegung von den

232 Während Aristoteles in seinen Analytica priora lediglich drei Formen des Syllogismus erwähnt, galt im Mittelalter und der Renaissance Galen – vermutlich als Resultat der Darstellung bei Ibn Rušd – als Urheber einer vierten Form des Syllogismus. Die einzige erhaltene aus der Feder Galens stammende Logik-Abhandlung, die Institutio logica, führt allerdings explizit keinen vierten Modus des syllogistischen Schlusses ein; vgl. hierzu u.a. Moraux (1984: S. 705–710) sowie Hülser (1992: S. 3553–3554). 233 Vgl. zu diesem Beispiel sowie zur entsprechenden Stelle bei Galen (q. anim. mor. 3 p. 4,775 K) auch Kovacic (2001: S. 175–177). 234 Bei Galen (q. anim. mor. 3 p. 4,775 K) ist von der Trennung der Seele vom Körper die Rede, wenn sich das Temperamentum des Gehirns verschiebt. Vgl. auch die Kritik des Ibn Rušd daran: Aver. comm. in phys. 7,4 (Opera 4, p. 309r ). 235 Vgl. Gal. Protr. 1,1 (1,1 Kühn). 236 Vgl. hierzu von Müller (1895: S. 66–69). Im achten Buch seiner Abhandlung Περὶ ἀποδείξεως übte Galen Kritik am aristotelischen Zeitbegriff; eine kritische Auseinandersetzung findet sich im Physik-Kommentar des Simplikios (Simp. in phys. 4,11 pp. 708,22–709,28 D). Vgl. zu den Ansichten Galens auch die Kritik des Ibn Rušd: Aver. comm. in phys. 4,97 (Opera 4, p. 177v b–178v a); 4,99 (Opera 4, p. 179r b): Et in hoc etiam peccavit Galenus....

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Ratio Neotericorum

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in medicina quanta maxime esse potest; quod ad doctrinas alias attinet, cautius agendum cum homine meminerimus examinandumque | diligentius, quae tradiderit, an experientiae, an rationi, an sententiis consonent aliorum. 36. Et quidem quae de creticis prodidit diebus, ea parum rebus ipsis consentire probavimus, eadem nec rationis habere colorem palam fiet inspicientibus. Nam quae ratio Lunam, cum ad signum ab eo loco quartum pervenerit vel septimum, in quo fuerit invadente morbo, suscitare in humoribus agitationem, Galenus negat rationem se dicturum, sed Aegyptiorum praetendit auctoritatem. Nos illi sextum suum De simplicibus medicinis librum ad memoriam revocabimus, in quo delirii notat Aegyptios, quorum quoque cur apud nos vacillet auctoritas, postremis duobus libris innotescet. 37. Nunc illud dixerimus: observari per hos Lunae cursus corporum mutationes fideliter ab Aegyptiis non potuisse, quibus non erant Lunae cursus fideliter comperti. Primus enim Hypparcus in Rhodo insula certius illos observavit, licet non attigerit tamen veritatem, cui propius accessit deinde Ptolemaeus, quamquam hispanorum rursum astronomorum desiderium non impleverit. 38. Neoterici rationem excogitarunt non modo non consentientem veritati, sed nec positioni, quam tuentur, nec Galeni dictis, quae sequuntur.

Font.: 7–8 Galenus – auctoritatem ] Galen. de dieb. decr. 3,6 pp. 911–913 K 8–10 sextum – notat Aegyptios ] Galen. de simplic. medicin. prooem. 6 pp. 792–793 K 14 Hypparcus ] cf. Plin. 2,57 17 Neoterici ] cf. e.g. Appon. concil. 105 fol. v –r4r ; Rog. Bac. dieb. crit. pp. 34–36 E Sim.: 5–10 Nam quae ratio – notat Aegyptios ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 10–11 postremis duobus libris ] cf. disp. 11,2; 12,2 12–14 Nunc – comperti ] cf. disp. 11,2 14–16 Primus enim – non impleverit ] cf. disp. 11,2; cf. rer. praen. 5,4 p. 520 App. crit.: 6 ratio] ratio dicit O

15 propius] proprius Garin

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Himmelskörpern noch nicht genügend wissenschaftlich erforscht war. Mag man ihm also größtmögliches Vertrauen auf dem Gebiet der Medizin entgegenbringen; was die anderen Wissenschaften angeht, wollen wir daran denken, vorsichtiger mit dem Mann umzugehen und seine Vorschriften sorgfältiger zu prüfen, ob sie mit der Erfahrung übereinstimmen oder mit der Vernunft oder mit den Ansichten anderer Leute. 36. Dass das, was er zu den kritischen Tagen lehrte, wenig mit den Dingen an sich zu tun hat, haben wir bereits bewiesen; dass es noch nicht einmal den Anschein eines vernünftigen Arguments hat, wird allen klar, die es genauer betrachten. Denn nach welchem Argument der Mond, wenn er in das vierte oder siebte Zeichen von dem aus gerechnet, in dem er sich bei Beginn der Krankheit befand, gelangt, Bewegung in den Säften hervorruft, weigert sich Galen selbst zu erklären, sondern er schützt lediglich die Autorität der Ägypter vor. Wir aber wollen ihm das sechste Buch seiner Abhandlung »Über die einfachen Heilmittel« (De simplicibus medicinis) ins Gedächtnis rufen, in dem er die Ägypter für ihren Wahnsinn rügt; warum deren Ansehen auch bei uns auf schwachen Füßen steht, wird aus den letzten beiden Büchern deutlich werden.237 37. Hier wollen wir nun Folgendes sagen: Die körperlichen Änderungen konnten von den Ägyptern anhand dieser Mondbewegungen nicht zuverlässig beobachtet werden, da ihnen die Mondbewegungen gar nicht zuverlässig genau bekannt waren. Denn Hipparch hat sie als erster auf der Insel Rhodos mit größerer Exaktheit beobachtet, auch wenn er dennoch nicht an die Wahrheit gelangte; näher an die Wahrheit kam dann Ptolemaios, obwohl er wiederum den Anforderungen der spanischen Astronomen nicht genügte. 38. Die Jüngeren238 haben sich eine Erklärung ausgedacht, die nicht nur mit der Wahrheit nicht übereinstimmt, sondern auch nicht mit der von ihnen vertretenen Ansicht oder der Meinung Galens, der sie folgen.

237 Gemeint sind die Bücher elf und zwölf der Disputationes, in welchen Pico einen Überblick über die Entwicklung der Astrologie gibt; vgl. zur ägyptischen Astrologie insbesondere die Darstellung im zweiten Kapitel des zwölften Buches (disp. 12,2 pp. II 490–499 Garin). 238 Gemeint sind u.a. Pietro d’Abano und Roger Bacon, die beide diese Ansicht vertraten.

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Confutatio g2r

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39. Est autem huiusmodi: signa quadrata, vel opposita, contrarias habent qualitates; quadrata vel utrasque vel agentes saltem, ut Aries quidem a Cancro dissidet utraque qualitate, quando Aries signum calidum et siccum, Cancer humidum et frigidum; Taurus a Leone non utraque, nam sicco conveniunt, sed agente qualitate discordat, frigido Tauro, calido Leone. Discordant item signa opposita semper altera qualitate saltem; tum decantatum dicunt ab astrologis quadrangulas et diametras radiationes contrarias esse atque pugnantes. His positis ita colligunt: cum pervenerit Luna ad loca illis, quae tenuit invadente morbo, inimica, consequi, ut inter morbum atque naturam pugna exoriatur. 40. At nos suppositis, quae dicunt, ita eos alloquemur: »Cur creticos dies Luna faciat, hanc esse putatis causam: quoniam, si in Tauro, verbi gratia, fuit, cum naturam morbus occupavit, debet, cum ad locum con | trarium venerit, contrarium effectum facere. Faciet igitur, ut natura contra morbum assurgat, unde pugna et

Font.: 1–9 signa quadrata – exoriatur ] cf. Appon. concil. 105 fol. r4r ; cf. Rog. Bac. dieb. crit. pp. 34–36 E 4–5 Taurus – calido Leone ] Appon. concil. 105 fol. r4r : Thaurus Leoni in activis [sc. qualitatibus] opponitur. agente qualitate ] cf. Album. introd. tract.2, diff.4 pp. 74–75: Ex istis [qualitatibus] vero IIII. simplicibus, duo sunt agentia opposita, que sunt calor et frigus, et duo patientia opposita, que sunt siccitas et humiditas 6–7 decantatum – pugnantes ] cf. e.g. Firm. math. 2,22; Porph. isag. 8; Ficin. in enn. 2,3,4 p. I 212 W 9 inter morbum atque naturam pugna exoriatur ] Appon. concil. 105 fol. v Sim.: 1–9 signa quadrata – exoriatur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 520 cf. rer. praen. 5,4 pp. 520–521

598.10–600.3 At nos – naturae ]

App. crit.: 4 Taurus] a Turus VR 5 discordat] discordant Garin 6 quadrangulas] quadrangulis B (corr. BCorr ) 10 Tit. Confutatio add. in marg. BP

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39. Sie lautet aber folgendermaßen: Zeichen, die in Quadratur oder Opposition zueinander stehen, besitzen unterschiedliche Qualitäten. In Quadratur sind entweder beide Qualitäten unterschiedlich oder wenigstens die »wirkenden« Qualitäten;239 so unterscheidet sich der Widder beispielsweise vom Krebs in beiden Qualitäten240 , da der Widder heiß und trocken ist, der Krebs hingegen feucht und kalt. Der Stier unterscheidet sich vom Löwen aber nicht in beiden Qualitäten, denn beide sind trocken, sondern in der wirkenden Qualität, da der Stier kalt ist, der Löwe hingegen heiß. Ebenso unterscheiden sich Zeichen, die in Opposition zueinander stehen, immer in zumindest einer Qualität. Des Weiteren fügen sie hinzu, dass es bei den Astrologen eine Binsenweisheit sei, dass Geviertschein und Opposition gegensätzlich seien und miteinander im Kampf stünden. Nach diesen Bedingungen kommen sie zu folgender Schlussfolgerung: Wenn der Mond in die Zeichen gelange, die jenen, in denen er sich bei Beginn der Krankheit befand, feindlich gesinnt sind, ergebe sich daraus, dass sich zwischen der Krankheit und der Natur ein Kampf erhebe.241 40. Ich aber will sie unter den gegebenen Voraussetzungen folgendermaßen ansprechen: ›Dies, glaubt ihr, sei der Grund dafür, dass der Mond die kritischen Tage bewirke: weil er, wenn er beispielsweise im Zeichen des Stiers war, als die Krankheit die Natur in Beschlag nahm, eine entgegengesetzte Wirkung hervorrufen muss, sobald er in ein entgegengesetztes Zeichen gelangt. Folglich wird er

239 Die Differenzierung der vier primären Qualitäten (heiß, kalt, feucht, trocken) in wirkende (qualitates activae / agentes: heiß, kalt) bzw. bewirkte (qualitates passivae / patientes: feucht, trocken) Qualitäten geht bereits zurück auf Aristoteles. Mit den wirkenden Qualitäten sind also, wie u.a. auch Wilhelm von Conches (ca. 1080–1155) in seinen Glossae in Timaeum 31 B (LXI) lehrt, Hitze (calor) und Kälte (frigiditas) gemeint, da sie ihrerseits Austrocknung und Verdichtung bewirkten: (ed. Jeauneau 131f.): Sunt autem agentes qualitates calor et frigiditas. Calor enim desiccat et consumit; frigiditas similiter desiccat, spissat et constringit. Vgl. hierzu insbes. Speer (1995: S. 171–172). Vgl. auch die Besprechung dieses Problems bei Nikolaus Oresme in den Quaestiones super De generatione et corruptione 2,2 pp. 190–196 Caroti, der zu dem Schluss kommt, Hitze und Kälte seien auf Grund ihrer höheren Wirkgeschwindigkeit eher aktiv als Trockenheit und Feuchtigkeit. Die Anwendung dieser Theorie auf die Zeichen des Tierkreises findet sich u.a. bei Abū Ma῾šar (Album. introd. tract.2, diff.4 pp. 74–75). Die Tatsache, dass die Zeichen im Trigon unterschiedlicher Natur sind, überliefert u.a. bereits Manilius (2,654f.). Vgl. hierzu auch Haly comment. tetr. 1,14 fol. C3r . Pietro d’Abano spricht an besagter Stelle (Petr. Appon. Concil. diff. 104 fol. r3r ) von der Hitze als qualitas activa. 240 Gemeint sind also die beiden eben differenzierten Qualitätsstufen der aktiven bzw. passiven Qualitäten. 241 Vgl. Petr. Appon. concil. diff. 105 fol. v : In septima autem, cum solam unam quadram perambulaverit, in aspectum devenit quaternum inimicitie et contrarietatis mediocris solum; ubi autem fortior pugna, immensior expectatur victoria.

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Responsio Confutatio multiplex

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iudicium ad alterutram partem victoriae declinantis. Erit autem in loco contrario, cum pervenerit ad Leonem vel ad Scorpium; sed ad Leonem die septimo veniet, ad Scorpium quarto decimo; per hos igitur dies bellicum canet morbo atque naturae. 41. Sed cur non idem faciet die tertia veniens ad Geminos plus a Tauro Leone discrepantes? Cur non duodecima aut decimatertia veniens ad Libram, cum qua rursus Taurus minus consentit quam cum Scorpione? Cur non decimaquinta subiens Sagittarium dissidentem a Tauro sicut Scorpius dissidet atque Leo?« 42. Scio quid respondebunt: non esse inter haec signa aspectus colligationem. 43. Sed non alio adduci ego eos volebam, non ut istam aspectuum rationem nullam esse obicerem, quod libro sexto sumus facturi, sed ut ostenderemus, etiam si sit aliqua, non tamen deservire propositae quaestioni. Nam illa quidem inter duos planetas observatur, quorum radios non putant ad complendum eum posse convenire, sive concordent sive discordent, nisi talibus invicem sibi intervallis configurentur: exagono, trigono, quadrangulari atque diametro. 44. At vero hic Lunam planetis aliis non configuramus, sed id solum advertimus, ut ad locum con | trarium deferatur illi, quem prius occupabat. Quamquam

Sim.: 4–7 Sed cur – Leo ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 8 Scio – colligationem ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 10 libro sexto ] cf. disp. 6,5–6,8 App. crit.: 1 iudicium BB BF BEC GVWRFO : indicium BC (non corr. BP ) 7 dissidentem] dissedentem VRF 8 Tit. Responsio add. in marg. BP 9 Tit. Confutatio multiplex add. in marg. BP

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bewirken, dass die Natur sich gegen die Krankheit erhebt, woraus sich ein Kampf ergibt und ein Urteil242 des Sieges, der sich zu einer der beiden Seiten neigt. Der Mond wird aber in einem entgegengesetzten Zeichen sein, wenn er den Löwen erreicht oder den Skorpion; in den Löwen gelangt er aber am siebten Tag, in den Skorpion am vierzehnten; an diesen Tagen wird er also zum Kampf zwischen Natur und Krankheit blasen. 41. Aber warum tut er das nicht auch am dritten Tag, wenn er in die Zwillinge eintritt, die sich vom Stier in höherem Maße unterscheiden als der Löwe? Warum nicht auch am zwölften oder dreizehnten Tag, wenn er in die Waage eintritt, mit der der Stier wiederum weniger gemeinsam hat als mit dem Skorpion? Warum nicht am fünfzehnten Tag, wenn er in den Schützen gelangt, der sich vom Stier ebenso unterscheidet wie der Skorpion und der Löwe?‹ 42. Ich weiß, was sie zur Antwort geben werden: Zwischen diesen Zeichen gebe es keine Verbindung durch einen Aspekt. 43. Zu etwas anderem wollte ich sie aber gar nicht verleiten, und zwar nicht um ihnen entgegenhalten zu können, dass diese Technik der Aspektberechnung nichtig sei, was wir im sechsten Buch machen werden, sondern um ihnen zu zeigen, dass, selbst wenn es eine sinnvolle Technik wäre, sie zur vorliegenden Frage nichts beizutragen vermöchte. Denn ein Zusammenhang per Aspekt243 wird zwischen zwei Planeten festgestellt, deren Strahlen, wie sie glauben, nur zur Bildung eines Aspektes zusammenkommen können, egal ob sie im Einklang miteinander stehen oder nicht244 , wenn sie sich in gewissen Abständen zueinander anordnen, und zwar im Sechseck, Dreieck, Viereck oder in gegenüberliegender Position. 44. Hier aber lassen wir den Mond nicht mit anderen Planeten einen Aspekt eingehen, sondern machen lediglich darauf aufmerksam, dass er an einen Ort gelangt, der dem, an dem er sich früher befand, entgegengesetzt ist.245 Obwohl aber

242 Anspielung auf die Bedeutung des Wortes crisis (griech. κρίσις) = Urteil. 243 Siehe oben S. 575. 244 Vgl. disp. 6,6 pp. II 64–67 Garin, wo die Aspekte, welche die Zeichen zueinander bilden, mit Harmonie und Dissonanz in der Musik verglichen werden; ähnlich bereits Ptol. apotel. 1,14,3. 245 Gemeint ist nicht etwa die Opposition, sondern die Qualität des Zeichens. Die zwölf Zeichen des Tierkreises wurden nach spätantiker astrologischer Lehre unterschiedlich aufgeteilt und so beispielsweise auf die vier Elemente, die vier Körpersäfte oder auch auf die vier auf Aristoteles zurückgehenden Qualitäten aufgeteilt. Vgl. hierzu z.B. Val. 1,2,1–90 oder Album. introd. tract.2, diff.3. sowie umfassend Hübner (1982: S. 238–254). Nach dieser Vorstellung ist der Stier kalt und trocken, die Zwillinge hingegen heiß und feucht, also genau entgegengesetzt.

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autem positam stellam in Geminis stellae positae in Tauro negabunt astrologi per aspectum colligari, non tamen hunc locum esse illi contrarium denegabunt; quodsi facit effectum primo contrarium Luna, quia ad locum contrariae devenit qualitatis, cur, si in signo frigido et sicco morbum excitavit, in calidis humidisque collocata naturam adversus morbum non excitavit, sive illud signum sextum sive secundum sive alio numero, quem malueris computetur? Ridiculum hoc omnino nec, quod ab homine dici possit veritatem potius spectante quam defendente positionem. 45. Quodsi contendant in his aspectibus vim consistere, debent ex consequenti illud quoque concedere: Lunam, cum ad trigona signa pervenerit, morbum confirmaturam, quoniam sicut quadrata signa discordant, ita trigona concordant. Cur igitur, si tetragona signa suscitant naturam ex contraria qualitate ad signum aegritudinis, eadem ratione trigona ex concordi morbum non excitabunt? Ad quae cum Luna undecima die fere deferatur, erit undecima noxia statuenda, quae tamen a medicis inter salutares creticas numeratur. 46. Denique erit manifestissimum consideranti traditas creticorum dierum observationes a medicis ex Lunae motu rationem habere non posse; nam malas qui-

Font.: 2 non tamen – denegabunt ] cf. Album. introd. tract.2, diff.3 maoctava ] Appon. concil. 105 fol. v

602.17–604.2 nam – deci-

Sim.: 2–6 quodsi – computetur ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 9–13 Quodsi – excitabunt ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521; Bellant. resp. disp. 3,16 fol. r App. crit.: 10 trigona αC : tetragona BF VWRFOGarin 11 trigona] tetragona BF gona BCorr GOGarin : trigona Bβ 13 trigona] tetragona suprascr. sed postea del. BF concordia O Ad quae BCorr GVWRFOGarin : Adde quod BC

12 tetraconcordi]

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die Astrologen leugnen, dass ein Gestirn in den Zwillingen mit einem anderen im Stier befindlichen einen Aspekt bildet, werden sie dennoch nicht abstreiten, dass dieser Ort jenem entgegengesetzt ist. Wenn aber der Mond eine Wirkung hervorruft, die der ersten entgegengesetzt ist, weil er einen Ort von entgegengesetzter Qualität erreicht, warum ruft er dann nicht, wenn er in einem kalten und trockenen Zeichen eine Krankheit bewirkt hat, in heißen und feuchten Zeichen generell einen der Krankheit entgegenwirkenden Zustand hervor, mag es nun das sechste oder das zweite Zeichen sein oder jede beliebige andere Zahl, die man lieber berechnen will? Das ist ganz und gar lächerlich und kann von keinem Menschen behauptet werden, der eher nach der Wahrheit trachtet als lediglich danach, seinen Standpunkt zu verteidigen. 45. Wenn sie aber behaupten, dass diesen Aspekten eine Kraft innewohne, müssen sie folgerichtig auch Folgendes zugeben: Wenn der Mond in Zeichen gelangt, die einen trigonalen Aspekt bilden, wird er eine Krankheit bekräftigen, weil trigonale Aspekte auf dieselbe Weise miteinander in Einklang stehen, wie tetragonale Aspekte im Streit miteinander sind. Wenn also Zeichen, die einen tetragonalen Aspekt bilden, die der Krankheit entgegenwirkende Natur stärken auf Grund der zum Zeichen der Krankheit entgegengesetzter Qualität, warum stärken dann nicht Zeichen, die einen trigonalen Aspekt bilden, nach derselben Methode infolge übereinstimmender Qualität die Krankheit? Wenn der Mond ungefähr am elften Tag solch ein Zeichen erreicht, wird man den elften Tag als schädlich einstufen müssen, der trotzdem bei den Ärzten als einer der heilsamen kritischen Tage gilt. 46. Schließlich ergibt es sich bei genauer Betrachtung ganz offensichtlich, dass die von den Ärzten überlieferten Beobachtungen zu den kritischen Tagen ihre Ursache nicht im Mond haben können; denn sie behaupten, dass Wendungen

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Vide pudendum errorem Petri Apponensis conciliatoris

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dem commotiones his fieri diebus dicunt: sexta, octava, duodecima, decima, decimasexta, decimaoctava. 47. Reddant horum rationem ex Luna, si possunt; nam sexta quidem et octava saepius fieri bonas conveniret, ut dicebamus, proveniente per hos dies ad tetragona Luna. Sed cur omnino malae decima vel duodecima, quibus non fit Luna in locis aspectu aliquo cum aegritudinis signo colligatis? Cur salutaribus annumerantur decimaseptima atque trigesima? 48. Sed et quae ratio penes Lunam quaternos quosque dies vim habere citra vigesimum, ultra vigesimum septenos non quaternos, ut vigesimum septimum, trigesimum quartum et quadragesimum primum, quem cum excesseris, vigesimi cretici inveniantur, ut sexagesimus et octuagesimus, tum centesimus ac vigesimus? Cur inde circuitum mensium et annorum? 49. Quae omnia sicuti non habent a Luna causam, ita nec habere possunt a Sole nec ab alia quaquam constellatione, cum non illae statis diebus statae quoque vel similes vel concordes inveniantur, sed variant mirum in modum nec ordinem ullum servant, qui possit huic ordini respondere in morborum commotionibus a natura maxima ex parte custodito, ut demirari liceat Apponensem, qui malitiam sextae, quam Galenus comparat tyranno sicut septimam regi, redigi ait posse

Font.: 5 malae – duodecima ] Galen. de dieb. decr. 1,5 pp. 792–793 K 7 decimaseptima ] Galen. de dieb. decr. 2,3 pp. 847–852 K; cf. Appon. concil. 105 fol. v trigesima ] Galen. de dieb. decr. 1,10 p. 816 K; cf. Appon. concil. 105 fol. v 9–10 ultra – primum ] Galen. de dieb. decr. 3,10 p. 816 K; cf. Appon. concil. 105 fol. v 10–11 vigesimi – vigesimus ] Galen. de dieb. decr. 1,10 pp. 816–817 K; cf. Appon. concil. 105 fol. v 12 circuitum – annorum ] Galen. de dieb. decr. 3,10 p. 817 K; cf. Appon. concil. 105 fol. v 604.17–606.1 Apponensem – tetragonum ] Appon. concil. 105 fol. v 18 Galenus – septimam ] Galen. de dieb. decr. 1,4 pp. 786–787 K; cf. Appon. concil. 105 fol. r4r Sim.: 3–6 Reddant – colligatis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 10–12 quem – annorum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 13–17 Quae – custodita ] cf. rer. praen. 5,4 p. 521 604.17–606.4 demirari – rationem ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 521–522 App. crit.: 1 decima ante duodecima transp. Garin; sed cf. Appon. concil. 105 fol. v 5 omnino BCorr GVWRFOGarin : non BC malae] mala OGarin 8 quaternos BCorr VRFO : quae ternos BC : quater nos W : quae qua ternos G 16 ullum] nullum C 17 custodito OGarin : custodita αβ 18 post sextae verbum diei add. Garin

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zum Schlechten (commotiones malae) an folgenden Tagen geschehen: am sechsten, achten, zwölften, zehnten, sechzehnten und achtzehnten.246 47. Dafür sollen sie, wenn sie denn können, eine Begründung im Mond suchen. Es würde nämlich passen, wenn am sechsten und achten Tag häufiger Wendungen zum Guten eintreten würden, da der Mond sich an diesen Tagen, wie gesagt, in Zeichen befindet, die einen quartilen Aspekt bilden. Warum aber sind der zehnte oder zwölfte Tag nicht schlecht, an denen sich der Mond in keinem Zeichen befindet, das überhaupt irgendeinen Aspekt bildet mit dem Zeichen der Krankheit?247 Warum werden der siebzehnte und der dreißigste Tag zu den heilsamen gerechnet? 48. Was ist das aber auch für eine Vorstellung, dass beim Mond der jeweils vierte Tag bis zum zwanzigsten über Kraft verfügt, ab dem zwanzigsten aber nicht mehr jeder vierte, sondern jeder siebte, wie der siebenundzwanzigste, der vierunddreißigste und der einundvierzigste? Kommt man über diesen hinaus, sind die jeweils zwanzigsten Tage kritische Tage wie der 60., der 80. und dann der 120. Warum ist es ab dort in einer Periode von Monaten und Jahren?248 49. All diese Ereignisse haben ihre Ursache ebenso wenig im Mond wie in der Sonne oder in sonst irgendeiner Himmelskonstellation, da sie an bestimmten, immer wiederkehrenden Tagen nicht ebenfalls in ähnlicher oder übereinstimmender Weise immer wiederkehrend sind, sondern sie verändern sich auf wunderbare Weise und halten keine Ordnung ein, die jener Ordnung, die von der Natur größtenteils bei den Erschütterungen der Krankheiten eingehalten wird, entsprechen könnte. Daher darf man sich sehr über Pietro d’Abano249 wundern, der die

246 Vgl. auch die Darstellung bei Pietro d’Abano (concil. 105 fol. v ): Dies vero, in quibus crisis evenit mala, sunt sextus, octavus, duodecimus, decimus, sexdecimus et decimusoctavus. 247 Gemeint ist dasjenige Zeichen des Tierkreises, in dem der Mond sich zu Beginn der Krankheit befand. 248 Vgl. auch die Darstellung in der Aggregatio de diebus creticis (aggreg. dieb. cret. 2,1 p. 59): Post quadragesimum diem vituperat Ypocras omnes nisi currentes de vicesimo in vicesimum sicut sunt quadragesimus, octogesimus, centesimus, centesimus vicesimus. Post istos dies numeravit dies currentes per menses. Hier wird allerdings der 100. Tag mit aufgenommen, im Gegensatz zur Darstellung bei Galen (de dieb. decr. 3,10 p. 817 K) und Pietro d’Abano, der nach dem 80. Tag dezidiert von einem Fortschreiten in Schritten von je 40 Tagen spricht (concil. 105 fol. v ): deinde currit in vicenos ut sexagesima: postea octuogesima: deinde transitur per duos vicenos in centesimum vigesimum. 249 Vgl. Petr. Appon. Concil. 105 fol. v in die sexta fit crisis… Accidit autem vel quia luna cursu velox pertingens ad finem quadre sex dierum spacio, aut quia egritudo motu procedit pari taliter.

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Processus naturae per septenarios g2v Avicenna

Galenus

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ad hoc, quod Luna cursu velociori veniat ad tetragonum, sui nimis immemor, qui fieri salutares in septima die aegrotationes dixerat ob quadrati naturam, quae scilicet morbi signo adversaretur. Quomodo igitur nunc ex quadrato quoque malitiae sextae diei reddit rationem? 50. Patet igitur haec omnia causas habere alias; sed fefellit eos, quod in septima die et quartadecima videbatur convenire, quamquam nec ibi, ut diximus, convenit. Sed hunc per septenarios progressum videmus alibi quoque in naturae operibus observatum, ubi nulla suspicio de Lunae motu vel Solis, ut in ipsis quoque morborum periodis, cum sicuti septimo die acutae, ita | diuturnae, ut scribit Avicenna, saepe septimo mense, septimo anno, quartodecimo, vigesimo primo solent terminari. 51. Nec probo tamen, qui superstitiose numeros hic observant, sed ita naturae dico cursus impleri plerumque in rebus non ob constellationes ad haec tempora comparentes (neque enim reperiuntur), sed ob occultam proprietatem conditionemque rerum illarum, quibus ita plerumque usu venit. 52. Sic enim natura comparatum videmus, ut, quod scribit ipse Galenus, per dies impares acuti morbi moveantur, qui vero lentiores diuturnioresque per pares. 53. Redige haec ad Lunam, redige ad Solem stellasque, si potes. Cur igitur commotionem septimae diei in acutis morbis ad tetragona signa, per quae Luna feratur, referamus, cum nec illud praesertim sit perpetuum?

Font.: 1–3 sui – adversaretur ] Appon. concil. 105 fol. v 7 per septenarios progressum ] cf. Gell. 3,10; Macr. somn. 1,6 9–10 septimo – Avicenna ] Avic. canon. lib.4, fen.2, tract.2, cap. 4 p. II 105 16–17 Galenus – per pares ] Galen. de dieb. decr. 3,8 pp. 921–924 K; Appon. concil. 105 fol. r4r App. crit.: 7 videmus] videbimus Garin 9 periodis BCorr GVWRFOGarin : periculis BC 14 comparentes βOGarin : compatentes B (ut vid.) : compararentes G 17 lentiores] leniores Garin diuturnioresque BCorr GVWRFOGarin : diurnioresque BC 19 septimae diei OGarin : septima dies αβ

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Schlechtigkeit des sechsten Tages, den Galen mit einem Tyrannen vergleicht, wie den siebten mit einem König, darauf zurückzuführen meint, dass der Mond in schnellerem Lauf in sein Tetragon gelangt, wobei er sich selbst allzu sehr vergisst, hatte er doch gesagt, dass heilsame Krankheitsentwicklungen am siebten Tag einträten wegen der Natur des quartilen Aspektes, weil diese dem Zeichen des Krankheitsbeginns entgegenwirke. Wie begründet er nun also aus dem quartilen Aspekt auch die Schlechtigkeit des sechsten Tages? 50. Es ist also deutlich, dass all das seine Ursache anderswo hat. Jene führte aber die Tatsache in die Irre, dass der Mond am siebten und am vierzehnten Tag mit der Krise übereinzustimmen scheint, obwohl er, wie gesagt, auch dort nicht übereinstimmt. Doch diese Entwicklung in Siebenerschritten sehen wir auch anderswo in den Werken der Natur bewahrt, wo es keine zu vermutende Rückführung auf die Bewegung von Sonne oder Mond gibt, so zum Beispiel in den Perioden der Krankheiten, wo, wie Ibn Sīnā schreibt, die akuten Krankheiten am siebten Tag gewöhnlich beendet werden, die chronischen aber oftmals im siebten Monat oder im siebten, vierzehnten oder einundzwanzigsten Jahr. 51. Dennoch heiße ich das Vorgehen derjenigen nicht für gut, die auf diesem Gebiet abergläubisch die Zahlen betrachten, sondern ich behaupte, der Lauf der Natur erfüllt sich meistens so in den Dingen nicht auf Grund von Himmelskonstellationen, die zeitgleich erscheinen (denn sie lassen sich gar nicht finden), sondern auf Grund der verborgenen besonderen Eigenschaft jener Dinge, durch die sie sich meisten auf diese spezielle Weise ereignen müssen. 52. Die Natur hat es nämlich so eingerichtet, was auch Galen selbst schreibt, dass an ungeraden Tagen die akuten Krankheiten in Bewegung geraten, an geraden hingegen die langsamen und lange andauernden chronischen Krankheiten. 53. Führe das auf den Mond zurück, führe das auf die Sonne und die Sterne zurück, wenn du kannst. Warum also sollen wir die Krise des siebten Tages bei akuten Krankheiten auf die einen quartilen Aspekt bildenden Zeichen, durch welche der Mond eilt, zurückführen, zumal ja auch das nicht ewig so ist?

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54. Sed et quidam ex iunioribus contra Galeni aliorumque opinionem ad Lunam confugientium hoc loquuntur: Si quis Luna posita in Ariete decumbat, creticam habere diem octavam debet, quia tunc ad Cancrum quadratum Luna deveniat. Respondentque ita quidem fieri debere habita ratione motus lunaris, sed in septima fieri commotionem propter naturam morbi, qui, acutus cum est, per impares movetur usque ad diem quartumdecimum. 55. Postremo, quae de creticis diebus vere sunt observata a medicina, non solum res astrologica non firmat, sed infirmat, ut sit maximo argumento corporum affectiones a causis non dependere, quas astrologi introducunt. Nam si status in his diebus ordo non esset, sed nunc haec quidem, nunc illa cretica, rursusque inter

App. crit.: 3 quia BB BP BEC O : quare αβ (non corr. BF ) 8 non G : non om. BOβGarin

7 sunt observata] observata sunt Garin

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54. Aber auch einige der Jüngeren sind entgegen der Meinung Galens und anderer, die beim Mond Zuflucht nehmen, dieser Meinung: Wenn jemand krank wird, wenn der Mond im Widder steht, muss er den achten Tag als kritischen haben, weil der Mond zu diesem Zeitpunkt in den Krebs eintritt, der in Quadratur zum Widder steht. Sie geben auch zur Antwort, so müsse es sein, wenn man die Mondbewegung berücksichtigt, am siebten Tag aber trete eine Krise ein, auf Grund der natürlichen Beschaffenheit der Krankheit, die, wenn sie akut ist, die ungeraden Tage entlangwandert bis zum 14. 55. Schlussendlich werden die wahren Beobachtungen über die kritischen Tage seitens der Medizin von der Astrologie nicht nur nicht gestärkt, sondern sogar geschwächt, sodass es zum stärksten Argument gerät, dass die Gesundheitszustände der Körper nicht von den Ursachen abhängen, die die Astrologen anführen. Gäbe es nämlich in diesen Tagen keine feste Ordnung, sondern wäre bald dieser, bald

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610 Galenus: Dies creticos, si fiant a caelo, non esse immutabiles

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creticas alia alio tempore noxia, salutaris inveniretur, nulla nos ad investigandum causam admiratio suscitaret sola materiae diversitate mutabili nobis satisfaciente. 56. Sed cum certi dies non semper, sed plerumque tamen cretici, et quidam plerumque ad vitam, quidam ad mortem, videtur hic ordo causam desiderare certam raroque mutabilem. Galeno videtur hinc consequi in caelestibus esse causam, quae sunt corpora rato stabilique ordine se moventia; quare possunt effectum ratum stabilemque producere. 57. Mihi contra videtur hinc patere de caelestibus causam huiusmodi esse non posse, quoniam, si inde esset, alias alii cretici forent, nec, qui apparet in eis, ordo servaretur. Nam si Luna Marti Solive iungeretur, citaret influxus commotionem; si Saturno, tardaret. 58. Sed et coitus luminarium diem morbi proxime antecedens foret inspiciendus tumque, si dominus eius loci, in quo coisset, orientem teneret, cito fieret commotio, sero si occidentem; sed et sidera recto motu procedentia vel in mobilibus signis posita velocius, contra vel retrocedentia vel in fixis locata tardius morbo naturaeque bellicum canerent.

se moventia] App. crit.: 5 Galeno videtur OGarin : Galenus αβ 6 rato αβ : raro OGarin semoventia Garin quare BCF : quia BF GVWRO : quae Garin 8 esse BP OGarin : etiam Bβ 16 canerent] caneret Garin

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jener Tag kritisch, und innerhalb der kritischen Tage bald der eine, dann wieder der andere schädlich oder heilsam, würde uns kein Staunen dazu reizen, die Ursache zu untersuchen, da lediglich die veränderliche Unterschiedlichkeit der Materie uns zufrieden stellen würde. 56. Da aber bestimmte Tage nicht immer, aber dennoch meistens kritisch sind, und einige meistens zum Weiterleben führen, andere zum Tod, scheint jene Ordnung eine bestimmte und selten wandelbare Ursache zu benötigen. Galen scheint davon ausgehend zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Ursache von den Himmelskörpern ausgeht, die ja Körper sind, die sich in bestimmter und fester Ordnung bewegen, weshalb sie eine bestimmte und feste Wirkung hervorrufen können. 57. Für mich hingegen hat es den Anschein, dass davon ausgehend deutlich wird, dass eine derartige Wirkung nicht von den Himmelskörpern ausgehen kann, da, wenn sie von dort ausginge, bald der eine, bald der andere Tag kritisch wäre, und die Ordnung, die sich bei ihnen zeigt, nicht gewahrt bliebe. Träte nämlich der Mond mit dem Mars oder der Sonne in Konjunktion, würde dieser Einfluss die Krise beschleunigen; in Konjunktion mit Saturn hingegen würde sie verlangsamt werden. 58. Aber auch die Konjunktion der Luminare, die dem Tag der Erkrankung unmittelbar vorangeht, müsste dann betrachtet werden und des Weiteren würde, wenn der Herrscher des Ortes, an dem sie ihre Konjunktion haben, im Aufgangspunkt stünde, die Krise schnell eintreten, langsam aber, wenn er im Untergangspunkt stünde.250 Es würden aber auch Sterne, die in prograder Bewegung voranschreiten oder sich in mobilen Zeichen befinden, schneller, langsamer hingegen würden solche in retrograder Bewegung oder in festen Zeichen Krankheit und Natur den Krieg erklären.251 250 Zur Tatsache, dass der Ort bzw. die ekliptikale Länge der Position der vorangehenden SonneMond-Konjunktion in der Astrologie im Allgemeinen und insbesondere bei Horoskopen eine bedeutende Rolle spielt, vgl. Heilen (2015: S. 1092–1096). Ptolemaios beispielsweise erwähnt sie zusammen mit dem Herrscher ihres Ortes z.B. im Zusammenhang mit monströsen Geburten (Ptol. apotel. 3,9,1–2) sowie im Zusammenhang mit den Primärdirektionen und dem ἀφέτης – ein Kapitel, mit dem sich Pico bewiesenermaßen dezidiert auseinandergesetzt hatte. Dass das Aufgehen im Osten eine »Zunahme« (ἐπίτασις) bewirke, der Untergang hingegen eine »Abnahme« (ἄνεσις), lehrt ebenfalls Ptolemaios (apotel. 2,7,4). 251 Als mobile Zeichen (signa mobilia) gelten Widder, Krebs, Waage und Steinbock, also diejenigen Zeichen, die ein Äquinoktium oder einen Sonnwendpunkt enthalten; signa fixa hingegen sind Stier, Löwe, Skorpion und Wassermann, während Zwillinge, Jungfrau, Schütze und Fische sog. signa communia sind. Die Terminologie geht wohl zurück auf al-Qabīșī (Alchabitius) introd. fol. v , die Unterteilung findet sich bereits bei Ptolemaios (apotel. 1,12); die Verbindung der retrograden Bewegung, also der aus irdischer Sicht scheinbar rückläufigen Bewegung einiger Himmelskörper, die durch die Epizykeltheorie des Ptolemaios erklärt werden konnte, mit körperlich-gesundheitlichen Aspekten findet sich ebenfalls bereits bei Ptolemaios vorgezeichnet (apotel. 3,12,9).

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g3r

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59. Quae nec cuique aegrotanti, quamquam hisdem constellationibus similiter convenirent, sed aliter aliis pro geniturae ipsorum conditione. 60. Mitto figuram , cuius angulos observandos praecipit Ptolemaeus, felicibus an infelicibus radiis deriventur, ut inde de morbo praenuntiemus, quod quidem ignorantissimi credunt ad creticos dies pertinere. 61. Quae si omnia medici ab astrologis haberent, non plerumque quos voluit ars medica, sed alias alii forent cretici dies, nec illud esset statum, ut sexta dies tyranna crudelitate perimeret, septima regia benignitate liberaret, sed et constellationibus noxiis septima et salutaribus etiam sexta numeraretur. Quod si eveniat interdum, non a caelo esse dici debet, ubi causam quaerunt eius, quod | cum ordine et fere semper contingit, sed in materiam potius redigi debet particularemque aliquam laborantis hominis proprietatem.

Font.: 3–5 cuius angulos – praenuntiemus ] Ps.-Ptol. cent. 60 App. crit.: 1 hisdem BVWRFO : iisdem G : hisdam C : hic de Garin 2 pro geniturae] progeniturae Garin 3 ἑξκαιδεκαέδρου addidi coll. Ps.-Ptol. cent. 60 : om. et lac. indic. ΩGarin observandos BB BP Oβ : observaudos B : observando G 5 quidem α : quidam βOGarin 7 tyranna] tyrannica G 8 crudelitate] crudulitate B (corr. BB BP ) 11 sed in materiam BP GOGarin : si in materia B : sed in materia BF BEC β

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59. Diese Eigenschaften wären auch nicht bei jedem Kranken dieselben, obwohl sie auf ähnliche Weise bei gleichen Konstellationen sich ergeben, sondern in jedem Falle anders je nach Voraussetzung der jeweiligen Geburtskonstellation. 60. Die Figur des Sechzehnecks252 will ich übergehen, dessen Ecken zu beachten Ptolemaios vorschreibt, ob sie von guten oder schlechten Strahlen getroffen werden, um davon ausgehend Vorhersagen über den Krankheitsverlauf zu treffen, was die ganz und gar einfältigen auf die kritischen Tage zu beziehen glauben. 61. Hätten die Ärzte dies alles von den Astrologen, wären nicht meistens diejenigen Tage kritische Tage, die die Medizin so bestimmt, sondern zu unterschiedlichen Zeiten wären immer unterschiedliche Tage kritisch, und auch jenes wäre nicht dauerhaft festgesetzt, dass der sechste Tag mit tyrannischer Grausamkeit nimmt, der siebte mit königlichem Großmut befreit, sondern der siebte würde auch den schädlichen Konstellationen zugerechnet und der sechste sogar auch den gesundheitsförderlichen. Wenn dies bisweilen eintritt, muss man nicht sagen, es komme vom Himmel, wo sie die Ursache suchen für das, was einem festem Prinzip folgend und beinahe immer geschieht, sondern man muss es eher auf die Materie zurückführen und irgendeine spezielle Eigenheit des jeweils kranken Menschen.

252 Vgl. Ps.-Ptol. cent. 60 sowie Pont. comment. cent. 60. Haly nennt es in seiner Übersetzung des 60. Spruchs des Centiloquiums ›Albaharim‹ (Haly Aven. cent. 60 fol. r ). Im Lexikon bei Vitali (1668: S. 188–190) findet sich unter dem Lemma ›figura sexdecim laterum‹ eine entsprechende Beschreibung dieses regelmäßigen Sechzehnecks, dessen sechzehn jeweils 22°30’ messende Seiten in die 360° des Tierkreises eingeschrieben werden, unter Verweis auf Ps.-Ptol. cent. 60.

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Caput XVII – Periodos humorum ad siderum motus non esse referendos.

Primus modus Confutatio

1. Sed nec periodos humorum in febribus credat quispiam ad siderum motus referendos, uti, gratia exempli, bilis atra diebus duobus cesset, quarto suscitetur, quoniam sub Saturno sit, cuius motus aliis tardior. Nam qua ratione sanguis ad Iovem relatus ab astrologis iugiter putrescit nulla pausa, cum non Iuppiter tamen omnium velocissimus, quin potius, si tempus restitutionis extimetur, omnium tardissimus post Saturnum? Cur item motus rubrae bilis ascriptus Marti paulo segnior atrae motu? Cessat enim sex horis minus, cum ille horis octo et quadraginta, ipse sex et triginta sopiatur; multo autem Saturno velocior stella Martis. 2. Praeterea decretum est astrologorum opera stellarum tardi motus, quo tardiora sunt, eo magis esse diuturna; cur igitur, si pituitae motus citius redit quam rubrae bilis, nam ille post sex horas, hic post sex atque triginta, quoniam Lunae motus excitans pituitam velocior motu Martis coleram excitante, cur, inquam, si hoc verum, non diuturnius afficit agitatio colerae quam pituitae? Sed illa horis tantum duodecim, haec autem decem et octo. Debent enim, si stamus in prae-

Font.: 3–4 bilis atra – tardior ] cf. Appon. concil. 88 fol. o4r 4–5 sanguis – pausa ] cf. Appon. concil. 88 fol. v 8–9 Cessat – sopiatur ] cf. Appon. concil. 88 fol. o4r 11–12 Praeterea – diuturna ] cf. Ptol. apotel. 4,10 Sim.: 2–3 nec periodos – referendos ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 3–4 bilis atra – tardio ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 4–7 sanguis – Saturnum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 7–10 Cur item – Martis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 614.11–616.2 Praeterea – illius ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 App. crit.: 4 Tit. Confutatio add. BP 5 iugiter] ingiter G (corr. Gc ) pausa] causa O tamen] tamen tamen B (corr. BB BP ) 6 extimetur] aestimetur G (sed cf. ThLL 1, p. 1096,78–80) 8 bis addidi horis αWCO : oris VRF 12 cur BCorr G : cum BOβ 13 Lunae] luna B (corr. BCorr ) 15 diuturnius] diuturrnius BG (corr. BB BP ) Sed BCorr GO : Seu Bβ 16 haec O : hic αβ

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Kapitel 17 – Die Perioden der Körpersäfte können nicht auf die Bewegungen der Gestirne zurückgeführt werden. 1. Es soll aber auch niemand glauben, dass die Perioden253 der Körpersäfte bei Fieber auf die Gestirne zurückgeführt werden können, wie zum Beispiel, dass die schwarze Galle zwei Tage ruht, am vierten Tag aber wieder in Erregung versetzt wird, weil sie dem Saturn unterliegt, dessen Bewegung langsamer ist als die der anderen Planeten. Denn mit welchem Argument wird das Blut, das von den Astrologen Jupiter zugeschrieben ist, ununterbrochen faulig, obwohl doch Jupiter nicht der schnellste aller Planeten ist, sondern vielmehr, wenn man seine Umlaufzeit betrachtet, nach Saturn der langsamste von allen?254 Warum wird auf dieselbe Weise die Bewegung der roten Galle Mars zugeschrieben, deren Bewegung ein wenig träger ist als die der schwarzen Galle, da sie doch zwölf Stunden weniger ruht, da jene 48 Stunden, sie selbst hingegen nur 36 Stunden schlummert? Mars aber ist um vieles schneller als Saturn.255 2. Es ist außerdem bei den Astrologen beschlossene Sache, dass die Wirkungen der Gestirne mit langsamer Bewegung umso andauernder sind, je langsamer sie sind; warum also, wenn die Bewegung des Schleims (pituita) doch schneller wieder einsetzt als die der roten Galle, denn der Schleim pausiert sechs Stunden, die rote Galle 36 Stunden, weil die Bewegung des Mondes, der den Schleim in Bewegung versetzt, schneller ist als die des Mars, die die rote Galle (cholera) bewegt,

253 Zur Definition von periodus vgl. Appon. concil. 88 fol. o3r : Est autem periodus in quod incipit circuitus terminatus; cuius hic sunt due partes scilicet peroxismus et declinatio. Bereits Galen verweist auf sog. Perioden bei Krankheiten, insbesondere Fiebern, die aus vier Abschnitten bestehen: ἀρχή, αὔξησις, ἀκμή, παρακμή (Galen. cris. 1,2 p. 552 K). Dieses Konzept wird im Folgenden auf die vier Säfte des Körpers übertragen. Die Perioden der vier Körpersäfte (rubra bilis/melancholia – atra bilis/cholera – pituita/phlegma – sanguis) bestehen dabei jeweils aus einer Zunahme bzw. einem Anfall (accesio, paroxysmus), einer Pause (pausa, quies) sowie einem erneuten Anfall; vgl. etwa die Darstellung bei Agostino Nifo (Niph. dieb. crit. 1,20 fol. v ). 254 Gianfrancesco Pico gibt dieselbe Stelle in De rerum praenotione (rer. praen. 5,4 p. 522) folgendermaßen wieder: Sanguis nulla pausa putrescit, eius igitur circuitus velocissimo planetae iuxta praescriptum dogma referri debebat acceptus non Iovi, qui si restitutionis tempus existimetur omnium tardissimus post Saturnum; es wird deutlich, dass er extimetur für eine synkopierte Form von existimetur hält, nicht aber als Nebenform von aestimare versteht, was zur unklaren Syntax führt. 255 Aus der Darstellung bei Pietro d’Abano und Agostino Nifo (s.o.) ergeben sich folgende Zahlen für die Perioden der Säfte und ihre einzelnen Bestandteile: rubra bilis: accessio 12h, quies 36h, periodus 60h – atra bilis: accesio 24h, quies 48h, periodus 96h – pituita: accessio 18h, quies 6h, periodus 42h – sanguis: 00h (vgl. die folgende Erklärung bei Pico).

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Secundus modus

Confutatio

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ceptis astrologorum, diuturniora esse opera Martis quam Lunae, siquidem huius velociora quam illius. 3. Quodsi rursus hos omnes periodos ad Lunam solam volumus referre utpote praedominantem in omnes humores, haesitabit nihil minus astrologica ratio, cui nituntur. Nam pituita, inquiunt, quoniam Lunae aquaeque cognatione aquarum fere motum imitatur – illae fluunt et refluunt mora media intercidente, sed exigua, qualis inter rectos motus necessario cadit – sic pituita sex tantum horas integras relinquit. 4. Verum potuit sanguini magis haec convenire, cuius sicut aquae continuus aestus invenitur, in qua morula accessum dirimens a recessu non bene sex horarum respondet intervallo, quo totus ipse vel fluxus agitur vel refluxus. At in sanguine maior poterit esse similitudo, cuius motum intercipi insensibilibus morulis ipsi non pernegant assertores huius opinionis. 5. Sed reliqua prosequamur. 6. ›Atra‹, inquiunt, ›bilis, quoniam a natura plurimum aquae discordat, ita contrario pituitae modo movetur plurimum scilicet cessans ad dierum usque duorum integritatem.‹ Sed mihi quidem videtur plus aquam habere cum terra communionis quam cum igne, sive locum advertas sive qualitatem sive motum, quibus nulla alia potest conditio praeponderare.

Font.: 3–8 Quodsi – relinquit ] cf. Appon. concil. 88 fol. o4r 9–11 Verum – refluxus ] cf. Appon. concil. 88 fol. o4r 15–17 Atra – integritatem ] cf. Appon. concil. 88 fol. o4r : Et quia melancolia minime compar est aque et lune… Sim.: 3–8 Quodsi – relinquit ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 15–17 Atra – integritatem ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 17–19 Sed mihi – praeponderare ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 App. crit.: 6 illae] ille αβ 9 Tit. Confutatio add. BP 12 insensibilibus scripsi : in sensibilibus ΩGarin 19 Erit igitur idem iudicium quibus nulla potest conditio praeponderare post praeponderare per dittographiam O

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warum also, sage ich, wenn dies wahr ist, wirkt die Bewegung der roten Galle dann nicht länger als die des Schleims? Jene wirkt indessen lediglich zwölf Stunden, diese aber dauert 18 Stunden an. Es müssten nämlich, wenn wir bei den Vorschriften der Astrologen bleiben, die Wirkungen des Mars von längerer Dauer sein als die des Mondes, weil diese schneller sind als jene. 3. Wenn man aber im Gegenzug alle diese Perioden allein auf den Mond zurückführen will, da er ja bei allen Säften vorherrschend ist, wird das astrologische Argument, auf das man sich stützt, nichtsdestotrotz ins Schwanken geraten. Denn da der Schleim ihrer Meinung nach auf Grund seiner Verwandtschaft mit Mond und Wasser ungefähr die Bewegungen des Wassers nachahmt (dieses fließt und fließt zurück, wobei währenddessen eine gewisse Zeit vergeht, aber nur ein sehr kleiner Zeitraum, wie er notwendigerweise zwischen geradlinige Bewegungen fällt), pausiert der Schleim ebenfalls lediglich sechs Stunden lang. 4. Dies könnte aber eher zur Natur des Blutes passen, bei dem sich, wie beim Wasser, ein beständiges Auf- und Abwallen finden lässt,256 bei dem die Dauer zwischen Heranfließen und Abfließen nicht recht zum Abstand von sechs Stunden passt, innerhalb dessen das gesamte Heranfließen oder Abfließen schon stattfindet. Im Blut wird man hingegen eine größere Übereinstimmung finden können, dessen Bewegung in nicht wahrnehmbare Zeiteinheiten eingeteilt werden kann, was auch die Vertreter dieser Ansicht nicht abstreiten werden. 5. Doch wir wollen mit dem fortfahren, was noch übrig ist. 6. ›Weil die schwarze Galle‹, so sagen sie, ›mit der natürlichen Beschaffenheit des Wassers nicht übereinstimmt, bewegt sie sich auf die entgegengesetzte Weise zum Schleim, nämlich mit sehr langer Pause, die bis zu ganzen zwei Tagen dauert.‹ Mir hingegen scheint das Wasser mehr Gemeinsamkeit mit der Erde zu haben als mit dem Feuer, sei es im Hinblick auf den Ort, sei es im Hinblick auf die Qualität

256 Vgl. Appon. concil. 88 fol. v : Si enim humor fuerit substantiae mediocris multae quantitatis calidus et humidus et intra vasa ut necesse sit locatus non periodice confluet, sed continue magis, velut sanguis.

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Qualis Petrus

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7. Erit igitur idem iudicium de humoribus ad elementa relatis, ut magis a pituitae motu diversus esse debeat motus rubrae quam atrae bilis. Verum nec illustrium veterumque medicorum quisquam ad has causas circuitum febrium rettulit. Primus hoc tentavit Petrus Apponensis, homo congerere plura natus quam digerere, quem quidem indoctiores, ubi nugatur magis, ibi soliti impensius admirari.

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Caput XVIII – Infelicitatem octimestris partus Saturno non esse adscribendam. g3v

1. | Dum tractamus haec, venit in mentem solere astrologos infelicitatem octimestris partus ascribere Saturno, de qua dicendum hoc loco, sed breviter, est, ne non redarguta videatur nos cogere, ut, vel inviti, concedamus hostilissimorum siderum radiis nos apprehendi. Quod ut volens concedo, ita non illud volens adeo apprehendi nos ab illis, ut teneamur, quippe illabi de caelo ita sentiam, ut non putem ab eo noxium quicquam provenire. 2. Summa igitur haec est: falluntur astrologi, si credunt ideo natos octavo mense non vivere, quia singulis uteri gerendi mensibus singuli planetae praesint, et prop-

Font.: 618.13–620.2 falluntur – contrarius ] cf. Ps.-Albert. secret. mul. fol. c1r ; [Thom. Aq.] fat. 4,5 p. 410 M Sim.: 1–2 Erit – bilis ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522 618.13–620.2 falluntur – contrarius ] cf. rer. praen. 5,4 p. 522; Bellant. resp. disp. 3,18 fol. r App. crit.: 3 quisquam] quipiam W

8 qua O : quo αβGarin 10 adeo scripsi : ideo ΩGarin

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oder die Bewegung, also Eigenschaften, vor denen keine andere Eigenschaft den Vorzug haben kann.257 7. Es wird also dasselbe Urteil über die Säfte auch gelten, wenn man sie auf die Elemente bezieht, sodass die Bewegung der roten Galle unterschiedlicher im Verhältnis zur Bewegung des Schleimes sein muss als die Bewegung der schwarzen Galle. Doch keiner der berühmten oder alten Ärzte hat die periodische Wiederkehr der verschiedenen Fieber auf diese Ursachen zurückgeführt. Pietro d’Abano hat das als erster versucht, ein Mann, der eher dazu geeignet war, Dinge auf einen Haufen zu werfen, als sie systematisch in Ordnung zu bringen und den die Ungebildeteren umso mehr auf einem Gebiet zu bewundern pflegten, je mehr er dort seine Possen riss.

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Kapitel 18 – Das Unglück der Achtmonatsgeburt darf man nicht Saturn zuschreiben. 1. Während der Abhandlung dieser Fragen kommt mir in den Sinn, dass die Astrologen gewöhnlich das Unglück der Achtmonatsgeburt dem Saturn zuschreiben, eine Meinung, über die an dieser Stelle gesprochen werden muss, aber nur kurz, damit sie nicht unwidersprochen bleibt und uns dazu zwingt, dass wir, wenn auch unwillig, zugeben, dass wir von den Strahlen der in höchstem Maße als Übeltäter wirkenden Gestirne erfasst werden. Obwohl ich dies bereitwillig zugebe, so gebe ich dennoch nicht gleichzeitig auch dies bereitwillig zu, dass wir so sehr von ihnen erfasst werden, dass wir von ihnen auch in Besitz genommen werden, zumal ich der Ansicht bin, dass sie so vom Himmel herabgleiten, dass, wie ich meine, von dort nichts Schädliches zu uns gelangen kann. 2. Der Hauptpunkt ist der: Die Astrologen irren sich, wenn sie glauben, dass Achtmonatskinder deswegen nicht am Leben bleiben, weil jedem einzelnen Mo-

257 Mit ›Qualität‹ sind die vier elementaren Eigenschaften feucht, trocken, kalt und heiß gemeint. Dem Element Wasser kommen nach allgemeiner Vorstellung die Eigenschaften ›feucht‹ und ›kalt‹ zu, der Erde ›trocken‹ und ›kalt‹, dem Feuer hingegen ›trocken‹ und ›heiß‹. Das bedeutet, Wasser und Erde haben die Eigenschaft ›feucht‹ gemeinsam und unterscheiden sich lediglich in einer Qualität, während sich Wasser und Feuer in beiden Qualitäten unterscheiden. Vgl. auch die Erklärung Gianfrancesco Picos (rer. praen. 5,4 p. 522). Die vier Körpersäfte sind nach allgemeiner Übereinstimmung ebenfalls jeweils einem Element zugeordnet: Die schwarze Galle der Erde, die rote Galle dem Feuer, der Schleim dem Wasser, das Blut der Luft.

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terea qui primo, idem octavo mensi, Saturnus, dominetur, planeta frigidus et siccus, hoc est qualitatibus vitae contrarius. Primum enim et illae per manus traditae planetarum dominandi vices rationem non habent, ut alibi suo loco dicetur, et, quod octimestris partus non vivat, omnino rationem aliam habet. Sunt, qui opinentur fetum septimo mense conari, ut egrediatur, et in conatu laedi; quare, si octavo exit, utpote nondum restitutum suae incolumitati, vivacem esse non solere. 3. Sed Hyppocrati potius accedo, qui tractatu, quem scribit De octimestri partu, causam, cur plerumque non vivat, hanc esse ait, quod eo mense difficilis sit uteri gestatio. Tunc enim gravius se habere praegnantes et in matrice nescio quae pati gravia et incommoda; et si pariant duplici labore oppressas et partus et aegritudinis infirmissimas fieri, unde necessario ipse quoque fetus imbecillior factus raro diu vivat. Attestatur huic sententiae, quod, si quae inveniuntur vegetiores validioresque feminae, solent octavo etiam mense parere victuros, quales in Hispania inveniri scribit Avicenna et Aristoteles in Aegypto. 4. Verba ipsa Hippocratis super hac re Graeca subieci, ne, quoniam liber hic vulgo non habetur, fictum crederetur a nobis: Περὶ ὀκταμήνου γενέσιος

Font.: 4–6 Sunt qui – solere ] cf. Avic. canon. lib.3, fen.21, tract.2, cap. 1, p. I 931 7–9 Hyppocrati – gestatio ] cf. Hp. oct. 6,3 9–10 Tunc enim – incommoda ] cf. Hp. oct. 6,1–2 14 Aristoteles in Aegypto ] cf. Arist. hist. animal. 7,4 584b 7–12 15 Verba ipsa Hippocratis ] cf. Hp. oct. 2,1–2 Sim.: 2–4 Primum – habet ] cf. rer. praen. 5,4 pp. 522–523 3 alibi suo loco ] cf. disp. 7,10 4–6 Sunt qui – solere ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 7–12 Sed Hyppocrati – diu vivat ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 12–14 Attestatur – Aegypto ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 App. crit.: 5 quare scripsi : qui ΩGarin 6 restitutum] restitutus Garin 15 Graeca om. O 16 crederetur Gβ : credderetur B (corr. BB BP ) : cederetur O Περὶ ὀκταμήνου γενέσιος φημὶ scripsi coll. Laur. Plut. Graec. 70,1 : Περι οκταμηνιου γενεσιν φημι BVWRF : Περι θκτα ωηριθμ τελεμεοιμ φημι G : om. et lac. ind. C : de octimestri vero generatione haec duo continua serie dico eos pari quae pueri ferre nequeant proptereaque octimestres non superesse O

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nat, während dessen sie im Mutterleib getragen werden, jeweils einer der Planeten vorgesetzt ist, und deswegen derselbe Planet den ersten und achten Monat beherrscht, nämlich Saturn, ein kalter und trockener Planet, der folglich über Qualitäten verfügt, die dem Leben entgegengesetzt sind. Zum ersten entbehrt nämlich jene von Hand zu Hand weitergereichte Herrschaftsübergabe der Planeten jeder Vernunft, wie anderswo am geeigneten Ort gesagt werden wird; zum anderen hat es einen ganz anderen Grund, dass die Achtmonatsgeburt nicht am Leben bleibt. Einige sind der Ansicht, dass das Ungeborene im siebten Monat versuche, den Körper zu verlassen und bei diesem Versuch Schaden nehme; wenn es daher dann im achten Monat herauskomme, sei es für gewöhnlich noch nicht lebensfähig, weil es noch nicht ganz wiederhergestellt und ohne Schaden sei. 3. Aber ich wende mich lieber an Hippokrates, der in seiner Abhandlung »Über die Achtmonatsgeburt«(De octimestri partu) sagt, der Grund dafür, dass sie meistens nicht am Leben sei, sei der, dass das Tragen des Uterus in diesem Monat sehr schwierig sei. Dann nämlich würde es den Schwangeren schlechter gehen und die Kinder müssten alles mögliche an Gewicht und Unpässlichkeiten in der Gebärmutter erleiden. Bei der Geburt würden sie dann durch die doppelte Belastung von Geburt und Krankheit sehr geschwächt, weshalb in Folge dessen auch notwendigerweise der Fötus schwächer werde und selten länger am Leben bleibe. Diese Ansicht wird durch die Tatsache bestätigt, dass Frauen, die sich als rüstiger und kräftiger erweisen, auch im achten Monat gewöhnlich lebensfähige Kinder gebären, wie man sie nach Ansicht von Ibn Sina (Avicenna) in Spanien und nach Aristoteles in Ägypten findet. 4. Den griechischen Originalwortlaut des Hippokrates aber habe ich angefügt, damit man nicht glaubt, dieses Buch sei von mir erfunden, weil es ja nicht al-

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φημὶ .

Caput XIX – Cur nautae, medici, agricolae vera saepius praedicant quam astrologi.

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1. Tria fere erant in illa secunda astrologorum ratiocinatione obiectamenta: primum a mutationibus inferiorum ex Solis Lunaeque cursibus, unde colligebant et actionem in nos siderum aliorum et mutationem rerum aliarum ab illis esse coniectandam; secundum testimonio bonarum artium medicinae, agriculturae, navigatoriae, quae suis operibus astrologicas adhibent observationes; et horum | ita utrumque reiecimus, ut hisdem telis eos repungeremus ostendentes, ut paulo ante dicebamus, ex operibus Solis et Lunae et ex illarum artium observationibus potius colligi, quod negant, quam quod affirmant. 2. Restat tertium, quod ab earundem artificum vulgi ipsius praedictionibus sumebatur, quasi nimis essemus iniqui, qui nullam futurorum praecognitionem

App. crit.: 1–4 διττὰς – περιεγένετο supplevi coll. Laur. Plut. Graec. 70,1 : et quae sequuntur (lac. 10 linearum indic.) B : et quae sequuntur (lac. om.) Gβ : etc. quae sequuntur O 5 nautae] naturae R vera] versa RC praedicant] praedicunt O 7 fere fortasse delendum 11 quae] que α 12 hisdem BOβ : isdem G telis] tellis α

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lenthalben verfügbar ist:258 »Über die Geburt im achten Monat aber sage ich, dass es unmöglich ist, dass die Kinder zwei nacheinander auftretende Leiden ertragen und aus diesem Grund bleiben die Achtmonatskinder nicht am Leben. Denn ihnen geschieht es, dass sie nacheinander das Leiden im Mutterbauch und das nach der Geburt eintretende erleiden müssen, und deswegen bleibt keines der Achtmonatskinder am Leben.«

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Kapitel 19 – Warum Seeleute, Ärzte und Bauern häufiger die Wahrheit vorhersagen als Astrologen. 1. Noch nicht ganz drei Einwände gab es bei jenem zweiten Gegenargument der Astrologen: Den ersten bei den Veränderungen der unteren Dinge in Folge des Laufes von Sonne und Mond, aus welchen sie den Schluss zogen, es gebe darüber hinaus sowohl Einwirkung auf uns von den anderen Sternen, als auch dass man von einer Veränderung anderer Dinge durch sie ausgehen müsse; der zweite war nach dem Urteil der guten Wissenschaften, der Medizin, des Landbaus und der Navigationskunst, die für ihr Wirken astrologische Beobachtungen in Anspruch nehmen; beide haben wir dergestalt zurückgewiesen, dass wir ihnen mit denselben Waffen einen Stich versetzt haben, indem wir zeigten, wie bereits kurz zuvor gesagt, dass aus dem Wirken von Sonne und Mond und aus den Beobachtungen jener Wissenschaften mehr das zu schlussfolgern sei, was sie ablehnen, als das, was sie behaupten. 2. Bleibt der dritte Einwand, der aus den Vorhersagen der Spezialisten auf jenen Gebieten selbst, des einfachen Volkes, geschöpft wird, als ob wir allzu ungerecht

258 Die Editio princeps der Schrift De octimestri partu erschien 1526 bei Aldus Manutius in Venedig; vgl. hierzu die Einleitung zur Edition dieses Werkes bei Grensemann (1986: S. 66). Dies bedeutet, der Text der Schrift lag – von den Testimonien abgesehen – zur Zeit der Abfassung und Drucklegung der Disputationes lediglich in handschriftlicher Überlieferung vor. Allerdings liegt mit dem Pluteus Graecus 74,1, einer medizinischen Sammelhandschrift, immerhin ein Florentiner Codex vor, der das von Pico erwähnte Manuskript darstellen könnte. Dies wird umso wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass der Text von De octimestri partu, den dieser Codex auf den Seiten 262r bis 262v bietet, mit den bei Pico zitierten Worten Περὶ ὀκταμήνου γενέσιος φημὶ beginnt, die nach heutiger Zählung aus dem zweiten Kapitel stammen (Hp. oct. 2,1–2). Pearl (1966: S. 261) listet unter der Inventarnummer 1068 Opera von Plutarch und Hippokrates auf. Zu medizinischen Werken in der Bibliothek Picos allgemein siehe ebd.: S. 102–108.

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concederemus astrologis totius caeli peritis, quam rudia magisteria et de populo quivis interdum etiam assequatur; ita multa de pluviis, de aegritudinibus, de pecoribus, de annona quotidie praedici vulgo cum eventus fide videmus. ›Cur non igitur‹, inquiunt, ›qui caelestes causas exploratius norunt, et illa rectius et alia poterunt secretiora praedicere?‹ Hoc est, quod in praesentia nobis diluendum est, immo, ut consuevimus, reiciendum in eos; quod aperte nullo negotio breviter expediemus. 3. Nam si vera praedicuntur ab illis nulla habita tamen ratione praeceptorum astrologiae, quis non dixerit haud levem esse coniecturam esse illa, quae omittunt, quae ignorant, non necessaria sed superflua, non secretiora sed falsiora, non dogmata sed figmenta? »At falluntur aliquando«, inquit Ptolemaeus, »qui astrologica nesciunt.« Quid quod astrologi saepius? Conficitur igitur, ut astrologi minus astrologica teneant, quam qui astrologi non sunt. Neque enim potest hoc denegari: magis ad fidem respondere quae dicunt medici de aegris, agricolae de annona, nautici de tempestatibus, pastores de pecoribus, quam quae de hisdem rebus ab astrologis praedicuntur. Ratio statim in promptu est: quandoquidem astrologus signa respicit, quae non sunt signa, causas speculatur, quae non sunt causae, propterea fallitur. Respicit enim caelestem dispositionem, quae, causa tantum universalis, non efficit varietatem inferiorum, nisi pro materiae conditione causarumque efficientium inferiorum.

Font.: 1–3 quam rudia – videmus ] cf. Cic. div. 1,112: Ptol. apotel.1,2,7–9 3–5 Cur non – praedicere ] cf. Ptol. apotel. 1,2,10–11 11–12 At – nesciunt ] Ptol. apotel. 1,2,9; cf. Cic. div. 2,16 12 Quid quod astrologi saepius ] cf. Ptol. potel. 1,2,12–20 Sim.: 12–20 Conficitur – inferiorum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523; quaest. falsit. p. 165, 3–8 haud BCorr G : aut BOβGarin esse] et G 11 falluntur] falluntnr App. crit.: 9 quis] qui G RC 15 nautici] nauci G (nautae Gc ) quam quae BVWRCO : quam G : quamquam F hisdem] isdem G

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wären, weil wir den Astrologen, die den ganzen Himmel kennen, keinerlei Vorerkenntnis zukünftiger Dinge zugestehen, die schon einfache Bildung und sogar bisweilen jeder beliebige einfache Mann des Volkes erreicht. So können wir sehen, dass tagtäglich allenthalben viel über Regenschauer, Krankheiten, über die Entwicklung von Vieh und Getreide vorhergesagt wird, das durch das Eintreten der Ereignisse Bestätigung findet. ›Warum also‹, so sagen sie, ›sollen nicht diejenigen, die die himmlischen Ursachen genau erforscht haben, mit höherer Präzision sowohl diese Ereignisse als auch andere, verborgenere Ereignisse vorhersagen können?‹ Dies ist, was ich im Augenblick widerlegen oder sogar, wie gewohnt, als Gegenargument auf sie zurückschleudern muss; ich will dies offen und ohne Mühe in aller Kürze in Angriff nehmen. 3. Denn wenn die Vorhersagen von diesen Leuten wahr sind, obwohl sie die Vorschriften der Astrologie in keiner Weise berücksichtigen, wer würde dann nicht sagen, dass die Vermutung nicht leichtfertig sei, dass das, was sie unterlassen, was sich ihrer Kenntnis entzieht, nicht notwendig, sondern überflüssig sei, dass es nicht verborgener sei, sondern vielmehr falscher, nicht wissenschaftliche Lehren, sondern reine Erfindungen? »Doch es irren sich bisweilen«, so sagt Ptolemaios, »diejenigen, die von der Astrologie nichts verstehen.«259 Was soll man dazu sagen, dass die Astrologen sich häufiger irren? Es lässt sich also der Schluss ziehen, dass die Astrologen weniger von der Astrologie verstehen als diejenigen, die keine Astrologen sind. Denn es lässt sich nicht abstreiten, dass die Aussagen der Ärzte über Kranke, der Bauern über die Getreideernte, der Seeleute über Unwetter und der Hirten über das Vieh mehr der Wahrheit entsprechen als die Vorhersagen der Astrologen über dieselben Dinge. Die Begründung dafür ist gleich zur Hand: Weil nämlich der Astrologe Zeichen berücksichtigt, die keine sind, und Ursachen untersucht, die keine sind, deswegen verfällt er dem Irrtum. Er berück-

259 Entsprechend einschränkend äußert sich Ptolemaios bereits zu Beginn seiner Apotelesmata (apotel. 1,2,9): παρὰ μέντοι τὸ μήτε αὐτῶν τούτων τοὺς χρόνους καὶ τοὺς τόπους ὑπὸ ἀπειρίας ἀκριβῶς δύνασθαι κατανοεῖν μήτε τὰς τῶν πλανωμένων ἀστέρων περιόδους (πλεῖστον καὶ αὐτὰς συμβαλλομένας) τὸ πολλάκις αὐτοῖς σφάλλεσθαι συμβαίνει.

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4. Tamen nec caelestis illa dispositio, quam respicit, sed ficta ab eo in caelo dispositio per vanissimas regulas et commenticias, non natura, sed arbitrio constans astrologorum, siquidem, ut demonstrabimus, non hominum ille pater et deorum Deus in caelo fecit imagines, signa, partes, antiscia, dodecathemoria, domus et huiusmodi alia, quibus utuntur, sed in caelo mentitus haec est hominum deceptor et deorum infamator, astrologus, proptereaque nihil mirum, si nullam rem futuram certa ratione praenoscere ista ars potest. Artifices autem, quos memoravimus, veris et naturalibus propriisque ac proximis causis indiciisque nituntur et ideo raro excidunt a veritate, sed veris praesensionibus futurorum et fidem suis methodis faciunt et cum proventu bonaque felicitate suas artes exercent. 5. Lege libros Pronosticorum Hyppocratis: numquam illum invenies aegri statum futurum inter sidera quaerere, ut qui sciret haec magis ex lotio quaeri quam ex astro et de pulsu venarum quam de motu sphaerarum certius praecognosci. 6. Periti gubernatores non ex Iove, Saturno, Venere, Marte, Mercurio praevident tempestates, sed de nube, de ventis, de omni aeris conditione; atque eorum haec sollers disciplina experimentis ubique confirmata de spiraculo tenuissimi flatus, de nubecula vix conspicua tempestatem intelligit imminentem, cuius nullum praesagium, nullum signum adhuc patebat oculis aliorum. Nec solum venturam intelligunt, sed qua parte futurum, ut excitetur, quomodo declinari, quomodo superari possit; ad quae sapientia omnis | astrologorum prorsus calligabit. Periti gu-

Font.: 12 qui sciret – lotio quaeri ] cf. Hp. prog. 12 meteor. 2,8 367b 7–12; cf. Thom. Aq. meteor. 2,8 p. 75

17 de nubecula – imminentem ] cf. Arist.

Sim.: 7–10 Artifices – exercent ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 11–13 Lege – praecognosci ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 14–18 Periti gubernatores – aliorum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 626.20–628.5 Periti gubernatores – aliorum ] cf. rer. praen. 5,4 p. 523 App. crit.: 12 quaeri] queri α 16–17 flatus] status Garin 19 intelligunt OGarin : intelligant αβ (fort. recte)

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sichtigt nämlich die himmlische Ordnung, die, da sie lediglich allgemeine Ursache (causa universalis) ist, die Unterschiedlichkeit der unteren Dinge nicht bewirkt, außer entsprechend der Beschaffenheit der Materie (condicio materiae) und der Wirkursachen (causae efficientes) der unteren Dinge. 4. Indessen ist jene Ordnung, die er berücksichtigt, nicht die himmlische, sondern eine von ihm am Himmel mittels ganz und gar nichtiger und erfundener Grundsätze ausgedachte, die nicht auf der Natur, sondern auf der Beliebigkeit des Astrologen fußt, da ja, wie wir zeigen werden, nicht Gott, jener Vater von Menschen und Göttern, am Himmel die Bilder (imagines) und Zeichen schuf, die Einzelgrade (partes), die Gegenschatten (antiscia), die Zwölfteile (dodecatemoria), die Häuser (domus) und anderes Derartiges, wovon sie Gebrauch machen, sondern es erlog sich dies am Himmel jener Täuscher der Menschen und Gotteslästerer, der Astrologe, und daher ist es kein Wunder, wenn jene Wissenschaft kein zukünftiges Ereignis mit verlässlicher Sicherheit vorherzusagen vermag. Die erwähnten Spezialisten aber stützen sich auf anzeigende Ursachen, die wahr (verae) sind, natürlich (naturales), jeweils besonders (propriae)260 und nächstgelegen (proximae)261 , und aus diesem Grund verfehlen sie die Wahrheit nur selten, sondern erwecken durch korrekte Vorhersagen zukünftiger Ereignisse Vertrauen in ihre Methoden und wenden ihre Techniken mit Erfolg und gutem Gewinn an. 5. Lies die Bücher der »Vorhersagen« (Prognostica) des Hippokrates: Du wirst keine Stelle finden, an der er den künftigen Zustand eines Kranken bei den Sternen sucht, weil ihm klar ist, dass man diesen eher anhand des Urins untersucht als anhand eines Sterns und dass man zuverlässigere Vorhersagen treffen kann anhand des Pulsschlags der Adern als anhand der Bewegung der Sphären. 6. Erfahrene Steuermänner sehen Unwetter nicht anhand von Jupiter, Saturn, Venus, Mars oder Merkur vorher, sondern anhand einer Wolke, Winden und dem gesamten Zustand des Klimas. Und ihre kluge Kunst erkennt, allenthalben bestätigt durch empirische Erfahrung, anhand eines Luftloches den zartesten Hauch eines Wehens, anhand eines kaum sichtbaren Wölkchens ein drohendes Unwetter, obwohl dafür noch kein vorausdeutender Hinweis in den Augen anderer erkennbar war. Und sie erkennen nicht nur, dass es kommen wird, sondern auch wo es

260 Also Ursachen, die für die jeweilige Wirkung im Besonderen zuständig sind und im Gegensatz zur causa universalis eben nicht auf mehrere (oder sogar alle) Wirkungen Einfluss nehmen. 261 Also diejenige Ursache, die in der Ursachenkette einer Wirkung am nächsten steht.

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bernatores non ex Iove, Saturno, Venere, Marte, Mercurio praevident tempestates, sed de nube, de ventis, de omni aeris conditione; atque eorum haec sollers disciplina experimentis ubique confirmata de spiraculo tenuissimi flatus, de nubecula vix conspicua tempestatem intelligit imminentem, cuius nullum praesagium, nullum signum adhuc patebat oculis aliorum. Nec solum venturam intelligunt, sed qua parte futurum, ut excitetur, quomodo declinari, quomodo superari possit; ad quae sapientia omnis | astrologorum prorsus calligabit. 7. Sic pastores, agricolae et ipsum saepe vulgus ineruditum statum aeris praecognoscunt non a stellis, sed ab aeris ipsius dispositione atque his, quae in sublimi impressionibus fiunt; quare raro fallunt aerem scilicet ex aere, sicut medici aegrum ex aegro praeiudicantes, hoc est ex propriis principiis, non, quod faciunt astrologi, ex remotis et communibus universalibus, immo, quod peius est, fictis, imaginariis, fabulosis. 8. Quare nemo putet futuram agricolationem meliorem, medicinam efficaciorem, navigationem tutiorem, si tractentur haec ab hominibus astrologica percallentibus et observantibus. Quin haec potius tabes et abolitio foret illarum artium, dum a certis regulis ad incertas, a veris ad commentitias evocarentur et permixtione falsorum dogmatum omnis iam comperti experimenti soliditas veritasque labefactaretur. Id quod nondum rationibus intellectis, quibus astrologiae vanitas innotescit, ex eo persuaderi satis potest, quod inter initia operis diximus, summos earum artium magistros et in illis tractandis apprime felices non modo non adhibuisse suis operibus astrologicas observationes, sed eas vel contempsisse vel etiam confutasse.

Font.: 3–4 de nubecula – imminentem ] cf. Arist. meteor. 2,8 367b 7–12; cf. Thom. Aq. meteor. 2,8 p. 75 App. crit.: 3 flatus] status Garin 5 intelligunt OGarin : intelligant αβ (fort. recte) taretur] labefacteretur Garin 21 in illis] illis in Garin non2 OGarin : om. αβ

19 labefac-

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entstehen wird, wie man ihm aus dem Weg gehen und wie man es überwinden kann; zu diesen Fragen wird die ganze Weisheit der Astrologen ganz und gar im Dunkeln tappen. 7. So erkennen Hirten, Bauern und oftmals sogar das ungebildete Volk den Zustand des Klimas im Voraus, und zwar nicht anhand der Sterne, sondern anhand der Beschaffenheit des Klimas selbst und den Wetteränderungen, die in der oberen Region entstehen; daher täuschen sie sich nur selten, weil sie das Klima anhand des Klimas im Voraus beurteilen wie der Arzt einen Kranken anhand eines anderen Kranken, also anhand von jeweils besonderen Prinzipien und nicht, was die Astrologen tun, anhand von entfernten und allgemeinen und universellen Ursachen, oder vielmehr, was noch schlimmer ist, anhand von erfundenen, eingebildeten und ausgedachten. 8. Daher möge niemand glauben, die zukünftige Landwirtschaft würde besser werden, die Medizin wirksamer, das Steuern eines Schiffes sicherer, wenn diese Künste von Menschen ausgeführt würden, die sich auf astrologischem Gebiet auszeichnen und dort Beobachtungen anstellen. Dies würde vielmehr das Schwinden und die Abschaffung dieser Künste bedeuten, wenn sie von zuverlässigen Grundsätzen zu unzuverlässigen, von wahren zu erfundenen wechseln würden, und durch die Beimischung falscher Lehren die gesamte Festigkeit und Wahrheit der bereits durch Versuche gewonnenen empirischen Erfahrung ins Wanken geriete. Dies kann, auch wenn die Gründe noch nicht erkannt wurden, nach denen die Nichtigkeit der Astrologie zum Vorschein gelangt, zur Genüge daran festgemacht werden, dass die bedeutendsten Vertreter jener Künste, die auf jenen Gebieten äußerst erfolgreich waren, wie zu Beginn dieses Werkes bereits dargelegt, bei ihren Werken nicht nur astrologische Beobachtungen nicht hinzugezogen haben, sondern sie entweder verachtet, oder sogar widerlegt haben.

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9. Columella, quem alibi quoque citavimus, ille rei rusticae scriptor exactissimus, quo loco traditurus est praecepta temporum observandorum, meminit suae lucubrationis adversus astrologos, et »vera«, inquit, »haec, quae nos pingui Minerva tractavimus, falsa vero, quae impudentissime Chaldaei pollicentur alibi quoque a nobis confutata.« Quare colligenti sic Ptolemaeo: »multa praevident de statu aeris agricultores, igitur nos plura certioraque, quanto illis caelestium rerum cognitione praestamus« negabit Columella esse in consecutione veritatem, quoniam scilicet hoc astrologicum sapere, quo agricolis praestant, non est sapere, sed desipere, hoc est non plura quam illi sciunt, sed plura fingunt magnitudine rerum, circa quae mentiuntur, professionis ludibrium praetegentes, quam indubie cum aliis honestissimo loco vita recepisset, si tam bonas artes, tam necessarias, agricolationem, medicinam, navigatoriam redderet meliores. 10. Sed deprehensa saepius vanitas et fallacia a prudentissimis legumlatoribus eos coegit, ut severissimis interdictionibus illam civitatibus eliminarent, ut primo libro declaratum a nobis, ne simul et bonas et mentes et artes occultissimis su-

Font.: 1–5 Columella – confutata ] cf. Colum. 11,1,31–32 Columella – astrologos ] Sim.: 1–12 Columella – meliores ] cf. Bellant. resp. disp. 3,19 fol. r cf. rer. praen. 5,4 p. 523; quaest. falsit. p. 166,4–7 alibi ] vide supra disp. 3,14,10 p. 548 3–5 vera – confutata ] cf. rer. praen. 3,4 p. 449 App. crit.: 3 quae] quas Garin 4 impudentissime αβ : imprudentissime OGarin : improbissime Colum. 11,1,31 6 post nos fortasse addendum tanto

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9. Columella, jener äußerst sorgfältige Verfasser von landwirtschaftlicher Literatur, den ich auch an anderer Stelle bereits zitiert habe, erwähnt an der Stelle, an der er die Vorschriften für das Einhalten der richtigen Zeiten gibt, seine in nächtlicher Arbeit entstandene Abhandlung gegen die Astrologen und sagt: »Wahr ist, was wir mit schlichtem Hausverstand behandelten, falsch aber das, was die Chaldäer auf äußerst schamlose Weise raten, was auch anderswo von mir widerlegt wurde.«262 Wenn also Ptolemaios zu folgendem Schluss kommt: »Die Bauern treffen viele Vorhersagen anhand des klimatischen Zustandes, folglich treffen wir umso mehr und zuverlässigere Vorhersagen, je mehr wir sie im Wissen um die himmlischen Dinge übertreffen«, wird ihm Columella daher absprechen, dass die Schlussfolgerung der Wahrheit entspreche, weil natürlich jenes astrologische Wissen, in dem sie die Bauern übertreffen, nicht Wissen ist, sondern Torheit, das heißt, sie wissen nicht mehr als jene, sondern denken sich durch die Größe der Angelegenheit, über die sie ihre Lügen verbreiten, mehr aus, womit sie die Lächerlichkeit ihrer Wissenschaft zu verhehlen suchen, der das Leben sicherlich mit anderen zusammen einen höchst ehrenvollen Platz zugewiesen hätte, wenn sie die so guten und notwendigen Künste des Landbaus, der Heilkunst oder des Navigierens wirklich besser machen würde. 10. Doch dass die äußerst klugen Gesetzgeber sie allzu oft der Nichtigkeit und Betrügerei überführten, zwang diese dazu, sie mit strengsten Verboten aus den Gemeinwesen auszumerzen, wie im ersten Buch von uns erläutert wurde, damit sie mit ihrem Gift nicht zugleich auch noch die guten Charakter und Wissen-

262 In seiner Abhandlung De re rustica schreibt Columella (11,1,31–32): Contra quam observationem multis argumentationibus disseruisse me non infitior in iis libris, quos adversus astrologos conposueram. Sed illis disputationibus exigebatur id, quod inprobissime Chaldaei pollicentur, ut certis quasi terminis ita diebus statis aeris mutationes respondeant. In hac autem ruris disciplina non desideratur eiusmodi scrupulositas, sed quod dicitur pingui Minerva quamvis utile continget vilico tempestatis futurae praesagium, si persuasum habuerit, modo ante, modo post, interdum etiam stato die orientis vel occidentis conpetere vim sideris. Nam satis providus erit, cui licebit ante multos dies cavere suspecta tempora.

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is venenis inficeret. Quae quantum ab gregariis his, quas dictabamus, artibus in futurorum praesensione vincatur, vel hinc innotescat, quod inter nauticos et agricolas et pastores de eorum pronosticis mire convenit, inter astrologos nihil adeo, ut nihil dubitet Aboasar iter capere non petasatus, quo die Ptolemaeus aquarum eluviem denuntiaverit.

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Caput XX – Non omnia, quae ab astrologis praedicuntur, de primis qualitatibus dependere.

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1. Excutere iam volumus, quae de primis possint qualitatibus dependere, quoniam id tertia astrologorum ratio exposcere videbatur et Ptolemaeus non alia via quaecumque fiunt fieri probat a sideribus, quod Apotelesmatici eius libri declarant, et astrologi omnes huc se semper recipiunt, quotiens aut nihil superstitiose dici a se defendunt quodque per naturae vestigia non procedat, aut nihil rursus, cuius reddi manifesta | ratio non possit. Fere enim ad has confugiunt qualitates, quotiens cur haec Iuppiter, illa Saturnus, alia alius faciat planetarum interrogantur; in quo illos et sibi et veritati parum consona loqui, parte operis ea monstrabitur, qua rationes astrologici dogmatis refelluntur. Frustra vero perfugium hoc illos sibi parare praeter ea, quae diximus, multa quoque declarant.

Font.: 9–10 Ptolemaeus – declarant ] cf. Ptol. apotel. 1,4; 1,5,1; 1,6,1 cf. Ptol. apotel. 1,3,14–15

11–13 astrologi – possit ]

quas] quae Garin 2 praesensione] praesentione OGarin 12 quodApp. crit.: 1 ab] a OGarin que] quoque G 14 faciat] facit OGarin

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schaften infizierte. Wie sehr sie aber von jenen einfachen Wissenschaften, die wir so oft erwähnten, besiegt wird bei der Vorahnung zukünftiger Ereignisse, kann auch hieraus deutlich werden, dass zwischen den Seeleuten, Bauern und Hirten wunderbare Einigkeit über ihre Vorhersagen besteht, unter den Astrologen aber in so hohem Maße gar keine, dass Abū Ma῾šar nicht zögert, sich ohne Hut an dem Tag auf den Weg zu machen, für den Ptolemaios überschwemmenden Regen vorhergesagt hatte.

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Kapitel 20 – Nicht alles, was die Astrologen vorhersagen, ist von den ersten Qualitäten abhängig. 1. Nun wollen wir untersuchen, was von den ersten Qualitäten abhängen kann, da dies das dritte Argument der Astrologen einzufordern schien und Ptolemaios auf keine andere Weise belegt, dass alles, was geschieht, von den Sternen ausgeht, was seine Apotelesmata belegen, und alle Astrologen sich hierhin immer zurückziehen, sooft sie sich mit dem Argument verteidigen, von ihnen würde entweder nichts Abergläubisches gesagt und nichts, was nicht durch die Fußstapfen der Natur in Erscheinung tritt, oder zumindest nichts, für das man nicht eine offensichtliche Begründung angeben könnte. Denn zu diesen Qualitäten nehmen sie gewöhnlich Zuflucht, sooft sie gefragt werden, warum Jupiter dies, Saturn aber das, wieder andere Planeten anderes bewirken. Dass sie dabei Antworten geben, die sowohl allzu wenig mit ihren eigenen Aussagen übereinstimmen als auch mit der Wahrheit, wird in jenem Teil der Arbeit gezeigt werden, in dem die Lehrsätze der astrologischen Lehre widerlegt werden. Dass jene diese vergeblich als Rückzugsort für sich schaffen, zeigen auch viele weitere Argumente außer den bereits erwähnten. 2. Von diesen kommt jene Tatsache als erste in den Sinn, dass die Jahreszeit, zu der jemand geboren wird, beim Zulosen des Schicksals mehr Einfluss hat als jeder

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2. Inter quae illud primum occurrit futurum, ut in fati sortitione plus anni tempus faciat, quo quis nascatur, quam quaevis alia diversitas constellationis, siquidem plus quoque facit ad intentionem remissionemque primarum qualitatum, quam quaevis alia vel positio siderum vel mixtura radiorum. Adeo semper aestivi dies hibernis calidiores, etiam si quantumvis aestate rigeat torpeatque Saturnus; contra semper aestivis hiberni frigidiores, etiam cum ardet Mars medioque furit flammatus Olympo; quodsi fati differentia oritur frigore et calore, siccitate et humiditate plus minusque vigentibus, sequitur omnino damnatos etiam semper frigido fato, quicumque nati hieme fuerint, prae his, qui nati fuerint per aestatem, praesertim si, quod illis est necessario defendendum, plus hanc aeris sic affecti caelitus qualitatem quam seminis et materiae proximae condicionem sequuntur. 3. Praeterea si tuetur hoc Ptolemaeus, quod est illi pro fundo naturalis astrologiae, ut per primas qualitates reliqua faciant radii planetarum, non debet in hominum genituris aut mores aut fortunam aliunde vaticinari, quam ex ea constellatione, quae corporis habitum facit atque demonstrat, quando hinc omnia consequantur; et pariter in universalibus vaticiniis una erit res inspicienda: quis futurus aeris status; hoc inspecto reliqua patefient, siquidem pro caloris et frigoris, pro siccitatis humiditatisque modo cetera disponuntur. 4. At non ita vel alii vel ipse Ptolemaeus, cum saepe quae de moribus in privata genesi, quae de fortuitis casibus dicunt, minime corporis temperamento respondent ea ratione, qua solent ad hoc cetera referri; nec quae de tempestatibus anni totius, his congruent, quae de moribus, de pestilentia, de annona, de bellis

Sim.: 1–11 in fati – sequuntur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 524; Bellant. resp. disp. 3,20 fol. r Praeterea – disponuntur ] cf. Bellant. resp. disp. 3,20 fol. v

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App. crit.: 3 intentionem] intensionem G 4 Adeo] A deo B (ut. vid.) 11 proximae] proxime G 12 fundo] fundamento OGarin 15 hinc] hic WR 21 hoc scripsi : hos ΩGarin 22 his] hic OWGarin

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andere Unterschied beispielsweise einer Konstellation, da sie auch mehr zur intensiven Steigerung und Abnahme der ersten Qualitäten beiträgt als jede andere Sternenkonstellation oder Mischung von Strahlen; denn die Tage im Sommer sind immer um vieles heißer als die im Winter, auch wenn Saturn im Sommer noch so sehr starr und regungslos ist; im Gegenzug sind die Wintertage immer kälter als die Tage im Sommer, auch wenn Mars glüht und voller Flammen mitten am Olymp wütet. Wenn aber die Unterschiedlichkeit des Schicksals aus Kälte, Hitze, Trockenheit und Feuchtigkeit entsteht, die je nachdem mehr oder minder kräftig sind, folgt daraus, dass alle immer in höherem Maße zu einem kalten Schicksal verdammt sind, die im Winter geboren sind, im Vergleich zu denjenigen, die im Sommer geboren sind, zumal wenn, was die Astrologen notwendigerweise verteidigen müssen, sie mehr der Qualität des so vom Himmel beeinflussten Klimas folgen als den Eigenschaften der Samen und des nächstgelegenen Materials.263 3. Wenn außerdem Ptolemaios das beachten würde, was ihm als Grundlage der natürlichen Astrologie gilt, dass die Strahlen der Planeten durch die ersten Qualitäten das Übrige bewirken, dürfte er bei den Nativitäten der Menschen den Charakter oder das Glück nirgends anders her weissagen als aus jener Konstellation, die die äußere Erscheinung des Körpers bewirkt und zum Vorschein bringt, weil von hier aus alles entspringt; und auch bei den universellen Vorhersagen wäre gleichermaßen lediglich eine Sache zu untersuchen: der jeweilige Zustand des Klimas. Hat man dies untersucht, werden die übrigen Dinge klar werden, weil ja alles Übrige sich nach dem Zustand von Hitze, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit anordnet. 4. Doch so halten es weder die anderen Astrologen noch Ptolemaios selbst, wenn oftmals das, was sie über den Charakter bei einer privaten Nativität, was sie über zufällige Ereignisse sagen, keineswegs dem Temperament des Körpers nach der Methode entspricht, nach der sie alles Übrige gewöhnlich darauf zurückführen; und auch das, was sie über das Wetter des ganzen Jahres sagen, wird nicht mit dem übereinstimmen, was sie über den Charakter, die Seuchen, die Ge-

263 Zum Begriff der materia proxima vgl. Thom. Aq. summ.3 quaest.84, art.2: duplex est materia, scilicet proxima et remota, sicut statuae proxima materia est metallum, remota vero aqua. Ähnlich sent. lib.1 dist.42, quaest.2, art.3: materia statuae remota est terra et aqua, materia proxima cuprum et lignum. Dicimus autem ex cupro posse fieri statuam, non autem ex terra: hoc enim solum dicimus esse in potentia in aliquo absolute, quod potest educi de materia uno motore.

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pronuntiabunt, qua[re] scilicet a diversissimis ista constellationibus investigant; quod legenti tum astrologicos libros, tum astrologorum vaticinia haud difficile constabit. Non igitur suae superstitioni faciem hanc praetendant honestamentumque methodi naturalis, ut eatenus se subicere res humanas sideribus dicant, quatenus aeris corporisque dispositio in qualitatibus primis a caelo dependet. 5. Nam hoc quidem ingrediens artem asserensque eam quasi possibilem dixit Ptolemaeus, sed in processu explicatuque dogmatum nec observavit nec potuit salvis professionis iuribus observare. Alioquin, quod dicebam, paucis constaret astrologia, cui tantum de aeris dispositione et habitu corporum foret dicendum. Reliqua ex his paucissimis datis regulis quivis e medio sibi coniectaret. Sed et innumera sunt in Ptolemaei libris et aliorum, quae de materiae qualitatibus primis originem ducere nullo modo possunt.

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Caput XXI – Nec noxas elementorum nec damna nostrorum corporum esse a caelo.

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1. Ex his, quae modo diximus, illud facile reici potest, quod tertio loco ad astrologiae assertionem supra in medium afferebatur. 2. Nam cum dicitur: si mutationes aeris a sideribus, | igitur et pestilentiae, cataclysmi et exustiones et caritas annonae, negamus; neque enim sequitur, immo

Font.: 6–7 hoc quidem – Ptolemaeus ] cf. Ptol. apotel. 1,2,10–11 Sim.: 17–18 Nam cum – negamus ] cf. rer. praen. 5,5 p. 524 App. crit.: 1 quia corr. Garin : quare Ω 3 suae] sui W 5 qualitatibus] qualitatibis Garin 17 a om. O

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treideversorgung und Kriege vorhersagen, weil sie dies natürlich anhand von unterschiedlichen Konstellationen untersuchen; dies wird beim Lesen von astrologischen Handbüchern und den Prophezeiungen der Astrologen nicht schwierig festzustellen sein. Jenen äußeren Schein und die Zierde einer natürlichen Methode können sie also ihrem Aberglauben nicht überstülpen, sodass sie behaupten können, dass sie die menschlichen Angelegenheiten soweit dem Himmel unterwerfen, wie die Anlage von Klima und Körper bei den ersten Qualitäten vom Himmel abhänge. 5. Denn genau das sagte Ptolemaios am Beginn der Darlegung seiner Wissenschaft, doch im weiteren Verlauf und bei der Erörterung ihrer Lehren beachtete er es nicht weiter und hätte es auch nicht beachten können, ohne die Regeln seiner Kunst zu verletzen. Anderenfalls würde, wie gesagt, die Astrologie nur aus wenigen Lehren bestehen, die lediglich vom Zustand des Klimas und dem äußeren Erscheinungsbild der Körper sprechen müsste. Alles Übrige könnte sich auch jeder Beliebige anhand dieser ganz wenigen gegebenen Regeln zusammenreimen. Es befinden sich aber in den Büchern des Ptolemaios und der anderen Astrologen unzählige Anweisungen, die ihren Ursprung keinesfalls in den ersten Qualitäten der Materie haben können.

Kapitel 21 – Weder die Elementarschäden noch die körperlichen Schäden kommen vom Himmel. 1. Anhand des eben Gesagten kann das leicht zurückgewiesen werden, was oben an dritter Stelle als Argument zur Bestätigung der Astrologie vorgebracht wurde. 2. Denn wenn es heißt: Wenn die klimatischen Änderungen von den Sternen kommen, dann auch die Seuchen, Überschwemmungen, Brände und die Teuerung des Getreides, so lehnen wir die Folgerung ab; denn sie folgt nicht aus der Prämisse, sondern vielmehr gilt, dass derjenige, der dies folgert, keine Ahnung

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Obiectio

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haec qui dicit, quid sit caelum ignorat. Nam quid aliud ipsum in natura tota corporea, quam in particulari quolibet corpore ipsa vis continens totum, ne diffluat, ne dissolvatur? Quod cor in animali, fons virtutis illius, qua servatur integritas ordoque mixturae et morborum invadentium iniuria propulsatur. Sciat igitur qui excessus elementorum, unde incendia et cataclysmus contingit, unde caritas, morbi ac pestilentiae, caelo refert accepta, non aliter errare, quam qui nostri corporis morbos, vitia, causationes in ipsam regentem corpus naturae refert potestatem, cuius est illa curare, non facere, sopire, non excitare. 3. Quae si sunt vera, patet aliud item esse qualitates primas, aliud qualitatum primarum recessus et detrimenta caelitus fieri, nisi negemus aliud esse iura et magistratus omnes civitatis, aliud, quod in illis delinquitur, opere boni principis originem trahere. Ut igitur philosophus dederit quicquid est in elementis ordinarium et naturale auctorem habere caelum, nescio tamen qua ratione sit concessurus etiam inde esse, quod deficiunt, quod naturae praescripto et legibus variant, cum sit potius illud philosophorum dogma, quod elementa maneant intra fines et suo iure contenta negotium mundo non facessant, a caelesti esse natura regente et moderante fluxibilem et erraticum numerum rerum corruptibilium. 4. ›Sed‹, inquies, ›quando mihi concesseris alias stellas facere frigiditatem, alias caliditatem, nonne sequitur illud, ut frigidis stellis praedominantibus elementa

Sim.: 1–4 Nam quid – propulsatur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 524 4–8 Sciat – excitare ] cf. rer. praen. 5,5 p. 524 9–12 Quae si – trahere ] cf. rer. praen. 5,5 p. 524 12–17 Ut igitur – corruptibilium ] cf. disp. 10,14 p. II 438–441 Garin; rer. praen. 5,5 p. 524 638.18–640.3 Sed – exustiones ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 524–525 App. crit.: 4 morborum scripsi : membrorum ΩGarin

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hat, was ›der Himmel‹ ist. Denn was ist er anderes in der gesamten körperlichen Natur als in jedem beliebigen einzelnen Körper jene alles zusammenhaltende Kraft, die verhindert, dass alles auseinanderfließt und sich auflöst? Das stellt bei einem Lebewesen das Herz dar, die Quelle jener Kraft, durch die die Unversehrtheit und das Gleichgewicht des Temperamentes bewahrt und das durch eindringende Krankheiten bewirkte Unrecht abgewehrt werden. Derjenige, der behauptet, die Überfülle der Elemente, aus der Brände und Überschwemmungen, Teuerung des Getreides, Krankheiten und Seuchen entstehen, gingen vom Himmel aus, soll wissen, dass er sich nicht anders irrt als derjenige, der die Krankheiten unseres Körpers, die Laster und beschwerlichen Einflüsse auf die den Körper beherrschende Macht der Natur zurückführt, deren Eigenschaft es ist, dies alles zu heilen, nicht es zu bewirken, es zu beruhigen, nicht es anzuregen. 3. Wenn dies der Wahrheit entspricht, gilt offensichtlich, dass es ebenso einen Unterschied macht, ob die ersten Qualitäten vom Himmel ausgehen oder deren Rückgang und Fehler, es sei denn wir behaupten, dass es auch keinen Unterschied macht, ob alle Gesetze und Beamte eines Staates durch den Auftrag eines guten Herrschers ihren Anfang nehmen, oder auch die Tatsache, dass dabei Fehler gemacht werden. Sobald also der Philosoph zugegeben hat, dass alles Ordentliche und Natürliche an den Elementen seinen Ursprung im Himmel hat, ist mir dennoch nicht klar, mit welcher Begründung er auch zugestehen wird, dass es auch dort seinen Ursprung hat, dass sie fehlerhaft sind und von Vorschrift und Gesetz der Natur abweichen, da doch eher das die Meinung der Philosophen ist, dass die Tatsache, dass die Elemente innerhalb ihrer Grenzen bleiben und mit ihrem Zustand zufrieden der Welt keine Schwierigkeiten bereiten, von der himmlischen Natur ausgehe, die die im Fluss und Wandel befindliche Zahl der vergänglichen Dinge leitet und ordnet. 4. ›Aber‹, so wird man einwenden, ›wenn du mir zugestanden hast, dass die einen Sterne Kälte hervorrufen, die anderen Hitze, folgt dann nicht daraus auch, dass die kalten Elemente die Oberhand gewinnen, wenn die kalten Sterne vorherrschen, die heißen aber, wenn die heißen Sterne vorherrschen? Wenn dies gilt,

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Prima responsio Secunda

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frigida invalescant, calidis calida? Quod si dicitur, non eveniat etiam, ut concursu magno frigidarum constellationum frigiditas ita aquarum exuberet, ut eluvionibus terra mergatur, contra calidis valde potentibus fiant exustiones?‹ 5. Facilis responsio nec una tantum: primum de dominatu planetarum atque signorum, quae finxere astrologi, ut falsa sint, postea demonstrabitur. Quid, inquam, ita planeta quisquam imperabit caelo, ut in hoc mundo prodigiosa producat, praesertim mala? Cum caeli opus ex omnium luminum conspiratione dissultet, ita tota illa superior semper temperatur harmonia, ut, sicut in ipsa omnia consonant, ita per eam nihil dissonet umquam in inferiori mundo: in quo quotiens inconcinnum, asperum, discors auditur, ad tactum caeli ne referatur, sed ad quattuor istas chordas citharae sublunaris, quae de inordinata materia impuraque contactae caelesti plectro ad numerum illas semper concordiamque movente contumaces interdum inveniuntur. 6. Post haec subtilius considerandum est, si praefecta variis elementis varia sidera sunt, ideo esse praefecta, ut perficiantur elementa ipsa. Quare erit quodlibet elementum tanto perfectius, quanto praeses stella fuerit potentior; quodsi perfectio partium perfectioni totius non repugnat, immo cum toto partes labefactantur, non pertinebit ad elementi perfectionem, ut natura transgrediens ordinem occupet cetera, sed tunc erit perfectum, cum ab ordine cursuque naturae nihil deflexerit, a quo certe deflectere tam potest excedendo quam deficiendo. Quocirca si praesit igni Mars, quandoquidem in subiectam qualitatem fieri nihil convenit a stella,

Font.: 10–13 ad quattuor – inveniuntur ] cf. Theon. Smyrn. pp. 140,5–141,6 Hiller Sim.: 4–5 Facilis – demonstrabitur ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525 5–7 Quid – mala ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525 14–20 Post haec – deficiendo ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525; Bellant. resp. disp. 3,21 fol. v App. crit.: 8 superior] superiore G 16 tanto BCorr GOGarin : tacto Bβ G praeses αβ : praesens OGarin

perfectius] perfectus

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hieße das nicht auch, dass durch eine große Zusammenkunft kalter Konstellationen die Kälte des Wassers dermaßen überhand nimmt, dass das Land in Überschwemmungen versinkt, dass aber im Gegenzug Brände entstehen, wenn die heißen Konstellationen sehr stark sind?‹ 5. Die Antwort fällt leicht und es gibt nicht nur eine: Erstens wird später bewiesen werden, dass das, was die Astrologen sich ausgedacht haben über die Herrschaft von Planeten und Zeichen, falsch ist. Wie bitte, halte ich dagegen, soll irgendein Planet dermaßen über den Himmel herrschen, dass er in dieser Welt wundersame Dinge hervorbringen kann, insbesondere schlechte? Da das Werk des Himmels aus dem Zusammenwirken aller Lichter entsteht, ist jene obere Harmonie insgesamt so gestimmt, dass durch sie, genauso wie in ihr alle Teile richtig zusammenklingen, auch nichts in der unteren Welt jemals Dissonanzen bildet: Jedes Mal, wenn dort etwas Plumpes, Schrilles oder Dissonantes zu hören ist, darf man es nicht auf die Berührung des Himmels zurückführen, sondern auf jene vier Saiten der sublunaren Kithara, die bisweilen dem himmlischen Plektrum gegenüber, das sie unablässig in Takt und Eintracht in Bewegung versetzt, störrisch sind, da sie mit der ungeordneten und unreinen Materie in Berührung kamen. 6. Danach muss man genauer überlegen, dass verschiedene Himmelskörper, wenn sie verschiedene Elemente beherrschen, diese deshalb beherrschen, um die Elemente selbst zu vollenden. Daher wird jedes Element umso vollkommener sein, je mächtiger der beherrschende Stern ist; wenn aber die Vollkommenheit der Teile der Vollkommenheit des Ganzen nicht widerspricht, ja die Teile sogar mit dem Ganzen zusammen ins Schwanken geraten, wird es keinen Einfluss auf die Vollkommenheit des Elementes haben, dass die Natur, die die Ordnung überschreitet, alles Übrige in Beschlag nimmt, sondern es wird dann erst Vollkommenheit herrschen, wenn von der Ordnung und dem Gang der Natur nichts mehr abweicht, von dem man natürlich abweichen kann sowohl durch Über- als auch

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Damna nostrorum corporum in caelo causas non habere

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quod ordini bono naturaeque legibus non consentiat, non | minus compescere tumultuantem quam suscitare torpentem caelestis praefecturae officium fuerit. 7. Potest igitur id concedi, ut sint quattuor primae qualitates a caelo, nec tamen horum delicta, transgressiones, tumultus a caelo sint, sed a materiae motibus inordinatis caelestis disciplinae legibus usquequaque non obsequentis, ut propterea credam nec Platonem nec Aristotelem in Timaeo vel in Meteoris istas elementorum tyrannides temporarias ad constellationum vim ullam umquam rettulisse. 8. Constat autem ex dictis non modo noxas elementorum, sed et eadem ratione damna corporum nostrorum ceterorumque animantium in caelo causas non habere; quod quidem et potissimum inter omnia corpora et ordinis et beneficentiae titulis insigne nec ea debet efficere, quae sunt opera potius tumultuantis materiae vel deficientis. Quare, quod de elementis diximus, licet de humoribus itidem dicere in nostro corpore illis respondentibus: si praeest atrae bili Saturnus, Mars rubrae, alius sanguini, pituitae alius, non aliud magis horum planetarum opus, quam frenare has qualitates et continere sub concinnam vitae dispositionem. Nec, cum praepotens erit Saturnus, suscitabitur atra bilis, ut reliquos perdat totumque labefactet, sed ordinatius, compositius, melius se habebit.

Sim.: 3–7 Potest igitur – rettulisse ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525; Bellant. resp. disp. 3,21 fol. v 13– 17 si praeest – habebit ] cf. disp. 10,14 p. II 438–451 Garin App. crit.: 4 horum] eorum F 6 nec Platonem nec Aristotelem in Timaeo vel in Meteoris] nec Platonem in Timaeo nec Aristotelem in Metheoris F (cf. rer. praen. 5,5 p. 525) 8 ex BCorr GOGarin : et Bβ

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durch Unterschreitung. Wenn daher Mars dem Feuer vorsteht, wird es nicht weniger die Aufgabe seines Vorsteherdienstes sein – weil ja von einem Stern aus nichts in der ihm untergebenen Qualität geschehen kann, was mit der guten Ordnung und den Naturgesetzen nicht im Einklang steht – seine Qualität im Zaum zu halten, wenn sie in Unruhe gerät, als sie anzuregen, wenn sie in Untätigkeit verharrt. 7. Dies also kann man zugestehen, dass die vier ersten Qualitäten vom Himmel kommen, dessen ungeachtet aber nicht auch ihre Fehler, Exzesse und Verwirrungen vom Himmel kommen, sondern von den ungeordneten Bewegungen der Materie, die den Gesetzen der himmlischen Zucht allenthalben nicht Folge leistet, sodass ich deswegen glaube, dass weder Platon noch Aristoteles im Timaios oder in den Meteora diese vorübergehende Herrschaft über die Elemente jemals auf eine Kraft irgendeiner Konstellation zurückgeführt haben. 8. Anhand des Gesagten steht aber fest, dass nicht nur die Elementarschäden, sondern nach demselben Argument auch unsere körperlichen Defekte und die der übrigen Lebewesen ihre Ursachen nicht im Himmel haben; derjenige Körper nämlich, der unter allen Körpern der vorzüglichste ist und der sich durch seinen Rang und seine Wohltäterschaft auszeichnet, kann nicht auch das bewirken, was eher das Werk der ins Übermaß geratenen oder hinschwindenden Materie ist. Es kann daher über die Säfte auf dieselbe Weise das gesagt werden, was wir auch über die Elemente sagten, da jene ihnen in unserem Körper entsprechen: Wenn Saturn der schwarzen Galle vorgesetzt ist, Mars aber der roten Galle, ein anderer dem Blut und wieder ein anderer dem Schleim, so haben diese Planeten vor allem die Aufgabe, diese Qualitäten im Zaum zu halten und in der für das Leben geeigneten Ordnung zusammenzuhalten. Genauso wenig wird die schwarze Galle, wenn Saturn besonders machtvoll ist, dazu angeregt, die anderen Säfte zu verderben und das Ganze ins Wanken zu bringen, sondern sie wird sich in einem geordneteren, geregelteren und besseren Zustand befinden. 9. Dasselbe ist über die rote Galle zu sagen, wenn Mars die Herrschaft hat, zumal deren Strahlen ihrer natürlichen Beschaffenheit nach wohltätig und gesund

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Mors non est a caelo

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9. Idem de rubra dicendum, cum regnaverit Mars, quandoquidem illorum radii et natura sua benefici sint ac salutares nec agunt instar ignis, sed quemadmodum calor insitus nobis vegetalis animae manu recte operatur ad finem certum pro salute viventis, ita lumina illa vitalia intimae mentis sive animi organa non ad perniciem umquam, sed ad commodum corporum subditorum et beneficentiam agunt. 10. Saturnus in atram bilem, siquidem illi praeest, nihil umquam non ordinatum, non vivificum influet; quare non excitabit illam ad exitium animalis, sed moderabitur ad conservationem nec habebunt a stellis suis humores, cum illae praevaluerint, quo magis et violentius agant, sed quo moderatius atque vivacius. Non igitur mors a caelo, sed a materia, cum vitio proprio quaeque qualitas ita degeneraverit, ut praefecti sideris disciplinam non sustineat, sed vel evagetur immodica vel remissa deficiat. 11. At nostri divinatores, qui se caeli sicut interpretes, ita patronos et defensores faciunt, non tantum morbos irritatu nimio primarum qualitatum, sed et vitia ipsa, caecitatem, surditatem referunt ad stellas et, quod est detestabilius, etiam ipsa monstra, quo nihil dici, nihil cogitari potest absurdius. Nam quid aliud monstra quam peccata naturae? Haec autem nemo umquam philosophus rettulit ad efficientem causam, praesertim indeficientem, omnes ad materiam. Nec ita quisquam

Font.: 3–4 calor – viventis ] cf. Arist. de an. 2,4 416a 9–16; Thom. Aq. sent. lib.2, dist.30, quaest.2, art.1 calor insitus nobis ] cf. Thom. Aq. mot. cord. p. 127,43–55 16 caecitatem ] cf. Ptol. apotel. 3,13,7–9; Album. introd. tract.6, diff.20 p. 255 surditatem ] cf. Ptol. apotel. 3,14,3; 3,14,36; Album. introd. tract.6, diff.19 p. 254 17 monstra ] cf. Ptol. apotel. 3,9 quid – naturae ] cf. Arist. gen. animal. 4,4 770b 9–11 18–19 Haec – materiam ] cf. Arist. gen. animal. 4,3–4 769b 10–773a 29 Haec – indeficientem ] cf. Aug. civ. 12,7 p. 522,4–25 644.19–646.1 Nec – informantis ] Thom. Aq. summ.2,2 quaest.51, art.4 Sim.: 11–13 Non igitur – deficiat ] cf. disp. 10,14; rer. praen. 5,5 p. 525 App. crit.: 4 sive BCorr G : suae BOβGarin 7 illi om. C 11 Non igitur BCorr : Non quam α: Numquam βOGarin post proprio male dist. Garin 12 degeneraverit] denegaverit G immodica BB OβGarin : in modica α 15 tantum OGarin : tam αβ 19 praesertim del. BB BP

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sind und nicht wie ein Feuer handeln, sondern wie die uns angeborene Hitze durch die Hand der vegetativen Seele im Sinne der Gesundheit des Lebenden bis zu einem gewissen Ziel richtig wirkt, so beeinflussen jene lebensspendenden Lichter die Werkzeuge des innersten Geistes, also der Seele, niemals derart, dass sie auf das Verderben abzielen, sondern auf den Vorteil und das Wohlergehen der untergebenen Körper. 10. Saturn wird auf die schwarze Galle, da er ihr ja vorgesetzt ist, niemals irgendeinen ungeordneten oder dem Leben konträren Einfluss ausüben; deshalb wird er sie auch nicht zum Tod des Lebewesens anregen, sondern zu dessen Erhaltung ins rechte Maß bringen, und genauso wenig erhalten die Säfte von den ihnen zugeteilten Sternen etwas, wenn jene die Vorherrschaft innehaben, wodurch sie in höherem Maße und heftiger handelten, sondern wodurch sie maßvoller und lebensfördernder handeln. Folglich kommt der Tod nicht vom Himmel, sondern von der Materie, sobald eine jede Qualität durch ihre eigene Unvollkommenheit so entartet ist, dass sie die Zucht des vorgesetzten Himmelskörpers nicht aushält, sondern entweder maßlos ausufert, oder abnimmt und erlöscht. 11. Doch unsere Wahrsagerlinge, die sich ebenso zu Erklärern wie zu Anwälten und Verteidigern des Himmels aufschwingen, führen nicht nur die Krankheiten durch übersteigertes Reizen der ersten Qualitäten auf den Himmel zurück, sondern auch die körperlichen Defekte selbst wie Blindheit oder Taubheit, und sogar, was noch abscheulicher ist, die Monstrositäten – etwas Abwegigeres als dies lässt sich indessen weder sagen noch denken. Denn was sind Monstrositäten anderes als Fehler der Natur? Diese aber hat niemals ein Philosoph auf die Wirkursache zurückgeführt, zumal sie ja fehlerlos ist264 , sondern alle auf die Materie. Und kei-

264 Die Bezeichnung der Wirkursache als indeficiens ist eine Anspielung auf Augustinus (civ. 12,7), wo er eine böse Wirkursache als causa deficiens bezeichnet. In Bezug auf Lahmheit verwendet Thomas von Aquin den Begriff der causa deficiens u.a. in seinem Sentenzenkommentar (Thom. Aq. sent. lib.2, dist.37, quaest.2, art.2). Da der Himmel unvergänglich ist und der göttlichen Sphäre angehört, ist er, wie dieser, eine causa indeficiens (vgl. Thom. Aq. virt. quaest.12, art.2, arg.2). Zugleich entsteht mit der Gegenüberstellung von efficientem und indeficientem im Lateinischen ein Wortspiel.

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Averrois

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deliravit, ut diceret monstrificos partus culpa fieri virtutis informantis, quae scilicet Dei acta manu nihil delinquat, sed accusant materiam situ vel quantitate vel qualitate male formabilem et opifici suo contumacem atque rebellem. 12. At longe maior insania caeli virtutem damnare quam seminis, quae tanto minus errare potest atque deficere, quanto ipsa natura potentior et domino et artifici iunctior, a quo non aliter, quam per ipsum ista seminaria virtus inferior regitur atque formatur. 13. Nimis igitur quam absurdum putare caelestium motus et configurationes, si modo variant istae configurationes efficientiam planetarum, aliter umquam ire atque componi, quam naturalis tenor et cursus exigit ordinatus rerum inferiorum. Alioquin naturae | iste ordo, cuius transgressio monstrum, ubinam sedet, ubinam habet originem, si non haec in caelo? Aut quomodo suam satis vocem audiunt, cum rem malam, inordinatam, non naturalem, cuius origo vitium et infirmitas, primis ascribunt naturae causis, omnium optimis, ordinatissimis et potentissimis? 14. Vere ergo dixit Averrois, qui crediderit Martem aut sidus aliud quoquomodo dispositum nocere corporibus, aliena credere ab omni philosophia. Sed ita est

Font.: 15–16 Vere – philosophia ] Aver. metaph. 9,5 (Opera 8, pp. 245r –245v ) Sim.: 15–16 Averrois – philosophia ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525; Bellant. resp. disp. 3,21 fol. v App. crit.: 5 domino scripsi : domina Ω 13 cum rem malam scripsi : quo rem malam αVWC : quo rem malem R : quorum malam F : qui rem malam Garin

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ner war so von Sinnen, dass er behauptete, die monströsen Geburten geschehen durch die Schuld der formenden Kraft, die ja durch die Hand Gottes geführt keinen Fehler begeht, sondern sie beschuldigen die Materie, die durch ihre Lage, ihre Quantität oder ihre Qualität schlecht formbar ist und ihrem Schöpfer gegenüber widerspenstig und aufrührerisch. 12. Doch es ist bei weitem größerer Wahnsinn, die Kraft des Himmels zu verurteilen als die des Samens, die umso weniger irren und fehlgehen kann, je mächtiger sie von ihrer Natur her ist und je verbundener sie ihrem Herrn und Schöpfer ist, von dem diese Kraft des Samens der unteren Welt nicht anders gelenkt und geformt wird als durch den Himmel selbst. 13. Folglich ist es mehr als nur abwegig zu glauben, dass die Bewegungen und Konstellationen des Himmels, wenn denn jene Verbindungen die Wirkung der Planeten beeinflussen, jemals anders verlaufen und sich zusammensetzen als es der natürliche Gang und der geordnete Lauf der unteren Dinge verlangen. Wo würde anderenfalls jene natürliche Ordnung, deren Übertretung eine Monstrosität darstellt, ihren Platz haben, wo ihren Ursprung, wenn nicht im Himmel? Oder hören diese Leute ihre eigene Stimme nicht genügend, wenn sie eine schlechte, ungeordnete und nicht natürliche Sache, deren Ursprung Fehler und Schwäche sind, den ersten Ursachen der Natur zuschreiben, die die besten sind von allen, am besten geordnet und am mächtigsten? 14. Korrekt ist also die Ansicht des Ibn Rušd, der der Meinung war, zu glauben, der Mars oder ein anderer Himmelskörper in irgendeinem Zustand schade den Körpern, sei fern von jeder Philosophie. Doch das kann als sicher gelten: Keine Wissenschaft tut dem Himmel mehr Unrecht als der astrologische Aberglaube,

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certe: nulla professio caelo magis iniuria astrologica superstitione, quae, quicquid a nobis fit praeter rationem culpa voluntatis, quicquid in materia evenit praeter ordinem vitio temeritatis labilisque materiae, id totum sideribus ambit imputare nec putat illorum salvam dignitatem, si non illis indignissima quaeque accepta referantur.

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Caput XXII – Ingeniorum et morum varietatem non omnino pendere a primis qualitatibus. 1. Verum enimvero si non faciunt sidera malas corporum affectiones, ipsas saltem corporum faciunt diversitates non morbosas, non vitiosas, non causarias, sed intra fines integritatis[que] naturae media, inter se temperamenti ratione distantes. Sequens enim hoc videtur omnino, ut, si primarum quattuor qualitatum sidera sunt auctores, ut scilicet a Saturno nascantur, sive concipiantur corpora sicciora et frigidiora, calidiora sub Marte, humidiora sub Venere atque ita de reliquis, quam temperamenti diversitatem solet diversitas ingeniorum et affectionum animi consequi, non quibus cogamur, sed quibus irritemur. Sed hic postea locus latius pertractabitur. 2. Illud autem videamus, an ingeniorum et morum hinc nasci dissimilitudo possit; nam ut aliquo modo verum, falsum tamen aliqua ex parte. Consequitur enim qualitatum in corpore praepotentium modus quoque nonnihil affectionum, ut proniores ad iram bilis effervescens, segnes pituita, sanguis hilariores, tristes

Sim.: 1–5 nulla – referantur ] cf. disp. 10,14 p. II 440 Garin cionibus ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525

648.17–650.3 Illud autem – condi-

App. crit.: 1 iniuria] iniuriosa OGarin (fort. recte) 9 causarias] casuarias Garin 10 que athetendum putavi medias scripsi : media ΩGarin 11 videtur] universaliter WO 15 cogamur GFO : cogamus BVWRC 19 in del. Gc

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der sich bemüht, alles Unvernünftige, was von uns ausgeht durch die Schuld unseres Willens, alles Ungeordnete, was in der Materie auftritt durch das Verschulden des blinden Zufalls und der vergänglichen Materie, gänzlich den Himmelskörpern aufzubürden und ihre Würde nicht für unbeschädigt hält, wenn man nicht alles Unwürdige, was man erfahren hat, auf sie zurückführt.

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Kapitel 22 – Die verschiedenen Begabungen und Charakter hängen nicht gänzlich von den ersten Qualitäten ab. 1. Wenn indessen die Sterne nicht die schlechten körperlichen Zustände bewirken, so bewirken sie doch wenigstens die Unterschiedlichkeit der Körper selbst, die nicht krankheitsbedingt sind, nicht durch Fehler entstehen oder kränklichen Zustand, sondern mitten innerhalb der Grenzen von natürlicher Unversehrtheit sich befinden und sich untereinander hinsichtlich des Temperamentes unterscheiden. Denn daraus scheint logisch zu folgen, dass, wenn die Himmelskörper Urheber der vier ersten Qualitäten sind, von Saturn trockenere und kältere Körper geboren oder empfangen werden, unter dem Einfluss des Mars heißere, unter der Venus feuchtere und so weiter mit den übrigen, wobei den verschiedenen Temperamenten gewöhnlich auch verschiedene Begabungen und Gemütszustände folgen, zu denen wir nicht gezwungen werden, sondern zu denen wir verführt werden. Doch diese Ansicht wird später umfassender behandelt werden. 2. Jenes hingegen wollen wir betrachten, ob die Verschiedenheit der Begabungen und des Charakters hieraus entstehen kann; denn dies ist zwar in irgendeiner Weise richtig, aber dennoch auch zu einem Teil falsch. Denn mit dem Maß der im Körper vorherrschenden Qualitäten geht auch einiges an Affekten einher, sodass aufbrausende Galle die Menschen eher zu Zorn neigen lässt, Schleim träge macht, Blut heiterere Menschen hervorruft, schwarze Galle hingegen traurigere.

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atra bilis efficiat. Sed hoc oppido quam generale nec evidentiae semper respondet nec satisfacit occultioribus quibusdam et maxime propriis ingeniorum condicionibus. Dixi non semper evidentiae respondere, quoniam est interdum invenire homines temperamento corporis quam simillimos, studiis tamen, non quae fecit electio, sed naturae propensio, dissimillimos. 3. Vidi ego sub virginea facie ferinam immanitatem, sub truci vultu et aspernabili mitem et amabilem mansuetudinem; alios frontis gratia orisque venustate laetitiam perpetuam prae se ferentes, intus aestuare maeroribus et sibi esse fastidio; alios, quos tu iudices plane Saturni esse mancipia, hilaritatibus atque facetiis omnia serenare. Quae possunt alias a primis qualitatibus vires germina consequi consensu fere philosophorum, hoc est, quae nec primae illae quattuor aut filiae aut appendices sunt. Ad quas etiam multa referri plane non posse, quae de morum diversitate vaticinantur astrologi, paulo post declarabimus.

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Caput XXIII – Neque bella neque externa a primis qualitatibus pendere. 1. Illud vero nimis ridiculum, si possunt sidera facere frigus, aestum aliasque qualitates, posse etiam bella, seditiones, posse urbes evertere imperiaque permut-

Sim.: 3–5 est interdum – dissimillimos ] cf. rer. praen. 5,5 p. 525 10–13 Quae possunt – astrologi ] cf. Bellant. resp. disp. 3,22 fol. r 650.15–652.1 Illud vero – ratio ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 App. crit.: 13 vaticinantur] vaticinant Garin

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Doch das ist überaus allgemein und weder entspricht es immer der Augenscheinlichkeit, noch erklärt es zur Genüge gewisse verborgenere und ganz besonders dem Individuum anhängige Eigenheiten der Begabungen. Ich sagte, dass es ›nicht immer der Augenscheinlichkeit entspreche‹, weil man bisweilen Menschen finden kann, die sich, was das körperliche Temperament betrifft, so ähnlich wie nur möglich sind, in ihren Neigungen aber, die nicht die freie Wahl sich aussucht, sondern eine natürliche Geneigtheit, äußerst unterschiedlich. 3. Ich sah unter einem jungfräulichen Gesicht tierische Wildheit, unter einer finsteren und verächtlichen Miene milden und liebenswerten Sanftmut; ich sah, dass einige mit Wohlgefälligkeit ihres Gesichtes und Liebenswürdigkeit ihrer Worte endlose Freude zur Schau stellten, im Inneren aber vor Trauer schäumten und sich selbst verabscheuten; sah, dass andere, die man geradewegs als Sklaven Saturns beurteilen würde, alles durch ihre Heiterkeit und ihren Humor in gute Stimmung versetzten. Diese Entwicklungen können nach der übereinstimmenden Ansicht beinahe aller Philosophen Keimzellen für andere Kräfte als die ersten Qualitäten darstellen, dies bedeutet von Kräften, die weder jene vier ersten Qualitäten sind noch deren Abkömmlinge oder ihnen anhängig sind. Dass man auf sie vieles offensichtlich nicht zurückführen kann, was die Astrologen die Verschiedenheit des Charakters betreffend verkünden, werden wir in Kürze erörtern.

Kapitel 23 – Weder Kriege noch äußere Dinge hängen von den ersten Qualitäten ab. 1. Dies aber ist mehr als lächerlich, dass die Himmelskörper, wenn sie Kälte, Hitze und die anderen Qualitäten bewirken können, auch Kriege und Aufstände bewirken können, dass sie Städte zerstören und ganze Herrschaften ändern können; und auch die Begründung für ihre Behauptung ist nicht weniger lächerlich.

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h1r Bellorum causa

Externa

Ptolemaeus

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are; nec minus positioni ridicula ratio. ›Nam excitata‹, inquiunt, ›bili in corporibus regum et principum aestu animi flagrantiore fiunt avidiores iniuriae vel reponendae vel inferendae.‹ 2. O beatam Italiam et perpetua pace florentem, si pituitosos habere tibi principes liceat! Magnum hoc bonum et divinum parvo constare potest: unciola una lecti phar | maci bilem educentis, si rite principibus dividatur his, qui magis bellicosi, totum nobis pacabit orbem. Haec quis confutet potius, quam irrideat? Quasi haec demum bellorum causa quasive magis avaritia quam ira, non cupido, non occasio spesve potiundi, non simultates et odia, quae sunt apud astrologos a Saturno potius quam a Marte, non interdum amor ipse iustitiae bella suscitent atque tumultus; quasi non saepius sit animis regum pro bile Deus nunc bonos exercens ad virtutem, nunc puniens malos ministerio saepe malorum, quos ille carnifices in mundanda republica et quasi visibiles daemones habet. 3. Verum hic quamvis deridicula dicunt astrologi, videntur tamen aliquid dicere. At externa, quae pro nostris humoribus nihilo variantur, quomodo referent ad istas quattuor qualitates: exilia, dignitates, divitias, egestatem, liberos, uxorem, amicos, inimicos? »Habent«, inquit Ptolemaeus, »affinitatem cum animo et corpore, ut cum animo quidem honor et dignitas, cum corpore uxor atque divitiae.«

Font.: 17–18 Habent – divitiae ] cf. Ptol. apotel. 1,3,1 Sim.: 1–3 Nam – inferendae ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526; Bellant. resp. disp. 3,22 fol. r 4–5 O beatam – liceat ] cf. Bellant. resp. disp. 3,23 fol. r 5–7 unciola – irrideat ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 7–13 Quasi – habet ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 14–17 Verum hic – inimicos ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 App. crit.: 1 positioni] positione Garin 2 principum] principium F flagrantiore] flagrantiorae VRC fiunt OGarin : fiant αβ 4 pituitosos] pituosos Garin 5 unciola] unctiola β 8 quasive scripsi : quasi ne ΩGarin 9 astrologos] astroolgos B (astrolgos ex. corr. BB BP ) 10 suscitent] suscitant RC 11 animis BCorr G : animus BOβGarin 13 mundanda αVWF : mundana RCOGarin 14 quamvis] quasi Garin 15 externa quae] externaque G

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›Denn‹, so sagen sie, ›durch die erregte Galle, durch die die Hitze ihres Gemütes in Flammen gerät, werden Könige und Fürsten zunehmend begierig danach, Unrecht zu vergelten oder zuzufügen.‹ 2. Oh du glückliches und in ewigem Frieden blühendes Italien, wenn du nur phlegmatische Fürsten haben könntest. Doch dieses große und göttliche Gut ist für einen geringen Preis zu haben: Eine einzige winzige Unze eines ausgewählten Giftes, welches Galle ausführt, wird uns, wenn sie unter denjenigen Fürsten richtig aufgeteilt wird, die eher kriegslüstern sind, den ganzen Erdkreis befrieden. Wer würde das eher widerlegen, als dass er es verlacht? Als sei dies gerade der Grund für die Kriege oder als ob es nicht eher Habgier als Zorn wäre, als ob nicht Begierde, nicht die Gelegenheit oder Hoffnung, etwas in seinen Besitz zu bringen, nicht Rivalitäten und Hass, die bei den Astrologen eher von Saturn kommen, als von Mars, als würde nicht bisweilen die Liebe zur Gerechtigkeit selbst zu Kriegen und Aufruhr anstacheln; als würde nicht Gott häufiger den Herzen der Könige als Galle fungieren, indem er bald die Guten zur Tugend ausbildet, bald die Schlechten bestraft und zwar oftmals mit Hilfe der Bösen, über die er als Henker in dem Staat, den es zu reinigen gilt, und sozusagen als sichtbare Dämonen verfügt. 3. Aber obwohl die Astrologen hierbei vollkommen Lächerliches behaupten, scheinen sie dennoch überhaupt etwas Sinnvolles zu behaupten. Doch wie führen sie die äußeren Ereignisse, die sich keinen Deut gemäß unserer Säfte verändern, auf diese vier Qualitäten zurück? Wie Verbannungen, hohe Würden, Reichtum, Armut, Kinder, Frau, Freunde und Feinde? »Es besteht«, so sagt Ptolemaios, »eine Verwandtschaft mit Seele und Körper, sodass Ehre und Würde mit der Seele zusammenhängen, Frau und Reichtum mit dem Körper.«265 4. Was ist das für eine Verwandtschaft, lieber Ptolemaios, dass diese zufälligen Ereignisse dem Zustand von Seele oder Körper folgen? Fügt etwa, was ihr

265 Den Zusammenhang erläutert Ptolemaios in seinen Apotelesmata folgendermaßen (Ptol. apotel. 1,3,1): ἔτι δὲ καὶ ὅσα τῶν ἔξωθεν κυρίαν τε καὶ φυσικὴν ἔχει πρὸς τὰ πρῶτα συμπλοκὴν ὡς πρὸς τὸ σῶμα μὲν ἡ κτῆσις καὶ ἡ συμβίωσις, πρὸς δὲ τὴν ψυχὴν ἥ τε τιμὴ καὶ τὸ ἀξίωμα, καὶ τὰς τούτων κατὰ καιροὺς τύχας.

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4. Quae ista affinitas, o Ptolemaee, ut fortuita haec animi corporisve conditionem sequantur? An, quod soletis dicere, si quem Martis influxus efficit biliosum, eidem et vulnera et violentam mortem infligit, quoniam bilis ardor ad rixas incitet atque ad arma, inter quae mors ipsa familiariter habitat? 5. Verum solet a nobis id maxime siderum opus existimari, cum homo mitis in otio degens, nulli contumeliosus, in pericula tamen, in gladios, in inimicitias fatali vi quadam trahitur quasi nolens, pariter bellicosus homo crabronumque, ut dicitur, irritator plenus dierum, illaesus domi obeat inter suos. Cur igitur ille Martio calore destitutus gladio tamen oppetit, quod est opus Martis, hic in pace moritur, quamquam Marte fere ipse calidior? Praeterea possint huiusmodi quaedam nonnihil prae se ferre commertii cum his, quae intra nos sunt, quare ad habitum corporis referantur; illa, qua ratione differentiam corporis animique consequantur, uxor, divitiae, dignitates et quae hoc genere alia sunt, profecto ne somniare quidem hoc licet. 6. Quapropter et ipse Ptolemaeus primo capite libri Apotelesmaton, ubi suam struit rationem de siderum efficientia, non aliud colligit, quam quod aliquo modo consequens erit corporis scilicet atque animi, quatenus haeret corpori, diversitatem ab astris provenire; de fortuitis rebus nihil adicit eo loco. Ita enim scribit: »Poterit igitur dicere, quis quocumque tempore status ambientis nos aeris sit futurus; sed et proprium cuiuslibet hominis habitum et temperamentum intelliget

Font.: 7–8 crabronumque – irritator ] cf. Plaut. Amph. 707 8 plenus dierum ] cf. Vulg. gen. 35,29 654.19–656.5 Poterit igitur – aegritudinis ] Ptol. apotel. 1,2,10–11 Sim.: 1–4 Quae ista – habitat ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526; Bellant. resp. disp. 3,23 fol. r 5–10 Verum solet – calidior ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 15–18 Ptolemaeus – eo loco ] cf. rer. praen. 5,5 p. 526 App. crit.: 7 crabronumque BCorr OβGarin : crabonumque α 12 consequantur scripsi : consequentur ΩGarin 13 genere alia] generalia Garin 19 Poterit] profecit O

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gewöhnlich sagt, wenn der Einfluss des Mars jemanden ›gallig‹ (biliosus) macht, er ihm ebenso auch Wunden und einen blutigen Tod zu, weil die Hitze der Galle zu Streit und Waffengewalt reizt, unter denen in vertrautem Umgang auch der Tod wohnt? 5. Wir aber halten gewöhnlich gerade das für das Werk der Himmelskörper, wenn ein sanfter Mensch, der sein Leben in Ruhe verbringt und niemanden beleidigt, dennoch durch eine gewisse Kraft des Schicksals in Gefahren, in Schwertkämpfe und Feindschaften verwickelt wird, sozusagen gegen seinen Willen, während gleichermaßen ein kriegerischer Mann, einer der, wie man sagt, ins Hornissennest sticht, hochbetagt und unverletzt zu Hause bei seiner Familie stirbt. Warum also stürzt dieser, obwohl er von der Hitze des Mars verlassen wurde, ins Schwert, was ein Werk des Mars ist, während jener in Frieden stirbt, obwohl er beinahe heißer ist als Mars? Außerdem könnten diese Dinge einige Verbindung mit den Dingen, die in uns sind, aufweisen, weshalb man sie wohl auf den Zustand des Körpers zurückführen könnte; auf welche Weise aber jene Dinge mit der unterschiedlichen Ausprägung von Körper und Seele einhergehen, also Ehefrau, Reichtum und Würden, und was noch Derartiges dazugehört, kann man sich noch nicht einmal im Traum ausdenken. 6. Deshalb kommt auch Ptolemaios selbst im ersten Kapitel des ersten Buches seiner Apotelesmata, in dem er seine Ansicht über die Wirksamkeit der Himmelskörper darlegt, zu keinem anderen Schluss, als dass es irgendwie folgerichtig sein wird, dass die Unterschiedlichkeit von Körper und Seele, insofern sie dem Körper anhängt, von den Sternen ausgehe; von zufälligen Ereignissen fügt er an dieser Stelle nichts hinzu. Denn er schreibt folgende Worte: »Er wird also sagen können, in welchem Zustand die Atmosphäre zu jedem beliebigen Zeitpunkt sein wird; aber auch den individuellen Zustand und das Temperament jedes beliebigen Menschen wird er verstehen, wenn er Anzeichen aus dem Zustand der Luft bei der

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ducto de statu aeris argumento, cum formabatur; quare dicere poterit, quale corpus et qualem animum sortiretur, tum quomodo successu temporum se habebit, praevidens scilicet futuram aeris dispositionem tali temperatura corpori convenientem facere ad eius incolumitatem vel dissonantem occasionem dare morbi et aegritudinis.« 7. Haec ibi Ptolemaeus, in quibus, quemadmodum apparet, nulla mentio super externis. Mox vero proximo capite, ubi iterat dicta nectitque sequentibus, exteriora etiam adicit, quasi de illis quoque probasset forte falli putans posse lectorem, cui iam ratio excidisset, ex qua illud deduci comprobarique dicebatur. Quare, si dederimus Ptolemaeo mutari materiae primas affectiones, humiditatis et siccitatis, frigoris et caloris, pro conditione statuque siderum, minime tamen concessuri sumus esse sidera diversos hominum variantia casus.

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| Caput XXIV – Occultas vires caelestibus non inesse, per quas occultas inferiorum rerum proprietates producant, sed calorem tantum lumenque vivificum. 1. Restat discutiendum, an praeter effectricem vim qualitatum istarum occultiores in sideribus vires eminentioresque sint, per quas facere multa possint, quae

Font.: 7–8 Mox vero – lectorem ] cf. Ptol. apotel. 1,3,1 12 sidera – casus ] Manil. 1,2 656.16– 658.3 occultiores – efficaciores ] cf. Thom. Aq. op. occ. p. 183,15–22; gent. lib.3, cap.92, n.8 Sim.: 6–9 Ptolemaeus – dicebatur ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 526–527 656.16–658.7 Restat – necessario ] cf. rer. praen. 5,5 p. 527 occultiores – efficaciores ] cf. Bellant. resp. disp. 3,24 fol. r App. crit.: 2 habebit] expectes haberet

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Entstehung zieht; deshalb wird er sagen können, was für einen Körper und was für eine Seele man erlangen wird, des Weiteren, wie es einem im Laufe der Zeit ergehen wird, weil er nämlich vorhersieht, dass der künftige Zustand der Luft mit dem Körper bei solchem Temperament übereinstimmt und so zu dessen Gesundheit beiträgt oder aber nicht entspricht und daher Gelegenheit gibt zu Krankheit und Kummer.«266 7. So sagt Ptolemaios an dieser Stelle, wobei sich, wie offensichtlich zu sehen, keine Erwähnung äußerer Ereignisse findet. Kurz darauf aber, im folgenden Kapitel, wo er seine Worte wiederholt und mit dem Folgenden zusammenfügt, fügt er wirklich äußere Ereignisse hinzu, als ob er auch diese betreffend seinen Beweis geführt hätte, vielleicht in dem Glauben, der Leser ließe sich täuschen, da ihm bereits die Argumentation entfallen sei, anhand derer jenes, wie behauptet wurde, gefolgert und bewiesen werden könne. Wenn wir deshalb Ptolemaios zugestehen, dass sich die ersten Eigenschaften der Materie, also Feuchtigkeit und Trockenheit, Kälte und Hitze, nach Zustand und Stand der Himmelkörper ändern, werden wir dennoch keineswegs zugeben, dass es die Himmelskörper sind, die die unterschiedlichen Schicksale der Menschen verändern.267

Kapitel 24 – Den Himmelskörpern wohnen keine verborgenen Kräfte inne, mittels derer sie verborgene Eigenschaften der unteren Dinge hervorrufen, sondern lediglich Hitze und lebenspendendes Licht. 1. Es bleibt zu untersuchen, ob in den Himmelskörpern außer der wirkenden Kraft jener Qualitäten verborgenere und wirksamere Kräfte sind, durch die sie vieles bewirken können, was sie durch jene ersten Qualitäten nicht bewirken können, wie beispielsweise ein Magnet durch eine gewisse ihm eigene Kraft Eisen anzieht,

266 Bei Ptolemaios lautet die Stelle (apotel. 1,2,10–11): ὡς δύνασθαι μὲν ἐφ᾿ ἑκάστου τῶν διδομένων καιρῶν ἐκ τῆς τότε τῶν φαινομένων σχέσεως τὰς τοῦ περιέχοντος ἰδιοτροπίας εἰπεῖν... δύνασθαι δὲ καὶ καθ᾿ ἕνα ἕκαστον τῶν ἀνθρώπων τήν τε καθόλου ποιότητα τῆς ίδιοσυγκρισίας ἀπὸ τοῦ κατὰ τὴν σύστασιν περιέχοντος συνιδεῖν (οἷον ὅτι τὸ μὲν σῶμα τοιόσδε, τὴν δὲ ψυχὴν τοιόσδε) καὶ τὰ κατὰ καιρὸυς συμπτώματα, διὰ τὸ τὸ μὲν τοιόνδε περίεχον τῇ τοιᾷδε συγκρίσει σύμμετρον ἢ καὶ πρόσφορον γίνεσθαι πρὸς εὐεξίαν, τὸ δὲ τοιόνδε ἀσύμμετρον καὶ πρόσφορον πρὸς κάκωσιν. 267 Tatsächlich erwähnt Ptolemaios die äußeren Ereignisse im folgenden Kapitel, wenn er in der Einleitung die bisher festgestellten Ergebnisse resümiert (Ptol. apotel. 1,3,1 [siehe oben S. 653]).

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per primas illas qualitates facere non possunt, sicut sua quadam proprietate magnes ferrum trahit, peonia caducis opitulatur et aliis rebus insunt aliae potestates ipsis materiae primis affectionibus et nobiliores et efficaciores. Hoc ratio quarta contendebat asserens nullo modo posse virtutibus huiusmodi non abundare stellas: si, quod ab omnibus fere philosophis dicitur, beneficio stellarum tales dotes terrena sortiuntur, tum, cum nobilissima corpora sint, nobilissimisque dotibus praedita esse necessario. 2. Sed neque nobilitas horum corporum nec quod ab illis occultae mirabilesque terrenorum corporum vires esse dicantur, argumentum est, quo cogamur virtutes tales, hoc est esse aliquam praeter eam, quam diximus cum calore vivifico, potestatem, in natura caelesti sitas opinari. Nam, ut postremum hic primitus exsequamur, non accipiunt recte, quod dicitur, sortiri caelitus vires inferiora corpora, quibus ea faciunt, quae per quattuor primas qualitates effici non possunt. 3. Fluunt illae dotes et potestates a principiis intimis ipsorum corporum, hoc est ab eorum formis, sive dicere mavis essentiis; porro caelum, sicut formam dedit, quam motus ille consequitur, sic dare illis tales virtutes dicitur; quarum tamen diversitas a diversitate fit non constellationis, sed mixtionis, ex cuius varia proportione alia atque alia forma dissultat. Atque hoc ipsum ad caelorum pertinet dignitatem, siquidem, quae dividuntur in multitudinem apud ordinem inferiorem, ea simplici actu et eminentiore collecta possidet ordo superior.

Font.: 2 peonia caducis opitulatur ] cf. Gal. simplic. medic. 6,3,10 pp. 858–861 K; Ficin. vit. 3,12 p. 300,46–47 K/C 14–16 Fluunt illae – dicitur ] cf. Thom. Aq. op. occ. p. 183,23–32 18–20 Atque hoc – superior ] cf. Thom. Aq. cael. lib.2, lect.18, n.11 Sim.: 8–13 Sed neque – non possunt ] cf. rer. praen. 5,5 p. 527 14–20 Fluunt – ordo superior ] cf. rer. praen. 5,5 p. 527 App. crit.: 2 peonia αGarin : paeonia β : poeonia O 6 sortiuntur] expectes sortiantur nobilissimisque] expectes nobilissimis quoque 9 quo] quod Garin 12 sortiri GOβGarin : sortiti B (corr. BCorr ) 15 dedit] dedi WO

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die Pfingstrose bei Schwindsucht hilft und anderen Dingen andere Kräfte innewohnen, die vornehmer und wirksamer sind als selbst die ersten Qualitäten der Materie. Dies behauptete das vierte Argument, das erklärte, die Sterne müssten in jedem Falle vor derartigen Kräften überquellen: Wenn – was von mehr oder minder allen Philosophen angenommen wird – die irdische Welt durch die Gnade der Sterne solche Gaben erhalte, dann müssten sie auch, weil sie die vornehmsten Körper sind, mit den vornehmsten Gaben ausgestattet sein. 2. Aber weder der vornehme Rang dieser Körper noch die Tatsache, dass von ihnen angeblich die verborgenen und wundersamen Kräfte der irdischen Körper ausgehen, ist ein Argument, durch das wir uns zwingen lassen zu glauben, dass derartige Kräfte, also irgendein Vermögen außer demjenigen, welches wir bereits im Zusammenhang mit der lebensspendenden Hitze erwähnten, in der himmlischen Natur liege. Denn, um den letzten Punkt an dieser Stelle zuerst zu verfolgen: Sie verstehen das, was gesagt wird, nicht richtig, dass die unteren Körper Kräfte vom Himmel erhalten, mit denen sie das bewirken können, was sie durch die ersten vier Qualitäten nicht bewirken können. 3. Jene Gaben und Kräfte fließen von den innersten Prinzipien der Körper selbst, also von deren Wesenheit (forma), oder, wenn man es lieber so nennen will, von deren Essenz (essentia); ferner soll der Himmel, wie er die Wesenheit zur Verfügung stellte, aus der sich jene Bewegung ergibt, ebenso jenen derartige Kräfte verleihen; dennoch ergibt sich deren Unterschiedlichkeit nicht aus der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Konstellation, sondern der Mischung, aus deren unterschiedlichen Verhältnissen jeweils eine andere Wesenheit entspringt. Und das ist es, was sich auf die Würde der Himmel bezieht, weil die obere Ordnung das, was sich in der unteren Ordnung in eine Vielheit aufteilt, in einfacher und ausgezeichneter Handlung konzentriert enthält.

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Magna lucis dignitas

Deus lux vera

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4. Proinde, si ista sublunaris, tam multiformis, tam numerosa turba corporum caducorum, infirma, tumultuaria, particularis, angusta ad caeleste corpus aeternum, indefectibile, simplex, amplum, universale refertur, ita rationi maxime consentaneum quicquid virium, quicquid perfectionis in partes sectum et distributum inferioribus est, a corpore illo primo provenire. Omnes autem pariter, licet tam varias, tam multiplices, unica sua dote luminis et caloris caelestia largiuntur. Quae plus minus ex serie sideribus communicata facit illorum inter se ordinem potius quam diversitatem. 5. Nec remotius inquirendum quae dos ista, quae sit ista proprietas; diximus saepius illam nec indigere demonstrante, quae se ipsam et alia cum se omnia ipsa demonstrat, lux scilicet omnibus evidens, quae de moto corpore profluens afflansque calorem indicat fere nobis occultum mysterium divinitatis et potestatem in motu, in luce sapientiam, in calore figurat amorem, quibus movet, illustrat, creat, perficit, servat omnia primus ille, Deus, primus omnium, inquam, sicuti primum est inter omnia corpora caelum. 6. Praeter hanc triplicis ab uno corpore ordine quodam pendentis efficaciae praerogativam, quid in caelo desideramus aut quid illi deesse nobis videtur ad summam perfectionem naturae corporalis et principatum inferioris mundi? Multiplicibus insigniri distinguique proprietatibus arrogat dignitatem imperfectae naturae, perfectae vero derogat, cui proprium, ut dixi, simul collectum in uno possidere, quod partiario possident inferiora divisim; quod utique privilegium, si perpetuo motui corporis et calorifico lumini non conveniret, utique praeter ipsum inqui | rendum esset aliud in caelo, quod actu simplici ambiret complectereturque virtutem corporum quorumcumque corruptibilium.

Font.: 14–15 Deus – caelum ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.13, quaest.1, art.2 lum ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.2, quaest.2, art.1

primum – cae-

Sim.: 11–15 lux – caelum ] cf. rer. praen. 5,5 p. 531 18–21 Multiplicibus – divisim ] cf. rer. praen. 5,5 p. 531 App. crit.: 23–24 complectereturque] complectareturque G

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4. Ebenso stimmt es, wenn jene sublunare Schar von vergänglichen Körpern, die so vielgestaltig ist und so zahlreich, schwach, zusammengewürfelt, auf das Individuum bezogen und eng, auf den Himmelskörper zurückgeführt wird, der ewig ist, fehlerlos, einfach, weitläufig und allgemein, im größten Maße mit der Vernunft überein, dass alle Kraft und Vollkommenheit, die bei den unteren Körpern auf die einzelnen Teile getrennt aufgeteilt ist, von jenem ersten Körper ausgeht. Die Himmelskörper aber schenken alle ihre himmlischen Gaben gleichermaßen, mögen sie auch so unterschiedlich und vielgestaltig sein, und zwar allein durch ihre einzige Gabe: Licht und Hitze. Je nachdem, ob mehr oder weniger der Reihenfolge der Gestirne nach von ihr weitergegeben wird, bewirkt sie eher die Ordnung der unteren Körper untereinander als deren Verschiedenheit. 5. Und man muss nicht weiter entfernt suchen, was das für eine Gabe ist, was für eine Eigenschaft; ich habe bereits öfter gesagt, dass dasjenige niemanden braucht, der auf es hinweist, das auf sich selbst und zusammen mit sich selbst auch auf alle anderen hinweist: das für alle deutlich erkennbare Licht, das vom bewegten Körper ausgeht und mit seinem Hauch Hitze zuweht und uns das verborgene Mysterium der Göttlichkeit sozusagen anzeigt sowie in der Bewegung Wirkmacht (potestas), im Licht Weisheit und in der Hitze Liebe formt, durch das jener Erste, Gott, alles bewegt, erleuchtet, erschafft, vollendet und bewahrt – jener Erste von allen sage ich, wie auch der Himmel der erste unter allen Körpern ist. 6. Was begehren wir abgesehen von diesem Merkmal der dreifachen Wirksamkeit, die von diesem einen Körper in gewisser Ordnung abhängt, noch mehr am Himmel oder was scheint ihm in unseren Augen zu fehlen zur höchsten Vollendung der körperlichen Natur und zur Vorherrschaft über die untere Welt? Durch vielfältige Eigentümlichkeiten hervorzustechen und sich zu unterscheiden bedeutet, sich die Würde der unvollkommenen Natur anzumaßen, von der Würde der vollkommenen Natur hingegen etwas abzuziehen, deren Kennzeichen es, wie bereits gesagt, ist, gleichzeitig gesammelt in einem zu besitzen, was die unteren Körper einzeln für sich genommen lediglich teilweise besitzen. Würde freilich dieser Vorzug nicht mit der ewigen Bewegung des Himmelskörpers und mit dem Hitze spendenden Licht übereinstimmen, müsste man abgesehen davon sicher-

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7. Sed in eo si plene hoc reperitur, alia comminiscendi non est necessarius labor; reperitur autem indubie, siquidem sine illo res ulla corporea nec generari nec genita exercere suas operationes potest. Tolle enim ipsum cum suo calore: nec paeonia caducis opitulabitur nec iaspis sanguinem sistet nec reubarbarum bilem educet; et sicut rerum, quaecumque agunt in nos, cessaret efficacia, si caloris intimi nostri fomento non excitaretur, ita cessaret et virtus corporum illorum et calor ipse viventium, nisi caelesti calore et foverentur seorsum et invicem copularentur. 8. Actus igitur et perfectio virium, quaecumque rebus terrenis inditae sunt, hoc ipsum lumen calorificum est, quatenus quidem calet, sicut omnium calor rursus perfectio est, quatenus lucet. Et quemadmodum nec videri colores nec oculi videre praeterquam lucis istius beneficio possunt, ita nec dotes corporum quorumcumque aut consistere ipsae aut se afficere invicem possunt, si motus illius atque caloris ope destituantur. 9. Quare sicut ad dignitatem decoremque pertinet caeli, qui pro tanta colorum diversitate uno ipsius nativae lucis splendore corusce[n]t, ita fuerit suae perfectionis pro multiplici materialium virtutum numero unam possedisse virtutem et illis omnibus nobiliorem, sicut omnes colores lux antecedit, et perfectam illarum constitutionem, sicut lux omnium colorum perfecta constitutio est; nec plus detrahi putemus dignitati caeli, si particulares istas dotes stellis abnegamus, quam quod ipsum quoque caelum nec flavum credimus nec caeruleum nec prasinum neque purpureum, quae sicut in terrenis speciosa et necessaria varietas ita nec possibilis in sideribus nec decora.

Font.: 4 iaspis sanguinem sistet ] cf. Albert. mineral. 2,2,8 p. 39 B; Ficin. vit. 3,12 p. 302, 69–70 K/C reubarbarum bilem educet ] cf. Ficin. vit. 2,17 p. 218,10–27 K/C; 3,26 p. 390,127–132 K/C 10–11 nec videri – possunt ] cf. Ficin. in enn. 2,1,6 p. I 173 W Sim.: 3–5 Tolle enim – educet ] cf. rer. praen. 5,5 p. 531 4 iaspis ex. corr. BF : iacynthus αβOGarin App. crit.: 2 generari scripsi : generare ΩGarin reubarbarum] reubarbarumque F 15 coruscet scripsi : coruscent ΩGarin 20 nec] neque Garin

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lich etwas anderes am Himmel suchen, was in einer einfachen Handlung die Kraft aller beliebigen vergänglichen Körper umfasst und enthält. 7. Wenn dieser Vorzug bei ihm jedoch gänzlich gefunden werden kann, ist es überflüssige Mühe, noch andere zu erfinden; gefunden werden kann er aber zweifellos, da ohne ihn keine körperliche Sache gezeugt werden könnte oder nach ihrer Zeugung ihre Wirkungen entfalten könnte. Beseitige ihn nämlich selbst mitsamt seiner Hitze: Es wird weder die Pfingstrose bei Schwindsucht helfen noch der Jaspis das Blut zum Stillstand bringen noch Rhabarber die Galle ausleiten; und ebenso wie die Wirkung aller Dinge, die auf uns einwirken, gleichermaßen nachlassen würde, wenn sie nicht durch den Zunder unserer innersten Hitze befeuert würde, so würde die Kraft jener Körper und die Hitze der lebenden Körper selbst nachlassen, wenn sie nicht durch die himmlische Hitze von oben befeuert und sich gegenseitig verbinden würden. 8. Die vollendende Tätigkeit all der Kräfte, die den irdischen Dingen eingegeben sind, ist also dieses Hitze spendende Licht selbst, und zwar insofern es heiß ist, wie die Hitze wiederum von allem die Vollendung ist, insofern sie leuchtet. Und ebenso wie man weder Farben sehen kann noch die Augen überhaupt irgendetwas sehen können, außer durch die Güte jenes Lichtes, können auch die Gaben beliebiger Körper weder überhaupt bestehen noch sich gegenseitig beeinflussen, wenn sie der Hilfe jener Bewegung und Hitze entbehren müssten. 9. Wie es sich daher auf die Würde und die Zierde des Himmels bezieht, dass er angesichts der großen unterschiedlichen Bandbreite an Farben allein durch den Glanz seines ursprünglichen Lichtes selbst schimmert, so darf es wohl von seiner Vollkommenheit zeugen, dass er angesichts der vielfachen Anzahl von materiellen Kräften eine Kraft in seinen Besitz nahm, die vornehmer ist, als sie alle, wie auch das Licht alle Farben übertrifft sowie deren vollkommenen Zustand, wie das Licht der vollkommene Zustand aller Farben ist; ich glaube auch nicht der Würde des Himmels mehr abspenstig zu machen, wenn ich jene individuellen Kräfte den Sternen abspreche, als dadurch, dass ich auch den Himmel selbst weder für gelb halte noch für blau, grün oder purpurfarben, da diese Bandbreite bei irdischen Dingen ansehnlich und notwendig ist, bei himmlischen hingegen weder möglich noch gut aussehend.

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Caput XXV – Si sua cuique sideri et propria vis concedatur, esse tamen illam universalem. 1. Iam si contendat aliquis, ut praeter hanc omnibus communem proprietatem motus, luminis atque caloris suam habeat quaeque stella propriam influentiam, non magnopere, quamquam possim, illi resistam. Sed admonebo diversas istas virtutes, quibus inter se differunt, hoc tamen convenire, quod omnes virtutes caelestes sunt. Quicquid autem in caelo est, et si comparatum universitati caelestium particulare aliquid est, idem tamen, ad sublunaria si referatur, ut maxime sit angustum, universale est. Universale cum dico, ita intelligi volo, ut totam corruptibilis mundi perfectionem claudat in se ipso, alioquin caeleste non erit, ut parte iam declaratum mox quoque latius explicabitur. 2. Quod si concedatur, nihil iuvabunt rem astrologicam siderum istae dotes peculiares, sed erit quidem Iovis alia quam Saturni proprietas, verum non propterea efficiet apud nos aliud Iuppiter quam Saturnus; quare pariter omnia per hanc suam proprietatem uterque facere poterit. Iovia virtus differt a Saturnia, non negabo; sed nulla virtus corporum inferiorum, quam et Iovia aeque atque Saturnia et Saturnia aeque atque Iovia non contineat, generet, servet, efficacem reddat atque perfectam. 3. Dicam primum, cur ita sit, dehinc quomodo stet cum ista communione diversitas in utroque et proprietatis et actionis: 4. Caeli natura non videtur apertius simul et brevius explicari posse, quam si dixeris caelum unitatem esse omnium corporum; sane nulla est multitudo, quae

9–10 Universale – se ipSim.: 3–5 Iam si – resistam ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. r so ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. r 12–15 Quod si – poterit ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. r –v App. crit.: 4 suam] sua O 8 sublunaria] sublimaria B (corr. BCorr ) 11 declaratum] declaratus Garin 14 efficiet] efficit Garin 16 atque] et Garin 18 perfectam Garin : perfectum Ω

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Kapitel 25 – Wenn man jedem Gestirn eine eigene und individuelle Kraft zugesteht, ist diese dennoch allgemeiner Natur. 1. Wenn nun jemand behaupten sollte, dass außer jener Eigenschaft, die allen gemeinsam ist, nämlich Bewegung, Licht und Hitze, jedes Gestirn seinen eigenen, individuellen Einfluss hat, will ich ihm nicht so sehr, wie ich könnte, widersprechen. Aber ich will ihn daran erinnern, dass jene unterschiedlichen Kräfte, durch die sie sich unterscheiden, darin übereinstimmen, dass sie alle himmlische Kräfte sind. Alles aber, was im Himmel ist, auch wenn es verglichen mit der Allgemeinheit (universalitas) der himmlischen Körper etwas Individuelles ist, ist dennoch, wenn man es auf die sublunaren Dinge bezieht, mag es auch noch so beschränkt sein, etwas Allgemeines. Wenn ich »allgemein« (universale) sage, möchte ich es so verstanden wissen, dass es die gesamte Vollkommenheit der vergänglichen Welt in sich selbst einschließt, anderenfalls wird es nicht himmlisch sein, wie es teilweise bereits dargestellt und bald auch ausführlicher dargelegt wird. 2. Gibt man dies also zu, werden jene individuellen Gaben der Sterne die Astrologie keineswegs unterstützen, sondern es wird freilich die Eigenschaft Jupiters eine andere sein als die Saturns, aber es wird nicht deswegen auch bei uns Jupiter etwas anderes bewirken als Saturn; deshalb werden beide gleichermaßen alles durch diese ihre Eigenschaft bewirken können. Die Kraft Jupiters unterscheidet sich von der Kraft Saturns, das will ich nicht leugnen; aber es gibt keine Kraft der Körper der unteren Welt, die die Kraft Jupiters gleichermaßen wie die Kraft Saturns und die Kraft Saturns gleichermaßen wie die Kraft Jupiters nicht enthält, zeugt, bewahrt und wirksam wie vollkommen macht. 3. Zuerst werde ich sagen, warum das so ist, danach, auf welche Weise die Unterschiedlichkeit von Eigenschaft und Handlung bei beiden mit jener Gemeinsamkeit zusammenhängt. 4. Die Natur des Himmels scheint man nicht klarer und zugleich kürzer definieren zu können, als wenn man sagt, der Himmel sei die Einheit (unitas) aller Körper; freilich gibt es keine Vielheit (multitudo), die nicht von ihrer Einheit (unitas) abhängt, nichts in der Gesamtheit (universum), das nicht von einem quellenartigen Anfang sich ableitet; und wie in einem Heer jede einzelne Legion sich auf den

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non a sua unitate dependeat, nihil in universo, quod non ab uno quasi fontali capite derivetur; | et quemadmodum in exercitu legio quaelibet ad praefectum suum, totus exercitus ad unum refertur imperatorem, ita quaevis series rerum generis communione sibi consentiens habet suum principium, a quo deducitur, a quo fovetur, regitur et continetur; quae cum sint multa principia, quasi multiplex unitas ad simplicissimam unitatem primi principii postremo redigitur. 5. Est autem, quamadmodum omnis numerus quodammodo in unitate, tota civitas in rege, totus exercitus in imperatore, ita suo in principio sui quasi gregis virtus omnis atque perfectio. Verum quod in illa gregaria, ut ita dixerim, conditione divisum, mancum, infectum, interminatum est, viget in capite interminatae cuiusdam unitatis singulari complexu purum, efficax atque perfectum; quo fit, ut nihil consequentis corporis esse in capite et rursus in capite totum corpus esse dicatur. Ita, quod est primum inter ea, quae sunt, ineffabilis Deus, et nihil eorum est, quae sunt, et rursus omnia est eminentia quadam principalis naturae et omnimodae potestatis. 6. Corporeum ergo genus a quo principio dependebit potius quam a primo corpore loco et dignitate? Hoc autem est caelum. Vere igitur, quod dicebamus, caelum unitas erit omnium corporum, de quo negari possint omnia, quae sint corporum aliorum, et omnia etiam possint affirmari; negari quidem, quoniam quod in illis formatum varios habet fines, quod discretum, multiplex, imperfectum, in caelo nec characteres eos formae nec eam pariter habet diversitatem; affirmari, quod omnia illa simul non potestate materiae, sed virtutis amplitudine et originalis naturae sublimitate concludit. Quae si caeli natura est, certe nulli non caelestium venit nec ita existimandum, ut totum quidem caelum totam contineat perfection-

Font.: 7 quemadmodum – unitate ] cf. Arist. metaph. 7,11 1036b 17–20; Dion. Ar. div. nom. 2,11 (PG 3,649); 5,6 (PG 3,820) Sim.: 7 quemadmodum – unitate ] vide supra disp. 3,4; cf. ent. un. 4 p. 18

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jeweiligen Präfekten zurückbeziehen lässt, das ganze Heer aber auf seinen Feldherren, so hat jede Reihe von Dingen, die durch die Gemeinsamkeit der Gattung intern übereinstimmt, ihr Prinzip, auf das sie sich zurückführen lässt, von dem sie gestützt, geleitet und umschlossen wird; da es viele solcher Prinzipien gibt, wird die Einheit, sozusagen in vielfacher Form, schließlich auf die einfachste Einheit des ersten Prinzips zurückgeführt.268 5. Wie aber jede Zahl gewissermaßen in der Einheit enthalten ist, die ganze Stadt in ihrem König, das ganze Heer in seinem Feldherren, so ist auch jede Fähigkeit und Vollkommenheit einer Herde in ihrem Ursprung enthalten. Was aber in jenem sozusagen herdenhaften Zustand geteilt, gebrechlich, unvollendet und unbegrenzt ist, ist kräftig im Anfang einer unbegrenzten Einheit durch die einzelne Verknüpfung, ist rein, wirksam und vollendet; so geschieht es, dass, wie es heißt, nichts vom folgenden Körper im Anfang ist und andererseits der gesamte Körper in seinem Anfang ist. So ist auch das erste der seienden Dinge, der unaussprechliche Gott, durch ein gewisses Hervorragen seiner prinzipiellen Natur und vielgestaltigen Macht gleichermaßen nichts von den seienden Dingen und andererseits alles. 6. Von welchem Ursprung wird die Gattung der Körper folglich eher abhängen als von dem Körper, der seiner Lage und seiner Würde nach der erste ist? Das aber ist der Himmel. Folglich wird es wahr sein, was wir sagten, dass der Himmel die Einheit aller Körper sein wird, dem man alles absprechen kann, was zu den anderen Körpern gehört, und alles auch zuschreiben kann: Absprechen freilich, weil das, was in ihnen geformt ist und unterschiedliche Grenzen hat, was getrennt ist, vielfach und unvollkommen, im Himmel weder diese Formmerkmale hat noch im gleichen Maße diese Unterschiedlichkeit; zuschreiben aber, weil er alle diese Dinge zugleich nicht durch das Vermögen der Materie, sondern durch den Umfang seiner Kraft und die Erhabenheit seiner ursprünglichen Natur in sich einschließt. Wenn dies die Natur des Himmels ist, kommt sie gewiss keinem der nicht-himmlischen Körper zu, und man darf nicht glauben, dass zwar der gesamte

268 Also die Einheit des Prinzips, welches am weitesten in der Kausalkette von der Wirkung entfernt steht.

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Allegorica Pythagoricorum sententia

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em corporum inferiorum, pars vero partem – nullum id foret caeli privilegium – sed pars quaelibet caeli totus est mundus inferior, exceptis, quae in mundo sunt, sed non ex mundo. 7. Hoc Pythagorici significasse videntur allegorica quadam sua sententia, qua soliti affirmare totam hanc regionem sublunarem unam esse stellam et in qualibet caeli stella omnia esse, quae hac nostra regione visuntur. Sic in Luna tum quattuor elementorum, tum vallium esse montiumque discrimina, sed et stirpes et animantia, quaecumque apud nos sunt; ita in Venere, Mercurio reliquisque sideribus. Quo typo certe non aliud nobis declarant, quam quod astruere volebamus, nullam esse in caelo stellam, quae non ambiat totum, quod est sub Luna, alioquin illae caelesti natura non erunt, si non false suppositum atque probatum nihil verius dici naturam caelestem quam unitatem naturae corporeae, [tum] quod hoc fuerit caelo dignum privilegium, quod tanta vastitate et numero luminum innumerabili sublunaris demum angustiae bona complectatur. 8. Est igitur in virtute cuiuslibet stellae virtus omnis corporum caducorum nec hoc differunt diversarum stellarum virtutes, quod aliis aliae rebus praesint, cum praesint omnibus omnes; nec quae fuerit altior praestat inferiori latiore complexu, hoc est plurium rerum, sed nobiliore, eadem continens et quae continet inferior, sed unitius longe quam illa et eminentius. Videri potest hoc idem in mentibus

Font.: 4–6 Pythagorici – visuntur ] cf. Thdt. affect. 4,20 p. 105,13–15 R 6–8 in Luna – sunt ] cf. Plut. de fac. 21 pp. 5,439–444 B; Ps.-Plut. plac. phil. 2,30 pp. 5,314–315 B Sim.: 4–6 Hoc – visuntur ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. v tellectu ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. v App. crit.: 12 tum delendum putavi

668.15–670.2 Est igitur – in-

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Himmel die gesamte Vollkommenheit der Körper der unteren Welt enthalte, ein Teil des Himmels jedoch nur einen Teil (dies wäre kein Vorrecht des Himmels), sondern jeder beliebige Teil des Himmels stellt die gesamte untere Welt dar, ausgenommen das, was zwar in der Welt ist, aber nicht von dieser Welt stammt. 7. Dies scheinen auch die Pythagoräer gemeint zu haben mit einer ihrer allegorischen Aussagen, in der sie gewöhnlich bekräftigten, diese gesamte sublunare Gegend sei ein einzelner Stern und in jedem beliebigen Stern am Himmel sei alles, was man auch hier in unserer Gegend sehen könne. So gebe es auf dem Mond auch die vier Elemente, den Unterschied zwischen Tälern und Bergen, aber auch Pflanzen und alle Lebewesen, die es bei uns gibt, und ebenso auch auf Venus, Merkur und den übrigen Gestirnen. Durch dieses Bild wollen sie uns gewiss nichts anderes erläutern als das, was auch wir behaupten wollen, dass es keinen Stern am Himmel gibt, der nicht alles umfasst, was sich unterhalb des Mondes befindet, anderenfalls werden sie über keine himmlische Beschaffenheit verfügen, wenn nicht die Vermutung und der Beweis falsch sind, dass nichts mit größerem Anspruch auf Wahrheit als himmlische Natur bezeichnet werden kann, als die Einheit der körperlichen Natur, weil dies ein dem Himmel würdiges Vorrecht sein dürfte, dass er mit seiner enormen Größe und mit seiner nicht zählbaren Anzahl von Lichtern schließlich die Güter der beschränkten sublunaren Welt umfasst. 8. In dem Vermögen eines jeden Sterns befindet sich folglich das gesamte Vermögen der vergänglichen Körper und die Vermögen unterschiedlicher Sterne unterscheiden sich nicht darin, dass sie jeweils unterschiedlichen Dingen vorgesetzt sind, weil alle allen vorgesetzt sind; genauso wenig ist ein weiter oben befindlicher einem weiter unten befindlichen vorgesetzt auf Grund seines ausgedehnteren Einflussbereiches, dies bedeutet des Einflusses auf mehr Dinge, sondern durch seinen vornehmeren Einflussbereich, da er dasselbe beinhaltet, was auch der weiter unten befindliche beinhaltet, jedoch auf bei weitem vereintere und ausgezeichnetere

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separatis et animantium cognitione; nam sicut omne corpus a caelo, ita vis omnis cognitionis particeps pendet ab intellectu. 9. Intellectum voco non nostrum, qui ratio | dicitur, sed angelorum, quos philosophi mentes et intellectus vocant. Hic sibi superest ad intelligendum nec aliquid infra se nec in aliquo infra se inspicit, quod intelligit; non fallitur, non laborat. Et quod in omni genere cognitionis potestatibus variis distributum excellit, id unica potestate excellentius longe, quam sit in illis, possidet, in seipso veritatem conspicit tangitque praesentem certitudine sensus; habet apud se illam dilabentibus rebus imaginaria facultate, pervidet causas et species rerum tam corporeas quam incorporeas perspicacia rationali, non rationalis ille vel sensualis vel imaginarius, sed per intellectualem proprietatem nobiliore condicione, quod in illis perfectum est colligens, reicit quod imperfectum. 10. Est enim in nobis cognitio physica aliud a mathematica, mathematica aliud a divina; nam physicam ratio cum sensu consequitur, mathematicam cum phantasia, divinam cum mente et intellectu. Porro mentium nulla est etiam despicatissima, quae non omnem veritatem in suo lumine videat, quam nos illis scientiis artibusque vel attingimus certe vel anhelamus.

Font.: 4 mentes et intellectus ] cf. Dion. Ar. cael. hier. 2,1 (PG 3,137); div. nom. 7,2 (PG 3,868); Thom. Aq. summ.1 quaest.54, art.3 5 non fallitur non laborat ] Thom. Aq. summ.1 quaest.95, art.3 13–14 Est enim – divina ] cf. Arist. met. 5,1 1025b 3–1026a 32 App. crit.: 6 unica] unita O

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Weise als jener. Dasselbe Phänomen kann man auch in den von der Materie getrennten Geistern269 und in der Erkenntnisfähigkeit der beseelten Wesen erkennen; wie nämlich jeder Körper vom Himmel abhängt, so ist jede Kraft, die der Wahrnehmung fähig ist, vom Intellekt abhängig. 9. Als Intellekt (intellectus) bezeichne ich nicht unseren Intellekt, der Verstand (ratio) genannt wird, sondern den Intellekt der Engel, den die Philosophen auch Geist und Intellekt (mentes et intellectus) nennen. Er ist sich selbst vorgesetzt, um zu erkennen, und erblickt weder irgendetwas unterhalb von sich selbst noch in irgendeinem unterhalb von ihm gelegenen Körper etwas, was er erkennt; er täuscht sich nicht und müht sich nicht ab. Und was in jeder Art von Erkenntnis auf unterschiedliche Vermögen aufgeteilt ausgezeichnet hervortritt, das besitzt er in seinem einzigartigen Vermögen auf weit ausgezeichnetere Weise, als es in jenen vorhanden ist, er erblickt in sich selbst die Wahrheit und berührt sie wie eine Anwesende durch die Gewissheit seines Sinnes; er behält sie durch sein Einbildungsvermögen bei sich, während die Körper zerfallen, durchschaut die Ursachen und Gestalten der Dinge, sowohl die körperlichen als auch die nicht-körperlichen, durch die Scharfsicht seines Verstandes, da er nicht zum Verstand gehört oder zur sinnlichen Wahrnehmung oder zur Vorstellung, sondern durch seine übersinnliche Eigenschaft und mithilfe seines vornehmeren Zustandes sammelt er das, was an ihnen vollkommen ist, und weist das zurück, was unvollkommen ist. 10. Die physikalische Erkenntnis ist bei uns nämlich etwas anderes als die mathematische, die mathematische eine andere als die theologische; denn die physikalische Erkenntnis bewirkt der Verstand mit der sinnlichen Wahrnehmung, die mathematische mit der Einbildungskraft, die theologische mit Geist und Intellekt. Folglich gibt es unter den geistigen Wesen keines, auch nicht das verachteteste, das nicht die gesamte Wahrheit in seinem Licht sieht, die wir mit diesen Wissenschaften und Künsten entweder gewiss berühren oder aber zumindest nach ihr lechzen. 11. Nun denn, wir wollen dies also mit den körperlichen Dingen vergleichen. Es befinden sich in uns diese Künste und Wissenschaften, es befinden sich in der ge-

269 Gemeint sind diejenigen Lebewesen, die nicht aus Materie und Geist zusammengesetzt sind, sondern lediglich aus Geist (bzw. Seele) bestehen; dazu zählen – neben der menschlichen Seele – insbesondere Engel und Dämonen: vgl. z.B. die Erklärung des Thomas von Aquin in seiner Quaestio de anima (arg. 17): Substantiae enim separatae dicuntur Angeli et Daemones, in quorum societatem deputantur animae hominum separatae, bonorum vel malorum.

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11. Eia igitur comparemus ista corporeis: sunt in nobis hae artes atque scientiae, sunt in tota cognoscente natura varia genera cognitionum, id quod in corporum turba diversarum virtutum varia privilegia. Est omnis cognitio participatio quaedam luminis intellectualis, est corporea omnis virtus participatio quaedam facultatis caelestis, quamquam sicut illa evidentius in ratione, ita perfectius haec elucet in spiritu cordis. 12. His ita positis, agite, videamus an recte dixerit quispiam, si de mentibus illis defluant intellectuales radii, alios fore, qui physicos faciant, non mathematicos, alios mathematicos, non divinos, alios divinos potius quam physicos vel mathematicos. Atque ita haec lux erit, ut ista studia, penes naturae diversitatem mentium spirantium, non a radiorum ab eadem mente suo ita consilio voluntateque proficiscientium. 13. Puto rectius sentiet, qui nihil esse credat huiusmodi, quod et largiter dare quaevis illarum non possit et quae non sua quidem, more siderum, libertate donet, sed natura; et si contingit, ut hoc potius inde, quam illud munus excipiatur, non ad dantem in omnia aeque liberalem, sed ad captum accipientis conditionemque dicat esse referendum. Quodsi, quemadmodum diximus, ita se habet stella ad corruptibile corpus, quod ad nostrum attinet hoc propositum, sicut mens ad defectibilem cognitionem, pariter erit dicendum posse stellam quamlibet ex se dare, quicquid corpus subditum, quodcumque sit illud, accipere natum est; ut iam afflatus occulti diversitatem, non afflantis stellae, quod astrologus putat, sed afflatae materiae diversitas faciat.

App. crit.: 1 Eia] Eya W quod

hae] haec Garin

11 diversitate addidi

14 quae] fort. scribendum

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samten erkennenden Natur unterschiedliche Arten von Erkenntnis – das sind in der Schar der Körper die unterschiedlichen Vorrechte der unterschiedlichen Kräfte. Jede Erkenntnis ist eine gewisse Teilhabe am geistigen Licht und jedes körperliche Vermögen ist eine gewisse Teilhabe an der himmlischen Fähigkeit, obschon jene Erkenntnis zwar offensichtlicher in der Vernunft zu Tage tritt, das körperliche Vermögen aber vollkommener im Lebenshauch des Herzens. 12. Wohlan! Nach diesen Bestimmungen wollen wir prüfen, ob jemand Recht damit hat, dass, wenn die geistigen Strahlen (radii intellectuales) aus jenen geistigen Wesen herabfließen, es einige gebe, die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Physik bewirken, nicht aber der Mathematik, andere auf dem Gebiet der Mathematik, nicht aber der Theologie, wieder andere hingegen eher auf dem Gebiet der Theologie als der Physik oder Mathematik. Und dieses Licht wird so, wie jene Wissenschaften es sind, abhängig sein von der unterschiedlichen natürlichen Beschaffenheit der einhauchenden Geister, nicht aber von der Unterschiedlichkeit der Strahlen, die von ein und demselben Geist ausgehen durch dessen eigene Absicht und Willen. 13. Derjenige wird, denke ich, eher Recht haben, der an nichts Derartiges glaubt, was ein jeder von diesen Geistern nicht großzügig geben kann und was er nicht nur, wie die Sterne, durch seine Freigiebigkeit vergibt, sondern durch seine Natur. Wenn es aber geschieht, dass von dort die eine Gabe empfangen wird und nicht eine andere, so kann er sagen, dass das nicht auf einen Geber zurückzuführen sei, der bei allen gleichermaßen freigiebig ist, sondern auf das Fangvermögen des Empfängers und dessen Beschaffenheit. Wenn sich aber ein Stern, wie wir sagten, dermaßen zum vergänglichen Körper verhält – was sich wiederum auf unsere Vorüberlegung bezieht – wie der Geist zur fehlerhaften Erkenntnis, wird man gleichermaßen behaupten müssen, dass jeder beliebige Stern aus sich heraus alles geben kann, zu dessen Aufnahme der ihm untergebene Körper bestimmt ist, was für ein Körper auch immer es ist; daher bewirkt nicht die unterschiedliche Beschaffenheit des einwirkenden Sterns die Unterschiedlichkeit der verborgenen Einflüsse, wie die Astrologen glauben, sondern die unterschiedliche Beschaffenheit der beeinflussten Materie. 14. Ich sprach von ›verborgenem Einfluss‹, da das Wirken des Himmelskörpers durch Licht und Hitze gemäß der qualitativen Zu- und Abnahme der Strahlen un-

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14. Dixi ›afflatum occultum‹, quoniam sideris actio per lumen atque calorem pro intentione remissioneque radii potest esse diversa, quod superius explicavimus, sed in occultis istis proprietatibus, per quas ipsa se, quasi stella, propagat effunditque suas, ut ita dixerim, species et imagines, sicut illa non apparet intentio atque remissio, ita nec ullam agendi diversitatem ponere persuademur. 15. ›At‹, inquies, ›virtus Iovis et species ista diffusa diversa est certe a virtute Saturni.‹ Fateor, sed non propterea diversam rem effecturam, cum nulla sit res in sublunari mundo, quam non utravis facere possit. | Quaenam igitur actionis diversitas? Facit utraque idem, sed alia idem facit alio modo, nobiliore nobilior et eminentiore. Quamquam nescio, si de istis virtutibus ita statuamus, an efficacior forsitan in nos virtus inferior, non quia loco proximior, sed quia naturae cognatior; sed alterius operis haec inquisitio. 16. Hic tantum asserimus, si praeter lumen atque calorem sua cuique sideri proprietas concedatur, ita defendi posse omnes universales, ut nullam faciant ex se diversitatem inferiorum. Possemus tamen concedere vim aliquam particularem illis contrahentes scilicet sideream potestatem atque ita concedere, ut nihil hoc tamen adiuvaret astrologos, ut, si omnes quidem stellas in omnibus semper idem operari, sed non omnia in omnibus concedamus, verum aliud aliam ad hoc exemplum: 17. Constant corpora quaelibet ex materia et forma; putet igitur aliquis ita se rem habere, ut quae attinent ad materiam tria minora sidera faciant, Luna, Venus atque Mercurius, divisis officiis, ut materiam ipsam Luna regat, ad formam vero disponatur a Venere et Mercurio: a Venere per quantitatem, dum fit ordo, figura,

App. crit.: 4 sicut] sicut ut Garin intentio] intensio Garin 6 Tit. Obiectio add. BP 9 Tit. Solutio add. BP 16 potestatem] potestantem Garin 20 Tit. Similitudo add. BP 23 fit] sit Garin

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terschiedlich sein kann, wie wir weiter oben erklärten, aber bei jenen verborgenen Eigenschaften, durch die sich jenes Wirken sozusagen wie ein Stern selbst weiter fortsetzt und, wenn man so sagen darf, seinen Schein und sein Abbild verbreitet, ist jene Zu- und Abnahme nicht sichtbar und man kann mich auch nicht davon überzeugen, irgendeinen Unterschied im Wirken zu postulieren. 15. ›Aber‹, so wirst du einwenden, ›die Kraft des Jupiter und jener verbreitete Schein sind sicherlich verschieden von der Kraft des Saturn.‹ Das will ich zugeben, aber nicht deswegen auch, dass sie eine unterschiedliche Wirkung hervorrufen würde, da es in der sublunaren Welt nichts gibt, was nicht beide gleichermaßen bewirken könnten. Um was für einen Unterschied des Wirkens handelt es sich also? Beide bewirken dasselbe, aber eine jede bewirkt dasselbe auf unterschiedliche Weise, die vornehmere auf vornehmere und ausgezeichnetere Weise. Indessen weiß ich nicht, ob, wenn wir dies über diese Kräfte feststellen, vielleicht die Kraft des unteren Planeten größere Wirkung auf uns ausübt, nicht weil er uns was den Ort angeht näher ist, sondern weil er unserer Natur verwandter ist; doch diese Frage gehört zu einem anderen Werk. 16. Hier behaupten wir lediglich, dass, wenn einem jeden Himmelskörper außer seinem Licht und seiner Hitze eine eigene Eigenschaft zugesprochen wird, die Verteidigung so lauten könnte, dass sie alle so universell sind, dass sie aus sich heraus keinen Unterschied der unteren Dinge bewirken können. Dennoch könnten wir ihnen irgendeine spezielle Kraft zugestehen, indem wir die Kraft der Gestirne begrenzen würden, und so zugestehen, dass dies dennoch den Astrologen keine Hilfestellung leistet, sodass wir, wenn wir zugestehen, dass alle Gestirne bei allen immer dasselbe bewirken, nicht gleichzeitig auch zugestehen, dass alle bei allen alles bewirken, sondern ein jeder etwas anderes, wie folgendes Beispiel erläutert: 17. Alle beliebigen Körper bestehen aus Materie und Form; folglich könnte jemand denken, die Sache verhalte sich so, dass die drei kleineren Gestirne, Mond, Venus und Merkur, das bewirken, was sich auf die Materie bezieht, wobei sie ihre Aufgaben so aufgeteilt haben, dass der Mond die Materie selbst beherrscht, dass sie aber von Venus und Merkur für die Form vorbereitet wird: von Venus durch die Quantität, indem Ordnung, gute Figur, Zusammensetzung und gebührliche Zierde in den Teilen bewirkt wird; von Merkur aber durch die Qualität, da er durch seine formbare Beweglichkeit der empfangenden Form entsprechendes Begehren

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compositio, decor debitus in partibus; a Mercurio per qualitatem, dum formabili mobilitate suscipiendae formae congruas induit affectiones. Atqui sunt formae manentis a superioribus tribus stellis in hunc modum, ut, quod forma sit, habeat a Saturno, quod det esse et vitam his, quae vivunt, a Iove, quod moveat intus excitetque ad operandum, a Marte. Quod autem se res quaelibet ipsa diffundat et per diffusionem notificet atque propaget, ad Solem potissimum referetur, cuius esse videatur opera tam materiam vincere, de qua sibi simile parit, quam et generatio ipsa et manifestatio. 18. Quodsi igitur differrent opera planetarum, quod et ultro concedimus non ratione, non fide experimentorum, non auctoritate Platonis Aristotelisve coacti, esset tamen tunc quoque omnis diversitas rerum inferiorum non a caelo, sed a causis inferioribus, agente illo, quod est suum, semper in omnibus eodem modo sed opere variato, tum a proximis causis, tum a dispositione materiae. Particulares

App. crit.: 2 Atqui BB BP : Atque Ω 4 vitam] vita Garin 5 se] si C 7 opera tam αRCF : operatam VWO quam] qua O 9 Quodsi scripsi : Quid si ΩGarin 11 tunc om. O omnis] vis RC 13 a1 ] ad RC

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anlegt. Gleichwohl sind die Formen, die von den oberen drei Sternen fließen, dergestalt, dass der Körper das, was die Form darstellt, von Saturn hat, dasjenige, was den Lebenden das Sein (esse) und das Leben gibt, von Jupiter, was von Innen heraus in Bewegung versetzt und zur Tätigkeit anregt, von Mars. Dass sich aber ein jeder Gegenstand selbst ausbreitet und durch seine Ausbreitung bekannt macht und weiter verbreitet, wird man vornehmlich der Sonne zuschreiben, deren Aufgabe es ebenso zu sein scheint, die Materie zu besiegen, aus der sie etwas ihr Ähnliches zeugt, als es auch die Zeugung an sich und der Vorgang der Erkennbarwerdung sind. 18. Wenn also die Werke der Planeten sich unterschieden, was wir auch gerne freiwillig zugestehen weder durch eine Argumentation noch durch die Glaubwürdigkeit der Empirie oder durch die Autorität von Platon oder Aristoteles gezwungen, würde dennoch auch dann jede Unterschiedlichkeit der Dinge der unteren Welt nicht vom Himmel abhängen, sondern von den unteren Ursachen, wobei er auf alle, wie es seine Art ist, immer auf dieselbe Weise wirkt, aber mit unterschiedlicher Wirkung, beeinflusst entweder von den nächsten Ursachen oder der Beschaffenheit der Materie. Von gewissen noch individuelleren Kräften bei den Sternen auszugehen,‡ noch dazu, da auch jene nicht allgemein sind,‡ davon kann

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magis quam virtutes in sideribus ponere, ‡quando nec istas universales‡, nulla ratio persuadet; posset de quibusdam aliter suspicari sine piaculo et cum doctorum etiam auctoritate, non nego; sed, quod sequens liber ostendet, si quae huiusmodi, nec sunt illae, quas astrologi dicunt, nec illis afficimur eo modo, quo credunt.

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Caput XXVI – Epilogus huius libri cum reiectione quarundam rationum astrologorum in ipsos argumentantes.

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1. Examinavimus naturales omnes mutationes rerum inferiorum, quaecumque caeli opera esse videntur, nam de fortuitis hominum casibus in quintae rationis solutione dicemus, nec repertum in illis, quod faveret astrologis, sed occasio data potius multa obiciendi, ut sit, quod eos anagyrin istam commovisse paeniteat. 2. Etenim quid colligimus inde aliud, quam radiis luminarium affici corpora sublunaria? Sed nec alia affectione quam caloris nec alterius caloris quam vitalis, nec cuius actio aliter immutaretur quam pro situ sideris vel ex propinquo vel e directo nos magis irradiantis. Ex his principiis omnium effectuum reddidimus rationem, quoscumque fide experientiae in testimonium sui dogma | tis afferebant; in qua reddenda non confirmari astrologiam ex illis observationibus, sed infirmari patebat et, quid illi vel fallerent vel fallerentur, ubique detegebatur.

Font.: 11 anagyrin – commovisse ] cf. Aristoph. Lys. 68; Lib. ep. 78,6 p. 80,15 F quando – universales] locus deperditus (fort. App. crit.: 1 quasdam scripsi : quam ΩGarin scribendum istae) 3 si quae α : sique βO 4 illae] illi RC 11 anagyrin αVWRC : αναγυριν F : ἀνάγυριν O 14 e] ex FGarin 15 reddidimus] reddimus WOGarin

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kein logisches Argument überzeugen; sicherlich könnten gewisse Leute anderer Ansicht sein, ohne dafür büßen zu müssen, und das sogar mit der Autorität gelehrter Männer auf ihrer Seite, das streite ich nicht ab; wenn es aber, was das folgende Buch zeigen wird, derartige Einflüsse gibt, sind es weder die, die die Astrologen behaupten, noch werden wir von ihnen auf die Weise, auf die sie glauben, beeinflusst.

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Kapitel 26 – Epilog dieses Buches mit der Zurückweisung gewisser Argumente der Astrologen, wobei wir gegen sie selbst Argumente anführen. 1. Wir haben nun alle natürlichen Veränderungen der Dinge der unteren Welt untersucht, die das Werk des Himmels zu sein scheinen, denn über die zufälligen Schicksalsschläge der Menschen werden wir bei der Lösung des fünften Argumentes sprechen, und wir konnten darunter nichts finden, was die Astrologen stützen würde, sondern vielmehr wurde uns die Gelegenheit gegeben, ihnen vieles entgegenzuhalten, sodass es Anlass für sie gibt zu bereuen, dass sie die schlafenden Hunde geweckt haben. 2. Was lässt sich nämlich anderes daraus schließen, als dass auf die sublunaren Körper durch die Strahlen der Leuchtkörper eingewirkt wird? Aber durch keine andere Wirkweise als durch die Wirkung der Hitze, und zwar keiner anderen Hitze als der lebensspendenden, deren Tätigkeit sich nicht anders ändert als entsprechend der Lage des Himmelskörpers, der uns entweder aus der Nähe oder aus dem rechten Winkel heraus in höherem Maße anstrahlt. Anhand dieser Prinzipien haben wir Aufschluss gegeben über alle Wirkungen, die sie im Vertrauen auf die empirische Erfahrung als Beleg für ihre Lehre anführten; hierbei wurde deutlich, dass die Astrologie anhand dieser Beobachtungen nicht gestärkt werden kann, sondern geschwächt, und es konnte allenthalben offengelegt werden, in welcher Hinsicht jene entweder täuschen oder sich täuschen.

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Argumentum astrologorum

Aliud argumentum Retorquet primum

Hyppocrates

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3. Sic falso apparuit credi ab illis vim Solis exsiccatricem aut Lunae parum salubriter humectatricem et frigidam; falso fingi in Luna vim occultam praeter motum et lumen, quae mare revocet et effundat; falso noxa partus octimestris reum fieri Saturnum; falso signis ascribi quasi virtutis potestatisque diversae, quod pro situs tantummodo varietate Solis radius operatur; falso crisimos dies et periodos febrium ad Lunae motus vel aliorum siderum referri. Denique tantum abfuit, ut ex istis a Sole Lunaque mutationibus argumentum sumeretur ad fidem decretorum astrologiae, ut inde in suspicionem falsitatis non mediocriter adducatur. 4. Ita enim argumentabatur: ›Sub Luna si quis cubet, membra occupat torpor et cum ea echini simul implentur: frigefacit igitur et humefacit; Solem torridum sensus attestatur: igitur siccum.‹ 5. Nos e diverso sic instamus: ›Luna implet echinos: igitur calida est‹; demonstravimus haec ex Aristotele. ›Stupent frigore dormientes sub ea: igitur calida est‹; declaravimus hoc aperta ratione, quo pacto scilicet id eveniat. ›In plenilunio favet conceptibus, alit corpora, crescens roborat, vegetat: igitur calida est‹; probavimus ex Hyppocrate, ex evidentia ipsa. 6. De Sole pariter appellamus ad experientiam, qua patet illius radiis spiritum vitae omnem vivificari. Id vero non est siccae potestatis, sed salubriter calidae.

Sim.: 1–3 Sic falso – effundat ] cf. Bellant. resp. disp. 3,26 fol. v 9–11 Ita enim – siccum ] cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. v Sub Luna – torpor ] cf. disp. 3,6 10 cum ea – implentur ] cf. disp. 3,6 12–13 Luna – Aristotele ] cf. disp. 3,6 13–14 Stupent – eveniat ] cf. disp. 3,6 14–16 In plenilunio – ipsa ] cf. disp. 3,6; 3,12; cf. Bellant. resp. disp. 3,25 fol. v 680.17–682.2 De Sole – Sol ] cf. disp. 3,6 noxae scripsi coll. Liv. 5,47,10 : noxa ΩGarin 10 simul] App. crit.: 3 effundat] effundet Garin similiter O 12 instamus] expectes institimus

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3. So erwies es sich, dass jene fälschlicherweise glauben, die Sonne habe eine austrocknende Kraft oder der Mond besitze über eine zu wenig gesundheitsförderliche Feuchtigkeit und Kälte; dass sie sich fälschlicherweise am Mond eine verborgene Kraft ausdenken abgesehen von Bewegung und Licht, die die Meere sich zusammenziehen und ausbreiten lasse; dass Saturn fälschlicherweise bezichtigt wird, schuld zu sein an der Achtmonatsgeburt; dass den Zeichen fälschlicherweise das sozusagen als Merkmal ihrer unterschiedlichen Kraft und Wirkung zugeschrieben wird, was lediglich die Strahlen der Sonne je nach unterschiedlicher Lage bewirken; dass fälschlicherweise die kritischen Tage und die Perioden der Fieber auf die Bewegungen des Mondes oder anderer Sterne zurückgeführt werden. Schließlich fehlte so viel, dass man aus diesem von Sonne und Mond ausgehenden Wandel ein Argument zur Bekräftigung der Lehre der Astrologie hätte schöpfen können, dass man davon ausgehend in nicht geringem Maße zu der Vermutung gelangen musste, dass diese falsch sei. 4. Folgendermaßen lautete nämlich die Argumentation: ›Wenn jemand unter dem Mond schläft, befällt kalte Bewegungslosigkeit (torpor) seine Glieder und zeitgleich mit dem Mond füllen sich die Seeigel: folglich bewirkt er Kälte und Feuchtigkeit; dass die Sonne hingegen sengend ist, bezeugt die sinnliche Wahrnehmung: folglich ist sie trocken.‹ 5. Wir hingegen halten im Gegenteil folgendermaßen dagegen: ›Der Mond füllt die Seeigel an: also ist er heiß‹; bewiesen haben wir dies mit Aristoteles. ›Diejenigen, die unter ihm schlafen, werden bewegungslos vor Kälte: folglich ist er heiß‹; belegt haben wir das mittels offensichtlicher Argumentation, auf welche Weise dies geschieht. ›Bei Vollmond unterstützt er die Empfängnis und nährt die Körper, bei Zunahme kräftigt er und stärkt: folglich ist er heiß‹; dies haben wir anhand von Hippokrates und anhand offenbarer Richtigkeit selbst bewiesen. 6. Was die Sonne betrifft, berufen wir uns gleichermaßen auf die Erfahrung der Realität, durch die klar ist, dass durch ihre Strahlen jeder Lebensgeist belebt wird; dies aber ist kein Merkmal ihres trockenen Vermögens, sondern ihrer heilsamen heißen Kraft. Es war auch nicht schwierig zu erklären, wie sogar die Sonne auch zufällig (ex accidenti) entweder austrocknet oder versengt, ja sogar Kälte bewirkt, der Mond hingegen als Ursache von Kälte und Feuchtigkeit bezeichnet werden

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Nec difficile fuit declarare, quo pacto, vel ex accidenti, vel siccet vel exurat, immo frigefaciat etiam Sol, Luna frigoris et humoris causa esse dicatur, licet sidus utrumque vivifici tantum luminis et caloris sua natura sit auctor. Sic item colligebant: ›Videmus a Sole et Luna manifesto nostra corpora permutari, nec igitur de aliorum siderum influxibus dubitandum est.‹ 7. At hoc ipsum de aliis nos in dubium trahit, quod de Sole Lunaque videmus, quod scilicet ab eis ita corporum dispositiones variari deprehendimus, ut reliquas stellas asymbolas potius iudicemus quam in partes operis advocatas, siquidem Lunae lumine decrescente semper humiditas in corporibus attenuatur, augescit semper illa crescente. 8. Cur igitur, si, quod putant astrologi de aliorum siderum efficientia, verum est, cur, inquam, non interdum humidi planetae, cum dominantur, iacturam luminis lunaris farcientes humiditates non augent, ut liceat nobis aliquando siderum

Font.: 682.13–684.1 liceat – cenitare ] cf. Gell. 20,8,3–5 Sim.: 3–5 Sic item – dubitandum est ] cf. disp. 3,10 App. crit.: 2 causa] causam Garin 8 asymbolas] a symbolas WC 12 humidi BP (manu altera?) : humili αβO : humiles Garin

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kann, mögen auch beide Himmelskörper durch ihre Natur lediglich Urheber von lebensspendendem Licht und Hitze sein. Denn sie zogen folgenden Schluss: ›Wir können sehen, wie sich unsere Körper unter der Einwirkung von Sonne und Mond offensichtlich verändern; folglich kann auch kein Zweifel am Einfluss der anderen Himmelskörper bestehen.‹ 7. Genau dies jedoch lässt uns auch an den anderen zweifeln, was wir an Sonne und Mond sehen, nämlich die Erkenntnis, dass, wie wir erkennen, die körperlichen Anlagen so sehr von ihnen verändert werden, dass wir eher glauben, die übrigen Gestirne würden dazu keinen Beitrag leisten, als dass sie zu Teilen des Werkes ihren Beistand leisteten, weil ja bei abnehmendem Mondlicht immer auch die Feuchtigkeit in den Körpern sich vermindert, bei zunehmendem hingegen immer sich vermehrt. 8. Warum also, wenn das wahr ist, was die Astrologen über die Wirkung der anderen Gestirne glauben, warum, frage ich, gleichen nicht bisweilen die feuchten Planeten, wenn sie die Herrschaft ausüben, den Verlust des Mondlichts aus und vermehren die Feuchtigkeit, sodass es uns zu irgend einer Zeit erlaubt ist, durch die Wohltat der Sterne auch bei Neumond saftreiche Austern zu speisen? Warum trocknet im Gegenzug niemals die Trockenheit von Saturn und Mars bei Vollmond die Körper aus und verteidigt geschlagenes Holz gegen Fäulnis, wenn sie nach den Regeln der Astrologie das Recht über den Himmel beanspruchen?

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beneficio etiam in novilunio succulentas ostreas cenitare? Cur invicem illa plena numquam Saturni siccitas atque Martis ius caeli pro legibus astrologicis usurpantium corpora desiccat et caesa ligna defendit a carie? 9. Potius ergo favent observationes istae tollentibus potestatem planetarum quam astruentibus, sicut et his potius, qui signis efficaciam nullam tribuunt quam qui plurimam; alioquin cum a Luna movetur mare, sicut volunt nec ipsi negamus, cur in aquaticis signis posita non plus movet quam in igneis nec minus in siccis denique quam in humidis? Aut cur Luna non facit uberiores accessus humidis iuncta planetis quam exsiccantibus? Et quomodo, si vera, quae praedicunt de duodecim locis, quas appellant domos, quomodo illud consonat, quod ab ortu scandens Luna, quo plus summo propinquat, fortius agit in oceanum atque ita fortius ex XII. loco quam ex horoscopo, quo tamen loco languere fierique imbecillimam omnium siderum | potestatem affirmant?

Font.: 3 caesa – carie ] cf. Cic. div. 2,33 App. crit.: 1 succulentas ostreas] succulenta ostrea Garin 6 cum OGarin : eum αβ facet Garin 11 fortius] expectes eo fortius XII. αβ : 12. O : duodecimo Garin

8 facit]

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9. Diese Beobachtungen stützen also eher jene, die die Macht der Planeten aufheben wollen, als diejenigen, die sie zu errichten versuchen, sowie auch eher diejenigen, die den Sternbildern alle Wirkung absprechen, als diejenigen, die ihnen höchste Wirkung zuerkennen; anderenfalls, wenn das Meer vom Mond bewegt wird, was sie wollen und auch wir selbst nicht leugnen, warum bewegt er es nicht mehr, wenn er in wässrigen Zeichen steht, als wenn er in feurigen steht? Oder warum bewirkt der Mond nicht reichere Flut, wenn er mit feuchten Planeten einen Aspekt bildet, als mit trockenen? Und wie passt es, wenn sie die Wahrheit vorhersagen anhand der zwölf Orte, die sie Häuser nennen, damit zusammen, dass der Mond, wenn er sich vom Aufgangspunkt erhebt, umso stärker auf den Ozean einwirkt, je näher er dem Gipfelpunkt kommt, und daher umso heftiger vom zwölften Ort aus wirkt als vom Aufgangspunkt (horoscopus), obschon sie doch behaupten, dass an diesem Ort die Kraft aller Sterne darniederliege und am schwächsten sei?

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10. Potius igitur stant nobis contra illos ista experimenta, quam ut contra fidem astrologorum opinionibus arrogent, nisi, quemadmodum dicebat Phavorinus, ut supra etiam tetigimus, quia oceanus, quasi Lunae comes, cum ea simul senescit adolescitque, putant argumentum esse ad persuadendum omnium rerum humanarum et parva et maxima, tamquam stellis atque sideribus evincta, duci atque regi. Sed longe dispar atque, ut idem astrologos ludens iactabat, nimis quam ineptum et absurdum est, ut, quoniam aestus oceani cum Lunae curriculo congruit, negotium quoque alicuius, quod ei forte de aquae ductu cum rivalibus apud iudicem est, existimemus ipsum quoque quasi habena quadam de caelo vinctum gubernari.

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Caput XXVII 1. Reliquum, ut postremam argumentationem dissolvamus petitam ab eventis humanis, in quibus alia ita vires nostras excedant aut praeter meritum et rationem eveniant, ut decreti fatalis et caelestis potentiae vim astruere videantur. Hoc nos ita solvemus ad praesens, ut ostendamus habere suas causas haec omnia satis apud nos nec apparere quicquam in omnibus, quod auctorem caelum desideret, hoc est nihil in cursu rerum esse humanarum, unde suspicio nasci debeat facta hominum fatis regi et gubernari. Nam per initia quidem libri sequentis non solventes iam, sed arguentes haec imprimis caelitus nullo modo fieri posse docebimus, in quibus istam vim fati agnoscere sibi isti videntur.

Font.: 2–10 Phavorinus – gubernari ] cf. Gell. 14,1,3–4 App. crit.: 4 adolescitque] aloscitque VRF persuadendum] fort. scribendum suadendum (cf. Gell. 14,1,3) omnium] omnia Gell. 14,1,3 5–6 atque] et Gell. 14,1,3 6 nimis quam correxi coll. Gell. 14,1,4 : nimisque ΩGarin 7 ineptum] imepetum G (corr. Gc ) et absurdum] absurdumque Gell. 14,1,4 quoniam correxi coll Gell. 14,1,4 : quantum ΩGarin 9 ipsum] id negotium Gell. 14,1,4 vinctum BB BP Garin (cf. Gell. 14,1,4) : victum αβO 14 astruere] adstruere OGarin

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10. Folglich stehen diese Erfahrungen eher auf unserer Seite gegen sie, als dass sie im Gegenteil den Meinungen der Astrologen Glauben verschaffen, es sei denn sie glaubten, wie Favorinus sagte, wie wir oben bereits erwähnten, dass, weil der Ozean zusammen mit dem Mond, als sein Begleiter sozusagen, zu- und abnimmt, dies ein überzeugendes Argument dafür sei, dass alle menschlichen Dinge, die kleinen wie die größten, sozusagen an die Sterne und Sternbilder gebunden seien und durch sie gelenkt und geleitet würden. Dies aber ist bei weitem etwas anderes und, wie er ebenfalls die Astrologen verspottend behauptete, mehr als albern und abwegig, dass wir, weil die Gezeiten des Meeres mit dem Lauf des Mondes zusammenfallen, zu dem Glauben kommen, dass auch der Rechtsstreit eines beliebigen Mannes, den er zufällig mit Mitberechtigten über eine Wasserleitung vor Gericht führt, dass also auch dieser Rechtsstreit vom Himmel gelenkt werde, an den er mit einer Art Fessel gekettet sei.

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Kapitel 27 1. Es ist noch übrig, dass wir die letzte Argumentation entkräften, die von den menschlichen Ereignissen ausgeht, bei denen manche Dinge unsere Kräfte so sehr überschreiten oder ohne Rücksicht auf Verschulden und Verstand geschehen, dass sie die Kraft von schicksalhaften Entscheidungen und der Macht des Himmels zu stützen scheinen. Dies werde ich zum jetzigen Zeitpunkt so lösen, dass ich zeige, dass dies alles seine Ursachen zur Genüge bei uns findet und bei alledem nichts in Erscheinung tritt, was den Himmel als Urheber verlangte, mit anderen Worten, dass es nichts gibt im Lauf der menschlichen Dinge, aus dem die Vermutung entstehen könnte, die Taten der Menschen würden vom Schicksal gelenkt und gesteuert. Denn zu Beginn des folgenden Buches, wo ich nicht mehr nur andere

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Quare Aristoteles consumatus philosophus

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2. Ea vero denique duo sunt, magna videlicet atque mala. Dicamus primum de magnis; vel ad animum pertinent ista vel ad externa. Sic enim nobis et Alexandri felicitatem et praeceptoris ingenium ac doctrinam obiectabant. Incipiamus igitur ab his, quae ad animum pertinent: 3. Admiraris in Aristotele consummatam scientiam rerum naturalium; ego tecum pariter admiror. ›Causa caelum est‹, inquis, ›et constellatio, sub qua natus est.‹ Non accedo non tam vulgata ratione, quod nati eodem astro multi non fuerunt Aristoteles, quam quod praeter caelum, sub quo tamquam causa universali et Boeotiae sues et philosophi Attici pariter germinant, causae proximae sunt, Aristoteli propriae et peculiares, ad quas singularem eius profectum referamus. 4. Primum utique, ut ille inquit, sortitus est animam bonam et hanc utique non a caelo, siquidem immortalis et incorporeus animus, quod ipse demonstravit nec astrologi negant. Tum sortitus est corpus idoneum, ut tali animae famularetur; nec hoc etiam a caelo, nisi tamquam a communi causa, sed a parentibus. Elegit philosophari: hoc et principiorum opus, quae diximus, hoc est animi et corporis, et sui arbitrii fuit. Profecit in philosophia: hic arrepti propositi et suae industriae fructus. At plus quam philosophantes multi pari studio atque labore: fuit in causa doctrina praeceptoris et felicitas saeculi, in quo editus, veterum pleni monumentis, sed non exactis, ne et labor non adesset incohandi et perficiendi bonas artes materia non deesset. At profecit plus longe quam coaetanei et quam discipuli: sortitus

Font.: 2–3 Alexandri – obiectabant ] cf. Sext. Emp. adv. math. 5,89 7–8 vulgata – Aristoteles ] cf. Cic. div. 2,95; Sext. Emp. adv. math. 5,89 11 sortitus est animam bonam ] cf. Vulg. [sap.] 8,19; Aug. gen. ad litt. 10,7 pp. 303, 16–304,19 12 immortalis – animus ] cf. Aug. gen. ad litt. 7,28 p. 228,4–21 Sim.: 1–4 Dicamus – pertinent ] cf. rer. praen. 5,5 p. 531 6–10 Causa – referamus ] cf. rer. praen. 5,5 p. 531 688.11–690.2 Primum utique – a caelo ] cf. rer. praen. 5,5 pp. 531–532 App. crit.: 5 Tit. consummatus correxi : consumatus ω consummatam COGarin : consumatam αVWRF 9 Attici scripsi : actici ΩGarin 17 pari studio atque labore om. Garin

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widerlegen, sondern eigene Argumente anführen werde, werde ich zeigen, dass diese Dinge vor allem keinesfalls vom Himmel aus geschehen können, anhand derer sie scheinbar jene Macht des Schicksals für sich selbst anerkennen. 2. Dies sind überhaupt nur zweierlei Arten von Ereignissen, nämlich bedeutende und schlimme. Wir wollen nun zuerst von den bedeutenden Ereignissen sprechen; sie beziehen sich entweder auf das innere Gemüt oder auf außenliegende Dinge. Auf diese Weise nämlich hielten sie uns den Erfolg Alexanders des Großen und den Verstand und die Gelehrsamkeit seines Lehrers entgegen. Wir wollen folglich mit dem anfangen, was das innere Gemüt betrifft: 3. Du bewunderst an Aristoteles sein vollendetes Wissen in den Naturwissenschaften; ich bewundere es gleichermaßen mit dir zusammen. ›Die Ursache dessen ist der Himmel‹, sagst du, ›und die Himmelskonstellation, unter der er geboren ist.‹ Dem stimme ich nicht zu, aber nicht so sehr auf Grund des bekannten Argumentes, dass unter demselben Stern viele geboren wurden, die nicht Aristoteles wurden, als vielmehr deshalb, weil es außer dem Himmel, unter dem sozusagen als allgemeiner Ursache (causa universalis) böotische Schweine und attische Philosophen gleichermaßen entstehen, nächste Ursachen gibt, die besonders und speziell für Aristoteles gelten, auf die wir seinen einzigartigen Werdegang zurückführen können. 4. Zuerst freilich, wie jener sagte, erlangte er eine gute Seele, und zwar nicht vom Himmel, weil der vernünftige Teil der menschlichen Seele (animus) unsterblich und körperlos ist, wie er selbst darlegte und auch die Astrologen es nicht leugnen. Dann erlangte er einen Körper, der geeignet war, solch einer Seele zu dienen; und auch dieser kam nicht vom Himmel, außer wie von einer allgemeinen Ursache, sondern von seinen Eltern. Er suchte sich die Philosophie aus: Dies ist das Werk der bereits genannten Ursachen, also von Seele und Körper und seines eigenen freien Willens. Er machte Fortschritte in der Philosophie: Dies ist die Frucht seines gefassten Vorsatzes und seines Fleißes. Jedoch erreichte er mehr als viele andere, die mit gleichem Eifer und Fleiß philosophieren: Ursache war die Bildung seines

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erat non astrum melius, sed ingenium melius; nec ingenium ab astro, siquidem incorporale, sed a Deo, sicut corpus a patre, non a caelo. 5. De quo nos tanto loquimur quam astrologi honorificentius, | quanto causa universalis particularibus causis divinior et eminentior; quodsi captus excessit ingenii humani vel Aristoteles vel philosophus alius, erit causae hoc non omnino deterioris, quale corpus omne proptereaque caeleste est, sed melioris, hoc est divinae, sicuti Socrates, maior mea sententia omnium philosophorum, sapientiam suam non sideribus natalitiis, sed assistenti numini rettulit acceptam. Quare plus caelo damus, quam oporteat, si divinitatem animorum a corporeis illis radiis demittimus; minus, si corporeas differentias, quae de privatis rebus accipiuntur, illi quasi particulari causae tribuimus; minus autem omnino, quam deceat, cum deformitates ipsas nostras et labes mentium ascribimus stellis, quod est unum ex illis, quibus maxime movebantur ad astra confugere, quod apparent in hominibus multis absonae quaedam appetitiones praeter leges humanitatis, quae non intrinsecam, hoc est humanam, sed extrinsecam habere causam videantur et, quia potentem, ideo sideream. 6. Ego vero ab illis quaesierim, cur pregnans mulier terram comedat libentius et carbones quam exquisitum omne genus eduliorum? Et si monstrifici deside-

Font.: 17–18 pregnans mulier – eduliorum ] cf. Hp. superf. 18 Sim.: 8–16 Quare – sideream ] cf. rer. praen. 5,5 p. 532 690.17–692.2 Ego vero – quaerendam ] cf. rer. praen. 5,5 p. 532; cf. Bellant. resp. disp. 3,27 fol. r App. crit.: 1 melius] melium Garin 7 maior] expectes maximus Garin a om. WO 18 genus] genere Garin

9 divinitatem] divinatatem

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Lehrers und die glücklichen Umstände des Jahrhunderts, in dem er zur Welt kam, das voll war mit den Mahnmalen der Alten, aber nicht den vollständig errichteten, damit es nicht an der Mühe fehle, den Anfang zu machen, und nicht an Material, um sein Können in den guten Künsten zu vollenden. Jedoch gelangte er viel weiter als seine Zeitgenossen und seine Schüler: Er hatte nicht etwa einen guten Stern erlangt, sondern eine bessere Veranlagung; und die Veranlagung kommt nicht von einem Stern, weil sie körperlos ist, sondern von Gott, wie der Körper vom Vater, nicht vom Himmel kommt. 5. Über diesen sprechen wir in dem Maße ehrenvoller als die Astrologen, in dem die generelle Ursache göttlicher ist und ausgezeichneter als die speziellen Ursachen; wenn aber entweder Aristoteles oder ein anderer Philosoph die Fassungskraft der menschlichen Begabung überschritt, gehört dies nicht zu einer schlechteren Ursache, wie es jeder Körper und deswegen auch der himmlische ist, sondern zu einer besseren, das bedeutet der göttlichen, wie Sokrates, der meiner Meinung nach der bedeutendste aller Philosophen ist, seine Weisheit nicht von den Himmelskörpern zu seiner Geburtsstunde erhielt, sondern von dem ihn unterstützenden göttlichen Wesen.270 Daher gestehen wir dem Himmel mehr zu, als sich gehört, wenn wir die Göttlichkeit der Seelen von jenen körperlichen Strahlen herabschicken lassen; weniger aber, wenn wir die körperlichen Unterschiede, die bei einzelnen Dingen geschehen, ihm sozusagen als spezielle Ursache zuweisen; sehr viel weniger hingegen, als sich gehört, wenn wir unsere Missbildungen und die charakterlichen Fehler den Sternen zuschreiben, was einer der Gründe ist, die sie im höchsten Maße dazu bewegen, sich zu den Sternen zu flüchten, weil bei den Menschen viele unpassende Neigungen gegen die Gesetze der Menschlichkeit auftreten, die keine innere, also menschliche, Ursache zu haben scheinen, sondern eine äußere, und deswegen, weil sie mächtig ist, eine himmlische. 6. Ich aber frage sie, warum eine schwangere Frau lieber Erde isst und Kohle als jede Art von erlesenen Speisen? Und wenn sie als Ursache für das ungeheure

270 Gemeint ist Sokrates’ δαίμων, eine göttliche Stimme, die ihm laut eigener Aussage (vgl. Plat. Apol. 31C 4–31D 4) beistand und ihm Ratschläge und Anweisungen gab.

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Vide portentosum exemplum libidinis

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rii non astrum, sed fetum causam invenerint, admonebo causam pariter eorum, quae demirantur, in corporis temperatura potius quam in caelo esse quaerendam. Dicerem ›apud improbos quoque daemones‹, sed a corporeis eos abducerem. 7. Certe praeter corporis habitum quantum faciat ad huiusmodi portentosas affectiones consuetudo, verissimo possum exemplo declarare: 8. Vivit adhuc homo mihi notus prodigiosae libidinis et inauditae: nam ad Venerem numquam accenditur, nisi vapulet, et tamen scelus id ita cogitat, saevientes ita plagas desiderat, ut increpet verberantem, si cum eo lentius egerit, haud compos plene voti, nisi eruperit sanguis et innocentis artus hominis nocentissimi violentior scutica dissecuerit. Efflagitat ille miser hanc operam summis precibus ab ea semper femina, quam adivit, praebetque flagellum pridie sibi ad id officii aceti infusione duratum et supplex a meretrice verberari postulat, a qua, quanto caeditur durius, eo ferventius incalescit et pari passu ad voluptatem doloremque contendit, unus inventus homo, qui corporeas delicias inter cruciatum inveniat. 9. Is, cum non alioquin pessimus sit, morbum suum agnoscit et odit quoniamque mihi familiaris multis iam retro annis, quid pateretur libere patefecit; a quo diligenter tam insolitae pestis causam cum sciscitarer, »a puero«, inquit, »sic assuevi.« Et me rursus consuetudinis causam interrogante educatum se cum pueris scelestissimis, inter quos convenisset hac caedendi licentia, quasi pretio quodam, mutuum sibi vendere flagitiosa alternatione pudorem.

Font.: 6–14 Vivit – inveniat ] cf. Haly comment. centil. 95 fol. P1v –P2r App. crit.: 7–8 saevientes] scaevientes α 10 dissecuerit scripsi (cf. Hor. epod. 4,11) : disseruerit α(diser- G)Garin : deseruerit βO 11 adivit] audivit W

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Verlangen nicht einen Stern, sondern das ungeborene Kind entdecken, will ich sie daran erinnern, dass man gleichermaßen auch die Ursache dieser Dinge, über die sie sich wundern, mehr in der Mischung des Körpers als im Himmel suchen muss. Ich würde sogar sagen »auch bei den schlechten Geistern«, aber dann würde ich sie vom Körperlichen abbringen. 7. Wie viel neben dem körperlichen Zustand die Gewohnheit zu derartigen abartigen Neigungen sicherlich beizutragen vermag, kann ich anhand eines vollkommen wahren Beispiels erläutern: 8. Ein mir bekannter Mann, der immer noch am Leben ist, empfindet eine ungeheuerliche und unerhörte Lust: Er entflammt nämlich niemals in Liebe, außer wenn er geschlagen wird, und trotzdem ist er dermaßen auf diesen Frevel bedacht, begehrt er dermaßen die brennenden Hiebe, dass er diejenige, die ihn schlägt, anschreit, wenn sie zu sanft mit ihm umspringt, und sein Wunsch ist nicht erfüllt, wenn nicht Blut geflossen ist und die recht grausame Peitsche die unschuldigen Glieder des so sehr schuldigen Mannes aufschnitt. Jener arme Tropf fordert dieses Werk mit inständigen Bitten immer von der Frau ein, die er aufgesucht hat, er reicht ihr die Peitsche, die er am Vortag für sich für diese Aufgabe in Essig eingelegt und gehärtet hat, und fordert flehentlich, von der Hure Schläge zu erhalten, und je heftiger er von ihr geschlagen wird, desto mehr erglüht er vor Lust und gelangt im Gleichschritt sowohl zur Lust als auch zum Schmerz, wobei er der einzige mir bekannte Mensch ist, der seine körperlichen Vergnügen in der Folter findet. 9. Da er anderweitig nicht der schlechteste ist, erkennt er seine Krankheit und hasst sie und weil er mit mir schon seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden ist, hat er mir freimütig erzählt, woran er litt. Als ich ihn eingehend befragte, welchen Grund es für seine ungewohnte Seuche gebe, sagte er mir: »Ich bin es von Kindheit an so gewöhnt.« Als ich dann erneut nach dem Grund für seine Gewohnheit fragte, antwortete er, er sei mit äußerst verruchten Kindern zusammen aufgewachsen, die untereinander zu der Gewohnheit gekommen seien, sich gegenseitig in lasterhafter Abwechslung für die Erlaubnis, sich schlagen zu lassen, als Preis sozusagen, ihre Unschuld zu verkaufen.

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Alexandro unde tanta fortuna in bellicis rebus

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10. Hoc ego factum, licet grave auribus liberalibus, ideo non suppressi, ut cognosceremus evidentia ipsa, quantum illis affectibus valeat consuetudo, ne, quasi causam habere terrenam nullam possint, caelum statim accusemus. Nam id quidem astrologus si audiat, damnatam dicet fuisse Venerem in hominis genitura et adversis fortasse aut alio modo minitantibus radiis Martis flagellatam. 11. Veniamus ad res externas, in quibus Alexander praeponebatur, cuius tanta, tam repentina felicitas undenam ortum haberet quaerebatur, nisi haberet a caelo. Facilis responsio: a virtutibus Alexandri, quales habuit multas necessarias imperatori: fortitudinem, liberalitatem, laborum tolerantiam, peritiam rei militaris, egregiam litteraturam et quas alias enumerare non est | necesse; ab exercitu, quem nactus est et sub patre Philippo exercitatissimum et beneficio regionis bellicosissimum et ob liberalitatem exemplumque virtutum amantissimum sui; ab ignavia populorum, quos superavit, unde dictus a patruo pugnasse cum feminis; a fortuna, quae in rebus bellicis plurimum dominatur. 12. ›Fortunam‹ vero cum dico, caelum non dico, sed eam causam, cuius meminit Aristoteles secundo libro Physicae auscultationis, et quam vulgo ›fortunam‹ dicimus atque his verbis solemus exprimere: »ita sors tulit«, »ita evenit«, »ita res cecidit«; per quam fit, ut ludentes tesseris aut iaciant quod volunt aut quod non volunt.

Font.: 13 dictus – feminis ] cf. Liv. 9,19,10; Gell. 17,21,33 Arist. phys. 2,4–8

16 Aristoteles – auscultationis ] cf.

Sim.: 16–19 Fortunam – volunt ] cf. rer. praen. 5,5 p. 532; Bellant. resp. disp. 3,27 fol. r App. crit.: 5 adversis] adversus B (adversis ex corr. BCorr ) : tessaris G

18 tesseris scripsi : asseris BOβGarin

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10. Diese Tatsache habe ich, auch wenn sie für vornehmere Ohren schwer zu ertragen ist, deshalb nicht verschwiegen, damit wir anhand der Anschaulichkeit der Realität selbst erkennen, welch große Rolle bei solchen Neigungen die Gewohnheit spielt, und nicht, gerade so, als ob solche Dinge keine irdische Ursache haben könnten, sofort dem Himmel die Schuld zuweisen. Wenn dies nämlich ein Astrologe hört, wird er sagen, Venus sei bei der Geburt des Mannes verdammt gewesen und vielleicht durch den in Opposition oder in einem anderen ungünstigen Aspekt stehenden Mars gegeißelt worden. 11. Kommen wir aber zu den äußeren Dingen, bei welchen Alexander als Beispiel galt und die Frage aufkam, woher sein so großer und plötzlicher glücklicher Erfolg seinen Ursprung nahm, wenn nicht im Himmel. Die Antwort ist einfach: Der Ursprung lag in den Tugenden Alexanders, derer er viele hatte und die notwendig sind für einen Feldherren: in seiner Tapferkeit, seinem Großmut, seinem geduldigen Ertragen von Strapazen, seinen militärischen Kenntnissen, seiner ausgezeichneten Bildung und all den anderen, die man nicht notwendigerweise alle aufzählen muss; im Heer, welches er erhielt, dass unter dem Regiment seines Vaters Philipp in höchstem Maße gedrillt wurde, das durch die günstige geographische Lage äußerst kriegerisch war und ihn wegen seiner Großzügigkeit und seiner vorbildhaften Tugenden über alle Maßen liebte; in der Trägheit der von ihm unterworfenen Völker, weshalb sein Onkel über ihn sagte, er habe nur gegen Frauen gekämpft; im Zufall, welcher in militärischen Angelegenheiten den größten Einfluss ausübt. 12. Wenn ich aber von ›Zufall‹ (fortuna) spreche, so meine ich nicht den Himmel, sondern jene Ursache, die Aristoteles im zweiten Buch seiner »Physik« erwähnt, und die wir landläufig als ›Zufall‹ bezeichnen und gewöhnlich in Sätzen ausdrücken wie: »wie es der Zufall wollte«, »so hat es sich ergeben« oder »so hat es sich ereignet«, und durch die es geschieht, dass Würfelspieler entweder den gewünschten Wurf werfen oder den unerwünschten. 13. Hierbei handelt es sich um jene unklar bezeichnete Ursache, die neben den erwähnten und ähnlichen Ursachen das Auftreten von Männern wie Caesar, Sul-

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Thomas

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13. Haec est illa caeca nuncupata, quae praeter illas, quas diximus, et similes causas Caesares, Syllas, Augustos, Alexandros fecit, quam per se nec dependere de caelo nec idem esse quod fatum nec providentiae derogare divinae; et quid demum aut esse aut non esse possit, quoniam proximo libro late disserendum est, hic dicere non oportet, ubi astrologos non aliis magis quam Aquinatis Thomae, quem hi summe sibi favere putant, armis opprimemus. 14. Quod vero ad id attinet, quod principaliter hic tractatur, nego quicquam in terris adeo magnum fieri vel videri, ut auctorem caelum mereatur. Nam miracula quidem animi, ut diximus, caelo maiora sunt; fortunae vero et corporis, ut quam maxima sint, caelo collata minima deprehenduntur, ut quod recte dixit Phavorinus Academicus … nihil magnum in terra praeter hominem; nihil magnum in homine praeter mentem et animum; huc si ascendis, caelum transcendis; si ad corpus inclinas et caelum suspicis, muscam te vides et musca aliquid minus. At quemadmodum quidem in illo nigro agmine formicarum sunt, quae aliis praestent robore, magnitudine, sunt victoriae, bella, paces, officia, labores, egestas, divitiae, quae contemplantibus nobis omnia exigua et nullo discrimine nihil sunt, ita nostra ista corpuscula, nostrae fortunae, nostri reges, nostrae provinciae, bella, foedera, nuptiae, caelo si comparentur, nihil sunt penitus, cui tota terra collata, cuius unam portiunculam inter se homines igne ferroque partiuntur, individuum punctum est.

Font.: 2 Caesares – fecit ] cf. Gell. 14,1,29 Sim.: 7–10 Quod vero – deprehenduntur ] cf. Bellant. resp. disp. 3,7 fol. r astrologos] astrologus B (corr. BCorr ) 6 favere] App. crit.: 4 late] lata C 5 non1 om. Garin favore B (corr. BP BF BEC ) 11 Academicus add. BB : lac. indic. αβ : lac. om. O

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la, Augustus und Alexander bewirkte, von der man nicht sagen kann, dass sie gemäß ihrer eigenen Natur vom Himmel abhängt, noch dass sie dasselbe ist wie das Schicksal (fatum) oder dass sie die göttliche Voraussicht begrenzt; worum es sich hierbei schließlich handelt und worum es sich nicht handeln kann, muss hier nicht dargelegt werden, da es im nächsten Buch ausführlich erläutert werden muss, wo wir die Astrologen mit keinen anderen Waffen mehr angreifen wollen als mit denen des Thomas von Aquin, von dem sie glauben, dass er in höchstem Maße für sie Partei ergreife. 14. Was aber die Frage betrifft, die hier hauptsächlich untersucht wird, so behaupte ich, dass auf der Erde nichts derart Großes geschieht oder erscheint, dass es den Himmel als Urheber verdient hätte. Denn die Wunder des Geistes sind wie gesagt größer als der Himmel; die Wunder des Zufalls und des Körpers hingegen sind, mögen sie auch noch so groß sein, im Vergleich zum Himmel betrachtet winzig, sodass, wie der Akademiker Favorinus treffend feststellte … Nichts sei groß auf der Erde außer dem Menschen, nichts groß im Menschen außer seiner Seele und seinem Geist; wenn du dich hiervon erhebst, überschreitest du den Himmel; wenn du dich aber zum Körper neigst und zum Himmel aufblickst, wirst du sehen, dass du eine Fliege bist und sogar etwas, das kleiner ist als eine Fliege. Und wie es in jenem schwarzen Ameisenhaufen einige gibt, die die anderen an Kraft übertreffen und Größe, wie es Sieg, Krieg, Frieden, Pflichten, Strapazen, Armut und Reichtum gibt, die uns als Betrachter alle winzig und ohne Unterschied nichtig vorkommen, so sind jene unsere Körperlein, unsere Zufälle, unsere Könige, unsere Reiche, Kriege, Bündnisse, Hochzeiten im Vergleich zum Himmel überhaupt nichts, im Vergleich zu dem die gesamte Erde, von der die Menschen nur einen winzigen Teil untereinander mit Feuer und Schwert aufteilen, ein einziger Punkt ist. 15. Die Größe der irdischen Angelegenheiten ist also nicht so gewaltig, dass sie nicht anderswoher stammen könnte als vom Himmel; wenn aber das, was un-

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Aristoteles

Obiectio r Responsio

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15. Non ergo ea est magnitudo rerum terrenarum, ut alterius esse quam caeli opus non possit; quo si digna non sunt, quae inter nos digna sunt, quanto magis erunt indigna, quae indigne etiam fiunt a nobis, ut flagitiosos evehi ad dignitatem, Socratem perire iudicio stellicatoris et enormia id genus, quae quotidie multa et videmus et patimur? In quibus imprimis elucescere fatum et caelestis decreti necessitatem ait Maternus; quem ego cum astrologis aliis libenter interrogaverim, cur errata nostra tantopere ambiant stellis imputare et, cum ipsi peccamus, libentius inde caelum quam nos accusare? Quasi aut mirabile esset nos errare, pronos et malos ab adolescentia, aut errare illa possint aliquando iussis optimi Dei incommutabili semper ordine famulantia. ›Damnantur‹, inquiunt, ›innocentes, facinorosi praemiis afficiuntur‹. A quibus, quaeso, principibus, iustis an iniustis?‹ Si a iustis, nec caelum satis erit tanto miraculo? Si ab iniustis, quid caelo opus est, ubi despectrix caeli malitia satis est? 16. Quaerit Aristoteles in Problematis: »Cur fere idem semper boni et pauperes?« cumque multas afferat causas et veras et facetas, nullam tamen affert a caelo, ut qui scilicet sciret sentes et tribulos non caelum germinare, sed terram. 17. ›At cautus homo et prudens, quod maxime fugiebat, discrimen incurrit, evadit | alius periculum, cui se temere saepius exposuerat?‹ Quid est quod admiremur, cum non minus haec numquam evenire, quam si eveniant saepe, pro miraculo sit habendum? Horum, cum plerumque fiunt, causa quaerenda est, prius quidem

Font.: 3–6 quae indigne – Maternus ] cf. Firm. math. 1,7,1–3; 1,7,18–20 14–15 Aristoteles – pauperes ] Arist. prob. 29,4 950b 9–22 16 sentes et tribulos ] cf. Hier. epist. 5 p. 69B (PL 30,69); Vulg. gen. 3,18 App. crit.: 15 et1 om. RC 16 sciret BB BP Oβ : scitet α 19 cum] cur O

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ter uns als würdig gilt, seiner nicht würdig ist, in wie viel höherem Maße wird seiner dann das unwürdig sein, was auch bereits von und Unwürdiges ausgeht: dass lasterhafte Menschen zu Ehren gelangen, dass Sokrates durch das Urteil eines Ränkeschmiedes271 sterben muss und derartige Ungeheuerlichkeiten, die wir tagtäglich in großer Zahl sehen und erleiden? Insbesondere in ihnen leuchtet das Schicksal hervor und die Unabänderlichkeit des himmlischen Urteils sagt Firmicus Maternus. Ihn würde ich zusammen mit anderen Astrologen allzu gerne fragen, warum sie sich so sehr abmühen unsere Fehler den Sternen anzurechnen und, obwohl wir selbst Fehler begehen, lieber den Himmel dessen bezichtigen als uns? Ganz so, als ob es entweder etwas Sonderbares wäre, dass wir Fehler machen, obwohl wir dazu geneigt sind und schlecht von Jugend an, oder aber als ob jene Körper irgendwann Fehler begehen könnten, die den Befehlen des höchsten Gottes in unabänderlicher Ordnung immer zu Diensten sind. ›Die Unschuldigen‹, sagen sie, ›werden verdammt, die Verbrecher erhalten ihren Lohn‹. Nach welchen Prinzipien bitteschön, nach gerechten oder ungerechten? Wenn nach gerechten, wird dann nicht auch der Himmel genügen für solch ein großes Wunder? Wenn aber nach ungerechten, wozu braucht es dann den Himmel, wenn die Boshaftigkeit zur Genüge verachtend auf den Himmel herabsieht? 16. Aristoteles stellt in seinen Problemata die Frage: »Warum sind beinahe immer dieselben Menschen gut und arm?« und obwohl er viele wahre und unterhaltsame Ursachen anführt, führt er dennoch keine vom Himmel ausgehende an, und zwar weil er weiß, dass nicht der Himmel Hagebuttenstrauch und Wurzeldorn hervorbringt, sondern die Erde. 17. ›Doch der vorsichtige und kluge Mann läuft geradewegs in die Gefahr, der er vor allem zu entfliehen versucht, ein anderer entgeht der Gefahr, der er sich öfter blindlings ausgesetzt hat?‹ Was gibt es hier für einen Grund, sich zu wundern, da es nicht weniger als Wunder gelten muss, dass dies niemals passiert, als wenn es oftmals passiert? Für diese Dinge muss man die Ursache suchen, da sie häufig geschehen, und zwar zunächst die nächste Ursache (causa proxima); ist sie

271 Das Wort stellicator scheint nur hier vorzukommen; wahrscheinlich handelt eich um ein – von Pico erfundenes? – Kunstwort, entstanden aus der Verschmelzung des Substantivs stella mit dem Wort stellio, das einen ›Ränkeschmied‹ (vgl. z.B. Apul. met. 5,30) bezeichnet.

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proxima. Haec si deest, remotior et occulta, cum de raro et fortuito non est alia causa investiganda, si eorum satis meminimus, quae sapientissimus Aristoteles et secundo libro Physicae auscultationis et sexto Primae philosophiae scriptum nobis reliquit. Ioannis Pici Mirandulae Disputationum adversus astrologos libri tertii finis.

Font.: 2–4 Aristoteles – reliquit ] Arist. phys. 2,3–7 194b 16–198b 9; met. 5,3 1027a 29 – 1027b 16 App. crit.: 5–6 Ioannis – finis α : om. β: Disputationum Ioannis Pici Mirandulae adversus astrologos libri III. finis O

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nicht vorhanden, muss man eine entferntere und verborgene Ursache (remotior et occulta) suchen, da man für das, was selten und zufällig auftritt, keine andere Ursache suchen muss, wenn wir uns der Worte des äußerst weisen Aristoteles genügend bewusst sind, die er im zweiten Buch seiner »Physik« und im sechsten Buch seiner »Metaphysik« für uns schriftlich hinterlassen hat. Ende des dritten Buches der Disputationes des Giovanni Pico della Mirandola gegen die Astrologen.

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2.7 Liber Quartus Ioannis Pici Mirandulae Disputationum adversus astrologos Liber Quartus.

Caput I – Qui mos in disputando servatus et deinceps servandus; tum, si detur astrologis, quod maximum dant theologi, astrologiam tamen nihil esse.

Mos disputandi auctoris mire convincens

1. Noster hic fere in disputando mos, ut, si quid et ponat adversarius, quod et dari sine piaculo et contra rationabiliter negari possit, negemus id potius nos, quam demus, etiam si sit tale, quo concesso nihil magis conficiat ille quod contendit; atque ista serie pervenientes ad id, quod maximum postulare potest, ostendamus, etiam id si detur, quod iure negari posse declaratum est, minime tamen colligi quod arbitratur. Sic enim et res ipsa, quae venit in disputationem, tota per sua membra particularius exploratur, et quam multa gratis accipiat adversarius intelligit quamque parum certam et absurdam opinionem tueatur, quae tam multis vel nominibus falsa vel certe dubia, tum, utcumque omnia se habeant, ipsa omnino non esse falsa non possit. 2. Hunc morem servantes cum astrologis primum defendebamus tantum Solis et Lunae radios efficaciam habere permutandi res inferiores, cetera sidera nihil nobis influere ob radiorum vel distantiam vel imbecillitatem.

App. crit.: 1 Disputationum] Disputationes F adversus astrologos] in astrologiam OGarin Liber Quartus] Libri Quarti incipiunt F 3 servatus] servatus est Garin 5 quod] quid W 8 ista] ita Garin 12 quamque BOβ : quam quae G : quamquam Garin certam et] etiam O

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Viertes Buch der Disputationes adversus astrologos des Giovanni Pico della Mirandola

Kapitel 1 – Welches Vorgehen in der Diskussion beibehalten wurde und weiterhin beibehalten werden muss; des weiteren, wenn man den Astrologen zugesteht, was die Theologen als größtes Zugeständnis machen, ist die Astrologie dennoch nichtig. 1. Unser Vorgehen in der Diskussion ist ungefähr folgendes, dass wir, wenn unser Gegner eine Behauptung aufstellt, die man sowohl zugestehen kann, ohne es bereuen zu müssen, als auch im Gegenzug mit guten Gründen ablehnen kann, diese lieber ablehnen als zugestehen, sogar wenn sie dergestalt ist, dass jener nach unserem Zugeständnis keinesfalls seiner Absicht näher kommt; und wenn wir in dieser Reihenfolge zu dem Punkt gelangen, der die größte Forderung beinhaltet, wollen wir zeigen, dass, selbst wenn man das zugesteht, was man, wie gezeigt, mit Fug und Recht ablehnen darf, dennoch nicht den beabsichtigten Schluss ziehen kann. Durch dieses Vorgehen wird nämlich die gesamte Frage, die zur Diskussion steht, in ihre Einzelteile zerteilt Stück für Stück untersucht und unser Gegner kommt zu der Einsicht, wie viele Zugeständnisse er umsonst erhält, wie wenig sicher und wie unlogisch die von ihm vertretene Meinung ist, die sich unter so vielen Namen als falsch oder zumindest als unsicher erwiesen hat und die dann, wie auch immer es sich mit allem verhält, selbst gewiss schwerlich nicht falsch sein kann. 2. Dieses Vorgehen mit den Astrologen beibehaltend verteidigten wir zunächst, dass lediglich die Strahlen von Sonne und Mond die Wirksamkeit haben, die Dinge der unteren Welt zu verändern, die übrigen Himmelskörper aber keinen Einfluss auf uns ausüben auf Grund der Entfernung, die ihre Strahlen zurücklegen müssen, oder deren Schwäche.

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Ille mos quomodo observatus in hac disputatione

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3. Secundo loco, si dabatur eis id scilicet non extorquentibus, sed impetrantibus defluere ab omnibus aliquid in nos, ostendebamus id tum ab omnibus intentione tantum remissioneque diversum effluere, hoc est lucem cum calore vivifico, frigus autem, humiditatem siccitatemque ab illis non emanare. 4. Tertio, si facerent quattuor primas qualitates, non sequi, ut impressionum, quae fiunt in sublimi, diversitas esset ab eis; aut si hoc foret, non tamen ab illis vel pestilentias esse vel cataclysmos vel exustiones; multo minus virtute primarum illarum quattuor qualitatum res externas et casui fortunaeque subiectas a sideribus gubernari. 5. Quarto, si primarum affectionum auctores sidera crederentur, hoc est calefaciendi frigefaciendique, tum humectandi et exsiccandi potestatem habere, non alias praeterea illis dotes attribuendas, per quas efficiant multa, quae per vim qualitatum illarum fieri non possunt. 6. Denique [quales] quales haberent stellae virtutes et proprietates, eas universales ita esse, ut nulla esset, quae non veram inferiorum corporum conditionem potestatemque complecteretur; quare agere illa omnia cum omnibus, quod est causae universalis proprium. Diversitatem autem eorum, quae fiant et quae contingant, omnem a proximis causis vel liberis, vel naturalibus, vel fortuitis originem ducere. 7. Quae nos omnia eo consilio defendenda suscepimus, | ut intelligerent astrologi, cum aliter sentiunt et asseverant, non confessa se dicere et manifesta, sed quae

App. crit.: 2 tum] fortasse scribendum tamen 6 sublimi] sublimum RC 14 quales del. Garin : quales quales Ω (fortasse scribendum tales quales) 15 esset αVRCF : esse W : etiam esse O

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3. Wenn man ihnen aber zweitens das Zugeständnis zukommen ließ, das sie uns freilich nicht abringen konnten, sondern lediglich einforderten, dass von allen Himmelskörpern etwas zu uns abfließe, so konnten wir zeigen, dass dies lediglich hinsichtlich qualitativer Zu- und Abnahme von ihnen allen in unterschiedlicher Form abfließe, das bedeutet, dass das Licht mit seiner Leben spendenen Hitze von ihnen herabfließt, nicht aber Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit. 4. Drittens konnten wir zeigen, dass, selbst wenn sie alle vier Qualitäten bewirken würden, daraus nicht zu folgern ist, dass die Unterschiedlichkeit der meteorologischen Phänomene auch von ihnen stammt; oder aber, wenn sie doch daher käme, dass dennoch nicht auch die Seuchen, Überschwemmungen und Hitzewellen daher kämen und dass viel weniger noch als die Kräfte jener vier ersten Qualitäten die äußeren Dinge, die dem blinden Zufall unterworfen sind, von den Sternen gelenkt werden. 5. Viertens gilt, dass man, wenn man die Himmelskörper für die Urheber der zu den ersten Qualitäten gehörigen Zustandsänderungen hält, ihnen also die Fähigkeit, Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit zu bewirken, zuspricht, ihnen nicht zusätzlich andere Wirkungen zuschreiben muss, mittels derer sie viele Wirkungen hervorrufen, die sie durch die Kraft jener Qualitäten nicht bewirken können. 6. Schließlich konnten wir zeigen, dass die Kräfte und Eigenschaften, über die die Sterne verfügen, dermaßen allgemein sind, dass es keine gibt, die nicht die wahre Eigenschaft und das wahre Vermögen der unteren Körper enthielte; daher würden sie alle mit allen zusammen wirken, wie es die Eigenheit einer allgemeinen Ursache ist. Die gesamte Verschiedenheit jedoch desjenigen, was geschieht und sich ereignet, habe ihren Ursprung in den nächsten Ursachen, seien sie nun frei, natürlich oder zufällig.272 7. Wir haben die Verteidigung all dessen in der Absicht auf uns genommen, dass die Astrologen, wenn sie anderer Meinung sind und an anderem festhalten,

272 Unterschieden werden die nächsten Ursachen, also die Ursachen, die der Reihenfolge der Ursachen von der ersten Ursache bis zur Wirkung nach dieser am nächsten stehen, ob sie zum freien Willen gehören (causa libera), dem Lauf der Natur folgen (causa naturalis) oder aber zufällige Wirkungen hervorrufen (causa fortuita); vgl. zur Unterscheidung der ersten beiden Möglichkeiten Thomas Aquinas De potentia quaest.3, art.17 sowie zur Wirkung der causa fortuita seinen Physikkommentar (2 phys. 9,5 p. 82): manifestum est quod causa fortuita aliquid operatur ad effectum fortuitum, licet non intendat illud, sed aliquid aliud effectui coniunctum.

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Quid det Thomas astrologis

Nullam esse astrologiam etiam si illud concedatur

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nec certis ullis rationibus nec evidentibus experimentis nec auctoritate Platonis Aristotelisve confirmentur, sed in ambiguo posita sicuti propugnantur a quibusdam, ita oppugnentur a multis; quibus si tota niteretur astrologia nec infideliora sibi fundamenta locaret, non esset apud me penitus ruinosa, sed nutabunda, hoc est tam caderet illa mea sententia, quam vacillaret. 8. Verum ut astrologis demus, quantum illis Aquinas Thomas theologique permulti atque philosophi dare posse contendunt, non magnopere scilicet refragante ratione, longe tamen minus acciperent, quam accipere illos sit necessarium, ut aliqua astrologia non solum apud nos, sed sua natura et apud ipsas angelicas mentes esse defendatur. 9. Dabit enim illis Thomas id, quod maximum dari potest citra apertam calumniam veritatis, ut scilicet omnium planetarum ad nos defluvia cum virtute proveniant, et aliis alias stellis esse proprietates non modo calefaciendi, frigefaciendi, humectandi et exsiccandi, sed occultiores, unde varia munera terrenorum turba sortiatur, ut non omnem proprietatem, quam habent homines ceteraque natura corporalis inferior, a suis causis proximis habeat, sed aliquam etiam a caelestibus. 10. Hoc totum et nos precario concedentes astrologis ostendemus nullam tamen idcirco futuram hanc artem, quando de his maxime vaticinetur ex astris quae fieri ab illis vel indicari non possunt, etiam si fiant illa cuncta, quae diximus; at-

Font.: 11–16 Thomas – caelestibus ] cf. Thom. Aq. op. occ. pp. 185,208–186,258; gent. lib.3, cap. 104–107; Ficin. vit. 3,17 pp. 340,141–342,161 K/C App. crit.: 4 nutabunda αVWCFO : mutabunda R : nitabunda Garin 5 non addidi 11 Dabit] expectes Dabat 16 etiam om. Garin 18 quando (vel quoniam?) BB BP : quin αβOGarin 19 indicari] iudicari C non GOβ : om. B (corr. BCorr )

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einsehen, dass sie nichts behaupten, was allgemein anerkannt ist und offensichtlich, sondern Behauptungen aufstellen, die weder durch irgendwelche zuverlässigen Argumente noch durch anschauliche Empirie oder das Ansehen von Platon oder Aristoteles als Gewährsmännern gestützt werden, sondern zweifelhaft sind und einige gewisse Leute ebenso dafür kämpfen wie viele andere dagegen. Würde die Astrologie sich darauf gründen und nicht auf unzuverlässigeren Grundlagen ruhen, wäre sie meiner Ansicht nach nicht gänzlich einsturzgefährdet, sondern nur schwankend, das heißt, sie würde meiner Meinung nach nicht so sehr bereits stürzen als vielmehr schwanken. 8. Um aber den Astrologen ebenso viel zuzugestehen, wie ihnen Thomas von Aquin und sehr viele andere Theologen und Philosophen behaupten zugestehen zu können, natürlich ohne dass die Vernunft zu sehr widerstrebt, würden sie doch bei weitem weniger erhalten, als sie erhalten müssten, um die Annahme verteidigen zu können, dass irgendeine Form der Astrologie nicht nur bei uns, sondern ihrer Natur nach auch bei den geistigen Wesen der Engel selbst (mentes angelicae) existiert. 9. Es wird ihnen nämlich Thomas das größte Zugeständnis machen, das man machen kann, abgesehen von der offensichtlichen Verdrehung der Wahrheit, dass die Ausflüsse aller Planeten mit ihrer Kraft zu uns gelangen, nämlich dass jeweils unterschiedliche Gestirne auch noch jeweils unterschiedliche Eigenschaften haben, und zwar nicht nur die Fähigkeit, Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit zu bewirken, sondern auch verborgenere Einflüsse, woher die Schar der irdischen Körper unterschiedliche Gaben erhält, sodass nicht jede Eigenschaft, über die die Menschen und die übrige körperliche Natur der unteren Welt verfügt, von ihren jeweiligen nächsten Ursachen ausgeht, sondern ein gewisser Teil auch von den Himmelskörpern. 10. Indem auch wir den Astrologen all dies auf Widerruf zugestehen, werden wir beweisen, dass es dessen ungeachtet deshalb keine derartige Wissenschaft geben wird, weil von ihnen insbesondere derartige Dinge anhand der Sterne prophe-

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que ita concussam vel ad interitum priore libro astrologiam nulla iam pacis vel indulgentiae spe relicta disputatio praesens funditus evertet.

Caput II – Fortuita a caelo non esse. 1. Fortuitae res, pro quarum bono vel malo eventu fortunatos vocamus homines et infortunatos, hae praecipue sunt, quae sicuti fatales imprimis putantur et a caelesti decreto pendentes, ita praedictionum astrologicarum pars maxima et potissima materia sunt. Nam quae per se causas proximas habent, ut condiciones animi et corporis, non exigere adeo superiorem causam occultioremque videntur, quam quae temere fieri casuque dicimus, cum fieri sine proxima causa videantur. 2. Talia sunt: feliciter vel infeliciter navigare, peregrinari, mercaturam facere, fodientem terram thesaurum invenire, latronibus, bestiis occurrere, regi placere, periculum evadere, bona servitia malave sortiri, domum ingredi mox ruituram et quae alia hoc genere praeter consilium, praeter opinionem miseris et vere aegris mortalibus accidunt, de quibus, ut quae prorsus extra nostram manum sint et extrinsecus veniant in nos, optamus maxime astrologorum audire sententiam. Alioquin quo quis corporis habitu sit, vel a speculo vel a medico scia, sicuti et qualem mentem sciat a se ipso, si modo mentem habet; at quae ›fortuita‹ nuncupamus, ea sunt, quae potissimum per artes divinatrices humana curiositas expetit.

Font.: 11 fodientem – invenire ] cf. Arist. metaph. 4,30 1025a 15–19; Cic. div. 2,18; 2,33; Io. Damasc. fid. orth. 2,25 (PG 94, p. 957); Thom. Aq. sent. lib.1, dist.46, quaest.1, art.2; gent. lib.3, cap.92, n.2–12

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zeit werden, die weder durch sie geschehen noch durch sie angezeigt werden können, selbst wenn all das doch eintritt, was wir aufgezählt haben; und so wird die Argumentation des vorliegenden Buches die Astrologie, die im vorherigen Buch bereits auf diese Weise sozusagen tödlich verwundet wurde, nachdem dann keine Hoffnung mehr auf Frieden oder Nachsicht bestehen wird, gänzlich vernichten.

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Kapitel 2 – Zufällige Ereignisse kommen nicht vom Himmel. 1. Zufällige Ereignisse, nach deren gutem oder schlechtem Ausgang wir Menschen als ›glücklich‹ oder ›unglücklich‹ bezeichnen, sind vornehmlich solche Ereignisse, die man einerseits vor allem für schicksalhaft und vom himmlischen Beschluss abhängig hält, die andererseits aber größtenteils und vor allem den Gegenstand astrologischer Vorhersagen ausmachen. Denn das, was durch sich selbst seine nächsten Ursachen hat, wie die Verfassung von Körper und Seele, scheint nicht so sehr eine höhere und verborgenere Ursache einzufordern wie das, was, wie wir sagen, durch blinden Zufall geschieht, da es scheinbar ohne nächste Ursache geschieht. 2. Dabei handelt es sich um Dinge wie glücklich oder unglücklich zur See zu fahren, zu reisen, ein Geschäft abzuschließen, beim Graben einen Schatz zu finden, auf Räuber oder wilde Tiere zu stoßen, einem König zu gefallen, einer Gefahr zu entgehen, gute oder schlechte Knechte zu haben, ein Haus kurz vor dem Einsturz zu betreten und anderes, was ohne Absicht und Erwartung den elenden und wahrhaft kranken Sterblichen zustößt, über das wir, da es keinesfalls in unserer Hand liegt und von außen auf uns einwirkt, vor allem anderen die Meinung der Astrologen zu hören wünschen. Im Übrigen kann man auf die Frage, wie der körperliche Zustand ist, entweder von einem Spiegel oder einem Arzt Antwort erhalten, und ebenso, wie die geistige Verfassung ist, von sich selbst erfahren, wenn man denn über einen Verstand verfügt. Das aber, was wir als ›zufällig‹ bezeichnen, ist genau das, was die menschliche Neugierde von den Wahrsagekünsten zu erfahren wünscht.

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Ratio sancti Thomae

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Exem-plum eiusdem

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3. Haec igitur ante alia nullo modo de caelo praevideri posse probabimus nec alia ratione, quam qua utitur Thomas Aquinas eo maxime loco, quo favere sententiae astrologorum videtur, hoc est tertio libro Contra gentes, ubi fortunatos a caelo et fieri homines et infortunatos dicere videtur. Ea ratio talis est: Virtus caelestis corporis non agit intellectu vel electione, sed quemadmodum natura agit. Naturae proprium est ad unum tendere; effectus igitur, qui non est unus, a naturali causa per se esse non | potest; at quae ex accidenti concurrunt invicemque conveniunt, ea vere unum non sunt, sed dumtaxat unum per accidens. Concursus igitur huiusmodi, quem solemus fortuitum nuncupare, nulla esse potest per se causa naturalis, sed caelestis causa naturalis causa, ut dicebamus; ea igitur rerum huiusmodi fortuitarum causa per se esse non potest. 4. Adicit his exemplum, quo simul declaratur quomodo non est causa per se caelum huiusmodi eventorum, sed tantummodo ex accidenti. »Instigatur«, inquit, »aliquis a caelo ad sepulchrum fodiendum; accidit ei, ut in sepulchro thesaurus sit, quare fodiens sepulchrum thesaurum invenit; non fuit hoc a caelo, ut inveniret thesaurum, praeterquam ex accidenti, quando ex accidenti est eundem esse et sepulchrum et thesauri locum. Nam instigare hominem ad sepulchri fossionem,

Font.: 4–5 Virtus – agit ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.85, n.3–4 6–7 Naturae proprium – potest ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.85, n.5; lib.3, cap.92, n.12 7–11 at – potest ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.92, n.12 710.13–712.4 Instigatur – diffitebitur ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.92, n.2–12 Sim.: 6–11 Naturae – potest ] cf. rer. praen. 5,8 p. 560; Bellant. resp. disp. 4,2 fol. r 712.4 instigare – diffitebitur ] cf. Bellant. resp. disp. 4,2 fol. r

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App. crit.: 3 gentiles correxi dubitanter : gentes Ω 4 Tit. sancti scripsi : scilicet ω 10 ea αGarin : et βO 16 quando scripsi : quin ΩGarin

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3. Dass man dies also vor allem anderen keinesfalls aus dem Himmel vorhersehen kann, werden wir mit keinem anderen Argument beweisen als dem, dessen sich auch Thomas von Aquin vor allem an der Stelle bedient, wo er der Ansicht der Astrologen scheinbar zustimmt, nämlich im dritten Buch der »Summe gegen die Heiden« Summa contra gentiles, wo er scheinbar behauptet, dass das Glück und Unglück der Menschen vom Himmel abhänge. Seine Argumentation dabei ist die folgende: Die Kraft eines Himmelskörpers wirkt nicht durch Verstand oder Auswahl, sondern nach Art der Natur. Eigenheit der Natur ist es, Einheit anzustreben. Eine Wirkung, die keine einheitliche ist, kann folglich gemäß ihrer Wesenheit nicht von einer natürlichen Ursache entstehen. Was aber zufällig (ex accidenti) zusammenfällt und miteinander übereinstimmt, ist nicht wahrhaftig eins, sondern lediglich zufällig eins. Folglich kann ein derartiges Zusammentreffen, das wir gewöhnlich als ›zufällig‹ bezeichnen, an und für sich keine natürliche Ursache sein; die himmlische Ursache hingegen ist, wie gesagt, eine natürliche Ursache; folglich kann sie gemäß ihrer Wesenheit nicht die Ursache derartiger zufälliger Ereignisse sein. 4. Dieser Argumentation fügt er ein Beispiel an, durch das zugleich erklärt wird, auf welche Weise der Himmel nicht durch seine Wesenheit Ursache derartiger Ereignisse ist, sondern lediglich zufällig. »Jemand wird vom Himmel angeregt«, sagt er, »ein Grab auszuheben; es geschieht ihm, dass sich in dem Grab ein Schatz befindet, weshalb er beim Ausheben des Grabes den Schatz findet. Dieses Ereignis kam nicht vom Himmel, dass er den Schatz fand, es sei denn zufällig, weil es zufällig eintritt, dass das Grab mit dem Ort des Schatzes zusammenfällt. Denn den

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in quo latet thesaurus, ut thesaurum inveniat, causae rationalis est et intelligentis, cuius proprium est rem unam ad aliam referre et ordinare: naturalis causae non est, qua dumtaxat ad unum fertur, ut diximus, qualem esse caelestem radium nemo diffitebitur.«

Caput III – Quomodo rerum fortuitarum causa sit Deus, quomodo angeli, quomodo caelum, quomodo nos, quomodo fortuna. 1. Cum de fortuitis rebus mentio fiat, operae pretium fuerit altius explicare quae sint illarum causae apud philosophos atque theologos. 2. Nam ex his quidem, quae hactenus diximus, extimari posset in casum nos illam dumtaxat temeritatemque referre nec improbandos esse astrologos, qui servare in his quoque extraordinariis ordinem et certas causas conarentur, ut nihil temere in natura, nihil sine causa legitima fieret; [quae,] si qua cogitanda est, illa videtur potissimum eligenda, quam astrologi accipiunt, caelum scilicet, cum nec infra caelum talis ulla iudicetur potens, scilicet rerum omnium, quae sub caelo fiunt, nec supra caelum dicunt, videlicet cum multa indigne praeter meritum et rationem fieri videantur, quae potius corporalis causae quandam necessitatem quam providentiam arguant eligentis.

App. crit.: 4 diffitebitur BB BP CO : diffitebit αVWRF 9 extimari Bβ (cf. disp. 3,17,1 et ThLL 1, p. 1096,78–80 [impr. 08.1902]) : estimari G : existimari OGarin 10 illam] illas G nec BGarin : nunc GOβ (male interpet. correctionem factam a BCorr ) 12 quae] aut scribendum quare aut delendum existimo

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Menschen dazu anzuregen, ein Grab auszuheben, in dem ein Schatz verborgen ist, damit er den Schatz findet, kommt von einer vernunftbegabten und mit Verstand versehenen Ursache, deren Eigenheit es ist, eine Sache zu einer anderen in Beziehung zu setzen und anzuordnen: Von einer natürlichen Ursache kommt es nicht, durch die, wie gesagt, lediglich zur Einheit gestrebt wird – dass es sich bei einem himmlischen Strahl um eine solche handelt, wird indessen niemand in Abrede stellen.«

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Kapitel 3 – Wie Gott die Ursache zufälliger Ereignisse ist, wie die Engel, wie der Himmel, wie wir und wie das Schicksal. 1. Wenn die Rede ist von ›zufälligen‹ Ereignissen, könnte es der Mühe wert sein, tiefgreifender zu entwickeln, was als deren Ursachen bei den Philosophen und Theologen gilt.273 2. Denn anhand des bisher Gesagten könnte man meinen, dass wir die Astrologie lediglich auf den blinden Zufall zurückführen wollen und man die Astrologen nicht ablehnen dürfe, die auch bei diesen außergewöhnlichen Ereignissen die gewöhnliche Ordnung und zutreffende, rationale Ursachen zu wahren versuchen, damit nichts in der Natur blindlings und ohne eine rechtmäßige Ursache geschehe. Wenn eine solche irgendwie vorstellbar ist, muss man scheinbar besonders jene auswählen, die die Astrologen annehmen, nämlich den Himmel, da, wie sie sagen, weder unterhalb des Himmels irgendeine andere Ursache als so mächtig über alle Dinge beurteilt werden kann, die unter dem Himmel geschehen, noch oberhalb des Himmels, weil offensichtlich vieles unwürdig und gegen Verdienst und Verstand zu geschehen scheint, was eher eine gewisse Notwendigkeit der körperlichen Ursache zu belegen scheint als die Voraussicht dessen, der eine Wahl trifft. 3. Daher könnte es, um diese Bedenken auszuräumen, von Nutzen sein, einige Punkte dies betreffend ausführlicher abzuhandeln, um, nach dem Beweis, dass

273 Als zufällig (fortuitus) gelten diejenigen Ereignisse, die unbeabsichtigte Folge einer Ursache sind; sie treten nicht notwendigerweise und nicht regelmäßig ein; vgl. hierzu u.a. Arist. an. post. 1,30 87b 19–27; Thom. Aq. summ.1 quaest.22, art.2.

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Fortuita quae dicantur

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3. Quare, ut hos scrupulos extrudamus, disserere quaedam latius super his rebus utile fuerit, ut, postquam a caelo gubernari haec non posse monstravimus, nunc unde et quomodo gubernentur aperiamus. 4. Fortuita fieri dicimus, quae praeter intentionem operantis eveniunt; quare tantum in rebus humanis fortuna dicitur, ut quae solae consilio rationeque fiunt. 5. Exemplum tale, quo superius etiam usi: proposuit agricultor terram fodere culturam soli cogitans, non thesaurum; accidit, ut thesaurum inveniat; fortuito factum dicimus nec reperti thesauri causam aliam damus quam fortunam. Fortunam vero non intelligimus aut numen aut naturam aut rem omnino aliquam causam talis eventus, sed potius excludimus tantum fortuna factum dicentes, ac si dicamus: »ita evenit forte, non ex aliqua causa«. Nam fossio quidem terrae causa dici non potest, cum non sit terra, quatenus terra est locus, sed accidit eundem locum terram simul esse latebramque thesauri. Quapropter si quaeras qua causa factum, ut eruerit iste thesaurum, nullam est afferre, cum non una causa, sed fortuitus concursus plurium hoc causarum effecerit. 6. Propterea errabant, qui fortunam in rebus esse negabant, quam opinionem secundo Physicae auscultationis et sexto Primae philosophiae libro convellit Aris-

Font.: 4 Fortuita – eveniunt ] cf. Arist. MM 2,8 1207b 17–20; phys. 2,5 196b 17–33; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.5, n.2; lib.3, cap.92, n.7 5 in – fiunt ] cf. Arist. phys. 2,6 197b 6–11 714.17–716.1 convellit Aristoteles ] Arist. phys. 2,4–6; metaph. 7,7 1032a 28–32; cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.90, n.4 Sim.: 4–5 Fortuita – fiunt ] cf. rer. praen. 5,8 p. 560 6–8 proposuit – fortunam ] cf. rer. praen. 5,8 p. 560 8–11 Fortunam vero – aliqua causa ] cf. rer. praen. 5,8 p. 560 11–15 Nam fossio – effecerit ] cf. rer. praen. 5,8 p. 560 714.16–716.9 Propterea – tantum ] cf. rer. praen. 5,8 pp. 560 App. crit.: 1 scrupulos] scrupolos Garin 2 nunc BCorr OGarin : nec αβ 12 cum BCorr G (cf. rer. praen. 5,8 p. 560) : om. BOβGarin 13 latebramque BB BP OβGarin : latebraque α 14 iste] ille O

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jene nicht vom Himmel gesteuert werden können, an dieser Stelle der Frage nachzugehen, woher und auf welche Weise sie gesteuert werden. 4. Wir sagen, dass das ›zufällig‹ geschieht, was ohne die Absicht des Handelnden geschieht; daher wird lediglich bei menschlichen Angelegenheiten von ›Schicksal‹ gesprochen, da lediglich sie mit Absicht und Vernunft geschehen. 5. Als Beispiel mag das gelten, was wir schon weiter oben angeführt haben:274 Ein Landmann hat den Entschluss gefasst, die Erde umzugraben, wobei er die Bestellung des Bodens im Sinn hatte, nicht einen Schatz; es geschieht, dass er einen Schatz findet; ich behaupte, es sei zufällig (fortuito) geschehen, und ich führe für das Finden des Schatzes keinen anderen Grund an als das Schicksal (fortuna). Unter ›Schicksal‹ (fortuna) verstehe ich aber weder ein göttliches Wirken noch die Natur oder überhaupt irgendeine Sache als Ursache für dieses Ereignis, sondern vielmehr schließe ich jede Ursache aus, indem ich sage, es sei lediglich durch Schicksal geschehen, als ob ich sage: »So hat es sich durch Zufall ereignet und durch keine andere Ursache.« Denn das Umgraben der Erde kann gewiss nicht als Ursache gelten, da es sich nicht um ›Erde‹ handelt, insofern ›Erde‹ den Ort (locus) bezeichnet, sondern es ergibt sich, dass die Erde und das Versteck des Schatzes denselben Ort bezeichnen. Wenn man daher nach der Ursache dafür fragt, weshalb jener den Schatz ans Tageslicht brachte, kann man keinen anführen, da es nicht die eine Ursache gibt, sondern ein zufälliges Zusammentreffen mehrerer Ursachen dies bewirkt. 6. Deshalb irren diejenigen, die das Schicksal in Ereignissen ganz leugnen – eine Ansicht, die Aristoteles im zweiten Buch seiner Vorlesung über Physik und im sechsten Buch seiner Metaphysik zerreißt. Sie irren indessen nicht deshalb, weil sie glauben, dass das, was für uns unvorhergesehen und zufällig ist, höheren Geis-

274 Das Beispiel des beim Graben zufällig gefundenen Schatzes findet sich seit Aristoteles (metaph. 4,30 1025a 15–19) häufig zur Erläuterung des Zufall-Begriffes; insbesondere Thomas von Aquin macht häufig Gebrauch von diesem Beispiel, so z.B. sent. lib.1, dist.46, quaest.1, arg.2; lib.3, dist.37, quaest.1, arg.3; gent. lib.3, cap.92; summ.1, quaest.116, art.1; summ.2,2 quaest.95, art.5.

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Alius error detestabilis

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toteles. Errabant autem non quia putarent, quae nobis improvisa fortuitaque sunt, | ea nota provisaque esse posse superioribus mentibus, quare nihil absolute simpliciterque esse fortunam, sed quod arbitrarentur huiusmodi eventa necessario habere proximam per se causam non intelligentes quo pacto, quod est unum per accidens, causam minime exigat per se unam, ut hominem eundem musicum esse et bellatorem causam nullam habet; alioquin si simul essent propter aliquam causam, ordinem invicem haberent ex illa causa. Quae autem sibi temere accidunt, ut bellatori esse musicum, musico esse bellatorem, patet ea invicem ordinem non habere, quare nullam habet per se agentem causam, sed ex accidenti tantum. 7. Sic recte Peripatetici casum et fortunam defendunt in rebus necessitatem exterminantes; sed errant ex eis quidam detestabilius, quam qui auferunt casum pernegantes scilicet aliter ista fieri quam fortuito, hoc est nullo consilio superioris causae, nulla providentia; pullulat enim pestilentissimus hic error ex impietatis radice, qua creditur aut non cognosci, aut, si cognoscuntur, non curari a superis res humanas; qui alibi rationibus revincetur, ubi contra philosophos impios erit disputatio. Nunc veluti pro iudicato falsus abiciatur auctoritate omnium theologorum totiusque philosophorum familiae et Aristotelis, Peripateticorum principis, in Moralibus libris, tam ubi de felicitate, quam ubi de bona fortuna disseruit: nam illic cura esse homines Deis, praecipueque sapientes, et hic nota esse Deo sensibilia omnia praeterita atque futura et in his dirigi nos ab eo, clarisime as-

Font.: 4–9 non intelligentes – tantum ] cf. Arist. phys. 2,5 197a 10–16; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.86, n.11; summ.1 quaest.115, art.6 10–11 necessitatem exterminantes ] cf. Arist. phys. 2,9 199b 34–200b 8 11–13 errant – providentia ] cf. Euseb. praep. ev. 15,5,1–14 14–15 non cognosci – humanas ] cf. Epicur. sent.1; Aug. in psalm. 72, 21 (PL 36, 923–924) 19 illic – sapientes ] Arist. EN 10,9 1179a 22–32 hic – futura ] Arist. EE 8,14 1248a 34–39 Sim.: 716.11–718.2 sed – confirmavit ] cf. rer. praen. 5,8 pp. 560–561 App. crit.: 1 quae] quo O WO

8 non αGarin : om. βO

9 habent Garin : habet Ω

14 si] si non

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teswesen bekannt sei und von ihnen vorhergesehen werden könne, weshalb es schlechthin und ganz allgemein kein Schicksal gebe, sondern weil sie der Ansicht sind, derartige Ereignisse hätten notwendigerweise eine nächste Ursache an sich, wobei sie nicht verstehen, auf welche Weise das, was rein zufällig eins ist, keinesfalls durch seine Beschaffenheit eine einzige Ursache einfordert, wie die Tatsache, dass ein und derselbe Mann ein trefflicher Musiker und ein tapferer Krieger ist, keine Ursache hat; wenn sie anderenfalls wegen irgendeiner Ursache gleichzeitig eintreten würden, stünden sie in irgendeinem Verhältnis zueinander in Folge dieser Ursache. Die Dinge aber, die sich für jemanden zufällig ergeben, wie für einen Krieger, dass er Musiker ist, und für einen Musiker, dass er Krieger ist, können offensichtlich in keinem Verhältnis zueinander stehen, weshalb sie keine handelnde Ursache an sich haben, sondern sich lediglich durch Zufall (ex accidenti) ereignen. 7. Entsprechend verteidigen die Peripatetiker zu Recht Zufall und Schicksal und schließen die Notwendigkeit in der materiellen Welt aus;275 einige von ihnen irren sich aber in umso verabscheuenswerterer Weise als diejenigen, die den Zufall beseitigen, indem sie abstreiten, dass diese Dinge auf andere Weise geschehen als zufällig, also ohne planvolle Absicht einer weiter oben stehenden Ursache und ohne Vorsehung. Denn aus der Wurzel des Unglaubens keimt hier der verdammenswerteste aller Irrtümer, wenn man glaubt, die menschlichen Angelegenheiten würden von den Göttern nicht wahrgenommen oder, wenn wahrgenommen, so doch nicht beachtet.276 Dieser Irrtum wird an anderer Stelle argumentativ widerlegt werden, wo sich die Argumentation gegen die ungläubigen Philosophen richten wird. Nun wird er sozusagen vorverurteilt als falsch verworfen durch die Autorität aller Theologen und der gesamten philosophischen Familie und auch des Aristoteles, des Oberhauptes der Peripatetiker, und zwar in seinen Moralia277 : zum

275 Aristoteles’ Begriff der Notwendigkeit (ἀνάγκη) unterscheidet zwischen verschiedenen Notwendigkeiten (vgl. z.B. metaph. 4,5 1015a 20–1015b 15). Während die Bewegungen der Himmelskörper notwendig und determiniert seien, gebe es in der sublunaren, materiellen Welt eine von oben nach unten zunehmende Lösung von der Notwendigkeit, die in der materiellen Welt nicht mehr bestehe (vgl. gen. animal. 4,10 778a 3–12); vgl. hierzu sowie zum Notwendigkeitsbegriff bei Aristoteles allgemein Kullmann (1985), der zu dem Schluss kommt, dass der Notwendigkeitsbegriff des Aristoteles »[m]it unserem wissenschaftlichen Weltbild […] grob gesprochen insofern überein[stimmt], als auch er innerhalb der Natur einen Schnitt macht zwischen einem Bereich, in dem eine strikte Kausalität herrscht bzw. alles Geschehen fest determiniert ist, und einem Bereich, wo dies nicht der Fall ist« (ebd.: S. 238). Dies erklärt die von Pico geäußerte Einschränkung »in der materiellen Welt« (in rebus). 276 Die Ansicht, die Götter kümmerten sich nicht um die menschlichen Sorgen, vertrat besonders prominent der Philosoph Epikur; vgl. sent. 1 sowie die Darstellung bei Lukrez (2,646–651). 277 Dass es sich hierbei nicht um die gleichnamigen Schriften handelt, sondern um die Eudemische und die Nikomachische Ethik, wird anhand der zitierten Stelle klar. Auch Gianfrancesco Pico weist in seiner Paraphrase in diese Richtung, wenn er schreibt (rer. praen. 5,8 p. 561): Et in moralibus quoque at Eudemum, ubi de bona fortuna disseruit…

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Liber de Mundo Aristotelis sapientia dignus

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severavit, quod in libro quoque De mundo, libro utique Aristotelis sapientia digno, confirmavit, quem Platonica illa de divina iustitia sententia quasi oraculi cuiusdam coronide terminavit. 8. Si igitur curant humana Dei (sic enim loquimur, ut custodes angelos et intelligentium causarum seriem ordinem complectamur Dei veri consilio providentiaeque famulantem), si, inquam, hoc verum est, nemo dubitaverit instigatos ab illis homines ea saepe facere, quae sunt homini non praevisa, non praecognita, illis vero sapientissima praecognitione disposita. Vulgatissimum est exemplum de servis eodem missis a domino, ut convenirent, ignaris tamen domini voluntatis: quorum conventus atque concursus ipsis servis inopinatus atque fortuitus, domino praevisus et praeordinatus est. Sic procurans utilitatem pauperis agricolae custos angelus potest ad eum locum effodiendum invitare motibus occultis, ubi

Font.: 4–6 custodes – famulantem ] cf. Thom. Aq. sent. lib.2, dist.11, quaest.1 8–11 Vulgatissimum – praeordinatus est ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.92, n.2 718.11–720.2 procurans – fuerit ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.92, n.2 Sim.: 6–8 nemo – disposita ] cf. rer. praen. 5,8 p. 561 App. crit.: 5 seriem scripsi coll. disp. 4,4 (causarum series ordoque) et Thom. Aq. summ.1 quaest.116, art.2 : serum αβO : secum BP : verum Garin ordinemque scripsi : ordinem ΩGarin veri] vero Garin

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einen in der Abhandlung der Glückseligkeit (de felicitate), zum anderen in der des günstigen Schicksals (de bona fortuna). Denn an der ersten Stelle bekräftigt er in augenscheinlicher Weise, dass die Menschen, insbesondere die Weisen, den Göttern am Herzen liegen, an der zweiten, dass Gott alles Wahrnehmbare, egal ob vergangen oder zukünftig, bekannt ist, und dass wir darin von ihm gelenkt werden, was er auch in seiner Schrift ›Über die Welt‹ (De mundo) bekräftigt, welche der Weisheit eines Aristoteles gewiss würdig ist, und die vom Ausspruch Platons über die göttliche Gerechtigkeit abgeschlossen wird, sozusagen mit dem Schlussstrich einer Art von Orakel.278 8. Wenn sich also die Götter (dies ist unsere Wortwahl, um die wachenden Engel und die geordnete Schar vernunftbegabter Ursachen279 , die dem Plan und der Vorsehung des wahrhaftigen Gottes zu Diensten sind, miteinzuschließen) um die menschlichen Angelegenheiten kümmern, wenn dies also, sage ich, wahr ist, so wird niemand daran Zweifel hegen, dass die Menschen von ihnen angestachelt oftmals das machen, was vom Menschen selbst nicht vorhergesehen und vorausgeahnt wurde, von diesen allerdings durch die weiseste Form der Vorahnung angeordnet wurde. Äußerst weit verbreitet ist das Beispiel von den zwei Sklaven, die von ihrem Herrn zu einem Treffen an denselben Ort geschickt wurden, wobei ihnen der Wille ihres Herrn nicht bekannt war: Ihr Zusammentreffen bzw. Aufeinanderstoßen ist für die Sklaven selbst unvermutet und zufällig, für ihren

278 Die dem Aristoteles zugerechnete, in ihrer Echtheit aber umstrittene Schrift Περὶ κόσμου (De mundo) endet mit einem Zitat aus den Νόμοι Platons (Arist. mund. 401b 21–29 = Plat. leg. 715E – 716A bzw. 730C ): ὁ μὲν δὴ θεός, ὥσπερ ὁ παλαιὸς λόγος, ἀρχήν τε καὶ τελευτὴν καὶ μέσα τῶν ὄντων ἁπάντων ἔχων, εὐθεῖα περαίνει κατὰ φύσιν πορευόμενος· τῷ δὲ ἀεὶ συνέπεται δίκη, τῶν ἀπολειπομένων τοῦ θεοῦ νόμου τιμωρός. Der Hinweis libro utique Aristotelis sapientia digno könnte Hinweis geben, dass Pico mit der Frage um die Echtheit dieser Schrift, die spätestens seit der Kritik des Erasmus von Rotterdam Streitpunkt gelehrter Renaissance-Philologie war, vertraut war; vgl. hierzu Frank (2016: S. 331–332). So schreibt auch der Humanist Philipp Melanchthon im dritten Buch seiner Initia doctrinae physicae (Bretschneider 1846: S. 213–214 [= Corpus Reformatorum 13]): [D]efinitionem recitabo, quae est in libro de Mundo, qui inter Aristotelicos ponitur, etsi ab alio multo recentiore scriptus esse adparet. Zweifel an der Autorschaft des Aristoteles äußert bereits der Philosoph Proklos in seinem Kommentar zu Platons Timaios (Procl. in Ti. 41e p. III 272,20–21). 279 Zum Begriff series ordoque causarum siehe unten disp. 4,4. Der Begriff der series bzw. connexio causarum findet sich bei Augustinus (De civitate dei 5,8), den Pico wenige Zeilen später ebenfalls als Gewährsmann anführt, und ist eine Paraphrase des ursprünglich stoischen Begriffs Fatum; ihm folgen Boethius (cons. 5,2,2) sowie Chalcidius in seinem Kommentar zum Platonischen Timaios (Chalc. comm. 204 p. 183,6–10). Pico greift den Begriff ebenfalls bereits im zehnten Kapitel des dritten Buches auf, wo es heißt (s.o. disp. 3,10,3): Ex quibus omnibus colligi potest, quod a philosophis dicitur, ordine quodam essentiali seriem quasique catenam causarum invicem necti pendereque deorsum.

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Augustinus

Definitio fortunae a Proclo assignata

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novit angelus esse thesaurum, ut quod pauperi fuit fortuna, consilium tamen angelo fuerit. 9. Hoc respiciens Aurelius Augustinus quinto De civitate Dei libro »non«, inquit, »causas, quae dicuntur fortuitae, unde et fortuna nomen accepit, nullas esse dicimus, sed latentes easque tribuimus vel veri Dei vel quorumlibet spirituum voluntati«. Dixit »quorumlibet spirituum«, quoniam tam a bonis hoc fieri potest, quam angelis malis, licet non omnia possint mali, quae boni, nec idem utrisque finis; sed bonis quidem commune hominum bonum, malis vero malum, frustrante illorum tamen malitiam bonitate divina, dum in bonum ordinat redigitque quicquid ab illis mala fuerit voluntate patratum. Sed haec alibi latius. 10. Proclus Platonicus in Commentariis in Thimeum eadem ratione, qua et Augustinus, fortunam definivit esse daemonicam potestatem congregantem invicem causas inter se divulsas nec differt a Peripatetica determinatione, qua dicitur fortunam esse in electione humana causam aliquid efficientem ex accidenti; sed altera causam remotiorem occultioremque, altera proximam notamque respexit; dixit enim Proclus »daemonicam potestatem«, quod ita vocent Platonici quascumque mentes inter homines positas et intellectus superiores a particulari et proxima rerum nostrarum | cognitione semotas.

Font.: 3–6 Aurelius Augustinus – voluntati ] cf. Aug. civ. 5,9 p. 206,9–12 4 unde – accepit ] cf. Isid. orig. 8,11,94 7–8 licet – finis ] Thom. Aq. sent. lib.2, dist.11, quaest.1 12–13 definivit – divulsas ] cf. Ficin. in enn. 3,3 p. I 447 W (= Opera II, 1703) 14 fortunam – ex accidenti ] cf. Arist. phys. 2,5 196b 21–36; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.74, n.5 Sim.: 3–8 Aurelius – finis ] cf. rer. praen. 5,8 p. 561 p. 561

11–18 Proclus – semotas ] cf. rer. praen. 5,8

accepit] accipit App. crit.: 1 consilium] consilio Garin 4 et] etiam Aug. civ. 5,9 p. 206,10 Garin (sed cf. Aug. civ. 5,9 p. 206,10–11) 5 veri Dei] Dei veri Aug. civ. 5,9 p. 206,12 7 angelis om. G 11 qua BCorr G : pro qua BOβGarin

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Herrn aber ist es vorhergesehen und vorausbestimmt. Ebenso kann der wachende Engel, der um den Nutzen für den armen Bauern besorgt ist, mit verborgenen Bewegungen (motus occulti) diesen dazu auffordern, den besagten Ort umzugraben, an dem, wie der Engel weiß, der Schatz liegt, sodass das, was für den armen Mann ›Schicksal‹ ist, für den Engel im Gegenzug ›Absicht‹ ist. 9. Dies im Blick sagt Aurelius Augustinus im fünften Buch seiner Schrift »Vom Gottesstaat« (De civitate dei): »Wir behaupten nicht, dass es die Ursachen, die man als zufällige bezeichnet, woher auch das Schicksal seinen Namen erhielt, nicht gibt, sondern dass sie verborgen sind, und wir weisen sie dem Willen des wahren Gottes oder irgendwelcher beliebigen Geister zu.« Dabei sagte er »irgendwelcher beliebiger Geister«, da dies ebenso gut von guten Engeln ausgehen kann wie von schlechten, auch wenn die schlechten nicht alles vermögen, was die guten können, und beide Parteien nicht dasselbe Ziel haben; den guten Geistern ist jedoch das Wohl der Menschen gemeinsam, den schlechten aber das Übel, wobei ihre Boshaftigkeit allerdings von der göttlichen Güte vereitelt wird, wenn er alles Schlechte, was sie mit ihrem bösen Willen durchgesetzt haben, zum Guten wendet und ordnet. Doch dazu an anderer Stelle mehr. 10. Der Platoniker Proklos definierte ›Schicksal‹ in seinem »Kommentar zu Platons Timaios« nach derselben Argumentation, der sich bereits Augustinus bediente, als dämonische Macht, die voneinander getrennte Ursachen miteinander vereinigt,280 und diese Definition weicht nicht von der peripatetischen Definition ab, nach der ›Schicksal‹ die Wirkursache sei, die in der menschlichen Wahlfreiheit zufällig (ex accidenti) etwas bewirke; aber die eine bezeichnet die entferntere und verborgenere Ursache, die andere die nächstliegende und bekannte; denn Proklos sprach von der »dämonischen Macht«, da die Platoniker mit dieser Bezeichnung alle geistigen Wesen zwischen den Menschen und den oberen Intelligenzen versehen, die von der besonderen und nächsten Wahrnehmung unserer Angelegenheiten getrennt sind.

280 Pico zitiert an dieser Stelle aus Marsilio Ficinos Kommentar zu den Enneaden Plotins (in enn. 3,3 p. I 447 W [= Ficinus 1576: p. II 1703]): Hinc Proculus [Ficinus 1576: p. II 1703: Proclus] in Timaeo fortunam definiens inquit: non temerariam esse vel caecam, sed esse divinam vel daemonicam potestatem, in unum exitum divulsas causas congregantem. Unklar ist, wo Proklos selbst diese Definition vornimmt.

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Exemplum supradictorum

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11. Declaremus exemplis haec quomodo fiant, ubi et caelum in his quid agat intelligamus. 12. Domi erat Lucius et foris quidem quid agere non habebat; verum sedit animo tamen exeundi sententia; simulatque egressus domo est, ruit domus. Fortunatum dices, qui periculum imminens sic evitaverit; cuius rei causam a male pio philosopho si quaesieris, sed et male philosopho, respondebit casu ita factum nec aliam causam requirendam; si quaeras ab astrologo, in benignam hoc aliquam radiationem refert fortunantis planetae, cuius ope defensus ille sit a ruina. Fallitur autem ratione superius enarrata, quoniam incitare Lucium ad egressum, ne sub ruina pereat, causae est intelligentis agentisque consilio et ratione; qualis nec Iovis nec alterius stellae radius. 13. Tantum esse hoc de caelo potuit, ut ad egressum Lucii animus esset propensior, quam ad quietem, sicut hoc quoque ab ipso corporis habitu esse potuit, ex quo alii sedentarii magis, alii ambulatores homines sunt, ut, si qua fuerit huius boni constellatio causa, fuerit ex his potius, quae vegetes nos reddunt et melius appetentes, quales Martias dicunt, non benefica quaepiam et defensatrix a malis, quando, ut saepius idem invehamus (sic enim expedit), ordinare illa invicem radius non potest, egressum scilicet tuitionemque a ruina, sed, quemadmodum eligenti egressionem Lucio spatiandi gratia fortuitum est, ut egrediens mortis discrimen evadat, ita constellationi (si quam modo talem esse censemus) iuvanti illum ad motum fortuitum est prorsusque accidentale, ut liberet a ruina; quo fit,

Font.: 16 Martias dicunt ] cf. Firm. math. 4,21,12 Sim.: 12–16 Tantum – appetentes ] cf. rer. praen. 5,8 p. 561 App. crit.: 3 ageret Garin : agere Ω 4 simulatque] simul atque Garin 6 male philosopho] fortasse aut malo aut philosophato (coll. disp. 1,36) aut philosophante (coll. disp. 4,4,5) scribendum; sed cf. e.g. Catull. 16,13; Ov. ars 1,524 15 vegetes] fortasse scribendum vegetiores (cf. rer. praen. 5,8 p. 561) 16 appetentes] apparentes O benefica] beneficia G 17 sic – expedit] uncos add. BB BP 20 si – censemus] uncos add. BB BP

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11. Wir wollen anhand von Beispielen erläutern, wie dies geschieht, anhand derer wir auch verstehen können, welchen Anteil der Himmel daran hat.281 12. Lucius war zu Hause und hatte nichts außer Hauses zu tun; dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los, er müsse das Haus verlassen; sobald er das Haus verlassen hatte, stürzte es ein. Denjenigen, der einer drohenden Gefahr so entgeht, wird man wohl als ›vom Glück gesegnet‹ (fortunatus) bezeichnen; fragt man einen wenig frommen, aber auch wenig philosophisch beschlagenen Philosophen nach dem Grund für dieses Ereignis, wird er zur Antwort geben, es sei durch Zufall (casu) geschehen und man müsse keinen anderen Grund dafür suchen; fragt man einen Astrologen, führt er es auf irgendeinen positiven Aspekt eines der Planeten, die Wohltäter sind, zurück, durch dessen Unterstützung jener vor dem Einsturz geschützt worden sei. Er irrt sich aber gemäß der weiter oben dargestellten Argumentation, da es ja die überlegende Absicht einer verstehenden und handelnden Ursache bewirkt, Lucius zum Verlassen des Hauses anzuregen, um nicht unter dem Einsturz des Gebäudes zu Grunde zu gehen; eine solche ist aber weder der Strahl des Jupiter noch der eines anderen Himmelskörpers. 13. Vom Himmel konnte lediglich kommen, dass Lucius der Sinn eher danach stand, das Haus zu verlassen, als in Ruhe zu verweilen, wie dies ja auch vom Zustand des Körpers selbst kommen kann, durch den die einen eher Stubenhocker sind, die anderen eher Spaziergänger; wenn daher irgendeine Himmelskonstellation die Ursache dieses guten Ereignisses wäre, gehörte sie eher zu denjenigen, die uns munter machen und uns nach Besserem streben lassen, wie es bei den Strahlen des Mars der Fall sein soll, und wäre keine wohltätige und Übel abwehrende, da, um ein und denselben Fehler immer wieder anzugreifen (nur so nützt es nämlich), der Strahl jene Ereignisse nicht in gegenseitigen Zusammenhang bringen kann, also das Verlassen des Hauses und den Schutz vor dem Einsturz, sondern es, wie es für Lucius, der sich für das Verlassen des Hauses entscheidet, um einen Spaziergang zu machen, zufällig ist, dass er beim Verlassen der tödlichen Gefahr entgeht, ebenso für die Himmelskonstellation (wenn wir denn meinen, dass es

281 Das folgende Beispiel des einstürzenden Hauses ist vorgezeichnet bei Aristoteles (phys. 2,5 197b 15–16), wo allerdings ein Pferd Handlungsträger ist, anhand dessen der Unterschied zwischen αὐτόματον und ἀπὸ τύχης verdeutlicht wird, da das Pferd – im Gegensatz zum Menschen – über kein Zweckbewusstsein verfügt, also willentlich einem zukünftigen Unheil entgeht. Denselben Mangel an planendem Zweckbewusstsein wirft auch Pico der von den Astrologen angeführten Ursache vor.

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ut nec cognoscens astrologus, quid tunc influat caelum Lucio, aliud sit, quod cognoscat, quam avidum illum futurum motus ambulationisque; sed futurum, ut simul domum et periculum fugiat, praecognosci ab eo posse nec thema nec ratio ulla consentit. 14. Una igitur superest causa, cui provisum hoc nec fortuitum esse potuit, divina scilicet vellicans intus animum Lucii instigansque ad egressum, ne sub domo mox casura dispereat, quam scilicet et casuram idem numen intelligit et ad eum finem ordinare Lucii exitum potest. De radio corporali neutrum dici potest, quare nec philosophus ullus fortunam definivit caelestis decreti constitutionem aut geniturae fatum aut tale quippiam ductum a dogmate astrologorum, sed aut ad ipsum casum inopinatumque concursum causarum se rettulerunt, aut ad intellectuales causas invicem conciliantes suo consilio, quae nostrae providentiae fines effugerunt. 15. Sic magnus ille philosophorum dux Aristoteles, quid sit bona fortuna, quid mala, quid fortunatum esse, quid infortunatum latissime disserens, nedum decernendo caelestium meminit constellationum, sed nec inquirendo disputandoque, quia istam genethliacorum opinionem nec dignam putabat, de qua philosophus homo dubitaret, sed velut alia circulatorum deliramenta potius inter fabulas et praestigia quam inter controversias philosophiae debere annumerari.

App. crit.: 3 thema] thematis B (corr. BCorr ) 10 fatum BB BP : factum αβOGarin 18–19 fabulas om. Garin 19 debere BB BP : debere αβO

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sich hierbei um eine solche handelt), die ihm zur Bewegung verhilft, zufällig ist und rein beliebig, dass sie vor dem Einsturz bewahrt; so kommt es, dass, wenn der Astrologe weiß, wie der Himmel zu dem Zeitpunkt auf Lucius einwirkt, er auch nichts anderes weiß, als dass diesem der Sinn nach Bewegung und einem Spaziergang stehen wird; aber weder ein Horoskop noch irgendeine Berechnung können übereinkommen, dass er vorhersagen kann, dass dieser gleichzeitig das Haus verlassen und der Gefahr entgehen kann. 14. Folglich bleibt nur eine Ursache übrig, für die das vorhersehbar und nicht zufällig gewesen sein kann, nämlich die göttliche, die Lucius’ Geist von innen heraus anstachelte und ihn zum Verlassen des Hauses anregte, um nicht unter dem Haus, das bald einstürzen würde, begraben zu werden, weil ein und dieselbe göttliche Macht sowohl weiß, dass das Haus im Begriff steht, einzustürzen, als auch zu diesem Zweck anordnen kann, dass Lucius das Haus verlässt. Für einen körperlichen Strahl282 gilt keines von beiden; deshalb hat auch kein Philosoph jemals das Schicksal als Bestimmung des himmlischen Beschlusses bezeichnet oder als das Schicksal der Geburtskonstellation oder irgendetwas anderes Derartiges, was man der Lehre der Astrologen entnehmen kann, sondern sie suchten entweder beim Zufall und beim unerwarteten Zusammentreffen von Ursachen Zuflucht oder aber bei übersinnlichen Ursachen, die durch rationale Absicht das miteinander vereinigen, was sich den Grenzen unserer Voraussicht entzog. 15. So erwähnt Aristoteles, jener bedeutende Fürst der Philosophen, bei seiner umfangreichen Abhandlung der Frage, was Glück und was Unglück ist und was es heißt, glückselig und unglückselig zu sein, die himmlischen Konstellationen keinesfalls in seiner Schlussfolgerung, aber noch nicht einmal innerhalb der Untersuchung und Erörterung, weil er jene astrologische Ansicht nicht für würdig erachtete, dass ein philosophischer Mensch Zweifel an ihr hege, sondern weil er glaubte, man müsse sie wie das andere Geschwätz der Scharlatane vielmehr unter die Ammenmärchen und Gauklerpossen zählen als unter die strittigen Fragen der Philosophie. 16. Aristoteles selbst bietet in dieser Abhandlung nach einer sorgfältigen Untersuchung des ganzen Gegenstandes folgende Definition:283 »Wenn uns aber so

282 Gemeint ist ein Strahl, der von einem Körper ausgeht. Vgl. auch disp. 4,4,19. 283 Der folgende Abschnitt stellt kein Zitat im eigentlichen Sinn des Wortes dar, sondern eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die Aristoteles betreffs Glück und Unglück in der »Nikomachischen Ethik« (EN 10,6–9 1176a 30–1179a 32), der »Eudemischen Ethik« (EE 8,14 1246b 37–1248b 7), den Magna moralia (MM 2,8 1206b 30–1207b 19) sowie seiner »Physikvorlesung« (phys. 2,5–9), die sich dem Zusammenhang von Zufall und Glück widmet, äußert.

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i2v Aristoteles quam recte de deo et anima Conclusio

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16. Ipse igitur Aristoteles in eo tractatu post diligentem totius quaestionis examinationem ita definit: »Cum nobis bene ita fortuito evenit, dupliciter fieri solere: aut incidentibus nobis prorsus imprudenter in id, quod bonum facit eventum, aut, quamvis non consilio deliberationeque, impetu tamen ad id animi ductis, cuius ita rationem ignoramus, ut, quo ille se fert, obstinatissime tantum remo veloque descendamus«. 17. Illud primum ad casum putat referendum, hoc ad divinam motionem, qua penitus ipsa voluntas occultis impulsionibus inclinetur; quod passi solent illa dicere: »praesagit animus nescio quid«, »non possum aliter velle«, »huc rapior«, »alia cogitanti mens non accedit«, et ita, cum sui consilii rationem nullam reddere possint, ita tamen libitum sibi, ita praeiudicatum animo pertina | citer asseverant. 18. Quo loco philosophus Aristoteles et Deo nota esse omnia, ut superius diximus, et nihil esse sublimius Deo, unde possit voluntas nostra moveri, quod magnum esse immortalitatis argumentum affirmat. 19. Ex quibus omnibus ita colligi potest rerum humanarum quasdam fieri casu, quasdam natura, quasdam electione, quasdam divino consilio; nam licet nihil fiat praeter Dei consilium, ita tamen partimur, ut fieri divinitus ea dicamus, quae relictae sibi hominum mentes non efficerent, sed peculiari numinis impulsu commotae faciunt, praeter illam generalem summae potestatis omnibus assistentiam, sine qua nihil esse, nihil fieri, licet minimum, potest. Sic, quamvis proprium hominis sit agere electione, regitur tamen interdum natura, cum motibus affectionum corporalium mancipatus iudicium rationis non expectat.

Font.: 7 primum – referendum ] cf. Arist. EE 8,14 1248b 3–7 ad divinam – inclinetur ] cf. Arist. EE 8,14 1248a 23–1248b 7 8–11 quod – asseverant ] cf. Arist. MM 2,8 1207a 35–1207b 5 12 Deo nota esse omnia ] Arist. EE 8,14 1248a 34–39 13 nihil esse sublimius Deo ] Arist. EE 8,14 1248a 28–31 voluntas nostra moveri ] Arist. EE 8,14 1248a 24–27 16 quasdam natura ] cf. Arist. MM 2,8 1207a 35–37 App. crit.: 5 remo CFOGarin : rhemo αVW : themo R 10 mens] meus VWR 15 Tit. Conclusio add. BP

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zufällig etwas Gutes geschieht, so passiert es gewöhnlich auf zweifache Weise: Entweder geraten wir geradewegs ohne Absicht in das, was das gute Ereignis bewirkt, oder aber wir gelangen, wenn auch nicht durch Absicht oder Überlegung, so doch aus einem inneren Antrieb heraus zu einem Gedanken, über dessen Sinn wir dermaßen in Unkenntnis sind, dass wir, wohin er sich begibt, äußerst beharrlich und mit allen Kräften zielstrebig auf ihn zustreben.« 17. Das Erstere, glaubt er, müsse man auf den Zufall zurückführen, das Zweitere jedoch auf die göttliche Anregung zur Bewegung, durch die unser Wille selbst durch verborgene Einwirkungen gänzlich gebeugt wird. Diejenigen, die es erlitten haben, sagen gewöhnlich: »Ich hatte irgendeine Vorahnung«, »ich konnte nicht anders wollen«, »ich wurde dorthin gerissen«, »mein Verstand ließ mich an nichts Anderes denken« und anderes Derartiges und versichern beharrlich, obschon sie über ihre Absicht keine Rechenschaft ablegen können, dass es ihnen so beliebt habe, ihnen im Geiste so im Voraus entschieden gewesen sei. 18. An dieser Stelle bestätigt der Philosoph Aristoteles, dass sowohl alles Gott bekannt ist, wie wir bereits weiter oben sagten, als auch dass es nichts Erhabeneres gebe als Gott, wodurch unser Wille in Bewegung gesetzt werden könnte, was, wie er bekräftigt, ein wichtiges Argument für die Unsterblichkeit sei. 19. Aus all diesem kann man den Schluss ziehen, dass einige Ereignisse des menschlichen Daseins zufällig geschehen, einige durch die Natur, einige durch eigene Wahl und einige durch göttlichen Willen; denn obwohl nichts gegen den Willen Gottes geschieht, teilen wir es uns so ein, dass wir behaupten, das sei durch das Wirken Gottes geschehen, was der auf sich gestellte menschliche Verstand nicht bewirken könne, aber durch das Einwirken eines besonderen göttlichen Wesens bewirkt er diese Dinge durchaus, ganz abgesehen von jenem allgemeinen, allen Menschen zukommenden Beistand der höchsten Macht, ohne den nichts existieren oder entstehen kann, auch nicht das Allerkleinste. In diesem Sinne wird der Mensch, obwohl es seine Eigentümlichkeit ist, nach seiner Entscheidung zu handeln, dennoch bisweilen von der Natur gelenkt, wenn er, ergriffen von den Regungen körperlicher Neigungen, das Urteil seines Verstandes nicht abwartet.

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20. Declarantur haec uno exemplo: Indicit rex bellum finitimis; forsitan in causa natura regis est bellicosa, cupida, irrequieta; forsitan non tam passione ducitur quam ratione vel iure vendicandi, quod suum est, vel iniuriae reponendae vel aliis de causis. Potest praeter haec omnia speciale Dei consilium intervenire, semper iustum, semper rationale, licet non eius semper vel iustitia vel ratio omnibus pateat. Dei, inquam, consilium et animantis ad bellum capessendum et, cum ita libet, armantis ad victoriam, quo pacto loquitur apud Hyeremiam prophetam: »Ecce ego mittam et assumam universas cognationes aquilonis et Nabuchodonosor regem Babylonis servum meum et adducam eos super terram istam et super habitatores eius et super omnes nationes, quae in circuitu illius sunt«. Et apud Esaiam: »Assur virga furoris mei et baculus ipse est, in manu eius indignatio mea; ad gentem fallacem mittam eum et contra populum furoris mei mandabo illi, ut auferat spolia et diripiat praedam et ponat illum in conculcationem quasi lutum platearum; ipse autem non sic arbitrabitur et cor eius non ita extimabit«.

Font.: 7–10 apud Ieremiam – sunt ] Vulg. Ier. 25,9 10,5–7

10–14 apud Esaiam – extimabit ] Vulg. Is.

App. crit.: 6 capessendum BB : capescendum αβO 7 libet α : liber βO 8 cognationes] cognitiones Garin 11 eius] eorum Vulg. Is. 25,5 12 illi scripsi coll. Vulg. Is. 10,6 : illum ΩGarin 14 ita om. O extimabit] aestimabit Garin (cf. Vulg. Is. 10,7)

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20. Dies lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Ein König erklärt seinen Nachbarn den Krieg. Vielleicht ist die Natur des Königs die Ursache, sei sie kriegerisch, gierig oder rastlos; vielleicht wird er nicht so sehr durch eine Gemütsbewegung geleitet als vielmehr durch die vernünftige Überlegung, zu Recht etwas zu strafen oder ein Unrecht zu sühnen, oder aus anderen Gründen. Es kann neben all diesem auch der besondere Plan Gottes dazwischenkommen, der immer gerecht ist, immer vernünftig, mag auch seine Gerechtigkeit oder Vernunft nicht immer für alle offensichtlich sein. Der Plan Gottes, sage ich, der anregt einen Krieg vom Zaun zu brechen und, wenn es ihm beliebt, zum Sieg ausrüstet, wie er beim Propheten Jeremias sagt: »Siehe, ich werde schicken und kommen lassen alle Geschlechter des Nordens und meinen Sklaven Nebukadnezar, den König von Babylon, und lasse sie kommen über dieses Land hier und über seine Einwohner und über alle Völker, die ringsum liegen«. Und bei Jesaja: »Assur ist die Rute meines Zornes und der Stock selbst; in dessen Hand ist meine Entrüstung; zum trügerischen Volk werde ich ihn schicken und ihm befehlen, gegen das Volk meines Zornes zu ziehen, dass er ihre Rüstungen raube, sie ausplündere und sie zertrete wie Schmutz in den Gassen; er selbst wird es aber nicht so meinen und sein Herz wird nicht so denken.«

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Caput IIII – Ad caelum non esse referendum, si quid a nobis fit, quod nostras vires excedere videatur, sed potius vel ad angelos vel ad Deum; atque inibi de fato multa utque divina praevidentia nostram libertatem non tollat.

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1. Cum quid vero ab homine fit, quod eius vires excedere videatur, insolitis solet eventis admirabilibusque mortalitas nostra concuti victaque rerum magnitudine suspicari vim causae potentioris id agentis in homine atque per hominem, quod humanae vires facultatis excedat. Et hac quidem suspicione qui carneos tantum oculos habent rapiuntur ad caelum, quo nihil ipsi maius vident aut potentius sentiunt, malae ita compotes mentis, ut ad causam amentem expertemque cognitionis id referant, cui nec omne mentis humanae consilium satis esse credunt. 2. Quodsi respondeant illa quidem a Deo disponi et ordinari, sed a Deo per caelum sideraque compleri, quorum virtus et efficacia tanta sit, nimis quam absurde dicere revincentur, siquidem intercedentes istae causae inter Deum et nos sicuti humiliores Deo, ita sublimiores hominibus esse debent; nec quae ratione consilioque peraguntur, qualia nostra sunt, per irrationalia corpora decet ab auctore primo dispo | ni, sed, quemadmodum ille elementariam molem, utpote deteriorem, per caelestem, quae melior est, regit et moderatur, ita res humanas, non corporum sed angelorum mysterio, qui natura dignitateque mediant inter nos et Deum, convenit gubernari; quare, cum a Deo descendis ad terram, descende per

Font.: 7–8 carneos tantum oculos habent ] cf. Vulg. Iob 10,4; Thom. Aq. super Iob 10 Sim.: 11–19 Quodsi – gubernari ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562; Bellant. resp. disp. 4,4 fol. v 730.19– 732.1 quare – angelos ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562; Bellant. resp. disp. 4,4 fol. v App. crit.: 1 a om. Garin 6 quod α : quo βOGarin 8–9 aut potentius sentiunt om. Garin tentius] putentius RC 9 malae] male WOGarin 18 inter nos] internos W

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Kapitel 4 – Wenn wir etwas vollbringen, was anscheinend über unsere Kräfte hinausgeht, darf man das nicht auf den Himmel zurückführen, sondern vielmehr entweder auf Engel oder auf Gott; daneben auch viel zum Schicksal und zur Frage, wie die göttliche Vorsehung unseren freien Willen nicht aufhebt. 1. Wenn ein Mensch irgendetwas vollbringt, was anscheinend über dessen Kräfte hinausgeht, ist unser sterbliches Dasein in der Regel erschüttert von den ungewohnten und erstaunlichen Ereignissen und vermutet, besiegt von der Größe der Ereignisse, die Kraft einer mächtigeren Ursache dahinter, die dies im Menschen und durch den Menschen bewirkt, was über die Kräfte menschlichen Vermögens hinausgeht. Und mit dieser Vermutung werden diejenigen, die lediglich über fleischliche Augen verfügen284 , hinauf zum Himmel gerissen, da sie selbst sehen, dass es nichts Größeres gibt als diesen, und wissen, dass es nichts Mächtigeres gibt als diesen, wobei sie dermaßen von Sinnen sind, dass sie das auf eine allen Sinnes und aller Erkenntnis entbehrende Ursache zurückführen, wofür ihres Dafürhaltens auch die gesamte Absicht des menschlichen Geistes nicht ausreichend sei. 2. Wenn sie aber zur Antwort geben, dass jene Dinge zwar von Gott zugeteilt und geordnet würden, aber auch von Gott durch Himmel und Sterne ausgeführt würden, deren wirkende Kraft gewaltig sei, wird man sie überführen, mehr als nur Abwegiges vorzubringen, weil ja jene Zwischen-Ursachen zwischen Gott und uns einerseits niedriger als Gott sein müssen, andererseits aber erhabener als die Menschen; des Weiteren gehört es sich nicht, dass das, was mit Vernunft und Absicht erledigt wird, wie es unsere Angelegenheiten sind, vom ersten Urheber vermittels unvernünftiger Körper geordnet wird, sondern ebenso, wie er die elementare Masse, die ja minderwertiger ist, vermittels der himmlischen Masse, die besser ist,

284 Die Junktur qui carneos tantum oculus habent lässt sich zurückführen auf das Buch Hiob (Iob), an der es heißt (Vulg. Iob 10,4): numquid oculi carnei tibi sunt aut sicut videt homo et tu videbis. In seinem Kommentar zum Buch Iob erläutert Thomas von Aquin die Stelle folgendermaßen (super Iob 10): Ac si dicat: numquid tu corporalibus sensibus cognoscis ut sola corporalia videas et interiora cognoscere non possis?

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caelum; cum a Deo descendis ad homines, descende per angelos. Sic angelum Persarum, Graecorum, Hebraeorum legis apud prophetas suis populis providentes et apud Platonem omnesque Platonicos locales deos urbibus, regnis hominibusque praepositos, quorum mentionem quoque factam ab Aristotele et antiquior Isidorus et post Isidorum Clemens Alexandrinus in Stromatis meminerunt. 3. Neque nos turbet, quod indigne quaedam interdum iniusteque fieri nobis videntur, ut propterea ad causam naturali necessitate, non consilio agentem libentius recurramus. Nam ridicula sane fuerint urbis viliora mancipia, si de consiliis principis iudicare praesumpserint; multo nostra vel ridicula vel sacrilega potius temeritas arbitrium sibi vendicans primi ordinis sapientiaeque divinae, quae non in unius hominis, unius familiae, unius urbis, sed orbis totius utilitatem, non ad

Font.: 1–2 angelum Persarum ] cf. Vulg. Dan. 10,13; Hier. in Dan. 10,13 (PL 25,555–556) 2 Graecorum ] cf. Vulg. Dan. 10,20 Hebraeorum ] cf. Vulg. gen. 24,7; exod. 23,23; 3 apud – Platonicos ] cf. Plat. Phd. 107D –108C ; Plt. 271D 4–5 mentionem – meminerunt ] cf. Clem. Al. strom. 6,53,2–3 (= Isid. frg. 15 Löhr); Apul. Socr. 20 pp. 166–167 ab Aristotele ] Arist. frg. 193 Rose = frg. 175–176 Gigon Sim.: 1–5 Sic – meminerunt ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562 App. crit.: 5 in Stromatis] instromatis WRC 7 agentem αVWFO : ahentem R : absentem C

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leitet und lenkt, müssen auch die menschlichen Angelegenheiten nicht durch das Geheimnis der Körper, sondern durch das Geheimnis der Engel, die ihrer Natur und Würde nach in der Mitte stehen zwischen uns und Gott, gesteuert werden; wenn du daher von Gott zur Erde herabsteigst, steige durch den Himmel herab; wenn du von Gott herabsteigst zu den Menschen, steige durch die Engel herab. So liest man von einem Engel der Perser, der Griechen und der Hebräer bei den Propheten285 , die für ihre Völker Vorhersagen treffen, ebenso bei Platon und allen Platonikern von lokalen Gottheiten, die Städten, Königreichen und Menschen vorangestellt sind und die auch Erwähnung bei Aristoteles finden und an die der ältere Isidor und nach ihm Clemens von Alexandria erinnern.286 3. Uns sollte es auch nicht stören, dass sich für uns manches bisweilen scheinbar unwürdig und ungerecht ereignet, sodass wir uns auf Grund dessen allzu gerne zu einer Ursache flüchten, die mit natürlicher Notwendigkeit handelt, nicht mit planvoller Absicht. Gewiss gäben sich nämlich die niederen Knechte einer Stadt vollkommen der Lächerlichkeit preis, nähmen sie es sich heraus, die Pläne des Fürsten beurteilen zu wollen; um vieles lächerlicher noch machte sich unse-

285 Engel der Perser bzw. Griechen werden im Buch Daniel erwähnt: princeps autem regni Persarum restitit mihi (Vulg. Dan. 10,13) sowie revertar, ut proelier adversum principem Persarum, cum enim egrederer, apparuit princeps Graecorum veniens (Dan. 10,20). Dass das Substantiv princeps an dieser Stelle gleichbedeutend ist mit angelus, geht aus dem Kommentar des Hieronymus ad. loc. (in Dan. 10,13) hervor: Videtur mihi hic esse angelus cui Persis credita est. Eine Aufteilung der Engel unter verschiedenen Völkern ergibt sich auch aus dem Deuteronomium (32,8) wo es in der Übersetzung des Hieronymus heißt constituit terminos populorum iuxta numerum filiorum Israhel, während die Septuaginta ebendort von ›Engeln‹ spricht: ἔστησεν ὅρια ἐθνῶν κατὰ ἀριθμὸν ἀγγέλων θεοῦ. 286 Gemeint ist nicht Isidor von Sevilla, sondern der mehr als drei Jahrhunderte ältere gleichnamige Sohn und Schüler des Gnostikers Basilides (2. Jh. n. Chr.), den Pico zur Unterscheidung als antiquior bezeichnet (vgl. zu diesem Autor auch Hipp. haer. 7,20,1). Über ihn schreibt Clemens von Alexandria in seinen Stromata (6,53,2–3 = Isid. frg. 15 Löhr): Ἰσίδωρός τε ὁ Βασιλείδου υἱὸς ἅμα καὶ μαθητὴς ἐν τῷ πρώτῳ τῶν τοῦ προφήτου Παρχὼρ Ἐξηγητικῶν καὶ αὐτὸς κατὰ λέξιν γράφει· »φασὶ δὲ οἱ Ἀττικοὶ μεμηνῦσθαί τινα Σωκράτει παρεπομένου δαίμονος αὐτῷ καὶ Ἀριστοτέλης δαίμοσι κεχρῆσθαι πάντας ἀνθρώπους λέγει συνομαρτοῦσιν αὐτοῖς παρὰ τὸν χρόνον τῆς ἐνσωματώσεως... «. Vgl. zu diesem Zitat und seiner Einordnung in die Philosophie des Basilides bzw. des Isidor die umfassende Darstellung bei Löhr (1996: S. 197–206). Das ClemensZitat dürfte Grundlage für Picos Paraphrase sein. Ebenfalls hierauf bezieht sich Apuleius (De deo Socratis 20 pp. 166–167): credo plerosque vestrum hoc, quod commodum dixi, cunctantius credere et impendio mirari formam daemonis Socrati uisitatam. at enim Pythagoricos mirari oppido solitos, si quis se negaret umquam vidisse daemonem, satis, ut reor, idoneus auctor est Aristoteles. quod si cuivis potest evenire facultas contemplandi divinam effigiem, cur non adprime potuerit Socrati obtingere, quem cuivis amplissimo numini sapientiae dignitas coaequarat? Zur Tatsache, dass der Codex unicus (Laur. Plut. 5,3) der Stromata des Clemens von Alexandria, der 1491 von Demetrio Castreno in Konstantinopel erworben wurde und von dort nach Florenz gelangte, Marginalien aufweist, die auf die Benutzung durch Pico hinweisen könnten (u.a. ist die hier zitierte Stelle [6,53,2–3] gekennzeichnet), vgl. Gentile (1994: S. 99–100).

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saeculum instans, sed ad omnia pariter saecula oculum providentiae radiumque suae bonitatis extendit. Nos haec homunculi, immo noctuae, talpae, vere asini, vere boves et quidem septimi diiudicantes et Deum revocabimus ad examen? Qui saepius nec in illo, quantulumcumque est, quod habemus iudicium, sed animi potius morbo iudicantes iniuste factum querimur, quicquid fieri ipsi nollemus. 4. Et quis non asseveranter exclamasset dormitare Deum, cum iustus Ioseph venumdabatur a fratribus? Quis non etiam nullum esse, cum idem carcerem praemium castitatis accipiebat? Vide mox eum in Aegypto regem, vel a rege secundum, vide patrem cum tota familia a fame redimentem, vide prophetia nobilem, nec negabis a Deo facta illa priora, per quae ad ista deinceps ordine suo perventum est. 5. Sed et altius si suspexeris, ut ab illa tam impia mercatura rem eo perductam intelligas, ut descendens totus populus in Aegyptum diuque ibi attritus ab Aegyp-

Font.: 6–7 iustus – fratribus ] cf. Vulg. gen. 37,26–28 7–8 carcerem – accipiebat ] cf. Vulg. gen. 39,7–20 8 mox – secundum ] cf. Vulg. gen. 41,40–44 9 patrem – redimentem ] cf. Vulg. gen. 42–46 Sim.: 2–3 Nos – examen ] Bellant. resp. disp. 4,4 fol. v App. crit.: 3 septimi αβ (cf. Erasm. adag. 1,10,63) : supini OGarin 4 quantulumcumque α : quantulumque βO 5 querimur COGarin : quaerimur αVWRF (-ae- pro -e-)

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re närrische oder sogar ketzerische Unüberlegtheit, wenn sie ein Urteil über den höchsten Rang und die göttlichen Weisheit für sich in Anspruch nähme, die nicht zum Wohl eines Menschen, einer Sippe oder einer Stadt, sondern zum Wohl der ganzen Welt, nicht für dieses Zeitalter, sondern für alle Zeitalter gleichermaßen ihr Auge der Vorsehung und den Strahl ihrer Güte verbreitet. Und das wollen wir Menschlein, wir Nachteulen, Maulwürfe, wahrhaftige Esel, wahrhaftige Ochsen, und zwar dämliche, in Frage stellen und sogar Gott zur Prüfung einbestellen?287 Wir, die wir allzu häufig nicht einmal mit dem bisschen Entscheidungsvermögen, das wir haben, urteilen, sondern lieber mit der Krankheit unseres Geistes und alles das als zu Unrecht geschehen beklagen, was wir selbst nicht wollen, dass es geschieht. 4. Und wer hätte nichts ernsthaft laut ausgerufen, dass Gott wohl schläft, als der gerechte Joseph von seinen Brüdern verkauft wurde? Wer hätte nicht sogar gerufen, es gebe keinen Gott, als derselbe den Kerker als Lohn für seine Keuschheit erhielt? Aber sieh, wie er bald König ist in Ägypten oder zumindest der zweite Mann nach dem König, sieh, wie er seinen Vater mit der gesamten Familie vom Hunger loskauft, sieh, wie bekannt er für seine Prophezeiungen wird, und du wirst nicht leugnen können, dass jene früheren Ereignisse von Gott bewirkt wurden, durch die er erst später der entsprechenden Reihenfolge nach zu jenen Ehren gelangt ist. 5. Aber auch wenn man auf den größeren Zusammenhang blickt288 und so zur Einsicht gelangt, dass es erst durch diesen derart ruchlosen Verkauf dazu kommen

287 Die Bezeichnung bos septimus (griech. βοῦς ἕβδομος) wird sprichwörtlich für einen dummen Menschen verwendet; die Bezeichnung geht vermutlich zurück auf den Brauch armer Menschen, nach sechs anderen Opfertieren als siebtes einen aus Kuchen gebackenen Ochsen zu opfern, dessen seelenlose Falschheit auf menschliche Dummheit übertragen wurde. Vgl. hierzu die Erklärung, die Erasmus von Rotterdam in seinen Adagia (1,10,63) bietet: Olim in stupidos brutosque dicebatur […]. Sunt qui malint hinc natum, quod, cum apud veteres, sex animantium genera mactari diis soleant – ovis, sus, capra, bos, gallina, anser – pauperes non habentes vivum animal, quod immolarent, bovis simulachrum e farina fingere consueverunt. Is quoniam sensu vitaque careret, in stoliditatis abiit proverbium. Ähnlich auch der Eintrag in der Suda (Suidas s.v. βοῦς ἕβδομος 1): ἐπὶ τῶν ἀναισθήτων. Schriftstellerische Belege für diese Redewendung sind kaum belegt; Libanios (Lib. decl. 30,4 p. 620,3–4 F) führt die Bezeichnung βοῦς ἕβδομος allerdings ohne weiteren Kommentar als παροιμία an, was darauf hinweist, dass das Sprichwort von seiner intendierten Leserschaft ohne weiteren Hinweis verstanden werden konnte. 288 Der Ausdruck altius suspicere ist in seiner Bedeutung nicht ganz klar; die Junktur findet sich im Sinne von »weiter hinauf blicken« zweimal in der Appendix Vergiliana (Ciris 7 sowie 217–218, dort allerdings der Positiv des Adverbums alte) sowie – ebenfalls im Positiv – bei Cicero (Tusc. 1,82). Pico selbst verwendet den Komparativ altius mehrfach in Verbindung mit dem Verbum introspicere (z.B. disp. 1,49) i.S.v. »tiefer hineinblicken« sowie mit (ex)ordiri (z.B. disp. 3,4,1) i.S.v. »weiter vorne beginnen«. Da das Argument allerdings im Gegenteil auf die ausgelöste Ereigniskette abzielt, die sich aus dem Schicksal Josephs ergibt und mit diesem beginnt, kann altius schwerlich eine frühere Entwicklung bezeichnen.

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Manichei

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tiis regibus tam gloriose in libertatem asseratur a Moyse, tot prodigiis confirmata potestate Dei, tot oraculis manifestata, in Pharaone, in Aegypto, in Hebraeorum populo, per legem, per tot miracula divinae maiestatis, nunc per beneficentiam, nunc per iustitiam, quae figurarent futura sub Iesu divinae corporationis ineffabilia illa mysteria, profecto vel insanus adduci eo non poteris, ut sine ratione fieri quicquam suspiceris in rebus humanis proptereaque non a Deo optimo sapiente, sed vel a daemone malo cum Manicheis vel a corpore sideralis revolutionis necessitate cum astrologis vel a casu fortuito temeritateque gubernari cum non multis male philosophantibus credas. 6. Sed et quotiens suscitari bella et caedes et urbium vastationes et eversiones regnorum intelliges, non mixturam duorum radiorum aut interpositum naturali cursu suo lumen inter Solem et Lunam cum praestigiatoribus istis causam cogitabis, sed consilium Dei vel punientis malos vel exercentis bonos. Unde ille dictus ›Dei flagellum‹ et alter satis proximus saeculo nostro non hominem esse se dixit, sed iram Dei orbisque | vastitatem.

2 in Aegypto ] cf. Vulg. exod. Font.: 1–2 tot prodigiis – Pharaone ] cf. Vulg. exod. 7,3–13 7,14–11,10 in Hebraeorum populo ] cf. Vulg. exod. 15,22–27;16,1–36 3 per legem ] cf. Vulg. exod. 19,16–25 14 Dei flagellum ] cf. Iocund. Traiect. vit. Servat. p. 282 Wilhelm; Ioann. Saresb. polycrat. 4,1 (PL 199,514); Avic. metaph. 10,1 fol. O4r non hominem – vastitatem ] cf. Piccolom. cosmograph. 31 fol. v App. crit.: 1 asseratur a αVRCFO : asseratura W : afferatur a Garin 3 beneficentiam] beneficientiam Garin 6 a Deo αO : adeo β 7 revolutionis α : revolutiones βO 8 temeritateque] necessitateque Garin 10 et1 ] ut Garin

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konnte, dass sein ganzes Volk, das nach Ägypten kam und dem dort lange von den Ägyptischen Königen übel mitgespielt wurde, so ruhmvoll von Mose in die Freiheit geführt werden konnte und die Macht Gottes durch so viele Vorzeichen bestätigt und durch so viele Orakel greifbar wurde, beim Pharao, in Ägypten und beim jüdischen Volk, durch sein Gesetz, durch so viele Wunder seiner göttlichen Größe, bald durch Wohltätigkeit, bald durch Gerechtigkeit, was die unter Jesus später herrschenden, unaussprechlichen Mysterien der göttlichen Fleischwerdung vorbilden sollte, wird man selbst, wenn man gänzlich von Sinnen ist, sich nicht davon überzeugen lassen zu der Vermutung zu kommen, dass irgendetwas bei den menschlichen Angelegenheiten ohne Verstand geschieht und dass man deswegen glaubt, sie würden nicht vom besten und weisen Gott gesteuert, sondern entweder – mit den Manichäern – von einem bösen Geist oder – mit den Astrologen –, dass sie von einem Körper gesteuert werden mit der Notwendigkeit der himmlischen Drehung, oder aber man geht mit einigen wenigen und schlechten Philosophen von planlosem und blindem Zufall aus. 6. So oft man aber auch Kriege entstehen sieht und Morden und das Zerstören von Städten und die Vernichtung von Reichen, wird man bei der Ursache nicht an eine Mischung zweier Strahlen denken oder an Licht, das auf seinem natürlichen Weg zwischen Sonne und Mond unterbrochen wurde, wie es diese Gaukler meinen, sondern an den Plan Gottes, der entweder die Schlechten straft oder die Guten erzieht. Daher bezeichnete man jenen als die ›Geißel Gottes‹289 und jener andere, der unserer Zeit sehr viel näher steht, behauptete er sei »kein Mensch, sondern der Zorn Gottes und die Verwüstung der Erde.«290

289 Gemeint ist der im 5. Jahrhundert lebende Mongolenkönig Attila, der als »Geißel Gottes« (flagellum dei) bezeichnet wurde und sich auch selbst so bezeichnete; dies berichtet u.a. die Vita Servatii des Iocundus von Maastricht (Wilhelm 1910: S. 282): Aderat tunc forte ad portam princeps Hunorum et continuo hec verba prorumpens: »Ego sum« inquit »Attila, flagellum dei.« Ähnliches weiß auch Johannes von Salisbury in seinem Polycraticus 4,1 (PL 199,514) über die Begegnung mit dem Bischof zu berichten. Auch Dante Alighieri stellt Attila in seiner Divina commedia, einer Schrift, die dem humanistisch gebildeten Pico della Mirandola sicherlich vertraut war, mit den Worten »La divina giustizia di qua punge quell’Attila che fu flagello in terra« (Inferno 12,133–134) vor. 290 Diese Worte werden dem Mongolenführer Timur, besser bekannt unter dem Namen ›Tamerlan‹, zugeschrieben, der im 14. Jahrhundert als Eroberer versuchte, das Mongolenreich zu alter Größe zu führen; dabei soll er, wie Enea Silvio Piccolomini alias Papst Pius II. im 31. Kapitel seiner Cosmographia zu berichten weiß, über sich selbst gesagt haben (Piccolomini 1509: cap.31, fol. v ): Interrogatum [sc. Thamerlanem] aliquando ab homine Genuensi qui ei familiaris esset: cur tanta crudelitate uteretur: commotum ac veluti furentem distorta facie: ac spirantibus ignem oculis respondisse. Tu me hominem esse arbitraris? falleris: IRA DEI EGO SUM ET ORBIS VASTITAS (Majuskeln im Originaldruck).

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738 Herodotus

De fato Augustinus Fatum quadrifariam accipi

Primus modus Alexander

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7. Sapiens ille Persarum apud Herodotum, qui discumbente apud se in convivio Thebano, cui futuram suae gentis cladem nescio qua praesensione sibi praecognitam reseravit, recte locutus est. Nam cum suaderet Thebanus, ut idem imperatori exercitus denuntiaret dehortareturque ab incepto, cuius esset futurus exitus tam infelix, respondit id homini esse inevitabile, quod fieri Deus ordinaverit; quare nec suis verbis, si scilicet imperatorem admoneret, fidem futuram, quando ita Deo decretum esset proindeque se etiam Maridonium (ita erat principi nomen) sequi alligatos necessitate; placetque, quod necessitatem non astrorum, sed divini consilii dixit, quam et fatum si quis vocet, rectius, inquit Augustinus, sentiet, quam loquatur. 8. Est autem hoc fati nomen, quantum ex veterum colligi monumentis potest, in quadruplicem significationem acceptum, ut fatum vel ipsa natura sit vel causarum series ordoque nexu necessario cuncta producens vel siderum constitutio, cum quid aut nascitur aut concipitur aut inchoatur, vel divini consilii executio certa inevitabilisque successus. 9. In primam significationem accipitur ab Alexandro ex Afrodisiade in libro De fato ad principes Severum et Antoninum; ita enim fata esse concedit, ut

9–10 quam et – loquatur ] cf. Aug. civ. 5,1 Font.: 1–8 Sapiens – necessitate ] cf. Her. 9,16 p. 190,24–27; 5,9 pp. 207,34–208,4; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.93, n.6 12 vel ipsa natura ] Ficin. in enn. 3,1 p. I 399 W causarum – producens ] cf. Aug. civ. 5,8 p. 201,14–15; Ficin. in enn. 3,1 p. I 399 W 13–14 siderum – inchoatur ] cf. Aug. civ. 5,8 p. 201,12–13; Ficin. in enn. 3,1 p. I 399 W 14–15 divini – successus ] cf. Aug. civ. 5,8 p. 201,15–20 738.16–740.1 accipitur – electione ] cf. Alex. Aphr. fat. 6 p. 169,18–20; 22 pp. 192,52–193,2; Ficin. in enn. 3,1 pp. I 407–408 W Sim.: 11–12 Est – natura ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562 12–13 causarum – producens ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563; Bellant. resp. disp. 4,4 fol. v 13–14 siderum – inchoatur ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562 14–15 divini – successus ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 738.16–740.3 In primam – fato moritur ] cf. rer. praen. 5,8 p. 562 App. crit.: 2 suae] sive B (corr. BCorr ) praesensione] praesentione O 6 si GOβ : om. B (add. BCorr ) 7 Deo] a Deo Garin fort. recte; cf. disp. 10,14 p. II 442 Garin Maridonium α : Martdonium VWRFOGarin : Mardonium C cf. Her. 9,16 8 alligatos] alligatum Garin 17 Antoninum] Antonium RCGarin (cf. disp. 1,14)

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7. Jener weise Perser bei Herodot291 , der einem Thebaner, der mit ihm zusammen beim Gastmahl speist, den künftigen Untergang seines Geschlechts, den er durch irgendeine Vorahnung vorhersah, eröffnete, hatte Recht. Denn als der Thebaner ihn dazu aufforderte, dies dem Befehlshaber mitzuteilen und ihm von dem Unterfangen abzuraten, dessen Ausgang so unglücklich sein werde, antwortete dieser, es sei für den Menschen unvermeidlich, was Gott eingerichtet habe. Daher werde er mit seinen Worten, wenn er den König denn ermahne, auch keinen Glauben finden, weil Gott es so beschlossen habe, und entsprechend würden sie auch Mardonios (dies war der Name des Anführers) durch Notwendigkeit (necessitudo) gebunden folgen; und es gefällt mir, dass er von der Notwendigkeit der göttlichen Absicht spricht und nicht von der der Sterne, die jemand, wenn er sie als Schicksal bezeichnet, nach Meinung des Augustinus richtiger versteht als bezeichnet. 8. Der Begriff des Schicksals aber ist, wie man aus den Zeugnissen der Alten schließen kann, in vierfacher Bedeutung verstanden worden, nämlich dass das Schicksal entweder die Natur selbst ist oder eine geordnete Kette von Ursachen, die in notwendiger Verkettung alles übrige hervorbringt, oder aber eine Anordnung von Himmelskörpern während der Geburt, Empfängnis oder des Beginns von irgendetwas, oder aber die sichere Ausführung und das unvermeidliche Eintreten des göttlichen Plans.292 9. Unter der ersten Bedeutung versteht es Alexander von Aphrodisias in seiner Abhandlung »Über das Schicksal« (De fato), die an die Kaiser Severus und

291 Die Erzählung findet sich in den Historien Herodots (9,16): Eingeladen von Attaginos speisen der Feldherr Mardonios sowie mehrere Thebaner und Perser zusammen. Dabei, so erzählt Thersandros aus Orchomenos, habe ihm ein Perser den Untergang der Mehrheit der Anwesenden prophezeit, habe es aber abgelehnt, dies auch dem Heerführer Mardonius mitzuteilen, da die Beschlüsse Gottes von den Menschen nicht geändert werden könnten (9,16,4): ὅ τι δεῖ γενέσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ, ἀμήχανον ἀποτρέψαι ἀνθρώπῳ. 292 Eine Vierteilung des Schicksals gemäß der vier wirkenden Ursachen nimmt auch Marsilio Ficino in seiner Einleitung zu Plotins Enneaden (3,1) vor. Dabei unterscheidet er den Schicksalsbegriff, der von natürlichen Körpern abhängt (Ficin. in enn. 3,1 p. I 399 W: Alii enim necessitatem rebus inferri a corporibus quibusdam, quae sint principia rerum, judicaverunt), wozu beispielsweise die Atome gehören, von dem der Stoa entlehnten Schicksalsbegriff des principium cunctis vitale infusum (ebd.). Daneben gebe es den Begriff der schicksalhaften Notwendigkeit, die von den Sternen ausgehe (vgl. ebd.: Sunt et qui inter Astronomos revolutionem caelestium esse rerum principium arbitrentur et fatum) sowie die von Thomas von Aquin erwähnte Notwendigkeit a serie quadam connexioneque cunctarum invicem causarum (ebd.). Somit überschneidet sich der erste Schicksalsbegriff Ficinos mit dem ersten von Pico abgehandelten, auch das astrale Schicksal sowie die Schicksalskette haben beide gemeinsam. Leicht abweichend definiert sich der von Pico zuletzt erwähnte Begriff, den Pico genuin christlich deutet, während Ficino auf den stoischen fatum-Begriff rekurriert; letztlich entsprechen sich aber auch diese Begriffe.

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Virgilius

Aristoteles

Alexander

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fatum ipsa natura sit, quae principium aliud est ab electione; quare fato ignis calefacit, aqua humida est, Sol illuminat; sed et cum quis dissoluto corporis temperamento moritur, fato moritur. 10. Si vero vel ex equo praecipitatur vel gladiis occidit, fato non moritur, in quem modum de Didone Virgilius mortem sibi per vim praeparante dicat, »sed quia nec fato, debita nec morte peribat…«. 11. Astrologi vero id maxime genus mortis in fatum reiecissent. Sic Demosthenes . 12. Et ita quidem fatum nemo esse negaverit, sicuti nec naturam. Quo pacto et Aristoteles quinto libro Physicae auscultationis fatales dixit generationes, hoc est quae secundum naturam fiunt; nec dubium, cum sic fatum intelligamus, multa fieri praeter fatum, sicuti et multa fiunt praeter naturam vel casu vel electione nostra vel, ut inquit eodem loco Alexander ipse Afrodiseus, consilio deorum.

Font.: 1–2 fato – illuminat ] cf. Alex. Aphr. fat. 13 pp. 181,15–182,8 5–6 sed – peribat ] cf. Verg. Aen. 4,696; cf. Gell. 13,1,5 7–11 Demosthenes – βουλεύσεται ] cf. Dem. 18,205 13–14 Aristoteles – fiunt ] cf. Arist. phys. 5,6 230a 26–230b 3 16 ut inquit – deorum ] cf. Alex. Aphr. fat. 6 p. 170,14–16 Sim.: 4–6 Si vero – peribat ] cf. rer. praen. 5,8 pp. 562–563 8–10 ὁ μὲν – περιμένει ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 12–14 Quo pacto – fiunt ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 App. crit.: 5 sed] nam Verg. Aen. 4,696 6 debita] merita C (cf. Verg. Aen. 4, 696) 8–11 in oratione – βουλεύσεται supplevi coll. Gell. 13,1,6 et rer. praen. 5,8 p. 563 : om. et lac. ind. αGarin : om. et lac. non ind. βO 10 περιμένει Gell. 13,1,6 : περιμενεῖ Dem. 18,205 11 βουλεύσεται Gell. 13,1,6 : ἐθελήσει Dem. 18,205 12 fatum nemo] nemo fatum Garin

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Antoninus gerichtet ist; er räumt nämlich ein, dass alle Schicksale derart seien, das das Schicksal die Natur selbst sei, die ein von der Wahlfreiheit unterschiedliches Prinzip darstellt; deshalb erhitzt das Feuer aus Schicksal (fato), das Wasser ist durch das Schicksal feucht und die Sonne erleuchtet durch das Schicksal; aber auch, wenn jemand durch die Auflösung der Mischung der Körpersäfte stirbt, stirbt er durch das Schicksal. 10. Wenn er aber vom Pferd stürzt oder von Schwertern durchbohrt wird, stirbt er nicht durch das Schicksal, wie Vergil von der ihren Tod vorbereitenden Dido sagt293 »sondern weil er weder durch Schicksal (fato) noch einen ihm bestimmten Tod zu Grunde ging…« 11. Die Astrologen hätten diese Art des Todes ganz besonders auf das Schicksal zurückgeführt. So sagt Demosthenes in jener berühmten Reden mit dem Namen ›Vom Kranz‹ (De Corona): »Derjenige, der glaubt nur für seine Eltern geboren worden zu sein, wartet auf den vom Schicksal bestimmten und von selbst eintretenden Tod; derjenige aber, der auch für sein Vaterland glaubt geboren worden zu sein, wird lieber sterben, als mitanzusehen, wie es in Knechtschaft fristet.« 12. Und in diesem Sinne wird wohl niemand leugnen, dass es ein Schicksal gibt, genauso wenig, wie dass es eine Natur gibt. Entsprechend stellte auch Aristoteles im fünften Buch seiner ›Physikvorlesung‹ fest, dass es »schicksalhafte Zeugungen« (fatales generationes; γενέσεις εἱμαρμέναι) gebe, also solche, die naturgemäß stattfinden; und es kann keinen Zweifel geben, dass viele Dinge, wenn wir diesen Begriff von Schicksal voraussetzen, gegen das Schicksal eintreten, wie auch vieles gegen die Natur passiert, und zwar entweder durch Zufall, oder durch unsere freie Wahl, oder aber – wie an derselben Stelle Alexander von Aphrodisias persönlich sagt – durch die Absicht der Götter (consilio deorum; συμβουλαὶ θεῶν).

293 Die gesamte Passage von Einheit von Natur und Schicksal ist vorgezeichnet in den Noctes Atticae des Gellius (Gell. 13,1). Dort findet sich auch das folgende Vergil-Zitat sowie, kurz darauf, das Demosthenes-Zitat aus der Kranzrede (s.u.).

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Secundus modus fati Confutatio secundi modi

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13. Qui vero secundam invexerunt opinionem, cogitarunt in ipsa natura nihil non fieri necessario, si quis omnes simul causas complecteretur. Nam qui multa fieri dicunt extra necessitatem, hoc ita defendunt in naturalibus rebus et arbitrariis: in naturalibus, quia non omne, quod fit, naturaliter necessario fit, cum naturae opus impediri possit; in arbitrariis, quia electio nostra et arbitrium liberum est. 14. Illi contra sic instant: ›in naturalibus quidem, si quid impeditur, necessario impediri, quia et illud impedimentum a naturali causa est, quae tandem ad supremam naturam, hoc est caelum, redigatur: ea vero necessario agit.‹ Sed falluntur. Nam ut impedimento quidem fuerit causa naturalis, fuit ea tamen, quae et ipsa potuit et non esse et impediri, cum agebat; quare contingens illud impedimentum, non necessario fuit. 15. Et si de illo rursus impedimento nos urgeas futurum scilicet causam naturalem, quae et ipsa sicuti naturaliter, ita necessario aut impedietur aut non impedietur, respondeo te, si mundum credis aeternum, in infinitum progressurum a causa contingente in con | tingentem causam, inter quas ordo sit semper accidentalis, nec umquam ad unam causam primam necessariam perventurum, unde sequentibus necessitas invehatur, cum nulla sit talis intra naturales, quando nec caelestis, cuius operibus et materia et concurrentes inferiores causae facile obstant. Si vero de mundi creatione cum theologica veritate consentis, devenies per importunum illum regressum ad primam rerum contingentium institutionem, unde tolletur necessitas, non confirmabitur.

Font.: 6–8 in naturalibus – agit ] cf. Avic. metaph. 10,1 fol. O3r ; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.86, n.9 9–10 ut impedimento – agebat ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.86, n.11–12 10–11 contingens – fuit ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.72, n.8 Sim.: 1–5 Qui – est ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 6–11 Illi contra – necessario fuit ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 12–18 Et si – obstant ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 18–21 Si vero – confirmabitur ] cf. rer. praen. 5,8 p. 563 App. crit.: 8 caelum] ad caelum Garin 12 de om. F 13–14 aut non impedietur om. βO 14 in infinitum BB : aut in infinitum αβOGarin : aut infinitum BP 18 et2 om. WO 20 contingentium scripsi : contingentem ΩGarin

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13. Diejenigen aber, die die zweite Ansicht vertraten, waren der Meinung, dass in der Natur selbst nichts geschehe, was nicht notwendigerweise geschehe, wenn man denn alle Ursachen erfassen könnte. Denn diejenigen, die behaupten, dass vieles außerhalb von Notwendigkeit geschehe, verteidigen dies auf folgende Weise bei natürlichen und willentlichen Ereignissen: bei natürlichen, weil nicht alles, was naturgemäß geschieht, notwendigerweise geschieht, da das Werk der Natur behindert werden kann; bei willentlichen, weil unsere Entscheidung und der Wille frei sind. 14. Jene hingegen halten folgendermaßen dagegen: ›Bei natürlichen Ereignissen, wird es, wenn etwas behindert wird, notwendigerweise gehindert, weil auch jener Hinderungsgrund eine natürliche Ursache hat, die schlussendlich auf die höchste Ursache, das heißt den Himmel, zurückzuführen ist. Diese aber handelt notwendigerweise.‹ Sie täuschen sich aber. Denn obschon es sich bei der hindernden Ursache um eine natürliche handelt, war sie dennoch so, dass sie selbst auch bei ihrem Wirken hätte nicht eintreten und hätte gehindert werden können; daher war jene Hinderung nicht notwendig, sondern kontingent.294 15. Und wenn du mich wiederum wegen dieses Hinderungsgrundes bedrängst, der selbstverständlich seinerseits eine natürliche Ursache sein werde, die auch selbst einerseits naturgemäß, andererseits auch notwendigerweise entweder gehindert werden kann oder nicht, so antworte ich, dass du, wenn du glaubst, die Welt sei ewig oder unbegrenzt, von einer kontingenten Ursache zur nächsten kontingenten Ursache bis zur Unendlichkeit voranschreiten wirst, zwischen denen immer ein zufälliger Zusammenhang bestehen wird, und dass du dabei niemals zu einer ersten notwendigen Ursache gelangen wirst, von der aus den anderen Ursachen die Notwendigkeit zukommt, da es unter den natürlichen Ursachen eine solche nicht gibt, nicht einmal die himmlische, deren Wirken sowohl die Materie als auch die gegenseitig sich beeinflussenden Ursachen der unteren Welt leicht-

294 Als ›kontingent‹ werden in scholastischer Terminologie diejenigen Attribute bezeichnet, die ontologisch nicht notwendig sind und daher sowohl sein als auch nicht sein können, die also möglich sind, aber auch nicht möglich; Thomas von Aquin definiert contingens entsprechend in seiner Summa theologiae (summ.1 quaest.86, art.3): contingens est, quod potest esse et non esse.

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Tertius modus fati toto opere confutandus

Approbatio quartae acceptionis fati

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16. Electionibus nostris multo irrationabilius inferunt necessitatem, quoniam voluntas nihil eligat non praeiudicatum a ratione nec in nostra sit manu ita velle iudicare; sed falsis nituntur assumptionibus, ut ab aliis alias et a nobis alibi declarabitur. Nam peculiares haec seorsum tractatus exigunt nec magnopere pertinent ad confutandos astrologos, quorum illa tertia est acceptio fati toto opere confutanda differens a prima opinione, quod naturam ipsam caelestem non solum naturalium, sed et fortuitarum, ut vidimus, rerum originem facit maleque de causis inferioribus in hac parte maxime sentit, pessime de caelestibus, quando, licet natura caelum sit, constellationes tamen illae, quas fingunt ex siderum positura per loca, signa, domos aliaque id genus, causae naturales non sunt, sed fictitiae, nec ex uno illo momento initiali dependet operatio caelestium nec ad ea, quae propria sunt inferiorum causarum, referuntur, ut iam declaravimus et sequentia magis declarabunt. 17. Restat quarta fati significatio theologica, sicut illa prima physica magis, sed utraque vera, ut pendentem a divino consilio seriem ordinemque causarum notet, sub quo nihil nostra libertas periclitetur, cum simus et nos inter has causas nec in hac chorea fati patiamur tantum, sed agamus. Sive igitur Dei praevidentiam sive providentiam, hoc est sive mentem illius omnia praecognoscentem sive voluntatem ex suo placito omnia disponentem attendas, nullum fit praeiudicium liberis actionibus nostris; nam si praevidentiam, cur non libere facio, quod praevi-

Font.: 17–19 Dei praevidentiam – disponentem ] cf. Boeth. cons. 5,6,16–17; Thom. Aq. sent. lib.1, dist.38, quaest.1, art.5 19–20 nullum – nostris ] cf. Thom. Aq. gent. lib.3, cap.89, n.1–2 Sim.: 14–17 quarta – agamus ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564 744.17–746.4 Sive igitur – ademerit ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564 App. crit.: 10 sunt] sint BF (sed v. infra) 15 ut] expectes ut quae

16 nos] non C

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hin behindern. Stimmst du hingegen, was die Erschaffung der Welt betrifft, mit der theologischen Wahrheit überein, wirst du durch diesen stürmischen infiniten Regress zur ersten Schöpfung der kontingenten Dinge gelangen, durch die alle Notwendigkeit aufgehoben werden wird, nicht aber bestätigt. 16. Bei weitem unvernünftiger ist es, dass sie auch unseren Entscheidungen eine Notwendigkeit unterstellen, weil der Wille nichts wähle, was nicht von der Vernunft vorher beurteilt wurde, und es nicht in unserer Hand liege, den Willen zu haben, so oder so zu urteilen; dabei gehen sie aber von falschen Annahmen aus, wie von anderen Leuten zu anderer Gelegenheit und von uns anderswo gezeigt werden wird. Denn diese Fragen erfordern spezielle Abhandlungen, die hiervon getrennt sind, und es hat nicht viel mit der Widerlegung der Astrologen zu tun, von denen jene dritte Ansicht von der Annahme des Schicksals stammt, die in diesem gesamten Werk widerlegt werden muss; dabei besteht ein Unterschied zur ersten Ansicht, weil sie die himmlische Natur zum Ursprung auch der zufälligen Ereignisse, nicht nur der natürlichen macht, wie wir sehen konnten, und sie hat besonders in dieser Hinsicht eine schlechte Meinung von den Ursachen der unteren Welt, eine sehr schlechte aber von den himmlischen Ursachen, weil, auch wenn der Himmel Teil der Natur ist, dennoch jene Konstellationen, die sie aus den Stellungen der Gestirne mit Hilfe von Orten, Zeichen, Häusern und anderen derartigen Erfindungen ausdenken, keine natürlichen Ursachen sind, sondern erfundene und jene Wirkung der himmlischen Körper nicht von jenem einen anfänglichen Augenblick abhängig ist und nicht auf die Eigenschaften der Ursachen der unteren Welt zurückgeführt werden kann, wie wir bereits gesagt haben und die folgenden Darlegungen in noch höherem Maße zeigen werden. 17. Bleibt jene vierte Definition des Schicksals, die theologisch ist, wie jene erste eher naturwissenschaftlich, aber beide sind wahr, da sie die geordnete Reihenfolge der Ursachen als abhängig vom göttlichen Plan bezeichnen, unter dessen Einfluss unsere Freiheit keinesfalls in Gefahr gerät, da auch wir Teil jener Ursachen sind und in jenem Reigen des Schicksals nicht nur passiv, sondern aktiv mitwirken. Ob man nun entweder die Voraussicht (praevidentia) oder die Vorsehung (providentia) Gottes ins Auge fasst, also entweder seinen Geist, der alles im Voraus erkennt, oder seinen Willen, der nach seinem Beschluss alles ordnet, ein Vorausur-

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Ex praescientia Dei non tolli nostram libertatem neque ex providentia

Declaratur sententia Damasceni et Gregorii Niseni

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dit Deus me facturum? Nam si erit, quod ille praevidit, utique libere faciam, quod libere me facturum ille praevidit; sed et quia erit, quod voluit – voluit autem me esse liberum –, libere agam, quicquid agam, nisi ipse mihi meam libertatem ademerit. 18. Et certe non solum praecognovit Deus voluntates nostras, sed et praeordinavit, nec, cum id Gregorius Nisenus Damascenusque negaret, videntur aliter negare, quam ut admoneant cetera quidem per voluntatem divinam, electiones nostras per illam cum nostra etiam voluntate disponi, ita tamen, ut non modo cogitationum nostrarum eventus, sed et ipsae cogitationes, ipsa consilia, ipsa proposita nec regum tantum, ut scriptum est, sed omnium corda in manu Dei sint, qui solus omnia moderatur, nunc in his, quae nec ad vitium attinent nec ad virtutem, inclinans voluntatem, quo libitum illi, si sic decreti alicuius sui exigat absolutio, nunc virtutes in nobis, sed et nobiscum inchoans et perficiens

Font.: 6 cum – negarent ] cf. Nemes. nat. hom. 44 (PG 40,814 = nat hom. 43 p. 135,16–18 Morani); Io. Damasc. fid. orth. 2,28–30 (PG 94,961–980); Thom. Aq. gent. lib.3, cap.90, n.9 10–11 nec regum – Dei sunt ] cf. Vulg. prov. 21,1; Thom. Aq. gent. lib.3, cap.88, n.7 Sim.: 5–10 praecognovit – proposita ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564 rum ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564

746.11–748.3 qui solus – bono-

App. crit.: 1 faciam] faciem C 2 voluit1 ] noluit WO 5 et2 om. Garin 6 negaret] negarent Garin 9 ipsae] ipse GWRCF (-ae pro -e) 11 sint BB BP G (ad BEC vide infra) : sunt BOβ 12 post illi dist. Garin 13 sed om. Garin

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teil (praeiudicium) für unsere freien Handlungen gibt es nicht; wenn man nämlich von der Voraussicht Gottes ausgeht, warum mache ich dann nicht auf freie Weise das, von dem Gott vorhersieht, dass ich es machen werde? Denn wenn es das sein wird, was er vorhersieht, werde ich in jedem Falle auf freie Weise das tun, was er vorhergesehen hat, dass ich ich es auf freie Weise tun werde; aber auch deshalb, weil es das sein wird, was er wollte – er wollte aber, dass ich frei bin – werde ich auf freie Weise alles tun, was ich tue, es sei denn, er selbst hat mich meiner Freiheit beraubt. 18. Gewiss aber hat Gott unsere Absichten nicht nur vorhergesehen, sondern auch im Voraus angeordnet,295 und wenn Gregor von Nyssa und Johannes von Damaskus das abstreiten,296 , scheinen sie es auch nicht anders zu leugnen, als um so darauf aufmerksam zu machen, dass alles übrige zwar durch den Willen Gottes, unsere Entscheidungen aber durch jenen in Verbindung mit unserem eigenen Willen getroffen werden, aber so, dass nicht nur der Ausgang unserer Überlegungen, sondern auch die Überlegungen selbst, unsere Pläne und Vorsätze selbst, die Herzen nicht nur der Könige, wie es geschrieben steht, sondern die Herzen aller Menschen in Gottes Hand sind, der allein alles lenkt und den Willen bald auf jene Dinge lenkt, die weder zum Laster gehören noch zur Tugend, je nachdem,

295 Die Synthese von ›vorhersehen‹ (praecognoscere) bzw. ›vorherwissen‹ (praescire) und ›im Voraus anordnen‹ (praeordinare) findet sich bereits bei Thomas von Aquin (Thom. Aq. summ.1 quaest.15, art.5): Videtur quod Deus non possit facere nisi ea quae facit. Deus enim non potest facere quae non praescivit et praeordinavit se facturum. Sed non praescivit neque praeordinavit se facturum, nisi ea quae facit. Ergo non potest facere nisi ea quae facit. 296 Die Ablehnung der beiden Kirchenväter findet sich auch bei Thomas von Aquin in der Summa contra gentiles (lib.3, cap.90, n.9), aus der Pico im vorliegenden Kapitel mehrfach zu schöpfen scheint: Et similiter quod Gregorius Nyssenus dicit, in libro quem de homine fecit, providentia est eorum quae non sunt in nobis, non autem eorum quae sunt in nobis; et Damascenus eum sequens, dicit in secundo libro, quod ea quae sunt in nobis Deus praenoscit, sed non praedeterminat, exponenda sunt ut intelligantur ea quae sunt in nobis divinae providentiae determinationi non esse subiecta quasi ab ea necessitatem accipientia. Wie allerdings bereits aus der Editio Leonina (tom. 14, p. 276) hervorgeht, handelt es sich nicht um ein Zitat von Gregor von Nyssa, sondern um ein Zitat aus der Schrift De natura hominis des Nemesius von Emesa (Nemes. nat. hom. 44 [PG 40,814B = nat. hom. 43 p. 135,16–18 Morani]). Dass Thomas, der immer wieder Nemesius und Gregor von Nyssa verwechselt, auch an dieser Stelle tatsächlich irrt, belegt Dobler (2001: S. 52). Dies bedeutet, dass Pico an der vorliegenden Stelle wahrscheinlich ungeprüft Thomas folgt, anstatt Gregor und Johannes direkt zu zitieren. Der Rekurs auf Johannes von Damaskus hingegen, der sich in den Kapiteln 28 bis 30 seines Traktates De fide orthodoxa (PG 94,961–980) zum Verhältnis von Schicksal, freiem Willen und göttlicher Vorsehung äußert, ist korrekt; im 30. Kapitel schreibt dieser beispielsweise (PG 94,971): lllud scire interest, Deum omnia quidem praescire, sed non omnia praefinire. Praescit enim ea quae in nostra potestate sunt: at non item ea praefinit. Nec etiam malitiam patrari vult; nec rursus virtuti vim affert.

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inchoatas, nunc a virtutibus ad vitium motos permutans ad iustitiam vel admovens virgam paedagogi pro misericordia, vel comminuens quasi hallucinatus pro iustitia, omnia semper aut bona aut occasiones certe faciens bonorum. 19. Tanta de fato, de providentia et humanarum rerum gubernatione dixerimus, cum per se cognitu utilia, tum ad convellendam astrologicam vanitatem | necessaria, ut, cum quid fieri contingereque videmus, quod aut maius videatur aut ordinatius, quam ut in casum hominemve referatur, non vim ibi corporalium radiorum, sed divini consilii angelicique ministerii cum humana libertate curam potestatemque intelligamus. Liquet autem ex his, quae diximus, et quo pacto tum praevideri futura, tum praecaveri, cum sint mala, possint a nobis; nam si fortuito tantum fierent res humanae, nulla praesensio futurorum esse posset. Cum autem humano divinoque consilio fiant, potest humana ratio de illis nonnihil coniectare, soli vero numine afflati praevidere certissime, quod prophetarum praedictiones oraculaque confirmant, proximi licet longissimo intervallo prophetis prudentes sint; unde illud Euripidis: 20. »Qui bene coniectaverit, is vates optimus esto.«

Font.: 13 soli – certissime ] Ps. Ptol. Centil. 1 (a Pontano translatum) 16 Qui – esto ] cf. Eur. frg. 973 Kannicht; Cic. div. 2,12; Cic. Att. 7,13,4; Plut. de defectu orac. 40 p. III 432C; Plut. de Pyth. orac. 10 p. III 399A; Greg. Naz. or. 5,32 (PG 35,692) Sim.: 16 Qui – esto ] cf. disp. 2,10; rer. praen. 1,5 p. 381 App. crit.: 6 contingereque WCOGarin : contigereque αVRF 7 ordinatius] ordinatus G 11 posset] potest Garin 14 intervallo OGarin : proximi intervallo αβ (fort. per dittographiam) 15 sint BEC βO : sunt B : suut G 16 is] hic C

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wie es ihm beliebt, wenn es so die Einlösung irgendeines seiner Beschlüsse fordert, der bald die Tugenden in uns, aber auch mit uns zusammen beginnen lässt und die bereits begonnenen zur Vollendung bringt, bald diejenigen, die von den Tugenden zum Laster abgekommen sind, zur Gerechtigkeit wendet indem er entweder die Rute des Lehrers aus Barmherzigkeit schwingt oder aus Gerechtigkeit zertrümmert wie von Sinnen, wobei er entweder alles Gute, oder immerhin gewiss Gelegenheiten, Gutes zu tun, schafft. 19. So viele Worte habe ich nun über das Schicksal verloren, über die Vorsehung und die Lenkung der menschlichen Angelegenheiten, die einerseits zwar an sich schon bemerkenswert sind, andererseits aber notwendig, um die Nichtigkeit der Astrologie ans Tageslicht zu bringen, damit wir, wenn wir sehen, dass etwas geschieht oder sich ereignet, was entweder zu groß oder zu geordnet erscheint, als dass man es auf Zufall oder den Menschen zurückführen könnte, dahinter nicht die Kraft von körperlichen Strahlen, sondern die Sorge und Macht der göttlichen Absicht und der Hilfe der Engel gepaart mit menschlicher Willensfreiheit verstehen. Aus dem, was wir gesagt haben, ergibt sich aber auch, auf welche Weise sich zukünftige Ereignisse von uns sowohl vorhersagen als auch im Vorhinein umgehen lassen, wenn sie schlecht sind; würden nämlich die menschlichen Angelegenheiten lediglich zufällig geschehen, könnte es keine Vorhersage zukünftiger Ereignisse geben. Da sie aber nach menschlicher und göttlicher Absicht geschehen, kann die menschliche Vernunft einige Vermutungen darüber anstellen, aber alleine diejenigen, die vom göttlichen Wesen behaucht sind, können komplett zutreffende Vorhersagen machen, was die Vorhersagen der Propheten und die Orakel bestätigen, mögen auch die Weisen den Propheten trotz des sehr weiten Abstandes am nächsten kommen; daher kommt jener Ausspruch des Euripides: 20. »Wer eine treffende Vermutung macht, der soll der beste Seher sein.« 21. Bei den Bemühungen um einen glücklichen Ausgang und beim Vermeiden von Unglück gilt es demgemäß vor allem anderen, sich Gott gewogen zu machen

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Plato

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21. Sic in procurando felici rerum successu infortuniisque vitandis illud potissimum est, Deum sibi conciliare propitium animi puritate, piis operibus votisque sanctissimis; post hoc ipse sibi homo consulat sua prudentia, nam licet in plerisque rebus multum fortuna possit, plurimum, immo totum in omnibus dispositio certae divinae voluntatis; ipsam tamen rectam vivendi rationem magnum in his habere momentum necesse est, nisi frustra collatum hoc nobis munus a Deo dicamus. Quare recte dixit ille nullum abesse numen, si sit prudentia, sed nos facere Fortunam deam caeloque locare. 22. Propterea Plato in Epistula ad Syracusanos, cum Homerici illius dicti meminisset »Dii mentem abstulerunt«: , quia homines potius adiectam ipsi mentem abstulerunt; quod Euripidis illa sententia confirmat, qui sortem animae filiam esse dixit. Prudenter igitur

Font.: 7–8 nullum – locare ] cf. Iuv. 10,365–366; Lact. inst. 3,29,17 9–10 Plato – abstulerunt ] cf. Plat. epist. 7 344D ; schol. Plat. Tht. 177A 10 Dii mentem abstulerunt ] Hom. Il. 7,360; 12,234 11–12 Euripidis – dixit ] cf. Eur. frg. 989 Kannicht; Plut. de sollert. anim. 8 p. IX 956E; quaest. conviv. 2,10,2 p. IV 644D; Soph. OR 1080 App. crit.: 1 infortuniisque Garin : infortuniis quae Ω 5 certae divinae V (cf. Verg. Aen. 4,125; 7,548) : certae divine α : certe divinae WRCFOGarin 7 pro ille fort. scribendum Iuvenalis 10– 11 θεοὶ – αὐτοὶ supplevi e Plat. epist. 7 344D : om. et lac. non. ind. ΩGarin 12 illa FO : ille αVWRC

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durch Reinheit der Seele, fromme Taten und heilige Gebete; danach soll ein jeder Mensch sich mit seiner Weisheit um sich selbst kümmern, denn mag auch der Zufall in äußerst vielen Dingen eine große Rolle spielen, den größten Einfluss, oder sogar allen, hat bei allen Dingen der Zustand des fest entschlossenen göttlichen Willens. Dennoch hat auch die richtige Lebensweise bei diesen Dingen notwendigerweise großes Gewicht, wenn wir nicht sagen wollen, dass uns diese Gabe vergeblich von Gott geschenkt wurde. Daher hat jener Recht gehabt, als er sagte, einem fehle keine göttliche Macht, wenn es nur die Weisheit gebe, aber wir machten Fortuna zu einer Gottheit und wiesen ihr einen Platz am Himmel zu.λανγυα 22. Deswegen hat auch Platon Recht in seinem »Brief an die Einwohner von Syrakus« (Epistula ad Syracusanos), wenn er an jenes Homerzitat erinnert: »Die Götter haben den Verstand genommen«, weil eher die Menschen den ihnen hinzugefügten Verstand selbst genommen haben.297 Das bestätigt auch Euripides in seinem Ausspruch, der behauptete das Schicksal sei »Tochter der Seele«. Wir wollen also, indem wir unser Leben nach natürlicher Vernunft einrichten und

297 In seinem siebten Brief rekurriert Platon auf das Homerzitat θεοὶ φρένας ὤλεσαν αὐτοί (Hom. Il. 7,360 = 12,234), welches er korrigierend abwandelt, wobei er das Wirken der Götter durch menschliches Versagen ersetzt (Plat. epist. 7 344D ): θεοὶ μὲν οὔ, βροτοὶ δὲ ›φρένας ὤλεσαν αὐτοί‹. Das griechische Originalzitat scheint an der Stelle – wie anderswo – ausgefallen zu sein.

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Esaias

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vitam instituentes ratione naturali, tum pia religione divinam nobis benevolentiam parantes vitemus omnem superstitiosam vanitatem, alioquin qui vel futura praevidere vel, cum sint mala, praecavere per astrologicas speraverit observationes, audiet Esaiam sibi dicentem: »Veniet super te malum et nescies ortum eius et irruet super te calamitas, quam non poteris expiare«.

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Caput V – Nec praeterita nec quae ad alios attinent, posse ex aliqua constellatione praevideri. 1. Quodsi habeant forte de fortuitis rebus aliquid, quod respondeant, quamquam habere nihil possunt aut verum aut verisimile, de his, quae geniturae horam antecedunt, quaeso, quid respondebunt? Hoc est: quonam pacto putabunt efficientem causam suis effectibus esse posteriorem? 2. Quid de his item, quae non solum priora, sed etiam aliena ideoque suas causas non huius geniturae constellatione, sed alibi possidentia, ut cum ex hora, qua filius nascitur, de parentum avorumque et fratrum natu maiorum naturis fortunisque pronuntiant? Haec enim et priora illa sunt constellatione et ab ea itidem aliena, ut quae a praeteritis iam diu propriis constellationibus sui habeant fati ordinem

Font.: 4–5 Esaiam – expiare ] Vulg. Is. 47,11 9–10 quae – respondebunt ] cf. Ptol. apotel. 3,1,4 14 de parentum avorumque ] cf. Ptol. apotel. 3,5; Firm. math. 6,32,3–22 fratrum natu maiorum ] cf. Ptol. apotel. 3,6; Firm. math. 6,32,23–26 Sim.: 8–11 Quodsi – posteriorem ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564 752.12–754.3 Quid – accepit ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564; Bellant. resp. disp. 4,4 fol. s2r App. crit.: 4 Veniet αO : Veniat β (sed cf. Vulg. Is. 47,11) 6 nec quae] necque G attinet C 8 de] ad G 9 geniturae om. G 10 pacto] pacto geniturae G

attinent]

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uns durch rechtschaffene Frömmigkeit das göttliche Wohlwollen sichern, jegliche abergläubische Nichtigkeit mit Bedacht vermeiden; anderenfalls wird derjenige, der hofft, zukünftige Ereignisse vorhersehen oder, wenn sie schlecht sind, mit Hilfe der Beobachtungen der Astrologen vermeiden zu können, hören, wie Jesaja zu ihm spricht: »Es wird ein Übel über dich kommen und du wirst seinen Beginn nicht kennen und es wird ein Unheil über dich fallen, das du nicht wirst sühnen können.«

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Kapitel 5 – Weder bereits Vergangenes noch das, was sich auf andere bezieht, kann anhand irgendeiner Himmelskonstellation vorhergesehen werden. 1. Wenn sie aber im besten Fall bei den zufälligen Ereignissen irgendeine Antwort finden, obwohl sie nichts Wahres oder der Wahrheit auch nur Ähnliches griffbereit haben können, was, bitteschön, werden sie dann für eine Antwort finden für die Dinge, die sich vor der Stunde der Geburt ereignen? Mit anderen Worten: Auf welche Weise werden sie glauben können, eine Wirkursache könne später sein als ihre Wirkungen? 2. Was ist ferner mit den Ereignissen, die nicht nur früher sind, sondern auch zu anderen gehören und deshalb ihre Ursachen nicht in der Himmelskonstellation dieser Geburt haben, sondern anderswo, wie wenn sie anhand der Geburtsstunde des Sohnes Vorhersagen treffen über Natur und Schicksal von Eltern, Vorfahren und älteren Brüdern? Denn diese Dinge sind einerseits zeitlich früher als jene Himmelskonstellation, ihr andererseits aber auch fremd, da sie von bereits lange vergangenen, zu ihnen gehörigen Himmelskonstellationen ihren eigenen Lauf des

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Haly Avenrodan

Bella imaginatio

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et dependentiam (si quod scilicet esse fatum a caelo existimemus); in eo item, qui nascitur, quomodo | illud efficit natalitia constellatio, quod multis ille diebus ante diem natalem accepit? Praedicunt enim ex themate geniturae masne an femina sit, qui nascitur, mancus an integer, pulcher an deformis deque aliis huiusmodi corporis conditionibus, de quibus omnibus iacta alea erat, priusquam e matris, ut ait Lucilius, bulga infans committeretur. 3. Horum omnium praedictionem qua sibi ratione astrologi vindicant? Sed nec effectu causa posterior nec praevidentur ex caelo aliter quae inde praevidentur, quam quo pacto effectus ex causa praecognoscitur. Haly Avenrodan Apotelesmaticos Ptolemaei libros enarrans quasi nostram hanc solvens quaestionem ostendere voluit, quonam pacto ex fratris fratrum, ex filiorum genituris parentum fata praeviderentur. »Non quotiens«, inquit, »mulier congreditur viro, totiens concipit, sed tunc solum, cum ea incidit hora, cuius constellatio cum parentum constellatione concordet; et quoniam, quae cum alio pariter conveniunt, inter se quoque convenire necesse est, si conveniunt cum parentum constellationibus filiorum omnium geniturae, erunt ipsae quoque inter se concordes; quare et mutuo etiam sua invicem fata significabunt; sic ex fratris fratrum, ex filii genitura parentum naturae fortunaeque demonstrantur.«

Font.: 3–4 Praedicunt – nascitur ] cf. Ptol. apotel. 3,7 4 mancus an integer ] cf. Ptol. apotel. 3,13; Firm. math. 6,32,40–44 pulcher an deformis ] cf. Ptol. apotel. 3,12 5 iacta alea erat ] cf. Suet. Iul 33,1; Plut. Caes. 32,6 e matris – committeretur ] cf. Lucil. 623 Marx (676 Krenkel) = Non. p. 78,13 9–18 Haly – demonstrantur ] cf. Haly comment. tetr. 3,2 (= Ptol. apotel. 3,3) fol. v Sim.: 5–6 e matris – committeretur ] cf. orat. de hom. dign. p. 8; Erasm. adag. 5,1,57 – demonstrantur ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564

9–18 Haly

App. crit.: 6 committeretur] expectes ederetur (cf. Lucil. 623 Marx: editus) vel emitteretur (cf. disp. 4,11,2) 8 enim addendum putavi praevidentur] praevidenter βO ex] e Garin 9 ex] e Garin

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Schicksals und ihre eigene Abhängigkeit haben (wenn wir denn davon ausgehen, dass es ein vom Himmel ausgehenden Schicksal gibt); wie kann ferner jene Geburtskonstellation bei demjenigen, der geboren wird, das bewirken, was er bereits viele Tage vor der Geburt empfangen hat? Denn sie sagen anhand des Geburtshoroskops vorher, ob es sich bei dem Neugeborenen um einen Mann oder eine Frau handelt, ob er verstümmelt ist oder unversehrt, ob er schön ist oder hässlich, und treffen Vorhersagen über andere derartige körperliche Zustände, über deren Zustand bereits der Würfel geworfen war, bevor das Kind, wie Lucilius sagt, aus dem Leib der Mutter herausgeschickt wurde. 3. Mit welchem Argument können die Astrologen die Vorhersage aller dieser Dinge für sich in Anspruch nehmen? Denn es ist ja weder die Ursache später als ihre Wirkung noch kann man Vorhersagen vom Himmel anders vorhersagen, als auf dieselbe Weise, wie man auch den Effekt anhand der Ursache im Vorhinein erkennen kann. ῾Alī ben Riḍwān will in seinem Kommentar zu den Apotelesmatika des Ptolemaios, als versuchte er diese unsere Frage zu lösen, aufzeigen, auf welche Weise man das Schicksal von Geschwistern an der Geburtskonstellation ihrer Geschwister, das Schicksal von Eltern anhand der Geburtskonstellationen ihrer Kinder vorhersehen kann. »Nicht jedesmal«, sagt er, »wenn eine Frau mit ihrem Mann Verkehr hat, empfängt sie, sondern lediglich zu der Stunde, deren Himmelskonstellation mit der Konstellation der Eltern im Einklang steht; und da das, was mit anderem gleichermaßen im Einklang steht, auch untereinander harmonieren muss, werden auch die Geburtskonstellation aller Kinder miteinander harmonieren, wenn sie mit den Geburtskonstellationen der Eltern zusammenpassen; aus diesem Grund werden sie auch gegenseitig das jeweilige Schicksal bezeichnen. So können anhand des Geburtshoroskopes von Geschwistern Veranlagung und

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756 Redargutio

Prima ratio Secunda

Tertia

Responsio vulgi astrologorum

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4. Ego vero in hac astrologica subtilitate nescio, quid primum coarguam vel irrideam. »Non concipit«, inquit, »mulier, nisi qua hora siderum positio cum parentum sideribus convenit.« Non igitur ex ea hora, qua nascitur, sed qua concipitur puer, parentum debent fata praevideri. Sed et cum alio item caelo pater, alio genitrix nata sit eius, qui concipitur, quomodo una poterit constellatio tam diversis constellationibus respondere? Aut si hoc fieri posse putent aliqua siderum diversitate, quomodo tot filiorum themata thematis patris matrisque simul respondebunt, cum ab hisdem sideribus, ab hisdem caeli regionibus peti in omnibus debeat parentum significatio? 5. A quarto et decimo caeli loco sors patris et matris ab illis investigatur; a Sole, item Saturno, Venere et Luna. Horum dispositio in thematis geniturarum varia fere semper et multiplex pro varietate filiorum; tu istam omnem varietatem putas posse non variare a constellationibus genitorum, quasi possit ab alio non dissentire, quod a se ipso prius dissentit, aut non sit futurum, ut idem pater necessario et fortunatus sit et infortunatus, quoniam eius scilicet alter filius quartum habeat locum felicibus radiis illustratum, alter vero infelicibus obsessum? Quod ut vitaret, vulgus astrologorum soliti dicere non ab omnium filiorum genituris, sed ab eius, qui esset maximus natu, parentum fata praevideri. Sed adimitur statim eis illud perfugium de fratrum genituris, quas ostendebant idcirco inter se convenire, quod cum genitorum constellationibus omnes pariter consonarent.

Font.: 10 A quarto – investigatur ] cf. Album. introd. tract.6, diff.26 p. 259 math. 2,19,5 Sole – Luna ] cf. Ptol. apotel. 3,5,1

A quarto ] cf. Firm.

Sim.: 3–4 Non igitur – praevideri ] cf. rer. praen. 5,8 p. 564 4–9 Sed et – significatio ] cf. rer. praen. 5,8 pp. 564–565 10–12 A quarto – filiorum ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 12–16 tu – obsessum ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 16–20 Quod – consonarent ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 App. crit.: 4 fata CFGarin (cf. rer. praen. 5,8 p. 564) : facta αVWRO iisdem OGarin 13 posse] posset G a om. G

8 hisdem Bβ : isdem B :

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Schicksal der Geschwister, anhand des Horoskops eines Kindes Veranlagung und Schicksal der Eltern bestimmt werden.« 4. Ich aber weiß bei dieser astrologischen Spitzfindigkeit gar nicht, was ich zuerst widerlegen oder verlachen soll. »Eine Frau empfängt nicht«, so sagt er, »außer zu der Stunde, zu der die Anordnung der Gestirne mit den Gestirnspositionen der Eltern zusammenpasst.« Folglich müssen die Schicksale beider Eltern nicht aus der Stunde, in der der Spross geboren wird, vorhergesehen werden, sondern aus der Stunde der Empfängnis. Des Weiteren: Wenn der Vater des Nativen unter einer Sternenkonstellation geboren ist, die Mutter aber unter einer anderen, wie kann ein und dieselbe Konstellation so vielen unterschiedlichen Konstellationen entsprechen?298 Oder wenn sie glauben, dass dies aufgrund irgendeiner Verschiedenheit der Gestirne passieren könne, wie sollen dann die Horoskope so vieler Kinder dem Horoskop von Vater und Mutter gleichzeitig entsprechen, wenn man doch von denselben Sternen und denselben Himmelsregionen bei allen Kinderhoroskopen die Bedeutung der Sternenkonstellation auch für die Eltern suchen muss? 5. Das Schicksal von Vater und Mutter untersuchen sie am vierten und zehnten Himmelsort, ferner anhand von Sonne, Saturn, Venus und Mond. Deren Anordnung in Geburtshoroskopen ist beinahe immer unterschiedlich und verschieden entsprechend der Unterschiedlichkeit der Kinder. Du glaubst wirklich, diese gesamte Unterschiedlichkeit könne nicht abweichen von den Konstellationen der Eltern, als ob sich etwas von etwas anderem nicht unterscheiden könnte, was zuvor selbst untereinander unterschiedlich ist, oder als müsse es sich nicht ergeben, dass ein und derselbe Vater notwendigerweise glücklich und unglücklich ist, weil sein einer Sohn den vierten Ort im Horoskop von glückbringenden Strahlen erhellt hat, der andere aber ihn von unglückbringenden Strahlen besetzt hat? Um diesen Widerspruch zu vermeiden, sagt die Menge der Astrologen gewöhnlich, das Schicksal der Eltern lasse sich nicht an den Geburtskonstellationen aller Söhne ablesen, sondern lediglich an der des Ältesten. Aber so wird ihnen augenblicklich auch jene Rückzugsmöglichkeit zur Geburt von Brüdern genommen, die, wie

298 Die Konstellation zur Stunde der Empfängnis müsste also mindestens mit den Konstellationen beider Eltern harmonieren; bei weiteren Geschwistern müssten wiederum auch deren Horoskope zum entsprechenden Horoskop (und somit natürlich erneut zum Horoskop der Eltern) passen.

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6. Sed quid oportet rem operosius confutare evidentissime frivolam? Qua enim ratione defenditur non concipere mulierem, nisi, qui tunc concipitur, ea sit deinde hora nasciturus, cuius constellatio eius modi sit futura, quae parentum eius, qui nascitur, sortem atque naturam astrologo possit significare? Scilicet illis caelum et tota natura deservit nec potest aliquid fieri in universo, nisi eo fiat modo, per quem possit de eo astrologus divinare. Praeterea illud quomodo solvunt, in quo erat tota vis nostrae argumentationis, non posse effici ab hora, qua infans nascitur, quod in fratribus, | in parentibus dudum ante praecessit; nam eorum opinionem, qui non effici hac re, sed significari tantum ab astris dixerunt, postea coarguemus. Nunc adversus eos disputamus, qui eorum, quae caelitus praedicuntur, causam esse caelum opinantur, quod et Ptolemaeus et principes omnes istius artis opinati sunt.

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Caput VI – Futura multo post tempore a praesenti constellatione effici non posse. 1. Quid, quod non solum praeterita, sed, si recte consideremus, nec quae multo post tempore sunt futura, effici possunt a praesenti constellatione, quod est tamen familiare frequentissimumque in astrologorum praedictionibus? 2. Ubi enim non illud legitur apud eos planetam orientalem in prima vitae parte praestare, quod pollicetur, occidentalem in postrema; qui horoscopum occupave-

Font.: 758.17–760.3 Ubi – collocatus ] cf. Manil. 4,844–855; Paul. Alex. 7 p. 20 Sim.: 1–6 Qua enim – divinare ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 6–8 Praeterea – praecessit ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 758.17–760.5 Ubi enim – fuerunt ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 App. crit.: 1 Tit. Confutatio add. BP

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sie zeigten, aus dem Grunde einander entsprächen, weil alle gleichermaßen mit den Gestirnskonstellationen der Eltern übereinstimmen würden. 6. Wozu aber muss man eine Sache aufwändig widerlegen, die offensichtlich dermaßen albern ist? Denn welches Argument kann man als Verteidigung anführen dafür, dass eine Frau kein Kind empfange, außer derjenige, der empfangen wird, werde dann zu genau jener Stunde geboren werden, deren Gestirnskonstellation derart sein wird, dass sie Schicksal und Natur der Eltern des Nativen dem Astrologen bezeichnen kann? Selbstverständlich ist ihnen der Himmel und die gesamte Natur untertan und im Universum kann nichts geschehen, was nicht auf eine Weise geschieht, anhand derer der Astrologe darüber eine Vorhersage machen kann. Wie lösen sie außerdem jenes Problem, auf dem die geballte Kraft unserer Argumentation ruht, dass von der Geburtsstunde des Nativen nicht bewirkt werden kann, was ihr in den älteren Geschwistern und den Eltern bereits lange vorangegangen ist? Denn die Meinung derjenigen, die behaupteten, dass die Ereignisse dadurch nicht bewirkt, sondern lediglich von den Sternen angezeigt würden, werden wir später widerlegen. Nun aber argumentieren wir gegen diejenigen, die der Ansicht sind, der Himmel sei die Ursache der Ereignisse, die anhand des Himmels vorhergesagt werden – eine Meinung, die sowohl Ptolemaios als auch alle anderen führenden Köpfe jener Wissenschaft vertraten.

Kapitel 6 – Das, was in ferner Zukunft liegt, kann von der derzeitigen Konstellation nicht bewirkt werden. 1. Was soll man dazu sagen, dass nicht nur vergangene Ereignisse, sondern, wenn wir es richtig betrachten, auch diejenigen, die weit in der Zukunft liegen, nicht von der derzeitigen Himmelskonstellation bewirkt werden können, obschon das eine geläufige und sehr häufig vorkommende Annahme bei astrologischen Vorhersagen ist? 2. Wo liest man nämlich nicht bei ihnen, dass ein der Sonne vorausgehender Planet in der ersten Lebensphase einlöst, was er verspricht, ein der Sonne folgender aber in der letzten; dass derjenige Planet, der sich im Aufgangspunkt befindet oder der Herrscher des Aufgangspunktes ist, seine Gaben schnell verteilt, ein we-

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rit vel horoscopi fuerit dominator, cito dare, quae sua sunt, paulo post eum, qui decimi loci iura possideat, qui occidenti vel affuerit vel praefuerit, sero, serius, qui imo caelo fuerit collocatus, atque alia hoc genus innumera hoc denique attestantia non fieri a constellationibus, quod sunt facturae, cum ipsae sunt constellationes, sed multis potius annis, postquam fuerunt? Huius vero mirandi exemplum in nulla virtute vel actione naturali, qualem esse caelestem confitentur, apparet, ut scilicet tunc efficax magis existimetur, cum non est, quam cum est; non remanet autem caelestis influxus in corpore instar medicinae. 3. Sed respondebunt fortasse, etiam si praeterit ille siderum positus, durare tamen virtutem inde nobis infusam, quae suo tempore pro natura agentis materiaeque habilitate suos tandem effectus in lucem sit editura. Ego vero, quod attinet ad naturam agentis, obicio illis, quod prius obiciebam, variari quidem pro agentium conditione variaque virtute effectus quoque naturam et conditionem. Sed hoc esse omnibus causis pariter commune, ut, quod sint effecturae, tunc magis efficiant, quando sunt, quam cum multo iam tempore desierunt. 4. Quod spectat ad materiam, si forte dicant non statim fieri regem et philosophum eum, qui nascitur, licet caelo id promittente, quia aetas repugnat, poterit videri non absurdum esse, quod dicitur. Sed cum aetas eorum munerum capax est, quae natalitiae stellae pollicebantur, cur tamen non fit, cuius et causa sufficiens iam praecessit et materia habilis idoneaque praesto est? Sed aut cessare aiunt

Sim.: 5–8 Huius – medicinae ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 11–15 Ego – desierunt ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 760.20–762.4 Sed aut – potest ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 App. crit.: 1 eum Garin : cum Ω 3 hoc] goc Garin 5 Tit. Confutatio add. BP 7 tunc] tum Garin 16 Tit. Responsio add. BP 17 eum] cum Garin 18 Tit. Confutatio add. BP 20 Tit. Responsio add. BP

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nig später derjenige, der die Herrschaft über den zehnten Ort innehat, spät derjenige, der entweder am Untergangspunkt liegt oder ihm vorangeht, noch später derjenige, der in der Himmelstiefe (imum coeli) liegt und andere unzählige derartige Behauptungen, die schließlich lediglich bezeugen, dass die Konstellationen nicht das bewirken, was sie zu bewirken im Begriff stehen, wenn sie selbst auftreten, sondern vielmehr erst viele Jahre später, nachdem sie selbst auftraten? Ein Beispiel für dieses wundersame Ereignis tritt aber bei keiner natürlichen Kraft oder Handlung auf, wie es der Himmel ihrer Meinung nach ja darstellt, nämlich dass sie dann für wirksamer gehalten wird, wenn sie nicht existiert, als dann, wenn sie gerade existiert; der himmlische Einfluss verbleibt aber nicht im Körper wie eine Medizin. 3. Vielleicht werden sie aber zur Antwort geben, dass, auch wenn jene Gestirnsanordnung bereits vorbei ist, dennoch die Kraft, die von dort in uns einströmte, noch andauere, die zu dem ihr jeweils gemäßen Zeitpunkt entsprechend der natürlichen Beschaffenheit des Handelnden (agens) und der Eignung der Materie ihre Wirkungen schließlich ans Licht bringen wird. Was aber die natürliche Beschaffenheit des Handelnden betrifft, halte ich ihnen das entgegen, was ich ihnen auch bereits zuvor schon entgegenhielt, nämlich dass sich gemäß dem Zustand des jeweils Handelnden und der unterschiedlichen Kraft auch die natürliche Beschaffenheit und der Zustand der Wirkungen ändern. Das aber ist allen Ursachen gleichermaßen gemeinsam, dass sie in höherem Maße wirken, wenn sie auftreten, als dann, wenn sie bereits lange Zeit vergangen sind. 4. Bezüglich der Materie lässt sich konstatieren: Wenn sie zufällig behaupten, der Native würde nicht sofort König oder Philosoph werden, auch wenn der Himmel das verspreche, weil das Alter dem widerspreche, wird diese Äußerung gegebenenfalls nicht abwegig erscheinen. Wenn aber das Alter die Gaben fassen kann, die die Sterne zur Geburtsstunde versprachen, warum geschieht dann dennoch nicht das, dessen hinreichende Ursache bereits vergangen ist und die geeignete und passende Materie zur Stelle ist? Aber entweder behaupten sie, die Wirkung

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Confutatio

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effectum tot annis, quot signorum partibus a tali loco planeta distabat, aut quia talem in themate caeli locum obtinuit, nisi sero praestare sua beneficia suis non posse; hoc rationalis potius naturae pro electione arbitrioque sua munera, quo voluerit, tempore dispensantis; naturalis causae nec est nec esse potest. Praeterea si ex se quidem daret statim caelum, quod promittit, sed materiae dispositio est in mora, non erit astrologi eventus tempora praecognoscere, qui caelum considerat, sed eius potius, qui materiae statum condicionemque cognoscit, ut, quid futurum sit, ab astrologo audiat, quando futurum astrologo ipse demonstret. 5. Quod item respondebant, servari vim a caelo derivatam praetereunte constellatione, scire ab eis velim, ubinam conservetur, utique aut in materia aut in causis inferioribus et secundariis? Quorum sive utrumque sive alterum eis placet, sciant nec in aestu fluentis refluentisque materiae nec in tam varia atque mutabili particularium causarum multitudine virtutem caelestem posse eandem et stabilem tam diuturno tempore permanere.

Sim.: 4–8 Praeterea – demonstret ] cf. rer. praen. 5,8 p. 565 rer. praen. 5,8 p. 565

9–14 Quod item – permanere ] cf.

App. crit.: 3 Tit. Confutatio add. BP 5 est] expectes esset 9 derivatam BB BP Garin : derivatum αβO constellatione] constellatiove G 13 posse] posse et Garin

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verzögere sich um so viele Jahre, wie viele Tierkreiszeichengrade der Planet von einem solchen Ort entfernt steht, oder er könne nur spät seine Gaben an die Nativen verteilen, weil er an einem solchen Ort im Horoskop stehe; dies ist aber eher Kennzeichen einer vernunftbegabten Natur, die gemäß ihrer willentlichen Entscheidung ihre Gaben zu dem Zeitpunkt ihres Willens verteilt; Kennzeichen einer natürlichen Ursache ist es nicht und kann es nicht sein. Würde außerdem der Himmel von sich aus sofort das geben, was er ankündigt, die Anlage der Materie aber für Verzögerung sorgen, wird es dem Astrologen, der den Himmel betrachtet, nicht möglich sein, den Zeitpunkt der jeweiligen Wirkungen vorherzusehen, sondern vielmehr nur derjenige wird dies können, der den Zustand und die Beschaffenheit der Materie kennt, sodass er vom Astrologen hört, was passieren wird, selbst aber dem Astrologen zeigt, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen wird. 5. Was ihre andere Antwort betrifft, dass die vom Himmel abgeleitete Kraft erhalten bleibe, obschon die Konstellation bereits vergangen ist, so möchte ich von ihnen wissen, wo sie denn bewahrt wird, gewiss doch entweder in der Materie oder in den Ursachen, die der unteren Welt zugehörig und Zweitursachen sind? Sei es, dass sie sich für beides oder nur für eines von beiden entscheiden, so müssen sie wissen, dass weder in der Strömung der hin- und herfließenden Materie noch in der so unterschiedlichen und veränderlichen Menge der individuellen Ursachen die Kraft des Himmels über einen so langen Zeitraum hinweg unverändert und beständig bewahrt werden könnte.

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Confutatio validissima

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| Caput VII – De auspicationibus, quas electiones dicunt, quam vana et impossibilia sit astrologorum sententia. 1. Libet item ab eis sciscitari de ea parte, qua maxime utilis vitae putatur astrologia, quae est de auspicationibus, vulgo electiones vocant, hoc est quonam pacto a caelo fieri intelligant, ut quod hac quidem hora aggredimur faciendum feliciter, quod vero alia infeliciter fiat a nobis. 2. Nam ut facile omnia haec dicuntur et habet in prima fronte speciem probabilitatis, ita, cum diligentius examinantur, vana impossibiliaque deprehenduntur. ›Si quis‹, inquiunt, ›iter sub tali caeli constellatione capessat, commodam habebit peregrinationem, a rege benigne excipietur, rem suam familiarem adaugebit; contra, si alia hora equum ascendat aut descendat in navim, difficilia itinera, periculosam navigationem experietur nec efficiet tandem, cuius rei gratia iter navigationemve suscepit.‹ 3. Haec omnia fateor me non perspicere, quonam pacto fiant a caelo; doceant ipsi me, si possunt. Esto: Iuppiter de nona caeli regione radios suos in terram iaculetur; felicem dicent constellationem pro itinere capessendo. Quaero ego ex eis, defluxus iste afflatusque fortunatus homines ne ipsos afflet atque afficiat iter arrepturos, an ipsam potius iter agentium hominum operationem, hoc est vel equi ascensum vel e domo egressionem vel huius aliquid eorum, quae sunt necessario itineris incohamenta?

Font.: 15–16 Iuppiter – capessendo ] cf. Firm. math. 2,19,10 Sim.: 9–13 Si quis – suscepit ] cf. Bellant. resp. disp. 4,7 fol. s2r cf. rer. praen. 5,9 p. 567; Bellant. resp. disp. 4,7 fol. s2r

16–20 Quaero – incohamenta ]

App. crit.: 1 post dicunt quam falso dist. Garin 3 eis] eius F 7 habet Ω (scilicet argumentum vel ratio vel simile aliquid intellegendum) : habent Garin fort. recte? 12 navigationem] navigatiotem Garin 16 Tit. Confutatio validissima add. BP Quaero] Quare Garin

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Kapitel 7 – Wie nichtig und unmöglich die Ansicht der Astrologen über die Vorhersagen ist, die sie Stundenwählerei nennen. 1. Es beliebt ebenso, sie über den Teil der Astrologie auszufragen, in dem die Astrologie ihrer Ansicht nach besonders nützlich für das Leben sei, nämlich in den Vorhersagen (auspicationes), die allenthalben als Stundenwählerei (electiones) bezeichnet werden, also wie es ihrer Meinung nach vom Himmel geschehen könne, dass wir zu einer bestimmten Stunde etwas in Angriff nehmen, was uns glücklich gelingt, was uns zu einer anderen Stunde nicht glücklich gelingt? 2. Denn all das lässt sich zwar leicht sagen und die Argumentation hat auf den ersten Blick den Anschein von Wahrscheinlichkeit, wenn man es aber eingehender untersucht, erweist es sich als nichtig und unmöglich. ›Wenn jemand‹, so sagen sie, ›unter einer derartigen Himmelskonstellation eine Reise antritt, wird er eine angenehme Reise haben, wird vom König großzügig empfangen werden, wird sein Privatvermögen vermehren; wenn er hingegen zu einer anderen Stunde auf sein Pferd steigt oder ein Schiff besteigt, wird er eine schwierige Reise und gefährliche Schifffahrt erleben und er wird das Ziel, weswegen er die Reise oder Seefahrt unternahm, nicht erreichen.‹ 3. Ich gebe es zu, dass ich nicht erkennen kann, wie das alles vom Himmel aus geschehen soll; sie selbst sollen es mich lehren, wenn sie können. Meinetwegen: Jupiter soll vom neunten Ort aus seine Strahlen auf die Erde werfen; sie werden sagen, dass dies eine günstige Konstellation ist, um eine Reise anzutreten. Ich frage sie nun, ob jener Einfluss und Glück bringende Hauch die Menschen selbst anhaucht und bewirkt, dass sie die Reise unternehmen, oder vielmehr die Handlung der die Reise antretenden Menschen selbst, das heißt entweder das Aufsteigen auf das Pferd oder das Verlassen des Hauses oder irgendeines der Ereignisse, die notwendigerweise den Beginn einer Reise darstellen?

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Ptolemeus

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4. Si primum respondeant, afflabuntur illi, etiam si tunc primum iter non accipiant, sideris beneficio, quotiens arripiendi itineris illis fuerit propositum, praesertim cum ex eorum sententia non praestet constellatio, quod pollicetur, tunc maxime quando est, sed longo etiam post saepe temporis intervallo. Si secundum, multa certe delirare cogentur, ut positionem tueantur, dum nobis exponent, quo pacto Iovia illa equi ascensio et mollem pedibus viam substernat et latrones abigat ex itinere et nubibus pulsis placatum efficiat diffuso lumine caelum. Nec parum item illis negotii in retinendo isto defluxu, dum multorum forte dierum iter plane conficiatur, cum non parva iure suspicio habenda sit, ne, quae in illo equum ascendente virtus caelo descendit, reciproca ratione, cum de equo ille descenderit, illa in caelum rursus ascendat et novo iste viator Iove semper indigeat, cum erit ei equus insiliendus. Nam somniare vim aliquam primordialem nusquam consistentem, nullibi radicatam, quae totum tibi iter molliter beateque conficiat, hominum est in somnis etiam delirantium, qui, quod loquuntur, nihil perpendentes futilem dant et sine mente sonum. 5. Videamus rursus, eosdem ne scrupulos incidant in his rebus, quae sunt opera potius nostra quam operationes. Sententia est Ptolemaei, si in urbis constitutione Mars caeli medium obtinuerit, principes eius civitatis gladio plerumque perituros. Exponat nobis Ptolemaeus, ubinam sanguinolenta ista Martis radiatio recipiatur, quae tot deinceps principes sit successu temporum gladio necatura! Si

Font.: 15 sine mente sonum ] cf. Verg. Aen. 10,640 cent. 36 (transl. Pont.)

17–19 Sententia – perituros ] cf. Ps.-Ptol.

Sim.: 1–4 Si primum – intervallo ] cf. rer. praen. 5,9 p. 567 4–7 Si secundum – caelum ] cf. rer. praen. 5,9 p. 567 7–15 Nec parum – sonum ] cf. rer. praen. 5,9 p. 568 16–17 Videamus – operationes ] cf. rer. praen. 5,9 p. 568 766.17–768.5 Sententia – praeterit ] cf. rer. praen. 5,9 p. 568; Bellant. resp. disp. 4,7 fol. v App. crit.: 6 illa] ille B (corr. BCorr ) 9 ne quae Garin : neque Ω 10 de equo αC : de quo VWRFO 14 in somnis O : insomnis αβ : in somniis Garin 19 perituros] petituros G (corr. Gc ) 20 recipiatur] accipiatur Garin

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4. Wenn sie das Erste zur Antwort geben, werden jene durch die Wohltat des jeweiligen Gestirns zur Reise inspiriert, sooft sie den Entschluss gefasst haben, eine Reise anzutreten, auch wenn sie dann zunächst die Reise gar nicht antreten, zumal ihrer Meinung nach die Konstellation ihr Versprechen nicht genau dann einlöst, wenn sie gerade auftritt, sondern oftmals auch erst nach einem langen Zeitraum. Wenn sie das Zweite zur Antwort geben, werden sie gezwungen werden in vielerlei Hinsicht zu phantasieren, um ihre Position zu behaupten, während sie uns darlegen, auf welche Weise jene von Jupiter inspirierte Besteigung des Pferdes unseren Füßen einen weichen Weg bereitet und Räuber vom Weg verjagt, die Wolken vertreibt und einen friedlichen und weithin beleuchteten Himmel bewirkt. Und ebenso haben sie nicht wenig Mühe damit, jenen Einfluss solange aufrechtzuerhalten, bis eine Reise von vielen Tagen komplett abgeschlossen ist, wobei man mit Recht nicht gerade kleinen Zweifel hegen kann, ob die Kraft, die vom Himmel aus in jenen Reisenden beim Besteigen des Pferdes einfließt, in entgegengesetzter Weise wirklich wieder in den Himmel aufsteigt, wenn er vom Pferd absteigt, und der Reisende jedes Mal eines neuen Jupiters bedarf, wenn er auf sein Pferd springen muss. Denn sich irgendeine ursprüngliche Kraft auszudenken, die nirgendwo auftritt, nirgendwo verwurzelt ist, die dich den gesamten Weg angenehm und glücklich zurücklegen lässt, ist ein Produkt von Menschen, die auch im Traum irre daherreden und nicht darüber nachdenken, was sie sagen, und so einen sinnund verstandlosen Ton von sich geben. 5. Wir wollen nun sehen, ob sie bei dem, was eher unser Werk ist als unsere Handlung, wiederum in dieselben Grübeleien verfallen. Ptolemaios behauptet, dass, wenn bei einer Stadtgründung Mars in der oberen Himmelsmitte steht, die Fürsten dieser Stadt meistens durch das Schwert fallen werden.299 Nun soll uns Ptolemaios erklären, wo denn dieser blutige Strahlenwurf des Mars empfangen wird, der in der Folge so viele Fürsten im Laufe der Zeit mit dem Schwert töten

299 Die 36. Sentenz des Ptolemaios zugeschriebenen, mit Sicherheit aber nicht von ihm verfassten, Centiloquiums lautet in der Übersetzung Giovanni Pontanos (Ps.-Ptol. cent. 53 transl. Pont. [p. 66]): Reges cuiuscunque urbis, quae Martem culminantem habuerint, gladio plerunque pereunt.

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suscipi eam velit in principe, qui tunc urbem aedificat, rogabo, quo pacto iacti illi defossique in terram iussu principis lapides, urbis scilicet fundamenta, caelestes radios aliorsum vergentes in principem istum flectant atque derivent; quo pacto in eius posteros regnique successores hereditario quasi iure deveniat noxia ista virtus, cuius et susceptaculum periit et origo praeteriit? | Sane quid possit sine rubore interrogantibus ita nobis respondere, equidem non perspicio. 6. Dicet igitur forte non in principe ipso urbis institutore, sed in ipsa potius urbe, in ipsis primis lapidibus, super quos erigenda est, pestilentiam illam recipi, Martis pestifero quasi quodam afflatu omnes eius urbis principes afflaturam; Bellum utique inventum, Mosayco etiam testimonio confirmandum, qui leprosae nobis domus expiationem prophetica olim inspiratione monstravit; sed vereor, ne congesta desuper humus primisque lapidibus inculcata exhalare mephitim illam Martiam non prohibeat; aut, si omnino exhalet, non egenos potius et pauperes pestilentiae magis opportunos invadat quam principem ipsum civitatis. Qui, si in suburbana aliqua villa forte habitaverit, credo, gladio non peribit, praesertim si pluribus passum milibus ea distat ab urbe, quam ut Martius ille vapor calce, ruderibus, intertrimentis interim undique suffocatus, integer illuc possit efficaxque pervenire. 7. Sed ha[e]c philosophis periclitabitur gloria Platonis Academiae et Aristotelis, qui in suis De republica libris, ubi de condenda regendaque feliciter urbe ac

Font.: 10–11 Mosayco – monstravit ] cf. Vulg. lev. 14,33–57 Sim.: 7–9 Dicet – afflaturam ] cf. rer. praen. 5,9 p. 568 11–18 sed vereor – pervenire ] cf. rer. praen. 5,9 p. 568 768.19–770.2 Sed haec – reliquerunt ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569 App. crit.: 5 sine BB BP OGarin : sive αβ 12 primisque α : proximisque βOGarin om. OGarin 14 si om. OGarin 19 hac scripsi : haec Ω Platonis] Plato C

exhalare

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wird! Wenn er will, dass er im jeweiligen Fürsten aufgenommen wird, der dann die Stadt erbaut, will ich die Frage aufwerfen, auf welche Weise jene auf Befehl des Fürsten hingeworfenen und in der Erde vergrabenen Steine, die das Fundament der Stadt bilden, die himmlischen Strahlen anderswohin ablenken und zu jenem Fürsten leiten und ihm einflößen; des Weiteren, auf welche Weise jene schädliche Kraft auf seine Nachkommen und herrschaftlichen Nachfolger sozusagen durch Erbrecht übergeht, deren Gefäß vergangen und deren Ursprung vorbei ist? Ich freilich kann keinesfalls erkennen, was man uns auf unsere Frage hin antworten könnte, ohne dabei rot zu werden. 6. Vielleicht wird er folglich behaupten, jene Seuche, die sozusagen mit einem gewissen Pesthauch des Mars alle Fürsten dieser Stadt befallen wird, werde nicht von dem Fürsten, der der Stadtgründer ist, selbst aufgenommen, sondern vielmehr von der Stadt selbst, von den Grundsteinen, auf welchen die Stadt errichtet werden soll. Das ist gewiss eine hübsche Erfindung und kann sogar durch ein Zeugnis Moses’ bestätigt werden, der uns einst die Entsühnung eines mit Lepra verseuchten Hauses mit prophetischer Eingebung zeigte. Ich fürchte aber, dass die darüber angehäufte Erde, die auf den Grundsteinen festgestampft wurde, jene Ausdünstung des Mars nicht davon abhalten kann, auszuströmen; oder dass sie, wenn sie ganz ausströmt, eher die Bedürftigen und Armen, die für eine Seuche eher anfällig sind, befällt als den Fürsten der Stadt selbst. Der wird wohl, glaube ich, wenn er in einem Anwesen am Stadtrand wohnt, nicht durch ein Schwert fallen, zumal wenn es zu viele Meilen von der Stadt entfernt ist, als dass jener Dunst des Mars, der auf dem Weg allenthalben von Steinen und Geröll abgerieben erstickt wird, unbeschadet und mit voller Wirksamkeit dorthin gelangen könnte. 7. Doch dadurch wird den Philosophen der Ruhm der platonischen Akademie und des Aristoteles in Gefahr geraten, die in ihren Schriften Über den Staat, in denen sie so viele Vorschriften über das erfolgreiche Gründen und Regieren ei-

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Haly

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civitate tam multa praeceperunt, de tam utili, tam observandaque cautione nihil nobis scriptum reliquerunt. Quae omnia si, non per iocum, serio pensitemus, videbimus iure Haly interpretem Ptolemaei, quamquam summum astrologum, partem tamen hanc astrologiae, quae est de electionibus, frivolam inefficacemque existimasse.

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Caput VIII – Astrologos mentem nostram caelo subicere, quamquam, ut sunt astuti, id dissimulare conentur. 1. Hactenus demonstratum est nullam ex corporalibus rebus et temporariis, quarum maxime ius habere caelum putatur, dependere a caelo quo scilicet modo astrologi opinantur. Nam neque ea, quae sunt fortuita nec quae ad alios attinent nec quae aut praeterita sunt aut futura longo post tempore, tum eorum maximam partem, quae, ut fiant feliciter, a certis horarum observationibus auspicantur. Quae si non ita efficit caelum, ut e caelo praevideantur, quanto illa minus, quae sunt incorporea, de quibus tamen pronuntiare astrologica superstitio nihil erubescit? 2. Continentur enim hoc genere morum ingeniorumque diversitates et quaecumque animi nostri opera et proprietates; continentur, quae ad daemones, ad mentes superiores, ad Deum, ad efficaciam supplicationum, ad arcana conscientiae, ad statum futurae vitae, atque hoc genus alia pertinent, de quibus omnibus

Font.: 3–5 videbimus – existimasse ] cf. Haly comment. centil. 2 Sim.: 3–5 videbimus – existimasse ] cf. disp. 2,2; rer. praen. 5,9 p. 567 App. crit.: 1 praeceperunt BB BP Garin : perceperunt BOβ : pererceperunt G trologorum Garin 19 atque] adque B (corr. BCorr )

3 astrologum] as-

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ner Stadt und eines Staates äußerten, uns nichts schriftlich hinterließen über eine so nützliche und beachtenswerte Vorsichtsmaßnahme. Wenn wir dies alles nicht scherzhaft betrachten, sondern ernsthaft, werden wir sehen, dass Haly, der Kommentator des Ptolemaios, obwohl einer der wichtigsten Astrologen, dennoch zu Recht diesen Teil der Astrologie, der von der Tagewählerei handelt, für nichtig und wirkungslos hielt.

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Kapitel 8 – Die Astrologen machen unseren Geist dem Himmel untertan, obwohl sie, da sie gerissen sind, versuchen, das zu verbergen. 1. Bis hierhin wurde bewiesen, dass keines der körperlichen und kurzzeitigen Dinge, über die der Himmel ganz besonders die Herrschaft haben soll, auf die Weise vom Himmel abhängig ist, auf die die Astrologen meinen, dass es abhängig sei. Denn weder sind es die Dinge, die zufällig sind, noch die, die sich auf Andere beziehen, noch die, die entweder bereits vergangen sind oder erst nach einem langen Zeitraum in der Zukunft passieren, genauso wenig der Großteil der Dinge, die durch gewisse Beobachtungen von unterschiedlichen Stunden als erfolgreiche prophezeit werden. Wenn der Himmel alle diese Ereignisse nicht derart bewirkt, dass man sie mit Hilfe des Himmels vorhersagen kann, um wie viel weniger gilt das für die nicht-körperlichen Dinge, über die die astrologische Irrlehre dennoch Vorhersagen trifft, ohne zu erröten? 2. Denn zu dieser Gattung gehören die unterschiedlichen Arten von Charakter und Veranlagung und alle anderen Werke und Eigenschaften unseres Geistes; dazu gehört das, was die Dämonen betrifft, die höheren Geister, was Gott, die Wirksamkeit von Bitten, die Geheimnisse des Gewissens, den Zustand des zukünftigen Lebens und andere derartige Dinge betrifft, über die allesamt diese Art von Tand-

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Astutia astrologorum

Astrologos mentem nostram caelo subicere k1r

Secunda

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mille dogmata praedicendi nugivendum hoc hominum genus arrogantissima temeritate divulgat. Et quidem a moribus exordirer, quos alios atque alios esse in hominibus putant pro varietate natalis constellationis; sed solent, cum hic urgentur, dissimulare, quod sentiunt, et de arbitrii libertate multa funditantes cavendum praecipere, ne cogi putemus a stellis nostram libertatem, a quibus solum propensionem invitamentumque aliquod habeamus, quod vel sequi vel declinare nostrae sit electionis. 3. Detegam igitur primum fraudem huius defensionis plurima afferens dogmata ipsorum, ex quibus pateat mentem ipsam eos caelo subicere, etiam ubi a corpore non dependet. Postea nec morum ingeniorumque diversitatem eo etiam, quo dicunt, modo in caelestes causas referri posse declarabimus. Ergo si non aliter putant humani animi differentias esse de siderum habitu et positione, quam ut affecto aliter atque aliter corpore animi etiam | operatio nonnihil immutetur, quomodo ex Marte in nona caeli regione feliciter constituto tantum praestari nobis posse contendunt, ut ab obsessis corporibus sola praesentia daemones expellamus? Quod non animi solum est ad corpus inclinantis, sed sic viventis in corpore, ut Deo plenus et mentis habitans penetralia in corpore vivere se non sentiat. Quomodo item ex parte Solis de arcanis conscientiae eius, qui nascitur, erga deos et homines iudicaturos se praesumunt? Quibus in manu animi et nostra magis libertate nihil positum est nec ita, ut angelicae pateant cognitioni nec potestati subiciantur.

Font.: 13–15 ex Marte – expellamus ] cf. Firm. math. 3,4,27 Thom. Aq. gent. lib.3, cap.88

20 angelicae – subiciantur ] cf.

Sim.: 2–4 a moribus – sentiunt ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 11–15 Ergo – expellamus ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552; Bellant. resp. disp. 4,8 fol. v 17–20 Quomodo - subiciantur ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 App. crit.: 16 ut] tum B (corr. BCorr )

17 mentis BB BF BEC Garin : mentes αβO

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händlern mit höchst anmaßender Unüberlegtheit tausenderlei Vorschriften zur Vorhersage verbreitet. Und ich will indessen mit dem Charakter beginnen, der ihrer Meinung nach jeweils unterschiedlich bei den Menschen ist, je nach unterschiedlicher Himmelskonstellation bei der Geburt. Doch wenn man sie auf diesem Gebiet bedrängt, verheimlichen sie gewöhnlich ihre Meinung und viele Worte über den freien Willen verbreitend geben sie Anweisung, man solle sich davor hüten, zu glauben, unsere Freiheit werde von den Sternen gezwungen, von denen wir lediglich eine gewisse Geneigtheit und einen Anreiz erhielten, dem zu folgen oder ihn abzulehnen Aufgabe unserer Entscheidungsfreiheit sei. 3. Ich werde also zuerst den Irrtum dieser Verteidigung aufdecken, indem ich viele ihrer Lehren anführe, aus denen klar wird, dass sie unseren Geist selbst dem Himmel sogar dort untertan machen, wo er nicht vom Körper abhängig ist. Im Anschluss werde ich darlegen, dass auch die Unterschiedlichkeit von Charakter und Begabung – jedenfalls auf die Weise, die sie suggerieren – nicht auf himmlische Ursachen zurückgeführt werden darf. Wenn sie folglich glauben, dass die Unterschiede der menschlichen Seele nicht anderweitig ihren Ursprung in Zustand und Anordnung der Sterne haben können, als dass sich die Wirkung auf die Seele geringfügig ändert je nach unterschiedlicher Beeinflussung des Körpers, wie können sie uns gegenüber dann behaupten, dass Mars, wenn er am neunten Himmelsort auf glückbringende Weise steht, so viel Einfluss ausüben kann, dass wir alleine durch seine Anwesenheit Dämonen aus besessenen Körpern austreiben können? Dies ist nicht nur ein Zeichen, dass sich die Seele dem Körper zuwendet, sondern dass sie so im Körper lebt, dass sie von Gott erfüllt das Innerste des Geistes bewohnt, ohne zu bemerken, dass sie im Inneren des Körpers lebt. Auf welche Weise glauben sie sich herausnehmen zu können, anhand des Grades der Sonne Urteile treffen zu können über die Geheimnisse des Gewissens des Nativen gegenüber Menschen und Göttern? Nichts ist nämlich in höherem Maße als die-

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Maternus

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4. Denique si societas corporis caelo animam sociat, quomodo de statu eius, cum extra corpus est posita, de caelesti constellatione pronuntiant? Vulgatum enim apud illos duos esse planetas auctores felicitatis, Venerem et Iovem, sed diversis officiis, ut Venus praesentis vitae felicitatem largiatur, Iuppiter futurae. Maternus, postquam multa ex his commemoravit, quae a Saturno praestantur in Leone constituto, tum ita subiungit: »Sed cum haec omnia fuerint adsecuti, longaevi morientur et anima eorum ad caelum diis applicata transibit. Saturnus enim in Leone positus animas eorum, qui sic se habuerint in terra, innumeris angustiis liberatas ad caelum et ad originis suae primordia revocat.« 5. Haec ille. Unde non solum id intelligi volo, quam ad impietatis usque suspicionem astrologica ista superstitio se diffundat, sed quanta scriptoribus huius artis fides adhiberi potest, quasi nisi experta usuque comprobata litteris mandaverint, quos proculdubio scimus, cum scribebant, experimentum non habuisse vitae futurae. Nam si a suis consectaneis vita functis haec forte intellexerunt, potius quae ad inferos, quam quae ad superos mitteret constellatio, poterant intelligere. Quamquam enim putant se certa hora supplicantes a Deo impetrare posse, quod volunt, non tamen facile credam, nisi dogma mutaverint, aeternam se ab eo felicitatem impetraturos. 6. Et certe putant illi, quod diximus. Scribit enim fabulosissimus ille Albumasar, qui Luna Iovi coniuncta cum Capite Draconis Deo supplicaverit, impetra-

Font.: 2–4 Vulgatum – futurae ] cf. Album. introd. tract.6, diff.26 p. 262; Ps.-Albert. specul. 12 p. 254 Z; Petr. Alliac. leg. sect. 2 p. 781A–781B; Rog. Bac. op. mai. p. I 254 B 4–9 Maternus – revocat ] cf. Firm. math. 5,3,22 774.19–776.1 Scribit – petierit ] cf. CCAG V 1 (1903) pp. 147,25–148,6 (= Excerpta de secretis Albumasar 8, p. 303 Vescovini); Appon. concil. 156 fol. v Sim.: 2–4 Vulgatum – futurae ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 4–9 Maternus – revocat ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 774.19–776.5 Scribit – confutata ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552; Bellant. resp. disp. 4,8 fol. v App. crit.: 10 solum id] id solum OGarin 12 potest] expectes possit verba vel simile aliquod 15 poterant] poterat Garin

ante nisi expectes nulla

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se in der Hand des Geistes und auf unserer Freiheit gegründet, und das in einem Maße, dass sie weder der Erkenntnis der Engel offenstehen noch ihrem Einflussbereich unterliegen. 4. Wenn schließlich die Vereinigung mit dem Körper die Seele mit dem Himmel verbindet, wie können sie dann anhand von Himmelskonstellationen Vorhersagen über ihren Zustand treffen, obwohl sie sich außerhalb des Körpers befindet? Es ist nämlich bei ihnen gängige Meinung, dass zwei Planeten für das Glück zuständig sind, Venus und Jupiter, allerdings mit einer Aufgabenteilung, sodass Venus Glück im derzeitigen Leben schenkt, Jupiter aber im späteren. Firmicus Maternus fügt seiner langen Abhandlung der Wirkungen von Saturn, wenn er im Löwen steht, Folgendes hinzu: »Wenn sie dies alles erreicht haben, werden sie hochbetagt sterben und ihre Seele wird in den Himmel übergehen und sich den Göttern anschließen. Denn wenn Saturn in Löwen steht, ruft er die Seelen derjenigen, denen es dermaßen auf der Erde ging, nachdem sie sich von unzähligen Schwierigkeiten befreit haben, zum Himmel und zum Beginn ihres Ursprungs zurück.« 5. So sagt er. Anhand dessen will ich nicht nur verstanden wissen, wie sich dieser astrologischer Aberglaube ausbreitet bis zum Verdacht der Ketzerei, sondern auch, wie viel Glaubwürdigkeit man den Schriftstellern jener Profession zukommen lassen kann, als ob sie lediglich das, was sie erfahren und durch Empirie bestätigt haben, ihren Schriften anvertraut hätten, obwohl wir ohne jeden Zweifel wissen, dass sie beim Schreiben keinerlei Erfahrung des zukünftigen Lebens hatten. Wenn sie dies nämlich zufällig von ihren verstorbenen Ketzerbrüdern lernten, konnten sie eher erkennen, welche Konstellation die Seelen in die Unterwelt, als welche sie in die oberen Gefilde schickt. Denn obwohl sie glauben, dass sie, wenn sie zu einer bestimmten Stunde beten, ihren Willen bei Gott durchsetzen können, glaube ich dennoch, dass es für sie nicht leicht sein wird, bei ihm ewige Glückseligkeit zu erlangen, wenn sie ihre Meinung nicht ändern. 6. Und das eben Gesagte glauben sie mit Sicherheit. So schreibt nämlich Abū Ma῾šar, jener größte aller Märchenerzähler, dass derjenige, der zu Gott betet, wenn der Mond in Konjunktion mit Jupiter zusammen mit dem Haupt des Dra-

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Petrus Apponensis

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turum a Deo, quicquid petierit. Et erunt adhuc philosophi, erunt theologi, quibus haec placent putentque se et, quos sequuntur, astrologos satis adhuc intelligere, quid sit Deus, quid sit oratio? Quae mihi insania hoc loco non tam est confutanda quam exsecranda, cum ex his, quae de oratione adversus impios alibi disputavimus, satis sit confutata. 7. At Petrus Apponensis, cuius ego scripta quotiens lego, totiens illud Heracliti venit in mentem πολυμάθεια νόον οὐ φύει, ipse, inquam, scribit, illa se hora, de qua dicebamus, a Deo scientiam petiisse et post eam diem in ea magnopere promovisse. Mihi, quantum novus hic Solomon in ea promoverit, metiri non vacat; credo certe, quicquid promovit, non plus eo esse, quod humanis passibus confici possit. Sed utcumque sese res habeat, consulerem Petro isti, ut totum, quod profecit, suae potius industriae ingenioque acceptum referret, quam Ioviae illi suae supplicationi. Sed ne pertinaciter illud defendat, cogantur bona iudicia negare eum potius quicquam in bonis litteris profecisse, quam ut tam vanae supersti-

Font.: 6–9 Apponensis – promovisse ] cf. Appon. concil. 156 (fol. &4v ) Heraclit. frg. B 40 DK = Diog. Laert. 9,1; Procl. in Tim. p. I 102,24–25 Diehl

Heracliti – φύει ] cf.

Sim.: 6–13 Apponensis – supplicationi ] cf. rer. praen. 5,7 p. 552 App. crit.: 7 πολυμάθεια νόον οὐ φύει scripsi coll. Procl. in Tim. p. I 102,25 Diehl : πολιμαθεια νοον ου φερει BCVRF : πολιμμαθεια φωμθ φερμ G : ωολιμσειαγοου ου φεμει W : πολεμαθεία γόου οὔ φέρει O 10 promovit βO : proomuit α : promoverit Garin 11 utcumque αO : utumque VRC : utrumque WF 14 quam ut α : ut quam ut βO vanae] vane Garin

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chens steht, von Gott alles, was er erbittet, erhalten wird.300 Und wird es jetzt immer noch Philosophen und Theologen geben, denen das gefällt und die der Ansicht sind, sie und die Astrologen, denen sie folgen, würden noch zur Genüge verstehen, was Gott ist und was ein Gebet? Dieser Wahnsinn muss durch mich an dieser Stelle weniger widerlegt als vielmehr verdammt werden, weil es anhand dessen, was wir an anderer Stelle über das Gebet gegen die Ungläubigen erörtert haben, genügend widerlegt wurde. 7. Doch Pietro d’Abano – sooft ich seine Schriften lese, kommt mir jener Ausspruch Heraklits in den Sinn, dass Vielwissen noch keinen Verstand erzeugt – schreibt selbst, er habe zu jener besagten Stunde Wissen von Gott erbeten und habe nach jenem Tag große Fortschritte in diesem Wissen erzielt. Mir steht es nicht frei, zu bemessen, wie groß die Fortschritte waren, die jener neue Salomon in der Wissenschaft erzielte; gewiss aber bin ich der Ansicht, dass, egal, wie weit er mit seinen Fortschritten gelangte, es nicht weiter war, als man mit menschlichen Schritten erreichen kann. Aber wie dem auch sei, ich würde jenem Petrus den Rat geben, dass er seinen gesamten Fortschritt lieber auf seinen Fleiß und seinen Verstand zurückführen sollte, als auf sein Bittgebet an Jupiter. Doch damit

300 In den Excerpta de secretis Albumasar heißt es (Vescovini 1998: S. 303): Dixit Albumazar quod grecorum reges quando volebant obsecrare deum propter aliquod negotium, ponebant Caput in medio celi cum Iove autem respectum ab ipso amicabili figura et Lunam coniunctam Iovi, aut recedentem ab ipso et coniunctionem petentem cum domino ascendentis, aut domini ascendentis coniunctionem petentem cum Iove: adhuc autem et cum Capite amicabili figura. Et tunc dicebant exaudiri petitionem ipsorum.

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tioni aliquando assentiant. Consulerem item in commune astrologis omnibus, ut, postquam illis Iuppiter ita favens est, tantum sibi una felicis horae supplicatione divitiarum opumque compararent, ut nostris posthac pecuniis nihil indigentes desinerent aliquando mentes imperitorum tot quotidie mendaciis emungendae pecuniae gratia ludificare.

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Opinio quorundam

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| Caput IX – Mores hominum a caelo non fieri. 1. Videamus de moribus, an recta ratione possit defendi esse horum quoque aliquo modo causam in caelo. Forte enim si nec vim pati caeli partem animi rationalem nec cogi nostram libertatem existimemus, nihil erit praeterea, cur aut philosophia aut pietas neget varia hominum studia, multiplices ingeniorum proprietates a diversis stellarum afflatibus provenire, cum id etiam faciat habitus corporis salva animi dignitate et libertate electionis. Verum fallitur longe, qui ita putat; nam ipsam et solam partem sensualem ita affici a Sole, ut ad flagitium aliquod habeat propensionem, et rationi contrarium et pietati magnopere est adversum.

Sim.: 3–5 nihil – ludificare ] cf. rer. praen 5,10 p. 576 p. 569

8–12 Forte – electionis ] cf. rer. praen. 5,9

App. crit.: 1 assentiant BB BP VFO : assentient BF BEC : assentiret B : assentirent G : essentiant RC astrologis αO : astrologi β 3 compararent BP : comparerent αβOGarin 13 ad] a G (corr. Gc )

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er nicht beharrlich seine Meinung verteidigt, sollten diejenigen mit gutem Urteilsvermögen eher gezwungen sein zu leugnen, dass er in den korrekten Wissenschaften überhaupt etwas erreicht habe, als dass sie seinem derart nichtigen, pseudowissenschaftlichen Aberglauben auch nur irgendwann ihre Zustimmung erteilen. Ebenso würde ich generell allen Astrologen empfehlen, dass sie sich, nachdem ihnen Jupiter ja derart gewogen ist, mithilfe eines Gebetes für eine glückbringende Stunde so viel Reichtum und Mittel beschaffen, dass sie unserer Geldmittel fortan nicht mehr bedürfen und endlich damit aufhören, den Verstand der einfachen Gemüter tagtäglich mit so vielen Lügen in die Irre zu führen, nur um diesen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

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Kapitel 9 – Der Charakter der Menschen kommt nicht vom Himmel. 1. Wir wollen prüfen, ob man mit gesundem Verstand die Aussage verteidigen kann, dass der Charakter seine Ursache auf irgendeine Weise im Himmel habe. Denn wenn wir vielleicht davon ausgehen, dass weder der vernunftbegabte Seelenteil die Kraft des Himmels erfährt noch unsere Willensfreiheit davon eingeschränkt wird, wird es abgesehen davon keinen Grund geben, aus dem entweder Philosophie oder Frömmigkeit leugnen, dass die unterschiedlichen Beschäftigungen der Menschen und die vielfach unterschiedlichen Ausprägungen der Begabungen von unterschiedlichen Einflüssen der Sterne ausgehen, weil dies auch die Beschaffenheit des Körpers bewirkt, ohne unsere Würde und die Freiheit unserer Entscheidung anzutasten. Es irrt sich aber bei weitem derjenige, der so denkt; denn zu behaupten, lediglich der sinnlich begehrende Teil der Seele selbst werde derart von der Sonne beeinflusst, dass er irgendeine Art Neigung zum Laster habe, ist der Vernunft entgegengesetzt und läuft in noch höherem Maße der Frömmigkeit zuwider.

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2. Quaecumque enim a causis naturalibus fiunt, his praesertim, quae sibi a conditore naturae praescriptas leges servant immutabiliter, tam in auctorem naturae sic instituentis quam in naturam ipsam sunt referenda. Quacumque autem vel virtute vel proprietate sidera praedita sunt, et philosophorum et theologorum consensu indidit illis naturae principium Deus. Deum optimum et sapientissimum vix negant insipientes. Quae vero haec aut bonitas aut sapientia: potentissima caeli manu hominem, quamquam liberum, infirmum tamen, flectere ad eam partem, ad quam minime eum velis declinare, tum optimos servos malorum facere auctores et ministros, ut, cum ipsi regis iussa numquam transgrediantur, ipsi tamen maxime sint, qui alios ad transgressionem invitent et impellant? Postremo qui hic ordo naturae, qui consensus, quae sapiens institutio, ut, quae ratio naturae fieri nollet, ab his tamen, ut fiant, sedulo procuretur, quae sunt partes naturae magnae, potentes, optimae, principales? Praeterea non facit, qui peccat aliquid, immo deficit; quare, qui invitat ad peccandum, ad deficiendum invitat, quod non convenit causis superioribus, efficientibus semper, deficientibus vero numquam. 3. Absurdissimum igitur dogma astrologorum putantium habere nos ab hac quidem siderum positione inclinationem ad furta, ab alia ad incestus, ad fraudes, ad homicidia, cum tota natura, praesertim superior, divinae menti proxime iuncta naturalis et divinae legis observationi possit forte favere, obesse et adversari nullo modo possit. Compescant igitur os profanum nec Venerem dicant Marti copula-

Font.: 780.16–782.3 Venerem – flagitia ] cf. Ptol. apotel. 3,15,7–8 20 os profanum ] cf. Aug. serm. 88,22 (PL 38,521) Venerem – vocare ] cf. Firm. math. 6,11,6; 7,18,9; Aug. in psalm. 61,23 (PL 36,747) Ficin. in enn. 2,3 p. I 218 W Sim.: 1–5 Quaecumque – Deus ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569 5–8 Deum – declinare ] cf. rer. praen. 5,9 pp. 569–570 8–15 tum – numquam ] cf. rer. praen. 5,9 p. 570 780.20–782.3 Absurdissimum – flagitia ] cf. rer. praen. 5,9 p. 569 App. crit.: 1 Tit. Prima ratio add. BP 3 instituentis] fort. scrib. instituentem Quamcumque V autem GOβ : om. B (add. BCorr ) 4 et1 ] quod B (corr. BCorr ) numqui G (corr. Gc ) 20 os αFO : hos VWR : hoc C

Quacumque] 9 numquam]

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2. Denn alles, was eine natürliche Ursache hat, und zwar insbesondere eine solche, die die ihnen vom Gründer der Natur vorgeschriebenen Gesetze auf unveränderliche Weise bewahrt, muss einerseits auf denjenigen zurückgeführt werden, der die Natur, die es so einrichtet, geschaffen hat, andererseits aber auf die Natur selbst. Mit welcher Kraft oder Eigenschaft die Sterne aber auch immer ausgestattet sind, nach Übereinkunft von Philosophen und Theologen hat Gott als Ursprung der Natur ihnen diese eingegeben. Dass Gott das Beste und Weiseste ist, leugnen selbst die Toren kaum. Was aber ist das für eine Güte und was für eine Weisheit: durch den überaus mächtigen Einfluss des Himmels den Menschen, der zwar frei ist, aber dennoch schwach, zu dem Teil zu verleiten, zu dem man es am wenigsten will, und die besten Diener zu Urhebern und Helfershelfern von Übeln zu machen, sodass sie, wenn sie auch selbst die Befehle des Herrschers niemals übertreten, es dennoch im höchsten Maße selbst sind, die andere zur Übertretung verlocken und antreiben? Was ist das schließlich für eine Ordnung der Natur, was für eine Übereinstimmung, was für eine weise Einrichtung, dass das, von dem die Vernunft der Natur nicht will, dass es geschieht, dennoch von den Teilen der Natur eifrig befeuert wird zu geschehen, die groß sind, mächtig, ausgezeichnet und vorzüglich? Derjenige, der eine Sünde begeht, handelt außerdem nicht, sondern er lässt es vielmehr an einer Handlung fehlen; daher lädt derjenige, der zu einer Sünde einlädt, dazu ein, es an einer Handlung fehlen zu lassen, was nicht vereinbar ist mit höheren Ursachen, die immer wirkende sind, es aber niemals an einer Wirkung fehlen lassen. 3. Folglich ist die Lehre der Astrologen, die der Ansicht sind, wir hätten von der einen Sternenkonstellation eine Neigung zum Diebstahl, von einer anderen zur Unzucht, zu Betrug oder zu Mord, vollkommen abwegig, weil die gesamte Natur, insbesondere die obere, die dem göttlichen Willen besonders verbunden ist, die Befolgung des natürlichen und göttlichen Gesetzes vielleicht wahren kann, ihm im Weg stehen und es hindern jedoch auf keine Weise kann. Sie sollen also

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Solutio quorundam

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tam ad adulteria nos vocare aut eosdem in signis maribus collocatos ad masculorum nefarios concubitus excitare, Mercurium caeli nonam partem occupantem facere irreligiosos atque alias omnino constellationes ad alia nos irritare flagitia. Imputent sibi, non caelo sua delicta nec faeculentae materiae et iniqui animi sordes a purissimis putent naturae fontibus emanare. 4. Verum solvine forte ista obiectio poterit, si (quod quidam putant) dixerimus esse omnium siderum vires bonas et salutares, sed cum in nobis suscipiuntur, materiae vitio degenerare et, qui benefici erant, afflatus evadere interdum noxios atque maleficos? Sic a Marte quidem praestari animi fortitudinem et Herculeam efficaciam, sed aut vitio corporis, in quo nimium rubra bilis exaestuet, aut culpa animi abutentis munere caelesti flecti quandoque impetus illos ad crudelitatem et iniustitiam. Sic a Saturno altitudinem mentis, profunditatem consilii, investigationem rerum abstrusarum, amorem contemplationis infundi; eadem tamen omnia, quia torpidum invenerunt susceptaculum, vel arbitrii culpa eius, in quo recipitur, dolosum facere ani | mum, sordidum, incultum, superstitiosum, et ad usque lymphationis periculum imaginosum. Sic a Venere fieri nos propensos ad hilaritatem, ad benevolentiam, elegantiamque civilem; abuti nos isto instinctu ad nequitiam, ad luxum, ad improbitatem. Incitari a Sole nos ad magnanimitatem, abuti impetu isto nos ad ambitionem; atque ita de reliquis.

Font.: 2–3 Mercurium – irreligiosos ] cf. Firm. math. 3,7,19 Sim.: 6–19 Verum – ambitionem ] cf. rer. praen. 5,9 p. 571 2 Mercurium scripsi coll. Firm. math. 3,7,19 : Martem Ω App. crit.: 1 vocare] vocate G 5 emanare] emanere G (corr. Gc ) 6 solvine] solvi OGarin 13 abstrusarum Garin : obstrusarum Ω

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ihr schändliches Mundwerk halten und nicht behaupten, dass Venus, wenn sie in Verbindung mit Mars steht, uns zum Ehebruch aufruft oder dass dieselben Planeten, wenn sie in männlichen Zeichen stehen, zu verruchtem Geschlechtsverkehr unter Männern antreiben, dass Merkur hingegen, wenn er im neunten Himmelsort steht, uns zu Ketzern macht, jeweils andere Konstellationen hingegen uns zu anderen Lastern reizen. Ihre Vergehen sollen sie sich und nicht dem Himmel anrechnen und sie sollen nicht glauben, dass der Schmutz der dreckigen Materie und des schlechten Seelenteiles den vollkommen reinen Quellen der Natur entströme. 4. Könnte man aber diesen Einwand eventuell entkräften, wenn wir sagten (was einige auch glauben), die Kräfte aller Sterne seien gut und heilsam, wenn sie aber von uns aufgenommen werden, würden sie durch die fehlerhafte Materie entarten und die ansonsten wohltätigen Einflüsse würden sich bisweilen als schädlich und böse erweisen? So würden von Mars beispielsweise Mut und herkuleshafter Erfolg ausgehen, aber entweder durch den fehlerhaften Körper, in dem ein Übermaß an roter Galle aufwallt, oder durch die Schuld der Seele, die die Gabe des Himmels missbraucht, würden jene Neigungen bisweilen in Grausamkeit und Ungerechtigkeit verwandelt. So würden von Saturn die Erhabenheit des Geistes, die Tiefgründigkeit der Entschlüsse, die Neugierde, abgelegene Dinge zu untersuchen, sowie die Liebe zur Beobachtung eingegeben; genau das alles aber bewirke, weil es ein starres Gefäß vorgefunden habe, oder durch die Schuld des Willens desjenigen, von dem es aufgenommen wird, einen ränkevollen, niederträchtigen, ungepflegten, abergläubischen Geist, der phantasiereich ist bis hin zum gefährlichen Wahnsinn. Entsprechend seien wir durch Venus geneigt zu Heiterkeit, Wohltätigkeit und bürgerlicher Eleganz; missbrauchen würden wir diesen Antrieb in Richtung Nichtsnutzigkeit, Verschwendung und moralischer Unredlichkeit. Von der Sonne würden wir angestachelt zu Großherzigkeit, missbrauchen würden wir diesen Drang zu Ehrgeiz; Entsprechendes gelte auch bei allen anderen Planeten. 5. Dies wird aber eher jemand behaupten, der die Astrologie verteidigen will, als ein richtiger Astrologe. Denn unter den Lehrsätzen der Astrologen ist jener

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784 Reprobatio

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5. Verum enimvero dicet haec aliquis potius astrologiae defensor quam astrologus. Est enim inter proloquia astrologorum illud omnium primum maximeque confessum, esse alios planetas bonos, alios malos. Quodsi essent vera, quae dicebantur, et omnes pariter boni sua natura et omnes mali eadem ratione dicerentur, cum nullus sit afflatus adeo salutaris, quem et materia et condicio suscipientis inficere, immutare, interturbare non possit; quodsi et ipsi nullum esse volunt planetam adeo malum, a quo non magna etiam bona, nullum adeo bonum, a quo non magna etiam mala possint provenire, hanc tamen efficiendi diversitatem non ad materiam et radii referunt susceptaculum, sed ad varium sideris eiusdem in caelo habitum et positionem. Quare dicunt Saturnum, si propriam domum, propriam altitudinem, proprios fines tenuerit, si bonis radiationibus commiscebitur, si diurna fuerit genitura, contemplatores facere, pios, sapientes. At vero si minus commodo receptaculo suscipiatur, in malam hanc ad degenerare condicionem dicunt eundem ipsum planetam; si male collocatus, si coniunctus Marti, si malis ad Solem schematismis, daemoniacos facere, sordidos, invidos et mendaces neque umquam, cum ita in caelo habens se sit Saturnus, boni quicquam ab eo expectari posse contendunt. 6. Quare qui ita astrologiam defendit, ignorat plane, quod defendit. Quod enim diximus de Saturno, dictum de omnibus intelligatur; nam et Martem non feliciter dispositum dicere solent ad ambitionem, ad impotentiam tyrannidisque libidinem extimulare, non quoniam vitalis eius, qui nascitur, spiritus plus nimio caleat

Font.: 2–3 Est enim – malos ] cf. Ptol. apotel. 1,5 10–17 Saturnum – contendunt ] cf. Firm. math. 3,2,1–3 15 daemoniacos facere ] cf. Firm. math. 3,5,32 sordidos ] cf. Firm. math. 6,32,10 Sim.: 2–17 Est enim – contendunt ] cf. rer. praen. pp. 571–572; Bellant. resp. disp. 4,9 fol. s3r App. crit.: 13 condicionem BB BP GCF : condicione BVWRO

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einer der ersten und in besonderem Maße allgemein anerkannt, dass einige Planeten Wohltäter seien, andere hingegen Übeltäter. Wäre aber das Gesagte wahr, würden ihrer Natur nach alle Wohltäter und ebenso nach demselben Argument alle Übeltäter heißen, denn kein Einfluss ist so heilsam, dass ihn nicht die Materie und der Zustand des aufnehmenden Subjektes verseuchen, abändern und stören könnten. Wenn aber auch sie selbst wollen, dass kein Planet dermaßen schlecht ist, dass nicht auch eine Menge Gutes von ihm ausgehen kann, keiner dermaßen gut ist, dass nicht auch viel Schlechtes von ihm ausgehen kann, führen sie diese unterschiedlichen Effekte dennoch nicht auf die Materie und das die Strahlen aufnehmende Gefäß zurück, sondern auf die jeweils unterschiedliche Stellung und den unterschiedlichen Zustand ein und desselben Gestirns am Himmel. Deshalb behaupten sie, Saturn würde, wenn er in seinem eigenen Haus steht, in seiner eigenen Erhöhung, in seinem eigenen Gradbereich, wenn er gute Aspekte bildet und es sich um eine Taggeburt301 handelt, aufmerksame Beobachter, Fromme und Weise bewirken; werde sein Einfluss jedoch von einem weniger geeigneten Gefäß aufgenommen, so behaupten sie, derselbe Planet würde in schlechten Zustand entarten; wenn er an einem schlechten Ort steht, mit Mars in Konjunktion steht, einen schlechten Aspekt zur Sonne bildet, dann mache er die Menschen besessen, niederträchtig, neidisch und lügnerisch und man dürfe ihrer Meinung nach niemals, wenn er eine solche Stellung am Himmel habe, irgendetwas Gutes von ihm erwarten. 6. Wer daher die Astrologie auf diese Weise verteidigt, ist gänzlich unbeschlagen auf dem Gebiet, das er verteidigt. Was wir nämlich über Saturn gesagt haben, muss man für alle Planeten verstanden wissen; denn auch Mars, so sagen sie gewöhnlich, stachele zu Ehrgeiz, Despotismus und Gier nach Alleinherrschaft an, wenn er nicht glückbringend stehe, und zwar nicht weil der Lebenshauch des Nativen im Übermaß heiß oder kalt ist und deswegen das gute Feuer des Himmels

301 Saturn gehört zur Gruppe der Tagplaneten.

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786 Non secus defendit quam qui spongia librum emendat

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vel frigescat proptereaque bonum caeli ignem vel torpidum faciat vel edacem, sed quia et Saturnus et Mars et Sol, cum ita in caelo se habuerint, huiusmodi mala ex sua natura et proprietate nascentibus influant. Hoc est, quod astrologi scribunt et opinantur nec, si quis hoc neget, astrologiam secius defendit, quam qui spongia librum emendat secum et dogma, ut declaravimus, et veritatem aufert omnis praedictionis, si et de calestis influxus observatione non illa dependet et caelestem influxum materiae dispositio non solum minuit vel adauget, verum alium facit penitus et immutat.

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Caput X – Malas leges sicuti nec bonas, caelo non subici. 1. Hinc eorum opinio confutatur, qui bonas quidem leges negant subici caelo, ut quae a divina virtute dependeant, de malis vero id concedunt, cum nihil habeant, quod naturae vires et facultatem excedat. At quantum obstat in bonis earum sublimitas, ne corporeis causis subiciantur, tantum obstat in malis earum improbitas, ne ad optimas causas Deoque optimo oboedientissimas referantur. 2. In universum vero tam bonas quam malas religiones a caelo non dependere ipsa satis experientia demonstratur. Alii enim religionum ortus et varietatem ad

Font.: 4–5 spongia librum emendat ] cf. Mart. 4,10 cord. astron. 49

10–12 qui – excedat ] cf. Petr. Alliac. con-

Sim.: 786.16–788.4 Alii – insistentes ] cf. rer. praen. 5,9 p. 572 App. crit.: 3 sua] sna B (corr. BB BP ) 4 Tit. Non secus defendit quam qui spongia librum emendat add. BB 10 Hinc] Hic Garin ut quae scripsi : utque ΩGarin 12 earum scripsi : erroris ΩGarin

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entweder matt macht oder gefräßig, sondern weil sowohl Saturn als auch Mars und Sonne, wenn sie so am Himmel stehen, derartige schlechte Eigenschaften auf Grund ihrer Natur und Beschaffenheit in die Nativen einfließen lassen. Dies ist jedenfalls, was die Astrologen schreiben und meinen, und wenn jemand das abstreitet, verteidigt er die Astrologie nicht anders als einer, der mit dem Schwamm ein Buch für sich ausbessert und gleichzeitig die Lehre, wie wir bereits erklärten, und den Wahrheitsanspruch der gesamten Vorhersage beseitigt, wenn jene nicht von der Beobachtung des himmlischen Einflusses abhängig ist und die Beschaffenheit der Materie den Einfluss des Himmels nicht nur verringert oder vermehrt, sondern auch gänzlich verändert und abwandelt.

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Kapitel 10 – Weder schlechte noch gute Religionen sind dem Himmel unterworfen. 1. Von hier ausgehend wird nun die Ansicht derjenigen widerlegt, die zwar abstreiten, dass die guten Religionen dem Himmel unterworfen sind, da sie ja von der göttlichen Tugend abhängig sind, den schlechten Religionen diese Eigenschaft aber zugestehen, da sie nichts enthielten, was über die Kräfte und die Möglichkeit der Natur hinausgehe. Doch wie bei den guten Religionen ihre Erhabenheit daran hindert, sie körperlichen Ursachen zu unterwerfen, so hindert bei den schlechten ihre Schlechtigkeit, sie auf die besten Ursachen, die dem besten Gott direkt untergeben sind, zurückzuführen. 2. Generell lehrt bereits die Erfahrung selbst, dass die guten Religionen genauso wenig wie die schlechten vom Himmel abhängen. Die einen führen nämlich Religionsgründungen und deren Unterschiedlichkeit auf die Sterne zurück, die über die Städte und Regionen nach ihrem eigenen Recht sozusagen, so glauben sie

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Ptolemaeus

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sidera referunt urbibus et provinciis suo quodam, ut ipsi credunt, iure dominantia; alii ad | magnas, quas vocant, coniunctiones planetarum superiorum, Saturni praesertim atque Iovis, et hanc quidem sententiam sequuntur Arabes et Latini vestigiis Arabum insistentes. Illi accessisse videtur Ptolemaeus, qui, ut postea declarabimus, de magnis illis coniunctionibus nullam umquam habuit mentionem. Sed libro secundo Apotelesmaton eos ait ex Asiaticis, qui ad orientem vergunt et meridiem, colere Venerem et Saturnum, quoniam trigono subsint aridae qualitatis, hoc est Virgini, Tauro et Capricorno, quibus ipse putat Saturnum Veneremque dominari; rursus qui inter meridiem habitant et occasum Venerem atque Martem habere pro numinibus, quoniam humidae triplicitati subiciantur, cui cum Marte Lunam et Venerem praeficit. 3. Utraque vero sententia ipsa, ut dicebamus, evidentia rei eventisque refellitur; nam si virtute magnae alicuius coniunctionis religio aliqua nascitur, abolita ea virtute aboleri quoque ea religio debet. Nulla autem siderum est coniunctio, cuius virtus durare per tot annos fingatur etiam ab astrologis, quot annis et cultus idolorum et Mosaica religio et Christiana etiam perdurarunt: circiter quinque annorum milia in idolorum cultura mundus caligavit. Quaenam, quaeso, coniunctio, qui maximi anni sideris alicuius tot sibi annorum spatia vendicant?

Font.: 6–9 libro – dominari ] cf. Ptol. apotel. 2,3,22–23; Album. introd. tract.5, diff.14 p. 201 9–11 rursus – praeficit ] cf. Ptol. apotel. 2,3,42–43 Sim.: 4–11 Illi – praeficit ] cf. rer. praen. 5,9 p. 572; Bellant. resp. disp. 4,10 fol. s3r 12–18 Utraque – vendicant ] cf. rer. praen. 5,9 pp. 572–573 15 tot om. Garin App. crit.: 11 Lunam scripsi coll. Ptol. apotel. 1,18,7 : Mercurium ΩGarin 16 Tit. Idola quinque annorum milia coluit mundus add. BB 17 in om. OGarin

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selbst, herrschen; die anderen führen sie auf die sogenannten ›großen Konjunktionen‹ der oberen Planeten zurück, vor allem von Saturn und Jupiter, und dieser Meinung haben sich die Araber angeschlossen sowie die Latein schreibenden Autoren, die auf den Fußspuren der Araber wandeln. Jene erste Ansicht scheint auch Ptolemaios übernommen zu haben, der, wie wir an späterer Stelle erläutern werden, jene großen Konjunktionen nirgends erwähnt. Doch im zweiten Buch seiner Apotelesmata behauptet er, dass diejenigen Asiaten, die im Osten und Süden leben, Venus und Saturn verehrten, weil sie dem Trigon der trockenen Qualität unterlägen, also Jungfrau, Stier und Steinbock, die seiner Ansicht nach von Saturn und Venus beherrscht werden; diejenigen aber, die zwischen Süden und Westen wohnten, hätten Venus und Mars als Götter, da sie dem feuchten Trigon unterworfen seien, dem er neben Mars den Mond und Venus an die Spitze stellt.302 3. Beide Ansichten werden indessen, wie bereits gesagt, allein durch die Anschaulichkeit des Gegenstandes und die reine Empirie widerlegt; denn wenn durch die Kraft einer großen Konjunktion irgendeine Religion entsteht, muss auch jene Religion verschwinden, wenn deren Kraft vergeht. Es gibt aber keine Konjunktion von Sternen, deren Wirkung man sich so viele Jahre andauernd vorstellen könnte, wie sowohl die Götzenanbetung als auch das Judentum und sogar das Christentum bereits dauern: Die Welt dämmerte allein ungefähr 5000 Jahre lang in Götzenanbetung vor sich hin. Welche Konjunktion bitteschön, welche größten Jahre irgendeines Himmelskörpers nehmen für sich eine Dauer von so vielen Jahren in Anspruch?303 4. Die Riten und Gebräuche des Judentums sind bei den Hebräern auch heutzutage noch in Gebrauch und sind bereits seit 3000 Jahren oder mehr lebendig.

302 Die Überlieferung bietet einhellig Mercurium statt Lunam als Herrscher über das vierte Trigon neben Mars und Venus. Tatsächlich erwähnt Ptolemaios in der Referenzstelle für die Darstellung Picos lediglich Venus und Mars als Herrscher des Trigons (Ptol. apotel. 2,3,42): οἰκοδεσποτεῖται δὲ εἰκότως ὑπό τε τοῦ τοῦ Ἄρεως καὶ τοῦ τῆς Ἀφροδίτης; im ersten Buch hatte er jedoch bei der Darstellung der Trigone und ihrer Herrscher explizit Mars, Mond und Venus als Herrscher des vierten Trigons vorgestellt (Ptol. apotel. 1,18,7). Dass Pico diese Zuteilung durch Ptolemaios bekannt war, ergibt sich aus seiner Darstellung der Dissenzen zur Tradition der Trigon-Herrscher in sechsten Buch der Disputationes (disp. 6,15 p. II 442 Garin): in quarto dominum eum facit Ptolemaeus scilicet Martem, suppares duos quasique secundarios dominos, nocte Lunam, Venerem interdiu. Zur astrologischen Lehre der Trigone, bei der je drei Tierkreiszeichen zu einem Dreieck angeordnet werden und dann verschiedenen Klassifizierungen zugewiesen werden, so zum Beispiel den vier Elementen, vgl. Heilen (2015: 717–718). 303 Zur astrologischen Lehre der Planetenjahre, die zur Bestimmung der Lebensdauer verwendet wurde, vgl. Heilen (2015: 647–653). Dabei kommt jedem Planeten eine gewisse Anzahl von Jahren zu, die dieser dem zukünftigen Leben verleihen kann.

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790 Idola quinque annorum milia coluit mundus

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4. Mosaicae legis ritus et observantiae apud Hebraeos etiam hodie vigent et iam ter mille annis aut eo plus viguerunt. Quae ista tam fortis, tam diuturna est constellatio, quae extincto imperio religionem extingui tamen non permittit? Dabit causas horum theologus et veras et suo dogmati consonas; de caelo dare astrologus nullas potest, unde si ista derivaretur varietas religionum, variari illas quotidie atque immutari saepius videremus. Quod et astrologi ipsi putantes ex principiis suae scientiae id colligentes praefinierunt terminos unicuique religioni, quos illae transgressae ipsa rei evidentia aliunde se dependere quam a sideribus demonstrarunt. 5. Iam illam Ptolemaei opinionem, quae perinde atque variis locis et gentibus varia sidera dominantur, ita varios etiam ritus religionum in illis locis existimat, longe magis ab ipsa experientia confutatur, cum et illis provinciis, quae inter orientem iacent et meridiem, praesint eadem sidera, quae olim illis praesidebant, nec tamen, ut olim, ibi Venus Saturnusque coluntur. Cur enim haec illis numina dominabantur? Utique, ut ipse scribit Ptolemaeus, quoniam terrena triplicitas, quae constat ex Tauro, Virgine et Capricorno, regionibus illis praeest; illi vero triplicitati Venus et Saturnus. Ita enim ipse existimavit. At partitio haec mundi et regionum sub aliis atque aliis triplicitatibus distributarum perpetua est, non temporaria; quare eadem erit semper, quae aliquando fuit. Cur non igitur, o Ptolemaee, eadem etiam in eisdem locis hodieque religio durat?

Font.: 15–17 ipse – Saturnus ] cf. Ptol. apotel. 2,3,23 Sim.: 1–3 Mosaicae – permittit ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573; Bellant. resp. disp. 4,10 fol. s3r Iam – coluntur ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573 17–19 partitio – fuit ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573

10–14

App. crit.: 3 extincto αF : extinctio VWRCO om. OGarin 17 partitio] partio F

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permittit] fort. scribendum permittat

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Welche derartige Konjunktion ist so kräftig und so andauernd, die, obwohl ihre Herrschaft selbst ausgelöscht wurde, dennoch nicht zulässt, dass die dazugehörige Religion ausgelöscht wird? Ein Theologe wird Ursachen dafür anführen können, die sowohl wahr sind als auch mit seiner Lehre übereinstimmen; der Astrologe kann vom Himmel nichts Derartiges anbieten; ließe sich nämlich aus ihm jene Unterschiedlichkeit der Religionen ableiten, sähen wir, dass jene Religionen sich tagtäglich veränderten und noch öfter umwandelten. Da dies auch die Astrologen selbst glauben und aus den Prinzipien ihrer Wissenschaft ableiten, haben sie für jede Religion zeitliche Grenzen im Voraus bestimmt, durch deren Überschreitung die Religionen mit empirischer Anschaulichkeit bewiesen haben, dass sie von etwas anderem als von den Sternen abhängen.304 5. Die Ansicht des Ptolemaios, die davon ausgeht, dass ebenso, wie unterschiedliche Gestirne über unterschiedliche Gegenden und Völker herrschen, in diesen Gegenden auch unterschiedliche Riten von Religionen auftreten, wird in weitaus höherem Maße von der Empirie selbst widerlegt, weil auch über jene Gebiete, die im Südosten liegen, dieselben Himmelskörper die Herrschaft innehaben, die bereits früher dort herrschten, und dort dennoch nicht wie früher Venus und Saturn verehrt werden. Denn aus welchem Grunde wurden ihnen gerade diese Gottheiten zugewiesen? Selbstverständlich, wie auch Ptolemaios selbst schreibt, weil das Trigon der Erde, welches aus Stier, Jungfrau und Steinbock besteht, die Herrschaft über jene Gegenden ausübt; die Herrschaft über jenes Trigon aber haben Venus und Saturn inne. So hat er es selbst formuliert. Doch jene Aufteilung der Welt und der Regionen, die jeweils einem anderen Trigon untergeordnet werden, ist ewig, nicht zeitlich begrenzt; daher wird sie immer dieselbe sein, die sie schon früher war. Warum also, oh Ptolemaios, dauert in ein und demselben Gebiet nicht auch heute noch dieselbe Religion fort? 6. Schlussendlich wollen wir diese ganze Frage so abschließen, dass wir Ptolemaios selbst fragen, durch die Kraft und den Einfluss welchen Gestirns, wenn auf

304 Gemäß dieser Ansicht könne beispielsweise die Religion Mohammeds nicht länger als 694 Jahre dauern, wie Pierre d’Ailly (Petr. Alliac. leg. sect. 5 p. 785A–C) und Roger Bacon (Rog. Bac. op. mai. p. I 177 B) in Berufung auf Abū Ma῾šar (Album. magn. coniunct. tract.2, diff.8 p. 83 Yamamoto / Burnett) feststellen.

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6. Denique totam istam disputationem ita concludamus Ptolemaeum ipsum interrogantes, si a varia siderum praesidentia apud alias gentes olim alia sidera colebantur, cuiusnam sideris vi ac potestate efficitur, ut nulla sidera hodie aliqua fere totius mundi regione colantur? Caput XI – Corporeas dispositiones non effici a caelo.

k3r Potius semen quam nativitas spectanda

1. Quae omnia si sint satis confutata, restabit sola corporis dispositio, de qua pronuntiare possit astrologus, si de his talis tantum potest, quae efficiuntur a caelo; sed nec istam efficere potest natalitia constellatio, cum et corporis | habitum et figuram, quam secum gerit ex alvo, prius habeat puer, quam alvum egrediatur. Quare erit haec quoque illis annumeranda, de quibus quinto capite dicebamus, non posse praedici per nativitatem, qua utuntur, quia ista praecedunt nativitatem; quare potius per conceptionem vel seminis dispositionem. At semen tunc non fit; ergo erit constellatio, qua semen factum est, potius spectanda; sed hoc postea. Si igitur praevideri corporis dispositio praenuntiarique poterit, ex hora conceptionis poterit utique magis quam ex hora nativitatis, ex qua nullo modo potest; sed an ex illa etiam possit, sequentibus libris examinabitur.

Font.: 8–9 sed nec – egradiatur ] cf. Ficin. in enn. 3,2 p. I 223 W Sim.: 1–4 Denique – colantur ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573 6–16 restabit – examinabitur ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573; Bellant. resp. disp. 4,11 fol. v 13 postea ] cf. disp. 7,3 pp. II 162–173 Garin App. crit.: 6 confutata] confirmata B (corr. BP BF BEC ) 9 alvum] ex alvo Garin 10 quinto capite BF BEC GOβ : octavo capite B : supra BB BP 12 Tit. Potius semen quam nativitas spectanda add. BB

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Grund der unterschiedlichen Herrschaft der Himmelskörper bei unterschiedlichen Völkern einst unterschiedliche Gestirne verehrt wurden, es geschieht, dass heutzutage in beinahe keinem Winkel der gesamten Erde auch nur irgendwelche Himmelskörper noch verehrt werden?

Kapitel 11 – Körperliche Anlagen werden nicht vom Himmel bewirkt. 1. Wenn alle diese Punkte zur Genüge widerlegt wurden, bleibt lediglich die körperliche Anlage übrig, über die der Astrologe Vorhersagen treffen könnte, wenn er überhaupt so sehr Vorhersagen über das äußern darf, was vom Himmel bewirkt wird. Doch auch sie kann nicht von der Geburtskonstellation bewirkt werden, da ein Kind seine körperliche Beschaffenheit und Gestalt, die es aus dem Mutterleib mitbringt, bereits hat, bevor es den Mutterleib verlässt. Daher wird man auch diese den Dingen zurechnen müssen, über die wir im fünften Kapitel sagten, dass man sie nicht anhand der Geburtskonstellation vorhersagen kann, was die Astrologen tun, weil sie dieser zeitlich vorangehen; daher kann man sie eher anhand der Empfängnis oder der Entstehung des Samens vorhersagen. Doch der Samen existiert dann noch nicht;305 folglich wird die Konstellation zum Zeitpunkt der Entstehung des Samens eher beachtenswert sein; doch dazu später. Wenn man also die körperliche Anlage vorhersehen und vorhersagen kann, wird man es freilich mehr anhand der Stunde der Empfängnis können als anhand der Stunde der Geburt, anhand derer man es auf keinen Fall kann; ob man es aber anhand der Stunde der Empfängnis kann, wird in den folgenden Büchern untersucht werden. 2. Nun wird lediglich Folgendes dargelegt: dass sich die Astrologen irren, die anhand der Stunde der Geburt vorhersagen, ob der Native über einen kurzen oder

305 Vgl. die umfassenden Erläuterungen im siebten Buch der Disputationes; dort heißt es u.a. (disp. 7,3 p. II 168 Garin): A ratione, cum propter multa quae supra diximus, tum quia valde extra rationem est, ut conceptum principium seminis, nativitatem hominis dicamus, quandoquidem cum semen uterum implevit, non fieri ipsum, sed incipit aboleri, cum homini fabricando natura manus admolitur, quare illud sicuti hominis generandi, ita corrumpendi seminis est principium. Die Diskussion um den Vorrang von Geburtszeitpunkt und Zeitpunkt der Empfängnis findet sich auch bei Ptolemaios (apotel. 3,2), dessen Darstellung Pico im besagten Kapitel einer kritischen Analyse unterzieht.

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Haly

Epilogus

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2. Nunc illud demonstratur: errare astrologos, qui breviore corpore an procero, obeso an macilento, firmo an imbecillo, manco an integro, legitimo an monstroso nascatur is, qui nascitur, ex geniturae hora pronuntiant. Has enim ille omnes condiciones longe prius adipiscitur, quam formatus iam et absolutus ex matris utero in publicum emittatur. Quare sicuti non fiunt ab ea constellatione, quam dudum scilicet praecesserunt, ita nec praedici ex eius observatione a mathematico possunt. De conceptus tempore postea disputabimus; nunc illud scire lectorem volumus: putasse summos astrologos quae ad corporis attinent temperaturam a proximis causis et caelo inferioribus adeo dependere, ut, quemadmodum scribit Haly, veniam dari sibi postulaverint, si in praedicenda corporis dispositione exciderent a veritate. 3. Nos igitur totam de caeli efficientia disputationem ita colligamus: si caelum causa est universalis, non esse ab eo rerum particularium varietatem et distinctionem et, si in eo quoque particularium proprietatum effectrices virtutes esse concedamus, non tamen huiusmodi, quales de caelo astrologi vaticinantur, cum neque fortuita in causas naturales, nec, quae sunt mala, in optimos auctores, nec, quae a ratione consilioque proficiscuntur, in principia naturali necessitate efficientia, nec in corpora incorporeos radios, nec, quae iam praeterita aut longo post tempore sunt futura, in praesentem constellationem, nec, quae ad alios attinent, in nostram genituram referri [n]ulla ratione posse videantur. Tum esse perabsurdum et ab omni philosophia maxime alienum, quorum proprias causas videas et manifestas et sufficientes apud nos in viribus corporum inferiorum, in animorum

Font.: 10–11 Haly – veritate ] Haly comment. centil. 1 fol. O1r ; Rog. Bac. op. mai. pp. I 242–243 794.20–796.4 Tum esse – patiatur ] cf. Ficin. in enn. 3,2 p. I 220 W Sim.: 7–11 nunc illud – veritate ] cf. rer. praen. 5,9 p. 573 App. crit.: 2–3 monstroso] monstruoso RCGarin 7 disputabimus BB BP BF WO : disputavimus αVRCF 9 adeo BP Garin : a deo αβ : a Deo O 10 in om. Garin 18 longo OGarin (cf. disp. 4,8 p.770,11) : longe αβ 20 ulla scripsi : nulla ΩGarin perabsurdum] per absurdum G 21 causas om. B (add. BCorr ) videas] videres B (corr. BCorr )

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langen Körperbau verfügt, ob er fett ist oder mager, von kräftiger oder schwacher Konstitution, verstümmelt oder unversehrt, ob normal oder monströs. Denn alle diese Eigenschaften erhält er zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt, als wenn er bereits geformt und vollendet aus dem mütterlichen Uterus in die Außenwelt gelangt. Daher können sie genauso wenig, wie sie von der Konstellation bewirkt werden, der sie zeitlich lange vorausgegangen sind, anhand der Beobachtung dieser Konstellation vom Astrologen vorhergesagt werden. Über den Zeitpunkt der Empfängnis wird später die Rede sein; an dieser Stelle will ich nur, dass der Leser Folgendes weiß: dass die bedeutendsten Astrologen der Meinung waren, dass die Dinge, die zum körperlichen Temperament gehören, in so hohem Maße von den nächsten und unterhalb des Himmels gelegenen Ursachen abhängig sind, dass sie, wie Haly schreibt, um Nachsicht für sich bitten, wenn sie bei Vorhersagen, die körperliche Anlagen betreffen, von der Wahrheit abweichen. 3. Wir wollen also die gesamte Abhandlung über die Wirksamkeit des Himmels folgendermaßen beschließen: Wenn der Himmel eine allgemeine Ursache ist, kommt die Unterschiedlichkeit und verschiedene Ausprägung der individuellen Einzeldinge nicht von ihm, und selbst wenn wir zugestehen, dass ihm auch Kräfte innewohnen, die die individuellen Eigenschaften hervorrufen, dann sind diese dennoch nicht so, wie die Astrologen sie vom Himmel herab vorhersagen, weil sie allem Anschein nach mit vernünftiger Argumentation weder zufällige Ereignisse auf natürliche Ursachen zurückführen können noch schlechte auf ansonsten sehr gute Urheber noch das, was von Verstand und Vernunft ausgeht, auf Prinzipien, die mit natürlicher Notwendigkeit wirken, noch körperlose Strahlen auf Körper noch längst Geschehenes oder erst in ferner Zukunft sich Ereignendes auf die derzeitige Konstellation und auch das, was andere betrifft, nicht auf unser Geburtshoroskop zurückführen können. Des Weiteren ist unser Schluss, dass es äußerst abwegig und jeder Philosophie vollkommen fern ist, den Ursprung der

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Phavorinus Carneades Possidonius Timeus Pytagoras Aristoteles Plato Plotinus Averoes Avicenna

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diversitate, in affectu, consilio, occasione, consuetudine, in concursu tam vario confluentium undique rerum atque causarum, eorum tamen originem quaerere in sideribus, quae neque sit ibi neque ut esse possit aut rerum, quae fiunt, aut caeli efficientis natura condiciove patiatur. 4. Hinc factum, ut omnes philosophi, quorum studium in perscrutandis rerum causis laborque versatur, cum a medicina aut mathematicis, ab omni arte atque scientia rerum veras causas mutuentur, astrologicis tamen causis nusquam utantur; quod, ut Phavorinum, Carneadem, Possidonium, Timeum, Pytagoram praetermittam, ab ipso Aristotele, a Platone, a Plotino, ab Averoe, ab Avicenna, a bonis utriusque familiae sectatoribus factum, inter initia operis declaravimus.

App. crit.: 3 ut addidi 4 condiciove B : condicione GOβ : condicioque Garin 5 Hinc om. B (add. BCorr ) 6 aut] fort. scribendum a 7 mutuentur BB BP G : mutuetur BOβGarin 9 ab1 βO : a α 10 familiae] familiis Garin

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Dinge, deren offensichtliche und hinreichende Ursachen man bei uns in den Kräften der unteren Körper sehen kann, in der Verschiedenheit der Seelen, in Gemütszuständen, Absichten, Gelegenheiten und Gewohnheiten, im so unterschiedlichen Zusammentreffen der von allen Seiten zusammenströmenden Materie und Ursachen, dennoch in den Gestirnen zu suchen, die ihren Ursprung dort weder haben noch haben können, weil es die natürliche Beschaffenheit oder der Zustand der Dinge, die entstehen, oder des sie bewirkenden Himmels nicht zulassen.306 4. Daher rührt es, dass alle Philosophen, deren mühevolle Beschäftigung es ist, nach den Ursachen der Dinge zu suchen, obwohl sie sich korrekte Ursachen von der Medizin, der Mathematik, von jeder Geistes- und Naturwissenschaft ausleihen, sich dennoch nirgends astrologischer Ursachen bedienen; dass dies, um Favorinus, Karneades, Poseidonios, Timaios und Pythagoras einmal beiseite zu lassen, auf Aristoteles selbst, auf Platon, Plotin, Ibn Rušd, Ibn Sīnā und die trefflichen Anhänger beider philosophischen Schulen zutrifft, habe ich zu Beginn dieses Werks erläutert.

306 Eine ähnliche Zusammenfassung findet sich bei Ficino (in enn. 3,2 p. I 220 W): Superiora hinc iterum confirmantur, quod omnium, quae nobis accidunt fiuntve a nobis, manifestas sufficientesque apud nos causas reperimus, in propria generis nostri natura, in consuetudine, affectu, consilio, actione, concursu circumstantium causarum, neque umquam sine his causis e caelo fit aliquid: ut nil opus sit horum in caelo causas perscrutari, quae saepe in terra patent, neque tamen inveniuntur in caelo.

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Caput XII – Non posse caelum eius rei signum esse, cuius causa non sit.

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Confutatio Prima ratio

1. Verum dicet aliquis forte, etiam si concedatur non fieri a sideribus istas va | rietates eventaque rerum humanarum, non tamen statim id colligi, ut praevideri ista de caelo praedicique non possint, quandoquidem quae sidera minime faciunt, possunt tamen significare atque portendere. Sunt enim, qui ita sint opinati non fieri scilicet potestate caelestium res inferiores praeterquam in re communis efficientiae, sed cum a proximis causis propriisque dependeant, indicari tamen a caelo, priusquam fiant atque ita per planetarum transitum, stationem, recessum futura cognosci, ut aves seu praetervolando seu stando futura pennis vel voce significant nec scientes. 2. At vero nec ipsi hoc umquam insignes astrologi crediderunt nec, ut credamus, ratio ulla consentit. Quod enim natura, non hominum instituto signum est alicuius rei et corpus est, aut causa est rei, quam significat, aut effectus aut tam signum quam id, quod signatur, ab eadem causa proveniunt. Quodsi quis putat addendum quasi diversum ab his, quae diximus, ut sit causae necessario inseparabiliterque connexum, is plurimum longeque fallitur, quoniam ista connexio et concomitantia fieri alia ratione non potest, quam quod vel causa id pariat prius ex se, quam efficiat aliud, aut quod eam causam excitat ad agendum hoc quoque suscitet simul, quod sicut utrumque ad communem causam referri concedamus.

Font.: 8–10 ita – nec scientes ] cf. Macr. somn. 1,19,27 Thom. Aq. summ. 2,2 quaest.95, art.5

12–14 Quod enim – proveniunt ] cf.

Sim.: 11–12 At vero – consentit ] cf. rer. praen. 5,10 p. 573 12–19 Quod enim – concedamus ] cf. rer. praen. 5,10 pp. 573–574 App. crit.: 8 ita om. O 9 praetervolando] praeter volando B (corr. BB BP ) 10 nec scientes] nescientes Macr. somn. 1,19,27 11 ipsi BCorr G : ipsa BOβGarin 18 eam] tam B (corr. BCorr ) 19 concedamus BB BP (cf. rer. praen. 5,10 p. 574) : concedimus αβOGarin

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Kapitel 12 – Der Himmel kann nicht Zeichen eines Ereignisses sein, dessen Ursache er nicht ist. 1. Indessen wird jemand vielleicht einwenden, dass man, selbst wenn man einräumt, dass diese unterschiedlichen Ereignisse menschlicher Angelegenheiten nicht von den Himmelskörpern ausgehen, dennoch nicht augenblicklich schlussfolgern dürfe, dass sie nicht anhand des Himmels vorhergesehen und vorhergesagt werden können, da die Gestirne ja das, was sie kaum bewirken, dennoch als Zeichen anzeigen und ankündigen können. Es gibt nämlich einige, die der Ansicht waren, dass die unteren Dinge nicht durch das Vermögen der himmlischen Körper geschehen, außer bei einem Gegenstand allgemeiner Wirkung, sondern dass sie von nächsten und individuellen Ursachen abhängig seien, obwohl sie dennoch vom Himmel angezeigt würden, bevor sie eintreten, und man so anhand des Durchgangs (transitus) von Planeten, ihres Stillstandes (statio) und ihrer rückläufigen Bewegung (recessus) die Zukunft ebenso erkennen könne wie Vögel dadurch, dass sie vorbeifliegen oder stehenbleiben, die Zukunft mit ihren Flügeln oder ihrer Stimme anzeigen, obwohl auch sie sie nicht kennen. 2. Aber selbst bekannte Astrologen haben das nie geglaubt und kein vernünftiges Argument stimmt mit dieser Annahme überein, sodass wir das glauben könnten. Dasjenige nämlich, das von seiner Natur aus, nicht durch menschliche Übereinkunft, ein Zeichen für etwas und zugleich ein Körper ist, ist entweder die Ursache für das Ereignis, welches es anzeigt, oder die Wirkung, oder aber das Zeichen und das Angezeigte entspringen derselben Ursache.307 Wenn aber jemand glaubt hinzufügen zu müssen, als ob es etwas anderes wäre als das, was wir sagten, dass es seiner Ursache notwendigerweise untrennbar verbunden sei, dann täuscht er

307 Eine vergleichbare Argumentation bietet Thomas von Aquin in seiner Summa theologiae, in der er unterschiedliche Möglichkeiten der Divination durch die Sterne differenziert, deren erste diejenige sei, bei der die Sterne Zukünftiges lediglich anzeigten, nicht aber auch bewirkten. Diese Möglichkeit sei aber ausgeschlossen (summ.2,2 quaest.95, art.5): Omne enim corporale signum vel est effectus eius, cuius est signum, sicut fumus significat ignem, a quo causatur, vel procedit ab eadem causa, et sic, dum significat causam, per consequens significat effectum, sicut iris quandoque significat serenitatem, inquantum causa eius est causa serenitatis. Vgl. zu dieser Stelle auch die Darstellung bei Linsenmann (2000: S. 292–296). Die Theorie, die Sterne könnten lediglich Zeichen der künftigen Ereignisse, nicht aber deren Auslöser sein, ist ausführlich diskutiert in den Enneaden Plotins (enn. 2,3). Auch Origines hatte sich in seinem Genesis-Kommentar mit dieser Frage eingehend auseinandergesetzt (Orig. comm. in genes. 3 ap. Eus. praep. ev. 6,11,55–83.)

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Divinas mentes non esse causas inferiorum eventuum absque caeli efficientia

Prima ratio

Secunda ratio Tertia

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3. Age igitur, videamus quodnam magis ex his caelo conveniat, si caelo futura significantur. Caelorum utique motus et dispositiones effectus non sunt rerum inferiorum; causas esse negant. Restat, ut caeli habitus et dispositio et quod per eam creditur indicari ab eadem causa dicantur provenire, quemadmodum iris portendit interdum serenitatem, non quia faciat serenitatem, sed quoniam iridis causa causa etiam est serenitatis. At corporea causa nulla reputabitur, quae sit caelo superior proptereaque caeli inferiorumque simul dispositiones efficiat; an aliqua erit causa incorporalis? Forte enim dici posse videbitur fieri eventa rerum humanarum ab ipsis divinis mentibus caelestia corpora revolventibus et, dum fiunt, ipso caeli, quod move[n]t, habitu et positione, quasi nutibus certis nobis indicari. Verum qui haec dixerit sane proxima fabulis poetarum incommodum illud quomodo vitabit: fieri ea a divinis mentibus, quae homines ipsi sine flagitii culpa non faciunt, ut hunc ad homicidia, illum ad adulteria, alium ad furta urgeant et impellant? 4. Mitto, quam omnis philosophia abominetur fieri res corporales ab incorporeis causis corporea causa media non intercedente. Praeterea curnam alia atque alia hora nascentes diverso fato nascuntur, si non caeli positio, quae variat in ho-

Font.: 3–6 Restat – serenitatis ] cf. Thom. Aq. summ.2,2 quaest.95, art.5 12–14 homines – impellant ] cf. Aug. in psalm 61,1 (PL 36,747); Thom. Aq. summ.2,2 quaest.59, art.4 15–16 fieri – intercedente ] cf. Thom. Aq. summ.2,1 quaest.10, art.3 Sim.: 2–7 Caelorum – efficiat ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 7–8 an – incorporalis ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 8–14 Forte enim – impellant ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 15–16 Mitto – intercedente ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 800.16–802.2 Praeterea – existimatur ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 App. crit.: 1 quodnam BB BP BEC G : quod nam Oβ : quod natura B 6 causa om. Garin 7 aliqua BB BP : reliqua αβOGarin 10 quod movent habitu et positione quasi BB BP BEC G : quod movent habitu et quod positione movent quasi B : quod movent habitu et positione movent quasi BF : quod movent habitu et positione movent quasi βO movetur scripsi : movent ΩGarin

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sich enorm, weil jene Verbindung und Gemeinsamkeit nicht auf andere Weise geschehen kann, als dass entweder die Ursache das Zeichen vorher aus sich heraus hervorbringt, bevor etwas anderes die Wirkung hervorruft, oder dass das, was diese Ursache zur Wirkung anstachelt, auch das Zeichen gleichzeitig anregt, was, wie ich zugeben will, dasselbe ist, wie beides auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen. 3. Wohlan denn, wollen wir sehen, welche von diesen Alternativen besser zum Himmel passt, wenn die Zukunft durch den Himmel vorher angezeigt wird. Die Bewegungen des Himmels und seine Anlage sind gewiss nicht die Wirkungen der unteren Ereignisse; dass sie ihre Ursachen sind, wird hier abgelehnt. Bleibt noch die Möglichkeit, dass die Eigenschaften und Anordnungen des Himmels und dasjenige, was ihrer Vorstellung nach dadurch angezeigt wird, ihrer Meinung nach von derselben Ursache ausgeht, wie ein Regenbogen bisweilen heiteres Wetter anzeigt, nicht etwa, weil er das heitere Wetter bewirkt, sondern weil die Ursache des Regenbogens auch die Ursache des guten Wetters ist.308 Man wird jedoch keine körperliche Ursache in Erwägung ziehen, die höher ist als der Himmel und die deswegen zugleich die Anlagen des Himmels und der unteren Körper bewirkt; oder wird es sich dabei um eine körperlose Ursache handeln? Anscheinend wird man vielleicht sagen können, dass die menschlichen Angelegenheiten von den göttlichen geistigen Wesen, die die himmlischen Körper ihre Kreise ziehen lassen, und bei ihrer Entstehung durch Zustand und Anordnung eben dieses Himmels, der ja in Bewegung ist, geradezu mit zuverlässigen Gesten angezeigt werden. Wie aber wird derjenige, der diese Vermutungen, die den Märchen der Dichter freilich sehr nahe stehen, äußert, die folgende Schwierigkeit umgehen, dass das von den göttlichen Wesen bewirkt werde, was die Menschen selbst nicht tun können, ohne die Schuld des Frevels auf sich zu nehmen, nämlich dass sie den einen zum Mord, den anderen zum Ehebruch, den Dritten zum Diebstahl drängen und anstacheln? 4. Wie sehr jede philosophische Schule es ablehnt, dass körperliche Gegenstände unkörperliche Ursachen haben, ohne dass eine körperliche Ursache als Mittler

308 Die Darstellung sowie das Beispiel des Regenbogens ähnelt der, welche Thomas von Aquin in der Summa theologiae (cf. Thom. Aq. summ.2,2 quaest.95, art.5) bietet (zitiert in der vorherigen Fußnote).

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Quarta Thomae

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Thomas

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ras, sed caeli auctor immobilis, sui par semper suique similis, fati auctor et causa existimatur? Postremo, ut Thomas argumentatur, cum eiusdem causae effectus sese invicem indicant, ab eodem principio eodem etiam modo proveniunt; caeli vero motus et inferiorum corporum rerumque dispositio non eodem modo est a causis superioribus, sed ill[a]e immutabili ordine et necessario, haec ordine variabili et quae utramque in partem cadat contingenter pro natura scilicet rerum, quae moventur, quae gubernantur; quam divina principia non mutant, sed conservant, alioquin naturam non cogerent, sed destruerent. 5. Non potest igitur caelum significare inferiora, nisi quatenus causa effectum | indicat suum; quare, qui causam quidem non esse victi ratione fatentur, signum tamen esse contendunt, hi vocem suam ignorant. 6. Quod et Thomas Aquinas, gravissimo vir iudicio quique nihil soleat temere asseverare, in Theologica summa asseverate pronuntiat. Posset hoc dici de cometis, de traiectionibus deque aliis hoc genus, quae fiunt in sublimi, ut excitata a stellis alicuius rei effectricibus, quod illorum causa factura est, non faciant, sed significent. De stellis ipsis dici nullo modo potest, cum illis, ut dicebamus, nulla corporea causa superior inveniatur.

Font.: 1 sui par semper suique similis ] cf. Arist. frg. 21 Rose = frg. 916 Gigon; Apul. Plat. 1,6 p. 193 2–8 Thomas – destruerent ] cf. Thom. Aq. summ.2,2 quaest.95, art.5; Thom. Aq. summ.1 quaest.115, art.3–4 6 quae – contingenter ] cf. Hier. epist. 21,40,3; Petr. Lombard. sent. lib.2, dist.7, cap.2 (PL 192,664); Thom. Aq. summ.1 quaest.19, art.10 7 divina – conservant ] cf. Thom. Aq. summ.1 quaest.104, art.2 9–10 causa – suum ] cf. Cic. top. 67 12–13 Thomas – pronuntiat ] cf. Thom. Aq. summ.2,2 quaest.95, art.5 13–14 de cometis ] cf. Thom. Aq. summ.3 quaest.36, art.7 Sim.: 2–8 Postremo – destruerent ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 9–11 Non potest – ignorant ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 13–17 Posset – inveniatur ] cf. rer. praen. 5,10 p. 574 App. crit.: 5 ille scripsi (cf. rer. praen. 5,10 p. 574) : illae ΩGarin 7 quam] potius scribendum quas? 15 effectricibus] affectricibus RC

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wirkt, will ich übergehen. Warum werden des Weiteren zu jeder Stunde Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen geboren, wenn nicht die Position des Himmels, die von Stunde zu Stunde unterschiedlich ist, sondern der unbewegliche Urheber des Himmels, der sich selbst immer gleich und ähnlich ist, als Urheber und Ursache des Schicksals verstanden wird? Wenn schließlich, nach der Argumentation des Thomas, die Wirkungen ein und derselben Ursache sich gegenseitig anzeigen, gehen sie auch von demselben Ursprung auf ein und dieselbe Weise aus; die Bewegung des Himmels aber und die Eigenschaft der Körper und Gegenstände der unteren Welt stammen nicht auf ein und dieselbe Weise von den oberen Ursachen, sondern jene Bewegung unterliegt einer unveränderlichen und notwendigen Ordnung, die Eigenschaft hingegen ist veränderlich und kann ohne Notwendigkeit (contingenter) zum Guten oder Schlechten sich wenden, je nach der natürlichen Beschaffenheit der Körper, die bewegt und geleitet werden; die göttlichen Prinzipien verändern diese Beschaffenheit aber nicht, sondern bewahren sie, da sie anderenfalls die Natur nicht so sehr zwängen, sondern vielmehr zerstörten. 5. Folglich kann der Himmel Ereignisse der unteren Welt nicht als Vorzeichen anzeigen, außer insofern, wie eine Ursache ihre Wirkung anzeigt; deshalb kennen diejenigen, die von Argumenten überzeugt eingestehen, dass der Himmel nicht die Ursache der Ereignisse der unteren Welt ist, ihre eigene Meinung nicht, wenn sie dennoch behaupten, dass er deren Zeichen sei. 6. Dies formuliert auch Thomas von Aquin, ein Mann von strengem Urteilsvermögen, der nichts leichtfertig zu behaupten pflegt, dezidiert in seiner Summa theologiae.309 Dies könnte man auch über Kometen, Sternschnuppen und andere derartige Ereignisse, die sich in der Höhe ereignen, sagen, dass sie, da sie von den Sternen, die etwas bewirken, in Bewegung versetzt werden, das, was auch deren

309 So kommt Thomas bei seiner Abhandlung der Einwirkung der Planeten zu dem Ergebnis (Thom. Aq. summ.2,2 quaest.95, art.5): Si quis ergo consideratione astrorum utatur ad praecognoscendos futuros casuales vel fortuitos eventus, aut etiam ad cognoscendum per certitudinem futura opera hominum, procedet hoc ex falsa et vana opinione. Bereits kurz zuvor hatte er diesen Schluss ähnlich formuliert: Fuerunt enim qui dicerent quod stellae significant potius quam faciant ea quae ex earum consideratione praenuntiantur. Sed hoc irrationabiliter dicitur.

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804 Secunda ratio capitalis

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7. Sed et qui ita opinantur fati necessitatem vel nolentes inducunt, quoniam, si sint causae sidera inferiorum, potest non effici, quod illorum influxu fieri procuratur, vel obstante materia vel causa particulari communem influxum alio deducente. 8. Si vero sint signa, cum ex natura ad significandum fuerint instituta, quam eorum vera natura tam erit eorum significatio vera; alioquin cur instituta a Deo ad significandum, cuius opera perfecta, si fallunt, si mentiuntur? Quodsi non mentiuntur, erit necessario, quod futurum ab illis significatur. Denique si inter causas numerantur, non repugnat eorum condicioni in eo ordine esse causarum, quae impediri, mutari, superari possint? Quae si signa existimentur, inter mendacia haberi non possunt, ne aut fallax fuerit aut ignorans, qui in caelesti volumine futurorum notas, ut dicunt, litterasque descripsit. 9. Postremo si non indicat caelum faciendo, sed, quod non facit, indicat tamen, restat, ut, quod aliae faciunt causae, indicetur ab eo. Aut igitur, quod omnes faciunt, aut, quod vel aliquae tantum; si quod aliquae tantum, cur, quaeso, harum opera indicat, illarum non indicat? Si quidem pariter omnes, nullae erunt reliquae causae, per quas, quod demonstrabatur, quominus eveniat, possit impediri: necessario igitur fiet quod portendebatur.

Font.: 11–12 in caelesti – descripsit ] cf. Plot. 2,3,7; Euseb. praep. ev. 6,11,63; Ps.-Albert. specul. 12 p. 254 Z; Ficin. in enn. 2,3 p. I 226 W Sim.: 1–4 Sed et – deducente ] cf. rer. praen. 5,10 pp. 574–575 5–7 Si vero – mentiuntur ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 13–17 Postremo – impediri ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 18 necessario – portendebatur ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575

App. crit.: 16–17 reliquae om. Garin

18 fiet] fet B (corr. BB BP )

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Ursache bewirken wird, nicht bewirken, sondern nur anzeigen. Von den Sternen selbst kann man dies keinesfalls sagen, da man, wie bereits gesagt, keine höher gelegene körperliche Ursache als sie finden kann. 7. Doch auch diejenigen, die dieser Ansicht sind, führen, wenn auch unabsichtlich, die Notwendigkeit des Schicksals wieder ein, da, wenn die Himmelskörper Ursachen der Ereignisse der unteren Welt sein sollten, dasjenige nicht eintreten kann, was durch ihren Einfluss besorgt wird, wenn entweder die Materie im Weg steht oder eine individuelle Ursache den allgemeinen Einfluss anderswohin ableitet. 8. Wenn sie aber deren Zeichen sein sollten, wird deren Anzeige ebenso wahr sein wie ihre Natur, da sie von ihrer Natur her dazu bestimmt sind, Zeichen zu sein; warum hätte Gott, dessen Werke vollkommen sind, sie anderenfalls dazu bestimmt, Zeichen zu sein, wenn sie sich irren und wenn sie lügen? Wenn sie aber nicht lügen, wird notwendigerweise das eintreten, was von ihnen im Voraus angezeigt wird. Wenn man sie aber schlussendlich zu den Ursachen rechnet, widerspricht es dann nicht ihrer Beschaffenheit, dass sie zu den Ursachen zählen, die verhindert, geändert und überwunden werden können? Wenn man sie indessen für Zeichen hält, können sie nicht unter die trügerischen Zeichen fallen, damit derjenige, der sie als Zeichen und, wie man sagt, Buchstaben des Künftigen in den großen Band des Himmels schrieb, weder ein Lügner noch ein Unwissender war. 9. Wenn schließlich der Himmel nicht durch seine Wirkung Zeichen gibt, aber das, was er nicht bewirkt, dennoch anzeigt, bleibt nur, dass das von ihm angezeigt wird, was andere Ursachen bewirken. Folglich zeigt er entweder das, was alle bewirken, oder das, was lediglich einige andere Ursachen bewirken; wenn es das ist, was lediglich einige Ursachen bewirken, warum zeigt er dann, bitteschön, deren Werke an, die Werke anderer Ursachen hingegen nicht? Wenn es hingegen das ist, was alle bewirken, werden keine Ursachen mehr übrig bleiben, durch die das Angezeigte daran gehindert werden könnte, wirklich einzutreten; folglich wird das Angezeigte notwendigerweise auch eintreten.

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806 Astrologos negasse fati necessitatem

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10. Hoc autem si dixerimus, non modo veritati, ut alibi demonstravimus, sed ipsis etiam astrologis adversabimur, cum et Aegyptii et Ptolemaeus et celeberrimus quisque astrologorum, fati necessitatem semper pernegaverit, quod in tractatu praecipue de quaestionibus sentire se declarant, cum non omnem quaestionem dicant esse legitimam, sed quae ab impetu animi caelitus moto proficiscatur, quales cum multas minime esse concedant; quae a ratione scilicet nostra consilioque nascantur aperte fati necessitatem non admittere se declarant; sed et ea introducta omnis astrologiae utilitas perit in eo praecipue collocata, ut praevisa mala cavere, bona confirmare augereque possimus. 11. Postremo si sint sidera signa, non causae inferiorum, pars ea astrologiae, quae vulgo dicitur de electionibus, extra controversiam tollitur, cum in illa favor caelestis ad efficiendum, non signorum indicia ad curiositatem investigentur.

Font.: 4–6 non omnem – concedant ] cf. Bonat. tract. astrol. 1,5 p. 162 Sim.: 1–3 Hoc autem – pernegaverit ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 3–9 quod – possimus ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 10–12 Postremo – investigentur ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 App. crit.: 7 et om. Garin

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10. Wenn wir dies aber behaupten, treten wir nicht nur in Widerspruch zur Wahrheit, wie anderswo bereits erläutert, sondern auch zu den Astrologen, insofern sowohl die Ägypter als auch Ptolemaios und insbesondere die berühmtesten Astrologen die Notwendigkeit des Schicksals immer abgelehnt haben, was sie insbesondere bei der Besprechung der Tagewählerei als ihre Ansicht darstellen, da sie nicht jede Frage für rechtmäßig halten, sondern lediglich diejenige, die von einer Seelenrührung, die vom Himmel in Bewegung gesetzt wurde, ausgeht310 und obschon sie zugeben müssen, dass derartige Fragen nicht häufig auftreten; diejenigen allerdings, die durch unsere Überlegung und unseren Willen entstehen, behaupten sie offen, ließen die Notwendigkeit des Schicksals nicht zu; wenn aber diese Notwendigkeit erst einmal zugelassen wurde, geht jeglicher Nutzen der Astrologie verloren, der ja insbesondere darauf beruht, dass wir vor vorhergesehenen Übeln auf der Hut sein können, gute Ereignisse hingegen bekräftigen und noch verstärken können. 11. Wenn schließlich die Himmelskörper Zeichen sein sollten, nicht aber Ursache der unteren Ereignisse, wird jener Teil der Astrologie, der gemeinhin als Stundenwählerei (electiones) bezeichnet wird, ohne jeden Zweifel unwirksam, weil in ihm die Gunst des Himmels der Wirkung halber untersucht wird, nicht aber Hinweise von Zeichen aus reiner Neugierde.

310 Tatsächlich schreibt beispielsweise Guido Bonatti, einer der bedeutendsten Astrologen seiner Zeit, in seinem Tractatus de astrologiae (1,5 p. 162): Consideratio prima in his, quae movent hominem ad quaestionem faciendam... Primus est motus animae... Secundus est motus superiorum corporum... Tertius est motus liberi arbitrii, qui potest esse ipse actus quaerendi, quia licet anima moveatur ad quaerendum, non sufficit, nisi superiora corpora ducant ad quaestionem faciendam...

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Fundamentum quaestionum astrologorum

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Caput XIII – Sive signa sint sidera sive causae, partem tamen astrologiae, quae est de interrogationibus, nullam esse. 1. Utramvis vero opinionem astrologi magis probaverint, hoc est sive sidera causas inferiorum sive signa tantum, non causas esse voluerint, necessario pars ea, quae de quaestionibus quaque maxime utuntur, funditus auferetur. Est enim istius | partis hoc fundamentum moveri animos nostros a caelesti constellatione, saltem ex parte imaginaria, cumque animus illinc ad desiderium sciendae rei alicuius instigatur, tum, si astrologum consulat, ex ea, quae hora consultationis caeli configuratio, portendi de re illa, quod sciscitator scire desiderabat; quare posse astrologum de rebus omnibus, de quibus quaestio fiat, interrogantibus vera respondere. 2. Quaeramus igitur nos ab eis, qui omnem quaestionem possunt dissolvere, signane tantum inferiorum sidera sint an sint etiam causae significentque faciendo. Si sint signa solummodo, non est igitur a sideribus impetus nostri desiderii, sed quemadmodum alia, qui ex ea sunt opinione, propriis aiunt fieri causis, licet indicentur ab astris, sic motus quoque desiderii non caelestem constellationem, sed vim ipsam imaginariam, nostram electionem, vim animi appetentem et quae de foris sensum animumque lacessunt pro origine causaque sortientur. 3. Si causas esse respondent significarique ex illis inferiora, sicuti ex causa effectus demonstrantur, quonam pacto defendent caeli constellationem, quae hora consultationis apparet, causam earum esse rerum, de quibus astrologus respondet

Sim.: 5–11 Est enim – respondere ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 12–14 Quaeramus – desiderii ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 15–18 quemadmodum – sortientur ] cf. Bellant. resp. disp. 4,13 fol. v 808.19–810.2 Si causas – oportet ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 App. crit.: 1 tamen B : causa GOβ (corr. Gc ) 5 est addidi : om. Ω αβ 13 an] aut Garin 16 indicentur] incidentur G

auferetur O : auferretur

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Kapitel 13 – Unabhängig davon, ob die Himmelskörper Zeichen sind oder Ursachen, ist der Teil der Astrologie, der die Frageastrologie betrifft, hinfällig. 1. Unabhängig davon, welche der beiden Ansichten die Astrologen billigen, ob sie also wollen, dass die Himmelskörper die Ursachen der unteren Ereignisse sind oder lediglich deren Zeichen, nicht aber deren Ursachen, wird jener Teil der Astrologie, der die Frageastrologie (quaestiones) darstellt und dessen sie sich rege bedienen, gänzlich vernichtet. Grundlage dieses Teils ist nämlich, dass unsere Seelen, zumindest was die Vorstellungskraft betrifft, von der Himmelskonstellation bewegt werden und dass, wenn die Seele von dort zum Verlangen nach Kenntnis einer Sache angeregt wird, dann – sollte man einen Astrologen aufsuchen – anhand der Himmelskonstellation, die zum Zeitpunkt der Befragung herrscht, über die Angelegenheit, die der Fragesteller zu wissen verlangte, Vorhersagen getroffen werden können; daher könne der Astrologe zu allen Themen, zu denen Fragen gestellt werden, den Fragestellern wahrhafte Antworten geben. 2. Wir wollen also jene, die jede Frage lösen können, fragen, ob die Himmelskörper lediglich Zeichen der unteren Ereignisse sind oder ob sie auch deren Ursachen sind und sie durch ihr Bewirken anzeigen. Wenn es sich lediglich um Zeichen handelt, geht folglich der Drang unseres Verlangens nicht von den Himmelskörpern aus, sondern wie diejenigen, die dieser Meinung sind, behaupten, dass auch andere Dinge durch ihre eigenen Ursachen geschehen, so werden auch die Regungen unseres Verlangens, mögen sie auch von den Sternen angezeigt werden, nicht die Himmelskonstellation als Ursprung und Ursache erlangen, sondern die Vorstellungskraft selbst, unsere Wahlfreiheit, die begehrende Kraft der Seele, und was von außen unsere Wahrnehmung und unsere Seele reizt. 3. Geben sie aber zur Antwort, dass es sich um Ursachen handelt und dass die unteren Ereignisse von ihnen angezeigt werden, wie ja Wirkungen anhand ihrer Ursache angezeigt werden, wie werden sie dann die Tatsache verteidigen, dass die

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Cavillus perquam facetus Unde pars haec nata astrologiae

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interroganti? Quae cum pridem sint facta aut quoniam numquam fient, causam habere nullam oportet. Sane Mars erit in occidente, qui responderi ab illis vera non permittet; quodsi impetrare possint ab eo, ut vel audire eis liceat vera, respondebo ego, etiam non quaerentibus, de istis quaestionibus oppido perquam vera. 4. Visum fuit astrologis parum gloriae sibi et, qui magis urgebat, quaestus comparari, si de tempore tantum geniturae vel anni conversione sua cuique fata pronuntiarent; nam pro his quidem intelligendis aut semel tota vita aut singulis tantum annis adire eos fuit necesse. Cum tamen multa quotidie curiositas nostra scire desideraret, de quibus illi nihil poterant respondere, unde et arti apud idiotas multum auctoritatis et professoribus multum pecuniae detrahebatur, hinc sibi aut aliis saltem persuaserunt posse se, quicquid quaereretur, ex hora quaestionis aperte praevidere, modo, qui interrogaret, naturali impetu motus, non propria electione esset ad interrogandum, sic scilicet se ab omni falsitatis infamia pulchre vindicantes. Nam si, quod respondebant, re ipsa refellebatur, non parum verus astrologus, sed parum efficax quaestio fuisse dicebatur; si eventis responsa respondebant, quid iam obstaret, cur non oracula in terris haberentur? 5. His artibus et fallaciis nugivendum hoc hominum genus ludificant imperitos, cum nihil possit a ratione dissonum magis vel dici vel cogitari, quam quod de ista interrogandi fallacia excogitarunt. Nam, ut illis concedam esse a caelo desiderium illud meum sciendi de absente, gratia exempli, quonam pacto se habeat,

Sim.: 2–3 Sane Mars – permittet ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 App. crit.: 1 Quae] Quare WOGarin

4 perquam O : per quam αβ

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Himmelskonstellation, die zum Zeitpunkt der Konsultation sich zeigt, Ursache der Dinge sei, über die der Astrologe dem Fragenden Antworten erteilt? Sie haben, weil sie bereits längst geschehen sind oder niemals geschehen werden, notwendigerweise keine Ursache. Freilich wird Mars im Deszendenten stehen, der nicht zulässt, dass sie die Wahrheit sagen; wenn sie aber bei ihm durchsetzen können, dass sie wenigstens die Wahrheit hören dürfen, will ich ihnen, wenn auch ungefragt, eine ganz und gar und vollkommen der Wahrheit entsprechende Antwort auf die Frage nach dieser Frageastrologie geben. 4. Es hatte für die Astrologen den Anschein, dass sie für sich zu wenig Ruhm und, was drängender war, zu wenig Gewinn erzielten, wenn sie lediglich für den Zeitpunkt der Geburt oder für den Lauf des Jahres jedem sein persönliches Schicksal vorhersagen konnten; denn um jenes zu kennen, musste man sie nur einmal im Leben oder zumindest lediglich einmal pro Jahr aufsuchen. Weil aber unsere Neugierde tagtäglich vieles wissen wollte, auf das sie keine Antworten zu geben vermochten, weshalb der Profession bei den ungebildeten Menschen viel Ansehen, den auf diesem Gebiet Tätigen hingegen viel Geld verloren ging, überzeugten sie sich selbst oder zumindest die anderen davon, dass sie im Stande seien, die Antwort auf jede Frage anhand des Zeitpunktes der Frage offenkundig vorherzusehen, solange der Fragesteller nur durch einen natürlichen Drang (naturalis impetus) dazu angeregt wurde, die Frage zu stellen, nicht aber durch seine eigene freie Entscheidung (propria electio), um sich natürlich auf diese Weise von dem Ruf freizusprechen, andere in die Irre zu führen. Wurde nämlich ihre Antwort durch die Realität widerlegt, hieß es nicht, der Astrologe habe sich geirrt, sondern die Fragestellung sei zu unwirksam gewesen; entsprachen die Antworten hingegen den eingetretenen Ereignissen, was hinderte dann noch daran, sie für Orakel auf Erden zu halten? 5. Mit diesen Künsten und Täuschungen führt dieser Schlag von Tandhändlern die Ungebildeten an der Nase herum, obwohl nichts mit der Vernunft weniger im Einklang Stehendes gesagt oder ausgedacht werden kann als das, was sie sich über diese trügerische Kunst des Fragens ausgedacht haben. Denn um ihnen einmal zu-

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Responsio Confutatio

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quae tandem ista consecutio, ut statim illud etiam sit verum futurum, qua hora desiderium hoc meum astrologo explicavero, huiusmodi esse caeli constitutionem, quae mihi statum absentis ostendat? Unde haec competentia aut foederatio et nostri desiderii et rei quam scire desideramus? Quodsi forte respondeant vim eandem caelestem, quae rem illam procul efficiat a nobis, vellicare simul animum nostrum quasique admonere rei, quae fiat, primo illud sequeretur tunc solum ista incessere | nos desideria, cum res ipsa fuerit; et tamen de his, quae aut pridem facta aut longo fient post tempore aut quae etiam numquam fient, efficaces fieri putant posse interrogationes. 6. Praeterea id si dicamus, non erit spectanda caeli constitutio, qua hora astrologum interrogamus, sed quo primum momento interrogandi cupiditas nos invadit, siquidem eadem similisve constellatio est, quae et parit eventum et desiderium agnoscendi illius suscitat in nobis. Quod utique, si rationabiliter insaniendum, longe rationabilius diceretur, quam quod dicunt astrologi observandum, scilicet tempus sciscitationis, non quo nos primum sciscitandi cura sollicitavit, tum quoniam, ut dicebamus, si qua inter haec esse potest cognatio, si quis consensus, non aliter esse potest, quam et rei, quae facta est, et desiderii nostri, quae quoquomodo ad eandem aut similem constellationem referri posse videantur; tum quod hora, qua astrologum ipsi consulimus, variari potest mille de causis, quibus fiat, ut serius aut citius astrologum conveniamus, ut si eius domus remotior sit a nobis, si euntem in via quis remoretur, atque alia hoc genus temere intercurrentia, quae horam quaestionis proptereaque caeli configurationem, de qua est responsurus,

Font.: 13 rationabiliter insaniendum ] cf. Ter. Eun. 63 Sim.: 1–9 quae tandem – interrogationes ] cf. rer. praen. 5,10 p. 575 rentia ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576

10–21 Praeterea – intercur-

App. crit.: 6–7 solum ista incessere WO : solum ista incessere solum ista incessere per dittographiam αVRCF (corr. BP ) 21 euntem] fort. scribendum euntes (sc. nos) 22 responsurus] responsurum Garin

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zugestehen, dass mein Verlangen danach, den Gesundheitszustand beispielsweise eines Abwesenden zu erfahren, vom Himmel kommt, was ist das schließlich für eine Schlussfolgerung, dass das sofort wahr wird, dass die Himmelskonstellation zu dem Zeitpunkt, an dem ich mein Verlangen einem Astrologen darlege, dergestalt ist, dass sie mir den Zustand des Abwesenden anzeigt? Woher rührt jenes Zusammentreffen oder jene Verbindung unseres Verlangens und der Angelegenheit, die wir zu erfahren wünschen? Sollten sie zufällig zur Antwort geben, dieselbe himmlische Kraft, die jene Angelegenheit fern von uns bewirke, stachele gleichzeitig unseren Geist an und ermahne uns gleichsam an das entsprechende Geschehen, würde sich daraus zuerst Folgendes ergeben, dass uns jenes Verlangen nur genau dann befällt, sobald die Sache selbst eintritt; nichtsdestotrotz sind sie der Ansicht, dass über Ereignisse, die bereits längst geschehen sind oder die erst nach einem langen Zeitraum geschehen werden oder die sogar niemals geschehen werden, wirksame Fragen gestellt werden können. 6. Wenn wir außerdem hiervon ausgehen, müsste man nicht die Himmelskonstellation zu dem Zeitpunkt betrachten, zu dem wir den Astrologen befragen, sondern in dem Augenblick, in dem uns zum ersten Mal das Verlangen nach der Frage befallen hat, zumal es dieselbe oder eine ähnliche Konstellation ist, die sowohl das Ereignis hervorbringt als auch das Verlangen, jenes zu erfahren, in uns weckt. Dies ließe sich freilich, wenn man mit Verstand von Sinnen sein will, bei weitem vernunftgemäßer behaupten als das, was die Astrologen zu beobachten vorschreiben, nämlich den Zeitpunkt der Befragung, nicht aber den Moment, in dem uns der Wunsch, zu fragen, das erste Mal in Unruhe versetzte; einerseits, weil – wie gesagt – wenn zwischen diesen Ereignissen eine Verbindung oder eine Übereinstimmung bestehen kann, diese nicht anders bestehen kann, als zwischen dem Ereignis, welches geschehen ist, und unserem Verlangen, die in jedem Falle scheinbar auf dieselbe oder eine ähnliche Himmelskonstellation zurückführbar sind; zum

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aliam atque aliam faciunt. Sed haec nihil curant astrologi, quibus iamdiu familiare est ea semper et dicere et sentire, quae nullam habeant prorsus rationem et firmitatem.

Caput XIIII – Divina miracula a caelo nec fieri nec significari, sed miracula miraculis sicut naturalia naturalibus indicari. 1. Verum utinam hactenus insanirent et non divina etiam miracula quaeque totius naturae facultatem excedunt naturalibus tamen corporum superiorum radiis fieri existimarent! In hoc enim eos errore versari supra monstravimus declarantes divinam ab eis religionem referri ad siderum potestatem, et quam olim Deus per Mosem populo Hebraeorum, et quam postea Christus per apostolos mundo promulgavit. 2. Sic et illam sub Noe totius orbis eluvionem et quae alia hoc genus divina miracula sacra prodit historia, suis omnia constellationibus ascripserunt; in qua re procul dubio insanire magis videntur, quam qui haec potius fuisse aliquando non concedunt, qui et fuisse credunt, qualia narrantur, et a naturalibus tamen causis

Font.: 12–13 sub Noe – ascripserunt ] cf. Petr. Alliac. Vigintiloq. 15 Sim.: 6–8 Verum – existimarent ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 App. crit.: 4 XIIII] XIV Garin 12 illam] illa Garin 15 credunt BB BP : credit αβO

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anderen, weil der Zeitpunkt, zu dem wir den Astrologen aufsuchen, aus tausend Gründen variieren kann, wodurch es passiert, dass wir den Astrologen später oder früher treffen, wenn zum Beispiel sein Haus weiter entfernt ist von uns oder wenn uns jemand auf dem Weg aufhält, und aus anderen derartigen Gründen, die aufs Geratewohl dazwischenkommen und die den Zeitpunkt der Befragung und deswegen auch die Himelskonstellation, auf Basis derer der Astrologe eine Antwort geben wird, immer entsprechend verändern. Doch darum kümmern sich die Astrologen nicht, bei denen es inzwischen bereits üblich ist, immer das zu sagen und zu glauben, was gänzlich jeder Vernunft und Glaubwürdigkeit entbehrt.

Kapitel 14 – Göttliche Wunder stammen weder vom Himmel noch werden sie von ihm angezeigt, sondern Wunder werden durch Wunder angezeigt wie Naturereignisse durch Naturereignisse. 1. Doch ich wünschte, sie würden in ihrem Wahnsinn nur so weit gehen und nicht auch davon ausgehen, dass die göttlichen Wunder und all das, was die Fähigkeit der gesamten Natur übersteigt, dessen ungeachtet von den natürlichen Strahlen der oberen Körper abhänge. Dass sie sich nämlich in diesem Irrtum befinden, habe ich weiter oben dargestellt, wo ich zeigte, dass auch die göttliche Religion von ihnen auf die Macht der Sterne zurückgeführt wird, und zwar sowohl die Religion, die Gott einst durch Moses dem Volk der Juden verkündete, als auch die, die später Christus durch seine Apostel in der ganzen Welt verbreitete. 2. So schreiben sie auch jene Überschwemmung der ganzen Erde, die während der Zeit des Noah war, und andere derartige göttliche Wunder, die die heilige Geschichte überliefert, alle ihren Himmelskonstellationen zu; dabei scheinen zweifellos diejenigen, die zwar glauben, dass sich diese Dinge wie erzählt ereigneten,

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816 Maxima insania Liber adversus impios

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effecta, cum nulla cogitari maior possit insania, quam ut factum aliquid supra naturam naturae viribus putes. Esse autem divinam legem ex his, quae naturae vires excedant, adversus impios disputando probavimus; de cataclysmo universali facile potest idem demonstrari, cum naturae nihil magis repugnet, quam ut suum ipsa excidium moliatur. Quare eam sibi iniuriam numquam inferret, de qua ipsa se sua asserere potestate non posset; quodsi non potuit fieri cursu naturali, ut, cum aquae montium omnium cacumina quindecim cubitis superarent, Noe cum sua familia cumque omni genere animalium intra unam arcam duodecim menses inclusus naufragium illud evaderet, non fuit etiam naturae propositum ad perniciem omnium viventium terram totam aquarum inundatione submergere. 3. Quodsi a caelo ista non fiunt, de caelo praevideri etiam non possunt, cum, quae caelum non facit, ea etiam non significet, ut paulo ante probavimus. Quamquam ista propriam habent rationem, quare ab astris non portendantur, etiam si cetera, quae facultatem naturae non excedunt, vel fieri vel indicari a caelo concedamus. Est enim, | ut alibi declaravimus, ordo rerum a Deo pro naturali cursu institutarum ita suis finibus inclusus seiunctusque ab his rebus, quae divina virtute et voluntate fiunt praeter naturam, ut, haec omnia si tollantur, nihil sit in rerum natura, quod desit, nihil, quod supersit.

Font.: 7 aquae – superarent ] cf. Vulg. gen. 7,19–20

Noe – evaderet ] cf. Vulg. gen. 6,13–8,19

de cataclysmo – demonstrari ] cf. Sim.: 3–6 de cataclysmo – posset ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 disp. 5,11 11–18 Quodsi – supersit ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 12 paulo ante probavimus ] vide supra disp. 4,12 15 ut alibi declaravimus ] cf. comment. Beniv. 1,7–9 pp. 36–45 Bürklin App. crit.: 2 putes] fort. scribendum imputes 6 potuit fieri] fieri potuit Garin Ω (cf. disp. 5,2 p. I 534 Garin) : mundatione Garin

10 inundatione

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dass sie aber dennoch von natürlichen Ursachen bewirkt worden seien, mehr von Sinnen zu sein als diejenigen, die überhaupt nicht zugeben wollen, dass diese Ereignisse überhaupt einmal passiert sind, da man sich keinen größeren Wahnsinn erdenken kann, als zu glauben, dass das, was über die Grenzen der Natur hinaus geschehen ist, durch die Kraft der Natur geschehen sei. Dass aber die göttliche Religion aus dem besteht, was die Kräfte der Natur übersteigt, habe ich in meiner Diskussion gegen die Frevler bereits dargelegt; was die Sintflut betrifft, kann dasselbe leicht bewiesen werden, weil nichts der Natur mehr zuwiderläuft, als dass sie selbst ihr Ende betreibe. Daher würde sie sich jenes Unrecht niemals selbst zufügen, von dem sie sich aus eigener Kraft nicht befreien könnte; wenn es aber durch den natürlichen Lauf der Dinge nicht möglich war, dass Noah, während die Wassermassen die Gipfel aller Berge um fünfzehn Ellen überragten, mit seiner Familie und mit allen Arten von Tieren zwölf Monate lang in eine Arche eingeschlossen jenem Schiffbruch entging, war es auch nicht das Vorhaben der Natur die gesamte Erde zum Verderben aller Lebewesen in einer Sintflut von Wasser zu versenken. 3. Wenn diese Ereignisse aber nicht vom Himmel ausgehen, können sie auch nicht vom Himmel vorhergesehen werden, da der Himmel nicht anzeigen kann, was er nicht bewirkt, wie vor kurzem bewiesen. Indessen haben diese Ereignisse ihre individuelle Ursache, weshalb sie von den Sternen selbst dann nicht prophezeit werden können, wenn wir zugestehen, dass das Übrige, was die Fähigkeit der Natur nicht übersteigt, vom Himmel bewirkt oder angezeigt werde. Denn die Ordnung der Dinge, die von Gott gemäß dem natürlichen Lauf eingerichtet wurden, ist, wie ich an anderer Stelle erklärt habe, so innerhalb ihrer Grenzen eingeschlossen und von den Dingen abgegrenzt, die durch göttliche Kraft und Willen außerhalb der Grenzen der Natur geschehen, dass, wenn man dies alles beseitigen würde, in den natürlichen Dingen nichts fehlen würde und nichts zu viel wäre.

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4. Est autem caelum et, quaecumque in caelo communi cursu eveniunt, ex his rebus, quae sunt secundum naturam; quare si siderum motus vel dispositio, quae ex naturali eorum condicione illis debetur, futurum significant, debet haec significantia et indicatio inter res naturales haberi et numerari; quodsi aliqua ex his signis portendere ea dicamus, quae fient supra naturam, sequetur illud absurdum, ut, si relinquat Deus naturam suis condicionibus nec faciat aliquid super eam, natura iam ipsa falsa et mendax inveniatur, in qua etiam Deus aliquid frustra superfluoque instituerit, quoniam erunt adhuc in sideribus signa rerum futurarum, quae tamen non erunt, cum res, quae significantur, res sint praeter naturam, quas auferri supponebamus. 5. Signa ipsa res secundum naturam sint, quae ablatis supernaturalibus nec auferri nec aliqua sibi debita perfectione privari dicendum est; non igitur, si ab aevo miraculum aliquod facere Deus disposuit, miraculi eius indicia naturalibus rebus inseruit ita, ut ad naturae ipsarum rationem significatio haec pertineret, sed naturalia quidem signis naturalibus, miraculis antecedentibus miracula voluit significare: Cataclysmum divinae iustitiae miraculo eventurum divinitus inspiratus divinitusque servandus Noe mundo significavit; educendos Hebraeos ex Aegypto et dandam illis legem facta per divinam virgam a Mose miracula magis astrologisque Aegyptiorum testificata sunt; subiciendam populo Dei terram promissionis et, quae in ea supra leges naturae mira Deus erat operaturus, non naturalis aliqua caeli configuratio, sed coercitus manu Creatoris rapidissimus Solis motus indicavit, ut traiectum sicco pede Iordanem et sonitu buccinarum diruta urbis moenia

Font.: 17–19 educendos – testificata sunt ] cf. Vulg. exod. 7,11–12 19–22 subiciendam – indicavit ] cf. Vulg. Ios. 10,12–13 22 traiecto – Iordanem ] cf. Vulg. Ios. 3,17 sonitu – moenia ] cf. Vulg. Ios. 6,20 Sim.: 1–10 Est autem – supponebamus ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 11–12 Signa – dicendum est ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 15–19 naturalia – testificata sunt ] cf. rer. praen. 5,10 p. 577 App. crit.: 4 numerari GOβ : narrari B (corr. BCorr ) 5 fient] fiunt Garin 6 ut] et Garin 9 sint GOβ : om. B (add. BCorr ) 11 sint] fort. scribendum sunt

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4. Der Himmel aber und die Ereignisse, die am Himmel im gewöhnlichen Lauf der Dinge geschehen, gehören zu den Dingen, die naturgemäß sind; wenn daher eine Bewegung oder eine Stellung der Gestirne, die ihnen in Folge ihres natürlichen Zustandes zukommen, irgendein zukünftiges Ereignis anzeigen, muss dieses vorausdeutende Anzeigen zu den natürlichen Dingen gezählt und gerechnet werden; wenn wir aber behaupten, dass irgendwelche dieser Zeichen das anzeigen, was außerhalb der Natur sich ereignen wird, wird daraus jener abwegige Schluss sich folgern lassen, dass die Natur selbst, wenn Gott sie ihren Bedingungen überlässt und keinen Einfluss mehr auf sie ausübt, sich sogleich als falsch und lügnerisch erweist, in der sogar Gott vergeblich etwas Erfolgloses und Überflüssiges eingerichtet hat, weil immer noch in den Himmelskörpern Zeichen zukünftiger Ereignisse sich befinden würden, die dennoch niemals eintreten würden, da die angezeigten Ereignisse außerhalb der Grenzen der Natur liegen – von diesen haben wir ja angenommen, dass sie beseitigt werden würden. 5. Die Zeichen an sich mögen sich naturgemäß ereignen und man muss behaupten, dass sie, wenn alles Übernatürliche beseitigt wurde, weder ebenfalls beseitigt werden noch dass sie irgendeiner ihr notwendigerweise zukommenden Vollkommenheit beraubt werden; folglich hat Gott nicht, wenn er seit Anbeginn der Zeiten Vorkehrungen traf, irgendein Wunder eintreten zu lassen, Hinweise auf dieses Wunder den natürlichen Dingen so beigefügt, dass diese Vorausdeutung zu deren natürlicher Beschaffenheit gehörte, sondern er wollte natürliche Ereignisse durch natürliche Vorzeichen, Wunder aber durch vorausgehende Wunder andeuten. Dass die Sintflut durch das Wunder der göttlichen Gerechtigkeit eintreten werde, hat Noah, der von Gott eine Eingebung erhielt und von Gott gerettet werden sollte, angedeutet. Das Herausführen der Juden aus Ägypten und das Geben von Gesetzen, alles Wunder, die Moses durch den göttlichen Stab voll-

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praetermittam; Ezechiae vitam divina virtute prorogatam non benigna Iovis irradiatio recto sua spacia ordine percurrentis, sed retrocedentis Solis miraculum demonstravit. 6. Prodigium Verbi corporati et Virginis puerperii cum mentium supra mentis naturam divinitus afflatarum oracula annuntiarunt, tum in ipsis corporibus caelestibus et terrenis prodigia mille testificata sunt, dum ; Greg. Tur. Franc. 1,19immensum illud Domino novum sidus exoritur, tunc cum eodem in cruce deficiente Sol, Luna plena, contra naturae ordinem deficit. His signis divina miracula et demonstrantur et confirmantur, quae a naturali rerum statu nec fieri possunt nec convenit indicari.

Font.: 1–3 Ezechiae – demonstravit ] cf. Vulg. Is. 38,1–8 4 Prodigium Verbi corporati ] Ioh. 1,14; I Tim. 3,16 Virginis puerperii ] cf. Vulg. Is. 7,14; Matth. 1,18–25 6 terrenis ] Matth. 24,7 immensum – sidus ] cf. Vulg. Matth. 2,2–12 7 eodem in cruce deficiente ] Matth. 27,45; Marc. 15,33; Luc. 23,44–45 8 Luna plena, contra naturae ordinem deficit ] act. 2,20; Ioel 3,4

cf. Vulg. cf. Vulg. cf. Vulg. cf. Vulg.

Sim.: 1–3 Ezechiae – demonstravit ] cf. rer. praen. 5,10 p. 577 4–10 Prodigium – indicari ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 App. crit.: 5 afflatarum GOβ : afflaturum B (corr. BCorr ) Garin

7 tunc scripsi : nunc Ω

8 Sol] Sole

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brachte, wurden von den Magiern und Astrologen der Ägypter bezeugt; dass das Volk Gottes sich das gelobte Land unterwarf und was Gott dabei an wunderbaren Dingen, die über die Grenzen der Natur hinausgehen, bewerkstelligte, hat nicht irgendeine natürliche Himmelskonstellation angezeigt, sondern die von der Hand des Schöpfers angehaltene Bewegung der ansonsten so schnellen Sonne, um von der Überquerung des Jordan trockenen Fußes und den vom Klang der Posaunen niedergerissenen Stadtmauern ganz zu schweigen; das durch die Kraft Gottes verlängerte Leben des Hiskija wurde nicht durch einen guten Strahlenwurf Jupiters, der in rechtläufiger Bewegung seine Bahn durchläuft, sondern durch das Wunder der retrograden Bewegung der Sonne angezeigt. 6. Das Wunder des fleischgewordenen Wortes und der Niederkunft der Jungfrau wurde zum einen durch Vorhersagen geistiger Wesen, die sich oberhalb der natürlichen geistigen Wesenheit befinden und von Gott inspiriert waren, angekündigt,311 zum anderen haben es auch tausende Vorzeichen an himmlischen und irdischen Körpern bezeugt, indem sich für unseren Herrn jenes gewaltige neue Gestirn erhob, und bald darauf, als die Sonne zusammen mit ihm am Kreuz dahinschwand und sich der Vollmond gegen die Regel der Natur ebenfalls verfinsterte.312 Durch diese Zeichen werden die göttlichen Wunder angezeigt und bekräftigt, die weder von Dingen im natürlichen Zustand bewirkt noch passenderweise durch diese angezeigt werden können.

311 Gemeint sind Prophezeiungen durch Propheten wie die eben erwähnte Jungfrauengeburt in der Prophezeiung des Propheten Jesaja (Is. 7,14), an die in der Verkündigung des Engels an Maria (Matth. 1,22–23) wieder angeknüpft wird. 312 In den Evangelien finden sich mehrere Hinweise auf eine Sonnenfinsternis, die zeitgleich mit der Kreuzigung Jesu eintrat (Matthäus 27,45; Markus 15,33; Lukas 23,44–45). Als Mondfinsternis wird der Blutmond (Apostelgeschichte 2,20 sowie Joel 3,4) interpretiert. Dass die Bibelstelle so verstanden wurde, beweist z.B. Thomas’ In psalmos Davidis expositio 10,1: Obscuratur autem luna, secundum Glossam, quandoque per revolutionem, et sic fit obscura: quandoque per eclypsim, et tunc in sanguinem convertitur: quandoque per interpositionem nubis, et tunc fit nigra. Vgl. hierzu insbesondere auch Ficino in seiner Praedicatio de stella magorum (Ficinus 1576: p. I 490): Angelus moriente Christo in ipsa Lunae forma plenam lumine Lunam super naturae vires momento subiecit Soli, diemque meridie convertit in noctem, qui et nascente Iesu sub forma Cometae mediam noctem convertit in diem. Von einem immensum sidus spricht auch Greg. Tur. Franc. 1,19: Cuius immensum sidus magi ab oriente cernentes, cum muneribus veniunt et puerum subplicis oblatis donis adorant.

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Caput XV – Per stellam Magorum non posse constellationem aliquam intelligi; et declaratio quarundam Scripturarum, quae imperitis possent videri astrologiae adstipulari.

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1. Nunc, quoniam in mentionem stellae devenimus, quae magis natum Iesum demonstravit, non ab re fuerit admonuisse lectorem, ne hanc forte stellam astrologorum opinioni favere suspicetur, quasi non ea aliud fuerit, quam index nati prophetae caelestis constellatio magis illis ab oriente cognita et explorata, qui essent caelestis scientiae, ut putatur, oppido quam periti. 2. Abducit autem ab hoc errore evidentissime nos ipsa littera Evangelii, quae de hac stella loquens ait: »Et ecce stella, quam viderant in oriente, antecedebat eos usque dum veniens staret supra ubi erat | puer.« Quod nemo nisi insaniens existimabit de caeli sideribus configurationibusque esse intelligendum. Erat igitur illa factitia et temporaria, non perpetua stella et naturalis, condita ad id officii a Creatore, per quam significari natum regem Iudaeorum. Eo forte modo magi intellexerunt, quo et postea in somnis declinandum Herodem et alia, quam venerant, via in patriam esse revertendum.

Font.: 7–8 qui essent – periti ] cf. Albert. in Matth. 2,1 pp. 61–62 B; Thom. Aq. summ.3 quaest.36, art.3; Ficin. praedic. stell. mag. (Opera I, p. 489) 9–11 littera Evangelii – puer ] cf. Vulg. Matth. 2,9 13–14 non perpetua – Iudaeorum ] cf. Thom. Aq. summ.3 quaest.36, art.7–8 15–16 in somnis – revertendum ] cf. Vulg. Matth. 2,12 Sim.: 9–12 Abducit – intelligendum ] cf. rer. praen. 5,10 p. 577 12–16 Erat igitur – revertendum ] cf. rer. praen. 5,10 p. 577 App. crit.: 1 Magorum] magnorum G 5 fuerit] fierit Garin 15 somnis] somniis Garin

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Kapitel 15 – Der Stern der Weisen kann keine Himmelkonstellation bezeichnen; des Weiteren die Erläuterung einiger Schriftstellen, die für Unwissende den Anschein erwecken können, der Astrologie beizupflichten.313 1. Da wir nun auf den Stern zu sprechen kamen, der den Weisen aus dem Morgenland die Geburt Jesu anzeigte, dürfte es der Sache nicht abträglich sein, den Leser zu mahnen, nicht zu der Vermutung zu kommen, dass dieser Stern etwa die Meinung der Astrologen stützen könnte, als ob es sich hierbei um nichts anderes handelte, als um einen Hinweis auf die Geburt des Propheten in Form einer himmlischen Konstellation, die von jenen Weisen aus dem Morgenland, die mit der Wissenschaft vom Himmel bestens vertraut gewesen sein sollen, erkannt und untersucht wurde. 2. Es bringt uns aber von diesem Fehler offensichtlich die heilige Schrift selbst ab, die über diesen Stern sagt: »Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging ihnen voraus, bis er ankam und über dem Ort stand, an dem das Kind war.« Niemand außer einem Wahnsinnigen wird auf die Idee kommen, hierunter seien die Himmelskörper und die Konstellationen am Himmel zu verstehen. Jener extra erschaffene und zeitlich begrenzte, nicht aber ewig dauernde und natürliche Stern war genau für jene Aufgabe vom Schöpfer gemacht worden, dass durch ihn die Geburt des Königs der Juden angezeigt werde. Die Weisen aus dem Morgenland haben dies vielleicht ebenso verstanden, wie sie auch später in

313 Marsilio Ficino vertrat in seiner Praedicatio de stella magorum (Ficinus 1576: p. I 489–491) die Ansicht, dass es sich bei der stella magorum um einen Kometen gehandelt haben soll, eine Erklärung, die vor ihm bereits Origines (Cels. 1,58) und Chalcidius (Chalc. comm. 126 pp. 169,11–170,5) äußerten; Johannes Chrysostomus hingegen hatte in seiner 6. Matthäushomilie den Stern nicht als Stern im Sinne anderer Sterne verstanden (Chrys. hom. 6 in Mt. [PG 57,64]). Auch Albertus Magnus setzte sich in seinem Kommentar zum Evangelium des Matthäus mit der Frage nach der Natürlichkeit des Sterns von Bethlehem auseinander (Albert. in Matth. 2,2 pp. 64–66 B) und kam zum Ergebnis, dass sich diese stella in fünf Punkten von ›normalen‹ Sternen unterscheide, nämlich in ihrer natürlichen Beschaffenheit (natura), ihrem Entstehungsort (situs), ihrer Bewegung (motus), ihrer Helligkeit (claritas) sowie in ihrer Bedeutung (significatio); in ähnlicher Weise unterschied auch Thomas von Aquin (summ.3 quaest.36, art.7) den biblischen Stern von Bethlehem von anderen Sternen, da er nicht auf der üblichen Bahn sich bewege, nicht zur üblichen Zeit erscheine, nicht ununterbrochen sichtbar sei, keine gleichförmige Geschwindigkeit habe und außerdem nicht oben am Himmel stehengeblieben, sondern in die untere Welt hinabgeglitten sei. Vgl. zu der Frage nach dem Stern von Bethlehem insbesondere auch die umfängliche Darstellung bei Weichenhan (2004: S. 36911 ), die der hier gebotenen als Grundlage dient, der für die Stelle aus der Summa des Thomas von Aquin allerdings fälschlich quaestio 37 statt 36 schreibt. Vgl. hierzu auch die Beiträge im Sammelband von van Kooten / Barthel (2015).

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3. Sed et cavendum pariter est, ne quibusdam Scripturarum locutionibus perturbemur, ut cum in temporis plenitudine missum Dei filium legimus apud Paulum et in Evangelio Dominum dicentem: »Nunc est hora vestra et potestas tenebrarum« et alibi: »Nondum venit hora mea«. Putabit enim superstitiosus horarum et temporum constellationes significari. At tu illum interroga, an, cum famescit, tempus putet comedendi, quaecumque tamen per id tempus fuerit caeli constitutio; et cum satis laboravit, corpus curandi; et cum satis obdormivit, tempus evigilandi. 4. Quae si omnia habere suum dixerit tempus, non pro eius temporis constellatione, sed pro natura ipsius rei, quae fit, proque occasione opportunitateque faciendi; sic pariter alia, quae et Deus facit supra naturam et homines faciunt propria libertate, quamquam nullas desiderent, ut fiant, constellationes, necessario tamen aliquo tempore fieri, et congruentius hoc quam illo tempore fieri atque commodius. 5. Decuit mitti filium Dei eo tempore, quo est missus, ante non decuit; causa in caelo non est, sed in proposito Dei et exigentia rerum, de qua multa scribunt theologi, quantum licuit eis per indicia Scripturarum ad divini consilii secretum penetrare. Decuit item, postquam est natus, non statim occidi, sed, quo tempore expediens fuit, permisit ipse se manibus impiorum atque ea hora fuit potestasque tenebrarum.

Font.: 2–3 in temporis – Paulum ] cf. Vulg. Gal. 4,4 3–4 in Evangelio – tenebrarum ] cf. Vulg. Luc. 22,53 4 Nondum venit hora mea ] cf. Vulg. Ioh. 2,4 19 permisit ipse se manibus impiorum ] cf. Vulg. Iob 16,12 ea hora fuit potestasque tenebrarum ] cf. Vulg. Luc. 22,53 Sim.: 1–7 Sed et – constitutio ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 9–14 Quae si – commodius ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 15–16 causa – rerum ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 App. crit.: 7 curandi scripsi coll. Sen. epist. 66,46; Serv. georg. 4,187 : curandum Ω : [tempus] curandi Garin 9 si] si non G 20 tenebrarum] tenebrarumque VRF

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ihren Träumen gelernt haben, Herodes zu meiden und auf einem anderen Weg, als sie gekommen waren, in die Heimat zurückzukehren. 3. Gleichzeitig muss man aber auf der Hut sein, dass man sich nicht durch gewisse Bibelstellen verwirren lässt, wie wenn wir bei Paulus lesen, dass, als die Zeit sich erfüllt hatte, Gottes Sohn gesandt wurde, oder im Evangelium Gott sagen hören: »Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis« und an anderer Stelle: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Ein abergläubischer Mensch wird nämlich denken, hier seien die Konstellationen von Stunden und gewissen Zeitpunkten gemeint. Doch frage ihn, ob er glaubt, dass, wenn er Hunger hat, die rechte Zeit des Essens gekommen sei, unabhängig davon, welche Konstellation gerade zu diesem Zeitpunkt am Himmel steht; und wenn er sich genügend abgemüht hat, der rechte Zeitpunkt sich zu erholen; und wenn er genügend geschlafen hat, die rechte Zeit, wach zu sein. 4. Wenn er antwortet, dass dies alles seine Zeit habe, geschieht das nicht entsprechend der Konstellation des jeweiligen Zeitpunktes, sondern gemäß der natürlichen Eigenschaft des Ereignisses, nach günstigem Zeitpunkt und der Gelegenheit, zu handeln; entsprechend muss auch anderes, was Gott außerhalb der Natur schafft und was die Menschen durch ihren eigenen freien Willen tun, obwohl sie nicht das Eintreten einer Sternenkonstellation abwarten, notwendigerweise zu irgendeinem Zeitpunkt geschehen, und es passt besser und ergibt sich vorteilhafter zum einen Zeitpunkt als zu einem anderen. 5. Es war passend, Gottes Sohn zu exakt dem Zeitpunkt zu schicken, an dem er geschickt wurde, vorher hingegen wäre es nicht passend gewesen; die Ursache dafür liegt nicht im Himmel, sondern im Vorsatz Gottes und im Bedürfnis der jeweiligen Umstände, worüber die Theologen viele Worte verlieren, insofern es ihnen möglich war, durch die Hinweise innerhalb der Bibelstellen zum Geheimnis des göttlichen Plans vorzudringen. Ebenso wäre es nicht passend gewesen, dass er unmittelbar nach der Geburt hingerichtet worden wäre, sondern zu dem

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6. Idem in reliquis intelligendum, quod ex uno nobis libri Geneseos loco aperte declaratur; ibi enim, cum terram promissionis, sic ex re appellatam, Abraae Deus promittit, »Tum«, inquit, »scito peregrinum futurum semen tuum in terra non sua, ubi quadringentis annis affligentur, generatione autem quarta huc revertentur«. Hactenus scriptum si fuisset, insultaret astrologus, non potuisse divinam promissionem impleri, donec tot annorum spatiis evolutis ad certam perveniretur caeli dispositionem, quae esset eventum illum paritura. Tu vero vide, quid ex Dei persona propheta subiciat: »Necdum enim«, inquit, »completae sunt iniquitates Ammoreorum usque ad praesens tempus«. Vide igitur, quid expectaretur: non copulatio scilicet Iovis et Saturni aut sideralis alia constellatio, sed plenitudo iniquitatis in Ammoreis, per quam divina iustitia, cuius legibus res humanae, non fatali necessitate, reguntur, et merito illos expelleret et fidelis Abraae semen illuc introduceret.

Font.: 1–5 libri Geneseos – revertentur ] cf. Vulg. gen. 15,13–16 2 sic ex re appellatam ] cf. Vulg. gen. 13,14–18 8–9 Necdum – tempus ] cf. Vulg. gen. 15,16 Sim.: 1–13 Idem – introduceret ] cf. rer. praen. 5,7 p. 551 App. crit.: 4 quadringentis] quadrigentis α 6 certam] certa Garin

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Zeitpunkt, zu dem es richtig war, übergab er sich in die Hände der Frevler und dies war seine Stunde und die Macht der Finsternis. 6. Ebenso muss man es auch an den anderen Stellen verstehen, was anhand einer Stelle aus dem Buch Genesis deutlich gemacht werden soll; dort nämlich sagt Gott, als er Abraham das gelobte Land verspricht – so ist es nämlich sachgemäß bezeichnet worden: »Das sollst du dann wissen, dass dein Samen fremd sein wird in einem Land, das nicht das seine ist, wo man sie vierhundert Jahre lang unterdrücken wird, nach vier Generationen aber werden sie hierhin zurückkehren.« Wäre es nur bis hierhin geschrieben, würde der Astrologe frohlocken, dass das göttliche Versprechen so lange nicht in Erfüllung gehen könne, bis nach Umlauf so vieler Jahre eine gewisse Himmelskonstellation eintrete, die jenes Ereignis hervorbringen würde. Siehe aber, was der Prophet im Namen Gottes hinzufügt: »Denn die ungerechten Handlungen der Amoriter sind bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfüllt.« Sieh also, worauf gewartet werden muss: selbstverständlich nicht auf eine Verbindung von Jupiter und Saturn oder eine andere natürliche Sternenkonstellation, sondern die Vollendung der Ungerechtigkeit der Amoriter, auf Grund derer die göttliche Gerechtigkeit, durch deren Gesetze die menschlichen Angelegenheiten gelenkt werden, nicht jedoch durch die Notwendigkeit des Schicksals, jene sowohl verdientermaßen ins Exil schicken würde als auch den Samen des treuen Abraham dorthin zurückführen würde.

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Caput XVI – Quae naturae vires supergrediuntur, quantum ad id etiam, quod in se naturale continent, a caelo significari non posse.

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1. Satis iam, nisi fallor, est demonstratum divina miracula a caelo nec fieri nec significari, quamquam, quod attinet ad efficientiam, hoc ipsae indicant voces nec ulla indiget probatione. Quaerebat autem nuperrime Hieronymus Benivenius, acuto vir ingenio et perspicaci, cum in his rebus, quae fiunt supra naturam, interdum aliquid sit etiam naturale, num ex ea parte a stellis possent significari ut, si non potuerit | aliqua constellatio Dei corporationem indicare, potuerit tamen legifer homo et bonas leges promulgaturus ostendi. Respondi neque hoc modo posse illa a stellis significari nec, quod putavit Alliacensis, hoc modo ab illis fieri. Is enim non alia putavit ratione defendi posse ab impietate qui rerum huiusmodi mirabilium et divinarum causas quaererent in sideribus, quam si dicant dependere haec a caelo, non quatenus sunt supra naturam, sed quatenus in eis est aliquid naturale. 2. Hoc vero qui dicit, nihil dicit sicut et nihil dicit, qui fieri ab aliqua constellatione hominem dicit, non tamen fieri ab ea naturam rationalem; nam si non

Font.: 10–14 Alliacensis – naturale ] Petr. Alliac. vigintiloq. 2–3 Sim.: 10–14 nec – naturale ] cf. rer. praen. 5,10 p. 576 828.15–830.4 Hoc vero – in caelo ] cf. rer. praen. 5,10 pp. 576–577 App. crit.: 5 ulla BB BP : nulla αβO

11 huiusmondi Garin

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Kapitel 16 – Was über die Kräfte der Natur hinausgeht, kann nicht vom Himmel angezeigt werden, nicht einmal was das betrifft, was es an Natürlichem in sich hat. 1. Es ist nun, wenn ich mich nicht irre, zur Genüge bewiesen worden, dass die göttlichen Wunder vom Himmel weder bewirkt noch angezeigt werden, obwohl das, was ihre Wirksamkeit betrifft, die heiligen Stimmen selbst anzeigen, und es bedarf keines weiteren Beweises. Erst kürzlich aber untersuchte Girolamo Benivieni, ein Mann von scharfem und durchdringendem Verstand, ob, da bei den Ereignissen, die sich außerhalb der Natur ereignen, bisweilen auch einmal irgendetwas Natürliches dabei ist, diese von diesem Teil ausgehend von den Sternen angezeigt werden könnten; wenn daher keine Himmelskonstellation die Verkörperung Gottes habe anzeigen können, so könne doch ein Mann, der Gesetzgeber ist und gute Gesetze geben wird, angezeigt werden.314 Ich habe geantwortet, dass weder auf diese Weise jene Ereignisse von den Sternen bezeichnet werden könnten noch dass sie, was Pierre d’Ailly glaubt, auf diese Weise durch die Sterne bewirkt werden. Er war nämlich der Ansicht, dass diejenigen, die die Ursachen für derartige wunderbare und göttliche Ereignisse in den Sternen suchen, nicht anders gegen den Vorwurf der Ketzerei sich verteidigen könnten, als dadurch, dass sie behaupteten, diese Ereignisse hingen vom Himmel ab, nicht insofern sie über die Natur hinausgehen, sondern insofern in ihnen sich etwas Natürliches befindet.315 2. Wer aber dies sagt, sagt nichts, wie auch derjenige nichts sagt, der behauptet der Mensch stamme von irgendeiner Konstellation, seine vernünftige Natur aber

314 Vgl. die entsprechende Stelle im Commento (comment. Beniv. 1,10 p. 50 Bürklin), wo der Name Moses in vergleichbarem Zusammenhang mit der Schöpfung fällt. 315 In seinem Vigintiloquium de concordia astronomice veritatis cum theologia definiert Pierre d’Ailly im Rahmen des verbum secundum drei Irrtümer, welche fehlgeleitete Astrologen unter falschen Prämissen verbreitet hätten: Primus est eorum, qui ex astris omnia futura necessitate fatali evenire senserunt. Secundus est eorum, qui astronomicis libris plures superstitiones execrabiles artis magice miscuerunt. Tercius eorum, qui terminos astronomice potestatis respectu liberi arbitrii et quarundam rerum, que solum subsunt divine ac supernaturali potestati, superbe et sperstitiose excesserunt. Im folgenden verbum tertium erläutert er diese Fehler genauer, wobei er den dritten Irrtum folgendermaßen expliziert: Ad hunc autem errorem plurimi accedere videntur: qui generaliter dictamina prophetarum divinarum [lege: divinorum], que ad superiorem theologiam pertinent, astronomica inquisitione validare. magnarum coniunctionum significationes: aut alia quevis indicia astronomica eis applicando conantur. Cum huiusmodi divini prophetie plurimum sint de his futurum que vim nature et naturalis rationis investigationem excedunt … De aliis autem, que non excedunt vim nature, fortassis non esset inutile, theologiam cum astronomia concordare supernaturalem inspirationem per naturalem investigationem confirmando.

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facit ea in homine, quod est rationale, non est, cur dicatur magis facere hominem quam leonem. Si igitur demas ex divinis miraculis quod eis est proprium et ea tantum relinquas, quae sunt illis communia cum rebus innumerabilibus, non est, cur effectus singularem causam tam studiose quaeras in caelo. Sed profecto, qui Iesu genesim investigant, non illud scire contendunt, cur in utero novem mensibus fuerit quemadmodum reliqui homines, cur bono corporis statu, cur prolixo capillo, cur pauper, cur Iudaeus, quoniam his condicionibus abundat omnis vita mortalium; sed quae in eo praecipua fuere et singularia, eorum maxime causam quaerunt in sideribus, quam et praecipuam esse putant et singularem. 3. Ea vero iam supra naturam Dei opera, non caelorum, quod natus ex virgine, quod homo et Deus, quod in patria dominus et peregrinus in carne, quod mirabilium operum effector, quod iure dominus orbis, quod iudex vivorum et mortuorum, quod divinae gratiae auctor et dispensator, quod expulsor idolatriae, daemonum triumphator, auctor virtutum, vitiorum expulsor, pax mundi, veritatis

Font.: 10–13 Ea vero – mortuorum ] cf. Petr. Alliac. vigintiloq. 3 App. crit.: 3 innumerabilibus α : innumeralibus βO

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stamme nicht von dieser Konstellation; wenn sie nämlich im Menschen nicht das bewirkt, was vernunftbegabt ist, gibt es keinen Grund zu sagen, sie bewirke eher einen Menschen als einen Löwen. Wenn man also den göttlichen Wundern das ihnen Eigentümliche nimmt und nur das übrig lässt, was ihnen mit unzähligen Dingen gemeinsam ist, gibt es keinen Grund, einen einzelnen Grund für diese Wirkung so geflissentlich am Himmel zu suchen. Und in der Tat bemühen sich diejenigen, die das Horoskop Jesu untersuchen, nicht darum herauszufinden, warum er neun Monate im Uterus war, wie auch alle anderen Menschen, warum er von gutem Körperbau war, warum er langes Haar hatte, warum er arm war oder warum er ein Jude war, weil jedes Leben der Menschen reich an derartigen Eigenschaften ist; sondern sie suchen besonders die Ursache für das, was an ihm besonders und einzigartig war, am Himmel, wobei sie diese Ursache für besonders und einzigartig halten. 3. Jenes sind aber bereits die Werke Gottes, die über die Natur hinausgehen, nicht aber die der Himmel, dass er von einer Jungfrau geboren wurde, dass er Mensch und Gott zugleich war, dass er in seiner Heimat Herr, im Fleisch aber fremd war, dass er wunderbare Werke vollbrachte, zu Recht der Herr des Erdkreises, Richter über Lebende und Tote, Urheber und Verteiler der göttlichen Gna-

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manifestator. Haec si non quaeris, nihil quaeris; si quaeris, impie quaeris. Perfugium igitur nullum, quod astrologis parat Alliacensis, ut divina miracula dicant fieri a caelo, sed non quatenus sunt miracula; quae nec significari, ut ex nobis quaerebat noster Hieronymus, ea ratione a sideribus possunt, quoniam, si ordo rerum, quae a Deo proveniunt supra naturam, e medio auferatur, restabunt tamen, ut superius diximus, indicia haec caeli effectus illos aliqua ex parte, ut dicebamus, portendentia; sed effectus iam nullus erit, indicia illa igitur vana atque fallacia, quale nihil esse in natura caelesti superius est demonstratum. Ioannis Pici Mirandulae disputationum adversus astrologos libri quarti finis.

App. crit.: 6 effectus] effectos Garin scriptio Ioannis – finis deest in β

7 portendentia scripsi : protendentia ΩGarin

9–10 Sub-

5

10

Liber Quartus

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de und Vertreiber der Götzendienste, Sieger über die Dämonen, Schirmherr der Tugenden, Vertreiber der Laster, Friede auf Erden und Offenbarer der Wahrheit war. Wenn man das nicht untersucht, untersucht man nichts; wenn man es untersucht, handelt man frevlerisch. Folglich hat Pierre d’Ailly den Astrologen keinen Rückzugsort bereitet, sodass sie behaupten könnten, die göttlichen Wunder kämen vom Himmel, aber nicht insofern als sie Wunder sind; sie können auch nicht, wonach uns unser Freund Girolamo fragte, auf die Weise von den Sternen angezeigt werden, weil, wenn die Ordnung der Dinge, die von Gott ausgehen und außerhalb der Regeln der Natur liegen, beseitigt wird, lediglich, wie bereits gesagt, die Hinweise des Himmels übrigbleiben werden, die, wie wir sagten, jene Wirkungen zu irgendeinem Teil vorhersagen; es wird aber keine Wirkung mehr geben und jene Hinweise werden folglich nichtig und trügerisch sein – dass nichts Derartiges in der Natur des Himmels sich befindet, ist bereits weiter oben bewiesen worden. Ende des vierten Buches der Disputationes gegen die Astrologen des Giovanni Pico della Mirandola.

5

10

15

4 Literaturverzeichnis

4.1 Ausgaben und Editionen 4.1.1 Frühneuzeitliche Drucke

Im Gegensatz zum übrigen Literaturverzeichnis sind die (frühneuzeitlichen) Drucke auf Grund der sehr unterschiedlichen Titel- und Autorangaben, die eine alphabetische Anordnung schnell unübersichtlich machen, chronologisch angeordnet. Im Text werden die Schriften mit Angabe des Verfassers in lateinischer Schreibweise (im Nominativ) mit Druckdatum angeführt, so z.B. Themon (1516). Lucii Bellanti Senensis artium et medicinae doctoris responsiones in disputationes Ioannis Pici Mirandulani comitis adversus astrologos. In: Lucii Bellantii Senensis mathematici ac physici liber de astrologica veritate. Et in disputationes Ioannis Pici adversus astrologos responsiones. Venedig: Bernardinus Venetus de Vitalibus 1502, fol. qr –r . Praeclarissimi viri Georgij Valle Commentationes. In Ptolomei quadripartitum [...]. Venedig: Simon Bivilaqua 1502. Questiones super quatuor libros Meteororum compilate per doctissimum philosophie professorem Thimonem. In: Questiones et decisiones physicales insignium virorum: Alberti de Saxonia [...], Thimonis [...], Buridani [...]. Recognitae summa accuratione et iudicio Magistri Georgii Lokert Scoti: per quem collectȩ sunt tabulæ et proportionum tractatus editi. [Paris] 1516. Oratio de Laudibus astrologiæ, habita in ferrariensi Achademia, per Artium Doctorem Lucam Gauricam Nepolitan(um) [...]. In: Spherae Tractatus Ioannis De Sacro Busto Anglici Viri Clarissi(mi) [...]. Venedig 1531, fol. a2r – v . Hieronymi Cardani [...] Libelli quinque [...]. I. De supplemento Almanach. II. De Restitutione temporum et motuum coelestium. III. De Iudicijs geniturarum. IV. De Revolutionibus. V. De exemplis centum geniturarum [...]. Nürnberg: Johannes Petreius 1547. Lucae Gaurici Geophonensis Epicsopi [...] Tractatus Astrologicus [...]. Venedig: Curtius Troianus Navó 1552.

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4.1.2 Moderne Ausgaben von Werken Giovanni Picos

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Ausgaben und Editionen

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4.1.3 Moderne Textausgaben anderer Autoren

Amand de Mendieta, Emmanuel / Rudberg, Stig (Hg.) (1997): Basilius Caesariensis: Homilien zum Hexaemeron. Akademie-Verlag: Berlin. Bretschneider, Carl Gottlieb (Hg.) (1846): Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia, edidit Carolus Gottlieb Bretschneider. BAnd 13. Halle. (Corpus Reformatorum 13) Bruns, Hermann Theodor (Hg.) (1839): Canones apostolorum et conciliorum saeculorum iv. v. vi. vii. Recognovit Herm. Theod. Bruns. Pars altera. Reimer: Berlin. Conte, Gian Biagio (Hg.) (2009): P. Vergilius Maro: Aeneis, recens. atque appar. crit. instrux. Gian Biagio Conte. De Gruyter: Berlin / New York (unveränd. Nachdr. d. Ausg. 2009). Geymonat, Mario (2008) (Hg.): P. Vergili Maronis Opera, edita anno MCMLXXIII iterum recens. Marius Geymonat. Ed. di Storia e Letteratura: (2. Aufl.) Rom. (Temi e testi. Reprint 4) Grensemann, Hermann: (Hg.) (1968): Hippocratis De octimestri partu, De septimestri partu, edidit, in linguam Germanicam vertit, commentatus est Hermann Grensemann. Akademie-Verlag: Berlin. (Corpus Medicorum Graecorum I 2,1) Hamesse, Jacqueline (Hg.) (1974): Les Auctoritates Aristotelis. Un florilège médiéval; étude historique et édition critique. Cetedoc: Louvain / Paris. Herding, Otto / Mertens, Dieter (Hg.) (1990): Jakob Wimpfeling. Briefwechsel. Eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Otto Herding und Dieter Mertens. 2 Bde. Fink: München. (= Jacobi Wimpfelingi Opera Selecta III) Hübner, Wolfgang (Hg.) (1998): Claudii Ptolemaei opera quae extant omnia (volumen III 1) ΑΠΟΤΕΛΕΣΜΑΤΙΚΑ post F. Boll et Æ Boer secundis curis edidit Wolfgang Hübner. Teubner: Stuttgart / Leipzig. Klopsch, Paul (Hg.) (1967): Pseudo-Ovidius De vetula: Untersuchungen und Text. Brill: Leiden u.a. Löhr, Winrich A. (1996): Basilides und seine Schule. Eine Studie zur Theologieund Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts. Mohr: Tübingen. Müller, Martin (Hg.) (1934): Die Quaestiones naturales des Adelardus von Bath, herausgegeben und untersucht von Martin Müller. Aschendorff: Münster. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 31,2) Mynors, R[oger] A[ubrey] B[askerville] (Hg.) (1969): P. Vergili Maronis Opera, recogn. brevique adnot. crit. instr. R.A.B. Mynors. Clarendon: Oxford.

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Index nominum rerumque notabilium

Abraham, 827 Abraham bar Hiyya ha-Nasi (Savasorda) führt Judentum auf große Konjuntionen zurück, 325 Abu Bakr al-Hasan al-Hasib (Abubater), 257 Abu Bakr Muhammad Ibn Tufail (Abubater), 257 Hayy Ibn Yaqzan, 29 Abu Masar (Albumasar), 35 Astrologe mit Philosoph gleichen Namens verwechselt, 255 Begründer der Lehre der großen Konjunktionen, 317 Ebbe und Flut gleichzeitig, 559 leitet Religionen vom Himmel ab, 323 vier Mondphasen der Gezeiten, 571 Acciaiuoli, Zanobi, 168 Achtmonatsgeburt, 57 Ansicht des Hippokrates, 621 Saturn zugeschrieben, 619 Achtmonatskinder in Spanien und Ägypten lebensfähig, 621 Ad Aristonem, siehe Ps.-Ptolemaios Adam, 243 Adelard von Bath, 54, 553 Gründe für Gezeiten, 553 Aderlass, 53, 551 korrekter Zeitpunkt, 451 Ägypter lehnen Notwendigkeit des Schicksals ab, 807 Wohltäter und Übeltäter bei der Geburt, 577 Akademie zu Paris, 311 Aktinobolie, 353 Al-Bitrugi (Alpetragius), 467 Gründe für Gezeiten, 561

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Al-Fargani, 481, 589 mit Al-Bitrugi verwechselt, 589 Albertus Magnus, 36, 491 Alcochoden, 345, siehe Hyleg nicht auf Ptolemaios zurückzuführen, 347 Alexander der Große, 249, 689 Beispiel für Erfolg, 695 Alexander von Aphrodisias, 35, 64 Gleichsetzung von Schicksal und Natur, 739 lehnt Schicksal ab, 227 Ali ben Ridwan (Avenroda) lehnt Wahlastrologie ab, 295 verteidigt Ptolemaios gegen Albumasar, 247 Wirkung aller Himmelskörper, 477 übersetzt Ptolemaios nur fehlerhaft, 287 Ali Ibn abi r-Rigal (Haly Abenragel), 243 bezichtigt Ptolemaios zu Unrecht des Irrtums, 349 deutet Ptolemaios falsch, 345 Almanach, siehe Ephemeriden Alphonsinische Tafeln, siehe astronomische Tafeln Ambrosius, 36, 367 Amoriter, 827 Andramitteno, Emanuele, 24 Aphetes (dimissor), 353 bei den Arabern Hyleg genannt, 349 zur Berechnung der Länge des Lebens bei Ptolemaios, 347 aphetische Orte (dimissoria) arabisch Hylegialia, 347 bei Ptolemaios zur Bestimmung der Länge des Lebens, 347 Apogäum, 363 Apollo, 379 Archigenes 21. Tag ein kritischer Tag, 579 Aristoteles, 35, 219, 241 Achtmonatskinder in Ägypten lebensfähig, 621 bezeichnet Astrologen als Betrüger, 243 Definition zufälliger Ereignisse, 725 erwähnt Astrologie nicht, 725 Lebewesen im Norden männlicher, 533 Meteorologie, 221 Mond ist ein Prinzip, 443

Index

Index

Probleme, 223 schicksalhafte Zeugungen, 741 verfügt über vollendetes Wissen, 689 zum Geist, 443 Über den Himmel, 221 Über die Zeugung der Tiere, 221 Überlegung hilft dem Glücklichen nicht, 293 Aristotelismus Pico studiert den A., 22 artbildender Unterschied (specifica differentia), 409 Arzt, 603 beachtet Mondtage, 551 nutzt Mondastrologie, 545 urteilt auf Grund von Wahrnehmung und Ursachen, 303 Asklepiades, 593 Äskulap, 235 Aspekt astrologische Bedeutung, 575 Gedrittschein, 118, 537 Geviertschein, 118, 589 Assur, 729 Astrologen aus den Gemeinden vertrieben, 631 entbehren jeglicher Vernunft, 815 Astrologie besonders schädlich für die Religion, 319 dient der Unterhaltung wie ein Märchen, 299 Frageastrologie, 809 hilft nicht bei der Frage nach Krieg und Frieden, 305 konträre Ansichten unterschiedlicher Schulen, 335–337 nie um eine Ausrede verlegen, 375 nutzlos bei Fragen der Gesundheit, 301 sagt Wetter selten korrekt vorher, 365 tut dem Himmel Unrecht, 649 Unterschied zur Astronomie, 223 urteilt auf Grund von allgemeinen Ursachen (causae universales), 303 von Astronomie unterschieden, 34 Vorteile der A., 291 astrologische Geographie, 531 auf Sonne zurückzuführen, 533 astronomische Tafeln

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stimmen oftmals nicht überein, 361 Aszendent oder Aufgangspunkt, siehe Kardinalpunkt Attendolo, Pietro, 42, 369 Tod des A., 30 Attila, 737 Augustinus, 36, 63 himmlische Körper lenken irdische Körper, 393 Wirkung von Dämonen bei Prognosen, 379 Zwillingsproblem, 46 Augustus, 697 Ausdünstung, 395 Bacon, Roger, 313 belegt Nutzen der Astrologie für Religion, 307 fordert Feier des Sabbat, 327 Gründe für Gezeiten, 563 zitiert Aethicus in der Epistula ad Clementem, 239 Barbaro, Ermolao Auseinandersetzung mit Pico, 23 Tod des B., 31 Basilides, 733 Basilius, 36 Bellanti, Lucio, 21, 71 Bembo, Pietro, 21 Ben-Jizchak, Schlomo, 263 Ben-Josep, Akiba, 263 Benedetto, Giovanni Francesco, 19 Benivieni, Girolamo, 20, 22, 25, 68, 829, 833 Bentivoglio, Costanza, 25, 43, 371 Tod der. B., 30 Bevilaqua, Simon, 166 Bewegung (motus) B. der Himmelskörper bedingt Gezeiten, 393 bedingt Jahreszeiten, 393 B. der Vielfachheit, 475 B. des Herzens, 413 Einfluss des Himmels durch B., 387 erste B. geht vom Himmel aus, 413 Bianchelli, Mengo, 231 Bilder (imagines), 627

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Bion, 219 Boiardo, Giulia (Mutter Giovanni Picos), 20 Bologna, 21, 367 Bonatti, Guido, 40, 251 lässt Jesus Stundenwahl betreiben, 325 Burckhardt, Jakob, 26 Caesar (Gaius Iulius Caesar), 695 erhält Prophezeiung eines langen Lebens, 371 vertraut Wahrsagern nicht, 295 Calco, Bartolomeo, 72 Cardano, Girolamo, 20 Castreno, Demetrio, 29, 733 Catastini, Angelo, 21 Celsus, 593 Charakter, 773 Chimäre, 347 Christus, 815 Horoskop des C., 831 Chrysostomus, Johannes, 36 Cicero, 35, 43, 219 Claudius (Tiberius Cludius Nero Germanicus), Römischer Kaiser, 371 Clemens Alexandrinus, 733 Stromata, 29 Collenuccio, Pandolfo, 367 Columella, Lucius Iunius Moderatus, 53, 631 Cordier, Jean, 26 Crassus (Marcus Licinius Crassus), 371 Dante Alighieri, 24 De anulis, siehe Ps.-Ptolemaios De excantationibus, siehe Ps.-Hieronymus de Fontaneto, Guilelmus, 96 De necromanticis imaginibus, siehe Ps.-Aquinas, Thomas de Pensis, Christophorus, 166 De proprietatibus elementorum, 237 De regiminibus coelestibus, siehe Ps.-Aristoteles De secretis ad Alexandrum, 237 De vetula, siehe Ps.-Ovid, 239 de Vitali, Bernardino, 83 del Medigo, Elia, 23, 25

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del Tuppo, Francesco, 26 Delft, Gilles de, 87 Demokrit, 35, 219 Demosthenes, 741 Deszendent oder Untergangspunkt, siehe Kardinalpunkt di Libri, Bartholomeo, 27 Dido, 741 Diogenes Laertius, 35, 219 Direktion, 361 Disputationes adversus astrologos Abfassungszeit, 29 Drei-Tage-Fieber, 303 Dämonen, 771 bewirken schlechte Magie, 321 hauchen den Menschen Prognosen ein, 379, 381 können sich täuschen, 333 Edward VI. von England, 21 Einfluss kein verborgener E. des Himmels, 387 qualitative Änderung des E., 501 verborgener E., 673 Ekliptik Schiefe der E., 52 Elementarschäden hängen nicht vom Himmel ab, 643 Elemente Eigenschaften der Elemente, 619 Empfängnis Bedeutung für Vorhersagen, 793 Empfängniszeitpunkt schwierig zu bestimmen, 359 Emser, Hieronymus, 88 Engel beeinflussen Menschen, 721 bestehen aus Geist und Intellekt, 671 verfügen über Astrologie, 707 Ephemeriden geben keine Breitengrade an, 357 geben Position der Planeten falsch an, 361 Epigramm, 363

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Epikur, 219 Epistula ad Clementem, siehe Bacon, Roger Epizykel, 363 Erasmus von Rotterdam, 21, 130 Erkenntnis Definition, 673 unterschiedliche Formen der E., 671 Erziehung Einfluss auf Charakter, 535 Essenz (essentia), 659 Eudoxos von Knidos, 229 Euripides, 377, 751 Evektion der Mondbahn, 591 Faelli, Benedetto, 19, 72 Favorinus, 35, 43, 219, 687, 697 Gezeiten kein Argument für Astrologie, 561 Ferrara, 20 Ficino, Marsilio, 22, 35 Pico gehört zum Kreis um F., 24 Vierteilung des Schicksals, 739 zwiespältige Einstellung zur Astrologie, 233 Filelfo, Francesco, 86 Firmicus Maternus, 249 führt Hermes als Vermittler astrologischer Wahrheit an, 235 lügt über Plotins Tod, 225 Wirkung von Saturn im Löwen, 775 Fixstern, 361 Größenverhältnis zur Erde, 481 verändert Ausgang einer Prognose, 377 Fornaciari, Paolo Edoardo, 109 fortuitus, 715 Frageastrologie, 355, 809 unwirksame Fragestellung, 811 Galen ausgezeichneter Arzt, 593 beruft sich auf Ägypter, 597 Bestimmung kritischer Tage, 577 kein Philosoph, 593 mischt unterschiedliche Einflüsse, 585

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vierte Figur des Syllogismus, 595 Galle körperliche Anzeichen aufwallender G., 303 rote Galle, 643 schwarze Galle, 643 von Mars erregt, 303 Gallier berühmt für Knabenliebe, 537 Garin, Eugenio, 20 Titel der Disputationes, 71 Gaurico, Luca, 20 Geber, 479 Gegenschatten (antiscia), 377, 627 Gehenna, siehe Weltuntergang Geist (spiritus) verwandt mit Licht und himmlischer Hitze, 427 zwischen Körper und Seele, 427 Geister von der Materie getrennt (mentes separatae), 671 Geisteswesen, 375 Geomantie simmt nicht mit Astrologie überein, 375 Tochter der Astrologie, 329 Georg von Trapezunt, 21 Gezeiten, 509 durch Bewegung der Himmelskörper bedingt, 393 Giorgio Valla (Ptolemaios-Kommentator), 323 Giovanni Marliani, 231 Giovio, Paolo, 100 Giuntini, Francesco, 21 Glück, 709 bei Prognosen, 381 lässt Prognosen eintreffen, 385 Gott wirkt bei Prognosen, 381 Gregor von Nyssa, 747 Gregor von Rimini, 91 Guarini, Battista, 22 göttliche Wesen wirken auf Menschen ein, 801

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Harmonie himmlische H., 641 Haus (domus), 627 Hebdomade, 579, 583, 587 hedbomadischer Tag, 579 Heinrich von Langenstein, 35 Henrik Bate von Mechelen (Henricus Batensis / Macliviensis) erkennt Arche am Himmel, 323 Erklärer Albumasars, 317 Quelle für Pierre d’Ailly, 313 Heraklit, 777 Herodes, 825 Herr der Geburt (dominus geniturae), 455 Herrschaft der Gestirne, 523 Hesiod, 53, 543 geeignete Tage, 547 geeignete Tage für Kastration, 549 greift auf Aberglauben zurück, 551 zum 17. Mondtag, 549 Hieronymus, Sophronius Eusebius, 36 Himmel (caelum) angrenzend oder zusammenhängend mit sublunarer Sphäre, 391 Definition, 639 Einfluss durch Bewegung und Licht, 46 Einheit aller Körper, 60, 665, 667 erste Bewegung geht vom H. aus, 413 ist allgemeine Ursache, 46 ist ein vollkommener natürlicher Körper, 411 nicht Ursache zufälliger Ereignisse, 711 Substanz des H. unvergänglich), 411 universelle Wirksamkeit des H., 421 verfügt nur über Allgemeines, 665 wirkt nur durch Bewegung und Licht, 387 zeig Ereignisse an, 799 Himmelskörper beherrschen verschiedene Elementen, 641 bewirken Charakter, 649 schenken Licht und Hitze, 661 ändern nur Position, 489 Hipparch berechnet Mondbewegung, 597

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Hippokrates, 35, 681 De octimestri partu, 621 Prognostica, 241 untersucht nicht die Sterne, 627 zur Achtmonatsgeburt, 621 Hiskija, 821 Hitze (calor) H. des Samens formt Ungeborenes, 419 Eigenschaft der himmlischen H., 447 folgt dem Licht, 415 gelangt von den Sternen auf die Erde, 387 himmlische H., 419, 439 himmlische H. fördert den Geist, 443 himmlische H. schadet, 441 himmlische H. von elementarer H. unterschieden, 415 qualitative Zunahme, 457 qualitative Änderung, 541 vom spiritus unterschieden, 47 von meteorologischen Einflüssen abhängig, 523 Homer, 365 Honorius Augustodunensis, 311 Horoskop Picos, 20 Hyleg, siehe auch Aphetes (dimissor) bildet keinen Aspekt zum Aszendenten, 349 Definition, 345 gleichzusetzen mit Alcochoden, 351 Irrtum späterer Astrologen, 349 Ibn Ezra (Avenezra) beschreibt Hinderungsgründe für das Eintreten von Vorhersagen, 291 Sterne bewirken nur Hitze, 453 Ibn Rusd (Averroes), 22, 25, 35 verwirft Talismane (imagines), 227 Ibn Sina (Avicenna), 25, 35 Achtmonatskinder in Spanien lebensfähig, 621 früher Tod durch Extreme, 533 führt kritische Tage auf Mond zurück, 593 zum Geist, 443 Ikarus allegorisch als Astrologe gedeutet, 365 Indisches Meer, 525

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Innozenz VIII., 26 Intellekt (intellectus), 671 Definition, 671 nicht mit Verstand gleichzusetzen, 671 intensive Größe, 51 Isidor der Ältere, 733 Isidor von Sevilla, 521 Jahreszeiten durch Bewegung der Himmelskörper bedingt, 393 durch Ekliptikschiefe bedingt, 521 durch Sonne bedingt, 517 großer Einfluss der J., 633 Jaspis stillt Blutungen, 663 Jesaja verkündet Ende der Sterndeuter, 257 Johannes von Damaskus, 747 Johannes von Eschenden Quelle für Pierre d’Ailly, 313 verbessert scheinbare Fehler bei Ptolemaios, 343 Joseph von Brüdern verkauft, 735 Judentum mehr als 3000 Jahre alt, 789 Julian (Flavius Claudius Iulianus, gen. Apostata) Römischer Kaiser, 295 Jupiter Größenverhältnis zur Erde, 481 Planet des Christentums, 327 Justinian (Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus) Römischer Kaiser, 295 Kabbala, 23 Kardinalpunkt Aszendent, 493, 759 bei der Sonnenfinsternis, 343 Berücksichtigung bei Sonnenfinsternis, 343 Deszendent, 761 in der Frageastrologie, 355 hat größte Wirkung, 359

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obere Kulmination, 343, 761 bei der Sonnenfinsternis, 343 untere Kulmination, 761 Karneades, 219 Katarchenastrologie, 355 Kinnflechte, 521 Kintzner, Heinrich, 86 Kithara, 641 Kloster Tegernsee, 86 Komet, 803 Konjunktion Definition, 307 Konjunktion, große (magna coniunctio) begründet Religionen, 789 hilft nicht bei der Berechnung biblischer Zeitangaben, 307 Kontingenz, 743 kontingente Ursache, 743 Konzil 2. Konzil von Braga, 36 Krankheiten abhängig von Position des Mondes, 519 akute, 579 chronische, 579 Perioden, 57 in Siebenerschritten nach Ibn Sina, 607 Sommerkrankheiten heilen im Winter, 529 Wendungen zum Schlechten an bestimmten Tagen, 603 Winterkrankheiten heilen im Sommer, 529 Krieg, 397 kritische Tage, siehe auch Tage unzutreffend, 529 Kyros von Jesaja angesprochen, 257 Körper (corpus) besteht aus Materie und Form, 675 hängt vom Himmel ab, 667 vollkommenere Körper (z.B. Edelsteine), 425 körperliche Beschaffenheit Einfluss auf Charakter, 535 körperliche Defekte hängen nicht vom Himmel ab, 643

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Körpersäfte, 57 Laurentianus Pluteus 28,20, 289 Leoniceno, Niccolo, 35, 233 Lepra, 521, 769 Libanios, 130 Licht (lumen) Einfluss des Himmels durch L., 387 Fortbewegugsmittel himmlischer Kräfte, 491 Prärogativ des L., 413 spendet Hitze, 663 vollendet Körper, 413, 663 Lose (partes), 377 Lucilius (Gaius Lucilius), 755 Ludwig, 537 Luminare Fisternis der L. als Zeichen, 341 Konjunktion der L., 611 Magnet enthält verborgene Kraft, 657 Manfredi, Girolamo, 21, 369 Manichäer, 329 Manilius, Marcus, 251 Mantovano, Battista, 69 Manuzio, Aldo, 24 Mardonios, 739 Margherita von Pico entführt, 25 Marliani, Giovanni, 35 Mars Größenverhältnis zur Erde, 481 verhindert wahre Prognosen, 811 Wirken bei Stadtgründung, 767 Materie bewirkt den Tod, 645 bewirkt Unterschied von Einflüssen, 673 kann Eintreten von vorhergesagten Ereignisses verhindern, 291 Unbeständigkeit der M. (materiae fluxus), 333 verhindert Ereignisse, 805 Maulwurf, 477

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Mazzali, Ludovico, 91 Medici, Giuliano Mariotto de’, 25 Medici, Lorenzo de’, 24 Tod des M., 31 mentes et intellectus, 671 Merkur begründet Christentum, 327 bewirkt Ketzerei im neunten Ort, 783 meteorologische Phänomene, 507 Mikrokosmos, 413 Mischung von Strahlen, 497 Mitridate, Flavio studiert mit Pico kabbalistische Lehren, 25 Monat M. der Durchwanderung, 583, 587 M. der Konjunktion (= synodischer M.), 581 M. der offenbaren Sichtbarkeit, 583 medizinischer M., 581, 587 Mond abnehmender M. geeignet zum Fällen, 547 bewirkt alle Primärqualitäten, 453 scheinbar über der Erde, 359 stimuliert Fruchtbarkeit, 443 zunehmender M. geeignet zum Pflanzen, 547 Mondastrologie, 545 Monissart, Jean, 26 Monstrositäten haben Ursache im Himmel, 645 Mosche ben Maimon, 593 Moses, 327, 815 beachtet Ebbe und Flut bei Durchquerung des Roten Meeres, 323 vollbringt Wunder, 819 Nebukadnezar, 729 Nemesius von Emesa, 747 Nifo, Agostino, 22 Nigidius Figulus Rad des Nigidius, 405 Noah, 815

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obere Kulmination oder Himmelsmitte, siehe Kardinalpunkt Okellus von Leuka, 221 Ordelaffi, Pino, 42, 369 Schwager Giovanni Picos, 21 Oresme, Nikolaus, 35 verwirft die Astrologie, 231 Orestes, 219 Orosius, 87 Ort (locus) in der Frageastrologie, 355 spielt keine Rolle beim Klima, 523 verändert Ausgang einer Prognose, 375 vierter und zehnter Ort Schicksal von Vater und Mutter, 757 zu berücksichtigen bei Sonnenfinsternis, 341 zwölfter Ort, 493 Ovid (Publius Ovidius Naso), 24, 239 Padua, 22 Pafraet, Richard, 86 Panaitios, 35, 219, 229, 535 Paris, 24 Passiranus, Joannes, 72 Perioden, siehe Säfte Persisches Meer, 525 Perugia, 25 Petit, Jean, 94 Petosiris, 235 Petrarca, Francesco, 24 Petri, Heinrich, 99 Pfingstrose enthält verborgene Kraft, 659 hilft bei Schwindsucht, 663 Picatrix, 235 Pico, Antonio Maria (Bruder Giovanni Picos), 21, 43, 371 Pico, Caterina (Schwester Giovanni Picos), 21 Pico, Eleonora (Nichte Giovanni Picos), 369 Pico, Galeotto (Bruder Giovanni Picos), 21, 369 Pico, Gian Francesco (Vater Giovanni Picos), 20 Pico, Gianfrancesco betreut Erstausgabe, 19

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Pico, Giovanni Apologia, 26 Carmina Latina, 22 Commento, 27 Conclusiones, 24 Concordia Platonis et Aristotelis, 27 De ente et uno, 27 De vera temporum supputatione, 315 Disputationes adversus astrologos, 28 Heptaplus, 27 Oratio de hominis dignitate, 26 Gründe für Abfassung der Disputationes, 32 philologisch geschult, 37 Tod des P., 31 Vereinbarkeit aller philosophischen Schulen, 24 Widerlegung der sieben Feinde der Kirche, 28 zur Lebenszeit des Adelard von Bath, 553 Pico, Lucrezia (Schwester Giovanni Picos), 21, 369 Pierre d’Ailly, 36, 829 De concordia astronomiae et historiae, 309 Elucidarium, 311 Vigintiloquium, 309 belegt Nutzen der Astrologie für Religion, 307 offensichtlicher Rechenfehler, 313 ordnet wichtige Ereignisse den großen Konjunktionen zu, 311 Unwissenheit auf astronomischem Gebiet, 311 Pietro d’Abano kopiert Galens Theorie, 579 ordnet Perioden den Himmelskörpern zu, 619 Pigmentstörungen, 521 Pio, Alberto, 21, 77 Pio, Leonello, 21 Planetenjahre, 789 von Ptolemaios abgelehnt, 351 Platon, 35, 219 Timaios, 221 Plotin, 35, 66 lehnt Mischung von Himmelskräften ab, 499 verspottet Astrologen, 225 Plutarch, 53, 219 geeignete Tage zum Pflanzen, 547

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Poliziano, Angelo, 13, 19, 22, 543 Bibliotheksreisen mit Pico, 27 Korrekturen in Editionen, 106 Tod des P., 31 Pompeius (Gnaeus Pompeius Magnus) erhält Prophezeiung eines langen Lebens, 371 schenkt Wahrsagern Vertrauen, 295 Pontano, Giovanni, 519 Pico nutzt P.s Übersetzung des Centiloquium, 291, 355 Porphyrios, 35 beschreibt Plotins Tod, 225 Orakel können unwahr sein, 333 Poseidonius, 535 Prinzip, allgemeines, 389 Proklos, 53, 63 Definition von Schicksal, 721 zum 17. Mondtag, 549 Prüss, Johann, 88 Ps.-Aquinas, Thomas De necromanticis imaginibus, 241 Ps.-Aristoteles De regiminibus coelestibus, 241 Ps.-Hieronymus De excantationibus, 243 Ps.-Ovid De vetula, 35 Ps.-Ptolemaios Ad Aristonem, 241 De anulis, 241 Ptolemaios, Klaudios, 35 berechnet Mondbewegung, 597 erklärt Wirkung der Gestirne mit Primärqualitäten, 397 Feuchtigkeit des Mondes, 543 führt Leser in die Irre, 657 führt Vorhersagen auf Primärqualitäten zurück, 633 lehnt Notwendigkeit des Schicksals ab, 807 lehnt ägyptische Astrologie ab, 335 lässt keine Vorhersagen über Individuelles zu, 289 Mondphasen, 543 Planeten herrschen über Religionen, 791 räumt Fehler der Astrologen ein, 285–289

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Schutz vor Widrigkeiten durch Vorhersagen, 293 Zweiteilung der Sternkunde, 253 äußere Ereignisse hängen von Körper und Seele ab, 653 Punktierkunst, 329 Pythagoras, 35, 217, 241 Pythagoräer Einheit enthält alle Zahlen, 417 sublunare Sphäre ist ein einziger Stern, 669 Qualität Primärqualitäten, 395 Grundlage für Astrologie bei Ptolemaios, 633 nicht alleine für Charakter verantwortlich, 651 nicht für Krieg verantwortlich, 653 Q. der Elemente, 619 unterschiedliche Q. der Tierkreiszeichen, 599 wirkende Qualitäten, 599 Regenbogen zeigt heiteres Wetter an, 801 Regiomontanus, 327 Regulus (Cor leonis), 48, 455 Religion nicht dem Himmel unterworfen, 787 übersteigt Natur, 817 Reuchlin, Johannes, 102 Rhabarber leitet Galle aus, 663 Robert von York, 241 Roulier, Fernand, 20 Sacrobosco, Johannes von, 20, 241 Säfte je einem Element zugeordnet, 619 Körper besteht aus vier Säften, 397 Perioden, 615 Aufbau der P., 615 Pausen der Säfte, 615 unterliegen Perioden, 527 vom Mond in Bewegung versetzt, 393 Zusammenhang mit kritischen Tagen, 597 Salomon, 243

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Salviato, Roberto, 19 Samen hat Einfluss auf Individuum, 289 Sarazenen, 553 Saturn erhält Leben, 645 Größenverhältnis zur Erde, 481 herrscht in Indien, 533 kalt und trocken, 621 negative Wirkungen, 785 positive Wirkungen, 785 Wirkung im Löwen, 775 Savonarola, Girolamo, 21, 32 Auslöser für Disputationes, 21 Schicksal individuelles vs. allgemeines S., 291 Notwendigkeit des S., 805, 827 von Astrologen abgelehnt, 807 unterschiedliche S. verändern sich gegenseitig, 333 Vierteilung des S., 739 Schuppenflechte, 519 Schwindsucht, 663 Scotto, Girolamo, 99 Sechzehneck, 613 Seeigel, 449, 509, 515, 681 Seneca, 35, 43, 219 Severian von Gabala, 36 Severus (Lucius Septimius Severus Pertinax), Römischer Kaiser, 227 Sforza, Francesco I., 295 Sforza, Francesco II., 21 Sforza, Ludovico Maria, 19 erteilt Faelli Privileg, 72 Silber, Eucharius, 25 Sintflut, 815 Sirigatti, Antonio, 21 Skylax von Halikarnass, 229 Sokrates bedeutendster Philosoph, 691 Sonne bewirkt alle Primärqualitäten, 453 bewirkt Kälte, 451

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bewirkt unterschiedliche Charaktere, 529 keine Rolle bei kritischen Tagen, 589 positive und negative Wirkungen, 783 Sonnenfinsternis, 341 Speyer, Wendelin, 166 Stadtgründung, 767 Stern der Weisen, 823 Sterne, siehe Himmelskörper Sternschnuppe, 803 Steuermann berücksichtigt Klima, nicht Sterne, 627 Strozzi, Vespasiano, 22 substantia separata, 671 Sulla (Lucius Cornelius Sulla Felix), 697 Synkretismus, 26 Tage 16. Tag ungeeignet zum Pflanzen, 547 17. Tag geeignet zum Fällen, 549 6. Tag mit Tyrann verglichen, 607 7. Tag mit König verglichen, 607 9. und 13. Tag geeignet zum Pflanzen, 547 geeignete T. zum Aderlass, 551 hebdomadische T., 579 kritische T., 55–57 21. Tag, 583 60., 80. und 120. Tag, 605 nach Archigenes 21. Tag, 579 nach Galen 20. Tag, 579 nach Galen 7. und 14. Tag, 577 nicht von Himmelskörpern bedingt, 611 Tage, an denen man sich von der Seefahrt fernhalten muss, 525 Tamerlan, 737 Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus), 36 Thabit ben Qurra, 481 Themon Iudaeus, 46 Theodoret von Kyrrhos, 36, 219 Theon, 479 Thomas von Aquin, 35 Erklärung der Gezeiten, 569 scheint Astrologen zuzustimmen, 711

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Tierkreiszeichen signa communia, 611 signa fixa, 611 signa mobilia, 611 Fische, 525 Jungfrau, 525 keine Rolle bei kritischen Tagen, 591 Krebs kalt und feucht, 599 wässriges Zeichen, 517 Löwe Haus der Sonne, 517 heißes Zeichen, 517 Schütze, 525 unterschiedliche Qualitäten der T., 599 Waage liegt dem Widder gegenüber, 519 Widder Erhöhung der Sonne, 519 heiß und trocken, 599 Zwillinge, 525 Timaios (Philosoph), 221 Timaios (platonischer Dialog), siehe Platon Toscanelli, Paolo, 35 Trigon T. der Erde, 791 T. der trockenen Qualität, 789 Ugolino, Baccio, 19 Umar Ibn al-Farrukan, 243 Ursache (causa) causa efficiens fehlerlos, 645 causa particularis, 411 hindert allgemeinen Einfluss, 805 causa proxima bewirkt unterschiedliches Schicksal, 407 wirkt speziell, 403 causa universalis Astrologe untersucht nur c.u., 627 Himmelskörper wirken als c.u., 403

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nah am Göttlichen, 411 causae verae, naturales, propriae, proximae, 627 kontingente U., 743 wesentliche Ordnung der U., 473 Varro (Marcus Terentius Varro), 329 Venus ruft mit Mars zum Ehebruch auf, 783 verborgene Kräfte stammen aus der Wesenheit der Körper, 659 Vergil, 24, 53, 741 geeignete Tage zum Pflanzen von Wein, 547 Vernia, Nicoletto, 22 Veronese, Guarino, 91 Verstand (ratio), 671 Vinzalius, Joannes, 72 von Langenstein, Heinrich (Henricus ex Hassia), 229 Voraussicht (praevidentia), 745 Vorhersagen generell oder speziell, 341 tägliche V. treffen oft ein, 625 V. einfacher Leute treffen oftmals zu, 625 Vorsehung (providentia), 745 kann Eintreten von vorhergesagten Ereignissen verhindern, 291 Wahlastrologie, 291, 807 akzeptiert nur vom Himmel motivierte Fragen, 807 Stundenwählerei, 765 Wahrheit kann nicht durch Irrtum bestätigt werden, 321 nicht deckungsgleich mit Wollen, 253 stimmt immer mit anderer Wahrheit überein, 307 Weltuntergang, 329 Wesenheit (forma), 659 Wetter von Astrologen selten korrekt vorhergesagt, 365 Wille kann Eintreten von vorhergesagten Ereignissen verhindern, 291 verändert vorhergesagte Ereignisse, 333 Willensfreiheit, 537 Wimpfeling, Jakob, 88

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Wirklichkeit widerlegt Astrologie, 331 Wolf, Thomas, 88 Wunder, 819 Zarathustra wird von Ninos besiegt, 295 Ziegenhirsch, 347 Zufall (casus) lässt Vorhersagen eintreffen, 337, 385 zufällige Ereignisse, 709 Zufall (fortuna), 695 nicht mit Schicksal übereinstimmend, 697 zufällige Ereignisse Definition, 715 Zwillinge, 511 Zwillingsproblem, 46 Zwölfteile (dodecatemoria), 377, 627

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